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Full text of "Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Classe"

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SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


MATHEMATISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


HUNDERTERSTER  BAND. 


•^-3» 


WIEN,  1892. 

AUS  DER  KAISERLICH -KÖNIGLICHEN  HOF-  UND  STAATSDRUCKEREI. 
IN  COMMISSION  BEI  F.  TEMPSKY, 

DUCHHANDLBR  DER  KAISBRLICHBN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


SITZUNGSBERICHTE 


V^ 


DER 


MATHEMATISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHEN  CLASSE 


DER  KAISERLICHEN 


AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


CI.  BAND.  ABTHEILUNG  IIL 


Jahrgang  1892.  —  Heft  I  bis  X. 


(MIT  25  TAFELN  UND  2  TEXTKIGUREN.) 


WIEN,   1892. 

AUS  DER  KAISERLICH -KÖNIGLICHEN  HOF-  UND  STAATSDRUCKEREI 
IN  COMMISSION  BEI  F.  TEMPSKY, 

Ut'l  IIIIANDLEK  DEK  KAISEKLICIIEN  AKADEMIE  DER  WlbbEN^ClIAl-  i  BN. 


/P?J^^    LsL-  //-  //^^^.    cJ/^,J/. 


y 


APR    4     1893 


I N  H  A  LT. 


Seite 

I.  Sitzung  vom    7.  Jänner  1892:  Obersicht 3 

n.  Sitzung  vom  14.  Jänner  1892:  Übersicht 4 

m.  Sitzung  vom  21.  Jänner  1892:  Übersicht 5 

IV.  Sitzung  vom    4.  Februar  1892:  Übersicht 9 

V.  Sitzung  vom  11.  Februar  1892:  Übersicht 22 

VI.  Sitzung  vom  18.  Februar  1892:  Übersicht 24 

Vn.  Sitzung  vom  10.  März  1892:  Übersicht 263 

Vm.  Sitzung  vom  17.  März  1892:  Übersicht 265 

IX.  Sitzung  vom  24.  März  1 892 :  Übersicht '  .    .  266 

X.  Sitzung  vom    7.  April  1892;  Übersicht 271 

XI.  Sitzung  vom    5.  Mai  1892:  Übersicht 275 

XII.  Sitzting  vom  12.  Mai  1892:  Übersicht 349 

Xin.  Sitzung  vom  19.  Mai  1892:  Übersicht 351 

XIV.  Sitzung  vom  17.  Juni  1892:  Übersicht 355 

XV.  Sitzung  vom  23.  Juni  1892:  Übersicht 359 

XVI.  Sitzung  vom    7.  Juli  1892:  Übersicht 445 

XVn.  Sitzung  vom  14.  Juli  1892:  Übersicht 447 

XVni.  Sitzung  vom  21.  Juli  1892:  Übersicht 449 

XIX.  Sitzung  vom  6.  October  1892:  Übersicht 455 

XX.  Sitzung  vom  13.  October  1892:  Übersicht 459 

XXI.  Sitzung  vom  20.  October  1892:  Übersicht         461 

XXII.  Sitzung  vom    3.  November  1892:  Übersicht 465 

XXra.  Sitzung  vom  10.  November  1892:  Übersicht 467 

XXrV.  Sitzung  vom  17.  November  1892:  Übersicht 554 

XXV.  Sitzung  vom     1.  December  1892:  Übersicht 557 

XXVI.  Sitzung  vom    9.  December  1892:  Übersicht 559 

XXVII.  Sitzung  vom  15.  December  1892:  Übersicht 560 

Ebner  V.,  v.,  Über  die  Beziehungen  der  Wirbel  zu  den  Urwirbeln. 

(Mit  1  Tafel.)  [Preis :  40  kr.  =  80  Pfg.] 235 

Fonttanek  is.,  Über  den  Einfluss  hcisser  Bäder  auf  die  Stickstoff- 

und  Harnsäure- Ausscheidung  beim  Menschen 278 


VI 


Seite 
Knoll  Ph.  und  Hauer  i4.,  Über  das  Verhalten  der  protoplasmaarmen 
und  protoplasmareichen,  quergestreiften  Muskelfasern  unter 
pathologischen  Verhältnissen.  (Mit  8  Tafeln.)  [Preis :   1  fl. 
30  kr.  =  2  RMk.  60  Pfg.] 315 

—  Zur   Lehre  von  den  Structur-  und  Zuckungsverschieden- 
heiten der  Muskelfasern.  (Mit  3  Tafeln.)  [Preis :  70  kr.  = 

1  Mk.  40  Pf.] 481 

—  Zur  Lehre  von  den  doppelt  schräggestreiften  Muskelfasern. 
(Mit  2  Tafeln.)  [Preis:  45  kr.  =90  Pf.] 498 

Kreidl  A.,  Weitere  Beiträge  zur  Physiologie  des  Ohrlabyrinthes. 

(L  Mittheilung,)  Versuche  an  Fischen.  [Preis :  1 5  kr.  =  30  Pf.]    469 

MareS  F.,  Zur  Theorie  der  Hamsäurebildung  im  Säugethierorga- 

nismus.  [Preis:  15  kr.  =  30  Pfg.] 12 

Meynerl  Th.,  Neue  Studien  über  die  Associationsbündel  des  Him- 

mantels.  (Mit  4  Tafeln.)  [Preis:  70  kr.  =  1  Mk.  40  Pf.]  .    .    361 

Paschkis  H.  und  Obermayer  F.,  Pharmakologische  Untersuchungen 

über  Ketone  und  Acetoxime.  [Preis:  20  kr.  =  40  Pfg.].  .    .    299 

PJattndlerM.,  Zur  Anatomie  der  Nebenniere.  (Mit  2  Tafeln.)  [Preis: 

75  kr.  =  l  Mk.  50  Pf.] 515 

Reiht  L.,  Die   Nervenwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln. 

(Mit  2  Textfiguren.)  [Preis :  40  kr.  =  80  Pfg.] 381 

Konx  W.y  Beitrag  zur  Entvvickelungsmechanik  des  Embryo,  Über 
die  morphologische  Polarisation  von  Eiern  und  Embryonen 
durch  den  elektrischen  Strom,  sowie  über  die  Wirkung  des 
elektrischen  Stromes  auf  die  Richtung  der  ersten  Theilung 
des  Eies.  (Mit  3  Tafeln.)  [Preis:  2  fl.  25  kr.  =4  RMk.  50  Pfg.]      27 

Schaffer  /.,  Über  Sarkolyse  beim  Menschen.  (Vorläufige  Mit- 
theilung.) [Preis :   10  kr.  =  20  Pfg.] 293 

Weidenfeld  J.,  Versuche  über  die  respiratorische  Function  der 
Intercostalmuskeln.  I.  Abhandlung.  Der  Einlluss  der  Inter- 
costalmuskeln  auf  die  Capacität  des  Thorax.  (Mit  2  Tafeln.) 
[Preis:  1  fi.  =  2  Mk.] 421 


JUL    11    1892 


4fBRAtd- 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAHEN. 


MATHEMATISCH  -NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CI.  BAND.  I.  HEFT. 


ABTHEH^UNG  III. 


ENTHÄLT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  ANATOMIE  UND 
PHYSIOLOGIE  DES  MENSCHEN  UND  DER  THIERE,  SOWIE  AUS  JENEM  DER 

THEORETISCHEN  MEDICIN. 


I.  SITZUNG  VOM  7.  JÄNNER  1892. 


l 


Der  Vorsitzende  gedenkt  des  Verlustes,  welchen  die 
kaiserliche  Akademie  und  speciell  diese  Classe  durch  das  am 
7.  Jänner  d.  J.  erfolgte  Ableben  ihres  wirklichen  Mitgliedes,  des 
Herrn  Hofrathes  und  emerit.  Universitäts-Professors  Dr.  Ernst 
Ritter  v.  Brücke  in  Wien,  erlitten  hat. 

Die  anwesenden  Mitglieder  geben  ihrem  Beileide  durch 
Erheben  von  den  Sitzen  Ausdruck. 

Der  Secretär  legt  eine  Arbeit  von  Dr.  C.  Schierholz  in 
Wien  vor,  betitelt:  »Zur  Trennung  von  Jod,  Brom  und 
Chlor«. 

Herr  Alfred  Justus  R.  v.  Dutczvrtski  in  Wien  übermittelt 
ein  versiegeltes  Schreiben  behufs  Wahrung  der  Priorität  unter 
der  Aufschrift:  »Die  Resultirende,  Grundriss  eines 
neuen  philosophischen  und  biologischen  Systems 
und  neuer  physiologischer  Anschauungen«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Friedrich  Brauer  gibt  eine  Über- 
sicht der  bis  jetzt  aus  Afrika  bekannt  gewordenen 
Oestri  den  (25)  und  beschreibt  die  Larven  von  zwei  neuen 
Gattungen  (Dennatoestrns  strepsicerontis  aus  dem  Kudu  und 
Strobiloestrus  antilopinus  aus  dem  Klippspringer),  welche  Herr 
Dr.  H  ol  u  b  freundlichst  dem  kaiserlichen  Museum  überlassen  hat. 


Selbständige  Werke  oder  neue,  der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

Risley,  H.  H.,  The  tribes  and  Gastes  of  Bengal.  Anthropometric 
Data.  Vol.  I  and  II.  Galcutta,  1891;  8^. 


IL  SITZUNG  VOM  14.  JÄNNER  1892. 


In  Verhinderung  des  Herrn  Vicepräsidenten  führt 
Herr  Prof.  J.  Loschmidt  den  Vorsitz. 

Die  Ungarische  Naturwissenschaftliche  Ge- 
sellschaft in  Budapest  ladet  die  kaiserliche  Akademie  zur 
Theilnahme  an  ihrer  fünfzigjährigen  Gründungsfeier  am 
17.  Jänner  d.  J.  ein. 

Das  w.  M.  Herr  Regierungsrath  Prof.  E.  Mach  übersendet 
eine  Mittheilung  von  stud.med.  Ludwig  Mach  in  Prag:  Ȇber 
ein  Interferenzrefractometer«. 

Herr  Prof.  Dr.  Franz  Mare§  an  der  k.  k.  böhmischen  Uni- 
versität in  Prag  übersendet  eine  Abhandlung,  betitelt:  »Zur 
Theorie  der  Harnsäurebildung  im  Säugethier- 
organismus«. 

« 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  C.  Grobben  in  Wien  überreicht 
eine  Abhandlung  unter  dem  Titel:  »Zur  Kenntniss  des 
Stammbaumesund  desSystems  der  Crustaceen*. 


Selbständige  Werke  oder  neue,  der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

Memoires  de  la  Societe  Ouralienne  de  Medecine 
äEkaterinebourg.  P  annee.  Perm,  1891;  8**. 

Toula,  F.,  Der  Stand  der  geologischen  Kenntniss  der  Balkan- 
länder. Ein  Vortrag,  gehalten  auf  dem  IX.  Deutschen  Geo- 
graphentage in  Wien  im  Jahre  1891.  (Mit  l  Tafel.)  Berlin, 
1891;  8». 


III.  SITZUNG  VOM  21.  JÄNNER  1892. 


In  Verhinderung  des  Herrn  Vicepräsidenten  führt  Herr 
Intendant  Hofrath  F.  Ritter  v.  Hauer  den  Vorsitz. 

Der  Secretär  legt  das  erschienene  »Verzeichniss 
der  von  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissen- 
schaften herausgegebenen  und  derzeit  vorräthigen 
Schriften«  vor. 

Das  k.  k.  Ministerium  des  Innern  übermittelt  ein 
Exemplar  der  in  Ausführung  des  §.  60  des  Unfallversicherungs- 
gesetzes an  den  Reichsrath  gerichteten  Mittheilung,  betreffend 
die  Gebarung  und  die  Ergebnisse  der  Unfallstatistik  der 
Arbeiter-Unfallversicherungsanstalten  im  Jahre  1890. 

Der  Secretär  bringt  ein  von  der  kaiserlichen  Aka- 
demie der  Wissenschaften  in  Krakau  aus  Anlass  des 
Ablebens  des  w.  M.  Herrn  Dr.  Ernst  Ritter  v.  Brücke  ein- 
gelangtes Beileid -Telegramm,  femer  ein  aus  dem  gleichen 
Anlasse  eingesendetes  Beileidschreiben  des  Reale  Istituto 
Veneto  di  Scienze,  Lettere  ed  Arti  in  Venedig  zur 
Kenntniss. 

Das  w.  M.  Herr  Regierungsrath  Prof.  E.  Mach  übersendet 
eine  im  physikalischen  Institute  der  k.  k.  deutschen  Universität 
in  Prag  ausgeführte  Arbeit  von  G.  Jaumann,  betitelt :  »Abso- 
lutes Elektrometer  mit  Kuppelsuspension«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  L.  Pfaundler  übersendet  eine 
Arbeit  aus  dem  chemischen  Institute  der  k.  k.  Universität  in 
Graz,  betitelt:  »Das  Verhalten  des  Kupfers  und  der 
Edelmetalle  zu  einigen  Gasen  und  Dämpfen«,  von 
Dr.  G.  Neu  mann. 


6 

f 

DerSecretär  legt  eine  Abhandlung  des  Privatdocenten 
Herrn  Emil  Waelsch  an  der  k.  k.  deutschen  technischen 
Hochschule  in  Prag:  »Über  die  Isophoten  einer  Fläche 
bei  centraler  Beleuchtung«  vor. 

Das  w.  M.  Herr  Director  E.  Weiss  überreicht  eine  Ab- 
handlung des  Herrn  Regierungsrathes  Prof.  G.  v.  Niessl  in 
Brunn,  betitelt:  »Bahnbestimmung  des  grossen  Me- 
teores  vom  2.  April  1891«. 


Selbständige  Werke   oder  neue,  der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

Bagnasco,  G.  G.,  Americae    Retectio,   Atlas.    Monography. 
Palermo,  1892;  8^ 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFIEN. 


MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CI.  BAND.  IL  HEFT. 


ABTHEILUNG  III. 

ENTHÄLT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  ANATOMIE  UND 
PHYSIOLOGIE  DES  MENSCHEN  UND  DER  THIERE,  SOWIE  AUS  JENEM  DER 

THEORETISCHEN  MEDICIN. 


-*»» 


l 


IV.  SITZUNG  VOM  4.  FEBRUAR  1892. 


In  Verhinderung  des  Herrn  Vicepräsidenten  führt  Herr 
Intendant  Hofrath  F.  Ritter  v.  Hauer  den  Vorsitz. 

Der  Secretär  legt  das  erschienene  Heft  VIII  (October 
1891),  Abth.  II.  a  des  100.  Bandes  der  Sitzungsberichte, 
femer  das  Heft  X(Decemb er  1891)  des  12.  Bandes  der  Monats- 
hefte für  Chemie  vor. 

Herr  Prof.  Dr.  L.  Weine k,  Director  der  k.  k.  Sternwarte  in 
Prag,  übermittelt  eine  Abbildung  der  Wallebene  Petavius  des 
Mondes,  zwanzigfach  vergrössert  nach  der  Li ck- Aufnahme 
vom  31.  August  1890,  in  photographischer  Copie  nach  seiner 
Originalzeichnung  von  12  :\5 cm  Grösse. 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  H.  We  i  d  e  1  übersendet  eine  im  ersten 
chemischen  Laboratorium  der  k.  k.  Universität  in  Wien  von 
Herrn  E.  Murmann  ausgeführte  Untersuchung:  »Über  einige 
Derivate  des  a-Pheny Ichinolins«. 

Herr  Prof  Dr.  A.  Grünwald  in  Prag  übersendet  die 
empirisch-inductive  Abtheilung  des  I.  Theiles  der 
in  den  akademischen  Anzeigern  Nr.  IX  und  XIX  vom  17.  April 
und  9.  October  1890  besprochenen  Abhandlung:  Ȇber  das 
sogenannte  zweite  oder  zusammengesetzte  Wasser- 
stoffspectrum von  Dr.  B.  Hasselberg  und  die  Structur 
des  Wasserstoffes.« 


10 

Der  Secretär  legt  folgende  eingesendete  Abhandlungen 
vor: 

1.  »Die  goniometrischen  Functionen  complexer 
Winkel«  und 

2.  »Imaginäre  Kegelschnitte«,  beide  Arbeiten  von  Prof. 
Adalbert  Breuer  an  der  k.  k.  Staatsrealschule  im  III.  Bezirk, 
Wien. 

3.  »Die  Theorie  der  Construction  des  lenkbaren 
Luftschiffes«,  von  Dr.  Alois  Herman,  königl.  Gerichts- 
adjunct  zu  Gospic  in  Croatien. 

Herr  Prof.  Dr.  A.  Adamkiewicz  übersendet  eine  sechste 
Mittheilung  zu  seinen  »Untersuchungen  über  den  Krebs.« 

Herr  Dr.  Alfred  Nalepa,  Professor  an  der  k.  k.  Lehrer- 
bildungsanstalt in  Linz,  übersendet  eine  dritte  vorläufige  Mit- 
theilung über  »Neue  Gallmilben.« 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Wiesner  überreicht  den  ersten 
vorläufigen  Bericht  des  Herrn  Prof.  G.  Haberland t,  welcher 
sich  gegenwärtig  mit  Unterstützung  der  kaiserl.  Akademie  zum 
Zwecke  botanischer  Untersuchungen  in  Buitenzorg  auf  Java 
aufhält. 

Ferner  überreicht  Herr  Prof.  Wiesner  eine  Abhandlung 
des  Herrn  Hugo  Zukal,  betitelt:  Ȇber  den  Zellinhalt  der 
Schizophyten.« 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Ad.  Lieben  überreicht  eine  Abhand- 
lung von  Prof.  Dr.  G.  Goldschmiedt  und  Dr.  R.  Jahoda  in 
Prag:  »Über  die  Ellagsäure.« 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  E.  Weyr  überreicht  folgende  zwei 
Abhandlungen : 

1.  »Isodynamische  und  metaharmonische  Gebilde«, 
von  Prof.  Dr.  Jan  de  Vries  in  Kampen. 

2.  »Nachweis  linearer  Mannigfaltigkeiten  beliebiger 
Dimension  in  unserem  Räume,  lineare  Complexe 
und  Strahlensystem  in  denselben«,  von  Herrn  Kon- 
rad Zindler  in  Graz. 

Der  Secretär  überreicht  eine  Abhandlung  des  Herrn 
Gejza  V.  Bukowski  in  Wien  unter  dem  Titel:  »Die  geo- 


11 

logischen  Verhältnisse  der  Umgebung  von  Balia- 
Maaden  im  nordwestlichen  Kleinasien  (My sie n)«. 


Selbständige  Werke  oder  neue,  der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

Lendenfeld,  R*  v.,  Die  Spongien  der  Adria.  I.  Die  Kalk- 
schwämme. (Mit  8  Tafeln  und  1  Textfigur.)  Leipzig,  1891;  8*. 

Royal  Society  ofLondon,  Catalogue  of  Scientific  Papers 
(1874—1883).  Compiled  by  the  Royal  Society  ofLondon. 
Vol.  IX.  London,  1891;  4^ 


12 


Zur  Theorie  der  Hamsäurebildung  im  Säuge- 

thierorganismus 


von 


Prof.  Dr.  F.  Marcs, 

Assistenten  am  physiologischen  Institute  der  k.  k.  böhm.  Universität  in  Prag. 
(Vorgelegt  in  der  Sitzung  am  14.  Jänner  1892.) 

Herr  Prof.  Horbaczewski  hat  in  den  Sitzungsberichten 
der  kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien  (mathem.- 
naturw.  Classe,  Bd.  C,  Abth.  III)  eine  Abhandlung  über  die 
Bildung  der  Harnsäure  im  Säugethierorganismus  veröflFentlicht, 
in  welcher  er  die  Theorie  aufstellt,  dass  in  der  Norm  die  Harn- 
säure im  Organismus  beim  Zerfalle  nucleinhältiger  Gewebe  sich 
bildet,  wobei  das  Nuclein  der  Zellkerne  frei  wird,  zerfallt  und 
die  Muttersubstanzen  der  Harnsäure  liefert;  namentlich  sei  der 
Zerfall  der  Leukocyten  die  Hauptquelle  der  Harnsäure  beim 
Säugethiere. 

Diese  Theorie  stützt  er  auf  die  von  ihm  experimentell  nach- 
gewiesene Thatsache,  dass  bei  der  Fäulniss  der  Leukocyten 
der  Milzpulpa,  sowie  bei  der  Fäulniss  anderer  nucleinhältiger 
Organe  Harnsäure  gebildet  wird.  Auch  das  isolirte  Nuclein  liefert, 
durch  Fäulniss  gespalten,  Harnsäure.  Eine  andere  Methode  der 
Zersetzung  des  Nucleins  als  die  durch  Fäulniss,  um  die  Vor- 
stufen der  Harnsäure  abzuspalten,  wurde  vorläufig  nicht  auf- 
gefunden. 

Nach  diesen  chemischen  Versuchen  in  vitro  tritt  der  Autor 
an  die  physiologische  Frage  heran,  ob  die  Nucleine  auch  in  vivo 
Muttersubstanzen  der  Harnsäure  liefern.  Um  diese  Frage  zu 
beantworten,  stellte  er  physiologische  Versuche  und  Beob- 
achtungen an.  Zuerst  wurde  Kaninchen  und  Menschen  Nuclein 


Hamsäurebildung  im  Säugethierorganismus.  13 

einverleibt;  es  zeigte  sich  darnach  eine  Vermehrung  der  aus- 
geschiedenen Harnsäure. 

Daraus  folgert  der  Autor,  dass  auch  im  Organismus  die 
Harnsäure  aus  Nuclein  sich  bilden  kann,  so  dass  die  Bildung 
der  Harnsäure  als  Ausdruck  des  Zerfalles  nuclei'nhältiger 
Gewebe  betrachtet  werden  könnte.  Diese  Gewebe  sind,  wenn 
von  den  epidermoidalen  Gebilden  und  gewissen  Drüsen  abge- 
sehen wird,  die  Leukocyten,  die  zweifellos  einem  raschen 
Wechsel  unterliegen.  Die  Schicksale  der  Leukocyten  seien  zwar 
nicht  näher  bekannt,  es  dürfte  aber  keinem  Zweifel  unterliegen, 
dass  dieselben  in  den  Geweben  zu  Grunde  gehen  und  dass  die 
Zerfallsproducte  derselben  offenbar  als  Nährmateriale  für  die 
Gewebe  dienen.  Unter  diesen  Zerfallsproducten  muss  aber  auch 
das  Leukocytennuclein  und  die  Zersetzungsproducte  desselben 
auftreten,  die  aber  zur  Bildung  der  Harnsäure  beitragen  können. 

In  bester  Übereinstimmung  mit  der  Ansicht,  dass  im  Säuge- 
thierorganismus in  der  Norm  nur  die  Leukocyten,  respective 
deren  Zerfallsproducte  die  Muttersubstanzen  der  Harnsäure 
abgeben,  befinden  sich  die  bis  jetzt  bekannt  gewordenen  That- 
sachen,  betreffend  das  Verhalten  des  Leukocytengehaltes  des 
Blutes  und  der  Hamsäureausscheidung.  Es  soll  nämlich  ein 
Parallelismus  zwischen  der  Menge  der  Leukocyten  im  Blute 
und  der  Menge  der  ausgeschiedenen  Harnsäure  bestehen. 

Der  Autor  stellt  nun  Beobachtungen  an,  um  diesen  Parallelis- 
mus nachzuweisen.  So  führt  er  an,  dass  im  Jugendalter,  nach 
Fleischaufnahme,  nach  Pilocarpininjection  vermehrte  Leuko- 
cytenmenge  und  vermehrte  Hamsäureausscheidung  stattfindet; 
eben  solcher  Parallelismus  zeige  sich  in  einigen  pathologischen 
Zuständen,  namentlich  in  der  Leukaemie. 

Diese  Versuche  bilden  die  Grundlage  der  von  ihm  auf- 
gestellten physiologischen  Theorie  der  Harnsäurebildung,  dass 
die  Harnsäure  ein  Zerfallsproduct  nucleinhältiger  Gewebe  ist, 
namentlich  der  Leukocyten. 

Ich  habe  vor  fünf  Jahren  eine  Abhandlung  über  den 
Ursprung  der  Harnsäure  beim  Menschen  veröffentlicht  (Marcs, 
sur  Torigine  de  Tacide  urique  chez  l'homme,  Archives  slaves  de 
Biologie  III,  207;  Sbornik  lekafsk]^  II,  1.  Referirt  im  Centralblatt 
für  die  medicinischen  Wissenschaften  1888,  2;  Centralblatt  für 


14  F.  Marcs, 

Physiologie,  I,  444),  in  welcher  ich  auf  Grund  physiologischer 
Versuche  an  Menschen  zu  der  Anschauung  gelangte,  dass  die 
Harnsäure  nicht,  wie  man  bisher  annahm,  eine  Vorstufe  des 
Harnstoffes  bei  der  Zersetzung  der  Nahrungseiweissstoffe  dar- 
stellt, sondern  dass  die  Harnsäure  ein  Product  der  molecularen 
Veränderungen  im  Zellenprotoplasma  ist,  während  der  Harn- 
stoff aus  den  zersetzten  Eiweissstoffen  der  Nahrung  entsteht. 
So  bildet  sich  nach  der  Nahrungsaufnahme  die  Harnsäure  bei 
der  Thätigkeit  der  Verdauungsdrüsen,  bei  welcher  die  Substanz 
der  Drüsenzellen  sichtbare  materielle  Veränderungen  zeigt. 

Diese  Anschauung  gründete  ich  auf  folgende  physiologische 
Versuchsergebnisse:  1.  Die  Harnsäuremenge  ist  im  Hunger- 
zustande individuell  constant,  am  grössten  bei  jugendlichen 
Individuen,  namentlich  bei  Neugeborenen.  2.  Nach  eiweissreicher 
Nahrungsaufnahme  erscheint  die  Harnsäure  gleich  in  den  ersten 
Stunden  vermehrt  und  ihr  Maximum  fällt  in  die  sechste  bis  achte 
Stunde  nach  der  Nahrungsaufnahme;  also  augenscheinlich 
parallel  mit  der  Bildung  der  V^erdauungssecrete.  Die  Vermehrung 
des  Harnstoffes  erscheint  aber  später,  ihr  Maximum  fällt  in  die 
zehnte  bis  zwölfte  Stunde  nach  der  Nahrungsaufnahme  und  die 
Harnstoffvermehrung  dauert  viel  länger  an  als  die  der  Harnsäure; 
also  augenscheinlich  entsprechend  der  Resorption  der  ein- 
verleibten Eiweissstoffe.  3.  Pilocarpin,  das  die  Thätigkeit  fast 
sämmtlicher  Drüsen  direct  anregt,  verursacht  eine  Vermehrung 
der  Harnsäureausscheidung. 

Diese  Versuchsergebnisse  wurden  von  anderen  Forschern 
bestätigt,  so  namentlich  die  individuelle  Constanz  der  Harn- 
säure von  Salkowski,  ihre  Vermehrung  nach  Pilocarpin- 
einverleibung  von  Horbaczewski. 

Der  causale  Zusammenhang  der  von  mir  gefundenen 
physiologischen  Thatsachen  schien  mir  am  besten  durch  die 
Theorie  erklärbar,  dass  die  Harnsäure  ein  Product  des  Stoff- 
wechsels der  Zellen  ist,  jenes  chemischen  Processes,  der  die 
Grundlage  der  Thätigkeit  der  Zellen  bildet. 

Da  die  Theorie  des  Herrn  Prof.  Horbaczewski,  nach 
welcher  die  Harnsäure  ein  Zerfallsproduct  der  Körpergewebe 
ist,  im  Principe  das  Gleiche  besagt,  und  da  Herr  Prof.  Horba- 
czewski in  seiner  Abhandlung  das  theoretische  Resultat  meiner 


1f» 
^ j, ^ o 

Arbeit,  obzwar  er  dieselbe  einigemale  citirt,  gar  nicht  erwähnt 
hat,  sehe  ich  mich  veranlasst,  den  Prioritätsanspruch  zu  erheben 
und  zu  behaupten. 

Herr  Prof.  Horbaczewski  hat  seine  Abhandlung  in 
böhmischer  Übersetzung  auch  im  »Casopis  ceskych  lekafa« 
(1891,  Z.  38  ff.)  abdrucken  lassen.  Als  ich  an  jener  Stelle 
denselben  Anspruch  geltend  machte,  erklärte  er,  dass  die  beiden 
Theorien  nicht  identisch  sind,  sondern  im  Gegentheil  einander 
ausschliessen.  Denn  ich  nähme  an,  die  Harnsäure  entstehe 
durch  den  Stoffwechsel  im  Zellenprotoplasma,  namentlich  bei 
der  Zellenthätigkeit,  also  durch  den  vitalen  chemischen  Process,. 
der  die  Grundlage  der  Thätigkeit  der  organisirten  Materie  bildet; 
er  aber  behaupte,  die  Harnsäure  entstehe  beim  Zerfall  oder 
Absterben  der  Zellen,  namentlich  der  Leukocyten,  wobei  das 
Zellennuclein  frei  wird  und  selbst  weiter  zerfallen  muss,  damit 
die  Muttersubstanzen  der  Harnsäure  frei  werden. 

Das  Princip  beider  Anschauungen  ist  jedoch  offenbar 
gleich,  dass  nämlich  die  Harnsäure  ein  Product  der  organisirten 
Körpergewebe  ist  und  nicht  der  Nahrungsstoffe.  Diese  Idee 
hatte  vor  uns  beiden  Niemand  so  klar  und  auf  Thatsachen 
gestützt  ausgesprochen,  wie  Herr  Prof.  Horbaczewski  zugibt. 

Der  Unterschied  aber,  dass  ich  den  Bildungsprocess  der 
Harnsäure  für  einen  vitalen  chemischen  Vorgang  halte,  während 
Herr  Prof.  Horbaczewski  ihn  als  einen  nekrotischen  Zerfalls- 
process  darstellt,  ist  secundärer  Natur;  denn  diese  Deutung 
wurde  der  Theorie  erst  nachträglich  gegeben,  sie  ist  durch  die 
physiologischen  Versuche  des  Herrn  Prof.  Horbaczewski 
nicht  begründet  und  sie  ist,  meiner  Meinung  nach,  für  die 
Theorie  wenig  vortheilhaft.  Dies  will  ich  nun  versuchen  nach- 
zuweisen. 

Der  erste  physiologische  Versuch  des  Herrn  Prof.  Horba- 
czewski besteht  darin,  dass  nach  Einverleibung  von  Nuclein 
beim  Menschen  und  Kaninchen  Vermehrung  der  Harnsäure 
erscheint.  Daraus  schliesst  der  Autor,  dass  im  Organismus  die 
Harnsäure  auch  aus  Nuclein,  beziehungsweise  beim  Zerfalle 
nucleinhältiger  Gewebe  sich  bilden  kann.  Das  Nuclein  der 
zerfallenen  Zellen  stellt  also  in  der  Norm  die  Muttersubstanz 
der  Harnsäure  dar. 


16  F.  Marcs, 

Weiter  aber  findet  der  Autor,  dass  das  einverleibte  NucleVn 
Leukocytose  hervorbringt,  ebenso  wie  Pilocarpin  und  eiweiss- 
reiche  Nahrung.  Das  Nuclein  wirkt  also  vielleicht  toxisch  wie 
Pilocarpin,  es  erscheint  Vermehrung  der  Leukocyten  und  der 
Harnsäure,  obzwar  diese  viel  weniger  vermehrt  erscheint,  als 
bei  Verdauungsleukocytose. 

Es  ist  also  fraglich,  sagt  der  Autor,  ob  diese  Harnsäure 
sich  direct  aus  dem  einverleibten  Nuclein  oder  aus  den  Leuko- 
cyten bildet. 

Daraus  geht  aber  hervor,  dass  der  physiologische  Nach- 
weis, dass  das  Nuclein  auch  in  vivo  die  Muttersubstanzen  der 
Harnsäure  liefert,  nicht  gelungen  ist.  Denn  mit  demselben 
Rechte  könnte  man,  gestützt  nur  auf  diesen  physiologischen 
Versuch,  das  Nahrungseiweiss  oder  das  Pilocarpin  als  Mutter- 
substanzen der  Harnsäure  im  Säuge thierorganismus  ansprechen. 
Es  ist  also  bloss  eine  Hypothese,  dass  das  Nuclein  auch  im 
Organismus  die  Muttersubstanzen  der  Harnsäure  liefert,  es  ist 
keine  physiologisch  nachgewiesene  Thatsache. 

Der  zweite  physiologische  Versuch  des  Autors  besteht  in 
dem  Nachweis  eines  Parallelismus  zwischen  der  Menge  der 
Leukocyten  im  Blute  und  der  Menge  der  ausgeschiedenen 
Harnsäure.  Dieser  Parallelismus  zeigt  sich  in  manchen  Fällen; 
so  im  Kindesalter,  im  Hungerzustande  und  nach  reichlicher 
Fleischnahrung,  nach  Einverleibung  einiger  Gifte,  in  manchen 
pathologischen  Zuständen. 

Nun  sagt  aber  der  Autor  weiter:  ^Betrachtet  man  aber 
diesen  Parallelismus  näher,  so  kann  man  sich  gar  nicht  ver- 
hehlen, dass  hier  zuweilen  ein  gewisses  Missverhältniss  besteht. 
Nach  Pilocarpin  und  Nuclein  tritt  eine  sehr  intensive  Leuko- 
cytose, wie  nach  Aufnahme  grosser  Fleischmengen  auf,  die 
dieselbe  begleitende  Harnsäureausscheidung  ist  aber  nicht  sehr 
bedeutend,  während  nach  Fleischaufnahme  dieselbe  viel  an- 
haltender und  bei  weitem  intensiver  ist.  Zu  envarten  wäre  aber 
vielleicht,  dass  in  allen  Fällen,  wo  die  Vermehrung  der  Leuko- 
cytenzahl  aus  irgend  welchem  Grunde  eine  bestimmte  Höhe 
erreicht,  immer  auch  eine  gleich  grosse  Vermehrung  der  Harn- 
säureausscheidung auftreten  wird.  Dabei  ist  aber  Folgendes  zu 
berücksichtigen:  Die  Grösse  der  Harnsäurebildung  kann  nur 


Hamsäurebildung  im  Säugethierorganismus.  1 7 

von  der  Menge  der  zerfallenen  Leukocyten  abhängig  sein.  Es 
ist  natürlich,  dass,  wenn  mehr  Leukocyten  vorhanden  sind, 
auch  mehr  zerfallen  können,  jedoch  muss  nicht  in  einem  jeden 
Falle  dieselbe  Menge  derselben  zerfallen.  Weiter  ist  zu  bedenken, 
dass  unter  dem  Terminus  »Leukocyt«  keineswegs  einheitliche 
Elemente  verstanden  werden,  und  dass  es  Leukocyten  gibt,  die 
gross  sind,  viel  Kemsubstanz  haben,  viel  Nuclein  enthalten, 
und  Leukocyten,  die  klein  sind,  kleine  Kerne  haben  und  wenig 
Nuclein  führen.  Dass  demnach  die  verschiedenen  Leukocyten 
beim  Zerfalle  dieselbe  Menge  von  Zerfallsproducten  und  speciell 
Harnsäurevorstufen  liefern  könnten,  ist  absolut  undenkbar. . . . 
Es  ist  daher  klar,  dass  nicht  in  allen  Fällen  numerisch  gleich 
grosser  Leukocytosen  auch  gleich  grosse  Hamsäuremengen 
als  Ausdruck  derselben  auftreten  können.  Um  diese  Verhältnisse 
genau  zu  verfolgen,  müssen  die  Leukocyten  des  Blutes  nicht 
nur  einfach  gezählt,  sondern  auch  auf  ihre  Eigenschaften,  ins- 
besondere auf  ihren  Nucleinreichthum  untersucht  werden,  in 
welcher  Richtung  aber  vorläufig  jedwede  Erfahrungen  und 
Methoden  fehlen. « 

Da  nun  aber  in  den  Versuchen  des  Herrn  Prof.  Horba- 
czewski  die  Leukocyten  des  Blutes  bloss  gezählt  wurden, 
konnte  der  gesuchte  Parallelismus  natürlich  nicht  gefunden 
werden.  Und  wenn  es  auch  möglich  wäre,  die  Leukocyten  des 
Blutes  auf  ihren  Nucleinreichthum  zu  untersuchen,  könnte  der 
gesuchte  Parallelismus  doch  nicht  gefunden  werden,  weil  die 
Leukocyten  des  Blutes  einen  kleinen  Bruchtheil  der  Gesammt- 
menge  der  Leukocyten  vorstellen  und  die  Mehrzahl  derselben 
in  der  Lymphe,  den  Lymphknoten,  der  Milz  und  den  Gewebs- 
interstitien  unberücksichtigt  bliebe. 

Es  scheint  aber,  dass  überhaupt  kein  genauer  Parallelismus 
zwischen  Leukocyten-  und  Harnsäuremenge  bestehen  kann; 
denn  nicht  nur  Leukocyten  gehen  im  Organismus  zu  Grunde; 
dieses  Schicksal  trifft  in  reichlichem  Masse  auch  die  gesammten 
Epithelien,  welche  auch  Nuclein  enthalten  und  bei  der  Fäulniss 
Harnsäure  liefern. 

Es  ist  also  der  Parallelismus  zwischen  Leukocyten-  und 
Hamsäuremenge  in  den  Versuchen  des  Herrn  Prof.  Horba- 
czewski  nicht  nur  nicht  nachgewiesen  worden,  sondern  vor 

.     Stizb.  d.  mathem.-natunv.  Gl.;  Ol.  Bd.  Abth.  III.  2 


18  F.  Marcs, 

läufig  Überhaupt  nicht  nachweisbar.  Es  bleibt  also  auch  dieser 
Parallelismus  bloss  eine  Hypothese,  er  ist  keine  physiologisch 
nachgewiesene  Thatsache. 

Nehmen  wir  aber  an,  dieser  Parallelismus  zwischen  der 
Leukocyten-  und  Harnsäuremenge  bestehe  thatsächlich.  Dann 
kann  die  Entstehung  der  Harnsäure  durch  die  reichlichere 
Bildung,  als  Nebenproduct  des  Vermehrungsprocesses,  oder 
aber  durch  den  reichlicheren  Zerfall  der  Leukocyten  bedingt 
sein,  wenn  wir  nämlich  auch  annehmen,  dass  jener  Parallelismus 
ein  direct  causaler,  nicht  aber  von  einer  dritten  gemeinsamen 
Ursache  herrührender  ist.  Nun  ist  aber  die  Vermehrung  der 
Leukocyten  direct  durch  ihr  Zählen  und  durch  den  histo- 
logischen Befund  der  Kariokinese  nachweisbar;  der  Zerfall  der 
Leukocyten  bei  deren  Vermehrung  ist  aber  direct  nicht  nach- 
weisbar, sondern  erschlossen,  hypothetisch,  wie  es  ja  der  Autor 
selbst  auseinandersetzt.  Wenn  also  zum  Beispiel  nach  Pilo- 
carpineinverleibung  Vermehrung  der  Harnsäure  und  direct  nach- 
weisbare Vermehrung  der  Leukocyten  gefunden  wird,  so  scheint 
es  mir  näher  zu  sagen,  die  Vermehrung  der  Harnsäure  gehe 
parallel  mit  der  vermehrten  Bildung  der  Leukocyten,  als  zu 
sagen,  sie  gehe  parallel  mit  dem  vermehrten  Zerfall  derselben. 
Wenn  also  der  Autor  sagt,  die  Harnsäurebildung  gehe  parallel 
mit  dem  Zerfall  oder  dem  Absterben  der  Leukocyten,  so  macht 
er  wieder  eine  Hypothese,  die  durch  seinen  physiologischen 
Versuch  nicht  begründet  ist. 

Aus  allen  dem  geht,  meine  ich,  hervor,  dass  die  physio- 
logischen Versuche  und  Beobachtungen  des  Autors  keine  physio- 
logischen Thatsachen,  sondern  blosse  Hypothesen  zum  Resultate 
haben. 

Es  bleibt  also  die  einzige  thatsächliche  Grundlage  der 
Theorie,  dass  nämlich  bei  der  Fäulniss  nucleinhältiger  Gewebe 
Harnsäure  entsteht.  Diese  Thatsache  ist  vom  chemischen  Stand- 
punkte aus  gewiss  sehr  wichtig.  Sie  ist  aber  für  sich  allein 
physiologisch  nicht  verwerthbar;  sie  könnte  wohl  direct  für  die 
Physiologie  der  betreffenden  Fäulnissorganismen  von  Belang 
sein,  wie  die  Bildung  von  Alkohol  aus  Zucker  für  die  Physio- 
logie der  Hefezellen  von  Belang  ist;  für  die  Physiologie  der 


Harnsäurebildung  im  Säugethierorganismus.  19 

Thiere  aber,  denen  die  faulenden  Organe  angehörten,  ist  sie  für 
sich  allein  nicht  zu  verwerthen. 

Es  ist  sehr  wichtig  zu  wissen,  dass  Harnsäure  durch 
Fäulniss  von  NucIeYnsubstanzen  entsteht.  Aber  Harnsäure  ent- 
steht auch  beim  Erhitzen  einer  Mischung  von  Harnstoff  und 
Glykocoll,  wie  Horbaczevvski  gezeigt  hat. 

Eine  in  vitro  nachgewiesene  Bildungsweise  der  Harnsäure 
ist  an  und  für  sich  physiologisch  nicht  verwerthbar,  weil  eben 
eine  und  dieselbe  Substanz  auf  verschiedene  Weise  und  aus 
verschiedenen  Muttersubstanzen  gebildet  werden  kann. 

Für  die  Bildungsweise  der  Harnsäure  aus  Harnstoff  und 
Glykocoll,  die  doch  beide  im  Organismus  disponibel  sind,  fehlt 
es  im  Thierkörper  an  der  erforderlichen  Hitze;  für  die  Bildungs- 
weise aus  Nuclein  fehlt  es  an  der  Fäulniss. 

Der  Autor  verwerthet  aber  dennoch  diese  Thatsache  zu 
einer  physiologischen  Theorie,  indem  er  sagt:  »Obzwar  bei 
den  Versuchen  die  Organe,  beziehungsweise  das  Nuclein,  durch 
Fäulniss  gespalten  werden  musste,  um  Harnsäure  zu  erhalten, 
und  im  Organismus  keine  Fäulniss  in  den  Geweben  vor  sich 
geht,  so  besteht  doch  keine  Schwierigkeit  für  die  Annahme 
einer  ähnlichen  Spaltung  des  Nucleins  im  Organismus,  da  ana- 
loge Processe  bekannt  sind  und  nach  Nucleineingabe  eine  Ver- 
mehrung der  Harnsäure  constatirt  wurde.« 

Was  die  Vermehrung  der  Harnsäure  nach  Nucleineingabe 
anbelangt,  habe  ich  gezeigt,  dass  dadurch  physiologisch  nicht 
nachgewiesen  ist,  dass  das  einverleibte  NucleYn  thatsächlich 
die  Muttersubstanz  der  Harnsäure  im  Organismus  liefert.  Es 
spricht  jedoch  nichts  dagegen,  dies  als  eine  wahrscheinliche 
Hypothese  anzunehmen. 

Die  zur  Bildung  der  Harnsäure  aus  Nuclein  erforderliche 
Fäulniss  ersetzt  nun  der  Autor  durch  »bekannte  analoge  Pro- 
cesse im  Organismus«.  Man  könnte  geneigt  sein,  diese  der 
Fäulniss  analogen  Processe  im  Organismus  für  den  vitalen,  mit 
Absorption  von  Sauerstoff  und  Exhalation  von  Kohlensäure 
verbundenen  chemischen  Stoffwechsel  in  der  lebenden  Zelle  zu 
halten,  da  die  Fäulniss  ein  ebenfalls  an  das  Leben  gebundener 
chemischer  Process  ist. 

9» 


20  F.  Mares, 

Dann  würde  aber  die  Theorie  lauten,  dass  die  Harnsäure 
ein  Product  des  vitalen  chemischen  Processes  in  der  lebenden 
Zelle  ist,  das  heisst,  die  Theorie  der  Harnsäurebildung  des 
Herrn  Prof.  Horbaczewski  wäre  vollkommen  identisch  mit 
jener,  die  ich  vor  fünf  Jahren  publicirt  habe. 

Nun  hat  aber  Herr  Prof.  Horbaczewski  den  der 
Fäulniss  analogen  Processen  im  Organismus  eine  andere 
Deutung  gegeben,  indem  er  sagt,  die  Harnsäure  entstehe  beim 
Absterben,  durch  den  nekrotischen  Zerfall  der  Zelle.  Dadurch 
entsteht  ein  Unterschied  zwischen  den  beiden  Theorien. 

Ich  habe  gezeigt,  dass  die  physiologischen  Beobachtungen 
des  Herrn  Prof.  Horbaczewski  nicht  beweisen,  dass  die 
Harnsäuremenge  mit  dem  Zerfall  oder  der  Nekrose  der  Leuko- 
cyten  parallel  geht,  sondern  dass  dieser  hypothetische  Parallelis- 
mus eher  zwischen  der  Mehrbildung  der  Leukocyten  und  der 
Harnsäurevermehrung  angenommen  werden  könnte,  da  die 
Mehrbildung  der  Leukocyten  direct  durch  Zählen  und  histo- 
logisch durch  Kariokinese  nachweisbar  ist,  während  der  Mehr- 
zerfall dieser  Zellen  bei  bestehender  Vermehrung  derselben  ganz 
hypothetisch  ist. 

Im  Übrigen  aber  überlasse  ich  es  dem  Urtheile  von  Phy- 
siologen, zu  entscheiden,  ob  die  Deutung  des  Herrn  Prof. 
Horbaczewski,  durch  welche  er  seine  Theorie  von  der 
von  mir  aufgestellten  unterscheidet,  physiologisch  begründet 
und  für  die  Theorie  selbst  vortheilhaft  ist. 

Meiner  Meinung  nach  verhält  sich  die  Sache  folgender- 
massen :  Vor  fünf  Jahren  habe  ich  auf  Grundlage  physiolo- 
gischer Thatsachen  die  Idee  ausgesprochen,  die  Harnsäure  ent- 
stehe in  den  Körperzellen  durch  den  vitalen  chemischen  Pro- 
cess,  welcher  die  physische  Grundlage  der  Thätigkeit  der 
Zellen  bildet.  Ich  habe  aber  nicht  näher  bestimmen  können, 
welche  Substanz  in  der  Zelle  bei  der  Bildung  der  Harnsäure 
betheiligt  ist;  dies  war  eben  eine  specielle  Frage  chemischen 
Inhalts,  auf  die  ich  nicht  näher  eingehen  konnte. 

Herr  Prof.  Horbaczewski  hat  das  Verdienst,  diese 
specielle  chemische  Frage  näher  beantwortet  zu  haben,  indem 
er  auf  Grundlage  chemischer  Versuche  auf  das  Nuclein  der 
Zellen  als  die  mögliche  Muttersubstanz  der  Harnsäure  hinwies. 


Harnsäurebildung  im  Säugethierorganismus.  2 1 

Die  Theorie  der  Hamsäurebildung  im  Säugethierorganis- 
mus würde  nun  lauten:  »Die  Harnsäure  ist  ein  Product  des 
Stoffwechsels  in  den  lebenden  Körperzellen,  wobei  namentlich 
die  Nucleine  der  Zellenkerne  betheiligt  sind.« 

Die  neuere  Zeit  hat  Beobachtungen  gebracht,  welche  diese 
Theorie  noch  näher  beleuchten.  Den  Nucle'inkörpern  wird  näm- 
lich bei  der  Zellenthätigkeit  eine  grosse  Rolle  zugewiesen, 
namentlich  bei  der  Assimilation  und  der  Vermehrung. 

Ich  verweise  in  dieser  Beziehung  auf  die  Arbeit  von 
Liebermann  (Studien  über  die  chemischen  Processe  in  der 
Magenschleimhaut,  Pflüger's  Arch.  50,  25),  welcher  den 
XucleYnen  der  Drüsenzellen  eine  grosse  Rolle  bei  der  Secretion 
der  Magensäure  zuschreibt,  dann  auf  den  Aufsatz  von  Loew 
(Physiologische  Function  der  Phosphorsäure,  Biol.  Centralblatt 
1891,  269),  wo  die  grosse  Rolle  der  NucleYne  des  Zellenkernes 
bei  der  Zellenthätigkeit  überhaupt  besprochen  wird. 


22 


V.  SITZUNG  VOM  11.  FEBRUAR  1892. 


In  Verhinderung  des  Herrn  Vicepräsidenten  führt  Herr 
Intendant  Hofrath  F.  Ritter  v.  Hauer  den  Vorsitz. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  C.  Claus  übersendet  die  Fort- 
setzung des  von  ihm  herausgegebenen  Werkes:  »Arbeiten 
aus  dem  zoologischen  Institute  der  k.  k.  Universität 
in  Wien  und  der  zoologischen  Station  in  Triest.« 
Bd.  IX,  Heft  III,  1891. 

Der  Secretär  legt  folgende  eingesendete  Abhandlungen 
vor: 

1.  »Ein  einfaches  Gesetz  für  die  Verdampfungs- 
wärme der  Flüssigkeiten«,  von  Prof.  Dr.  O.  Tumlirz 
an  der  k.  k.  Universität  in  Czernowitz. 

2.  »Die  Bestimmung  der  geographischen  Schiffs- 
position in  dem  sogenannten  kritischen  Falle«, 
von  Herrn  Eugen  Gel  eich,  Director  der  k.  k.  nautischen 
Schule  in  Lussinpiccolo. 

3.  »Die  Logarithmen  complexer  Zahlen  in  geome- 
trischer Darstellung.  Ein  Beitrag  zur  algebraischen 
Analysis«,  von  Prof.  Adalbert  Breuer  an  der  k.  k.  Staats- 
realschule im  III.  Bezirke  in  Wien. 

4.  »Über  die  Theilbarkeit  der  Zahlen«,  von  Herrn 
Eduard  Grohmann  in  Wien. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  V.  v.  Ebner  überreicht  eine  Abhand- 
lung: Ȇber  die  Beziehungen  der  Wirbel  zu  den  Ur- 
wirbeln.« 


23 

Herr  Prof.  Dr.  Karl  Exner  in  Wien  überreicht  eine  Ab- 
handlung: Ȇber  die  polarisirende  Wirkung  der  Licht- 
beugung« (IL  Mittheilung). 

Herr  J.  Liznar,  Adjunct  an  der  Centralanstalt  für  Meteoro- 
logie und  Erdmagnetismus,  überreicht  eine  Abhandlung:  »Über 
die  Bestimmung  der  bei  den  Variationen  des  Erd- 
magnetismus auftretenden  ablenkenden  Kraft,  nebst 
einem  Beitrage  zur  eilfj ährigen  Periode  des  Erdmagne- 
tismus.« 


24 


VL  SITZUNG  VOM  18.  FEBRUAR  1892. 


Das  w.  M.  Herr  Prof.  L.  Pfaundler  übersendet  eine  Arbeit 
aus  dem  physikalischen  Institute  der  k.  k.  Universität  in  Graz 
von  Prof.  Dr.  I.  Klemen2i2:  Ȇber  eine  Methode  zur 
Bestimmung  der  elektromagnetischen  Strahlung«. 

Das  c.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  E.  Ludwig  übersendet 
folgende  fünf  Abhandlungen  aus  dem  chemischen  Labora- 
torium der  k.  k.  technischen  Hochschule  in  Graz: 

1.  »Zur  Darstellung  des  Stickoxydes«,  von  F.  Emich. 

2.  Zum  Verhalten  des  Stickoxydes  in  höherer  Tem- 
peratur«, von  F.  Emich. 

3.  Ȇber  die  Reaction  zwischen  Sauerstoff  und  Stick- 
oxyd. Notiz  zur  Lehre  von  der  chemischen  Induction«, 
von  F.  Emich. 

4.  »Bemerkungen  über  die  Einwirkung  von  Ätzkali 
auf  Stickoxyd«,  von  F.  Emich. 

5.  »Die  Pikrinsäure  als  allgemeines  Reagens  für 
Guanidine«,  von  O.  Prelinger. 

Der  Secretär  legt  folgende  eingesendete  Abhandlungen 
vor: 

1.  »Histologisch-experimentelle  Untersuchungen 
über  die  Herkunft  der  chromatischen  Substanz 
der  Leukocyten  und  anderen  cellulären  Elemente«, 
von  Prof.  Dr.  A.  Obrzu  t  an  der  k.  k.  böhmischen  Universität 
in  Prag. 

2.  »Über  die  allgemeinsten  abwickelbaren  Räume, 
ein  Beitrag  zur  mehrdimensionalen  Geometrie«,  von  Prof. 
Dr.  A.  Puchta  an  der  k.  k.  Universität  in  Czernowitz. 


25 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Director  F.  Steindachner  über- 
reicht eine  Abhandlung  von  Prof.  Dr.  August  v.  Mojsisovics 
an  der  k.  k.  technischen  Hochschule  in  Graz:  Ȇber  eine  auf- 
fällige neue  Varietät  des  Acipenser  ruthenus  L,* 


Selbständige  Werke  oder  neue,  der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

Anspach  L.,  Le  role  de  Teau  dans  les  cylindres  ä  vapeur. 
Bruxelles,  1891;  8® 


27 


Beitrag  zur  Entwickelungsmechanik  des 

Embryo,* 

über  die  morphologische  Polarisation  von  Eiern  und  Embryonen 
durch  den  elektrischen  Strom,  sowie  über  die  Wirkung  des 
elektrischen  Stromes  auf  die  Richtung   der  ersten   Theilung 

des  Eies 

von 

Wilhelm  Roux. 

(Mit  3  Tafeln.) 

Aus  dem  anatomischen  Institute  der  k.  k.  Universität  zu  Innsbruck. 
(Vorgelegt  in  der  Sitzung  am  17.  December  1891.) 

I.  Abschnitt.* 

Vom  5.  bis  9.  April  d.  J.  machte  ich  Versuche  an  Eiern  des 
braunen  Grasfrosches  (Rana  ftisca)  mit  dem  Wechselstrom,  der 
zur  elektrischen  Beleuchtung  des  k.  k.  anatomischen  Institutes 
zu  Innsbruck  dient.  Der  verwendete  transformirte  Strom  hat  eine 
Spannung  von  100  Volt,  die  in  einigen  Versuchen  mit  wesentlich 
dem  gleichen  Erfolg,  durch  Umschaltung  am  Transformator,  auf 
50  Volt  herabgesetzt  war.  Daraufwurdenauch  Versuche  mit  einem 
Gleichstrom  von  43  Volt  angestellt.  Der  Zweck  der  Versuche 
war,  festzustellen,  ob  der  elektrische  Strom  die  Richtung  der 
ersten  Theilung  des  Eies  zu  beeinflussen  vermag. 


1  Nr.  6  der  fortlaufenden,  in  verschiedene  Zeitschriften  vertheilten  Serie. 

2  Ein  Bericht  über  die  in  Abschnitt  I  mitgetheilten  Beobachtungen  wurde 
am  11.  April,  über  die  des  Abschnittes  II  am  7.  Mai  18Ü1  der  kaiserlichen 
Akademie  der  Wissenschaften  zu  Wien  verschlossen  eingereicht  und  durch 
Beschluss  vom  16.  April,  resp.  14.  Mai,  gütigst  in  Depot  genommen. 


28  VV.  Roux, 

Die  Beantwortung  dieser  Frage  schien  mir  von  Bedeutung, 
da  wir  mit  ihrer  Entscheidung  im  positiven  oder  nega- 
tiven Sinne  eine  Andeutung  darüber  erhielten,  ob  bei  den 
morphologischen  Vorgängen  der  indirecten,  mitotischen  Kern- 
theilung  elektrische  Wirkungsweisen  einen  wesentlichen  Antheil 
haben  oder  nicht.  Denn  es  ist  klar,  dass  diese  typischen 
Gestaltungen  durch  den  elektrischen  Strom  alterirt  werden 
müssen,  sofern  sie  selber  durch  elektrische  Kraftwirkungen  ver- 
mittelt werden. 

Ein  sicheres  negatives  Ergebniss  musste  diese  Eventualität 
als  unzutreffend  erweisen,  ein  positives  zu  weiteren  Unter- 
suchungen darüber  auffordern,  ob  die  beobachtete  Wirkung 
des  elektrischen  Stromes  eine  directe  Wirkung  auf  die  mito- 
tischen Theilungsvorgänge  ist  oder  durch  Einwirkung  auf  den 
Zellleib  vermittelt  wird,  beides  gleich  wichtige  Eventualitäten. 

Aus  diesen  Gründen  hatte  ich  schon  im  Jahre  1885*  die 
gleiche  Frage  geprüft,  aber  ein  negatives  Ergebniss  erhalten. 
Doch  musste  der  mir  damals  zur  Verfügung  stehende  Strom, 
ein  Gleichstrom  von  drei  Bunsen'schen  Elementen  viel  zu 
schwach  erscheinen,  um  eine  sichere  negative  Folgerung  zu 
gestatten.  Zur  Ableitung  eines  solchen  Schlusses  mussten 
Ströme  von  einer  Stärke  angewendet  worden  sein,  die  der 
deletär  wirkenden  Stromstärke  benachbart  war.  Da  zu  ver- 
muthen  war,  dass  der  Strom  meiner  jetzigen  Anstalt  die 
genügende  Stärke  haben  werde,  und  da  zudem  bei  den  früheren 
Versuchen  die  in  eine  Glasröhre  aspirirten  Froscheier  nur  von 
einer  aussen  umgewundenen  Spirale  aus  umströmt,  nicht  aber 
die  Eier  selber  durchströmt  worden  waren,  so  nahm  ich  diese 
Versuche  wieder  auf  und  begann  zunächst  mit  der  noch  nicht 
verwendeten  Methode  der  directen  Durchströmung. 

Sogleich  bei  dem  ersten,  an  einem  Sonntag  Nachmittag 
(den  5.  April)  behufs  Orientirung  über  die  etwa  nöthige  Ver- 
suchsanordnung angestellten  Versuche  trat  ein  evidentes 
Resultat  der  Einwirkung  des  Wechselstromes  hervor. 


1  Beiträge  zur  Entwickelungsmechanik  des  Embryo,  Nr.  3:  Über  die 
Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des  Froschembn'o  im  Ei  und  über  die  erste 
Theiiung  des  Froscheies.  Bresiauer  ärztliche  Zeitschr.,  1885,  Nr.  6  u.  f.,Separat- 
Abdr.  S.  38  u.  f. 


r 


Entwickelungsmechanik  des  Embr^'o.  29 

An  einem  2  cm  breiten  und  4  cm  langen,  der  Länge  nach 
durchströmten,  vvagrecht  orientirten  Bande  von  Froschlaich  aus 
vor  zwei  Stunden  befruchteten  Eiern  bemerkte  ich  bei  einer 
nach  zehn  Minuten  vorgenommenen  Besichtigung  schon  an 
jedem  Eie  eine  senkrecht  stehende,  das  Ei 
halbirende  Furche,  welche  an  allen  Eiern  recht- 
winkelig zur  Stromrichtung  orientirt  war.  Ich 
glaubte  natürlich,  die  fragliche  richtende  Wirkung  des  Stromes 
auf  die  Eitheilung  gefunden  zu  haben;  nur  wunderte  mich,  dass 
die  erste  Furche  eine  ganze  halbe  Stunde  eher,  als  ich  nach 
der  Zimmertemperatur  envartet  hatte,  aufgetreten  war.  Als  ich 
diese  Furche  jedoch  mit  der  Loupe  besichtigte,  fiel  mir  sogleich 
auf,  dass  sie  ein  wenig  weiter  war,  als  normale  Theilungs- 
furchen  des  Froscheies  zu  sein  pflegen,  und  dass  sie  sich  nach 
der  Tiefe  zu  nicht  verengte,  nicht  sich  zu  einem  engen  Spalt 
verjüngte. 

Dies  liess  erkennen,  dass  hier  eine  ganz  andere  Erschei- 
nung vorlag;  und  die  nächsten  sogleich  vorgenommenen,  etwas 
variirten  Versuche  bestätigten  diesen  Schluss. 

Die  neue  Erscheinung  erregte  durch  ihre  typischen 
Gestaltungen  mein  Interesse  derart,  dass  ich  ihr  eine  Zeitlang 
ausschliesslich  nachging.  Diese  Sachlage  ist  der  Grund,  dass  in 
den  folgenden  Mittheilungen  zwei  in  ihrem  Wesen  verschiedene, 
aber  theilweise  in  der  nöthigen  Versuchsanordnung  und  dem 
Versuchsmateriale  übereinstimmende  Themata  zugleich  be- 
handelt werden,  und  dass  ich  überhaupt  eine  Gruppe  von 
Erscheinungen  bearbeitet  habe,  die,  wie  sich  bald  herausstellte, 
mehr  in  das  Gebiet  der  jetzigen  Physiologie,  als  in  das  der 
Entwickelungsmechanik  gehört. 

Die  nächsten  Versuche  ergaben  im  Wesentlichen  nach- 
stehende Resultate. 

Beim  Durchströmen  eines  geraden  Bandes  Froschlaich 
von  5  bis  9  cm  Länge,  2  bis  2*5  cm  Breite  und  einer  einzigen 
Eilage  Höhe,  in  Richtung  der  Länge  des  Bandes  von  17  cm 
breiten  Platjnelektroden  aus,  entstand  an  jedem  der  vor  ein  bis 
drei  Stunden  befruchteten  Eier  innerhalb  1 5  bis  30  Secunden 
eine  deutliche  Scheidung  der  annähernd  kugeligenOberfläche 
in  drei  Felder,  welche  durch  zwei  einander  parallele  kreisförmige 


30  W.  Roux, 

Grenzlinien  gesondertsind,  nämlich  in  zwei  einander  gegenüber 
liegende,  den  Elektroden  zugewendete  P  o  1  f  e  1  d  e  r  mit  veränderter 
Oberfläche  und  ein  zwischen  ihnen  gelegenes  äquatoriales 
Gürtel  fei  d  ohne  solche  Veränderung.  Diese  Scheidung  der 
Oberfläche  erfolgt  gewöhnlich  zunächst  durch  Aufhellung  im 
Bereiche  des  Polfeldes  unter  anfänglichem  Entstehen  einer  netz- 
artigen oder  punctirten  helleren  Zeichnung;  manchmal  treten 
auch  schon,  ehe  eine  Verfärbung  der  Oberfläche  erkennbar  ist, 
auf  der  unteren,  hellgrauen,  oft  fast  weissen  Hemisphäre  des 
Eies  die  beiden  Parallelkreise  als  schwärzliche  Linien  auf  und 
bewirken  so  die  erste  sichtbare  Scheidung  in  die  drei  Abschnitte. 
Bei  weiterer  Einwirkung  des  Stromes  vertieft  sich  nach  ein  bis 
zwei  Minuten  die  Stelle  dieser  beiden  Parallelkreise  zu  je  einer 
deutlichen,  oben  tieferen  Ringfurche,  und  in  derselben  treten 
oben  weisse  Flecken,  durch  Austritt  von  Eisubstanz  bedingt,  auf. 
Längs  der  Mitte  des  Äquatorgürtels  entsteht  unter  vollkommener 
Aufhellung  seiner  Ränder  auf  der  helleren  Unterseite  des  Eies 
nicht  selten  eine  schwärzliche  Linie  mit  oder  ohne  scharfe  seit- 
liche Grenzen,  also  eine  Pigmentanhäufung.  An  der  schwarzen, 
oberen  Hemisphäre  des  Eies  sieht  man,  wenn  die  Polfelder  sich 
nicht  genügend  aufhellen,  nur  die  beiden  Ringfurchen. 

Während  somit  im  Einzelnen  das  Bild  der  Veränderungen, 
und  zwar  je  nach  der  Dauer  und  Stärke  des  wirkenden  Stromes 
und  wohl  auch  nach  der  Beschaffenheit  der  Eier  selber,  ein  etwas 
verschiedenes  ist,  so  ist  das  Wesentliche  der  Erscheinungen 
vollkommen  constant,  nämlich  die  Theilung  der  Eioberfläche 
in  zwei  den  Elektroden  zugewendete,  sichtbar  veränderte  Pol- 
felder und  einen  sie  trennenden,  nicht  veränderten,  oder  nur 
schwach  und  in  anderer  W^eise  veränderten  Äquatorgürtel ;  und 
zwar  sind  diese  drei  Felder  bei  der  erwähnten  Anordnung  des 
Versuches  durch  zwei  fast  oder  ganz  parallele,  continuirlich 
(ungezackt)  verlaufende,  rechtwinkelig  zur  Stromrichtung  orien- 
tirte  Ringlinien  gegen  einander  abgegrenzt. 

Der  Abstand  dieser  beiden  Grenzlinien  von  einander  ist  an 
Eiern,  welche  in  der  Nähe  der  Elektroden  stehen,  am  geringsten 
und  nimmt  gegen  die  Mitte  des  Stromfeldes  allmälig  zu.  Ist  der 
Strom  durch  Einschaltung  grosser  Widerstände  geschwächt,  so 
vergrössert   sich  der  Abstand ;  arbeitete  ich,  wie  gerade  beim 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  31 

ersten  Versuche,  ohne  solche  Widerstände,  so  treten  die  sich 
erhebenden  Ränder  der  beiden  Polfelder  oben  einander  so  nahe, 
dass  der  von  ihnen  begrenzte,  tiefer  liegende  Aquatorgürtel  bloss 
als  der  schmale  Grund  einer  einzigen  Furche  erscheint. 

Über  die  Stellung  der  beiden  Grenzlinien  zu  einander  und 
zur  Richtung  der  Kraftlinien  des  Stromes  erfuhr  ich  Weiteres 
durch  eine  Änderung  der  Versuchs-Anordnung,  indem  statt  der 
Verwendung  eines  parallel  contourirten  Bandes  von  Frosch- 
laich, die  ganze  runde  Schale  gleichmässig  mit  einer  einzigen 
Lage  von  Froscheiem  ausgefüllt  und  dies  Material  von  zwei 
einander  entgegengesetzten  Stellen  des  Randes  der  Schale  aus 
und  unter  Benutzung  schmälerer  Elektroden  durchströmt  wurde. 
Die  Gesammtheit  der  beiden  Linien  von  allen  Eiern  markirt  als- 
dann typische  Curven,  die  leichter  zu  erkennen  sind,  wenn  man 
die  Schale  nach  Beendigung  des  Versuches  umdreht  und  die 
hellen  unteren  Hemisphären  betrachtet,  als  bei  Besichtigung 
der  schwarzen  Furchen  auf  der  schwarzen  oberen  Eihälfte.  Da 
die  Froscheier  durch  ihre  dicken  Gallerthüllen  von  einander 
geschieden  sind  und  nicht  in  den  Curven  entsprechenden 
Reihen  liegen,  so  bilden  die  beiden  Grenzlinien  aller  der  etwa 
200  Eier  einer  Schale  keine  continuirlich  gezeichneten  Curven, 
sondern  man  muss  sich  die  Curven  aus  den  vielen  neben- 
einanderliegenden Bruchstücken  selber  integriren;  was  aber 
bei  Benutzung  einer  seh  wachen  Loupe  nicht  schwer  fällt. 
Das  Bild,  welches  man  so  gewinnt,  ist  folgendes;  Die  Curven 
beginnen,  entsprechend  dem  zuerst  mitgetheilten  Versuche,  alle 
rechtwinkelig  zu  der  mittleren  geraden  Verbindungslinie  der 
Elektroden  und  wenden  sich  dann,  die  nächste  Elektrode 
im  Bogen  umziehend,  unter  allmäliger  Vergrösserung  ihres 
Abstandes  gegen  den  Rand  der  Schale,  um  daselbst  in  rechtem 
Winkel  zur  Umrandung  zu  enden.  Die  Krümmung  der  Curven 
ist  daher  unmittelbar  neben  den  Elektroden  am  stärksten  und 
nimmt  bis  zu  der  in  gerader  Richtung  verlaufenden  mittelsten 
Linie  allmälig  ab.  Beide  Grenzlinien  jedes  Eies  entsprechen 
dieser  Schilderung;  es  sind  also  beide  bloss  gegen  die  nächste 
Elektrode  concav;  nur  an  den  in  der  rechtwinkelig  zur  Strom- 
richtung orientirten  Mittellinie  der  Schale  liegenden  Eiern  ist 
jede  von  beiden  Grenzlinien  gegen  eine  andere  Elektrode  concav. 


32  W.  Roux, 

Auch  stehen  nur  an  den  durch  diese  Mittellinie  halbirten  Eiern 
und  an  den  in  der  geraden  Verbindungslinie  der  Elektroden 
sich  befindenden  Eiern  die  Grenzlinien  symmetrisch  zu  einem 
Eimeridian,  wenngleich  dies  der  flüchtigen  Betrachtung  an  vielen 
Stellen  so  scheinen  mag.  Bei  genauer  Betrachtung  der  für  diese 
Unterscheidung  charakteristischen  Stellen  an  vollkommen  nor- 
malen Eiern  kann  kein  Zweifel  bestehen,  dass  die  Richtung 
dieser  Linien  ihrem  Wesen  nach  nicht  zu  einer  i  m  E  i  selber 
gelegenen  Linie  typisch  bestimmt  ist,  sondern  dass  diese  Be- 
stimmung von  aussen  her,  in  je  nach  der  zufälligen  Lage  der 
Eier  zu  den  Elektroden  und  zur  Gesammtform  des  elektrischen 
Feldes  verschiedener  Weise  getroffen  wird.  Desgleichen 
hängt  auch  der  Abstand  dieser  Grenzlinien  wesentlich  von  den 
genannten  äusseren  Umständen  ab  (mit  der  Einschränkung, 
dass  bei  grösseren  Eiern  sie  vielleicht  ceteris  paribus 
weiter  von  einander  entfernt  sind,  worüber  ich  in  Erman- 
gelung von  Rieseneiern  noch  keine  Beobachtungen  machen 
konnte). 

Ich  halte  die  durch  diese  Grenzlinien  markirten  Flächen 
für  Potentialniveauflächen,  also  für  äquipotentiale  Flächen 
des  ganzen  elektrischen  Feldes. 

In  der  Überzeugung,  dass  meine  Vorstellung  von  der  Gestalt 
der  äquipotentialen  Flächen  die  zutreffende  ist,  will  ich  die 
erwähnten  Grenzlinien  des  durchströmten  Froscheies  weiterhin 
als  Niveauringe  bezeichnen;  doch  will  ich  die  Möglichkeit 
nicht  als  ausgeschlossen  hinstellen,  dass  die  Physiker  bei 
genauerem  Vergleiche  kleine  typische  Abweichungen  obiger 
Niveauringe  von  den  von  ihnen  berechneten  Niveaulinien  er- 
mitteln werden ;  Abweichungen,  die  aber  dann  wohl  nur  durch 
secundäre  Momente  bedingt  sind  und  den  Hauptcharakter 
unserer  Niveauringe  als  äquipotentialer  Linien  nicht  alteriren 
werden. 

An  manchen  Eiern,  an  denen  die  Polfelder  sehr  grobkörnig 
wurden,  war  die  Grenze  letzterer  auch  nicht  continuirlich 
gerichtet,  sondern  gezackt,  und  die  Gesammtkrümmung  der 
Grenzlinien  entsprach  dann  auch  nicht  vollkommen  dem  Durch- 
schnitt von  Niveauflächen  des  elektrischen  Feldes  durch  die 
Eioberflächen.     Diese    im    Anfange    der    Versuche    an    den 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  33 

frischen  Eiern  nicht  vorgekommenen  Fälle  halte  ich  indess  für 
abnorm,  für  bedingt  durch  die  künstliche  Verzögerung  der 
Laichung,  wobei  auch  schon  am  normalen  Furchungsschema 
viele  Abweichungen  vorkommen. 

Noch  charakteristischer  als  bei  der  letzterwähnten  Ver- 
suchsanordnung, noch  evidenter  nur  äquipotentialen  Flächen 
entsprechend,  werden  die  durch  die  Niveauringe  gebildeten  Cur- 
ven,  wenn  man  die  Elektroden  nicht  an  den  Rand,  sondern  entfernt 
vom  Rande  der  Schale  und  auf  die  Fläche  der  Froschlaichlage 
aufsetzt.  Anden  Eiern,  welche  alsdann  von  oben  aus  durchströmt 
werden,  liegen  die  beiden  Niveauringe  fast  wagrecht,  während 
sie  an  den  wagrecht  durchströmten  entfernteren  Eiern  senkrecht 
stehen.  Es  ist  vollkommen  deutlich,  dass  die  durch  die  beiden 
Niveauringe  markirten  Flächen  rechtwinkelig  zu  den  Kraftlinien 
stehen.  (Vergl.  Fig.  2,  Taf.  III  nebst  der  Figurenerklärung.) 

An  den  bei  dieser  letzteren  Anordnung  seitlich  im 
Stromfeld  befindlichen  Eiern  entstehen  im  Bereiche  desAquator- 
gürtels  häufig  nachträglich,  im  Laufe  von  Stunden  oder  Tagen 
vielfache  Zersetzungen,  grössere  weisse  und  schwarze  Flecken, 
sowie  auch  intensiv  schwarze  Punkte  von  zum  Theil  regel- 
mässiger, sternförmiger  Anordnung,  während  im  Bereiche  der 
Polfelder  nach  der  Durchströmung  keine  nachträglichen  Ver- 
änderungen zu  erkennen  sind. 

Wenn  man  Eier,  die  schon  längere  Zeit  durchströmt 
worden  sind,  nachträglich  in  anderer  Richtung,  z.  B.  recht- 
winkelig zur  früheren  Richtung  durchströmt,  so  findet  keine 
neue,  dieser  Stromrichtung  entsprechende  Ringbildung,  über- 
haupt keine  äusserlich  erkennbare  Änderung  des  zuerst  er- 
zeugten Bildes  statt.  Wird  dagegen  die  wagrechtstehende 
Schale  mit  den  Eiern  während  der  Durchströmung  continuirlich 
gegen  die  am  Rand  eintauchenden  feststehenden  Elektroden 
gedreht,  so  entsteht  statt  der  beiden  Polfelder  ein  Polgürtel  und 
statt  des  Äquatorgürtels  ein  oberes  und  ein  unteres  rundes  Feld. 
Werden  die  Eier  während  der  Durchströmung  auch  noch  aus 
der  wagi'echten  Ebene  gebracht,  z.  B.  in  einer  hohen  mit  Wasser 
gefüllten  Schale  zwischen  den  Elektroden  nach  allen  Richtungen 
in  ihrer  Lage  verändert,  so  tritt  keine  Sonderung  in  abgegrenzte 
Felder  mehr  auf. 

Sitzb.  d.  matheni.-naturw.  Cl.;  CI.  Bd.  Abth.  III.  3 


34  W.  Roux, 

Schwimmen  die  Eier  in  einer  Flüssigkeit  von  geeignet 
hohem  specifischen  Gewicht  (Wasserglas  oder  Lösung  von 
Gummi  arabicum),  so  behalten  dieselben  während  der  Durch- 
strömung ihre  vorher  eingenommene  zufällige  Anordnung  bei 
und  drehen  sich  auch  nicht  um  eine  Axe;  dessgleichen  tritt  auch 
nach  der  Bildung  der  Polfelder  während  der  weiteren  Durch- 
strömung sowie  nach  dem  Aufhören  derselben  eine  Änderung 
der  Anordnung  ohne  äusseres  Zuthun  nicht  ein.  Werden  die 
mit  Polfeldern  versehenen  schwimmenden  Eier  gegeneinander 
verschoben,  oder  um  ihre  verticalen  Axen  verdreht,  so  behalten 
sie  die  ihnen  gegebene  Anordnung  bei,  selbst  wenn  aufs  Neue 
ein  Strom  durch  die  Schale  geleitet  wird. 

Unbefruchtete  aber  reife,  der  Gebärmutter  entnommene, 
in  Wasser  gequollene  Eier  reagiren  in  ähnlicher  Weise  auf  den 
Wechselstrom.  Auch  hier  entstehen  zwei  Niveauringe  an  jedem 
Ei;  die  Polfelder  werden  hell  und  netzförmig  gezeichnet.  Doch 
sind  in  der  Beschaffenheit  der  Oberfläche  kleine  Unterschiede 
vorhanden  und  die  Reaction  geht  viel  langsamer  vor  sich. 

An  mechanisch,durchDrückenmitden Fingern  oderdurch 
Pressen  zwischen  Glasplatten  insultirten  und  deformirten 
Eiern  entstehen  zum  Theil  keine,  zum  Theil  mit  ihren  Niveau- 
ringen von  dem  gewohnten  Anblick  abweichende  Stellungen 
einnehmende  Polfelder.  Von  besonderem  Interesse  ist  bei  diesem 
Verfahren  das  Verhalten  der  entstandenen  Dotterhernien. 

Der  Reife  nahe,  aber  noch  unreife  Eier  aus  der  Bauchhöhle 
und  vom  Eierstock  standen  mir  noch  nicht  zur  Verfügung. 
Kleine  unreife  Eierstockeier  für  das  nächste  Jahr  zeigten 
keine  Reaction  auf  den  Wechselstrom,  auch  wenn  sie  schon  eine 
schw'arze  und  weisse  Hemisphäre  ausgebildet  hatten. 

Geschieht  die  Durchströmung  nach  der  Anlage  oder  Voll- 
endung der  ersten  Furche,  also  während  der  ersten  Theilung 
des  Eies,  so  findet  gleichwohl  die  Scheidung  in  die  beiden  Pol- 
felder und  den  Äquatorgürtel  statt.  Doch  ist  das  Bild  nur  dann 
dem  früheren,  amnochungetheiltenEie  gewonnenen,  wesentlich 
gleich,  wenn  die  erste  Furche  zufällig  ganz  oder  annähernd 
rechtwinkelig  oder  ganz  parallel  zu  den  Niveauflächen  steht. 
Weicht  die  erste  Furche  dagegen  etwa  10 — 45°  von  der  Richtung 
der  gedachten  Niveauflächen  des  ganzen  Eies  ab,  dann  erfährt 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  35 

der  jeder  von  beiden  Zellen  zukommende  Antheil  am  Äquator- 
gürtel eine  deutliche  Verwerfung  gegen  das  Äquatorstück  der 
anderen  Zelle;  auch  sind  die  der  Furche  anliegenden  Theile  des 
Äquators  stark  von  der  Richtung  der  Niveaulinien  des  homogen 
gedachten  elektrischen  Feldes  abgelenkt;  siehe  Fig.  7. 

Nach  der  Entstehung  der  zweiten  Furche  wird  das  Bild 
dieser  Verwerfungen  oft  noch  etwas  complicirter;  doch  ist  auch 
hier  die  Bildung  zweier  Polfelder  am  Eie  und  einer  Äquatorial- 
zone vollkommen  deutlich. 

War  das  Ei  zur  Zeit  der  Durchströmung  schon  in  mehr 
Zellen  zerlegt,  also  imMorulastadium  befindlich,  so  entstand 
wieder  ein  continuirlicher,  durch  zwei  Niveauringe  begrenzter 
Äquatorgürtel;  aber  ausserdem  traten,  diesem  letzteren  ziemlich 
parallel  auf  den  Polfeldern  jederseits  2 — 3  helle  Ringe  auf,  die 
anscheinend  durch  Austritt  von  Dottersubstanz  aus  den  den 
Niveauflächen  annähernd  parallelen  normalen  Furchen  (Zell- 
grenzen) entstehen,  aber  zum  Theil  wohl  auch  durch  weisse 
Verfärbung  der  Oberfläche  (im  Bereiche  der  unteren  Hemisphäre 
des  Eies)  bedingt  sind,  worüber  erst  die  mikroskopische  Unter- 
suchung genaueren  Aufschluss  geben  kann.  Die  in  noch  kleinere 
Zellen  zerlegte  Blastula  Hess  ausser  den  beiden  Niveauringen 
noch  mehr  solcher  secundärer  Parallelkreise  hervorgehen,  deren 
Zahl  wiederum  der  Zahl  der  vorhandenen  Zellreihen  entsprach. 

Im  Stadium  derGastrula  traten  kaum  noch  äusserlich 
sichtbare  polare  Veränderungen  auf. 

Alle  durch  den  Strom  in  der  geschilderten  Weise  alterirten 
Eier  entwickelten  sich  nicht  weiter;  auch  drehten  sich  dieselben 
nach  Aufwärtswendung  des  Bodens  der  Schale,  an  welchem 
die  Eihüllen  anhaften,  selbst  im  Verlauf  von  24  Stunden  nicht 
wieder  mit  der  hellen  Seite  nach  unten,  wie  dies  befruchtete  Eier 
in  wenigen  Minuten,  unbefruchtete  in  2 — 3  Stunden  thun.  Das 
Ausbleiben  letzterer  Erscheinung  beruht  jedoch  nicht  auf  Ver- 
mengung der  Eisubstanzen  ungleichen  specifischen  Gewichtes 
(des  Nahrungs-  und  des  Bildungsdotters),  sondern  nur  auf 
Befestigung  des  Eies  gegen  die  Gallerthülle;  denn  mit  dieser 
Hülle  herausgenommene  Eier  nahmen,  wenn  man  sie  in  Wasser- 
glas schwimmen  Hess,  rasch  die  normale  Stellung  mit  dem 
hellen  Theile  nach  unten  wieder  ein. 


36  W.  Roux, 

Am  Dotter  eines  gelegten  Hühnereies,  sowie  an  den  Eier- 
stockseiern zweier  Tauben  konnte  ich  nach  Anwendung  des 
mir  zur  Verfügung  stehenden  Stromes  bei  äusserer  Besichtigung 
keine  denen  der  Froscheier  entsprechenden  Veränderungen 
wahrnehmen. 

Die  Kunstmühlenbesitzer  Herren  Gebrüder  Rauch  in 
Mühlau  gestatteten  mir  am  8.  April  freundlichst  die  Benutzung 
des  mit  der  kleineren  ihrer  Dynamomaschinen  unter  einer 
Tourenzahl  von  1200  per  Minute  erzeugten  Gleichstromes 
von  43  Volt  Spannung;  ich  verw^endete  von  demselben  nur  eine 
schwache  Stromschleife.  Um  möglichst  verschiedene  Strom- 
dichten zugleich  zu  prüfen,  setzte  ich  die  Elektroden  einander 
nahe  im  Binnenraume  des  runden  Stromfeldes  auf. 

Bei  diesem  Strom  zeigte  sich  eine  Verschiedenheit  der  von 
beiden  Elektroden  ausgehenden  Wirkungen  zunächst  schon  an 
der  Gallerthülle.  Während  beim  Wechselstrom  die  Gallerthülle 
unverändert  blieb,  entstand  hier  um  die  durch  stärkere  Gasent- 
wickelung ausgezeichnete,  also  negative  Elektrode  zunächst  eine 
Aufhellung  der  Gallerthüllen,  der  später  beim  Kochen  eine  opak- 
weisse  Trübung  folgte;  in  der  Umgebung  der  Anode  dagegen  ent- 
stand einbläulich  hyalinerSchimmerinderihrzugewendetenSub- 
stanz  der  Gallerthüllen,  der  sich  nach  dem  Kochen  noch  erhielt. 

An  reifen  unbefruchteten  Eiern  entwickelte  sich  in 
weiter,  die  Mittellinie  des  elektrischen  Feldes  überschreitender 
UmgebungderpositivenElektrodean  den  Eiern  bloss  ein  grosses 
grau  verfärbtes,  der  Anode  zugewendetes  und  demnach  der 
Kürze  halber  als  anodisches  oder  positives  zubezeichnendes 
Polfeld  mit  einer  deutlichen  Niveauringfurche  als  Grenze.  An 
den  weiter  gegen  die  negative  Elektrode  hin  gelegenen  Eiern  trat 
danach  eine  kathodenwärts  liegende  Niv^eauringlinie  hinzu  als 
einzige  Marke  der  Scheidung  auf  dieser  Seite  des  Eies;  und 
bloss  die  der  Kathode  nächsten  zwei  Reihen  Eier  hatten  ein  ver- 
färbtes, aber  grosses  kathodisch  gelegenes  Polfeld  unter  Fehlen 
eines  anodischen.  Die  seitlich  im  Stromfeld  liegenden  Eier  boten 
vielfach  zwei  schwach  verfärbte  Polfelder  und  zwischen  ihnen 
einen  unverfärbten  Aquatorgürtel  dar;  aber  an  manchen  Eiern 
fand  sich  nur  anodenwärts  ein  verfärbtes  Polfeld,  kathoden- 
wärts dagegen  wieder  bloss  eineNiveauringlinie.  Die  Richtungen, 


I 


I 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  37 

Krümmungen  und  Abstände  derNiveauringe  entsprachen  wieder 
durchaus  der  ihnen  gegebenen  Bezeichnung. 

An  befruchteten,  zwischen  den  Elektroden  gelegenen 
Eiern  zeigten  sich  nach  kurz  dauernder  Durchströmung  zwei 
Niveauringe  von  deutlicher  Schärfe;  das  anodische  Polfeld  war 
gross  und  nur  wenig  verfärbt;  das  kathodische  zeigte  sich 
an  manchen  Eiern  etwas  verfärbt,  an  anderen  gleich  dem 
Äquatorgürtel  unverfärbt,  und  war  in  der  Stromrichtung  verlängert 
und  in  verticale  Längsfalten  gebogen.  Im  seitlichen  Theile  des 
Stromgebietes  war  im  Bereiche  des  Aquatorgürtels  der  Eier  nach 
einigen  Stunden  vielfache  Zersetzung,  wie  oben  beim  Wechsel- 
strom beschrieben,  wahrnehmbar.  Weiter  seitlich  und  nach  hinten 
von  den  Elektroden  waren  die  Eier  unverändert  und  theilten  sich 
später  normal.  Am  Übergang  zwischen  beiden  letztgenannten 
Abschnitten  fanden  sich  Eier  mit  zwei  sehr  kleinen  verfärbten 
Polfeldem;  an  diesen  Eiern  bildete  sich  später  im  breiten 
Aquatorgürtel  die  typische  erste  Furche  und  stand  auffallend 
häufig  in  Richtung  der  mittleren  Verbindungslinie  beider  Pole. 

Es  ergab  sich  also  ein  deutliches  Überwiegen  der  Wirkung 
dieses  Gleichstromes  auf  der  anodischen  Seite  der  Eier,  im 
Übrigen  aber  doch  eine  doppelseitige,  wenn  auch  schwächere 
Wirkung  als  beim  Wechselstrom.  Bei  dem  Versuch  an  unbe- 
fruchteten Eiern  zeigte  sich  deutlich  eine  Abnahme  der  ano- 
dischen und  kathodischen  Wirkung  mit  dem  Abstände  der 
Eier  von  der  gleichnamigen  Elektrode. 

Von  Bedeutung  war  mir  die  Wahrnehmung,  dass  bei  dieser 
hohen  Spannung  von  43  Volt  die  seitlich  gelegenen  Eier  schon 
keine  Polfelder  mehr  bildeten,  dass  ich  also  schon  an  der 
unteren  Grenze  dieser  Wirksamkeit  angelangt  war.  Ich  suchte 
daher,  unter  Einschaltung  eines  grossen  Widerstandes,  auch 
mit  dem  höher  gespannten  Strom  meiner  Anstalt  diese  Grenze 
und  versuchte,  die  Eier  mit  dem  stärksten,  nicht  mehr 
deletär  wirkenden  Strom  zu  beeinflussen.  Dadurch 
wurde  möglich,  endgiltig  zu  prüfen,  ob  der  Wechsel- 
strom eine  Wirkung  auf  die  Richtung  der  ersten 
Theilung  des   Eies    ausübt,   welche,   wie  ich'  und   bald 

1  W.  R  o  u  X,  Ober  die  Zeit  der  Bestimmung  der  Hauptrichtungen  des 
Froschembryo.  Leipzig,  1883. 


38  W.  Roux, 

darauf  Pflüger*festgestellt  haben,  die  Medianebene  des  Frosch- 
embryo darstellt,  so  dass  sie  also  das  Eimaterial  qualitativ  und 
quantitativ  halbiren  muss  und  daher  meiner  Meinung  nach  eher  auf 
den  Wechselstrom  reagiren  könnte,  als  auf  den  Gleichstrom,  der 
sich  mehr  für  die  zweite,  nach  meinen  Beobachtungen  kopf- 
und  schwanzwärts  sondernde  Theilung  zu  qualificiren  scheint 
Damit  war  ich  zum  Ausgangsproblem  dervorstehend  mitgetheilten 
Versuche  zurückgelangt.  Dahin  führte  auch  die  erwähnte  Beob- 
achtung, dass  an  Eiern  mit  zwei  sehr  kleinen  Polfeldern  die 
erste  Furche  auffallend  häufig  in  der  mittleren  Verbindungslinie 
beiderPolfelder  lag.  Durch  Aspiration  von  Eiern  in  enge  Glasröhren 
(wodurch  die  Eier  Verlängert  werden)  und  darauf  folgende  Durch- 
strömung längs  der  Röhre  hätte  sich  sogleich  entscheiden  lassen, 
ob  diese  Richtung  der  Furche  als  besondere  Wirkung  des 
Stromes  oder  bloss  der  Verkleinerung  des  Eies  in  eben  dieser 
Richtung  durch  Wegfall  der  an  den  Polen  befindlichen  veränderten 
Substanz  bedingt  sei,  dennPflüger  und  ich  haben  experimen- 
tell nachgewiesen,  dass  die  ersten  Theilungen  des  Froscheies 
gewöhnlich  in  den  kleinsten  Richtungen  des  Zellleibes  erfolgen. 

Da  jedoch  schon  bei  den  Versuchen  des  8.  April  an  den 
Probeeiern  Zeichen  von  der  entwicklungsstörenden  Wirkung 
der  künstlich  verzögerten  Laichung  aufgetreten  waren,  sah  ich 
mich  veranlasst,  eine  dieser  beiden  Fragen  zu  bevorzugen,  um 
wenigstens  noch  eine  Frage  erledigen  zu  können,  und  wählte 
die  erstere,  principiell  wichtigere. 

Ich  schwächte  den  Wechselstrom  von  über  20  Ampere 
Stärke  und  100  Volt  Spannung  in  Ermanglung  eines  Rheostaten 
durch  den  Widerstand  einer  halbprocentigen  Kochsalzlösung  in 
einem  Glasrohre  von  81  cm  Länge  und  7  mm  Durchmesser  so 
stark  ab,  dass  nach  Aufsetzung  der  Elektroden  nahe  der  Mitte 
der  7 — 9  cm  im  Durchmesser  haltenden  Schalen  nur  die  den 
Elektroden  nächsten  Eier  Polfelder  bildeten.  Mit  diesem 
Wechselstrom  wurden  nun  Eier  in  verschiedenen  Phasen, 
nämlich  während  der  Copulation  der  beiden  Geschlechtskerne, 
während  der  Existenz  des  Furchungskernes  und  während  der 


1  E.  Pflüg  er,  Über  den  Einfluss  der  Schwerkraft  auf  die  Theilung  der 
Zellen.  Pflüger's  Arch.  f.  Physiologie,  1883,  Bd.  XXXI. 


Entwickelungsmechanik  des  Embr}'0.  39 

Theilung  desselben  durchströmt.  Als  die  erste  Furche  auf- 
getreten war,  zeigte  sich,  dass  die  Richtungen  dieser  Furchen 
an  den  etwa  200 — 250  Eiern  einer  Schale  keine  Beziehung  zu 
den  Niveauflächen  oder  Kraftlinien  erkennen  Hess.  Zu  einem 
vollen  Resultat  fehlt  jedoch  noch  die  Prüfung  an  einem  maxi- 
malen ertragenen  wirklichen  Gleichstrom.  Schliesslich  wieder- 
holte ich  auch  den  schon  vor  sechs  Jahren  mit  einem  schwachen 
Gleichstrom  erfolglos  angestellten  Versuch  der  Umströmung 
der  Eierjetzt  mit  dem  Wechselstrom.  Es  wurden  frisch  befruchtete 
Eier  in  eben  noch  so  weite  Glasröhren  aspirirt,  dass  sie  keine 
Pressung  in  denselben  erlitten,  und  darauf  bei  wagrechter  Lage 
der  Röhre  mit  dem  zur  Vermeidung  zu  hoher  Erwärmung  durch 
eine  eingeschaltete  Schale  von  schwacher  Kochsalzlösung 
genügend  abgeschwächten  Wechselstrom  stundenlang  in  dicht, 
aber  bloss  in  einer  Lage  um  die  Röhre  gewundenen  Spiraltouren 
umströmt.  Jedoch  auch  bei  dieser  Versuchsanordnung  war 
keine  richtende  Wirkung  des  Stromes  auf  die  erste  Theilung 
des  Eies,  also  keine  Wirkung  einer  dynamischen  Induction  zu 
erkennen;  die  erste  Furche  der  verschiedenen  Eier  stand  weder 
durchweg  quer  zum  Solenoid  oder  längs  desselben  oder  wag- 
recht, sondern,  wie  sonst  bei  zwangloser  Aufsetzung  der  Eier, 
allenthalben  senkrecht,  aber  in  den  verschiedensten  Richtungen. 

II.  Abschnitt.  * 

Zunächst  habe  ich  zu  erwähnen,  dass  es  mir  durch  eine 
zur  Verstärkung  der  Stromwirkung  führende  Änderung  der 
Versuchsanordnung  gelungen  ist,  auch  an  noch  im  Eierstock 
befindlichen  Froscheiem  Veränderungen  hervorzurufen,  die  den 
an  unbefruchteten  Uteruseiem  mit  dem  Wechselstrom  ge- 
wonnenen zum  Theil  entsprechen. 

An  dotterkömerhaltigen  Eierstockseiern,  welche  mehrere 
Stunden  in  Wasser  gelegen  hatten,  entstanden  unter  nur  sehr 
geringer  Verfärbung  der  Polfelder  zwei  deutliche  Niveauring- 
furchen, welche  wie  mit  einer  Nadel  eingeritzt  erschienen.  Bei 
den  Eiern  von  erst  der  halben  Grösse  reifer  Eier,  war  der  von 
diesen  Niveau  furchen    begrenzte  Äquatorgürtel  nicht  nur 


*  Vergl.  die  Anmerkung  2  am  Beginne  des  ersten  Theiles. 


40  W.  Roux, 

relativ,  sondern  auch  absolut  breiter,,  als  bei  den  daneben  befind- 
lichen fast  reifen,  grösseren  Eiern. 

Danach  gelang  es  mir  auch  an  frischen  Eierstöcken,  welche 
nicht  in  Wasser  gelegen  hatten,  aber  in  Wasser  durchströmt 
wurden,  feine  Niveaufurchen  nach  der  Durchströmung  an  den 
Eiern  wahrzunehmen;  doch  sind  sie  infolge  des  Mangels  jeder 
Verfärbung  schwer  zu  sehen. 

Ausgewachsene  Eierstockseier  in  V«Vo  Kochsalzlösung 
zerquetscht  und  zerschnitten,  Hessen  an  dem  so  gewonnenen 
Saft  weder  bei  Verwendung  des  schwachen,  noch  des  starken 
Wechselstromes  eine  besondere  Wirkung  des  Stromes  oder  eine 
besondere  Reaction  der  Substanz  erkennen. 

Wenn  der  geschlossene  Uterus  mit  seinen  einge- 
schlossenen Eiern  direct  durchströmt  worden  war,  konnte  ich 
keine  Bildung  von  Polfeldern  wahrnehmen,  auch  nicht,  wenn  die 
Eier  nach  der  Durchströmung  in  Wasser  gelegt  worden  waren. 
Bei  Lagerung  von  Eiballen  zwischen  zwei  Stücke  gequollenen 
Laiches  wurden  dagegen  durch  Punktirung  auf  der  hellen 
Hälfte  des  Eies  zwei  Polfelder  markirt,  die  einen  mit  helleren 
Rändern  versehenen  Äquartorgürtel  begrenzten.  Wurden  die 
trockenen  Uteruseier  jedoch  einzeln  zwischen  die  gequollene, 
aber  durch  Fliesspapier  abgetrocknete  Gallerthülle  anderer 
Eier  gelegt,  so  zeigten  sich  beim  Durchströmen  schon  nach 
vier  Minuten  deutliche  Niveauringe.  Während  dieser  Zeit  aber 
waren  die  Gallerthüllen  der  trockenen  Eier  schon  deutlich 
erkennbar  gequollen.  Also  ein  gewisses  Minimum  an  Wasser  ist 
für  die  beschriebene  Reaction  nöthig. 

Unbefruchtete  Eier,  welche  aus  dem  Uterus  in  vier-  und 
mehrprocentige  Kochsalzlösung  gelegt  worden  waren,  und 
eine  Stunde  darin  verweilt  hatten ,  gaben  selbst  bei  sieben 
Minuten  dauernder  Durchströmung  nicht  die  specifischeReaction ; 
gleiche  Eier  in  27o  Lösung  Hessen  erst  spät  zwei  den  Niveau- 
ringen entsprechende  Reihen  von  Punkten  wahrnehmen;  auch 
sogleich  in  l^o  Kochsalzlösung  übertragene  Eier  reagirten  noch 
trag.  Eier,  welche  1  74  Stunde  in  47o  Kochsalzlösung  verweilt 
hatten,  darauf  in  Wasser  übertragen  worden  waren  und  nach 
1  bis  15  Stunden  fünf  Minuten  lang  durchströmt  wurden,  zeigten 
keine  Reaction. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  41 

Dagegen  bildeten  Eier  mit  in  Wasser  gequollenen  Hüllen, 
wenn  sie  in  gesättigte  Kochsalzlösung  oder  dergleichen  Bor- 
säure-, Boraxlösung  versetzt  und  sogleich  darin  durchströmt 
wurden,  schön  die  Polfelder  und  Niveauringe. 

Im  Anfang  durchströmte  ich  die  Eier  viel  länger  als  un- 
erlässlich  nöthig  war,  um  die  Polfelder-  und  Niveaulinienbildung 
hervorzurufen,  weil  die  Reaction  auf  der  schwarzen,  oberen  Ei- 
hälfte  bei  Ranafusca  viel  später  sichtbar  wird,  als  auf  der  hellen 
Unterseite  des  Eies.  Aus  dieser  Zeit  stammt  auch  der  im  ersten 
Abschnitt  mitgetheilte  Versuch,  in  welchem  die  zweite,  in  anderer 
Richtung  als  die  erste  bewirkte  Durchströmung  ohne  sichtbaren 
Erfolgblieb,  weil  dieReactionsfahigkeit  der  Eier  schon  erschöpft 
war.  Wenn  man  dagegen  die  erste  Durchströmung  nur  während 
des  Minimums  der  zur  Bildung  der  Niveaulinien  auf  der  Unter- 
seite nöthigen  Zeit  oder  Weniges  darüber  durchströmt  und 
darauf  die  Stromrichtung  ändert,  entstehen  zu  den  schon 
vorhandenen,  neue  dieser  Richtung  entsprechende  Niveaulinien 
und  Polfelder.  Durchströmt  man  zuerst  mit  schwachem  Strom 
bis  zur  Bildung  der  Niveaulinien,  darauf  mit  starkem  Strom  in  der 
gleichen  Richtung  wie  früher,  so  wird  der  breite  Äquator  ver- 
schmälert, indem  zugleich  zwei  weisse  Bänder  auf  Kosten  des 
früheren  Äquators  entstehen.  Verwendet  man  zuerst  den  starken 
und  danach  den  schwachen  Strom  in  zur  früheren  gekreuzter 
Richtung,  so  kann  man  bei  geeignetem  Verhältniss  in  der  Zeit- 
dauer beider  Wirkungen  noch  einen  zweiten  Effect  hervorbringen. 

Bei  sehr  geschwächtem  Strom  (durch  Einschalten 
einer  Wassersäule  von  129  cm  Länge  und  7  mm  Durchmesser) 
ist  nach  5  Minuten  noch  keine  Wirkung  an  den  befruchteten 
Eiern  erkennbar;  selbst  bei  Ersetzung  des  Wassers  durch  7%  Vo 
Kochsalzlösung  war  nach  elf  Minuten  unten  bloss  ein  leicht 
gedunkelter  Äquatorgürtel  mit  helleren  Rändern,  oben  keine 
Änderung  zu  sehen.  Nach  Verkürzung  dieser  Röhre  auf  81  cm 
dagegen  entstanden  minimale,  bei  Ranafusca  nur  aus  einem 
oder  wenigen  Flecken,  bei  Rana  esculetita  deutlich  aus 
kleinen  Extraovaten*  bestehende   Polfelder,  und  zwar  nur 

1  Mit  diesem  Namen  habe  ich  die  aus  dem  Ei  unter  Durchbrechung  der 
Eirinde  ausgetretene  Substanz  belegt.  Vergl.  Beitrag  I  zur  Entwickelungs- 
mechanik des  Embryo.  Zeitschr.  für  Biologie,  Bd.  XXI,  N.  F.  III,  1885. 


42  W.  Roux, 

an  den  in  derNähe  derElektroden  befindlichen  Eiern;  manchmal 
fand  sich  nach  dernäheren  Elektrode  zu  ein  etwas  grösseres,  nach 
der  entfernteren  Elektrode  ein  kleineres  Polfeld  oder  auf  letzterer 
Seite  gar  keines. 

Bei  der  gewöhnlich  verwendeten,  reichlich  starken  An- 
ordnung dagegen  bieten  sich  beide  Polfelder  jedes  Eies  beim 
Wechselstrom  für  die  einfache  Besichtigung  gleich  gross  dar. 
Nicht  selten  jedoch  glaubt  man  an  einem  Eie,  bei  Besichtigung 
der  noch  in  ihrer  Hülle  und  in  der  Glasschale  befindlichen 
Eier  mit  der  Loupe,  deutlich  eine  grosse  Differenz  der  Polfelder 
wahrzunehmen;  nach  der  Ausschälung  jedoch  ist  meist  kein 
oder  nur  ein  geringer  Grössenunterschied  vorhanden,  der  auf 
Ungleichmässigkeiten  in  der  Substanz  der  Hälften  des  be- 
treffenden Eies  beruhen  muss,  wenn,  wie  gewöhnlich  bei  gleich- 
massiger  Anordnung  der  Eier,  die  Eier  der  Umgebung  solche 
Unterschiede  nicht  darbieten. 

Bei  nicht  gleichmässiger  Vertheilung  der  Eier  in 
der  Schale,  beim  Vorhandensein  von  Lücken  oder  Brücken  im 
Eistratum  wird  die  Breite  der  Äquatorgürtel  neben  einander 
liegender  Eier  manchmal  erheblich  verschieden,  und  die  oft 
stark  divergirenden  Richtungen  der  beiden  den  Äquator 
begrenzenden  Niveauringe  entsprechen  natürlich  nicht  mehr 
den  Richtungen  der  Niveaulinien  eines  homogenen,  die  ganze 
Glasschale  einnehmenden  elektrischen  Feldes. 

Kurz  dauerndeEinwirkung  des  Stromes  auf  befruchtete 
Eier  bildet  bloss  die  Polfelder  ohne  Niveauringe  aus.  Selbst  bei 
wenig  längerer  Durchströmung  kommt  es  vor,  dass  erst  nach  der 
Unterbrechung  des  Stromes  die  besondere  Färbung  und 
manchmal  doppelte  Contourirung  der  Niveauringe  entsteht 

Bei  längerer  Dauer  der  Einwirkung  eines  starken 
Stromes  dagegen  steigern  sich  die  Veränderungen  eine  Zeit 
lang;  es  treten  grössere  Flecken  auf,  und  selbst  auf  der  oberen 
schwarzen  Hemisphäre  entstehen  grosse,  weisse  Flecken 
(Extraovate),  die  von  den  Niveaulinien  sich  auf  das  Gebiet 
des  Äquatorgürtels  überlagern  können. 

Die  Grösse  derPolfelder  hängt  auch  an  reifen,  befruch- 
teten und  unbefruchteten  Eiern  ceteris  paribus  von  der 
Qualität  der  Eisubstanz  ab;  dies  macht  sich  am  Ende  der 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  43 

Laichperiode,  wo  die  Eier  schon  etwas  gelitten  haben,  besonders 
bemerkbar;  indem  in  denselben  Niveauflächen  neben  einander 
liegende  Eier  gleicher  Grösse  erhebliche,  unregelmässige 
Ungleichheiten  in  der  Breite  des  Äquatorgürtels  darbieten. 
Diese  Verschiedenheiten  sind  jetzt  am  Ende  der  Laichperiode  von 
Rana  fusca  so  gross,  dass  sie  den  Versuch,  die  Wirkung  der 
Grösse  der  Eier  auf  die  Grösse  der  Polfelder  festzustellen,  erfolg- 
los machten,  indem  an  durch  einander  gesäten  Eiern  verschie- 
dener (aber  bloss  zwischen  18  bis  2'bmm  wechselnder)  Grösse 
keine  constante  Verschiedenheit  sich  feststellen  Hess. 

An  zwischen  Glasplatten  zusammengepressten, 
unbefruchteten  Eiern  entstehen  auch  bei  erheblicher  Deformation 
noch  die  Polfelder;  aber  ihre  Ränderbieten,  wie  im  ersten  Theil 
bereits  erwähnt,  von  den  normalen  Niveaucurven  eines  homo- 
genen Feldes  mannigfach  abweichende  Richtungen  dar.  Bei 
dem  Pressen  platzt  das  Ei  oft  auf;  an  den  so  entstandenen,  in 
der  Gallerthülle  eingeschlossenen,  mit  dem  Eie  noch  zusammen- 
hängenden Extraovaten  konnte  ich  jedoch  keine  sichere 
Polarisation  wahrnehmen,  weder  eine  selbstständige,  vom  Eie 
unabhängige,  noch  eine  mit  ihm  in  Verbindung  stehende,  wie 
sie  zu  erwarten  wäre,  wenn  die  Niveaulinien  des  Eies  gerade 
die  Richtung  auf  das  Extraovat  hin  hatten. 

Die  früher  mitgetheilten,  beim  Durchströmen  während  der 
ersten  oder  zweiten  Furchung  entstehenden  Verwer- 
fungen der  Theile  des  Äquatorgürtels  gegen  einander  werden 
um  so  geringer,  je  stärker  der  Strom  ist 

Auch  längere  Zeit  nach  der  Durchströmung  der  Eier 
finden  noch  mannigfache  Veränderungen  in  den  Eiern  statt,  die 
als  Folgen  der  Durchströmung  aufzufassen  sind.  So  zersetzte 
sich  zum  Beispiel  die  Substanz  der  Äquatorscheiben  unter 
Vacuolisirung  und  Fleckenbildung  in  einer  Weise,  wie  sie  auch 
sonst,  aber  nur  an  älteren  Eiern  vorkommt;  bei  noch  jungen  Eiern 
fand  sie  sich  bloss  an  den  mit  Polfeldem  versehenen  Eiern, 
während  andere  Eier  derselben  Schale,  die  am  Rande  der  Schale 
standen  und  keine  Polfelder  gebildet  hatten,  drei  Tage  lang  ihr 
normales  Aussehen  behielten.  Die  Pol  fei  der  selber  dagegen 
erscheinen  weniger  veränderlich;  im  Bereiche  der  geraden 
Kraftlinie  sind  sie  nach  der  Behandlung  der  Eier  mit  starkem 


44  W.  Roux, 

Strome  ganz  unveränderlich,  also  wohl  todt;  während,  wie 
früher  mitgetheilt,  an  den  breiten  Äquatorgürteln  in  derselben 
Schale  seitlich  stehender  Eier  sogar  noch  die  erste  Furchung 
auftrat.  Die  Äquatorscheiben  stellen  also  die  am  wenigsten 
veränderte  Substanz  dar. 

Die  Fähigkeit  der  Eier  in  der  beschriebenen  Weise  auf 
den  Strom  zu  reagiren,  erhält  sich  an  den  aus  dem  Körper 
entnommenen  Eiern  ziemlich  lange.  So  boten  in  Wasser 
versetzte,  unbefruchtete  Eier  sie  noch  nach  iVg  Tagen  dar. 
Und  Eier  von  vor  drei  bis  vier  Tagen  getödteten  und  mit 
eröffnetem  Leibe  gelegenen  Weibchen,  deren  Eier  zum  Theil 
an  die  Uteruswandung  angetrocknet  waren,  bildeten  noch  die 
Niveauringe,  obgleich  die  zur  Probe  besamten  aber  nicht 
durchströmten  Eier  sich  nicht  furchten,  also  nicht  mehr  ent- 
wickelungsfähig  waren. 

Dagegen  verlieren  die  Eier  durch  vier  Minuten 
langes  Einlegen  in  Wasser  von  45 — 46**  dies  Vermögen 
auf  den  Strom  zu  reagiren;  wohl  ein  Zeichen,  dass  gleichwohl 
diese  Reaction  an  Lebenseigenschaften  der  Eier  gebunden  ist. 

Die  während  der  vorstehend  mitgetheilten  Versuche  ent- 
wickelten Embryonen  gaben  Gelegenheit,  auch  an  weiteren 
Entwicklungsstufen  die  Wirkung  des  Wechselstromes  zu 
Studiren.  Es  zeigte  sich,  dass  an  noch  in  ihrer  Gallerthülle 
befindlichen  Froschembryonen,  sei  es  mit  noch  offenem  oder 
mit  schon  geschlossenem  Medullarrohr,  ja  auch  sogar  an  schon 
seit  einigen  Tagen  ausgeschfüpften  freien  Embryonen  der 
Wechselstrom  scharf  abgegrenzte  Polfelder  hervorbringt,  die 
durch  einen  anscheinend  unveränderten  Äquatorgürtel  getrennt 
sind.  Doch  bleibt  bei  schon  ausgeschlüpften  Embryonen 
manchmal  die  scharfe  Begrenzung  der  Polfelder  gegen  das 
Äquatorfeld  aus.  Im  Bereiche  der  Polfelder  tritt  leichte  graue 
Verfärbung  auf,  die  anscheinend  auf  Rundung  der  Epithelzellen, 
besonders  der  farblosen,  und  auf  allmäligem  Abfall  derselben 
beruht:  eine  dem  Tode  des  Embryo  vorausgehende  Veränderung, 
die  ich  alsFramboisia  embryonalis  finalis  minor  bezeich- 
net habe.  *  Diese  Veränderung  setzt  sich  auch  nach  dem  Auf- 

1  Vergl.  W.  Roux,  Beiträge   zur   Entwickelungsmechanik    des    Embryo. 
Nr.  I,  Zeitschr.  für  Biologie,  Bd.  XXI,  N.  F.  Ill,  1885. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  45 

hören  der  Durchströmung  noch  fort  unter  Verschärfung  der 
Abgrenzungslinien  der  Polfelder  gegen  den  unveränderten 
Äquatorgürtel.  Hat  man  bei  starker  Anordnung  zu  lange 
durchströmt,  so  greift  die  Framboisia  minor,  wie  sonst  beim 
Absterben,  rasch  auf  den  ganzen  Embryo  über,  und  man 
übersieht  alsdann  leicht  die  zuerst  vorhanden  gewesene  polare 
Localisation  der  Veränderung.  Werden  jüngst  ausgeschlüpfte 
oder  durch  Scheerenschnitt  etwas  vor  der  Zeit  zur  Welt 
gebrachte  Embr>'onen  in  dicke  Lösung  von  Gummi  arabicum 
gethan  und  durchströmt,  so  sieht  man  an  den  den  Elektroden 
nächsten  Stellen  die  Zellen  sich  runden,  aber  nur  wenige 
abfallen;  eine  deutliche  Grenze  der  veränderten  Theile  gegen 
ein  unverändertes  mittleres  Feld  ist  jedoch  nicht  wahrnehmbar, 
obgleich  gleichalterige  Embr>'^onen  derselben  Abkunft,  zur 
Probe  in  Wasser  durchströmt,  ein  scharf  begrenztes  Äquatorfeld 
darbieten.  In  Wasserglas  gelegte  Embryonen  bilden  auch  ohne 
Durchströmung  sofort  starke  universelle  Framboisie.  Ist  das 
Wasserglas  aber  beim  Einlegen  des  Embryo  schon  durchströmt, 
so  ist  die  alsdann  auch  in  längerer  Zeit  eintretende  Epithel- 
ablösung nur  gering,  so  dass  zu  schliessen  ist,  die  Epithelzellen 
werdenjetzt  meist  sofort  getödtet,  ehe  sie  noch  Zeit  hatten,  sich 
in  sich  selber  zusammenzuziehen.  Die  bei  der  Framboisia  minor 
von  den  Embryonen  abgefallenen  Epithelzellen  werden  gewöhn- 
lich durch  typische  Strömungen  an  zwei  Stellen  der  Umgebung 
des  Embryo  angehäuft,  nämlich  in  der  Umgebung  der  Schwanz- 
spitze und  in  der  Umgebung  der  beiden,  dicht  bei  einander 
befindlichen  Haftnäpfe. 

Die  Breite  des  Äquatorgürtels  der  Embryonen  wächst 
ceteris  paribus  mit  der  in  Richtung  des  Stromes  gemessenen 
Länge  des  Embryo  (also  mit  l.  cos  a,  wenn  a  den  Winkel  zwischen 
Stromrichtung  und  Embryo  bezeichnet);  dieses  Wachsthum 
ist  aber  keineswegs  proportional  dieser  Länge;  das  geht  auch 
schon  daraus  hervor,  dass  der  Äquator  meist  parallel  contourirt 
ist,  obgleich  die  Embryonen  an  beiden  Seiten  convex  sind.  Der 
Äquator  steht  also  nicht  etwa  in  einem  bestimmten  Verhältniss 
zu  der  von  jedem  Stromfaden  durchsetzten  intraembryonalen 
Länge,  sondern  mehr  zu  Verhältnissen  der  äusseren  Con- 
figuration. 


46  W.  Roux, 

Die  Breite  des  Äquatorgürtels  der  Embryonen  nimmt  ferner 
mit  der  Abnahme  der  Stromstärke  zu.  Bei  schwächerem  Strom 
werden  also  ceteris  paribus  die  Polfelder  kleiner,  während  der 
Äquatorgürtel  entsprechend  an  Breite  gewinnt,  so  dass  schliess- 
lich bloss  noch  die  beiden  äussersten,  den  Elektroden  zuge- 
wandten Enden  die  Framboisie  darbieten.  Bei  weiterer  Strom- 
schwächung ist  dann  keine  morphologische  Wirkung  mehr 
wahrnehmbar,  sondern  es  finden  an  schon  genügend  weit 
entwickelten  Embryonen  bloss  Zuckungen  statt.  Dieses  dem 
früher  über  die  Eier  Mitgetheilten  entsprechende  Verhalten  der 
Embryonen  bekundet  also  wiederum,  dass  nur  Ströme  von 
gewisser  Stärke  die  geschilderte  morphologische  Polarisation 
der  durchströmten  bezüglichen  organischen  Körper  hervor- 
bringen, während  schwächere  Ströme  ohne  eine  solche  deletäre 
Polarisation  zu  bewirken  diese  Körper  durchfliessen.  Die  Breite 
des  Äquatorgürtels  ist  aber  ausserdem  auch  erheblich  von  der 
Gestalt  des  Embryo  abhängig. 

Für  die  Lage  des  Äquatorbandes  am  Embryo  zeigt 
sich  unter  Anderem  von  Bedeutung,  dass  das  mit  einer  Spitze 
gegen  die  nächste  Elektrode  gerichtete,  caudale  Polfeld  in 
Richtung  des  Stromes  länger  ist,  als  das  eine  stumpfere  Form 
der  Elektrode  zuwendende  andere,  cephale  Polfeld.  Die  Wirkung 
dieser  Componente  ist  sehr  bedeutend. 

Die  Intensität  der  imBereiche  der  Polfelder  stattfindenden 
Veränderungen  ist  ausser  durch  die  Intensität  des  Stromes  und 
die  Dauer  seiner  Einwirkung  wesentlich  wiederum  durch  die 
Gestalt,  sowie  durch  die  Richtung  der  Flächen  zu  den  Strom- 
fäden bestimmt.  Gegen  die  Elektrode  gewendete  Spitzen  werden 
eher  und  stärker  verändert  als  stumpfere  Flächen. 

Wenn  man  sich  die  Richtung  der  Stromfäden  von  einer  Elek- 
trode aus  vorstellt,  so  sieht  man,  dass  die  dieser  Elektrode  zuge- 
wendeten Flächen  des  nach  ihr  hin  gelegenen  Stückes  des  Embryo, 
welche  also  direct  von  den  aus  der  Flüssigkeit  in  den  Embryo 
eintretenden  Stromfäden  getroffen  werden,  eine  stärkere  Ver- 
änderung erfahren,  als  die  hinter  Vorsprüngen  des  Embryo 
gelegenen,  demselben  Polfeld  zugehörigen  Oberflächen.  Dieser 
Stromschatten  beweist  zugleich,  dass  die  im  Bereiche  der  Pol- 
felder beobachteten  Veränderungen  durch  den  Ein-  resp.  Austritt 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  47 

der  Stromfäden  veranlasst  werden.  Der  Stromschatten  ist  sehr 
ausgesprochen;  aber  die  räumliche  Ausdehnung  seines  Gebietes 
entspricht  nicht  dem  Schatten,  den  die  zuerst  von  den  Strom- 
faden des  Elektrolyten  getroffenen  Flächen  in  Richtung  dieser 
Fäden  werfen  würden;  sondern  das  der  geringeren  Veränderung 
nach  als  im  Stromschatten  befindlich  zu  erkennende  Gebiet  ist 
kleiner,  was  auf  den  Eintritt  seitlicher  Stromfäden,  also  auf 
Ablenkung  derselben  von  ihrer  eigentlichen  Richtung  hinweist. 

Auch  bis  zur  Berührung  zusammengedrängte  und  quer 
oder  schräg  zur  Richtung  der  Berührungsflächen  durchströmte 
Embryonen  werfen  auf  einander  einen  Stromschatten. 

Die  Richtung  des  Äquatorgürtels,  respective  seiner 
beiden  Grenzlinien  weicht  beiden  complicirter  gestalteten 
Embryonen  sehr  erheblich  von  den  Niveaulinien  des  um- 
gebenden homogenen  elektrischen  Feldes  ab;  diese  Abwei- 
chungen sind  bei  jungen,  noch  schwanzlosen  aber  cephal  und 
caudal  verdickten,  sowie  an  schon  mit  dem  Schvvanzstummel 
versehenen,  aber  infolge  Raummangels  in  der  Gallerthülle  seit- 
wärts gebogenen  Embryonen  erheblicher  als  bei  etwas  älteren, 
freien,  schon  gestreckten  und  ausser  den  Kiemen  keine  grösseren 
Verwölbungen  besitzenden  Embryonen.  Letztere  lassen  bei 
Stellung  in  Richtung  der  Stromlinien  oder  der  Niveauflächen 
wieder  deutlich  die  Annäherung  der  Aquatorränder  an  die  bei 
kugeligen  Gebilden  (Eiern,  Morulae  und  Blastulae)  gewon- 
nenen Potentialniveaucurven  erkennen;  bei  diesen  Stellungen 
gewinnt  man  auch  an  den  complicirter  gestalteten  jüngeren 
Embryonen  noch  bezüglich  gerichtete  Äquatorgürtel;  aber  die 
Abweichungen  sind  doch  schon  erheblicher. 

Bei  schiefer  Lage  der  Embryonen  zu  den  Kraftlinien 
erhält  das  Aquatorband  mannigfach  gebogenen  Verlauf.  Es 
können  ferner  an  den  in  der  Mitte  eingeschnürten  Embr^'onen 
zwei  wohl  contourirte  Bänder  auftreten.  Auch  Stücke  von 
lebend  zerschnittenen  Embryonen  zeigen  eine  den  mitge- 
theilten  Regeln  annähernd  entsprechende  Polarisirung  und  in 
den  Polfeldern  die  Framboisia  minor;  aber  wenn  die  Schnitt- 
fläche der  Elektrode  zugewendet  ist,  wird  von  der  Seitenfläche 
fast  bloss  der  anstossende  Epithelrand  verändert.  Dessgleichen 
bietenunvollkommenzertheilte  Embryonen  ausserordent- 


48  W.  Roux, 

lieh  mannigfach  gestaltete  Polfelder  dar.  Das  Genauere  dieser 
Verhältnisse  kann  nur  an  der  Hand  von  Abbildungen  mitgetheilt 
werden  und  verdient  vorher  noch  weitere  Beobachtung.  Wesent- 
lich ist  noch,  dass  an  Embryonen  mit  umgebogenem  Schwänze, 
die  Umbiegungsstelle  in  ihrem,  auf  den  mittleren  Stromfaden  be- 
zogen, lateralen  Theil  keinÄquatoralband  enthält,  was  wiederum 
wohl  durch  seitlich  eindringende  Stromfäden  bedingt  ist. 

Da  bei  der  polarisirenden  Wirkung  des  Stromes  voraus- 
sichtlich auch  die  Differenz  des  Leitungsvermögens  der 
organischen  Körper  und  des  Menstruums  von  Bedeutung  ist, 
so  variirte  ich  letzteres,  indem  ich  es  mehr  der  Leitungsfahigkeit 
der  Eier  zu  nähern  suchte.  Ich  verwandte  zunächst,  wie  schon 
oben  mitgetheilt,  gesättigte  Lösungen  von  Kochsalz,  von  Bor- 
säure und  von  Borax;  in  all  diesen  Lösungen  ging  an  vorher  in 
Wasser  gelegenen,  noch  in  ihrerGallerthülle  befindlichen  Frosch- 
eiern die  Bildung  der  Polfelder  vor  sich.  Da  aus  ihrer  Gallert- 
hülle ausgeschlüpfte  Embryonen  beim  Einlegen  in  Wasser- 
glas oder  in  auch  nur  57o  Kochsalzlösung  auch  ohne  Durch- 
strömung sofort  universelle  Framboisia  minor  ausbilden,  so 
sind  sie  zur  Prüfung  der  Wirkung  des  Stromes  bei  diesem  Men- 
struum  nicht  zu  gebrauchen. 

Die  gesättigte  Kochsalzlösung  hat  von  den  angewandten 
Lösungen  das  beste  Leitungsvermögen.  Aber  es  ist  wohl  daran 
zu  denken,  dass  die  an  verschiedenen  Salzen  so  reichen  Eier 
vielleicht  noch  besser  leiten;  daher  versuchte  ich30%Schwefel- 
säure,  die  ein  dreimal  besseres  Leitungsvermögen  als  gesättigte 
Kochsalzlösung  und  überhaupt  das  beste  Leitungsvermögen 
von  allen  wässerigen  Flüssigkeiten  hat.  Wenn  die  Schwefelsäure 
erheblich  besser  leitet  als  die  Eier,  dann  durfte  meiner  Meinung 
nach  keine  Polarisation  an  ihnen  entstehen.  Beim  Versuch  er- 
gab sich  zunächst,  dass  die  Schwefelsäure,  ein  starkes  Gift  für 
das  Ei,  schon  nach  30  Secunden  die  2 — 3  mm  dicke  gequollene 
Gallerthülle  durchsetzt.  Daher  verstärkte  ich  die  Versuchsan- 
ordnung ad  maximum,  so  dass  an  Eiern,  welche  in  Wasser 
durchströmt  wurden,  schon  nach  5  Secunden  die  Polfelder  zu 
sehen  waren.  Danach  Hessen  befruchtete  Eier  von  Rana  fusca, 
20  Secunden  lang  in  30  vol.  procentiger  Schwefelsäure  durch- 
strömt, keine  sicher  feststellbare  Polarisation  erkennen,  obschon 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  49 

sie  bei  gleich  darauf  vorgenommener  Durchströmung  in  Wasser 
innerhalb  kürzerer  Zeit  schön  ausgeprägte  Polfelder,  aber  nur 
von  einer  für  diese  starke  Anordnung  auffallenden  Kleinheit 
entwickelten.  Wenn  ein  in  30  vol.  procentiger  Schwefelsäure 
schwimmendes  Ei  mit  seiner  Gallerthülle  direct  die  Elektrode 
berührt,  so  scheint  eine  Spur  der  Polfelderbildung  an  ihm  statt- 
zufinden. 

Auch  bei  eine  Minute  dauernder  Durchströmung  in  30, 
ebenso  wie  noch  in  5  vol.  procentiger  Schwefelsäurelösung  ent- 
steht keine  deutlich  sichtbare  Polarisation.  In  4  vol.  procentiger 
Schwefelsäure  scheint  schon  eine  schwache  Polfelderbildung 
aufzutreten. 

In  2  vol.  procentiger  Schwefelsäurelösung  werden  dagegen 
nach  längerer  Durchströmung  deutliche,  grobgefleckte,  aber  für 
die  angewandte  Stromstärke  nur  sehr  kleine  Polfelder  gebildet. 

Es  war  nicht  zu  beurtheilen,  ob  die  Polfelder  so  klein  sind, 
weil  nur  so  wenig  Stromfaden  aus  dem  Menstruum  in  das  Ei 
treten,  oder  weil  die  Eier  durch  die  Schwefelsäure  gelitten  haben. 

In  blos  1  vol.  procentiger  Lösung  entstehen  die  Polfelder 
noch  langsam ;  die  wieder  grobe,  weisse  Fleckung  breitet  sich 
sehr  allmälig  von  den  den  Elektroden  zugewendetsten  Theilen 
der  Eier  aus,  und  die  am  Rande  des  Polfeldes  befindlichen 
Flecke  verlängern  sich  in  zum  Pole  radiärer  Richtung  und  bilden 
so  einen  typischen  Kranz.  Am  Äquator  zieht  sich  wieder  das 
Pigment  von  den  Rändern  gegen  die  Mitte  zurück.  Die  Polfelder 
entwickeln  sich  aber  seitlich  am  Eie  meist  nicht  mehr  bis  zu 
der  den  Niveaulinien  entsprechenden  Ausdehnung  und  stellen 
somit  zwei  um  die  Pole  selber  centrirte  Kappen  des  Eies  dar, 
ein  Verhalten,  welches  ich  wieder,  wie  schon  früher  an  durch 
verzögerte  Laichung  geschädigten  Eiern,  für  eine  abnorme 
Reactionshemmung  halte.  In  7^  vol.  procentiger  Schwefelsäure 
zeigt  sich  wesentlich  das  gleiche  Verhalten.  —  Messungen  des 
Leitungsvermögens  der  Eier  im  Vergleich  mit  dem  Leitungs- 
vermögen der  5  vol.  procentigen  Schwefelsäure  können  er- 
kennen lassen,  bei  wie  viel  grösserem  Leitungsvermögen  des 
Menstruums  als  dem  der  Eier  die  Polarisation  derselben  infolge 
Durchströmung  mit  einem  Strome  von  an  sich  geeigneter 
Stärke  eben  noch  entsteht. 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Cl.;  CI.  Bd.  Abth.  IK.  4 


50  W.  Roux, 

Herr  College  Wassmuth,  der  interimistische  Leiter  des 
k.k.  physikalischen  Institutes,  war  so  freundlich,  mir  löBunsen'- 
sche  Elemente  von  20  cm  Höhe  zu  leihen.  Der  mit  diesen  Ele- 
menten erzeugte  Gleichstrom  wurde  auf  die  jetzt  allein  vor- 
handenen, im  Allgemeinen  viel  empfindlicheren  Eier  des  grünen 
Wasserfrosches,  Ra^ta  esculenta  angewandt  und  Hess  bei 
Nebeneinanderschaltung,  wie  ervyartet,  auch  bei  starker  Ver- 
suchsanordnung (kleine  Schale,  Abstand  der  Elektroden  von 
bloss  1*6  cm)  innerhalb  drei  Minuten  keine  Wirkung  weder  auf 
die  Eier  noch  auf  die  Gallerthüllen  derselben  erkennen.  Daher 
wurde  weiterhin  nur  noch  mit  hintereinandergeschalteten 
Elementen  experimentirt  unter  Gewinnung  folgender  Ergebnisse: 
Die  Wirkung  dieses  Stromes  auf  die  Gallerthüllen  und  auf  die 
befruchteten  Eier  entspricht  wesentlich  der  früher  mitge- 
theilten  Wirkung  des  mit  der  Gleichstrom-Dynamomaschine  er- 
zeugten Stromes.  Zuerst  entstehen  wieder  die  gegen  die  posi- 
tive Elektrode  (Anode)  hin  gewendeten  anodischen  oder  posi- 
tiven Polfeder.  Von  oben  gesehen,  wird  der  Bereich  dieses  Feldes 
am  noch  ungetheilten  Eie  auf  einmal  leicht  graulich,  trüb,  dar- 
auf sogleich  hellbraun,  und  grenzt  sich  oben  durch  eine  deut- 
liche Furche  ab;  daraufsteigt  ein,  gewöhnlich  zungenförmiger 
Strom  der  hellbraunen  Substanz  auf  und  breitet  sich  oben 
bohnenförmig  aus,  verschwindet  aber  einige  Zeit  nach  der 
Stromunterbrechung  oder  beim  sofortigen,  behufs  Fixation  vor- 
genommenen Kochen  in  den  meisten  Fällen,  wohl  durch  Ver- 
theilen  der  ausgetretenen  Substanz  im  Eiwasser,  wieder.  Die 
Besichtigung  der  aus  der  Hülle  ausgeschälten  Eier  zeigt  das 
positive  Polfeld  unten  mit  hellen  Flecken  bedeckt,  die  durch 
ein  eckig-maschiges  Netz  schwarzbrauner  Linien  getrennt  sind. 
Dieses  anodische  Polfeld  stellt  in  seiner  Gestalt  einen  Kugel- 
abschnitt dar  und  setzt  sich  durch  seinen  oberen,  vorspringenden 
Rand  von  dem  übrigen,  oft  in  Richtung  des  Stromes  deutlich 
verlängerten,  mit  einigen  leichten  Längsfurchen  und  entspre- 
chenden Wülsten  versehenen  Theil  des  Eies  ab.  An  letzterem 
Theil  findet  sich,  dem  positiven  entgegengesetzt,  das  oft  kleinere, 
der  negativen  Elektrode  zugewendete  »negative«  oder  »katho- 
dische« Polfeld.  Dasselbe  entsteht  später  als  das  positive  und 
ist  durch  noch  rundliche  helle  Fleckchen,  die  kleiner  sind  als 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  51 

die  zuletzt  eckigen  Flecken  des  anodischen  Feldes,  charak- 
terisirt;  es  hat  meist  keine  deutliche  Grenze;  selten  ist  unten 
am  Eie  als  Grenze  eine  dunkle  Linie  oder  eine  Reihe  von 
Flecken  vorhanden.  Die  Veränderungen  sind  viel  geringer  als  am 
positiven  Felde.  Zwischen  beiden  Polfedern  liegt  der  in  seiner 
Farbe  meist  unveränderte  Äquatorgürtel.  Das  Ei  ist  oben 
manchmal  abgeplattet. 

An  unbefruchteten  Eiern  ist  die  Wirkung  des  Gleich- 
stroms wesentlich  die  gleiche;  doch  ist  die  positive  Niveaulinie 
gewöhnlich  weiss  und  der  anstossende  Äquatorrand  um  so 
dunkler;  manchmal  ist  jedoch  auch  eine  schwarze  anodische 
Niveaufurche  vorhanden.  Das  anodische  Polfeld  kann  rosetten- 
artig ausgebogen  sein.  Das  kathodische  Polfeld  ist  mit  weissen 
runden  Flecken  versehen  und  kann  einer  scharfen  Grenze  ent- 
behren. Nach  der  Ausschälung  und  Härtung  sah  ich  amÄquator 
und  kathodischen  Theile  des  Eies  von  dem  einen  auf  den  andern 
Theil  übertretend,  durch  seichte  Furchen  getrennte  Längswülste, 
vondenen  die  beiden  obersten  in  Richtung  desStromes,  die  mehr 
seitlichen  aber  etwas  nach  der  Seite  concav  verliefen,  beiderseits 
aber  symmetrisch  zu  einander  geordnet  waren.  Manchmal  hat 
das  kathodische  Polfeld  eine  deutliche  Grenze  und  ist  auch  eine 
besondere  negative  Niveaulinie  vorhanden.  Die  Summe  der 
Niveaulinien  bildet  bei  gleichmässiger  Zusammenlagerung  der 
Eier  in  der  Schale  wiederum  deutliche  Potentialniveauflächen. 

Setzte  ich  die  Elektroden  zuerst  im  Binnenraume  der  Schale 
auf  und  sodann  am  Rande  derselben,  wobei  die  neu  zwischen 
die  Elektroden  gelangten  Stellen  in  zur  früheren  fast  umge- 
kehrten Richtung  durchströmt  wurden,  so  zeigten  die  Eier  dieser 
Stellen  dann  jederseits  ein  Polfeld  vom  Charakter  des  anodi- 
schen Polfeldes,  so  dass  sich  also  die  beim  Wechselstrom  beob- 
achteten Veränderungen  leicht  aus  den  alternirend  in  entgegen- 
gesetzten Richtungen  erfolgenden  Wirkungen  des  Gleichstroms 
ableiten  lassen.  Die  ursprünglich  zwischen  den  Elektroden  ge- 
legenen' Eier  dagegen  Hessen  durch  den  zweiten,  geschwächten 
Strom  keine  diesem  Strom  entsprechende  Ausbildung  von 
neuen  Niveauringen  nach  aussen  von  den  früheren  erkennen. 

Auch  an  Eiern,  welche  in  der  ersten  und  zweiten  Thei- 
lung  begriffen  waren,  traten  wesentlich  dieselben  Veränderungen 

4* 


52  W.  Roux, 

durch  den  Gleichstrom  auf;  doch  folgte  der  aufsteigende  Sub- 
stanzstrom  den  zufällig  der  positiven  Elektrode  zugewendeten 
Furchen,  und  zwar  zunächst  getheilt  als  zwei  Ströme,  an  jeder 
Wandungsfläche  der  Furche  einen;  später  aber  vereinigen  sich 
die  neben  einander  aufgestiegenen  hellbraunen  Massen. 

An  Gastrulae  bewirkte  der  Gleichstrom  nur  geringe  Ver- 
änderung; man  sah  ein  leicht  grau  verfärbtes,  aber  grosses, 
kathodisches,  ein  anscheinend  kleineres  anodisches  Pol- 
f  e  1  d,  welche  beide  einen  seine  schwarze  Farbe  behaltenden,  wenig 
scharf  begrenzten  Äquatorgürtel  zwischen  sich  fassten.  An  den 
Polfeldern  selbst  entstand  bloss  Rauhigkeit  mit  einigem  Epithel- 
abfall combinirt.  Wenn  bereits  die  Medullarplatte  an  der 
Gastrula  vorhanden  ist,  so  durchsetzt  der  Äquatorgürtel  mit 
seinen,  Niveauringe  darstellenden  Grenzen  diese  Anlage  des 
Centralnervensystemes  ohne  jede  Unterbrechung  oder  Rich- 
tungsänderung. Durch  besondere  Veränderungen  ausgezeich- 
nete Niveauringe  oder  gar  Niveaufurchen  entstehen  gleichfalls 
nicht  im  Bereiche  der  Anlage  des  Centralnervensystemes. 

Noch  in  der  Gallerthülle  befindliche  Embryonen  mit  soeben 
geschlossenem  Medullarrohr  zeigten  dieselben  Veränderungen, 
aber  intensiver,  mit  stärkerem  Epithelabfall.  Das  positive  Pol- 
feld wurde  zuerst  weisslich,das  negative  schien  wieder  grösser. 
Schon  ausgeschlüpfte,  sogar  mit  Kiemenfäden  versehene  Em- 
bryonen bekamen  unter  Wirkung  des  Gleichstroms  die  beim 
Wechselstrom  ausführlich  nach  Ausdehnung,  Lage  und  Rich- 
tung erörterten  Erscheinungen  derFramboisia  minor  im  Bereiche 
der  Polfelder. 

Zur  Vervollständigung  des  früher  über  die  Wirkung  des 
Stromes  auf  die  Richtung  der  normalen  ersten  Thei- 
lungsebene  des  Eies  mitgetheilten,  bloss  mit  dem  Wechsel- 
strome angestellten  Versuches,  wiederholte  ich  jetzt  dasselbe 
Experiment  mit  dem  maximalen  ertragenen  Gleichstrom. 
Die  Durchströmung  begann  2  Stunden  nach  der  Befruchtung 
und  dauerte  1  7*  Stunden  bis  zum  Auftreten  der  ersten  Furche. 
Der  Strom  war  gerade  so  stark,  dass  die  der  Elektrode  nächsten 
Eier  noch  kleine  Polfelder  bildeten.  Die  ersten  Furchen  waren 
jedoch  wieder  wie  beim  Wechselstrom  vollkommen  atypisch 
gerichtet,  und  Hessen  somit  trotz  1  '/^stündiger  Wirkungsdauer 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  53 

in  ihrer  Richtung  keine  Beziehung  zu  den  Kraftlinien  des  Strom- 
feldes erkennen.  Damit  ist  dargethan,  dass  auch  der  Gleich- 
strom auf  die  Richtung  der  ersten  Theilung  des 
Furchungskernes  und  des  Eileibes  eine  bestimmende 
Wirkung  nicht  auszuüben  vermag. 

Bei  Ausdehnung  der  Versuche  mit  dem  Wechselstrom  auf 
andere  organische  Objecte  ergab  sich  zunächst  ein  positives 
Resultat  an  der  noch  lebenden  Gallenblase  des  Frosches. 
Dieses  annähernd  kugelig  gestaltete,  5 — 7  mm  grosse  Gebilde 
lieferte  nach  Unterbindung  des  Ausführungsganges,  bei  praller 
Füllung  Polfelder,  deren  Grenzen  typische  Niveauflächen  des  um- 
gebenden Elektrolyten  darstellen.  Je  nach  der  Dicke  der  Wandung 
kann  man  nach  1 — 4  Minuten  die  den  beiden  Polen  nächsten 
Theile  durch  grüne  Farbe  von  dem  blaugrauen  Mittelstück  sich 
abheben  sehen;  bei  fortgesetzter  Durchströmung  breitet  sich 
die  diesen  Farbenwechsel  bedingende  Exosmose  der  Galle 
weiter  aus;  die  grünen  Polfelder  werden  allmälig  grösser,  um 
dann,  bei  nicht  zu  starkem  Strome  auf  gewisser  Grösse  stehen 
zu  bleiben,  so  dass  das  zwischen  ihnen  gelegene  unveränderte 
Äquatorband  eine  constante  Breite  erhält,  welche  in  einem  um- 
gekehrten Verhältniss  zur  Stromstärke  steht.  Ist  die  Anordnung 
sehr  stark,  so  verschmelzen  beide  Polfelder  zuletzt  in  der  Mitte 
mit  einander.  Ist  umgekehrt  der  Strom  sehr  schwach,  so  bleiben 
die  Polfelder  sehr  klein,  um  bei  gewisser  Schwäche  des  Stromes 
überhaupt  nicht  zu  entstehen.  Der  Strom  durchfliesst  dann  also 
wieder  den  Gegenstand,  ohne  ihn  in  der  beschriebenen  Art  zu 
polarisiren.  Ist  das  Wasser  ein  wenig  mit  Schwefelsäure,  wenn 
auch  nur  sehr  schwach  eingesäuert,  so  vollzieht  sich  die  ganze 
Veränderung  in  wenigen  Secunden  und  die  Polfelder  werden 
statt  dunkel-,  hellgrün.  Durchströmt  man  eine  in  Wasser  durch- 
strömte, bereits  polarisirte  Gallenblase  zum  zweiten  Male,  recht- 
winkelig zur  früheren  Richtung,  so  bildet  sich,  aber  erst  nach 
längerer  Durchströmung  als  vorher,  auf  den  jetzt  polaren  Seiten 
des  Äquatorgürtels  ein  grünes  Feld,  jedoch  bloss  in  der  Mitte 
des  Äquatorbandes  aus;  die  seitlichen  Ränder,  also  die  den  Pol- 
feldern der  ersten  Durchströmung  anliegende  Zone  des  Äqua- 
tors, bleibt  blaugrau,  sie  wird  also  nicht  mehr  diffusibel  durch 
den  Strom.  Während  Erwärmen  einer  lebenden  Gallenblase  auf 


54  W.  Roux, 

52*'  C,  wohl  durch  Tödtung  des  Epithels,  bewirkt,  dass  schon 
nach  4  Minuten  die  ganze  Gallenblase  grün  ist,  waren  auch  da- 
durch die  letzterwähnten,  bei  der  zweiten  Durchströmung  un- 
veränderlich gebliebenen  Niveauringe  nicht  mehr  für  die  Galle 
diffusibel  zu  machen.  Die  gleiche  Reation  gibt  die  prallgefüllte, 
unterbundene  Gallenblase  ganz  junger  Kaninchen,  wenn 
man  sie  quer  oder  schräg  zum  Strom  stellt  Diese  Gallenblasen 
sind  länglich  (9 — 11  mm  lang,  2 — ^mm  dick).  Bei  Längsein- 
stellung derselben  im  Strom  konnte  ich  mit  meinem  Wechsel- 
strom keinen  scharf  abgegrenzten  Äquator  mehr  hervorbringen, 
wohl  aber  in  den  anderen  genannten  Einstellungen.  Bei  schräger 
Einstellung  entsteht  das  Polfeld  jederseits  zuerst  an  der  der 
Elektrode  nächsten  Stelle  des  gewölbten  Endes  der  Blase  und 
breitet  sich  von  da  aus  längs  der  Seitenkanten  sowie  nach  oben 
und  unten  aus,  ohne  aber  das  andere  Ende  der  Blase  zu  er- 
reichen. Daraus  ergibt  sich,  dass  an  jedem  seitlichen  Ende  bloss 
ein  Polfeld  vorhanden  ist,  und  dass  der  Äquator  daselbst  eine 
Stelle  einnimmt,  welche  fast  direct  gegen  eine  Elektrode  gewendet 
ist.  Die  einander  parallelen  Grenzen  der  Polfelder  entsprechen 
dabei  nicht  mehr,  wie  an  der  runden  Gallenblase  und  an  den 
runden  Eiern  des  Frosches,  den  Niveaulinien  des  umgebenden 
elektrischen  Feldes,  sondern  sie  entsprechen  dem  oben  für  die 
länglichen,  aber  sonst  einfach  gestalteten  Embryonen  Mitge- 
theilten.  Die  Gallenblasen  von  Hühnern  und  Tauben  sind  sehr 
dickwandig;  darauf  beruht  es  vielleicht,  dass  ich  auch  nach 
Verkleinerung  der  Blase  durch  Abschnüren  von  Theilen  der- 
selben, keine  deutlich  abgegrenzten  Polfelder  erhielt,  selbst 
nicht,  nachdem  ich  ihre  Wandung  durch  Einlegen  in  warmes 
Wasser  geschwächt  hatte.  (Vergl.  Taf.  I,  Fig.  12  und  Erklärung.) 
Auch  das  Frosch  herz  lässt  bei  derselben  Versuchsanord- 
nung eine  polar  localisirte  Reaction  erkennen.  Die  Polabschnitte 
werden  tonisch  contrahirt  und  sind  daher  blass,  die  nicht  con- 
trahirte  rothe  Äquatorscheibe  lässt  annähernd  die  Richtung  von 
Niveauflächen  hervortreten,  besonders  deutlich,  wenn  man  drei 
Herzen  zugleich  in  concavem  Bogen  um  eine  Elektrode  gru- 
pirt.  Das  Herz  mag  seine  Spitze,  Basis  oder  eine  Seitenfläche 
der  Elektrode  zuwenden,  die  drei  Äquatorscheiben,  von  denen 
jede  durch  die  ganze  Herzsubstanz  durchgeht,  bilden  zusammen 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  5o 

ziemlich  gut  die  Krümmung  der  Potentialniveauflächen  dieser 
Stelle  des  elektrischen  Feldes.  Doch  liegt  hier  keine  morpho- 
logische, dauernde,  sondern  nur  eine  functionelle  polar localisirte 
Veränderung  vor,  beruhend  auf  der  polaren  Muskelerregung  im 
Sinne  von  Hering,  Biedermann  und  Anderen.  Immerhin  ist 
für  uns  die  übereinstimmende  Localisation  von  Interesse,  wenn- 
gleich diese  Localisation  zum  Theil  anders  bedingt  sich  zeigt, 
indem  sie  auch  auf  die  Schattenseiten  übergreift. 

Nach  diesen  Befunden  lag  natürlich  die  Vermuthung  nahe, 
dass  vielleicht  auch  in  anderen  organischen,  lebenden  oder 
todten  Gebilden,  wenn  nicht  auch  in  anorganischen  Körpern 
der  elektrische  Strom  bei  geeigneter  Spannung  und  Stärke  für 
die  Qualität  und  Grösse  des  durchströmten  Objectes  und  für  die 
Grösse  der  Differenz  des  Leitungsvermögens  zwischen  Men- 
struum  und  Object  eine  der  beschriebenen  entsprechende  Polari- 
sation unter  Zerlegung  des  Objectes  in  zwei  Polabschnitte  inten- 
siverer Wirkung  und  einen  zwischen  ihnen  gelegenen  Abschnitt 
geringster  Wirkung,  eventuell  noch  unter  besonderer  Äusserung 
an  den  oberflächlichen  Grenzlinien  der  drei  Abschnitte  her- 
vorbringt Es  ist  aber  nicht  zu  erwarten,  dass  alle  lebenden  Ob- 
jecte  vermögen,  so  sichtbar  darauf  zu  reagiren,  wie  die  Frosch- 
eier es  durch  Bildung  veränderter  Polfelder  und  Bildung  be- 
sonders gefärbter  Niveaugrenzlinien,  respective  wirklicher  Fur- 
chen thun,  wie  es  ferner  die  jungen  Froschembryonen  durch  das 
Verhalten  der  Epithelzellen,  sich  in  sich  zu  contrahiren  und 
daher  den  epithelialen  Verband  zu  lösen  bekunden,  wie  sie  die 
Wandung  der  Gallenblase  durch  ihre  Eigenschaft,  im  Bereich 
der  Polfelder  diffusibel,  im  Bereiche  der  Niveaulinien  aber  imper- 
meabel zu  werden  erkennen  lässt,  und  wie  es  das  Froschherz 
durch  Contraction  im  ganzen  Bereiche  der  Polabschnitte  thut. 

Obschon  zu  vermuthen  ist,  dass  alle  Organe  des  e  r- 
wachsenen  Frosches  und  anderer  erwachsener  Wirbelthiere 
von  den  Physiologen  dem  elektrischen  Strom  unterworfen 
worden  sind,  ohne  dass  jedoch  ein  hieher  gehöriges  Resultat 
mir  bekannt  wäre,  so  veranlasste  mich  doch  der  neue  Befund  an 
der  Gallenblase,  diese  Prüfung  mit  meinem  Strom  und  meiner 
Versuchsanordnung  nochmals  vorzunehmen.  Ich  durchströmte 
daher  mit  dem  Wechselstrom  die  Milz,  Stücke  der  Leber,  der 


56  W.  Roux, 

Haut,  der  Nerven  und  das  Auge,  ohne  dass  eine  sichtbare  po- 
lare Veränderung  auftrat.  Um  eventuell  entstandene  unsichtbare 
Verschiedenheiten  nachträglich  sichtbar  zu  machen,  legte  ich  die 
Organe  in  die  zur  Färbung  der  Gewebe  üblichen  Farbstoff- 
lösungen, indess  ohne  Erfolg.  Auch  wenn  die  Organe  schon 
während  der  Durchströmung  in  der  Farbstofflösung  lagen,  war 
keine  polare  Färbungsdifferenz  bei  der  blossen  Loupenbesich- 
tigung  wahrzunehmen.  Die  mikroskopische  Untersuchung  der 
Objecte  steht  noch  aus.  Dessgleichen  Hessen  mit  Farbstoff- 
lösung prall  gefüllte  abgeschnürte  Theile  der  Harnblase  und  der 
Lunge  des  Frosches  nach  der  Durchströmung  keine  polar 
localisirten  Veränderungen  erkennen. 

III.  Abschnitt. 

Nachdem  in  den  vorstehenden  beiden  Mittheilungen  einige 
neue  Erscheinungen  in  der  Reihenfolge  ihrer  Ermittelung  vor- 
geführt worden  sind,  ist  es  unsere  Aufgabe,  ihnen  ihren  Platz 
unter  den  Gruppen  bereits  bekannter  Erscheinungen  anzu- 
weisen. Da  kann  wohl  kein  Zweifel  sein,  dass  wir  es  in  diesen 
typisch  gestalteten  Reactionen  der  Froscheier  und  -Embryonen 
auf  den  elektrischen  Strom  mit  Veränderungen  zu  thun  haben, 
die  sich  trotz  mannigfacher  neuer,  fremder  Züge  aufs  Engste 
an  die  Entdeckung  W.  Kühnes*  anschliessen,  dass  die  Pro- 
tisten durch  den  elektrischen  Strom  polar  erregt  und  eventuell 
auf  der  Polseite  zerstört  werden. 

Reizte  Kühne  eine  Amöbe  mit  dem  Gleichstrom,  so  wurde 
der  der  Anode  zugewendete  Theil  der  Amöbe  trüb  und  ver- 
wandelte sich  in  eine  wie  körniger  Sago  aussehende  Substanz. 
Der  der  Kathode  zugewendete  Theil  dagegen  zeigte  in  seinem 
Innern  und  an  seiner  Oberfläche  vielfache  Blasenbildung.  Auch 
die  von  Kühne  beobachtete,  nicht  deutlich  polare  Reaction  der 
Amöbe  auf  den  Inductionsstrom  ist  für  uns  von  Bedeutung. 
Wurde  eine  Amöbe  wiederholt  mit  nicht  zu  starken  Inductions- 
strömen  gereizt,  so  contrahirte  sie  sich  zu  einer  bewegungslosen 
Kugel,  welche  undurchsichtig  und  trüb  wurde  und  endlich  einen 
kugelig  geronnenen  Klumpen  darstellte.  Bei  Reizung  mit  einem 

1  W.  Kühne,  Untersuchungen  über  das  Protoplasma  und  die  Contrac- 
tilitat,  Leipzig,  1864. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  57 

Starken  Strom  platzte  da^  Thier  und  entleerte  seinen  Inhalt  zum 
grossen  Theil. 

Noch  bedeutsamer  sind  für  uns  die  Beobachtungen  W. 
Kühne's  an  Actinophrys  Eichhornii  (p.  56  u.  f.).  Auf  Ein- 
wirkung eines  schwachen  Inductionsstromes  werden  bei  diesem 
Protist  bloss  die  gegen  die  Elektroden  gewendeten  Fortsätze  ein- 
gezogen, während  die  seitlich  am  Thier  entspringenden,  recht- 
winkelig zum  Strom  orientirten  Fortsätze  unverändert  bleiben. 
Auch  zerplatzen  nur  auf  den  Polseiten  des  Thieres  die  Blasen 
der  Rindensubstanz  desselben.  Wo  der  Strom  eintritt,  ist  selbst 
bei  minimaler  Reizung  die  Erscheinung  ebenso  wie  da,  wo  er 
austritt;  und  nur  diejenigen  Randtheile,  deren  Strahlen  recht- 
winkelig zur  Stromrichtung  stehen,  bedürfen  mächtigerer  Rei- 
zungen, um  in  Bewegung  zu  gerathen  (p.  59).  Im  Gleichstrom 
wird  der  der  Anode  zugewendete  Theil  des  Organismus  einge- 
schmolzen, zerfällt  zu  einem  Brei,  während  der  kathodische 
Theil  (beim  Einschleichen  in  den  Strom)  unverändert  bleibt. 
Beim  raschen  Stromschluss,  sowie  beim  Unterbrechen  des 
Stromes  fand  an  diesem  Theile  Einziehung  der  Pseudopodien 
und  Platzen  einiger  Blasen  statt.  Die  zum  Strome  rechtwinkelig 
stehenden  Strahlen  bleiben  jedoch  auf  dem  wohlerhaltenen  seit- 
lichen Rande  des  Protist  stehen,  sofern  nicht  besonders  starke 
Ströme  verwendet  werden.  Ausser  der  Einziehung  der  Pseudo- 
podien, dem  Zerplatzen  der  Blasen  führt  Kühne  auch  den  Zer- 
fall auf  der  Anodenseite  des  Thieres  auf  Contraction  des  Proto- 
plasmas zurück. 

Auch  für  Nerven  und  Muskeln  ist  die  polare  Natur. der 
elektrischen  Erregung  dargethan.  Pflüger,  v.  Bezold,  Engel- 
mann, Hering,  Biedermann  u.A. haben  das  Gesetz  erwiesen, 
dass  die  Erregung  bei  der  Schliessung  des  galvanischen  Stromes 
von  der  Kathode,  bei  Öffnung  von  der  Anode  ausgeht. 

Der  in  diesen  Angaben  sich  aussprechende  Gegensatz 
zwischen  der  specifischen  Localisation  der  Schliessungs-  und 
ÖfTnungserregung  an  den  Polen  bei  dem  erwähnten  Protist 
gegenüber  dem  Verhalten  der  Nerven  und  Muskeln  wurde  be- 
stätigt durch   eine  jüngste  Arbeit  Max  Verworrns,*  welcher 

1  M.  Verworrn,  Die  polare  Erregung  der  Protisten  durch  den  gal- 
vanischen Strom.  Pflüger's  Archiv  f.   Physiologie,  Bd.  45  u.  46. 


58  VV.  Roux, 

Autor  an  einer  ganzen  Reihe  von  Protisten  die  Angabe  Kühne's 
bestätigte.  Doch  fand  er  auch  einige  Flagellaten  und  Ciliaten, 
welche  nebst  den  Bakterien  auf  der  Kathodenseite  die  Schlies- 
sungserregung darbieten.  Bei  Anwendung  deslnductionsstromes 
beobachtete  Verworrn  gleich  Kühne  auf  beiden  Polseiten 
einen  körnigen  Zerfall,  während  der  mittlere  Theil  des  ein- 
zelligen Organismus  zunächst  unverändert  blieb. 

Meine  mitgetheilten  Versuche  mit  dem  Gleichstrom  zeigten, 
dass  die  Froscheier  ähnlich  Actinosphärium  bei  geschlossenem 
Strome  zuerst  und  am  stärksten  auf  der  Anodenseite  alterirt 
werden,  und  dass  erst  erheblich  später  eine  weniger  starke 
und  oft  weniger  scharf  begrenzte  Veränderung  auf  der  Katho- 
denseite stattfindet. 

Über  die  besondere  Wirkung  des  Stromschlusses,  respec- 
tive  der  Stromunterbrechung  habe  ich  keine  Versuche  gemacht, 
was  bei  der  von  mir  beobachteten  Reactionsweise  wohl  auch 
schwerer  möglich  gewesen  wäre,  immerhin  aber  durch  Ein-  und 
Ausschleichen  hätte  geschehen  können.  Meine  Versuche  sollen 
nicht  die  Beispiele  über  die  specielle  Localisation  der  Schlies- 
sungs-  oder  Öffnungsveränderung  auf  die  Kathoden-  oder 
Anodenseite  vermehren;  sondern  der  Schwerpunkt  derselben 
liegt  in  der  neuen  Art  der  Reaction  eines  auch  noch  nicht  als 
reactionsfähig  bekannt  gewesenen  lebenden  Materiales,  beson- 
ders aber  in  der  scharf  umgrenzten,  typisch  gestalteten  Loca- 
lisation dieser  Reaction,  welche  letztere  bei  unserem  Material 
so  scharf  umschrieben,  so  bestimmt  gestaltet  auftritt,  dass  sie 
unwillkürlich  zur  eingehenderen  Betrachtung  und  zur  Frage 
nach  ihren  Ursachen  auffordert  und  vielleicht  auch  den  Physio- 
logen Gelegenheit  geben  wird,  den  Ursachen  der  polaren  Natur 
der  elektrischen  Erregung  etwas  näher  zu  treten. 

Es  wird  zunächst  unsere  Aufgabe  sein,  die  Ausdehnung 
des  Vorkommens  bezüglicher  Veränderungen  des  Weiteren  zu 
ermitteln  und  zugleich  festzustellen,  ob  etwa  noch  Variationen 
der  Art  und  Localisation  auftreten,  welche  uns  einen  weiteren 
Blick  in  das  Wesen  der  Vorgänge  zu  thun  gestatten. 

Da  jedoch  die  besprochenen  Reactionen  embrj'onaler  Proto- 
plasten auf  den  elektrischen  Strom  mit  denjenigen  Vorgängen, 
auf  welchen,  die  mich  speciell  angehenden  normalen  Gestal- 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  59 

tungen  der  Organismen  beruhen,  nur  in  geringer  Beziehung  zu 
stehen  scheinen,  so  beabsichtige  ich  nicht,  die  neuen  Erschei- 
nungen bis  in's  Letztmögliche  zu  verfolgen. 

Ehe  wir  weiterschreiten,  seien  einige  Termini  erläutert, 
deren  Gebrauch  die  Darstellung  in  diesem  grösseren  Abschnitte 
verkürzen  wird. 

Unter  den  Polen  eines  durchströmten  Gebildes  wird  jeder- 
seits  die  der  Elektrode  dieser  Seite  nächste,  also  gegen  die 
Elektrode  vorspringende  Stelle  verstanden.  Die  Polseiten 
sind  die  gegen  die  Elektroden  gewendeten  Seiten  eines  Ge- 
bildes. Als  Polmeridiane  werden  die  über  die  Oberfläche  des 
betreffenden  Gebildes  von  Pol  zu  Pol  gezogenen  Linien  mini- 
maler Krümmung  benannt.  Das  Polfeld  bezeichnet  den  Pol 
und  dessen  Umgebung,  wenn,  respective  soweit  die  Theile  durch 
den  Strom  polar  verändert  worden  sind.  Polabschnitt  sei 
der  Abschnitt  des  durchströmten  Objectes,  der  etwa  durch  eine 
Fläche  minimaler  Krümmung  abgetrennt  wird,  welche  durch 
die  Grenzlinie  oder,  wenn  sie  vorhanden  ist,  durch  die  Grenz- 
furche des  Polfeldes  hindurch  gelegt  werden  kann.  Die  beiden 
Flächen  fassen  zwischen  sich  die  Aquatorscheibe.  Wenn 
vom  Äquator  gesprochen  wird,  so  ist  immer  der  von  den  Pol- 
feldern flankirte  mittlere  Theil  der  Oberfläche  des  durchströmten 
Gebildes,  also  genauer  der  elektrische  Äquator  gemeint;  und 
unter  der  Breite  des  Äquators  verstehen  wir  immer  seine 
Ausdehnung  in  Richtung  des  Stromes.  Da  letzterer  bei  unserer 
wagrechten  Anordnung  der  Elektroden  zu  einander,  und  bei 
der  wagrechten  Stellung  unserer  Schalen  immer  in  wagrechter 
Richtung  verläuft,  so  ist  der  Äquator,  soweit  er  Niveauflächen- 
richtung des  ganzen  Feldes  hat,  immer  senkrecht  orientirt. 

Bei  Anwendung  des  Gleichstroms  wird  das  der  Anode  zu- 
gewendete Polfeld  als  positives  oder  anodisches,  das  der 
Kathode  zugewendete  als  negatives  oder  kathodisches 
Polfeld  der  Kürze  halber  bezeichnet,  ohne  dass  damit  irgend 
etwas  über  die  anodische  oder  kathodische  Natur  dieser  Pol- 
felder angedeutet  sein  soll.  Dasselbe  gilt  von  der  Bezeichnung 
der  beiden  Polseiten  eines  Gebildes. 

Von  dem  »elektrischen  Äquator«  ist  zu  unterscheiden  der 
Eiäquator,  worunter  man  am  Frosch-  und  Tritonei  die,  bei 


6ü  W.  Roux, 

gewöhnlicher  Einstellung  des  Eies  wagrechte  Grenzzone  des 
oberen,  pigmentirten:  braunen  oder  schwarzen,  mehr  protoplas- 
matischen und  daher  specifisch  leichteren  Eiabschnittes  gegen 
den  unteren,  hellen,  mehr  aus  den  specifisch  schwereren 
Dotterkörnern  gebildeten,  bald  grösseren,  bald  kleineren  Ei- 
abschnitt  versteht.  Diese  beiden,  gewöhnlich  ungleich  grossen 
Eiabschnitte  werden  als  obere,  braune  oder  dunkle,  und 
untere,  helle  Hemisphäre  bezeichnet.  Unter  Ei axe  versteht 
man  die  gerade  Verbindungslinie  der  Mittelpunkte  der  Ober- 
flächen beider  Hemisphären. 

Ferner  seien  noch  einige  Termini  der  ersten  Entwicklungs- 
stufen kurz  erläutert.  Das  in  eine  grössere  Zahl  von  ab- 
gerundeten und  entsprechend  nach  aussen  sich  vorwölbenden 
Zellen  zertheilte  Ei  führt  wegen  seiner  Ähnlichkeit  mit  einer 
Maulbeere  den  Namen  Morula.  Es  hat  in  seinem  Innern  eine 
kleine  Höhle.  Ist  diese  Höhle  gross  geworden,  so  heisst  das  Ei 
Keimblase  s.  Blastula;  dabei  sind  zugleich  die  Zellen  so  klein, 
dass  man  sie  mit  unbewaffnetem  Auge  nicht  mehr  gut  erkennt. 
Das  nächste,  gleichfalls  noch  kugelig  gestaltete  Stadium  heisst 
Bauchlarve  s.  Gastrula  und  entsteht  unter  Bildung  einer 
neuen,  mit  der  Aussenwelt  communicirenden  Höhle  im  Innern; 
die  Mündung  dieser  Höhle  heisst  derUrmund.  Danach  wird 
aussen  eine  lange  Furche  am  Ei  gebildet,  die  Medullar- 
furche,  deren  beide  Ränder  sich  einander  nähern,  schliesslich 
vereinigen.  Das  so  aus  der  inneren  Wandung  der  Furche  her- 
vorgegangene Rohr  ist  das  Medullarrohr,  die  Anlage  des 
Centralnervensystems.  Diese  Entwickelungsstufe  führt  bereits 
den  Namen  Embryo.  Derselbe  ist  nicht  mehr  kugelig,  sondern 
länglich  und  an  den  Seiten  abgeplattet;  er  besteht  schon  aus  drei 
Keimblättern,  dem  äusseren  oder  Ectoblast,  dessen  das 
Medullarrohr  bildender  Theil  als  Medullarplatte  bezeichnet 
wird,  zweitens  dem  inneren  oder  Entoblast,  welches  die 
Auskleidung  des  Darmcanals  und  seiner  Derivate  bildet;  und 
zwischen  diesen  beiden  Blättern  findet  sich  das  mittlere  Keim- 
blatt oder  das  Mesoderm.  Die  weiterhin  mitgetheilten  Versuche 
an  Froscheiern  erstrecken  sich  allein  auf  den  grünen  Wasser- 
frosch (Rana  esailcnta)^  der  aus  dem  Etschthal  bezogen  war, 
da  die  zu  den  Versuchen  der  früheren  Mittheilungen  fast  aus- 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  61 

schliesslich  verwendeten  Eier  des  braunen  Grasfrosches  (Rana 
fusca)  nicht  mehr  brauchbar  waren. 

Für  gewöhnlich  wurde  mit  dem  Wechselstrom  ge- 
arbeitet; daher  ist  immer  da,  wo  einfach  von  Strom  die  Rede 
ist,  der  Wechselstrom  gemeint.  Da  die  Herrichtung  der  Bunsen- 
schen  Batterie  natürlich  besondere  Umstände  und  Kosten  ver- 
ursachte, so  wurden  mit  dem  Gleichstrom  nur  wenige  Ver- 
suche gemacht.  Erst  später  gelang  es  mir,  eine  Einrichtung  zu 
treffen,  um  aus  dem  mir  zur  steten  Verfügung  stehenden 
Wechselstrom  einen  Gleichstrom  zu  gewinnen;  was  eine  grosse 
Bequemlichkeit  darstellt.  Indess  besitzt  der  Apparat  noch  Män- 
gel, deren  Beseitigung  zunächst  anzustreben  ist.  Die  Durch- 
strömung fand,  wenn  nicht  anders  vermerkt,  in  runden  Glas- 
schalen und  in  Wasserleitungswasser  statt.  Das  Instrumentarium 
bestand  in  Platinelektroden,  einem  Stromschalter,  einem  etwas 
trag  reagirenden  Federbart-Galvanoskop,  welches  nur  grobe 
Schätzungen  der  Stromstärken  von  Vio  Ampere  und  darüber 
gestattete,  so  dass  es  bei  den  grossen  Widerständen  meiner  Objecte 
meist  nicht  reagirte,  und  einem  Amperemeter  mit  Theilung  von 
1  — 12  Amperes.  Letztere  beiden  Instrumente,  sowie  die  Bunsen'- 
schenElemente  verdanke  ich  der  Güte  des  Herrn  Collegen  Wass- 
muth,  des  interimistischen  Vorstandes  des  k.  k.  physikalischen 
Institutes  der  Universität.  Leider  erst  gegen  den  Schluss  der 
Untersuchungen  Hess  ich  mich  herbei,  ein  Horizontalgalvano- 
meter von  Reiniger,  Gebbert  und  Schall  in  Erlangen,  welches 
von  7io — ^  Milliampere  getheilt  ist,  sowie  oblonge  Glasschalen 
anzuschaffen,  womit  dann  manche,  neuen  Aufschluss  gewäh- 
rende Versuche  ermöglicht  wurden. 

An  Protisten  begonnene  Versuche  gab  ich  sofort  als  un- 
nöthig  auf,  nachdem  ich  die  obencitirten  ausgedehnten  Unter- 
suchungen Verworrn's  kennen  gelernt  hatte.  Ich  theile  daher 
nur  einige  Versuche  an  dem  gleichfalls  von  Verworrn  geprüften 
Aethalium  sepiicum  mit,  obschon  ich  von  diesem  Materiale 
noch  nicht  das  geeignete  Entwickelungsstadium  angetroffen 
hatte,  und  daher  nur  einige,  zum  Theile  eigentlich  nicht  hieher 
gehörige  Beobachtungen  an  ihm  gemacht  habe. 

Ich  fand,  dass  die  aus  der  Lohe  nach  dem  Regen  entnom- 
menen Theile  der  Lohblüthe  sich  sehr  verschieden  gegen  den 


62  W.  Roux, 

Wechselstrom  verhalten.  An  Stückchen  mit  amöboiden  Fort- 
sätzen wurde  manchmal  beim  Stromschluss  die  Rinde  jedes 
freien  Fortsatzes  gesprengt,  und  während  der  Dauer  des  Stromes 
fand  ein  Ausströmen  von  Inhalt  statt,  welches  mit  der  Strom- 
unterbrechung cessirte,  mit  dem  neuen  Schlüsse  wieder  ein- 
setzte. Bei  anderen,  anscheinend  gleichen  Fortsätzen  blieb 
jedoch  diese  Reaction  aus.  Bloss  einmal  trotz  vieler  Versuche 
beobachtete  ich  an  zwei  solchen  Fortsätzen  auf  der,  einer 
Elektrode  frei  zugewendeten  Seite  unmittelbar  nach  dem  Strom- 
schlusse  eine  Bildung  von  Kerben  und  danach  von  glänzenden 
Körnern  von  3*5  (x  Grösse  an  dieser  Stelle  der  35 — 70  |x  messen- 
den Fortsätze  eines  Klumpens  von  OAmm  Durchmesser.  Später 
trat  blasige  Entartung  dieser  Fortsätze  ein.  Die  Protoplasma- 
körnchen mancher  Fortsätze  werden  während  des  Purch- 
strömens  stärker  sichtbar,  anscheinend  durch  Aufhören  eines 
nach  der  Durchströmung  vorhandenen  minimalen  Zitterns  der 
Substanz.  Ähnlich  gibt  W.  Kühne  (l.  c.  p.  31)  an,  dass  bei 
der  Durchströmung  der  Amöben  mit  dem  Inductionsstrome  die 
Körnchenbewegung  in  denselben  aufhört. 

Nicht  selten  findet  man  durch  dunkle  Kömer  schwach 
bräunlich  gefärbte  Protoplasmakugeln  von  84 — 100  |jl,  die  sich 
während  der  Durchströmung  durch  zwei  parallele  Furchen 
einschnüren,  so  dass  ein  der  unten  mitgetheilten  Anfangs- 
reaction  der  Fischeier  sehr  ähnliches  Bild  entsteht;  jedoch 
kommen  bei  Aethalium  diese  Bildungen  auch  ohne  Durch- 
strömung häufig  vor. 

Von  Evertebraten  prüfte  ich  nur  das  Verhalten  der  Hydra 
ftisca  an  einigen  Exemplaren,  welche  ich  der  Güte  des  Herrn 
Collegen  von  Lenden feld  verdanke.  Sie  reagirten  gleichfalls 
deutlich  polar.  An  den  direct  bestrahlten  Polseiten  fand  Contrac- 
tion  der  Zellen  unter  Entleerung  ihres  Inhaltes  statt;  ein  Vor- 
gang, dessen  allmäliges,  von  beiden  Polen  ausgehendes  räum- 
liches Weiterschreiten  am  Thiere  bei  wiederholten  momentanen 
Stromschliessungen  deutlich  verfolgt  werden  konnte.  Die  Zellen 
der  Aquatorgegend  blieben  längere  Zeit  unversehrt.  In  den 
Polfeldern  fand  zuerst  eine  Schichtensondenmg  statt,  welche 
genauere  Untersuchung  verdient. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  63 

Frosch. 

Zu  den  Amphibien  zurückkehrend,  sei  zunächst  als  Fort- 
setzung der  Ausgangsbestrebungen  der  vorliegenden  Unter- 
suchung über  einige  Versuche  zur  Ermittelung  eventueller  Ein- 
wirkung des  Wechselstromes  auf  die  Besamungs- 
richtung des  Eies,  sowie  auf  die  Copulationsrichtung 
des  Eikernes  und  Samenkernes  berichtet,  wobei  zugleich 
auch  eine  für  unsere  zweite  Aufgabe  wichtige  Beobachtung 
gemacht  wurde. 

Um  nicht  etwa  einen  Einfluss  des  Wechselstromes  bloss 
auf  die  Bewegung  der  Samenkörper  innerhalb  der  Gallerthülle 
der  Froscheier  festzustellen,  da  das  zuerst  an  der  schwarzen 
Ei  rinde  ankommende  Samenthierchen  das  Froschei  befruchtet, 
sondern  um  den  Einfluss  des  Stromes  auf  die  Besamung  des 
Eies  zu  ermitteln,  wurden  Eier  des  grünen  Frosches  erst  zehn 
Minuten  nach  der  Begiessung  mit  Samen  (also  zu  einer  Zeit, 
da  die  Samenkörper  die  Gallerthülle  schon  bald  durchdrungen 
haben  und  an  das  Ei  selber  gelangen)  mit  dem,  durch  Ein- 
schaltung der  8\cm  langen,  mit  V^procentiger  Kochsalzlösung 
gefüllten  Röhre  geschwächten  Strom  in  constanter  Richtung 
durchströmt.  Es  konnte  sich  dabei  herausstellen,  dass  etwa  die 
Samenkörper  leichter  an  den  Polen  oder  an  dem  elektrischen 
Äquator  eintreten,  was  daran  zu  erkennen  gewesen  sein  würde, 
dass  die  später  auftretende  erste  Theilungsebene  des  Eies  durch 
diese  Stelle  hindurch  ginge;  denn  ich  habe  früher  experimentell 
nachgewiesen,*  dass  bei  zwanglos  gehaltenen  Froscheiern  die 
erste  Theilungsebene  (welche  zugleich  das  Ei  halbirt  und  senk- 
recht steht)  durch  die  Eintrittsstelle  des  Samenkörpers  in  das 
Ei  hindurch  geht.  Die  Durchströmung  wurde  fortgesetzt,  bis  die 
Eier  sich  nach  32  Minuten  mit  den  hellgelben  Hemisphären 
nach  unten  gedreht  hatten,  also  bis  zum  ersten  äusseren 
Zeichen  der  erfolgten  Befruchtung.  Als  nach  2*/^  Stunden  die 
erste  Theilung  eintrat,  standen  jedoch  die  Theilungsebenen  der 
Eier  ohne  jede  constante  Richtung  zu  den  Stromlinien. 


1  W.  Roux,  Beiträge  zur  Entwickelungsmechanik  des  Embryo,  Nr.  4* 
Die  Bestimmung  der  M'edianebene  des  Froschembryo  durch  die  Copulation  des 
Eikernes  und  des  Spermakemes.  Arch.  f.  mikroskop.  Anatomie,  Bd.  29,  1887. 


64  W.  Roux, 

Unmittelbar  nach  der  Stromunterbrechung  in  dieser  Schale 
wurde  mit  demselben  Strom  eine  andere  Schale  durchströmt, 
deren  Eier  sich  soeben  gedreht  hatten.  Es  geschah,  um  zu 
prüfen,  ob  die  Stromrichtung  auf  die  Richtung  der  nun  folgenden 
Vereinigung  des  Samenkernes  und  des  Eikemes  wirke,  welche 
Vereinigungsrichtung,  wie  ich  loco  cit.  gezeigt  habe,  gleichfalls 
die  Richtung  der  ersten  Furche  zu  beeinflussen  vermag.  Nach 
27^  Stunden  lang  fortgesetzter  Durchströmung  trat  die  erste 
Theilung  ein;  aber  die  Richtungen  dieser  Theilungen  Hessen 
wieder  keine  Beziehungen  zu  den  Stromrichtungen  erkennen. 
Da  ich  in  Abschnitt  I,  S.  37  dargethan  habe,  dass  der  Wechsel- 
strom nach  stattgehabter  Copulation  dieser  Kerne  nicht 
richtend  auf  die  erste  Theilung  des  Furchungskernes,  sowie  auf 
die  des  Zellleibes  der  Eier  zu  wirken  vermag,  so  hätte  eine 
jetzt  hervorgetretene  Constanz  in  der  Stellung  dieser  ersten 
Theilungsrichtung  zur  Stromrichtung  eine  Einwirkung  des 
Stromes  auf  die  Copulationsrichtung  erschliessen  lassen. 

Während  dieser  langdauernden  Durchströmunghatten  bloss 
die  den  Elektroden  nächsten  Eier  Polfelder,  und  zwar  bloss  von 
sehr  geringem  Umfange  gebildet.  Es  erhellt  also,  dass  die 
anderen,  ferner  stehenden  Eier  mit  der  stärksten  noch  ertragenen 
Stromdichte  behandelt  worden  waren.  Da  damit  aber  keine 
richtende  Wirkung  auf  die  Besamungsrichtung  und  auf  die 
Copulationsrichtung  erzielt  worden  ist,  so  geht  hervor,  dass 
der  Wechselstrom  eine  richtende  Wirkung  auf  diese 
Vorgänge  überhaupt  nicht  auszuüben  vermag;  und  da 
die  Durchströmung  auf  die  Periode  der  Theilung  des  durch  die 
Copulation  gebildeten  Furchungskernes  und  des  Zellleibes  aus- 
gedehnt worden  war,  so  ist  zugleich  auch  die  Unwirksamkeit 
des  Wechselstromes  auf  die  Richtung  dieser  Vorgänge  aufs 
Neue  bestätigt  worden. 

Die  mit  Polfeldern  versehenen  Eier  zeigten  zugleich  ein 
interessantes  Verhalten  ihres  Äquators.  Dieser  fast  die 
ganze  Eioberfläche  einnehmende  Äquator  war  hell  geworden 
und  in  der  Richtung  von  Polmeridianen  braun  gestreift, 
siehe  Fig.  4.  Die  so  veränderten  Eier  hatten  die  erste  Furche 
nicht  gebildet. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  65 

Die  daran  sich  anreihenden  Eier  in  der  Mitte  des  Strom- 
feldes hatten  bloss  punktförmige  Polfelder  gebildet  und  besassen 
im  Äquator  die  erste  Furche,  welche  wieder,  wie  schon  im 
ersten  Abschnitte  einmal  beobachtet  und  mitgetheilt  ist,  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  (an  20  von  30  Eiern)  die  Polfelder  direct 
verband.  Bei  den  übrigen  Eiern  aber,  welche  keine  äussere  Ver- 
änderung durch  den  Strom  erkennen  Hessen,  standen  die  ersten 
Furchen  in  beliebigen  Richtungen  durcheinander. 

Die  früheren  Mittheilungen  über  Froscheier  bezogen  sich 
fast  ausschliesslich  auf  den  braunen  Grasfrosch,  die  nachfol- 
genden dagegen  ausschliesslich  auf  den  grünen  Wasserfrosch, 
Rana  esculenta.  Diese  Froscheier  sind  mir  von  früher  her  als 
die  weit  empfindlicheren  bekannt;  und  dementsprechend  traten 
auch  unter  den  vorliegenden  Verhältnissen  einige  Reactionen 
stärker  auf.  Ausserdem  gestattet  die  hellbraune  Färbung  eine 
genauere  Beobachtung  der  Veränderungen  der  oberen  Hemi- 
sphäre, als  sie  bei  den  schwarzen  Eiern  der  anderen  Species 
möglich  war.  Drittens  wurde  jetzt,  nachdem  in  den  früheren 
Beiträgen  die  Hauptzüge  des  Bildes  der  Veränderungen  fest- 
gestellt waren,  die  Aufmerksamkeit  mehr  den  Einzelheiten 
zugewendet  und  dadurch  eine  principiell  wichtige  Erweiterung 
unserer  Kenntniss  der  bezüglichen  Reactionen  gewonnen. 

Auch  für  die  Eierstockseier  von  Rana  esculenta 
bestätigte  sich,  was  ich  früher  von  denen  dtrRanafusca  ange- 
geben habe;  nämlich,  dass  der  Äquator  um  so  grösser  ist,  je 
kleiner  die  Eier  sind.  Während  z.  B.  ein  Ei  von  1  '7  mm  Durch- 
messer bei  10  Minuten  langer  Durchströmung  einen  Äquator 
von  bloss  0'\6 mm,  also  von  9%  ^^t,  ist  ceteris  paribus  der 
Äquator  eines  Eies  von  0*37  ww,  0*24  tw#w,  also  64^/^  breit. 
Dies  verschiedene  Verhalten  rein  protoplasmatischer  und  ande- 
rerseits dotterkömerhaltiger  Eier  entspricht  der  an  reifen  Eiern 
gemachten  Beobachtung,  dass  der  Äquator  im  Bereiche  der 
oberen  braunen  Hemisphäre  deutlich  breiter  ist,  als  im  unteren, 
vorzugsweise  aus  Nahrungsdotter  bestehenden  Theile,  sowie 
dass  bei  abnormer  Stellung  des  Eies  mit  der  braunen  Hemi- 
sphäre statt  nach  oben,  seitlich  gegen  eine  Elektrode  hin,  das 
braune  Polfeld  viel  kleiner  wird  als  das  helle.  An  den  noch 
durchscheinenden,    also    noch    nicht    nahrungsdotterhaltigen 

SJUb.  d.  mathem.-naturw.  Cl.;  CI.  Bd.  Abth.  HI.  5 


66  W.  Roux, 

Eiern  bis  herab  zu  einem  Durchmesser  von  z.  B.  0'29fnm  sind 
die,  letzteren  Falles  bloss  0' 04  mm  breiten,  Polfelder  durch 
Trübung  des  Protoplasmas  und  scharfe,  ebene,  parallele  Ab- 
grenzung der  Trübung  gegen  den  0*21  mm  breiten  Äquator 
vollkommen  deutlich.  An  noch  kleineren  Eiern  (die  kleinsten 
messen  0-12  mm)  konnte  ich  auch  mit  Zeiss'  Objectiv  A  keine 
Polarisation  erkennen.  Jedoch  auch  grössere  Eier,  welche  so 
trocken  lagen,  dass  sie  nicht  von  ein  wenig  Gewebesaft  um- 
geben waren,  Hessen  gleichfalls  keine  Reaction  erkennen. 

Veränderungen  der  ungetheilten  reifen  Eier  von  R. 
esculenta :  Nur  bei  kurzdauernder  Durchströmung  ist  im  Bereiche 
der  braunen  Hemisphäre  der  Äquator  breiter  und  nimmt  bis  zum 
Beginne  der  unteren  hellgelben  Hemisphäre  stetig  an  Breite  ab, 
um  auf  dieser  letzteren  dann  gleich  schmal  zu  bleiben,  s,  Fig.  1. 
Bei  längerem  Durchströmen  dagegen  wird  er  oben  schmaler, 
oft  so  schmal,  dass  bloss  eine  Furche  übrig  bleibt.  Diese  nach- 
trägliche Veränderung  ist  bei  Rana  esculenta  durch  die  Über- 
wölbung der  Polabschnitte  über  den  Äquator  und  durch  das 
Aufsteigen  aus  ihnen  ausgetretener  Substanz  bedingt.  Auf  der 
unteren  Hemisphäre  sind  oft  ganz  deutliche  weisse  Niveaulinien 
oder  schon  Niveaufurchen  vorhanden,  ehe  die  Polfelder  selber 
merklich  weisser  geworden  sind;  die  Niveaulinien  sind  also 
Stellen  erster  stärkster  Veränderung.  Der  Äquator  ist  auf  der 
unteren  Hemisphäre  oft  weisser  als  die  schwach  gelblich  geblie- 
benen Polfelder.  Auch  oben  wird  der  Äquator  oft  heller  durch 
Wegwanderung  des  braunen  Pigmentes  von  den  Rändern,  so 
dass  eswieder  bloss  inderMittedesÄquators  noch  als  einbrauner 
Streif  vorhanden  ist,  während  unten  der  anfangs  noch  in  der 
Mitte  des  Äquators  verbliebene  gelbliche  Streifen  bald  unter 
zunehmender  Verschmälerung  verschwindet. 

Bei  sehr  schwachem  Strom  dagegen  bilden  die  un- 
getheilten Eier  nur  ein  oder  mehrere  Extraovattröpfchen  an 
den  beiden  Polen  des  Eies.  Sind  mehrere  Extraovate  ent- 
standen, so  liegen  sie  manchmal  in  einer  wagrechten  Linie, 
nahe  am  Eiäquator,  manchmal  auch  in  einer  senkrechten  Linie, 
manchmal  in  unregelmässiger  Anordnung  um  den  Pol;  ein 
Verhalten,  welches  also  auf  verschiedene  örtliche  Disposition 


Entwickelungsniechantk  des  Embrj'o.  67 

der  Eier  zur  Bildung  der  Extraovate,  respective  zur  Durch- 
brechung der  Eirinde  hinweist. 

Über  die  Dauer  dieser  Reactionsfähigkeit  wurden  noch 
einige  Beobachtungen  gemacht 

Vier  Tage  lang  in  Wasser  gestandene,  unbefruchtete,  schon 
hochgradig  zersetzte  vacuolisirte  Eier,  bei  welchen  schon  Öl 
sich  ausgeschieden  und  oben  angesammelt  hatte,  bildeten  noch 
schöne  Niveauringe,  innerhalb  deren  die  Eirinde  auch  auf- 
platzte und  Eiinhalt  austreten  Hess.  Diese  noch  reagirenden 
Eier  hatten  aber  noch  den  schwach  gelblichen  und  schwach  durch- 
scheinenden Ton  der  Eirinde;  während  bloss  drei  Tage  alte,  auf 
Eis  gestandene  gleichfalls  unbefruchtete  Eier,  die  ihren  gelb- 
lichen transparenten  Ton  verloren  hatten  und  daher  oben 
opakbraun  oder  grauweiss,  unten  opak  weisslich  waren,  nicht 
mehr  reagirten;  dasselbe  war  der  Fall  bei  vollkommen  un- 
verfärbten,  aber  durch  Carboldämpfe  vergifteten  Eiern.  An  oben 
zersetzten  und  daselbst  nicht  mehr  deutlich  reagirenden  Eiern 
kommt  es  vor,  dass  sich  auf  der  unteren  Hemisphäre  noch 
deutliche  Niveaufurchen  bilden;  die  Reaction  ist  also  ein  localer, 
nicht  ein  vom  ganzen  Ei  vermittelter  Vorgang. 

Die  Polfeldergrenzen  verlieren  ihre  den  Niveauflächen  des 
umgebenden  homogenen  elektrischen  Feldes  entsprechende 
Richtung,  wenn  die  runde  Gestalt  der  Eier  erheblich  alterirt 
wird.  Sind  z.  B.  die  Eier  während  der  Durchströmung  zwischen 
parallele  ebene  Glasplatten  gepresst  und  dadurch  abgeplattet, 
so  ist  der  Äquator  zwar  an  den  Rändern  noch  parallel 
contourirt,  an  den  abgeplatteten  Flächen  dagegen  stark,  fast 
zu  einer  runden  Scheibe  verbreitert,  und  die  Polfelder  sind 
demnach  etwa  viertelmondförmig  (s.  Fig.  14).  Werden  die  Eier 
in  enge  Glasröhren  aspirirt  und  dadurch  mannigfach  deformirt, 
so  erhalten  keilförmig  gestaltete,  etwas  schief  zur  Röhre 
stehende  Eier  beim  Durchströmen  einen  keilförmigen  Äquator: 
ovale  schiefstehende  Eier  bilden  einen  stark  schief  zur  Haupt- 
richtung des  Stromes  stehenden,  aber  noch  parallel  con- 
tourirten  Äquator. 

Bei  der  Beurtheilung  dieses  neuen  Verhaltens  ist  jedoch 
daran  zu  denken,  dass  zwei  Componenten  zugleich  geändert 
worden  sind,  ausser  der  Gestalt  des  Eies   auch    die    Gestalt 

5* 


68  W.  Roux, 

des  sie  umgebenden  elektrischen  Feldes.  Wir  werden  später 
die  besonderen  Wirkungen  jeder  dieser  beiden  Componenten 
getrennt  zu  beurtheilen  Gelegenheit  nehmen. 

Zwischen  parallele  ebene  Glasplatten  gepresste  Ga- 
st r  u  l  a  e  können,  trotz  gleich  grosser  Abplattung  als  an  den 
eben  erwähnten  Eiern,  gleichwohl  noch  einen  parallel,  gerad- 
linig contourirten  Äquator  bilden;  wobei  man  sich  wohl  daran 
zu  erinnern  hat,  dass  die  Gastrulae  gewöhnlich  eine  dicker 
gequollene  Gallerthülle  besitzen  als  die  noch  ungetheilten 
Eier.  Doch  kommt  an  solchen  Gastrulae  auch  die  erwähnte 
centrale  Verbreiterung  des  Äquators  vor,  stark  ausgesprochen 
jedoch  bloss,  wenn  die  Gastrula  beim  Pressen  aufgeplatzt  ist 
und  danach  ihre  beiden  durch  Pressung  entstandenen  Flächen 
eingesunken  sind,  wie  die  Seiten  eines  rothen  Blutkörperchens. 

Die  Extraovate  ungetheilter  oder  erst  einige  Mal 
getheilter,  angestochener  oder  gepresster  Eier  sind  immer 
nackt,  das  heisst  nicht  mit  der  typischen  elastischen  Eirinde 
überzogen.  Trotz  aller  Sorgfalt  in  der  Beobachtung  ist  es  mir  nicht 
gelungen,  eine  Bildung  von  Polfeldern  an  dieser  frisch  ausgetre- 
tenen Eisubstanz  wahrzunehmen.  An  Extraovaten  gepresster 
Gastrulae  dagegen  konnte  ich  wiederholt  sehen, dass  sie  ein 
Polfeld  oder  bei  geeigneter  Lage  zwei  durch  einen  unveränderten 
Äquator  getrennte,  gleich  denen  der  Gastrula  selber  grau  ver- 
färbte Polfelder  bildeten.  Das  Extraovat  steht  in  diesen  Fällen 
mit  der  Gastrula  noch  im  Zusammenhang  und  bildet  nur  dann 
zwei  Polfelder  und  einen  eigenen  Äquator,  welcher  stets  mit 
dem  der  Gastrula  zusammenhängt,  wenn  das  Extraovat  seitlich 
vom  Stammtheil,  also  in  denselben  Niveauflächen  mit  ihm 
gelegen  ist.  Ist  dagegen  das  Extraovat,  vom  Stammtheil  aus  ge- 
rechnet, schiefzur  Stromrichtung  gelegen  oder  gar  einer  Elektrode 
zugewendet,  so  bildet  es  biossein  einziges,  demdesStammtheiles 
zugehöriges  Polfeld.  Das  Gemeinsame  aller,  sichtbare  Polfelder 
bildenden  Extraovate  aber  ist,  dass  sie  noch  einen  Epithelüberzug 
von  der  Gastrula  besitzen;  und  nur  soweit  dieser  vorhanden  ist, 
findet  erkennbare  Reaction  statt.  Dies  scheint  anzudeuten,  dass 
nackte  Extraovate  desshalb  nicht  reagiren,  weil  ihnen  ein  reac- 
tionsfähiger  Überzug  fehlt.  Indess  habe  ich  an  Eiern,  welche  in 
enge  Glasröhren  aspirirt  und  dabei  aufgeplatzt  waren  unter  Ent- 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  69 

leerung  des  grössten  Theiles  ihres  Inhaltes,  trotz  des  Vorhanden- 
seins der  längsgefalteten  Eirinde  am  mittleren  Theile,  welche 
jede  Veränderung  gut  hätte  wahrnehmen  lassen,  beim  Durch- 
strömen keine  polaren  Veränderungen  beobachten  können. 

Einmal  hatte  ich  ein  seltenes,  theoretisch  besonders  wich- 
tiges Verhalten  zu  beobachten  Gelegenheit.  Unter  den  Eiern 
eines  Weibchens  fanden  sich  zwei  Eier,  welche  durch  eine 
gemeinsame  äussere  Gallerthülle  mit  einander  vereinigt  waren, 
•der  Art,  dass  sie  gegen  einander  abgeplattet  und  nur  durch  eine 
Ciallertlage  von  ein  Drittel  des  Eidurchmessers  von  einander 
getrennt  waren.  Siehe  Fig.  5.  Ich  durchströmte  dieselben,  um  das 
Specifische  dieses  Falles  möglichst  zu  verwerthen,  in  Richtung 
ihrer  Verbindungslinie  und  erhielt  an  jedem  Ei  ein  grosses,  je 
<iie  halbe  Eioberfläche  einnehmendes,  äusseres  und  ein  kleineres, 
dem  des  anderen  Eies  zugewendetes,  inneres  Polfeld;  letztere 
beiden  nahmen  ausser  der  Abplattungsfläche  nur  noch  einen 
schmalen  Saum  der  angrenzenden,  gewölbten  Fläche  ein.  Beide 
Polfelder  jedes  Eies  waren  durch  einen  parallel  contourirten 
Äquator  von  einander  getrennt.  Derselbe  Frosch  bot  noch  zwei 
mit  einander,  aber  weniger  nahe,  durch  ihre  Gallerthüllen  ver- 
'einigte  Eier  dar,  so  dass  dieselben  sich  nicht  an  einander 
abplatteten.  Siehe  Fig.  6.  Beim  Durchströmen  auch  dieser  in  der 
Verbindungsrichtung  entstanden  wieder  zwei  äussere  grössere, 
und  zwei  gegen  einander  gewendete,  kleinere  Polfelder;  doch 
waren  hier,  bei  grösserem  Abstände  der  beiden  Eier,  die  Breiten- 
unterschiede der  inneren  und  äusseren  Polfelder  nicht  so 
erheblich  als  bei  den  ersteren  einander  näheren  Eiern. 

Gehen  wir  nun  zu  dem  eigenthümlichen  Verhalten  der  e  i  n- 
oder  mehrfach  getheilten  Eier  über. 

Bei  genauerer  Betrachtung  und  Erwägung  der  in  der 
ersten  Mittheilung  schon  kurz  erwähnten  Reactionen  in  mehrere 
Zellen  getheilter  Eier,  erkannte  ich,  dass  darin  eine  Special- 
polarisation der  einzelnen  Zellen  sich  ausspricht.  (Siehe 
Fig.  7-11.) 

Ich  nahm  daher  Gelegenheit,  dieses  fundamentale  Verhalten 
des  Weiteren  kennen  zu  lernen. 

An  dem  in  zwei  und  mehr  Zellen  getheilten  Ei,  ebenso  wie 
an  der  Morula  und  noch  an  der  schon  in  kleine  Zellen  zerlegten 


70  W.  Roux, 

Blastüla  beobachtete  ich,  dass  jede  Zelle  der  Eioberfläche  für 
sich  polarisirt  wird;  dies  derart,  dass  die  bloss  an  den  Polseiten 
des  Eies  liegenden  Zellen  je  ein  von  aussen  sichtbares  Polfeld 
erhalten,  welches  dem  Pole  dieser  Seite  des  Eies  zugewendet  ist, 
während  der  Äquator  den  distal  vom  Pol  gelegenen  Theil  der 
freien  Oberfläche  der  Zelle  einnimmt.  Die  Polfelder  neben  einan- 
der liegender  Zellen  formiren  die  auf  Seite  35  erwähnten  concen- 
trischen  Ringe  um  den  Pol,  welche  Ringe  aber  durch  die  unregel- 
mässige Lagerung  der  Zellen  sich  aus  lauter  Bruchstücken 
zusammensetzen.  Die  im  Polmittelpunkte  gelegene  Zelle,  hat  ihr 
Polfeld  in  der  Mitte  der  Zelle,  ihren  Äquator  ringsum  und  unter- 
scheidet sich  damit  von  den  anderen  Zellen.  Die  Zellen,  welche 
in  der  Mitte  zwischen  beiden  Polen,  also  am  elektrischen  Äquator 
des  Eies  liegen  oder  den  Äquator  von  aussen  her  noch  erreichen 
(siehe  Fig.  35  und  36)  und  zugleich,  wie  es  nach  den  ersten 
Theilungen  und  noch  bei  der  Morula  der  Fall  ist,  so  stark  sich 
verwölben,  dass  sie  von  beiden  Elektroden  aus,  durch  direct  aus 
dem  Elektrolyten  stammende  Stromfäden,  unter  keiner  oder  nur 
geringer  Ablenkung  derselben  von  ihrer  Bahn  im  Elektrolyten 
getroffen  werden  können,  bilden  bei  genügend  starkem  Strom 
gegen  jede  Elektrode  hin  ein  Polfeld  aus,  zwischen  welchen 
beiden  der  Zelläquator  gelegen  ist.  Dies  geht  so  weit,  dass  auch 
neben  der  äquatorialen  Mittelebene,  z.  B.  auf  der  linken 
Hälfte  des  Eies,also  gegen  die  linke  Elektrode  liegende  Zellen, 
wenn  die  rechts  neben  ihnen  liegenden  Zellen  gerade  eine  Lücke 
lassen,  durch  welche  also  Stromfäden  von  der  rechten  Elektrode 
die  erstere  Zelle  treffen  können,  diese  Zelle  dann  ausser  ihrem 
grossen  linken,  noch  ein  deutliches,  wenn  auch  entsprechend 
kleineres,  rechtes  Polfeld  ausbildet.  Aber  auch  anders  gelagerte, 
zweite,  kleine  Zellpolfelder,  welche  offenbar  eine  etwas  andere 
genetische  Bedeutung  haben,  kommen  vor  (siehe  Fig.  8  und  10): 
An  erst  in  zwei,  vier  oder  acht  Zellen  getheilten  Eiern  sieht 
man  bei  so  kräftiger  äusserer  Rundung  dieser  Zellen,  dass  zwi- 
schen ihnen  gut  geöffnete  Furchen  entstehen,  an  der  Begrenzung 
der  annähernd  oder  ganz  quer  zum  Strom  orientirten  Furchen 
def  Äquatorgegend,  sowohl  in  der  Tiefe  derselben  wie  auch  gegen 
ihre  Öffnung  hin  aufsteigend,  die  typische  Polfeldveränderung 
an  den  die  Furche  begrenzenden  Zellwänden.  Manchmal  schien 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  71 

die  Veränderung  bloss  an  den  mehr  oberflächlichen Theilen  der 
Furchen  Wandung  vorhanden  zu  sein  und  in  der  Tiefe  zu  fehlen; 
was  indess  sehr  schwer  zu  sehen  ist  Im  Gegensatz  zu  dieser 
Polfeldbildung  in  der  Tiefe  von  quer  zum  Strom  orientirten 
Furchen  steht  ein  gleichfalls  bei  Durchströmung  in  Wasser 
beobachtetes  Ausbleiben  der  Veränderung  an  ganz  gleich  ge- 
richteten, aber  mehr  auf  der  Polseite  des  Eies  gelegenen  Furchen. 
Es  war  deutlich  zu  erkennen,  dass  das  Polfeld  sich  bloss  auf  den 
direct  von  den  Elektroden  aus  bestrahlten  Theil  der  Zellober- 
fläche ausdehnte  und  nicht  auf  die  Wandungen  der  hinter  dieser 
Zelle  liegenden  Furche  übergriff.  Um  dieses  auffällige  Verhalten 
zu  verstehen,  werden  noch  weitere  Beobachtungen  über  die 
speciellen  Bedingungen  seines  Vorkommens  zu  machen  sein. 
Nach  anderer  Richtung  in  einem  Gegensatz  zu  der  in  der  Aus- 
bildung von  Polfeldem  sich  bekundenden  Wirkung  der  directen 
Bestrahlung  der  Zelloberfläche  steht  die  Thatsache,  dass  an 
dem  schon  in  kleine  Zellen  zerlegten  Ei  nicht  die  ganze,  den 
Stromfaden  entgegenstehende  Fläche  der  Zelle,  sondern  immer 
bloss  der  polwärts  gelegene  Theil  dieser  Fläche  verändert  wird, 
während  der  distal  davon  liegende  Theil,  der  immer  noch  unter 
einem  mehr  dem  rechten  sich  nähernden  Winkel  gegen  die 
Stromfaden  des  umgebenden  Feldes  gerichtet  ist,  als  ein  Theil 
des  Polfeldes  der  nächst  distalen  Zellen,  unverändert  bleibt  und 
so  den  Zelläquator  darstellt. 

Die  Niveaulinien  der  einzelnen  Zellen  platzen  bei  weiter 
fortgesetzter  Durchströmung  rasch  auf  und  stellen  so  die  weissen 
Linien  dar,  die  ich  in  der  ersten  Mittheilung  noch  auf  aufgeplatzte 
Furchen  zwischen  den  Zellen  bezog.  Diese  Täuschung  ward 
dadurch  hervorgerufen,  dass  sich  die  Zellpolfelder  wie  die 
Polfelder  des  ganzen,  ungetheilten  Eies  gegen  ihren  Äquator 
etwas  erheben  und  so  durch  eine  Furche  abgrenzen.  Dabei 
ändert  sich  auch  etwas  die  Gestalt  der  Zellen  und  Polfelder 
durch  Abplattung  der  Zellen  und  durch  Schluss  der  Furchen 
zwischen  letzteren,  so  dass  man  in  diesem  Stadium  sehr  leicht 
die  Polfelder  zur  polwärts,  statt  zur  distal  vom  Eipol  gelegenen 
Zelle  rechnet;  diese  Täuschung  ist  oft  eine  so  vollkommene, 
dass  nur  die  genaue  Verfolgung  des  ganzen  Processes  von 
seinem  Beginn  an  vor  derselben  bewahren  kann. 


72  W.  Roux, 

Die  Zellpolfelder  werden  im  Bereiche  der  oberen,  braunen 
Hemisphäre  des  KiesvonRana  esculenta greLuhraxin,  imBereiche 
der  gelblichen,  unteren  Hemisphäre  weisslich.  Die  Grösse  dieser 
Polfelder  nahm  vom  Eipol  gegen  den  elektrischen  Äquator  des-, 
ganzen  Eies  ab.DiePolfeldbildungbeginntbeimittelstarkemStrom 
am  elektrischen  Pol  des  Eies  und  breitet  sich  von  da  aus  ausseror- 
dentlich rasch  auf  die  distal  gelegenen  Zellen  und  weiterhin  lang- 
samer auf  jeder  einzelnen  Zelle  in  distaler  Richtung  aus- 
ist das  Ei  noch  nicht  feingetheilt,  so  bekommt,  wie  erwähnt,, 
jede  Zelle  des  ganzen  Gebildes  ihr  Polfeld  und  ihren  Äquator. 
Ein  eigentlicher  elektrischer  Gesammtäquator  des  Eies  besteht 
dabei  also  nicht,  er  umfasst  bloss  die  von  beiden  Polseiten  gegen 
einander  stehenden  Zelläquatoren  der  Zellen  dieser  Gegend; 
dem  entsprechend  ist  er  auch  nicht  durch  eine  fortlaufende  Linie 
jederseits  contourirt,  sondern  je  nach  der  Lage  der  ihn  bildendem 
Zellenäquatoren  bald  etwas  breiter,  bald  etwas  schmaler.  Bei 
der  weiter  fortgeschrittenen  Zertheilung  in  die  kleineren  und 
weniger  vorspringenden  Zellen  der  älteren  Blastula  und  der 
Gastrula  dagegen  bleibt  ein  Gürtel,  von  den  Polen  am  weitesten 
abgelegener  Zellen  deutlich  unpolarisirt;  und  wir  erhalten 
damit  einen  Gesammtäquator,  der  aber  bei  genauem  Zusehen 
wieder  ungleich  breit  ist,  da  er  durch  Specialpolfelder  der  an- 
stossenden  Zellen  begrenzt  wird;  je  kleiner  diese  Zellen  sind,, 
um  so  weniger  treten  natürlich  diese  Ungleichheiten  hervor. 
An  älteren  Gas  trulae  bleibt  auch  bei  stärkster  Anordnung  meines 
Stromes  immer  ein  Eiäquator  von  wenigstens  7ii  Eidurch- 
messer  oder  3 — 4  Zellen  Breite  ohne  äusserlich  sichtbare  Pol- 
felder der  Zellen.  Zugleich  waren  an  alten  Gastrulae  die  Zellen 
der  Polseiten  anscheinend  auf  ihrer  ganzen  freien  Oberfläche 
hellgrau  verändert. 

Die  durch  den  Strom  ausgelösten  Veränderungen  des  Eies- 
setzen  sich  noch  eine  Zeit  lang  nach  der  Einwirkung  des 
Stromes  fort.  Wenn  man  nach  bloss  2 — 3  Secunden  dauernder 
Einwirkung  eines  Stromes  von  geeigneter  Stärke  auf  ein  noch 
ungetheiltes  oder  schon  mehrfach  getheiltesEi  unterbrochen  hat,, 
kommt  es  sogar  vor,  dass  zur  Zeit  der  Unterbrechung  noch  keine 
Veränderung  am  Ei  zu  sehen  ist,  sondern  dass  die  Veränderung: 
erst  danach  beginnt.  Wurde  unterbrochen,  als  schon  die  Pol- 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  73 

feldbildung  einsetzte,  so  kann  man  beobachten,  dass  erst  nach 
der  Stromunterbrechung  die  Veränderung,  etwas  polwärts  vom 
Rande  des  Gesammtpolfeldes,  so  heftig  wird,  dass  daselbst  an 
der  oberen  Eihälfte  unter  starkem  Aufplatzen  und  entsprechender 
Entleerung  derZellen  dieser  Zone  eine  durchgehende  Niveau- 
furche entsteht.  Wurde  dagegen  längere  Zeit,  2(y'— 4(y'  durch- 
strömt, so  entsteht  diese  Niveaufurche  in  grösserem  Abstände  vom 
Pol.  Bei  Unterbrechung  des  Stromes  localisirt  sie  sich  an  ihrem 
jeweiligen  Ort.  Bei  erneuter  Durchströmung  kann  sie  nach  der 
dadurch  bedingten  Ausbreitung  der  Polfeldbildung  gegen  den 
Äquator  gleichfalls  avanciren;  oder  es  entsteht  ohne  Ver- 
schwinden der  ersten  durch  Stromunterbrechung  localisirten 
Niveaufurche,  bei  erneutem  Durchströmen  äquatorwärts  jeder- 
seits  eine  neue,  alsdann  weniger  tiefe  Furche,  oder  bloss  ein 
pigmentirter  Ring.  (N.  B.  nur  im  Bereiche  der  oberen,  braunen 
Hemisphäre  wird  die  Veränderung  so  intensiv;  es  entsteht  also 
jederseits  bloss  ein  Halbring.) 

Wartet  man  einige  Minuten  nach  einer  kurzen,  10" — 20" 
dauernden  kräftigen  Durchströmung  einer  Morula  oder  jungen 
Blastula,  so  sieht  man  die  Zellen  sich  meist  stark  abplatten  und 
die  früher  offenen  Furchen  zwischen  ihnen  sich  entsprechend 
schliessen.  Durchströmt  man  dieses  so  zur  Kugel  abgeplattete 
Gebilde  nochmals,  so  entstehen  jetzt  unter  polarer  Veränderung 
der  bisherigen  ZeHäquatoren  auf  den  Polseiten  des  Eies,  wie  an 
einem  ungetheilten  Ei  zwei  grosse  einheitliche  General-Pol- 
felder, und  zwischen  ihnen  bleibt  ein  einheitlicher,  durch  durch- 
gehende parallele  ungebrochene  Contouren  begrenzter  schmaler 
Äquator,  dessen  Ränder  einander  näher  liegen,  als  die  erwähnten 
früheren  durch  starkes  Aufplatzen  entstandenen  beiden  Furchen. 
Bei  der  Morula  liegt  natürlich  im  Bereich  dieses  General- 
aquators  ein  Theil  der  oben  erwähnten  kleinen  Zellpolfelder; 
diese  aber  werden  jetzt  undeutlich  oder  von  den  Zellen  abge- 
stossen.  Manchmal  ist  der  so  nachträglich  entstandene  General- 
aquator  in  seinen  Grenzlinien  doch  nicht  ganz  ungebrochen 
und  nicht  ganz  parallel  contourirt,  und  bei  einem  erst  in 
4  Zellen  getheilten  Ei  ist  er  schmäler  als  der  frühere  Special- 
äquator einer  einzigen  Zelle,  siehe  Fig.  1 1  nebst  der  Figurön- 
erklärung. 


74  W.  Roux, 

Natürlich  entsteht  auch  bei  ununterbrochen  fortgesetzter 
Durchströmung  mit  der  Zeit  dasselbe  Bild;  auch  hiebei  platten 
sich  die  Zellen  allmählig  ab,  und  die  Specialpolfelder  der  ein- 
zelnen Zellen  werden  allmählig  grösser  bis  zum  Verschwinden 
des  Zelläquators  an  den  im  Bereich  der  Generalpolfelder  ge- 
legenen Zellen. 

Wenn  auch  die  Rundung  der  Furchungszellen  für  die 
Bildung  der  kleinen  zweiten  Polfelder  von  Bedeutung  erscheint, 
indem  dadurch  Gelegenheit  zur  Bestrahlung  von  der  zweiten 
Seite  her  gegeben  wird,  so  kann  die  Rundung  doch  nicht  als  die 
Ursache  der  Specialpolarisation  der  einzelnen,  die  Morula  und 
Blastula  zusammensetzenden  Zellen  angesehen  werden;  denn 
dieselbe  Einzelpolarisation  findet  auch  an  der  hellen,  unteren 
Hemisphäre  statt,  wo  die  Zellen  nur  durch  minimale  Furchen 
geschieden  sind,  und  mit  ihrer  freien  Oberfläche  im  Niveau  der 
Gesammtkrümmung  des  Eies  liegen.  Auch  tritt  im  Bereich  der 
oberen  Hemisphäre  die  Specialpolarisation  der  Zellen  auf,  wenn 
man  durch  Abkühlung  im  Eisschrank  die  Lebensenergie  der 
Zellen  vorübergehend  derart  herabgedrückt  hat,  dass  sich  die 
oberen  Zellen  gleichfalls  abgeplattet  haben. 

Von  Eiern  ferner,  welche  ohne  auf  Eis  gestanden  zu  haben, 
also  aus  innerer  Ursache  die  durch  die  dritte,  vierte  oder  fünfte 
Theilung  gebildeten  Furchungszellen  von  selber  wieder  abge- 
plattet hatten,  bildete  ein  Theil  beim  Durchströmen  rasch  zwei 
allgemeine  Polfelder  und  zwei  durchgehende  Niveaulinien  für 
das  ganze  Ei,  indem  die  im  ersten  Momente  entstandenen  kleinen 
Specialpolfelder  der  einzelnen  Zellen  sich  sofort  über  die  ganze 
Aussenfläche  derbetreflfendenZellen  ausdehnten;  dies  Verhalten 
ist  wohl  zugleich  ein  Beweis,  dass  nicht  die,  die  Zellen  im  Innern 
des  Eies  trennenden  Zellmembranen  oder  die  Kittsubstanz 
zwischen  ihnen  die  Ursache  der  elektrischen  Sonderung  sind. 
Da  zudem  einige  dieser  abgeplatteten  Eier  ihre  Zellpolfelder 
behielten,  so  folgt  daraus  wiederum,  dass  einerseits  nicht  die 
Abplattung  an  sich  bei  den  anderen  Eiern  die  Ursache  der 
totalen  Veränderung  der  Zellen  durch  den  Strom  war,  ebenso 
wie  auch,  dass  die  vorspringende  Wölbung  der  normalen  Zellen 
nicht  die  Ursache  der  Specialpolfelderbildung  ist. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  75 

Um  die  Richtigkeitdieser  letzteren  Anschauungdes  Weiteren 
darzuthun,  suchte  ich  das  Ei  schwach  zu  vergiften,  und  so  in 
seinerLebensenergie  zu  schwächen,  womöglich  ohne  die  Gestalt 
der  Zellen  zu  verändern:  Wenn  man  Eier  mit  wohlgerundeten 
Zellen  durch  kurz  dauerndes  Einlegen  in  V«o  gesättigte  Garbol- 
säurelösung  schwach  vergiftet,  so  behalten  sie  ihre  runde 
Zellgestalt,  gleichwohl  aber  dehnen  sich  bei  der  Durchströmung 
die  im  ersten  Momente  entstandenen  Specialpolfelder  sofort 
weiter  über  die  ganze  direct  bestrahlte  Zelloberfläche  aus,  und 
es  entsteht  so  ganz  rasch  jederseits  ein  einheitli ch  es,  aber 
imBereiche  der  oberen  Hemisphäre  ausgerundetvorspringenden 
Zellen  bestehendes  Polfeld;  und  zwischen  beiden  liegt  der  von 
zwei  durchgehenden,  parallelen  Grenzlinien  begrenzte  General- 
Äquator.  Die  Polfelder  greifen  sogar  etwas  über  die  Zellkanten 
gegen  die  Furchen  hin  über. 

Diese  Beobachtungen  beweisen  wohl,  dass  die  Special- 
polarisation der  einzelnen,  die  Morula  und  Blastula 
zusammensetzenden  Furchungszellen  an  eine  mit  der 
Vitalität  derselben  schwindende  Eigenschaft  geknüpft  ist.  Über 
die  Natur  dieser  Eigenschaft  werden  wir  unten  etwas  Weiteres 
erfahren. 

Ein  wenig  längere  Zeit  mit  der  CarboUösung  behandelte 
Eier  reagiren  nicht  mehr  auf  den  Strom,  entwickeln  sich  aber 
auch  nicht  weiter  und  erhalten  sich  viele  Tage  lang  unverändert ; 
während  lebende,  aber  sich  nicht  weiter  entwickelnde  Eier 
sich  in  wenigen  Tagen  zersetzen. 

Auch  abnormer  Weise  schon  vor  der  Zeit  der  ersten  Eitheilung 
(vielleicht  durch  das  Eindringen  mehrerer  Samenthierchen)  an 
ihrer  oberen  Hälfte  in  viele  Stücke  zerschnürte  Eier  bildeten  beim 
Durchströmen  Specialpolfelder  an  den  einzelnen,  durch  Furchen 
von  der  Umgebung  abgesonderten  Stücken  des  Zellleibes.  Einige 
Eier  aber  entwickelten  trotz  dieser  kugeligen  Gliederung  wieder 
sofort  die  allgemeinen  Polfelder. 

Gastrulae  und  junge  Embryonen  von  R,  esculenta  ergeben 
bei  genügend  starkem  Strom  grau  verfärbte  Polfelder  mit  scharfem, 
deutlichen  Grenzcontour,  der  einen  schmalen  unverfärbten 
Äquator  einschliesst.  Auch  dem  Ausschlüpfen  nahe,  sowie  erst 
vor  Kurzem  ausgeschlüpfte  Embryonen,  welche  beide  schon 


76  W.  Roux, 

ein  geschlossenes  Medullarrohr  haben,  bilden  scharf  gegen  dei> 
unveränderten  Äquator  begrenzte  Polfelder;  nur  muss  man,  um* 
sie  deutlich  zu  sehen,  nach  3 — 4  Minuten  dauernder  Durch- 
strömung noch  eine  halbe  bis  eine  Stunde  warten.  Die  Polfelder 
sind  je  nach  der  complicirteren  oder  einfacheren  Gestalt  der  Em- 
bryonen und  nach  der  Stellung  derselben  zur  Stromrichtung  sehr 
verschieden  gestaltet,  und  der  Äquator  ist  im  ersten  Falle  nicht 
selten  zickzackartig  gebrochen  und  zeigt  dabei  in  manchen' 
Stellungen  zur  Stromrichtung  wieder,  wie  bei  R.  fusca,  eine 
Neigung  zu  Parallelismus  seiner  Contouren,  obgleich  bei  anderere 
Stellungen  starke  Abweichungen  davon  vorkommen.  Auch  treten 
stellenweise  oder  ringsum  wieder  (vergl.  S.  47)  zwei  Äquator- 
bänder  auf,  welche  durch  ein  drittes,  an  die  schmalen  centralen 
Polfelder  des  zwei-  bis  vierfach  getheilten  Eies  (Fig.  8  und  9) 
erinnerndes  Polfeld  von  einander  getrennt  sind.  Die  Richtung 
des  Äquators  entspricht  gleichfalls  wieder  nicht  mehr  der  Fort- 
setzung der  Niveauflächen  des  umgebenden  homogenen 
Mediums,  vergl.  S.  47;  doch  ist  wohl  selbstverständlich,  dass  die 
Ränder  des  Äquators  äquipotentiale  Linien  des  Embryo 
darstellen. 

Wir  wissen  noch  nicht,  ob,  respective  wie  weit  diesen 
äusseren  Veränderungen  der  Embryonen  innere  entsprechen,, 
wenn  schon  an  durchscheinenden  Gebilden,  wie  den  kleinen 
Eierstockseiern  des  Frosches,  sowie  an  dem  Froschherzen  und 
anderen  später  zu  erwähnenden  Organen  die  inneren  Theile  des 
Polabschnittes,  bei  Besichtigung  auch  ohne  vorausgegangene 
Mikrotomirung  verändert  zu  sein  scheinen.  Aus  dem  Verhalten 
der  Embryonen  geht  aber  deutlich  hervor,  dass  sich  die  Gesammt- 
reaction  eines  Embryo  nicht  aus  der  Veränderung  der  in  Richtung- 
der  Stromfäden  des  homogen  gedachten  elektrischen  Feldes 
liegenden,  einzelnen,  etwa  für  sich  selbst  veränderten  Substanz- 
fäden integrirt,  sondern  dass  jeder  einzelne  Embryo,  wie  auch 
nach  den  Beobachtungen  an  Rana  fttsca  jedes  abgeschnittene, 
für  sich  im  Menstruum  liegende,  lebende  Stück  eines  solchen, 
als  Ganzes  beeinflusst  wird.  Denn  die  Reaction  erfolgt  in  einer 
Weise,  dass  die  in  den  Richtungen  der  Stromlinien  des  homo- 
genen Mediums  gelegenen  Substanzfäden  des  Embryo  sehr  ver- 
schieden, z.  B.  an  beiden  Enden  oder  bloss  an  einem  Ende  oder  gar 


Entwickelungsmechanik  der  Embryo.  77 

nicht  verändert  werden  würden.  Schon  desshalb  ist  nicht  anzu- 
nehmen, dass  die  juxta-  und  intraembryonalen  Stromfadenstücke 
in  ihren  Richtungen  denen  eines  homogenen  Feldes  derselben 
Stelle  entsprechen,worüber  unten  Weiteres  ermittelt  werden  wird. 

Selbst  über  vier  Wochen  alte  Kaulquappen  von  Ranaftisca 
Hessen  noch  Spuren  von  unserer  Polarisation  erkennen.  Wenn 
man  eine  solche  Quappe  von  10  mm,  Rumpf-  und  18  mm, 
Schwanzlänge  der  Länge  nach,  eine  andere  dagegen  in  Quer- 
richtung etwa  16Minuten  durchströmt  hat,  so  löst  sich  nach  1  bis  2 
Stunden  an  ersterer  das  Epithel  am  Kopf  und  Schwanz,  an  letz- 
terer an  rechter  und  linker  Seite  beim  Bepinseln  ab,  während 
es  im  Bereiche  der  Mittelstücke,  also  desÄquators  noch  fest  haftet. 

Um  die  feineren  Vorgänge  der  Polfeldbildung  an 
Embryonen  zu  studiren,  wurden  Froschlarvenschwänze  in 
dorsiventraler  Richtung  unter  gleichzeitiger  mikroskopischer 
Beobachtung  mit Zeiss'Objectiv  C  und  D  15Minuten  lang  durch- 
strömt. Doch  waren  die  Larven  leider  schon  erheblich  älter,  als 
diejenigen,  welche  noch  scharf  umgrenzte  Polfelder  ergaben.  Die 
vielfach  verästelten  Pigmentzellen  zogen  sich  auf  ihre  Haupt- 
balken zusammen;  viele  peripheren  Äste  wurden  dabei  isolirt 
und  Contrahirten  sich  zur  Kugel.  Während  in  den  nicht  durch- 
strömten Epithelzellen  des  Probeembr>'0  der  Kern  kaum  zu 
sehen  war,  bekamen  während  und  nach  der  Durchströmung  die 
Kerne  je  einedickeglänzendeMembran,und  im  Innern  entstanden 
viele  glänzende  Fäden.  Dann  verloren  die  Kerne  ihre  Grenzen 
und  an  Stelle  der  glänzenden  Fäden  entstanden  grössere  und 
kleinere  glänzende  Körner;  die  grösseren  Körner  verschwanden 
darauf,  die  kleineren  Körner  vertheilten  sich  in  derKernhöhle.Die 
Zellen  fielen  vom  Schwänze  ab,  behielten  dabei  aber  ihre  eckige 
Gestalt;  dieser  Zellabfall  fand  etwa  '/^  Stunden  nach  dem  Be- 
ginn der  Durchströmung  an  der  Stelle  stärkster  Stromwirkung 
statt  Framboisia  minore  d.  h.  Rundung  der  einzelnen  Epithel- 
zellen unter  Lösung  des  Verbandes  mit  den  Nachbarepithelien 
trat  in  diesem  vorgeschrittenen  Stadium  der  Entwicklung  nur 
an  einzelnen  Stellen  schwächerer  Stromwirkung  und  erst  nach 
1 — P/4  Stunden  auf.  Um  diese  Zeit  ist  in  vielen  Epithelzellen 
der  Kern  ganz  geschwunden.  Zu  bemerken  ist,  dass  auch  an 
einem   zum  Vergleiche  abgeschnittenen,  nicht  durchströmten 


78  W.  Roux, 

Schwänze  einer  gleichalterigen  Quappe  die  Kerne  später  dicke 
Membranen  gebildet  hatten,  dass  an  manchen  Stellen  zwischen 
den  Zellen  über  Nacht  viel  Intercellularsubstanz  abgeschieden 
wurde,  und  dass  auch  an  diesen  Zellen  die  Kerne  nicht  mehr 
erkennbar  waren.  Diese  nicht  polaren  structurellen  Reactionen 
embryonaler  Zellen  auf  den  elektrischen  Strom  und  ohne  solchen, 
bloss  nach  der  Abtrennung  vom  Körper  werden  von  mir  an  geeig- 
neteren Objecten  genauer  ermittelt  und  danach  einer  eingehen- 
deren Mittheilung  unterzogen  werden. 

Der  Einflu^s  der  Wärme  auf  die  Polarisationsfähigkeit 
der  Eier  von  Rana  esculenta  entspricht  wesentlich  dem  bereits 
vom  braunen  Frosch  Mitgetheilten.  Noch  ungefurchte  Eier 
reagiren  nach  kurzem  Einlegen  in  Wasser  von  39"*,  40** — 45°C. 
noch  stärker  und  rascher  als  nicht  erwärmte;  Abkühlung  durch 
Eis  verzögert  und  schwächt  die  Reaction  auf  den  Strom.  Durch 
3  Minuten  langes  Erwärmen  der  noch  ungefurchten  Eier  in 
Wasser  von  47 — 48"*  C.  wird  die  Reaction  träge,  die  Polfelder 
werden  nur  wenig  verfärbt  und  etwas  kleiner  als  sonst,  der 
Äquator  wird  also  entsprechend  breiter,  und  die  Niveaufurchen 
sind  bloss  wie  leicht  eingeritzt.  Nach  ebenso  langer  Erwärmung 
in  Wasser  von  48 — 49°  bleibt  die  Reaction  auf  den  Strom  aus. 
Dasselbe  geschieht  auch  schon  nach  5  Minuten  langem  Eir>- 
legen  der  Eier  in  Wasser  von  46°  C. 

Morulae  welche  durch  2  Minuten  langes  Einlegen  in 
Wasser  von  40,  46  oder  sogar  48°  C.  erwärmt  worden  sind, 
reagiren  sehr  rasch,  bilden  sofort  die  Specialpolfelder,  und  an 
der  Grenze  derselben  treten  an  den  oberen  Zellen  kleine  Tropfen 
Dotters  durch  die  Eirinde.  Nach  2^/^  Minuten  langem  Liegen  in 
Wasser  von  49°  C.  wachsen  beim  Durchströmen  die  Specialpol- 
felder sofort  über  die  ganze  Aussenfläche  der  Zelle  aus,  und  es  ent- 
stehen die  beiden  Generalpolfelder  mit  den  beiden  durchgehenden 
Niveaulinien  als  Grenzen.  Etwas  polwärts  von  diesen  Linien 
war  die  Veränderung,  die  Verfärbung  am  stärksten,  nahm  dann 
polwärts  etwas  ab,  um  am  Pole  selber  wieder  stärker  zu  sein. 
272  Minuten  in  Wasser  von  49°  C.  verbliebene  Eier  behalten 
normale  Gestalt  und  Farbe,  reagiren  aber  nicht  mehr. 

Befruchtete,  mehrere  Tage  alte  Eier,  welche  durch 
Carbolsäuredämpfe  schwach  vergiftet  worden  waren,  und 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  79 

sich  desshalb  nicht  entwickelt  hatten,  zeigten  nach  der  Be- 
handlung mit  einem  starken  Strom  einen  ebenso  schmalen 
Äquator,  als  normale  Eier;  aber  die  Polfelder  waren  nur  wenig 
verfärbt,  hatten  keine  Extraovate  gebildet,  und  an  Stelle  der 
Niveaufurchen  waren  bloss  pigmentirte  Niveaulinien  entstanden. 
Dieselbe  Abschwächung  der  Reaction  bei  normaler  Ausdehnung 
derselben  findet  auch  an  frisch  mit  Carbolsäure  vergifteten, 
noch  ungefurchten  Eiern  statt;  und  an  beiden  Arten  von  Eiern 
vollzog  sich  nach  der  Durchströmung  allmälig  eine  erhebliche 
Verbreiterung  und  Aufhellung  des  Äquators.  Nachdem  solche 
Eier  12  Tage  gestanden  hatten,  war  der  Äquator  stark  ge- 
wölbt und  die  Rinde  des  Äquators  besser  erhalten  als  die 
Rinde  im  Bereiche  der  Polfelder,  welche  oben  zersetzt  und 
macerirt  war. 

Mit  Hilfe  des  oben  erwähnten  Federbart-Galvanoskopes 
prüfte  ich  die  im  Abschnitt  II  ausgesprochene  Vermuthung, 
dass  die  beobachtete  Polarisation  unter  Freibleiben  eines  Äqua- 
tors vielleicht  zum  Theil  auf  einem  besseren  Leitungsver- 
mögen des  salzreichen  Eies  als  das  der  Medien,  innerhalb  deren 
die  Polarisation  gelang,  beruhe.  Obgleich  mit  diesem  trägen  und 
nicht  mit  einer  Scala  ausgestatteten  Instrument  nur  grobe 
Schätzungen  möglich  waren,  und  ich  keine  unpolarisirbaren  Elek- 
troden zugerüstet,  sondern  nur  die  Platinelektroden  angewandt 
hatte,  schien  doch  als  sicher  sich  zu  ergeben,  dass  frisch  bereitetes 
Ragout  fin  von  zur  Ablösung  reifen  Eierstockseiem,  sowie  von 
jungen  Embryonen  noch  nicht  einmal  so  gut  leitet,  als  halb- 
procentige  Kochsalzlösung.  Da  wir  nun  in  fünfprocentiger  und 
in  concentrirter  Kochsalzlösung,  sowie  in  zweiprocentiger 
Schwefelsäure  die  Polfeldbildung  haben  vor  sich  gehen  sehen, 
so  hat  sich  obige  Vermuthung  anscheinend  nicht  bestätigt. 
Doch  ist  daran  zu  denken,  dass  nicht  die  Eier  selber  in  diesen 
Lösungen  lagen,  sondern  bloss  ihre  Gallerthüllen,  und  dass 
innerhalb  der  1 — Vbmm  dicken,  mit  Wasser  getränkten,  und 
daher  wohl  schlechter  als  das  Ei  leitenden  Hülle  die  Stromfäden 
noch  eine  erhebliche  Umordnung  erfahren  konnten;  und  dass 
vor  der  Durchströmung  nicht  in  Wasser,  sondern  bloss  in  ein- 
procentiger  Kochsalzlösung  gelegene  Eier  nur  schwach  reagirten, 
wobei  aber  zugleich  die  Möglichkeit  einer  schädigenden  Neben- 


80  W.  Roux, 

Wirkung  vorliegt,  weil  in  vierprocentiger  Salzlösung  gelegene 
Eier  auch  nach  dem  längeren  Liegen  in  Wasser  nicht  mehr 
reagirten.  Neue  Versuche  müssen  &lso  mit  halbprocentiger 
Kochsalzlösung  durchgeführt  werden.  Leider  lässt  sich,  was  im 
einen  Frühjahr  versäumt  ist,  bei  diesen,  an  die  Laichperiode 
gebundenen  Versuchen  erst  im  nächsten  Frühjahre  nachholen,- 
welches  ich  aber  anderen  Versuchen  zu  widmen  gedenke. 

Werden  Eier  in  einen  Ring  von  2'Omm  dickem  Bleidraht 
oder  in  eine  aus  solchem  Bleidraht  gebildete  und  rechtwinkelig 
zum  Strom  gestellte  Gabel  gelegt,  so  bilden  sie  beim  Durch- 
strömen nur  kleine,  bloss  schwach  höckerige,  wenig  scharf 
begrenzte  Polfelder,  wenn  das  Wasser  den  Draht  überschwemmt; 
steht  das  Wasser  nicht  so  hoch,  so  bilden  die  Eier  keine  Pol- 
felder. Wird  dagegen  an  der  Gabel  das  Verbindungsstück 
durchschnitten,  so  bilden  die  zwischen  den  Drähten  liegenden 
Eier  bei  transversaler  Stellung  der  Drähte  fast  ebenso  grosse 
und  durch  Niveaufurchen  begrenzte  Polfelder,  als  frei  im 
Elektrolyten  liegende  Eier.  In  einer  längs  des  Stromes  liegenden, 
nicht  überschwemmten,  engen  Metallgabel  bildeten  bloss  die 
beiden  ersten  der  Öffnung  der  Gabel  folgenden  Eier  Polfelder. 

Diese  Ergebnisse  sind  unmittelbar  verständlich,  ebenso 
wie  die  folgenden  mit  Einlegung  von  nicht  überschwemmten 
Glasbälkchen  in  das  dektrolytische  Feld:  Von  Eiern,  welche 
zwischen  zwei  einander  nahen,  rechtwinkelig  zum  Strom 
orientirten  Glasbälkchen  liegen,  bilden  bloss  die  den  Enden  der 
Glasbälkchen  nächstliegenden  die  Polfelder,  und  zwar  kleinere, 
weniger  veränderte  als  die  freien  Eier.  An  den  Eiern  in  der 
Mitte  dagegen  entstehen  keine  Polfelder.  Bildet  man  aus  den 
Glasbälkchen  einen  spitzen  Winkel,  so  kann  man  gleichfalls 
nach  der  Grösse  der  Polfeider  an  den  eingelagerten  Eiern  die 
Abschwächung  des  Stromes  an  den  betreffenden  Stellen,  sowie 
aus  der  Richtung  der  Äquatorränder  die  abgelenkte  Richtung 
der  Stromfäden  erkennen.  Wird  bloss  eine  Glasleiste  recht- 
winkelig zu  den  Kraftlinien  in  das  Stromfeld  gelegt,  so  bilden 
wiederum  die  ihr  anliegenden  Eier  zwei  Polfelder,  aber  die- 
jenigen an  der  Mitte  der  Leiste  entwickeln  solche  nur  von 
geringerer  Ausdehnung  und  geringerem  Grade  der  Veränderung, 
als  die  an  den  Enden  gelegenen. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  o  1 

Bringt  man  zwischen  die  Eier  Quecksilberkügelchen,  so 
nähern  sich  die  Kügelchen,  wie  auch  sonst  beim  Durchströmen 
einander,  verschmelzen,  und  die  der  so  entstandenen  Queck- 
silbermasse zufallig  anliegenden  Eier  bilden  unregelmässige, 
die  nicht  vom  Quecksilber  berührten  aber  nur  kleine  Polfelder. 

In  Dielectricis,  wie  geschmolzene  Carbolsäure,  Olivenöl 
eingebettete  Froscheier  reagirten  nicht,  auch  bei  grösster  Nähe 
der  Elektroden,  so  dass  also  eine  Wirkung  statischer  Induction 
nicht  erkennbar  war;  ebenso  wie  auch,  nach  dem  in  Abschnitt  I 
Mitgetheilten,  an  den  im  Solenoid  liegenden  Eiern  keine  Wir- 
kung einer  dynamischen  Induction  zu  bemerken  war.  Wurden 
dieselben  Eier  unmittelbar  darauf  in  Wasser  durchströmt,  so 
reagirten  sie. 

Zerreibt  man  fast  zur  Ablösung  reife  Eierstockseier  in 
halbprocentiger  Kochsalzlösung,  und  durchströmt  von  der 
Masse  einzelne  Tropfen  im  Wasser,  so  ist  keine  V'eränderung, 
also  auch  keine  Polarisation  erkennbar.  Dasselbe  ist  der  Fall, 
wenn  man  die  Masse,  um  sie  zu  formen,  mit  eingedickter 
Lösung  von  Gummi  arabicum  versetzt  hat. 

Auch  auf  die  Eier  von  Rana  escnlenta  wandte  ich  den 
Gleichstrom  an  und  erhielt  ausser  der  Bestätigung  der  am 
braunen  Frosch  gewonnenen  Befunde  noch  einige  neue  Resul- 
tate durch  Ausdehnung  der  Versuche  auf  andere  Entwicklungs- 
stufen. 

Noch  durchscheinende  Eierstockseier  bilden  ein  weiss- 
lich  trübes,  anodisches  und  ein  helles,  wässerig  durchscheinendes 
kathodisches  Polfeld;  letzteres  wird  allmälig  etwas  länglich 
und  kann  schliesslich  aufplatzen,  so  dass  sich  der  Eiinhalt  in 
die  umgebende  Flüssigkeit  entleert.  Oft  sieht  man  durch  das 
trübe  anodische  Polfeld  das  grosse,  klar  gebliebene  Keim- 
bläschen schon  bei  Loupenbetrachtung  durchscheinen.  An 
gleichen  Eiemjwelche  aber  nicht  von  etwas  Wasser  oder  Gewebe- 
saft umspült  waren,  konnte  ich  (N.  B.  bei  Aufsetzung  der 
Elektroden  auf  ein  Stück  des  Eierstockes,  und  bei  Anwendung 
von  bloss  8  Bunsen)  gleich  wie  beim  Wechselstrom  keine 
deutliche  Veränderung  wahrnehmen.  Ebenso  bilden  dotter- 
körnerhaltige,  grössere  Eierstockseier  bei  Anwesenheit  von 
Flüssigkeit  deutliche  Polfelder,   zuerst  ein  scharf  begrenztes 

Siub.  d.  matliem.-naturw.  Cl. ;  Gl.  Bd.  Ahth.  III.  6 


82  W.  Röux, 

rauh  werdendes,  anodisches,  darauf  ein  weniger  deutliches, 
aber  an,  der  Kathode  nahen  Eiern  aufplatzendes  kathodisches 
Polfeld.  Die  bekannte  kataphorische  Wirkung  des  Gleichstromes 
auf  der  Kathodenseite  ist  also  hier  eine  sehr  starke. 

Unbefruchtete,  reife  Eier  von  Rana  esculenta  bilden 
gleichfalls  zunächst  ein  grosses,  leicht  graubraun  verfärbtes 
positives,  darauf  ein  kleineres,  aber  in  der  Nähe  der  Kathode 
an  Grösse  zunehmendes  negatives  Polfeld. 

Befruchtete  Eier  zeigten  wesentlich  dasselbe  Verhalten; 
an  ihnen  beobachtete  ich  im  Bereiche  der  Polfelder  an  der 
oberen  Hemisphäre  einen  Durchtritt  feinen,  weissen  Dotters 
durch  die  ganze  Fläche  der  betreffenden  Eirinde  nach  aussen, 
wodurch  also  die  graue  Verfärbung  des  Polfeldes  zum  Theil 
bedingt  ist.  An  durch  Eis  gekühlten  Eiern  entstand  erst  zwei 
Minuten  nach  dem  Auftreten  des  anodischen  Feldes  auf  der 
kathodischen  Eihälfte  eine  braun  pigmentirte  Niveaulinie,  oder 
bei  anderen  Eiern  ein  anfangs  kleines,  dann  fast  zur  Grösse 
des  positiven  anwachsendes  wenig  verfärbtes  Polfeld.  Die 
positive  Eihälfte  behält  ihre  Wölbung,  die  negative  wird  wieder 
in  Richtung  des  Stromes  etwas  verlängert  und  gefaltet. 

Bei  geringem  Elektrodenabstand,  also  bei  starker  An- 
ordnung, breitet  sich  die  anodische  Polfeldbildung  nicht 
erkennbar  successive  vom  elektrischen  Pol  des  Eies  aus,  sondern 
tritt  anscheinend  gleichzeitig  in  einem  grossen  Polfelde  auf;  und 
die  Veränderung  ist  sogleich  in  der  Nähe  der  Niveaulinie  am 
stärksten,  so  dass  z.  B.  an  der  Morula  in  der  Nähe  der  Niveau- 
linie die  Zellen  ganz  weiss  oder  ganz  aufgerissen  sind,  während 
am  Pole  ihre  braune  Farbe  nur  schwach  grau  verfärbt  ist. 

Bei  schwachem  Strom  entsteht  auf  der  negativen  Seite 
des  Eies  überhaupt  kein  Polfeld.  Bei  starker  Anordnung  nimmt 
die  Grösse  derPolfelder  deutlich  in  der  Nähe  der  Elektroden  trotz 
gleichen  Querschnittes  der  Strombahn  zu,  und  die  unmittelbar 
neben  der  Kathode  stehenden  Eier  werden  in  ihrer  dieser  zuge- 
wendeten Hälfte  geradezu  zerrissen;  während  die  neben  der 
Anode  befindlichen  Eier  stark  veränderte  Polfelder  von  der 
typischen  Form  des  positiven  Polfeldes  bekommen. 

Wird  bloss  kurze  Zeit  (30  Secunden)  durchströmt  und 
darauf  die  Stromrichtung  umgekehrt,    so   erhält  man  beider- 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  83 

seits  Veränderungen  von  der  Beschaffenheit  eines  positiven 
Polfeldes,  und  das  Ei  bietet  das  Aussehen  eines  mit  dem 
Wechselstrom  behandelten  Eies  dar.  Wird  erst  später  die 
Stromrichtung  gewechselt,  wenn  schon  die  negative  Niveau- 
linie vorhanden  war,  so  kann  man  bei  geeigneter  Dauer  der 
zweiten  umgekehrten  Ehirchströmung  Eier  mit  jederseits  zwei 
Niveaulinien  erhalten,  von  denen  die  beiden  vom  Äquator  ent- 
fernteren den  Kathoden  entsprechen;  ein  Bild,  welches  ich 
auch  einige  Male  bei  besonderer  Anordnung  unter  Anwendung 
des  Wechselstromes  erhalten  habe. 

In  der  ersten  oder  zweiten  Furchung  begriffene, 
ebenso  wie  schon  bis  zur  Morulastufe  weiter  getheilte  Eier 
von  Rana  esculenia  bildeten  innerhalb  20 — 30  Secunden  vom 
positiven  Pole  des  Eies  aus  sich  ausbreitende  Polfelder  an  den 
einzelnen  Zellen,  aber  bloss  an  den  Zellen  der  Anodenseite 
des  Eies.  Das  Zellpolfeld  liegt  wieder  polwärts,  der  Zelläquator 
distal  davon.  Springt  von  der  kathodischen  Eihälfte  eine  (also 
dem  Äquator  nahe)  Zelle  so  stark  vor,  dass  sie  noch  von  der 
Anode  aus  durch  die  Flüssigkeit  hindurch  direct  bestrahlt 
werden  kann,  dann  bildet  diese  Zelle  gleichfalls  ein  ent- 
sprechendes, kleines,  positives  Polfeld. 

Auch  Gastrulae  mit  halboffenem  Urmund  wurden  durch- 
strömt; sie  bildeten  zunächst  ein  leicht  grau  verfärb tes  positives, 
dann  ein  ebenso  beschaffenes  negatives  Generalpolfeld. 

Herzen  von  Rana  esculenia^  welchen  wie  früher  bei  An- 
wendung des  Wechselstromes,  um  das  Blut  in  der  Herz- 
wandung zu  stauen  und  so  den  Äquator  durch  Dehnung  sicht- 
barer zu  machen,  mit  einem  durch  den  sinus  transversus 
pericardii  ohne  jede  Verletzung  der  Vorhofsganglien  hindurch- 
geführten Faden  distal  vom  Ursprung  des  bulbus  arteriosus 
die  beiden  Arterien  unterbunden  waren,  und  welche  danach  so 
rasch  in  Zusammenhang  mit  den  Vorhöfen  herausgeschnitten 
worden  waren,  dass  der  Ventrikel  wohl  bluthaltig,  aber  nicht 
prall  gefüllt  war,  bildeten  bei  der  Durchströmung  mit  dem 
Gleichstrom  nach  einer  oder  einigen  Contractionen  zunächst 
ein  von  dem  anodischen  Pol  des  Herzens  ausgehendes,  stetig 
wachsendes,  bis  über  die  Hälfte  des  Herzens  einnehmendes 
blasses   Feld  tonischer  Contraction;  darauf  entstand  auf  die 

6* 


84  W.  Roux, 

gleiche  Weise  auch  auf  Seite  der  Kathode  ein  kleinerer 
Abschnitt  tonischer  Contraction;  und  schliesslich  war  zwi- 
schen den  blassen  Feldern  bloss  noch  eine  rothe  bluthaltige 
Scheibe,  welche  entsprechend  weiter  gegen  die  Kathode  zu 
gelagert  war  und  die  Hauptrichtung  einer  Niveaufläche  hatte. 
Sind  die  Vorhöfe,  gegen  die  Anode  gewendet,  so  beginnt  der 
Tonus  an  ihnen  und  den  Arterien,  und  die  Äquatorscheibe 
steht  schliesslich  etwa  in  der  Mitte  des  Gesammtherzens,  also 
nahe  der  Basis  des  Ventrikels,  wobei  wohl  die  Begünstigung 
des  kathodischen  Feldes  durch  die  Herzspitze  von  Bedeutung 
ist,  ebenso  wie  bei  Wendung  der  Herzspitze  gegen  die  Anode 
die  rothe  Äquatorscheibe  ganz  an  die  Basis,  an  die  Grenze  des 
Ventrikels  verlegt  wird.  Der  Versuch  gelingt  auch,  zumal  mit 
dem  Wechselstrom  gut,  ohne  künstliche  Blutstauung  durch 
Unterbindung,  besonders  in  starker  Kochsalzlösung;  selbst  in 
fünf-  oder  zehnprocentigerKochsalzlösung  wurden  noch  contra- 
hirte  Polfelder  gebildet,  statt  eines  contrahirten  Äquators,  den 
man  nach  dem  besseren  Leitungsvermögen  dieser  Elektrolyten 
vielleicht  erwartet  hätte. 

Schwerer  als  beim  Wechselstrom  gelingt  es  mit  dem 
Gleichstrom,  dieselbe  Reaction  ein  zweites  Mal  in  anderer  oder 
in  derselben  Richtung  als  beim  ersten  Male  hervorzubringen. 
Immerhin  ist  nicht  zu  zweifeln,  dass  in  beiden  Fällen  beim 
Herzen  keine  in  ihrer  Natur  der  der  Eier  und  Embrvonen  ver- 
gleichbare,  morphologische  Reaction,  sondern  bloss  eine  polar 
localisirte  Contraction,  also  eine  functionelle  Reaction,  vorliegt. 
Mit  dem  Wechselstrom  kann  man  dreimal  polare  Contract'on 
an  demselben  Herzen  veranlassen,  ohne  dass  eine  sichtbare 
bleibende  Veränderung  eintritt,  wie  es  bei  den  Eiern  und 
Embryonen  und  der  Gallenblase  schon  bei  der  ersten  Reaction 
der  Fall  ist;  bei  diesen  letzteren  schwindet  keine  einmal  sicht- 
bar gewordene  Veränderung  wieder.  An  dem  Herzschlauch 
junger  Embryonen  werden  wir  auch  noch  bleibende,  morpho- 
logische Polarisation,  aber  vielleicht  nicht  unbedingt  deletärer 
Natur  kennen  lernen. 

Werden  Gallenblasen  des  Wasserfrosches  mit  sehr 
schwachem  Wechselstrom  durchströmt,  so  behalten  die 
grünen  Polfelder  ihre  geringe  Grösse  bald  constant  (13  Minuten 


Entwickelungsmechanik  des  Embr>'o.  85 

lang  geprüft);  darauf  rechtwinkelig  durchströmt,  bekommt  der 
vorherige  Äquator  eben  so  grosse  Polfelder,  die  constant 
bleiben;  aber  nach  Verstärkung  der  Anordnung  wachsen  sie 
und  können  den  Äquator  ganz  zum  Verschwinden  bringen.  Am 
Polfeld  sind  bei  schwachem  Strom  zu  unterscheiden  ein  dem 
Pol  sich  anschliessender  Theil  mit  grünlich  gelbem,  körnigem 
opaken  Beschlag,  und  distal  daran  grenzend  eine  bloss  blau 
durchscheinend  gewordene  Zone  neben  dem  trüb  graublau 
gebliebenen  Äquator.  Mit  obigem  Gleichstrom  behandelt, 
bilden  mitten  zwischen  den  Elektroden  liegende  Gallenblasen 
sehr  rasch  gegen  die  positive  Elektrode  ein  grosses,  fast  die 
halbe  Blase  einnehmendes,  gegen  die  negative  Elektrode  nar 
ein  ganz  kleines  grünes  Polfeld.  Die  seitlich  im  Stromfeld 
stehenden  Blasen  zeigten  nur  das  positive  Polfeld.  Bei  darauf 
in  umgekehrter  Richtung  erfolgender,  6  Minuten  langer  Durch- 
strömüng  bildeten  dieselben  Blasen  auf  der  früher  negativen, 
jetzt  positiven  Seite  gleichwohl  kein  Polfeld;  auch  war  danach 
durch  erneute  Durchströmung  in  der  ersten  Richtung  keine 
weitere  Vergrösserung  der  bei  der  ersten  Durchströmung 
erhaltenen  Polfelder  zu  erzielen. 

In  fünf-  oder  zehnprocentiger,  ja  in  concentrirter  Kochsalz- 
lösung durchströmte  Gallenblasen  bildeten  grüne  Polfelder  statt 
eines  etwa  erwarteten  grünen  Äquators.  Selbst  in  so  gut  leiten- 
der Flüssigkeit  wie  verdünnte  Schwefelsäure  wurden  zuerst 
die  Polabschnitte  verfärbt. 

Triton. 

Ein  zu  unseren  Versuchen  sehr  geeignetes  Material  stellen 
ferner  die  Eier,  Morulae  und  Embryonen  des  Triton  alpestris 
dar.  Die  an  den  beiden  Froschspecies  gemachten  Beobachtun- 
gen wurden  daran  in  allen  wesentlichen  Punkten  bestätigt. 
Zugleich  bot  dieses  Material  Gelegenheit,  unsere  Kenntnisse 
zu  erweitern,  da  die  Eihüllen  hier  leicht  zu  entfernen  sind  und 
das  nackte  Ei  während  der  Durchströmung  mikroskopisch  (mit 
Zeiss-Objectiv  A  bis  C)  beobachtet  werden  kann;  fernerauch, 
weil  die  Empfindlichkeit  des  Materiales  eine  sehr  grosse  ist. 
Ich  theile  auch  die  kleinen  besonderen,  zum  Theil  sehr  wech- 
selnden Züge  mit;  denn  wenn  schliesslich  aus  den  beobachteten 


86  W.  Roux, 

Erscheinungen  die  wirklichen  Vorgänge  der  Reaction  und  deren 
ursächliche  Vermittlung  abgeleitet  werden  sollen,  womit  aber 
erst  nach  der  Mikrotomirung  und  der  ihr  folgenden  inneren 
Besichtigung  der  Objecte  begonnen  werden  kann,  so  sind  uns 
die  feinen  Züge  unerlässlich  nöthig,  ja  viel  wichtiger  als  das 
stets  vieldeutige,  constantere  Geschehen  erster  Ordnung;  denn 
die  Vorgänge  zweiter  Ordnung  und  die  unter  ihnen  vorkommen- 
den Variationen  sind  es,  die  uns  das  Wesen  eines  Geschehens 
verrathen. 

Die  Tritoneier  stellen  sich,  wie  die  des  Frosches,  mit  der 
pigmentirten  hellbraunen  Hemisphäre  nach  oben,  mit  der  hell- 
gelben Hemisphäre  nach  unten  ein;  sie  sind  manchmal  in  der 
wagrechten  Richtung  etwas  länglich  gestaltet. 

Werden  ungefurchte  Tritoneier  mit  sehr  ge- 
schwächtem Strom  bloss  eine  Secunde  durchströmt,  so 
bekommen  sie  erst  hinterher  ein  Polfeld,  welches  aber  nur  sehr 
klein  ist;  bei  2  Secunden  langer  Durchströmung  kann  das 
danach  entstehende  Polfeld  schon  90**  einnehmen,  ist  aber 
bloss  schwach  grau  verfärbt  und  durch  eine  seichte  Niveau- 
furche umgrenzt;  während  nach  5  Secunden  langer  Durch- 
strömung das  Polfeld  fast  nicht  grösser,  aber  viel  intensiver 
verändert  ist.  Doch  sah  ich  auch  bei  ganz  derselben  Anordnung 
nach  bloss  1  Secunde  dauernder  Durchströmung  am  Pole 
einige  kleine,  -  punktförmige  Extraovate  entstehen,  und  nach 
einer  Durchströmung  von  bloss  einer  halben  Secunde  eine  sehr 
schwache  Verfärbung  in  einer  Ausdehnung  von  fast  90**  auf- 
treten. Die  Reactionen  gleich  alter  Eier  bei  ganz  gleichen 
äusseren  Bedingungen  sind  also  sehr  verschieden. 

Tage  lang  auf  Eis  gestandene,  noch  kalte  ungefurchte 
Eier  reagiren  auch  bei  relativ  langdauernder  Durchströmung 
wieder  sehr  schwach,  bilden  braune  Niveaulinien,  wenig  verfärbte 
Polfelder;  nach  2*/^  Minuten  langer  Durchströmung  ist  jedoch 
der  Äquator  bloss  noch  etwa  Ye  Eidurchmesser  breit,  um 
schliesslich  nach  8  Minuten  langer  Stromdauer  bei  einer  Breite 
von  Vio  Durchmesser  stehen  zu  bleiben  und  etwas  zu  ver- 
blassen. Auf  eine  rechtwinkelig  zur  ersten  folgende  zweite 
Durchströmung  reagirte  alsdann  der  Äquator  nicht  mehr.  Ein 
ähnliches  Erlöschen  der  Reactionsfähigkeit  sah  ich  nach  sehr 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  87 

langer  Durchströmung  auch  an  schon  getheilten  Eiern,  z.  B.  an 
den  in  der  zweiten  Furchung  begriffenen  Eiern,  darin  sich  aus- 
sprechen, dass  der  nach  Zerstörung  der  Specialäquatoren  der 
Zellen  entstandene  Generaläquator  nicht  continuirlich  gerichtet, 
sondern  oben  bajonetteförmig  geknickt  war  und  es  auch  bei 
fortgesetzter  Durchströmung  blieb. 

Bei  geringer  Verstärkung  der  Anordnung  vergrössem  und 
vermehren  sich  die  Extraovate;  auch  treten  an  zahlreichen 
Stellen  der  Eirinde  kleine  Tröpfchen  des  Eiinhaltes  wie  durch 
Poren  aus  und  confluiren  nach  und  nach  zu  einer  einheitlichen 
Masse,  zu  einer  Polkappe,  die  entsprechend  der  Farbe  der  Extra- 
ovate anfangs  oben  braun,  unten  weiss  ist.  Allmälig  steigen 
die  weisseren  Massen  von  unten  auf  und  vermengen  sich  oben 
mit  der  braunen  Masse. 

In  der  Nähe  der  Elektroden  stehende  ungetheilte  Eier 
bilden  manchmal  im  Bereich  der  hellbraunen,  oberen  Eihälfte 
am  Äquator  Pigmentstreifen,  welche  annähernd  die  Rich- 
tung von  Polmeridianen  haben. 

Vor  dem  Beginn  der  Niveaufurchenbildung  ent- 
stehen an  ungefurchten  Eiern  manchmal  in  der  elastischen 
Eirinde  im  Bereich  des  Äquators  dicht  gestellte,  einander 
parallele,  quer  zur  künftigen  Furche  orientirte  feine  Falten, 
ähnlich  den  Falten,  wie  sie  sonst  bei  Entstehung  der  ersten 
Theilungsfurche  in  der  Rinde,  aber  in  etwas  anderen  Richtun- 
gen, auftreten.  Diese  Falten  machen  hier  wie  dort  den  Eindruck 
von  Dehnungsfalten.  Die  Bildung  der  Niveaufurchen  beginnt 
mit  einer  Einschnürung  an  der  Niveaulinie,  und  darauf  erhebt 
sich  oben  am  Ei  der  anliegende  Rand  der  Polfelder.  Vielleicht 
ist  der  Beginn  dieser  beiden  Vorgänge  als  die  Ursache  der 
Fältelung  der  Eirinde  an  diesen  Stellen  aufzufassen.  Die  Über- 
wölbung des  Polfeldes  über  den  entsprechend  einsinkenden 
Äquator  ist  beim  ungefurchten  Tritonei  noch  stärker  als  bei 
Rana  esculenta  und  kann  bei  starkem  Strom  Ve  Eidurch- 
messer  erreichen  (siehe  Fig.  1 3). 

Bei  dreimaliger  kurzdauernder  Durchströmung  derselben 
Eier  sah  ich  jedesmal  die  Bildung  einer  Niveaufurche,  welche 
letztere  während  der  nächsten  Durchströmung  sich  mehr  oder 
weniger  abglich  und  durch  zungenförmige,  in  ihrer  Farbe  ver- 


88  W.  Roux, 

änderte  Sprossen  des  wachsenden  Polfeldes  überschritten 
wurde.  Die  so  allmälig  auf  7^  Eidurchmesser  verringerte  Breite 
des  Äquators  wurde  dann  während  5  Minuten  anhaltender 
weiterer  Durchströmung  beibehalten,  wonach  sich  der  Äquator 
wieder  im  Ganzen  etwas  grau  verfärbte,  und  darauf  bei  erneuter 
Durchströmung  in  zur  ersten  rechtwinkeliger  Richtung  keine 
Polfelder  mehr  bildete,  sondern  bloss  noch  etwas  grauer  wurde. 

An  einem  ungetheilten  Ei  verfolgte  ich  genauer  die  am 
Äquator  vor  sich  gehenden  Pigmentwanderungen,  siehe  Fig.  3. 
Von  der  Niveaulinie  aus  bildeten  sich  im  braunen  Äquator  der 
oberen  Hemisphäre  weisse,  regelmässig  neben  einander  liegende 
pigmentlose  Felder,  die  sich  äquatorwärts  abrundeten  und  von 
einander  durch  stehengebliebene  braune,  in  dem  Pigment  des 
Äquators  auslaufende  Streifen  getrennt  waren,  so  dass  die  braune 
Äquatorrinde  also  gegen  das  Polfeld  hin  Arcaden  bildete;  die- 
jenigen Arkaden,  welche  am  wagrechten  Eiäquator  lagen, 
waren  etwas  aufwärts  gerichtet,  während  die  oberen  annähernd 
Polmeridianrichtung  hatten.  Mit  der  Zeit  wurden  die  Arcaden 
höher,  danach  schwanden  die  trennenden  braunen  Säulen,  und 
damit  war  am  braunen  Äquator  die  helle  seitliche  Grenzlinie 
entstanden,  neben  welcher  nach  aussen  die  oft  dunkelbraun 
pigmentirte  Niveaulinie  als  Vorläufer  der  Niveaufurchenbildung 
gelegen  ist. 

An  unbefruchteten  Eiern,  welche  schon  so  alt  waren,  dass 
sie  gelitten  hatten,  blieben  die  Durch tritte  von  Eiinhalt  durch 
die  Eirinde  aus;  die  Polfelder  überwölbten  auch  nicht  den 
Äquator,  welcher  oben  im  Bereiche  der  braunen  Hemisphäre 
weiss  wurde  und  sogar  bei  10 — 20  Minuten  lang  dauerndem 
Durchströmen  seine  in  der  ersten  Minute  gewonnene  Grösse 
behielt.- 

Einige  ungefurchte  Eier  waren  derart  zersetzt,  dass  oben 
statt  der  Eirinde  ein  runde  Hohlräume  einschliessendes  Netz- 
werk von  Balken  sich  fand.  Gleichwohl  bildeten  diese  Eier  Pol- 
felder, Niveaufurchen,  einen  convexen  Äquator,  alles  dies,  ob- 
gleich oben,  also  an  der  Stelle  der  intensivsten  Veränderungen 
die  zusammenhängende  typische  Eirinde  fehlte. 

Die  getheilten  Eier  angehend,  so  bildeten  diese  die 
Specialpolfelder  der  einzelnen  Zellen  nach  den  für  das 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  89 

Froschei  angegebenen  Regeln  und  behielten  damit  auch  an  vielen 
Zellen  den,  unter  einem  scheinbar  sehr  wirksamen  Winkel  zu  den 
Stromfaden  stehenden  Zelläquator.  An  Eiern,  welche  erst  in  vier 
oder  acht  Zellen  zerlegt  sind,  reicht  jede  Zelle  noch  bis  zur  Ei- 
mitte;  da  nun  die  Specialäquatoren  der  Zellen  alle  distal  vom 
Pol,  also  gegen  die  rechtwinkelig  zur  Stromrichtung  stehende 
Mittelebene  des  Eies  gerichtet  sind,  so  formiren  alle  Special- 
äquatoren derZellen  wieder  den  zusammenhängenden, scheinbar 
einheitlichen  Äquator,  der  aber  durch  die  gebrochene,  nicht  in 
continuirlich  gleicher  Richtung  durchgehende  Begrenzung  be- 
kundet, dass  er  nicht  ein  wirklicher  Generaläquator  ist.  Diese  Auf- 
fassung bestätigt  sich  auf  s  Neue  nach  weiterer  Theilung  des  Eies, 
wo  dann  Zellen  vorhanden  sind,  die  durch  andere  von  der  Mitte 
getrennt  sind,  indem  diese  Zellen  ihren  eigenen,  von  dem  der 
mittleren  Zellen  durch  die  Polfelder  dieser  getrennten  Äquator 
erhalten.  Dieses  Verhalten  bleibt  bei  lebensfrischen  Morulae,  ja 
Blastulae  mit  gerundeten  Zellen  auch  noch  auf  einer  Stufe  der 
Zellzerkleinerung  von  dem  Maasse  bestehen,  dass  drei  oder  vier 
Zellen  die  Breite  des  eben  erwähnten  Gesammtäquators  jün- 
gerer, erst  in  vier  oder  acht  Zellen  zerlegter  Eier  einnehmen, 
wobei  gleichwohl  aber  jede  einzelne  dieser  kleinen  Zellen  für 
sich  polarisirt  ist;  nur  die  der  mittelsten  Niveaufläche  des  Eies 
anliegenden  Zellen  berühren  noch  mit  ihren  Äquatoren  einander 
und  formiren  so  wiederum  ein  scheinbar  einheitliches,  aber  jetzt 
nur  sehr  schmales  Äquatorband.  Diese  Einheitlichkeit  ist  jedoch 
erst  bei  schon  fein  getheilten  Blastulae  wirklich  vorhanden; 
denn  wenn  die  Theilung  noch  nicht  so  weit  vorgeschritten  ist, 
erhält,  wie  beim  Froschei,  ein  Theil  der  diesen  Äquator  bilden- 
den Zellen  jederseits  ein  Polfeld,  nämlich  diejenigen  Zellen, 
welche  durch  ihr  Vorspringen  und  zufolge  der  Gunst  der  Nach- 
barschaft von  beiden  Seiten  her  durch  direct  aus  dem  Elektro- 
lyten kommende  Stromfäden  getroffen  werden  können.  Bei  sehr 
schwachem  Strome  sah  ich  nach  längerer  Durchströmung  an 
Blastulae,  dass  die  beiden  mittelsten  Zellreihen,  die  oben 
den  scheinbar  einheitlichen  Äquator  darstellten,  jede  i  h  r  R  i  n  d  e  n- 
pigment  fast  ganz  in   dem  polwärts  gelegenen  Ende 
der  Zelle  anhäuften,  und  dass  die  Zellen  selber  fast 


90  '      W.  Roux, 

zum  doppelten  ihrer  vorherigen  Grösse  in  der  Strom- 
richtung verlängert  wurden. 

Werden  Tritoneier  nach  der  vierten  und  fünften  Theilung 
mit  V20  gesättigter  Carbolsäurelösung  vergiftet  und  durch- 
strömt, so  bilden  sie,  wie  die  entsprechend  behandelten  Frosch- 
eier, bei  vollkommener  Erhaltung  der  Zellrundung,  zunächst  die 
Specialpolfelder  der  Zellen;  diese  Einzelfelder  vergrössem  sich 
aber  sofort  auf  den  Polseiten  des  Eies  über  die  ganze  Aussen- 
fläche  der  Zelle  zur  Bildung  der  beiden  Generalpolfelder 
des  Eies,  während  gleiche,  nicht  vergiftete  Eier  ihre  zuerst 
gebildeten  Specialpolfelder  mehrere  Minuten  lang  in  constanter 
Grösse  behalten,  sie  aber  in  verstärktem  Maasse  verändern  und 
Zellniveaufurchen  entstehen  lassen,  um  erst  später  auf  einmal 
zur  Bildung  der  Generalpolfelder  überzugehen. 

Mit  Zeiss'  Objectiv  A  konnte  ich  an  einer  in  kleine  Zellen 
getheilten  Blas  tu  la  Folgendes  beim  Durchströmen  erkennen. 
Zuerst  entsteht  an  den  seitlichen  braunen  Zellen  im  Bereiche 
des  Zellpolfeldes  eine  ganz  feine  weisse  Granulirung,  wie  durch 
Dottersubstanz,  die  durch  die  Rinde  getreten  ist;  jede  Zelle 
bildet  ihre  braune  Niveaulinie;  danach  erfolgt  Aufplatzen  der 
Zellrinde  längs  der  Niveaulinie  und  massiger  Austritt  von  Zell- 
inhalt, in  welchem  man  oft  eine  helle,  wohl  dem  Kern  ent- 
sprechende Stelle  sieht.  Es*  erfolgt  also  hier  dasselbe  im  Kleinen, 
was  ich  an  den  ersten  Furchungskugeln  und  am  ganzen  un- 
getheilten  Frosch-  und  Tritonei  gesehen  hatte.  Die  Special- 
polfelder der  Zellen  waren  im  vorliegenden  Falle  am  Pole 
am  grössten  und  nahmen  gegen  den  elektrischen  Äquator 
des  Eies  allmälig  an  Grösse  ab.  Die  Zelle  in  der  Mitte  des  Pol- 
feldes hatte  statt  einer  Anhäufung  des  Pigmentes  in  einer 
Niveaulinie  einen  grossen,  braunen,  runden  Fleck  in  der  Mitte  der 
Aussenfläche  der  Zelle,  der  zugleich  das  Polfeld  darstellte  und 
von  einem  helleren  Saume,demZel]äquator,rings  umgeben  war. 

Die  Verfärbung  der  Polfelder  ist  also  deutlich 
mit  dem  Durchtritte  von  weissem  Zellinhalt  durch 
die  Zellrinde  verbunden;  zugleich  findet-  eine  Pig- 
mentanhäufung an  der  Niveaulinie  statt;  darauf  erfolgt  Auf- 
platzen der  Zellen  und  Entleerung  von  viel  Zellinhalt  als 
Extracellulat. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  91 

Auch  an  einer  noch  älteren  Entwickelungsstufe,  an  einer 
dem  Schlüsse  nahen  Gastrula,  welche  umgekehrt, d.  h.  mit  dem 
Urmunde  nach  oben  gewendet  lag,  konnte  ich  deutlich  sehen, 
'dass  noch  jede  einzelne  Zelle  ein  Polfeld  bildete,  welches  gegen 
den  Pol  gewendet  war. 

Im  feineren  Verhalten  schon  vielfach  getheilter  Eier, 
bieten  sich  jedoch  wieder,  wie  beim  ungetheilten  Ei,  nach  Strom- 
stärke, Stromdauer  und  offenbar  auch  in  hohem  Maasse  nach 
der  Individualität  der  Eier  mannigfache  theilweise  entgegen- 
gesetzte Variationen  dar,  die  jetzt  dargestellt  werden  sollen. 
Die  Versuche  sind  jedoch  noch  nicht  zahlreich  genug,  um  uns 
zu  gestatten,  diese  Verschiedenheiten  vollkommen  nach  den 
drei  genannten  Momenten  zu  sondern. 

An  der  grob  und  fein  getheilten  Morula,  sowie  auch  an 
der  Blastula  sah  ich  wiederholt  deutlich,  dass  in  einem  be- 
stimmten Stadium  der  Durchströmung  die  Zellpolfelder  in 
einem  gewissen  grösseren  Abstände  vom  Pole  und  in  einem 
kleineren  von  der  Niveaulinie  am  grössten  sind,  und  dass  das 
der  Bildung  der  Specialpolfelder  (selbst  nach  sofortiger  Unter- 
brechung des  Stromes)  nachfolgende  Aufplatzen  der  Zellen 
längs  der  Niveaulinien  am  stärksten  erfolgt  in  einer  Zone  des 
Eies  etwa  um  7^ — 7^  Polfeldradius  weit  polwärts  vom 
Äquatorrande;  das  Aufplatzen  ist  an  dieser  Stelle  so  stark,  dass 
die  daselbst  befindlichen  Zellen  ganz  verschwinden  und  die 
jederseits  angrenzende  Zellreihe  auch  noch  sehr  stark  ver- 
ändert wird.  Die  polwärts,  sowie  die  gegen  den  Aquatorrand 
hin  von  dieser  Zone  des  Aufplatzens  gelegenen  Zellen  sind 
dann  weniger  intensiv  verändert,  und  zwar  die  ersteren  mit 
gegen  den  Pol  stetig  abnehmender  Intensität.  Während  also  die 
erste  Wirkung  vom  Pole  sich  ausgebreitet  hat,  wird  dieser 
fernerhin  doch  am  wenigsten  vom  ganzen  Polfeld  verändert. 
Durchströmt  man  dann  das  Ei  nochmals  in  gleicher  Richtung, 
so  schreitet,  wie  beim  ungetheilten  Ei,  die  Veränderung  gleich 
auf  Kosten  des  Äquators  weiter,  und  es  bildet  sich  bald  eine  nun- 
mehr jederseits  sogleich  continuirlich  gerichtete  durchgehende 
Niveaulinie  aus,  die  stets  äquatorwärts  von  der  früheren  Stelle 
stärkster  Veränderung  gelegen  ist. 


^2  W.  Roux, 

Wenn  man  dagegen  continuirlich  durchströmt,  so  bildet  sich 
nicht  an  der  erst  erwähnten  Zone  eine  so  starke  Veränderung 
aus,  sondern  die  Veränderung  schreitet  noch  e^ne  Zeit  lang, 
wenn  auch  mit  rasch  abnehmender  Geschwindigkeit,  äquator- 
wärts  fort,  und  erst  später  entsteht  eine  vom  Pole  entfernter  ge- 
legene Zone  stärkster  Veränderung,  also  des  Aufplatzens. 

Nach  sehr  kurz  dauernder  Durchströmung  war  die 
Localisation  derintensivsten  Veränderung  eine  andere.  Bei  bloss 
drei  Secunden  langer  Durchströmung  hörten  die  Veränderungen 
erst  einige  Zeit  nach  der  Unterbrechung  auf,  waren  aber  deutlich 
am  Pole  selber  am  intensivsten;  die  Zellen  daselbst  waren  in 
toto  weiss  geworden,  während  die  entfernten  oberen  Zellen  ent- 
sprechend der  Breite  ihrer  Polfelder  blos  zu  ein  halb  bis  ein 
Drittel  weiss  waren. 

Bei  längerer  Durchströmung  dagegen  sah  ich  im  Gegen- 
satze zur  obigen  Mittheilung  einige  Male,  dass  die  Polfeldbil- 
dung nicht  am  Pole,  sondern  an  einer  etwas  davon  entfernten 
Zone  begann  und  sich  von  da  polwärts  und  äquatorwärts  aus- 
breitete. 

Bei  sehr  schwachem  Strome  entstanden  an  einem  erst 
in  der  dritten  Furchung  begriffenen  Ei  nach  30  Secunden  langer 
Durchströmung  Polfelder  mit  braunen  Niveaulinien  als  Grenzen, 
und  äquatorwärts  unmittelbar  daneben  brach  die  Eirinde; 
€s  bildete  sich  jedoch  auch  bei  zehn  Minuten  langer  weiterer 
Durchströmung  kein  allgemeiner  Äquator  und  die  Polfelder 
vergrösserten  sich  nicht,  während  zum  Beispiele  bei  einer 
Gastrula  mit  dem  gleichen  Strome  eine  Zeitlang  eine  stetige 
Vergrösserung  stattfand. 

V^iele,  behufs  Verzögerung  der  Entwickelung  in  dem  Eis- 
schranke aufbewahrte  Eier  blieben  auf  der  Gastrulastufe  stehen 
und  verfärbten  sich  allmälig  grau.  Beim  Durchströmen  entleerten 
manche  dieser  grauen  Gastrulae  ihre  oberflächlich  liegenden 
Zellen  in  sehr  starkem  Maasse,  so  dass  fast  das  ganze  Proto- 
plasma nebst  dem  Zellkern  ausgestossen  wurde;  und  zwar  ge- 
schah dies  bei  genügend  starkem  Strome  an  der  ganzen  Ober- 
fläche der  Gastrula.  Andere  solche  Gastrulae  bildeten  nur  geringe 
Extracellulate,  welche  auf  den  Polseiten  am  stärksten  waren. 
Wieder  anderebildetenbloss  eine  graue  Verfärbung  der  Polseiten. 


Bntwickelungsmechanik  des  Embryo.  93 

Eine  eventuelle  Verschiedenheit  in  der  Breite  des 
Gesammtäquators  an  lebenskräftigen  und  ungeschwächten 
Eiern  schien  mir  von  Bedeutung  für  die  Theorie  der  beobach- 
teten Erscheinungen;  daher  habe  ich  mich  bemüht,  an  den  noch 
vorhandenen  letzterwähnten  Gastrulae  Sicheres  darüber  zu 
ermitteln,  ohne  indess  ein  klares  Resultat  gewinnen  zu  können. 
An  einigen  Gastrulae  trat  auch  bei  einem  schwachen  Strome  an 
den  Polseiten  so  viel  Extracellulat  aus,  dass  es  sich  von  der  Ei- 
oberfläche  ganz  loslöste,  confluirte  und  aufsteigend  den  in  Folge 
der  Schwäche  des  Stromes  breiten  Äquator  bedeckte  und  so 
rasch  der  Beobachtung  entzog;  während  man  doch  längere  Zeit 
durchströmen  muss,  um  einen  definitiven,  von  der  Strömungs- 
dauer und  Reactionsgeschwindigkeit  unabhängigen  Äquator 
zu  erhalten. 

Der  Vergleich  nun  solcher  schon  verfärbter,  alter  Gastrulae 
mit  noch  braunen  in  Bezug  auf  die  Breite  des  Äquators  hat 
kein  sicheres  Resultat  ergeben;  denn  erstens  waren  die  initialen 
Polfelder  unter  gleichen  äusseren  Umständen  nur  wenig  und  in 
nicht  constanter  Weise  verschieden,  zweitens  reagirten  beim 
Wachsthum  der  Polfelder  beide  Sorten  von  Gastrulae  nicht 
prompt,  so  dass  der  elektrische  Äquator  des  Eies  nicht  seine 
typische,  oben  in  der  Mitte  breiteste,  von  da  gegen  den  Eiäquator 
etwas  abnehmende,  dann  auf  der  unteren  Hemisphäre  con- 
stante  Breite  hatte;  ferner,  weil,  wie  erwähnt,  die  Extracellulate 
oft  aufstiegen  und  die  Grenze  verdeckten.  Und  wenn  auch  zu 
erkennen  war,  dass  die  Grössenunterschiede  nur  gering  sind,  so 
wissen  wir  nicht,  ob  die  älteren  Gastrulae  ihren  Äquator  desshalb 
nicht  unter  Vio  Eidurchmesser  verkleinerten,  weil  sie  noch 
widerstandsfähig  waren,  oder  weil  sie  schon  fast  getödtet,  also 
nicht  mehr  reactionsfähig  waren. 

Zur  Entscheidung  dieser  Alternative  vorgenommene  secun- 
däre  Durchströmungen  in  rechtwinkelig  zur  ersteren  stehender 
Richtung  ergaben  nur  noch  so  unbestimmte  Reactionen,  dass 
man  eher  zur  letzteren  Annahme  geneigt  sein  konnte.  Erkennbar 
war, dassder Äquator  nach  längerem  Durchströmen  von  etwa  fünf 
Minuten  eine  feste,  aber  oft  unregelmässig  gestaltete  Grenze 
gewann,  dass  dann  der  so  begrenzte  Äquator  lange  Zeit  bei 
fortgesetztem  Durchströmen  sich  unverändert  erhielt,  um  dann 


94  W.  Roux, 

bei  den  noch  braun  gewesenen  Gastrulae  mit  einem  Male  sich 
in  toto  zu  verfärben.  An  den  schon  vor  der  Durchströmung  grau 
gewordenen  Gastrulae,  an  denen  die  Polfelder  eben  nur  durch 
Bildung  deutlicher  Extracellulate  kenntlich  sind,  ist  natürlich 
eine  solche  plötzliche  Verfärbung  des  Äquators  nicht  feststellbar. 

An  einigen  wenig  reagirenden  Gastrulae  trat  so  wenig  Dotter 
aus  den  Zellen  aus,  dass  man  ausser  dem  Äquator  auch  das 
Polfeld  noch  genauer  sehen  konnte;  da  erkannte  ich,  dass  am 
Pole  und  dessen  nächster  Umgebung  die  Zellen  noch  braun 
waren,  während  der  Äquator  schon  auf  Vs  Eidurchmesser  ver- 
kleinert war,  und  die  Zellpolfelder  neben  ihm  stark  grau  verfärbt 
sich  darboten. 

Der  Pol  war  also  auch  hier  wieder  die  Stelle  geringerer  Re- 
action.  Man  könnte  denken,  dies  rühre  davon  her,  dass  die  Pole 
bei  der  gewöhnlichen  Einstellung  der  Eier  immer  an  dem  Ei- 
äquator  liegen,  welcher  weniger  empfindlich  sei,  so  dass  also 
die  geringere  Veränderung  auf  schwächerer  Reactionsfahigkeit 
beruhe.  Diese  Auffassung  wird  jedoch  dadurch  widerlegt,  dass 
an  der  Stelle,  wo  die  Niveaulinien  den  Eiäquator  schneiden, 
eine  intensive  Veränderung  sich  findet. 

Es  muss  zunächst  dahin  gestellt  bleiben,  ob  diese 
schwächere  Affection  des  Poles  auf  einen  an  dieser  Stelle  ge- 
ringeren Einfall  von  Stromfaden,  was  nicht  wahrscheinlich  ist, 
oder  auf  die  geringere  Brechung  der  eintretenden  Stromfaden, 
oder  auf  ein  besonderes  Verhalten  des  Eies  als  Ganzen,  zufolge 
dessen  es  mehr  an  der  Grenze  des  Äquators  und  des  Polfeldes 
reagire,  beruht.  Letzteres  würde  erklärlich  machen,  dass  bei 
schwächeren  Strömen  die  allein  vorhandene,  aber  starke  Ver- 
färbung am  Pole  sich  findet,  weil  dabei  das  Polfeld  eben 
bloss  auf  den  Pol  sich  beschränkt;  aber  es  wäre  nicht  zu 
verstehen,  wie  die  in  einzelne,  für  sich  reagirende  Zellen 
getheilte  Morula  und  Blastula  ebenfalls  so  als  Ganzes  reagiren 
sollte. 

Manchmal  platzt  an  der  oberen  Hälfte  der  Blastula  längs 
der  Niveaufurche  die  ganze  Zellenlage,  welche  den  grossen 
inneren  Hohlraum  von  oben  bedeckt,  in  grosser  Ausdehnung 
auf,  und  es  entleert  sich  aus  dem  Spalte  eine  so  reichliche 
Menge  Inhalt,  als  erfolgte  eineContraction  des  Gebildes,  also  der 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  95 

es  zusammensetzenden  Zellen.  Dieses  Maximum  der  späteren 
Veränderungen  der  Blastula  ist  also  deutlich  an  den  Niveau- 
linien localisirt.  Liegt  die  Blastula  mit  dem  braunen  Pol  nicht 
wie  gewöhnlich  nach  oben,  sondern  nach  der  Seite  einer  Elek- 
trode hin,  so  kann  man  sehen,  dass  wieder,  wie  am  ungetheilten 
Ei  bei  gleicher  Lage,  das  braune  Polfeld  kleiner  wird  als 
das  gelbe. 

Bezüglich  des  Einflusses  der  Gestalt  des  Gebildes 
auf  die  Gestalt  und  Lage  der  Polfelder  wurden  noch 
einige  wichtige  Beobachtungen  gemacht  An  einer  durch 
Alter  etwas  geschrumpften,  nach  einer  Seite  zugespitzten 
und  in  dieser  Richtung  mit  einer  tiefen  Längsfurche  versehenen 
Gastrula,  die  in  Längsrichtung  durchströmt  wurde,  entstand 
auf  der  spitzen  Seite  ein  viel  grösseres  Polfeld  als  auf  der 
stumpfen  und  in  der  Tiefe  der  schmalen  Furche,  obwohl  sie  im 
Bereiche  des  Polfeldes  lag,  blieb  die  Veränderung  aus.  Letzteres 
Verhalten  wurde  an  mehreren  anderen,  mit  tiefen  Gruben  ver- 
sehenen Gastrulae  bestätigt,  selbst  wenn  die  Öffnung  der  Grube 
gegen  die  Elektrode  hin  gewendet  worden  war.  Auch  eine  Semi- 
biastula,  an  welcher  also,  wie  ich  gezeigt  habe,*  bios  die  eine 
Hälfte  der  beiden  durch  die  erste  Eitheilung  gebildeten  Zellen 
sich  entwickelt  hatte,  wurde  durchströmt,  und  zwar  in  Richtung 
der  Vereinigung  beider  Hälften.  Die  ungetheilte  Eihälfte  reagirte 
nicht,  während  an  der  entwickelten  Hälfte  alle  Zellen  ihren 
Inhalt  ausstiessen,  so  dass  also  kein  Äquator  stehen  blieb. 

Ein  Triton-Embryo  mit  eben  erst  geschlossener  Medullar- 
furche  entwickelte  Polfelder  wie  ein  entsprechender  Frosch- 
embryo und  Hess  erkennen,  dass  im  Bereiche  des  Polfeldes 
jede  Oberfiächenzelle  einen  weissen  Vorsprung  (Extracellulat?) 
bildete,  wodurch  die  graue  Färbung  der  Polfelder  bedingt  war. 

Nach  dieser  Schilderung  der  äusseren  Erscheinungen  der 
Polarisation  der  Tritoneier  seien  noch  einige  Experimente  mit- 
getheilt,  welche  angestellt  wurden,  um  den  diesen  Erscheinungen 
zu  Grunde  liegenden  Vorgängen  ein  wenig  näher  zu  treten. 

^  W.  R  o  u  X,  Beiträge  zur  Entwickelungsmechanik,  Nr.  5.  Über  die  künst- 
liche Hervorbringung  halber  Embryonen  durch  Zerstörung  einer  der  beiden 
ersten  Furchungskugeln,  sowie  über  die  Nachentwickclung  (Postgeneration)  der 
fehlenden  Körperhälfte.  Virchow's  Arch.,  Bd.  114,  1888. 


96  W.  Roux, 

Man  könnte  denken,  die  Bildung  der  Niveaufurchen  und 
ihr  Aufplatzen  wären  Vorgänge,  die  an  das  Vorhandensein  der 
ganzen  Eirinde  gebunden  wären,  indem  der  Zug  nach  innen 
nur  dann  zum  Platzen  der  Eirinde  führen  könnte,  wenn  diese 
am  Nachrutschen  von  der  Seite  her  durch  ihr  Geschlossensein 
und  die  Anfüllung  mit  Inhalt  gehindert  wäre.  Dies  zu  prüfen, 
brachte  ich  nackte,  ungetheilte  Eier  vor  "der  Durchströmung 
zum  Platzen.  Beim  Durchströmen  jedoch  bildeten  sich  im  Be- 
reiche der  Niveaulinien  erst  kleine,  runde  Extraovate,  darauf 
platzte  die  Eirinde  im  ganzen  oberen  Bereiche  der  Niveaulinie, 
wie  gewöhnlich,  der  Rand  des  Polfeldes  sank  alsdann  rasch 
seitlich  abwärts,  wie  nach  unten  gedrängt,  so  dass  ein  breiter 
Spalt  entstand.  Die  Durchbrechung  der  Eirinde  ist  also  ein  Vor- 
gang, dessen  Ursachen  an  der  Stelle  der  sichtbaren  Verände- 
rung oder  in  unmittelbarer  Umgebung  derselben  sich  befinden. 
In  dem  durch  den  Spalt  sichtbar  gewordenen,  halbflüssigen  Ei- 
inhalte  waren  lebhafte,  nach  verschiedenen  divergirenden  Rich- 
tungen gehende  Strömungen  erkennbar,  die  aber  alle  nach 
aussen  führten.  Während  der  Dauer  der  Durchströmung  ver- 
grösserte  sich  das  durch  den  Spalt  entleerte  Extraovat;  wieder 
eine  Erscheinung,  welche  auf  Contraction  des  Eies  hinweist. 

An  einem  Ei,  welches  nach  dem  Zerdrücken  zum  grössten 
Theile,  etwa  Vs  ausgeflossen  war,  und  daher  nur  noch  aus  der 
lang  gedehnten,  längs  gefalteten  Eirinde  mit  wenig  Inhalt  be- 
stand, zogen  sich  die  Niveaulinien  tief  ein,  wie  an  einem  nor- 
malen ungetheilten  Ei,  und  die  Polfelder  wölbten  sich  danach 
stark  über;  allmälig  aber  verbreiterte  sich  der  Äquator  und 
erhielt  Streifen  in  polmeridionaler  Richtung. 

Nackte  Extraovate  lassen  keine  polare  Veränderung 
erkennen;  sie  verändern  sich  aber  an  ihrer  Oberfläche  in  einer 
besonderen  Weise,  welche  jedoch  auch  ohne  Durchströmung 
vorkommt  und  wohl  nur  durch  die  Berührung  mit  dem  Wasser 
bedingt  ist. 

Polare  Veränderungen,  Niveaufurchenbildung  und  Erhal- 
tung einer  unveränderten  Äquatorzone  finden  bloss  an  den  mit 
Eirinde  bedeckten  Theilen  statt.  Ein  solches  Extraovat  kann 
zwei  verfärbte  Polfelder  bilden.  Liegt  daneben  ein  nacktes,  noch 
mit  ersterem  in  Zusammenhang  stehendes  Extraovat,  welches 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  97 

aber,  wie  oft,  durch  eine  tiefe  Furche  vom  anderen  abgesetzt 
ist,  so  ist  ein  Einfluss  des  nackten  Extraovates  auf  die  Lage 
der  Polfelder  an  dem  mit  Rinde  versehenen  nicht  wahrnehmbar. 

Fehlt  dagegen  eine  solche  trennende  Furche  und  liegt  das 
nackte  Extraovat  gegen  eine  Elektrode  hin,  so  bekommt  auf 
dieser  Seite  der  mit  Rinde  versehene  Theil  kein  oder  ein  ent- 
sprechend schmaleres  Polfeld,  und  der  Äquator  wird  so  breit, 
als  gehöre  er  dem  ganzen  Gebilde  an.  Ist  auf  der  anderen  Seite 
noch  ein  nacktes,  nicht  durch  eine  Einschnürung  abgesondertes 
Polfeld,  so  kann  auch  auf  dieser  Seite  das  Polfeld  ganz  fehlen, 
und  der  Äquator  wird  somit  noch  breiter.  Stehen  die  nackten 
Extraovate  im  Stromfelde  seitlich  vom  rindenbedeckten  Stamm- 
theile  des  Eies,  so  sieht  man,  dass  die  beiden  tiefen  Niveau- 
furchendes letzteren  sich  nicht  auf  den  anliegenden,  unbedeckten 
Theil  fortsetzen.  Also  zur  Bildung  dieser  Furchen  ist  wie  zur 
Polfeldveränderung  die  Rinde  und  vielleicht  noch  das  ihr 
unmittelbar  anliegende  Protoplasma  nöthig. 

Auch  ein  losgelöstes  Stückchen  eines  schon  in  dritter 
Furchung  begriffenen  Eies,  welches  in  seiner  Grösse  einer 
Furch ungszelle  entsprach  und  rings  mit  Eirinde  bekleidet  war 
reagirte  wie  ein  ganzes  Ei  mit  zwei  Polfeldern  und  aufgeplatzten 
Niveaulinien. 

An  weiter  in  Zellen  zerlegten  Eiern  bekommt  man  natürlich 
keine  mit  Rinde  bedeckten  eigentlichen  Extraovate  mehr.  Dagegen 
erhält  man  nun  leichter  i so lirte  ganze  Zellen,  deren  Verhalten 
gleichfalls  von  Interesse  ist. 

Vollkommen  isolirte,  also  einzeln  freiliegende,  braune 
oder  weisse  Blastulazellen  bilden  gewöhnlich  keine  Pol- 
felder beim  Durchströmen,  sondern  platzen  an  beiden  Polen 
auf  und  entleeren  fast  vollkommen  ihren  Zellinhalt,  und  zwar, 
sofern  kein  äusseres  Hinderniss  vorhanden  ist,  in  Richtung 
des  Stromes  (siehe  Fig.  17),  ein  Beweis  der  allseitig  symme- 
trischen Rindencontraction  um  den  mittleren  Stromfaden;  der 
mittlere,  die  Zellrinde  vorstellende  Theil  mit  etwas  Inhalt,  bildet 
oft  bloss  einen  Punkt  von  nicht  Vioo  ^^^  ganzen  Zellmasse. 
W.  Kühne,  sowie  M.  Verworrn*  haben  in  ähnlicher  Weise 


1  W.  Kühne  und  M.  Verworrn,  siehe  S.  'M)  und  31. 
Sitzb.  d.  mathcm.-naturw.  Gl. ;  CI.  Bd.  Abth.  III.  7 


98  W.  Roux, 

Protisten  bei  der  Durchströmung  aufplatzen  sehen.  Dies  Ver- 
halten erinnert  auch  an  dasjenige  der  ganzen  ungetheilten  Eier, 
welche,  allerdings  nur  bei  sehr  schwachem  Strom,  bloss  an 
den  Polen  Extraovate  und  sonst  kein  Polfeld  bilden.  Hier  an 
den  freien  Zellen  erfolgt  aber  das  Aufplatzen  momentan  beim 
Stromschlusse  und  mit  so  grosser  Öffnung  jederseits,  dass  bei 
der  augenscheinlichen  Contraction  der  Rindenschichten  die  Ent- 
leerung des  Eiinhaltes  so  rasch  sich  vollzieht,  dass  weder  Zeit 
noch  Gelegenheit  zu  einem  Durchtritte  durch  die  Fläche  der 
Zellrinde  gegeben  ist.  Berühren  sich  zwei  in  Stromrichtung 
zusammenliegende  Zellen  so  wenig,  dass  sie  sich  nur  wenig, 
aber  doch  deutlich  an  einander  abplatten,  so  entsteht  das  Extra- 
cellulat  zuerst  nur  an  den  freien  Polpunkten,  danach  aber  auch 
an  dem  Berührungspunkte,  obgleich  an  dieser  Stelle  keine 
Stromfäden  vom  Elektrolyten  aus  eindringen  können. 

Viele  isolirte  Zellen  reagiren  nicht.  Zerfällt  eine  Blastula 
beim  Zerreissen  gleich  von  selber  in  viele  einzelne  Zellen,  war 
also  der  Zellverband  schon  gelockert,  indem  sich  die  Zellen 
schon  vorher  gerundet  hatten,  d.  h.  befinden  sie  sich  in  einem 
Zustande,  den  ich  als  Framboisia  embryonalis  finalis 
interna*  benannt  habe,  der  ein  Zeichen  fortgeschrittenen 
Absterbens  ist,  so  kommt  es  vor,  dass  keine  dieser  Zellen  mehr 
auf  den  Strom  reagirt. 

Da  indess  ebenso  alte  und  gleich  aussehende,  ein  wenig 
abgeblasste  Blastulae  und  Gastrulae  im  Ganzen  durchströmt  oft 
noch  deutliche  Polfelder  unter  Austritt  von  weissen  Kugeln  aus 
den  Zellen,  also  unter  Aufplatzen  der  Zellen  bilden,  so  lässt 
sich  schliessen,  dass  durch  die  vollkommene  Isolirung  und  das 
Liegen  in  Wasser  oder  halbprocentiger  Kochsalzlösung  die 
Zellen  derart  geschädigt  werden,  dass  sie  den  Rest  ihrer  noch 
vorhanden  gewesenen  Reactionsfähigkeit  einbüssen. 

An  wenigen  freiliegenden  Zellen  einer  zerrissenen  Gastrula, 
welche  nicht  wie  viele  anderen  beim  Durchtrennen  an  beiden 
Polen  aufgeplatzt  waren,  sah  ich  nach  Auftropfen  warmer 
Chromsäure  und  nachträglichem  Auswaschen,  zwei  hellere  proto- 


1  W,  Roux,  Beitr.  I  zur  Entwickelungsmechanik.   Zeitschr.   f.   Biologie, 
Bd.  XXI,  1885.  Sep.-Abdr.  S.  25  und  Beitr.  V.  Virchow's  Arch.,  Bd.  114,  1888. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  99 

plasmatische  Polabschnitte  und  zwischen  ihnen  einen  ein  Drittel 
des  Zelldurchmessers  breiten,  nicht  scharf  abgegrenzten  Äquator, 
in  dem  die  Dotterkörner  angesammelt  waren  (siehe  Fig.  16). 

Die  isolirten  älteren  Zellen  von  etwa  35 — 110  [t  können 
also,  wenn  sie  überhaupt  auf  den  Strom  reagiren,  dies  auf 
zweierlei  Weise  thun:  entweder  platzen  sie  an  den  Polen  auf, 
oder,  viel  seltener,  bilden  sie  bei  doppeltseitiger  Bestrahlung 
zwei  durch  Ansammlung  des  Protoplasmas  gebildete  Polab- 
schnitte; und  in  dem  Protoplasma  findet  letzteren  Falles  manch- 
mal eine  sehr  starke  Ausscheidung  von  grossen  Tropfen  statt. 
Man  darf  mit  dem  zuletzt  beschriebenen  Reactionsbilde  nicht 
verwechseln  das  nicht  seltene  Vorkommen  von  auch  im  nicht- 
durchströmten  Ei  sich  findenden  Zellen,  deren  Dotter  erst  an 
zwei  Seiten  halbmondförmig  angehäuft  ist,  wodurch  der  mittlere 
protoplasmatische  Theil  dann  einen  hellen,  zwischen  zwei  Pol- 
feldem  liegenden  Äquator  vortäuschen  kann. 

Ein  einziges  Mal  beobachtete  ich  an  einer  durch  Zer- 
reissung  einer  Blastula  isolirten  Zelle,  welche  dabei  aufgeplatzt 
war,  und  etwa  ein  Viertel  ihres  Inhaltes  in  einer  Richtung  ent- 
leert hatte,  die  rechtwinkelig  zu  der  späteren  Durchströmung 
stand,  dass  der  ausgetretene  Zellinhalt  beim  Durchströmen 
sofort  wieder  eingezogen  wurde ;.  ein  Aufplatzen  an  den  Polen 
fand  danach  aber  nicht  statt.  Es  scheint  also,  dass  die  durch 
den  Strom  veranlasste  Contraction  sich  unter  veränderten  Um- 
ständen in  sehr  verschiedener  Weise  bethätigen  kann.  Gleich- 
falls nur  einmal  sah  ich  an  zwei  sich  berührenden  runden 
Zellen  einer  zerrissenen  Gastrula  beim  Durchströmen  eine  circu- 
läre  Strömung  in  denselben.  Die  eine  Zelle  bildete  dabei  einen 
Fortsatz  in  Richtung  des  Stromes  und  sie  verschob  sich  etwas 
gegen  die  andere  Zelle,  während  jedoch  die  Verklebungsstelle 
beider  Zellen  ihren  Ort  nicht  änderte. 

Wurde  eine  bereits  durchströmte  Gastrula  zerrissen  und 
die  isolirten  Dotterzellen  nochmals  durchströmt,  so  platzten 
mehrere  von  ihnen  nun  sogleich  auf;  das  Gleiche  thaten  auch 
die  oberflächlichen  Zellen  ganzer  Dotterklumpen;  doch  weiss 
ich  nicht,  ob  die  bei  der  zweiten  Durchströmung  noch  in 
dieser  Weise  reagirende  Substanz  nicht  etwa  aus  der  Äquator- 
scheibe stammte. 


7» 


100  W.  Roux, 

Ein  anderesmal  beobachtete  ich  ein  noch  zusammenhän- 
gendes Stück  einer  Blastula,  von  welcher  vollkommen  isolirte 
Zellen  beim  Durchströmen  an  beiden  Polen  aufplatzten;  gleich- 
wohl sah  ich  an  den  das  Stück  bildenden  Zellen  dasselbe  Ver- 
halten wie  an  einer  ganzen  Blastula,  indem  jede  gegen  eine 
Elektrode  gewendeie  Zelle  zuerst  ein  dieser  zugewendetes  Pol- 
feld bildete  und  danach  an  der  Niveaulinie  aufplatzte.  An  einem 
platten  Stückchen  von  einer  braunen,  frischen  Gastrula  platzten 
bloss  die  Zellen  an  den  polarwärts  gelegenen  Rändern  des 
Stückes  auf,  die  Zellen  auf  den  Flächen  dagegen  reagirten 
nicht;  es  zeigte  sich,  dass  sie  im  Stromschatten  lagen.  Es  war 
also  dasselbe  Verhalten,  wie  es  die  plattgepresste  Frosch- 
gastrula  bei  der  parallel  zu  den  Seitenflächen  erfolgenden 
Durchströmung  darbot;  hier  reagirten  auch  bloss  die  Zellen  des 
bestrahlten  Randes. 

Schliesslich  wurden  schon  ohne  Mikrotomirung  einige  Be- 
obachtungen über  das  innere  Verhalten  der  durchströmten 
Gastrulae  des  Triton  gemacht. 

Auch  an  Gastrulae  entsteht  manchmal  durch  Aufplatzen 
im  Bereiche  der  Niveaufurche  oben  ein  grosser  offener  Spalt, 
ein  Loch;  aus  diesem  sah  ich  einmal  viele  kugelige  Zellen,  jede 
mit  zwei  trüben,  polar  gegenüber  stehenden  Abschnitten,  heraus- 
strömen. Ein  anderes  Mal  beobachtete  ich  an  einer  noch  deut- 
lich braunen  Gastrula,  dass  die  Dotterzellen  aussen  weiss,  trüb 
wurden,  ihre  gelbliche  Farbe  also  aussen  verloren.  Als  danach 
eine  Spaltung  an  einer  der  Niveaufurchen  entstand,  tödtete  ich 
sofort  das  Ei  in  erwärmter  Chromsäure;  darauf  sah  man  an 
der  Bruchstelle,  dass  die  Zellen  aussen  weiss-trüb,  innen  gegen 
die  Höhlung  der  Gastrula  hin  noch  gelblich  und  durchscheinend 
waren.  Isolirte  dieser  Zellen  im  auffallenden  Lichte  bei 
Zeiss'  Objectiv  A.  u.  C.  betrachtet,  zeigten  das  äussere  trübe 
Polfeld  in  einigem  Abstände  vom  Pole  mit  einem  Ringe  blasen- 
artiger grosser  Erhebungen  besetzt,  siehe  Fig.  15;  optisch  gleich 
sich  verhaltende  kleinere  Tropfen  waren  im  Polabschnitt  selber 
enthalten  und  nahmen  an  Grösse  sowohl  gegen  den  Pol  wie 
gegen  den  beide  Polfelder  trennenden  Äquator  ab.  Dieser  selber 
war  parallel  contourirt,  breit  und  erschien  leicht  braun,  homogen 
und  schwa'ch  durchscheinend.  Der  scharf  gegen  ihn  abgegrenzte 


Entwickelungsmeshanik  des  Embryo.  101 

innere  Polabschnitt  war  mit  Dotterkörnern  erfüllt  und  trüber 
als  der  Äquator,  gleichwohl  aber  viel  durchscheinender  als  der 
äussere  Polabschnitt. 

Diese  Erscheinungen  fanden  sich  zumeist  an  den  Dotter- 
zellen, doch  auch  an  manchen  braunen  Zellen  der  oberen  He- 
misphäre. Beim  Erschüttern  des  Mikroskopes  wendeten  sich  die 
in  halbprocentiger  Kochsalzlösung  befindlichen  Zellen  mit  den 
weissen  Polen  nach  oben,  wohl  ein  Zeichen,  dass  dieser  Ab- 
schnitt specifisch.  leichter  war.  Eine  der  Zellen  war  97  (jl  gross, 
der  Äquator  10  (jl,  also  Yj^  Durchmesser  breit,  während  das 
ganze  Ei  einen  Äquator  von  Yj  Durchmesser  hatte. 

BeidurchfallendemLichtewareinabgegrenzterÄquator 
an  diesen  polarisirten  Zellen  nicht  mehr  zu  sehen;  sondern  die 
ihn  bildende  äusserst  feinkörnige  (wohl  protoplasmatische)  Sub- 
stanz ging  continuirlich  in  die  Substanz  des  weissen  äusseren 
Polfeldes  über,  die  oben  mit  den  0*9 — 0*5  [t  grossen  Tropfen 
durchsetzt  war,   während    die    den    Kranz   bildenden    freien, 
blasigen  Erhebungen  bis  21  |jl  Durchmesser  erlangten.  Der  innere 
Polabschnitt  war  gleichmässig  und  dicht  mit  den   2  1 — 3*5  [a 
grossen  Dotterkörnern  erfüllt.  Bei  manchen  dieser  Zellen  war 
das  weisse  Polfeld  etwas  zugespitzt,  das  gelbe  innere  war  immer 
halbkugelig.  Dieses  Gestaltverhältniss  konnte  auch  einen  Antheil 
an  der  Aufwärtswendung  der  weissen  Pole  bei  Erschütterung 
haben.  Andere,  vielleicht  nicht  von  der  Oberfläche  stammende 
Zellen  zeigten  auch  im  auffallenden  Lichte  bloss  ein  weisses 
Feld  ohne  blasige  Erhebungen  und  ein  gelbes  Feld  ohne  einen 
Äquator  zwischen  sich  zu  fassen.  Wie  weit  die  so  veränderten 
Zellen  sich  ins  Innere  des  Eies  erstrecken,  wird  später  nach 
Mikrotomirung   der  aufgehobenen   Objecte   vielleicht  erkenn- 
bar sein. 

Ob  das  gelbe  Feld  als  Polfeld  oder  bloss  einfach  als  der  nach 
der  Sonderung  des  Protoplasmas  vom  Dotter  und  nach  dem 
Übertritt  der  Hauptmasse  des  Protoplasmas  in  das  vom  Strom 
bestrahlte  Zellstück  verbliebene  Zellrest  aufzufassen  ist,  sei  für 
jetzt  dahin  gestellt.  Verworrn  sah^  an  Antoeba  Umax,  verrucosa 
und  difflnenSy  welche  aber  nicht  mit  dem  Wechselstrom,  sondern 


1  M.  Verworrn,  Pflüger's  Arch.,  Bd.  46.  Taf.  III. 


102  W.  Roux, 

mit  dem  galvanischen  Strom  behandelt  waren,  das  hyaline 
Protoplasma  sich  auf  der  Kathodenseite  sammeln,  während  das 
körnige  die  Anodenseite  einnahm;  und  an  Peloniyxa  palustris 
wurden  Reste  des  hyalinen  Protoplasmas  an  der  Kathodenseite 
als  hyaline  blasenförmige  Erhebungen  hervorgepresst, 

Fische. 

Ehe  wir  aufwärts  zu  den  an  Reptilien  gemachten  Beob- 
achtungen übergehen,  sei  über  bezügliche  Erscheinungen  an 
Fischen  berichtet. 

Aus  der  Classe  der  Fische  verwandte  ich  Eier  und  Organe 
von  5  Stück  des  kleinen  Knochenfisches  Telestes  Agassizii 
(He ekel),  des  Laugen. 

Es  traten  hier  im  Wesentlichen  die  vom  Frosche  bekannten 
Erscheinungen  wieder  auf,  doch  fügte  sich  auch  wieder  mancher 
neue  Zug  in  das  Bild  ein,  und  manche  Erscheinungen  traten 
verstärkt  hervor,  andere  zeigten  sich  abgeschwächt. 

Die  Eier  dieses  Fisches  bestehen,  im  Groben  betrachtet, 
aus  einer  grossen,  gelblich  durchscheinenden  kugeligen  Dotter- 
masse, welche  von  einer  dünnen  Protoplasmaschicht  überzogen 
ist,  die  sich  auch  vielfach  ins  Innere  fortsetzt. 

Nach  der  Befruchtung  des  Eies  scheidet  sich  die  Haupt- 
masse des  inneren  Protoplasmas  als  Bildungsdotter  an  einer 
Stelle  aus  und  bildet  hier  einen  Hügel,  ähnlich  wie  die  Horn- 
haut am  Augapfel.  Die  übrige  Hauptmasse  stellt  den  Nahrungs- 
dotter dar.  Der  entstandene  Hügel  heisst  die  Keimscheibe, 
und  diese  allein  wird  bei  der  Furchung  in  Zellen  zerlegt.  Die 
Verbindungslinie  der  Mitte  der  Keimscheibe  und  der  Mitte  des 
Nahrungsdotters  heisst  die  Eiaxe. 

Beim  Durchströmen  solcher  befruchteter,  noch  ungetheilter 
Eier  mit  dem  mir  zur  Verfügung  stehenden  Wechselstrom 
bildete  jedes  Ei  rasch  eine  tiefe  Furche,  welche  das  Ei  fast 
ganz  durchtheilte  und  annähernd  halbirte.  Die  Furchen  standen 
anscheinend  regellos  im  Stromfeld  durcheinander.  Bei  den- 
kender Betrachtung  aber  fiel  auf,  dass  keine  einzige  Furche 
ganz  oder  auch  nur  annähernd  in  Richtung  der  Stromfaden  des 
elektrolytischen  Feldes  stand,  sondern  dass  eine  annähernd 
rechtwinkelige  Stellung  zu  dieser  Richtung,   aber  mit  häufigen 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  103 

Abweichungen  von  20 — 30*  sich  in  dieser  Mannigfaltigkeit  aus- 
sprechen. Betrachtete  man  die  Eier,  deren  Furche  zufällig  in 
einer  Niveaufläche  des  elektrischen  Feldes  stand,  so  waren  es 
solche,  deren  Eiaxe  entweder  senkrecht  oder,  wenn  schief  resp. 
wagrecht,  gleichwohl  auch  in  einer  Niveaufläche,  oder  gerade  in 
einer  Stromlinie  stand. 

Sorgt  man  dafür,  dass  alle  Eier  senkrecht  stehen,  so  stellt 
die  Summe  dieser  Furchen  wieder  ebenso  schön  wie  beim 
Froschei  die  Niveauflächen  dar.  Der  Grund  der  Furche  ent- 
spricht dem  Äquator,  die  beiden  Seitenmassen  den  Polfeldern 
resp.  Polabschnitten,  welche  im  Bereiche  der  Keimscheibe  trüb 
werden  und  etwas  feine,  schwer  sichtbare  Substanz  austreten 
lassen,  während  das  Protoplasma  des  Äquators  vollkommen 
klar  bleibt,  siehe  Fig.  18.  Im  Bereiche  des  Dotters  ist  manchmal, 
aber  nicht  immer  eine  Trübung  an  der  Oberfläche  der  durch 
die  Niveaufurchen  markirten  Polfelder  deutlich. 

Der  Vorgang  dieser  Reaction  bei  einem  mit  der  Eiaxe  senk- 
recht stehenden  Ei  ist  folgender.  Es  entstehen  nach  wenigen 
Secunden  der  Durchströmung  im  Bereiche  der  Keimscheibe  die 
beiden  trüben  Polfelder,  darauf  unter  Verlängerung  des  Eies  in 
der  Stromrichtung  zwei  seichte  Furchen  im  Abstand  von  etwa 
Vj  Eidurchmesser,  rechtwinkelig  zur  Stromrichtung;  diese 
Furchen  vertiefen  sich  und  nähern  sich  etwas  einander  und  ihre 
sich  erhebenden  Seitentheile  knicken  sich  fast  rechtwinkelig 
gegen  den  Äquator  ab.  Die  durch  die  Furchen  abgegrenzten  Pol- 
abschnitte vergrössem  sich  und  überhöhen  somit  ringsum  den 
schmaler  und  auch  im  Ringdurchmesser  kleiner  werdenden 
Äquator,  so  dass  schliesslich  der  Äquator  in  der  Tiefe  zwischen 
den  beiden  einander  genährten  Polfeldern  fast  verschwindet  und 
das  Ei  anscheinend  durch  eine  einzige  tiefe  Furche  getheilt  ist. 
DerProfilcontour  des  Äquators  ist  nach  aussen  convex  oder  auch 
gerade  und  wird  seitlich  durch  die  rechtwinkelig  zu  ihm  sich 
erhebende  Innenfläche  der  Polabschnitte  begrenzt.  Die  Keim- 
scheibe dehnt  sich  mit  ihren  mittleren  Theilen  allmälig,  am 
meisten  jederseits  längs  des  Äquators  und  der  Niveaukanten 
gegen  den  Dotter  nach  abwärts  aus. 

Um  den  Vorgang  auf  das  beim  Froschei  beobachtete  Ge- 
schehen zu  beziehen,  so  entstehen  Niveaufurchen,  welche  viel 


104  W.  Roux, 

tiefer  einschneiden  als  beim  Froschei,  und  die  Polabschnitte 
vergrössern  sich  dabei  entsprechend  mehr  auf  Kosten  der  Sub- 
stanz der  Äquatorscheibe.  Im  Bereiche  der  Keimscheibe  kommt 
noch  eine  ausgesprochene  Trübung  des  Protoplasmas  des  Pol- 
abschnittes hinzu.  Aus  dem  Polfeld  wird  auch  hier  etwas 
Substanz  ausgeschieden,  aber  nur  als  ein  zarter  Schleier,  also 
nicht  annähernd  so  viel,  als  beim  Frosch-  und  Tritonei  durch 
die  Rinde  der  Polfelder  hindurchtritt.  Der  Abstand  der  Pol- 
abschnitte ist,  wie  beim  Froschei,  im  Bereiche  des  Bildungs- 
dotters (seil,  der  Keimscheibe)  wieder  etwas  grösser  als  im 
Bereiche  des  Nahrungsdotters.  Auch  hier  überdauert  der  Ablauf 
der  Veränderungen,  besonders  die  Abschnürung  der  Polab- 
schnitte von  der  Aquatorscheibe,  die  Durchströmung,  wenn 
diese  von  nur  kurzer  Dauer  war. 

Steht  die  Axe  des  Eies  annähernd  in  Richtung  der 
Stromlinien  seines  Ortes  im  elektrischen  Felde,  so  schnürt 
sich  die  Keimscheibe  etwas  vom  Dotter  ab  und  wird  für  sich 
in  zwei  trübe  Polabschnitte  und  einen  zwischen  ihnen  liegenden, 
hell  bleibenden  Äquator  von  Niveauflächenrichtung  zerlegt; 
aber  diese  drei  Theile  scheiden  sich  nicht  durch  Furchen  von 
einander,  siehe  Fig.  19. 

Die  beobachteten  Abweichungen  in  den  Richtungen  der 
Grenzfurchen  der  Polabschnitte  von  den  Richtungen  der 
Niveauflächen  des  elektrischen  Feldes  lassen  sich  vielleicht  auf 
die  unverkennbare  mechanische  Tendenz  des  Eies,  die  Furchen 
annähernd  durch  die  Mitte  sowohl  der  Keimscheibe  wie  des 
Dotters  hindurch  zu  bilden,  zurückführen,  obgleich  geringe 
Abweichungen  nicht  selten  sind.  Verläuft  der  durch  die  Mitte 
der  Keimscheibe  gehende  Äquator  im  Dotter  stark  excentrisch, 
so  findet  bald  eine  Abknickung  der  Äquatorscheibe  und  ihrer 
Grenzfurchen  statt.  Überhaupt  folgt  der  Äquator  der  Keimscheibe 
strenger  der  Richtung  der  Niveauflächen,  als  der  Äquator  des 
Dotters,  der  auch  bei  geeigneter  Stellung  der  Eiaxe  oft  etwas 
schief  zur  bezüglichen  Niveaufläche  des  Mediums  verläuft.  Bei 
schief  mit  der  Keimscheibe  gegen  eine  Elektrode  stehenden 
Eiern  kommt  es  auch  vor,  dass  die  Niveauringfurchen  zunächst 
rein  auf  dem  Dotter  entstehen  und  dann  sich  seitlich  gegen  die 
Keimscheibe  verschieben.  Hier  hat  sich  also  wohl  das  Rinden- 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  105 

Protoplasma  des  Dotters  im  Bereiche  des  Niveauringes  zuerst 
contrahirt,  und  dann  erst  hat  sich  die  Contraction  auf  die  Keim- 
scheibe fortgesetzt. 

Die  trüb  gewordenen  Polabschnitte  der  Keimscheibe  sind 
(infolge  einer  Contraction?)  erheblich  fester  als  ihre  Umgebung, 
wie  man  beim  Zerreissen  wahrnimmt. 

Hat  sich  der  zur  Keimscheibe  gehörige  Bildungsdotter  vor 
der  Durchströmung  noch  nicht  abgesondert,  so  geschieht  dies 
rasch  beim  Durchströmen  und  erinnert  so  an  die  Bildung  eines 
protoplasmatischen  und  eines  die  Dotterkörner  enthaltenden 
Polabschnittes  an  den  Zellen  der  durchströmten  Gastrula  des 
Triton. 

Auch  an  bloss  amöboiden  Fortsätzen  der  Keimscheibe,  wie 
sie  nach  der  Auslösung  des  lebenden  ungetheilten  Eies  aus 
seiner  Hülle  entstehen,  ebenso  wie  an  durch  Scheerenschnitt 
isolirten  Stückchen  selbst  bloss  von  Vg  <ier  ungefurchten  Keim- 
scheibe bilden  sich  die  trüben  Polfelder  und  zwischen  ihnen 
bleibt  ein  heller,  parallel  contourirter,  scharf  begrenzter  Äquator. 
An  grösseren,  von  beiden  Seiten  bestrahlten  Stücken  erfolgt 
auch  noch  Abschnürung  der  Polabschnitte.  An  ganz  nackten 
Eiern  sieht  man,  dass  auch  am  Dotter  im  Bereiche  der  Niveau- 
furche die  oberflächliche  Protoplasmarinde  trüb  wird,  gleich 
dem    Protoplasma    in   den   Polabschnitten    der   Keimscheibe. 

Bei  eventueller  Quercontraction  zur  Eiaxe  bleiben  die  in 
und  neben  der  Eiaxe  verlaufenden  parallelen  Säulen  von  Dotter- 
körnchen, die  durch  Protoplasma  von  einander  getrennt  sind, 
erhalten,  werden  aber  gedehnt. 

Bei  Erwärmung  der  Fischeier  erfolgt  ebenfalls  wie 
beim  Frosch  die  Reaction  auf  den  Strom  rascher;  nach  fünf 
Minuten  langer  Erwärmung  der  Eier  auf  40**  C.  bleibt  das  sonst 
rasch  vorübergehende  Stadium  der  starken  Überhöhung  des 
Äquators  mit  noch  weit  offener  Äquatorfurche  lange  Zeit  be- 
stehen. Nach  vier  Minuten  langer  Erwärmung  auf  46 "*  C.  ist 
die  Keimscheibe  schon  trüb  und  reagirt  gewöhnlich  nicht  mehr; 
im  Bereiche  des  Dotters  jedoch  fand  bei  einigen  Eiern  noch 
eine  geringe  Einschnürung  statt. 

An  schon  ein-  oder  mehrfach  getheilten  Fischeiern 
entstehen  trübe   Specialpolfelder,   welche   meist   den    für   die 


106  W.  Roux, 

Froscheier  gegebenen,  durch  die  Bestrahlung  bedingten  Regeln 
entsprechen.  Ist  jedoch  die  Keimscheibe  im  Morulastadium  gegen 
die  Elektrode  gewendet,  so  schnürt  sie  sich  zuerst  wie  am  noch 
ungetheilten  Ei  durch  eine  tiefe,  in  Niveauflächenrichtung 
stehende  Furche  vom  Dotter  ab,  wird  dadurch  selber  etwas 
abgeplattet  kugelig  und  zeigt  später  zwei  durch  einen  unver- 
änderten Äquator  getrennte,  aus  theilweise  polarisirten  Zellen 
gebildete  Polseiten,  aber  keine  Niveaufurchen. 

Da  bei  diesen  Eiern  die  Zerlegung  in  Zellen  nur  einen 
kleinen  Abschnitt  der  Eikugel  ergreift,  so  ist  Gelegenheit 
zu  einigen  weiteren,  über  die  am  in  toto  zerlegten  Frosch- 
und  Tritonei  hinausgehenden  Beobachtungen  gegeben.  Leider 
hinderte  Mangel  an  Material,  diese  Möglichkeit  genügend 
auszunutzen.  Zweimal  sah  ich,  dass  die  schief  zu  den  Elek- 
troden stehende,  getheilte  Keimscheibe  auf  der  einen  Seite  im 
Profilcontour  drei  mit  je  einem  Polfeld  versehene  Zellen  ent- 
hielt; darauf  folgte  eine  einzige,  trotz  ihrer  auf  einer  Seite  der 
Elektrode  direct  zugewendeten  Fläche  unveränderte,  also  den 
Äquator  repräsentirende  Zelle,  während  die  allein  noch  übrige 
anstossende  Zelle  der  anderen  Seite,  welche  nur  von  der  an- 
deren Elektrode  bestrahlt  wurde,  mit  ihrem  einen  Polfeld  zu- 
gleich die  ganze  zweite  Polseite  der  Profilansicht  der  Keim- 
Scheibe  repräsentirte.  Dies  Verhalten  lässt  sich  kaum  noch  auf 
die  vom  Frosch  und  Triton  bekannten  Verhältnisse  beziehen; 
und  ich  habe  auch  Vertheilungen  der  Polfelder  gesehen,  die  dies 
noch  weniger  als  möglich  erscheinen  lassen,  also  eine  eigene 
Deutung  erfordern  werden.  So  beobachtete  ich  z.  B.  eine  Morula 
mit  schief  zu  den  Niveauflächen  stehendem,  also  anscheinend 
von  einer  Seite  her  bestrahltem  Äquator,  der  von  zwei  ein- 
ander gleich  grossen,  aber  gleichfalls  von  einer  und  derselben 
Elektrode  anscheinend  mehr  bestrahlten,  aus  gesondert  polari- 
sirten Zellen  bestehenden  Polfeldern  flankirt  wurde. 

Grössere  und  kleinere  Stücke  der  Morulakeimscheibe 
bilden  gleichfalls  zwei  Polfelder,  ohne  sich  jedoch  dabei  sichtbar 
zu  contrahiren.  Bei  Besichtigung  mit  Zeiss'  Objectiv  E  sieht 
man,  dass  viele  der  29 — 35  [i  grossen  Zellen  durch  reichlichen 
Gehalt  an  kleinen  und  grossen  Körnchen  ganz  trüb  sind. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  107 

Vier  Tage  alte,  durchscheinende  Embryonen  dieserFisch- 
art,  welche  das  Rückenmark  geschlossen  und  den  kugeligen 
Dotter  schon  zu  Y5  umwachsen  hatten,  bildeten  auch  noch  Pol- 
felder und  einen  scharf  begrenzten,  annähernd  parallel  contou- 
rirten  Äquator.  Zuerst  wurde  die  epitheliale  Bedeckung  des 
Dotters,  dann  das  äussere  Epithel  des  Embryo  trüb  im  Bereiche 
der  Polfelder.  Bei  Durchströmung  in  sagittaler  Richtung,  also 
parallel  zur  Medianebene  des  Embryo  verschmälerte  sich  das 
Rückenmark  in  transversaler  Richtung  und  erhöhte  sich  dem  ent- 
sprechend erheblich  in  dorsi-ventraler  Richtung,  und  im  Bereiche 
der  Polfelder  wurde  eine  geringe  Menge  fast  flüssiger  klarer 
Substanz  von  ihm  ausgeschieden.  Die  Rückenmarkssubstanz 
selbst  blieb  durchscheinend,  schien  also  nicht  polarisirbar  zu 
sein;  doch  wurden  wegen  der  geringen  Zahl  der  Embryonen 
die  Versuche  nicht  genügend  variirt,  um  dies  als  sicher  auf- 
fassen zu  dürfen. 

Vorspringende  bestrahlte  reagirende  Theile  werfen  wieder 
einen  Schatten  auf  die  in  der  Stromrichtung  hinter  ihnen 
liegenden  Theile  desselben  Polabschnittes,  so  dass  diese  Theile 
erst  später  trüb  werden. 

Auch  Stücke  von  Embryonen  reagiren;  an  ihnen 
zieht  sich  während  der  Reaction  zugleich  die  den  Dotter 
umschliessende  Schicht  derart  zusammen,  dass  der  Dotter  aus 
der  Schnittstelle  zum  Theil  ausgepresst  wird.  Die  Schnittfläche 
des  Dotters  selber  erlangt,  so  weit  sie  bestrahlt  ist,  nur  geringe, 
punktirte  oder  fadenförmige  Trübung,  wohl  entsprechend  der 
geringen  Protoplasmavertheilung  im  Dotter, 

Die  durchscheinende  Beschaffenheit  des  Fischeies  hätte 
Gelegenheit  geboten,  uns  über  eventuelle,  beim  Durchströmen 
im  Bereiche  des  Äquators  vor  sich  gehende  molekulare  Ver- 
änderungen durch  die  Beobachtung  eines  hindurchgesandten 
polarisirten  Lichtstrahles  zu  unterrichten;  doch  war  ich  zu  dieser 
Zeit  noch  zu  sehr  mit  der  Übersicht  über  die  Hauptformen  der 
vorkommenden  gröberen  Veränderungen  beschäftigt,  um  schon 
an  die  Ermittelung  der  feineren  Verhältnisse  zu  gehen,  und 
später  konnte  ich  kein  weiteres  Fischmaterial  erhalten. 

An  noch  durchscheinenden  Eierstockseiern  bis  zu 
einer  Grösse  von  etwa Oomm  bringt  der  Wechselstrom  mannig- 


108  W.  Roux, 

fache,  aber  nicht  polar  localisirte  Veränderungen  hervor,  die 
jedoch  selbst  bei  neben  einander  liegenden  Eiern  des  Eier- 
stockes oft  verschieden  sind.  Fast  ausnahmslos  indess  entsteht 
in  dem  mit  einer  klaren  Flüssigkeit  erfüllten,  grossen,  von  einer 
Membran  umschlossenen  Keimbläschen,  an  dessen  Innen- 
wand eine  Anzahl  glänzender  Körnchen  (Nucleolen)  liegen, 
rasch  eine  starke  Vermehrung  dieser;  danach  entsteht  weiter- 
hin eine  protoplasmaähnliche,  dichte,  feinkörnige,  gelblich- 
bräunliche, trübe  Masse,  in  der  die  glänzenden  grösseren 
Körner  liegen,  die  sich  dann  allmälig  retrahirt,  manchmal  zu 
einer  Scheibe  mit  vielen  zackigen,  kantigen  Ausläufern.  Den 
Zwischenraum  zwischen  der  Kernmembran  und  dieser  com- 
pacten Kernmasse  füllt  klare  Flüssigkeit  aus.  In  wenigen  Zellen 
verdickt  sich  rasch  die  Kernmembran  um  das  Drei-  bis  Sechs- 
fache. Im  Zellleib  scheiden  sich  der  Eimembran  anliegende, 
nicht  glänzende  (paraplasmatische)  grosse  halbkugelige  Tropfen 
von  etwa  34  {jl  aus,  die  selten  sich  zu  runden  Tropfen  ablösen 
und  dann  die  äusserliche  Zellschicht  vacuolisirt  erscheinen 
lassen.  Das  vorher  helle  Protoplasma  sondert  sich  bei  etwa  ein 
Zehntel  der  Eier  in  eine  äussere,  gelbliche  homogene  und  eine 
innere  feinkörnige  Schicht,  die  beide  zusammenhängen.  Bei 
Eiern,  welche  schon  einige  Dotterkörner  enthalten,  werden  die- 
selben zwischen  diesen  beiden  Schichten  angehäuft.  Diese  Ver- 
änderung erfolgt  in  10  bis  15  Minuten;  während  nichtdurch- 
strömte  Eier,  24  Stunden  nach  dem  Tode  desselben  Fisches 
der  Bauchhöhle  entnommen,  noch  normales  Aussehen  darbieten. 
In  Wasser  liegende,  nicht  durchströmte  unreife  Eier  behalten 
lange  ihr  wässeriges  Keimbläschen,  scheiden  aber  bald  Flüssig- 
keitstropfen gegen  die  Eihaut  hin  aus,  und  zwar  in  grösserer 
Zahl  als  die  durchströmten  Eier  dies  thun.  Ist  diese  Aus- 
scheidung bei  durchströmten  Eiern  zufallig  an  zwei  gegenüber- 
liegenden Stellen  localisirt,  so  kann  es  den  Anschein  einer 
Polarisation  erwecken;  doch  berichtigt  die  variable  Richtung 
dieser  Pole  zur  Stromrichtung  sofort  diese  Auffassung.  Auch 
die  envähnte  Sonderung  des  homogenen  Protoplasmas  kann 
sich  in  dieser  Weise  anscheinend  polar  localisiren.  Über  diese 
morphologisch  wichtigen  Veränderungen  durch  den  elektrischen 
Strom  gedenke  ich  genauere  Untersuchungen  anzustellen. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  109 

Das  Herz  des  Telestes  bildet  zwei  blasse,  tonisch  contra- 
hirte  Polabschnitte  und  eine  rothe  Äquatorscheibe,  letztere 
annähernd  in  Richtung  der  Niveaufläche  des  Ortes.  Der  Tonus 
der  Polabschnitte  überdauerte  die  Durchströmung.  Auch  die 
Vorhöfe  betheiligten  sich  an  dieser  Reaction;  und  man  kann 
bei  Änderung  der  Stromrichtung  das  zuerst  erhaltene  Reactions- 
bild  umarbeiten  lassen. 

Die  Gallenblasen  dieses  Fisches  sind  dünnwandig  und 
reagiren  daher  sehr  schnell:  schon  nach  30  Secunden  sind  die 
Polfelder  sichtbar.  Zuerst  entstehen  auf  dem  dunkelgrünen 
Grund  an  dem  Pole  rundliche,  dann  eckig  werdende  und  mit 
einander  zusammenfliessende  hellgelbe  Flecken,  die  annähernd 
gerundete  Maschen  einschliessen.  Dieser  Vorgang  breitete  sich 
von  den  Polen  aus  und  führte  bei  der  von  mir  gewöhnlich 
angewandten  Stromstärke  schliesslich  unter  steter  Verschmäle- 
rung  zum  Verschwinden  des  Äquators.  Bei  Durchströmung  der 
Blase  in  Längsrichtung  geht  die  Vergrösserung  der  Polfelder 
manchmal  unter  Voraussendung  gelber  Zacken  gegen  den 
Äquator  vor  sich.  Bei  äusserst  geschwächtem  Strom  blieben 
die  Polfelder  auch  während  25  Minuten  langer  Durchströmung 
nur  kleine  Käppchen. 

Anhängende  Lebersubstanz  beeinflusst  in  keiner  erkenn- 
baren Weise  den  Verlauf  der  Niveaulinien;  dagegen  wirft  das 
angewachsene  Fett  einen  kräftigen  Schatten  und  alterirt  so  die 
Gestalt  der  Polfelder,  indem  an  der  Stelle  dieses  Schattens  die 
\'eränderung  ausbleibt. 

Lacerta. 

Von  Reptilien  untersuchte  ich  nur  Eidechsen  (Lacerta 
agilis). 

Die  von  einem  dicht  anliegenden  Follikelepithel  um- 
schlossenen jungen  Eierstockseier,  also  die  Eierstock follikel 
ergaben  bei  Behandlung  mit  flem  Wechselstrom  folgende 
Resultate. 

Durchscheinende  Eierstocksfollikel  von  0*5  bis  15  mm 
Grösse,  deren  Eier  erst  sehr  wenige  Dotterkörner  enthalten, 
bilden  deutlich  trübe  Polfelder;  diese  beginnen  als  isolirte  trübe 


110  W.  Roux, 

Punkte  am  Pole,  dann  confluiren  die  Punkte,  während  am  Rande 
neue  solche  Punkte  auftreten,  sich  weiter  ausbreiten  und  eckig- 
maschige  Netze  bilden  von  21 — 30  ji  Maschenweite.  Mit  Zeiss* 
Objectiv  C  sieht  man  an  Eiern  von  0*9 — 10  mm  Grösse,  dass 
die  trüben  Punkte  und  Netze  aus  feinkörnigem  Protoplasma  mit 
eingeschlossenem  Kern  bestehen,  also  getrübte  Follikelepithel- 
zellen  sind. 

Diese  Polfelder  wachsen  noch  erheblich  nach  dem  Auf- 
hören des  Stromes ;  ja  bei  kurz  dauernder  Durchströmung  treten 
sie  überhaupt  erst  mehrere  Minuten  danach  auf;  durch  Einlegen 
in  Chromsäure  werden  sie  deutlicher  und  scharf  begrenzt. 
Nicht  isolirte  EierstocksfoUikel  bilden  bloss  je  ein  Polfeld, 
nämlich  bloss  auf  der  ganz  freien,  vom  Wasser  umgebenen 
Seite,  nicht  auf  der  anderen  zum  Theil  durch  benachbarte 
Follikel  bedeckten  Seite,  obgleich  die  benachbarten  Follikel 
durch  eine  tiefe,  mit  dem  Menstruum  erfüllte  Furche  getrennt 
sind.  Beim  Durchströmen  eines  solchen  umgestülpten  Eier- 
stockes tritt  demnach  die  beschattende  Wirkung  des  reactions- 
fähigen  Substrates  in  ähnlich  ausgesprochener  Weise  herv^or, 
wie  sie  oben  für  querstehende  Furchen  am  Pole  der  Morula  des 
Wasserfrosches  und  des  Triton  beschrieben  worden  ist.  An 
bloss  mit  einem  Polfeld  versehenen  Eierstocksfollikeln  breitete 
sich  nach  dem  Durchströmen  beim  Liegen  in  Wasser  die  Trü- 
bung vom  Polfelde  allmälig  während  einer  halben  Stunde  über 
das  ganze  Ei  aus,  aber  mit  vom  Pole  aus  abnehmender  Inten- 
sität. An  grossen,  dotterkörnerhaltigen  Eiern  von  7  mw  Durch- 
messer vermochte  ich  nach  der  Durchströmung  keine  Polari- 
sation zu   sehen  oder  durch  Chromsäure  sichtbar  zu  machen. 

Die  Gallenblase  der  Eidechse  verhält  sich  im  Wesent- 
lichen wie  die  der  übrigen  untersuchten  Thiere.  Die  Polfelder 
werden  grün,  in  verdünnter  Schwefelsäure  rasch  opak  gelb; 
obschon  die  ausfliessende  Galle  selber  nicht  opak  gelb  wird. 

Auch  an  den  Embryonen  der  Eidechse  wurden  einige 
bezügliche  Beobachtungen  gemacht.  Es  standen  bloss  von  drei 
schwangeren  Eidechsen  Embryonen  zur  Verfügung,  welche  in 
den  beobachteten  Stadien  noch  durchscheinend  waren  und 
daher  gestatteten,  das  Verhalten  einiger  inneren  Organe  kennen 
zu  lernen. 


Entwicketungsmechanik  des  Embryo.  111 

An  diesen  Eidechsen -Embryonen  mit  schon  stark  vor- 
springendem Mittelhim  (und  mit  Extremitätenstummeln)  reagirte 
vorzüglich  das  Gehirn  auf  den  Strom.  Durchströmt  man  mit 
starkem  Strom  in  cephalocaudaler  Richtung,  so  bildet 
die  vorspringende  Blase  des  Mittelhims  zuerst  ein  kleines 
trübes  Polfeld  an  dem  der  Elektrode  nächsten  Theil,  welches 
in  3  Minuten  schon  fast  die  halbe  Kugel  einnimmt;  danach 
entsteht  auch  an  der  gleichfalls  direct  bestrahlten  dorsalen 
Wandung  des  Hinterhirns,  Zwischenhirns  und  Vorderhirns  eine 
Trübung.  Gleichzeitig  wird  die  ausgedehnte,  entgegengesetzte 
basale  Seite  des  ganzen  Gehirnes  trübe;  und  zwischen  diesen 
beiden  Polfeldern  bleibt  ein  grosser,  annähernd  parallel  con- 
tourirter  Streifen  des  Gehirnes  vollkommen  durchscheinend; 
nur  im  Bereich  der  ventralen  Wandung  der  Mittelhirnblase, 
welche  infolge  der  kugeligen  Gestalt  der  Blase  noch  besonders 
bestrahlt  wird,  entsteht  dem  grossen  dorsalen  Polfelde  gegen- 
über ein  besonders  abgegrenztes  kleineres,  etwas  weniger 
trübes,  aber  vollkommen  deutliches  Polfeld.  Die  scharf  be- 
grenzten polaren  Trübungen  der  Gehirnwandung  werden  auch 
nach  der  Unterbrechung  der  Durchströmung  des  Embryo  noch 
eine  Zeit  lang  intensiver;  während  der  schmale  Äquator  selbst 
nach  längerer  Durchströmung  noch  durchscheinend  bleibt.  Der 
gleichfalls  unter  günstigem  Winkel  bestrahlte  Anfangstheil  des 
Rückenmarkes  bekommt  nur  eine  schwache  Trübung.  Ferner 
wird  der  schlingenförmige  Herzschlauch  an  den  Polseiten 
trüb.  Das  gleiche  gilt  von  den  Polseiten  derKiemenbogen  und  der 
Extremitätenstun^mel;  sie  werden  ebenfalls  oberfläöhlich  trüb; 
doch  konnte  ich  an  ihnen  keinen  deutlichen  Äquator  wahr- 
nehmen. 

Durchströmt  man  einen  Eidechsen-Embryo  des  gleichen 
Stadiums  in  der  Richtung  vom  Stirnhirn  zum  Nachhirn, 
so  sind  die  trüben  Polfelder  in  der  Hirnwandung  entsprechend 
anders  vertheilt,  aber  ebenfalls  scharf  begrenzt;  am  Stirn-, 
Zwischen-  und  Mittelhirn  ist  je  ein  vorderes  Polfeld;  am  Mittel- 
him, durch  hellen  Äquator  getrennt,  ein  hinteres  Polfeld,  und 
daran  schliesst  sich  die  trübe  Hinterhirndachplatte;  letzterer 
ventral  gegenüber  liegt  der  stark  trübe,  dicke  ventrale  Theil 
des  Nachhims.  Am  Rückenmark  sind  die  Veränderungen  wieder 


112  W.  Roux, 

weniger  deutlich;  dagegen  sind  sie  wieder  vollkommen  aus- 
gesprochen an  den  derzeitigen  Polseiten  des  Herzschlauches. 
Auch  die  Gehörbläschen  bilden  polare,  aber  unscharf  begrenzte 
Trübungen,  Auf  einem  etwas  jüngeren  Stadium  reagirte  das 
noch  sehr  dünne  Dach  des  Zwischenhirns  und  des  vierten 
Hirnbläschens  nicht  erkennbar,  sodass  bei  geeigneter  Strom- 
richtung den  betreffenden  Abschnitten  das  zweite  Polfeld  fehlte, 
wie  es  übrigens  im  Bereiche  des  Nachhirns  vorher  schon  der 
Fall  war. 

Die  Hirnwandung  der  Embryonen  verdickt  sich  im  Bereiche 
der  Polfelder  schon  während  des  Durchströmens  und  noch  nach 
demselben  innerhalb  einer  Viertelstunde  sehr  stark,  stellenweise 
auf  das  Vier-  bis  Sechsfache  unter  Bildung  von  gleichfalls 
trüben,  soliden  Höckern  und  Wülsten,  die  zum  Theil  regel- 
mässig angeordnet  sind,  und  in  den  Binnenraum  der  Hirnblase 
vorspringen;  manchmal  ist  ihre  Bildung  schon  in  einer  halben 
Stunde  so  stark,  dass  sie  sich  von  den  beiden  Polfeldern  aus 
in  der  Mitte  berühren  und  so  den  durchscheinenden  Äquator 
unterlagern.  Anfangs  solide  Wülste  können  später  zu  Falten 
der  Hirnwandung  werden,  indem  sich  der  äussere  Theil  der 
Wandung  mit  einstülpt.  Die  Falten  sind  in  Richtung  des  Stromes 
gelegen. 

Zum  Theil  ähnliche,  aber  natürlich  nicht  polar  localisirte 
Veränderungen  der  Hirnwandung  erhält  man  ohne  Durch- 
strömung, jedoch  viel  langsamer,  wenn  man  die  Hirnblase  auf- 
schneidet und  die  verwendete  wässerige,  mit  wenig  VtP^^* 
centiger  Kochsalzlösung  versetzte  Menstruumflüssigkeit  ein- 
dringen lässt.  Hiedurch  wird  die  Hirnwandung  unter  Quellung 
von  innen  aus  trüb. 

Das  Herz  reagirt  langsamer  als  das  Gehirn  und  schlägt 
gewöhnlich  noch,  wenn  schon  am  Hirn  die  Polfelder  ent- 
wickelt sind. 

Auch  die  AUantois  Hess  deutlich  polare  weissliche 
Trübung  erkennen,  besonders  ausgesprochen  auf  der  Höhe 
der  nach  aussen  vorspringenden  direct  bestrahlten  Falten,  in 
den  Furchen  nicht  deutlich.  Ist  die  AUantois  prall  gefüllt,  so 
sind  die  Polfelder  etwas  deutlicher  umgrenzt,  und  daher  auch 
ein  parallel  contourirter  Äquator  eher  zu   erkennen;  aber  nie 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  113 

ist  der  Übergang  vom  trüben  Polfeld  zum  durchscheinenden 
Äquator  ein  so  plötzlicher  wie  am  Gehirn  desselben  Embryos. 

Huhn  (G  all  US  dornest  icus). 

Femer  reagiren  sehr  gut  Hühnerembryonen  von  2*/^ 
bis  7  Brüttagen  auf  den  Wechselstrom,  während  die  schon 
früher  geprüfte  Keimscheibe  keine  Polfelder  hatte  erkennen 
lassen.  Da  dieses  Material  gut  durchscheinend  ist  und  fast  zu 
jeder  Zeit  beschafft  werden  kann,  so  wurden  an  ihm  die  Beob- 
achtungen eKvas  weiter  ausgedehnt,  als  dies  an  den  Embrj'onen 
der  drei  Eidechsen  möglich  war.  Die  Embryonen  wurden  in 
einhalbprocentiger  Kochsalzlösung  von  35" — 39*  C.  durch- 
strömt Schon  nach  3  bis  5  Minuten  tritt  an  jeder  Polseite  der 
Himbiasen  eine  scharf  umgrenzte  Trübung  der  Wandung,  ein 
deutliches  Polfeld  auf,  welches  wieder  je  nach  der  Lage  des 
Embryo  zu  den  Elektroden  verschieden  situirt  ist,  wie  dies 
bereits  von  den  Eidechsen-Embrj'onen  geschildert  worden  ist. 

Die  durchscheinende  Beschaffenheit  gestattet,  mit  schwachen 
Objectiven,  Zeiss  A  und  C,  zu  beobachten,  und  lässt  erkennen, 
dass  es  die  innere  Schicht  der  Hirnblasenwandung  ist,  welche 
trüb  wird.  Bald  entstehen  im  Bereiche  der  Polfelder,  besonders 
am  Mittelhim,  ausgesprochene,  wieder  in  Stromrichtung 
gelegene  Wülste  und  Falten  der  Wandung,  siehe  Fig,  20, 
und  zwar  vorzugsweise  nach  innen  gegen  den  Binnenraum 
zu;  während  der  scharf  begrenzte  Äquator  jeder  Hirnblase 
klar  durchscheinend  und  ungefaltet  bleibt,  und  zwar  klarer 
durchscheinend  als  der  bezügliche  Theil  des  bei  jedem  Ver- 
suchsbeginne  zum  Vergleiche  in  37 — 39"  C.  warme  gleiche 
Kochsalzlösung  eingelegten  gleichalterigen  Probe  -  Embryos. 
Letztere  werden  allmälig  etwas  trüb,  während  die  durchströmten 
Embryonen  zunächst  durchscheinender  werden,  als  sie  waren, 
soweit  sich  nicht  Polfelder  an  ihnen  bilden.  Erst  nach  einer 
Viertel-  bis  halben  Stunde  breiten  sich  die  Trübungen  der 
durchströmten  Embryonen  auch  über  die  Äquatortheile  aus 
und  werden  etwas  hyalin;  damit  wird  der  durchströmte  Embryo 
nicht  durchströmten,  in  nicht  mit  Salz  versetztem  Brunnen- 
wasser liegenden  Embryonen  ähnlich,  welche  allgemein  trüb, 
etwas  hyalin  schimmernd  werden,  aber  ihre  ungefalteten  Hirn- 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Cl.;  CI.  Bd.  Abih.  III.  8 


114  W.  Roux, 

Wandungen  behalten.  Die  Hirnwulstungen  oder  Faltungen  def 
durchströmten  Embryonen  bilden  dann  einen  leicht  sichtbaren 
Unterschied.  An  in  halbprocentiger  Kochsalzlösung  ohne 
Durchströmung  liegenden  Embryonen  dagegen  werden  viele 
verschiedene  Schichten  trüb,  andere  bleiben  Tage  lang  durch- 
scheinend, so  dass  die  Dififerenzirung  viel  mehr  sichtbar  wird, 
als  im  Leben  und  als  an  elektrisirten  Embryonen. 

Die  polaren  Trübungen  finden  sich  wieder  auch  an  der 
basalen  Seite  des  Gehirns  in  entsprechender  Weise,  obgleich  hier 
die  Hirnwandung  nicht  so  frei  liegt  wie  dorsalerseits,  sondern 
vom  Kieferbogen,  vom  Mittelblattgewebe  und  vom  Kopfdarm 
bedeckt  ist.  An  dem  dünnen  Dach  des  vierten  Ventrikels  ist  die 
Trübung  nur  an  den  Rändern  ganz  deutlich. 

Die  primäre  Augenblase  reagirt  wie  das  Gehirn.  Die 
secundäre,  schwarz  pigmentirte  Augenblase  reagirt  sehr 
trag  mit  Faltungen  und  Abschnürungen,  besonders  an  den 
Polen,  und  mit  Verfärbung  und  Hellwerden,  gleichfalls  besonders 
an  den  Polseiten,  siehe  Fig.  20.  Doch  entstehen  keine  scharf 
abgegrenzten  Polfelder  und  dem  entsprechend  auch  kein  solcher 
Äquator.  Die  Linse  zeigt  auch  Veränderungen.  Die  Wandung 
der  Gehörbläschen  wird  gleichfalls  trüb,  eventuell  gefaltet, 
aber  wieder  nur  mit  undeutlicher  polarer  Begrenzung  der  Ver- 
änderung. Auch  das  Rückenmark  Hess  in  seinem  cephalen 
Theil  polare  Trübung,  aber  wenig  deutlich  erkennen. 

Manchmal  glaubte  ich  auch  polare  Trübung  im  freien 
Theil  des  äusseren  Keimblattes,  im  äusseren  Überzug  des 
Körpers  zu  erkennen;  doch  war  die  Abgrenzung  keine  scharfe 
und  ist  bei  der  Zartheit  dieser  Epithelschicht  das  Urtheil 
unsicher.  Nur  ist  eine  starke,  jedoch  wie  bei  den  Eidechsen- 
Embryonen,  nicht  deutlich  polar  begrenzte  Trübung  des  Epi- 
thels der  Extremitätenstummel,  sowie  der  sehr  direct  von 
Stromfäden  getroffenen  Oberflächentheile  der  Schlundbögen 
zu  erwähnen. 

An  jungen  Embryonen  von  2 — 2^1^  Tagen,  an  denen  mit 
dem  Mikroskop  ohne  vorherige  Mikrotomirung  der  Kopfdarm 
sichtbar  ist,  sah  ich  eine  starke,  in  manchen  Fällen  deutlich 
polar  localisirte  Trübung  seines  Epithels,  also  des  Entoblast. 
Das  Epithel  der  Rachenmembran  und   der  inneren  Seiten  der 


Entwickelungsmechanik  des  Embry'o.  115 

Schlundbögen  ist  auch  ohne  Durchströmung  schon  trüb;  diese 
Trübungen  aber  werden  erheblich  verstärkt  bei  geeigneter  Lage 
der  Elektroden.  Auch  andere  stark  durchstrahlte  Theile  des 
Entoblast,  besonders   der  vorspringende  Umschlagsrand  der 
vorderen  Darmwand  zum  Dottersack,  werden  bei  Durchströmung 
in  geeigneter  Richtung  auf  den  Polseiten  deutlich  trüb.  An  dem 
noch  S-förmigen  Herzen  wird  gleichfalls  auf  den  Polseiten 
eine  Trübung  durch  den  Wechselstrom  hervorgebracht.  Weiter- 
hin entstehen   an   den  Seitenplatten   des   mittleren  Keim- 
blattes, sowie  an  den  Ursegmenten  des  Kopfes,  Halses  und 
vorderen  Rumpfes  polare  Trübungen.  Manchmal  bekommt  jedes 
Ursegment  je  eine,  bei  Längsdurchströmung   proximale  und 
distale,  weisslich  trübe  Grenzscheibe,  bei  Querdurchströmung 
ein  mediales  und  ein  laterales  weisses  Feld;  andere  Male  ist  die 
polare  Localisation  der  Trübungen  undeutlich.  Einmal  sah  ich 
nach  einer  nicht  bis  zur  Polfeldbildung  an  den  Ursegmenten 
fortgesetzten  Durchströmung  innerhalb   einer  Stunde  an  der 
ganzen  lateralen  Seite   jedes  Rumpfsegmentes   ein  schmales 
Stück  sich  abschnüren  und  einige  davon  sogleich  mit  dem 
davor    und  dahinter  liegenden  Stück  zu  einem  einheitlichen 
Strang  sich  verbinden.   Erwähnenswerth  ist,  dass  vor  der  Ab- 
schnürung jeder  laterale  Rand  des  Ursegmentes  sich  wie  durch 
transversale  Einschnitte,  welche   aber  wohl  durch  Umordnung 
der  Epithelzellen  bedingt  waren,  sich   in  4  oder  5  Sprossen 
sonderte,   dass  diese  sich  vom  Ursegment  abschnürten  und 
dann  zu  dem  Längsstrang  sich  vereinigten.  Es  ist  die  Bildung 
des  Umierenganges,  die  ich  da  direct  von  der  Dorsalseite  des 
Embryo  aus  beobachtet  habe;  ob  dieselbe  durch  die  elektrische 
Behandlung  beschleunigt  war,  oder  ob  sie  für  gewöhnlich  so 
rasch  verlauft,  müssen  erst  weitere  Beobachtungen  darthun. 
Im   Bereiche    der    polaren   Trübungen     der   Ursegmente 
scheint  der  Zellverband  gelöst,   denn  man  sieht  mit  Zeiss  C 
nur   noch   viele   Zellkerne   von    7  |t   Grösse;    also    hat    wohl 
Framboisia  interna  stattgefunden,  wie  beim  äusseren  Epithel 
der  Frosch-Embryonen.    Ahnliches  sieht  man  auch    an    den 
Polfeldem  von   Stücken  des    Rückenmarkes    und    Gehirnes, 
sowie  an  der  Chorda  dorsalis;   doch   ist  Genaueres  erst  nach 
der  Mikrotomining  der  Objecte  festzustellen.   Dies  gilt  auch 

8* 


116  W.  Roux, 

allgemein  für  die  zwischen  den  epithelialen  Gebilden  gelegene 
Bindesubstanz,  an  welcher  ich  in  frischem  Zustande  keine  Ver- 
änderung wahrnehmen  konnte.  In  getrübten  Stellen  des  Ento- 
blast  sieht  man  schon  mit  Zeiss  C  viele  glänzende  Kügelchen 
von  1*4 — 3 -5  ji  Grösse.  Diese  sind  es  wohl,  welche  die  Trübung 
bedingen. 

Am  Mittelhirnbläschen  entsteht  auch  manchmal  eine  be- 
sondere Niveaulinie,  welche  dunkler  ist  als  der  benachbarte 
Theil  des  Polfeldes,  dessen  Grenze  sie  darstellt. 

Der  Äquator  beträgt  bei  der  angewandten  Stromstärke  an 
der  Mittelhirnblase  etwa  Vg  ^^^  Ausdehnung  des  Gebildes  in 
Richtung  des  Stromes;  bei  den  beiden  Grosshirnbläschen  ist 
er  breiter.  Die  Äquatoren  der  Mittelhirnblase,  der  Zwischen- 
himblase  und  der  Grosshirnbläschen  sind  nicht  einander 
parallel,  sondern  es  ist,  wie  bei  den  schief  zur  Stromrichtung 
stehenden  Gallenblasen  der  Kaninchen,  eine  Ablenkung  des 
Äquators  von  der  Niveauflächenrichtung  des  Menstruums  nach 
der  grössten  Ausdehnung  der  bezüglichen  Blase  wahrnehmbar; 
dies  gilt  daher  besonders  für  die  Grosshirnbläschen  und  für 
das  Zwischenhirn,  siehe  Fig.  20.  Es  gelten  hier  überhaupt  die 
früher  von  der  Localisation  der  Polfelder  an  Froschöiern  und 
-Embryonen  und  an  Gallenblasen  aufgestellten  Regeln  von  der 
directen  Bestrahlung  und  vom  Stromschatten. 

Das  das  Hirn  umgebende,  selber  nicht  erkennbar  reagrrende 
differente  Gewebe  beeinflusst  nicht  die  Anordnung  der  Polfelder 
an  den  von  ihm  eingehüllten  Organen;  die  Hirnblasen  verhalten 
sich,  als  ob  ihre  bestrahlten  Formen  unverhüllt  da  lägen.  So 
Hess  auch  die  Einhüllung  in  das  Amnion  keine  die  Locali- 
sation alterirende  Wirkung  erkennen,  von  einer  geringen  Ver- 
zögerung der  Polfeldbildung  abgesehen,  welche  ich  zu  bemerken 
glaubte. 

Am  Herzschlauch  des  Hühnchens  bilden  die  beim 
Durchströmen  sich  trübenden  Theile  den  äussersten  Theil  der 
Wandung  und  stellen,  bei  Zeiss  C  gesehen,  eine  gelbliche, 
dichte,  die  einzelnen  Zellen  nicht  mehr  recht  erkennen  lassende 
Schicht  von  zum  Beispiel  21  |x  dar,  während  man  an  den  nicht 
polarisirten  Stellen  der  Rinde  die  einzelnen  7 — 14  [jl  grossen 
Zellen  deutlich   unterscheiden   kann.    Die  polarisirten   trüben 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  11/ 

Stellen  scheinen  aus  dicht  gedrängten  Zellkernen  von  7  (jl 
Grösse  zu  bestehen.  An  einem  bloss  durch  Liegen  in  warmer, 
V^procentiger  Kochsalzlösung  getrübten  Herzschlauch  war 
diese  Schicht  nicht  auffindbar. 

Alle  bisher  durchströmten  Gebilde,  mit  Ausnahme  der 
Stücke  von  Froschembryonen,  waren  durch  gerundete  oder 
auf  andere  Weise  nach  aussen  vorspringende  Flächen  begrenzt. 
Es  ist  daher  die  Vermuthung  zu  prüfen,  ob  diese  Gemeinsam- 
keit der  Formen  nicht  vielleicht  Veranlassung  zu  der  gefundenen 
Gemeinsamkeit  in  der  Localisation  der  Veränderungen  auf  zwei 
durch  einen  unveränderten  Äquator  getrennte  Polfelder  ist.  Da 
in  den  Hirnblasen  Hohlgebilde  mit  nicht  collabirender  Wandung 
vorhanden  sind,  war  Gelegenheit  gegeben,  diese  Vermuthung 
zu  prüfen. 

Ich  zerschnitt  daher  den  Kopf  von  Hühnerembryonen  und 
Hess  in  die  offene  Höhlung  des  Vorder-  und  Mittelhirns  den 
Strom  direct  eintreten.  Es  zeigte  sich,  dass  jetzt  nicht  etwa  ein 
trüber  Polring  am  offenen  Rande,  eine  Polkappe  am  blinden 
Ende  und  zwischen  beiden  ein  unveränderter  Äquator,  an  dem 
eine  halbe  Kugelschale  darstellenden  Gebilde  entstanden, 
sondern  das  ganze  bestrahlte  Gebilde  wurde  trüb.  Zugleich  sah 
man  jetzt  sehr  deutlich,  dass  nur  die  innere  Schicht  der  Hirn- 
wandung sich  trübt  und  zunächst  allein  die  wieder  in  Richtung 
des  Stromes  gelegenen  Wülste  bildet.  Ist  dagegen  das  direct  in 
seine  Höhlung  bestrahlte  Hohlgebilde  relativ  lang,  sackartig, 
dann  sieht  man,  dass  die  Umgebung  des  Einganges  und  der 
Fundus  viel  trüber  werden,  als  der  zwischen  ihnen  gelegene 
mittlere  Theil.  Wird  aber  ein  so  gestaltetes  Hohlgebilde  parallel 
der  Schnittfiäche  durchströmt,  so  reagirt  es,  als  wenn  es  noch 
geschlossen  wäre,  also  wie  früher  beschrieben. 

Ein  zwei  Tage  bebrütetes  Hühnerei  wurde  uneröffnet 
in  der  Längsrichtung  des  Embryo  durchströmt  und  danach  der, 
abgesehen  vom  Gehirntheil,  noch  flach  ausgebreitete  Embryo 
herausgenommen.  Er  hatte  trübe  Polfelder  an  der  bestrahlten 
Seite  des  vorderen  Endes  des  Gehirnes,  dann  einen  quergestellten 
trüben  Streif  im  Bereiche  des  Rückenmarkes  hinter  dem  Nach- 
him,  entsprechend  einer  zufällig  daselbst  vorhandenen  Biegung, 
deren  Oberfläche  von  Stromfäden   getroffen   werden   konnte, 


118  W.  Roux, 

ferner  Trübung  des  Entoblast  an  der  Umschlagsstelle  desselben 
vom  hinteren  Ende  des  Vorderarmes  zum  Dottersack.  Besonders 
an  den  trüben  Stellen  zeigten  auffallend  viele  Zellen  bei  hoher 
Einstellung  des  Systems  Zeiss'  Immers.  II  zwei  matte,  an- 
nähernd den  Elektroden  zugewendete  Felder,  die  durch  einen 
hellen,  homogen  erscheinenden  Äquator  getrennt  waren;  jedoch 
habe  ich  in  keinem  anderen  Falle,  selbst  nicht  nach  6  Stunden 
langer  Durchströmung  ganzer  Hühnereier  solche  polaren  (?) 
Trübungen  am  Embryo  und  solche  scheinbar  polarisirten  Zellen 
wieder  aufgefunden.  Nach  Zerreissung  des  Embryo  wurden  alle 
Zellen  der  Rissfläche,  sowohl  der  Chorda,  wie  des  Rücken- 
markes kugelig.  An  den  trüben  Stellen  fanden  sich  zahlreiche 
Körnchen  zwischen  den  Zellen  und  bildeten  wohl  die  Ursache 
der  Trübung.  Auch  die  noch  innerhalb  der  Chordascheide 
befindlichen  Zellen  der  Chorda  dorsalis  dieses  Embryos  zeigten 
sich  nach  dem  Durchströmen  gerundet,  hatten  also  Framboisia 
interna  gebildet;  zum  Theil  hatten  sie  unter  Aufnahme  von 
Flüssigkeit  zugleich  ein  bis  etwa  zum  Neunfachen  des  Normalen 
gesteigertes  Volumen  angenommen. 

Weitere  Aufklärung  über  die  Gestaltungsursache  des  Pol- 
feldes gewährten  die  noch  ganz  oder  fast  ganz  platten, 
jüngeren  Hühnerembryonen. 

An  Stücken  von  einem  bloss  40  Stunden  lang  bebrüteten 
Embryo  wurde  deutlich,  dass  die  polaren  Trübungen  an  den 
gegen  die  Elektroden  gewendeten  Flächen  oder  Kanten  begannen, 
und  auch  an  den  direct  bestrahlten  Theilen  von  Krümmungen 
des  Medullarrohres,  sowie  des  Ektoblast,  auftreten. 

Nur  20  Stunden,  ja  erst  wenige  Stunden  bebrütete  Keim- 
scheiben, welche  früher  bei  plattem  auf  dem  Boden  liegen 
nicht  reagirten,  bildeten  nach  dem  Zusammenfalten  an  dem 
gegen  die  Elektrode  gewendeten  Umbiegungsrande  schwache, 
nach  dem  Wiederausbreiten  noch  sichtbare  Trübungen,  be- 
sonders aber  vorspringende  Buckeln  des  Ektoblast,  ähnlich 
denen  des  Gehirnes  der  älteren  Embryonen,  aber  kleiner,  und 
zwar  entwickelte  von  zwei  parallel  neben  einander  liegenden 
Falten  jede  einzelne  zwei  durch  einen  besonderen  Äquator 
getrennte  Polfelder,  entsprechend  den  den  Elektroden  zuge- 
wendeten beiden  Seiten.  Auch  in  der  Area  opaca  trübte  sich 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  119 

der  Ektoblast  etwas,  wenn  auch  nicht  so  deutlich  als  auf  der 
Zona  pellucida  und  dem  Embr^'o. 

Auf  den  galvanischen  Strom  von  12  Bunsen'schen 
Elementen  reagirten  die  Hühnerembryonen  zum  Theil  noch 
stärker,  als  auf  den  für  gewöhnlich  verwendeten  Wechsel- 
strom. 

An  Hühnerembryonen  von  5 — 7  Brüttagen  entsteht  zuerst 
wieder,  wie  beim  Froschei,  das  anodische  Polfeld,  welches 
schon  nach  einer  Minute  am  Mittelhirn  stark  ausgeprägt, 
nach  4  Minuten  schon  gefaltet  ist.  Drei  Minuten  nach  dem 
Beginne  der  Durchströmung  trat  das  kathodische  Polfeld  auf, 
aber  zuerst  nur  an  den  in  der  Nähe  der  Kathode  liegenden 
Embryonen.  Ähnliches  zeigte  sich  auch  an  den  anodenwärts 
liegenden  Embryonen  bezüglich  des  positiven  Polfeldes,  jedoch 
in  minderem  Maasse. 

Für  die  Lage  der  Polfelder  gilt  das  für  den  Wechselstrom 
Mitgetheilte.  Schon  nach  5  Minuten  war  die  Wirkung  im 
anodischen  Polfeld  so  stark,  dass  einige  der  Falten  der  Hirn- 
wandung, welche  auch  hier  wieder  in  Richtung  des  Stromes 
lagen,  aufplatzten. 

Auch  die  secundären  Augenblasen  reagiren  wieder 
stark;  die  hell  gewordenen  Polfelder  sind  hier  zum  Theil 
besser  vom  schwarzen  Äquator  abgegrenzt  als  beim  Wechsel- 
strom, und  zeigen  zum  Theil  auch  Faltung  in  Richtung  des 
Stromes. 

Ganz  evident  ist  beim  Gleichstrom  die  Wirkung  auf  den 
äusseren  Körperüberzug;  der  Ektoblast  wird  geradezu  weiss, 
wo  er  direct  bestrahlt  wird.  Besonders  stark  ist  diese  Ver- 
änderung wieder  an  den  Extremitäten,  deren  Polfelder  zwar 
auch  hier  nicht  deutlich  abgegrenzt  waren,  aber  doch  einen 
Äquator  geringerer  Veränderung  zwischen  sich  zu  haben 
schienen.  Auch  das  bestrahlte  Epithel  der  Kiemenbogen  wird 
besonders  stark  weiss,  und  die  Allantois  ist  deutlich  polarisirt. 
Die  den  Boden  des  Gefässes  berührenden,  oder  ihm  sehr 
nahen  Seiten  der  Embryonen  bleiben  durchscheinend;  bloss 
die  aufwärts  gebogenen,  gegen  die  Elektroden  gewendeten 
Ränder  an  den  Unterseiten  bieten  noch  die  Veränderung  dar, 
so  dass  zum  Beispiel  ein  am  Boden  liegendes  Auge  entsprechend 


120  W.  Roux, 

der  zugewendeten  Elektrode  nur  ein  anodisches,  kein  katho- 
disches Polfeld  hat. 

Bei  diesen  Versuchen  fiel  mir  wieder,  siehe  S.  82,  auf,  dass 
die  Wirkung  mit  dem  Abstand  von  der  Elektrode  stark 
abnahm,  indem  das  anodische  Polfeld  an  den  der  Anode  ent- 
fernteren Embryonen  später  auftrat  und  schwächer  verändert, 
respective  kleiner  war,  als  an  den  der  Anode  näheren  Embry- 
onen; dasselbe  galt  in  noch  stärkerem  Maasse  für  das 
kathodische  Polfeld. 

Dieses  Verhalten  erinnert  an  eine  Beobachtung  von  Ver- 
worrn  an  einem  langen,  in  Stromrichtung  liegenden,  mit  viel- 
fachen knolligen  Verdickungen,  versehenen  Faden  der  Loh- 
blüthe,  der  gleichfalls  mit  dem  Gleichstrom  behandelt  worden 
war.  Seine  Figur  7  auf  Tafel  IV  zeigt,  dass  an  diesem  Faden 
die  anodische  Veränderung  auf  den  Anodenseiten  aller  Knollen 
nicht  bloss  bis  zur  Mitte  des  Fadens,  sondern  fast  in  ganzer 
Länge  auf  */io  desselben  vorhanden  war,  dass  aber  diese  Ver- 
änderung an  Intensität,  sowie  an  Ausdehnung  an  den  einzelnen 
Knollen  von  dem  Anodenende  des  Fadens  stetig  abnahm,  und 
dass  an  den  der  Anode  nächsten  Knollen  die  anodische  Ver- 
änderung auch  auf  der  der  Anode  abgewendeten  Seite,  an  den 
entfernteren  Knollen  bloss  auf  der  direct  der  Anode  zugewen- 
deten Seite  sich  findet.  Verworrn^  sagt  darüber  S.  276: 
3^  Diese  Intensitätsabnahme  der  Verfärbung  von  dem  positiven 
Pol  aus  nach  dem  negativen  hinüber  scheint  daraufhinzuweisen, 
dass  die  Wirkung  des  Stromes  an  den  anodischen  Stellen  um 
so  schwächer  ist,  je  weiter  diese  von  der  positiven  Elektrode 
entfernt  liegen,  so  dass  es  also  an  entfernteren  Stellen  einer 
längeren  Stromdauer  bedarf,  bis  der  körnige  Zerfall  einen 
makroskopisch  bemerkbaren  Umfang  angenommen  hat.«  Die 
mögliche  Ursache  dieses  Verhaltens  angehend,  so  liegt  in  der 
langen  continuirlichen  Ausdehnung  in  Stromrichtung  seitens 
eines  wohl  besser  als  das  umgebende  Menstruum  leitenden 
Gebildes  ein  Moment,  welches  diese  Erscheinung  der  i\bnahme 
der  Wirkung  mit  dem  Abstand  von  der  bezüglichen  Elektrode 
durch  Aspiration  und  Vorwegnahme  der  Stromfäden  durch  die 


1  M.  Verworrn,  Pflüger's  Arch.,  Bd.  46,  1889. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  121 

der  Elektrode  näheren  Stellen  des  Gebildes  auf  eine  sehr  ein- 
fache Weise  erklären  lässt.  Versuche  über  die  wahre  Bedeutung 
dieses  Vorkommnisses,  die  gezeigt  haben  würden,  was  es  für 
eine  Bewandtniss  mit  ihm  hat,  sind  vonVerworrn,  dessen 
Untersuchung  einen  anderen  Zweck  verfolgte,  nicht  angestellt 
worden. 

Da  man  Hühnerembryonen  fast  das  ganze  Jahr  haben 
kann,  verschob  ich  weitere  Versuche  über  dieses  Verhalten  und 
nahm  sie  erst  wieder  auf,  als  leider  am  hiesigen  Orte  die 
befruchteten  Eier  schon  zu  Ende  gingen. 

Es  waren  bisher  runde  Glasschalen  verwendet  worden, 
so  dass  das  Strombett  sich  gegen  die  Mitte  stark  verbreiterte, 
also  die  Stromdichtigkeit  abnahm.  Dies  zu  eliminiren,  nahm  ich 
bei  Wiederaufnahme  der  Versuche  eine  oblonge  Schale 
in  Gebrauch,  welche  nur  wenig  breiter  war  als  die  Platinelek- 
troden. In  dieser  Schale  wurden  zwei  Hühnerembryonen  von 
acht  Tagen  Brütedauer  durchströmt,  von  denen  jedoch  der  eine 
Embryo  nicht  grösser  und  weiter  entwickelt  war,  als  ein  normaler 
Embryo  von  fünf  Tagen,  obwohl  er  noch  lebte,  wie  das  schlagende 
Herz  bekundete.  Der  grössere  dieser  Embryonen  lag  nahe  der 
Anode,  an  die  Seitenwand  des  Glases  gelehnt,  mit  dem  Hinter- 
ende gegen  die  Anode  gewendet;  und  dicht  neben  seinem  Kopf 
wurde  der  kleine  Embryo  gegen  dieselbe  Glaswand  gelehnt, 
auch  mit  dem  Steiss  gegen  die  Anode  gerichtet.  Bei  der  Durch- 
strömung wurden  zunächst  die  in  der  Nähe  der  Anode  liegenden 
Theile  des  grossen  Embryo  trüb,  weiss,  und  zwar  die  linke 
Hinter-  und  Vorderextremität  in  toto  auf  beiden  Seiten  ohne 
Äquator;  auch  sah  man  eine  Zeit  lang  die  trüb  gewordenen 
Knorpelstrahlen  der  Zehen  und  die  trüb  gewordene  Knorpel- 
substanz des  Tarsus  durchscheinen;  ferner  wurde  der  Steiss 
in  toto  trüb;  vom  Rumpf  bloss  die  Anodenseite,  desgleichen  vom 
Kopf.  Die  Kathodenseite  des  Kopfes  und  Rumpfes,  und  der  in 
Richtung  des  Stromes  liegende  Hals  blieben  durchscheinend. 
Der  kleine  Embryo  blieb  im  Ganzen  hell  und  erhielt  bloss  am 
Dach  des  Mittelhirns,  welches  der  Kathode  am  nächsten  stand,  in 
Richtung  des  Stromes  verlaufende  Wülste,  wobei  dieser  Theil  nur 
wenig  trüb  wurde  und  sich  dadurch  augenfällig  von  den  weissen 
oder  weisslichen  Polfeldern  des  anderen  Embryo  unterschied.  Der 


122  \V.  Roux, 

kleine  Embryo  selbst  aber  bekam  keine  deutlichen  anodischen  Pol- 
felder. Die  gegen  die  Boden-  und  Seitenfläche  gelehnten  und  die 
angrenzenden  Theile  beider  Embryonen  blieben  gleichfalls  hell. 

Wir  haben  also  in  der  Nähe  der  Anode  an  den  Extremi- 
täten anodische  Polfelder  von  starker  Intensität  der  Veränderung, 
welche  letztere  sogar  beide  Seiten  erfasste  und  keinen  Äquator 
erkennen  Hess;  mit  der  Entfernung  von  der  Elektrode  nahm  die 
Wirkung  rasch  ab  und  beschränkte  sich  bloss  auf  der  Elektrode 
zugewendete  Flächen.  Ein  kathodisches  Polfeld  war  nur  an  dem 
der  Kathode  nahen  kleinen  Embryo  und  bloss  am  nächsten 
Theile  sichtbar;  allerdings  ist  zu  berücksichtigen,  dass  die 
kathodische  Veränderung  überhaupt  weniger  sichtbar  ist. 
Zugleich  war  noch  die  Wirkung  des  Schattens  hier  sehr  deut- 
lich, indem  gegen  die  Glaswand  gewendete  Flächen  der 
Embryonen  unverändert  geblieben  waren.  Da  die  beiden 
Embryonen  und  ihre  Theile  in  Stromrichtung  hinter  einander- 
lagen,  konnte  man  denken,  die  Abnahme  der  Wirkung  mit 
dem  Abstände  von  den  Elektroden  beruhe  auf  Beschattung  der 
distalen  Theile.  Um  diese  Vermuthung  zu  prüfen,  respective 
zu  beseitigen,  wollte  ich  drei  kleine  Embryonen  der  Art  seitlich 
gegen  einander  verschoben  in  die  Strombahn  zwischen  die 
Elektroden  vertheilen,  dass  sie  sich  nicht  beschatten  konnten. 
Die  noch  bebrüteten  Eier  waren  jedoch  nicht  befruchtet  und 
waren  zur  Zeit  (im  November)  befruchtete  Eier  hierorts  auch 
nicht  mehr  zu  erlangen,  so  dass  damit  diese  Versuche  ein  Ende 
nehmen  mussten. 

Zum  Schlüsse  prüfte  ich  daher  noch  den  kleinen  Embryo, 
der  bei  seiner  Lage  in  Richtung  des  positiven  Stromes  hinter 
dem  grossen  Embryo  trotz  so  langer,  fast  eine  halbe  Stunde 
dauernder  Durchströmung  kein  anodisches  Polfeld  gebildet 
hatte,  indem  ich  ihn  in  der  früheren  Richtung  neben  die  Anode 
legte;  alsbald  wurde  er  ganz  weiss  auf  der  Anodenseite,  und 
an  der  Gehirnbasis  entstanden  wieder  die  typischen  parallelen 
Wülste  in  Richtung  des  Stromes.  Dasselbe  mit  dem  ganz  gleich 
behandelten  Kopf  des  grossen  Embryo  gethan,  ergab  jetzt  ein 
ganz  anderes  Resultat;  obgleich  er,  neben  der  Anode  liegend,  in 
derselben  Richtung  wie  früher  durchströmt  wurde,  verlor  er 
seine  anodischen  Trübungen,  statt  sie  zu  verstärken. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  123 

Das  interessante  Verhalten  der  anscheinend  in  gleicher 
Weise  ringsum  anodisch  veränderten  Extremitäten  konnte  nun 
gleichfalls  nicht  weiter  untersucht  werden. 

Säugethiere. 

An  Säugethieren  wurden  bis  jetzt  nur  wenige  Versuche 
gemacht.  Ich  verfolgte  bloss  den  Zweck  zu  controliren,  ob  die 
bei  allen  anderen  Wirbelthierclassen  beobachtete  Reactions- 
fahigkeit  der  embryonalen  Organe  hier  auch  vorhanden  sei. 
Nur  an  den  Gallenblassen  wurden  wegen  ihrer  besonderen 
fomnalen  Qualification    einige    neue   Experimente    angestellt. 

Was  die  Eier  angeht,  so  verwendete  ich  zunächst  die 
Eier  der  weissen  Maus.  Diese  Eier  bieten  oft  schon  ohne 
Durchströmung  ein  polarisirtes  Aussehen  dar,  ähnlich  dem- 
jenigen einzelner  Zellen  der  Tritongastrula,  indem  Dotterkörner 
an  zwei  einander  gegenüberstehenden  Seiten  gelagert  sich 
finden  und  ein  helles,  bei  zufällig  passender  Richtung  des- 
selben leicht  für  den  elektrischen  Äquator  aufzufassendes 
Mittelfeld  freilassen.  Es  ist  mir  jedoch  mit  dem  Wechselstrom 
weder  an  den  isolirten  Eiern  noch  an  den  ganzen  Eierstocks- 
follikeln  der  Maus  gelungen,  Polfeldbildung  zu  veranlassen; 
und  das  Gleiche  gilt  von  den  Eiern  des  Kaninchens  und 
Schweines,  obgleich  die  Eier  der  beiden  ersteren  unmittelbar 
nach  der  Tödtung  dem  Thier  entnommen  wurden. 

Dagegen  bildeten  Embryonen  der  weissen  Maus  von 
einem  Stadium  der  ausgeprägten  Nackenkrümmung  und  An- 
deutung der  Zehenstrahlen  in  den  Extremitätenstummeln 
wieder,  ebenso  wie  die  Hühnchen-  und  Eidechsenembryonen 
annähernd  gleicher  Entwicklungsstufe,  die  Polfelder  an  den 
Himblasen  und  am  Rückenmark.  Auch  wird  die  Oberfläche 
der  Extremitäten  wieder  besonders  weisslich  trüb.  Somit  ist 
wenigstens  auch  an  Embryonen  von  Säugethieren  diese  Reac- 
tionsfahigkeit  nachgewiesen. 

Die  Gallenblasen  neugeborner  oder  wenige  Tage  alter 
Kaninchen  verhalten  sich  im  Wesentlichen  gleich  denen  des 
Frosches;  sie  sind  aber  nicht,  gleich  diesen,  rund,  sondern 
länglich,  zwei-  bis  dreimal  so  lang  als  breit.  Bei  schwachem 
Strom  sieht  man  deutlich,    dass  die   Polfeldbildung  in  Form 


I 


124  W.  Roux, 

grüner  Flecken  an  den  Polen  beginnt,  sich  von  da  allmälig 
ausbreitet,  während  die  erstgebildeten  Flecken  grösser  werden 
und  confluiren.  Nach  zum  Beispiel  5  Minuten  langer  Durch- 
strömung hatte  der  Äquator  bloss  noch  eine  Ausdehnung  von 
einem  Drittel  der  durchströmten  Längsrichtung,  und  nach 
weiteren  8  Minuten  war  diese  Grösse  nur  auf  ein  Viertel  der 
Länge  verkleinert. 

Wird  eine  Gallenblase  der  Länge  nach  in  so  wenig  Wasser 
durchströmt,  dass  die  obere  Fläche  nicht  vom  Wasser 
bedeckt  ist,  so  entstehen  die  Polfelder  blos  an  dem  im  Wasser 
liegenden  Theil  und  sind  der  Art  gestaltet,  dass  der  Äquator 
nicht  parallel  wie  bei  vollkommener Umschliessung  der  Blase, 
contourirt  ist,  sondern  sich  von  unten  her  allmälig  zu  der 
unveränderten,  nicht  eintauchenden,  bloss  benetzten  oberen 
Fläche  der  Blase  verbreitert.  Dieses  Verhalten  bew^eist  erstens 
wiederum,  dass  nur  im  Bereich  des  Ein-  und  Austrittes  von 
Stromfäden  die  Veränderung  vor  sich  geht  und  zugleich,  dass 
bei  vollkommener  Eintauchung  auch  von  einem  höheren  Niveau 
aus  Stromfäden  gegen  die  Seitenwand  der  Gallenblasen  con- 
vergirend  eintreten. 

Um  zu  prüfen,  ob  die  beobachtete  Erhöhung  der  Diosmose 
im  Bereich  der  Polfelder  auch  für  andere  Flüssigkeiten  als 
Galle  zur  Wirkung  gelange,  wurden  die  Gallenblasen  von 
zwei  fast  erwachsenen  Kaninchen  durch  Unterbindung  in  je 
zwei  Abschnitte  gelegt  und  dem  einen  Theil  zu  seiner  Galle 
noch  wässerige  neutrale  Carminlösung  eingespritzt.  Nach 
fünf  Minuten  dauernder  Durchströmung  bekam  dieser  Abschnitt 
rothe  Flecken  im  Bereiche  seiner  Polseiten,  obgleich  die  Blasen- 
wandung sehr  sehnig  war.  Die  grünen  Flecke  der  anderen  Ab- 
theilung ergänzten  sich  nach  Einlegen  in  leicht  mit  Schwefel- 
säure angesäuertes  Wasser  sofort  zu  continuirlichen,  scharf 
gegen  den  Äquator  abgesetzten  Polfeldern,  während  an  dem 
Carmin  haltigen,  sehnigeren  Abschnitte  die  rothe  Fleckung  nur 
wenig  deutlicher  ward,  aber  nicht  zu  continuirlichen  Polfeldern 
confluirte. 

Um  zu  Studiren,  wie  sich  ceteris  paribus  die  Breite  des 
Äquators  bei  ungleicher  absoluter  Grösse  der  durch- 
strömten Gebilde  verhält,  unterband  ich  wieder  Gallenblasen 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  1 25 

vier  W'ochen  und  darüber  alter  Kaninchen  im  Verlaufe  ihrer 
Länge.  Zugleich  beabsichtigte  ich,  die  Wirkung  des  Schattens, 
den  diese  nahen  Abschnitte  vielleicht  auf  einander  werfen, 
kennen  zu  lernen. 

Bei  Längsdurchströmung  einer  solchen,  an  ihrem  stumpfen 
Ende  zur  Kugel  abgeschnürten  Gallenblase  mit  schwachem 
Strom  entstand  zuerst  am  freien,  spitzen  Ende  der  Blase,  dann 
am  freien  Theile  der  Kugel  je  ein  Polfeld,  nicht  aber  an  den 
neben  der  Einschnürung  liegenden  gewölbten,  einander  zuge- 
wendeten Flächen;  selbst  bei  13  Minuten  währender  Durch- 
strömung nicht.  Erst  nach  Ansäuerung  des  Wassers  mit  Schwefel- 
säure und  erneuter  Durchströmung  entstanden  an  diesen  Flächen 
auch  Polfelder.  Der  längere,  9  mm  lange,  zugleich  dünnere,  also 
wohl  auch  dünnwandigere  Abschnitt  hatte  in  dieser  langen  Zeit 
einen  Äquator  von  7  mm,  die  Kugel  mit  5  mm  Durchmesser 
einen  Äquator  von  l'bmm  Durchmesser  behalten;  woraus 
deutlich  hervortritt,  dass  das  in  Richtung  des  Stromes  grössere 
Gebilde  procentisch  erheblich  kleinere  Polfelder  gebildet  hatte 
als  das  kleinere.  Dieser  Versuch  wäre  sehr  beweisend,  weil 
das  längere  Stück  zugleich  dünner  und  dünnwandiger  war, 
also  demnach  eher  einen  procentisch  kleineren  Äquator  hätte 
erhalten  sollen,  wenn  es  nicht  zugleich  mehr  cylindrisch, 
das  andere  dagegen  kugelförmig  gewesen  wäre,  so  dass  also 
die  cetera  paria  in  Bezug  auf  die  Gestalt  nicht  vorhanden 
waren. 

An  einer  Gallenblase  mit  dickem  Fundus  und  erheblich 
dünnerem  Ausführungstheil  wurde  letzterer  Theil  abgeschnürt 
und  die  Gallenblase  quer  zum  Strom  gestellt,  so  dass  jetzt  beide 
Abschnitte  ihre  Rotationsflächen  den  Stromfäden  darboten;  da 
war  zu  sehen,  dass  an  dem  dünneren  Abschnitt  die  Polfelder 
schon  entwickelt  waren,  als  an  dem  Pol  des  dickeren  erst  die 
ersten  Flecken  auftraten.  Nach  10  Minuten  war  der  Äquator 
des  2-7  ww  dicken  Theils  bloss  1  -4  mm  breit,  während  er  am 
4  •  5  mm  dicken  Abschnitt  bloss  3  •  2  mm  mass.  Dieses  Verhalten 
würde  also  den  an  ungleich  grossen,  unreifen  Froscheiern 
gemachten  Beobachtungen  vollkommen  widersprechen,  wenn 
nicht  anzunehmen  wäre,  dass  der  dickere  Abschnitt  der  Gallen- 
blase eine  seinem  grösseren  Umfange  entsprechende,  grössere 


126  .  W.  Roux, 

Wandungsdicke  hätte.  Die  cetera  paria  sind  leider  nicht  voll- 
kommen herzustellen. 

Nach  der  anderen  Seite  aber  haben  wir  in  diesen  und 
mehreren  entsprechenden  Versuchen  ein  vollkommenes  Resultat 
in  einer  viel  wichtigeren  Frage  erhalten:  an  all  den  in  Unter- 
abtheilungen geschnürten  Gallenblasen  bildet  jede  Unter- 
abtheilung bei  genügend  starkem  Strom  ihre  eigenen  Pol- 
felder und  ihren  eigenen  Äquator,  und  zwar  dies  nicht 
bloss,  wenn  die  Gebilde  im  Strom  neben  einander  liegen,  wo  es 
selbstverständlich  ist,  sondern  auch,  wenn  sie  in  Richtung  des 
Stromes  hintereinander  sich  befinden;  nur  treten  die  beiden 
einander  zugewendeten  Polfelder  erst  später  auf.  Obgleich 
jede  so  behandelte  Gallenblase  ein  aus  einheitlicher  Substanz 
bestehendes  Continuum  darstellt,  bildet  sie  also  doch  vier  Pol- 
felder mit  zwei  Äquatoren;  jedenfalls  weil  sie  eine  tiefe  Ring- 
furche hat,  in  welche  der  Elektrolyt  eingreift  und  von  Strom- 
faden durchsetzt  wird.  Bei  sehr  lang  dauernder  Durchströmung 
gehen  die  beiden  mittleren  Polfelder  am  Grunde  der  Furche  in 
einander  über.  Dann  gleicht  also  die  Reaction  wesentlich  der 
von  Froschembryonen  mit  einer  Einschnürung  in  der  Mitte  des 
Leibes,  welche  bei  Durchströmung  auch  zwei  Äquatoren  und 
ein  drittes,  sie  trennendes  Polfeld  entwickelten. 

In  der  Tiefe  der  Furchen  zwischen  diesen  Abschnitten 
entsteht  aber  die  Verfärbung  erst  spät,  auch  an  den  nicht  vom 
Faden  bedeckten  Theilen.  Diese  Stellen  befinden  sich  also  in 
einem  Stromschatten.  An  Gallenblasen,  welche  in  keilförmige 
Abschnitte  geschnürt  waren,  erhielt  auch  der  Äquator  des  keil- 
förmigen Abschnittes  bei  Querdurchströmung  keilförmige  Gestalt. 

Da  ich  über  den  Stromschatten  etwas  mehr  zu  erfahren 
wünschte,  machte  ich  einige  bezügliche  Experimente. 

Um  zu  sehen,  ob  auch  an  Stellen,  wo  der  Strom  nicht  vom 
Elektrolyten  aus  in  den  »Intraelektrolyten«  eintritt,  sondern 
beim  blossen  Durchtritt  durch  den  letzteren  eine  genügend 
starke  Wirkung  entsteht,  wurden  zwei  Kaninchengallenblasen 
durch  zwei  Ligaturen  mit  ihren  Langseiten  fest  gegen  einander 
gepresst  und  quer  durchströmt.  Nach  acht  Minuten  langer  Durch- 
strömung war  in  einem  Falle  an  den  sich  bloss  berührenden 
Endabschnitten  die  Berührungsstelle  weniger  gelblich  als  die 


Entwickelungsmechanik  des  Einbr}'o.  127 

Umgebung,  welche  ein  deutliches  Polfeld  gebildet  hatte.  An  dem 
am  innigsten  zusammengepressten  mittleren  Abschnitte  waren 
die  ausgedehnten  Berührungsflächen  noch  weniger  gefärbt  und 
oben  von  einem  nur  sehr  schmalen  freien  Polfeld  saumartig 
begrenzt.  Die  Schattenwirkung  war  also  deutlich.  Es  war  jedoch 
kein  absoluter  Schatten,  und  bei  längerer  Durchströmung  wurden 
diese  Berührungsflächen  vollkommen  polfarben. 

An  Gallenblasen,  welche  noch  mit  der  Leber  verwachsen 
waren,  entstanden  Polfelder  auch  an  dieser  Verwachsungsstelle. 
Wurde  dagegen,  um  eine  nur  geringe  Schattenwirkung  erkennen 
zu  können,  die  Gallenblase  einer  Eidechse,  in  ihrer  Leber  liegend 
bloss  45  Secunden  durchströmt,  so  bot  sie  an  dem  freien  Theil 
Polfelder  dar,  die  einen  parallel  contourirten  Äquator  ein- 
schlössen, während  im  Bereiche  der  mit  der  Leber  verwachsenen 
Oberfläche  die  Blasenwandung  noch  die  frühere  blaue  Ober- 
fläche gleich  dem  Äquator  besass.  Eine  beschattende  Wirkung 
der  Leber  war  also  vollkommen  deutlich.  Trotz  dieser  quanti- 
tativen Wirkung  vermag  jedoch  die  Leber  die  Lage  des 
Äquators  an  der  Blase  nicht  wesentlich  zu  alteriren.  Wenn 
man  nämlich  die  Leber  bloss  auf  einer  Seite  der  Blase  weg- 
nimmt und  die  andere  angewachsene  Hälfte  der  Leber  gegen 
eine  Elektrode  wendet,  so  liegt  nach  genügender  Durchströmung 
der  Äquator  der  Gallenblase  gleichwohl  in  der  Mitte  derselben 
wie  bei  einer  freiliegenden  Gallenblase. 

Die  vorliegende  Lebersubstanz  wirkt  also  nicht  als  Polfeld 
wie  die  Vorhöfe  des  Fisch-  und  Froschherzens  bei  gleicher  Lage, 
indem  sie  den  Äquator  auf  dem  Ventrikelabschnitt  gegen  sich 
hin  zu  verschieben  vermochten.  Daraus  könnte  man  vielleicht 
ableiten  wollen,  dass  die  Leber  durch  den  Strom  wirklich  nicht 
polarisirt  werde,  und  dass  nicht  etwa  ihr  polares  V^erhalten  bloss 
nicht  sichtbar  sei;  dies  wäre  aber  eine  nicht  zulässige  Schluss- 
folgerung. 

Bei  den  vorstehenden  Versuchen  über  den  Stromschatten 
lagen  die  Gebilde,  die  sich  beschatten  sollten,  immer  bloss 
neben  einander.  Wurden  weiterhin,  behufs  vollkommener 
Umschliessung,  Tritoneier  auf  den  lebenden  Leberlappen 
eines  Kaninchens  gelegt,  und  mit  einem  andern  grossen  Leber- 
lappen gut  zugedeckt  und  15  Secunden  mit  schwachem  Strom 


128  W.  Roux, 

behandelt,  so  bildeten  sie  nur  ganz  schwache  Polfelder,  etwa 
wie  an  den  freien  Probeeiern  nach  bloss  zwei  Secunden  langer 
Durchströmung. 

Wurden  unbefruchtete  Froscheier  in  die  lebende  Harnblase 
des  Frosches  gethan,  also  von  einer  nicht  reagirenden  Haut 
vollkommen  umschlossen,  so  bildeten  sie  bei  9  Minuten  langem 
Durchströmen  die  Polfelder  wie  ein  freies  Ei;  wohl  weil  die 
Durchströmung  für  die  empfindlichen  Froscheier  trotz  des 
äusseren  Hindernisses  viel  zu  lang  gedauert  hatte.  Dagegen 
entstanden  an  der  Gallenblase  eines  jungen  Kaninchens,  welche 
in  ein  Stück  Harnblase  desselben  Thieres,  eng  umschlossen, 
eingebunden  war,  bei  7  Minuten  dauerndem  Durchströmen  nur 
sehr  kleine  Polfelder  der  Art,  dass  der  Äquator  3 '5  mm  Breite 
von  5  mm  Organlänge  in  Stromrichtung  besass,  während  an 
einer  anscheinend  gleichen,  freiliegenden,  ebenso  lange  durch- 
strömten Gallenblase  diese  Breite  bloss  407o  ^^^  Länge  betrug. 
Die  lebende  Harnblase  schwächte  also  die  Stromwirkung 
erheblich. 

Schliesslich  wurden  reactionsfähige  Gebilde  in  ein  anderes, 
gleichfalls  reagirendes  Substrat  vollkommen  eingeschlossen, 
indem  Tritoneier  in  die  schon  ziemlich  dickwandige  Gallenblase 
eines  vierwöchentlichen  Kaninchens  der  Art  gethan  wurden, 
dass  sie  eng  von  ihr  umschlossen  waren.  Nach  nur  5  Secunden 
dauernder  Durchströmung  mit  geschwächtem  Strom  hatten  sie 
gleichwohl  schon  in  gewohnter  Weise  reagirt.  Die  Stromfäden 
vermögen  also  auch  nach  dem  Durchgang  durch  ein  auf  sie 
specifisch  reagirendes  Substrat  sogleich  ein  weiteres  reagirendes 
Substrat  zu  alteriren;  also  wo  die  Stromfäden  auf  ein  reagirendes 
Substrat  unter  geeigneten  Nebenumständen  treffen,  da  wird  es 
alterirt,  auch  wenn  dieselben  Stromfäden  vorher  schon  gleiche 
Arbeit  geleistet  haben. 

Dieses  Verhalten  des  Wechselstromes  ist  jedem  Physiker 
selbstverständlich,  und  ein  besonderer  Nachweis  erscheint 
daher  überflüssig.  Mich  veranlasste  indess  zu  dieser  Prüfung 
das  beim  Gleichstrom  beobachtete  scheinbar  abweichende  Ver- 
halten, indem  ein  der  Elektrode  näherer  grosser  Hühnerembryo 
fast  vollkommen  die  Veränderung  des  in  Stromrichtung  hinter 
ihm  liegenden  kleineren  verhinderte,  ja  indem  trotz  gleich- 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  1 29 

bleibenden  Querschnittes  der  elektrolytischen  Bahn  die  polari- 
sirende  Wirkung  mit  dem  Abstand  von  der  bezüglichen  Elek- 
trode abnahm.  Da  wir  gesehen  haben,  dass  solche  Wirkungs- 
weise dem  Wechselstrom  nicht  zukommt,  werden  wir  darauf 
hingewiesen,  dass  sie  kein  allgemeines,  sondern  nur  ein  mit 
der  specifischen  Wirkungsart  des  Gleichstromes  in  Zusammen- 
hang stehendes  Verhalten  ist. 

Nicht  morphologisch  polarisirbare  Organe. 

Wenn  man  an  so  vielen  lebenden  Objecten,  wie  vorstehend 
berichtet,  Monate  lang,  täglich  mit  immer  wesentlich  dem- 
selben Erfolg  polarer  Trübungen  oder  gröberer,  polar  localisirter 
fonnale  Veränderungen  experimentirt,  so  bildet  sich  unwillkür- 
lich die  Vorstellung,  diese  Reactionsfähigkeit  sei  eine  allgemeine 
Eigenschaft  der  lebenden  Organe.  Um  so  mehr  fällt  es  daher 
auf,  wenn  plötzlich  bei  einem  Objecte  keine  Reaction  eintritt; 
und  man  ist  zunächst  versucht,  dies  auf  eine  ungenügende 
Versuchsanordnung  zurückzuführen.  Diese  Vermuthung  hat 
sich  auch  für  manche  Fälle  als  zutreffend  erwiesen,  indem  sich 
bei  entsprechender  Änderung  der  Anordnung  schliesslich  noch 
die  Reaction  zeigte.  So  ist  es  mir  schwer  geworden,  den  noch 
platten  Embryo  und  die  secundäre  Augenblase  des  Hühnchens 
zum  Reagiren  zu  bringen. 

Nicht  gelungen  ist  es  mir  jedoch,  mit  dem  Wechselstrom 
polare  morphologische  Veränderungen  von  keimplasmahaltigen 
Gebilden  hervorzubringen  an  den  Hodencanälchen,  an  deren 
isolirten  Epithelien  und  ebenso  nicht  an  den  Spermatozoen  des 
envachsenen  Kaninchens,  des  Täuberich  und  Frosches;  nicht 
an  Eierstockeiern   einer  erwachsenen  Henne,  weder  an  Eiern 

I 

von  7  fHm  bis  herab  zu  0*3  —  0*2  mm  Durchmesser,  des- 
gleichen nicht  an  Eierstockeiern  von  0*2  —  0-3  mm  Durch- 
messer einer  Taube,  sowie  an  Eierstockeiern  der  weissen  Maus, 
des  erwachsenen  Kaninchens,  desgleichen  an  Eierstockeiern 
erst  einige  Wochen  alter  Kaninchen  und  an  Eierstockeiern  des 
Fisches  Telestes  Agassizii.  Von  allen  diesen  Objecten  wurden 
isolirte  und  noch  im  Eierstock  befindliche  Eier  durchströmt. 

Es    wurde  in    diesen   Fällen    auch   die    stärkst  mögliche 
Anordnung:  halbprocentige  Kochsalzlösung  als  Elektrolyt,  nahe 

Sitzb.  d.  mathem.-natur\v^  CL;  CI.  Bd.  Abth.  III.  9 


130  W.  Roux, 

Elektroden,  steter  Wechsel  der  Flüssigkeit,  sobald  sie  40**  C. 
warm  geworden  war,  versucht;  auch  stundenlang  fortgesetzte 
Durchströmung  in  schwächerer,  bei  grösserem  Elektroden- 
abstand sich  nicht  über  40®  C.  erwärmender  Lösung  wurde  in 
Anwendung  gebracht.  Von  anderen  Thierclassen  reagirten 
nicht  mit  sichtbaren  polar  localisirten  Veränderungen  eine 
Daphne  und  ihre  durch  Druck  aus  ihr  befreiten  Embrj^'onen, 
ebenso  eine  Clepsine,  Paramaecien,  Ascaris  nigrovenosa  ;  doch 
wurde  hier  die  Versuchsanordnung  nicht  genügend  variirt. 

Von  erwachsenen  oder  noch  jungen  Wirbelthieren 
prüfte  ich  nach  dem  allgemeinen  Erfolg  mit  den  Gallen- 
blasen aller  Wirbelthierclassen  zunächst  andere  blasenförmige, 
eine  diffusionsfähige  Flüssigkeit  einschliessende  Organe  in  ab- 
gebundenen Stücken  von  nicht  über  9  mm  Durchmesser  be- 
sitzender Grösse:  so  die  Harnblasen,  Schallblasen  und  Lungen 
des  Frosches,  die  innere  Schicht  der  Schwimmblase  des  Telestes, 
die  Harnblase  des  Kaninchens,  Die  Tunica  muscularis  (resp. 
fibrosa  der  Schwimmblase)  wurde  abpräparirt  und  die  Blase  mit 
Harn,  Wasser,  gefärbtem  Wasser  oder  Galle  gefüllt,  alles  jedoch 
ohne  Erfolg.  Auch  nachträgliches  Einlegen  in  stark  verdünnte 
Chromsäurelösung,  welche  die  Polfelder  an  wenig  reagirenden 
Embryonen  manchmal  erst  deutlich  sichtbar  gemacht  hatte,  so 
wie  in  verdünnte  Schwefelsäure,  die  sich  bei  Gallenblasen  so 
bewährt  hatte,  blieb  ohne  Erfolg;  es  waren  keine,  durch  eine 
Besonderheit  gekennzeichneten  Polfelder  sichtbar  zu  machen. 

Gleiche  Misserfolge  ergab  die  Anwendung  des  Wechsel- 
stromes bei  allen  anderen  Organen  halb  oder 
ganz  erwachsener  Thiere,  als:  Leber,  Milz,  Lungen, 
Flimmerschleimhaut  der  Mundhöhle,  Schleimhaut  der  Trachea, 
hyalinem  Knorpel,  Gehirn  und  Rückenmark  des  Frosches; 
desgleichen,  an  Leber,  Milz,  Gehirn,  Rückenmark,  Flimmer- 
schleimhaut der  Trachea  des  Kaninchens.  Das  Vas  deferens 
und  Stücke  der  Adductoren  des  Oberschenkels  dieser  Thiere 
Contrahirten  sich  bei  Längs-  und  Querdurchströmung  sogleich 
in  toto,  jedenfalls  weil  der  Strom  zu  stark  war,  da  ja  Engel- 
mann und  Biedermann  hier  mit  schwachen  Strömen  die 
polare  Erregung  nachgewiesen  haben.  Ich  verwandte  absicht- 
lich den  starken  Strom,  da  es  nicht  meine  Absicht  war,  hier  polaj- 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  131 

Ipcalisirte  functionelle  Leistungen,  sondern  morphologische  Ver- 
änderungen, etwa  Trübung  hervorzurufen.  Dasselbe  Ergebniss 
zeigte  sich  an  den  Organen  der  Taube;  nur  bildeten  Theile  des 
Drüsenmagens  nach  der  Durchströmung  mehr  Secret  an  den 
gegen  die  Elektroden  gewendeten  Kanten  und  Ecken  als  im 
Bereich  der  Fläche  des  der  Länge  nach  durchströmten  platten 
Stückes. 

Aus  diesen  Versuchen  ergibt  sich,  dass  an  den  Organen 
dergenannten,ganz  oder  halberwachsenen  Thiere  die  embryonale 
Fähigkeit  zu  den  beschriebenen  polaren  morphologischen  Re- 
actionen  auf  den  Wechselstrom,  wenn  sie  überhaupt  noch 
vorhanden  ist,  jedesfalls  sehr  viel  geringer  ist  als  in  früher 
embryonaler  Periode;  es  wäre  daher  für  die  verschiedenen 
Wirbelthierclassen  diejenige  Entwicklungsperiode  festzustellen, 
in  welcher  dieses  Vermögen  zuerst  sich  stark  vermindert  oder 
aufhört  zu  existiren.  Beim  Frosch  war  schon  an  vier  Wochen 
alten  Kaulquappen  kaum  noch  ein  deutlich  begrenzter  Abfall 
des  Epithels,  und  zwar  nur  in  zusammenhängenden  Fetzen 
statt  wie  früher  in  einzelnen  Zellen  im  Bereiche  der  Polseiten 
wahrzunehmen,  ein  sicherer  Beweis  der  verminderten  Reactions- 
fahigkeit  der  betreffenden  Zellen.* 

Ich  erkenne  wohl,  dass  die  obenstehend  mitgetheilten  Er- 
gebnisse noch  viele  Lücken  darbieten  und  dass  daher  auch  nach 
der  Mikrotomirung  der  aufgehobenen  polarisirten  Objecte  unsere 
Kenntnisse  nicht  ausreichen  werden,  alle  beobachteten  Er- 
scheinungen unter  sich  und  mit  bekannten  allgemeinen  Prin- 
cipien  in  Zusammenhang  zu  bringen. 

Die  erwähnten,  durch  den  elektrischen  Strom  veranlassten, 
polar  localisirten  morphologischen  Veränderungen  sind  jedoch 
grösstentheils  deletärer  Natur  und  stehen  daher  den  normalen 


1  Bei  Anwendung  des  kräftigen  Gleichstromes  von  20  Bunsen-Elementen 
lassen  auch  Organe  des  erwachsenen  Frosches,  wie  Leber  und  Niere,  deut- 
liche polare  Veränderungen :  Trübung  auf  der  anodischen,  anfängliche  Trübung, 
dann  Aufhellung  und  Quellung  auf  der  kathodischen  Seite  erkennen.  An  der 
Leber  sind  beide  Polabschnitte  eine  Zeit  lang  durch  einen  deutlich  begrenzten, 
nicht  sichtbar  veränderten  Äquatorabschnitt  von  einander  getrennt.  Die  Milz 
und  Stücke  der  Haut  zeigen  wenigstens  deutlich  die  bekannte  aufhellend« 
kataphorische  Wirkung  auf  der  kathodischen  Seite. 

9* 


132  W.  Roux, 

gestaltenden  Vorgängen,  deren  Ermittelung  mein  Ziel  ist, 
in  ihrem  Wesen  so  fern,  dass  ich  nicht  beabsichtige,  die 
bezüglichen  Versuche  fortzusetzen;  sondern  ich  werde  eher 
den  im  Laufe  der  Versuche  erhaltenen  Fingerzeigen,  dass  der 
Strom  auch  die  normalen  Gestaltungsvorgänge  zu  beeinflussen 
vermag,  folgen.  Bis  jetzt  haben  wir  unter  den  polaren  Ver- 
änderungen in  dieser  Richtung  blos  Wanderung  des  Rinden- 
pigments und  die  Abschnürungdes Protoplasmas  durch  Furchen- 
bildung beobachtet;  und  «^s  müssten  sich  erst  bei  der  Mikro- 
tomirung  Hinweise  ergeben,  dass  diese  Furchenbildung  in  ihrem 
Vorgange  ÄhnHchkeiten  mit  derjenigen  bei  der  normalen  Einthei- 
lung  besässe,  um  mich  zu  veranlassen,  ihr  ein  erneutes  Studium 
und  neue  Versuche  zu  widmen. 

Wir  haben  gesehen,  dass  Eiern  und  jungen  Embryonen 
der  Wirbelthiere  eine  Reactionsfähigkeit  auf  den  Wechsel- 
strom eigen  ist,  welche  an  den  Geweben  des  erw-achsenen 
Thieres  nicht  mehr  sich  vorfindet  (von  der  Gallenblase  abge- 
sehen, welche  zwar  stark,  aber  wohl  in  qualitativ  anderer  Weise 
reagirt).  Dieselbe  oder  eine  sehr  ähnliche  Reactionsweise  auf 
den  elektrischen  Strom  bieten  jedoch  die  Protisten  undCoelente- 
raten  dar;  eine  phylogenetisch  gewiss  interessante  Thatsache. 

IV.  Abschnitt. 

Verhalten  nicht  lebender  Körper. 

Die  im  Vorstehenden  mitgetheilten  Thatsachen  schliessen 
manche  specielle  und  allgemeineren  Probleme  ein. 

Da  ich  jedoch  kein  Physiolog  bin,  so  muss  ich  mich  darauf 
beschränken,  bloss  für  das  Specifische  der  Beobachtungen,  für 
die  speciellen  Gestaltungen  der  wahrgenommenen  polaren  Ver- 
änderungen die  Erklärung,  also  die  ursächliche  Ableitung  zu 
versuchen.  Es  bleibt  den  Fachmännern  vorbehalten,  die  all- 
gemeineren Probleme,  wie  das  der  primären  Ursachen  der 
besonderen  Wirkung  des  elektrischen  Stromes  an  den  Ein-  und 
Austrittsstellen  organischer  Körper,  der  elektrischen  Leitung 
flüssiger  Körper,  des  Wesens  der  Elektrolyse  etc.  weiter  zu 
führen  und  insbesondere  zu  beurtheilen,  wie  weit  etwa  die 
neuen  Thatsachen  hiezu  eine  Handhabe  bieten. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  133 

Aus  dem  gleichen  Grunde  werde  ich  mich  im  Folgenden 
auch  bloss  solcher  Ausdrücke  und  Vorstellungen  bedienen, 
welche  der  älteren,  sinnlich  leichter  vorstellbaren  Auffassung 
der  Elektricität  entsprungen  sind,  wenn  schon  an  der  baldigen 
Alleinherrschaft  der  Farad ay -Max welFschen  Auffassungen 
kaum  mehr  zu  zweifeln  ist.  Ich  bin  ferner  überzeugt,  dass  ich 
auf  dem  mir  fremden  Gebiete  manchen  Umweg  gemacht  habe, 
und  ersuche  daher  die  Fachmänner  um  Nachsicht. 

Zunächst  wollte  ich  ermitteln^  ob  in  der  beobachteten, 
scharf  begrenzten,  polaren  Localisation  der  durch  den  Strom 
veranlassten  Veränderungen  ein  bloss  lebenden  Objecten 
zukommendes  Verhalten  sich  ausspräche. 

Über  das  negative  Ergebniss  an  dicken  Tropfen  von  trübem 
Gummi  arabicum,  von  Eiweiss   und  von  zerstossenen  reifen 
Eierstockseiern  des  Frosches  bei  Behandlung  derselben  mit 
dem  Wechselstrom  ist  oben  schon  berichtet.  Dasselbe  hat  mich 
nicht  gewundert.  Dagegen  hatte  ich  erwartet,  dass  Stückchen 
von  Gelatine,  welche  mit  Phenolphthalleinlösung  und  ausserdem 
bei  einigen  Versuchen  mit  Glaubersalzlösung  getränkt  waren 
und   in  einer  Lösung  von  Glaubersalz  liegend  vom  Gleich- 
strom durchströmt  wurden,  auf  der  der  Anode  zugewendeten 
Seite   sich,  wenn  auch  nur  wenig,  roth  färben  würden.   Aber 
selbst  wenn  die  Anordnung  möglichst  verstärkt  wurde,  indem 
zwei  parallele,  mit  den  Rändern  einer  kleinen  Glasschale  ver- 
schmolzene, aus  dieser  Gallerte  gebildete  Septa  in  die  Strom- 
bahn durch  den  aus  Glaubersalzlösung  gebildeten,  den  oberen 
Rand  der  Septa  nicht  erreichenden  Elektrolyten  eingeschaltet 
waren,  fand  auch  bei  langer  Durchströmung  keine  Spur  von 
Röthung,  also  keine  Abscheidung  von  Natron  an  den  betreffenden 
Seiten  statt  Die  Jonen  erhielten  also  keine  Veranlassung,  sich 
auf  ihrer  Wanderung  an  diesem  geformten  Gebilde  in  bemerk- 
bar  werdendem   Maasse   zu   stauen.   Auch    bei   umgekehrter 
Anordnung,  wenn  die  Phenolphthalleinlösung  in  den  genannten 
Elektrolyten  gethan  war,  fand  an  den  nicht  damit  getränkten, 
reinen  oder  mit  Glaubersalzlösung  imprägnirten  Gelatinesepten 
keine  Röthung  statt,  so  stark  auch  an  der  Kathode  die  Röthung 
auftrat   Dasselbe   ergab  sich,  wenn   eine  lebende  Froschleber 
in    einer    mit  Phenolphthallein    versetzten    Glaubersalzlösung 


134  W.  Roux, 

zerschnitten  worden  war,  und  die  Streifen  quer  in  die  Strom- 
bahn gelegt  wurden.  Diese  Versuchsergebnisse  sprechen  gegen 
die  Abscheidung  von  freiem  Natron,  sei  es  an  der  Aus-  oder 
an  der  Eintrittsstelle  des  Stromes  oder  an  den  Durchtritts- 
stellen wie  der  Gallerte  sowohl  auch  thierischer  Organe;  Die  von 
den  Physiologen  an- und  in  den  Organen  nachgevidesene  äussere 
und  innere  Polarisation  wird  also  wohl  auf  eine  etwas  andere 
Art  vermittelt  sein. 

Nach  diesen  vergeblichen  Versuchen  griff  ich  zum  Queck- 
silber, um  einerseits  noch  den  bildsamen  flüssigen  Aggregat- 
zustand dem  Strome  darzubieten  und  anderseits  dieLocalisation 
der  Jonen  auf  der  Oberfläche  des  Tropfens  beobachten  zu 
können. 

An  diesem  Material  machte  ich  eine  Reihe  von  Beob- 
achtungen, die  den  Physikern,  wenn  nicht  alle,  so  gewiss  zum 
Theil  bekannt  sein  werden;  da  sie  aber  für  die  Deutung  unserer 
biologischen  Beobachtungen  verwerthbar  sind,  so  sollen  sie 
hier  mitgetheilt  werden. 

Das  zunächst  verwendete  Quecksilber  hatte  schon  oft  zum 
Amalgamiren  des  Zinkes  der  Batterie  gedient,  war  also  stark 
mit  Zink  und  vielleicht  noch  in  anderer  Weise  verunreinigt. 
Als  ich  später  durch  die  Güte  des  Herrn  Collegen  Sennhofe r 
in  Besitz  von  chemisch  reinem,  frisch  aus  Zinnober  destillirtem 
Quecksilber  gekommen  war,  zeigte  dieses  in  manchen  für  uns 
interessanten  Einzelheiten  ein  anderes  Verhalten;  weshalb  die 
Versuche  mit  beiden  gesondert  dargestellt  werden  sollen. 

Wird  ein  Tropfen  des  in  der  angegebenen  Weise  verun- 
reinigten Quecksilbers  von  etwa  A  mm  Durchmesser  in 
Wasser  mit  dem  Wechselstrom  durchströmt,  so  verlängert 
er  sich  in  Richtung  des  Stromes  und  bildet  bei  geeigneter 
Anordnung  vier  rechtwinkelig  zum  Strom  orientirte  Querwülste, 
deren  Oberfläche  fortdauernd  oscillirt.  Bei  etwas  anderer  An- 
ordnung der  Elektroden  zum  Quecksilbertropfen  nimmt  letzterer 
Sternform  an  und  kann  leicht  zum  Rotiren  nach  links  oder 
rechts  herum  gebracht  werden;  ganz  interessante  elektro- 
dynamische Wirkungen,  die  uns  aber  nicht  weiter  angehen. 

In  15 — 20  vol.  procentiger  Schwefelsäure  dagegen  tritt 
keine   Gestaltänderung   des  Tropfens  mehr   ein,   sondern    es 


Entwickelungsmpchanik  des  Embryo.  1 35 

bedeckt  sich  das  Quecksilber  bei  momentanem  Stromschluss 
an  beiden  Polseiten  mit  Gasbläschen,  und  zwischen  diesen 
beiden  Polen  bleibt  ein  blanker  Äquator.  Dieses  Bild,  welches 
polarisirten  Froscheiern  ähnlich  sieht,  verschwindet  rasch,  lässt 
sich  aber  eine  Minute  lang  fixiren,  wenn  man  der  verdünnten 
Schwefelsäure  eine  dicke  Lösung  von  Gummi  arabicum  zusetzt. 
Durchströmt  man  länger,  so  vermehren  sich  die  Gasbläschen 
rasch  der  Art,  dass  sie  successive  die  ganze  obere  Fläche  ein- 
nehmen und  den  anfänglich  vorhandenen,  von  Bläschen  freien 
Äquator  zum  Verschwinden  bringen.  An  dem  auf  dem  Glase 
aufliegenden,  abgeplatteten  unteren  Theile  des  Tropfens  kann 
man  durch  Spiegelung  wahrnehmen,  dass  auf  den  Polseiten 
mehr  Bläschen  entstehen  als  nach  dem  Äquator  zu.  Die  unten 
entstandenen  Bläschen  strömen  gegen  den  nächsten  Pol  zu 
und  dabei  bewegen  sich  die  vom  Äquator  herkommenden  fast 
wagrecht;  auf  der  oberen  Hälfte  sieht  man  deutlich,  dass  die 
Bläschen  in  Richtung  von  Polmeridianen  des  Queck- 
silbertropfens oscilliren,  unabhängig  von  der  Richtung 
ihrer  gleichzeitigen  Locomotion  am  Tropfen.  Mit  der  Stärke 
des  Wechselstromes  und  mit  der  Verdünnung  der  Schwefel- 
säure bis  etwa  auf  ein  halbes  Procent  nimmt  die  Amplitude 
dieser  Oscillationen  zu,  mit  der  Grösse  der  leicht  sich  ver- 
einenden Bläschen  ab.  Bei  Anwendung  eines  stark  geschwächten 
Stronnes  und  sehr  verdünnter  Schwefelsäure  entsteht  eine  regel- 
mässige Circulation  der  Bläschen  innerhalb  jedes  Quadranten 
der  Oberfläche  des  Tropfens.  Bei  schwächstem  Strom  und 
schwächster  Schwefelsäure  entstehen  nur  wenige  Blasen,  die 
um  die  Mittellinie  des  Äquators  rechtwinkelig  zu  demselben 
oscilliren  und  bei  Wanderung  der  Elektroden  dem  neuen 
Äquator  entsprechend  mitwandern. 

Setzt  man  dem  Wasser,  in  welchem  der  Quecksilbertropfen 
stehende  Schwingungen  bildet,  oder  bei  etwas  anderer  An- 
ordnung sternförmige  Gestalt  annimmt  und  sich  dreht,  so  viel 
Tropfen  Schwefelsäure  zu,  dass  Gasblasen  am  Tropfen  ent- 
stehen, so  hören  mit  der  Zunahme  der  Blasenbildung  diese 
Schwingungen  zugleich  auf,  was  wohl  darin  begründet  ist,  dass 
jetzt  die  Oberfläche  des  Quecksilbers  direct  in  anderer  Weise 
beeinflusst  wird.  Die  Schwingungen  des  Quecksilbertropfens 


136  W.  Roux, 

hören  aber  auch  auf,  wenn  am  Tropfen  und  seiner  Umgebung 
sich  scheinbar  nichts  geändert  hat,  sofern  nur  eine  der  beiden, 
weit  vom  Tropfen  entfernten  Elektroden  mit  Quecksilber  über- 
zogen ist,  wobei  dann  an  dieser  Elektrode  ein  weisses  Pulver 
gebildet  wird.  Es  scheint  also  vielleicht  bloss  das  leichteste 
Geschehen  innerhalb  einer  auf  mehrfache  Weise  reactions- 
fähigen  Strombahn  stattzufinden;  eine  freilich  im  Speciellen 
etwas  dunkle  Vorstellung. 

Im  galvanischen  Strom  von  zwölf  Bunsen'schen  Ele- 
menten verhielt  sich  das  mit  Zink  verunreinigte  Quecksilber 
folgendermassen:  In  schwacher  Kochsalzlösung  läuft  ein 
Quecksilbertropfen  gegen  die  Anode,  um  sich  mit  ihr  zu 
vereinigen,  sogar  unter  Überwindung  einer  nicht  geringen 
Steigung;  wird  diese  Vereinigung  durch  stärkere  Schiefstellung 
verhindert,  so  erkennt  man  deutlich,  dass  der  Tropfen  sich 
gegen  die  Kathode  zuspitzt  und  sich  durch  eine  geringe 
Verjüngung  gegen  den  gerundeten  anodischen  Theil 
absetzt;  wohl  eine  Äusserung  derselben  Wirkungsweise,  auf  der 
das  Capillarelektrometer  beruht.  Circulirt  die  Anode,  so  folgt 
dieser  Theil  im  Kreise  ihr  nach,  während  der  kathodische  Theil 
natürlich  seinen  Ort  nicht  verlässt,  aber  seine  Richtung  ent- 
sprechend den  Richtungen  der  Stromfäden  ändert.  Die  katho- 
dische Spitze  des  Tropfens  zeigt  bei  diesen  Änderungen 
unregelmässige  Ecken,  die  ich  auf  Verunreinigung  ihres  Queck- 
silbers beziehe;  während  der  anodische  Theil  immer  gerundete 
Formen  darbietet  und  auch  flüssiger  zu  sein  scheint.  Die 
eingeschnürte  Stelle  hat  Niveauflächenrichtung.  Bei  längerer 
Durchströmung  wurde  der  anfangs  grössere,  anodische  Theil 
des  Tropfens  kleiner  unter  entsprechender  Vergrösserung  des 
eckigen,  kathodischen  Theiles. 

In  einer  Lösung  von  doppelt  kohlensaurem  Natron 
zeigt  sich  wesentlich  dasselbe  Verhalten;  nur  ist  der  Zug  zur 
Anode  noch  stärker,  so  dass  er  noch  höhere  Steigung  des 
Gefässbodens  überwindet  und  leicht  den  Tropfen  zerreisst;  nach 
dem  ersten  Abreissen  eines  anodischen  Stückes  habe  ich  das- 
selbe noch  ein  zweites  Mal  beobachtet;  das  kathodische  Stück 
wird  an  der  Oberfläche  trüb.  In  Brunnenwasser  spitzt  sich 
die  kathodische  Hälfte  des  Quecksilbertropfens  nicht  zu,  sondern 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  1 37 

behält  ihre  Lagerung  und  Gestalt,  während  die  anodische  Hälfte 
sich  etwas  gegen  die  Anode  hin  bewegt,  also  entsprechend 
spitzer  wird;  diese  Gestaltung  ändert  sich  sofort  entsprechend 
dem  oben  Gesagten,  wenn  man  Lösung  von  doppelt  kohlen- 
saurem Natron  derart  zusetzt,  dass  sie  zwischen  beiden  Elek- 
troden ausgebreitet  ist.  Alsdann  wird  sogleich  die  Kathodenseite 
des  Tropfens  spitz.  Sobald  ein  Tropfen  Quecksilber  an  die 
Platinkathode  gekommen  war,  und  diese  sich  damit  überzogen 
hatte,  fand  beim  Stromschluss  keine  Steigung  des  freien 
Quecksilbertropfens  gegen  die  Anode  mehr  statt. 

Ein  Tropfen  des  chemisch  reinen  Quecksilbers  wurde 
zunächst  mit  dem  Strom  von  zwölf  Bunsen'schen  Elementen  in 
einer  Lösung  von  doppeltkohlensaurem  Natron  durch- 
strömt. Dabei  wandert  der  ganze  Tropfen  wieder  gegen  die 
Anode  hin.  Der  Tropfen  wird  oval  und  zwar  mit  dem  spitzeren 
Theil  gegen  die  Anode  zu.  Auf  der  Kathodenseite  entsteht 
ein  Beschlag  des  Tropfens,  der  gegen  die  Anodenseite  sich 
hinzieht.  Beim  Unterbrechen  wandert  der  Oxydbeleg  gegen  die 
Anodenseite,  um  unter  ihr  zu  verschwinden.  Beim  Schluss  tritt 
der  Beschlag  von  der  Spitze  des  Tropfens  gegen  die  Kathoden- 
seite, so  dass  die  zugespitzte  Anodenseite  blank  ist  und  durch 
einen  grauen,  parallel  begrenzten  Oxydring  von  dem  stumpfen 
Kathodentheil  geschieden  ist.  Je  näher  die  Elektroden  einander 
und  damit  dem  Tropfen  sind,  um  so  mehr  verschiebt  sich  dieser 
Gürtel  gegen  die  Kathode,  um  so  mehr  spitzt  sich  die  blanke 
Anodenseite  des  Tropfens  zu;  bleibt  aber  immer  noch  anoden- 
wärts  orientirt,  bis  bei  geeigneter  Nähe  eine  halsartige  Ein- 
schnürung des  Tropfens  anodenwärts  vom  Oxydring  stattfindet 
und  weiterhin  ein  Abreissen  eines  Stückes  unter  Hinführung 
desselben  gegen  die  Anode  erfolgt. 

Sobald  der  abgerissene  Tropfen  die  Anode  berührt,  bekommt 
er  eine  gelbe  Überzugsschicht;  bei  erneutem  Stromschluss 
rutscht  er  langsam  gegen  die  Kathode  und  rennt  nach  Berührung 
derselben  manchmal  wie  angezogen  und  abgestossen  zwischen 
beiden  Elektroden  hin  und  her. 

Bei  Durchströmen  chemisch  reinen  Quecksilbers  in 
Wasserleitungswasser  entsteht  wesentlich  dasselbe.  In 
sehr    verdünnter    Schwefelsäure    findet    auch    dieselbe 


138  W.  Roux, 

Gestaltänderung  des  Tropfens  statt;  das  zugespitzte  Ende  ist 
gegen  die  Anode  gewendet;  der  Tropfen  wandert  aber  gegen 
die  Kathode  (statt  wie  bisher  gegen  die  Anode).  Der  Oxydring 
nimmt  die  beschriebene  Stellung  ein,  und  bei  Wanderung 
mit  einer  Elektrode  um  den  Tropfen  herum  folgt  der  dem 
wandernden  Pole  zugewendete  Theil  des  Tropfens  der  Elektrode, 
und  es  wird  deutlich,  dass  der  Oxydring  im  Ganzen  immer 
Niveauflächenrichtung  annimmt,  wenn  schon  das  Aquatorband 
bei  einigen  Anordnungen  sich  zwar  parallel,  aber  wellig 
contourirt  zeigt.  Bei  Zusatz  von  mehr  Schwefelsäure 
entsteht  an  der  Stelle  des  Oxydbandes  ein  Kranz  von  Gas- 
blasen, innerhalb  dessen  die  einzelnen  Blasen  in  Spiraltouren 
laufen. 

Behandelt  man  den  in  Lösung  von  kohlensaurem 
Natron  liegenden,  noch  von  der  Behandlung  mit  dem  Gleich- 
strom her  zum  Theil  mit  Oxyd  bedeckten,  vorher  chemisch  reinen 
Quecksilbertropfen  in  dieser  Lösung  mit  dem  Wechselstrom, 
so  erhält  man  je  nach  der  Stromstärke  verschiedene  Bilder, 
welche  alle  für  uns  von  Bedeutung  sind.  Bei  sehr  schwachem 
Strom  und  bei  blosser  Berührung  der  Flüssigkeit  mit  der  einen 
Elektrode  entstehen  auf  der  Oberfläche  des  Tropfens  mit  dem 
Stromschluss  aus  den  Oxydbröckeln  Reihen  in  Richtung  der 
von  den  Elektroden  ausgehenden  Stromfäden,  der  Art,  dass  die 
Oberfläche  des  Tropfens  in  zwei  polare  Hälften  getheilt  ist,  von 
denen  jede  mit,  den  genannten  Richtungen  entsprechenden 
Reihen  von  braunen,  schwingenden  (?)  Flecken  bedeckt  ist,  die 
sich  fortwährend  seitlich  verschieben  und  am  seitlichen  Rande 
des  Tropfens  auf  die  Unterfläche  absinken,  um  dann  an  der 
Polseite  wieder  aufzusteigen.  Der  sehr  schwache  Strom  bewegt 
also  die  auf  der  Oberfläche  des  Quecksilbers  liegenden  Theile 
noch  in  Richtung  der  Stromfäden  des  ganzen  elektrischen 
Feldes.  Je  nach  der  Stromdichte  bleibt  ein  blanker  Aquator- 
gürtel  frei  oder  nicht. 

Bei  geringer  Verstärkung  des  Stromes  durch  ein 
Minimum  tieferes  Eintauchen  der  Elektroden  oder  bei  statt- 
gehabter Erwärmung  des  Menstruum  tritt  schon  eine  geringe 
Convergenz  der  Bröckelreihen  gegen  die  Polseite  des  Tropfens 
ein.  Bei  tiefem  Eintauchen  der  Drahtelektrode  bedecken  sich  die 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  139 

beiden  Polseiten  mit  einer  geschlossenen  Schicht  von  Oxyd- 
masse, und  die  so  entstandenen  Polfelder  sind  durch  Niveau- 
linien des  ganzen  Stromfeldes,  nicht  durch  Linien  begrenzt, 
welche  um  die  Pole  des  Tropfens  centrirt  sind.  Sie  schliessen 
einen  blankenÄquator  ein. In  diesen  Polkappen  gehtBewegung 
vorsieh;  die  seitlichen  Partieen  sinken  wieder  ab;  und  wenn 
nicht  gleich  Ersatz  vorhanden  ist,  gewinnt  es  den  Anschein,  als 
wäre  das  Polfeld  um  den  Pol  des  Tropfens  centrirt.  Beobachtet 
man  das  Absinken,  so  sieht  man  die  absinkenden  Theile  aber 
längs  der  Niveaulinie  über  den  seitlichen  Tropfenrand  gleiten 
und  so  die  normale  Grenze  der  defect  gewordenen  Polkappe 
noch  markiren.  Je  kleiner  der  Quecksilbertropfen  im  Verhältniss 
zur  Grösse  und  zum  Abstände  der  Elektroden  ist,  um  so  deut- 
licher tritt  natürlich  der  Unterschied  zwischen  Niveaulinien 
des  ganzen  Feldes  und  um  die  Tropfenpole  centrirten  Linien 
hervor. 

Wird  die  Stromdichte  für  den  Tropfen  durch  Näherung 
der  Elektroden  verstärkt,  so  verschiebt  sich  jederseits  die 
Oxydschicht  äquatorwärts,  so  dass  die  Pole  blank  werden;  die 
Oxydbrocken  oscilliren  jetzt  in  Richtungen  von  Polmeridianen 
des  Tropfens  und  begrenzen  sich  polwärts  mit  einer  um  den 
Tropfenpol  centrirten  Linie,  gegen  den  noch  blanken  schmalen 
Äquator  mit  einer  annähernd  einer  Niveaulinie  des  ganzen 
Feldes  entsprechenden  Linie.  Je  näher  die  Elektroden  einander 
gebracht  werden,  um  so  grösser  werden  die  blanken  Polfelder, 
um  so  mehr  rücken  die  beiden  braunen  Bänder  gegen  einander, 
schliesslich  bis  zur  Berührung  in  der  Mitte  und  formiren  so 
deutlich  ein  dichtes  braunes  Äquatorband.  Dabei  sind  dann  die 
Ränder  dieses  Bandes  nicht  mehr  polwärts  centrirt,  sondern 
entsprechen  Niveaulinien;  der  braune  Äquator  ist  also  jetzt  ein 
durch  Niveaulinien  begrenztes,  gleich  breites  Band,  dessen 
Theile  nicht  mehr  oscilliren.  Bei  weiterer  Näherung  der  Elek- 
troden gegen  den  Tropfen  wird  dieser  Äquator  schmäler,  bei 
Entfernung  wieder  breiter. 

Manchmal  sieht  man  beim  Stromschluss  die  beiden,  aus 
fibrirenden  Bröckeln  bestehenden  braunen  Niveaulinien  sofort 
in  gewissem  Abstände  von  ihren  Polen  entstehen,  darauf  in 
kurzer  Zeit  einander  sich  nähern,  um  dann  in  constantem,  der 


140  W.  Roux, 

Stromdichte  entsprechendem  Abstände  stehen  zu  bleiben;  es 
entstehen  also  beim  Stromschluss  sogleich  Polfelder  von 
gewisser  Grösse,  die  bei  weiterer  Durchströmung  allmälig  eine 
Vergrösserung  erfahren,  also  ganz  wie  es  von  den  Eiern  des 
Frosches  und  Triton  beschrieben  worden  ist. 

Wird  ein  in  starker  Schwefel  säure  mit  dem  Gleichstrom 
behandelter  Tropfen  reinen  Quecksilbers,  welcher  infolge 
dessen  noch  an  seiner  ganzen  Oberfläche  mit  einer  trüben 
Staubschicht  bedeckt  ist,  in  derselben  Flüssigkeit  mit  dem 
Wechselstrom  behandelt,  so  zieht  sich  die  bedeckende  Schicht 
auf  die  beiden  Polfelder  zurück  und  lässt  einen  Äquator  blank 
hervortreten.  Bald  jedoch  wird  der  graue  Staub  vom  Tropfen 
fortgeführt.  Nach  dem  Zusetzen  von  Wasser  wird  beim  Durch- 
strömen die  ganze  Oberfläche  des  Tropfens  trüb  bedeckt,  und 
erst  bei  der  Stromunterbrechung  sammelt  sich  der  Überzug 
wieder  auf  die  Polfelder  und  lässt  einen  Äquator  frei. 

Es  hat  sich  also  bei  der  elektrischen  Behandlung  von 
Quecksilbertropfen  in  verschiedenen  Elektrolyten  eine  erheb- 
liche Übereinstimmung  der  Erscheinungen  mit  den  an  Eiern  bei 
gleicher  äusserer  Einwirkung  gemachten  Beobachtungen 
ergeben:  Eine  Zerlegung  der  Oberfläche  in  drei  verschiedene 
Abschnitte,  in  zwei  gegen  die  Elektroden  gewendete  Polfelder, 
welche  sich  anders  verhalten  als  der  von  ihnen  begrenzte 
Äquator.  Letzterer  hat  wieder,  von  vorhandenen  kleinen  Ab- 
weichungen abgesehen,  im  Ganzen  die  Richtung  der  Niveau- 
flächen der  betreffenden  Stelle  des  elektrischen  Feldes.  Im 
Gleichstrom  nahm  der  unreine  Quecksilbertropfen  sogar  eine 
Form  an,  welche  der  unter  der  gleichen  Einwirkung  ent- 
standenen Gestaltänderung  des  Froscheies  etwas  entspricht, 
indem  auch  bei  ihm  während  der  Durchströmung  in  Kochsalz- 
lösung der  der  Anode  zugewendete  Theil  gerundet  und  dicker 
wurde  als  der  übrige  Theil,  welcher  sich,  wie  beim  Froschei 
gegen  die  negative  Elektrode  verlängerte;  die  Grenze  beider  Ab- 
schnitte hat  bei  beiden  Objecten  die  Richtung  der  bezüglichen 
Niveaufläche.  Besondere  Linien  am  Äquator,  welche  in  ihrer 
Richtung  von  Polmeridianen  den  Richtungen  der  einige  Male  be- 
obachteten Pigmentstreifen  am  elektrischen  Eiäquator  ent- 
sprechen, sowie  ein  besonderes  Verhalten  der  beiden  Grenzen 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  141 

des  Äquators,  der  Niveaulinien,  bei  einem  Versuche  am  Queck- 
silbertropfen vergrössern  die  Übereinstimmung. 

Schliesslich  wurde  bei  einer  Versuchsanordnung  auch  ein 
Wachsthum  der  beim  Stromschluss  sogleich  aufgetretenen  Pol-, 
felder  während  der  Dauer  der  Durchströmung  am  Quecksilber- 
tropfen, entsprechend  dem  Verhalten  der  Polfelder  der  thierischen 
Eier  beobachtet. 

Diese  mehrfache  Übereinstimmung  in  den  wesentlichsten 
Merkmalen  der  Localisation  der  durch  den  elektrischen  Strom 
an  lebenden  Objecten  und  am  Quecksilber  hervorgerufenen 
Veränderungen  scheint  auf  eine  Übereinstimmung  auch  der 
Ursachen  dieser  Localisation  in  beiden  Fällen  hinzuweisen, 
wenn  schon  der  Versuch  mit  der  in  Phenolphthallein  getränkten 
Gallerte  nicht  für  einen  Antheil  der  Jonen  bei  der  Polarisation 
der  organischen  Gebilde  zu  sprechen  vermag. 

Wir  haben  also  ermittelt,  dass  die  scharfe,  in  Richtung 
von  Niveauflächen  umgrenzte  Localisation  der 
Reaction  auf  den  Strom  keine  specifische  Leistung  der  vitalen 
Substanzen  ist.  Und  mit  der  Feststellung  dieser  principiellen 
Übereinstimmung  des  Verhaltens  bei  organischen  und  einem 
anorganischen  Objecte  hätte  ich  als  Nicht-Physiker  und  Nicht- 
Physiologe mich  vielleicht  begnügen  können.  Doch  das  Queck- 
silber ist  blos  in  rundlicher  Gestalt  zu  verwenden;  es  blieb 
daher  die  Frage,  ob  auch  bei  den  complicirter  gestalteten  an- 
organischen und  organischen  Gebilden  eine  Übereinstimmung 
auftritt.  Deshalb  beschloss  ich  noch  mit  festen  Metallen,  welche 
sich  in  jede  Gestalt  bringen  lassen,  einige  Versuche  anzustellen. 
Und  weiterhin  verlangte  es  mich,  auch  der  Ursache  der  Lo- 
calisation selber  näher  zu  treten.  Dieser  letztere  Zweck,  sowie 
der  Umstand,  dass  sich  bei  den  festen  Metallen  einige  Ver- 
schiedenheiten in  der  Localisation  der  Polfelder  gegenüber  der 
der  lebenden  reactionsfähigen  Gebilde  ergaben,  nöthigten  zu 
einer  weiteren  Ausdehnung  der  Versuche  an  diesen  Metallen,, 
insbesondere  aber  zu  einem  analytischen  Vorgehen,  so  dass  an 
ihnen  Experimente  mit  Formen  angestellt  werden  mussten, 
denen  ich  im  Gebiete  des  Organischen  zum  Theile  keine 
wesentlich  gleichen  gegenüberzustellen  habe,  welche  somit 
leicht  als  nicht  hieher  gehörig  beurtheilt  werden  könnten. 


142  w.  Roux, 

Die  festen  Metalle  erwiesen  sich  als  sehr  geeignet;  und 
die  nach  den  ersten  brauchbaren  Resultaten  vorgenommene 
Durchsicht  der  Literatur  zeigte,  dass  bezügliche  Erscheinungen 
schon  im  Jahre  1880  von  A.  Guebhard*  beschrieben  worden 
sind.  Er  durchströmte  mit  dem  galvanischen  Strom  blanke 
Metallplatten  in  Lösungen  von  Metallsalzen,  ohne  die  Elektroden 
in  Berührung  mit  der  Platte  zu  bringen  und  beobachtete  die 
an  beiden  Polseiten  der  Platte  entstehenden  Niederschläge,  ins- 
besondere den  der  Anode  zugewendeten  Metallniederschlag. 
Sein  Interesse  wandte  sich  den  bei  dünnem  Niederschlag  ent- 
stehenden farbigen  Linien  zu,  und  er  zeigte,  dass  bei  gewisser 
Anordnung  des  Versuchs  diese  Linien  äquipotentiale  Curven 
darstellen. 

An  seine  Publication  schlössen  sich  sofort  zahlreiche 
theoretische  Erörterungen  und  Versuche  anderer  Autoren  an, 
so  von  E.  Mach,  L.  Ditscheiner,  A.  Tribe,  Roiti,  Volterra 
und  Pasqual  ini,  von  denen  uns  jedoch  bloss  die  Mittheilungen 
der  letztgenannten  Autoren  näher  angehen. 

Roiti*  fand,  dass  auf  der  Kupferplatte  der  Metallniederschlag 
auf  der  Eintrittseite  des  Stromes  ausgebreiteter  stattfindet  als 
der  Oxydniederschlag  auf  der  Austrittsseite.  Den  zwischen 
beiden  Niederschlägen  unbedeckt  bleibenden  Raum  leitet  er  von 
einem  Polarisationsstrom  ab,  welcher  sich  vom  primären  Strom 
subtrahirt. 

A.  Tribe ^  dagegen  beobachtete  an  hohlen,  in  axialer  oder 
äquatorialer  Lage  zwischen  Elektroden  in  Kupfervitriollösung 
durchströmten  silbernen  Röhren,  dass  der  Kupferniederschlag 
auf  der  Eintrittsseite  des  Stromes  weniger  ausgebreitet  ist  als 
der  Oxydniederschlag  auf  der  anderen  Seite. 


1  Guebhard,  Adrien.  Compt.  rend.  Bd.  90,  p.  984  und  1124.  1880, 
Bd.  93,  p.  403,  582  und  792,  1881,  Bd.  94,  p.  437  und  851.  1882,  L'Electrien, 
Bd.  2,  p.  59-67,  273-283,  429—439.  1881-1882.  Journal  de  Physique, 
(2)  Bd.  1,  p.  205—222.  1882. 

2  Roiti.  N.  Cim.  Bd.  X,  p.  97,  1881. 

3  A.  Trib  e,  Über  die  Vertheilung  der  Elektricität  auf  hohlen  Conductoren 
in  Elektrolyten.  Phil.  Mag.  Bd.  16,  S.  384—386,  1883. 


Entwickelungsmechanik  des  Einbr}'o.  143 

Vito  Volterra*  berechnet,dassdie  Linien  gleicher  Färbung 
mit  den  Linien  gleichen  Potentiales  identisch  sind  für  eine  Kugel 
von  Blech,sowie  unter  Umständen  fürden  Abschnitt  einerKugel- 
oberfläche. 

Pasqualini*  hat  die  Abhängigkeit  der  Ausdehnung  des 
vom  Niederschlag  frei  bleibenden  Raumes  von  der  Strominten- 
sität, von  der  Natur  des  Metalles  und  des  Elektrolyten,  sowie 
von  der  Concentration  des  letzteren  untersucht. 

Statt  der  Metallplatte  wurde  ein  verticaler,  in  100  gleiche 
Grade  im  Kreise  herum  getheilter  Messing-,  respective  Kupfer- 
cylinder  von  28*5  ww  Durchmesser  in  möglichst  neutraler  Zink- 
lösung verwendet  Die  Ausdehnung  des  auf  diesen  Cylinder 
niedergeschlagenen  Zinkes  ist  bei  gleicher  Stromintensität  con- 
stant  und  kann  etwa  90*  erreichen;  grösser  wird  sie  kaum 
auch  bei  grosser  Vermehrung  der  Intensität;  die  Ausdehnung 
des  braunen  Niederschlages  auf  der  anderen  Seite  wird  fast  eben 
so  gross. 

Der  Winkel  a  von  der  Äquatorialebene  bis  zu  den  Nieder- 
schlägen steht  bei  constanter  Concentration  mit  der  Stromes- 
dichtigkeit in  der  Relation 

D  a  sin  a  =  N 

wobei  A^  eine  Constante  ist. 

Bei  verschiedenen  Concentrationen  der  ZinkvitrioUösung 
von  der  Leistungsfähigkeit  |jl  ist  AYjjl  constant.  Nach  Vol terra 
ist  unter  der  Annahme,  dass  die  entblösste  Stelle  von  einem 
Polarisationsstrom  herrührt,  wenn  R  der  Radius  des  Cylinders, 
e. -4-gj  —  s  die  elektromotorischen  Kräfte  dieses  Stromes  an  den 
Niederschlägen  sind: 

£  = (E — A  cos*a), 

(X 


1  Vito  Vol  terra,  Sülle  figure  elettrochimiche  di  A.  Guebhard.  Atti  della 
R.  Acc.  delle  Sc.  di  Torino,  Bd.  18.  Febr.  1883  und  Über  die  elektrochemischen 
Bilder  auf  der  Obernäche  eines  Cylinders.  N.  Cim.  Bd.    13   p.    119-139    1883. 

2  Pasqualini,  L.  Cber  die  elektrochemischen  Bilder  auf  der  Oberfläche 
eines  Cylinders.  N.  Cim.  Bd.  14.  S.  26-38,  1883. 


144  W.  Roux, 

WO 


K 


K='-  ^'^ 


und 


-/: 


Ä 


E  ==  Tv/l— /t*sin*'f  Jcp 


und  ^  =:  sin  a  ist. 

Auch  diese  Formel  wurde  vonP  a  s  q  u  a  1  i  n  i  bestätigt.  (Referirt 
nach  BeiblätterzudenAnnalen  der  Physik  und  Chemie,Bd.8,1884.) 

Durch  die  vorliegenden  Arbeiten  ist  das  Gebiet  noch  nicht 
erschöpfend  bearbeitet.  Es  fehlen  noch  alle  Versuche  über  das 
Verhalten  beim  Wechselstrom;  und  auch  bei  Verwendung 
des  Gleichstromes  bieten  Variationen  der  Versuchsbedingungen 
manche  auffällige  Erscheinung  dar,  von  denen  es  zweifelhaft 
erscheinen  muss,  ob  sie  durch  den  von  Roiti  und  Vol terra 
angenommenen  Polarisationsstrom  erklärbar  sind. 

Als  Nicht-Physiker  werde  ich  mich  theoretischer  Erörte- 
rungenenthalten und  mich  auf  die  Wiedergabe  meiner  Versuchs- 
ergebnisse beschränken,  soweit  sie  zum  Verständniss  der  an 
lebenden  Objecten  beobachteten  Erscheinungen  beitragen.  Bei 
diesen  Versuchen  wurde  manche  Vermuthung  experimentell  ge- 
prüft, welche  von  einem  Pysiker  von  vornherein  ausgeschlossen 
worden  wäre.  Wer  jedoch  auf  biologischem  Gebiete  arbeitet, 
wird  bald  daran  gewöhnt,  die  Richtigkeit  jedes  scheinbar  zwin- 
genden positiven  oder  negativen  Deductionsschlusses  vor  seiner 
Verwendung  immer  erst  noch  auf  ihre  empirische  Bestätigung 
zu  prüfen,  da  unsere  biologischen  Grundsätze  zumeist  blos  An- 
näherungen an  die  Wahrheit  sind.  Auf  einem  mir  fremden  Ge- 
biete war  diese  Vorsicht  gleichfalls  geboten;  und  ich  denke,  es 
wird  aus  demselben  Grund  vielleicht  auch  manchem  meiner  Leser 
die  Darstellung  dieser  primitiven  Ableitungen  willkommen  sein. 

Es  ist  ferner  zu  erwähnen,  dass  Mateucci  einen  Draht  in 
einer  feuchten  Hülle  unter  Verbindung  der  Elektroden  eines  gal- 
vanischen Stromes  mit  dieser  Hülle  durchströmt  und  gefunden 
hat,  dass  dann  auf  Polarisation  beruhende  Ströme  auftreten, 
welche  den  elektromotorischen  im  Nerven  gleichen;  und  L.  Her- 
mann hat  einen  in  verdünnter  Schwefelsäure  liegenden  Platin- 


Ent^ickelungsmechanik  des  Embryo.  14o 

draht  als  »Kemleiter«  verwandt.  Doch  hatten  diese  Versuche 
nicht  die  Ermittelung  der  speciüschen  Localisation  der  Polari- 
sation zum  Ziel. 

Es  entstehen  nach  obigen  Citaten  an  dem  in  einen  Elektro- 
lyten eingelegten,  die  Elektroden  nicht  berührenden  Metallstück 
beim  Durchströmen  mit  dem  galvanischen  Strom  zwei  den 
Elektroden  zugewendete  Felder  oberflächlicher  Veränderung 
des  Metalles  uhd  zwischen  beiden  bleibt  ein  oberflächlich 
nicht  verändertes  Gebiet;  auf  erstere  will  ich  gleich  den  für  die 
an  lebenden  Objecten  beobachteten  polaren  Veränderungen  ein- 
geführten Namen  Polfelder,  auf  letzteres  den  NamenÄquator 
ausdehnen.  Der  im  Elektrolyten  liegende,  die  Elektroden  nirgends 
berührende  Körper  werde  kurz,  wenn  auch  nicht  ganz  correct, 
als   »Intraelektrolyt«  bezeichnet. 

Gehen  wir  nun  zu  den  Ergebnissen  der  eigenen,  vor- 
wiegend, und  wo  nicht  besonders  anders  bemerkt,  stets  mit  dem 
Wechselstrom  angestellten  Versuche  über. 

Zunächst  seien  die  für  Wechselstrom  und  galvanischen 
Strom  gemeinsamen  Wirkungsweisen  mitgetheilt. 

Die  Polfeldveränderungbeginnt  immer  anden den  Elektroden 
nächstenTheilen  des  Metallstückes,  den  Polen,  und  breitet  sich 
von  da  anfangs  rasch,  allmälig  langsamer  aus,  um  schliesslich 
stabil  zu  bleiben.  Die  Intensität  der  Veränderung  ist  an  den 
Polen  des  Intraelektrolyten  am  grössten  und  nimmt  von  da 
continuirlich  ab;  bei  lange  dauernder  Durchströmung  nimmt  sie 
derart  stetig  zu,  dass  dann  auch  die  Grenzschichte  des  Pol- 
feldes gegen  den  blanken  Äquator  stark  verändert  ist,  so  dass 
also  ein  greller  Contrast,  kein  allmähliger  Übergang  zwischen 
beiden  Theilen  besteht.  Dies  gilt  natürlich  nur,  wenn  der  Elektrolyt 
nicht  schon  ohne  Strom  das  eingelegte  Metall  verändert. 

Nach  Stromunterbrechung  geht  bei  neuem  Schluss  die 
weitere  Polfeldbildung  nicht  wieder  erst  von  den  Polen  des 
Stückes  aus;  sondern  sofort  mit  dem  Schluss  schreitet  auch  die 
Grenze  des  Polfelds  fort.  Daher  breitet  sich  auch  durch  rasch 
intermittirende  Ströme  das  Polfeld  aus;  während,  wenn  jede 
neue  Polfeldbildung  an  den  Polen  beginnen  und  von  da  sich 
ausbreiten  müsste,  es  eine  Unterbrechungsgeschwindigkeit  geben 
müsste,  bei  welcher  das  Polfeld  nicht  wachsen  könnte.  Dasselbe 

Sitzb.  d.  roathcm.-natunfc'.  Gl.;  CI.  Bd.  Abth.  III.  10 


146  W.  Roux, 

erfahren  wir,  wenn  man  nach  jeder  kurzen  Durchströmung  das 
gebildete  Polfeld  mit  Ausnahme  seiner  Aquatorgrenze  mit  Putz- 
pulver wegputzt.  Bei  erneuter  Durchströmung  sieht  man  dann 
das  Polfeld  sogleich  auf  Kosten  des  Äquators  sich  ausdehnen, 
obgleich  an  dem  blank  geputzten  Pol  selber  die  Veränderung 
von  Neuem  an  den  Polen  beginnt  und  den  von  früher  her  er- 
haltenen Rest  des  Polfeldes  noch  nicht  erreicht  hat. 

Daraus  dürfen  wir  schliessen,  dass  die  spätere  Bildung  des 
mittleren  Theiles  der  Polfelder  wohl  nur  dadurch  bedingt  ist, 
dass  an  diesen  Stellen  die  Zahl  der  eintretenden  Stromfaden  bei 
kürzerer  Dauer  der  Durchströmung  zu  gering  ist,  um  schon  eine 
sichtbare  Veränderung  hervorzubringen.  Diese  Auffassung  wird 
bestätigt  dadurch,  dass  bei  Anwendung  des  Gleichstromes  auf 
Kupfer  in  Kupfervitriol  schon  nach  einer  äusserst  kurzen  Durch- 
strömung, welche  blos  ein  ganz  kleines  sichtbar  mit  Metall 
beschlagenes  Eintrittspolfeld  hervorgebracht  hat,  beim  Heraus- 
heben gleichwohl  schon  die  ganze  Grösse  des  erst  nach  viel 
längerem  Durchströmen  sichtbar  werdenden  Polfeldes  benetzbar 
geworden  ist,  während  der  Äquator  noch,  wie  vorher  die  ganze 
Münze,  unbenetzbar  ist.  Beim  Austrittspolfeld  dagegen  ist  die 
Benetzungsfläche  nicht  grösser  als  die  jeweilig  sichtbare  mit 
Oxyd  bedeckte  Ausdehnung  desselben. 

Mit  der  Zunahme  der  Stromdichte  nimmt  auch  die  relative 
Grösse  der  Polfelder  zu,  also  die  Breite  des  Äquators  ab,  wie 
dies  schon  die  obengenannten  Autoren  festgestellt  haben. 
Besonders  abhängig  ist  die  sichtbare  Grösse  der  Polfelder  von 
der  specifischen  Beschaffenheit  der  Oberfläche.  So  bilden  z.  B. 
von  Schrotkörnern,  Rehposten  und  dgl.,  welche  in  Kochsalzlösung 
durchströmt  werden,  einige  derselben  ganz  schwach  veränderte, 
kleine  Polfelder,  während  an  daneben  liegenden,  gleiches  Aus- 
sehen darbietenden  Exemplaren  gleicher  Grösse  grosse,  stark 
veränderte  Polfelder  entstehen;  diese  Verschiedenheit  beruht  hier 
wohl  nur  auf  zu  geringer  Veränderlichkeit  der  Oberflächen- 
schichte und  auf  dadurch  bedingtem  Unsichtbarbleiben  der  dem 
Äquator  benachbarten  Theile  des  Polfeldes  selbst  bei  längerer 
Durchströmung.  Dagegen  ist  vollkommen  deutlich,  dass  an  ihres 
Überzuges  beraubten,  also  blanken  Rehposten  etc.  der  Äquator 
viel  kleiner  wird,  als  ceteris  paribus  an  noch  mit  ihrer  harten 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  147 

Oxydkfuste  versehenen,  deren  Polfelder  auch  nach  sehr  langem 
Durchströmen  mit  stark  veränderten  Rändern  einen  breiteren 
Äquator  begrenzen. 

Wenden  wir  uns  zu  den  speciellen  Ergebnissen  der  mit 
dem  Wechselstrom  angestellten  Versuche,  so  sei  zunächst 
der  Einfluss  der  Gestalt  und  Grösse  des  Intraelektro- 
lyten  auf  die  Gestalt  und  Lage  der  Polfelder,  resp.  des  Äquators 
dargestellt  und  mit  der  Kugelgestalt  begonnen. 

Werden  Bleikugeln  oder  Messingkugeln  in  einem  grossen 
elektrolytischen  Felde  vertheilt  und  durchströmt,  so  bilden  die 
Grenzlinien  der  Polfelder  deutlich  die  äquipotentialen  Curven 
eines  homogenen  elektrischen  Feldes,  gleich  den  Froscheiern. 

Beide  Polfelder  freistehender  Kugeln  werden  im  Wechsel- 
strom gleich  gross;  nur  in  unmittelbarer  Nähe  einer  Elektrode  tritt 
eine,  wohl  von  der  divergirenden  Richtung  der  Stromfaden  ab- 
hängige Verkleinerung  des  dieser  Elektrode  zugewendeten  Pol- 
feides  unverkennbar  hervor.  Der  hier  deutliche  Unterschied  ist 
aber  immerhin  so  gering,  dass  es  nicht  zu  verwundern  ist,  dass 
ein  entsprechendes  Verhalten  an  den  von  einer  dicken,  die  Beob- 
achtung durch  Lichtbrechung  erschwerenden  Gallerthülle  um- 
gebenen und  blos  2*5  mm  grossen  Froscheiern  nicht  sicher  fest- 
gestellt werden  konnte. 

Die  Grösse  derPolfelder  steht  bei  den  Metallkugeln  der  von 
mir  geprüften  Dimensionen,  ähnlich  wie  bei  den  Froscheiern,  in 
einem  umgekehrten  Verhältniss  zur  Grösse  des  Kugeldurch- 
messers, was  aus  folgender  Tabelle  hervorgeht.  Die  kugeligen 
Gebilde  derselben  wurden  alle  zwei  und  eine  halbe  Minute  lang 
in  einhalbprocentiger  Kochsalzlösung  in  einer  Schale  von  63  mm 
Durchmesser,  bei  56  mm  Elektrodenabstand,  bei  Mittelstellung 
zwischen  beiden  Elektroden  und  constanter  Flüssigkeitshöhe 
unmittelbar  nach  einander  durchströmt.  Da  die  Versuche  unmittel- 
bar nacheinander  vorgenommen  wurden,  ist  wohl  auch  die 
Stromstärke  als  wesentlich  die  gleiche  anzunehmen. 


10* 


148 


W.  Roux, 


Durchmesser 
der  Kugel 


Durchmesser  des 
Äquators 


Breite  des 

Äquators  in 

Procenten  des 

Durchmessers 

der  Kugel 


/' 

Bleikugel  mit    ) 
Oxydüberzug    ] 

6- 8  mm 

5-7 

2-8 

20 

1-2 

1  -3 — 1  -brnm 

1-7     2-5 
11 
1-0 
0-8 

207, 

30 

40 

50 

66 

Blanke  Bleikugel  l 

6-8i 

2-6 

1-5 

mm 

0  •  3—0  •  6  mm 
0-6     0-7 
05 

77o 
24 

33 

Wachskugel    mit 
sogenanntem 
Silberblatt  über- 
zogen 


16  mm 


1  •  5  mm 


97o 


Wachskugel   mit  (  1 6  •  3  mm 
Apotheker- Gold- \    7-0 


2-8— 3-8  mm 
1-5— 20 
1-4— 1-5 


187o 

247o 

blatt     überzogen l    4*9  1-4— 1*5  29*/^, 

Wenn  auch  diese  Messungen  an  sich  sehr  ungenau  sind, 
so  zeigen  sie  in  Folge  der  starken  Variationen  der  Durchmesser 
doch  die  Hauptsache  deutlich;  und  es  ergibt  sich  zugleich,  dass 
Kugeln  von  kleinerem  Durchmesser  ceteris  paribus  einen  ab- 
solut grösseren  Äquator  bekommen  können  als  grössere,  wie 
wir  das  auch  an  den  ungleich  grossen,  unreifen  Froscheiern  stark 
ausgesprochen  fanden.  Durch  lange  fortgesetztes  Durchströmen 
wird  dieser  Unterschied  geringer,  wie  folgende  Tabelle,  gleich- 
falls für  halbprocentige  Kochsalzlösung,  aber  bei  schwächerem 

Strome  zeigt: 

Durch-  Breite  des  Äquators 

messer  in 


Millimeter 

nach  1  Min. 

Durch- 
strömung 

dieselbe 
in  ^l()  des 
Durch- 
messers 

nach  4Min. 
Durch- 
strömung 

dieselbe  in 
o/o  des 
Durch- 
messers 

Bleikugel .... 

6-8 

3- 0mm 

44 

2  •  2  mm 

33 

Messingkugel 

7-0 

2-0 

28 

1-85 

26 

» 

2-65 

1-35 

51 

1-2 

46 

> 

1-3 

0-85 

65 

0-75 

57 

» 

1-3 

0-9 

69 

0-75 

57 

Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  149 

Ausserdem  geht  aus  beiden  Tabellen  hervor,  dass  ver- 
schiedene Metalle  ceteris  paribus  verschieden  grosse  Polfelder 
bilden,  wofür  wir  ein  entsprechendes  Verhalten  an  jedem  ein- 
zelnen Froschei  hatten,  indem  immer  im  Bereich  des  unteren, 
nahrungsdotterreichen,  hellen  Abschnittes  der  Äquator  allent- 
halben gleich  schmal  war  und  sich  im  Bereiche  des  oberen, 
mehr  protoplasmatischen  Bildungsdottertheiles  stetig  nach  oben 
verbreiterte. 

Die  Tabellen  zeigen  für  halbprocentige  Kochsalzlösung 
als  Elektrolyten  folgende  Reihenfolge  der  abnehmenden  Grösse 
der  Polfelder  an  Kugeln  von  6,  8 — 7  mm  Durchmesser:  blankes 
Blei,  Messing,  Bleischrot  mit  Rinde,  Apothekergoldblatt.  Ge- 
legentlich wurden  an  metallenen  Gebilden  einige  Beobachtungen 
gemacht,  welche  darauf  hindeuten,  dass  sich  für  andere  Elektro- 
lyten, z.  B.  für  schwefelsaures  Natron,  Salzsäure  diese  Reihen- 
folge vielleicht  ändern  würde. 

Dem  Polfelde  anhaftende  Luftbläschen  werfen  einen 
starken  Schatten,  so  dass  an  ihrer  Haftstelle  und  deren  nächster 
Umgebung  die  Metalloberfläche  unverändert  bleibt,  und  in  der 
darauffolgenden  Zone  das  Polfeld  geschwächt  ist. 

Eine  zweite  an  Bleikugeln,  in  anderer  Richtung  als  die 
erste,  vorgenommene  Durchströmung  bewirkt  Entstehung  neuer, 
entsprechend  gelagerter  Polfelder,  die  natürlich  im  Bereich  des 
früheren  Äquators  am  deutlichsten  sind.  An  Messingkugeln 
sieht  man  nach  nur  kurzer  zweiter  Durchströmung,  dass  im 
Bereiche  der  neuen  Polfelder  die  beiden  Seitentheile  des  früheren 
Äquators  als  scharf  begrenzte  blanke  Niveau-Linien  von 
der  Veränderung  frei  geblieben  sind,  wie  es  entsprechend 
an  der  Gallenblase  des  Frosches,  hier  selbst  nach  langdauernder 
zweiter  Durchströmung  noch  der  Fall  war. 

Sind  zwei  Kugeln  in  Richtung  der  Stromfäden 
unter  Yg  ihres  Durchmessers  einander  genähert,  so  werden 
die  einander  zugewendeten  Polfelder  derselben  deutlich  kleiner, 
und  zwar  um  so  kleiner,  aber  zugleich  stärker  verändert,  je 
näher  die  Kugeln  einander  stehen;  die  einander  abgewendeten 
Polfelder  werden  um  so  grösser,  derart,  dass  sie  zuletzt  mehr 
als  die  Hälfte  der  Kugeloberfläche  einnehmen.  Berühren  sich 
beideKugeln  mit  blanken  Stellen,sind  siealsoleitend  verbunden 


J 


150  W.  Roux, 

dann  entstehen  blos  noch  die  einander  abgewendeten,  weit  über 
die  Hälfte  der  Kugeloberfläche  einnehmenden  Polfelder;  beide 
Kugeln  also  reagiren  wie  ein  einziges  Stück.  Auch  nebenein- 
ander, also  in  äquatorialer  Richtung  benachbart  liegende  Kugeln 
beeinflussen  einander,  aber  erst  bei  grösserer  Nähe,  indem  der 
Äquator  beider  sich  gegen  die  Stelle  grösster  Nähe  hin  plötzlich 
stark  verbreitert,  wohl  weil  die  Stromfäden  sich  hier  auf  zwei 
Gebilde  vertheilen.  Ist  die  Verbindungslinie  einander  sehr  naher 
Kugeln  schief  zur  Stromrichtung  gestellt,  so  wird  der  Äquator 
gegen  diese  Stelle  hin  allmälig  breiter,  und  die  beiden  Polfelder 
jeder  Kugel  werden  wieder  ungleich  gross.  Gegen  die  Berührungs- 
fläche beider  Kugeln  am  Boden  erfolgt  gleichfalls  eine  Ver- 
breiterung des  Äquators;  während  beim  Froschei,  welches  durch 
die  Gallerthülle  an  dieser  Berührung  gehindert  wird,  eine  solche 
Verbreiterung  fehlte,  aber  an  aus  der  Hülle  befreiten  Embryonen 
deutlich  ausgesprochen  war. 

An  den  beiden  inneren,  kleineren  Polfeldern  einander 
sehr  naher,  in  Richtung  des  Stromes  hintereinander  liegender 
Messingkugeln  bei  Durchströmung  mit  demWechselstrom 
in  VxPröc^^tigßi'  Kochsalzlösung  sah  ich  eigenthümliche  Er- 
scheinungen, siehe  Fig.  21.  An  den  beiden  einander  nächsten 
Stellen  ist  ein  dunkelgrüner,  gleichmässiger  rundlicher  Fleck  (1), 
der  mit  scharfer  Grenze  abschliesst;  darauf  folgt  nach  aussen  ein 
metallisch  gebliebener  Ring  (2),  auf  diesen  eine  braune  Zone, 
welche,  nach  innen  scharf  begrenzt,  mit  starker  Veränderung 
anhebt,  nach  aussen  aber  allmälig  schwächer  wird  und  so  in 
einen  (4)  wieder  metallischen  blanken  Hof  übergeht.  Dieser  wird 
aussen  begrenzt  durch  eine  (5)  blaugrüne  viel  breitere  Zone, 
welche  nach  innen  mit  starker  Veränderung  beginnt  und  nach 
aussen  allmälig  an  Intensität  der  Veränderung  abnimmt  und 
ihrer  Farbe  nach  dem  äusseren  Polfeld  entspricht.  Das  dunkle 
Centrum  (Nr.  1)  kann  auch  fehlen;  dann  wird  das  Centrum  ent- 
sprechend Nr.  2  durch  eine  helle  metallische  Scheibe  gebildet. 
Auch  an  Bleikugeln  enstehen  entsprechende  Zonen  bei  gleicher 
Versuchsordnung. 

Da  hier  zwei  blanke  metallische  Ringe  zwischen  den  ver- 
änderten Zonen  liegen,  kann  also  die  zonale  Färbung  nicht  blos 
auf  optische  Interferenz  zurückgeführt  werden;  und  da  ich  mir 


Entwickelungsmechanik  des  £mbr}'o.  151 

derartiges  zonales  Verhalten  auch  nicht  aus  dem  sinusoidalen 
Verlauf  der  Phasen  meines  Wechselstromes  ableiten  konnte,  so 
prüfteich  noch  das  Verhalten  so  naherKugeln  imGleichstrom, 
wieder  in  7|  procentiger  Kochsalzlösung.  Es  zeigte  sich,  dass 
jetzt  die  beiden  inneren  Polfelder  nicht  wie  beim  Wechselstrom 
kleiner  wurden,  sondern  eben  so  gross,  eher  sogar  ein  wenig 
grösser  schienen  als  die  äusseren.  An  den  einander  nächsten 
Stellen  beider  Kugeln  entstanden  wieder  wiebeim  Wechselstrom 
Ringzonen.  Am  kathodischen, rothbraunen,  inneren  Polfeld  ist 
in  der  Mitte  eine  noch  fast  blanke,  also  nur  wenig  veränderte 
Scheibe  ohne  scharfe  Ränder,  oder  das  Centrum  ist  schwärzlich; 
darauf  folgt  die  stärker  veränderte,  breite  rostbraune  Zone,  die 
peripher  einen  schmalen  schwarzgrünen  Saum  geringer  Ver- 
änderung zeigt.  Das  äussere  kathodische  Polfeld  kann  auch  im 
Centrum  neben  seiner  rostbraunen  Hauptfarbe  noch  einen  deut- 
lichen schwarzen  Schimmer  haben  und  zwar  in  grosser  Aus- 
dehnung. Das  innere  Anoden-Polfeld  ist  in  der  Mitte  ganz 
blank;  dann  kommt  ein  grün-schwarz  gefärbter  Ring,  der  stark 
anhebt,  aber  nach  aussen  allmälig  ausläuft;  daran  schliesst  sich 
die  breite  Zone  des  nach  dem  Aufhören  der  Bläschenbildung 
blanken  Bläschenfeldes,  neben  dessen  peripherem  Rand  nach 
aussen  manchmal  eine  deutliche,  verschieden  breite  Trübung 
sich  findet,  besonders  oben  und  seitlich  an  der  Kugel.  Das  äussere 
anodische  Bläschenfeld  zeigt  gleichfalls  manchmal  diese  un- 
regelmässig gestaltete  Randtrübung,  ist  aber  sonst  durchwtgs 
blank,  nachdem  die  Bläschen  entfernt  worden  sind.  Die  Rand- 
trübung ist  offenbar  ohne  Bedeutung;  sie  rührt  wohl  von  freien 
Jonen  her,  welche  von  den  Elektroden  oder  vom  kathodischen 
Polfeld  aus  sich  ausgebreitet  haben. 

Wenn  nun  auch  gewiss  der  zwischen  den  beiden  einander 
nahen  Polfeldern  entstehende  Polarisationsstrom  an  diesen  Er- 
scheinungen einen  Antheil  hat,  so  bedarf  doch  die  Ursache 
dieser  zonal  scharf  begrenzten  Veränderungen  verschiedenster 
Intensität  noch  der  Aufklärung. 

Selbst  unvollkommen  vom  Elektrolyten  bedeckte  Kugeln 
bilden,  soweit  sie  in  der  Flüssigkeit  liegen,  Polfelder  mit  äqui- 
potentialen Curven  ihrer  Aquatorränder,  im  Unterschied  zu  dem 
Verhaltenderunvollkommen  bedeckten  Gallenblasen,bei  welchen 


152  W,  Roux, 

die  Polfeldgrenzen  stark  von  den  Niveaulinien  der  Stelle  des 
elektrolytischen  Feldes  abwichen. 

Gehen  wir  zum  Verhalten  platter  Gebilde  über,  so  tritt 
bei  ihnen,  im  Gegensatz  zu  den  Kugeln,  bezüglich  der  Grösse 
und  Gestaltung  der  Polfelder  deutlich  der  Einfluss  der  Höhe  der 
über,  respective  seitlich  vom  Intraelektroly  ten  stehenden  leitenden 
Flüssigkeit  hervor,  so  auch  bei  runden  Scheiben. 

Die Erzeugungeinesgeradlinig parallel  contourirten 
Äquators  auf  der  Fläche  von  runden  Scheiben  in  runden 
Schalen  bei  Mittelstellung  des  Gebildes  zwischen  den  Elektroden 
ist  ausser  von  der  Höhe  der  Flüssigkeit  noch  von  mehreren 
anderen  Umständen  abhängig.  Bei  geringem  Abstände  der  platten 
Elektroden  in  enger  Schale  genügt  gewöhnlich  eine  Höhe  der 
überstehenden  Flüssigkeit  von  etwas  über  dem  Radius  des 
Gebildes.  Ist  bei  gleichem  Elektrodenabstand  die  Schale  grösser, 
so  ist  eine  grössere  Höhe  nöthig,  welche  bei  grösserem  Elektroden- 
abstand noch  erheblich  vermehrt  werden  muss.  Dabei  ist  aber 
am  seitlichen  Rande  der  runden  Scheibe  der  Äquator  immer 
noch  schmaler  als  der  Äquator  auf  der  Fläche.  In  dem  Maasse 
als  die  überstehende  Flüssigkeitsschichte  niedriger  ist  (bei 
gleich  bleibender  seitlicher  Ausdehnung  der  Flüssigkeit),  ent- 
steht in  der  Mitte  des  p^tten  Gebildes  eine  zunehmende  Ver- 
breiterung des  Äquators,  bis  bei  unbedeckter  oder  nur  eben 
benetzter  oberer  Fläche  diese  keine  Polfelder  mehr  bildet.  Dies 
Verhalten  entspricht  der  centralen  Verbreiterung  des  Äquators 
an  den  zwischen  Glasplatten  flach  gepressten  Froscheiern,  auf 
deren  platte  Flächen  Stromfäden  nur  in  Höhe  der  geringen 
Dicke  der  gepressten  Gallerthülle  eintreten  konnten.  Dasselbe 
gilt  natürlich  auch  für  die  Unterfläche  platter  Gebilde;  weshalb 
diese  bei  ebenem  Boden  des  Gefässes  unverändert  bleibt,  selbst 
bei  dünnster  Substanzlage,  wie  sie  feinste  Goldblättchen  dar- 
bieten: alles  Beweise,  dass  nur  der  Eintritt  des  Stromes  aus 
dem  Elektrolyten  in  das  Metall  und  der  Austritt  in  den 
Elektrolyten,  nicht  aber  die  Durchströmung  der  Oberfläche 
des  vom  Elektrolyten  umgebenen  Metalles  die  Veränderung  des 
letzteren  hervorruft;  dass  also  die  an  der  Ein-  und  Austritts- 
stelle entstehenden  Jonen  eine  wesentliche  Ursache  dieser  Ver- 
änderungen sind,  was  allerdings  keines  Beweises  mehr  bedurfte. 


Entuickelungsmechanik  des  Embr}'o.  153 

Mit  diesen  Verhältnissen  im  Zusammenhang  steht  auch 
derBefund,dass  an  den  Seitenflächen  platter  Gebilde  derÄquator 
bei  oben  überstehender  Flüssigkeitsschicht  oben  schmaler  ist 
und  gegen  den  Boden  hin  sich  continuirlich,  wenn  auch  nicht 
viel,  verbreitert  Daraus  ergibt  sich,  dass  nicht  blos  im  gleichen 
Niveau  mit  dem  Objecte,  sondern  auch  aus  höheren  Schichten 
seitliche  Stromfaden  in  die  Seitenfläche  des  Gebildes  eindringen. 
Da  die  Eier  und  jungen  Embryonen  alle  gerundete  Gebilde 
sind,  und  ihr  elektrischer  Äquator  der  Mitte  nahe  liegt,  also  die- 
jenige Stelle  einnimmt,  an  welcher  die  Stromfäden  eines  homo- 
genen Feldes  fast  tangential  zur  Oberfläche  des  Gebildes  ver- 
laufen würden,  hatte  ich  daran  gedacht,  dass  dieser  ungünstige 
Einfallswinkel  vielleicht  an  der  Entstehung  des  Äquators  einen 
wesentlichen  Antheil  habe.  Die  Beobachtungen  an  platten  Metall- 
stücken,  deren  ganze  obere  Fläche,  bei  geeigneter  Lage  der 
Elektroden,  parallel  zu  den  Stromfäden  eines  homogenen  Feldes 
steht,  gleichwohl  aber  grosse  Polfelder  bildete,  zeigten,  dass 
diese  Ansicht  für  Metalle  nicht  zutrifft;  was  aber  noch  keinen 
Schluss  auf  die,  nur  wenig  besser  als  der  Elektrolyt  leitenden 
organischen  Körper  gestattet. 

Versuche  mit  einem  gebogenen  Stanniolstreifen  dagegen 
ergaben,  dass  in  der  Mitte  eines  der  Länge  nach,  siehe  z.B.  Hg.  24, 
durchströmten  Metallstreifens  ein  rechtwinkeliger  metallischer 
Vorsprung  von  der  Höhe  der  halben,  in  Richtung  des  Stromes 
gemessenen  Breite  des  Äquators  vorhanden  sein  kann,  ohne 
dass  dieser  Vorsprung  verändert  wird;  daraus  scheint  zu 
folgern,  dass  ihn  keine  Stromfäden  treffen,  obgleich  die  Strom- 
faden eines  homogenen  Feldes  rechtwinkelig  auf  ihn  einfallen 
würden.  Da  sich  an  dieser  rechtwinkelig  zur  Stromrichtung 
stehenden  Metallplatte  auch  bei  längerer  Durchströmung  keine 
Jonen  abscheiden,  wie  es  sonst  an  einer  in  gleicher  Weise,  aber 
frei  stehenden  Platte  geschieht,  ist  es  ein  Beweis,  dass  die 
Jonen  nicht  allenthalben  in  der  interpolaren  Strecke,  sondern 
nur  längs  der  Stromfaden  wandern.  Ist  die  am  Äquator  vor- 
springende Platte  höher,  so  bekommt  sie  jederseits  ein  eigenes 
Polfeld,  aber  nur  in  der  Mitte  ihrer  beiden  P^lächen;  die  Seiten- 
theile  und  Ränder  bleiben  als  Äquator  frei.  Stanniol  wurde 
immer  in  Glaubersalzlösung  durchströmt. 


154  W.  Roux, 

Eine  ähnliche  Reaction  tritt  auf,  wenn  ein  rechtwinkelig 
gebogener  Biechstreifen  mit  dem  einen  Schenkel  rechtwinkelig 
zur  Gesammt-Stromrichtung,  mit  dem  andern  also  längs  der- 
selben orientirt  ist.  Alsdann  werden  je  nach  der  relativen,  aber 
auch  von  der  Stromdichte  abhängigen  Länge  beider  Schenkel 
verschiedene  Befunde  erhalten.  Der  freie  Endtheil  des  Längs- 
schenkels wird  wie  gewöhnlich  verändert.  Ist  der  querstehende 
Schenkel  etwa  ein  Drittel  so  lang  als  der  andere,  so  erhält  diejenige 
Fläche  des  queren  Schenkels,  welche  gegen  den  in  Richtung 
des  Stromes  stehenden  Schenkel  hin  gewendet  ist,  kein  Polfeld, 
die  andere  quergerichtetete  Fläche  dagegen  entwickelt,  als  einer 
Elektrode  nächst  liegende  Fläche  ein  kräftiges,  ihre  ganze  Aus- 
dehnung einnehmendes  und  auch  noch  auf  die  Aussenfläche 
des  Längsschenkels  eine  Strecke  weit  sich  fortsetzendes 
Polfeld, 

Wird  der  Querschenkel  niedriger,  so  greift  sein  Polfeld  all- 
mälig  über  die  Ränder  auf  die  Gegenseite  über,  aber  mit  nur 
schwacher  Veränderung,  und  schliesslich  entsteht  auch  auf  der 
an  letztere  anschliessenden  Fläche  des  Längsschenkels  ein  zuge- 
höriges Polfeld,  welches  aber  immernoch  durch  eine  blanke  Stelle 
an  der  hohlen  Biegungsseite  von  dem  Umgreifungsfelde  getrennt 
ist.  Wird  der  Querschenkel  höher,  so  erhälter  (siehe  Fig»  25)  auf  der 
vorher  freigebliebenen  Seite  ein  centrales,  die  Ränder  der  Fläche 
frei  lassendes  Polfeld;  bei  weiterer  relativer  Zunahme  des  Quer- 
schenkeis  werden  unter  Wachsthum  des  centralen  Polfeldes 
auch  die  Ränder  der  Fläche  mit  verändert;  der  Äquator  bleibt 
aber  immer  auf  dem  längs  des  Stromes  gestellten  Schenkel, 
auch  wenn  dieser  bloss  einen  kleinen  Bruchtheil  der  seitlichen 
Ausdehnung  des  Querschenkels  bildet;  nur  setzt  sich  der  Äquator 
bei  sehr  kleinem  Längsschenkel  auf  den  Seitenrand  des  queren 
Schenkels  fort. 

Bei  einem  geraden,  in  Stromrichtung  und,  wie  in  allen 
unseren  Versuchen,  wenn  nicht  anders  erwähnt,  mitten  zwischen 
den  Elektroden  liegenden,  Stab  findet  sich  beim  Wechselstrom 
der  Äquator  in  der  Mitte  der  Länge  des  Stabes.  Dies  ändert  sich, 
wenn  ein  Theil  des  Stabes  rechtwinkelig  abgeknickt  wird;  der 
neue  Äquator  liegt  dann  nahe  der  Mitte  des  jetzt  noch  in 
Richtung  des  Stromes  gestellten  Schenkels,  aber  etwas,  und  zwar 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  155 

auf  der  Aussenseite  weniger  als  auf  der  Innenseite  des  Winkels, 
gegen  den  Querschenkel  hin  verschoben;  siehe  Fig.  25.  Der  Quer- 
schenkel, dessen  Theile  ja  alle  in  fast  denselben  Niveauflächen 
liegen,  hat  also  einen  viel  geringeren  EinOuss  auf  die  Lagerung 
des  Äquators  als  der  viele  Niveauflächen  durchsetzende  Längs- 
schenkel, obwohl  ersterer  von  viel  mehr  Stromfäden  getroffen  wird. 

Ein  Übergreifen  des  einer  Elektrode  zugehörigen  Polfeldes 
auf  eine  dieser  Elektrode  abgewendete  Fläche  findet  bei  metallenen 
Intraelektrolyten  auch  schon  unter  einfacherenVerhältnissenstatt, 
z.B.  an  einem  Ring ;  da  sieht  man  deutlich,  dass  die  Polfelder  anfangs 
bloss  auf  den  gegen  die  Elektroden  gewendeten  Aussenflächen 
entstehen,  dann  allmälig  um  die  Ränder  des  Ringes  herum  etwas 
auf  die  Innenseite  übergreifen,  und  zwar  natürlich  in  der  Nähe 
der  Aquatorgegend  am  geringsten,  in  der  Nähe  der  Pole  am 
weitesten.  Es  gehören  also  hier,  infolge  ihrer  Lagerung  in  der 
Nähe  z.  B.  der  rechten  Elektrode,  zum  rechten  Polfeld  Flächen- 
theile,  welche  ihrer  Richtung  nach  am  directesten  von  der  linken 
Elektrode  aus  bestrahlt  werden  könnten. 

Dies  Übergreifen  eines  Polfeldes  auf  eine  Gegenseite  der 
Hauptfläche,  welches  wir  in  geringerem  Maasse  schon  an  zwei 
leitend  verbundenen  Kugeln  gesehen  haben,  lässt  erkennen,  dass 
bei  den  Metallgebilden  an  dem  für  die  Stromfäden  eines  homo- 
genen Feldes  im  Schatten  liegenden  Theile  der  Oberfläche  ein 
wirklicher  Stromschatten,  wie  wir  ihn  an  grobgefurchten  Eiern 
und  Embryonen  kennen  gelernt  haben,  nur  rasch  vorübergehend 
vorkommen  kann.  Wenn  man  z.  B.  einen  platten  Stern  aus 
Metall  durchströmt,  so  bekommt  er  nur  zwei  Polfelder;  und  die 
Polfeldbildung  beginnt  zwar  auf  den  gegen  die  Elektroden  ge- 
wendeten Flächen  der  Zacken,  so  dass  anfangs  ein  Schatten 
auf  den  den  Polen  zum  Theil  näheren,  aber  abgewendeten  Seiten- 
flächen der  Strahlen  liegt;  während  von  den  Polen  entferntere, 
aber  den  Elektroden  zugewendete  Flächen  schon  verändert 
sind.  Die  Veränderung  greift  aber  rasch  auch  auf  die  im  Bereiche 
der  beiden  Gesammtpolfelder  des  Gebildes  liegenden,  von  der 
nächsten  Elektrode  abgewendeten  Flächen  über;  und  zwar  wird 
dies  wieder  rascher  an  den  den  Polen  näheren  als  an  den  dem 
Äquator  benachbarten  Stellen  sichtbar,  an  welchen  wohl  die  Strom- 
laden relativ  spärlicher  sind.  Die  in  der  Tiefe  zwischen  den  Zacken 


156  W.  Roux, 

gelegenen  Stellen  dagegen  bleiben,  wie  in  derTiefe  der  Furchen  an 
Embryonen,  lange  Zeit  unverändert,  jedenfalls  infolge  des  vorher 
schon  erfolgenden  Übertrittes  der  Stromfäden  in  die  seitlichen 
Wandungen  der  Furche.  Dies  ist  somit  ein  Schatten  durch  Weg- 
leitung der  Stromfäden  von  anderen  Theilen  des  Intraelektro- 
lyten;  aber  die  Wegleitung  geschieht  letzteren  Falles  bereits  im 
Elektrolyten. 

Wird  ein  eben  und  blank  geschliffener  Kupferkreuzer 
in  Vs — Vio  gesättigter  Glaubersalzlösung  mit  dem  Wechsel- 
strom durchströmt,  so  entsteht  manchmal  mit  den  benetzbar 
werdenden,  gelben  oder  grünen  Polfeldern  zugleich  eine  orangen- 
farbene Trübung  zwischen  beiden,  also  im  Bereiche  des  breiten 
Äquators,  welche  nicht  benetzbar  ist  und  jederseits  durch  eine 
gleichfalls  nicht  benetzbare,  blank  gebliebene 
Niveaulinie  vom  Polfeld  getrennt  ist.  Mit  dem  Wachsthum 
der  Polfelder  werden  diese  blanken  Niveaulinien  einander  ge- 
nähert, auf  Kosten  des  mittleren,  vorher  trüben  Äquatorfeldes. 
Die  Bildung  unveränderter  Niveaulinien  ist  also  ein  besonderer, 
sogar  schon  bestehende  Veränderungen  aufhebender  Process.  Der 
Äquator  einer  18 '3  mm  grossen  Kupferscheibe  war  in  der  Mitte 
breiter  als  am  Rande,  obgleich  die  Flüssigkeit  über  der  Münze 
20  mm  hoch  stand,  was  zur  Bildung  paralleler  Contouren  in 
anderen  Verhältnissen  übergenug  gewesen  wäre.  Dies  hängt 
wohl  mit  geringerer  Leitungsdifferenz  zusammen,  zufolge  deren 
wohl  auch  der  Äquator  schon  an  sich  sehr  breit  blieb.  Die  Pol- 
felder hatten  eine  besonders  gefärbte,  aussen  schwarze,  innen 
orangefarbene  Grenzlinie  gegen  den  Äquator.  Das  Anlaufen  des 
mittleren  Theiles  des  Äquators,  so  wesentlich  es  für  die  Bekun- 
dung besonders  sich  verhaltender  Niveaulinien  ist,  hängt  nur 
von  Nebenumständen  ab;  denn  es  bleibt  manchmal  bei  schein- 
bar ganz  derselben  Versuchsanordnung  aus.  Ich  erhielt  es 
häufiger,  wenn  die  Münze  nicht  eben  erst  frisch  geputzt,  sondern 
vor  dem  Durchströmen  ein  wenig  angelaufen  war. 

Ebenso  treten  Verschiedenheiten  hervor  bei  einer  zweiten 
rechtwinkelig  zur  ersten  stattfindenden  Durch- 
strömung der  Kupferplatte.  Dabei  erhält  man  z.  B.  zwei 
weitere  grüne,  an  die  vorherigen  sich  anschliessende  Polfelder, 
und  von   den  vier  Ecken  des  übrigbleibenden  quadratischen 


Ent^'ickelungsmechanik  des  Embryo.  157 

Äquators  gehen  vier  hellere  Linien  in  diagonaler  Rich- 
tung ab-  Nach  dem  Abwischen  zeigt  sich  an  diesen  Linien  das 
Metall  noch  fast  blank,  was  sich  aus  einem  unten  mitgetheilten 
Befunde  bei  rechtwinkelig  zu  einander  erfolgenden  Durch- 
strömungen mit  dem  Gleichstrom  erklärt,  wo  jedoch  bloss 
eine  solche  schiefe  Niveaulinie  gebildet  wurde.  Dass  hier  vier 
solche  Linien  entstehen,  ergibt  sich  dann  wohl  aus  den  vier- 
fachen Stromrichtungen  des  gekreuzt  angewandten  Wechsel- 
stromes. 

Nach  weniger  lang  dauernder  primärer  Durchströmung  als 
im  eben  erwähnten  Falle  wird  bei  der  secundären,  recht- 
winkeligen Durchströmung  der  neue  Äquator  viel  dunkler, 
orange;  die  neuen  Niveaulinien  sind  einander  parallel  und 
werden  selbst  im  Bereiche  des  primären,  orange- 
farbenen Äquators  blank,  kupferfarbig  unter  Rückbildung 
des  Orange;  im  Bereiche  der  gelben,  primären  Polfelder  dagegen 
sind  sie  schwärzlich,  und  allmälig  wird  der  äussere  Rand  hell, 
der  innere  schwarz,  als  wenn  die  schwarze  Substanz  gegen  den 
Äquator  zu  verschoben  wäre,  ähnlich  also,  wie  es  oft  an  dem 
Pigment  in  der  Rinde  des  Froscheies  der  Fall  war.  Nach  dem 
Abwischen  sind  auch  diese  Theile  der  Niveaulinien  wieder  heller 
als  die  Umgebung,  ja  fast  blank;  also  hat  auch  hier  eine  Rück- 
bildung der  primären  Veränderung,  welche  das  Metall  trüb 
machte,  stattgefunden.  An  den  Niveaulinien  findet  also 
zweifellos  eine  besondere  Einwirkung  statt.  Die  pri- 
mären Polfelder  sind  auch  im  Bereiche  des  von  den  Niveau- 
linien umgrenzten  secundären  Äquators  stark  verändert 
worden,  so  dass  dieser  also  gleichfalls  wieder  nicht  als  in- 
differente Zone  aufzufassen  ist. 

Bei  längerem  Durchströmen  von  kupfernen  Gebilden  mit 
dem  Wechselstrom  in  durch  den  Strom  siedender  1*/^  Koch- 
salzlösung wird  die  Grenzlinie  des  Polfeldes  immer  schärfer 
und  dunkler;  derÄquator  bekommt  einen  schwärzlichen 
Hauch  bis  auf  jederseits  eine,  seinen  Rand  bildende,  allent- 
halben gleich  breite  helle  Niveaulinie. 

Wurde  Kupferdraht  in  warmer  verdünnter  Schwefelsäure 
liegen  gelassen,  so  dass  das  Kupfer  schwarz  anlief,  so  wurden 
beim  Durchströmen  die  Polfelder  zunächst  heller,  die  dunkle 


158  W.  Roux, 

Färbung  verstärkte  sich  am  Äquator,  darnach  wurden 
die  Polfelder  auch  dunkel  und  waren  durch  eine  helle  Niveau- 
linie vom  dunklen  Äquator  getrennt.  Auch  an  Bleischeiben 
kann  man  bei  gekreuzter  Durchströmung  Andeutungen  von 
Niveaulinien  hervorbringen. 

Sind  zwei  Metallplatten  rechtwinkelig  zur  Strom- 
richtung aufgestellt  und  durch  eine  wenn  auch  nur  minimale 
Schicht  der  Elektrolyten  getrennt,  so  bekommt  jede  Platte  auf 
jeder  ihrer  beiden  Flächen  je  ein  Polfeld,  welches  je  nach  der 
Dicke  der  Platten  auch  auf  die  Seitenränder  derselben  über- 
greift und  daselbst  mit  dem  andern  den  Äquator  begrenzt  Be- 
rühren sich  jedoch  die  Platten  leitend  oder  werden  sie  sonst 
leitend  verbunden,  so  bekommen  die  einander- zugewendeten 
Flächen,  wie  bei  den  sich  berührenden  Kugeln,  kein  Polfeld 
mehr;  erst  bei  einem  Abstand  von  mehr  als  der  Breite  der 
leitend  verbundenen  Platten  entstehen  auch  an  den  einander 
zugewendeten  Flächen  Polfelder,  welche  aber  nur  schmal  und 
an  den  Rändern  gelegen  sind  und  wieder  nur  durch  ein  Über- 
greifen der  äusseren  Polfelder  um  die  Ränder  herum  nach  innen 
zu  bedingt  sind. 

Wird  eine  dreieckige  Platte  mit  der  Spitze  gegen  eine 
Elektrode  gewendet,  so  wird  das  spitze  Polfeld  länger  als  das 
stumpfe;  aber  der  Unterschied  ist  nicht  so  gross  als  zwischen 
dem  Schwanz-  und  Kopfpolfeld  von  Froschembryonen,  welche 
der  Länge  nach  durchströmt  wurden. 

Dass  für  die  Ausdehnung  der  Polfelder  und  damit  für  die 
Lagerung  des  Äquators  wesentlich  die  Grösse  der  Oberflächen, 
nicht  die  Grösse  der  von  ihnen  umgrenzten  Massen  in  Betracht 
kommt,  ist  schon  aus  früherMitgetheiltem  ersichtlich.  Um  es  noch 
besonders  darzuthun,  löthete  ich  an  einen,  l'bntm  dicken 
Bleistreif  quer  einen  ebenso  breiten,  aber  viermal  so  langen 
Stanniolstreifen  von  7,^  mm  Dicke,  dessen  freies  Ende  ich  in 
einer  der  Dicke  des  Bleies  entsprechenden  Höhe  umbog,  um 
eventuelle  Spitzenwirkungen  zu  beseitigen.  Obgleich  nun  die 
Masse  der  einen  Seite  an  20mal  grösser  war  als  die  der  anderen, 
lag  der  Äquator  infolge  der  beiderseits  fast  gleichen  Gestaltung 
der  Oberfläche  fast  in  der  Mitte  des  der  Länge  nach  durch- 
strömten Gebildes. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  159 

An  langen  Stücken  Metalldrahtes,  also  an  Gebilden  von 
sehr  ungleichen  Dimensionen,  traten  einige  Verhältnisse  be- 
sonders deutlich  hervor.  Der  Äquator  in  Richtung  des  Stromes 
stehender  Drähte  erweist  sich  ceteris  paribus  an  längeren  Ge- 
bilden zwar  grösser,  aber  verhältnissmässig  viel  kleiner  als 
an  kürzeren.  So  ergaben  sich  z.  B.  bei  einem  Elektrodenabstand 
von  114  ww  an  einem  Bleidraht  von  l'Sww  Dicke  bei  gleich 
dauernder  Durchströmung  in  demselben  Gefasse  für  den  Äquator 
folgende  Maasse: 


Lange  des 
Drahtes 

Breite  des  Äquators 

...            in  Procenten  der 
Länge  des  Drahtes 

35'Omfn 

3' 6  mm 

107« 

8-0    * 

30    » 

377» 

1-8    * 

1-7    » 

947o 

An  diesem  Ergebniss  ist  das  Verhältniss  der  Breite  des 
Gebildes  zur  durchflossenen  Länge  desselben  nicht  erheblich 
betheiligt;  denn  eine  quer  zur  Fläche  durchströmte  runde 
Scheibe  von  8*5  mm  Radius,  1  '8  mm  Dicke  (respective  durch- 
flossenen Länge)  ergab  einen  Äquator  von  gleicher  Breite  als 
der  letzt  erwähnte  Draht  von  bloss  0-9  mm  Radius  und  V8mm 
durchflossener  Länge. 

Nimmt  die  durchflossene  Länge  noch  weiter  ab,  so  dehnt 
sich  der  Äquator  von  den  Seitenkanten  noch  auf  die  quer- 
stehenden Hauptflächen  des  Intraelektrolyten  aus;  es  bekommt 
z.  B.  ein  Stanniolblättchen  von  ^/^^mm  Dicke,  welches  quer 
zur  Fläche  durchströmt  wird,  bei  geeignieter  Sti'omdichte  jeder- 
seits  ein  grosses,  centrales  Polfeld,  welches  von  einem  schmalen 
Äquator  von  etwa  0*  1 — 0*2  mm  umsäumt  ist.  Dieser  Äquator- 
saum ist  bei  gleicher  Stromdichte  an  einer  quadratischen  Platte 
von  25  mm  Kantenlänge  nur  wenig  breiter  als  bei  einem  Qua- 
drate von  0'6  mm  Kantenlänge.  Ist  dagegen  die  Stromdichte 
sehr  gering,  so  entsteht  kein  Äquator  mehr  am  Rande  der  beiden 
Flächen.  Der  Äquator  wird  also  hier  bei  geringerer  Stromdichte 
(aber  längerer  Durchströmung)  kleiner  als  bei  grösserer  Strom- 
dichte und  kürzerer  Durchströmungsdauer. 


160  W.  Roux, 

Von  gleich  langen,  aber  ungleich  dicken,  quer  abge- 
schnittenen Drahtstücken,  welche  in  axialer  Richtung  durch- 
strömt werden,  erhält  ceteris  paribus  das  dickere  Stück,  wie 
immer  in  Richtung  des  Stromes  gemessen,  einen  breiteren  Äquator 
während  bei  Querdurchströmung,  gleich  wie  an  den  Kugeln,  die 
dickeren  Stücke  in  gleichen  Zeiten  einen  relativ,  oft  sogar 
absolut  kleineren  Äquator  erhalten. 

Liegt  der  axial  durchströmte  Draht  in  der  Mitte  zwischen 
beiden  Elektroden,  so  sind  ceteris  paribus  beide  Polfelder  gleich 
gross.  Ist  der  Draht  dagegen  einer  Elektrode  näher,  so  wird  das 
Polfeld  dieser  Seite  kleiner;  doch  treten  die  Unterschiede  ähnlich 
wie  bei  Kugeln  erst  bei  grosser  Nähe  des  einen  Endes  gegen 
die  Elektrode,  also  erst  bei  grosser  Ungleichheit  des  beider- 
seitigen AbStandes  von  den  Elektroden  hervor,  was  sich  wohl 
leicht  aus  der  divergirenden  Richtung  der  Stromfaden  in  der 
Nähe  der  Elektrode  bei  rundem  Felde  ableitet. 

An  den  länglichen  Gallenblasen  der  Kaninchen  haben  wir 
im  Gegensatze  zu  den  runden  Gallenblasen  des  Frosches  bei 
Durchströmung  ersterer  in  schiefer  Richtung  gesehen,  dass 
der  Äquator  schief  zu  den  Niveauflächen  eines  homogenen 
elektrischen  Feldes  orientirt  war.  Um  dies  Verhalten  auch  am 
Metall  zu  prüfen,  wurde  ein  blanker  cylindrischer  Kupfer- 
draht von  31  mm  Länge  und  1  '5  mm  Dicke  in  einer  runden 
Glasschale  von  46  mm  Durchmesser  in  Wasserleitungswasser 
durchströmt.  Er  lag  2  mm  hoch  vom  Boden  des  Gelasses  auf 
zwei  lockeren  Fliesspapiergefässröllchen  und  war  in  einer  Höhe 
von  6 — 7  mm  vom  Wasser  überdeckt.  Der  Mittelpunkt  seiner 
Länge  kam  immer  in  den  Mittelpunkt  der  mittleren  geraden 
Verbindungslinie  beider,  einen  Abstand  von  40  fnm  besitzenden 
Elektroden  zu  liegen,  und  nur  der  Winkel  des  Drahtes  mit  dieser 
Mittellinie,  damit  aber  auch  der  Abstand  der  Drahtenden  von 
den  Elektroden,  wurden  verändert;  der  Draht  wurde  nach  jedem 
Versuche  blank  geputzt.  Die  Durchströmungszeit  betrug  je 
15  Minuten. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo. 


161 


1 

I. 

II. 

III. 

IV. 

V. 

'  Winkel  des 
1  Drahtes  mit 
i  der  mittleren 
Verbindungs- 
linie der 
1  Elektroden 

Winkel  des 
Äquators  mit 
der  Längs- 
richtung des 
Drahtes 

Winkel  des 
Äquators  mit  der 
mittleren  Niveau- 
linie des  elek- 
trischen Feldes 

Breite  des 

Äquators,  in 

Richtung  des 

Drahtes 

gemessen 

Breite  des 

Äquators, 

rechtwinkelig 

zu  seinen 

Grenzlinien 

gemessen 

1 

,        0" 

90« 

0'^ 

2  *  0  mm 

2 '  0  mm 

4*5 

38 

47 

2-0 

2-0? 

9 

26 

55 

30—3  5 

2-0? 

18 

19 

53 

3  3—4-0 

ri 

36 

12 

42 

3-5— 5-0 

0-8 

'       54 

5 

31 

4-5— 8-0 

0-8 

72 

16 

23 

t         ü-7 

81 

1 

8 

30 

ü-7 

90 

0 

0 

1      31 

1 

0-7 

Die  Messungen  leiden  wegen  unscharfer  Grenzen  der 
Polfelder  und  nicht  vollkommen  runder  Gestalt  des  Kupfer- 
drahtes an  Ungenauigkeiten;  ausserdem  ist  der  Äquator  bei  den 
mittleren  Schiefstellungen  etwas  gebogen,  so  dass  er  in  der 
Mitte  einen  grösseren,  in  Columne  II  angegebenen,  Winkel  mit 
der  Längsrichtung  des  Drahtes  bildet,  als  an  den  Enden;  auch 
ist  der  Äquator  an  den  Enden,  in  Richtung  des  Drahtes  ge- 
messen, breiter  als  in  der  Mitte,  was  in  Columne  IV  zum 
Ausdruck  kommt.  Die  Columne  III  zeigt  daher  bloss  annähernd 
die  Abweichungen  des  Äquators  von  den  Niveaucurven  eines 
homogenen  Feldes  an;  aber  es  fällt  auf,  dass  diese  Ab- 
weichungen schon  bei  9 — 18°  Schiefstellung  des 
Drahtes  ihr  Maximum  erreichen,  was  bei  den  im  Ver- 
hältniss  zu  ihrer  Dicke  weniger  langen  und  am  verschlossenen 
Ende  verdickten  Gallenblasen  der  Kaninchen  nicht  hervortrat. 

Ein  Kugelabschalenabschnitt  aus  Stanniolblech  bildet 
bei  axialer  Durchströmung  auf  der  convexen  Seite  ein  centrales, 
grosses  und  ein  schmales  marginales  Polfeld,  welche  beide  den 
Äquator  zwischen  sich  fassen.  Ist  der  Abschnitt  klein,  also  flach, 
so  ist  die  concave  Fläche  von  einem  in  der  Mitte  schwächeren 
Polfeld  eingenommen;  ist  er  tief,  so  beschränkt  sich  wieder  wie 

Sitzb.  d.  rnathem.-naturw.  Cl.;  CI.  Bd.  Abth.  III  11 


162  W.  Roux, 

bei  tiefen  Furchen  das  Polfeld  auf  den  Randtheil.  Also  die 
metallene  Kugelschale  verhält  sich  im  Principiellen  ebenso, 
wie  wir  es  an  dem  abgeschnittenen  Vorderhirn  des  Hühner- 
embryo sahen.  Wesentlich  dasselbe  gilt  natürlich  auch  für 
entsprechende  Abschnitte  anderer  Rotationskörper  -  Schalen, 
deren  Erzeugungslinie  gegen  die  Axe  concav  ist. 

Steht  ein  Ende  oder  beide  Enden  eines  Drahtes  oder 
Bandesaus  demElektrolyten  heraus,  so  erfolgt  die  Reaction 
des  intraelektrolytären  Theiles  so,  als  wenn  die  äusseren  Theile 
nicht  vorhanden  wären,  wie  wir  ein  Gleiches  auch  schon  an 
der  nicht  vollkommen  eingetauchten  Kugel  gesehen  haben. 

Anders  ist  dagegen  das  Verhalten,  wenn  die  Enden  des 
Metallstückes  innerhalb  der  Elektrolyten  stehen,  die  leitende 
Verbindung  derselben  aber  zum  Theil  ausserhalb  des 
Elektrolyten  sich  befindet.  Unter  diesen  Umständen  hängt 
die  Abweichung  der  Reaction  von  derjenigen  eines  vollkommen 
eingetauchten  Gebildes  gleicher  Gestalt  wesentlich  von  der 
Stellung  des  Intraelektrolyten  zu  den  Stromfaden,  respective 
Niveauflächen  ab. 

Steht  der  ganze  intraelektrolyrbare  Theil  des  Gebildes  in 
Richtung  einer  Niveaufläche,  ist  es  zum  Beispiel  ein  in 
einer  Ebene  gebogener  Draht,  welcher  mit  seinen  eingetauchten 
Endtheilen  mitten  zwischen  beiden  Elektroden  rechtwinkelig 
zur  Verbindungslinie  orientirt  ist,  so  findet  eine  principielle  Ab- 
weichung von  dem  Verhalten  bei  entsprechender  vollkommener 
Eintauchung  nicht  statt.  Die  Reaction  erfolgt,  als  wenn  lauter 
einzelne  neben  einander  liegende  Stücke  vorhanden  wären,  da 
innerhalb  einer  Niveaufläche  keine  Wirkung  vor  sich  geht;  und 
es  ist  daher  vollkommen  nebensächlich,  ob  alle  oder  nicht  alle 
Theile  eines  Drahtes  eingetaucht  sind,  nur  dass  sich  selbst- 
verständlich die  Wirkung  auf  die  eingetauchten  Theile  be- 
schränkt> 

Von  den  anderen  Stellungen  sei  blos  die  einfachste  in 
ihrem  Verhalten  geschildert.  Steht  das  Gebilde  mit  seinem 
intraelektrolytären  Theil  in  Richtung  des  Stromes 
und  hat  z.  B.  zwei  gleich  lange  in  gleichem  Abstände  gegen 
die  Elektroden  gerichtete  wagrechte  Schenkel,  so  sind  deren 
Polfelder  gleich  gross,  der  Ort  des  Äquators  hängt  dabei  von 


Entwickelungsmechanik  des  Embry«).  163 

der  Stromdichte  ab;  ist  die  Stromdichte  eine  grosse,  so  werden 
die  ganzen  intraelektrolytaren  Theile  polarisirt,  und  der  Äquator 
ist  dann  wohl  als  extraelektrolytär  liegend  zu  denken.  Ist  die 
Stromdichte  gering,  so  reichen  die  Polfelder  nicht  so  weit;  und 
es  ist  auf  jeder  Hälfte  noch  ein  gegen  den  extraelektrolytären 
Theil  zu  gelegener  Äquator  vorhanden.  Ist  kein  Äquator  inner- 
halb der  Flüssigkeit  vorhanden,  so  kann  man  schon  ein  erheb- 
liches Stück,  z.B.  Vs  der  Länge  des  einen  wagrechten  Schenkels 
und  darüber  abschneiden,  ehe  bei  derselben  übrigen  Versuchs- 
anordnungen der  Äquator  auf  der  anderen  Seite  aus  dem  extra- 
elektrolytären Theil  des  Drahtes  in  die  Flüssigkeit  herabrückt. 
Schneidet  man  noch  mehr  auf  der  früheren  Seite  ab,  so  entsteht 
zwischen  dem  Äquator  und  dem  extraelektrolytären  Theil  noch 
ein  Polfeld,  welches  dann  also  zu  dem  Polfeld  des  verkürzten 
Schenkels  jenseits  der  extraelektrolytären  Verbindung  gehört. 

Taucht  der  verkürzte  Schenkel  nur  noch  mit  der  Spitze  in 
die  Flüssigkeit  und  steht  diese  Spitze  in  derselben  Niveaufläche 
als  das  Austrittsende  des  anderen  Schenkels,  so  bewirkt  das 
Eintauchen  keine  messbare  Veränderung  der  Lage  des  Äquators 
am  wagfechten  Schenkel:  steht  jedoch  die  Spitze  der  anderen 
Elektrode  näher,  so  findet  eine  Verschiebung  des  Äquators  nach 
dieser  Seite  hin  statt.  Sind  die  senkrecht  verlaufenden  einge- 
tauchten Theile  des  Drahtes  von  erheblicher  Länge  im  Ver- 
hältnisszum  wagrechten  Schenkel,  so  kommen  die  oben  für  recht- 
winkelige Intraelektrolyten  angegebenen  Regeln  mit  zur  Geltung. 
Doch  sind  die  Schattenwirkungen  selbst  bei  grosser  Nähe  der 
Enden  breiter  Metallstreifen  alsdann  viel  geringer  als  bei  intra- 
elektrolytärer  Verbindung,  und  die  Intensität  der  Veränderungen 
weist  manche  Abweichung  auf,  besonders  wenn  beide  Enden, 
von  ihrem  Verbindungstheil  aus  gerechnet,  nach  derselben  Seite, 
also  gegen  ein  und  dieselbe  Elektrode  gewendet  sind. 

Stehen  beide  ungleich  langen  Enden  nur  senkrecht  in  der 
Flüssigkeit,  aber  in  Richtung  des  Stromes  hintereinander,  so 
bekommt  das  kurze  Ende  ringsum  ein  kräftiges  Polfeld,  das 
lange  ein  kräftiges  auf  der  Seite  der  nächsten  Elektrode  und 
ein  schwaches,  nach  oben  allmälig  abnehmendes  auf  der  Gegen- 
seite, doch  reicht  letzteres  nur  bis  zur  Höhe  des  anderen  Draht- 
endes, sofern  dieses  in  nicht  zu  grosser  Entfernung  sich  findet. 

11* 


164  W.  Roux, 

Werden  die  beiden  Enden  des  Drahtes  in  getrennte 
Schalen  getaucht,  in  welcher  jeder  eine  Elektrode  sich  findet, 
so  werden  die  Drahtenden  natürlich  in  ihrer  ganzen  intra- 
elektrolytären  Ausdehnung  verändert;  ein  Äquator  entsteht  an 
keinem  derselben,  auch  wenn  das  eine  Ende  sehr  lang  in 
Richtung  des  Stromes  verläuft,  während  das  andere  Ende  nur 
eben  eintaucht.  Taucht  dagegen  ein  breites  Metallband  z.  B. 
von  Stanniol  in  die  beiden  mit  Glaubersalzlösung  gefüllten 
Schalen,  und  sind  die  wagrechten,  gegen  die  Elektroden  ge- 
wendeten Enden  rechtwinkelig  abgeknickt  gegen  den  auf- 
steigenden Verbindungstheil,  so  entsteht  in  der  Winkelöffnung 
an  der  Knickungslinie  und  deren  wagrechter  und  senkrechter 
Umgebung  ein  grosses  frei  bleibendes,  von  veränderten  Flächen 
umgrenztes  Feld,  welches  leicht  für  einen  Äquator  gehalten 
werden  kann.  Dass  diese  Auffassung  nicht  richtig  ist,  zeigt  eine 
Verschmälerung  des  Streifens,  wobei  sich  das  Feld  von  den 
Rändern  her  verkleinert  und  schliesslich  verschwindet;  es  ist 
also  blos  durch  Vorwegnahme  der  Stromfäden  durch  die  Ränder 
des  freien  Feldes  und  deren  Umgebung  bedingt  gewesen,  wie 
bei  einer  Furche;  während  ein  Äquator  durch  eine  in  Richtung 
der  Niveaufläche  erfolgte  Verschmälerung  bei  derselben  An- 
ordnung in  Richtung  des  Stromes  nie  verschwindet;  wie  wir  ja 
auch  beim  rechtwinkeligen  Intraelektrolyten  die  frei  bleibende 
Seite  der  Transversalplatte  wohl  nicht  zum  Äquator  rechnen 
durften. 

Wenn  man  einen  über  halb  so  breiten  als  weiten  Ring  aus 
Stanniol  mit  einer  Seitenkante  auf  den  Boden  des  Glases  legt 
und  in  ihn  hinein  ein  nicht  über  V3  d^r  Breite  des  Ringes  hohes 
Stanniolbänkchen  setzt,  so  bleibt  letzteres  beim  Durchströmen 
des  Elektrolyten  unverändert.  Es  ist  also  durch  den  äusseren 
Ring  vollkommen  beschatttet.  Der  Ring  erhält  in  dem  aus  einer 
Lösung  von  schwefelsaurem  Natron  bestehenden  Elektrolyten 
jederseits  aussen  ein  stark  verändertes  Polfeld,  welches,  wie 
früher  mitgetheilt,  über  die  obere,  von  Flüssigkeit  etwas  über- 
ragte Kante  des  Ringes  ein  wenig  auf  die  Innenseite  über- 
greift. Dieselben  Polfelder  entstehen,  wenn  der  Ring  an  irgend 
einer  Stelle  aufgeschnitten  ist,  aber  noch  360**  umschliesst. 
Wird  derRingnochmals  durchschnitten  und  damit  die  metallische 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  165 

Leitungseinheit  zerstört,  so  bildet  natürlich  jedes  Stück  seine 
besonderen  Polfelder  und  seinen  eigenen  Äquator. 

Da  wir  auch  Versuche  mit  dem  Gleichstrom  an  organischen 
Gebilden  mitgetheilt  haben,  und  da  es  zum  Verständniss  der 
im  Wechselstrom  beobachteten  Erscheinungen  nöthig  ist,  seien 
noch  einige  Versuche  mit  dem  galvanischen  Strom  an 
metallischen  festen  Intraelektrolyten  mitgetheilt. 

Zur  Übereinstimmung  mit  den  früher  bei  den  organischen 
Gebilden  angewandten  Bezeichnungen  soll  auch  hier  als  posi- 
tives oder  anodisches  Polfeld  wieder  rein  topographisch 
das  gegen  die  positive  Elektrode  (Anode)  gewendete  Polfeld 
bezeichnet  werden,  obgleich  es  kathodischer  Natur  ist,  da  hier 
der  sogenannte  positive  Strom  aus  dem  Elektrolyten  austritt 
und  sich  an  ihm  daher  die  Kationen  abscheiden. 

Es  interessiren  uns  hier  weniger  die  qualitativen  Eigen- 
schaften der  Veränderungen  des  Intraelektrolyten,  welche  natür- 
lich dieselben  sind  als  die  an  Elektroden  aus  der  gleichen 
Substanz  in  den  gleichen  Flüssigkeiten  vor  sich  gehenden 
Veränderungen,  deren  Farbe  auch  mit  der  Dauer  und  Dichte 
des  Stromes  häufig  wechseln,  sondern  wir  beschäftigen  uns 
wesentlich  nur  mit  der  Localisation  dieser  Veränderungen, 
und  zwar  bloss  an  einfacher  gestalteten  Gebilden,  nachdem  wir 
mit  dem  Wechselstrom  bereits  den  Einfluss  der  Gestalt  in  einer 
für  unsere  Zwecke  genügenden  Weise  ermittelt  haben.  Diese 
Localisation  ist,  wie  schon  von  Roiti  und  von  Tribe  angegeben 
und  oben  mitgetheilt  worden  ist,  für  verschiedene  Metalle  und 
Elektrolyten  zum  Theil  verschieden,  so  dass  diese  immer  mit 
namhaft  gemacht  werden  müssen. 

Eine  runde  Bleischeibe,  in  10 — 20procentiger  Salz- 
säure durchströmt,  bildet  beim  Durchströmen  zunächst  ein  auf 
drei  Viertel  des  Durchmessers  der  Scheibe  und  darüber  sich 
ausdehnendes,  geradlinig,  scharf  begrenztes,  schwarzes  nega- 
tives und  ein  erst  später  auftretendes,  mit  Bläschen  besetztes 
positives  Polfeld,  mit  dessen  Auftreten  und  Wachsthum  das 
negative  Feld  vom  Äquator  aus  unter  Verschiebung  des  letzteren 
durch  Aufhellung  verkleinert  wird.  Dieses  positive  Polfeld  wird 
erst  allmälig  schwarz  und  ist,  wie  auch  in  Kochsalzlösung, 
nicht  scharf  gegen  den  relativ  breiten  Äquator  begrenzt,  sondern 


166  W.  Roux, 

läuft  mit  abnehmender  Intensität  seiner  Veränderungen   gegen 
ihn  aus. 

Bei  seitlicher  Verschiebung  der  Anode  verschiebt  sich  ent- 
sprechend das  positive  Polfeld  und  der  Äquator  wieder  unter 
metallischer  Aufhellung  des  früheren  negativen  Polfeldes  im 
Bereiche  des  neuen  Äquators,  ein  Beweis,  dass  der  Äquator 
keineswegs  eine  neutrale  Zone  darstellt.  Die  durch  längeren 
Gebrauch  zu  diesen  Versuchen  entstehende  Verunreinigung 
der  Säure  wirkt  alterirend  auf  die  Polfeldbildung  ein.  Zuletzt 
veranlasst  solche  Säure  selbst  am  frisch  polirten  Blei  schon  für 
sich  momentan  ein  Schwarzwerden.  Bei  der  Durchströmung 
wird  diese  Schwärzung  auf  der  positiven  Seite  und  im  Bereiche 
des  Äquators,  vom  positiven  Pol  ausgehend,  sogleich  zurück- 
getrieben, so  dass  die  Fläche  bloss  noch  mattgrau  ist;  dasselbe 
entsteht  auch  ah  jeder  Stelle,  über  welche  man  die  positive 
Elektrode  hält. 

Eine  Bleischeibe  bekommt  in  halbprocentiger  Koch- 
salzlösung durchströmt  zuerst  ein  schwarzes  negatives  Pol- 
feld, welches  allmälig  vom  Pole  sich  ausbreitet.  Aber  ihm 
voraus  läuft  bei  diesem  Fortschreiten,  dem  Grenzcontour  des 
schwarzen  Polfeldes  parallel,  eine  braune  gegen  den 
Äquator  scharf,  gegen  den  hellen  schmalen  Zwischen- 
raum zwischen  ihr  und  dem  schwarzen  Theil  des  Pol- 
feldes ujischarf  begrenzte  Linie.  Der  Abstand  des  Äquator- 
randes dieser  Linie  vom  negativen  Polfeld  bleibt  anscheinend 
constant,  während  die  braune  Veränderung  selbst  sich  allmälig 
rückwärts  gegen  das  schwarze  Polfeld  ausdehnt.  Dies  negative 
Polfeld  kann  die  Mitte  der  Scheibe  überschreiten. 

Erst  eine  erhebliche  Zeit  nach  dem  Auftreten  des  negativen 
Polfeldes  beginnt  die  Sichtbarwerdung  des  viel  kleineren,  weniger 
trüben,  nicht  scharf  gegen  den  Äquator  begrenzten,  sondern 
allmälig  gegen  ihn  auslaufenden  positiven  Polfeldes. 

In  vierprocentiger  Kochsalzlösung  wird  das  negative  Pol- 
feld viel  grösser.  Bei  seitlicher  Verschiebung  der  Anode  erhält 
das  negative  Polfeld  einen  S-förmigen  Grenzcontour  gegen  den 
Äquator. 

Noch  mit  ihrer  Oxydrinde  versehene  Bleikugeln,  in 
Kochsalzlösung  durchströmt,  verhalten  sich,  wie  beirri  Wechsel- 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  167 

Strom,  wieder  unter  sich  sehr  verschieden ;  während  die  eine  ein 
grosses,  nur  mit  Bläschen  bedecktes  negatives  und  ein  kleines, 
mit  grösseren  Bläschen  versehenes  positives  Polfeld  bildet,  ent- 
steht an  einer  anderen  ein  gelbes  kleines  negatives  und  ein 
grosses  positives  mit  Bläschen  bedecktes  Polfeld. 

Blanke  Schrotkugeln  bilden  rasch  ein  grosses  gelbes 
negatives  Polfeld  und  ein  positives  Bläschenfeld. 

Stanniol,  in  Kochsalzlösung  durchströmt,  wird  wenig  ver- 
ändert; dagegen  entsteht  in  Salzsäure  ein  mehr  als  die  Hälfte 
einnehmendes,  geradlinig  scharf  begrenztes  negatives,  ein  viel 
kleineres,  wieder  allmälig  gegen  den  Äquator  anlaufendes,  posi- 
tives Polfeld. 

Eine  mit  Apotheker-Goldblatt  überzogene  Wachs- 
kugel bildet  in  15procentiger  Salzsäure,  wie  in  halbprocentiger 
Kochsalzlösung  nur  ein  ganz  kleines  schwärzliches  negatives 
Polfeld  ohne  scharfe  Grenze  und  ein  entsprechendes  positives 
ßJäschenfeld. 

Kupfer  eignet  sich  durch  schärfere,  ja  grelle  Begrenzung 
des  Polfeldes  gegen  den  Äquator  und  grössere  Mannigfaltigkeit 
des  Verhaltens  besser  für  unsere  Zwecke  als  Blei,  welches  in 
manchen  Flüssigkeiten  nur  allmälig  gegen  den  Äquator  aus- 
laufende Polfeldveränderungen  bildete.  Daher  wurden  mit  dem 
Kupfer  mehr  Versuche  angestellt. 

Ein  abgeschliffener  Kupferkreuzer  in  Glaub  er  Salz- 
lösung durchströmt,  bekommt  blos  ein  negatives,  minimales, 
gerade  begrenztes,  grünlich-gelbes  Polfeld,  trotz  grösster  Nähe- 
rung der  Elektroden  bei  vier  Bunsen'schen  Elementen;  ein 
Zeichen  für  den  grossen  Einfluss  der  Natur  des  Elektrolyten 
auf  die  Grösse  des  Polfeldes.  In  Kochsalzlösung  wird  gleich- 
falls nur  ein  kleines  negatives  Polfeld  gebildet,  welches  aber 
immerhin  grösser  ist,  als  in  der  Glaubersalzlösung. 

In  Salzsäure  entsteht  an  der  Kupfermünze  wieder  ein 
sichtbares,  positives  Polfeld,  welches  erheblich  kleiner  ist  als 
das  bis  fast  zur  Mitte  oder  noch  darüber  hinaus  sich  ausdeh- 
nende graubraune  negative;  dies  positive  Polfeld  besteht  aus 
zwei  ganz  verschiedenen  Theilen:  einem  polar  gelegenen,  gerade 
abgegrenzten  schwarzblauen  und  darauf  aus  einem  eventuell 
ebenso  breiten, bloss  durch  einen  andersfarbigen  Metallschimmer 


168  W.  Roux, 

ausgezeichneten,  äquatorwärts   durch   eine   orange -kupferige 
Linie  begrenzten  Theil. 

Auch  im  negativen  Polfeld  kommen  wieder  mehrere  gerad- 
linig begrenzte,  grell  gegen  einander  abstechende,  in  sich  selber 
aber  fast  gleichartige  Zonen  von  Veränderungen  vor,  so  dass 
nicht  wohl  eine  nur  allmälige  Abnahme  der  Intensität  der  Ver- 
änderung vom  Pole  gegen  den  Äquator  angenommen  werden  kann. 

Wenn  die  Kupfermünze  nicht,  wie  gewöhnlich,  in  der  Mitte 
zwischen  beiden  Elektroden,  sondern  näher  der  Kathode  sich 
befindet,  so  wird  in  Salzsäure  das  positive  Polfeld  mit  seinen 
beiden  Abschnitten  grösser;  bei  Näherung  gegen  die  positive 
Elektrode  wird  das  negative  Polfeld  grösser  als  bei  Mittel- 
stellung. Verunreinigung  der  Salzsäure  mit  Kupfervitriol  alterirt 
sofort  die  relative  Grösse  beider  Polfelder  zu  einander. 

Wenn  eine  Kupfermünze  in  Kupfervitriol  durchströmt  und 
darnach  mit  Putzpulver  wieder  blank  geputzt  worden  ist,  so 
wird  bei  Durchströmung  in  Salzsäure  dies  frühere,  durch  den 
metallischen  Kupferniederschlag  gebildete  Polfeld  wieder  sichtbar 
und  die  Grenzlinie  des  früheren  Äquators  kann  im  Bereiche  des 
neuen  positiven  Polfeldes  unverändert  bleiben. 

Wird  ein  glatt  geschliffener  Kupferkreuzer,  mitten  zwischen 
beiden  Elektroden  liegend,  in  Kupfervitriollösung  durch- 
strömt, so  entsteht  ein  schwarzes,  anfangs  halbmondförmiges 
negatives  Polfeld,  welches  schmaler  ist  als  das  stets  durch  eine 
gerade  Linie  begrenzte,  mit  metallischem  Kupfer  beschlagene 
positive  Polfeld.  Bei  sehr  langer  Durchströmung  aber  (z.  B. 
10  Minuten)  wird  das  negative  Polfeld  allmälig  grösser,  sogar 
etwas  grösser  als  das  positive. 

Auf  dem  positiven  Polfeld  der  glatt  und  eben  abgeschlif- 
fenen Kupfermünzen  schlägt  sich  das  Kupfer  zuerst  an  den 
Randstellen  der  früher  erhabenen  Theile  der  weggeschliffenen 
Prägung  nieder;  auf  dem  negativen  Polfeld  haftet  nach  dem 
Wegwischen  des  Oxydes  letzteres  fester  an  den  früher  erhaben 
gebliebenen,  also  weniger  dichten  Stellen,  so  dass  auf  beiden 
Polfeldern  die  abgeschliffene  Schrift  und  sonstige  Prägung 
wieder  sichtbar  wird. 

Liegt  die  Kupfermünze  neben  der  negativen  Elektrode, 
so  wird  der  Äquator  gegen  sie  hin  concav,  bei  genügend  langem 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo. 


169 


Durchströmen  zugleich  parallel  contourirt,  und  beide  Polfelder 
sind  zuletzt  in  der  Mitte  gleich  breit;  neben  der  positiven  Elek- 
trode wird  der  Äquator  gegen  diese  concav;  beides  auch  (N.B.  in 
den  zu  allen  Versuchen  verwendeten,  runden  Glasschalen)  wenn 
die  Elektroden  eben  und  breiter  sind  als  die  Kupfermünze. 

Bei  fortgesetztem  Durchströmen  läuft  manchmal  der  Äquator 
im  Ganzen  trüb  an,  ohne  sich  vorher  noch  verschmälert  zu 
haben,  oder  bekommt  grosse  unregelmässige  Flecken,  was  beides 
wohl  nur  durch  Ausbreitung  der  auf  dem  sogenannten  katho- 
dischen Polfeld  des  metallischen  Intraelektrolyten  gebildeten 
Anionen  bedingt  ist. 

Über  den  zeitlichen  Gang  der  Verschmälerung  des  Äquators 
gibt  folgende  Tabelle  Auskunft.  Sie  wurde  durch  Versuche 
an  einem  auf  einer  Fläche  ebengeschliffenen  Kupferkreuzer 
von  Idmm  Durchmesser,  bei  mittlerer  Stellung  zwischen  den 
platten  Elektroden  von  32  mm  Abstand,  in  einer  runden  Schale 
von  40  fnm  Durchmesser  bei  einer  Stromstärke  von  anfangs 
etwa 03  Amperes  und  einer  Höhe  der  Flüssigkeit  von  \4mm 
gewonnen. 


Dauer  der 

Breite  des 

Durchströmung 

Äquators 

30" 

2  Ontm 

1' 

1-7 

2' 

1-3 

3' 

1-0 

4' 

0-8 

6' 

0  3 

8' 

0-2 

10' 

0-15 

12' 

0-13 

Die  letzten  Messungen  sind  bei  den  natürlich  nicht  ganz 
scharfen  Grenzlinien  bloss  Schätzungen,  und  die  Erwärmung 
der  Flüssigkeit  hatte  die  anfängliche  Stromstärke  erheblich 
erhöht.  Der  Äquator  ist  noch  zuletzt  vollkommen  blank;  die  Pol- 
felder dagegen  sind  unmittelbar  neben  ihm  gleich  intensiv  ver- 


170  W.  Roux, 

ändert.  Das  positive  Polfeld  war  schliesslich  in  der  Mitte  S'8  mm, 
das  negative  lOmm  breit.  Während  zuerst  das  positive  Polfeld 
rascher  wuchs,  änderte  sich  das  Verhältniss  zuletzt  in  um- 
gekehrtem Sinne.  Übrigens  ist  auch  die  Beschaffenheit  der  Metall- 
oberfläche von  erheblichem  Einflüsse  auf  die  absolute  und 
relative  Grösse  beider  Polfelder,  wie  auch  Froscheier  vom  selben 
Frosch  entsprechend  verschieden  reagirten.  Im  Bereiche  des 
negativen  Polfeldes  löst  sich  die  in  der  Umgebung  des  Poles 
gebildete  Masse  in  zusammenhängenden  breiten  Stücken  ab,  und 
beim  Abspülen  sieht  man,  dass  der  bezügliche  Bezirk  sich  mit 
einer  geraden  Linie  begrenzt.  Auch  sonst  treten  beim  Abspülen 
oder  Abwischen  wieder,  durch  gerade  oder  gebogene  Linien 
scharf  begrenzte  Zonen  verschiedenen  Verhaltens  im  negativen 
Polfeld  auf,  wie  auch  schon  vorher  solche  sichtbar  sind.  Im  Be- 
reiche des  positiven,  metallischen  Polfeldes  ist  dies  auch,  aber 
in  minderem  Maasse  der  Fall. 

Wurde  auf  eine  Kupfermünze  mit  Siccativ  ein  Netzwerk 
gezeichnet,  soreagirte  beim  Durchströmen  in  Kupfervitriollösung 
natürlich  nicht  jedes  begrenzte  und  vom  anderen  oberflächlich 
isolirteFeld  für  sich;  sondern,  dasie  unter  diesem  Netz  homogen 
verbunden  sind,  so  reagirt  das  Ganze  wie  gewöhnlich,  nur  fehlt 
an  den  mit  Harz  bedeckten  Stellen  die  Veränderung;  nach 
dem  Reinigen  springen  daher  auf  der  negativen  Seite  die  Netz- 
linien, auf  der  positiven  die  umschlossenen  Felder  vor;  im  Be- 
reiche des  Äquators  ist  von  der  früheren  Netzzeichnung  nichts 
mehr  zu  sehen. 

Durchströmt  man  die  bereits  einmal  in  Kupfervitriollösung 
durchströmte  Kupfermünze  nochmals,  aber  rechtwinkelig  zur 
früheren  Richtung,  siehe  Fig.  22,  so  bleibt  die  dem  früheren 
positiven  Polfeld  anliegende  Zone  a  des  primären  Äquators  auf 
der  Seite,  wo  sie  durch  die  Drehung  in  den  Bereich  des  neuen 
negativen  Feldes  gelangt  ist,  unverändert,  wird  nicht  schwarz; 
doch  dehnte  sie  sich  bei  meinen  V^ersuchen  vom  neuen  Äquator 
nur  ein  Stück  aus,  ohne  den  Rand  der  Münze  zu  erreichen.  Dies 
Verhalten  erinnert  wieder  an  die  unveränderten  Niveaulinien  der 
Messingkugeln  und  der  Froschgallenblase  bei  der  zweiten,  in 
anderer  Richtung  erfolgenden  Durchströmung  mit  dem  Wechsel- 
strom. Bei  länger  fortgesetzter  Durchströmung  ändert  jedoch  die 


Entwickeiungsmechanik  des  Embryo.  171 

blanke  Linie  hier  ihre  Richtung;  von  derselben  Ecke  des  Äquators 
ausgehend,  lenkt  sie  sich  allmälig  gegen  45*  ab  und  bildet  die 
Grenze  zweier  verschiedener  Theile  des  secundären  negativen 
Polfeldes,  nämlich  eines  grossen  Abschnittes,  bestehend  aus  den 
im  Bereiche  des  secundären  negativen  Polfeldes  gelegenen  An- 
theilen  des  primären  negativen  Polfeldes,  femer  des  primären 
Äquators,  sowie  des  an  letzteren  Theil  anstossenden  Stückes 
des  primären  positiven  Polfeldes,  innerhalb  welches  Therles  die 
frühere  Veränderung  vom  primären  Äquator  aus,  eben  unter 
V^erschiebung  der  sichtbar  gewordenen  Niveaulinie  a,  voll- 
kommen rückgängig  gemacht  worden  ist  und  die  gewöhnliche 
Oxydbildung  stattgefunden  hat. 

Beim  Abwischen  verliert  dies  aus  drei  ursprünglich  ver- 
schiedenen Theilen  gebildete  Stück  des  secundären  negativen 
Polfeldes  seine  schwarze  Bedeckung.  Das  übrige  Stück  des 
secundären  negativen  Polfeldes,  der  Zwickel  dagegen,  ist  nicht 
schwarz,  sondern  bloss  braunroth  geworden;  an  ihm  findet  sich 
das  Oxyd  an  früherem  Kupferniederschlag.  Es  finden  noch 
manche  andere  Besonderheiten  bei  aufeinanderfolgenden  Durch- 
strömungen in  verschiedenen  Richtungen  statt,  welche  Zeichen 
erst  allmäliger  Umarbeitungen  aus  den  früheren  Polfeldern  in 
die  der  neuen  Richtung  ensprechenden  sind;  doch  würde  ihre 
Mittheilung  über  unser  jetziges  Ziel  hinausgehen.  Dieselben  sind 
ausgeprägter,  wenn  die  primäre  Durchströmung  längere  Zeit 
gedauert,  also  kräftigere  Veränderungen  hervorgebracht  hat. 
Die  blank  bleibende  Linie  a  entsteht  dadurch,  dass  der  zwischen 
dem  primären  positiven  Polfeld  und  dem  neuen,  auf  dem  pri- 
mären Äquator  sich  anlegenden  negativen  Polfeld  liegende  Theil 
weniger  verändert  wird  als  der  übrige  Theil  des  Äquators;  aber 
wir  sind  nicht  in  der  Lage  zu  unterscheiden,  ob  dieser  Theil 
infolge  dieser  einem  Äquator  entsprechenden  Lagerung  sich  so 
verhält,  oder  ob  er  schon  von  der  ersten  Durchströmung  her  an 
sich  weniger  veränderlich  ist,  denn  auch  für  letztes  haben  wir 
in  unseren  Experimenten  Analogien  gefunden.  Da  diese  blanke 
Stelle  aber  wandert,  und  zwar  auf  das  früher  positive  Polfeld 
hin,  also  unter  Rüökbildurig  des  positiven  Niederschlages,  so 
bezeichnet  es,  dass  vom  primären  Äquator  aus  unter  Einwirkung 
des  sogenannten  Stromaustrittes  eine  solche  Rückbildung  sich 


172  W.  Roux, 

ausbreitet,  der  dann  die  typische  Oxydbildung  nachfolgt  und 
dass  zwischen  beiden  Gebieten  eine  gewisse  Strecke  frei  bleibt, 
an  welcher  also  die  Bedingungen  zur  Oxydation  fehlen  wie  bei 
einem  Äquator,  und  wohl  auch  aus  demselben  Grunde,  da  hier 
wieder  positives  und  negatives  Polfeld  einander  gegenüber- 
stehen, so  dass  also  die  erstere  obenerwähnte  Möglichkeit  hier 
wegfallt,  während  zugleich  im  ganzen  jetzt  negativ  gelagerten 
Theil  des  ursprünglich  positiven  Polfeldes  auch  schon  Verände- 
rungen vom  Charakter  eines  negativen  Polfeldes  vor  sich  gehen. 

Wenn  Kupferdraht  in  einprocentiger  Kochsalzlösung  mit 
einem  intermittirenden  Gleichstrom  so  lange  durchströmt  wird, 
dass  die  Flüssigkeit  siedet,  läuft,  entsprechend  dem  schon  für 
den  Wechselstrom  mitgetheilten  Verhalten,  der  Äquator  trüb 
an,  mit  Ausnahme  seiner  beiden  Randlinien,  welche  also  wieder 
besonders  beschaffene,  weniger  veränderliche  Niveau- 
linien darstellen. 

Für  die  Ableitung  der  im  Wechselstrom  beobach- 
teten Erscheinungen  aus  denen  des  Gleichstroms  sind 
zunächst  zwei  Fälle  zu  unterscheiden:  Erstens  die  Fälle,  in 
denen  beim  Gleichstrom,  infolge  der  specifischen  Natur  oder  in- 
folge geringer  Stromstärke,  kein  Polfeld  die  Mitte  über- 
schreitet; dann  können  sich  die  Wirkungen  beider  entgegen- 
gesetzt gerichteten  Ströme  innerhalb  jeder  Seite  und  an  jedem 
Ort  aufeinandersetzen.  Da  schon  beim  Gleichstrom  die  Polfelder 
verschiedene  Zonen  hatten,  so  werden  diese  Verhältnisse  ziem- 
lich complicirt  sein,  und  wir  sehen  davon  ab,  sie  im  Einzelnen 
zu  verfolgen,  zumal  da  an  unseren  lebenden  Objecten  keine 
entsprechenden  zonalen  Erscheinungen  aufgetreten  sind.  Uns 
interessirt  daher  allein  noch  die  Localisation  des  Äquators  und 
die  Erscheinungen  an  den  Niveaulinien.  Da  beide  Polfelder  im 
Gleichstrom  gewöhnlich  ungleich  gross  sind,  der  Äquator  also 
nicht  in  der  Mitte  liegt,  so  gibt  es  bei  entsprechendem  Wechsel- 
strom einen  mittleren  Äquatorabschnitt,  der  für  beide  Strom- 
richtungen reiner  Äquator  ist,  also  auch  im  Wechselstrom  un- 
verändert bleiben  wird,  und  daneben  einen  Saum,  der  je  nach 
der  Stromrichtung  bald  Äquator,  bald  Rand  des  grösseren  Pol- 
feldes ist.  In  diesem  Bereiche  ist  natürlich  eine  andere  Wirkung 
zu  erwarten. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  173 

Überschreitet  zweitens  ein  Polfeld  im  Gleichstrom 
die  Mittellinie,  so  müsste  bei  entsprechendem  Wechselstrom 
eine  mittlere  Zone  entstehen,  in  der  bei  jeder  von  beiden  Strom- 
richtungen dies  Polfeld  vorhanden  ist,  wo  die  Veränderungen 
sich  also  steigern,  so  dass  in  der  Mitte  somit  kein  Äquator  wäre. 
Daneben  käme  dann  wieder  jederseits  eine  Zone,  wo  abwech- 
selnd der  Äquator  und  das  grössere  Polfeld  sich  finden,  so  dass 
hier  eine  Stelle  geringerer  Veränderung  vorhanden  wäre.  Dar- 
auf folgt  nach  aussen  ein  dritter  Abschnitt  von  der  Grösse  des 
kleineren  Polfeldes  im  Gleichstrom,  wo  immer  Polfelder- 
veränderung stattfindet,  abwechselnd  positive  oder  negative; 
dass  sich  diese  aufeinandergesetzten  positiven  und  negativen 
Veränderungen  nicht  aufheben,  haben  wir  gesehen,  da  wir  kräf- 
tige, mit  der  Durchströmungsdauer  sich  steigernde  Verände- 
rungen an  dieser  Stelle  erhalten  haben.  Es  muss  fraglich  er- 
scheinen und  bleiben,  ob  auf  diese  Weise  diejenigen  Fälle  zu 
erklären  sind,  in  denen  wir  einen  veränderten  Äquator  von  zwei 
Zonen  geringerer  Veränderung  eingefasst  erhielten,  da  ich  keine 
Versuche  gemacht  habe,  um  die  Richtigkeit  dieser  Ableitungen 
zu  prüfen. 

Ähnliches  geschieht  auch  ohne  Sieden,  und  zwar  viel  deut- 
licher, wenn  der  Salzlösung  eine  Spur  Salzsäure  zugesetzt  war. 
Dann  erhält  man  mitten  im  Äquator  zwei  dunkle  Linien,  die 
durch  eine  hellere  getrennt  sind. 

Weiterhin  prüfte  ich  noch  an  Metallmodellen  direct  das 
Verhalten  der  Formen  einiger  früher  durchströmter,  compli- 
cirter  gestalteter  organischer  Gebilde. 

Bezüglich  der  Morula  wurde  eine  aus  einer  Bim  geschnit- 
tene oder  aus  Wachs  gebildete  und  mit  10  halbkreisförmig  vor- 
springenden, einander  fast  berührenden  Vorvvölbungen  ver- 
sehene Scheibe  mit  sogenanntem  Silberblatt  überzogen  und 
durchströmt;  diese  reagirte,  wie  schon  aus  dem  früher  Mitge- 
theilten  sich  ergibt,  als  Ganzes  mit  Bildung  zweier  Polfelder 
und  eines  Äquators,  nicht  aber  jeder  Buckel  für  sich.  Nur  wurden 
wieder  wie  bei  dem  Stern  aus  Blei  zuerst  die  direct  bestrahlten, 
später  erst  die  der  nächstgelegenen  Elektrode  abgewendeten 
Theile  der  Buckel  verändert,  und  erst  bei  längerer  Durchströ- 
mung findet  auch  eine  Veränderung  in  der  Tiefe  der  F'urchen 


174  W.  Roux. 

zwischen  den  im  Bereiche  der  Polfelder  gelagerten  Buckeln 
statt,  zuletzt  an  den  mehr  seitlich  dem  Äquator  nahen,  also 
schwächer  bestrahlten  und  zugleich  mehr  in  Schattenrichtung 
liegenden  Furchen. 

Diese  Reaction  als  Ganzes  entspricht  also  der  Reaction  der 
durch  Carbolsäure  geschwächten  Morula. 

Beklebt  man  bloss  die  gewölbte  Seite  jedes  Buckels  mit 
einem  besonderen  Stückchen  Silberblatt,  welches  dasderNachbar- 

schaft  nicht  berührt,  so  erhält  beim  Durchströmen  jede  Vorwöl- 
bung auf  dieser  Aussenfläche  zwei  durch  einen  Äquator 
getrennte  Polfelder.  Dies  entspricht  nicht  dem  Verhalten  der 
lebenskräftigen  Morula,  deren  Zellen,  von  denen  der  Äquator- 
gegend des  Eies  abgesehen,  aussen  bloss  ein  einziges  Polfeld 
zeigten.  Wird  jedoch  ausser  der  freien  convexen  Fläche  der 
Vorwölbung  auch  noch  ein  jeder  Vorwölbung  zugehöriges 
Stück  der  grossen  Seitenfläche  der  Scheibe  mit  Stanniol  be- 
klebt, so  entsteht  ein  Polarisationsbild,  welche  an  den  convexen 
Flächen  dem  der  lebenskräftigen  Morula  fast  vollständig  gleicht. 
Jeder  Abschnitt  hat  wieder  zwei  Polfelder,  von  denen  aber  an 
den  demPolbezirk  zugehörigen Theilen  das  eine  auf  die  grosse 
Seitenfläche  (also  ins  Innere  der  Morula)  fällt  und  daher  an  der 
Morula  von  aussen  nicht  sichtbar  sein  würde,  so  dass  man  von 
aussen  bloss  ein  einziges  Polfeld  und  den  Äquator  wahrnimmt. 
Aber  an  den  mehr  lateralen  Abschnitten  kommen  wieder  zwei 
Polfelder  aussen  zum  Vorschein,  was  bei  der  Morula  bloss  an 
den  direct  am  elektrischen  Äquator  des  Ganzen  gelegenen  Zellen 
der  Fall  war.  Es  fehlt  hier  aber  auch  der  Schatten  durch  die 
bei  der  kugeligen  Morula  vorhandenen  Nachbarzellen. 

Um  die  Wirkung  der  Gestalt  der  noch  complicirter  ge- 
formten Embryonen  direct  zu  prüfen,  schnitt  ich  das  Nach- 
bild eines  schon  mit  Kiemenhöckern  versehenen  Embr^'o  aus 
einem  Stückchen  Blei.  Nach  kurz  dauernder  Durchströmung 
desselben  in  verschiedenen  Richtungen  zeigten  sich  die  früher  an 
den  Froschembryonen  beobachteten  Gestalten  des  Äquators.  Bei 
etwas  länger  dauernden  Durchströmungen  entstanden  dagegen 
durch  das  Schwinden  des  Schattens  bedingte  Abweichungen. 

Bisher  wurden  Metalle  in  Flüssigkeiten,  also  vielmal  besser 
als  der  Elektrol  vt  leitende  Substanzen  durchströmt  und  die  Locali- 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  1'5 

sation  der  Polfelder,  also  des  Stromfädeneinfalles  und  -Austrittes 
studirt  Die  von  uns  untersuchten  organischen  Körper  dagegen 
leiten  millionenmal  schlechter  als  Metalle;  nach  meinen  rohen,  mit 
Hilfe  des  wenig  empfindlichen  Galvanoskopes  und  bloss  mit 
polarisirbaren  Elektroden  angestellten  Versuchen  schätzte  ich 
das  Leitungsvermögen  der  Froscheier  etwa  gleich  dem  der  7$' 
procentigen  Kochsalzlösung.  Da  wir  Eier  und  Embryonen  auch 
in  besser  als  sie  selber  leitenden  Flüssigkeiten,  in 
stärkerer  Kochsalzlösung  und  in  Schwefelsäurelösung  untersucht 
haben,  so  wollte  ich  auch  das  Verhalten  von  anorganischen 
Körpern  in  besser  als  sie  leitenden  Elektrolyten  direct  prüfen. 

Zu  diesem  Zwecke  machte  ich  Kugeln  aus  mit  Wasser 
zubereitetem  Mehl teig,  wälzte  sie,  um  sie  reactionsfähig  zu 
machen,  in  Messingfeilspähnen  und  durchströmte  in  4%  Koch- 
salzlösung. Bei  Anwendung  des  Wechselstroms  erhielt  eineKugel 
von  19  ww  Durchmesser,  wie  erwartet,  Andeutungen  eines 
schwärzlichen  Äquators,  und  zwar  von  11  mm  Breite,  in 
VtVo  Kochsalzlösung  von  bloss  6  mm  Breite;  jedoch  war  die 
Schwärzung  bloss  oben  und  unten,  als  an  den  durch  die  nahen 
Abgrenzungen  des  Feldes  besonders  begünstigten  Stellen,  gut 
ausgeprägt  und  scharf  contourirt.  Die  Pole  dagegen  blieben  un- 
verändert 

Einen  vollkommen  ausgebildeten  schwarzen  Äquator  er- 
hält man,  wenn  man  eine  mit  Messingspähnen  betupfte  Wachs- 
kugel durchströmt;  solche  Kugel  wird  richtig  äquatorisirt 
statt  polarisirt.  Dieser  Äquator  bestand  aus  6 — 8  parallelen  ring- 
förmigen, aber  nicht  continuirlich  ringsherum  gehenden 
schwarzen  Streifen  von  verschiedener  Breite,  die  durch  gelb  ge- 
bliebene, breitere  oder  schmälere  Ringstreifen  getrennt  sind. 
Erstere  bestehen  meist  aus  Gruppen  von  Messingspähnen,  von 
welchen  jeder  zwei  schwarze  Polfelder  und  einen  gelben  Äquator 
hat.  Manchmal  findet  man  auch  Spähne  ganz  schwarz  gefärbt; 
diese  standen  wohl  mit  anderen  in  leitender  Berührung,  so  dass 
nicht  jeder  für  sich  Polfelder  und  Äquator  bilden  konnte.  Eine 
mit  einem  Goldblättchen  überzogene  Wachskugel  bildet  da- 
gegen natürlich  wieder  veränderte  Polfelder  bei  unverändertem 
Äquator.  Wird  die  mit  Messingspähnen  bestreute  Wachskugel 
mit  dem  Gleichstrom  behandelt,  so  entstehen  am  Äquator  un- 


176  W.  Roux, 

mittelbar  nebeneinander  zwei  verschiedene  Zonen,  gegen  die 
Anode  hin  eine  schwärzliche,  gegen  die  Kathode  eine  gelblich- 
grüne, so  dass  also  der  beim  Wechselstrom  gleichartige  Äquator 
jetzt,  entsprechend  der  Verschiedenheit  der  Anode  und  Kathode, 
durch  zwei  veränderte  Äquatoren  vertreten  wird. 

Um  auch  Körper,  welche  nur  wenig  besser  leiten  als 
die  Flüssigkeit,  zu  prüfen,  wurde  Mehl  mit  löprocentiger, 
noch  mit  Kochsalz  und  Glaubersalz  versetzter  Schwefelsäure 
angerührt  und  die  daraus  gebildete,  mit  Messingspänen  be- 
streute Kugel  bis  zum  Sieden  in  Wasser  durchströmt,  welchem 
ein  wenig  halbprocentiger  Kochsalzlösung  zugesetzt  war,  weil 
sonst  der  Strom  zu  schwach  war,  um  eine  deutlich  begrenzte 
Reaction  zu  veranlassen;  es  entstanden,  wie  zu  erwarten,  nur 
kleine  schwärzliche  Polfelder. 

Wenn  Körper  von  verschiedenem  Leitungsver- 
mögen sich  berührend  umschliessen,  so  muss  je  nach 
der  positiven  oder  negativen  Differenz  des  Leitungsvermögens 
des  inneren  Körpers  gegen  den  äusseren  und  dieses  gegen  den 
Elektrolyten  an  der  Grenzschicht  derselben  eine  verschieden 
gelagerte  Reaction  erfolgen. 

Dieses  darzustellen,  machte  ich  eine  oberflächlich  mit 
Messingspänen  versehene  Wurst  aus  mit  Wasser  angerührtem 
Mehlteig,  und  umgab  sie  mit  einer  Schicht  von  schwefelsaurem 
Teig,  der  aussen  gleichfalls  mit  Messingspänen  bestreut  ward. 
Bei  querem  Durchströmen  in  Wasser  mit  wenig  Kochsalz  ent- 
standen aussen  am  schwefelsauren  Teig  schwarze  Polfelder, 
innen  an  dem  Wasserteig  ein  schwarzer  Äquator,  und  die  in 
ihrer  Lage  den  äusseren  Polfeldern  entsprechenden  Polseiten 
blieben  unverändert.  Wurde  umgekehrt  eine  Messingkugel  (von 
25  mm)  mit  Wasserteig  umgeben  bis  zur  Grösse  einer  Kugel 
von  \2'mm,  diese  mit  Messingspänen  bestreut  und  in  27o 
Kochsalzlösung  durchströmt,  so  entstand  aussen  natürlich  wieder 
ein  schwarz  geringelter  Äquator  bei  unveränderten  Polseiten, 
während  die  umschlossene  Messingkugel  grüne  Polfelder  und 
einen  unveränderten  Äquator  darbot,  welch  letzterer  in  seiner 
Lage  natürlich  dem   äusseren  schwarzen  Äquator   entsprach. 

Die  Ursache  der  so  specifisch  localisirten  Veränderungen 
am  metallischen  Intraelektrolyten  wird  zweifellos  wesentlich  in 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  177 

dem  entsprechend  localisirten  Ein-  und  Austritt  von  Stromfäden 
bestehen.    Immerhin  aber  haben  wir  mehrfache  Verhältnisse 
kennen  gelernt,  welche  nicht  von  dieser  Annahme  sich  ableiten 
lassen.  Es  ist  klar,  dass  gegen  die  Polenden  eines  Intraelektro- 
lyten,  welcher  besser  leitet  als  der  Elektrolyt,  die  Stromfaden 
wie  aspirirt  convergiren  müssen,  um  so  mehr,  je  grösser  diese 
Leitungsdiflferenz  ist,  und  zwar  gegen  die  der  betreffenden  Elek- 
trodenächsten Theile  in  stärkerem  Maasse,  als  gegen  die  von  der 
Elektrode  entfernteren  Theile  des  Intraelektrolyten,  und  dass 
daher  in  der  Mitte  der,  in  mittlerer  Stromrichtung  gemessenen, 
Länge  des  Gebildes  eine  Stelle  geringsten  Stromeinfalles  vor- 
handen ist.  Trotzdem  müssen  jedoch  auch  an  letzterer  Stelle 
Stronnfaden   einfallen,    respective   austreten,    und  diese  Stelle 
müsste  daher  bei  längerer  Durchströmung  verändert  werden, 
da,  entgegen  Farad  ay's  früheren  Angaben,  festgestellt  worden 
ist,  dass  auch  der  schwächste  galvanische  Strom  Elektrolyse 
hervorbringt,    sofern  keine   elektromotorische  Eigenkraft  wirk- 
sam ist  Die  Polfelder  müssten  ferner  gegen  diese  Stelle  hin 
stetig  an  Intensität  der  Veränderung  abnehmen,  so  dass  eine 
schroffe  Grenze  des  Polfeldes  nicht  existirte.  Statt  dessen  haben 
wir,  zum  Beispiel  beim  Kupfer  einen  blank  bleibenden  Äquator 
erhalten,    der   ohne   Übergang   durch     eine   stark   veränderte 
Schicht  begrenzt  ward. 

Dies  würde  sich  beim  Gleichstrom  ohne  Weiteres  durch 
den  von  Roiti  und  Volterra  angenommenen  negativen  Polari- 
sationsstrom erklären,  welcher  durch  die  Flüssigkeit  über 
den  Äquator  weg  circulirt,  und  diejenigen  Stromtheile,  die 
nicht  stärker  sind  als  er  selber,  vernichtet.  Auch  bei  Anwen- 
dung des  Wechselstromes  lässt  sich  dieselbe  Erklärung 
anwenden;  denn  während  jeder  Phase  ist  er  ein  Gleichstrom, 
der  durch  die  bewirkten  beiderseitigen  polaren  Veränderungen 
einen  negativen  Polarisationsstrom  hervorruft,  der  nur  eben 
mit  dem  primären  Strom  seine  Richtung  wechselt,  aber  sich 
immer  von  ihm  subtrahirt 

Wir  haben  aber  auch  Erscheinungen  kennen  gelernt, 
vvelcheauf  diese  Weise  nicht  zu  erklären  sind,  zum  Beispiel  die 
beim  Durchströmen  von  Blei  in  halbprocentiger  Kochsalzlösung 
beobachtete  Thatsache,  dass  das  negative  Polfeld  nicht  conti- 

Sitzb.  d.  mathcm.-naturw.  GL ;  CI.  Bd.  Ahth.  III.  1 2 


1 


178  W.  Roux, 

nuirlich  ist,  sondern  dass  ihm  eine  Linie  besonderer  Verände- 
rung vorausgeht,  welche  vom  Hauptpoifeid  längere  Zeit  durch 
eine  unveränderte  Zone  getrennt  ist,  so  dass  zwei  blanke 
Stellen  (zwei  Äquatoren?)  vorhanden  sind;  ferner  dass  gewöhn- 
lich nur  das  kathodische  Polfeld  eine  schroffe  Grenze  hat, 
während  das  anodische  Polfeld  allmälig  gegen  den  Äquator 
ausläuft.  Dessgleichen  die  Beobachtung,  dass  an  sehr  dünnen 
querdurchströmten  Metallplatten  der  Äquator  bei  schwachem 
Strom  schmaler  wird  als  bei  starkem  Strom,  während  sich  an 
in  der  Stromrichtung  ausgedehnteren  Metallkörpern  dieses 
Verhältnis  umkehrt.  Dies  weist  darauf  hin,  dass  noch  andere 
Momente,  darunter  auch  formale  Verhältnisse,  eine  erhebliche 
Rolle  mit  spielen,  dass  also  die  Sachlage  eine  erheblich  compli- 
cirtere  ist.  Hierauf  deuten  auch  die  bei  einer  zweiten,  in  anderer 
Richtung  erfolgenden  Durchströmung,  selbst  bei  Anwendung 
des  Wechselstromes  unverändert  bleibenden  Niveaulinien  der 
ersten  Durchströmung  hin.  Andererseits  kann  im  Sinne  des 
Polarisationsstromes  das  Zurückweichen  des  zuerst  entstandenen 
grossen  negativen  Polfeldes  beim  Auftreten  des  positiven  Pol- 
feldes gedeutet  werden.  Als  Nichtfachmann,  und  um  mich  nicht 
zu  sehr  in  ein  mir  ferner  stehendes  Thema  zu  vertiefen,  nahm  ich 
Abstand  davon,  die  Aufklärung  dieser  Verhältnisse  zu  versuchen. 

Ich  wünschte  aber  wenigstens  ein  eigenes  Urtheil  über 
den  Verlauf  der  Stromfäden  zu  gewinnen,  besonders  dess- 
halb,  weil  wir  vielfach  dieselben  Localisationen  der  polaren  Ver- 
änderungen wie  an  Metallen  auch  an  organischen  Gebilden,  welche 
kaum  oder  nicht  besser  leiten  als  der  Elektrolyt,  beobachtet  haben. 
In  Ermangelung  eines  geeigneten  Galvanometers  konnte  ich  die 
Niveauflächen  nicht  durch  Einsetzen  der  Drahtenden  aufsuchen, 
was  auch  bei  unseren  Verhältnissen  äusserst  mühsam  gewesen 
wäre.  Ich  verwandte  daher  die  Beobachtung,  dass  der  Äquator 
von  intraelektrolytär  durchströmten  Kugeln  die  Richtung  der 
Niveauflächen  der  betreffenden  Stelle  des  die  Kugel  umgebenden 
Feldes  annimmt,  also  eine  directe  Construction  des  recht- 
winkelig zu  ihm  erfolgenden  Verlaufes  des  mittleren  Stromfadens, 
auch  für  den  Fall  der  Abwesenheit  dieser  Kugeln  gestattet. 

Umgibt  man  einen  geraden,  in  der  Verbindungsrichtung 
der  Elektrode   liegenden   Bleistab   mit  mehreren  Reihen  von 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  1 '  9 

2bntm  grossen,  im  Abstand  eines  Radius  oder  darüber  auf- 
gesetzten Messingkugeln,  so  erhält  man  beim  Durchströmen 
in  halbprocentiger  Kochsalzlösung  mit  dem  Wechselstrom  rasch 
ein  klares  Bild  über  den  Gang  der  Stromfaden,  wie  es  zum 
Beispiel  in  Fig.  23  dargestellt  ist. 

Man  ersieht,  dass  gegen  die  beiden  Polenden  und  die 
anliegenden  Theile  Stromfaden  weit  von  der  Seite  her  conver- 
giren,  so  dass  sie  an  den  Enden  sehr  dicht  stehen  müssen 
und  an  den  Seiten  fast  senkrecht  zur  Oberfläche  des  Intra- 
elektrolyten  eintreten.  Gegen  die  Mitte  des  Stabes  zu  nimmt 
die  Dichtigkeit  der  Stromfaden  und  ihr  Einfallswinkel  ab;  und 
neben  der  Mitte  selber  zeigt  die  daselbst  befindliche  Kugel 
nach  lange  fortgesetzter  Durchströmung  an,  dass  die  spärlichen 
Stromfaden  hier  der  Oberfläche  parallel  verlaufen;  aber  die 
Contouren  der  Polfelder  bekunden,  dass  diese  Stromfäden  von 
aussen  her  gekommene,  gegen  den  Intraelektroly  ten  eingebogene, 
aber  ihn  nicht  erreichende  sind,  und  auch  gleich  wieder  sich 
nach  aussen  abbiegen.  Beim  Blei  ist  der  Äquator  sehr  klein: 
und  man  kann  daher  hier  am  geraden  Stabe  nicht  erkennen,  ob 
auf  ihn  selber  Stromfaden  einfallen. 

Um  dies  beurtheilen  zu  können,  eignet  sich  besser  ein 
Kupferdraht,  der  in  dem  gleichen  Elektrolyten  durchströmt  wird. 
Man  sieht  daselbst  an  den  Kugeln,  welche  neben  dem  breiten 
Äquator  stehen,  der  sich  in  der  Mitte  etwas  verdunkelt  und 
an  den  beiden  Seiten  zu  frischer  Kupferfarbe  aufhellt,  dass 
Stromfaden  auch  in  den  breiten  hellen  Theil  einfallen  müssen. 
Da  bei  diesem  Metall  die  Polfelder  unmittelbar  neben  dem 
Äquator  sogleich  stark  verändert  sind,  deutet  dies  schon  an,  dass 
hier  ein  kräftigerer  Polarisationsstrom  zwischen  den  Polfeldern 
bestehen  muss  als  bei  den  ganz  allmälig  gegen  den  Äquator 
schwächer  werdenden,  und  mit  kaum  deutlich  wahrnehmbarer 
Grenze  endenden  Polfeldern  des  in  Kochsalzlösung  durch- 
strömten Bleies. 

Darauf  durchströmte  ich  unter  gleichen  Umständen  einen 
Stanniolstreifen  von  33  ium  Länge  (siehe  F'ig.  24)  in  Glauber- 
salzlösung, welcher  Streifen  aber  in  der  Mitte  derart  ge- 
bogen war,  dass  er  einen  rechtwinkelig  zu  ihm  stehenden 
Vorsprung  von  2*0  mm  hatte.    Die    Kugeln   zu  beiden   Seiten 

12- 


180  W.  Roux, 

des  letzteren  bekamen  erst  nach  sehr  langem  Durchströmen 
Polfelder,  und  zwar  jede  deren  drei,  ein  äusseres,  schräges 
zuführendes,  ein  kleines  gegen  den  nächsten  Theil  des  Balkens, 
und  ein  drittes,  gegen  den  Vorsprung  gewendetes,  so  dass 
diesem  letzteren,  sowie  dem  anstossenden,  zwischen  aa  sich 
erstreckenden  Äquator  sicher  Stromfäden  zugeführt  werden.  Sie 
werden  aber  entweder  zu  schwach  sein,  um  sichtbare  Wirkung 
hervorzubringen,  oder  sie  werden  ganz  durch  den  Polarisations- 
strom in  ihrer  Wirkung  annullirt;  da  der  durch  Biegung  des  Stan- 
niolstreifens gebildete  Vorsprung  doppelte  Wandung  besitzt, 
zwischen  welcher  in  der  Mitte  der  Elektrolyt  eingedrungen  ist, 
muss  der  Polarisationsstrom  auch  den  ganzen  Vorsprung  durch- 
setzen. 

Schliesslich  prüfte  ich  noch  einen  rechten  Winkel  aus 
Blei,  dessen  einer  Schenkel  in  Niveauflächenrichtung  steht,  um 
zu  sehen,  wie  sich  die  Stromfäden  zu  derjenigen  Fläche  des- 
selben verhalten,  welche  gegen  den  längs  des  Stromes  gestellten 
Schenkel  gewendet  ist,  und  welche,  wie  oben  mitgetheilt,  bei 
der  Durchströmung  unverändert  bleiben  kann,  sofern  der  Quer- 
schenkel nicht  zu  hoch  im  Verhältnisse  zu  dem  anderen 
Schenkel  und  den  sonstigen  Verhältnissen  ist.  Hier,  in  Fig.  25, 
entstand,  aber  erst  nach  langem  Durchströmen,  ein  ganz 
schwaches  centrales  Polfeld. 

Die  Figur  zeigt  durch  die  schmalen  schwachen  Polfelder 
der  Kugel,  dass  gegen  diese  Fläche  hin  einige  wenige  Strom- 
fäden divergirend  ausstrahlen;  ferner  ist  aus  den  grossen 
dunklen  Polfeldem  der  oberen  Kugeln  zu  erkennen,  dass  ein 
dichter  Zug  von  Stromfäden  an  der  freien  Kante  des  Quer- 
schenkels vorbei  nach  aussen  abbiegt.  Es  ist  interessant,  aus 
welcher  Ursache  dies  geschieht.  Die  rechtwinkelig  anstossende 
schmale  Seitenfläche  ist  stark  verändert  von  der  jenseitigen 
(linken)  Elektrode  aus;  und  wir  haben  früher  gesehen,  dass 
diese  Veränderung  sogar  noch  über  die  Seitenkante  weg  ein  wenig 
auf  die  rechte  Hauptfläche  übergreifen  kann.  Warum  aber  bleibt 
diese  grosse  Fläche  im  Übrigen  fast  frei,  unter  Abbiegung  eines 
von  der  anderen  Elektrode  herauf  siegerichtetendichtenStromes.^ 
Es  scheint  mir  desshalb,  weil  die  links  eintretenden  Fäden  nach 
dem  Ohm'schen  Gesetz  grösstentheils  durch  den  metallischen 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  181 

Längsschenkel  fortgeleitet  werden,  so  dass  nur  ein  kleiner 
Theil  den  Weg  durch  die  Flüssigkeit  nimmt,  und  der 
Polarisationsstrom,  der  über  die  Öffnung  des  Winkels  zwischen 
beiden  Polfeldern  verläuft,  vernichtet  sie  wohl  grösstentheils. 
Man  könnte  nun  fragen :  Warum  dringen  aber  nicht  die  von 
der  rechten  Elektrode  ausgehenden  dichten,  gegen  diese  Fläche 
gerichteten  Stromfaden  in  sie  ein,  sondern  biegen  plötzlich 
seitwärts  ab?  Wenn  sie  einen  anderen  Weg,  als  die  von  der 
anderen  Elektrode  ausgehenden  Stromfaden  nehmen  könnten, 
würden  sie  dies  wohl  thun;  da  es  nicht  geschieht,  scheint  sich 
hier  die  Nothwendigkeit  der  Identität  der  Wege  beider  elektri- 
scher Ströme  auszusprechen,  sofern  die  dualistische  Elektrici- 
tätstheorie  die  richtige  ist;  für  die  unitarische  Theorie  besteht 
diese  Eventualität  erst  gar  nicht. 

Nach  diesen  Beobachtungen  des  Verlaufes  der  Strom- 
fäden im  Wechselstrom  konnte  es  überflüssig  scheinen, 
denselben  Versuch  noch  mit  dem  Gleichstrom  zu  wider- 
holen, denn  es  war  vorauszusehen,  dass  der  Verlauf  derselben 
ganz  der  gleiche  sei.  Indess  gewohnt,  auch  scheinbar  selbst- 
verständlichen Ableitungen  nicht  eher  zu  trauen,  als  bis  sie 
sich  bewahrheitet  haben,  stellte  ich  einen  Probeversuch  an, 
und  erhielt  ein  überraschend  abweichendes  Resultat,  welches 
in  Fig.  26  dargestellt  ist.  Von  fünf,  neben  der  in  der  Ver- 
bindungsrichtung der  Elektrode  stehenden  Längskanten  der 
Bleiplatte  in  annähernd  gleichen  Abständen  aufgestellten 
Messingkugeln  bildete  beim  Durchströmen  in  achtprocentiger, 
mit  etwas  verdünnter  Schwefelsäure  versetzter  Kochsalzlösung 
die  links  an  der  Ecke  des  negativen  Poles  aufgestellte  Kugel 
ein  negatives,  braunes  Polfeld  von  einer  Richtung  seiner  Grenze, 
welche  bekundet,  dass  die  Stromfäden  gegen  die  Bleiplatte  nur 
sehr  wenig  convergiren;  das  Polfeld  der  zweiten  Kugel  stand 
auch,  aber  noch  weniger  in  dieser  Weise  schief;  die  dritte 
entwickelte  ein  kathodisches  Polfeld  von  geringer  Grösse  mit 
rechtwinkelig  zur  Kante  der  Bleiplatte  stehendem  Grenzcontour, 
so  dass  also  die  Stromfaden  hier  parallel  der  Seitenkante  der 
Bleiplatte  verlaufen.  Die  vierte  Kugel,  welche  schon  neben 
dem  positiven  Polfelde  liegt,  hat  nicht  deutlich  reagirt;  die 
fünfte,   neben  dem  Anfang  des  positiven  Polfeldes  liegende» 


182  W.  Roux, 

hat  ein  deutliches  negatives  Polfeld,  welches  andeutet,  dass 
die  Stromfäden  hier  stark  von  der  Seite  her  gegen  den  Stab 
convergiren.  Die  seitlich  befindliche,  zweite  parallele  Reihe 
von  Kugeln,  zeigt  an,  dass  der  Strom  durch  alle  Kugeln  unab- 
gelenkt  in  der  Verbindungsrichtung  der  Elektroden  verläuft 

Das  Resultat  ist  also  ein  wesentlich  anderes  als  das  mit 
dem  Wechselstrom  gewonnene.  Die  Stromfäden  des  Gleich- 
stromes convergiren  nur  äusserst  weniggegen  den  kathodischen 
Theii  des  Bleistückes,  obgleich  das  negative  Polfeld  weit  über 
die  Hälfte  der.  ganzen  Platte  einnimmt,  und  früher  entsteht  als 
das  kleine  positive  Polfeld.  Das  Fehlen  der  Veränderung  an 
den  Kugeln  neben  dem  Äquator  und  in  der  Nähe  desselben 
kann  auf  den  durch  die  Flüssigkeit  geschlossenen  Gegenstrom 
zurückgeführt  werden. 

Den  abweichenden  Verlauf  der  Stromfäden  von  demjenigen 
beim  Wechselstrom  vermuthete  ich  dadurch  bedingt,  dass  das 
kathodische  Polfeld  sehr  schlecht  leitet,  was  sich  um  so  mehr 
geltend  machen  musste,  als  die  Messingkugeln  im  Gleichstrom 
nur  schwach  reagirten.  Dadurch  wurde  lange  fortgesetztes 
Durchströmen  nöthig,  um  deutlich  abgegrenzte  Polfelder 
hervorzubringen,  während  dessen  auch  der  Polfeldbelag  des 
Bleistückes  ein  ziemlich  dicker  wurde.  Unsere  Beobachtung 
stellt  also  nicht  den  Verlauf  der  Stromfäden  gegen  das  blanke 
Metall,  sondern  nur  das  Verhalten  gegen  die  stark  veränderten 
Polfelder  fest. 

Um  die  Wirkung  der  kathodischen  Veränderimg  auf  den 
Stromeintritt  vielleicht  abschwächend  zu  variiren,  bog  ich  aus 
einem  Platin  blech  ein  Kästchen  zusammen,  und  legte  es 
statt  der  Bleiplatte  in  den  Strom.  Jetzt  zeigten  die  Messing- 
kugeln, welche  neben  die,  wieder  in  Richtung  der  Verbindungs- 
linie der  Elektroden  gelegene,  Seitenkante  aufgesetzt  worden 
waren,  durch  die  Richtung  ihres  kathodischen  Polfeldes  einen 
etwas  stärkeren  Stromfädeneintritt  von  der  Seite  her  an,  aber  nur 
nahe  an  den  Polkanten  und  immer  noch  mit  viel  geringerer 
Conv-ergenz  von  den  Seiten  her  gegen  das  Metall  als  bei  dem 
zum  Vergleiche  hinterher  vorgenommenen  Durchleiten  des 
(allerdings  mindestens  dreimal  stärkeren)  Wechselstromes. 
Zwischen    den    längs  der    Mitte   aufgestellten    Kugeln    läuft 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  183 

der  Gleichstrom  wieder  parallel  der  Seitenkante  des  Intra- 
elektrolyten  und  erfahrt  selbst  neben  dem  Äquator  des  Platins 
keine  so  erhebliche  Abschwächung  wie  beim  Blei  im  Gleich- 
strom. Dagegen  boten  beim  Durchströmen  eines  Messing- 
balkens in  Kochsalzlösung  mit  dem  Gleichstrom  die  längs 
der  Kante  aufgestellten  Messingkugeln  eine  Neigung  ihrer 
Äquatoren  gegen  den  Balken  dar,  welche  auf  einen  ebenso 
ausgedehnten  seitlichen  Eintritt  von  Stromfäden  hinweist,  wie 
wir  ihn  gegen  einen  Kupferdraht  im  Wechselstrom  gesehen 
haben. 

Da  die  Leitungsdififerenz  zwischen  Elektrolyt  und  Intra- 
elektrolyt  auf  den  Verlauf  der  Stromfäden  im  ersteren  von 
grossem  Einfluss  ist,  und  da  die  organischen  Körper 
millionenmal  schlechter  leiten  als  Metalle,  so  wollte  ich  den 
Verlauf  der  Stromfaden  in  der  Nähe  letzterer  direct  feststellen. 
In  Ermangelung  embryonalen  Materiales  von  geeigneter  Grösse 
konnte  ich  zur  Zeit  nur  Organe  des  Erwachsenen  verwenden. 
Ich  umstellte  daher  ein  in  Wasserleitungswasser  liegendes 
Froschherz  seitlich  zur  Stromrichtung  mit  kleinen  Messing- 
kugeln, s.  Fig.  27,  und  durchströmte  mit  dem  Wechselstrom. 
Die  zwischen  den  entstehenden  Polfeldern  jeder  Kugel  ver- 
bleibenden Äquatoren  boten  einige  Besonderheiten  dar,  aber 
im  Ganzen  verschmälerten  sie  sich  gegen  das  Herz  hin,  ein 
Beweis,  dass  von  der  Seite  her  Stromfaden  in  das  Herz  ein- 
dringen. Wurde  der  Versuch  dagegen  in  halbprocentiger 
Kochsalzlösung  angestellt,  so  divergirten  die  Aquatorränder 
gegen  das  Herz  hin,  was  bekundet,  dass  die  Stromfaden  dem 
Herzen  ausweichen,  dass  also  das  Menstruum  besser  leitet  als 
das  Herz. 

An  den  neben  einem  Herzen,  welches  in  fünf-  oder  zehn- 
procentiger  Kochsalzlösung  durchströmt  wurde,  liegenden 
Messingkugeln  bog  sich  der  Äquator  (Fig.  28)  in  einer  Weise 
ab,  welche  noch  viel  stärker  zeigt,  wie  die  Stromfäden  dem 
Herzen  ausweichen. 

Die  neben  einer  Gallenblase  desFrosches  in  den  gleichen 
Medien  liegenden  Messingkugeln  zeigten  dasselbe  Verhalten 
als  beim  Herzen  (siehe  Fig.  29  und  30j.  Da  beide  Gebilde  auch 
in  dem  viel  besser  leitenden  Medium,  wie  wir  oben  erfahren 


184  W.  Roux, 

haben,  beim  Durchströmen  polarisirt,  statt  äquatorisirt 
wurden,  so  beweist  dies,  dass  die  örtliche  und  gestaltliche 
Disposition  ein  erheblich  schlechteres  Leitungsvermögen  bei 
diesem  Vorgang  zu  übercompensiren  vermag;  demnach  ist  es 
auch  nichts  Besonderes  mehr,  dass  die  Froscheier  selbst  in 
verdünnter  Schwefelsäure  veränderte  Polfelder  statt  eines 
veränderten  Äquators  gebildet  haben,  wie  wir  ihn  indess  an  der 
mit  Messingspänen  bestreuten  nichtleitenden  Wachskugel  sehr 
ausgeprägt  und  an  der  Mehlteigkugel,  bei  welcher  also  wohl  die 
Leitungsdifferenz  auch  noch  grösser  war,  angedeutet  erhalten 
haben. 

Als  dann  die  Herbstfrösche  ihre  Eier  für  das  nächste  Früh- 
jahr gebildet  hatten,  prüfte  ich  das  Leitungsvermögen  der 
unreifen  Eier  auf  die  gleiche  Weise,  indem  unmittelbar  neben 
ein  längliches  Stückchen  Eierstock  die  Messingkugeln  auf- 
gestellt wurden.  Bestand  das  Menstruum  in  Wasserleitungs- 
wasser, so  war  eine  deutliche  Convergenz  seitlicher  Stromfäden 
gegen  den  Intraelektrolyten  aus  der  schiefen  Stellung  der  Kugel- 
äquatoren  zu  erschliessen;  diente  dagegen  0'2procentige  Koch- 
salzlösung als  Elektrolyt,  so  gingen  die  seitlichen  Stromfaden 
parallel  unabgelenkt  am  Eierstock  vorbei.  Dies  ist  von  Bedeu- 
tung, da  wir  in  diesem  Menstruum  die  starke  Schattenwirkung 
der  Eierstockgruppen  auf  einander  bei  Anwendung  des  Gleich- 
stromes erhalten  hatten.  Damit  fällt  die  Möglichkeit  hin,  dass 
diese  Schattenwirkung  auf  Aspiration  und  Vorwegnahme  der 
Stromfäden  durch  die  den  Elektroden  näheren  Eier  bedingt 
gewesen  sei,  worüber  sogleich  des  Weiteren  erörtert  werden  soll. 

Zum  Schlüsse  dieses  Abschnittes  wollte  ich  noch  die  bei 
Hühnerembryonen  und  Froscheiern  im  Gleichstrom  beob- 
achtete, höchst  auffällige  Abnahme  der  Wirkung  im  elek- 
trischen Felde  mit  dem  Abstände  von  den  Elektroden 
bei  gleich  bleibendem  Querschnitt  der  Strombahn 
auch  am  Metall  prüfen.  Ich  legte  daher  in  eine  oblonge,  der 
Länge  nach  zu  durchströmende  Schale  in  Stromrichtung 
6  Messingkugeln  von  Itttni  Durchmesser  im  Abstände  von 
06 — 0'8 mm  von  einander.  Beim  Durchströmen  ergab  sich  ein 
dem  der  Hühnerembryonen  zum  Theil  entsprechendes  Resultat 
Sowohl  die  anodischen  als  die  kathodischen  Wirkungen  nahmen, 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  185 

von  der  Anode  aus  gerechnet,  von  der  ersten  bis  vierten  oder 
fünften  Kugel  ab,  um  an  der  letzten  Kugel,  also  neben  der 
Kathode  eine  plötzliche  Verstärkung  zu  erfahren.  Die  Flächen- 
ausdehnung der  kathodischen,  oxydirten  Polfelder  entsprach 
diesem  Verhalten  nicht  ganz,  denn  die  mittleren,  weniger  ver- 
änderten, allerdings  auch  weniger  deutlich  begrenzten  Polfelder 
schienen  eher  etwas  ausgedehnter  als  das  erste;  dagegen  war 
das  Polfeld  der  letzten  Kugel  trotz  seiner  intensiven  Verände- 
ning  sehr  klein.  Bei  den  anodischen  Bläschen  bildenden  Pol- 
feldern nahm,  entsprechend  der  Intensität,  also  der  in  Zeit- 
einheit von  ihm  aufsteigenden,  Bläschen  auch  die  Ausdehnung 
des  ganzen  Feldes  von  der  ersten  bis  vierten  oder  fünften  Kugel 
ab;  die  letzte,  der  Kathode  nächste  Kugel  dagegen  hatte  wieder 
ein  Bläschenfeld  von  fast  der  Grösse  des  ersten,  welches  aber 
deutlich  weniger  Bläschen  aufsteigen  Hess  als  jenes. 

Bei  der  Beurtheilung  dieses  Versuches  sind  verschiedene 
Momente  zu  berücksichtigen.  Die  Kugeln  standen  in  Strom- 
richtung hintereinander,  so  dass  sie  sich  beschatten  konnten; 
femer  waren  sie  derart  einander  genähert,  dass  die  Verbin- 
dungslinie der  Kugeln  erheblich  besser  leiten  musste,  als  die 
rein  durch  den  Elektrolyten  gehenden  Bahnen  neben  ihnen. 
Ausserdem  waren  die  beiden  Endkugeln  der  langen  Reihe  bloss 
noch  um  Kugelbreite  von  den  Elektroden  entfernt  und  konnten 
daher  von  den  daselbst  abgeschiedenen  Jonen  direct  chemisch 
oder  durch  den  zwischen  ihnen  und  dem  zugewendeten  Polfeld 
der  nächsten  Kugel  entstehenden  Polarisationsstrom  erheblich 
beeinflusst  werden.  Schliesslich  war  auch  die  bloss  2bmm 
breite  Strombahn  im  Verhältniss  zu  der  60  wm  langen  Kugel- 
reihe sehr  klein.  Daher  ordnete  ich  den  Versuch  einfacher  an, 
unter  Verwendung  von  bloss  3  Kugeln. 

Wurden  die  drei  Kugeln  in  der  Mittellinie  derselben  Glas- 
schale im  Abstand  von  über  zwei  Kugeldurchmessern  aufge- 
stellt, so  trat  aus  zahlreichen  Versuchen  hervor,  dass  das 
anodische,  mit  Bläschen  bedeckte  Pol feld  der  Kugeln 
vonder  Anode  aus  etwas  an  Grösse  abnimmt,  beson- 
dersaber,  dass  die  Zahl  der  aufsteigenden  Bläschen 
in  dieser  Richtung  abnimmt,  so  dass  an  einer  Abnahme 
der    Stromwirkung     mit     dem     Abstände     von      der 


186  W.  Roux, 

Anode  trotz  des  allenthalben  gleich  grossen  Quer- 
schnittes der  Strom  bahn  bei  dieser  Versuchsanordnung 
nicht  zu  zweifeln  ist,  wenn  auch  der  Unterschied  bei  Weitem 
nicht  so  stark  hervortritt,  als  er  bei  den  Hühnerembryonen 
und  Froscheiern  sich  zeigte. 

Die  Stromstärke  musste  bei  dieser  Anordnung,  um  die 
Zahl  der  aufsteigenden  Bläschen  gut  vergleichen  zu  können, 
so  gering  genommen  werden,  dass  das  kathodische  Polfeld  nur 
aus  einem  schwachen,  noch  wenig  scharf  begrenzten  Beschlag 
bestand,  wesshalb  die  Grössen  desselben  an  den  drei  Kugeln 
nicht  genau  genug  bestimmt  werden  konnten,  um  einen  sicheren 
Vergleich  zu  gestatten. 

Überhaupt  sind  die  einzelnen,  sich  oft  widersprechenden 
Ergebnisse  dieser  scheinbar  einfachen  Versuche  infolge  des 
ungleichen  speciftschen  Verhaltens  auch  der  in  gleicher  Weise 
frisch  geputzten  Messingkugeln  nicht  ohne  besondere  Vor- 
sichtsmaassregeln  zu  deuten.  Ich  habe  daher  obiges  Resultat 
erst  als  gesichert  betrachtet,  nachdem  ich  jede  der  drei  Kugeln 
nach  einander  an  alle  drei  Plätze  situirt  und  ihr  Verhalten 
untereinander,  wie  mit  dem  Verhalten  der  andern  Kugeln  am 
selben  Orte  verglichen  und  diese  Versuchsweise  an  zweimal 
drei  weiteren  Kugeln  mit  anscheinend  demselben  Erfolg  wieder- 
holt hatte. 

Um  die  Wirkung  der  an  den  Elektroden  abgeschiedenen 
Jonen  möglichst  abzuschwächen,  wurde  zu  jedem  Versuche 
frische  Lösung  genommen,  und  um  ihre  Ausbreitung  durch 
Massenbewegung  zu  vermindern,  wurde  jede  Elektrode  mit  einer 
dreifachen  Hülle  von  Filtrirpapier  umgeben.  Einfacher  ist  es,  der 
Lösung  einige  Tropfen  Schwefelsäure  zuzusetzen  (wonach  die 
Flüssigkeit  klar  bleibt),  und  während  des  Versuches  ab- 
wechselnd die  Flüssigkeit  in  der  Nähe  der  einen  Elektrode  auf- 
zusaugen und  neben  der  anderen  Elektrode  wieder  zuzusetzen. 

Drei  Bleikugeln  schienen  bei  gleicher  Anordnung,  aber 
weniger  deutlich,  dasselbe  Resultat  zu  ergeben. 

Stehen  die  drei  Messingkugeln  in  der  Stromrichtung 
einander  auf  0'6mm  genähert,  so  bildet  die  der  Anode 
nächste  Kugel  mehr  Blasen  als  die  der  Kathode  nähere;  am 
wenigsten,    respective  gar    keine  jedoch    die    mittlere   Kugel. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  187 

Von  besonderer  Wichtigkeit  war  es  nun,  zu  erfahren,  ob 
auch  bei  derartig  schräger  Anordnung  der  drei  in  grossem  Ab- 
stände hintereinander  liegenden  Kugeln,  dass  sie  sich  möglichst 
wenig  beschatten  können,  diese  bei  reiner  Hintereinanderlagerung 
beobachtete  Abnahme  der  anodischen  Polfeldbildung  mit  der 
Entfernung  von  der  Anode  noch  bestehen  bleibt  oder  aufhört. 

Zu  diesem  Zwecke  wurde  die  eine  der  drei  Kugeln  in  die 
Mitte  der  oblongen  Strombahn,  eine  andere  nahe  der  Anode  und 
der  einen  seitlichen  Glaswand,  die  dritte  nahe  der  Kathode  und 
der  anderen  seitlichen  Wand  aufgesetzt.  Nach  mehrfachen  an- 
fangs gleichfalls  sich  widersprechenden  Versuchen  bin  ich 
durch  die  Umstellungsmethode  zu  dem  Resultat  gekommen, 
dass  auch  hierbei  die  Abnahme  der  anodischen  Wirkung  mit  der 
Entfernung  von  der  Anode  stattfindet,  so  dass  also  eine 
Schattenwirkung  nicht  wesentlich  betheiligt  ist. 

Diese  Abnahme  der  anodischen  polarisirenden 
Wirkung  descontinuirlich  fliessenden  Gleichstromes 
in  einem  elektrolytischen  Feld  von  allenthalben  gleichem  Quer- 
schnitt auf  mehrere  Intraelektrolyten  mit  dem  Abstände  der- 
selben  von  der  Anode  muss  demnach  ihre  Ursache  in  einer 
durch  den  Gleichstrom  bewirkten  ungleichen  Beschaffen- 
heit der  elektrolytischen  Strombahn  selber  haben. 

Dieses  eigenthümliche  Verhalten, sowie  der  beobachtete, von 
dem  des  Wechselstromes  abweichende  Verlauf  der  Stromlinien 
des  Gleichstroms  gegen  manche  Intraelektrolyten  veranlassten 
mich,  zu  prüfen,  ob  nicht  vielleicht  die  Stromlinien  im  homogenen 
elektrischen  Felde  beim  Gleichstrom  sich  ceteris  paribus  anders 
vertheilen,  als  beim  Wechselstrom.  Es  wurden  daher  in  eine 
runde  Schale,  ringsum  nahe  dem  Rande  sowie  inmitten,  kleine 
Messingkugeln vertheiltund  von  zwei  entgegengesetzten  Punkten 
des  Randes  aus  die  stark  mit  Schwefelsäure  versetzte  Glauber- 
salzlösung mit  Hilfe  von  Nadelelektroden  durchströmt.  Es  zeigte 
sich  aber  kein  Unterschied  in  den  durch  die  Äquatorränder  der 
Kugeln  markirten  Curven  von  denen  beim  Wechselstrom. 

Die  Abnahme  der  Stromwirkung  innerhalb  der  Strombahn 
bei  gleichbleibendem  Querschnitt  derselben  widerspricht  an- 
scheinend dem  Fechner'schen  Gesetz,  dass  in  allen  Quer- 
.schnitten  einer  Strombahn  die  Stromstärke  gleich  gross  ist. 


188  W.  Roux, 

Um  der  Ursache  dieses  Verhaltens  näher  zu  kommen 
wollte  ich  mich  zunächst  durch  Messung  von  dem  Verlauf  des 
PotentialgeföUes  in  der  ganzen  elektrolytischen  Bahn  unter- 
richten. Zu  diesem  Zwecke  wurden  an  das  Horizontal-Galvano- 
meter  zwei  Elektroden  von  Platindraht  angeschlossen.  Die 
Enden  dieser  wurden  in  gleicher  Länge  rechtwinkelig  abge- 
knickt und  im  Abstand  von  10  mm  durch  eine  Korkplatte  ge- 
steckt; um  den  Parallelismus  und  damit  den  bei  allen  Messungen 
Constanten  Abstand  dieser  Enden  möglichst  zu  sichern,  wurde 
noch  zwischen  die  Handhaben  beider  Elektroden  eine  Kork- 
platte von  geeigneter  Dicke  gelegt  und  die  Elektroden  durch 
Zusammenbinden  nochmals  gegen  einander  befestigt.  Diese 
beiden  Enden  des  Nebenkreises  wurden  stets  in  Richtung  der 
mittleren  Verbindungslinien  der  Elektroden  des  Hauptstromes 
eingesetzt  und  zwar  der  Gleichmässigkeit  wegen  bis  auf  den 
Boden  der  oblongen  Glasschale,  bei  geringem,  bloss  2  mm 
betragenden  Flüssigkeitsstande. 

Bei  Anwendung  der  breiten,  platten  Platinelektroden  für 
den  Hauptstrom,  welche  auch  bei  den  Versuchen  an  Embryonen 
gedient  hatten,  sowie  der  Platinnadelelektroden  für  den  Mess- 
kreis, ergaben  sich  nun  folgende  Verhältnisse,  welche  constant 
hervortraten,  sofern  die  Vorsicht  angewendet  wurde,  die  Mess- 
elektroden nach  jeder  Anwendung  in  einer  Schale  mit  halbpro- 
centiger  Kochsalzlösung  durch  Eintauchen  abzuspülen.  Halb- 
procentige  Kochsalzlösung  bildete  auch  den  Elektrolyten. 

Mit  dem  schwachen  Gleichstrom  von  6  Bunsen  (mit  schon 
gebrauchter  Säure)  zeigte  sich  bei  momentaner,  bloss  so  lang 
dauernder  Durchströmung,  bis  die  Magnetnadel  das  Maximum 
ihrer  ersten  Schwingung  erreicht  hatte,  der  Ausschlag  an  allen 
Stellen  des  Elektrolyten  (von  den  Orten  der  unmittelbaren 
Nähe  der  Elektroden  abgesehen)  fast  ganz  gleich  gross,  ent- 
sprechend dem  anfänglichen  Verhalten  unter  gleichen  Um- 
ständen durchströmter,  empfindlicher  Froscheier;  jedenfalls 
waren  die  Differenzen  so  gering,  dass  ihre  eventuelle  Gesetz- 
mässigkeit nicht  festgestellt  werden  konnte.  Nach  auch  nur 
wenige,  etwa  10  Secunden  dauernder,  continuirlicher  Durch- 
strömung dagegen  stieg  der  Ausschlag  beim  Einsetzen  neben 
der  Anode  erheblich  höher  und  fiel  von  da  allmälig  gegen  die 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  189 

Kathode  ab,  neben  welcher  annähernd  der  ursprüngliche  Werth 
bestehen  blieb. 

Bei  Verwendung  von  10  Bunsen-Elementen  fand   diese 
Steigerung  so  rasch  statt,  dass  eine  ursprüngliche  Gleichheit 
im  ganzen  Elektrolyten  nicht  mehr  feststellbar  war;  die  Wirkung 
war  schon  bei  der  ersten  Durchströmung  während  der  Bildung 
des  ersten  Nadelausschlages  neben  der  Anode  viermal  so  gross 
als  neben  der  Kathode  und  fiel  von  der  Anode  stetig  ab.  Ein 
Umrühren  des  Elektrolyten  nach  jeder  Messung  hatte  keinen 
ausgleichenden  Effect  Eine  Zeit  lang  stieg  diese  Erhöhung  der 
Wirkung.  Später  aber  trat  allmälig  neben  der  Anode  ein  deut- 
licher Abfall  ein,  und  es  entstand  eine   starke  Steigerung  der 
Wirkung  zwischen   der  Anode  und  der  Mitte  des  Gefässes, 
welche  weiterhin  bis  fast  an  die  Mitte  fortschritt  und  die  drei- 
fache Höhe  des  Ausschlages  neben  der  Anode  erreichte.  Von 
diesem  Gipfel  fand  nach  beiden  Seiten  hin  zunächst  ein  rascher, 
weiterhin  ein  allmälliger  Abfall  statt.  Bei  langfortgesetzter  conti- 
nuirlicher  Durchströmung  konnte  der  Abfall  an  der  Anode  bis 
unter  den,  von  vorn  herein   fast   stabilen  Werth  neben  der 
Kathode  sinken  und  die  erwähnte  Erhöhung  in  der  Mitte  sich 
vergrössern,  so  dass  sie  das  achtfache  des  Werthes  an  der 
Anode  erreichte.  Durch  Umrühren  des  Elektrolyten  wurde  diese 
ganze  Steigerung,  sowie  der  Abfall  an  der  Anode  zum  Ver- 
schwinden gebracht. 

Zusatz  von  neutraler  Lacmustinctur  nebst  einigen  Tropfen 
Phenolphthallein  Hess  erkennen,  dass  die  zuerst  entstehende 
Steigerung  in  keiner  Beziehung  zu  den  freien  an  den  Elektroden 
ausgeschiedenen  Jonen  stand;  dass  aber  die  secundäre  Stei- 
gerung in  der  Nähe  der  Mitte  dadurch  bedingt  war.  Diese 
Steigerung  tritt  auf,  wenn  in  grösserer  Umgebung  der  Anode  die 
Lackmustinctur  entfärbt  war;  sie  erreichte  ihr  Maximum,  sobald 
diese  Schicht  der  Anionen  sich  mit  der  rothen  Schicht  der 
Kationen  berührte.  Nach  der  Unterbrechung  des  primären 
Stromes  zeigte  das  Galvanometer  bei  Messung  an  der  Stelle 
des  vorherigen  Maximums  einen  nicht  unerheblichen  Ausschlag 
in  der  Richtung  des  primären  Stromes  von  1  Milliampere  (gegen 
60*0  Milliampere  vorher  beim  Durchströmen);  an  den  Elek- 
troden dagegen  entstand  ein  entgegengesetzt  gerichteter  Aus- 


190  W.  Roux, 

schlag,  und  zwar  an  der  Anode  von  — 0*3,  vor  der  Kathode 
von  — O'o  Milliampere. 

War  die  Anode  nicht  von  Platin,  sondern  von  Kupfer,  so 
blieb  mit  der  Entfärbung  der  Lacmustinctur  auch  diese  secun- 
däre  Steigerung  aus.  War  die  Platinkathode  erheblich  schmaler 
als  die  Platinanode,  so  trat  von  vornherein,  auch  bei  bloss 
momentaner  Durchströmung,  zwischen  Anode  und  der  Mitte 
des  Feldes  eine  stärkere  Erhöhung  der  Wirkung  ein,  als  an  der 
Anode  selber;  diese  auffällige  Erhöhung  kann  gleichfalls  nicht 
durch  die  freien  Jonen  bedingt  sein. 

Die  Werthe  ferner,  die  man,  sei  es  bei  kurzer  oder  nach 
langer  Durchströmung,  erhält,  wenn  man  eine  der  Messelek- 
troden in  möglichst  grosse  Nähe  einer  Elektrode  des  primären 
vStromes,  jedoch  ohne  sie  zu  berühren,  setzt,  sind  vielmal 
grösser  als  die  im  Binnenraum  des  freien  Feldes  erhaltenen 
Werthe  und  fallen  bei  geringerer  Vergrösserung  des  Abstandes 
rasch  ab.  Sie  sind  ausserdem  natürlich  auch  noch  von  der 
Gestalt,  respective  Grösse  dieser  Elektroden  abhängig:  so  neben 
einer  dünnen  Nadelelektrode  mehrmals  grösser  als  neben  einer 
breiten  Blattelektrode.  In  obigen  Angaben  bedeutet  »neben«  der 
Anode  oder  Kathode  daher  stets  einen  solchen  Abstand  der 
nahen  Messelektrode  von  mindestens  2  mm. 

DieMessungen  wurden  bisher  unter  Verwendung  von  Platin- 
elektroden, also  von  polarisirbarem  Material,  angestellt,  und 
dabei  ein  der  Wirkung  des  continuirlichen  Gleichstromes  auf  die 
gleichfalls  polarisirbaren  Eier  und  Embryonen  entsprechendes 
Verhalten  wahrgenommen. 

Für  die  Beurtheilung  der  Bedeutung  der  auffälligen  Er- 
scheinung war  es  nöthig,  zu  wissen,  ob  sich  diese  Ungleich- 
heiten der  Wirkung  auch  an  unpolarisirbaren  Elektroden 
bemerkbar  machen  würden.  Da  jedoch  in  Innsbruck  kein  Zink- 
draht zu  erhalten  war,  musste  ich  Streifen  Zinkblechs  vom 
Klempner  verwenden,  die  nicht  aus  ganz  reinem  Zink  bestanden 
und  daher  wohl  noch  etwas  polarisirt  wurden.  Auch  mag 
die  Anfertigung  der  Elektroden  meinerseits  selber  mangelhaft 
gewesen  sein. 

Bei  Anwendung  dieser  Elektroden  als  Elektroden  des  Mess- 
kreises blieb  die  im  ersten  Stadium  beobachtete  typische  Un- 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  191 

gleichheit  der  Wirkung,  der  Abfall  von  der  Anode,  aus;  diejenige 
des  zweiten  Stadiums,  also  die  Erhöhung  an  der  Berührungs- 
stelle der  Anionen  und  Kationen,  war  auf  ein  Viertel  ihrer  vor- 
herigen Grösse  reducirt.  Es  ist  also  wohl  zu  vermuthen,  dass 
sie  ganz  verschwunden  sein  würde,  wenn  die  Elektroden  voll- 
kommen unpolarisirbar  gewesen  wären. 

Die  Versuche  wurden  durch  den  etwas  gewölbten  Boden 
und  die  ungleiche  Breite  der  Lichtung  aller  meiner  oblongen 
Glasschalen,  sowie  durch  den  auch  nicht  vollkommen  unver- 
änderlichen Abstand  der  Messelektroden  erschwert;  doch  suchte 
ich,  durch  Variationen  über  die  dadurch  bedingten  Fehler  weg- 
zukommen. 

Da  die  unpolarisirbaren  Elektroden  die  erste  typische 
Verschiedenheit  der  Wirkung  im  Stromgebiete  nicht  erkennen 
Hessen,  so  geht  hen^'or,  dass  die  bei  Anwendung  polarisirbaren 
Materiales  beobachtete  typische  Abnahme  der  Wirkung 
innerhalb  der  elektrolytischen  Bahn  mit  dem  Abstände 
von  der  Anode  bloss  auf  einer,  an  den  verschiedenen 
Stellen  ungleichen  polarisirenden  Wirkung  des  Elek- 
trolyten, nicht  aber  auf  einer  Verschiedenheit  der 
Stromstärke  beruht,  wodurch  wenigstens  der  scheinbare 
Widerstreit  gegen  das  Fechner'sche  Gesetz  gehoben  ist. 

Bei  den  Froscheiern,  welche  nur  relativ  kurze  Zeit  durch- 
strömt worden  waren,  war  diese  erste  typische  Art  der  polari- 
sirenden Wirkung,  insbesondere  die  starke  Erhöhung  in  un- 
mittelbarer Nähe  der  Elektroden,  also  auch  an  der  Kathode, 
sehr  ausgesprochen  zur  Geltung  gekommen;  dessgleichen  auch 
bei  den  Hühnerembryonen,  sowie  bei  dem  langen  Fladen  von 
Aeihalium  septicum  Verworrn's  (siehe  S.  120). 

An  den  letzten  Hühnerembryonen,  welche  über  eine  Viertel- 
stunde lang  durchströmt  worden  waren,  konnte  danach  ausser- 
dem noch  die  zweite  Wirkungsweise  erheblich  mit  zur  Geltung 
gekommen  sein,  und  darauf  ist  vielleicht  das  mitgetheilte,  dem 
früheren  widersprechende  Resultat  am  Schlüsse  des  letzten 
Versuches,  Seite  122,  zurückzuführen.  Jedenfalls  werden  weitere 
Versuche  nöthig  sein,  um  die  Sachlage  aufzuklären. 

Ich  wollte  ferner  das  Verhalten  der  Strombahn  auch  während 
der  Ausbildung  dieser  ungleichen  Veränderungen  an  den  ver- 


192  W.  Roux, 

schieden  gelagerten  Gebilden  aus  specifisch  reagirendem  Mate- 
riale  messend  prüfen.  Da  jedoch  befruchtete  Hühnereier  zur 
Zeit  (im  November)  hier  nicht  mehr  zu  erhalten  waren,  musste 
ich  mich  auf  das  Ovarium  des  Frosches  beschränken.  Ein 
Stück  solchen  Organes  wurde  mitten  in  die  durch  einhalb- 
procentige  Kochsalzlösung  gebildete  Strombahn  gelegt  und  die 
Messelektroden  an  folgenden  Stellen  aufgesetzt:  1.  neben  der 
Anode,  2.  mitten  auf  den  Intraelektrolyten,  3.  neben  der  Kathode; 
ferner  an  2  a,  wobei  die  eine  Nadel  in  dem  der  Anode  zugewen- 
deten Organrande  steckte  und  die  andere  der  Anode  näher  in 
der  Flüssigkeit  sich  befand;  2ß  dieselbe  Stellung  nach  der  Seite 
der  Kathode.  Stellung  1  a  und  3  a  bedeuten,  dass  die  eine  Mess- 
elektrode der  der  Ziffer  entsprechenden  Elektrode  des  primären 
Stromes  möglichst,  jedoch  ohne  sie  zu  berühren,  genähert  war. 
Die  ersten  Versuche  wurden  schon  vorgenommen,  ehe  ich 
unpolarisirbare  Elektroden  angefertigt  hatte;  sie  sind  daher  nur 
mit  Platinelektroden  angestellt. 

In  der  ersten  Versuchsreihe  wurde  continuirlich  durch- 
strömt, die  Nadeln  rasch  eingetaucht  und  so  lange  eingetaucht 
erhalten,  bis  die  Magnetnadel  nicht  mehr  oscillirte.  Das  Gal- 
vanometer zeigte  in  Stellung  1  a  einen  starken  Strom  (z.  B. 
0*25  Milliampere),  bei  1  wieder  einen  viel  schwächeren  Strom- 
(z.  B.  0*04  Milliamperes),  bei  2  a  stets  eine  erhebliche  Zunahme 
(z.  B.  0'08  Milliamperes),  bei  2  eine  weitere  Zunahme  (z.  B.  0*18 
Milliamperes),  bei  2ß  einen  steten  starken  Abfall  bis  unter  die 
Grösse  von  der  Stellung  2  a,  bei  3  einen  weiteren  Abfall  bis  ein 
wenig  unter  den  Werth  der  entsprechenden  Stellung  1,  bei  3a 
fast  denselben  Werth  als  bei  1  a.  Bei  derartiger  Querlagerung 
des  Intraelektrolyten,  dass  er  die  ganze  Breite  der  Strombahn 
einnahm,  war  die  Steigerung  bei  2  a  und  besonders  bei  2  mehr- 
mals grösser,  der  Abfall  bei  2ß  dann  aber  vielmals  stärker  als 
bei  Längsstellung,  wobei  dieStrombahn  in  halberBreite  frei  blieb. 

Bei  Längsstellung  des  Intraelektrolyten  ist  die  Zunahme 
auch  in  der  freien  Strombahn  neben  dem  Intraelektrolyten  deut- 
lich ausgesprochen.  Bei  Anwendung  stärkerer,  z.  B.  zweipro- 
centiger  Kochsalzlösung  wurde  die  Steigerung  der  Stromstärke 
bei  2  a  und  2  im  Intraelektrolyten  nochmals  um  das  Mehrfache 
vergrössert. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  193 

Es  ergab  sich  also  eine  starke  Steigerung  innerhalb  und 
in  der  Umgebung  des  Intraelektrolyten,  am  stärksten  inmitten 
desselben,  weniger  stark  am  Anodenrande,  noch  weniger  am 
Kathodenrande  desselben.  Diese  Steigerung  betrug  das  sechs- 
bis  zwölffache  der  Stärke  des  primären  Stromes  an  den  Stellen 
vor  und  hinter  dem  Intraelektrolyten.  Nach  der  Unterbrechung 
des  primären  Stromes  war  dagegen  an  keiner  Stelle  mehr  ein 
Strom  mit  meinem  Instrumente  nachweisbar;  eine  eventuelle 
wirkliche  äussere  oder  innere  Polarisation  des  Eierstockes 
konnte  demnach  bei  der  Empfindlichkeit  des  Instruments  nur 
unter  0*01  Milliampere  betragen. 

Dieses  Verhalten  des  Intraelektrolyten  wich  also  bedeutend 
von  dem  vorher  bloss  am  Elektrolyten,  gleichfalls  bei  continuir- 
lieber  Durchströmung  beobachteten  Verhalten  ab. 

Obgleich  dieses  Verhalten  bloss  einen  Abweg,  der  uns  von 
unserer  Aufgabe  wegführt,  darstellt,  wie  ich  nach  weiteren  Ver- 
suchen einsah,  sollen  doch  die  zur  Aufklärung  vorgenommenen 
Experimente  in  ihren  Ergebnissen  mitgetheilt  werden,  um  einen, 
vielleicht  gleich  mir  unerfahrenen  Leser  vor  einer  falschen  Deu- 
tung zu  bewahren. 

Um  zunächst  die  Wirkung  der  continuirlichen  Durchströ- 
mung zu  eliminiren,  prüfte  ich  das  Verhalten  bei  bloss  mo- 
mentanem Stromschluss:  hier  konnte  natürlich  nicht  die 
Ruhestellung  der  Magnetnadel  abgewartet  werden,  sondern  das 
Maximum  des  ersten  Ausschlages  musste  notirt  werden. 

Die  Methode  des  Eintauchens  der  Elektroden  mit  der  Hand 
ist  aber  bei  diesem  Modus  natürlich  mit  einem  Fehler  verbunden, 
indem  bei  raschem  Eintauchen  die  erste  Schwingung  der  Nadel 
nicht  unerheblich  grösser  ausfällt,  als  bei  langsamem  Ein- 
tauchen. Da  jedoch  mein  Stromschlüssel  so  primitiv  war,  dass 
beim  Schluss  und  Öffnen  durch  ihn  der  Tisch  erschüttert  und 
daher  die  Magnetnadel  abgelenkt  wurde,  musste  ich  die  Methode 
beibehalten  und  durch  möglichste  Gleichmässigkeit  den  so  be- 
dingten Fehler  zu  verringern  suchen;  doch  ist  es  klar,  dass  in- 
folge dessen  geringe  Verschiedenheiten  der  Stromstärke,  wie  sie 
zwischen  Ort  1  und  3  auch  bei  bloss  momentanem  Stromschluss 
zu  bestehen  scheinen,  im  Einzelnen  nicht  deutlich  beurtheilt 
werden  konnten,  so  dass  bloss  die  Summe  aller  in  Folgendem 

Siizb.  d.  mathem. -natura-.  Cl.;  CI.  Bd.  Abth.  III.  13 


194 


W.  Roux, 


ZU  besprechenden  Beobachtungen   hierin    einen   Schluss  ge- 
stattet. 

Die  Methode  der  momentanen  Durchströmung  auf  den 
Eierstock  des  Frosches  als  Intraelektrolyten  angewandt,  ergab 
nun  z.  B.  folgende,  theils  bei  Querlage  desselben  im  obigen 
Sinne,  theils  bei  Längslage  gewonnenen  Werthe  in  Milliamperes: 


Bei    Querlage 


C 
3 

Vi 
VI 


TS 

o 


In  halb- 
procentiger 
Kochsalz- 
lösung 


In  zwei- 
procentiger 
Kochsalz- 
lösung 


In 
Wasser- 
leitungs- 
wasser 


Bei    Längslage 


In  halbprocentiger  Koch- 
salzlösung 


^   Ca 
u   > 

^  O 

1—1  nj 


0)    g 

•a  3 

inie 
rium 

a>   cd 

u    > 

■so 

«>  o 

^    «« 

2: 

«>  c 

•O     3 

f=  '5 

o»  O 


1 

2a 

2 

2ß 

2 


0-015 

0-09 

0-60 

0-03 

0-02 


0  02 
008 
0  62 
0-05 
0-01 


0-015 

0-10 

1-50 

0-06 

0-01 


0*02 
0-04 
0-085 
0  03 
0-02 


0-02 
0-03 
0-10 
0-02 
0-02 


0-02 

0-05 

0-07 

0-025 

0-03 


0 
0 
0 
0 
0 


03 
07 
12 
03 
02 


0-03 
0-05 
0-09 
0-03 
0  03  i 


Es  ergab  sich  also  bei  momentaner  Durchströmung  wesent- 
lich dasselbe  Verhalten,  wie  es  nach  continuirlicher  Durchstro- 
mung  beobachtet  worden  war;  nur  war  die  Wirkung  auf  den 
Intraelektrolyten  und  in  der  Nähe  desselben,  nach  der  Ampli- 
tude der  ersten  Schwingung  zu  urtheilen,  noch  mehrmals  grösser 
als  in  der  Flüssigkeit,  indem  die  Stromwirkung  im  Intra- 
elektrolytendasvierzig-bis  hundertfache  der  Wirkung 
im  Elektrolyten  erreichte.  Wenn  auch  von  dieser  Wirkung 
ein  Theil  nur  scheinbar,  nur  auf  die  Trägheit  der  Magnetnadel 
zurückzuführen  ist,  so  bleibt  doch  immer  noch  ein  ungeheuerer 
Erfolg  übrig. 

Am  Schlüsse  jeder,  mit  demselben  Object  angestellten  V^er- 
suchsreihe  wurden  die  Nadeln  an  den  fünf  Orten  in  gleicher 
Weise  aufgesetzt  ohne  gleichzeitige  Durchströmung;  und  es  er- 
gab sich  nirgends  mehr  ein  Ausschlag  der  Magnetnadel,  trotz 
der  inzwischen  an  dem  Ovarium  aufgetretenen  starken  morpho- 
logischen Polarisation.  Dieses  eigenthümliche  Verhalten  musste 
nun  auf  seine  Ursache  zurückgeführt  werden. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  195 

Da  ich  im  ersten  Momente  über  seine  Bedeutung  nicht  klar 
war,  prüfte  ich  sogleich  die  weichen  Organe  des  Mutterfrosches, 
dem  das  Ovarium  entnommen  war;  und  alle  zeigten  wesentlich 
dasselbe  Verhalten,  nur  war  die  Steigerung  bei  verschiedenen 
Organen  quantitativ  verschieden  und  stand  anscheinend  in 
Abhängigkeit  von  der  Dicke  des  mit  der  Nadel  durchstochenen 
Organes.  Um  zu  sehen,  ob  andere  organische  Bildungen  ähnlich 
sich  verhielten,  wurde  Weizenmehl  mit  halbprocentiger  Koch- 
salzlösung angerührt,  und  der  so  gebildete  Teig  in  die  Strom- 
bahn gelegt.  Es  trat  wieder  die  gleiche  Erscheinung  auf.  Da  ich 
anderen  Tages  die  annähernd  unpolarisirbaren  Elektroden 
gemacht  hatte,  verwendete  ich  auch  diese,  und  da  zeigte  sich, 
dass  jetzt  die  Verstärkung  der  Stromwirkung  auf  der  Leber  und 
auf  dem  Teige  zwar  noch  evident  vorhanden  war,  aber  bloss 
das  drei-  bis  vierfache  der  Wirkung  im  Elektrolyten  erreichte. 
Um  jede  Berührung  des  Organes  oder  des  Teiges  zu  ver- 
meiden, machte  ich  in  dieselben  entsprechend  situirte,  mit  Flüs- 
sigkeit aus  der  Umgebung  angefüllte  Löcher  und  hielt  in  diese 
die  Messelektroden;  es  ergab  sich  jedoch  wieder  das  frühere 
Resultat. 

Nachdem  somit  festgestellt  war,  dass  hier  nicht,  wie  bei 
den  Versuchen  ohne  Intraelektrolyten,  bloss  eine  Ungleichheit 
der  Polarisation  bei  gleicher  Stromstärke,  sondern  eine  wirk- 
liche Ungleichheit  der  Stromstärke  vorlag,  kam  ich  der  Ursache 
näher,  was  allerdings  bei  jedem  anderen  Untersucher,  der 
nicht,  wie  ich,  so  gut  als  zum  ersten  Male  mit  Elektricität 
experimentirte,  wohl  früher  der  Fall  gewesen  wäre. 

Da  auszuschliessen  war,  dass  hier  eine  wirkliche  Production 
von  elektrischer  Kraft,  ausgelöst  durch  den  primären  Strom,  vor- 
liege, weil  die  Physiologen  diese  Fähigkeit  der  Organe  längst 
wahrgenommen  haben  würden,  so  blieb  nur  die  Möglichkeit, 
dass  die  geprüften  Körper  so  viel  schlechter  als  das  verwendete 
Menstruum  leiten,  dass  sie  ein  starkes  Ausweichen  des  Stromes 
in  die  den  Intraelektrolyten  umgebende  Flüssigkeit  veranlassen. 
Die  beobachtete  Erscheinung  beruhte  dann  nicht  auf  einer 
Vermehrung  der  Stromstärke  in  den  ganzen  bezüglichen  Strom- 
querschnitten,  sondern  bloss  auf  einer  localen  Vergrösserung 
der  Stromdichte  an  einzelnen  Stellen  derselben. 

13* 


196 


W.  Roux, 


Gegen  diese  Annahme  schien  jedoch  zu  sprechen  die  in 
der  Tabelle  auf  Seite  191  mitgetheilte  Beobachtung,  dass  auch 
bei  Verwendung  von  Wasserleitungswasser  als  Elektrolyten, 
welches  doch  voraussichtlich  schlechter  als  das  Ovarium  leiten 
wird,  an  diesem  eine  Steigerung  der  Stromwirkung,  wenn  auch 
nur  um  das  Vierfache,  wahrgenommen  worden  war. 

Dass  aber  das  letztangenommene  Moment  stark  genug  in 
diesem  Sinne  zu  wirken  vermag,  zeigte  sich,  nachdem  ich  drei 
Glasbälkchen  über  einander  quer  mitten  in  die  Strombahn  bei 
sonst  der  früheren  gleichen  Versuchsanordnung  gelegt  hatte. 
Es  ergaben  sich  an,  den  früheren  entsprechenden  Örtlichkeiten 
folgende  Resultate: 


Ort  der 
Messung 


la 

1 

2 

3 

3a 


1 
re  Elektroden 

PI  atinelektroden 

ünpolarisirba 

Flüssigkeit,  um- 

gerührt 

_^ 

0-36  M.A. 

0-24 

0-32  M.A. 

0-33 

0-09 

0-11 

0-60 

0-69 

0-94 

1-40 

0-22 

0-30 

0-015 

0-025 

^•~' 

0-22 

0-09? 

^■~ 

Es  zeigte  sich  also  eine  ähnliche  Verstärkung  der  Wirkung 
in  der  Umgebung  der  Glasbälkchen  wie  bei  den  Organen  und 
dem  Mehlteig. 

Damit  ist  aber  zugleich  ein  neues  Räthsel  erstanden.  Ich 
habe  nämlich  nicht  beobachtet,  dass  der  auf  Seite  121  erwähnte, 
in  der  Lücke  zwischen  der  Wandung  und  dem  grossen  Hühner- 
embryo in  Stromrichtung  hinter  diesem  liegende  kleine  Embryo 
besonders  stark  verändert  worden  wäre.  Im  Gegentheil,  er 
blieb  fast  unverändert,  obgleich  der  Strom  in  verstärktem  Maasse 
durch  diese  Strasse  hätte  gehen  und  auf  ihn  treffen  müssen; 
auch  blieb  die  diesem  Strom  anliegende  Fläche  des  grossen 
Embryo  fast  unverändert. 

Da  das  Versuchsmaterial  jetzt  nicht  mehr  zu  haben  ist, 
muss  ich  auf  die  jetzige  Weiterführung  der  Untersuchung  ver- 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  197 

ziehten;  und  aus  dem  oben  erwähnten  Grunde  gedenke  ich  auch 
nicht,  sie  später  wieder  aufzunehmen. 

V.  Abschnitt. 

Erklärungsversuche  und  Zusammenfassung. 

Fragen  wir  zunächst  nach  den  Ursachen  der  allgemeinsten 
Verhältnisse  der  in  den  vorstehenden  Abschnitten  geschilderten 
Erscheinungen,  also  nach  den  Ursachen  der  Scheidung  der 
Oberfläche  der  intraelektrolytär  durströmten  Gebilde  in  zwei 
veränderte  Polfelder  und  einen  zwischen  ihnen  gelegenen  gürtel- 
förmigen Äquator. 

Wir  sahen,  dass  blos  an  denjenigen  Stellen  der  Oberfläche 
der  morphologisch  polarisirbaren  Gebilde,  seien  es  lebende  Orga- 
nismen oder  Metalle  oder  sonstige  von  uns  reactionsfähig 
gemachte  Gebilde,  die  polaren  Veränderungen  stattfanden,  an 
welchen  zu  erschliessen,  ja  durch  Versuche  direct  nachzuweisen 
war,  dass  daselbst  Stromfaden  ein-  oder  austraten,  während 
an  anderen,  zwar  kräftig  durchströmten  und  mit  dem  Elektro- 
lyten benetzten  Stellen,  an  welchen  aber  Stromfäden-Ein- 
und  Austritt  nicht,  respective  nur  in  minimalem  Maasse  möglich 
war,  unverändert  blieben. 

Daraus  war  zu  erschliessen,  dass  die  beobachteten  polaren 
Veränderungen  an  den  Ein-  und  Austritt  von  Stromfaden 
gebunden  sind. 

Ferner  fanden  diese  Reactionen  nur  an  benetzten  Stellen 
statt;  an  trocken  durchströmten  Froscheiern  blieben  die  bezüg- 
lichen Veränderungen  aus;  so  dass  also  die  Anwesenheit  einer 
geeigneten  Flüssigkeit,  eines  Elektrolyten  als  weitere  Bedingung 
anzusehen  ist. 

Neben  den  äusseren  Veränderungen  fehlte  es  auch  nicht 
ganz  an  inneren  Veränderungen.  Selbst  an  Metallen  sind  solche 
wahrnehmbar.  Wenn  ich  ein  früher  durchströmtes  Bleistück 
abgeschabt  und  blank  polirt  hatte,  so  wurden  manchmal,  auch 
nach  Monaten  noch,  beim  Einlegen  desselben  in  Salzsäure 
von  geeigneter  Concentration  die  früheren  Polabschnitte  wieder 
erkennbar,  indem  sie  rascher  verändert  wurden  als  der  frühere 
Äquator.  Diese  inneren  Veränderungen  durch  den  Strom  sind 


198  W.  Roux, 

von  den  Accumulatoren  her  bekannt;  die  hier  beobachtete 
Localisation  derselben  aber  verdient  vielleicht  eingehendere 
Untersuchung.  Auch  treten  unter  Umständen  Erscheinungen 
von  Passivität  des  Bleies,  nach  dem  Durchströmen,  am 
Äquator  auf. 

DielebendenGebilde  haben  wir  bis  jetzt  zumeist  nur  von 
aussen  betrachtet,  und  wissen  daher  noch  nicht,  wieweit  sich  Ver- 
änderungen, die  denen  der  Oberfläche  ähnlich  sind  oder  mutatis 
mutandis  ihnen  entsprechen  ins  Innere  erstrecken,  so  dass  wir 
unser  Urtheil  vorläufig  beschränken  müssen.  Nur  an  den  durch- 
scheinenden Eierstockseiern  des  Frosches  und  den  Fischeiem, 
sowie  an  den  Hühner-,  Eidechsen-  und  Mausembryonen  glaubten 
wir  schliessen  zu  dürfen,  dass  die  wahrgenommenen  intensiven 
Trübungen  der  Polfelder  sich  ins  Innere  fortsetzen  und  die 
ganzen  Polabschnitte  betreffen. 

Es  ist  also  zunächst  zu  fragen:  Warum  wird  nicht  die 
ganze  Oberfläche  der  Gebilde,  soweit  sie  dem  Ein-  und  Austritt 
von  Stromfäden  dienen  könnte,  also  soweit  sie  nicht  der  Glas- 
wandung unmittelbar  anliegt  oder  aus  dem  Elektrolyten  frei 
heraussteht,  sondern  vom  durchströmten  Elektrolyten  in  ge- 
nügender Dicke  der  Schicht  umgeben  ist,  verändert? 

Eine  spätere  Frage  wird  es  sein,  warum  nicht  auch  die 
blos  durchflossenen  Theile  der  benetzten  Oberflächen,  siehe 
Seite  124,  sowie  das  durchströmte  Innere  der  bezüglichen  Or- 
ganismen, insbesondere  die  Substanz  der  Äquatorscheiben  ent- 
sprechende Veränderungen  erfahren. 

Da  wir  die  Stellen  der  polaren  Veränderungen  an  jedem 
Gebilde  durch  die  ihm  gegebene  Lagerung  zu  den  Elektroden 
beliebig  bestimmen  konnten,  so  muss  die  Oberfläche  jedes 
dieser  Gebilde  also  an  allen  Stellen  reactionsfähig  auf  den  elek- 
trischen Strom  sein.  Daher  müssen  den  anderen,  vom  Elek- 
trolyten umgebenen,  aber  unverändert  bleibenden  Theilen  der 
Oberfläche  eines  Intraelektrolyten  entweder  zu  wenig  Strom- 
fäden zugeführt  werden,  um  durch  ihren  Ein-  und  Austritt  eine 
sichtbare  Wirkung  hervorbringen  zu  können,  oder  die  an  sich 
in  genügender  Zahl  hingeführten  Stromfäden  müssen  am  Ein- 
tritt verhindert  worden  sein,  was  bei  der  Gleichheit  der  ganzen 
Oberfläche  nur  durch  ein  besonderes  Agens  geschehen  kann. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  199 

Alssolches  Moment  wurde  im  vorigenAbschnitt  ein  zwischen 
den  beiden  Polfeldern  circulirender,  dem  primären  Strom  ent- 
gegengesetzter, also  negativer  Polarisationsstrom  angenommen. 
Mildem  zuletzt  beschafften  Galvanometer  habe  ich  diesen  Strom 
an  einem  metallischen  Intraelektrolyten  unmittelbar  nach 
der  Unterbrechung  des  galvanischen  Hauptstromes  direct 
nachgewiesen,  indem  ich  einen  intraelektrolytär  durchströmten 
Kupferdraht,  um  die  polarisirende  Wirkung  der  durchströmten 
Flüssigkeit  auf  die  Messelektroden  auszuschalten,  rasch  aus 
der  halbprocentigen  Kochsalzlösung,  in  der  er  durchströmt 
worden  war,  in  frische  solche  Lösung  übertrug  und  die  blanken 
Kupferdrahtenden  des  Galvanometerkreises  auf  die  Polfelder 
oder  neben  dieselben  aufsetzte. 

Der  Strom  war  dem  primären  Gleichstrom  entgegengesetzt 
gerichtet  und  betrug  im  Maximum  bei  meiner  Anordnung  sofort 
nach  der  Unterbrechung  des  primären  Stromes  1,  5  M.  Amp., 
fiel  aber  rasch  ab.  Der  Intraelektrolyt  verhält  sich  natürlich  wie 
ein  Accumulator.   Auf  die  gleiche  Weise  gelang  der  Nachweis 
auch  an  dem  mit  dem  Wechselstrom    behandelten  Intra- 
elektrolyten nach  der  Unterbrechung  des  primären  Stromes,  nur 
war  die  Richtung  zum  primären  Strom  nicht  zu  beurtheilen. 
Der  Polarisationsstrom  zeigte   sich  ein  wenig  stärker  als  der 
nach  dem  Gleichstrom  beobachtete;  freilich  war  auch  der  primäre 
Strom  erheblich,  mindestens  dreimal  stärker,  als  der  verwendete 
Gleichstrom.  Die  specielle  Ursache  dieses  letzteren  Polarisations- 
stromes, sowie  überhaupt  die  qualitative  Beschaffenheit  des  vom 
Wechselstrom  erzeugten  Polfeldes  bedürfen  wohl  der  Unter- 
suchung.  Wenn    auch  Drechsel   schon   die  Thatsache   der 
Polarisation  der  Elektroden  im  Wechselstrom  nachgewiesen 
hat,  so  ist  doch  die  Alkaliabscheidung  an  der  Kathode  und  an 
der  kathodisch  beschaffenen  Seite    eines   metallischen  Intra- 
elektrolyten, also  am  sogenannten  »anodischen«  Polfeld,  nur 
eine  sehr  geringe,  wie  ich  oft  beobachtet  habe,  nachdem  dem 
Elektrolyten  Phenolphthallein  zugesetzt  war.  Daher  kann  immer- 
hin die  relative  Stärke  des  nach  der  Durchströmung  nachweis- 
baren Polarisationsstroms  Befremden  erregen. 

Für  das  Verhalten  der  Metalle,  derenÄquator  wirzunächst 
besprechen  wollen,  ist  von  Bedeutung,  dass  beim  Fehlen  einer 


200  W.  Roux, 

elektromotorischen  Gegenkraft  auch  durch  den  schwächsten 
elektrischen  Strom  schon  Elektrolyse  veranlasst  wird,  und 
somit  die  an  den  Ein-  und  Austrittsstellen  des  Stromes  an  der 
Oberfläche  des  Metalles  abgeschiedenen  Jonen  eine  Wirkung 
hervorbringen  müssen. 

Bei  den  Metallen  summiren  sich  dieReactionen  also  einfach 
mit  der  Stromdauer;  und  wenn,  von  der  in  der  Mitte  liegenden 
Indifferenzlinie  abgesehen,  allenthalben  Stromfäden  eintreten, 
kann  schliesslich  ausser  dieser,  nur  ein  Minimum  breiten  Linie 
bloss  dasjenige  Stück  blank  bleiben,  welches  durch  den  negativen- 
Polarisationsstrom  genügend  geschützt  ist.  V'orher  aber  besteht 
bei  schwachem  Strom  längere  Zeit  für  die  Besichtigung  ein 
grösserer  Äquator,  dessen  Grösse  durch  ungenügende  locale 
Stromdichte  bedingt  ist. 

Bei  unseren  lebenden  Objecten  ist  wohl  zu  vermuthen, 
dass  mit  der  sichtbaren  morphologischen  Polarisation  eine 
elektrische  Polarisation  verbunden  ist,  ganz  abgesehen  von  der 
sogenannten  »inneren  Polarisation  feuchter  Leiter«  nach* 
du  Bois-Reymond;  verhält  sich  doch  bei  den  Muskeln 
und  Nerven  nach  L.  Hermann  jeder  absterbende  Quer- 
schnitt negativ  gegen  den  lebenden;  und  unsere  Polfelder 
sind,  wie  wir  an  den  Froscheiern  sahen,  eine  Substanz, 
welche  an  den  Theilungsvorgängen  der  Zelle  nicht  mehr  theil- 
nimmt,  sondern  unter  Umständen  von  den  Zellen  direct  ab-- 
gestossen,  eliminirt  wird,  und  welche  auch  nicht  mehr  jener 
Veränderungen  (Vacuolisation  etc.)  fähig  ist,  wie  sie  sonst  beim 
allmäligen  Absterben  der  Eier  beobachtet  werden. 

Wesentlich  um  diese  Polarisation  nachzuweisen  hatte  ich 
am  Schlüsse  meiner  Untersuchungen  das  erwähnte  Horizontal- 
galvanometer beschafft,  dessen  Theilung  Zehntel  Milliampere 
noch  gross  anzeigt,  und  welches  auf  Hundertel  M.  A.  noch* 
reagiren  soll.  Aber  weder  beim  Aufsetzen  auf  die  mit  dem  Gleich- 
strom von  8  Bunsen  durch  directes  Anlegen  der  Elektroden 
stark  weisslich  polarisirten  Hühnerembryonen,  noch  auf  den 
polarisirten  Eierstock  des  Frosches  gelang  es  mir,  an  diesem 
Instrument  einen  Ausschlag  hervorzubringen;  auch  nicht  wenn 
die  Messelektroden  sehr  nahe  neben  einander  standen,  und  wenn 
sie  direct  an  die  Stellen  der  Elektroden  des  primären  Stromes 


Entwickelungsmechanik  des  Embr}'o.  201 

aufgesetzt  worden  \var6n.  Um  eine  Nebenschliessung  zu  ver- 
hindern, waren  die  Embryonen  nach  dem  Durchströmen  dem 
Elektrolyten  entnommen  und  auf  trockenes.  Fliesspapier  gelegt 
worden.  Dasselbe  negative  Resultat  ergab  sich  nach  Behandlung 
dieser  Objecte  mit  dem  Wechselstrom  beim  Aufsetzen  einer 
Elektrode  an  der  Stelle  einer  früheren  Elektrode  und  der  anderen 
auf  den  Äquator.  Doch  zeigte  dieses  Galvanometer  auch  den 
Muskelstrom  des  Froschmuskels  selbst  bei  wirksamster  Anord- 
nung nicht  an.  Den  Physiologen  dagegen  wird  es  ein  Leichtes 
sein,  mit  dem  du  Bois-Reymond'schen  Multiplicator  die  Ent- 
scheidung über  den  hypothetischen  Strom  zu. geben. 

Ist  der  Polarisationsstrom  von  genügender  Stärke,  so  kann 
er,  wie  bei  den  metallischen  Intraelektrolyten  zur  Ableitung 
einer  scharfen,  der  allmäligen  Abgleichung  entbehrenden 
Grenze  der  Polfelder  gegen  den  Äquator  verwendet  werden.  Aber 
auch  ohne  diesen  Strom  muss  sich  bei  den  lebenden  Wesen  eine 
scharfe  Grenze  ergeben,  da  nur  durch  Ströme,  welche  die  Reiz- 
schwelle überschreiten,  die  polare  Reaction  ausgelöst  werden 
kann,  während  benachbarte  Stellen  nur  wenig  geringerer  Ein- 
wirkung unverändert  bleiben  werden. 

Unter  Berücksichtigung  der  Reizschwelle  wird  es  ver- 
ständlich, dass  bei  stark  geschwächtem  Strom  selbst  nach 
stundenlanger  Durchströmung  die  Froscheier  nur  in  sehr  geringer 
Ausdehnung  polare  Veränderungen  darboten,  und  dass  weiter 
seitlich  im  runden  Stromfelde,  also  in  noch  geringerer  Strom- 
dichte stehende  Eier  gar  keine  Reaction  mehr  erkennen  Hessen. 
Diese  beiden  Verhaltungsweisen  würden  bei  der  Zurückführung 
des  Äquators  bloss  auf  einen  Polarisationsstrom  natürlich  nicht 
zu  erklären  sein. 

Wie  sich  die  Breite  des  durch  dieses  Moment  bedingten 
Äquators  zu  der  durch  den  hypothetischen  Polarisationsstrom 
bedingten  verhaltej  wird  erst  nach  der  Nachvveisung  der  Stärke 
dieses  letzteren  erörtert  werden  können. 

Alle  Stellen,  an  welchen  die  für  die  Auslösung  der  polaren 
-Veränderungen  bestehende  Reizschwelle  nicht  überschritten 
wird,  werden  sich  solange  nicht  verändern,  bis  schliesslich 
von  den  Polfeldern  aus  das  einheitliche  lebende  Gebilde  durch 
die  Veränderung  zu  vieler  oder  zu  lebenswichtiger  Theile,  oder 


202  W.  Roux, 

durch  eventuelle  innere  Wirkung  der  Durchströmung  (durch 
innere  Polarisation)  als  Ganzes  getödtet  worden  ist  und  daraus 
resultirende  anderweite,  auch  auf  den  Äquator  sich  erstreckende 
Alterationen  vor  sich  gehen;  wie  wir  denn  an  Blastulae  und 
Gastrulae  nach  langer  Durchströmung  den  ganzen  Äquator 
sich  plötzlich  in  toto  grau  verfärben  sahen. 

Die  Reaction  nach  Überschreitung  der  Reizschwelle  im 
Bereiche  der  Polfelder  war  bei  demselben  Objecte,  dem  Froschei 
oder  dem  Tritonei  je  nach  der  Stärke  und  Dauer  der  Gesammt- 
einwirkung  eine  örtlich,  graduell  und  vielleicht  auch  qualitativ 
verschiedene.  Während  mit  den  schwächsten  Strömen  be- 
handelte Frosch-  und  Tritoneier  ihre  kleinen  Polfelder  unter 
minimalem  Durchtritt  von  Eiinhalt  durch  die  Eirinde  nur  ver- 
färbten, entstand  bei  starkem  Strom  an  der  Grenze  des  Polfeldes 
ausser  grossen  Austritten  von  Eiinhalt  eine  starke,  wohl  auf 
Contraction  des  Rindenprotoplasma  eingeleitete  Furche;  bei  ge- 
eigneter Stromstärke  und  Dauer  blieben  die  elektrischen  Pole 
des  Eies  fast  unverändert  und  die  starke  Veränderung  der  Ei- 
rinde localisirte  sich  in  derNähe  derNiveaulinien.  Dies  alles  sind 
Erscheinungen,  die  ihrer  Natur  nach  an  die  specifisch  vitalen 
Eigenschaften  der  Objecte  anknüpfen.  Weniger  grell  gegen  den 
Äquator  abstechend  war  die  Polfeldgrenze  an  den  Gehirnblasen 
der  Hühner-,  Eidechsen-  und  Mausembryonen;  bei  diesen  Ge- 
bilden sowie  bei  Gallenblasen  konnte  ausserdem  def  Äquator 
durch  lange  fortgesetzte  Durchströmungunter  successiv  e  r  Ver- 
kleinerung zum  Verschwinden  gebracht  werden.  An  den  Extre- 
mitäten der  Hühner-,  Eidechsen-  und  Mausembryonen,  sowie  an 
der  Allantois  der  beiden  ersteren  war  überhaupt  keine  scharfe 
Grenze  zwischen  Polfeld  und  Äquator  vorhanden,  ein  Verhalten 
welches  besonderer  Aufklärung  bedarf. 

Gehen  wir  nun  zur  Ursache  der  speciellen  Gestalt- 
verhältnisse der  Polfelder  und  damit  auch  des  zwischen 
ihnen  gelegenen  Äquators  über,  so  ist  zuerst  ein  Moment  ira 
Zusammenhange  zu  besprechen,  dem  wir  sowohl  an  organischen 
wie  an  anorganischen  Gebilden  wiederholt  begegnet  sind,  und 
welches  als  Stromschatten  bezeichnet  worden  ist. 

Wir  sahen,  dass  manche  Flächen  des  Intraelektrolyten  die 
Veränderungen  nicht  in  derjenigen  Intensität  darboten 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  203 

wie  sie  nach  der  Dichtigkeit  der  Stromfaden  im  homogenen 
elektrischen  Felde  an  der  betreffenden  Stelle  und  nach  der 
Richtung  der  betreffenden  Fläche  zu  den  Stromfäden  zu  erwarten 
gewesen  wären.  Auf  solche  Flächen  bezog  sich  der  Ausdruck, 
dass  sie  sich  im  Stromschatten  befänden.  Unter  im  Stromschatten 
befindlichen  Flächen  eines  Intraelektrolyten  verstehen  wir 
demnach  diejenigen  Theile  seiner  Oberfläche,  auf  welche  bei 
seiner  Durchströmung  weniger  Stromfäden  treffen,  als  nach 
der  Lage  der  Fläche  zu  den  Stromfäden  des  homogen  gedachten 
elektrischen  Feldes  ihr  zukommen  würden. 

Nach  dieser  willkürlichen,  jedoch  für  uns  zweckmässigen 
Definition  ist  der  Stromschatten  also  durch  Ablenkung  der 
Stromfäden  aus  ihrer  Richtung  im  homogenen  Felde  bedingt, 
und  zwar  entweder  infolge  von  Anziehung  oder  Abstossung 
derselben  durch  den  Intraelektrolyten. 

Der  Schatten  durch  Anziehung  von  Stromfäden  besteht 
in  der  Vorwegnahme  von  Stromfäden  durch  den  Elektroden 
näher  befindliche  Theile  eines  besser  als  der  Elektrolyt  leitenden 
Intraelektrolyten,  also  unter  Benachtheiligung  der  darauf  folgen- 
den Theile,  so  z.  B.  durch  die  Ränder  und  angrenzenden  Seiten- 
flächen von  Furchen,  welche  gegen  die  Elektrode  gewendet 
sind,  welche  also  in  Richtung  des  Stromes  stehen;  wie  wir  solchen 
Schatten  an  derartig  orientirten  Furchen  von  Froschembryonen, 
an  der  gefalteten  älteren  Gastrula  des  Triton  und  an  genügend 
tief  gewölbten  Stücken  der  Vorderhimblasen  des  Hühnerembryo 
gesehen  haben.  Ferner  bekundeten  wesentlich  denselben  Vor-, 
gang  Froscheier,  welche  in  einer  längs  des  Stromes  gerichteten 
Drahtgabel  lagen,  sowie  das  beim  Durchströmen  des  Feldes  un- 
verändert gebliebene  Stanniolbänkchen  innerhalb  des  Stanniol- 
ringes. Ferner  zeigt  sich  dasselbe  an  den  schief  zur  Strom- 
richtung liegenden  länglichen  Gebilden,  wie  den  Gallenblasen 
der  Kaninchen,  an  den  Eiern  von  Tritonen  und  Fröschen, 
welche,  in  eine  Glasröhre  aspirirt,  dadurch  stark  länglich 
geworden  und  durch  seitlich  daneben  liegende  Eier  schief  zur 
Röhre  gestellt  waren,  ebenso  wie  an  dem  schief  liegenden 
Metalldraht  Alle  diese  behielten  beim  Durchströmen  einen 
nicht  rein  seitlich,  sondern  schief  gegen  die  Elektroden 
gewendeten,  wie  wir  sagten,  anscheinend  »bestrahlten«  Äquator, 


1 


204  W.  Roux, 

der  also  bei  gewöhnlichem  Verlauf  der  Stromfäden,  wie  er 
im  homogenen  Felde  stattfindet,  von  ebenso  vielen  Stromfäden 
getroffen  worden  wäre,  als  die  angrenzenden,  noch  den  gleichen 
Winkel  mit  der  geraden  Verbindungslinie  beider  Elektroden 
bildenden  Theile  der  Polfelder.  Trotz  dieses  gleichen  Winkeis 
ist  der  eine  Theil  unverändert,  weil  ihm  durch  die  der 
Elektrode  nähere  Nachbarschaft  die  Stromfäden  grösstentheils 
vorher  weggesaugt  worden  sind.  Auch  die  mit  dem  Abstände 
von  der  Anode  abnehmende  anodische  Verändierung  der  Knollen 
des  Fadens  von  Aethalinm  sepiicunt  nach  der  Abbildung 
Verworrns*  könnte  neben  dem  auf  S.  191  erörterten  Moment 
auf  Vorwegnahme  von  Stromfäden  durch  die  der  Anode  näheren 
Theile  beruhen,  da  die  Durchströmung  doch  wohl  in  gewöhn- 
lichem Wasser  stattfand  und  das  Protist  also  besser  leitete  als 
der  Elektrolyt.  Im  Wesentlichen  gleichfalls  derselbe  Vorgang, 
wenn  auch  ein  wenig  modificirt,  trat  an  einer  quergestellten 
Drahtgabel  ein;  ebenso  natürlich  auch,  als  zwei  rechtwinkelig 
zum  Strom  orientirte,  einander  nahe,  leitend  verbundene  Platten 
durchströmt  wurden;  dabei  bekam  keine  von  beiden  an  der 
Innenfläche  ein  Polfeld,  w^ie  es  sofort  geschieht,  wenn  die 
leitende  Verbindung  unterbrochen  wird.  Dem  ersteren  dieser 
beiden  Fälle  Ähnliches  beobachteten  wir  im  Bereiche  des 
Organischen  an  den  in  Wasser  durchströmten,  geschwächten 
Morulae  des  Frosches  und  Triton,  welche  zwei  Generalpolfelder 
bildeten.  Diese  Polfelder  nahmen  die  ganze  gegen  die  Elektrode 
gewendete  Seite  der  Zellen  ein  und  griffen  wohl  auch  ein  wenig 
über  die  Ränder  herum  nach  der  Gegenseite;  aber  die  beiden 
Begrenzungsflächen  der  vorhandenen  kleinen,  seitlich  gerich- 
teten Furchen  blieben  einige  Zeit  lang  unverändert,  gleich  wie 
in  Richtung  des  Stromes  stehende  Furchen,  aber  unter  etwas 
anderer  Vermittelung.  Während  bei  letzterer  Stellung  in  die  Tiefe 
der  Furchen  keine  Stromfäden  gelangen,  weil  die  in  die  Öffnung 
der  Furche  eingetretenen  Stromfäden  vorher  in  die  beiden 
Seitenwände  übertreten,  werden  die  auf  die  beiden  Aussen- 
flächen  der  querstehenden  Gabel  oder  Furche  fallenden 
Stromfäden  durch  die  leitende  Verbindung  derselben  in  einander 
übergeleitet  und  so  die  weniger  gut  leitende  Flüssigkeit  des 
Binnenraumes  umgangen,  respective  die  auf  der  einen  Seite 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  205 

eingetretenen  Stromfäden  gehen  durch  den  besser  leitenden 
Verbindungstheil,  um  erst  auf  der  anderen  Seitenfläche  wieder 
auszutreten. 

Der  Stromschatten   durch  Abstossung  von  Strom- 
faden  findet  statt,  wenn  der  Intraelektrolyt  schlechter  leitet  als 
der  Elektrolyt;  da,  entsprechend  dem  Ohm'schen  Gesetz,  der 
Strom  in  der  dem  relativen  Leitungsvermögen  entsprechenden 
Stärke  mehr  durch  den  besser  leitenden  Theil  geht.  Es  blieben 
daher  z.  B.  an    den    aus   mit  Wasser  angerührtem  Mehlteig 
gebildeten    Kugeln    die   Polseiten   unverändert,   und   nur   am 
Äquator   der  Kugel   wurden    die   an    der   ganzen  Oberfläche 
befindlichen  Messingspäne  polarisirt.  Dasselbe  war  natürlich 
der  Fall,  wenn   ein   schlechter   leitender  Körper  in  Richtung 
des  Stromes  vor  dem  Intraelektrolyten  lag,  wie  Fett  vor  der 
Gallenblase,  Luftblasen  auf  der  Metallkugel  oder  Glasbalken 
vor  den  Froscheiern.  Doch  haben  die  den  Elektroden  näheren^ 
also  gegen  sie  vorspringenden  Theile  immer  noch  eine  Begünsti- 
gung für  den   Stromfädeneintritt  vor  den   seitlichen .  Theilen 
voraus,  welche  ein  gewisses  Maass  von  geringerem  Leitungs- 
vermögen zu  übercompensiren  vermag.  Dies  sprach  sich  darin 
aus,  dass  in  fünfprocentiger  Kochsalzlösung  die  nach  unserer 
Beobachtung  schlechter  leitende,  runde  Gallenblase  noch  grüne 
Polfelder  statt  eines  grünen  Äquators  bildete. 

Eine  etwas  schwieriger  zu  verstehende  Art  anscheinender 
Abstossung  von  Stromfäden  haben  wir  an  dem  metallischen 
rechten  Winkel  gesehen,  dessen  einer  Schenkel  normal  zum 
Strome  des  homogenen  Feldes  stand  und  auf  der  Seite,  welche 
dem  in  Richtung  des  Stromes  stehenden  Schenkel  zugewandt 
war,  blank  blieb,  obgleich  die  Fläche  direct  der  anderen 
Elektrode  zugewendet  war.  Das  Nöthige  über  diesen  Fall  ist 
im  vorigen  Abschnitte  schon  gesagt,  siehe  S.  154  u.  f.  Nach 
dem  Vorstehenden  kann  noch  hinzugefügt  werden,  dass  sich 
das  ganze  Verhalten  auf  den  Fall  einer  Metallgabel  reducirt, 
deren  einer  Schenkel  quer,  deren  anderer  Schenkel  in  Längs- 
richtung zum  Strome  orientirt  ist;  die  das  freie  Ende  des  Quer- 
schenkels umgehenden,  scheinbar  abgestossenen  Stromfäden 
sind  im  Gegentheil  von  ihrer  im  homogenen  F^elde  seitlichen 
Bahn  wie   durch   Anziehung   abgelenkte  Stromfäden.   Hiebei 


206  W.  Roux, 

braucht  das  Wort  »Anziehung«  nicht  im  wörtlichen  Sinne 
gedacht  zu  werden,  sondern  als  abgekürzter  Ausdruck  dafür, 
dass  durch  das  Convergiren  der  benachbarten  Stromfäden 
gegen  das  Metall  die  Bahn  im  Elektrolyten  zum  Theil  frei 
wurde  und  daher  seitliche  Stromfäden  in  diesen  Theil  ein- 
bogen. 

Wir  haben  noch  Thatsachen  kennen  gelernt,  welche  auf 
eine  weitere  Art  des  Stromschattens  im  Sinne  unserer  Definition 
hinzuweisen  scheinen,  auf  einen  Stromschatten  infolge  localen 
Verbrauches  oder  localer  Abschwächung  von  Stromfaden  durch 
eine  Arbeitsleistung;  so  z.  B.  die  geringe  Veränderung  von 
Eierstockeiern,  welche  durch  benachbarte,  der  Elektrode  näher 
stehende,  aber  entsprechend  vorspringende  Eier  von  der  directen 
Bestrahlung  durch  diese  Elektrode  ausgeschlossen  sind  und 
anscheinend  nur  die  Stromfäden  erhalten,  welche  schon  das 
davor  gelegene  Ei  passirt  haben,  ferner  die  Beobachtung,  dass 
zwei  zusammengebundene  und  quer  zur  Berührungsfläche 
durchströmte  Gallenblasen  an  diesen  Flächen  erst  erheblich 
später  sich  verändern,  als  an  den  direct  bestrahlten  Aussen- 
flächen,  eine  entsprechende  Beobachtung  auch  an  zusammen- 
gedrängten Froschembryonen.  Eine  solche  Erklärung  dieser 
Thatsachen  würde  jedoch  dem  Gesetze,  dass  jede  locale 
Stromschwächung  alle  Querschnitte  der  ganzen  Strombahn  in 
gleicherweise  afficirt, widersprechen;  es  wird  daher  eine  andere 
Erklärung  der  bezüglichen  Erscheinungen  zu  suchen  sein. 

Wohl  nicht  durch  Stromschatten  bedingt  war  das  Aus- 
bleiben der  Veränderung  an  der  Fläche  der  platt  ausgebreiteten 
Keimscheibe  des  Hühnchens.  Diese  Fläche  lief  einfach  parallel 
den  Stromfäden  des  homogenen  Feldes,  und  infolge  der  nur 
geringen  Leitungsdifferenz  convergirten  seitlich  von  ihr  ver- 
laufende Stromfäden  nicht  in  genügender  Anzahl  gegen  sie, 
um  die  Reizschwelle  zu  überschreiten. 

Nach  diesen  Erörterungen  können  wir  zu  einer  kurzen 
Besprechung  der  Richtung  der  Grenzlinien  der  Polfelder 
zu  den  Niveauflächen  des  umgebenden,  homogenen 
elektrolytischen  Feldes  übergehen. 

An  unserem  ersten  Untersuchungsobjecte,  den  Froscheiern, 
hatte  sich  gezeigt,  dass  die  Grenzlinien  der  Polfelder  gegen  den 


r 


Ent^nckelungsmechanik  des  Embr}'o.  207 

Äquator  den  Richtungen  der  Niveauflächen  des  umgebenden 
elektrolytischen  Feldes  entsprechen;  und  diese  Übereinstim- 
mung hätte  leicht  zu  einer  falschen  Verallgemeinerung  ver- 
führen können.  Doch  die  an  länglichen,  schief  zu  den  Strom- 
linien stehenden  Gebilden,  wie  Gallenblasen  und  Embryonen, 
beobachteten  Abweichungen  der  Polfeldgrenzen  von  diesen 
Niveauflächen  wiesen  auf  den  wahren  ursächlichen  Zusammen- 
hang hin;  zumal  da  bei  der  Stellung  dieser  Gebilde  mit  der 
Längsaxe  in  Richtung  der  Stromlinien  oder  dieser  Niveauflächen 
die  Polfeldränder  wieder  annähernd  die  Niveauflächenrichtung 
erlangten.  Dadurch  wurde  klar,  dass  die  Lage  und  Richtung 
des  Äquators  sowohl  von  der  Gestalt  der  Intraelektrolyten 
wie  von  der  Lage  derselben  zur  Richtung  der  Stromfäden 
abhängig  ist. 

Dass  jede  Wirkung  an  einem  in  sich  homogenen  Intra- 
elektrolyten, welche  sich  auf  ihm  begrenzt,  mit  einer  äqui- 
potentialen Grenze  des  Intraelektrolyten  abschliessen  muss, 
ist  selbstverständlich.  Es  bleibt  also  bloss  übrig,  uns  auf  elemen- 
tarste Weise  eine  Vorstellung  darüber  zu  bilden,  warum  diese 
äquipotentialen  Linien  des  Intraelektrolyten  bei  Kugelgestalt 
desselben  sowie  bei  einigen  anderen  Formen  zugleich  die 
Richtung  der  äquipotentialen  Flächen  der  betreffenden  Stelle 
des  homogenen  Elektrolyten  besitzen,  und  warum  dies  bei 
den  abweichenden  Gestaltungen  nicht  der  Fall  ist. 

Wir  nehmen  an,  der  in  einem  runden  homogenen  elek- 
trolytischen Felde,  dessen  Elektroden  am  Rande  einander 
gegenüberstehen,  liegende  Intraelektrolyt  sei  so  klein,  dass 
die  Stromdichte  in  seinem  Bereiche  allenthalben  wesentlich  die 
gleiche  sei;  und  ferner,  zunächst  wenigstens,  dass  der  Intra- 
elektrolyt das  gleiche  Leitungsvermögen  besitze  als  der  Elek- 
trolyt. Alsdann  werden  die  Stromfäden  durch  ersteren  nicht 
abgelenkt  Die  einen  kugeligen  Intraelektrolyten  tangirenden 
Stromfaden  bilden  mit  ihren  Berührungspunkten  dann  nicht 
bloss  für  den  Intraelektrolyten  eine  äquipotentiale  Linie,  weil 
sie  die  Linie  allenthalben  gleich  minimaler,  nämlich  keiner 
Wirkung  darstellen;  sondern,  da  aus  geometrischen  Gründen 
diese  Tangentenlinie  eine  rechtwinkelig  zu  den  betreffenden 
Stromfaden   stehende   Linie  ist,    ist   sie   zugleich   auch   eine 


208  W.  Roux, 

äquipotentiale  Linie  für  das  homogene  elektrolytische  Feld.  Die 
■letztere  Annahme  trifft  zwar  genau  bloss  für  ein  aus  parallelen 
Strahlen  gebildetes  sowie  für  ein  concentrisches  Strahlenbündel 
zu,  dessen  Symmetrie-Axe  durch  den  Mittelpunkt  der  Kugel 
geht,  also  eigentlich  bloss  für  Kugeln,  die  in  der  mittleren, 
geraden  Verbindungslinie  der  Elektroden  gelegen  sind;  jedoch 
-werden  auch  an  den  seitlich  im  Stromfelde  stehenden  Kugeln 
die  Abweichungen  jso  gering  sein,  dass  sie  an  den  uns  an- 
gehenden Objecten,  den  Froscheiern,  nicht  wahrnehmbar  sind. 
Auch  die  durch  den  Umstand,  dass  die  Froscheier  nicht  genau 
kugelig  sind,  bedingten  Abweichungen  werden  kaum  festzu- 
stellen sein»  Da  der  Äquator  die  Zone  geringster  Veränderung, 
die  Tangirungslinie  aber  die  Linie  ohne  Einwirkung  ist,  so 
wird  bei  symmetrischer  Lage  der  Kugel  zu  beiden  Elektroden 
■die  Tangirungslinie  die  Mittellinie  des  Äquators  darstellen.  Die 
durch  andere  Stellung  der  Eier  bedingten  Abweichungen  werden 
immer  nur  sehr  klein  sein.  Dagegen  waren  die  durch  die  man- 
gelnde Homogeneität  der  Eier  hervorgebrachten  Abweichungen 
so  erheblich,  dass  wir  sie  mit  Leichtigkeit  wahrnehmen  konnten. 
Da  diese  sich  jedoch  auf  die  obere  Hemisphäre  beschränkten, 
so  erhielten  wir  bei  der  Betrachtung  der  Schalen  mit  Eiern  von 
unten  das  Bild  anscheinend  vollkommen  äquipotentialer  Curven. 

Dieselbe  Ableitung  gilt  natürlich  auch  für  die  Tangenten- 
linie eines  länglichen  oder  platten  Rotationskörpers,  dessen 
Axe  in  Richtung  eines  Stromfadens  steht,  und  ferner  wie  für 
die  Tangentenlinie  annähernd  auch  für  die  übrigen  Linien 
gleichen  Potentials.  Verlaufen  die  Stromfäden  der  Stelle  des 
Feldes  nicht  gerade,  so  bedingt  dies  natürlich  wiederum  kleine 
Abweichungen.  Leitet  der  Intraelektrolyt  besser  als  der  Elek- 
trolyt, so  zieht  der  so  orientirte  Rotationskörper  die  Stromfäden 
an,  aber  allerseits  in  fast  gleicherweise;  die  Tangirungslinie 
bleibt  somit  dieselbe,  ebenso  die  Richtung  der  äquipotentialen 
Linien  des  Rotationskörpers. 

An  länglichen,  aber  schief  zu  den  Stromlinien  stehenden 
Rotationskörpern  und  an  unregelmässig  gestalteten  Gebilden 
dagegen  zeigten  sich  augenfällige  Abweichungen  zwischen  den 
äquipotentialen  Linien  des  Intraelektrolyten  und  denen  des 
Elektrolyten,    welche    nicht   bloss    durch  Abweichungen   der 


r 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  209 

Tangirungslinie  bedingt  waren,  sondern  durch  die  ungleiche 
Stromdichte  an  den  verschiedenen  Stellen  des  Feldes  und  durch 
die  Spitzenwirkung  noch  in  dem  Maasse  verstärkt  wurden,  dass 
z.  B.  an  langen  schief  im  Stromfeld  stehenden  Gallenblasen  oder 
Embryonen  jedes  Polfeld  weit  über  das  der  Elektrode  zuge- 
wendete Ende  der  Blase,  also  auch  über  die  Tangirungslinie 
herübergreift  und  der  an  diese  Stelle  angrenzende  Theil  des 
Äquators  der  entgegengesetzten  Elektrode  zugewendet,  also 
scheinbar  von  ihr  aus  stärk  bestrahlt  ist. 

Wir  haben  alle  die  an  den  organischen  Gebilden  beob- 
achteten Verschiedenheiten  in  der  Localisation  des  Äquators  an 
metallenen  Intraelektrolyten  in  genügendem  Maasse  nachge- 
macht, um  2u  sehen,  dass  in  den  Richtungsverhältnissen 
des  Äquators  nichts  den  lebenden  Körpern  als  solchen  Eigen- 
thümliches  vorliegt. 

Besprechen  wir  nun  die  Ursachen  der  Hauptunter- 
schiede zwischen  dem  Verhalten  der  Metalle  und  der 
lebenden  Körper  in  der  Localisation  der  Polfelder,  so 
sind  sie  auf  folgende  Momente  zurückzuführen: 

Erstens  auf  das  vielmal  bessere  Leitungsvermögen 
-der  Metalle  als  das  der  organischen  Körper.  Dies  bedingt, 
dass  bei  den  Metallen  die  Stromfäden  sowohl  ausserhalb  des 
Intraelektrolyten  wie  auch  eventuell  innerhalb  desselben  andere 
Bahnen  einschlagen.  Von  viel  grösserer  Entfernung  her  con- 
vergiren  die  Stromfäden  gegen  den  metallischen  Intraelektro- 
lyten, werden  also  in  viel  höherem  Maasse  von  ihrer  Richtung 
abgelenkt.  So  wurden  bei  den  Metallen  auch  die  in  der  Richtung 
von  nicht  abgelenkten  Stromfäden  stehenden  Seitenflächen  bis 
auf  einen  schmalen  Äquator  verändert,  während  bei  der  platten 
Keimscheibe  des  Hühnchens  nur  die  polwärts  gewendeten 
Ränder  eine  Trübung  zeigten,  die  Seitenflächen  aber  unver- 
ändert blieben.  Und  bei  gerundeten  organischen  Gebilden  treten 
so  wenig  Stromfäden  an  den  seitlichsten  Theilen  ein,  dass  der 
daselbst  befindliche  unveränderte  Äquator  schon  wesentlich 
darauf,  in  Verbindung  mit  dem  Moment  derKeizschwdle,  zurück- 
führbar erscheint.  Die  Verschiedenheit  der  Bahnen  innerhalb 
des  Intraelektrolyten  ist  manchmal  von  noch  grösserer  Bedeu- 
tung. Berührten   sich   zwei  in  Richtung  des   Stromes  hinter- 

Sitzb.  d.  mafiem-naturw.  Cl.;  CI.  Bd.  Abth.  III.  l** 


210  W.  Roux, 

einander  liegende  Metallkugeln  leitend,  so  bekam  jede  bloss 
ein  gegen  die  Elektrode  gewendetes,  über  die  Hälfte  der  Kugel 
einnehmendes  Polfeld,  und  die  gegen  einander  gewendeten 
Flächen  stellten  den  Äquator  dar.  War  dagegen  eine  Gallen- 
blase durch  Unterbindung  in  zwei,  den  Kugeln  ähnlich  gestaltete, 
substanziell  aber  continuirlich  verbundene  Abschnitte  zerlegt, 
so  bekam  gleichwohl  jeder  Abschnitt  zwei  Polfelder  und  seinen 
eigenen  Äquator. 

Dieser  scheinbar  fundamentale  Unterschied  beruht  jeden- 
falls darauf,  dass  bei  den  Metallkugeln  alle  aussen  auffallenden 
Stromfäden  durch  die  metallene  Verbindung  als  den  leichteren 
Weg  gehen,  auch  wenn  sie  noch  so  dünn  ist;  während  bei  den 
Gallenblasen,  da  deren  Substanz  nicht  viel  besser  leitet  als  der 
Elektrolyt,  dies  nur  die  der  Verbindung  beider  kugeligen  Theile 
nächsten  Stromfäden  thun,  die  entfernter  davon  befindlichen 
aber  an  der  anderen  Seite  der  Kugel  wieder  aus-  und  in  den, 
beide  Kugeln  trennenden  Elektrolyten  ein-  und  aus  diesem  in  die 
andere  Kugel  übertreten,  so  dass  an  beiden  einander  zuge- 
wendeten Flächen  aufs  Neue  die  specifische  Wirkung  statt- 
findet. Auf  dieselbe  Weise  erklären  sich  auch  die  an  Embryonen, 
welche  in  der  Mitte  eingeschnürt  sind,  beobachteten  zwei  Äqua- 
toren,  die  durch  ein  drittes  ringförmiges  Polfeld  von  einander 
gesondert  sind,  desgleichen  die  Specialpolarisation  der  gesondert 
vorspringenden  Gehirnblasen. 

Die  weiteren  Unterschiede  der  Localisation  der  Verände- 
rungen knüpfen  vermuthlich  an  specifisch  vitale  Eigenschaften 
der  Organismen  an,  so  vielleicht  die  stärkere  AfTection  des 
Frosch-  und  Tritoneies  in  der  Umgebung  des  Poles  als  an 
diesem  selber,  sofern  hierbei  nicht  die  stärkere  Brechung  der 
Stromfäden  an  den  seitlichen  Theilen  wesentlich  mit  betheiligt 
ist;  ferner  der  Übergang  der  Specialpolarisation  zur  General- 
polarisation der  Morulae,  in  Gleichem  wie  die  specifische  Natur 
der  Reactionsweise  selber.  Die  vitalen  Eigenschaften  kamen 
auch  einigemal  schon  bei  der  abnormen  Abgrenzung  der  Pol- 
felder in  Betracht,  siehe  S.  32  und  49. 

Wenn  wir  nun  zur  Besprechung  der  specifischen  Re- 
actionsweisen  der  lebenden  embryonalen  Substrate 
übergehen,  so  fehlt  uns  für  deren  Beurtheilung,  noch  mehr  als 


r 


l  Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  211 

■ 

für  die  Localisation  der  Veränderungen,  die  Kenntniss  des 
inneren  Verhaltens  der  Gebilde,  weshalb  wir  uns  jetzt  nur 
zusammenfassende  Vorstellungen,  aber  keine  Erklärung  der 
Vorgänge  bilden  können. 

Bei  den  ungetheilten  Frosch-  und  Tritoneiern  war 
ausser  der  Verfärbung  der  Rinde  der  Polfelder  und  der  An- 
häufung von  Pigment  an  den  Niveaulinien  ein  die  Verfärbung 
wesentlich  mitbedingender  Durchtritt  von  Zellinhalt  durch  die 
Rinde  in  diffuser  Weise  oder,  wie  an  den  Niveaulinien,  respec- 
tive  bei  sehr  schwachem  Strom  auch  an  den  auf  die  Pole 
beschränkten  kleinen  Polfeldern,  in  Form  grösserer  oder  kleinerer 
Tropfen  wahrnehmbar.  Ausserdem  fand  eine  irreparabele  Con- 
traction  des  Protoplasma  in  den  Niveaufurchen  unter  geringer 
Näherung  derselben  gegen  einander  mit  gleichzeitiger  Erniedri- 
gung des  Äquators  und  Erhöhung  der  oberen  Ränder  der  Pol- 
abschnitte statt.  An  unreifen  Eiern  entstand  auf  dem  hellen 
Nahrungsdottertheil   keine  Verfärbung  der  Polfelder,  sondern 
bloss  eine  weisse,  wie  eingeritzte  Niveaulinie.  An  den  Frosch- 
und  Tritoneiem  gingen  auch  im  Bereiche  des  Äquators  Verände- 
rungen, besonders  der  Pigmentvertheilung  vor  sich,  theils  indem 
die  Ränder  des  Äquators  das  Pigment  verloren,  theils  indem 
das  Pigment   sich  in  Richtung   von  Polmeridianen  des  Eies 
ordnete.  Bei  den  ungetheilten  Fischeiern  erfolgte  zunächst 
eine  Absonderung  des  Haupttheiles  des  Protoplasmas  auf  einer 
nicht    durch    den    Strom   bestimmten    Seite    des   Nahrungs- 
dotters;   die    auch    bei    diesen    Eiern    entstehenden    beiden 
Einschnürungen  an  den  Grenzen  der  Polfelder  folgten  bloss 
dann  den  Niveauflächen  des  umgebenden  Mediums,  wenn  die 
Eiaxe  zufällig  selber  in  einer  solchen  Fläche  oder  rechtwinkelig 
zu  ihr  lag.  Anderenfalls  zeigte  sich  eine  Tendenz,  dass  die  von 
der  Keimscheibe   ausgehenden   beiden  Einschnürungen   sich 
möglichst  parallel  der  Eiaxe  auch  auf  den  Nahrungsdotter  fort- 
setzen; der  Art  jedoch,  dass  bei  Schiefstellung  der  Eiaxe  gegen 
die  Stromrichtung  die  Einschnürungen  sowohl  von  der  Richtung 
der  Niveauflächen  wie  von  der  parallelen  Richtung  zur  Eiaxe 
abweichen.  Es  ist  also  vollkommen  deutlich,  dass  das  Fischei 
nicht  gleich  dem  Froschei  fast  homogen  gegen  den  Strom  sich 
verhält,  sondern  dass  ein  fester  Mechanismus  vorliegt,  der  die 

14* 


212  W.  Roux, 

Richtung  der  durch  den  Strom  veranlassten  Contractionen 
beeinflusst.  Die  durch  die  Schnürfurchen  abgegrenzten  Pol- 
abschnitte werden  trüb.  Bei  Stellung  der  Eiaxe  in  Richtung 
des  Stromes  waren  diese  Trübungen  wieder  in  Richtung  der 
Niveauflächen  begrenzt  und  lagen  manchmal  beide  in  dem 
kleinen  Bereiche  des  Bildungsdotters.  Auch  bei  den  Fischeiern 
wurde  Substanz,  jedoch  nur  sehr  wenig,  im  Bereiche  der  Pol- 
felder und  bloss  in  feinster  Form  aus  der  Oberfläche  hervor- 
getrieben. 

An  den  noch  durchscheinenden  Eierstockeiern  des  Frosches 
wurden,  wie  bei  den  Eiern  des  Fisches,  wie  es  schien,  nicht 
bloss  die  Polfelder,  also  die  oberflächlichen  Theile,  sondern  die 
ganzen  Polabschnitte  trüb. 

An  den  getheilten  Eiern  fand  sich  wesentlich  dieselbe 
Art  der  Veränderung;  nur  sprach  sich  dabei  ein  Gegensatz 
zwischen  dem  Verhalten  isolirter  Zellen  und  noch  im  Verband 
der  Morula  oder  Blastula  befindlicher  Zellen  aus.  Erstere  platzten 
an  den  beiden  Polen  auf,  also  ähnlich  den  lange  Zeit  mit  sehr 
schwachem  Strom  durchströmten  ungetheilten  Eiern.  Die  nicht 
isolirten  Zellen  dagegen  bildeten  Polfelder,  die  mit  ihren  Niveau- 
linien der  äusseren  Ansicht  nach  weniger  um  den  eigenen  Zell- 
pol, als  vielmehr  um  den  nächsten  elektrischen  Eipol  centrirt 
waren  und  dann  längs  der  Niveaulinien  aufplatzten.  Man  kann 
sich  zur  Erklärung  vorstellen,  dass  die  isolirten  Zellen  zu  einer 
Polfeldbildung  keine  Gelegenheit  erhalten,  weil  sie  sogleich  an 
den  Polen,  als  an  den  stärkst  afficirten  Stellen  aufplatzen,  wonach 
bei  derContraction  des  Rindenprotoplasmas  der  Inhalt  aus  diesen 
beiden  Öffnungen  sich  entleeren  musste,  so  dass  er  nicht  mehr 
diffus  durch  die  Zellrinde  gepresst  werden  konnte  und  diese 
selber  auch  nicht  mehr  an  einer  Niveaulinie  aufzuplatzen  in  der 
Lage  war,  letzteres  zugleich  noch  deshalb,  weil  durch  die  beiden 
ausgetretenen  Protoplasmamassen  die  Stromfädenvertheilung 
alterirt  und  die  Gegend  der  sonstigen  Niveaufurchen  auf  diese 
verlegt '^wurde.  Wir  haben  an  Extraovaten  der  Frosch-  und 
Tritoneier,  sowie  an  mit  dem  Messer  hergestellten  Theilen  des 
Dotters  des  Fischeies  gesehen,  dass  die  der  Rinde  beraubten 
Eitheile  die  Niveauring- Contraction  nicht  bilden.  Die  natür- 
Uche  Rindenschicht  dagegen  ist  sehr  contractu;  denn  die  Um- 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  213 

schliessungsschichtderisolirtenBlastulazellen  desTritons  konnte 
sich  bei  der  Entleerung  ihres  Inhaltes  um  *Vioo  ohne  Falten  zu 
bilden  zur  Umschliessung  des  geringen  Inhaltsrestes  verkleinern. 

An  durchströmten  Gastrulae  des  Triton  wurde  schon 
ohne  Mikrotomirung,  durch  Zerzupfen  erkannt,  dass  Zellen  der 
Art  polarisirt  waren,  dass  sie  einen  gegen  die  Eioberfläche 
gewendeten  hyalin-protoplasmatischen  und  einen  inneren  dotter- 
körnerreichen  Polabschnitt  besassen. 

An  jungen  Fr  o  s  c  h  e  m  b  r  y  o  n  e  n  wurde  im  Bereiche  der  Pol- 
felder Abfall  desEpithels  in  einzelnen,gerundeten  Zellen,  an  älteren 
Embryonen  in  zusammenhängenden  Fetzen  beobachtet.  An  den 
durchscheinenden  Embryonen  des  Fisches,  der  Eidechse, 
des  Huhns  und  der  Maus  war  auch  polare  Trübung  an  inneren 
Organen,  besonders  am  Gehirn,  aber  auch  am  Entoblast  und  an 
den  Urwirbeln  von  aussen  wahrnehmbar.  Die  nachfolgende 
mikroskopische  Untersuchung  muss  erst  das  Genauere  über 
diese  Veränderungen  ergeben. 

An  dünnwandigen  Gallenblasen  aller Wirbelthierclassen 
wurde,  wie  durch  den  Gleichstrom  so  auch  durch  den  Wechsel- 
jj^rom  im  Bereiche  des  Polfeldes  sofort  eine  starke  Osmose  hervor- 
gerufen, welche  vielleicht  durch  eine  Tödtung  oder  Schwächung 
der  die  Blase  auskleidenden  Epithelien  eingeleitet  wird.  An  den 
angrenzenden  Rändern  des  Äquators  dagegen  wurde  die  Diffusi- 
bilität  bei  geeigneter  Stromdichte  der  Art  herabgesetzt   oder 
aufgehoben,   dass  diese   Linien   bei  einer  zweiten,  sie    direct 
bestrahlenden  Durchströmung  gleichwohl  in  ihrer  Farbe  unver- 
ändert blieben,  was  an  ein  gleiches  Verhalten  derselben  Linien 
bei  Messingkugeln  und  Kupferplatten  erinnerte.  Es  liegt  nahe, 
dies  Verhalten  auf  einen  zwischen  dem  primären  und  secundären 
Polfeld  sich  bildenden  Polarisationsstrom  zurückzuführen;  der- 
selbe müsste  allerdings  sehr  stark  sein,  um  selbst  an  der  Stelle 
stärkster  Bestrahlung  die  Veränderung  verhindern  zu  können; 
doch  deutet  die  Rückgängigmachung  schon  vorhandener  Ver- 
änderungen bei   der  auf  der  Kupferplatte  beobachteten  Wan- 
derung dieser  Linie,  auf  einen  complicirteren  Zusammenhang 
hin;  und  dafür  spricht  auch  die  an  den  Gallenblasen  gemachte 
Beobachtung,  dass  diese  Linien  selbst  durch   Erwärmen  der 
Gallenblase  auf  50°  C.  nicht  mehr  diffusibel  zu  machen  sind. 


214  W.Roux, 

Ehe  wir  zu  dem  letzten,  schwierigsten  Abschnitte  der  uns 
obliegenden  Erörterung  übergehen,  wollen  wir  einen  Überblick 
über  das  Allgemeine  der  bisherigen  Ergebnisse  werfen. 

Wir  haben  gefunden,  dass  embryonales  Material  von 
Wirbelthieren  in  deutlich  sichtbarer  Weise  mit  structurellen 
und  gröberen  formalen  Veränderungen  auf  den  elektrischen 
Strom  reagirt.  Die  specifische  Natur  dieser  Veränderungen 
bedarf  noch  vielfacher  Aufklärung,  wovon  ich  selber  nur  den 
durch  die  mikroskopische  Besichtigung  der  behandelten  Sub- 
strate möglichen  Theil  zu  geben,  das  Weitere  aber  den  Unter- 
suchungen Anderer,  etwa  der  Physiologen  oder  der  Elektro- 
therapeuten,  zu  überlassen  gedenke.  Die  Veränderungen  boten 
alle  polare  Localisation  dar,  d.  h.  sie  waren  auf  die  Polseiten 
der  Gebilde  beschränkt.  Zu  der  ihrer  Qualität  nach  schon 
morphologischen  Natur  der  Veränderung  —  als  Pigment- 
wanderung, bleibende  Trübung,  umschriebene  Substanzaustritte, 
Aufplatzen,  abgesehen  von  Contractionen,  welche  ein  physio- 
logischer Vorgang  sind  —  kam  also  noch  eine  typisch  gestaltete 
Localisation  dieser  Veränderungen.  Diese  Localisation  war  theils 
abhängig  von  der  Gestalt  der  untersuchten  Gebilde,  in  erster 
Linie  aber  von  der  Versuchsanordnung,  nämlich  von  der  intra- 
elektrolytären  Durchströmungsweise;  denn  diese  allein 
machte  es  möglich,  dass  die  Gestalt  der  Körper  so  zur  Geltung 
kommen  konnte,  dass  geradezu  eine  von  der  Gestalt  und 
Leitungsfähigkeit  der  Gebilde  abhängige  Selbstgestaltung 
der  Ein-  und  Austrittstellen  des  Stromes  stattfand. 

Dieselbe  Anordnung  war  auch  bei  den  Versuchen  Kühne*s 
und  Verworrn's  an  Protisten  angewendet  worden,  worauf  die 
Übereinstimmung  in  der  Localisation  der  von  ihnen  beobachteten 
Wirkungen  mit  den  obigen  beruht.  Fand  dagegen  keine  voll- 
kommene Eintauchung  statt,  wie  wir  das  bei  einer  Gallenblase 
gesehen  haben,  oder  war  der  Eintritt  von  Stromfäden  aus  dem 
Elektrolyten  gehindert,  wie  an  den  Berührungsstellen  der  Intra- 
elektroly  ten  mit  dem  Boden  oder  der  Seitenwand  des  Glasgefasses, 
so  blieben  auch  die  betreffenden  Stellen  unverändert,  obgleich 
sie  selbstverständlich  vom  Strome  durchflössen  wurden.  Bei 
den  gewöhnlichen  physiologischen  Versuchen  mit  Auflegen  des 
Objectes  auf  die  Bäuschchen  oder  mit  Aufsetzen  der  unpola- 


Entw'ickelungsmechanik  des  Embryo.  215 

risirbaren  Elektroden  auf  das  Object  wird  die  Ein-  und  Austritts- 
stelle des  Stromes  vom  Experimentator  bestimmt;  und  nur  von 
diesen  Punkten  aus  kann  sich  der  Strom  noch  innerhalb  des 
Objectes  in  bestimmter  Weise  vertheilen,  aber  immerhin  noch 
zumTheil  ähnlich  wie  in  der  Wasserschale.  L.  Hermann  hat 
hervorgehoben,  dass  Muskeln  und  Nerven  aus  Fäden,  umgeben 
von  indifferenten  Leitern,  bestehen,  und  hat  daraus  die  von  ihm 
zur  Erklärung  der  Wirkung  des  elektrischen  Stromes  heran- 
gezogene innere  Polarisation  abgeleitet.  Da  auch  das  Proto- 
plasma wässerige  Flüssigkeit,  das  Paraplasma,  zwischen  seinen 
Fäden,  Häutchen  oder  Körnchen  enthält,  so  sind  also  alle  auf 
den  elektrischen  Strom  reagirenden  lebenden  Substrate  in 
gewissem  Maasse  als  Intraelektrolyten  zu  betrachten. 

Die  Selbstbestimmung  der  Eintrittsstellen  der  Stromfaden 
durch  die  Objecte  ist,  wie  oben  dargethan  wurde,  um  so  grösser, 
je  grösser  die  Leitungsdiflferenz  von  Elektrolyt  und  Intra- 
elektrdyt  ist,  und  bis  zu  einem  gewissen  Grade,  je  grösser  die 
vom  Elektrolyten  eingenommenen  Zwischenräume  zwischen 
den  reagirenden  Intraelektrolyten  sind. 

Um  zum  Überfluss  das  Verhalten  embryonalen  Materiales 
bei  nicht  intraelektrolytärer  Durchströmung  direct  zu 
beobachten,  setzte  ich  an  frei,  ohne  Flüssigkeit  in  einer  Glas- 
schale liegende  Hühnerembryonen  die  Nadelelektroden  direct 
auf;  es  entstand,  wie  zu  erwarten,  bloss  an  der  Berührungsstelle 
der  Anode  und  danach  in  der  Umgebung  derselben  weisse 
Trübung,  die  sich  allmälig  weiter  ausbreitete,  und,  wie  der  nach- 
her gemachte  Durchschnitt  zeigte,  auch  ins  Innere  eingedrungen 
war  und  alle  anwesenden  Organe,  aber  die  verschiedenen  Or- 
gane in  nicht  ganz  gleicher  Stärke  und  nicht  ganz  gleicher 
Ausdehnung  von  der  Elektrode  aus,  weisslich  getrübt  hatte.  Da 
wir  bisher  gesehen  haben,  dass  diese  Wirkung  nur  an  der  Be- 
rührungsstelle der  reagirenden  Substanz  mit  einem  Elektrolyten 
stattfindet,  so  ist  aus  diesem  Eindringen  ins  Innere  zu  schliessen, 
dass  die  in  unserem  Sinne  polarisirte  organische  Sub- 
stanz sich  gegen  noch  unpolarisirte  lebende  wie  ein 
Elektrolyt  verhält;  und  andererseits,  dass  die  noch  unver- 
änderte lebende  Substanz  keinen  Elektrolyten  in  dem 
Sinne,  dass  erzur  Veranlassung  unserer  morphologi- 


.216  W.  Roux, 

sehen  Reactionen  ausreichte,  darstellt  oder  auch  nur 
^einen  solchen  enthält,  trotz  des  Paraplasma,  welches 
allenthalben  sich  findet  und  leicht  dafür  zu  halten  wäre.  An  der 
Kathode  fand  so  starke  Gasentwickelung  rstatt,  dass  man  erst 
nach  dem  Aufhören  der  Durchströmung  und  Wegspülung  der 
Blasen  das  Feld  besichtigen  konnte;  es  war  heller^  durch- 
scheinender und  weicher  geworden  und  dehnte  sich  gleichfalls 
ins  Innere  des  Embryo  aus;  an  den  Gehirnblasen  aber  wurden 
die  innersten  Theile  der  Wandung  etwas  trüb. 

Danach  wollte  ich  prüfen,  ob  vielleicht  dieses  Verhalten  der 
Hühnerembryonen  keine  vital  vermittelte  Reaction,  sondern  auf 
Seite  der  Kathode  bloss  kataphorische  Wirkung  und  auf  Seite 
der  Anode  Gerinnung  sei,  ob  sie  also  Veränderungen  darstellen, 
wie  sie  auch  an  todten  organischen  Substanzen  vorkommen, 
zumal  da  das  änodische  weisse  Feld,  durch  Aufsetzei?  der 
Kathode  wieder  hell  durchscheinend  wurde.  Um  zu  ermitteln, 
ob  die  beobachtete  Reaction  an  das  Leben  der  Gewebe  gebunden 
sei,  legte  ich  ein  Stück  des  vorigen  Embryo  drei  Minuten  lang 
in  halbprocentige  Kochsalzlösung  von  50°  C.  und  durchströmte 
es  dann  in  derselben  Richtung  als  früher;  er  wurde  an  der  Anode 
.noch  weiss,  aber  reagirte.viel  träger.  Daher  verstärkte  ich  die 
W^irkung  der  Wärme  durch  drei  Minuten  langes  Erwärmen 
eines  anderen  frischen  Embryo  auf  60°  C.,  wodurch  derselbe 
schon  ein  wenig  trüb  wurde;  beim  Durchströmen  trübte  sich 
alsdann  auf  den  Anodenseiten,  aber  nur  sehr  langsam,  das 
-Innere  des  Embryo,  während  eine  Oberflächenschicht  von  etwa 
0*7  mm  Dicke  nicht  mehr  trüber,  sondern  im  Gegentheile  hell 
<lurchscheinend. wurde.  Dies  deute  ich  so,  dass  die  zunächst 
erwärmte  oberflächliche  Schicht  vollkommen  getödtet  worden 
war  und  daher  ihre  Reactionsfähigkeit  verloren  hatte,  während 
die  tieferen  Theile  noch  schwach  reagirten.  Zu  weiteren  Ver- 
suchen waren  wegen  der  Jahreszeit  keine  Embryonen  mehr  zu 
.erlangen. 

Um  das  an  Embryonen  beobachtete  Verhalten  mit  dem 
Verhalten  erwachsener  Organe  zu  vergleichen,  wurden  die 
-Elektroden  desselben,  nicht  starken  Gleichstromes  auf  die 
Muskeln,  den  Darm,  die  Leber  des  erwachsenen  Frosches 
aufgesetzt;  es  entstand  jedoch  keine,  mit  der  an  den  Embryonen 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  217 

beobachteten,  V"ergleichbare  Trübung,  und  desgleichen  blieb 
eine  entsprechende  Reaction  aus  bei  gleicher  Anwendung  des 
mindestens  dreimal  stärkeren  Wechselstromes,  welcher  bei 
geringem  Elektrodenabstand  nur  durch  starke  Erwärmung' 
allmälig  eine  Trübung,  Gerinnung  hervorbrachte. 

Beim  Durchströmen  der  Gallenblasen  des  erwachsenen 
Frosches  jedoch  entstand  bei  directem  Aufsetzen  der  Draht- 
elektroden an  der  Anode  ein  allmälig  auch  auf  deren  Umgebung 
sich  ausdehnender  hellgrüner  Fleck,  aber  bloss,  wenn  wässerige 
Flüssigkeit,  so  auch  schwache  Kochsalzlösung,  an  der  Be- 
rührungsstelle sich  vorfand;  wenn  dies  nicht  der  Fall  war,  so 
bildete  sich  bloss  ein  trockener,  dunkler  Fleck. 

Diese  Versuche  haben  also  die  Annahme,  dass  die  in  den 
Abschnitten  I — IV  mitgetheilten  Localisationen  der  elektrischen 
Wirkung  durch  die  intraelektrolytäre  Versuchsanordnung  be- 
dingt sind,  aufs  Neue  bestätigt. 

Wennwirdieseunddie  früheren  Beobachtungen  zusammen- 
nehmen, so  kann  wohl  kein  Zweifel  bestehen,  dass  den  ge- 
nannten Eiern,  Embryonen  und  den  Gallenblasen  eine  besonders 
leicht  eintretende,  zum  Theil  eigenartige  Reactionsfähigkeit  auf 
den  elektrischen  Strom  zukommt,  sowie  dass  der  Ort  und  die 
Gestalt  dieser  durch  den  Strom  veranlassten  polaren  Verände- 
rungen von  der  Eintrittsstelle  der  Stromfäden  in  das  noch  nicht 
todte  Substrat  abhängig  ist,  und  dass  die  Wirkungsfähigkeit  an 
die  Anwesenheit  eines  Elektrolyten  gebunden  ist.  Es  ist  ferner 
zu  vermuthen,  dass  die  bezüglichen  Veränderungen  nur  an  der 
Oberfläche  der  lebenden  Substanz  vor  sich  gehen  und  nach 
dem  Absterben  der  Oberflächenschicht  sich  bei  einigen  Gebilden 
auch  auf  die  nächst  tiefer  liegende  Schicht  und  so  fort  in  die 
Tiefe  ausdehnen  können. 

Wenn  sich  somit  ergeben  hat,  dass  diese  so  auffällig  ge- 
staltete Localisation  der  beobachteten  Veränderungen  nichts 
den  betreffenden  Objecten  Specifisches,  sondern  eine  Folge  der 
Versuchsanordnung  und  der  Gestalt  der  Versuchsobjecte  war, 
so  treten  diese  doch  immer  polar  localisirten  Veränderungen, 
sowohl  durch  ihre  morphologischen  Charaktere,  als:  Pigment- 
vvanderung,  Extraovate,  grobe  Trübungen  und  durch  ihre  Be-: 
schränkung  auf  eine  Oberflächenschicht  oder  wenigstens  durch 


218  W.  Roux, 

ihr  Ausgehen  von  derselben  unter  Freilassen  mindestens  einer 
Äquatorscheibe  in  einen  Gegensatz  zu  der  von  Peltier  1834 
entdeckten  und  von  du  Bois-Reymond  und  L.  Hermann 
u.  A.  weiterhin  untersuchten  inneren  Polarisation  thierischer 
Gebilde,  welche  nicht  sichtbar  ist  und  sich  auf  die  inneren 
Oberflächen  der  lebenden  Theile,  angeblich  im  ganzen  Bereiche 
der  durchflossenen  Strecke  ausdehnt.  Um  sie  von  letzterer 
Polarisation  zu  unterscheiden,  habe  ich  die  Entstehung  dieser 
neuen  polaren  Veränderungen  nach  dem  einen  ihrer  unter- 
scheidenden Hauptcharaktere  als  morphologische  Polari- 
sation bezeichnet. 

Es  muss  den  Physiologen  überlassen  bleiben,  die  Ursache 
nachzuweisen,  warum  die  beschriebenen  Veränderungen  nur 
von  der  Oberfläche  ausgehen,  obgleich  im  Inneren  der  Gebilde 
ebenfalls  Gelegenheit  sowohl  zur  Abscheidung  von  Jonen, 
welche  nachBernstein  als  das  die  Veränderungen  vermittelnde 
Agens  anzusehen  sind,  wie  zur  Brechung  von  Stromfäden 
gegeben  ist;  so  dass  infolge  dessen  die  Zelle  trotz  solcher 
inneren  Structur  nur  von  aussen  her  und  somit  als  einheit- 
liches Ganzes  entsprechend  ihrer  äusseren  Gestalt  polarisirt 
wird.  Es  ist  ferner  zu  erforschen,  worin  die  specielle  Natur 
der  Veränderungen  und  der  Mechanismus  derselben  besteht. 

So  weit  es  richtig  ist,  dass  beim  elektrischen  Durchströmen 
carcinomatöser  Körpertheile  gerade  die  Carcinomzellen  alterirt 
werden  und  absterben,  kann  man  auf  Grund  der  vorstehenden 
Versuchsergebnisse  darin  eine  Bestätigung  ihrer  von  Virchovv 
und  Cohnheim  vermutheten  embryonalen  Natur  erblicken,  eine 
Annahme,  welcher  ich  eine  weitere  Unterlage  gegeben  habe, 
indem  ich  mehrfach  in  Embryonen  Zellen,  welche  abnormer 
Weise  auf  viel  niederer  Stufe  der  Differenzirung  als  die  der 
Umgebung  stehen  geblieben  und  nicht  an  das  umgebende  Ge- 
webe morphologisch  angeschlossen  waren,  an  den  verschie- 
densten Stellen  aufgefunden  habe.* 

Es  erübrigt  zum  Schlüsse,  uns  eine  Meinung  über  das 
zweifache  Verhalten  des  schon  mehrfach  getheilten 

1  W.  Roux,  Beiträge  zur  Entwickelungsmechanik  des  Embryo,  Nr.  5, 
loco  cit.  Über  Hervorbringung  halber  Embryonen  etc.  Virchow's  Arch., 
Bd.   114,   1888,  Sep.-Abdr.,  S.  65. 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  219 

Frosch-  und  Tritoneies,  über  die  an  diesen  Gebilden  beob- 
achteten beiden  verschiedenen  Localisationen  der  polaren  Reac- 
tionen  auf  den  elektrischen  Strom  zu  bilden. 

An  der  lebenskräftigen  Morula,  Rlastula  und  jüngeren 
Gastrula  bildete  jede  einzelne  Zelle  ein  besonderes  »Special- 
polfeld*, respective  deren  zwei,  und  einen  eigenen  »Special- 
äquator«. An  der  geschwächten  Morula  oder  Blastula  dagegen 
entstanden  zwei  grosse  »Generalpolfelder«,  die  einen  über  die 
Aquatorgegend  des  ganzen  Eies  weggehenden  »Generaläquator« 
begrenzten.  (Über  ein  etwaiges  bezügliches,  zweifaches  Ver- 
halten auch  der  älteren  Gastrula  und  der  Embryonen  liegen 
genügende  Beobachtungen  zur  Zeit  nicht  vor;  doch  schien  es, 
dass  bei  letzteren  die  oberflächlichen  Zellen  durch  Contraction 
gerundet  und  ausserdem  zur  Abscheidung  von  Flüssigkeit 
(Schleim?)  angeregt  wurden;  bei  Gastrulae  wurde  sowohl  Zell- 
contraction,  siehe  S.  92,  sowie  auch  Zell-Polfeldbildung  gleich 
der  der  jüngeren  Gastrula  beobachtet,  siehe  S.  91.) 

Es  ist  die  Frage,  was  jede  der  beiden  obigen,  an  denselben 
Objecten  vorkommenden  verschiedenen  Reactionsweisen  be- 
deutet, und  worin  die  Verschiedenheit,  ja  Gegensätzlichkeit 
derselben  ihren  Grund  hat 

Bei  der  Generalpolarisation  verhält  sich  das  in  viele  Zellen 

zerlegte  Ei  wie  das ungetheilte  Ei;  bei  der  Specialpolarisation 

der  einzelnen  Zellen  dagegen  reagirt  jede  Zelle  des  Eies  für  sich. 

Fragen  wir  zunächst,  worauf  das  letztere  Verhalten  beruhen  kann. 

Die  Zellen  der  Morula  und  Blastula  sind  normaler  Weise 

jede  für  sich  nach  aussen  convex  gewölbt.  Es  war  daher  mein 

erster  Gedanke,  dass  dieses  Moment  vielleicht  wesentlich  zu 

dem  Effecte  beitrage;  und  da  bei  Schwächung  des  Eies  durch 

längere  Durchströmung  die  Zellen  sich  abplatten,  bevor  dann 

die  Generalpolarisation  des  Eies  eintritt,  schien  diese  Annahme 

sich    zu    bestätigen;    diese    wechselnden    Gestaltverhältnisse 

schienen  also  eine  ausreichende  Erklärung  für  den  Wechsel 

der  Reaction  zu  geben. 

Um  diese  Auffassung  zu  prüfen,  wurden  mehrere  Experi- 
mente gemacht. 

Ich  fand  zwei  ungetheilte  Eier,  welche  abnormer  Weise 
eine  grosse  Furche  gebildet  hatten,  die  einen  gewölbten,  zungen-. 


220  W.  Roux, 

förmigen  Theil  des  Zellleibes  unvollkommen  absonderte.  Diese 
Eier  wurden  sogleich  in  einer  Richtung  durchströmt,  welche 
den  Zungenlappen  gegen  eine  Elektrode  wendete.  Obgleich  nun 
dieser  Lappen  durch  eine  Furche  abgeschnürt  und  durch  in  sie 
eingedrungene  Flüssigkeit  vom  Haupttheil  des  Eies  zum  Theil 
gesondert  und  für  sich  gewölbt  war,  bildete  er  sogleich  ein  die 
ganze  bestrahlte  Fläche  einnehmendes  Polfeld  als  Theil  des 
Generalpolfeldes  dieser  Seite,  aber  kein  zweites  Polfeld  und 
keinen  eigenen  Äquator.  Es  trat  also  trotz  vollkommen  geeigneter 
Form  keine  Specialpolarisation  ein. 

Weiterhin  hatte  ich  beobachtet,  dass  durch  Carbolsäure 
getödtete  Morulae  ihre  nach  aussen  gewölbten  Zellformen 
behielten,  also  nicht  wie  sonst  die  Eier  vor  dem  Absterben  ihre 
Oberflächenzellen  abplatteten.  Daher  vergiftete  ich  Morulae  in 
geringerem  Masse  mit  Carbolsäure,  so  dass  sie  noch  reactions- 
fähig  blieben;  beim  Durchströmen  zeigte  sich  dann,  dass  sie  trotz 
Erhaltung  ihrer  Zellrundung  rasch  die  beiden  Generalpolfelder 
bildeten.  Ein  weiteres  Argument  boten  schon  die  normalen 
Morulae  dar.  Die  helle  Unterseite  des  getheilten  Frosch-  und 
Tritoneies  hat  immer  zur  Kugelfläche  des  Gesammteies  abge- 
plattete, oberflächlich  nur  durch  feine  seichte  Furchen  von  ein- 
ander getrennte  Zellen;  gleichwohl  reagirten  auch  diese  Zellen 
jede  für  sich.  Das  Gleiche  war  einigemale  bei  durch  Eis  ge- 
schwächten Eiern  auch  an  den  dadurch  abgeplatteten  Zellen 
der  schwarzen  oberen  Hemisphäre  der  Fall. 

Es  kann  also  kein  Zweifel  darüber  bestehen,  dass  die  Glie- 
derung der  äusseren  Oberfläche  in  viele  gerundete  Wölbungen 
nicht,  wie  es  bei  den  Gehirnblasen  und  eingeschnürten  Gallen- 
blasen der  Fall  war,  die  Ursache  der  Specialpolarisation  der  die 
Morula  zusammensetzenden  Zellen  ist.  Ein  entsprechendes  Ver- 
halten zeigte  auch  die  am  Rande  mit  halbrunden  Verwölbungen 
versehene  Metallplatte  beim  Durchströmen. 

Dem  wirklichen  Grunde  werden  wir  zugleich  mit  der  Unter- 
suchung der  Ursachen  des  speciellen  Verhaltens  der  Zell- 
p^olarisation  näher  treten. 

Dies  letztere  bot  folgende  Hauptzüge  dar:  Die  Polarisation 
der  einzelnen  Zellen  dehnte  sich  auf  alle  Zellen  der  Morula  und 
Blastula,  auch  auf  die  in  der  Gegend  des  sonstigen  elektrischen 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  221 

Eiäquators  gelegenen,  also  von  aussen  am  wenigsten  bestrahlten 
Zellen  aus.  In  gewissem  Gegensatz  dazu  bildeten  die  näher 
dem  Pole  gelegenen,  mit  ihrer  Aussenfläche  fast  rechtwinkelig 
gegen  die  Stromfaden  gewendeten,  also  anscheinend  dicht  be- 
strahlten Zellen  nur  relativ  kleine,  oft  kaum  die  Hälfte  dieser 
äusseren  Fläche  einnehmende  Polfelder  aus,  während  der  andere, 
polifugal  gelegene  Theil  als  Äquator  der  Zelle  unverändert  blieb. 
Es  ist  daher  die  Reaction  der  schwach  bestrahlten  äquatorialen 
Zellen  nicht  einfach  auf  eine  Herabsetzung  der  Reizschwelle 
gegenüber  den  mit  diesen  Zellen  nicht  reagirenden,  der  General- 
polarisation unterliegenden,  geschwächten  Eiern  zu  beziehen. 
Nur  die  in  der  Gegend  der  Mittellinie  des  elektrischen  Eiäqua- 
tors liegenden  Zellen  bildeten  zwei  äusserlich  sichtbare  Pol- 
felder, alle  anderen  Zellen  Hessen  an  ihrer  Oberfläche  bloss 
ein  einziges  Polfeld  erkennen. 

Die  Deutung  dieser  Erscheinungen  ergibt  sich  aus  den 
oben  mitgetheilten  analytischen  Experimenten  an  Metallen  und 
Gallenblasen. 

Wir  haben  an  den  im  Elektrolyten  vertheilten  Blei-  und 
Messingkugeln  gesehen,  dass  von  allen  durch  den  Elektrolyten 
von  einander  getrennten  metallischen  Gebilden  jedes  für  sich  je 
zwei  Polfelder  und  einen  Äquator  bildete.  Dabei  sind  zwei 
sondernde  Momente  zugleich  vorhanden:  die  Einschaltung 
eines  schlechteren  Leiters  zwischen  bessere  und  die  Benetzung 
der  Oberfläche  des  Metalls  mit  dem  Elektrolyten.  Wir  müssen 
daher  den  eventuellen  Antheil  jedes  dieser  Momente  an  der 
selbständigen  Polarisation  uns  klar  machen. 

Die  LeitungsdifFerenz  des  Elektrolyten  und  der  Intraelektro- 
lyten  kann  nur  den  Ort  des  Ein-  und  Austrittes  der  Stromfäden 
beeinflussen;  aber  dieser  Ein-  oder  Austritt  hat  nur  dann  eine 
polarisirende  Wirkung,  wenn  er  aus  dem,  respective  in  den 
Elektrolyten  erfolgt  Wenn  zwei  Kugeln  sich  metallisch  leitend 
berühren,  geht  der  Strom  an  der  Berührungsstelle  aus  einer 
Kugel  in  die  andere,  ohne  dass  Polfelder  daselbst  entstehen. 
Also  die  doppelte  Polfeldbildung  beruht  beim  Metall  sicher  auf 
der  vollkommenen  Umschliessung  mit  dem  Elektrolyten. 

Aber  die  Ausdehnung  der  einander  zugewendeten  Pol- 
felder sehr  naher  Intraelektrolyten  ist  im  hohen  Maasse  von 


222  W.  Roux, 

der  Leitungsdifferenz  zwischen  ihm  und  dem  Elektrolyten 
abhängig.  An  den  einander  nahen  Metallkugeln  wurden  die 
einander  zugewendeten  Polfelder  im  Wechselstrom  mit  dem 
Maasse  der  Näherung  immer  kleiner.  Wenn  jedoch  der  Elektrolyt 
fast  ebenso  gut  leiten  würde  als  das  Metall,  so  würden  die 
Stromfäden  im  Innern  der  Kugel  nur  schwach  gegen  den  der 
anderen  Kugel  nächsten  Punkt  convergiren;  sie  würden  in 
höherem  Maasse  durch  die  seitlichen  Theile  der  einander  zuge- 
wendeten Flächen  beider  Kugeln  gehen;  die  bezüglichen  Pol- 
felder würden  also  sogar  trotz  einer  continuirlichen  Verbindung 
der  Kugeln  fast  ebenso  gross  werden  als  die  äusseren,  wie  dies 
aus  dem  gleichen  Grunde  bei  den  eingeschnürten  Gallenblasen 
der  Fall  war. 

Aus  der  Specialpolarisation  der  Zellen  der  Morula 
und  Blastula  ist  also  zu  schliessen,  dass  jede  Zelle,  wenn 
nichtallenthalben  so  doch  grösstentheils,  durch  elektro- 
lytische Substanz  in  unserem  Sinne  von  ihren  Nachbarzellen 
gesondert  ist.  Elektrolytische  Substanz  in  unserem 
Sinne  ist  ein  Elektrolyt,  der  zur  Vermittelung  der  morpho- 
logischen Polarisation  der  von  ihm  berührten  reactionsfahigen 
Substanz  geeignet  ist,  also  eine  andere  Substanz  als  diejenige, 
welche  zu  der  inneren  Polarisation  der  Physiologen  ausreicht, 
da  unser  Elektrolyt  primär  bloss  an  der  Oberfläche  der  Zellen, 
letzterer  aber  im  ganzen  Inneren  der  Bionten  vorhanden  ist 

Oberfläche  einer  Zelle  ist  in  unserem  Sinne  danach  die 
Berührungsfläche  der  lebenden  Substanz  der  Zelle  mit  einem 
solchen  Elektrolyten,  mag  sie  nun  an  der  äusseren  Fläche  der 
Morula  oder  in  der  Morula  zwischen  den  Zellen  oder  gar  in  der 
Zelle  selber  liegen,  welch*  letzteres  aber  in  unserem  Falle  primär 
nicht  der  Fall  war,  sondern  erst  von  der  Oberfläche  aus  im  Pol- 
abschnitt alimälich  sich  ausbildete. 

Dergleiche  Grund  für  die  Specialpolarisation  gilt  natürlich 
auch  bezüglich  der  Urwirbel,  des  Darmrohres  und  der  basalen 
Theile  des  Gehirnes,  von  denen  ja  trotz  ihrer  Umschliessungund 
Vereinigung  durch  ein  anderes  Gewxbe  jedes  seine  besonderen 
Polfelder  bildete;  die  Umgebung  dieser  Theile  verhielt  sich  also 
zu  ihnen  wie  ein  Elektrolyt.  Das  ist  bei  den  epithelialen  Organen 
nicht  zu  verwundern,  da  sie  alle  zu  dieser  Zeit  durch  Lymph- 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  223 

i  spalten  von  den  Theilen  des  umgebenden  interstitiellen 
Gewebes  getrennt  sind  oder,  wie  das  Gehirn,  im  Binnenraum  mit 
Flüssigkeit  erfüllt  sind.  Für  diese  Auffassung  spricht  auch  das 
Verhalten  der  reifen  und  unreifen  Froscheier,  welche  bei  voll- 
kommener Trockenhaltung  nicht  erkennbar  reagirten.  Beim 
Herzen  reagirten  die  Vorhöfe  und  die  beiden  Arterien,  auch  wenn 
sie  gegen  die  Elektroden  zu  gelegen  waren,  mit  dem  Ventrikel 
gemeinsam  als  eine  Einheit,  obgleich  sie  doch  durch  faseriges 
Bindegewebe  von  ihm  geschieden  sind,  von  welchem  man  wohl 
vermuthen  könnte,  dass  es  als  Elektrolyt  fungiren  würde;  dieses 
Verhalten  des  Herzens  bedarf  daher  besonderer  Untersuchung. 
Es  bleibt  ferner  zunächst  unbekannt,  worin  bei  der  Morula  der 
intercellulare  Elektrolyt  besteht,  ob  in  der  Kittsubstanz,  der 
Zellrinde  oder  einer  nach  innen  von  ihr  gelegenen  Schichte. 

Nach  der  bisher  gewonnenen  Einsicht  sind  die  Erschei- 
nungen der  SpeciaJpolarisation  der  Morula  und  Blastula,  soweit 
sie  die  Breite  und  Lage  der  Polfelder  respective  des  Äquators 
angehen,  analytisch  auf  folgende  Momente  zurückzuführen. 

Erstens  auf  die  Änderung,  welche  die  Breite  des  Äquators 
einer  Kugel  erfährt,  wenn  sie  durch  eine  rechtwinkelig  zum 
Strome  stehende  elektrolytische  ebene  Halbinmgsfläche  zerlegt 
wird.  Sind  dann  die  durch  die  entstehenden  beiden  inneren 
Polfelder  bedingten  zwei  Äquatoren  zusammen  breiter  als  der 
frühere  einfache  Äquator?  Da  unsere  entsprechend  zerlegten 
Eier  immer  neben  der  Theilungsfläche  abgerundete  Kanten 
hatten,  waren  wir  nicht  in  der  Lage,  Beobachtungen  über  diesen 
Fall  anzustellen.  Wir  sahen  vielmehr  im  Grunde  der  ersten 
Furche  an  beiden  Theilstücken  einen  veränderten  Saum,  der 
die  Grösse  und  Lage  des  Äquators  beeinflussen  musste. 

Zweitens:  Wird,  wenn  die  Scheidungsflächen  nicht  eben 
sondern  gegen  jede  der  Hälften  concav  sind,  der  Äquator  durch 
die  Ausdehnung  der  inneren  Polfelder  nach  aussen  hin,  also 
auf  Kosten  der  äusseren  Polfelder  verschoben?  Diese  Frage  ist 
an  den  eingeschnürten  Gallenblasen  in  zustimmendem  Sinne 
beantwortet  worden. 

Drittens:  Treten  die  Wirkungen  1  und  2  auch  bei  unvoll- 
kommener Scheidung  und  zwar  in  mit  der  Zunahme  der 
Scheidung  stärkerem  Maasse  auf?   Bei  Metallen  war  solches 


224  W.  Roux, 

nicht  bemerkbar,  weil  die  geringste  metallisch  leitende  Ver- 
bindung der  Gebilde  zur  Fortführung  aller  Stromfäden  ver- 
wendet wurde  infolge  des  millionenmal  besseren  Leistungs- 
vermögens der  Metalle  als  der  Flüssigkeiten.  Bei  den 
eingeschnürten  Gallenblasen  dagegen  konnten  wir  diese  Frage 
bejahen,  denn  wir  sahen,  dass  der  Strom  theils  durch  den  zu- 
nächst nicht  polarisirten  Verbindungsstrang,  theils  durch  den 
Elektrolyten  unter  Polarisationswirkung  an  derAus-  und  Eintritts- 
stelle ging,  beide  Wege  unmittelbar  nebeneinander,  ohne  eine 
trennende  Zone  nehmend.  Also  könnten  auch  die  Zellen  der 
Morula  theils  durch  Elektrolyten  getrennt,  theils,  dazwischen 
verstreut,  durch  leitende  Nicht-Elektrolyten,  wie  etwa  protoplas- 
matische Intercellularbrücken  verbunden  und  so  die  anzu- 
nehmenden inneren  Polfelder  durch  viele  nicht  veränderte 
Stellen  unterbrochen  sein. 

Viertens  ist  von  Bedeutung  die  oben 'für  lebendes  und 
metallisches  Material  festgestellte  Thatsache,  dass  kleine  Kugeln 
relativ  kleinere  Polfelder,  also  einen  relativ  grösseren  Äquator 
bilden  als  grössere  Kugeln.  Dazu  käme  noch  ein  weiterer 
Factor,  den  wir  aber  weder  bei  den  ungleich  grossen  Eiern 
noch  bei  den  frischen  und  bei  den  geschwächten  Morulis  er- 
mitteln konnten,  nämlich  die  eventuelle  Ungleichheit  der  Re- 
actionsschwelle  der  Zellen. 

Wenn  wir  auch  nicht  sicher  wissen,  wodurch  bei  den  Eiern 
der  Äquator  bedingt  war,  ob  allein  durch  zu  geringen  Strom- 
fädeneinfall für  die  Höhe  der  Reizschwelle  oder  durch  einen 
Polarisationsstrom,  so  haben  wir  doch  die  feststehende  That- 
sache gefunden,  dass  immer  zwischen  der  Ein-  und  Austritts- 
stelle des  Stromes  eine  freie  Zone  bleibt,  welche  der  Bedingung  4 
entspricht.  Dagegen  zeigt  ein  Versuch  mit  einer  Gruppe  dicht 
zusammenstehender,  sich  aber  nicht  berührender  Metallkugeln, 
dass  eine  Kugel,  welche  blos  ein  einziges  Eintrittsfeld  hat, 
mehrere  von  einander  vollkommen  getrennte  Austrittsfelder  und 
umgekehrt  haben  kann,  und  dass  die  gleichartigen  dieser 
Felder  bei  entsprechender  äusserer  Veranlassung  continuirlich 
in  einander  übergehen  können.  In  demMaasse,  als  zwischen  den 
Zellleibern  Elektrolvten  vorhanden  sind,  werden  daselbst  innere 
Polfelder  auftreten,  und  sobald  diese  gross  genug  sind,  werden 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  225 

sie  nach  Moment  2  den  mit  ihnen  zugleich  entstehenden  Zell- 
äquator auf  die  Aussenfläche  treiben. 

Da  die  Zellen  mit  ihren  Nachbarflächen  sich  an  einander 
abplatten,  so  stossen  sie  mit  einander  parallelen  Flächen  zu- 
sammen. Dies  ist  ein  weiteres,  die  Grösse  der  inneren  Polfelder 
und  damit  die  Lage  des  Äquators  beeinflussendes  Moment.  Ent- 
sprechend geschnittene  und  ohne,  dass  sie  sich  berühren,  zu- 
sammengelegte Bleikugeln  zeigen  beim  Durchströmen  ausser  dem 
äusseren  kleineren  Polfeld,  dass  die  inneren  Polfelder  die  ganzen 
einander  gleich  nahen  Flächen  einnehmen,  mögen  dieselben 
quer  oder  schief  zum  Strom  stehen.  Dasselbe  wird  auch  bei 
nicht  metallischen  Gebilden  der  Fall  sein.  Da  diese  inneren 
Oberflächen  der  Zellen  bei  mehrfach  getheiltemEi  mit  steigender 
Theilungszahl  einen  immer  grösseren  Theil  der  ganzen  Zell- 
oberfläche, sehr  bald  aber  schon  über  die  Hälfte  einnehmen,  so 
werden  also  die  intercellularen  Polfelder  den  grössten 
Theil  der  Zelloberfläche  einnehmen,  damit  den  Äquator  auf  die 
äussere  Oberfläche  treiben  und  zugleich  die  Grösse  des  äusseren 
Polfeldes  beschränken. 

Fernerkönnte  die  Wirkungeiner  Aspiration  derStromfäden 
durch  die  Zellen  auf  die  Grösse  des  Zelläquators  hier  sehr  er- 
heblich sein,  da  die  Zellen  unmittelbar  neben  einander  liegen 
und  die  kleinen  Polfelder  also  einander  sehr  nahe  sind,  so  dass 
die  Stromfäden  des  Elektrolyten  sich  vollkommen  auf  letztere 
vertheilen  könnten,  sofern  nur  irgend  eine  erhebliche  Leitungs- 
differenz zwischen  den  Zellen  und  dem  Elektrolyten  besteht. 

Der  Umstand  endlich,  dass  die  in  der  Gegend  des  elek- 
trischen Äquators  des  Eies  liegenden  Zellen  zwei  äussere 
Polfelder  darbieten,  erklärt  sich  einfach  daraus,  dass  sie  allein, 
als  seitlich  vorspringend,  von  beiden  Elektroden  aus  durch 
den  Elektrolyten  hindurch  direct  von  Stromfäden  getroffen 
werden,  während  alle  anderen  Zellen  die  Stromfäden  der  einen 
Elektrode  nur  erst  nach  dem  Durchgehen  derselben  durch  die 
Morula  erhalten  und  daher  innere,  von  aussen  nicht  sichtbare 
Polfelder  durch  ihren  Eintritt  bilden  werden. 

Nachdem  im  Vorstehenden  neben  den  Ursachen  der 
speciellen  Localisation  zugleich  dargelegt  worden  ist,  auf  was 
für  einem  Verhältniss    meiner   Meinung    nach    die   Special- 

Sitzb.  d.  mathem.-natunv.  Cl. :  CI.  Bd.  Abth.  III.  1 ') 


226  W.  Roux, 

Polarisation  der  Zellen  der  Morula  beruhen  muss,  ist  zu  er- 
örtern, wodurch  es-  bedingt  ist,  dass  an  denselben  Gebilden 
unter  Umständen,  sei  es  nach  vorausgegangener  Specialpolari- 
sation oder  sogleich  beim  Durchströmen  eine  Generalpolari- 
sation auftreten  kann,  wobei  uns  freilich  die  noch  mangelnde 
Einsicht  in  das  Innere  des  Eies  wieder  fühlbar  werden  wird. 

An  denjenigen  frischen  Morulae,  welche  nach  anfänglicher 
Zellpolarisation  infolge  längere  Zeit  fortgesetzter  Durch- 
strömung zur  Generalpolarisation  übergehen,  scheint  dieser 
Wechsel  leicht  verständlich.  Denn  da  bei  der  Zellpolarisation 
Zellinhalt  nach  aussen  durch  die  Zellrinde  hindurchtritt,  kann 
man  denken,  derselbe  Vorgang  finde  auch  im  Innern  statt;  die 
Zellrinde,  respective  die  minimale  Kittsubstanz  wären  die 
Elektrolyten  gewesen,  und  sie  würden  durch  den  hindurch- 
tretenden Zellinhalt  ihrer  Eigenschaft  als  Elektrolyten  zu  wirken, 
mehr  und  mehr  enthoben,  da  die  sich  berührenden  Zellen  jetzt 
durch  Zellinhalt  in  directe,  nicht  morphologisch  polarisirbare 
Verbindung  gelangen  und  daher  fast  wie  ein  Ganzes  reagiren; 
ähnlich  wie  zwei  Metallkugeln,  die  sich  leitend  berühren,  nur 
dass  bei  den  organischen  Gebilden  die  Verbindungsbrücken  in 
dem  Maasse  ausgedehnter  sein  müssen,  als  ihre  Substanz  nicht 
erheblich  besser  leitet  als  der  sie  noch  theilweise  trennende 
Elektrolyt.  Im  Falle  das  geschwächte  Protoplasma  vielmal 
besser  leitete  als  die  nicht  protoplasmatischen  Trennungstheile 
der  Zellen,  könnten  diese  fast  vollkommen  umgangen  werden. 

Indess  sind  diese  hypothetischen  inneren  Substanzdurch- 
tritte noch  nicht  gesehen  worden;  ausserdem  wäre  auch  die 
auf  sie  sich  gründende  Erklärung  nicht  auf  diejenige  General- 
polarisaton anwendbar,  welche  nach  der  Erwärmung  der  Morula 
auf  40°  C.  und  nach  der  Vergiftung  mit  Carbolsäure  eintritt.  Je 
stärker  die  Erwärmung  oder  Vergiftung  war,  um  so  rascher  ging 
die  beimBeginne  der  Durchströmung  auftretende  Zellpolarisation 
unter  Wachsthum  der  Polfelder  und  Verschwinden  der  Zell- 
äquatoren  im  Bereiche  der  Polseiten  des  Eies  in  die  General- 
polarisation über;  bei  den  höchsten  Graden  derartiger  Beein- 
flussung geschah  dieser  Übergang  sogar  so  schnell,  dass  man 
kaum  die  initiale  Zellpolarisation  wahrnehmen  konnte.  Dabei 
stand   die  Intensität  der  sichtbaren  Veränderungen  in  umge- 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  227 

keJirtem  Verhältniss  zur  Geschwindigkeit  ihres  Auftretens  und 
zu  ihrer  Ausbreitung;  zuletzt  trat  bloss  noch  eine  schwache 
Verfärbung  auf,  kein  erkennbarer  Durchtritt  von  Substanz  durch 
die  Rinde. 

Und  diese  Geschwindigkeit  der  Ausbildung  der  General- 
polarisation bei  minimaler  Intensität  der  Veränderung  steht 
wieder  in  einem  Gegensatz  zu  dem  hochgradigen  Substanz- 
durchtritt bei  Durchströmung  lebenskräftiger  Eier,  an  welchen 
trotz  dieser  diffusen  Extracellulate  erst  nach  mehreren  Minuten 
und  erst,  nachdem  die  Niveaulinien  der  äusseren  Theile  auf- 
geplatzt waren  und  nachdem  schon  dies  einige  Zeit  bestanden 
hatte,  der  Übergang  zur  Generalpolarisation  stattfand. 

Daraus  ergibt  sich  schon,  dass  die  erstere  Annahme  zur 
Erklärung  der  vorliegenden  Erscheinungen  nicht  zutreffend  ist. 

Man  kann  nun  an  andere  Momente  denken:  z.  B.  an  eine 
Abnahme  der  Widerstandsfähigkeit  der  Zellen  durch  die  schädi- 
gende Wirkung  der  Vergiftung,  der  Erwärmung  oder  der  länger 
dauernden  Durchströmung,  und  zwar  in  Anknüpfung  an  die 
vorher  relativ  kleinen  Polfelder  der  Zellen  und  an  den  grossen, 
fast  die  Hälfte  der  freien  Oberfläche  vieler  Zellen  einnehmenden 
Äquator.  Besonders  weist  auf  einen  initialen  Widerstand  der 
lebenskräftigen  Morula  hin,  dass  der  Äquator  vieler  Zellen  hier 
fast  rechtwinkelig  gegen  die  Stromfäden  gerichtet  ist,  also  dicht 
von  ihnen  getroffen  werden  muss,  sofern  nicht  die  lebens- 
kräftigen Zellen  vielmal  besser  leiten  als  die  geschwächten  und 
daher  die  Stromfaden  vollkommen  mit  den  der  Elektrode 
nächsten  Stellen  aufnehmen. 

Wenn  die  Änderung  des  Verhaltens  der  Morulazellen  nach 
Erwärmung  oder  Vergiftung  aber  auf  einer  Schwächung  ihres 
Widerstandes  gegen  den  Strom  beruhte,  dann  müsste  die  Ver- 
änderung auch  an  den  im  Bereiche  des  Generaläquators  lie- 
genden Zellen  weiter  schreiten.  Da  an  diesen  Äquatorzellen  die 
Veränderung  jedoch  nicht  weiter  schritt,  ist  diese  Annahme  also 
gleichfalls  unzutreffend.  Dasselbe  gilt  auch  für  eine  eventuelle 
Schwächung  der  Widerstandsfähigkeit  durch  fortgesetzte  Durch- 
strömung. Hierdurch  würden  zwar  die  Äquatorzellen  weniger 
alterirtwerden,da  sie  viel  weniger  dicht  von  äusseren  Stromfäden 
getroffen  werden.  Diese  durch  die  Dichtigkeit  der  äusseren 

15* 


228  W.  Roux, 

Bestrahlung  bedingte  Schwächungmüsste  aber  von  derÄquator- 
region  gegen  die  Pole  hin  nur  ganz  allmählig  zunehmen;  dem- 
nach müsste  auch  die  Erscheinung  der  Vergrösserung  der  Pol- 
felder vom  Äquator  her  continuirlich  zunehmen.  Statt  dessen 
entsteht  jederseits  am  Ei  ein  einheitliches,  durch  eine  braune 
Niveaulinie  vollkommen  scharf  begrenztes  Polfeld  und  ein  ein- 
heitlicher allgemeiner  Äquator,  innerhalb  dessen  die  früher 
vorhandenen  kleinen  Polfeldernicht  nur  nicht  wachsen,  sondern 
rückgebildet  werden.  Die  Morula  reagirt  jetzt  ganz  wie  ein  un- 
getheiltes  Ei,  also  wie  ein  einheitliches  Gebilde. 

Da  unsere  Erörterung  über  die  möglichen  speciellen  Ur- 
sachen des  Überganges  der  Specialpolarisation  der  einzelnen 
Zellen  des  getheilten  Eies  zur  Generalpolarisation  des  ganzen 
Eies  infolge  der  uns  noch  mangelnden  Einsicht  in  die  inneren 
Vorgänge  zur  Zeit  nicht  weiter  geführt  werden  kann,  müssen 
wir  bei  der  experimentell  abgeleiteten  Folgerung  stehen  bleiben 
und  sagen:  Die  am  normal  beschaffenen,  getheilten  Ei  als  vor- 
handen erschlossene,  vollkorhmene  oder  unvollkommene  Tren- 
nung der  Zellen  von  einander  durch  eine  wie  ein 
Elektrolyt  wirkende  Substanz  ist  durch  die  genannten, 
die  Vitalität  schädigenden  Mittel  ganz  oder  theilweise  aufge- 
hoben worden;  und  dies  ist  der  Grund,  dass  der  ganze  Com- 
plex  von  Zellen  nunmehr  w^e  ein  einheitliches  Gebilde  ent- 
sprechend seiner  äusseren  Gestalt  auf  den  elektrischen  Strom 
reagirt. 


Entwickelungsfnechanik  des  Embrj'o.  229 


Figurenerklärung  zu  Tafel  I  bis  III. 


Allgemeines.  Alle  Figuren  sind  schematisirt,  die  der  lebenden  Objecte 
sind  nach  Momentskizzen  gezeichnet. 

Die  durch  den  elektrischen  Strom  veränderten  polaren  Abschnitte  sind  in 
den  Figuren  1  und  3  —  20  blau  gefärbt.  In  Wirklichkeit  sind  die  hier  blau  mar- 
kirten  >Polfelder«  bei  den  Frosch-  und  Tri  ton  eiern  der  Fig.  1  —  14  heller  als 
der  von  ihnen  begrenzte  elektrische  Äquator,  mit  Ausnahme  von  dessen  oft  auf- 
gehellten Rändern. 

Wo  nicht  anders  erwähnt,  sind  die  abgebildeten  Objecte  mit  dem 
Wechselstrom  durchströmt  worden.  Die  mittlere  Stromrichtung,  die  gerade 
Yerbindungsrichtung  der  Elektroden  ist  auf  den  Tafeln  immer  wagrecht,  also  in 
Richtung  der  Zeilen  verlaufend  angenommen. 

Fig.  1,  Kurze  Zeit  mit  nicht  starkem  Wechselstrom  durchströmtes  Froschei 
von  der  Seite  gesehen.  Siehe  S.  66. 

Fig.  2.  (Tafel  III.)  Froscheier  in  einer  niit  Wasserleitungswasser  gefüllten 
Glasschale,  von  den  beiden  geraden,  die  senkrecht  eingesetzten  Elek- 
troden markirenden  Strichen  aus  durchströmt.  Die  Schale  danach  um- 
gedreht, und  die  Eier  von  unten,  yergrössert  abgezeichnet;  die  Polfelder 
dunkel  markirt.  Siehe  S.  33. 

fig-  3.  Kurze  Zeit  durchströmtes  Ei  des  Triton.  Die  Ränder  des  elektrischen 
.\quators  sind  in  der  Entfärbung  begriffen.  Siehe  S.  88. 

Pig-  4.  Froschei,  stundenlang  mit  äusserst  schwachem  Strom  durchströmt ;  von 
oben  gezeichnet.  Die  polaren  Extraovate  sind  blau  gezeichnet  Das 
Ei  ist  nicht  schattirt,  um  die  im  Bereiche  des  breiten  Äquators  ent- 
standenen Streifen  besser  sichtbar  zu  machen.  Siehe  S.  64. 

^ig-  5.  Zwei  in  derselben  Gallerthülle  eingeschlossene  Froscheier,  in  Richtung 
ihres  geringsten  Abstandes  durchströmt;  von  oben  gesehen.  Siehe  S.  69. 

f^^g-  6.  Zwei  mit  ihren  Gallerthüllen  vereinigte  Froscheier,  wie  in  Fig.  9  durch- 
strömt und  abgebildet.  Siehe  S.  69. 

*^ig-  7.  Froschei  schief  zur  ersten  Furche  durchströmt ;  von  oben  gesehen. 
Siehe  S.  35,  43  und  69. 

f^ig.  8  und  9.  Froscheier  rechtwinkelig  zur  ersten  Furche  durchströmt ;  von  der 
Seite  gesehen.  Siehe  S.  70. 

f^ig«  10.  Frosch-  sowie  Tritonei  nach  der  zweiten  Furchung  durchströmt ;  von 
oben  gesehen.  Siehe  S.  70  und  89. 

^'8;  11.  Schief  stehendes  Froschei  nach  der  zweiten  Theilung  so  lange  durch- 
strömt, bis  die  anfängliche  Specialpolarisation  der  vier  Zellen  (Special- 
polfelder blau)  unter  Wachsthum  der  Polfelder  (roth)  in  die  Universal- 
polarisation übergegangen  war;  von  oben  aus  gesehen.  Siehe  S.  73. 


230  W.  Roux, 

Fig.  12.  Gallenblase  des  Frosches  von  oben  gesehen,  erst  in  Richtung  der 
Höhe  des  Blattes,  darauf  in  Richtung  der  Zeilen  durchströmt.  Die  beiden 
»Niveaulinien«  der  ersten  Durchströmung  sind  bei  der  zweiten  Durch- 
strömung unverändert  geblieben.  Siehe  S.  54. 

Fig.  13.  Ei  des  Triton  alpestris  durchströmt;  von  der  Seite  gesehen«  Siehe  S.  87  > 

Fig.  14.  (Tafel  II).  Triton-,  sowie  Froschei  in  seiner  Hülle  zwischen  ebenen  Glas- 
platten platt  gedrückt  und  durchströmt;  von  oben  gesehen.  Siehe  S.  67. 

Fig.  15.  Oberflächliche  Zelle  des  Polfeldes  einer  alten  Tritongastrula ;  Be- 
trachtung bei  auffallendem  Licht;  äusserer  Polfeldabschnitt  blau,  innerer 
roth  gezeichnet.  Siehe  S.  100. 

Fig.  16.  Zelle  einer  alten  Triton  Gastrula,  isolirt  und  dann  durchströmt.  Die 
beiden  protoplasmatischen  Polabschnitte  blau,  die  dotterkömerhaltige 
Äquatorscheibe  roth  gezeichnet.  Siehe  S.  98. 

Fig.  17.  Eine  wie  die  vorige  behandelte  Zelle,  welche  aber  beim  DurchströmeR 
an  den  beiden  Polen  aufgeplatzt  ist  und  ihren  Inhalt  nach  beiden 
Seiten  in  Richtung  des  Stromes  entleert  hat.  Siehe  S.  97. 

Fig.  18.  Ei  von  Telestes  Agassi zii;  rechtwinkelig  zur  Eiaxe  durchströmt;  von 
der  Seite  gesehen.  Siehe  S.  103. 

Fig.  19.  Gleiches  Fischei;  die  Keimscheibe  war  etwas  abgebogen,  wurde  in 
Richtung  ihrer  Axe  durchströmt.  Siehe  S.  104. 

Fig.  20.  Skizze  des  Kopfes  eines  Hühnerembryo  von  fünf  Brüttagen.  Die  Pol- 
felder am  Mittel-,  Zwischen-  und  Vorderhim  sind  blau  markirt;  die  Ver- 
änderungen am  Hinterhim  und  an  der  Himbasis  waren  nicht  gezeichnet 
worden.  Am  Mittelhim  sind  die  in  Richtung  des  Wechselstromes 
stehenden  Einfaltungen  der  Wandung  sichtbar.  Die  an  der  secundären 
Augenblase  gezeichneten  polaren  Faltungen  und  Abschnürungen  sind 
erst  nach  viel  länger  fortgesetzter  Durchströmung  aufgetreten,  durch 
welche  die  Himblasen  bereits  viel  weiter  verändert  worden  waren,  als 
hier  gezeichnet  ist.  Siehe  S.  114. 

Fig.  21.  Die  eine  von  zwei  einander  dicht  benachbarten,  in  Richtung  des 
geringsten  Abstandes  in  einhalbprocentiger  Kochsalzlösung  mit  dem 
Wechselstrom  durchströmten  Messingkugeln  von.  7  mm  Durchmesser; 
die  der  anderen  Kugel  zugewendete  Fläche  dargestellt.  Siehe  S.  149» 

Fig.  22.  Eine  Kupferscheibe  in  Kupfervitriol  mit  dem  Gleichstrom  durchströmt; 

a)  Einmalige  Durchströmung  in  Richtung  der  Zeilen  der  Tafel.  Das  der 
Anode  zugewendete  Polfeld  senkrecht,  das  der  Kathode  zugewendete 
Polfeld  schräg  schraffirt.  Siehe  S.  170. 

b)  Dieselbe  Scheibe  um  90**  gedreht  und  aufs  Neue  in  Richtung  der 
Zeilen  durchströmt.   Schraffirung  wie  bei  a. 

c)  Dasselbe  nach  länger  fortgesetzter  Durchströmung. 

a  Bezeichnet    die  an  der  Grenze  des  primären  positiven  Polfeldes 
und  des  primären  Äquators  bei  der  zweiten  Durchströmung  blank 
bleibende  Stelle  und  ihre  nachträgliche  Wanderung.  Siehe  S.  31. 
Fig.  23.  Parallelepipedischer  Bleistab   in   einhalb    procentiger  Kochsalzlösung 
der  Länge  nach  mit  den  W  echselstrom  durchströmt  nach  Neben- 
stellung von    10  Messingkugeln,  um  den  Verlauf  der  Stromfaden   zu 


Entwickelungsmechanik  des  Embryo.  231 

erkennen.  Die  Polfeder  des  Stabes  schraffirt,  die  der  Kugeln  schwarz 
gezeichnet.  Siehe  S.  178. 

Fig.  24.  Ein  in  der  Mitte  ausgebogener  Stanniolstreifen,  der  Länge  nach  in 
Glaubersalzlösung  mit  dem  Wechselstrom  durchströmt.  Die  Strecke 
zwischen  a  a  stellt  den  Äquator  dar.  Siehe  S.  1 53  und  1 79. 

Fig.  25.  Rechtwinkelig  gebogener  Balken  von  Blei,  in  Richtung  des  wagrechten 
Schenkels  mit  dem  Wechselstrom  durchströmt.  Siehe  S.'128  und  154. 

Fig.  26.  Parallelepipedischer  Bleibalken,  in  achtprocentiger,  mit  etwas  Schwefel- 
säure versetzter  Kochsalzlösung  mit  dem  Gleichstrom  seiner 
Länge  nach  durchströmt.  Siehe  S.  181. 

Fig.  27.  Froschherz  mit  Messingkugeln  umstellt  und  in  Wasserleitungswasser 
der  Länge  nach  mit  dem  Wechselstrom  durchströmt;  die  Polfeder 
der  Kugeln  lassen  die  Convergenz  der  Stromfäden  (aber  etwas  zu 
stark)  erkennen.  Siehe  S,  183. 

Fig.  28.  Ein  gleiches  Herz  in  fünfprocentiger  Kochsalzlösung  durchströmt;  lässt 
die  Divergenz  der  Stromfäden  sehen.  Siehe  Seite  183. 

Fig.  29.  Gallenblase  des  Frosches  in  Wasserleitungswasser  durchströmt.  Siehe 
S.  183. 

Fig.  30.  Eine  gleiche  Gallenblase  in  fünfprocentiger  Kochsalzlösung  durch- 
strömt. Siehe  S.  183. 


Inhaltsverzeichniss. 


L  Abschnitt. 

Seite 
Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Eier  von  Ranafusca: 

auf  ein  parallel  contourirtes  Band  von  Laich 29 

auf  eine  runde  Scheibe  von  Laich 31 

bei  wechselnder  Durchströmungsrichtung 33 

auf  schwimmende  Eier 34 

auf  unbefruchtete  Eier 34 

auf  mechanisch  insultirte  Eier 34 

auf  getheilte  Eier 34 

auf  Hühner-  und  Taubeneier 36 

Wirkung  eines  Gleichstromes  auf  Froscheier 36 

Wirkung  des  Wechselstromes  auf  die   Richtung  der  ersten 

Eitheilung:  beim  Durchströmen 37 

beim  Umströmen 39 


232  W.  Roux, 

II.  Abschnitt. 

Seite. 
Weitere  Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Eier  von  RatM  fusca: 

auf  Eierstockseier 39 

auf  nicht  im  Wasser  gelegene  Eier 40 

auf  in  Salzlösung  gelegene  Eier 40 

bei  wechselnder  Durchströmungsrichtung 41 

Wirkung  sehr  schwachen  Stromes 41 

Wirkung  bei  verschiedener  Stromdauer 42 

Grösse  der  Polfeder 42 

Verhalten  gepresster  Eier 43 

Veränderungen  der  Eier  nach  der  Durchströmung   43 

Dauer  der  Polarisationsfahigkeit 44 

Aufhebung  derselben  durch  Erwärmung 44 

Wirkung  auf  Embryonen  von  Rana  fusca 44 

Einfluss  der  Differenz  des  Leitungsvermögens  von  Ei  und 

Menstruum     4& 

Wirkung  des  Gleichstromes: 

auf  Froscheier  und  -Embryonen J>0 

aufdie  Richtung  derersten  Eitheilung 52 

Wirkung  des  W^echselstromes  auf  Organfe  des  erwachsenen 

Frosches: 53 

auf  die  Gallenblase 53 

auf  das  Froschherz   54 

auf  andere  Organe  ...    55 

III.  Abschnitt 5& 

Erläuterung  von  Terminis  technicis 59 

Wirkung  des  Wechselstromes  auf: 

Aethalium  sepiicum 61 

Hydra  fusca 62 

Rana  esculenta :   63 

Wirkung  aufdie  Besamungsrichtung 63 

auf  dieCopulationsrichtung 63 

Wirkung  sehr  schwachen  Stromes  auf  das  Ei 64 

Wirkung  auf  Eierstockseier 65 

auf  reife  Eier 66- 

auf  deformirte  Eier    67 

auf  Extraovate 68 

auf  einander  sehr  nahe  Eier 6& 

auf  get heilte  Eier 

a)  Specialpolarisation 69- 

b)  Generalpolarisation 73 

auf  Embryonen    75 


Entwicklung smechanik  des  Embryo.  233 

Seite 

Einfluss  der  Wärme  auf  die  Polansationsfahigkeit  . .  78 
Einfluss  der  Carbolsäure  auf  die  Reactionsfahigkeit 

ungetheilterEier 78 

Prüfung  des  Leitungsvermögens  der  Eier 79 

Wirkung  auf  von  Metall  umschlossene  Eier 80 

auf  von  Dielectricis  lunschlossene  Eier 81 

Wirkung  des  Gleichstromes  auf  Ratta  esculenta : 81 

auf  die  Eier 81 

auf  das  Herz  und  die  Gallenblase S3 

Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Triton  alpcstris: 85 

auf  ungetheilte  Eier S6 

auf  getheilte  Eier: 

a)  Specialpolarisation 88 

b)  Generalpolarisation 90 

Art  des  Vorganges  der  Polarisation 90 

Variationen  der  Polarisation 91 

Wirkung  auf  Extraovate 96 

auf  isolirte  Zellen 97 

auf  innere  Theile  der  Gastrula 100 

Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Tclestes  Agassizii: 102 

auf  die  Eier,  Morulae  und  Embryonen 102 

auf  Herz  und  Gallenblase 109 

Wirkung  des  Wechselstromes  auf  Lacerta  agilis: 109 

auf  die  Eier 109 

auf  die  Gallenblase 1 10 

auf  die  Embryonen 11 0 

Wirkung  auf  Gallus  domesticus 113 

Wirkung  auf  Säugethiere: 

auf  Eier  und  Embryonen 123 

auf  die  Gallenblasen 123 

Vorkommen  des  Stromschatten 126 

Durch  den  Wechselstrom  nicht  morphologisch  polarisirbare  Organe  1 29 


IV.  Abschnitt. 


Wirkung  des  elektrischen     Stromes    auf   nicht  lebende    Intra- 

elektrolyten: 132 

auf  Gallerte 133 

auf  Quecksilber 184 

auf  feste  Metalle 142 

Wirkung  des  Wechselstromes: 145 

auf  kugelige  Gebilde 147 

Verhalten  einander  sehr  naher  Kugeln 148 


234  W.  Roux,  Entwickelungsmechanik  des  Embryo. 

Seite 

auf  platte  Gebilde 152 

Verhalten  des  rechten  Winkels 153 

der  Kupferscheibe 156 

auf  Draht 159 

auf  unvollkommene  Intraelektrolyten 162 

Wirkung  des  Gleichstromes  auf  feste  metallische 
Intraelektrolyten 165 

Wirkung  auf  metallische  Intraelektrolyten  von  der 
Gestalt  der  untersuchten  organischen  Gebilde  ...    1 73 

Wirkung  in  besser  als  der  Intraelektrolyt  leitenden 
Medien : 

scheinbare  Äquatorisation 173 

Bedingungen  der  Polarisation 174 

Directe  Ermittelung  des  Verlaufes  der  Stromfaden: 
gegen  metallische  Intraelektroly ten : 

im  Wechselstrome 178 

im  Gleichstrome 181 

gegen  organische  Intraelektrolyten 183 

Abnahme  der  galvanischen  Wirkung  mit  dem  Abstände  von  den 
Elektroden    bei  gleichem  Querschnitt  der  clektrolytischen 

Bahn 184 

V.  Abschnitt. 

Erklärungsversuche  und  Zusammenfassung: 

Ursache  der  polaren  Localisation  der  Veränderungen 197 

Ursache  der  scharfen  Begrenzung  des  Äquators 201 

Ursachen  der  speciellen  Gestaltungen  der  Polfelder: 202 

Stromschatten 202 

Bestimmung  der  Richtung  der  Grenzlinien  der  Polfelder. . . .   206 
Unterschiede  der  Localisation  der  Polfelder  bei  metallischen 

und  bei  lebenden  Intraelektrolyten 209 

Zusammenstellung    der  specifischen    Reactionsweisen     der 

lebenden  Objecte 210 

Vorbedingungen  der  beschriebenen  Localisation  der  Polfelder.  214 
Ursachen    der  Specialpolarisation   der    Zellen  des  ge- 

theilten  Eies 218 

Ursachen  der  General  Polarisation  des  getheilten  Eies  .,  226 


W.Ronx:  Elektrische  Polarisation  der  Eier  und  Embryonen. 


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Sitzungsberichte  d-kais.  Akad.  d.  Wiss.,  math.-naturw.Qasse,  Bd.CI.  Abth.  ÜT.  1892. 


W.Ronx: Elektrische  Polarisation  der  Eier  und  Embryonen. 


Taf.n. 


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Sitzungsberichte  d. kais.  Akad.  d.  Wiss.,  math.-naturw.Cla8se,Bd.CI.  Abth.m,  1892. 


W.Ronx:  Elektrische  Polarisation  der  Eier  und  Embryonen. 


Taf.III. 


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Avlor  delin.  Lilh  Ansl.  v.Th.Bnnnwaröi,  Wien. 

Sitzungsberichte  d. kais.  Akad.  d.  Wiss.,  math.-naturw.Qasse,  Bd.CI.  Abth.m.  1892. 


A 


235 


Ober  die  Beziehungen  der  Wirbel  zu  den 

Urwirbeln 


von 


Prof.  V.  V.  Ebner  in  Wien, 

w.  M.  k.  Akad. 

(Mit  1  Tafel.) 

In  einer  Ȇber  die  sogenannte  Neugliederung  der  Wirbel- 
säule und  über  das  Schicksal  der  Urwirbelhöhle  bei  Reptilien« 
betitelten  Abhandlung  beschäftigt  sich  Corning*  mit  der  von 
mir*  zunächst  an  Nattemembryonen  beobachteten  Thatsache, 
dass  der  skeletbildende  Theil  der  Urwirbel  schon  frühzeitig 
eine  mit  der  Urwirbelhöhle  zusammenhängende  Spalte  zeigt, 
welche  —  der  Lage  nach  —  der  späteren  Wirbelgrenze  entspricht. 
Ich  nannte  diese  Spalte  Intervertebralspalte. 

Corning  findet  diese  Spaltbildung  sehr  deutlich  bei 
Embryonen  der  Blindschleiche  und  gibt  von  solchen  eine  Reihe 
von  Abbildungen,  in  welchen  das  Verhalten  der  Spalte  bis  zur 
beginnenden  Knorpelbildung  dargestellt  wird.  Dadurch  haben 
meine  Angaben  eine  dankenswerthe  Bestätigung  und  Envei- 
terung  erfahren,  und  ich  würde  gegenwärtig  keine  Veranlassung 
haben  auf  den  Gegenstand  noch  einmal  einzugehen,  wenn  nicht 
Corning  kritische  Bemerkungen  gegen  meine  Darstellung  in 
seine  Arbeit  eingeflochten  hätte,  die  den  Anschein  erwecken, 
als  ob  meine  Angaben  mit  wesentlichen  Punkten  seiner  Unter- 
suchungsergebnisse sich  in  Widerspruch  befänden,  während 
dies  thatsächlich  nicht  der  Fall  ist.  Es  scheint  mir,  dass  die  von 


1  Morphol.  Jahrbuch,  Bd.  XVII  (1891),  S.  611. 

«  Diese  Berichte,  1888,  Bd.  XCVII,  Abth.  III,  S.  194. 


236  V.  V.  Ebner, 

Corning  angewendete  Kritik  wesentlich  auf  Missverständnissen 
meiner  Angaben  beruhe.  Diese  Missverständnisse  aufzuklären 
und  die  Frage,  um  die  es  sich  handelt,  genauer  zu  präcisiren, 
ist  nun  zunächst  der  Zweck  der  folgenden  Zeilen. 

Ich  glaube  denselben  am  besten  zu  erreichen,  wenn  ich 
in  etwas  anderer  Form,  als  in  meiner  oben  citirten  Arbeit,  den 
Ausgangspunkt  meiner  Untersuchungen  darlege. 

BekanntHch  galten  die  Urwirbel  nach  den  Untersuchungen 
V.  Baer's  für  die  alleinige  öruridlage  der  Wirbel.  Diese  Annahme 
wurde  gemacht,  trotzdem  v.  Baer  selbst,  sowie  die  Anatomen 
seiner  Zeit  recht  wohl  wussten,  dass  es  auch  Wirbelthiere  ohne 
Wirbelabtheilungen  (Myxinoiden)  und  solche  gibt,  welche  nur 
segmentale  Bogen  ohne  segmentifte  Wirbelkörper  (Pelroinyzon, 
Accipenser,  Chimaera)  besitzen.  JohannesMüUer*  nahm  daher, 
dem  entsprechend,  auch  an,  dass  die  Wirbelsäule  in  den  ver- 
schiedenen Classen  der  Wirbelthiere  nicht  in  derselben  Weise 
entstehe.  Erst  Remak*  erschütterte  die  Lehre,  dass  die  Urwirbel 
die  paarigen  Anlagen  der  Wirbelkörper  sammt  den  zugehörigen 
Bogen  seien.  Nachdem  er  vorübergehend  die  Urwirbel  aus- 
schliesslich für  die  Anlagen  der  Spinalganglien  erklärt,  diese 
Angabe  aber  später  berichtigt  hatte,  stellte  er  in  seinem  grossen 
Werke  über  die  Entwicklung  der  Wirbelthiere  die  Lehre  von 
den  Beziehungen  der  Urwirbel  zur  Muskelbildung,  zur  Bildung 
der  Spinalnerven,  der  Wirbel  u.  s.  w.  auf,  welche  bis  zu  den 
Untersuchungen  von  His  die  herrschende  war.  Remak  nahm 
auf  Grund  seiner  Beobachtungen  zunächst  mit  Bestimmtheit  an, 
dass  aus  der  dorsalen  Seite  der  Urwirbel  die  Muskeln  zwischen 
zwei  Wirbeln  (intertransversarii,  interspinales)  hervorgehen ; 
Hess  es  aber  dahingestellt,  wie  weit  auch  die  anderen  animalen 
Muskeln  zu  den  Urwirbeln  in  Beziehung  stehen.  Jedenfalls  ist 
Remak  derjenige,  welcher  zuerst  feststellte,  dass  die  Metamerie 
der  Urwirbel  in  erster  Linie  den  segmentalen,  dorsalen  Rumpf- 
muskeln und  somit  dem  entspreche,  was  man  jetzt  Myotome 
oder  Myomeren  zu  nennen  pflegt.  Da  aber  Remak  zugleich 
auch   daran   festhielt,   dass  aus  der  ventralen  und  medialen 


1  Handbuch  der  Physiologie.  Coblenz,  1840,  11.  Bd.,  S.  733. 

2  MÜIIer's  Archiv,  1843. 


Wirbel  und  Urwirbel.  237 

Fläche  der  Urwirbel  das  Blastem  hervorgehe,  welches  die 
bleibenden  Wirbel  bilde,  die  ja  ebenfalls  ein  System  von  Meta- 
meren  darstellen,  musste  er  nothwendig  eine  Neugliederung  der 
Wirbelsäule  insoferne  annehmen,  als  diederMuskelsegmentirung 
entsprechenden  Urwirbel  auch  die  Anlagen  der  Wirbel,  welche 
mit  den  Myomeren  alterniren,  enthalten.  Die  Frage,  wie  diese 
Neugliederung  geschieht,  muss  heute  noch  für  alle  diejenigen 
existiren,  welche  mit  Remak  das  Blastem  der  Wirbelsäule  aus 
den  Urwirbeln  hervorgehen  lassen. 

Es  gibt  wissenschaftliche  Fragen,  welche  sich  sozusagen 
von  selbst  lösen.  Sie  veralten,  sie  werden  nicht  mehr  gestellt, 
weil  ihre  Formulirung  den  fortgeschrittenen  Kenntnissen  nicht 
mehr  entspricht.  Zu  diesen  Fragen  scheint  mir  aber  die  >»so- 
genannte«  Neugliederung  der  Wirbelsäule  nicht  zu  gehören. 
Die  Frage,  wie  die  metameren  Stücke  des  Axenskeletes  aus  den 
Urwirbeln  entstehen,  ist  und  bleibt  für  jeden  eine  berechtigte,  der 
überhaupt  einen  genetischen  Zusammenhang  dieser  Bildungen 
annimmt  Sie  scheint  um  so  brennender,  als  His  auf  Grund  um- 
fassender Arbeiten  geradezu  bestritt  und  bestreitet,  dass  die 
Urwirbel  irgend  etwas  mit  derBindesubstanzbildung,beziehungs- 
weise  Skeletbildung  zu  thun  haben  und  in  dieser  Behauptung 
vielfache  Zustimmung  fand.  So  von  Rauber,  Kollmann, 
Waldeyer  u.  A.  Der  Augenschein  spricht  gegen  die  Annahme 
von  His  und  für  die  Annahme  von  Remak,  wie  insbesondere 
Kolli  k  er  eindringlich  hervorhob.*  Kann  man  zweifeln, 
dass  die  mächtige  Zellenmasse,  welche  augenscheinlich  aus 
den  Urwirbeln  hervorkommt  und  die  Chorda  und  das  ganze 
Medullarrohr  umhüllt,  auch  die  Anlage  für  die  Wirbelkörper 
und  Wirbelbogen  enthält?  Der  Augenschein  spricht  dafür,  aber 
kann  derselbe  nicht  trügen?  Wissen  wir  nicht  jetzt  von  einem 
segmentalen  Organe,  das  Remak  aus  den  Urwirbeln  ableitete 
und  das  frühzeitig  als  eine  mächtige  Zellenmasse  zur  Seite  des 
Medullarrohres  liegt,  von  dem  Spinalganglion,  dass  es,  wie  His 
zuerst  zeigte,  ganz  oben  an  der  Schlusslinie  des  Medullarrohres 
seine  Entstehung  nimmt  und  rasch  grösser  werdend  sich  in  den 
Bereich  der  Urwirbel  schiebt?  Könnte  nicht  der  Zusammenhang 


'  Zeitschr.  f.  wissensch.  Zoologie,  Bd.  XL,  S.  201. 


238  V.  V.  Ebner, 

des  Wirbelblastemes  mit  den  Urwirbeln  auch  ein  secundärer 
sein  und  das,  was  aus  den  Urwirbeln  nachweislich  herauswächst, 
eine  ganz  andere  Bestimmung  haben?  (Gefässmuskulatur  etc. 
nach  His).  In  der  That,  man  sucht  vergeblich  nach  einer  strikten 
Widerlegung  der  Annahme  von  His,  dass  die  gesammten Binde- 
substanzen, also  auch  das  Wirbelblastem  mit  den  Gefäss- 
endothelröhren  von  der  Peripherie  in  den  Embryo  hinein  gelange, 
so  sehr  der  Augenschein  an  Schnitten  dagegen  zu  sprechen 
scheint.  Denn  wenn  Verschiebungen  und  diffuse  Durch- 
wachsungen heterogener  Anlagen  erfolgen,  so  können  solche 
Vorgänge  mehr  weniger  vollständig  der  Beobachtung  am  todten 
Objecte  sich  entziehen,  trotz  bester  Conservirung  mit  fixirten 
Mitosen  und  trotz  vollständiger  Schnittserien.  Man  wende  nicht 
ein,  die  amöboiden  Zellen  seien  »Allerweltszellen«,  die  überall, 
wo  man  sie  einer  Hypothese  zuliebe  brauche,  zu  Hih'e  gerufen 
werden.  Die  Thatsache  der  activen  Ortsveränderung  sich  ent- 
wickelnder Gewebeelemente  steht  fest;  sie  ist  mitunter  eine  für 
die  Untersuchung  höchst  unbequeme  Thatsache,  mit  der  man 
aber  rechnen  muss.  Es  gibt  zweifellos  entwicklungsgeschicht- 
liche Vorgänge,  bei  welchen  Blutgefässe  secundär  in  bereits 
bestehende  Gewebeanlagen  hinein  wachsen  (Retina,  Central- 
nervensystem) ;  aber  auch  solche  Fälle,  die  kaum  eine  andere 
Deutung  zulassen  als  die,  dass  mit  den  Blutgefässen  auch  Ge- 
webeanlagen  in  ein  bereits  bestehendes  Organ  hineingelangen. 
Hieher  rechne  ich  zum  Beispiel  das  Auftreten  von  Mark- 
gewebe im  Innern  der  Knorpel  bei  der  endochondralen  Ossifi- 
cation,  da  das  einzige  zellige  Element,  von  welchem  man  in 
loco  das  Markgewebe  entstehen  lassen  könnte  —  nämlich  die 
Knorpelzellen  der  sich  eröffnenden  Markhöhlen  — wohl  Zeichen 
des  Zerfalles,  des  Kernschwundes  u.  s.  w.,  nicht  aber  Ver- 
mehrungserscheinungen zeigen. 

Angesichts  einer  solchen  Sachlage  glaubte  ich  im  Jahre 
1888  zwar  immer  noch  an  der  alten  Lehre  von  der  Bedeutung 
der  Urwirbel  für  die  Skeletbildung  festhalten  zu  müssen; 
war  mir  aber  klar,  dass  mit  den  gegenwärtig  zu  Gebote 
stehenden  Untersuchungsmethoden  höchstens  ein  Wahr- 
scheinlichkeitsbeweis, keineswegs  ein  exact  sicherer  Nachweis 
der  Abstammung   der  Wirbel    aus    den   Urwirbeln   geliefert 


Wirbel  und  Urwirbel.  239 

werden  könne.  Nichts  konnte  mir  ferner  liegen,  als  etwa 
die  Vorstellung,  genau  die  Zellenmasse  umgrenzen  zu  wollen, 
aus  welcher  das  Wirbelskelet  hervorgehe,  oder  gar  die  Meinung 
zu  hegen,  es  gingen  aus  den  Urwirbelkernmassen  R  e  m  ak's  oder 
(wie  sie  jetzt  von  Hatschek*  und  Rabl  *  genannt  werden)  aus 
den  Skierotomen  nur  die  Wirbel  hervor.  Die  Auffindung  der 
Intervertebralspalte  schien  mir  in  erster  Linie  desshalb  von 
Interesse,  weil  sich  der  Nachweis  erbringen  Hess,  dass  diese 
Spalte  bis  zum  Beginne  der  Gliederung  der  knorpeligen  Wirbel 
zu  sehen  ist  und  zu  dieser  Zeit  mit  ihrem  nahe  an  die  Chorda 
reichenden  Ende  der  Grenze  zweier  Wirbelkörper  entspricht. 
Dies  schien  mir  weiter  mit  Rücksicht  auf  die  Thatsache,  dass 
die  Intervertebralspalten  aus  den  Urwirbeln  her\^orgehen  und 
in  einer  bestimmten  Zeit  mit  den  Urwirbelhöhlen  zusammen- 
hängen, ohne  in  irgend  einer  directen  Beziehung  zu  Blut- 
gefässen zu  stehen,  nur  durch  die  Annahme  begreiflich»  dass 
in  der  That  die  Intervertebralspalte  die  Wirbelsegmentirung 
einleite.  Es  Hess  sich  feststellen,  dass  die  durch  die  Interverte- 
bralspalte halbirten  Urwirbelkernmassen  mit  den  nächst  vorderen 
und  nächst  hinteren  Hälften  der  benachbarten  Urwirbelkern- 
massen verwachsen  und  dadurch  zu  den  Myomeren  alternirend 
gestellte  Metameren  bilden,  welche  der  Wirbelsegmentirung  ent- 
sprechen. Es  fiel  mir  aber  niemals  ein,  mir  vorzustellen,  dass  jener 
Theil  der  Urwirbel,  aus  welchem  die  Wirbel  hervorgehen,  aus- 
schliesslich nur  für  diese  das  Bildungsmaterial  enthalte.  Wenn 
ich  die  Intervertebralspalte  speciell  nur  im  Bereiche  der  Wirbel- 
körperanlage genauer  verfolgte  und  ihr  endliches  Verschwinden 
im  Intervertebralknorpel  beschrieb,  so  geschah  dies  aus  dem 
Grunde,  weil  nur  im  Bereiche  der  Wirbelkörper  die  reine  Knorpel- 
entwicklung und  Segmentirung  zu  verfolgen  war,  während  im 
Bereiche  der  Bogen,  Querfortsätze  und  Rippen  auch  die  Gang- 
lien mit  ihren  Nerven,  die  Blutgefässe,  die  Muskeln,  die  Bänder 
und  die  Verschiebungen  und  Umformungen  aller  dieser  Theile 
in  Frage  kommen;  lauter  schwierige  Fragen,  die  für  eine  Unter- 
suchung, deren  Resultate  in  dem  Rahmen  von  12  Druckseiten 
in  knapper  Form  mitgetheilt  wurden,  zu  weit  geführt  hätten. 


*  Anatomischer  Anzeiger,  1888,  S.  654  und  662. 


240  V.  V.  Ebner, 

Kurzum,  es  war  nicht  meine  Absicht,  eine  Entwickl  ungsgeschichte 
der  Wirbelsäule  der  Natter  zu  schreiben,  sondern  nur  zu  zeigen, 
dass  die  Intervertebral spalten  den  späteren  Wirbelgrenzen  ent- 
sprechen, und  dass  mithin  die  längs  der  Spalten  liegenden,  aus 
den  Urwirbeln  stammenden  Zellenmassen,  die  Wirbelanlage  ent- 
halten müssen.  Ich  habe  klar  und  deutlich  gesagt,  dass  meine 
ganze  Beweisführung  in  erster  Linie  gegen  die  Parablasttheorie 
gerichtet  sei  und  war  dabei  so  vorsichtig,  nicht  mit  apodikti- 
scher Sicherheit  die  Möglichkeit  in  Abrede  zu  stellen,  dass  von 
anderwärts  herkommendes  Zellenmaterial  an  der  Wirbelbildung 
sich  betheilige.  Dies  geht  am  besten  aus  den  am  Schlüsse 
meiner  Abhandlung  gegebenen  Erwägungen  hervor,  welche  mit 
den  Worten  schliessen:  »Wenn  ich  nun  trotzdem  behaupte,  dass 
die  Urwirbel  den  wesentlichsten  Antheil  an  der  Wirbelbildung 
haben,  so  geschieht  dies  nicht,  weil  diese  Annahme  eben  so  gut 
oder  eben  so  wenig  gerechtfertigt  ist,  als  ihr  Gegentheil;  sondern, 
weil  ohne  diese  Annahme  die  nachweisbare  Umgliederung  der 
Urwirbelkerne  zu  einer  den  Wirbelkörpern  und  deren  Bogen 
entsprechenden  Segmentirung  ganz  unbegreiflich  wäre.«  Ich 
hätte  mich  nicht  gewundert,  wenn  von  Seite  eines  Anhängers 
der  Parablasttheorie  Einwendungen  gegen  meine  Schlüsse  er- 
hoben worden  wären.  Zu  diesen  gehört  Corning,  als  Schüler 
Prof.  Rabl's,  natürlich  nicht.  Er  nimmt  als  selbstverständlich 
anj  was  ich  hauptsächlich  zu  beweisen  suchte,  nämlich  die  Ab- 
stammung der  Wirbel  aus  den  Urwirbeln,  und  ist  daher  nicht 
geneigt,  die  Neugliederung  des  skeletbildenden  Theiles  der  Ur- 
wirbel im  Zusammenhange  mit  der  Intervertebralspalte  aus  dem 
Gesichtspunkte  zu  betrachten,  aus  welchem  ich  es  that,  und 
sucht  daher  in  meiner  Abhandlung  Dinge,  die  zu  besprechen 
mir  ferne  lag. 

Dies  vorausgeschickt,  glaube  ich  nun  ohne  Schwierigkeit 
die  nur  durch  ein  Missverstehen  dieses  Standpunktes  möglichen 
Einwendungen  aufklären  zu  können. 

Zunächst  bemerkt  Corning:*  »Nähme  man  die  Theorie 
V.  Ebner's  als  richtig  an,  so  hätte  man  sich  vor  Allem  mit  der 
Thatsache   auseinanderzusetzen,  dass  diese  Gefässe«  (nämlich 

1  L.  c.  p.  615. 


Wirbel  und  Um-irbel.  241 

die  interprotovertebralen  Blutgefässe,  welche  Corning,  der 
alten  Bezeichnung  von  Rathke  folgend,  als  Intercostalgefässe 
benennt)  »durch  die  Verschmelzung  zweier  einander  zuge- 
kehrter Skierotomhälften  von  zwei  Urwirbeln  und  der  daraus 
erfolgten  Bildung  eines  bleibenden  Wirbels  entschieden  intra- 
vertebral  zu  liegen  kämen,  eine  Annahme,  welche  von  vorne- 
herein als  unzulässig  erscheint«  Mit  der  Thatsache,  dass  die 
Gefasse  intravertebral  liegen  würden,  wenn  sie  in  unmittelbarer 
Nähe  der  Chorda  blieben,  habe  ich  mich  auf  Seite  8  (201)  meiner 
Abhandlung  in  sehr  einfacher  Weise  abgefunden,  nämlich  durch 
die  Annahme,  dass  sie  infolge  der  Wachsthumsvorgänge  im 
VVirbelblasteme  seitlich  verschoben  werden  und  so  aus  dem 
Bereiche  des  werdenden  Wirbelknorpels  kommen.  Mag  man 
übrigens  was  immer  für  eine  Vorstellung  von  der  Bildung  der 
Wirbelknorpel  haben,  so  muss  man  eine  Erklärung  für  die  Ent- 
fernung der  Blutgefässe  von  der  Chorda,  der  sie  anfangs  sehr 
naheliegen,  geben.  Dass  dies  aber  speciell  mit  dem  Vorgange 
der  Neugliederung  der  Wirbelsäule  in  meinem  Sinne  etwas  zu 
thun  haben  soll,  ist  nicht  einzusehen.  Ferner  meint  Corning* 
»Die  Neugliederung  der  Wirbelsäule  ist  kein  so  einfacher  V^or- 
gang,  wie  v.  Ebner  annimmt.  Dass  die  Urwirbelhöhle  eine  Rolle 
dabei  spielt,  ist  sicher,  und  zwar  dadurch,  dass  sie  das  Skierotom 
in  Abschnitte  zerlegt,  innerhalb  welcher  die  Bildung  der  Bogen 
und  Wirbelanlagen  vor  sich  geht.  Die  Behauptung  v.  Ebner  s, 
dass  mit  einer  secundären  Gliederung  des  Skierotoms  durch  die 
Spalten  auch  schon  die  Wirbelanlage  gegeben  sei,  ist  nicht  auf- 
recht zu  erhalten.  Schon  die  eine  Thatsache,  dass  die  Anlagen 
der  oberen  Bogen  und  die  Querfortsatzanlagen  zu  einer  Zeit 
vorhanden  sind,  wo  von  Wirbelanlagen  noch  nicht  zu  reden  ist, 
genügt,  um  die  v.  Ebner*sche  Anschauung  zu  widerlegen.  Das 
älteste  von  v.  Ebner  abgezeichnete  Stadium  (Fig.  3  seiner  Ab- 
handlung) zeigt  nicht  einmal  die  Anlagen  der  Querfortsätze.« 
Diesen  Einwürfen  gegenüber  muss  ich  zunächst  hervor- 
heben, dass  mir  durchaus  nicht  klar  wurde,  warum  die  angeb- 
lich vorauseilende  Entstehung  der  Bogen  und  Querforsätze  im 
Vergleiche  zu  den  Wirbelkörpern  gegen  meine  Darstellung  der 


'  L.  c.  p.  620. 

Sitzb.  d.  mathcm.-naturw.  Cl.;  CI.  Bd.  Abth.  III.  1 6 


242  V.  V.  Ebner, 

Wirbelneugliederung  sprechen  soll.  Bei  dieser  handelt  es  sich 
um  den  Nachweis,  dass  in  der  That  die  Intervertebralspalte  der 
Grenze  der  Wirbelkörper  entspricht.  Diesen  Nachweis  glaube 
ich  aber  geführt  zu  haben  (obwohl  ich  nicht  alle  Entwicklungs- 
stadien mit  Zeichnungen  belegte),  und  zwar  mit  folgenden 
Worten:*  »Ist  es  schon  nach  den  Befunden  an  dem  besprochenen 
Entwicklungsstadium  kaum  zweifelhaft,  dass  die  Interv^ertebral- 
spalten  mit  der  Bildung  der  Zwischenwirbelbänder,  beziehungs- 
weise Zwischen  Wirbelgelenke  in  Beziehung*  stehen,  so  wird 
dies  durch  die  Untersuchung  späterer  Entwicklungsstadien, 
wie  sie  an  demselben  Embryo  in  der  vorderen  Rumpfregion 
und  an  Schnitten  etwas  älterer  Embryonen  zu  beobachten  sind, 
zur  Gewissheit.  Die  Zellen,  welche  die  Spalte  begrenzen,  ordnen 
sich  neben  der  Chorda  zu  einer  dichten  Schichte,  wodurch  die 
ohnehin  enge  Spalte  noch  mehr  verengert  und  endlich  als 
solche  unsichtbar  wird,  während  nun  ein  dichterer  Gewebe- 
streifen an  ihre  Stelle  getreten  ist.  Vor  und  hinter  dem  Streifen 
rücken  die  mehr  rundliche  Form  annehmenden  Zellen  aus- 
einander,  und  während  die  Urwirbelgrenzen  durch  seitliche 
Verschiebung  der  Blutgefässe  neben  der  Chorda  verschwinden, 
beginnt  so  die  Dififerenzirung  der  knorpeligen  Wirbelkörper, 
welche  als  etwas  hellere  Gewebemassen  ohne  scharfe  Grenze 
in  die  dunkleren  Zwischenwirbelbänder  übergehen.« 

Diese  Beschreibung  ist  zwar  sehr  knapp  gehalten,  aber 
durchwegs  auf  Grund  der  Untersuchung  von  Präparaten,  und 
zwar  von  solchen,  welche  bis  zur  vollendeten  Knorpelbildung 
und  noch  weiter  reichen,  abgefasst.  Dass  die  Intervertebral- 
spalte schliesslich  in  dem  dichten  Gewebestreifen  verschwindet, 
in  welchem  viel  später  bei  der  Natter  secundär  die  Gelenkhöhle 
auftritt,  konnte  ich  an  meinen  Präparaten  Schritt  für  Schritt  ver- 
folgen, und  man  wird  auch  finden,  dass  diese  Darstellung  mit 
den  Abbildungen  Corning's  von  Anguis  übereinstimmt,  welche 
die  Intervertebralspalte  noch  zur  Zeit  des  Beginnes  der  Knorpel- 
bildung zeigen,  das  endliche  Verschwinden  der  Intervertebral- 


1  L.  c.  p.  7  u.  8  (200  u.  206). 

2  Das  Wort  Beziehung  ist,  wie  aus  den  folgenden  Sätzen  klar  hervorgeht, 
nur  topographisch  gemeint. 


Wirbel  und  Unvirbel.  243 

spalte  aber  nicht  mehr  zur  Anschauung  bringen.  Corning 
nennt  das,  was  ich  Intervertebralspalte  nenne,  Urwirbelspalte 
oder  Urwirbelhöhle  und  gebraucht  in  den  Abbildungen  nur  für 
die  ältesten  Stadien  (Fig.  5  und  6  seiner  Abhandlung)  den  Aus- 
druck Intervertebralspalte.  Im  Texte  sagt  Corning  bei  Beschrei- 
bung dieser  Figuren,  dass  die  Intervertebralspalten  deutlich 
ausgebildet  seien  und  weiter:*  »Die  Segmentirung  der  Wirbel- 
säule erfolgt  durch  die  Ausbildung  der  Intervertebralspalten, 
welche  in  Bezug  auf  ihre  Lage  den  Urwirbelspalten  entsprechen. 
Ob  sie  aus  letzteren  hervorgehen,  möchte  ich  dahingestellt  sein 
lassen.« 

Corning  scheint  demnach  zu  glauben,  dass  das,  was  er 
Intervertebralspalte  nennt,  bereits  die  Anlage  der  Gelenkhöhle 
sei.  Davon  kann  aber  gar  keine  Rede  sein.  Abgesehen  davon, 
dass,  soweit  bekannt,  niemals  eine  Gelenkspalte  so  früh  ent- 
steht, ist  speciell  für  die  Blindschleiche  durch  die  grundlegenden 
Untersuchungen  Gegenbau r's*  längst  nachgewiesen,  dass  in 
den  Intervertebralknorpeln  drei  Zoll  langer  Embryonen,  bei 
welchen  die  Wirbel  bereits  in  der  Verknöcherung  begriffen 
sind,  noch  keine  völlig  ausgebildeten  Gelenkhöhlen  vorhanden 
sind.  Auch  bei  der  Natter  bilden  sich  die  Gelenkhöhlen  erst 
nach  Beginn  der  Wirbelverknöcherung.  Wenn  Corning  daher 
nur  bezweifelt,  dass  aus  dem,  was  ich  Intervertebralspalte  nenne, 
direct  die  Gelenkhöhle  hervorgehe,  so  halte  ich  es  geradezu 
für  selbstverständlich,  dass  die  Intervertebralspalte  total  ver- 
schwindet und  mit  der  Gelenkhöhle  nicht  identisch  ist.  Nur  das 
lässt  sich,  meiner  Meinung  nach,  feststellen,  dass  die  Inter- 
vertebralspalte im  Bereiche  der  Wirbel  dort  verschwindet,  wo 
der  Intervertebralknorpel  sich  ausbildet.  (Vergleiche  Fig.  1,  3 
und  4.)  Wenn  aber  Corning  daran  denken  sollte:  1.  eine  Ur- 
wirbelspalte (=  Intervertebralspalte  mihi),  2.  eine  Intervertebral- 
spalte (Corning)  und 3. eine  Gelenkhöhle  zu  unterscheiden,  so 
würden  bei  der  Blindschleiche  nach  einander  drei  Spaltbil- 
dungen sich  finden,  von  welchen  die  beiden  ersten  rasch  nach 
einander  an  derselben  Stelle  auftreten  und  wieder  verschwinden, 

1  L.  c.  p.  620. 

*  Untersuchungen  zur  vergleichenden  Anatomie  der  Wirbelsäule  bei 
Amphibien  und  Reptilien.  Leipzig,  1862,  S.  42. 

16* 


244  V.  V.  Ebner, 

während  erst  die  spät  auftretende  dritte  Spalte,  die  Gelenkhöhle, 
einen  bleibenden  Bestand  hätte.  Es  ist  aber  ganz  und  gar  un- 
gerechtfertigt, wenn  Carning  eine  Spalte,  die  offenbar  ein  und- 
dasselbe  ist,  zuerst  als  Urwirbelspalte  *  und  dann  später  als 
Intervertebralspalte  bezeichnet,  da  seine  Befunde  keinerlei  An- 
haltspunkte für  eine  solche  Unterscheidung  ergeben,  ganz  ab- 
gesehen von  der  Verwirrung,  die  Corning  damit  anrichtet, 
däss  er  dem  von  mir  zuerst  und  in  einem  genau  definirten 
Sinne  gebrauchten  Ausdrucke  »Intervertebralspalte«  einen 
anderen  Sinn  beilegt,  als  ich.  Selbstverständlich  werde  ich  den 
Ausdruck  Intervertebralspalte  stets  in  meinem  Sinne  (=  Ur- 
wirbelspalte Corning)  anwenden. 

Wenn  ich  nun  nachgewiesen  zu  haben  glaube,  dass 
die  thatsächlichen  Befunde  Comings  bei  Blindschleichen- 
embryonen eine  Bestätigung  meiner  Darstellung  der  Neu- 
gliederung der  Wirbelsäule  sind  und  dass  die  erhobenen  Ein- 
wendungen auf  Alissverständnissen  beruhen,  so  möchte  ich 
doch  noch  auch  auf  einige,  die  Entwicklung  der  Wirbelsäule 
betreffende  Punkte  eingehen,  die  in  meiner  ersten  Abhandlung 
ganz  bei  Seite  gelassen  wurden,  weil  sie  mit  der  Hauptfrage 
nichts  zu  thun  haben,  die  aber  von  Corning  in  den  Vorder- 
grund gestellt  werden. 

Bei  aller  Anerkennung  der  Bedeutung  phylogenetischer 
Gesichtspunkte  muss  man  es  doch  beklagen,  wenn  dieselben 
in  der  Darstellung  ontogenetischer  Vorgänge  zu  Zwangs- 
vorstellungen werden,  welche  eine  unbefangene  Deutung  der 
Befunde  beeinträchtigen.  Wenn  man  Corning's  Schilderung 
liest,  möchte  man  glauben,  dass  die  Chorda  und  die  Wirbel- 
säule der  Blindschleiche  bei  der  Entwicklung  alle  Stadien 
durchläuft,  die  als  bleibende  Zustände  von  den  Acraniern 
herauf  durch  die  Cyclostomen,  Selachier  etc.  repräsentirt  sind. 
Zuerst  entsteht  die  cuticulare  Chordascheide,  unter  welcher  ein 
Chordaepithel  liegt,  dann  entsteht  vom  Sclerotom  aus  eine 
äussere  Chordascheide,  es  treten  hierauf  als  erste  Anlagen  des 
eigentlichen  Achsenskeletes  die  oberen  Bogen  und  Querfort- 

^  Es  möge  hier  auch  bemerkt  sein,  dass  von  anderen  Autoren,  z.  B.  von 
Froriep,  mit  dem  Namen  Urwirbelspalt  die  Spalte  zwischen  zwei  Urwirbeln 
bezeichnet  wurde. 


Wirbel  und  Urwirbel.  243 

Sätze  auf,  die  dann  gegen  die  äussere  Chordascheide  sich  mit 
breiterer  Basis  anlegen  und  so  die  Anlagen  der  Wirbel 
bilden  u.  s.  w.  Dieses  Schema  trifft  nun  bei  den  Nattern  onto- 
genetisch  durchaus  nicht  zu,  und  so  weit  man  nach  den  Ab^ 
bildungen  Comings  urtheilen  kann,  auch  nicht  bei  den  Blind- 
schleichen. Zunächst  ist  es  eher  verwirrend,  als  treffend,  bei 
den  genannten  Reptilien  von  einer  äusseren  Chordascheide  zu 
sprechen.  Man  kann  allenfalls  als  solche  die  schmale  Gevvebe- 
schichte,  welche  die  sehr  dünne  cuticulare  Chordascheide  umgibt, 
bezeichnen,  in  welche  die  Intervertebralspalten  nicht  hinein- 
reichen und  die  daher  anfänglich  ungegliedert  ist.  Allein  histo- 
logisch und  histogenetisch  zeigt  diese  Schichte  nichts  Beson- 
deres, da  die  Zellen  derselben  weiterhin  sämmtlich  bis  ganz 
an  die  cuticulare  Chordascheide  heran  in  Knorpelzellen  sich 
umwandeln.  Ferner  sehe  ich  bei  den  Nattern  niemals  ein 
Chordaepithel,  das  heisst  eine  besondere  Zellenschicht,  die, 
unmittelbar  unter  der  Cuticula  gelegen,  sich  von  den  central 
gelegenen  Chordazellen  durch  eine  eigenthümliche  Beschaffen- 
heit auszeichnen  würde.  Die  Zellen  erleiden  vielmehr  sehr  bald 
bis  an  die  Cuticula  allesammt  dieselbe  Umwandlung  in  bläschen- 
artige Gebilde. 

Ferner  halte  ich  es  für  unrichtig,  dass  die  oberen 
Bogen  früher  entstehen  sollen  als  die  Wirbelkörper.  Bestimmt 
unrichtig  ist  die  Angabe  wenn  es  sich  um  das  erste  Auftreten 
des  deutlich  als  solchen  erkennbaren  Knorpels  handelt;  zweifel- 
haft könnte  die  Frage  beantwortet  werden,  wenn  es  sich  um 
die  erste  Anlage  handelt,  weil  der  Begriff  »Anlage«  in  diesem 
Falle  nicht  leicht  scharf  zu  fassen  ist.  Der  deutlich  ausgebildete 
Knorpel  ist  in  den  oberen  Bogen,  in  den  Querfortsätzen  und 
Rippen  und  in  den  Wirbelkörpern  wesentlich  überall  von  der- 
selben Beschaffenheit.  Es  ist  ein  aus  grossen  rundlichen  Zellen 
bestehender  Knorpel,  der  nur  sehr  wenig  Grundsubstanz  ent- 
hält, welche  sozusagen  aus  einfachen  Knorpelkapseln  zu  be- 
stehen scheint.  (Vergl.  Fig.  3  WK  u.  Fig.  5.)  Eine  andere 
Beschaffenheit  hat  am  ausgebildeten  knorpeligen  Skelet  nur 
das  Perichondrium,  die  fortwachsenden  Knorpelenden  (z.  B.  an 
den  Rippen)  und  die  Stellen,  welche  später  Gelenkflächen 
bilden,  was  insbesondere  von  den  Intervertebralknorpeln  gilt. 


246  V.  V.  Ebner, 

Dort  geht  der  grosszellige  Knorpel  allmälig  in  einen  kleinzelligen 
über  und  die  Stelle,  welche  topographisch  der  späteren  Gelenk- 
höhle entspricht,  besteht  noch  zur  Zeit,  wo  die  Ossification 
beginnt,  aus  dicht  aneinander  gedrängten  Zellen,  weil  hier 
offenbar  noch  das  Längenwachsthum  des  Knorpels  fortdauert. 
Wenn  ich  nun  den  Ort  aufsuche,  wo  der  erste  deutliche  gross- 
zellige Knorpel  auftritt,  so  finde  ich  als  solchen  den  Wirbel- 
körper, und  zwar  zwei  bilateral  symmetrisch  zur  Seite  der 
Chorda  gelegene,  der  Mitte  des  Wirbelkörpers  (in  cranio- 
caudaler  Richtung  gerechnet)  entsprechende  Stellen.  Von  dieser 
Thatsache  habe  ich  mich  an  zahlreichen  Präparaten  verschie- 
dener Embryonen,  insbesondere  aber  durch  wiederholte  Durch- 
sicht einer  geordneten  Schnittserie  eines  Natternembryo  über- 
zeugt, welcher  im  vordersten  Rumpftheile  bereits  vollkommen 
knorpelige  Wirbelkörper  und  Bogen  zeigt,  während  am  Schwänz- 
ende noch  keine  Spur  von  Knorpelbildung  zu  sehen  ist.  Dieser 
Befund  stimmt  mit  dem,  was  durch  die  sorgfältigen  Unter- 
suchungen Froriep's*  über  die  Wirbelbildung  bei  Säugethier- 
embryonen  bekannt  ist,  überein.  Auch  bei  den  Säugethieren 
(Rindsembryonen)  treten  die  ersten,  als  solche  zweifellos  er- 
kennbaren Knorpelzellen  bilateral  symmetrisch  im  Wirbelkörper 
neben  der  Chorda  auf.  Was  das  weitere  Auftreten  der  Knorpel- 
zellen anlangt,  so  finde  ich,  ebenfalls  wesentlich  in  Überein- 
stimmung mit  Froriep's  Befunden  bei  Rindsembryonen,  die 
Verknorpelung  des  Wirbelkörpers  bei  Natternembryone;i  rings 
um  die  Chorda  herum  fortschreiten  und  auf  die  Querfortsätze 
und  die  Ursprungsstellen  der  oberen  Bogen  sich  fortsetzen. 
Während  dies  geschieht,  tritt  aber  ein  neuer,  selbständiger 
Knorpelpunkt  an  dem  dortselbst  noch  nicht  geschlossenen 
Bogen  zur  Seite  des  Rückenmarkes  auf,  von  welchem  aus  die 
Verknorpelung  rasch  fortschreitet.  Um  diese  Zeit  beginnt  auch 
die  Verknorpelung  der  Rippen.  Ohne  in  weitere  histogenetische 
Einzelheiten  der  Knorpelbildung  einzugehen,  muss  ich  jedoch 
eine  Thatsache,  welche  mir  für  die  folgenden  Betrachtungen 
von  Wichtigkeit  zu  sein  scheint,  noch  hervorheben,  nämlich 


1  Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Wirbelsäule.  Arch.  f.  Anat.  u.  Physiol. 
Anat.  Abth.  1886. 


Wirbel  und  Urwirbel.  247 

die  Thatsache,  dass  dort,  wo  am  Wirbelkörper  die  ersten 
Knorpelzellhaufen  sichtbar  werden,  niemals  ein  Gewebe  von 
kleinen^  dicht  gedrängten  Zellen  zu  sehen  ist;  es  geht  vielmehr 
ein  von  vorneherein  durch  relativ  viel  formlose  Grundsubstanz 
ausgezeichnetes,  helles  Mesoblastgewebe  direct  in  Knorpel 
über.  Dieses  helle  Gewebe  von  relativ  locker  geordneten  Zellen 
schliesst  sich  durch  allmäligen  räumlichen  Übergang  an  das 
dichte  Gewebe  der  Intervertebralregion,  welches  an  den  dich- 
testen Stellen  an  Schnitten  wie  ein  Streifen  aneinandergepresster 
Kerne  sich  ausnimmt  (Fig.  3.) 

Steht  es  nach  dem  Vorhergehenden  fest,  dass,  im  Gegen- 
satze zu  dem  phylogenetischen  Schema,  bei  den  Schlangen,  in 
Übereinstimmung  mit  den  Säugern,  die  knorpeligen  Wirbel- 
körper früher  auftreten,  als  die  knorpeligen  Bogen,  so  könnte 
man  sagen,  die  Verknorpelung  ist  nicht  das  Wesentliche,  sondern 
die  erste  Anlage,  und  was  diese  betrifft,  so  ist  die  Anlage  der 
Bogen  das  Frühere.  Das  ist  nun  eine  sehr  schwierige  Frage,  die 
sich  meiner  Meinung  nach  gegenwärtig  gar  nicht  beantworten 
lässt  Froriep*  hat  in  seinen  sorgfältigen  Untersuchungen  zur 
Entwicklungsgeschichte  der  Wirbelsäule  einen  Streifen  dichter 
gedrängter  Zellen,  welcher  medial  unter  der  Chorda  im  Bereiche 
der  späteren  Zwischenwirbelbänder  gelegen  ist  und  lateral  im 
Muskelseptum  sich  verliert,  bei  vier  Tage  alten  Hühnerembryo- 
nen und  bei  8 — 9  mm  langen  Rindsembryonen  beschrieben. 
Frühere  Stadien  der  Wirbelsäulenentwicklung  hat  Froriep 
nicht  untersucht,  da  seine  Arbeit  wesentlich  die  eigenthümlichen 
Entwicklungsvorgänge  desAxenskeletes  im  Bereiche  des  Hinter- 
hauptes und  der  Drehwirbel  im  Auge  hatte.  Die  Deutung, 
welche  Froriep  diesen  Zellenstreifen  als  Bogenanlage  mit 
hypochordaler  Spange  gegeben  hat,  ist  begreiflich  mit  Rücksicht 
auf  den  Umstand,  dass  Froriep  nichts  von  der  Intervertebral- 
spalte  wusste.  Immerhin  muss  es  in  Froriep's  Darstellung  auf- 
fallen, dass  der  Bogen  ursprünglich  im  Bereiche  der  Wirbelkörper 
eine  intervertebrale  und  zugleich  hypochordale  Lage  haben 
soll.  Ich  fasse  diesen  Zellenstreifen  in  erster  Linie  als  entstanden 
durch   eine   dichtere   Lagerung   der  Zellen    längs   der  Inter- 


1  Arch.  f.  Anat.  u.  Physiol.,  1883  u.  1886. 


248  V.  V.  Ebner, 

vertebralspalte,  insbesondere  längs  des  caudalen  Randes  der- 
selben, auf.  Der  Zellenstreifen  hinter  der  Intervertebralspalte 
setzt  sich  lateral  in  relativ  so  vorgeschrittenen  Stadien  direct 
in  eine  dichter  gedrängte  Zellenmasse  fort,  welche  caudal  ab- 
biegend, in  ein  Myoseptum  eindringt,  und  so  entsteht  der  Ein- 
druck, als  ob  das  Ganze  ein  einheitlicher  Zellenstreif  sei. 
(Fig.  1  u.  2,  V.)  Ob  er  dies  auch  wirklich  ist,  kann  nicht  mit 
Sicherheit  festgestellt  werden.  Im  Bereiche  der  Chorda  sieht 
man  zu  beiden  Seiten  derselben,  wie  aus  den  Abbildungen 
Corning's  und  meinen  Präparaten  hervorgeht  (Fig.  1),  eine 
dichtere  Zellenanhäufung  vor  und  hinter  der  Intervertebral- 
spalte; lateral  liegt  die  dichte  Zellenanhäufung  zunächst  hinter 
der  Intervertebralspalte;  im  Bereiche  der  Muskelplatten  biegt 
sie  aber  dann  caudalwärts  ab  und  schiebt  sich,  der  Lage  nach 
einem  Myoseptum  entsprechend,  zwischen  die  Muskelanlagen. 
Vergleicht  man  frühere  Stadien,  wie  ich  sie  in  Figur  1  und  2 
meiner  ersten  Abhandlung  abgebildet  habe,  so  findet  man 
diesen  Streifen  noch  nicht.  Doch  scheint  es  naturgemäss,  dass 
derselbe  längs  der  Intervertebralspalte  aus  den  dort  befind- 
lichen Zellen  hervorgehe;  was  aber  die  Zellenmasse  anbelangt, 
die  dem  Myoseptum  angehört,  so  ist  nicht  zu  entscheiden, 
wie  weit  die  interprotovertebralen  Blutgefässe  an  der  Bildung 
derselben  betheiligt  sind;  doch  ist  ja  wahrscheinlich,  dass  die 
Verwachsungsstelle  der  Urwirbelkernhälften  lateral  vorwach- 
send im  Anschlüsse  an  die  längs  der  Intervertebralspalte  ge- 
bildete Zellmasse  zwischen  die  Muskelplatten  eindringe.Froriep 
hat  diese  Zellenstreifen  als  primitive  Wirbelbogen  bezeichnet, 
Corning  betrachtet  sie  als  die  Anlagen  der  oberen  Bogen.  Ich 
halte  es  aber  nicht  für  gerechtfertigt,  so  bestimmte  Ausdrücke 
zu  gebrauchen  und  kann  höchstens  zugeben,  dass  diese  Streifen 
theilweise  mit  den  Rippen  und  Querfortsätzen  in  topographi- 
scher Beziehung  stehen.  Die  Gründe  hiefür  sollen  im  Folgenden 
dargelegt  werden. 

Zunächst  möchte  ich  daran  erinnern,  dass  am  ausgebil- 
deten Skelete  die  oberen  Bogen  der  Ringelnattern  und  Blind- 
schleichen dachartige  Stücke  sind,  welche  in  ihrer  Längen- 
ausdehnung den  Wirbelkörpern  wenig  nachgeben,  während 
die   Querfortsätze   kurze   Stäbe   (Natter)   oder  Höcker  (Blind- 


Wirbel  und  Urwirbel.  249 

schleiche)  darstellen,  welche  mehr  vom  cranialen  Ende  der 
Wirbelkörper,  als  vom  Neuralbogen  abgehen  und  mittelst  eines 
Gelenkhöckers  mit  den  Rippen  articuliren,  welche  letzteren,  der 
Richtung  nach,  die  directen  Fortsetzungen  der  Querfortsätze  sind. 
(Fig.  3,  4  u.  5.)  Wenn  man  nun  an  Frontalschnitten  durch  die 
Chorda  von  Embryonen,  an  welchen  eine  Wirbelsegmentirung 
durch  die  Intervertebralspalte  zu  sehen  ist,  vom  cranialen  Ende 
des  Wirbels  einen  dichten,  aber  relativ  schmalen  Gewebestreifen 
transversal  und  dann  schwanzwärts  in  die  Muskelsepten  ein- 
dringen sieht,  so  ist  wohl  zunächst  kein  Grund  vorhanden, 
diesen  Streifen  als  »Anlage  der  Querfortsätze,  respective  der 
oberen  Bogen«  zu  bezeichnen.  Ich  dächte,  dass  man  die  oberen 
Bogen  knapp  am  Wirbelkörper  und  weiter  hinauf  in  Frontal- 
schnitten, welche  die  ventrale  Seite  des  Rückenmarkes  treffen, 
zur  Seite  des  letzteren  suchen  müsste.  In  dieser  Gegend  ist 
aber  eine  besondere  Differenzirung  im  Mesoblastgewebe  noch 
zu  der  Zeit  nicht  zu  bemerken,  wo  bereits  bilateral  im  Wirbel- 
körper die  ersten  Knorpelzellen  auftreten.  Zur  Seite  des  Rücken- 
markes kann  ich  um  diese  Zeit  eine  Abgrenzung  der  Bogen 
gegen  die  Rückenmarkshäute  etc.  noch  nicht  erkennen,  wohl 
aber  sieht  man  an  der  Dorsalseite  des  Wirbelkörpers  die  erste 
Spur  der  Bogen,  das  Rückenmark  unten  umgreifend,  sich  er- 
heben. Wenn  die  von  Corning  als  »Anlagen  der  Querfort- 
sätze und  Bogen«  bezeichneten  Streifen  die  Neuralbogen 
liefern  sollten,  so  müssten  höchst  merkwürdige  Verschiebungen 
dieser  Anlagen  auftreten.  Thatsächlich  nachweisen  lässt  sich 
nur,  dass  der  Gegend  dieser  Streifen  entsprechend,  später 
Querfortsätze  und  Rippen  entstehen,  jedoch,  wie  ich  immer 
wieder  betonen  muss,  bedeutend  später,  als  die  knorpeligen 
Wirbelkörper.  Was  die  Neuralbogen  anbelangt,  so  glaube  ich 
dass  die  ersten  selbständig  entstehenden  Knorpelkerne  eben  so 
direct  in  einem  relativ  lockeren  Mesoblastgewebe  auftreten, 
wie  die  ersten  Knorpelkerne  in  den  Wirbelkörpern  und  dass 
dem  entsprechend  anfänglich  auch  zwischen  die  Knorpelkerne 
des  Bogens  und  des  Körpers  kleinzelliges  Gewebe  sich  ein- 
schiebt, wie  es  in  den  Wirbelkörpern  gegen  die  IntervertebraU 
knorpel  hin  auftritt.  Es  spricht  nichts  dafür,  dass  die  Bogen 
aus  der  Verschiebung  einer  entfernt  liegenden    Zellenmasse 


250  V.  V.  Ebner, 

ihren  Ursprung  nehmen,  sondern  im  Gegentheile  alles  dafür, 
dass  sie  in  loco  entstehen.  Sobald  die  oberen  Bogen  und  die 
Querfortsätze  als  solche  erkennbar  sind,  bilden  sie  mit  den 
VVirbelkörpern  ein  einziges  zusammenhängendes  Stück.  Dass 
dann  die  Bogenknorpel  dorsalwärts  fortwachsend  erst  spätei 
sich  über  dem  Rückenmarke  schliessen,  ist  eine  bekannte 
Thatsache,  die  sicher  und  leicht  zu  constatiren  ist 

Wenn  man  diese  Thatsachen  ohne  Voreingenommenheit 
ansieht,  wird  man  kaum  zur  Behauptung  gelangen,  dass  die 
Bogen  der  Wirbel  früher  entstehen,  als  die  Wirbelkörper.  Der 
in  Rede  stehende  Streifen  ist  vor  dem  Auftreten  der  Wirbel- 
körperverknorpelung  nur  segmental  im  Frontalschnitte  deutlich 
zu  sehen;  schon  knapp  über  der  Chorda  ist  er  nur  mehr 
durch  die  Intervertebralspalte  markirt,  hinter  welcher  eine 
dichtere  Zellenlage  vorhanden  ist,  die  sich  ohne  jede  schärfere 
Abgrenzung  in  das  lockere,  die  Blutgefässe  und  Nerven  um- 
hüllende Mesoblastgewebe  verliert.  (Vergl.  Fig.  2.)  Nur  zwischen 
den  Muskeln  ist  auch  hier  noch  eine  dicht  gedrängte  Zellenlage. 
Ventralwärts  unterhalb  der  Chorda  verliert  sich  der  Streifen 
ebenfalls  ganz  unmerklich  und  an  Querschnitten  ist  derselbe 
desshalb  schwer  aufzufinden. 

Wenn  also  die  der  Wirbelkörperanlage  vorauseilende 
Anlage  der  oberen  Bogen  darin  besteht,  dass  man  nur  ganz 
im  Allgemeinen  sagen  kann,  es  zieht  ein  diffusbegrenzter  Streifen 
dichterer  Zellen  aus  den  Muskelsepten  gegen  das  Cranialende 
der  Wirbelkörperanlage  hin,  der  auch  die  Anlage  der  Quer- 
fortsätze und  Rippen  enthält,  so  ist  das  höchst  unbestimmt. 
Was  soll  man  aus  einer  Anlage  eines  Skeletstückes  machen, 
die  nach  keiner  Richtung  des  Raumes  eine  Abgrenzung  hat? 
Die  Wirbelkörperanlage  ist  um  diese  Zeit  allerdings  auch 
noch  nicht  allseitig  abgegrenzt,  sie  wird  es  ja  auch  nie,  da  die 
oberen  Bogen  mit  ihren  Gelenkfortsätzen  und  die  Querfortsätze 
ontogenetisch  niemals  als  ganz  selbständige  Knorpelstücke  er- 
scheinen; aber  man  kann  um  diese  Zeit  bereits  das  craniale  und 
caudale  Ende  des  Wirbelkörpers  unterscheiden  (Fig.  1  und  2),  man 
kann  ferner  an  derDorsalseitedes Wirbelkörpers früher,als imBe- 
reiche des  oberen  Bogens,  die  gefässhaltigen  Rückenmarkshäute 
von  der  Wirbelanlage  sich  sondern  sehen  und  noch  früher  als 


Wirbel  und  Urwirbel.  251 

dieses,  an  der  ventralen  Seite  des  Wirbels  eine  dichtere  Schicht 
transversal  verlängerter  Zellen,  welche  weiterhin  zum  Perichon- 
driumwird.  Man  kann  daher  nicht  behaupten,die  Anlagen  derBo- 
gen  seien  früher  da,  als  die  Anlagen  der  Wirbel;  es  sei  denn,  dass 
man  unter  Anlagen  der  Bogen  ganz  im  Allgemeinen  die  cranio- 
caudalen  Verwachsungsstellen  der  Urwirbel  (Myosepten  und 
deren  hinter  den  Intervertebralspalten  gelegene,  nach  den 
Wirbelanlagen  hin  gerichtete  Fortsetzungen)  verstehen  will,  in 
welchen  das  septale  Skelet  im  Sinne  Hatschek*s*  (obere  und 
untere  Bogen  sammt  den  verschiedenen  Formen  von  Querfort- 
sätzen und  Rippen)  seine  Entstehung  nimmt.  Diese  Verwach- 
sungen sind  phylogenetisch  und  ontogenetisch  früher  da,  als 
die  Sonderung  der  Wirbel;  als  erkennbare  Anlagen  von  Skelet- 
stücken  treten  aber  die  Wirbelkörper  bei  den  Schlangen  und 
wohl  bei  allen  Amnioten  früher  auf,  als  irgend  ein  dem  Bogen- 
system  angehöriger  Theil  und  es  hat  ungefähr  ebensoviel  Be- 
rechtigung, die  besprochenen  Streifen  als  Anlagen  der  oberen 
Bogen  und  Rippen  zu  bezeichnen,  als  etwa  die  Behauptung,  die 
Primitivrinne  sei  die  Anlage  des  Medullarrohres.  Es  scheint  mir 
unmöglich,  einen  Zellenstreifen  als  primitiven  Wirbelbogen  zu 
bezeichnen,  der  im  Bereiche  des  Wirbelkörpers  später  theilweise 
dem  Intervertebralknorpel  entspricht,  hypochordal  zu  keiner 
bleibenden  Bildung  in  nachweisbarer  Beziehung  steht,*  theil- 
weise vielleicht  lateral  mit  den  Querfortsätzen,  Rippen  und 
Bandapparaten,  auf  keinen  Fall  aber  mit  den  oberen  Bogen 
topographisch  in  Beziehung  gebracht  werden  kann. 

Man  wird  bis  auf  Weiteres  gut  thun,  die  Wirbelgliederung 
der  Amnioten  nicht  gewaltsam  in  ein  falsch  verstandenes  phylo- 
genetisches Schema  zu  zwängen,  das  ontogenetisch  nicht  sicht- 
bar wird.  Auch  dürfte  es  sich  empfehlen,  dem  fraglichen  »pri- 
mitiven Wirbelbogen«  einen  weniger  präjudicirlichen  Namen 
zu  geben.  Ich  möchte  diesen  segmentalen  Zellenstreifen  wegen 
seiner  Lage  längs  der  Intervertebralspalte  und  seiner  Fort- 
setzung in  das  Myoseptum  als  Vertebralstreifen  bezeichnen.  Zu 

1  Vcrhandl.  der  anatom.  Gesellsch.  1889,  S.  113. 

'  Ich  sehe  hier  vom  vorderen  Bogen  des  Atlas  ab,  der  nach  Froriep  als 
einziger  bleibender  Skelettheil  bei  Säugern  aus  der  allen  Wirbelanlagen  zu- 
kommenden »hypochordalen  Bogenspange«  hervorgeht. 


232  V.  V.  Ebner, 

welchen  Unklarheiten  es.  führt,  wenn  man  eine  Unterscheidung 
segmentaler  Skeletstücke  vor  dem  Auftreten  von  Knorpelzellen 
durchführen  will,  wurde  von  Hasse  und  Born^  schon  vor 
13  Jahren  auseinandergesetzt;  doch  leider  —  wie  man  sieht  — 
ohne  Erfolg. 

Bezüglich  des  Verhaltens  der  Chorda  stimmen,  meine  Be- 
funde an  den  Natternembryonen  mit  den  Anschauungen  Cor- 
nings  ebenfalls  nicht  überein.  In  seiner  Fig.  3  bildet  Corning 
Chprdaanschwellungen  ab,  welche  im  Stadium  des  Beginnens 
der  Wirbeldifferenzirung  zu  sehen  sind.  Die  Einschnürungen 
liegen  in  der  Zeichnung  in  gleicher  Höhe  mit  den  Myotom- 
grenzen  und  den  Blutgefässen,  also  interprotovertebral.  Im 
Texte  sagt  Corning:  *Die  Einschnürungen  entsprechen  der 
Lagerung  der  Intercostalgefässe,  sind  infolgedessen  interverte- 
bral,  wie  es  auch  den  Zuständen  beim  erwachsenen  Thiere  ent- 
spricht.« Zeichnung  und  Text  sind  also  in  offenbarem  Widei- 
spruche.  Was  ist  nun  das  Richtige.^  Ich  glaube  die  Zeichnung, 
da  ich  ähnliche  Bilder  auch  von  Natternembryonen  kenne. 
Dort,  wo  Corning  mir  den  wunderlichen  Einwurf  macht,  dass 
nach  meiner  Darstellung  der  Wirbelgliederung  intravertebrale 
Blutgefässe  entstehen  müssten,  versichert  derselbe,  dass  das 
was  ich  als  »interprotovertebrale  Blutgefässe«  bezeichne,  »ein- 
fach die  ersten  Anlagen  der  Intercostalarterien«  seien.  Aber  es 
ist  doch  nothwendig,  sich  gegenwärtig  zu  halten,  dass  die  ersten- 
metameren  Blutgefässe  des  Rumpfes  und  Schwanzes,  mag  man 
sie  nun  Intercostalgefässe  nennen  oder  nicht,  zwischen  den  Ur- 
wirbeln  und  nicht  zwischen  den  Wirbeln  liegen.  Erst  später 
rücken  diese  Gefässe  in  caudaler  Richtung  an  die  Ganglien, 
welche  letztere  primär  knapp  vor  den  Intervertebralspalten 
gelegen  sind,  heran  und  werden  dadurch  intervertebral. 
Es  ist  um  so  unbegreiflicher,  dass  Corning  bezüglich  der 
Lage  der  primitiven  Chordaeinschnürungen  mit  Hilfe  seiner  *  Inter-. 
costalgefässe«  eine  solche  Confusion  anrichtet,  als  in  seiner 
Zeichnung  ganz  deutlich  die  stärkste  Convexität  der  Chorda- 
anschwellungen mit  den  Intervertebralspalten  zusammenfällt. 
Es  kann  also   kein  Zweifel  sein,  dass  Corning's  primitive 


t  Zoolog.  Anzeiger  1879,  S.  81 


Wirbel  und  Unvirbel.  253 

Chordaeinschnürungen  bei  Anguis  nicht  wie  beim  erwachsenen 
Thiere  intervertebral,  sondern  vertebral  gelagert  sind. 

Die    bleibende    intervertebrale    Chordaeinschnürung   ent- 
wickelt sich  bei  den  in  Rede  stehenden  Reptilien  erst  secundär 
im  Zusammenhange  mit  der  Ausbildung  des  Gelenkkopfes  und 
der  Pfanne.  Die  primitiven  Chordaeinschnürungen,  die  niemals 
sehr  ausgesprochen  sind,  gleichen   sich  später  bei  der  Natter 
und  offenbar  auch  bei  der  Blindschleiche,  wie  aus  den  Abbil- 
dungen Corning's  zu  entnehmen  ist,  nahezu  aus,  oder  werden 
streckenweise  auch  zahlreicher,  als  die  Wirbelsegmente  und 
liegen  dann  theilweise  intervertebral.  (Vergl.  Fig.  3  und  1.)  Die 
definitiven  unzweifelhaften  Chordaeinschnürungen   entstehen 
wie  Gegenbaur*  v^or  30  Jahren  nachwies,  in  der  Weise,  dass 
insbesondere  im  Bereiche  des  Gelenkkopfes  die  Chorda  durch 
die  wachsende  Knorpelmasse  von  der  Seite   her  förmlich  zu- 
sammengepresst  wird,  bis  sich  die  gegenüberliegenden  Wände 
der  Chordascheide  nahezu  berühren,  während  in  sagittaler  Rich- 
tung der  ursprüngliche  Chordadurchmesser  sich  wenig  ändert, 
wie  an  Querschnitten  leicht  zu  sehen  ist  (Fig.  5).  Insbesondere 
bei  der  Blindschleiche  gehört  die  Chordaeinschnürung  fast  nur 
dem  Gelenkkopfe  an,  sie  liegt  also  grösstentheils  im  caudalen 
Wirbeltheile  (Fig.  4).     Im  Bereiche  der  vorderen  Gelenkfläche 
des  Wirbelkörpers  erscheint  die  Chordanur  durch  einen  schmalen 
Wulst  des  Gelenksknorpels  eingeschnürt  (Fig.  4  pf.)  und  knapp 
unter  der  Gelenkpfanne  erweitert  sich  die  Chorda  sofort  zum 
Maximum  ihres  Durchmessers  (Fig.  4,  cha).    Das  Alles  ist  aber 
erst  bei  jungen  Blindschleichen  von   etwa  9 — 10  Centimeter 
Länge  deutlich  zu  sehen;  bei  einem  circa  6  Centimeter  langen 
Embryo,  bei  welchem  zwar  bereits  die  perichondraleOssification 
begonnen  hat,  aber  endochondral  noch  keine  Knochenbildung* 
im  Wirbelkörper  zu  bemerken  ist,  zeigt  die  Chorda  noch  überall 
einen  kreisrunden  Querschnitt  und  keine  merklichen  Einschnü- 
rungen. Es  ist  nach  diesen  Befunden  gar  nicht  daran  zu  denken, 
die  primitiven  Chordaeinschnürungen  mit  den  bleibenden  in 
eine  Beziehung  zu  bringen. 


J  Lc. 


254  V.  V.  Ebner, 

Während  ich  im  Vorhergehenden  meine  Ansichten  über 
Wirbeientvvicklung  nicht  so  sehr  gegen  sachliche  Einwen- 
dungen zu  vertheidigen,  als  schwer  begreiflichen  Missverständ- 
nissen gegenüber  zu  erklären  hatte  —  es  hätte  nur  noch  ge- 
fehlt, dass  Corning  gefunden  hätte,  nach  meiner  Darstellung 
müssten  die  Ganglien  intravertebral  liegen  —  muss  ich  im 
Folgenden  mich  mit  einer  Arbeit  auseinandersetzen,  in  welcher 
ich  über  kein  Missverständniss  mich  zu  beklagen  habe,  die  aber 
sachlich  mit  meinen  Anschauungen  in  Widerspruch  steht  Ich 
meine  die  Arbeit  von  J.  Kollmann*  über  die  Rumpfsegmente 
menschlicher  Embryonen  von  13  bis  35  Urwirbeln. 

Kollmann  verlässt  seine  ältere  Ansicht,  der  zufolge  er 
mit  His  eine  Entstehung  der  gesammten  Bindesubstanz,  also 
auch  der  Wirbelsäule,  von  der  Peripherie  des  Keimes  her  an- 
nahm, insoferne,  als  er  jetzt  die  Wirbelsäule  aus  den  Urwirbeln 
hervorgehen  lässt  Er  bestätigt  die  Existenz  der  von  mir  als 
Intervertebralspal te  bezeichneten  Bildung  auch  für  den  Menschen ; 
betrachtet  dieselbe  aber  als  die  Anlage  einer  Rinne,  welche  zur 
Aufnahme  der  Intercostalarterien,  Nerven  u.  s.  w.  bestimmt  sei 
und  einem  Myoseptum  im  Sinne  Hatschek*s  entspreche. 
Schliesslich  soll  aus  der  Intervertebralspalte  das  Foramen  inter- 
vertebrale  hervorgehen. 

Den  von  mir  behaupteten  Zusammenhang  der  Interverte- 
bralspalte mit  der  Neugliederung  der  Wirbelsäule  nimmt  Koll- 
mann nicht  an  und  er  stellt  sich  auf  den  Standpunkt,  dass  die 
alternirende  Metamerie  der  Muskeln  und  Wirbel  wesentlich  auf 
einer  Verschiebung  der  Bogen  der  Wirbel  beruhe.  Es  gebe 
demgemäss  keine  Neugliederung  der  Wirbelsäule  im  Sinne 
Remak's,  in  dem  jeder  Urwirbel  ein  Myotom  und  einen  Wirbel 
•sammt  Bogen  etc.  aus  sich  hervorgehen  lasse,  Kollmann  beruft 
sich  hiebei  auf  die  Untersuchungen  Froriep's.* 

Bei  diesen  Darlegungen  KoUmann's  vermisse  ich  vor 
Allem  einen  genaueren  Nachweis  über  das  Schicksal  der  Inter- 
vertebralspalte im  Bereiche  des  Wirbelkörpers.  Dass  die  Spinal- 
ganglien und  Nerven  etc.  in  die  Intervertebralspalte  zu  liegen 


1  Arch.  f.  Anat.  u.  Physiol.,  1891 

2  L.  c. 


Wirbel  und  Urvvirbel.  255 

kämen,  muss  ich  mindestens  bezweifeln.  Die  Ganglien  liegen 
zwar  schon  primär  knapp  vor  der  Spalte,  die  Gefässe  und  Nerven 
rücken  secundär  an  dieselbe  heran,  aber  so  lange  die  Spalte 
sichtbar  ist,  sind  alle  diese  Gebilde  durch  eine  deutliche,  wenn 
auch  dünne  Schicht  von  Mesodermzellen  von  derselben  getrennt. 
Später  verschwindet  die  Intervertebralspalte  überhaupt  voll- 
ständig, sowohl  im  Bereiche  des  Wirbelkörpers,  als  ausserhalb 
desselben.  Das  Foramen  intervertebrale  als  solches  kann  daher 
auf  keinen  Fall  der  Rest  der  Intervertebralspalte  sein,  wenn  ich 
auch  gerne  zugebe,  dass  wenigstens  der  caudale  Rand  des 
ersteren  der  letzteren  topographisch  nahezu  entsprechen  muss. 

Auf  das  Entschiedenste  muss  ich  aber  in  Abrede  stellen, 
dassdie  Wirbelgliederung  mit  der  Urwirbelgliederungzusammen- 
falle  und  dass  daher  je  ein  Sclerotom  je  einen  Wirbel  bilde.  Diese 
Behauptung  steht  in  einem  unlösbaren  Widerspruche  mit  der 
Thatsache,  dass  die  Intervertebralspalte  ursprünglich  der  Mitte 
desUrwirbels  in  cranio-caudaler  Richtung  entspricht;  später  aber 
im  Bereiche  der  Wirbel  im  Intervertebralknorpel  verschwindet. 
Ich  halte  es  überhaupt  für  unmöglich,  durch  die  Annahme  von 
Verschiebungen  im  Bereiche  der  Wirbelbogen  die  alternirende 
Metamerie  der  streng  segmentalen  Muskeln  und  der  Wirbel  zu 
erklären,  sobald  man  einmal  zugibt,  dass  aus  den  Urwirbeln  die 
Wirbel  hervorgehen.  Ich  glaube  dies  am  besten  durch  folgende 
Ausführimgen  klar  zu  machen. 

Als  Ausgangspunkt  wähle  ich  ein  Schema,  wie  es  that- 
sächlich  durch  die  Rumpf-  und  Schwanzsegmente  einer  Am- 
phibienlarve repräsentirt  ist.  (Fig.  6).  Wir  haben  hier  eine  un- 
gegliederte, bindegewebige  Chordascheide,  welche  sich  in  die, 
zwischen  je  zwei  Myotomen  liegenden  Muskelsepten  fortsetzt. 
Wenn  nun  angenommen  wird,  dass  je  ein  Myotom  und  ein 
Skierotom  aus  einem  Urwirbel  hervorgehen,  so  fragt  es  sich 
zunächst,  was  in  diesem  Falle  das  zum  Myotom  gehörige  Skle- 
rotom  ist  Offenbar  der  ganze  bindegewebige  Apparat,  der  zu 
einem  Myotome  gehört,  also:  1.  das  Stück  Chordascheide,  das 
zwischen  zwei  Muskelsepten  liegt  und  das  dem  Muskel  selbst 
angehörige  Bindegewebe  etc.;  2.  —  und  das  ist  die  Hauptsache 
~  je  die  der  Insertion  der  Muskeln  entsprechende  Fläche  des 
Muskelseptums,  also  für  jedes  Myotom  die  caudale  Fläche  des 


256  V.  V.  Ebner, 

nächstvorhergehenden  und  die  craniale  Fläche  des  nächstfol- 
genden Septums. 

Wollte  man  die  Skierotome  anders  abgrenzen,  so  käme 
man  mit  der  Annahme  in  Widerspruch,  dass  Myotom  und  Skle- 
rotom  ursprünglich  eine  gemeinsame  Anlage  (Urwirbel)  sind.  Denn 
wollte  man  etwa  zu  jedem  Myotom  nur  ein  Muskelseptum,  ent- 
weder das  nächst  vordere,  oder  das  nächst  hintere  rechnen, 
so  hätte  man  einen  functionell  unmöglichen  Apparat  Es  hätten 
dann  die  Muskeln  eines  Myotomes  nur  an  einem  Septum  eine 
Befestigung  an  dem  anderen  aber  nicht.  Diese  Schwierigkeit 
wird  anch  nicht  durch  die  Annahme  beseitigt,  dass  die  Muskeln* 
secundär  an  ihrer  freien  Seite  festwachsen;  denn  entwicklungs- 
geschichtlich ist  das  doch  nichts  anderes,  als  dass  auf  die  Fläche 
des  dem  Myotom  nicht  zugehörigen  Septums  sich  nun  eine 
Schicht  Skierotomgewebe  anlagert,  welche  dem  Myotom  selbst 
angehört  Denn  damit  der  Muskel  eine  Insertion  findet,  muss 
sein  eigenes  Bindegewebe  sich  mit  dem  Septum  verbinden.  Es 
ist  also  dann  das  Endergebniss  wieder,  dass  jedes  Septum  ideal 
in  zwei  Lamellen  zerfällt,  zwischen  welchen  die  Sklerotom- 
grenze  liegt  und  der  einzige  Unterschied  wäre  der,  dass  bei  der 
zweiten  Annahme  die  beiden  Septenhälften  eine  nicht  ganz 
identische  Entstehung  und  infolgedessen  vielleicht  eine  un- 
gleiche Beschaffenheit  hätten,  für  welche  Annahme  indessen 
keine  bestimmten  Thatsachen  sprechen. 

Denken  wir  uns  nun,  dass  aus  den  häutigen  Septen  starre 
Bogen  und  aus  den  häutigen  Chordascheiden  damit  zusammen- 
hängend Wirbelgliederungen  hervorgehen,  so  ist  damit  sofort 
die  Neugliederung  der  Wirbelsäule  im  Sinne  Remak's  gegeben. 
Denn  jeder  echte  Wirbelbogen  gehört  mit  seiner  cranialen  Seite 
dem  nächstvorhergehenden,  mit  seiner  caudalen  Seite  dem 
nächstfolgenden  Skierotome,  beziehungsweise  Urwirbel  an,  und 
dasselbe  gilt  natürlich  für  einen  mit  dem  Bogen  fest  verbun- 
denen Wirbelkörper,  während  die  intervertebrale Strecke,  welche 
die  Bewegung  gestattet,  einem  und  demselben  Myotom  ange- 
hören muss,  wenn  ein  functionell  brauchbarer  Apparat  zu  Stande 
kommen  soll.*    Diese  ganze  Auseinandersetzung  ist  aber  nur 

J  Ahnliche  Betrachtungen  machte  bereits  Balfour:  Handb.  d.  vergl.  Em- 
bryologie, übers,  v.  Vetter,  Jena,  1881,  Bd.  II,  S.  492. 


Wirbel    und  Uru'irbel.  257 

mit  anderen  Worten  die  Remak*sche  Neugliederung,  welche 
besagt,  dass  —  nebst  anderem  —  aus  jedem  Urwirbelkerne  der 
Kopftheil  eines  Wirbels  nebst  Wirbelbogen,  ein  Zwischenwirbel- 
band und  der  Schwanztheil  des  nächstvorhergehenden  Wirbels 
sich  entwickle. 

Diesem  von  Remak  wohldurchdachten  Satze  kann  man, 
wie  ich  glaube,  in  keiner  Weise  beikommen,  sobald  man  ein- 
mal zugibt,  dass  die  Wirbel  mit  ihren  Bogen  aus  denUrwirbeln 
stammen.  Da  hilft  kein  Schieben  und  Biegen  der  Bogen,  denn 
es  ist  vollkommen  gleichgiltig,  in  welcher  Höhe  die  Dornfort- 
sätze oder  Querfortsätze  etc.  mit  ihren  Enden  liegen.  Ein  dadurch 
erzieltes  Zusammenfallen  der  Muskel-  und  Wirbelmetamerie 
wird  immer  nur  ein  scheinbares,  nie  ein  wirkliches  sein  können. 

Man  wende  gegen  die  gegebene  Darstellung  der  Entstehung 
der  Wirbelbogen  nicht  ein,  dass  thatsächlich  nie  ein  knorpe- 
liger Wirbelbogen  aus  einer  cranialen  und  caudalen  Hälfte  zu- 
sammenwachse, wie  etwa  der  Brustbeinknorpel  aus  zwei  bila- 
teralen Stücken.  Denn  es  ist  nicht  zu  bezweifeln,  dass  die 
cranio  -  caudale  Verwachsung  der  Urwirbel  (=  Myotom  -+- 
Sklerotom)  phylogenetisch  älter  ist,  als  das  Auftreten  von  knor- 
peligen Wirbelbogen,  welche  erst  entstanden  sein  können,  nach- 
dem die  Myosepten  im  Sinne  Hatschek's  schon  vorhanden 
waren.  Dass  ich  demgemäss  auch  der  Ansicht  Kollmann's,  als 
entspräche  dielntervertebralspalte  demMyoseptum  Hatschek's 
mich  absolut  nicht  anschliessen  kann,  ist  selbstverständlich,  da 
ja  das  Myoseptum  aus  der  Verwachsung  zweier  Urwirbel  und 
nicht  aus  der  Spaltung  eines  Sklerotomes  hervorgeht,  wie  die 
Intervertebralspalte. 

So  einleuchtend  mir  die  vorhergehenden  Betrachtungen  zu 
sein  scheinen,  so  lege  ich  doch  viel  mehr  Gewicht  auf  die  that- 
sächliche  Beobachtung,  der  zufolge  jener  Vorgang,  welcher  dem 
Remak'schen  Neugliederungsschema  entspricht,  mit  dem  Auf- 
treten und  Wiederverschwinden  der  Intervertebralspalte  im  Be- 
reiche des  Intervertebralknorpels  wirklich  nachgewiesen  werden 
kann,  ebenso  wie  die  theoretisch  als  nothwendig  erscheinende 
Verwachsung  der  benachbarten  Skierotome  in  cranio-caudaler 
Richtung.  Die  Intervertebralspalte  tritt  ontogenetisch  bei  den 
Amnioten  sehr  früh  auf  und  theilt  die   Unvirbelkerne  nahezu 

SiUb.  d.  inathem.-naturw.  Cl.;  Gl.  Bd.  Abth.  111.  1 7 


^ 


258  V.  V.  Ebner, 

in  zwei  symmetrische  Hälften.  Indessen  ist  die  ungleiche  Be- 
stimmung der  beiden  Hälften  schon  durch  die  Lage  des  Spinal- 
ganglions gegeben,  welches  im  Bereiche  des  cranialen  Theiles 
des  UnA'irbels,  also  vor  der  Intervertebralspalte  gelegen  ist.  Die 
primären  Blutgefässe,  welche  interprotovertebral  in  der  Ver- 
wachsungsstelle der  Urwirbel  liegen,  werden  secundär  nach 
hinten  gegen  die  Ganglien  verschoben,  wobei  sie  jedoch  nicht 
in  die  Intervertebralspalte  gelangen.  Dadurch  wird  vor  der  Spalte 
die  Region  der  Zwischenwirbellöcher  bestimmt,  welche  ur- 
sprünglich der  vorderen  Hälfte  des  Urwirbels,  mithin  der  hin- 
teren Hälfte  des  bleibenden  Wirbels  entspricht.  Sehr  schön  sind 
diese  primitiven  Lagebeziehungen  noch  in  dem  bereits  functio- 
nirenden  Rumpfe  und  Schwänze  junger  Tritonlarven  zu  sehen, 
wie  aus  Fig.  6  ersichtlich  ist,  in  welcher  gl  die  ventralen  Enden 
der  Ganglien  gf  die  an  der  Basis  der  Muskelsepten  gelegenen 
metameren  Gefässe  bezeichnet. 

Ob  und  wann  bei  den  Anamniem  die  Intervertebralspalte 
sich  zeigt,  darüber  habe  ich  keine  Erfahrungen.  Vielleicht  ist 
ihr  Auftreten  an  die  Bedingung  geknüpft,  dass  die  Entwicklung 
eines  gegliederten  axialen  Knorpelskeletes  sofort  nach  den 
ersten  Umwandlungen  der  Urwirbel  einsetzt,  eine  Bedingung, 
die  allgemein  bei  den  Amnioten  zutrifft.  Es  muss  aber  auch  die 
Frage  aufgeworfen  werden,  ob  das  Auftreten  der  Intervertebral- 
spalte nicht  mit  der  charakteristischen  Eigenthümlichkeit  der 
Wirbel  höherer  Thiere  im  Gegensatze  zu  d^n  Wirbeln  der  Te- 
leostier  und  Selachier,  nämlich  mit  dem  Auftreten  des  Interverte- 
bralknorpels  im  Sinne  Gegenbaur's,*  zusammenfallt,^ 

Bevor  über  das  Verhalten  der  Anamnier,  insbesondere  der 
Selachier  bezüglich  der  Intervertebralspalte  Untersuchungen 
vorliegen,  sind  Speculationen  über  die  phylogenetische  Bedeu- 
tung dieser  Bildung  wohl  als  verfrüht  zu  betrachten. 

Schliesslich  möchte  ich  die  wesenthchsten  Ergebnisse 
dieser  Arbeit  in  folgenden  Sätzen  zusammenfassen. 

L  Die  knorpeligen  Wirbelkörper  der  Schlangen  und  wohl 
aller  Amnioten  entwickeln  sich  früher  als  die  knorpeligen 
Bogen. 

1  L.  c.  p.  64. 


Wirbel  und  ünvirbel.  259 

2.  Die  sogenannten  »primitiven  Wirbelbogen«  der  Am- 
nioten  sind  embryonale  Anlagen,  die  mit  keinem  bestimmten 
Skeletstücke  in  directe  Beziehung  gebracht  werden  können.  Es 
sind  segmentaJe  Bildungen,  welche  eine  Vielheit  nicht  näher  be- 
stimmbarer, zum  septalen  Skelete  gehöriger  Anlagen  enthalten 
und  es  ist  daher  besser,  dieselben  als  Vertebralstreifen  zu  be- 
zeichnen. 

Die  Urwirbelspalte  Corning's  ist  identisch  mit  dessen 
Intervertebralspalte  und  beide  zusammen  entsprechen  der  Inter- 
vertebralspalte,  wie  sie  von  mir  beschrieben  wurde.  Die  Inter- 
vertebralspalte ist  aber  nicht  identisch  mit  der  Gelenkhöhle. 

4.  Die  von  Corning  bei  Blindschleichen  beschriebenen 
primitiven  Chordaeinschnürungen  haben  keine  bleibende  Be- 
deutung  und  verschwinden  später.  Die  bleibenden  Chordaein- 
schnürungen der  Schlangen  und  Blindschleichen  entwickeln 
sich  erst  spät  mit  Beginn  der  Wirbelverknöcherung  und  im  Zu- 
sammenhange mit  der  Ausbildung  von  Gelenkkopf  und  Pfanne. 

5.  Die  Gelenkhöhle  tritt  ebenfalls  erst  um  diese  Zeit  auf, 
nachdem  vorher  längst  die  Intervertebralspalte  im  Bereiche  des 
Intervertebralknorpels  verschwunden  ist. 

6.  Die  Intervertebralspalte  verschwindet  auch  ausserhalb 
der  Wirbelkörper  vollständig;  das  Foramen  intervertebrale 
kann  daher  nicht  aus  ihr  hervorgehen,  obwohl  dasselbe  der 
Lage  nach  in  ihr  Bereich  fallt. 

7.  Die  Intervertebralspalte  liegt  nicht  in  einem  Myoseptum, 
da  letzteres  der  Grenze  zweier  Urwirbel,  erstere  aber  der  cra- 
nio-caudalen  Mitte  eines  Urwirbels  entspricht. 


Tafelerklärung. 


Die  Figuren  1,  2,  3,  4  und  6  sind  sämmtlich  so  orientirt,  dass  das 
Kopfende  der  Wirbelsäule  nach  oben  gerichtet  ist. 

Die  Figuren  1,  2,  3  und  6  sind  bei  70facher,  die  Figuren  4  und  5  bei 
42facher  Vergrösserung  gezeichnet. 

1*^ » 


260  V.  V.  Ebner,  Wirbel  und  Urviirbel. 

Fig.  1.  Frontalschnitt  in  der  Höhe  der  Chorda  durch  den  Rumpf  eines  Em- 
bryo von  Tropidonotus  natrix  im  Beginne  der  Verknorpelung  der 
Wirbelsäule. 

ch  Chorda  dorsalis  mit  undeutlichen  inter\'ertebralen  Einschnürungen, 
WK  Anlage  des  Wirbelkörpers,  75  Intervertebralspalte,  V  Vertebral- 
streifen,  ^Interprotovertebrale  Blutgefässe,  iV  Spinalnerven,  Af  Muskeln. 

Fig.  2.  Schnitt  aus  derselben  Serie  wie  Fig.  1,  aber  etwas  mehr  dorsalwarts. 
Vom  sind  die  Rückenmarkshäute  angeschnitten,  deren  Blutgefässe  mit 
gf  bezeichnet  sind,  zur  Seite  die  Spinalganglien  gl.  Hinten  ist  die 
Chorda  ch  noch  angeschnitten,  am  grössten  Theil  des  Schnittes  schim- 
mert die  Chorda  durch.  Buchstabenbezeichnung  im  Übrigen  wie  in 
Fig.   1. 

Fig.  3.  Frontalschnitt  in  der  Höhe  der  Chorda  durch  den  Rumpf  eines  älteren 
Embryo  von  Tropidonotus  natrix  mit  bereits  verknorpelter  Wirbel- 
säule. Ch  Chorda  mit  unregelmässigen  seichten  Einschnürungen.  WK 
Wirbelkörper,  in  der  Mitte  mit  grosszelligem  Knorpel,  der  nach  rück- 
wärts in  den  dichtzelligen  Intervertebralknorpel  übergeht,  in  dessen 
.Mitte  bereits  der  Contour  des  Gelenkkopfes  angedeutet  ist.  Die  Inter- 
vertebralspalte ist  verschwunden,  die  Gelenkhöhle  aber  noch  nicht 
vorhanden.  Gl  Ganglion  intervertebrale,  Q  Querfortsatz,  R  Rippe,  gf 
Blutgefässe,  M  Muskeln. 

Fig.  4.  Frontalschnitt  in  der  Höhe  der  Chorda  durch  den  Rumpf  einer  9*5 
Centimeter  langen  Blindschleiche.  K  Knochen  des  Wirbelkörpers, 
Mr  Markraum,  Gk  Knorpel  des  Gelenkkopfes,  5  Anlage  der  Gelenk- 
höhle, Pf  Kleinzelliger  Knorpel  der  Gelenkpfanne,  cha  Chordaanschwel- 
lung, Che  Chordaeinschnürung,  chs  cuticulare  Chordascheide,  Q  Quer- 
fortsatz, R  Rippe,  M  Muskeln,  A^  Nerven,  gf  Blutgefässe. 

Fig.  5.  Querschnitt  durch  die  Intervertebralregion  zweier  Rumpfwirbel  von 
einem  Embryo  von  Coronella  laevis,  an  dessen  Wirbelsäule  bereits 
die  Ossification  begonnen  hat.  Schnitt  nicht  genau  symmetrisch;  auf 
der  linken  Seite  der  Zeichnung  ist  das  Inter\'ertebralganglion  getroffen. 
ch  Chordaeinschnürung  im  Bereiche  des  Gelenkkopfes  des  vor- 
deren Wirbels,  Q  Querfortsatz,  R  Rippe,  Z  Gelenkfortsatz  des  hinteren 
Wirbels,  Z'  Gelenkfortsatz  des  vorderen  Wirbels.  (Zwischen  Z  und  Z^ 
die  spaltförmige  Gelenkhöhle).  K  Perichondraler  Knochen,  Rm  Rücken- 
mark. (Die  Gelenkhöhle  am  Wirbelkörper  schon  angelegt,  doch  am 
Querschnitte  nicht  sichtbar.) 

Fig.  0.  Frontalschnitt  durch  die  hintere  Rumpfregion  einer  \Omm  langen  Larve 
von  Triton  crisiattts  ohne  Extremitäten. 

ch  Chorda,  chs  Cuticula  chordae,  ach  äussere  Chordascheide  in 
die  Myosepten  (yfs)  sich  fortsetzend,  ^ft  Myotom,  Gl  Ganglion  spinale, 
gf  Arteria  interprotovertebralis,  E  Hautepithel. 


Y.  V.  Ebner:     Wirbel  und  Urwirbel. 


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Sitzungsberichte  d.kais.Akad.d.Wiss.,  math.-naturw.Oa3se,B<J.CI.Abth.m:.  1802. 


DER  WISSENSCHAFTEN. 


ATISCH-NATURWISSENSCHAFTUCHE  CUSSE. 


30 


4^ßRA^ 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


.ISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CI.  BAND.  III.  HEFT. 


ABTHEILUNG  III. 

ENTHALT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  ANATOMIE  UND 
PHYSIOLOGIE  DES  MENSCHEN  UND  DER  THIERE,  SOWIE  AUS  JENEM  DER 

THEORETISCHEN  MEDICIN. 


18 


1 

I 


263 


VII.  SITZUNG  VOM  10.  MÄRZ  1892. 


In  Verhinderung  des  Herrn  Vicepräsidenten  führt  Herr 
Intendant  Hofrath  F.  Ritter  v.  Hauer  den  Vorsitz. 

Der  Secretär  legt  die  erschienenen  Hefte  VIII — X 
(October— December  1891),  Abth.  I,  und  VIII— X  (October  bis 
December  1891),  Abth.  IL  b.  des  100.  Bandes  der  Sitzungs- 
berichte vor. 

Der  Vicepräsident,  Herr  Hofrath  J.  Stefan,  übersendet 
eine  Arbeit  aus  dem  physikalischen  Institute  der  k.  k.  Universität 
in  Wien  von  Dr.  Gustav  Jäger:  »Über  die  Capillaritäts- 
constanten  nichtwässeriger  Lösungen.« 

Das  c.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  E.  Ludwig  übersendet  eine 
im  chemischen  Laboratorium  der  k.  k.  technischen  Hochschule 
in  Graz  ausgeführte  Arbeit  des  Herrn  Heinrich  Aufschläger: 
Ȇber  die  Bildung  von  Cyanid  beim  Erhitzen  stick- 
stoffhaltiger organischer  Körper  mit  Zinkstaub.« 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  H.  Weidel  übersendet  eine  Arbeit  des 
Herrn  Dr.  Rudolph  Wegscheider  in  Wien:  Ȇber  Ester 
von  abnormer  Structur.« 

Die  Herren  Prof.  Dr.  Ph.  Knoll  und  Dr.  A.  Hauer  in  Prag 
übersenden  eine  Abhandlung:  »Über  das  Verhalten  der 
protoplasmaarmen  und  protoplasmareichen  quer- 
gestreiften Muskelfasern  unter  pathologischen  Ver- 
hältnissen.« 

Die  Herren  Dr.  J.  Elster  und  H.  Geitel  in  Wolfenbüttel 
übersenden  eine  Abhandlung  unter   dem   Titel:    »Beobach 
tungen   des    atmosphärischen   Potentialgefälles   und 
der  ultravioletten  Sonnenstrahlung.« 

18* 


264 


Der  Secretär  legt  eine  von  Herrn  F.  J.  Popp  in  Deutsch- 
Giesshübel  eingesendete  Mittheilung  vor,  Vielehe  die  Frage 
behandelt:  »Wie  oft  dreht  sich  die  Erde  in  einem  Jahre 
um  ihre  Axe?« 

Das  w.  M.  Herr  Oberbergrath  Ed.  v.  Mojsisovics  über- 
reicht eine  Abhandlung  von  Dr.  A.  Bittner  in  Wien:  Ȇber 
Echiniden  des  Tertiärs  von  Australien.« 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Ad.  Lieben  überreicht  eine  Arbeit 
aus  seinem  Laboratorium:  Ȇber  die  Oxydation  von  bi- 
secundärem  Pentaäthylphloroglucin  durch  den  Luft- 
sauerstoff«, von  Herrn  Carl  Ulrich. 

Herr  Dr.  Eduard  Mahl  er  überreicht  eine  Abhandlung  unter 
dem  Titel:  »Der  Kalender  der  Babylonier.« 


Selbständige  Werke  oder  neue,  der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

Voyage  of  H.  M.  S.  Challenger  1873—1876.  Report  on  the 
scientific  results.  Deep-Sea  Deposits.  Published  by 
Order  of  Her  Majesty's  Government,  London,  1891;  4^. 


265 


VIII.  SITZUNG  VOM  17.  MÄRZ  1892- 


Das  c.  M.  Herr  Prof.  H.  Weidel  übersendet  folgende  zwei 
Arbeiten  aus  dem  ersten  chemischen  Laboratorium  der  k.  k. 
Universität  in  Wien: 

1.  »Verfahren  zur  Bestimmung  des  Stickstoffs  in 
organischen  Substanzen«,  von  Dr.  F.  Blau. 

2.  >Zur  Kenntniss  der,  aus  Berberin  entstehenden 
Pyridincarbonsäuren«,  von  Herrn  Richard  Mayer. 

Der  Secretär  legt  folgende  eingesendete  Abhandlungen 
vor: 

1.  »Zur  Wärmeausdehnung  des  Wassers«,  von  P.  Carl 
Puschl,  Stiftscapitular  in  Seitenstetten. 

2.  Eine  Mittheilung  von  Dr.  Theodor  Gross  in  Berlin,  betitelt: 
»Kurzer  Bericht  über  die  chemische  Zerlegbar- 
keit des  Schwefels  durch  Elektrolyse«. 

Femer  legt  der  Secretär  ein  versiegeltes  Schreiben  behufs 
Wahrung  der  Priorität  von  Prof.  Dr.  Richard  Godeffroy  in 
Wien  vor,  welches  die  Aufschrift  führt:  »Zur  Constitution 
der  Kohlenhydrate«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Ad.  Lieben  überreicht  eine  Arbeit, 
betitelt:  Ȇber  ine  Fehlerquelle  bei  chemischen 
Operationen  infolge  Verwendung  von  Gasflammen.« 


266 


IX.  SITZUNG  VOM  24.  MÄRZ   1892. 


Der  Secretär  legt  das  erschienene  Heft  IX — X  (November 
bis  December  1891),  Abth.  IL  a  des  100.  Bandes  der  Sitzungs- 
berichte und  das  Heft  I— II  (Jänner— Februar  1892)  des 
13.  Bandes  der  Monatshefte  für  Chemie  vor. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  G.  Tschermak  übersendet  einen 
vorläufigen  Bericht  von  Prof.  Dr.  Friedrich  Becke  in  Prag 
über  seine  mit  Unterstützung  der  kaiserl.  Akademie  ausgeführten 
Untersuchungen  über  den  Bau  und  die  krystallinischen 
Schiefer  des  Hohen  Gesenkes  (Altvatergebirge). 

Das  vv.  M.  Herr  Prof.  L.  Pfaundler  übersendet  eine  Arbeit 
aus  dem  physikalischen  Institute  der  k.  k.  Universität  in  Graz 
von  Prof.  Dr.  Ign.  Klemencic:  Ȇber  das  Verhalten  des 
Eisens  gegen  elektrische  Schwingungen«. 

Der  Secretär  legt  ein  versiegeltes  Schreiben  behufs 
Wahrung  der  Priorität  von  Herrn  Franz  Müller  in  Siegenfeld 
vor,  welches  die  Aufschrift  führt:  »Hilfsmittel  für  den 
Rechenunterricht.« 

Das  w.M.  Herr  Prof.  Wiesner  überreicht  eine  Abhandlung, 
betitelt:  „Über  den  mikroskopischen  Nachweis  der 
Kohle  in  ihren  verschiedenen  Formen,  und  über  die 
Übereinstimmung  des  Lungenpigmentes  mit  Russ- 
kohle." 

Das  w.  M.  Dir.  E.  Weiss  spricht  über  den  von  Denning 
zu  Bristol  in  der  Nacht  vom  18.  auf  19.  März  aufgefundenen 
teleskopischen  Kometen. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  J.  Hann  überreicht  und  bespricht 
eine  gedruckte  Abhandlung,  betitelt:   »Magnetische  Beob- 


267 

achtungen  an  den  Küsten  der  Adria  in  den  Jahren  1889 
und  1890«,  ausgeführt  auf  Anordnung  des  k.  und  k.  Reichs- 
Kriegs-Ministeriums  (Marine-Section)  und  berechnet  von  den 
Herren  F.  L  a  s  c  h  o  b  e  r,  k.  und  k.  Fregatten  -  Capitän,  und 
W.  Kesslitz,  k.  und  k.  Linienschiffs-Lieutenant.  (Beilage  zu 
den  »Mittheilungen  aus  dem  Gebiete  desSeewesens.«)Pola,1892. 

Herr  Dr.  H.  Strache,  Privatdocent  an  der  k.  k.  technischen 
Hochschule  in  Wien,  überreicht  folgende  zwei  Arbeiten  aus 
dem  Laboratorium  für  allgemeine  und  analytische  Chemie  an 
dieser  Hochschule: 

1.  »Verbesserungen  anderMethodezurBestimmung 
des  Carbonylsauerstoffs  und  des  Acetons«,  von 
Dr.  H.  Strache. 

2.  »Oxydation  des  Phenylhydrazins  mitFehling'scher 
Lösung«,  von  Dr.  H.  Strache  und  M.  Kitt. 


Selbständige  Werke  oder  neue,  der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

Le  Prince  Albert  I®^  de  Monaco,  Sur  une  nouvelle  Carte 
des  courants  de  TAtlantique  Nord.  (Mit  1  Karte.)  Paris, 
1892;  4« 

Risley  H.  H.,  The  Tribes  and  Gastes  of  Bengal.  Anthropometric 
Data.  Vol.  I  and  IL  Calcutta,  1891;  8^ 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSEMHAFIEN. 


MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CI.  BAND.  IV.  HEFT. 


ABTHEILUNG  III. 

ENTHÄLT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  ANATOMIE  UND 
PHYSIOLOGIE  DES  MENSCHEN  UND  DER  THIERE,  SOWIE  AUS  JENEM  DER 

THEORETISCHEN  MEDICIN. 


«•*- 


271 


X.  SITZUNG  VOM  7.  APRIL  1892. 


Der  Secretär  legt  das  erschienene  Heft  VIII—X  (October 
— December  1891)  des  Bandes  100,  Abtheilung  IL  a.  der 
Sitzungsberichte  vor.  Mit  diesem  Hefte  schliesst  der  Druck 
des  ganzen  100.  Bandes  aller  drei  Abtheilungen. 

Ferner  ist  erschienen  das  Register  zum  XII.  Jahrgange 
1891  der  Monatshefte  für  Chemie. 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  L.  Gegenbauer  in  Innsbruck  über- 
sendet eine  Abhandlung:  Ȇber  einige  arithmetische 
Determinanten  höheren  Ranges«. 

Das  c.  M.  Herr  Albert  v.  Obermayer,  k.  u.  k.  Oberst  des 
Armeestandes  in  Wien,  übersendet  eine  Abhandlung:  »Über 
gleitende  Funken«. 

Das  c.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  A.  Bauer  übersendet  eine 
Arbeit  des  Herrn  Carl  Mangold,  Assistenten  an  der  k. k.  tech- 
nischen Hochschule  in  Wien,  betitelt:  »Zur  Stereochemie 
der  Trioxystearinsäuren  aus  Ricinusöl-  und  Ricine- 
laidinsäure«. 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  H.  Weidel  übersendet  folgende  drei 
im  ersten  chemischen  Laboratorium  der  k.  k.  Universität  in 
Wien  ausgeführte  Untersuchungen : 

1.  »Über  Euxanthonsäure  und  Euxanthon«,  von  Dr. 
J.  Herzig. 

2.  »Notiz  über  Fluorescin,  Galle'in  und  Aurin«,  von 
Dr.  J.  Herzig. 

3.  »Über  das  aß-Dipiperidyl«,  von  Dr.  Fritz  Blau. 

Herr  Dr.  M.  Margules  in  Wien  übersendet  eine  Abhand- 
lung, betitelt:  »Luftbewegungen  in  einer  rotirenden 
Sphäroidschale  bei  zonaler  Druckvertheilung«. 


272 

Der  Secretär  legt  folgende  eingesendete  Abhandlungen 
vor: 

1.  »Zur  Stöchiometrie  der  Lösungen«,  von  Dr.  Gustav 
Jäger  in  Wien. 

2.  »Beiträge  zur  Integrirung  der  Differentiale 

x*P \/ {a'\'bX'{'Cx)'^dx*,  von  Dr.  Victor  Wolski,  Director 
der  k.  k.  priv.  Südbahn  i.  P.  in  Fiesole  (Italien). 

3.  »Aurorae  Borealis  Norvegicae.  Verzeichniss  der  in 
Norwegen  bis  Juni  1878  beobachteten  Nordlichter«,  von 
Herrn  Sophus  Tromholt  in  Barmen. 

4.  »Über  den  Einfluss  heisser  Bäder  auf  die  Stick- 
stoff- und  Harnsäure- Ausscheidung  beim 
Menschen«,  Arbeit  aus  dem  medicin.-chemischen  Labo- 
ratorium an  der  k.  k.  böhmischen  Universität  zu  Prag  von 
Herrn  Emanuel  Formanek. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Ad.  Lieben  überreicht  eine  Arbeit 
aus  seinem  Laboratorium;  >Über  den  Abbau  der  fetten 
Säuren  zu  kohlenstoffärmeren  Alkoholen»,  von  Herrn 
Angelo  Simonini  in  Wien. 

Ferner  überreicht  Herr  Prof.  Lieben  eine  Arbeit  des 
Dr.  Br.  Lachowicz,  Privatdocent  an  der  k.  k.  Universität  in 
Lemberg:  Ȇber  die  Dissociation  der  Ferriphosphate 
durch  Wasser  und  Salzlösungen«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Wiesner  überreicht  eine  Abhandlung 
des  Herrn  Dr.  E.  Heinrich  er,  Professor  an  der  k.  k.  Universität 
zu  Innsbruck,  betitelt:  »Biologische  Studien  an  der 
Gattung  Lathraea*.  (I.  Mittheilung.) 

Herr  Prof.  Dr.  Ed.  Lippmann  in  Wien  überreicht  eine  von 
ihm  in  Gemeinschaft  mit  Herrn  F.  Fleissner  ausgeführte 
Arbeit:  Ȇber  Hydrojodverbindungen  einiger  China- 
alkaloide«. 


SITZUNGSBERICHTE 


'  DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFIEN. 


MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CI.  BAND.  V.  HEFT. 


ABTHEILUNG  III. 

ENTHÄLT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  ANATOMIE  UND 
PHYSIOLOGIE  DES  MENSCHEN  UND  DER  THIERE,  SOWIE  AUS  JENEM  DER 

THEORETISCHEN  MEDICIN. 


i 


275 


XL  SITZUNG  VOM  5.  MAI  1892. 


Der  Secretär  legt  das  erschienene  Heft  I — II  (Jänner  und 
Februar  1892)  des  101.  Bandes,  Abtheilung  II.  b.  der  Sitzungs- 
berichte, femer  das  Heft  III  (März  1892)  des  12.  Bandes  der 
Monatshefte  für  Chemie  vor. 

Das  k.  k.  Ministerium  des  Innern  übermittelt  die  von 
der  oberösterreichischen  Statthalterei  vorgelegten  Tabellen  und 
graphischen  Darstellungen  über  die  Eisbildung  auf  der  Donau 
während  des  Winters  1891/92  in  den  Pegelstationen  Aschach, 
Linz  und  Grein. 

Das  k.  und  k.  Reichs-Kriegs-Ministerium  (Marine- 
Section)  übersendet  den  von  Herrn  k.  und  k.  Fregatten-Capitän 
Wilhelm  Mörth  als  Commandant  S.  M.  Schiffes  »Pola«  vor- 
gelegten Bericht  über  die  Ausrüstung  dieses  Schiffes 
für  Tiefsee-Untersuchungen. 

Das  w.  M.  Herr  Oberbergrath  E.  v.  Mojsisovics  über- 
sendet eine  vorläufige  Mittheilung:  »Über  die  Cephalopoden- 
Faunen  der  Himalaya-Trias«. 

Das  c.  M.  Herr  Hofrath  Prof  E.  Ludwig  in  Wien  über- 
sendet eine  in  seinem  Laboratorium  von  den  Herren  Privatdocent 
Dr.  H.  Paschkis  und  Dr.  Fritz  Obermayer  ausgeführte 
Arbeit  unter  dem  Titel:  »P  h  a  r  ma  k  ologische  Unter- 
suchungen  über  Ketone  und  Acetoxime«. 

Das  c.  M.  Herr  Prof  L.  Gegenbauer  in  Innsbruck  über- 
sendet eine  Abhandlung  des  Supplenten  A.  J.  Gm  ein  er  am 
k.  k.  Staatsgymnasium  in  Graz,  betitelt:  »Das  allgemeine 
bicubische  Reciprocitätsgesetz«. 


276 


Das  c.  M.  Herr  Prof.  G.  v.  E  seh  er  ich  in  Wien  über- 
sendet eine  Abhandlung:  Ȇber  die  Multiplicatoren  eines 
Systems  linearer,  homogener  Differentialgleichun- 
gen«. (I.) 

Der  Secretär  legt  folgende  eingesendete  Abhandlungen 
vor: 

1.  Ȇber  das  Vorkommen  und  die  Bildung  von 
Natriumsulfat  in  den  Kalibergwerken  vonKalusz«. 

2.  »Über  pyridinartige  Basen  im  Erdöl«,  die  vorge- 
nannten beiden  Arbeiten  von  R.  Zaloziecki,  Docent  an 
der  k.  k.  technischen  Hochschule  in  Lemberg. 

3.  »Über  die  bei  einer  Gattung  centri  scher  Rück  ungs- 
flächen  der  vierten  Ordnung  auftretende  Reci- 
procität«,  von  Prof.  A.  Sucharda  an  der  k.  k.  Staats- 
Oberrealschule  in  Prag. 

4.  »Über  eine  neue  Jodverbindung  des  Bleies«,  von 
Prof.  Max  Gröger  an  der  k.  k.  Staatsgewerbeschule  in 
Brunn. 

5.  »ZurTheorie  derHarnsäurebildungimSäugethier- 
organismus«,  von  Prof.  Dr.  J.  Horbaczewski  an  der 
k.  k.  böhmischen  Universität  in  Prag. 

6.  »Über  Drehstrommotoren«,  von  Dr.  G.  Schilling  in 
Czernowitz. 

Der  Secretär  legt  ein  versiegeltes  Schreiben  behufs 
Wahrung  der  Priorität  von  Prof.  Nicolaus  Fialkowski  in  Wien 
vor,  mit  der  Aufschrift:  »Erste  mathematisch  richtige 
Lösung  des  Delischen  Problems«. 

Ferner  übersendet  Herr  Prof.  Dr.  A.  A  d  a m k  i  e  w i  c  z ,  derzeit 
in  Wien,  ein  versiegeltes  Schreiben  zur  Aufbewahrung,  welches 
die  Aufschrift  führt:  »Mein  Verfahren  zur  Behandlung 
der  Carcinome«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Director  J.  Hann  überreicht  eine 
für  die  Denkschriften  bestimmte  Abhandlung  unter  dem  Titel: 
»Weitere  Untersuchungen  über  die  tägliche  Oscilla- 
tion  des   Barometers«. 


277 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  E.  Wey  r  überreicht  eine  Abhandlung 
des  Regierungsrathes  Prof.  Dr.  F.  Mertens  in  Graz,  betitelt: 
»Der  Fundamentalsatz  der  Algebra«. 

Das  c.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  H.  Meynert  in  Wien  über- 
reicht eine  Abhandlung  unter  dem  Titel:  »Neue  Studien  über 
die  Associations-Bündel  des  Hirnmantels«. 

Herr  Professor  Dr.  Franz  Toula  in  Wien  berichtet  über 
zwei  neue  Säugethierfundorte  auf  der  Balkanhalb- 
insel. 

Herr  Prof.  Dr.  Franz  Toula  überreicht  eine  Abhandlung 
über  die  Ergebnisse  seiner  letzten  mit  Subvention  von  Seite 
des  hohen  Ministeriums  für  Cultus  und  Unterricht  im  Früh- 
jahre 1890  (vom  28.  Mai — 2.  Juli)  ausgeführten  geologischen 
Untersuchungen  im  östlichen  Balkan  und  in  anderen 
Theilen  von  Bulgarien  und  Ostrumelien. 

Herr  Prof.  Dr.  E.  Freih.  v.  Haerdtl  in  Innsbruck  überreicht 
eine  Abhandlung  betitelt:  Ȇber  zwei  langperiodische 
Störungsglieder  des  Mondes^  verursacht  durch  die 
.\nziehung  des  Planeten  Venus«. 


Siteb.  d.  mathcm.-nalurw.  Cl. ;  CI.  Bd.  Abth.  III.  1 9 


278 


Über  den  Einfluss  heisser  Bäder  auf  die  Stick- 
stoff- und  Hamsäure-Ausseheidung' 

beim  Menschen 


von 


Emanuel  Formanek. 

Aus  dem  Laboratorium  des  Prof.  J.  Horbaczewski  an  der  k.  k.  böhm. 

Universität  in  Prag. 

(Vorgelegt  in  der  Sitzung  am  7.  April  1892.) 

Obzwar  diese  Frage  schon  wiederholt  Gegenstand  experi- 
menteller Prüfung  war,  so  konnte  dieselbe  noch  immer  nicht  als 
gelöst  betrachtet  werden,  da  verschiedene  Autoren  zu  Resul- 
taten gelangten,  die  einander  mehr  oder  weniger  wider- 
sprechen. 

Bartels  *  war  der  Erste,  der  bei  Versuchen  am  Menschen 
nach  heissen  Dampfbädern  eine  Vermehrung  der  HarnstoflF- 
ausscheidung  constatirte. 

Ahnliche  Resultate  erhielt  auch  Naunyn  *an  einem  Hunde, 
dessen  Körpertemperatur  durch  ein  dreistündiges  Bad  um  etwa 
4**  C.  gesteigert  war,  bei  dem  am  Badetage  die  Hamstoff- 
ausscheidung  bedeutend  stieg. 

G.  Schleich,^  der  sechs  Versuche  theilweise  an  sich  selbst, 
theilweise  an  Kranken  der  Tübinger  Klinik  ausführte,  fand 
auch  eine  constante  Vermehrung  der  Harnstofifausfuhr  nach 
künstlicher  Steigerung  der  Körpertemperatur  durch  warme 
Bäder  von  einstündiger  Dauer.  Ebenso  fanden  auch  Frey  und 


1  Greifswalder,  medic.  Beitr.  1864.  3. 

2  Berl.  Klin.  Wochenschr.  1869,  Nr.  4.  Arch.  für  Anat.  und  Physiol.  1870 
8  Arch.  für  experim.  Patiiol.  und  Pharm.  4.  82—106. 


Stickstoff-  und  Harnsäure- Ausscheidung.  279 

Heiligenthal*  bei  an  Menschen  angestellten  Versuchen  nach 
der  Einwirkung  heisser  Luft-  und  Dampfbäder  eine  bedeutende 
Erhöhung  der  HamstoflFausscheidung  an  den  dem  Badetage 
nächstfolgenden  2 — 3  Tagen,  während  am  Badetage  selbst  eine 
Verminderung  derselben  gefunden  wurde. 

Diese  Forscher  berücksichtigten  auch  die  Hamsäureaus- 
scheidung  und  constatirten  eine  mit  der  Hamstoflfvermehrung 
einhergehende  bedeutende  Steigerung  der  Harnsäureausfuhr. 

Der  Einfluss  russischer  Bäder  auf  den  Stickstoflfumsatz 
wurde  von  K  o  s  t  j  u  r  i  n*  und  Godlewskij*  untersucht  und  es 
wurde  von  denselben  in  Übereinstimmung  mit  den  oben  er- 
wähnten Untersuchungen  eine  Vermehrung  der  Hamstoff- 
ausscheidung  nach  russischen  Bädern  gefunden. 

Diesen,  im  Wesentlichen  übereinstimmenden  Resultaten 
gegenüber  stehen  aber  andere  entgegengesetzte  Angaben. 

So  konnte  Kaupp  ^  bei  Einwirkung  höherer  Lufttemperatur 
keine  Vermehrung  der  Harnstoffausscheidung  constatiren,  und 
Senator*  beobachtete  dasselbe  bei  einem  Tetanischen,  dessen 
Körpertemperatur  auf  41*  C.  stieg. 

Abgesehen  von  diesen  älteren  Beobachtungen,  sind  in 
neuerer  Zeit  die  Untersuchungen  von  C.  F.  A.  Koch,*  P.  Si- 
manowsky**  und  N.  Makowiecki^  erschienen,  aus  denen 
auch  hervorgeht,  dass  die  Steigerung  der  Körpertemperatur  die 
Stickstoffausscheidung  entweder  gar  nicht  beeinflusst,  oder 
sogar  vermindert. 

Koch  experimentirte  an  sich  selbst  und  fand  nach  einem 
Bade  von  einstündiger  Dauer,  wobei  die  Körpertemperatur  bis 
auf  39*6°  C.  stieg,  nicht  nur  keine  Vermehrung,  sondern  eine 


1  Die  Wirkung  der  heissen  Luft-  und  Dampfbäder  in  Baden-Baden.  1881. 

*  Citirt  bei  Makowiecki  (vergl.  später). 

3  Arch.  für  physiol.  Heilkunde.  1855  und  1856. 

*  Virchow,  Arch.  48. 

^  Zeitschr.  für  Biol.  19.  447-468. 

6  Ebenda.  21.  1-24. 

'  Zur  Frage  der  Einwirkung  des  russischen  Schwitzbades  auf  den 
Stickstoffumsatz  und  die  Fettassimilation,  sowie  auf  die  Assimilation  der 
stickstoffhaltigen  Substanzen  der  Nahrung.  Inaung.-Diss.  (russ.).  St.  Peters- 
burg. 1888. 

19* 


280  E.  Formanek, 

wenngleich  unbedeutende  Verminderung  der  Stickstaffaus- 
scheidung. Dasselbe  Ergebniss  hatte  auch  eine,  an  einem  Ka- 
ninchen ausgeführte  Versuchsreihe,  in  welcher  die  Körper- 
temperatur bis  auf  44**  C.  durch  Erwärmung  im  Thermostaten- 
gesteigert wurde. 

Simanowsky  studirte  diese  Frage  im  Laboratorium  von 
Voit  an  einer  hungernden  Hündin  im  Stadium  der  gleich- 
massigen,  langsam  abfallenden  Stickstoffausscheidung,  wobei 
die  Temperatursteigerung  durch  warme  Bäder  von  einstündiger 
Dauer  erzielt  wurde.  Nach  dem  Bade  wurde  auch  die  Grösse 
der  Kohlensäureausscheidung  bestimmt.  Das  Ergebniss  der  Ver- 
suche wird  dahin  zusammengefasst,  dass  in  Folge  der  durch 
mehrere  Stunden  hindurch  vermittelst  heisser  Bäder  erhöhten' 
Temperatur  sich  die  Menge  der  stickstofffreien  Producte  des- 
Stoffwechsels nicht  steigert,  und  dass  die  Menge  der  stick- 
stoffhaltigen Producte  entweder  normal  bleibt,  oder  sich  nur  in 
ganz  geringem  Masse  vermehrt. 

Makowiecki  stellte  fünf  Versuche  an  Menschen  an.  Die 
aus  Brot,  Fleisch,  Milch,  Bouillon,  Butter,  Thee,  Zucker  und 
Kyselj  (Moosbeerensaft  mit  Zucker  und  Milch)  bestehende* 
Nahrung  wurde  auf  N  und  Fett  geprüft,  und  im  Harne  wurde 
neben  dem  festen  Rückstand  der  Gesammtstickstoff  (nach. 
Kjeldahl)  und  Harnstoff  (nach  Borodin)  bestimmt.  In  den- 
Fäces  wurde  auch  der  feste  Rückstand,  sowie  der  Stickstoff 
ermittelt,  als  auch  die  Fettsäuren  bestimmt.  Jeder  Versuch- 
zerfällt  in  drei  Perioden :  1 .  Normalperiode  von  5  Tagen ;  2.  Bade- 
periode von  5  Tagen,  und  3.  die  Periode  nach  dem  Bade  von 
2  Tagen.  Die  durch  Bäder  in  der  Badeperiode  bei  den  Versuchs- 
männern erzielte  Steigerung  der  Körpertemperatur  war  nicht 
bedeutend.  In  der  Normalperiode  schwankte  die  Körper- 
temperatur derselben  zwischen  36 '4  und  37'8''  und  stieg 
während  des  Bades  meistens  nur  auf  38-2 — 38  •5'',  nur  dreimaP 
wurde  eine  Steigerung  bis  zu  39**  beobachtet. 

Das  Verhalten  der  Stickstoffausscheidung  erhellt  aus  dem 
im  Nachfolgenden  mitgetheilten  Mittelzahlen: 


Stickstoff-  und  Harns&ure-Ausscheidung. 


281 


Ver- 

suchs- 

Numraer 

Normal-Periode 

Bade-Periode 

Periode  n. 

d.  Bädern 

Stickstoff- 

Stickstoff- 

Stickstoff- 

Einfuhr 

Ausfuhr 

Einfuhr 

Ausfuhr 

Einfuhr 

Ausfuhr 

I. 

20-5 

20-5 

20-5 

17  4 

21-6 

18-5 

II. 

20-0 

20-7 

20-1 

19  3 

21-0 

20-7 

m. 

18  3 

17-2 

17-3 

15-1 

14-8 

18-3 

IV. 

20-5 

21-1 

20  0 

20-7 

16-6 

19-7 

V. 

19-5 

18  0 

18-6 

171 

15-9 

18  2 

Aus  diesen  Versuchen  wird  geschlossen,  dass  der  N-Um- 
satz  herabgesetzt  wird.  Ausserdem  findet  Verfasser,  dass  die 
Assimilation  der  stickstoffhaltigen  Nahrungsbestandtheile  auch 
herabgesetzt,  die  Assimilation  der  Fette  dagegen  gesteigert  wird. 

Aus  dem  Mitgetheilten  ergibt  sich,  dass  die  einzelnen 
Angaben  über  die  Wirkung  heisser  Bäder,  beziehungsweise 
der  Körpertemperatursteigerung  auf  den  Stickstoffumsatz  sehr 
bedeutend  divergiren.  Aus  diesem  Grunde  wurde  beschlossen, 
diesbezüglich  neue  Versuche,  und  zwar  am  Menschen  durch- 
zuführen, um  so  auf  den  Grund  dieser  merkwürdigen  Meinungs- 
differenzen zu  kommen.  Während  die  weiter  unten  mitge- 
theilten Versuche  bereits  im  Gange  waren,  erhielt  ich  noch  von 
der  neuesten  Arbeit  von  Paul  Richter  *  Kenntniss,  in  welcher 
unter  Anderem  auch  über  diesbezüglich  angestellte  Versuche 
berichtet  wird.  Die  am  Kaninchen  ausgeführten  Versuche 
ergaben  kein  entscheidendes  Resultat,  dagegen  betrachtet  Ver- 
fasser die  Versuche  an  einer  Hündin  für  entscheidend.  Das  mit 
200^  Fleisch  und  30  g  Fett  ernährte  Versuchsthier,  welches 
eine  gleichmässige  Stickstoffausscheidung  hatte,  wurde  in 
einem  Thermostaten  auf  24  Stunden  gebracht.  In  der  ersten 
Versuchsreihe  stieg  die  Körpertemperatur  des  Thieres  von 
36-5  bis  zu  39'9",  in  der  zweiten  von  37  8  bis  zu  41  •4''.  Die 
Bestimmung  des  Harnstickstoffes  (nach  Kjeldahl-Wilfart) 
ergab  an  den  Überhitzungstagen  selbst  keine  auffallende,  an 
den  nächstfolgenden  zwei  Tagen  aber  eine  sehr  bedeutende 


»  Virchow,  Arch.  123.  118-165. 


282  E.  Formanek, 

Steigerung  der  SttckstofFausscheidung,  die  in  der  zweiten  Ver- 
suchsreihe, in  welcher  die  Steigerung  der  Körpertemperatur 
grösser  war,  ein  höheres  Mass  erreichte. 

Die  Resultate  der  von   mir  ausgeführten  Versuche    sind 
folgende: 

I.  Versuchsreihe. 

Diesen  Versuch  führte  ich  an  mir  selbst  (22  Jahre  alt)  in 
der  Zeit  vom  13. — 25.  Juli  1891  aus.  Die  Nahrung  bestand  aus: 

1.  Rindfleisch  (Lungenbraten).  Dasselbe  wurde  in  Quanti- 
täten zu  etwa  2kg,  die  für  3  Tage  reichten,  angekauft,  von 
allem  Fett  sorgfältig  auspräparirt  und  als  Beefsteak  zubereitet 
genossen.  In  jeder  Fleischportion  wurde  der  Stickstoffgehalt 
ermittelt. 

2.  Emmenthaler  Käse  wurde  für  den  ganzen  Versuch  in 
einem  Stück  auf  einmal  angekauft,  der  Stickstoffgehalt  ermittelt 
und  in  einem  gut  schliessenden  Glasbehälter  aufbewahrt. 

3.  Brot  wurde  aus  gutem,  vorerst  analysirtem  Weizenmehl 
unter  Zusatz  von  etwas  Hefe  und  Wasser  nebst  Salz  bereitet, 
und  zwar  für  jeden  Versuchstag  ein  Laibchen  aus  144^  Mehl. 

4.  Reis  in  der  täglichen  Ration  von  100^.  Für  den  ganzen 
Versuch  diente  derselbe,  im  verschlossenen  Gefösse  aufbe- 
wahrte Vorrath,  dessen  Stickstoffgehalt  bestimmt  wurde. 

5.  Butter  wurde  ebenso  für  den  ganzen  Versuch  ent- 
sprechend aufbewahrt,  nach  Ermittlung  des  Stickstoffgehaltes. 

6.  Bier  (leichtes  Smichover  Bier)  täglich  \bO0  cnt^. 

7.  Theeeinfuhr  aus  0*3^  russischem  Thee. 

8.  Zucker  20  g, 

9.  Wasser  (400  cm% 
10.  Kochsalz  (5^). 

Die  tägliche  Stickstoffaufnahme  betrug  in 


400^  Fleisch 13 

100^  Käse 4 

1  Laib  Brot  (aus  144^  Mehl)    .  2 

100^  Reis 0 

125^  Butter 0 

1500  cw*  Bier 0 


Zusammen  ...  22 


20^ 
33^ 
70  g 
92  g 

09g 
90  g 


14^ 


Stickstoff-  und  Harnsäure- Ausscheidung.  283 

Alle  Stickstoflfbestimmungen  wurden  nach  der  volumetri- 
schen  Methode  nach  Ludwig*  mit  der  Modification  von 
Horbaczewski*  ausgeführt.  Dasselbe  gilt  auch  von  den 
Bestimmungen  des  Stickstoffes  im  Harne  und  den  Fäces,  und 
zwar  in  allen  Versuchen. 

DieLebensweisewährendderVersuchszeitwareineäusserst 
gleichmässige.  Es  wurde  die  gewöhnliche  Laboratoriumsarbeit 
verrichtet  und  Abends  1  Stunde  spazieren  gegangen.  Die 
Nahrungsaufnahme  wurde  auf  3  Mahlzeiten,  um  7  Uhr  Früh, 
12  Uhr  Mittags  und  7  Uhr  Abends,  vertheilt.  Die  Kost  wurde 
sehr  gut  vertragen.  Verdauungsstörungen  kamen  nicht  vor. 
Der  Harn  wurde  von  7  Uhr  Früh  des  einen  bis  7  Uhr  Früh  des 
nächsten  Tages  gesammelt  und  in  demselben  der  Gesammt- 
stickstoff,  sowie  die  Harnsäure  (nach  Salkowski-Ludwig) 
bestimmt  Die  Fäces,  die  jeden  Tag  regelmässig  entleert 
wurden,  wurden  gesammelt  und  in  einer  mehrtägigen  Partie 
derselben  der  Stickstoff  bestimmt,  worauf  der  Stickstoffgehalt 
auf  die  betreffende  Periode  vertheilt  wurde.  Vor  dem  Beginne 
des  Versuches  wurde  die  oben  genannte  Nahrung  durch  4  Tage 
genossen,  dann  folgte  die  achttägige  Normalperiode.  Am  9.  Tage 
wurde  ein  heisses  Luftbad  von  ßö**  R.  in  der  Dauer  von 
20  Minuten,  dann  ein  Dampfbad  von  41'*  R.  von  15  Minuten 
Dauer,  und  schliesslich  ein  Douchebad  mit  lauwarmem  Wasser 
genommen.  Dem  Badetage  folgten  noch  drei  weitere  Normal- 
tage. In  der  nachfolgenden  Tabelle  sind  die  für  die  Stickstoff- 
und  Harnsäure-Ausscheidung  erhaltenen  Werthe  zusammen- 
gestellt. 


1  Wiener  medic.  Jahrb.  1880.  4. 
^  Ebenda.  1886. 


284 


£.  Formanek, 


Ver- 
suchs- 
tag 


Körper-  j  Stick- 
gewicht Stoff 


in  Kilo- 
gramm 


Ein- 
fuhr 


Menge 

des 
Harnes 

in 
Cubik- 
centi- 
raetem 


Stick- 

Stick- 

Ge- 

Menge 

Re-    ,   Stoff 

stoff 

saromt-     der 

action 

im 

der 

Stick-    Harn- 

Harne 

Fäces 

stoff 

säure 

Bemer- 
kung ' 


1 
2 
3 
4 
5 
6 
7 
8 


Mittel 
1-8 


9 
10 
11 
12 


Mittel 
9-12 


70  950 
70-690 
70 • 700 
70-900 
70-930 
70-870 
70-900 
70-900 


22-14 
22-14 
22  14 
22  14 
22-14 
22-14 
22  14 
22  14 


22  14 


71-200 
70  - 900 
71-000 
71-000 


22-14 
22  14 
22-14 
22-14 


22-14 


1870 
1510 
1400 
1355 
1470 
1460 
1410 
1550 


sauer 


1400 
1460 
1410 
1520 


neutral 


sauer 


16-60 
18-03 
18-63 
18  16 
18-67 
18-91 
19-30 
1910 


18-42 

18-80 
18-91 
18-52 
19  20 


18  88 


2-52 
2  52 
2-52 
2-52 
2-52 
2-52 
2-52 
2-52 


2  52 

2-52 
2-52 
2-52 
2-52 


2-52 


19-12 
20-55 
21-15 
20-68 
21  19 
21-43 
21^82 
21-62 


20  94 


21-32 
21-43 
21  04 
21-72 


21-39 


0-804 
0  839 
0-830 
0-848 
0-913 
0-895 
0-904 
0-897 


0-866 


0-878 
0  896 
0  882 
0  ■  854 

0-877 


Bad 


II.  Versuchsreihe. 

Als  Versuchsmann  diente  ein  23  Jahre  alter  Candidat  der 
Medicin.  Die  Nahrung  wurde  in  diesem  Versuche  dahin  abge- 
ändert, dass  das  Rindfleisch  durch  eine  Wurst  ersetzt  wurde. 
Dieselbe  wurde  für  den  Versuch  aus  Schweine-  und  Rindfleisch 
und  etwas  Speck,  unter  Zusatz  von  Salz  und  dem  gewöhn- 
lichen Gewürze  bereitet. 

Die  Wurstmasse  wurde,  um  eine  gleichmässige  Mischung 
herbeizuführen,  sechsmal  durch  eine  Wurstmaschine  getrieben 
und  die  Wurst  für  den  ganzen  Versuch  auf  einmal  hergestellt, 
in  verschiedenen  Partien  analysirt  und  in  schliessenden  Glas- 
gefässen  aufbewahrt.  Die  übrigen  Nahrungsmittel  waren  wie 
im  Versuche  I. 


Stickstoff-  und  Harnsäure-Ausscheidung.  285 

Die  tägliche  Stickstoffaufnahme  betrug  in : 

200^  Wurst 6-88^ 

100^  Käse 5-07^ 

100^  Reis 0-92^ 

1  Laib  Brot  (144^  Mehl)   .        .  240^ 

125^  Butter 0-09^ 

1500 cw*  Bier 0-90^ 

Zusammen   .    .    .  16'26^N. 

Einer  viertägigen  Vorperiode,  in  welcher  die  erwähnte 
Nahrung  genossen  wurde,  folgte  die  achttägige  Normalperiode, 
in  welcher  das  Verhalten  der  N-  und  Harnsäure-Ausscheidung 
ermittelt  wurde.  Am  9.  Versuchstage  wurde  ein  heisses  Luft- 
bad von  65"  R.  in  der  Dauer  von  20  Minuten,  welchem  eine 
Abwaschung  mit  28 '  R.  warmem  Wasser  folgte,  dann  ein 
heisses  Dampfbad  von  46°  R.  in  der  Dauer  von  25  Minuten, 
welchem  auch  eine  Abwaschung  mit  lauwarmem  Wasser  folgte, 
genommen.  Am  10.  Versuchstage  wurde  ein  ganz  gleiches 
Bad  genommen.  Diesen  zwei  Badetagen  folgten  wieder  8  Nor- 
maltage (11 — 18  Versuchstage). 

Die  Lebensweise  des  Versuchsmannes  war  eine  äusserst 
gleichmässige,  während  des  ganzen  Versuches.  Die  Nahrungs- 
aufnahme, Aufsammeln  des  Harnes  und  der  Fäces  geschah 
wie  im  vorigen  Versuch.  Nachfolgende  Tabelle  enthält  die  für 
die  N-  und  Hamsäureausscheidung  ermittelten  Werthe. 


Ver- 


Körper- 


Stick- 


suchs-  g«^'»^^^*  s^off- 

.^   I  in  Kilo-    Ein- 
tag 


in  Kilo- 
gramm 


fuhr 


Menge 

des 
Harnes 

in 
Cubik- 

I  centi- 

metem 


Stick- 
Re-    I   Stoff 
action       im 
Harne 


Stick-      Ge-     Menge 
Stoff    sammt-     der     Bemer 
in     !  Stick-  •  Harn-  '  kung 
Fäces     stoiT      säure  i 


I 


76   100 

76  100 

I 

3    ' 76  000 


4 
5 


16-26i    1240 


16  26 


1450 


16  26;    1520 


75-500  16-26;   1710 


76  000 


16  26!   1260 


sauer 

14-46 

» 

14  59 

> 

15  35 

» 

14-94 

0  98 
0-98 


15  38  |0-6453 
15-37  0-6612 


neutral  14-50 


0-98  I  16-43  |0-7478' 
0-98  ' 15-92  0  7543, 


0  98 


15  48  0  6605 


286 


E.  Formanek, 


Ver- 

suchs- 

tag 

Körper- 
gewicht 
in  Kilo- 
gramm 

Stick- 
stoff- 
Ein- 
fuhr 

Menge 

des 
Harnes 

in 
Cubik- 
centi- 
metem 

Re- 

action 

Stick- 
stoff 
im 
Harne 

Stick- 
stoff 
in 
Fäces 

Ge- 

sammt- 

stick- 

stoff 

Menge 

der 
Harn- 
säure 

Bemer- 
kung 

6 
7 
8 

76-000 
76  000 
76-000 

16-26 
16-26 
16-26 

1730 
1250 
1500 

neutral 
sauer 

» 

14-56 
14-67 
14-90 

0  98 
0  98 
0  98 

15-48 
15-65 
15-88 

0-6340 
0-7580 
0-6825 

Mittel 
1-8 

16  26 

14-74 

0-98 

15-72 

0-6928 

9 
10 

76  000 
76-000 

16  26 
16-26 

1215 
1670 

sauer 

» 

13-60 
16-99 

0  958 
0  958 

14-55 
17-94 

0-7308 
1-1456 

Bad 
Bad 

Mittel 
9-10 

t 

16  26 

15-29 

0  958 

16-25 

0-9382 

11 
12 
13 
14 
15 
16 
17 
18 

76-000 
76-000 
76-000 
76-000 
76-000 
76  000 
76  200 
76  000 

16  26 
16  26 
16-26 
16  26 
16-26 
16-26 
16-26 
16-26 

1735 
1262 
1180 
1540 
1880 
1750 
1843 
1875 

sai 

Lier 

15-95 
14-60 
13-80 
14  40 
13-70 
14-40 
14  50 
14  00 

0-958 
0  958 
0  958 
0-958 
neutral 
0-958 
0-958 
0-958 

0  958 

16-90 
15-45 

14  75 
15-35 
14-65 
15-35 

15  45 
14  95 

0 • 8627 
0-6018 
0-6100 
0-7638 
0-6730 
0-7718 
0  -  8662 
0 • 8792 

Mittel 
11-18 

16-26 

14-41 

15-36 

0-7534 

III.  Versuchsreihe. 

Als  Versuchsmann  diente  ein  22  Jahre  alter  Candidat  der 
Medicin.  Derselbe  war  ausserordentlich  mager  und  erhielt 
während  des  Versuches  eine  Nahrung,  die  viel  weniger  Fett 
und  Kohlenhydrate  enthielt,  als  die  bei  früheren  Versuchen  ver- 
wendete Nahrung.  Mit  Rücksicht  auf  mehrere  Angaben,  dass 
bei  Körpertemperatursteigerung  die  stickstofffreien  Körper- 
bestandtheile  in  grosser  Menge  zerfallen,  war  es  möglich, 
dass   in  diesem  Falle  die  Steigerung  des  Stickstoffumsatzes 


Stickstoff-  und  Harnsäure-Ausscheidung.  287 

markanter  auftreten  wird.  Auch  bei  diesem  Versuche  wurde  eine 
Wurst  genossen,  die  jedoch  nur  aus  ganz  magerem  Rind-  und 
Schweinefleisch,  in  der  beim  vorigen  Versuche  angegebenen 
Weise,  bereitet  wurde.  Die  tägliche  Käsemenge  wurde  auf 
150^  erhöht,  die  Reismenge  auf  50^  reducirt  und  die  Butter 
wurde  ganz  weggelassen.  Die  übrigen  Nahrungsmittel  blieben 
wie  in  den  vorigen  Versuchen. 


Die  tägliche  Stickstoffeinfuhr  betrug  in: 

200^  Wurst 7 

150^  Käse 7 

1  Laib  Brot  (aus  144^  Mehl)    .    2 

50^  Reis 0 

1500  cm^  Bier 0 


Zusammen  ...  18 


04^ 
2Qg 
A\g 
AQg 
90^ 


07  ^N. 


Ähnlich,  wie  bei  den  früheren  Versuchen,  folgte  auch  bei 
diesem  einer  viertägigen  Vorperiode  eine  neuntägige  Normal- 
periode. Am  10.  Versuchstage  wurde  ein  Wannenbad  von 
49  Minuten  Dauer  genommen.  Die  Wassertemperatur  betrug 
40"  C,  die  Körpertemperatur  (in  der  Mundhöhle)  stieg  auf 
39",  fiel  aber  nach  2  Stunden  auf  37*2".  Am  nächsten  (11.) 
Versuchstage  nahm  Versuchsmann  am  Vor-  und  Nachmittage 
je  ein  Wannenbad.  Dauer  des  Bades  am  Vormittage  =:  6 1  Minu- 
ten, Wassertemperatur  r=  40"  C,  Körpertemperatur  40*5"  (in 
der  Mundhöhle),  nach  2  Stunden  =  37*1".  Am  Nachmittage: 
Dauer  des  Bades  41  Minuten,  Wassertemperatur  :=  41"  C, 
Körpertemperatur  •=.  39 '3".  Am  nächsten  Tage  (dem  12.  Ver- 
suchstage) wurden  abermals  zwei  Wannenbäder  genommen. 
Am  Vormittag:  Dauer  des  Bades  60  Minuten  bei  einer  Wasser- 
temperatur von  43"  C,  Körpertemperatur  stieg  bis  40- 1",  zwei 
Stunden  nach  dem  Bade  1=37 -2".  Am  Nachmittage:  Dauer  des 
Bades  z=  60  Minuten,  Körpertemperatur  stieg  auf  39*  1",  zwei 
Stunden  nach  dem  Bade  =:  37  •  3".  Diesen  drei  Badetagen  folgten 
noch  vier  Normaltage  (Versuchstage  13 — 16).  Dienachfolgende 
Tabelle  enthält  die  bei  der  Stickstoffbestimmung  erhaltenen 
Werthe.  Die  für  die  Harnsäureausscheidung  erhaltenen  Zahlen 
sind  nicht  angegeben,  weil  die  in  diesem  Falle  für  die  Menge  der 


288 


£.  Formanek, 


ausgeschiedenen  Harnsäure  gefundenen  Werthe  auch  in  der 
Normalperiode  derart  bedeutend  variirten,  dass  denselben  keine 
Bedeutung  beigemessen  werden  konnte.  Der  Harn  dieses  Ver- 
suchsmannes, der  keinen  von  den  gewöhnlichen  bekannten, 
abnormen  Bestandtheilen  enthielt,  zeigte  die  bei  normalen 
Harnen  sonst  nie  zu  beobachtende  Eigenschaft,  dass  derselbe  die 
ammoniakalische  Silberlösung,  mit  welcher  die  Harnsäure  aus- 
gefällt wird,  reducirte  und  Schwefelsilber  auflöste,  woraus  eine 
Fehlerquelle  für  diese  Bestimmungen  der  Harnsäure  resultirte, 
die  durch  abermalige  Lösung  der  durch  Säure  bereits  abge- 
schiedenen Harnsäure  nicht  vollkommen  eliminirt  werden 
konnte,  und  die  auch  die  stark  variablen  Werthe  verschuldet 
haben  mag. 


Menge 

1 

1 

1 
1 

Ver-   1 
suchs- 
tage 

1 

Körper- . 

gewicht 

in  Kilo-  1 

gramm 

1 

Stick- 
stoff- 
Einfuhr  [ 

des 
Hames 

in 
Cubik- 
centi- 
metem 

Re- 

action 

Stick- 
stoff    ' 

im 
Harne 

Stick- 
stoff 

in 
Fäces 

Ge- 

sammt- 
Sück- 
stoff 

Bemer- 
kung 

i 

l 

65-500 

18  07 

1630 

sauer 

14  82 

1-61 

16  43 

1 

1 

2 

66  500 

18  07 

1840 

» 

14  91 

1-61 

16-52 

3 

66  000 

18-07 

2350 

neutral 

15-40 

1   61 

17-01 

4 

66  000 

18  07 

1660 

» 

16-20 

1-61 

17-81 

5 

66  000 

18  07 

1850 

> 

16  22 

1   61 

17-83 

6 

66-000 

18-07 

1500 

» 

15  30 

1-61 

16-91 

7 

66  000 

18-07 

1743 

» 

15  60 

161 

17-28 

! 

8 

66  000 

18-07 

1610 

> 

15  70 

1-61 

17-31 

.     9 

NÜttel 
l     9 

10 

66  000 

18-07 

1866 

sauer 

16  30 

1-61 
l   61 
1-61 

17-91 

66-000 

18-07 

1470 

15  60 

17-21 

18  07 

sauer 

16-20 

17  81 

1  Bad 

11 

65  500 

1807 

1420 

> 

16-30 

1  61 

17-91 

2  Bäder 

12 

65-500 

18-07 

1000 
1046 

neutral 

17-60 

1-61 

19-21 

2  Bäder 

1 

Mittel 
10-12 

18-07 
1807 

neutral 

16-70 

1-61 
1-61 

18  31 

1 

13 

66 • 000 

19-00 

20-61 

1 

14 

66  000 

18  07 

1730 

sauer 

18  66 

1-61 

20  27 

!    ir> 

66  000 

18  07 

1570 

» 

1610 

1-61 

17  71 

16 

Mittel 
13-16 

66-000 

18-07 

1840 

> 

15-60 

1   61 

17  21 

18  07 

17-34 

1   61 

18-95 

1 

Stickstoff-  und  Harnsäure-Ausscheidung.  289 

Die  bei  allen  drei  mitgetheilten  Versuchen  erhaltenen 
Resultate  können  dahin  zusammengefasst  werden,  dass  beim 
Menschen  nach  einem  heissen  Luft-  und  Dampfbade  die  Stick- 
stoffausscheidung, beziehungsweise  der  Stickstoffumsatz  nur 
in  sehr  geringem,  kaum  wahrnehmbarem  Masse,  nach  zwei 
solchen,  an  zwei  Tagen  genommenen  Bädern  dagegen  am 
zweiten  Badetage  schon  merklich  gesteigert  wird,  welche 
Steigerung  auch  noch  an  dem  nächstfolgenden  Tage  bemerk- 
bar ist. 

Dieselbe  Wirkung  hatten  auch  mehrere  kurz  nach  einander 
genommene  heisse  Wannenbäder. 

Was  die  Harnsäureausscheidung  anbelangt,  so  zeigte  die- 
selbe ein  gleiches  Verhalten  wie  die  Stickstoffausscheidung, 
d.  i.  beim  gesteigerten  StickstoflFumsatz  wurde  dieselbe  in 
gesteigertem  Masse  ausgeschieden. 

Diese  Resultate  stehen  mit  den  diesbezüglichen,  oben 
mitgetheilten  Angaben  früherer  Autoren  z.  Th.  in  Überein- 
stimmung, z.  Th.  im  Widerspruche.  In  mehreren  neueren 
.Arbeiten  wurde  versucht,  die  bestehenden  Widersprüche  auf 
diese  Weise  zu  lösen,  dass  man  behauptete:  die  Versuche, 
welche  zu  entgegengesetzten  Resultaten  führten,  seien  nicht 
beweisend,  da  die  insbesondere  bei  älteren  Versuchen  ange- 
wandten Methoden  der  Stickstoff-  und  Harnstoffbestimmung 
nicht  fehlerfrei  waren,  und  da  bei  diesen  Versuchen  die 
Nahrungs-,  beziehungsweise  Stickstoffaufnahme  nicht  con- 
trolirt  wurde,  so  dass  während  der  Badeperiode  eventuell  mehr 
oder  weniger  Stickstoff,  als  in  der  Normalperiode  eingeführt 
und  daher  auch  ausgeschieden  wurde.  Es  mag  sein,  dass 
diese  Umstände  an  den  erhaltenen  Resultaten  z.  Th.  Schuld 
tragen,  es  dürfte  aber  schwer  fallen,  diese  Verhältnisse  nur  auf 
diese  Weise  zu  erklären,  da  auch  neuere  Untersuchungen,  die 
anscheinend  correct  durchgeführt  wurden,  denn  doch  ent- 
gegengesetzte Resultate  lieferten.  Es  müssen  daher  wohl  noch 
andere  Momente  im  Spiele  sein. 

Von  diesen  kommt  zunächst  die  Höhe  und  die  Dauer  der 
Körpertemperatursteigerung  in  Betracht.  Ist  die  Körpertempera- 
tur nur  während  kurzer  Zeit  und  nicht  bedeutend  gesteigert^  so 
macht  sich  der  Einfluss  dieser  Steigerung  kaum  geltend ;  ist 


290  E.  Formanek, 

dieselbe  aber  intensiver  und  länger  andauernd,  so  trifft  dieser 
Einfluss  deutlich  hervor.  Auf  diesen  Umstand  machte  schon 
Richter  (I.  c.)  aufmerksam,  und  unsere  Versuche  bestätigen 
diese  Annahme.  Versuch  I,  wo  nur  ein  Bad  genommen  wurde, 
war  beinahe  ganz  negativ,  während  die  zwei  übrigen  Versuche 
ein  positives  Resultat  ergaben. 

Ein  warmes  Bad  veranlasst  nur  eine  relativ  unbedeutende 
Steigerung  der  Körpertemperatur,  wie  auch  aus  den  Versuchen 
von  Makowiecki  hervorgeht,  und  der  normale  Zustand  stellt 
sich  sehr  bald  ein. 

Es  muss  daher  die  Wirkung  eines  Bades,  die  für  gewöhn- 
lich unbedeutend  ist  und  rasch  vorübergeht,  von  der  Wirkung 
einer  andauernden  Körpertemperatursteigerung  strenge  ge- 
schieden werden. 

Ferner  scheint  es  zweifellos,  dass  bei  diesen  Versuchen 
die  Individualität  eine  grosse  Rolle  spielt.  Derselbe  Experi- 
mentator, Richter,  konnte  bei  Kaninchen  keine  entscheidende, 
beim  Hunde  dagegen  eine  ganz  zweifellose  Steigerung  des 
Stickstoffumsatzes  bei  derselben  Versuchsanordnung  durch 
Steigerung  der  Körpertemperatur  hervorrufen.  Es  gibt  daher 
wahrscheinlich  Individuen  mit  einem  mehr  stabilen  und  einem 
mehr  labilen  Stickstoffgleichgewichte,  und  zwar  nicht  nur  je 
nach  der  Species,  sondern  auch  innerhalb  einer  und  der- 
selben. 

Diese  Umstände  würden  die  jetzt  bekannten  Beobachtun- 
gen, dass  das  eine  Mal  keine,  das  andere  Mal  aber  eine 
bedeutende  Steigerung  des  Stickstoffumsatzes  durch  Bäder 
hervorgerufen  wird,  vollkommen  zwangslos  erklären. 

Es  bleiben  aber  noch  zwei  Beobachtungen  übrig,  die  denn 
doch  problematisch  erscheinen,  nämlich  die  Beobachtungen 
von  Koch  (1.  c.)  und  Makowiecki  (1.  c),  dass  nach  Bädern 
sogar  Herabsetzung  des  Stickstoffumsatzes  platzgreifen  kann. 
Koch  constatirte  allerdings  nur  eine  so  unbedeutende  Minder- 
ausscheidung des  Stickstoffes,  dass  ein  sicherer  Schluss  auf 
die  Verminderung  des  Stickstoffumsatzes  nicht  gezogen  werden 
kann. 

Die  von  Makowiecki  erhaltenen  Zahlen  sind  wenigstens 
z.  Th.  auch  nicht  entscheidend,  so  ist  namentlich  im  Versuche 


Stickstoff-  und  Harnsäure -Ausscheidung.  291 

Nr.  4  (vergl.  oben)  eine  solche  Minderausscheidung  des  Stick- 
stoffes gar  nicht  vorhanden. 

Die  Versuche  Nr.  3  und  5  gestatten  diesbezüglich  auch 
keinen  Schluss,  da  in  der  Badeperiode  weniger  Stickstoff  ein- 
geführt wurde  als  in  der  Normalperiode,  und  in  Folge  dessen 
musste  auch  die  Stickstoffausscheidung  heruntergehen. 

Dagegen  scheint  der  Versuch  Nr.  1  für  eine  Herabsetzung 
des  Stickstoffumsatzes  zu  sprechen,  obzwar  in  der  der  Bade- 
periode nachfolgenden  Normalperiode  auch  weniger  Stickstoff 
ausgeschieden  wurde,  als  in  der  ersten  Normalperiode.  Im 
Versuche  Nr.  2  ist  diese  Herabsetzung  auch  nur  wenig  ausge- 
sprochen. Für  den  Fall,  dass  eine  Herabsetzung  des  Stickstoff- 
umsatzes wirklich  statt  hat,  dürfte  die  von  Richter  heran- 
gezogene Erklärung  am  wahrscheinlichsten  sein,  dass  es  sich 
um  eine,  in  Folge  der  Körpertemperatursteigerung  auftretende 
compensatorische  Minderersetzung  von  Organeiweiss,  die  die 
Mehrzersetzung  sogar  übercompensirt,  handelt. 

Mit  Rücksicht  auf  die  Beobachtung  von  Prof.  Horba- 
czewski,  *  der  nach  einem  heissen  Bade  eine  Vermehrung  der 
weissen  Blutkörperchen  im  Blute  fand,  wurde  auch  das  Ver- 
halten der  Blutkörperchen  unter  dem  Einflüsse  der  Bäder  in 
den  ersten  zwei  Versuchen  untersucht.  Die  Zählung  wurde 
kurze  Zeit  vor  dem  Bade  und  gleich  nach  demselben  nach 
Thoma-Zeiss  vom  Laboratoriumsassistenten  Herrn  Dr.  Mra- 
zek  vorgenommen.  In  beiden  Fällen  ergab  sich  ein  relatives, 
ziemlich  bedeutendes  Ansteigen  der  Leukocytenzahl  nach  dem 
Bade,  wie  aus  Folgendem  hervorgeht,  wobei  sich  die  Zahlen 
auf  1  mm^  Blut  beziehen. 

Verhältniss 
Versuch  I.  der  weissen 

zu  den 
rothen : 

1  :  1007 


Vor  dem  Bade:  rothe  Blutkörperchen 

weisse  » 

Nach  dem  Bade:  rothe  » 

weisse  » 


5,037.500> 
5.000( 

5,025.000/ 
7.100» 


1  :70; 


^  Sitzungsber.  der  kais.  Akademie  in  Wien,  1891,  April. 


292 


E.  Formanek,  Stickstoff-  und  Harnsäure-Ausscheidung. 


Versuch  II. 

I.  Bad. 

Vor  dem  Bade:  rothe  Blutkörperchen: 

weisse  » 

Nach  dem  Bade:  rothe  »  : 

weisse  »  : 


4,325.000) 
4.450i 

4,682.000) 
6.800) 


Verhältniss 

der  weissen 

£u  den 

rothen : 

1  :931 


1  :688 


IL  Bad. 

Vor  dem  Bade:  rothe  Blutkörperchen 

weisse  » 

Nach  dem  Bade:  rothe  » 

weisse  » 


^■"3  ■  ■  - 


Das  Verhältniss  der  weissen  Blutkörperchen  in  den  rothen 
steigt  daher  nach  dem  Bade,  es  handelt  sich  daher  um  einen 
relativen  Mehrgehalt  des  Blutes  an  Leukocyten.  Wieso  diese 
Steigerung  der  Leukocytenzahl  im  Blute  unter  dem  Einflüsse 
der  Bäder  zu  Stande  kommt,  ist  vorläufig  schwer  zu  ent- 
scheiden, allem  Anscheine  nach  handelt  es  sich  um  eine  An- 
häufung derselben  im  Blute. 


293 


Über  Sarkolyse  beim  Mensehen 

(Vorläufige  Mittheilung) 


von 


Dr.  Josef  Schaffer, 

I  Assistenten  am  histologischen  Institute  der  k.  *.  Universität  in  Wien. 

I 

(Vorgelegt  in  der  Sitzung  vom  12.  Mai  1892.) 

i 

I  Untersucht  man  die  quergestreifte  Muscuiatur  menschlicher 

Embryonen  zwischen  der  10.  bis  16.  Woche  an  Schnitten  oder 

Isolationspräparaten,  so  wird  man  in  derselben  auf  eine  Reihe 

eigenthümlicher  Gebilde  stossen,  welche  theils  schon  bekannt 

I        und  vielfach  beschrieben,  im  Ganzen  aber  noch  nie  in  ihren 

I        richtigen,  genetischen  Zusammenhang  gebracht  worden  sind. 

j        Derselbe  wird  an  Isolationspräparaten  viel  schwerer  erkannt, 

I        als  an  Schnitten,  welche  die  Verhältnisse  in  situ,  die  einzelnen 

1        Formen,  wie  man  sie  auseinander  entstanden  annehmen  muss, 

I        nebeneinander  zeigen  und  kann  daher  bei  dieser  Untersuchung 

erstere  Methode  nur  zur  Controle  dienen.  Um  die  angeführte 

Zeit  sind  die  Muskelfasern  noch  hohle  Cylinder,  deren  Mantel 

von  einer  einfachen,  meist  aber  schon  doppelten  Reihe  von 

,Primitivfibrillen"   gebildet  wird,  während  die  Achse  des  Cy- 

linders  von  den  ovalen,  in  gewissen  Abständen  längsgereihten 

Kernen  und  der  zu  diesen  gehörigen,  protoplasmatischen  Masse 

ausgefüllt  wird,  aus  welcher  sich  eben  die  contractilen  Fäser- 

chen  heraus  dififerenziren.   Ein  Sarkolemm  ist  um  diese  Zeit 

noch  nicht  vorhanden. 

Während  man  also  bei  mittlerer  Einstellung  auf  eine 
solche  Faser  in  ziemlich  weiten,  zwischen  10 — 86  |x  schwan- 
kenden Abständen  die  Achsenkerne  und  zu  beiden  Seiten  der- 
selben einen  Zug  quergestreifter  Fibrillen  wahrnimmt,  erscheinen 
die  Fasern   am   Querschnitt    als   zierliche   Punktkreise   oder 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Cl.;  Gl.  Bd.  Abth.  III.  20 


294  J.  Schaffer, 

-Ringe,  deren  Mitte  entweder  der  runde  Querschnitt  eines 
Kernes  oder  das  Bildungsplasma  einnimmt.  Den  Durchmesser 
dieser  Ringe  finde  ich  in  der  Nackenmusculatur  eines  12 — 13 
Wochen  alten,  in  Müller'scher  Flüssigkeit  erhärteten 
Embryos  im  Mittel  10  (jl,  in  der  Oberschenkelmusculatur  8{i 
betragen.  Zwischen  diesen  typischen,  embryonalen  Fasern 
sieht  man  fast  in  allen  untersuchten  Muskeln,  aber  an  ein- 
zelnen Stellen  zahlreich,  an  anderen  vereinzelt  Gebilde, 
welche  sich  als  mehr  oder  minder  veränderte  Fasern  erweisen. 

An  der  Musculatur  des  erwähnten  Embryo  kann  man  im 
Wesentlichen  Folgendes  beobachten:  Im  einfachsten  Falle 
umhüllt  der  unveränderte  Fibrillenmantel  eine  Säule  nahe,  bis 
zur  gegenseitigen  Berührung  aneinander  gerückter  Achsen- 
kerne. Dieser  Befund  ist  ein  seltener.  Meistens  zeigt  sich  der 
Fibrillenmantel  verändert,  und  zwar  in  der  Weise,  dass  er  in 
verschiedener  Ausdehnung  verdickte  Querscheiben  zeigt,  die 
durch  stärkeres  Lichtbrechungsvermögen  auffallen,  den  sonst 
geradlinigen  Contour  der  Faser  perlschnurartig  vorwölben  und 
der  Faser  ein  körniges  Aussehen  verleihen.  Diese  Verdickungen 
können  an  derselben  Primitivfibrille  sehr  nahe  aneinander 
rücken  und  endlich  zu  einem  längeren,  stäbchenförmigen 
Knoten  zusammenfliessen.  Aber  auch  die  Verdickungsknoten 
benachbarter  Fibrillen  können  theilweise  oder  die  ganze  Peri- 
pherie umfassend  verschmelzen,  so  dass  der  ganze  Fibrillen- 
mantel an  solchen  Stellen  an  Durchmesser  zunimmt  und  es  in 
der  Längsansicht  den  Anschein  hat,  als  wären  in  den  Faser- 
mantel stark  glänzende  Knoten  von  cubischer,  prismatischer 
oder  ovaler  Gestalt  oder  wulstförmige  Ringe  eingelagert  Am 
Querschnitt  erscheinen  die  Fasem  an  solchen  Stellen  bedeutend 
verdickt,  bis  zu  einem  Durchmesser  von  20 — 25  [i,  am  un- 
gefärbten Präparate  in  schwach  lichtbrechendem  Medium  stark 
glänzend  und  an  Stelle  der  zierlichen  Punktirung  ist  eine 
massige,  dicht  aneinander  gerückte  Felderung  getreten.  Der 
Länge  nach  werden  diese  Knoten  und  Ringe  stets  durch 
unveränderte  Fibrillenabschnitte  verbunden,  die  oft  allerdings 
auf  zarte  Querdurchgänge  reducirt  erscheinen. 

Schon  in  diesen  Stadien  kann  die  Faser  an  einer  solchen 
Verdichtungsstelle    ihre  Continuität    mit    der    unveränderten 


Sarkolyse  beim  Menschen.  295 

Faser  wenigstens  an  einem  Ende  aufgeben  und  wir  sehen 
dann  eine  unveränderte  Faser  mit  einem  solchen  eigenthümlich 
umgestalteten  Ende,  das  stets  noch  durch  eine  Kemsäule  aus- 
gezeichnet ist,  mitten  im  Muskel  frei  aufhören.  Am  häufigsten 
finden  sich  solche  Abschnitte  an  den  Ansatzenden  der  Fasern. 

An  anderen  Fasern  sind  die  Verdichtungsknoten  oder  die 
Verdichtungsringe  der  Länge  nach  miteinander  verschmolzen 
und  machen  solche  Stellen  in  ersterem  Falle  den  Eindruck, 
als  sei  die  Faser  in  dicke,  homogenisirte  Muskelsäulchen 
zerspalten,  während  sie  in  letzterem  Falle  als  dicke,  längs- 
streifige, spindelförmige  Umhüllung  der  Achsenkeme  erscheint, 
die  an  Eosin-Hämatoxylin-Präparaten  durch  eine  intensivere 
Eosinfarbung  auffallt.  In  einzelnen  dieser  spindelförmigen 
Verdickungen,  welche  an  einem  ihrer  Enden  meist  noch 
isolirte  Verdichtungsknoten  zeigen,  sind  die  Kerne  durch 
stärkere  Färbbarkeit  und  Querstellung  auffallend.  Neben  der 
Längsstreifung  können  solche  Achsenkernspindeln  noch  eine 
Querstreifung  zeigen,  welche  aber  mit  der  normalen  Quer- 
streifung nur  insoferne  zusammenhängt,  als  sie  die  Grenzen 
der  aneinander  gerückten  Verdichtungsringe  andeutet.  Das 
Querschnittsbild  solcher  Stellen  ist  bereits  oben  besprochen; 
bei  fortschreitender  Homogenisirung  des  Fibrillenmantels  ver- 
schwindet auch  die  Felderung  desselben. 

So  veränderte  Faserabschnitte  können  nun  entsprechend 
den  Grenzflächen  der  Verdichtungsringe  in  kernhaltige  kürzere 
oder  längere  Bruchstücke  zerfallen  oder  dieser  Zerfall  betrifft 
nur  den  verdichteten  Fibrillenmantel,  der  sich  in  Form  kurzer, 
rinnen-  oder  halbröhrenförmiger  Bruchstücke  von  der  kern- 
haltigen, protoplasmatischen  Achse  loslöst  und  welche  als 
mannigfach  gestaltete,  zunächst  stets  scharfkantige  Fragmente 
zwischen  die  Fasern  zu  liegen  kommen. 

Hier  erleiden  sie  einen  Einschmelzungsprocess,  der  sich 
durch  Abrundung  ihrer  Kanten  und  Ränder  und  durch  das 
Auftreten  eines  zarten,  in  Eosin  sich  rosafärbenden,  proto- 
plasmaartigen Hofes  um  dieselben  kundgibt. 

Solche  Gebilde  erscheinen  dann  als  zelienartige,  proto- 
plasmatische Massen,  welche  im  Innern  noch  stark  in  Eosin 
färbbare,  grössere  oder  kleinere,  mannigfach  gestaltete  Bruch- 

20» 


296  J.  Schaffer, 

Stücke  contractiler  Substanz  enthalten.  Dass  es  sich  nicht  um 
wirkliche  Zellen  handelt,  geht  aus  dem  häufigen  Mangel  eines 
Kernes  hervor,  öfter  kann  allerdings  bei  der  Entstehung  der 
Muskelbruchstücke  ein  Achsenkern  am  Rande  haften  bleiben 
oder  es  lagert  sich  ein  Bindegewebskern  an  diese  Gebilde  an, 
in  welchen  Fällen  das  täuschende  Bild  einer  kernhaltigen 
Zelle  mit  eingeschlossenen  Muskelbruchstücken  entsteht. 
Schliesslich  ist  es  nicht  undenkbar,  dass  auch  echte  Zellen, 
wandernde  Leukocyten  solche  kleinste  Fragmente  der  contrac- 
tllen  Substanz  in  ihren  Protoplasmaleib  aufnehmen. 

Die  morphologischen  Producte  dieses  Faserzerfalles  zeigen 
also  verschiedene  Formen,  welche  man  nach  dem  Vorschlage 
S.  Mayer's*  passend  als  freie  und  eingeschlossene  Sarkolyten 
bezeichnen  kann.  Letztere  wären  aber  wieder  zu  unterscheiden, 
je  nachdem  die  einschliessende  Protoplasmamasse  einen  Kern 
enthält  oder  nicht. 

Was  nun  die  Constanz  dieses  Befundes  anbelangt,  so 
glaube  ich  für  dieselbe  eintreten  zu  können,  nachdem  ich  die 
Beobachtungen  an  sieben  anderen  Embryonen  aus  der  10.  bis 
17.  Woche  wiederholt  und  auch  bei  Thierembryonen  analoge 
Vorgänge  gesehen  habe. 

Das  kann  ich  allerdings  nicht  behaupten,  dass  bei  der 
Resorption  einer  Faser  stets  der  oben  geschilderte  Vorgang 
eingehalten  wird ;  es  scheinen  da  viele  Modificationen  möglich 
zu  sein.  Auch  darf  man  nicht  erwarten,  in  jedem  Muskel  alle 
beschriebenen  Stadien  der  Sarkolyse  vorzufinden,  da  dieselbe 
allem  Anscheine  nach  eine  gewisse  Periodicität  besitzt,  die 
besonders  auch  dadurch  gekennzeichnet  ist,  dass  der  Process 
in  der  beschriebenen  Ausdehnung  und  Form  mit  dem  vierten 
Monate  sein  Ende  erreicht.  Bei  sechs  älteren  Embryonen  (aus 
dem  fünften  und  sechsten  Monate)  konnte  ich  nichts  derartiges 
mehr  beobachten.  Es  scheint  dies  mit  dem  Solidwerden  der 
Muskelfasern,  das  ja  auch  bei  verschiedenen  Muskeln  zu 
verschiedener  Zeit  eintritt,  zusammenzuhängen.  Dass  sich 
aber  auch  später  noch  sarkolytische  Vorgänge  an  den  Muskel- 


1  Einige  Bemerkungen  zur  Lehre  von  der  Rückbildung  quergestreifter 
Musculatur.  -  Zeitschrift  für  Heilkunde,  Bd.  VIII,  1887,  S.  187. 


Sarkolyse  beim  Menschen.  297 

lasem  abspielen,  ist  durch  zahlreiche  Befunde  erwiesen;  nur 
werden  dieselben  durch  die  veränderte  Form  der  Fasern  einen 
etwas  anderen  Verlauf  nehmen,  obwohl  die  einleitenden  Ver- 
änderungen, wie  ich  in  einer  späteren  ausführlicheren  Arbeit 
zu  zeigen  gedenke,  dieselben  sind,  wie  bei  den  frühembryo- 
nalen Fibrillenröhren. 

Kehren  wir  zur  Besprechung  der  letzteren  zurück,  so  ist 
man  oft  überrascht,  in  wie  grosser  Zahl  diese  sarkolytischen 
Fasern  auftreten.  Dieser  Umstand  gewinnt  noch  an  Bedeutung, 
wenn  man  den  Ort,  an  welchem  diese  rege  Sarkolyse  beob- 
achtet wird,  näher  in's  Auge  fasst.  Es  sind  dies  nicht  so  sehr 
die  mittleren  Partien  der  Muskelfasern  zwischen  Ursprung  und 
Ansatz,  sondern  gerade  die  letzteren  Stellen ;  so  sehe  ich  beim 
Ansatz  der  M.  pectorales  am  Brustbein,  an  den  Rippen  und 
an  der  Clavicula  beim  dem  Embryo  von  12 — 13  Wochen  fast 
sämmtliche  Fasern  sarkolytisch  verändert. 

Die  nachfolgenden  Bemerkungen  über  die  Bedeutung 
dieses  Vorkommens  kann  ich  vorläufig  nur  als  Vermuthungen, 
i  wenn  auch  manchmal  als  wohlbegründete  Vermuthungen  aus- 
!  sprechen.  Es  scheint,  dass  es  sich  hier  bei  raschem  Wachs- 
j  thum  und  dem  dadurch  bedingten  Auseinanderrücken  der 
Skelettheile  um  eine  typische  Loslösung  des  gleichsam  provi- 
I  sorischen  Muskelansatzes  handelt,  welche  von  einem  erhöhten 
I  Längenwachsthum  der  Muskelfaser  gefolgt  ist.  Was  den 
I  letzteren  Punkt  anlangt,  so  erinnere  ich  daran,  dass  bei  der 
oben  beschriebenen  Form  der  Sarkolyse  vielfach  nur  der  ver- 
änderte contractile  Mantel  der  Resorption  anheim  fallt,  während 
die  Achsenkeme  mit  ihrem  Bildungsprotoplasma  mit  dem 
unveränderten  Theile  der  Faser  in  Zusammenhang  bleiben 
kann.  Durch  dieselben  ist  einerseits  der  Weg  einer  neuen 
Fibrillenbildung  vorgezeichnet,  anderseits  das  Material  für 
dieselbe  geliefert.  Durch  Auseinanderrücken  der  eng  gedrängten 
Kerne  in  der  Längsrichtung  der  Faser  und  oberflächlicher 
Dififerenzirung  von  Fibrillen  aus  ihrem  Protoplasma  muss  die 
alte  Faser  ein  bedeutendes  Längenwachsthum  erfahren.  Dieser 
Wachsthumsmodus  würde  auch  die  bekannte  Verschiebung 
von  Muskelansätzen  an  Skelettheilen  leicht  verständlich 
machen;  anderseits  ist  die  Bedeutung  von  terminalen  Kern- 


298  J.  Schaff  er,  Sarkolyse  beim  Menschen. 

Wucherungen  für  das  Längenwachsthum  der  Muskelfasern 
von  verschiedenen  Seiten  betont  worden. 

Die  Berechtigung  dieser  Vorstellungen  muss  noch  durch 
eine  Reihe  eingehender  Untersuchungen  geprüft  werden;  so 
viel  scheint  mir  aber  schon  jetzt  sicher,  dass  imwachsenden 
Muskel  typischer  Weise  Einschmelzungs-  und 
Neubildungs Vorgänge  Hand  in  Hand  gehen,*  welche 
aufdie  endliche  Formgestaltung  des  Muskels  einen 
ähnlichen  Einfluss  haben,  wie  die  Resorption  und 
Apposition  bei  Wachsthum  und  Formgestaltung 
der  Knochen.  Selbstverständlich  muss  die  Sarkolyse  nicht 
von  einer  Neubildung  gefolgt  sein,  sondern  sie  kann  dort,  wo 
es  nothwendig  ist,  auch  zur  einfachen  Zerstörung  von  Muskel- 
fasern führen.  In  dieser  Hinsicht  dürfte  das  Studium  der  Ent- 
wicklung rudimentärer  Muskeln,  die  im  Embryo  angelegt 
werden,  später  aber  verschwinden,  von  Interesse  sein. 

Die  oben  angeführten  Thatsachen  sollen  in  einer  aus- 
führlichen Abhandlung  durch  Abbildungen  illustrirt  und  mit 
Berücksichtigung  der  Literatur  demnächst  ausgeführt  werden. 


1  Ich  hebe  hier  ausdrücklich  hervor,  dass  schon  S.  Mayer,  der  zuerst 
nachdrücklich  auf  diese  interessanten  Transformationsprocesse  in  unversehrten 
Geweben  aufmerksam  gemacht  hat,  der  Meinung  zuneigte,  >dass  auch  im 
Muskel  Vorgänge  sich  abspielen,  durch  welche  innerhalb  der  Grenzen  der 
Norm  vereinzelt  Muskelfasern  in  ihrer  normalen  Form  und  Zusammensetzung 
zeitweilig  eingeschmolzen  werden,  um  dann  in  der  Folge  wieder  einem  Neu- 
bildungsprocesse  anheim  zu  fallen.«  (Biolog.  Centralblatt,  IV.  Bd.,  Nr.  5, 
1884,  S.  135.) 


r 


299 


Pharmakologische  Untersuchungen  über 

Ketone  und  Acetoxime 


von 


Docent  Dr.  Heinrich  Paschkis  und  Dr.  Fritz  Obermayer. 

(Aus  dem  Laboratorium  für  medicinische  Chemie  der  k.  k.  Universität  in  Wien.) 

Seit  mehr  als  20  Jahren  sind  von  zahlreichen  Forschern 
mehr  oder  minder  werthvolle  Beiträge  zur  Kenntniss  von  einem 
anzunehmenden  Zusammenhang  zwischen  chemischer  Structur, 
beziehungsweise  Constitution  und  physiologischer  Wirkung 
einiger  Körper  geliefert  worden. 

Für  diesen  Zusammenhang  erscheinen  zunächst  besonders 
wichtig  die  Verschiedenheiten  in  der  Wirkung,  welche  sich 
durch  Veränderung  der  Constitution  eines  Arzneikörpers 
ergeben.  Ohne  auf  Vollständigkeit  in  der  Aufzählung  der  in 
neuester  Zeit  recht  zahlreich  gewordenen  Arbeiten  Anspruch 
zu  machen,  wollen  wir  von  den  bisher  untersuchten  Körpern 
als  für  unsere  vorliegenden  Untersuchungen  wichtig  erwähnen 
jene,  in  deren  Molekül  ein  oder  mehrere  Atome,  beziehungs- 
weise eine  oder  mehrere  Atomgruppen  substituirt  worden  sind. 

So  wurden  in  einem  Alkaloidmolekül  ein  oder  mehrere 
Atome H  durch  Alkoholradicale  ersetzt  (Crum  Brown,  Fräser, 
Buchheim  und  Schüler).  In  gewissen  basischen  Körpern 
(Piperinen  und  Tropeinen)  wurde  ein  Atom  H  durch  einen  Säure- 
rest ersetzt.  In  anderen  Alkaloiden  wurde  eine  HO-Gruppe  ent- 
weder durch  einen  Säurerest  oder  durch  eine  andere  Atomgruppe 


300  H.  Paschkis  und  F.  Obermayer, 

ersetzt  (Stolnikow).  In  aromatischen  Körpern  wurden  ein 
oder  mehrere  Wasserstoffatome  durch  Hydroxylgruppen  oder 
Alkoholradicale  substituirt. 

In  allen  diesen  Fällen  sah  man,  dass  die  Wirkung  der 
neugebildeten  Körper  von  den  ursprünglichen  Substanzen  in 
anscheinend  gesetzmässiger  Art  unterschieden  war. 

Es  sind  aber  auch  Beispiele  von  einzelnen  (homologen) 
Reihen  bekannt,  bei  denen  eine  Grundwirkung  zugleich  mit 
der  Zunahme  des  Moleculargewichtes  nicht  qualitativ,  aber 
quantitativ  verändert  wurde  (einsäurige  Alkohole,  Pyridin- 
reihe  etc.). 

Um  vielleicht  einigen  Aufschluss  über  diesen  Zusammen- 
hang zu  erhalten,  untersuchten  wir  die  Gruppe  der  Acetoxime, 
welche  aus  mehrfachen  Gründen  uns  dafür  geeignet  erschien. 
Zunächst  dachten  wir  daran,  dass  ebenso  wie  durch  gewisse 
chemische  Agentien  aus  diesen  Körpern  Hydroxylamin  abge- 
spalten wird,  derselbe  Process  sich  vielleicht  allmählich  im 
thierischen  Organismus  vollziehe.  Es  könnte  also  Hydroxyl- 
amin, welches  schon  in  geringer  Quantität  eine  bekannte,  sehr 
energische  Wirkung  auf  den  Organismus  übt,  frei  und  wirksam 
werden. 

Ferner  war  bei  diesen  Körpern  als  Isonitrosoderivaten  der 
Methanreihe  der  Einfluss  des  Ersatzes  eines  Wasserstoff- 
atomes  durch  die  Oximidogruppe  NOH  zu  studiren. 

Schliesslich  waren  hiebei  auch  Körper  einer  homologen 
Reihe  zu  untersuchen. 

Die  Acetoxime  gehen  aus  der  Verbindung  von  Ketonen 
mit  Hydroxylamin  hervor.  Sie  sind  als  Isonitrosoderivate  auf- 
zufassen 

(CH3),C0  -h  NHjOH  =  (CH3)jCN0H  -h  H^O. 

Zur  Darstellung  genügt  es  in  der  Regel,  das  in  einem 
geeigneten  Lösungsmittel  gelöste  Keton  mit  Hydroxylamin  zu 
versetzen,  welches  aus  dem  salzsauren  Salze  durch  Alkali  in 
Freiheit  gesetzt  wurde.  Die  erhaltenen  Acetoxime  werden  dann 
umkrystallisirt  oder  in  anderer  Weise  gereinigt.  Alkalische 
Reductionsmittel  wirken  auf  dieselben  nicht  ein;  von  Säuren 
werden  sie  wieder  in  Hydroxylamin  und  Ketone  zerlegt. 


Ketone  und  Acetoxime.  301 

Aceton  qii/^0. 

Die  Wirkung  dieses  Körpers  ist  von  zahlreichen  Forschern 
studirt  Bei  den  diesbezüglichen  Versuchen  wurde  das  Aceton 
zumeist  zur  Inhalation  verwendet  (Kruska,  Tapp  einer,  Pen- 
zoldt),  stomachal  applicirt  (Albertoni)  und  endlich  subcutan 
verabreicht  (Kussmaul,  Penzoldt,  de  Gennes).  An  Fröschen, 
Kaninchen  und  Meerschweinchen  wurde  Narkose  beobachtet, 
an  Hunden  wird  Pulsbeschleunigung  (von  Kussmaul),  Blut- 
drucksteigerung und  Verminderung  der  Herzfrequenz  (von 
Tapp  einer)  angegeben.  Intravenöse  Injectionen  finden  sich 
in  der  Literatur  nicht  verzeichnet.  Unsere  Versuche,  welche 
wir  allerdings  nur  im  Hinblicke  auf  das  sofort  zu  besprechende 
Acetoxim  anstellten,  ergaben,  dass  Dosen  von  0-03 — 0*50  auf 
Frösche  gar  keine  Wirkung  hervorbringen.  Bei  einem  Hunde 
bewirkten  2' lg  intravenös  applicirt  keine  Veränderung  der 
Herzfrequenz,  und  unter  Schwankungen  eine  kleine  Steigerung 
des  Blutdruckes.  * 

Acetoxim  ^jj^^CNOH. 

Dieser  Körper,  auch  Isonitrosopropan  (CH3),CN0H,  wird 
dargestellt  durch  Mischen  von  Aceton  mit  wässeriger  Hydroxyl- 
aminlösung,*  die  Flüssigkeit  wird  mit  Äther  geschüttelt;  nach 
dem  Verdunsten  des  abgezogenen  Äthers  verbleibt  die  Substanz 
in  Form  weisser,  prismatischer  Krystalle.  Dieselben  sind  schon 
bei  gewönlicher  Temperatur  sehr  flüchtig,  riechen  nach  Chloral 
und  sind  in  Wasser,  Alkohol  und  Äther  leicht  löslich.  Acetoxim 
zerfällt  beim  Kochen  mit  concentrirter  HCl  in  Aceton  und 
Hydroxylamin,  welche  Zersetzung  auch  durch  saure  Reduc- 
tionsmittel  stattfindet;  durch  alkalische  Reductionsmittel  wird 
es  nicht  zersetzt. 

Das  Acetoxim  brachte  beim  Frosche  zu  0*06  Narkose 
hervor,  welche  in  5  Stunden  wieder  schwand.  0  *  03  Hydroxylamin 


1  Die  Blutdrucksversuche  haben  wir  mit  gütiger  Erlaubniss  des  Herrn 
Prof.  Stricker  in  dessen  Institute  ausgeführt. 

2  V.  Meyer,  Janni.  Bericht  der  deutsch,  ehem.  Gesellsch.  XV,  1324. 


302  ff.  Paschkis  und  F.  Obermayer, 

bewirkten  in  3  Minuten  Narkose,  in  10  Minuten  den  Tod  von 
Fröschen;  deren  Blut  chocoladebraun;  Methämoglobinbildung. 
Eine  concentrirte  wässerige  Lösung  hatte,  auf  das  freigelegte 
Herz  eines  Frosches  aufgeträufelt,  keine  Wirkung.  Ein  Frosch 
in  ein  Becherglas  gesetzt,  auf  dessen  Boden  sich  0*3  Acetoxim 
befanden,  war  in  24  Stunden  vollkommen  narkotisirt,  in 
48  Stunden  todt. 

Beim  Meerschweinchen  brachten  0*5  leichte  Narkose  mit 
lähmungsartiger  Schwäche  hervor,  welche  Erscheinungen  aber 
schon  am  nächsten  Tage  verschwunden  waren.  Einem  grossen 
weiblichen  Meerschweinchen  wurde  0-5  in  2cm'  H^O  gelöst 
subcutan  injicirt.  Nach  17  Minuten  ist  das  Thier  unsicher  auf 
den  Hinterbeinen  und  fällt  beim  Putzen  auf  die  Seite;  nach 
weiteren  13  Minuten  liegt  es  an  der  Wand  des  Käfigs,  schläft 
mit  geschlossenen  Augen,  aufgescheucht  zieht  es  die  hinteren 
Extremitäten  nach  und  taumelt.  Auch  in  den  nächsten  20  Minu- 
ten kann  es  sich  nicht  aufrecht  erhalten  und  schwankt  bei  dem 
Versuche  sich  fortzubewegen.  Nach  weiteren  30  Minuten  sitzt 
es  ruhig,  ist  schwer  zu  bewegen,  den  Platz  zu  verlassen, 
schliesst  die  Augen  und  bleibt  so  ruhig  bis  3  Stunden  nach 
Beginn  des  Versuches.  Am  nächsten  Tage  ist  das  Thier  wieder 
normal. 

lg  der  Substanz  in  H^O  gelöst  und  subcutan  injicirt,  war 
bei  einem  Hunde  von  3*3^^  vollständig  wirkungslos;  ebenso- 
wenig Wirkung  zeigten  2^  stomachal  applicirt.  Auf  den  Blut- 
druck waren  1  *  5^  intravenös  injicirt,  wie  aus  folgender  Tabelle 
ersichtlich  ist,  ohne  Wirkung: 

OM'B.D.  ISOwwHg 


1-5' 

180 

I.Inj.  (0-5in5H,O) 

2-5 

190 

2.  » 

3 

172 

3.  » 

4 

162 

5 

154 

6 

150 

8-5 

150 

12-5 

150 

Ketone  und  Acetoxime.  303 

Der  Puls  schwankte  während  der  Versuchsdauer  von 
156—168.  In  dem  Blute  der  injicirten  Thiere  konnte  spectro- 
skopisch  Methämoglobin  nicht  nachgewiesen  werden. 

Diaethylketon  qii/CO. 

Dasselbe  ist  eine  leicht  bewegliche  Flüssigkeit  von  ange- 
nehmem, etwa  an  Essigäther  erinnerndem  Gerüche,  Siede- 
punkt 101.  Es  ist  in  24  Theilen  H^O  löslich.  Über  eine  Wir- 
kung dieser  Substanz  ist  uns  aus  der  Literatur  nichts  bekannt 
geworden. 

Beim  Frosch  bewirken  0*05  in  verdünntem  Alkohol  gelöst 
und  subcutan  injicirt  nach  7  Minuten  Narkose,  Erlöschen  des 
Comealreflexes  und  nach  5  Stunden  Tod. 

0*8^  einem  Hunde  (von  4:kg)  subcutan  injicirt,  erzeugen 
nur  geringe  Erscheinungen:  häufiges  Niesen  und  26  Minuten 
nach  der  Injection  deutlichen  Geruch  der  Exhalationsluft  nach 
Diäthylketon.  In  dem  Verhalten  des  Hundes  war  mehrere 
Stunden  nach  der  Injection  nichts  Auffallendes  zu  bemerken. 

Bei  der  intravenösen  Injection  von  0-5  Diäthylketon  zeigte 
sich  ein  sehr  geringes  Ansteigen  des  Blutdruckes. 

Rattler  (4ft^). 

0*^1'       B.  D.  100  fww  Hg  Inj.  0-5 

4  112  Exspir.-Luft  riecht 

allmähliches  Ansteigen  bis 

8'       B.  D.  160  mm  Hg 

9  144 

9-15  164 

9-30  146 

12  156 

Diaethylacetoxim  q*j^^^NOH. 

Dieser  zuerst  von  Scholl  *  dargestellte  Körper  ist  ein  in 
Wasserunlösliches,  farbloses  öl  vom  Siedepunkt  162 — 163. 


1  Berichte  der  deutsch,  ehem.  Gesellsch.  XXI,  S.  509. 


304  H.  Paschkis  und  F.  Obermayer, 

0*06  (entsprechend  0-05  Keton)  in  verdünntem  Alkohol  gelöst 
und  einem  Frosche  subcutan  injicirt,  erzeugt  nach  1 1'  leichte 
Narkose  bei  Erhaltung  der  Reflexerregbarkeit;  das  Thier  erträgt 
die  Rückenlage,  nach  weiteren  9'  ist  die  Narkose  noch  deut- 
licher, die  Reaction  sehr  träge,  Cornealreflex  noch  erhalten. 
30'  nach  Beginn  des  Versuches  ist  auch  der  Cornealreflex 
geschwunden,  und  nach  weiteren  1 V2  Stunden  stirbt  das  Thier 
unter  zunehmenden  Lähmungserscheinungen. 

Ein  Meerschweinchen,  welchem  0*5  Diäthylacetoxim  sub- 
cutan injicirt  worden  waren,  zeigt  4'  nach  der  Injection  Benom- 
menheit bei  Erhaltung  des  Cornealreflexes  und  Seitenlage; 
Resp.  60;  Puls  arhythmisch;  nach  weiteren  9'  ist  Resp.  52, 
ebenfalls  arhythmisch;  in  weiteren  4'  Resp.  48,  Cornealreflex 
erloschen ;  im  weiteren  Verlaufe  werden  Respiration  und  Puls 
immer  langsamer,  die  erstere  stark  intermittirend  und  der 
Puls  sehr  arhythmisch.  Die  sensiblen  Reflexe  gering,  immer 
mehr  abnehmend.  1  ^  20'  nach  der  Injection  nach  einigen 
schnappenden  Athemzügen  Herzschlag  nicht  mehr  fühlbar: 
Exitus.  Bei  der  Section  ist  das  Herz  schlaff,  nicht  contrahirt, 
in  seinen  Höhlen  dunkles,  flüssiges  Blut,  welches  spectro- 
skopisch  kein  Methämoglobin  nachweisen  lässt. 

Eine  subcutane  Injection  von  0*8  Diäthylacetoxim  bei 
einem  Hunde  von  4kg  erzeugte  nach  16'  unsicheren  Gang, 
Schwanken,  namentlich  auf  den  Hinterbeinen,  starke  Auf- 
regung, Niesen.  Die  Exhalationsluft  riecht  nach  dem  Oxim. 
Innerhalb  der  nächsten  14'  nimmt  das  Schwanken  noch  immer 
zu,  nach  weiteren  8'  lebhafter  Bewegungstrieb.  Das  Thier  läuft 
unablässig  mit  unsicherem,  schwankendem  Gange  hin  und  her; 
der  Herzschlag  wegen  ausserordentlicher  Unruhe  des  Thieres 
nicht  zählbar;  das  Thier  ist  sehr  unruhig  und  zittert.  Eine 
Stunde  nach  der  Injection  werden  die  geschilderten  Erschei- 
nungen geringer;  der  Hund  frisst  und  säuft  und  ist  nach  kurzer 
Zeit  vollkommen  normal. 

Der  während  der  Versuchszeit  entleerte  Harn  reducirt 
Fehling'sche  Lösung  weder  in  der  Kälte,  noch  nachdem  der- 
selbe mit  Lauge  erwärmt  wurde. 

Intravenös  applicirt  bringt  das  Diäthylacetoxim  Sinken 
des  Blutdruckes  hervor. 


Ketone  und  Acetoxime.  305 

A.  Hund  4kg, 

8.0.1=152  Inj.  0-8. 
OM-5'      148 

3-5        94 

5-5        84 

7  •  5  Absinken  bis  zur  Abscisse.  Herz- 
lähmung. Im  Blut  kein  Methaemoglobin.  Deutlicher  Geruch 
nach  Oxim. 


0^ 


B. 

Hund.  5 

kg. 

1'   B 

.  D. 

106 

Inj.  0-16 

3 

94 

»   0-08 

4 

86 

5 

76 

5*5 

74 

.   0-08 

7 

70 

»   008 

7-5 

64 

10 

60 

11 

54 

12 

52 

16 

50 

CH     V 
Methylnonylketon  q  j|   ^CO. 

9         1  «I 


Bestandtheil  des  Öles  von  Ruta  graveoleus,  flüssig,  von 
angenehmem  Gerüche,  löst  sich  nicht  in  H^O.  Auch  über  diese 
Substanz  liegen  Versuche  noch  nicht  vor. 

Bei  der  subcutanen  Verabreichung  bringt  dasselbe  keine 
schweren  Erscheinungen  hervor;  beim  Hunde  sind  0-5  und 
rO  vollkommen  wirkungslos. 

Beim  Frosche  tritt  nur  eine  gewisse  Trägheit  und  geringere 
Reaction  gegen  Reize  ein,  welche  bei  der  Application  von 
0  016  nach  zwei  Tagen  wieder  verschwinden.  0*03  Methyl- 
nonylketon riefen  dieselben  Erscheinungen  schon  nach  einer 
Stunde  hervor;  am  nächsten  Tage  waren  bei  grosser  Träg- 
heit die  Reflexe  etwas  abgeschwächt,  der  Cornealreflex  aber 
noch  erhalten.  Die  Trägheit  dauerte  vier  Tage  an.   Bei  der 


306  H.  Paschkis  und  F.  Obermayer, 

intravenösen  Injection  bringt  die  Substanz  eine  vorübergehende 
starke  Erniedrigung  des  Blutdruckes  hervor. 

Hund  5' 2kg 

0^   V  vor  dem  Versuch  B.  D.  102 

4  B.  D.  1 12,  Inj.  von  0*32  Keton 

5  B.D.    60 
7  B.D.    40 

darauf  allmähliches  Ansteigen  bis 

10'  144.     Die     Exspirationsluft 

riecht  nach  dem  Keton. 

CH     V 
Methylnonylacetoxim  q  j|    yCNOH. 

y     IV 

Dieser  Körper  wurde  von  uns  nach  den  Angaben 
Spiegler's  *  dargestellt.  Die  Substanz  besteht  aus  wohl- 
ausgebildeten, nadeiförmigen,  in  Wasser  unlöslichen  Prismen 
mit  dem  Schmelzpunkte  42°. 

Zur  subcutanen  Injection  verwendeten  wir  eine  alkoholische 
Lösung,  zur  intravenösen  Injection  eine  Emulsion  mit  Gummi- 
schleim. Die  erstere  brachte  weder  beim  Hunde  zu  0'5  der 
Substanz,  noch  beim  Frosche  zu  0*03  besondere  Erschei- 
nungen hervor;  beim  Hunde  fehlten  sie  gänzlich,  beim  Frosche 
kam  es  nur  zu  vorübergehender,  geringer  Trägheit. 

Auch  intravenös  applicirt  scheint  die  Substanz  kaum  zu 
wirken. 

Hund  (5'2kgy 

OM'    B.D.  166  1  Inj. 

4  B.D.  186 

5  B.  D.  1 64  2  Inj.  [     0  7  im  Ganzen 

6  B.D.  120  /  injicirt. 
allmählich  bis84,  miteinzelnen  Arhythmieni 

8'     B.D.  140  3  Inj.  ' 


Es  tritt  also  nur  ein  vorübergehendes,  geringes  Sinken  des 
Blutdruckes  ein. 


1  Monatshefte  für  Chemie.  V.  242. 


Ketone  und  Acetoxime.  307 


CH   \. 
Methylphenylketon  (Acetophenon)  q  p|  yCO 


CR 

Diese  als  Hypnon  seinerzeit  zu  therapeutischen  Zwecken 
empfohlene  Verbindung  stellt  grosse  Krystallblätter  mit  dem 
Schmelzpunkte  20 -50.  dar.  *  Das  als  Hypnon  im  Handel  befind- 
liche Präparat  ist  ein  nahezu  farbloses  Öl  von  eigenthüm- 
Jichem  Gerüche. 

Aus  den  Untersuchungen,  welche  1885  und  1886  von 
Dujardin-Beaumetz  und  Bardet,  dann  von  Laborde,  von 
Mairet  und  Combemale,  endlich  von  Grasset  angestellt 
worden  sind,  ergibt  sich,  dass  diese  Substanz  bei  Thieren 
Betäubung,  Trägheit,  Coma  und  Tod  hervorbringt.  Bei  der 
intravenösen  Application  tritt  daneben  Sinken  des  Blutdruckes 
und  der  Herzthätigkeit,  Beschleunigung  und  Unregelmässigkeit 
der  Athembewegung  ein. 


CH   \ 
Methylphenylacetoxim  q  j|  yCNOH. 


CH, 

I 

Es  bildet  seidenglänzende  Nädelchen,  Schmelzpunkt  59**, 
I  welche  in  Alkohol  und  Äther  löslich  sind.  Beim  Frosche 
I  bewirkten  0*03^  in  50%  Alkohol  gelöst,  erst  nach  27,  Stunden 
leichte  Narkose  und  Fehlen  der  Reflexe,  bei  normalem  Herzen; 
0  05  bewirkten  schon  nach  6  Minuten  Betäubung,  und  nach 
19  Minuten  Narkose  mit  vollständigem  Erlöschen  der  Reflexe, 
ebenfalls  ohne  Beeinflussung  des  Herzens. 

Die  subcutane  Injection  von  0*  6  der  Substanz  brachte  beim 
Hunde  keine  Erscheinungen  hervor;  dieselbe  Menge  in  Emul- 
sion einem  Hunde  intravenös  beigebracht,  hatte  auch  keine 
nennenswerthe  Änderung  des  Blutdruckes  im  Gefolge. 

Laurineencampher  Ci^Hi^O. 

Da  derselbe  ketonartigen  Charakter  hat  und  sich  mit 
Hydroxylamin  zu  Campheroxim  verbindet,  wurde  er  gleichfalls 
in  den  Bereich  dieser  Untersuchungen  gezogen. 

Was  die,  aus  den  verschiedenen  Arbeiten  von  Hoffmann, 
Husemann,  Wiedemann  u.  A.  wohlbekannten  Wirkungen 
des  Camphers  betrifft,  so  waren  für  uns  von  Bedeutung  die  bei 


1  Beilstein  III,  S.  70. 


308  H.  Paschkis  und  F.  Obermayer, 

Fröschen  auftretende  allgemeine  Paralyse,  bei  welcher  jedoch 
zu  bemerken  ist,  dass  bei  diesen  Thieren  vor  der  Lähmung  auf 
Reizung  krampfhafte  Streckung,  jedoch  keine  allgemeine  Con- 
vulsionen  auftreten,  und  dass  die  Reflexe  lange  Zeit  energisch 
ausgelöst  werden.  Bezüglich  des  Kreislaufes  soll  der  Campher 
beim  Frosch  den  Herzmuskel  direct  erregen;  Wirkung  auf  das 
Herz  ist  bei  Säugethieren  nicht  nachweisbar;  über  eine  eventuell 
eintretende  Blutdrucksteigerung  sind  die  Angaben  (welche  sich 
zudem  nur  auf  die  Application  des  Mittels  in  den  Magen 
beziehen)  nicht  übereinstimmend. 

Campheroxim,  C,oH|qNOH. 

Dieser  Körper  stellt  lange,  farblose  Nadeln,  Schmelzpunkt 
115,  dar,  welche  in  Alkohol,  Äther,  Alkalien  und  Säuren  löslich 
sind.  Der  Geruch  soll  nachNägeli*  intensiv  campherähnlich 
sein;  wir  fanden  die  Substanz  nur  wenig  nach  Campher, 
dagegen  auch  in  sehr  verdünnten  Lösungen  deutlich  nach 
Lauch  riechend.  Beim  Erwärmen  mit  HCl  entsteht  ein  ange- 
nehmer Veilchengeruch.  Die  Angabe,  dass  das  Campheroxim 
in  Atzalkalien  löslich  ist,  ist  dahin  zu  verstehen,  dass  der  Körper 
nur  im  Überschuss  der  Lauge  gelöst  bleibt,  so  dass  also  der- 
artige Lösungen,  weder  für  die  subcutane,  noch  für  die  intra- 
venöse Application  verwendbar  sind.  Wir  haben  daher  zu 
unseren  Versuchen  theils  Lösungen  in  verdünntem  Alkohol, 
einmal  auch  in  Seife,  theils  Emulsionen  mit  Gummischleim 
benützt.  Schon  0*03  Campheroxim  führten  einmal  beim  Frosche 
in  12  Stunden  den  Tod  herbei;  Gaben  von  0*05,  0*06  wirken 
nicht  rascher,  aber  ebenfalls  tödtlich.  Bei  den  Fröschen  trat 
zuerst  nach  7« — 1  Stunde  eine  lähmungsartige  Schwäche  oder 
Narkose  ein,  darauf,  in  der  Regel  am  nächsten  Tage,  erhöhte 
Reflexerregbarkeit  bei  fortbestehender  Betäubung,  später 
tonische  und  klonische  Krämpfe,  welche  anfallsweise  unter 
heftigem  Schreien  und  Maulaufreissen  manchesmal  so  heftig 
auftraten,  dass  die  Thiere  schliesslich  auf  den  Rücken  fielen 
und  sich  nicht  mehr  aufrichten  konnten.   Die  Zehen  waren 


1  Beilstein  III,  275. 


Ketone  und  Acetoxime.  309 

krampfhaft  gebeugt,  die  Schwimmhäute  gespannt,  der  Kopf 
nach  vorne  abgebogen,  der  Bauch  kugelähnlich  aufgebläht; 
dabei  war  die  Respiration  angestrengt,  verlangsamt  und  aus- 
setzend. Allmählich  lassen  die  spontanen  Krämpfe  nach,  wobei 
aber  noch  immer  leichteZuckungen  in  den  verschiedenen  Muskel- 
gruppen auftreten  und  hie  und  da  durch  äussere  Reize  wieder 
Krämpfe  ausgelöst  werden  können.  Dieser  Zustand  dauert  oft 
tagelang  an.  Die  Thiere  werden  sehr  träge,  hüpfen  nicht, 
ziehen  die  Beine  nach,  nehmen  aber  auch  wieder  hie  und  da 
die  Hockstellung  ein.  Nach  4 — 5  Tagen  tritt  der  Tod  in 
Lähmung  ein. 

Bei  dem  Aufträufeln  einer  alkoholischen  Campheroxim- 
lösung  auf  das  blossgelegte  Herz  eines  Frosches  wurde  bis  auf 
eine  leichte  Verstärkung  der  Systole  und  eine  sehr  geringe 
Verlangsamung  der  Schlagfolge  nichts  Weiteres  beobachtet. 
Kleine  Gaben  bis  0  08  sind  auf  Meerschweinchen  ohne  Wir- 
kung. Grössere  Gaben,  wie  0*3  (in  alkoholischer  Lösung), 
bewirken  schon  nach  wenigen  (4)  Minuten  unsicheren  Gang, 
zuweilen  Aufdieseitefallen.  Sodann  tritt  grosse  Unruhe  und 
heftiger  Bewegungstrieb  auf,  welche  einige  Stunden  anhalten. 
Die  Thiere  fallen  auf  den  Rücken,  haben  leichte,  krampfhafte, 
aber  nur  einen  Augenblick  anhaltende  Zuckungen  in  den 
Extremitäten.  Der  Bewegungstrieb  nimmt  immer  mehr  zu,  die 
Thiere  sind  sehr  unruhig,  laufen  aufgeregt  umher,  senken  den 
Kopf  tief  nach  unten,  wie  Futter  suchend.  Bei  einem  Thiere 
beobachteten  wir  ein  krampfhaftes  Drehen  des  Kopfes  nach 
rechts,  worauf  auch  das  Thier  Drehbewegungen  nach  derselben 
Richtung  machte.  Ausserdem  treten  krampfhafte  Bewegungen 
in  verschiedenen  Muskeln,  namentlich  in  den  Halsmuskeln, 
Schütteln  und  Nicken  des  Kopfes  auf.  Hierauf  werden  die 
Thiere  ruhig,  sitzen  zusammengeknauert  und  schreien  hie  und 
da  erbärmlich  auf.  Die  Krämpfe  in  den  Muskeln  und  das 
Schreien  treten  anfallsweise  in  mehr  oder  weniger  grösseren 
Pausen  ein.  Innerhalb  24  Stunden  sterben  die  Thiere.  Die 
Section  ergibt  nichts  Besonderes.  Das  Herz  fest  contrahirt  und 
blutleer;  die  Vorhöfe  von  Blut  strotzend.  Das  Gehirn  normal; 
überall  deutlicher  Geruch  nach  Lauch;  im  Blute  spectroskopisch 
kein  Methämoglobin  nachweisbar. 

Sitzb.  d.  roathem.natunv.  Cl.;  CI.  Bd.,  Abth.  III.  21 


310  H.  Paschkis  und  F.  Obermayer, 

Beim  Hunde  hatten  Gaben  von  Y, —  Ig  subcutan  in 
Emulsion  applicirt  keinen  Einfluss.  Einem  3'3kg  schweren 
Hunde  wurden  0-5  Campheroxim  in  Emulsion  in  die  Jugularis 
injicirt. 

Blutdruck  bei  Beginn  \32mm  Hg.  Puls  104;  unmittelbar 
nach  der  Injection: 

10  See.  B.  D.  60 

0*^  2'  50 

4  60 

6  70  P.  152 

8  90 

10  100 

13  140 

15  170 

16-5  140  P.  150 

17  170  Arhythmien 

24  160  Vaguspulse 

24-5  200 

30  Vagi  durchschnitten,  P.  152, 

einzelne  Arhythmien 

31-15  174 

32-5  160  Injection  von  0*15 

33  Centrale  Vaguswirkung:  allmähliches 

Absinken  bis 

36  86  P.  108 

Vaguswirkung  hat  aufgehört.  Druck 
allmählich  steigend  bis 

37  116  Druckschwankungen 

41  84 

42  126  Athmung  sistirt 

43  104 

44  104  Athmung  wieder  eingeleitet  und  all- 

mählich Ansteigen  bis 
1 34  der  Druck  bleibt  innerhalb  der  nächsten 
10'  zwischen  100  und  134. 

Die  Resultate  sind  in  der  nachfolgenden  Tabelle  über- 
sichtlich zusammengestellt. 


Ketone  und  Acetoxime. 


311 


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Narkose,  Respir. 

und  Pulsver- 

langsamung, 

Tod 

Meer- 
schweinch 

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bung  mi 

Lähmungi 

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kung. Kleine 
Steigerung  des 
Blutdruckes 

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los, 0'5  intra- 
venös: geringe 
Drucksteigerung 

1  *  0  wirkungs- 
los, 0*32  intra- 
venös, vorüber- 
gehende, starke 

Erniedrigung 
des  Blutdruckes 

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(Aceton) 

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312 


H.  Paschkis  und  F.  Obermayer, 


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Ketone  und  Acetoxime.  313 

Die  gewonnenen  Versuchsresultate  können  von  ver- 
schiedenen Gesichtspunkten  aus  betrachtet  werden.  Als  der 
wichtigste  Punkt  ist  wohl  die  Thatsache  zu  bezeichnen,  dass 
den  Acetoximen  die  Wirkung  des  Hydroxylamins  vollkommen 
abgeht.  Es  wäre  nämlich  denkbar  gewesen,  dass,  ebenso  wie 
beim  Erwärmen  mit  HCl  im  Reagensglas  eine  Abspaltung  von 
Hydroxylamin  eintritt,  ein  ähnlicher  Vorgang  auch  im  lebenden 
Organismus  vor  sich  gehen  könnte.  Das  Hydroxylamin  hat, 
wie  bekannt,  schon  in  sehr  geringen  Gaben  eine  deutlich  aus- 
gesprochene Wirkung.  Zu  den  wichtigsten  und  am  meisten 
charakteristischen  Erscheinungen  derselben  gehört  die  Ver- 
änderung des  Blutes,  das  Auftreten  von  Methämoglobin.  In 
keinem  unserer  Thierversuche,  welche  wir  mit  den  Acetoximen 
anstellten,  konnten  wir  diese  Veränderung  des  Blutfarbstoffes 
nachweisen. 

Sodann  ist  hervorzuheben,  dass  den  Ketonen  im  Allge- 
meinen jene  Wirkungen  zukommen,  welche  für  die  Gruppe  des 
Alkohols  eigenthümlich  sind:  Narkose  und  Herabsetzung  des 
Blutdruckes.  Wie  ersichtlich,  ist  die  Wirkung  der  einzelnen 
Glieder  dieser  Reihe  nicht  gleich  und  es  scheint,  als  wenn  die 
Stärke  der  Wirkung  zunächst  mit  der  Zunahme  des  Molecular- 
gewichtes  wachsen  würde.  Dass  dieses  letztere  nicht  aus- 
schliesslich massgebend  ist,  zeigt  das  Methylnonylketon,  und 
wir  glauben  in  diesem  Falle  nicht  fehlzugehen,  wenn  wir  die 
DiflFerenzen  in  dem  Grade  der  Wirkung  auch  auf  die  Anwesen- 
heit der  verschiedenen  Alkylgruppen  in  dem  Moleküle  beziehen. 

Es  dürfte  sich  hier  um  ähnliche  Verhältnisse  handeln,  wie 
sie  Baumann  für  die  Sulfone  festgestellt  hat  So  wie  in  diesen 
Körpern  die  Wirkung  von  der  Anwesenheit  und  Menge  der 
Äthylgruppen  abhängig  ist,  so  scheint,  wie  aus  dem  Vergleiche 
der  Wirkung  von  Dimethylketon  und  Diäthylketon  hervorgeht, 
auch  hier  ein  ähnliches  Verhalten  obzuwalten. 

Was  nun  die  Acetoxime  betrifft,  so  ist,  wie  schon  oben 
gesagt,  von  einer  Hydroxylaminwirkung  nicht  die  Rede  und 
man  kann  sagen,  dass  sie  sich  im  Allgemeinen  in  ihren 
Wirkungen  der  Gruppe  des  Alkohols  anschliessen,  indem 
Narkose  (hie  und  da  auch  Rausch)  und  Herabsetzung  des  Blut- 
druckes eintreten.   Daneben  gilt  bei  ihnen  dasselbe  über  die 


314        H.  Paschkis  und  F.  Obermayer,  Ketone  und  Acetoxime. 

Moleculargrösse  und  die  Bedeutung  der  einzelnen  Alkylgruppen, 
was  wir  eben  bei  den  Ketonen  bemerkt  haben. 

Der  Eintritt  der  Oximidogruppe  in  das  Keton  hat  keinen 
nennenswerthen  Einfluss  auf  die  Wirkung.  Nur  beim  Campher 
tritt  eine  Änderung  insofeme  auf,  als  beim  Frosche  und  beim 
Meerschweinchen  die  erregende  Wirkung  die  lähmende  über- 
trifft. Beim  Hunde  bleibt  das  Campheroxim,  wie  so  häufig  auch 
der  Campher,  wenigstens  bei  subcutaner  Application,  ohne 
Wirkung.  Erwähnt  zu  werden  verdient  hier  noch  die  vorüber- 
gehende Blutdruckherabsetzung,  während  beim  Campher  auch 
bei  curarisirten  Säugethieren  Drucksteigerung  angegeben  wird. 

Die  Constitution  des  Acetoxim,  welches  auch  als  Isoni- 
trosopropan  aufgefasst  werden  kann,  veranlasste  uns  auch 
einen  nahestehenden  Körper,  das  Isonitrosoaceton,  einer 
Untersuchung  zu  unterziehen.  Dieselbe  ist  noch  nicht  abge- 
schlossen, jedoch  können  wir  schon  jetzt  sagen,  dass  ganz 
wesentliche  Unterschiede  vorhanden  sind  und  dass  das  Isoni- 
trosoaceton auch  weit  giftiger  ist  als  das.  Isonitrosopropan. 


315 


Über  das  Verhalten  derprotoplasmaarmenund 
protoplasmareichen,  quergestreiften  Muskel- 
fasern unter  pathologfisehen  Verhältnissen 

von 

Ph.  Knoll  und  Dr.  A.  Hauer. 

(Mit  8  Tafeln.) 
(Vorgelegt  in  der  Sitzung  am  10.  MSrz  1892.) 

Über  die  wichtigsten  der  in  den  nachfolgenden  Blättern 
eingehender  darzulegenden  Thatsachen  hat  der  erstgenannte 
der  beiden  Verfasser  schon  im  Jahre  1889  bei  der  Naturforscher- 
versammlung in  Heidelberg  kurz  berichtet.  (1).  Die  eingehenden 
Studien,  die  derselbe,  im  Anschlüsse  an  die  Beobachtung  jener 
Thatsachen,  über  das  Vorkommen  und  die  functionelle  Bedeu- 
tung der  protoplasmaarmen  und  protoplasmareichen  Musculatur 
in  der  Thierreihe  anstellte;  (2).  sowie  der  Wunsch  bei  einer  Reihe 
weiterer  Versuche  die  Stichhaltigkeit  seiner,  in  der  Discussion 
bei  der  Heidelberger  Versammlung  stark  angefochtenen  Behaup- 
tung, dass  es  nach  Nervendurchschneidung  zu  einer  Einwan- 
derung farbloser  Rundzellen  in  die  Muskelfasern  kommen  kann, 
und  dass  auf  diese  Weise  Muskelzellenschläuche  entstehen 
können,  noch  einmal  zu  prüfen,  verzögerten  die  vorliegende 
Mittheilung  so  sehr. 

Den  Ausgangspunkt  für  die  fragliche  Untersuchung  bildete 
die  Beobachtung,  dass  in  der  Musculatur  der  Haustaube  bei  der 
Inanition  an  den  »interstitiellen  Körnern«  (Kölliker)  Ver- 
änderungen eintreten,  welche  den  Gedanken  nahe  legten,  dass 
ein  wesentlicher  Theil  der  Stofifwechselvorgänge  in  der  Muscu- 
latur sich  an  diesen,  in  eipem  Theile  der  Musculatur  weit  zahl- 
reicher als  im  anderen,  auftretenden  Körnern  vollziehe  (3). 


316  Ph.  KnoU  und  A.  Hauer, 

Die  Absicht,  das  Verhalten  der  »interstitiellen  Körner«  unter 
verschiedenen,  den  Stoffwechsel  der  Muskeln  verändernden 
Bedingungen  ins  Auge  zu  fassen,  wurde  schon  damals  bei 
Mittheilung  jener  Beobachtung  ausgesprochen  (3,  S.  42),  durch 
andere  Arbeiten  aber  in  den  Hintergrund  gedrängt 

Das  Interesse  an  dieser  Frage  aber  war  mittlerweile  durch 
die  an  die  Mittheilungen  Ranvier's  über  rothe  und  weisse 
Musculatur  anknüpfenden  Untersuchungen  Grützner's  und 
seiner  Schüler,  über  das  Vorkommen  und  die  functionellen 
Verschiedenheiten  an  »interstitiellen«  Körnern  reicher  (trüber) 
und  armer  (heller)  Fasern  um  so  mehr  gesteigert,  als  in  einer 
der  betreffenden  Mittheilungen  sich  die  Anjgabe  findet,  dass  die 
trüben  Muskelfasern  nach  Nervendurchschneidung  später 
entarten  als  die  hellen,  und  überhaupt  gegen  Schädlichkeiten 
widerstandsfähiger  seien.  (4.) 

Die  Wiederaufnahme  jener  Absicht  erfolgte  im  Sommer- 
semester 1888,  und  als  Object  der  Untersuchung  wurde  haupt- 
sächlich  der  grosse  Brustmuskel  der  Haustaube  gewählt,  da 
bei  den  früheren  Beobachtungen  sich  ergeben  hatte,  dass  an 
»interstitiellen«  Körnern  sehr  arme  und  sehr  reiche  Fasern  in 
demselben  vorkommen. 

Da  die  Untersuchung  sich  begreiflicherweise  nicht  auf  das 
Zerzupfen  in  indifferenten  Flüssigkeiten  beschränken  konnte, 
wobei  die  Körner  in  den  Muskelfasern  im  allgemeinen  ziemlich 
gut  erhalten  bleiben,  musste  nach  einer  entsprechenden  Methode 
der  Fixirung  gesucht  werden,  als  welche  sich,  wie  dies  an 
anderer  Stelle  näher  ausgeführt  wurde,  das  starke  Chrom- 
Osmium-Essigsäuregemisch  erwies.  (2,  S.  650.) 

Die  möglichst  rasch  nach  dem  Tode  des  Versuchsthieres 
ausgeschnittenen  Muskelstückchen  blieben  4 — 8  Tage  in  diesem 
Gemenge  und  wurden  dann  in  70 — 90^©  Alkohol  nachgehärtet. 

Die  wesentlich  dickeren  protoplasmaarmen  Fasern,  die  im 
grossen  Brustmuskel,  an  Zahl  viel  spärlicher,  hauptsächlich  an 
der  Peripherie  und  nur  vereinzelt  im  Inneren  der  secundären 
Bündel  liegen,  zeigen  dabei  polygonalen  Contur  und  erscheinen 
auf  dem  Querschnitte,  abgesehen  von  ziemlich  zahlreichen 
innenständigen  Kernen  und  weit  auseinanderstehenden,  feinen, 
glänzenden  Körnchen,  in   der  Regel  homogen,  auf  dem  Längs- 


Muskelfasern  unter  pathologischen  Verhältnissen.  317 

schnitte  aber  matt  quergestreift,  und  zwar  in  der  Regel  ohne 
fibrilläre  Zeichnung  der  Querstreifen  (I,  10,  13).  Ausnahmsweise 
findet  sich  an  den  Querstreifen  und  auf  dem  Querschnitte  bei 
dieser  Methode  der  Härtung  eine  ganz  matte,  feine  Granulirung 
als  Andeutung  der  Zusammsetzung  der  Faser  aus  Fibrillen.  Die 
Kerne  dieser  Fasern  sind  längsoval  und  lassen  an  mit  Safranin, 
Hämatoxylin  oder  Methylgrün  gefärbten  Präparaten  ausser 
einer  im  Ganzen  zarten  und  schwach  gefärbten,  stellenweise 
durch  die  Anlagerung  von  Chromatinklumpen  verdickten  Kern- 
membran kleine,  durch  sehr  feine  Chromatinfäden  miteinander 
verbundene  Chromatinklümpchen  erkennen.  (IV,  7.) 

Die  feinen  »interstitiellen«  Körnchen  dieser  Fasern 
finden  sich  meist  an  den  Kempolen,  die  Kerne  gewissermassen 
zu  einer  sehr  lang  ausgezogenen,  spitzen  Spindel  ergänzend. 

a,  10.) 

Die  im  grossen  Brustmuskel  weit  zahlreicheren  dünneren, 
protoplasmareichen  Fasern  zeigen  auf  dem  Querschnitte  ziem- 
lich dicht  und  ziemlich  regelmässig  stehende,  succulente,  gröbere 
Kömer,  die  Glanz,  und  dort,  wo  die  Fasern  im  Ganzen  gelb 
gefärbt  sind,  auch  Gelbfärbung  erkennen  lassen  (I,  13).  Die 
Kerne  der  diese  Fasern  dicht  umspinnenden,  zahlreichen  Capil- 
laren  und  die  Kerne  der  in  diesen  befindlichen  Blutkörperchen 
können  das  Vorhandensein  zahlreicher,  randständiger  Kerne 
an  diesen  Fasern  vortäuschen.  In  Wirklichkeit  sind  die  fast 
durchwegs  randständigen  Kerne  dieser  Fasern  recht  spärlich, 
viel  spärlicher  als  an  den  anderen  Fasern,  aber  ebenso 
beschaffen,  wie  in  diesen.  An  den  gefärbten  Präparaten  sind 
die  Körner  in  einem  Theile  ihrer  Substanz  deutlich  gefärbt,  in 
einem  anderen  Theile  derselben  hell  glänzend. 

Auf  Längsschnitten  erscheinen  die  Körner  in  regelmässigen, 
Längs-  und  Querstreifung  der  Fasern  bedingenden  Längszügen 
angeordnet.  (I,  10,  11.) 

Abweichungen  von  dem  eben  beschriebenen  Bilde  sind 
nicht  selten,  an  den  Randpartien  der  Präparate  sogar  die  Regel, 
da  hier  die  Fasern  nicht  unwesentlich  geschrumpft  erscheinen, 
und,  wie  an  den  Alkoholpräparaten  die  Fibrillen,  beziehungs- 
weise Säulchen,  sehr  scharf  hervortreten  lassen.  Ferner  erscheint 
die  Randpartie,    und    zwar   noch    über   jenen  geschrumpften 


318  Ph.  Knoll  und  A.  Hauer, 

Theil  hinaus,  gelblich  gefärbt,  während  die  Mitte  des  Präpa- 
rates bei  Objecten  von  ^l^cm  Dicke  zumeist  ungefärbt  ist. 
Auch  sind  zerklüftete  Fasern  an  den  Rändern  nicht  selten  zu 
finden. 

Am  Herzmuskel,  der  aus  lauter  sehr  dünnen,  an  feinen 
Körnchen  reichen  Fasern  besteht,  erscheinen  an  den  Rand- 
partien die  Fasern  oft  auf  weite  Strecken  hinaus  homogen  und 
färben  sich  in  diesen  homogenen,  meist  an  einer  Kittleiste 
endenden  Partien  sehr  stark. 

Aber  auch  mitten  im  Präparate  finden  sich  kleine,  homogene 
Partien,  die  sich  stärker  färben,  an  den  zuweilen  ziemlich  zahl- 
reichen Faserwülsten,  an  denen  in  den  trüben  Fasern  die  Körn- 
chen fehlen.  (I,  11.) 

Derartige,  einerseits  wohl  durch  die  ungleichmässige 
Durchtränkung  des  Präparates  von  der  Härtungsflüssigkeit, 
anderseits  aber  wohl  durch  die  verschiedene  Reaction  der 
Fasern  auf  das  Härtungsverfahren  bedingte  Abweichungen 
müssen  natürlich  bei  der  Deutung  der  Erscheinungen  an  den 
krankhaft  veränderten  Muskeln  beachtet  werden,  finden  sich 
aber  auch  bei  anderen  Härtungsverfahren  mindestens  ebenso 
zahlreich. 

An  in  Alkohol  und  MüUer'scher  Flüssigkeit  gehärteten 
Objecten  zum  Beispiel  wurde  das  Querschnittsbild  der  Fasern 
in  den  verschiedenen  Partien  der  Präparate  oft  sehr  wechselnd 
gefunden.  Es  gilt  dies  weniger  von  den  dicken  Fasern,  welche 
bei  jenen  Härtungsverfahren  in  der  Regel  eine  feine,  von  einem 
spärlichen,  unregelmässigen  Geäder  durchsetzte  fibrilläre  Zeich- 
nung des  Querschnittes  erkennen  lassen.  (I,  14,  16,  17.)  Doch 
stösst  man  auch  hier,  namentlich  an  den  Präparaten  aus 
Mülle r'scher  Flüssigkeit,  öfter  auf  im  Ganzen  homogene  Quer- 
schnitte, von  denen  sich  neben  den  Kernen  an  Stelle  der  Köm- 
chen rundliche  oder  strahlig  verzogene  Lücken  abheben.  (I,  15.) 
An  den  dünnen  Fasern  aber  findet  man  neben  Partien,  in  welchen 
die  Querschnitte  von  einem  ziemlich  regelmässig  die  Muskel- 
säulchen  umsäumenden  Geäder  durchsetzt  erscheinen,  das  bei 
wechselnder  Einstellung  bald  hell  und  glänzend  und  bald 
wieder  dunkel  erscheint  und  in  Hämatoxylin  ungefärbt  bleibt 
(I,  16,  17;  II,  1,  2.),  zumeist  Stellen,  an  denen  die  mannigfaltig- 


Muskelfasern  unter  pathologischen  Verhältnissen.  319 

sten  Übergänge  von  einem  System  rundlicher  Lücken  zu  einem 
unregelmässigen  und  endlich  zu  jenem  regelmässigen  Geäder 
zu  finden  sind.  (I,  14,  15.) 

Zuweilen  endlich,  namentlich  bei  Verwendung  absoluten 
Alkohols  oder  bei  von  50  zu  907o  steigender  Concentration  des 
Alkohols,  kann  man  auch  an  den  dünnen  Fasern  eine  Dififeren- 
zirung  der  Fibrillen  in  den  Muskelsäulchen  und  damit  eine 
Verwischung  des  sonst  scharf  hervortretenden  Unterschiedes 
im  Querschnittsbilde  der  beiden  Faserarten  wahrnehmen. 

Auf  dem  Längsschnitte  unterscheiden  sich  die  beiden 
Faserarten  nach  Härtung  in  Alkohol  und  Müllefscher  Flüssig- 
keit hauptsächlich  durch  die  verschiedene  Dicke  und  durch  die 
infolge  der  Gliederung  der  dünnen  Fasern  in  Säulchen  bedingte 
regelmässige  Längsstreifung  der  letzteren.  (I,  12.)  Zuweilen 
sind  auch  Andeutungen  einer  Körnelung  an  letzteren  Fasern  zu 
sehen,  doch  ist  dies  kein  häufiges  und  vor  allem  kein  klar  aus- 
geprägtes Vorkommniss. 

Bei  einer  vergleichenden  Versuchsreihe,  bei  welcher  die 
Objecte  dem  Versuchsthiere  theils  sofort,  theils  24  und  48  Stun- 
den nach  der  Tödtung  entnommen  und  in  absolutem  Alkohol, 
Chrom-Osmium-Essigsäuregemisch  und  Pikrinschwefelsäure 
gehärtet  wurden,  ergab  sich  kein  Einfluss  der  zwischen  der 
Tödtung  und  dem  Beginne  der  Härtung  verstrichenen  Zeit  auf 
das  Querschnittsbild  der  Muskelfasern. 

Die  Pikrinschwefelsäure  wurde  nur  in  einer  kleinen  Zahl 
von  Versuchen  neben  den  anderen  Härtungsflüssigkeiten  ver- 
wendet. Dieselbe  conservirt  die  »interstitiellen«  Körner  sehr  gut, 
und  liefert  trefflich  schneid-  und  färbbare  Präparate.  Das  starke 
Chrom-Osmium-Essigsäuregemisch  hat  aber  den  Vorzug,  die 
Körner  unter  Umständen  zu  färben  und  dadurch  Veränderungen 
an  denselben  ersichtlich  zu  machen,  die  bei  der  Verwendung 
der  Pikrinschwefelsäure  nicht  zu  erkennen  sind. 

Bei  den  meisten  Versuchen  wurden  auch  Goldpräparate 
nach  Lö wit's  Methode  angefertigt  und  nach  Rollett's  Angaben, 
behufs  Gewinnung  von  Querschnitten  zerhackt.  Indem  bezüg- 
lich der  Einzelheiten  der  Goldbilder  der  trüben,  protoplasma- 
reichen und  hellen,  protoplasmaarmen  Fasern  der  Tauben- 
musculatur  auf  die  unter  2  angeführte  Monographie  (S.  652, 


320  Ph.  Knoll  und  A.  Hauer, 

Taf.  III,  Fig.  14 — 21  und  25)  verwiesen  wird,  in  welcher  auch 
die  verschiedene  Vertheilung  der  beiden  Faserarten  über  die 
Skelettmusculatur  der  Haustaube  dargestellt  ist  und  die  Ver- 
hältnisse erörtert  werden,  welche  bei  dem  wechselnden  Quer- 
schnittsbilde der  trüben  Fasern  ins  Spiel  kommen,  sei  hier  nur 
her\^orgehoben,  dass  beim  Goldverfahren  die  Körner  in  den 
protoplasmareichen  Fasern  auf  dem  Längs-  und  Querschnitte 
roth  gefärbt  hervortreten.  (I,  1,  6.) 

I.  Veränderungen  bei  Inanition. 

Die  Inanition  wurde  bei  5  Tauben  durch  vollständige  Ent- 
ziehung der  Nahrungs-  und  Flüssigkeitszufuhr,  bei  zweien 
durch  Durchschneidung  der  Halsvagi  erzeugt.  Bei  der  ersten 
Gruppe  erfolgte  der  Tod  in  6,  7,  8,  13  und  14,  bei  der  zweiten 
in  6  und  7  Tagen. 

Beim  Zerzupfen  von  Stückchen  des  grossen  Brustmuskels 
in  physiologischer  Kochsalzlösung  fanden  sich  in  den  dünnen 
Fasern  und  in  der  Zusatzflüssigkeit  reichlich,  doch  nicht  so 
zahlreich  wie  unter  normalen  Verhältnissen  Körnchen,  doch 
nur  solche,  die  keinen  oder  nur  einen  ganz  matten  Glanz  zeigten. 
Die  dicken  Fasern,  sowie  die  meisten  isolirten  Muskelsäulchen 
der  dünnen  Fasern  erwiesen  sich  deutlich  quergestreift.  Nach 
Zuleitung  von  stark  verdünnter  Essigsäure  oder  Natronlauge 
war  an  einem  grossen  Theile  beider  Faserarten  die  sonst  bei 
dieser  Reaction  klar  zu  Tage  tretende  Quer-,  beziehungsweise 
Quer-  und  Längsstreifung  nicht  sichtbar,  an  einem  anderen 
Theile  derselben  war  sie  vorhanden,  doch  fehlten  in  beiden 
Fällen  an  den  dünnen,  die  sonst  unter  diesen  Umständen  an 
den  Kreuzungspunkten  von  Quer-  und  Längsstreifung,  wahr- 
nehmbaren glänzenden,  in  Osmium  sich  schwärzenden,  kleinen 
Körnchen.  (2,  S.  652,  53.) 

An  den  Goldpräparaten  war  der  hervorstechendste  Unter- 
schied gegenüber  der  Norm  die  grosse  Unregelmässigkeit  in 
der  Vertheilung  und  Gestaltung  der  vom  Gold  gefärbten  Massen. 
Auf  dem  Längsschnitte  wechselten  grössere  spindelförmige 
Massen  und  feine  Körnchen,  weite  Lücken  zwischen  sich 
lassend,  und  ganz  unregelmässig  angeordnet  mit  einander  ab 


Muskelfasern  unter  pathologischen  Verhältnissen.  321 

(I,  2)  und  ebenso  waren  die  gefärbten  Massen  auf  dem  Quer- 
schnitte bald  gröber  und  bald  wieder  viel  feiner,  sowie  weiter 
auseinanderstehend  und  minder  regelmässig  vertheilt  als  sonst. 

(I,  3.) 

Auch  am  Herzmuskel  fanden  sich  ähnliche  Verhältnisse, 
doch  war  hier  die  Verarmung  der  Fasern  an  in  Gold  sich 
färbenden  Massen  minder  auffallend  als  an  den  dünnen  Fasern 
des  grossen  Brustmuskels.  (I.  7.) 

Die  Querstreifung  war  entsprechend  den  vorher  ange- 
gebenen Folgen  der  Säureeinwirkung  an  einem  grossen  Theile 
der  Fasern  verschwunden. 

Analoge  Erscheinungen,  wie  an  den  Goldpräparaten,  traten 
an  den  Schnitten  nach  Härtung  in  der  starken  Fl emm Ingu- 
schen Lösung  hervor.  Auch  hier  war  die  Körnelung  der  dünnen 
Fasern  des  grossen  Brustmuskels  eine  lückenhafte  und  die 
Körnchen  selbst  waren  zumeist  in  spindelförmigen  Haufen 
zusammengedrängt.  Die  sonst  an  den  dünnen  Fasern  von  den 
Kömerzügen  verdeckte  Querstreifung  der  Muskelsäulchen  selbst 
trat  unter  diesen  Umständen  klar  hervor.  (II,  3.) 

Die  Verarmung  an  Körnchen  war  sehr  wechselnd,  im 
Ganzen  aber  bei  den  Thieren,  welche  der  Inanition  später 
erlegen  waren  auffallender  (II,  7,  10),  als  bei  jenen,  die  sich 

!  gegenüber  diesem  Eingriffe  weniger  widerstandsfähig  erwiesen 

hatten.  (II,  4.)  Es  wechselten  aber  oft  in  einem  und  demselben 

j  Präparate  Stellen,  in  welchen  die  Querschnitte  noch  zahlreiche, 

zum  Theile  grobe  Körner  enthielten,  mit  solchen  ab,  in  denen 
nur  ganz  spärliche  feine  Körner  zu  finden  waren.  Alle,  auch 
die  groben  Kömer  Hessen,  wenigstens  bei  den  später  erlegenen 
Thieren,    den    denselben    sonst    eigenthümlichen    Glanz   voU- 

I  ständig  vermissen. 

An  vielen  Stellen,  insbesondere  bei  den  später  erlegenen 

^  Thieren,    erwiesen    sich   die    dicken  Fasern  bedeutender  ver- 

I  kleinert,  als  die  dünnen,  so  dass  im  Zusammenhange  mit  der 

Abnahme  der  Körnelung  in  den  letzteren  Fasern  der  sonst 
so  auffallende  Unterschied  der  beiden  Faserarten,  namentlich 

1  bei  Verwendung  schwächerer  Vergrösserungen  sehr  verwischt 

erschien.  Der  Schwund  der  dicken  Fasern  war  in  dem  zur 
Peripherie   der  secundären  Bündel  senkrechten  Durchmesser 


\ 


322  Ph.  KnoU  und  A.  Hauer, 

derselben  stärker  ausgeprägt  als  in  dem  anderen,  so  dass  sie  oft 
wie  plattgedrückt  aussahen,  was  wohl  mit  den  durch  den  Unter- 
schied in  der  Atrophie  der  beiden  Faserarten  und  die  Lage  der 
einen  an  der  Peripherie  der  secundären  Bündel  bedingten  Druck- 
verhältnissen zusammenhängt.  (II,  10.) 

An  den  dicken  Fasern  war  eine  auffallende  Vermehrung 
der  Kerne  wahrzunehmen.  Nirgends  fand  sich  aber  ein  Zeichen 
von  Mitose  an  denselben,  sondern  nur  Verbiegung  oder  Ein- 
buchtung, sowie  unverkennbare  Theilung  derselben  und  wech- 
selnder Chromatingehalt  ohne  wesentliche  Änderung  der  Kem- 
structur.  (II,  8,  9 ;  IV,  3,  4,  6,  8.)  Stellenweise  fand  sich  eine 
unzweifelhafte  Betheiligung  der  an  den  Kernpolen  liegenden 
feinkörnigen  Massen,  die  nicht  selten  sehr  erheblich  vermehrt 
erschienen,  an  der  Theilung.  (IV,  4.) 

Dieselben  Veränderungen  wie  am  grossen  Brustmuskel, 
fanden  sich  an  der  übrigen  Skelettmusculatur  und  auch  am 
Herzen  waren  die  Körner  im  Allgemeinen  etwas  spärlicher  und 
im  Durchmesser  ungleichartiger,  als  sonst,  doch  waren  hier  die 
Veränderungen  im  Ganzen  weit  weniger  schlagend.  (II,  6.) 

An  in  Alkohol  oder  Mülle  rascher  Flüssigkeit  gehärteten 
Präparaten  war  das  Geäder  zwischen  den  Muskelsäulchen  an 
den  dünnen  Fasern  der  Skelettmusculatur  spärlicher  und 
unregelmässiger  als  normal,  an  den  Herzmuskelfasern  aber  war 
die  durch  den  blätterigen  Bau  derselben  bedingte  radiäre  Zeich- 
nung des  Querschnittes  wohl  erhalten.  (II,  5.)  Die  fibrilläre 
Zeichnung  des  Querschnittes  der  dicken  Fasern  war  minder 
scharf  ausgeprägt  als  normal. 

Im  Ganzen  erweisen  sich  also  die  zwischen  den  Muskel- 
säulchen der  trüben  Fasern  vertheilten  körnigen  Protoplasma- 
massen infolge  der  Inanition  auffallend  vermindert,  und  ins- 
besondere das  sonst  in  ihnen  enthaltene  Fett,  wie  dies  schon  in 
der  unter  3  angeführten  Abhandlung  hervorgehoben  wurde 
(S.  44)  geschwunden. 

Dass  die  Fibrillen  selbst  dabei  auch  einschneidende  Ver- 
änderungen erfahren,  geht  schon  aus  dem  Umstände  hervor, 
dass  bei  einem  Grade  der  Säure-  oder  Alcali-Einwirkung,  der  die 
Querstreifung  der  Fasern  sonst  intact  lässt,  diese  an  einem  grossen 
Theile  der  Muskelfasern  der  Hungertaube  verschwindet. 


Muskelfasern  unter  pathologischen  Verhältnissen.  323 

Ob  dem  nach  der  Inanition  an  vielen  isolirten  Muskel- 
säulchen  (in  physiologischer  Kochsalzlösung)  zu  findenden 
Mangel  der  Querstreifung  eine  pathologische  Bedeutung  zu- 
kömmt, muss  unentschieden  bleiben,  da  dies  auch  bei  normalen 
Haustauben  nicht  selten  zu  finden  ist. 

Eine  sehr  bemerkenswerthe  Erscheinung  ist  es,  dass  die 
an  kömigem  Protoplasma  so  viel  ärmeren  dicken  Fasern  der 
Skelettmusculatur  bei  der  Inanition  im  Ganzen  stärker  schwin- 
den, als  die  dünnen,  bei  diesen  aber  wieder  die  fibrilläre  Sub- 
stanz im  Allgemeinen  weniger  vermindert  erscheint  als  die 
interfibrilläre,  Thatsachen,  die  unsere  Kenntnisse  von  der 
Bedeutung  der  letzteren  für  die  Ernährung  und  Erhaltung  der 
ersteren  nicht  unwesentlich  erweitern,  da  aus  ihnen  hervorgeht, 
dass  bei  der  Inanition  das  Protoplasma  der  Muskelfasern  die 
Fibrillen  derselben  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  von  der  ein- 
wirkenden Schädlichkeit  zu  schützen  vermag,  dabei  aber  selbst 
aufgebraucht  wird. 

Dass  entweder  selbst  unter  den  Fasern  einer  Kategorie 
nicht  unwesentliche  individuelle  Unterschiede  der  Widerstands- 
fähigkeit, oder  aber  örtliche,  vielleicht  mit  der  Blutgefäss- 
vertheilung  zusammenhängende  Verschiedenheiten  der  Ernäh- 
rungsbedingungen in  einem  und  demselben  Muskel  bestehen 
dürften,  lehren  die  hervorgehobenen  Verschiedenheiten  an  den 
einzelnen  Stellen  der  Präparate. 

Die  Wucherungsvorgänge  an  den  Kernen  der  hellen  Fasern 
müssen  wohl  zu  der  von  Flemming  (5)  geschilderten  atrophi- 
schen Kernwucherung  an  den  Fettzellen  in  Parallele  gebracht 
werden.  Dass  diese  Kernwucherung  hier  nur  auf  die  proto- 
plasmaarmen Fasern  beschränkt  ist  (II,  8,  9),  ist  wohl  als  ein 
weiteres  Zeichen  der  hohen  Bedeutung  des  Protoplasmagehaltes 
für  die  Ernährung  der  ganzen  Faser  anzusehen. 

Bemerkenswerth  ist  es  auch,  dass  die  Vermehrung  der 
Kerne,  welche  Gaglio  schon  in  den  Muskelfasern  von  hungern- 
den Fröschen  beobachtet  hat  (6),  bei  der  Taube  ohne  ander- 
weite wesentliche  Änderung  der  Kernstructur  amitotisch 
erfolgt 

Es  sei  auf  diese,  aus  den  Fig.  3,  4,  6,  Taf.  IV,  hervorgehende 
Thatsache  hier  nur  verwiesen,  da  es  nicht  im  Plane  dieser 


324  Ph.  KnoU  und  A.  Hauer, 

Arbeit  lag,  die  an  den  Kernen  unter  diesen  Umständen  statt- 
findenden Vorgänge  in  allen  Einzelheiten  zu  verfolgen. 

Schliesslich  ist  noch  anzuführen,  dass  Zeichen  einer  massi- 
gen Emigration  in  der  Skelettmusculatur  der  verhungerten 
Tauben  zu  finden  waren. 


II.  Veränderungen  bei  Phosphorvergiftung. 

Die  Phosphorvergiftung  wurde  an  10  Tauben  durch  Injec- 
tion  einiger  Tropfen  bis  ^j\cin'  Phosphoröl  unter  die  Rückenhaut, 
an  4  durch  Injection  von  V/^ — ^,\cm'  dieses  Öls  in  den  Rachen 
erzeugt.  In  3  Fällen  ging  das  Versuchsthier  nach  der  ersten 
Injection  von  wenigen  Tropfen  unter  Krämpfen  zu  Grunde,  in 
den  anderen  Fällen  musste  die  Injection  an  zwei  oder  mehreren 
( — 23)  aufeinanderfolgenden  Tagen  wiederholt  werden,  um 
tödtliche  Vergiftung  zu  erzeugen. 

In  zehn  von  den  letzteren  und  einem  von  den  ersteren 
Fällen  war  eine  auffallende,  blassgelbliche  Färbung  der  Herz- 
und  Skelettmusculatur  und  an  den  frisch  in  physiologischer 
Kochsalzlösung  angefertigten  Zupfpräparaten  eine  grosse  Menge 
von  glänzenden,  z.  Th.  sehr  grossen  Körnern,  sowohl  in  der 
Zusatzflüssigkeit,  als.  in  den  dünnen  Fasern  zu  finden.  Bei 
längerer  Einwirkung  1®/^  Osmiumsäure,  allein  oder  in  Verbin- 
dung mit  vorhergängiger  Mazeration  der  Muskelstückchen  in 
verdünnter  Essigsäure,  erschien  die  Randpartie  der  meisten 
dieser  Körner  geschwärzt  und  die  Körner  (richtiger  wohl 
Tropfen)  von  grossem  Durchmesser  waren  im  Ganzen  braun 
oder  schwarz  gefärbt. 

Nach  der  Behandlung  mit  Chlorgold  traten  zwischen  den 
in  lückenhaften  Längszügen  die  Fasern  durchsetzenden,  von 
Gold  gefärbten  Massen,  zahlreiche  ungefärbte,  glänzende  Tröpf- 
chen hervor.  Auf  Querschnitten  machte  sich  die  Verarmung  an 
in  Gold  sich  färbender  Substanz  an  den  dünnen  Fasern  sehr 
bemerkbar.  (I,  5.)  Die  Ausprägung  dieser  die  Umsetzung  eines 
Theiles  der  interfibrillären  Substanz  in  Fett  anzeigenden,  nach 
Präparaten  vom  Herzen  und  vom  grossen  Brustmuskel  beschrie- 
benen Erscheinungen,  war  in  den  einzelnen  Fällen  verschieden, 
ohne  dass  ein  Zusammenhang  zwischen  der  Zahl  derinjectionen 


Muskelfasern  unter  pathologischen  Verhältnissen.  32o 

und  dem  Grade  der  Erscheinungen  zu  finden  gewesen  wäre. 
Die  dicken  Fasern  des  grossen  Brustmuskels  erwiesen  sich 
dabei  immer  fettfrei,  und  die  dünnen  Fasern  hatten  ein  um  so 
kleineres  Kaliber,  je  grössere  Fetttropfen  sie  enthielten.  Nicht 
selten  waren  diese  Tropfen  so  dicht  beisammen  stehend,  dass 
sie  die  Structur  der  betreffenden  Faser  ganz  verdeckten,  in 
anderen  dünnen  Fasern  wieder  erschien  die  Granulation  auf 
einige  wenige  (eventuell  geschwärzte)  Körnchen,  beziehungs- 
weise Tröpfchen  reducirt. 

Sehr  schön  traten  diese  Verhältnisse  an  Schnittpräparaten 
von  in  starkem  Chrom-Osmium-Essigsäuregemisch  gehärteten 
Objecten  hervor,  da  in  diesen,  wenigstens  an  den  Randpartien 
(2,  S.656),  die  verfetteten  Körnchen  geschwärzt  erschienen.  Die 
Fig.  1,  2,  6 — 9  auf  Taf.  III  lassen  die  verschiedenen  Grade  der 
Verfettung  der  Körnchen  in  den  dünnen  Fasern  des  grossen 
Brustmuskels,  das  dichte  Nebeneinanderliegen  verfetteter  und 
nicht  verfetteter  Fasern,  das  Vorkommen  von  ganz  und  nur  am 
Rande  geschwärzten  Körnchen  in  einem  und  demselben  Quer- 
schnitte erkennen,  und  zeigen  gleichzeitig,  dass  mit  diesem 
Processe  eine  ausgeprägte  Verarmung  der  Fasern  an  inter- 
fibrillärer  Substanz  einhergehen  kann. 

Fig.  3,  5  auf  Taf.  III  zeigen,  welch*  hoher  Grad  von  Ver- 
fettung in  den  Herzmuskelfasem  der  Taube  bei  der  Phosphor- 
vergiftung Platz  zu  greifen  vermag.  Dabei  kann  aber  die  Quer- 
streifung, welche  auch  an  den  meisten  isolirten  Muskelsäulchen 
in  Zupfpräparaten  noch  sichtbar  war,  immer  noch  wohl  erhal- 
ten sein. 

Hervorzuheben  ist  weiter,  dass  Wülste  an  den  dünnen 
Fasern  in  den  Schnittpräparaten  auch  bei  hochgradiger  Ver- 
fettung der  betreffenden  Fasern  in  der  Mitte  nahezu  homogen 
erschienen,  während  die  Fetttröpfchen  sich  an  den  Übergangs- 
stellen zu  dem  nicht  contrahirten  Fasertheil  angehäuft  zeigten, 
so  dass  der  schon  von  G.  R.  Wagen  er  ausgesprochene  (7) 
Gedanke  nahe  liegt,  dass  bei  Bildung  jener  Wülste  die  inter- 
fibrilläre  Substanz  aus  dem  contrahirten  Theile  verdrängt  wird. 

(III,  1,  7.) 

Das  Freibleiben  der  dicken  Fasern  von  der  Verfettung  trat 
unter  diesen  Umständen  sehr  scharf  hervor,  doch  fand  sich 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  CL;  CI.  Bd.,  Abth.  III.  22 


326  Ph.  Knoll  und  A.  Hauer, 

ausgeprägte  Kernwucherung  an  denselben  (IV,  5),  und  zwar 
selbst  dort,  wo  anscheinend  sich'  eben  eine  Kemtheilung  voll- 
zog, ohne  Mitose,  wobei  zu  bemerken  ist,  dass  die  Mitosen 
auch  dann  vermisst  wurden,  wenn  die  Objecte  dem  Versuchs- 
thiere  sofort  nach  dem  Tode  entnommen  und  in  die  Flem- 
ming'sche  Lösung  geworfen  wurden. 

Bei  der  Phosphorvergiftung  war  übrigens  Kemwucherung 
mindestens  ebenso  ausgeprägt  an  den  dünnen,  wie  an  den 
dicken  Fasern  zu  beobachten  (IV,  2);  dabei  waren  die  Kerne 
an  den  ersteren,  wie  unter  normalen  Verhältnissen  fast  aus- 
schliesslich randständig. 

Auch  hier  waren  Zeichen  massiger  Emigration,  ausserdem 
auch  von  Diapedese,  vorhanden. 

Aus  den  angeführten  Beobachtungen  geht  hervor,  dass  bei 
Phosphorvergiftung  die  wesentlichsten  Veränderungen,  zunächst 
wenigstens,  sich  an  den  dünnen,  protoplasmareichen  Fasern 
und  hier  wieder  in  der  interfibrillären  Substanz,  dem  proto- 
plasmatischem  Reste  der  ursprünglichen  Bildungszellen,  ab- 
spielen. Letzteres  ist  von  vornherein  dadurch  wahrscheinlich, 
dass  die  Verfettung,  zunächst  wenigstens,  auf  die  protoplasma- 
reichen Fasern  beschränkt  erscheint,  erhellt  aber  mit  Bestimmt- 
heit aus  der  Lage  der  Fetttropfen  in  der  Muskelfaser  und  aus 
den  mannigfachen  Übergängen  zwischen  den  normalen,  »inter- 
stitiellen« Körnern  und  den  Fetttropfen. 

Eine  Umwandlung  von  »blassen  interstitiellen  Körnern«  in 
»dunkle  Fettkörnchen«  hat  KöUiker  bereits  im  Jahre  1867  auf 
Grund  von  Beobachtungen  an  der  Froschmusculatur  ange- 
nommen (8),  und  betont,  dass  letztere  zwischen  und  nicht  in 
den  contractilen  Fibrillen  liegen.  Auch  verwies  er  darauf,  dass 
es  sowohl  wegen  der  Beziehung  zu  den  mehr  pathologischen 
Fettmolekülen  und  der  fettigen  Entartung  der  Muskelfasern,  als 
auch  der  physiologischen  Verhältnisse  wegen  von  Interesse 
wäre,  wenn  die  chemische  Beschaffenheit  der  normalen  inter- 
stitiellen Körnersubstanz  sich  genau  bestimmen  Hesse. 

Im  Jahre  1860  hat  dann  Steffan  (9)  angegeben,  dass  bei 
der  traumatischen  Entzündung  der  Froschmuskeln  das  Fett 
zwischen  den  Fibrillen  auftritt  und  letztere  secundär  schwin- 
den, während  später  Alexander  Stuart  behauptete,  dass  bei 


Muskelfasern  unter  pathologischen  Verhältnissen.  327 

der  Entzündung  der  Muskelfaser  (durch  Ätzen  mit  Nitr,  argenti 
erzeugt)  zuerst  albuminöse  »Entartungskörner«  zwischen  den 
Fibrillen  auftreten,  die  aus  letzteren  hervorgehen  und  sich  später 
in  Fetttröpfchen  mit  feinen  durchsichtigen  Albuminhäutchen 
umbilden  sollen.  (10.) 

G.R.  Wagener  aber  betonte,  dass  in  den  Muskeln  bei 
Fettdegeneration  vor  dem  Verschwinden  der  Fibrillen  zuerst  in 
der  interfibrillären  Substanz  kleine  Fetttropfen  erscheinen.  (11.) 

Um  wie  viel  die  letztere  Ansicht  wahrscheinlicher  ist  als 
jene  Stuarts,  der  anscheinend  die  bei  den  verschiedensten 
Thieren  normal  vorkommenden  »interstitiellen  Körner«  als  erste 
Folgeerscheinung  des  einwirkenden  Entzündungsreizes  aufge- 
fasst  hat,  geht  aus  dem  Umstände  hervor,  dass  die  dicken 
Fasern  in  der  Skelettmusculatur  der  Haustaube  bei  der  Phos- 
phorvergiftung intact  bleiben. 

Dass  aber  die  Fettdegeneration  im  Protoplasma  der  Muskel- 
faser für  die  fibrilläre  Substanz  derselben  nicht  ohne  grosse 
Bedeutung  ist,  erhellt  aus  der  Atrophie,  die  an  stark  verfetteten 
dünnen  Fasern  wahrnehmbar  ist. 

Umwandlung  der  normalen,  in  Fuchsin  sich  färbenden 
Granula  in  der  Flugmusculatur  von  Dyticus,  in  durch  Osmium 
geschwärzte,  hat  femer  Alt  mann  abgebildet  (12),  der  auch  an 
den  Granulis  der  Froschleber  die  Umwandlung  der  einen  in  die 
andere  Körnerart  durch  eine  Zwischenstufe  verfolgte,  in  welcher 
die  Kömer  am  Rande  durch  Osmium  geschwärzt  und  in  der 
Mitte  durch  Fuchsin  gefärbt  erscheinen.  Er  betont  dabei,  dass 
die  Schwärzung  durch  Osmium  für  Fett  ebenso  charakteristisch 
sei,  wie  die  Jodreaction  für  Amylum.  (12,  S.  76.) 

Hiezu  ist  freilich  zu  bemerken,  dass  einerseits  bekannt  ist, 
dass  auch  das  Amyloid  unter  Umständen  bei  einfachem  Jod- 
zusatz Blaufärbung  zeigt,  und  dass  anderseits  das  Myelin, 
welches  Gad  und  Hey  man  s  als  Lecithin  in  freiem  Zustande 
oder  in  loser  chemischer  Bindung  bezeichnen  (13,  S.  541), 
durch  Osmium  geschwärzt  wird,  während  das  Lecithin  in 
anderen  Gewebselementen  als  den  Nervenfasern  diese  Reaction 
nicht  gibt. 

Es  wurden  an  anderer  Stelle  (2,  S.  654,  55)  die  Gründe 
erörtert,    welche    dafür   sprechen,   dass   in  den    Körnern  der 

22* 


328  Ph.  Knoll  und  A.  Hauer, 

Zwischensubstanz  der  quergestreiften  Musculatur  der  Haus- 
taube normalerweise  zwei  Substanzen  innig  mit  einander  ver- 
mengt vorkommen,  die  unter  Umständen  sich  sondern  und 
muthmasslich  einerseits  Lecithin,  anderseits  ein  Fett  sind.  Nach 
den  oben  erwähnten  Angaben  von  Gad  und  Heymans  könnte 
es  sich  allenfalls  auch  um  zwei  verschiedene  Lecithine  handeln, 
von  denen  das  eine  dem  Fett,  wie  es  im  Organismus  im  Fett- 
gewebe vorkommt,  noch  näher  steht,  als  das  andere. 

In  Folge  der  Phosphorvergiftung  nimmt  aber  das  Fett, 
oder  jenes  andere  Lecithin  relativ  und  absolut  an  Masse  zu 
und  bedingt  die  Umwandlung  der  interstitiellen  Körner  in  durch 
Osmium  sich  schwärzende  Tröpfchen.  Die  Angabe  Heffter's, 
der  den  Fettgehalt  der  Leber  bei  der  Phosphorvergiftung 
in  demselben  Maasse  vermehrt  fand,  wie  deren  Lecithin- 
gehalt  vermindert  war  (17,  S.  105),  macht  wohl  die  Annahme 
wahrscheinlicher,  dass  es  sich  um  eine  wirkliche  Verfettung 
handelt.  Gewiss  ist  es  aber,  dass  die  unter  diesen  Umständen 
zwischen  den  Säulchen  der  Muskelfaser  auftretenden  Tröpfchen 
in  Bezug  auf  Glanz,  Ungefärbtbleiben  bei  Chlorgold-  und 
Geschwärzt-  werden  bei  Osmiumeinwirkung  mit  Fett  überein- 
stimmen, und  in  diesem  Sinne  sind  die  in  den  vorhergehenden 
Auseinandersetzungen  gebrauchten  Bezeichnungen  Fett  und 
Verfettung  aufzufassen. 


III.  Veränderungen  nach  Resection  des  Plexus  axillaris. 

Dieser  Eingriflf  wurde  an  8  Versuchsthieren  in  der  Chloro- 
formnarkose vollzogen.  Das  Operationsverfahren  war  im 
Ganzen  dasselbe,  wie  es  Samuel  (15)  beschrieben,  doch  wurde 
unter  Benützung  von  Sublimatlösung  aseptisch  operirt  und  die 
Wunde  durch  Nähte  verschlossen.  An  der  operirten  Seite 
wurden  die  Flügelfedern  stark  gestutzt,  um  mechanische 
Schädigung  an  und  durch  den  schlaff  herabhängenden  Flügel 
zu  verhüten. 

Stets  wurde  ein  möglichst  grosses  Stück  der  Nerven 
herausgeschnitten  und  die  bis  zum  Schluss  des  Versuches 
andauernde,  vollständige  Lähmung  festgestellt.    Die  Tödtung 


Muskelfasern  unter  pathologischen  Verhältnissen.  329 

der  Versuchsthiere  erfolgte  5,  6,  8,  11,  13,  14,  18  und  35  Tage 
nach  der  Operation. 

Die  Thiere  wurden  nach  Feststellung  der  elektrischen 
Reaction  ihrer  beiderseitigen  Brustmusculatur,  wo  nichts  anderes 
bemerkt  erscheint,  durch  Entblutung  getödtet  und  dann,  nach 
vollständiger  Entfederung,  der  Unterschied  im  Brustumfang  der 
beiden  Seiten  durch  einen  umgelegten  Faden,  oder  die  Ver- 
schiedenheit in  der  Dicke  des  beiderseitigen  grossen  Brust- 
muskels festgestellt. 

Behufs  Prüfung  der  elektrischen  Reaction  der  grossen 
Brustmuskeln  wurden  die  Thiere  schwach  chloroformirt,  die 
Brusthaut  entfedert  und  mit  Kochsalzlösung  angefeuchtet,  die 
eine  Elektrode  an  einem  indifferenten  Punkte,  die  andere  an 
dem  grossen  Brustmuskel  aufgesetzt  und  unter  Verwendung 
eines  Du  Bois-Reymond'schen  Schlittenapparates,  bezie- 
hungsweise einer  Stöhrer'schen  Zink-Kohlenbatterie  das  Reiz- 
minimum aufgesucht,  bei  dem  eine  deutliche  Zuckung  wahr- 
nehmbar war. 

Vergleichende  Versuche  an  symmetrischen  normalen 
Muskeln  ergaben,  dass  der  Unterschied  des  Reizminimums  auch 
da  2  cm,  beziehungsweise  2  El  betragen  kann.  Massgebend  für 
die  Beurtheilung  des  Reizerfolges  bei  vergleichender  Unter- 
suchung der  gesunden  und  gelähmten  Musculatur  konnten 
daher  nur  die  Constanz  der  Ergebnisse  und  die  über  jenen 
Werthen  gelegenen  Unterschiede  sein. 

Die  Darstellung  der  Versuchsergebnisse  wird  hier  zunächst 
für  jeden  einzelnen  Versuch  abgesondert,  nach  der  Versuchs- 
zeit angeordnet,  in  möglichst  gedrängter  Weise  erfolgen. 

Bei  Besprechung  der  mikroskopischen  Untersuchungen 
bedeutet  Fr.,  Untersuchung  des  frischen  Objectes  an  Zupf- 
präparaten in  physiologischer  Kochsalzlösung;  G.  Untersuchung 
an  Goldpräparaten;  F.  an  Schnittpräparaten  aus  starker  Flem- 
ming*scher  Lösung;  A.  an  Alkoholpräparaten;  M.  an  Präpa- 
raten aus  Mülle  rascher  Flüssigkeit  und  P.  an  solchen  aus 
Pikrinschwefelsäure. 

Bei  Anführung  der  Ergebnisse  der  Untersuchung  an  den 
einzelnen  Muskeln  bedeutet  g.  B.  M.  grosser,  k.  B.  M.  kleiner 


330  Ph.  Knoll  und  A.  Hauer, 

Brustmuskel  und  o.  E.  Musculatur  der  oberen  Extremität,  N.  S. 
normale,  G.  S.  gelähmte  Seite. 

An  den  in  F.  fixirten  Präparaten  wurden  in  der  Regel  ver- 
gleichende Messungen  an  den  beiden  Fasergattungen  vorge- 
nommen. 

Diese  vergleichende  Messung  erfolgte  ausschliesslich  an 
Querschnitten  durch  die  Fasern  des  grossen  Brustmuskels. 
Hiebei  mussten  folgende  Umstände  in  Betracht  gezogen  werden. 

1.  Es  finden  sich  normal  an  den  dünnen  Fasern  einzelne 
sehr  kleine  Querschnitte,  die,  nach  Längsschnitten  zu  schliessen 
Faserenden  angehören  dürften,  und  darum  ganz  ausser  Betracht 
gelassen  wurden. 

2.  Ebenso  sind  die  Randpartien  der  Präparate  ganz  ausser 
Betracht  zu  lassen,  da  hier  mancherlei  durch  das  Härtungs- 
verfahren bedingte  Veränderungen  der  Musculatur  auf  den 
Querschnitt  Einfluss  nehmen. 

3.  Die  Durchmesser  des  Querschnittes  sind  insbesondere 
an  den  dicken  Fasern  nicht  alle  untereinander  gleich.  Die 
Messung  wurde  darum  immer  im  kleinsten  Durchmesser  vor- 
genommen. 

Die  Ergebnisse  der  zumeist  sowohl  am  normalen,  wie 
gelähmten  Muskel  der  einzelnen  Versuchsthiere  vorgenommenen 
Messung  können  daher  nur  als  annähernd  richtige  Werthe 
erscheinen. 

I.  5  Tage.  Die  elektrische  Untersuchung  ergibt  einen  Unterschied  von  5  cm 
und  4  El  zu  Ungunsten  der  g.  S.  Tod  in  der  Narkose.  Die  Musculatur  der  g.  S. 
ist  etwas  dünner  als  an  der  n.  S.,  bietet  aber  keine  Verschiedenheit  in  der  Con- 
sistenz  und  Farbe  dar.  Fr.  erscheinen  die  Kömchen  in  den  dünnen  Fasern  des 
g.  B.  M.,  g.  S.  etwas  weniger  dicht  stehend  und  feiner  als  an  der  n.  S.  Letzteres 
tritt  noch  klarer  an  Querschnitten  aus  F.  hervor,  an  denen  sich  oft  erhebliche 
Lücken  der  Kömelung  an  der  g.  S.  finden.  Auffälliger  noch  als  diese  Erschei- 
nung ist  die  Verringerung  des  Durchmessers  der  dicken  Fasern,  namentlich  des 
senkrecht  auf  die  Peripherie  des  secundären  Bündels  stehenden  (VIII,  5).  Das 
Verhältniss  dieses  Durchmessers  an  der  g.  S.  gegenüber  der  n.  S.  beträgt 
33/4 :  5,  jenes  der  dünnen  Fasern  21/2  :  3,  d.  h.  also,  es  sind  die  dicken  Fasern 
an  der  g.  S.  stärker  geschwunden  als  die  dünnen. 

An  gefärbten  Präparaten  des  g.  B.  M.  g.  S.  F.  finden  sich  in  einzelnen 
dicken  Fasern  langgestreckte,  gebogene  und  anscheinend  in  Abschnürung 
begriffene  Kerne.  Unter  den  dünnen  Fasern  treten  Gruppen  von  schwach 
gefärbten  und  wie  etwas  aufgequollenen  Querschnitten  hervor,  in  denen  die 


Muskelfasern  unter  pathologischen  Verhältnissen.  331 

Kömchen  besonders  spärlich  stehen.  An  den  in  den  Präparaten  befindlichen 
Nervenstämmchen-Durchschnitten  erscheint  die  Markscheide  nur  an  vereinzelten 
Fasern  erhalten.  Die  Venen  sind  an  der  g.  S.  strotzend  mit  Blut  gefüllt,  weit 
stärker  als  an  der  n.  S. ;  Diapedese  und  massige  Emigration. 

0.  E.  g.  S.  F.  Abnahme  der  Kömelung  der  Fasern  und  starke  Ii^jection 
der  Venen. 

IL  6  Tage.  Q\ffCm.  Unterschied  im  Rollenabstand  zu  Ungunsten  der 
g.  S.  Tödtung  durch  Chloroform.  Brustumfang  an  der  g.  S.  um  3  mm  geringer, 
Färbung  der  Musculatur  derselben  blasser,  Consistenz  gleich.  Beim  Einschneiden 
zuckt  der  g.  B.  M.,  n.  S.  kräftig,  g.  S.  nicht. 

G.  B.  M.,  g.  S. :  G. :  Die  Kömchen  sind  spärlicher  als  sonst  und  zum 
Theile  ungefärbt.  F. :  Die  auffälligste  Erscheinung  ist  der  hochgradige  Zerfall 
der  meisten  dicken  Fasern  an  den  Randpartien  der  Präparate  (V,  2);  die 
daneben  liegenden  dünnen  Fasern  zeigen  zumeist,  beide  Faserarten  im  Inneren 
der  Präparate  durchwegs  diesen  Zerfall  nicht.  Die  Körnelung  der  dünnen 
Fasern  ist  lückenhafter,  in  vielen  dieser  Fasern  sind  die  Kömchen  geschwärzt, 
stellenweise  auch  in  grössere  schwarze  Tröpfchen  verwandelt.  An  den  erhal- 
tenen dicken  Fasern  erscheinen  stellenweise  die  Keme  eigenthümlich  verbogen, 
wie  in  amöboider  Bewegung  begriffen,  vereinzelt  auch  wesentlich  verlängert 
und  eingeschnürt.  Eine  auffallende  Kernvermehrung  ist  an  ihnen  nicht  wahr- 
nehmbar. Das  Verhältniss  der  beiden  Faserarten  zu  einander  ist:  n.  S.  6Y2  •  ^^Z-»* 
g.  S.  572  :  31/4.  Injectiun  der  Venen,  Emigration  und  Diapedese,  doch  minder 
ausgeprägt  als  im  Fall  I.  M.  g.  B.  M.  g.  S. :  Ausser  hochgradigem  Zerfall  der 
dicken  Fasern  an  der  Randpartie  der  Präparate  (VI,  4)  keine  auffällige  Erschei- 
nung; ebenso  bei  A.  (VI,  1 1). 

O.  E.,  g.  S.  F. :  Auch  hier  finden  sich  in  einzelnen  Fasern  geschwärzte 
Körnchen  und  in  den  nicht  gekömelten  Fasern  amöboid  verzogene,  vereinzelt 
in  Theilung  begriffene  Kerne. 

K.  B.  M.  F. ;  Es  ist  hier  keine  Abweichung  von  der  Norm  nachweisbar 

m.  8  Tage.  Die  elektrische  Untersuchung  ergibt  einen  Unterschied  von 
icm  und  2  E.  zu  Ungunsten  der  g.  S.  Es  ist  kein  deutlicher  Unterschied  im 
Brustumfang  der  beiden  Seiten  wahrnehmbar,  die  Farbe  ist  an  der  g.  S. 
blasser,  die  Consistenz  an  beiden  Seiten  gleich. 

G.  B.  M.  g.  S.  Fr. :  Der  wesentlichste  Unterschied  gegenüber  der  n.  S.  ist 
das  Vorkommen  zahlreicherer,  glänzender  Tröpfchen  in  den  Fasern  und  der 
Zusatzflüssigkeit  F. :  Die  Erscheinungen  sind  im  Ganzen  dieselben  wie  bei  II, 
nur  ist  an  den  dicken  Fasern  der  Zerfall  weniger,  die  Kemtheilung  stärker 
and  an  den  dünnen  Fasern  die  Schwärzung  der  Kömchen  weniger  ausgeprägt 
als  dort  Emigrationserscheinungen  sind  im  höheren  Grade  zu  finden.  Die 
Durchmesser  der  beiden  Faserarten  verhalten  sich  an  der  n.  S.  wie  S'/j  :  7  an 
der  g.  S.  wie  31/4 :  6.  An  A.  treten,  abgesehen  von  den  Kömchen,  dieselben 
Erscheinungen  zu  Tage. 

0.  £.,  g.  S.  F.  und  A. :  Es  treten  keine  deutlichen  Abweichungen  von  der 
Norm  hervor. 


332  Ph.  Knoll  und  A.  Hauer, 

IV.  1 1  Tage.  Die  elektrische  Untersuchung  ergibt  einen  Unterschied  von 
2cm  zu  Ungunsten  der  g.  S.  Brustumfang  an  der  g.  S.  \,  2cm  geringer.  Mus- 
culatur  an  der  g.  S.  blasser,  beim  Einschneiden  keine,  an  der  n.  S.  deutliche 
Zuckung. 

G.  B.  M.  g.  S.  G. :  Die  dünnen  Fasern  zeigen  zumeist  keine  oder  nur  sehr 
lückenhafte  und  feine  rothe  Körnelung,  dagegen  ziemlich  zahlreiche  kleinere 
und  grössere  gelbliche  Kömchen  und  Tröpfchen.  An  den  Querschnitten  kann 
man  alle  Übergänge  vom  normalen  Bilde  zum  theilweisen  oder  vollständigen 
Verschwinden  der  roth  gefärbten  Kömer  an  den  dünnen  Fasern  verfolgen.  Die 
dicken  zeigen  etwas  reichlichere  Kömelung  als  sonst,  doch  sind  die  Körnchen 
sehr  fein  und  ungefärbt.  F.  Eine  der  hervorstechendsten  Erscheinungen  sind  die 
zahlreichen  ausgewanderten  Rundzellen,  die  bald  in  der  Umgebung  etvwas 
grösserer  Venen  haufenweise  beisammenliegen  (Emigrationsheerde),  nicht  selten 
strahlenförmig  zwischen  die  Muskelfasern  der  Umgebung  vordringend,  bald 
wieder  mannigfaltig  amöboid  verzogen  längs  der  Wand  von  kleinsten  Venen 
oder  Capillaren  verstreut  sind.  Die  Keme  dieser  Zellen  unterscheiden  sich  von 
den  Muskelkemen,  die  hier  zumeist  ovoid,  wie  etwas  gebläht  sind  und  nur  ein 
oder  zwei  etwas  grössere,  schwach  gefärbte  Chromatinpunkte  enthalten, 
dadurch,  dass  sie  eine  grössere  Zahl  von  Chromatinpunkten  und  intensivere 
Färbung  derselben,  sowie  dickere,  deutlicher  gefärbte  Verbindungsfäden 
erkennen  lassen.  An  vielen  Stellen  sieht  man  diese  Zellen  von  den  Rändern  her, 
und  zwar  ausschliesslich  an  dicken  Fasern  in  die  Muskelfasern  eindringen, 
diese  gewissermassen  annagend  (VII,  5,  6).  Manche,  nach  Form  und  Lage,  als 
Durchschnitte  des  Sarcolemmas  dicker  Fasem  erscheinende  Querschnitte  sind 
theilweise  erfüllt  von  diesen  Zellen,  an  denen,  wenn  sie  nicht  zu  dicht  an- 
einander liegen,  noch  ein  reichliches,  in  amöboider  Bewegung  fixirtes  fein- 
körniges Protoplasma  mit  sehr  starken  Vergrösserungen  erkennbar  ist 

An  den  dicken  Fasern  sind  vielfach  Vacuolen  zu  finden,  in  denen  nicht 
selten  noch  mit  Protoplasma  umgebene  Wanderzellenkeme,  oder  letztere  allein, 
zuweilen  aber  auch  nur  feinere  und  gröbere  Kömchen  zu  finden  sind,  die  unge- 
färbt oder  nur  ganz  wenig  gefärbt  erscheinen,  (VIII,  6).  Einzelne  dicke  Fasem 
sind  von  Vacuolen  ganz  durchsetzt,  doch  sind  dann  die  dünnen  Brücken  von 
Fasersubstanz  zwischen  den  Vacuolen  zuweilen  noch  ganz  deutlich  quer- 
gestreift (VIII,  4).  An  anderen  dicken  Fasem  findet  sich  eine  ausgesprochene 
Zerklüftung  oft  in  ziemlich  regelmässige,  sich  stark  färbende  Abschnitte ;  in  den 
(ungefärbten)  Zwischenräumen  findet  sich,  wie  bei  den  in  indifferenten  Flüssig- 
keiten absterbenden  Fasern  ein  feines  Kömer-  oder  Fadenwerk. 

An  den  dünnen  Fasem,  die  nur  seltener  und  weit  weniger  ausgeprägt 
Zerklüftung  und  keinerlei  Vacuolisirung  erkennen  lassen,  fällt  zunächst  die 
Verarmung  an  Kömchen  im  Ganzen,  und  die  Schwärzung  der  Kömchen  auf 
(V,  1).  In  manchen  Querschnitten  derselben  erscheinen  die  Kömchen  fast  ganz 
verschwunden,  in  anderen  auf  eine  kleinere  Zahl  unregelmässig  stehender 
feiner,  meist  geschwärzter  Kömchen  reducirt,  in  anderen  dagegen  finden  sich 
deutlich  geschwärzte  grössere  Tropfen.  Die  Fasem  erscheinen  dabei  oft  auf- 
fallend verdünnt,  aber  selbst  in  den  dünnsten  verfetteten  Fasem  erscheint  öfter 


Muskelfasern  unter  pathologischen  Verhältnissen.  333 

die  Quer-  und  Längsstreifung  noch  deutlich  ausgeprägt;  selbst  an  Fasern  mit 
zahlreichen  grösseren  Fetttropfen  kann  man,  wenigstens  an  fettfreien  Stellen, 
oft  die  Querstreifen  noch  erkennen  (V,  4).  Auch  ist  oft  deutlich  wahrzunehmen, 
dass  die  Fetttröpfchen  an  den  Kreuzungspunkten  von  Quer-  und  Längsstreifen 
liegen  (III,  4).  An  den  der  Norm  gegenüber  chromatinärmeren  Muskelkemen 
lässt  sich  an  beiden  Faserarten  Vermehrung  und  Theilung  doch  nur  in 
massigem  Grade  erkennen.  An  unzweifelhaften  Muskelkemen  ist  nirgends 
Mitose  zu  finden.  P.  Der  Befund  ist  im  Ganzen  derselbe.  Sehr  schön  tritt  hier 
insbesondere  die  regelmässige  Zerklüftung  der  dicken  Fasern  hervor  (V,  6  a  — c) 
und  zwar  wie  bei  F.  ausschliesslich  an  den  Randpartien  der  Präparate.  Minder 
häufig  und  ausgeprägt  ist  die  Faserusur,  die  Physalidenbildung  in  den  Fasern, 
und  das  Vordringen  von  Wanderzellen  in  die  Fasersubstanz  wahrzunehmen. 

A.  Von  letzteren  Erscheinungen  ist  hier  gar  nichts  wahrzunehmen, 
dagegen  findet  sich  hier  eine  auffällige  Schrumpfung  der  Querschnitte  der 
dicken  Fasern,  die  ringsum  oft  von  beträchtlichen  Lücken  umgeben  sind, 
während  die  dünnen  Fasern  ganz  dicht  beisammen  liegen  (VI,  10).  Die  Zer- 
klüflungserscheinungen,  Emigration  und  Kernvermehrung  sind  auch  hier  sehr 
deutlich,  die  Querstreifung  ist  an  beiden  Faserarten  gut  erhalten,  an  den  Quer- 
schnitten derselben  ist  eine  von  spärlichem,  ungefärbt  bleibendem  Geäder  durch- 
setzte fibrillenartige  Punktirung  zu  finden.  M.  Das  Bild  unterscheidet  sich  hier 
hauptsächlich  dadurch  von  jenen  der  A.-Präparate,  dass  in  vielen  Querschnitten 
von  dünnen  Fasern  reichlichere,,  wohl  den  in  F.  erkennbaren  Fetttropfen  ent- 
sprechende, ungefärbt  bleibende  Zwischensubstanz  zwischen  den  auffallend 
verdünnten  Muskelsäulchen  zu  finden  ist  (VI,  2),  die  Querschnittsschrumpfung 
an  den  dicken  Fasern  dagegen  fehlt.  Die  Querschnitte  erscheinen  sowohl  an 
den  dünnen,  wie  an  den  erhaltenen  dicken  Fasern  verkleinert,  in  F.  ist  das  Ver- 
hältniss  der  beiden  Faserarten  an  der  n.  S.  7  :  Sy^,  an  der  g.  S.  6 :  2V4,  es 
erscheinen  also  hier  die  dünnen  Fasern  etwas  stärker  geschrumpft  als  die  dicken. 

An  der  o.  E.  und  dem  k.  B.  M.,  g.  S.  F.,  finden  sich  im  Wesentlichen  die- 
selben Erscheinungen  wie  am  g.  B.  M.,  doch  im  Ganzen  in  minder  ausge- 
sprochenem Maasse.  Die  Muskelkeme  sind  hier  noch  lang  gestreckt,  und 
lassen  mancherlei  Theilungserscheinungen,  aber  keine  Mitosen  erkennen  (IV,  9). 
Dagegen  finden  sich  vereinzelt  Mitosen,  die  nach  ihrer  Lage,  sowie  nach  ihren 
Grössenverhältnissen,  einerseits  zu  den  Muskel-,  anderseits  zu  den  Capillar- 
kemen,  auf  die  Kerne  der  Capillarwand,  an  welcher  sie  liegen,  bezogen  werden 
müssen  (V,  5),  andere  aber  zwischen  den  Fasern,  unter  Zellen,  die  nach  ihrer 
Lage  zu  benachbarten  Captllaren,  sowie  nach  ihrem  Chromatingehalt  und  ihrer 
mannigfach  verzogenen  Gestalt  als  ausgewanderte  farblose  Blutzellen  ange- 
schen werden  müssen  (V,  7). 

V.  13  Tage.  Die  elektrische  Untersuchung  ergibt  einen  Unterschied  von 
S'/jCiif  zu  Ungunsten  der  g.  S.,  Brustumfang  an  derselben  um  \cm  geringer. 
Der  g.  B.  M.,  g.  S.  ist  weit  blasser  als  normal  und  zuckt  beim  Einschneiden  gar 
nicht,  während  der  normale  lebhaft  zuckt. 

G.  B.  M.,  g.  S.  G.  Die  Verarmung  der  dünnen  Fasern  an  in  Gold  sich 
färbenden  Kömchen  ist  hier  noch  weiter  vorgeschritten  und  tritt  namentlich  an 


334  Ph.  Knoll  und  A.  Hauer, 

Querschnitten  sehr  deutlich  hervor  (1, 4).  Viele  dünne  Fasern  erscheinen  nur  als 
im  Ganzen  schwach  rosa  gefärbte,  structurlose  Schläuche,  die  nur  unregel- 
mässig stehende,  feine  und  gröbere  nicht  gefärbte  Körnchen  und  zahlreiche 
Kerne  enthalten. 

F.  Die  Erscheinungen  sind  im  Ganzen  dieselben  wie  bei  IV,  doch  finden 
sich  in  den  Emtgrationsheerden  sehr  zahlreich,  ja  nicht  selten  überwiegend 
rothe  Blutkörperchen.  Auch  hier  kommen  an  den  Zellen  des  Zwischengewebes 
vereinzelt  Mitosen  vor,  während  die  Muskelkeme  beider  Faserarten  wie  leicht 
gebläht  aussehen,  stark  vermehrt  sind  und  vielfach  amitotische  Theilung 
erkennen  lassen.  Beide  Faserarten  haben  im  Ganzen  wesentlich  verringerte 
Durchmesser,  doch  wechseln  diese  an  den  dicken  Fasern  sehr,  so,  dass  diese 
vielfach  wesentlich  stärker  geschwunden  erscheinen,  als  die  dünnen,  oft  aber 
auch  verhältnissmässig  noch  recht  gross  erscheinen.  Die  Usur  der  Muskel- 
faser unter  dem  Andringen  von  Wanderzellen,  das  Eindringen  dieser  in  die 
Fasern  und  ihre  Anhäufung  innerhalb  des  Sarcolemms  tritt  auch  hier  recht 
deutlich  hervor  (VIII,  2).  Auch  die  Präparate  aus  P.,  A.  und  M.  stimmen  im 
Wesentlichen  mit  den  analogen  von  IV  überein;  zu  bemerken  ist  nur,  dass  die 
Querschnittsschrumpfung  an  den  dicken  Fasern  in  den  A.-Präparaten  seltener 
und  geringer  ist  (VI,  7),  und  dass  an  den  dünnen  Fasern  in  denselben  die  Ver- 
dünnung der  Muskelsäulchen  sehr  deutlich  ist  (VI,  9),  sowie  dass  an  den  M.- 
Präparaten auch  sehr  auffällige  Durchmesserverschiedenheiten  an  den  dünnen 
Fasern  zu  Tage  treten. 

An  der  o.  E.  und  am  k.  B.  M.,  g.  S.  F.  finden  sich  im  Wesentlichen  die- 
selben Erscheinungen,  jedoch  im  Ganzen  in  geringerem  Maasse,  wie  am  g.  B.  M. 
Sehr  schön  prägt  sich  am  k.  B.  M.  dieFaserusur  durch  andringende  Wanderzellen 
aus  (VIII,  3).  Hervorzuheben  ist,  dass  die  Kerne  hier  noch  spindelförmig  und 
im  Ganzen  von  normaler  Structur,  aber  in  beiden  Faserarten  erheblich  ver- 
mehrt sind  und  analoge  Theilungsvorgänge  erkennen  lassen,  wie  bei  Inanition 
und  Phosphorvergiftung.  Die  in  den  Schnitten  vom  k.  B.  M.  zu  findenden 
Nervenstämmchen  zeigen  an  allen  Fasern  Schwund  der  Markscheide. 

VI.  14  Tage.  Bei  der  Untersuchung  mit  dem  Inductionsapparate  ergibt 
sich  ein  Unterschied  von  3  cm  zu  Ungunsten,  bei  der  Untersuchung  mit  dem 
Constanten  Strom  ein  Unterschied  von  4 El  zu  Gunsten  der  g.  S.  Der  Brust- 
muskel erscheint  an  der  g.  S.  stark  eingesunken,  bei  Messung  findet  sich  wohl 
nur  ein  Unterschied  des  Brustumfanges  von  1  cm,  doch  ist  diese  Messung,  da 
die  Brust  an  der  g.  S.  hier  concav  ist,  nicht  massgebend  für  die  Beurtheilung 
der  Atrophie.  Bei  Vergleichung  der  Dicke  der  beiden  g.  B.  M.  erscheint  diese 
an  der  g.  S.  auf  die  Hälfte  reduzirt  Die  Farbe  desselben  ist  gelblich,  seine 
Consistenz  wesentlich  vermehrt. 

G.  B.  M.,  g.  S.,  Fr.;  Es  finden  sich  viele  kleine,  glänzende  Tröpfchen  in 
den  dünnen  Fasern.  F.  Die  Erscheinungen  sind  im  Ganzen  dieselben,  wie  bei 
IV  und  V,  doch  ist  die  Verminderung  der  Durchmesser  beider  Faserarten 
beträchtlicher  und  gleichmässiger.  Das  Verhältniss  der  beiden  Faserarten 
beträgt  hier  an  der  n.  S.  ö'/j  :  31/4,  an  der  g.  S. :  41/4  :  2V4.  Femer  sind  hier  die 
Emigrationsheerde  massiger  und  wohl  im  Zusammenhange  hiemit  erscheinen 


Muskelfasern  unter  pathologischen  Verhältnissen.  335 

die  meist  stark  usurirten  Fasern  in  deren  Umgebung  abgeplattet  und  concen- 
trisch  geschichtet  (VII,  4).  Auch  die  dünnen  Fasern  sind  hier  vielfach  stark 
usurirt.  An  den  A.-Präparaten  tritt  die  Verdünnung  der  Muskelsäulchen  in  den 
dünnen  Fasern  noch  deutlicher  zu  Tage,  als  bei  V. 

Vn.  18  Tage.  N.  S.  zuckt  bei  Sem  und  10 El,  g.  S.  bei  6£/,  während 
selbst  bei  Rollenabstand  o  hier  keine  Zuckung  erfolgt.  Der  Brustumfang  ist  an 
derg.  S.  um  \,ßcm  geringer,  doch  ist  die  Brust  auch  hier  stark  concav.  Beim 
Einschneiden  an  der  n.  S.  deutliche,  an  der  g.  S.  keine  Zuckung. 

G.  B.  M.,  g.  S.,  G. :  Es  finden  sich  an  den  dünnen  Fasern  fast  gar  keine 
gefärbte  Kömchen  mehr;  an  den  Querschnitten  derselben  sind  zumeist  innen- 
ständige Kerne  wahrnehmbar. 

F.  Die  dicken  Fasern  bieten  an  den  Randpartien  der  Präparate  starke 
Zerklüftungserscheinungen  dar,  der  Durchmesser  ihrer  Querschnitte  ist  meistens 
stärker  vermindert,  als  jener  der  dünnen  Fasern ;  an  der  Peripherie  mancher 
secundärer  Bündel  fehlen  sie  ganz  und  scheinen  durch  nachrückende  dünne 
Fasern  ersetzt  zu  sein.  An  einzelnen  Stellen  finden  sich  noch  einige  aufTallend 
grosse,  runde  Querschnitte,  die  nach  ihrer  Lage  und  der  grösseren  Zahl  von 
Kernen  in  denselben  den  dicken  Fasern  zugerechnet  werden  müssen.  Ein  Theil 
derselben  wird  durch  Hämatoxylin  sehr  stark,  ein  anderer  sehr  schwach 
gefärbt  Die  dünnen  Fasern  enthalten  keine  Kömchen  mehr,  die  Querstreifung 
tritt  an  denselben  deutlich  hervor  (V,  8),  zuweilen  auch  eine  durch  die  Gliede- 
ning  in  dünne  Säulchen  bedingte  Längsstreifung.  Partien,  in  welchen  die  Quer- 
schnitte dieser  Fasem  kleiner  sind  und  sich  stärker  färben,  wechseln  mit  solchen 
ab,  in  denen  dieselben  grösser  und  schwächer  gefärbt,  wie  gebläht  sind.  Öfter 
Hegen  grössere  Gruppen  von  beiderlei  Querschnitten  in  einem  secundären 
Bündel  beisammen,  meistens  findet  sich  aber  innerhalb  letzterer  nur  eine  Art 
derselben.  In  beiden  Faserarten  finden  sich  zahlreiche  ovoide  Keme,  die  im 
Ganzen  grösser  und  chromatinärmer  sind,  als  die  gewöhnlichen  Muskelkeme 
und  wie  gebläht  aussehen.  Sie  enthalten  gewöhnlich  nur  1—3  sich  nicht  sehr 
stark  färbende  nucleolenartige  Chromatinklümpchen  und  ein  sehr  feines,  sich 
nicht  oder  wenigstens  nicht  deutlich  färbendes  Fadenwerk,  das  aber  nur  bei 
starker  Vergrösserung  (Compensations-Ocular  6—8,  Apochromat  2  mm)  und 
sehr  scharfer  Einstellung  erkennbar  ist,  während  sonst  nur  die  Knotenpunkte 
dieses  Fadenwerkes  wie  feine  Kömchen  wahrnehmbar  sind  (IV,  10  b). 
Aneinanderlagerung  der  Keme  in  längeren  oder  kürzeren  Reihen,  sowie  Ein- 
schnürung derselben  an  der  Peripherie,  lassen  rege  Vermehrung  derselben 
erkennen  (IV,  1  b).  Im  Ganzen  unterscheiden  sich  diese,  nicht  selten  in  Vacuolen 
liegenden  und  auf  dem  Querschnitt  der  dünnen  Fasem  zumeist  central  stehenden 
Keme,  sehr  deutlich  von  den  kleineren,  kugeligen,  chromatinreichen  Kemen  in 
den  auch  hier  sehr  zahlreichen  und  sehr  massigen  Emigrationsheerden,  doch 
finden  sich  an  der  Peripherie  letzterer  mancherlei  Übergänge  zwischen  beiden 
Kemarten,  so  dass  genetische  Beziehungen  zwischen  denselben  nicht  ganz 
sicher  auszuschliessen  sind.  Auf  dem  Querschnitt  der  dünnen  Fasem  erscheint 
meist  nur  ein  Kern,  öfter  finden  sich  aber  auch  2  —  3  über  denselben  verstreut 
Nicht  selten  stösst  man  auf  kleine,  glänzende  Kömchen  an  den  Fasem,  die 


336  Ph.  Knoll  und  A.  Hauer, 

meist  isolirt,  zuweilen  aber  auch  in  kleinen,  kemähnlichen  Häufchen  beisammen 
liegen  und,  wo  sie  etwas  grösser  sind,  einen  gelbrothen  Farbenton  erkennen 
lassen.  Die  Venen  sind  strotzend  gefüllt,  Hämorrhagien  ziemlich  häufig.  An 
Nervenstämmchen  findet  sich  keine  Spur  der  Markscheide  mehr,  nur  einzelne 
geschwärzte  Tropfen  kommen  zwischen  dem  Faserwerke  derselben  vor. 

A.  Die  dünnen  Fasern  erscheinen  deutlich  längs-  und  quergestreift,  die 
Längsstreifen  sind  sehr  fein.  Auf  dem  Querschnitte  dieser  Fasern  erscheinen  die 
dünnen  ßbrillenartigen  Muskelsäulchen  um  den  zumeist  wie  in  einer  V^acuole 
liegenden  Kern  concentrisch  gruppirt  (VII,  2),  und  zwar  oft  in  einer  einzigen 
ganz  dünnen  Reihe  (VI,  3).  Manchmal  erscheint  in  letzterem  Falle  der  Kern  wie 
geschrumpft  und  im  Ganzen  gefärbt.  Im  Allgemeinen  heben  sich  auch  hier  die 
schwächer  gefärbten  Muskelkeme  von  den  dunkler  gefärbten  Kernen  in  den 
Emigrationsheerden  deutlich  ab  (VI,  1),  doch  ßnden  sich  die  oben  beschriebenen 
Übergänge  auch  hier.  Auf  Längsschnitten  ßnden  sich  die  Kerne  in  den  dünnen 
Fasern  nicht  selten  wie  in  einer  Art  Canal  aneinandergereiht  (VI,  8).  Auch  an 
den  dicken  Fasern  erscheinen  die  Kerne  oft  in  Vacuolen  und  die  Fibrillen  weit 
auseinanderstchend  (VII,  2). 

M.  Die  Verhältnisse  sind  im  Ganzen  dieselben,  wie  bei  den  A. -Präpa- 
raten (VI,  6),  insbesondere  treten  auch  hier,  die  wie  in  einem  Canal  aneinander 
gereihten  Kerne  in  den  dünnen  Fasern  sehr  schön  hervor.  Die  Übereinstimmung 
des  Farbentons  zwischen  den  früher  erwähnten  glänzenden  Körnchen  und  den 
Blutkörperchen  ist  hier  recht  auffallend. 

O.  E  und  k.  B.  M.,  g.  S.  F.:  Die  Fasern  sind  verdünnt,  und  zwar  die 
dicken  verhältnissmässig  mehr  als  die  dünnen,  in  welchen  die  Kömchen  spär- 
licher und  feiner  sind  als  sonst.  Es  finden  sich  Zeichen  massiger  Emigration 
und  kleine  Blutungen,  sowie  in  beiden  Faserarten  Kemwucherung. 

VIII.  35  Tage.  An  der  n.  S.  erfolgt  Zuckung  beim  Rollenabstand  von  9  cm 
und  SEL,  an  der  g.  S.  selbst  bei  Rollenabstand  o  keine  Zuckung,  dagegen 
Zuckung  bei  4  El.  Dicke  des  g.  B.  M.  an  der  n.  S.  1.  3  cm,  an  der  stark  concaven 
g.  S.  Y2  ^^-  Auffallende  Blässe  und  Resistenz  desselben  an  der  g.  S. 

G.  B.  M.,  g.  S.  G. :  Der  Befund  im  Ganzen,  wie  bei  VII,  doch  finden  sich 
hier  vereinzelte,  nicht  gefärbte  Kömchen  (I,  8,  9),  denen  auf  den  Schnitten  aus 
F.  vereinzelte,  geschwärzte  Kömchen  entsprechen.  Ebenso  ist  die  Gesammtheit 
der  Erscheinungen  an  den  F. -Präparaten  dieselbe,  wie  bei  VII,  doch  sind  die 
Emigration,  die  Blutungen  und  deren  Derivate  hier  noch  massenhafter,  der 
Schwund,  namentlich  der  dicken  Fasem  und  die  Kemvermehrung  in  beiden 
Faserarten  noch  hochgradiger.  Das  Vorkommen  von  2  —  3  Kernen  an  den  Quer- 
schnitten der  dünnen  Fasern  ist  hier  sehr  häufig  (V,  3).  Überaus  häufig  finden 
sich  hier,  wie  bei  VII,  Kerne,  an  deren  Oberfläche  eine  bogenförmige  Furche 
dahin  zieht,  und  die  an  der  Stelle,  wo  diese  Furche  liegt,  häufig  vorkommende 
seitliche  Einbuchtung  des  Kernes,  die  Vertheilung  der  nucleoienartigen  Chro- 
matinklümpchen  auf  die  beiden  durch  die  Furche  geschiedenen  Kerntheile, 
wobei  zuweilen  noch  ein  gefärbter  Faden  zwei  Chromatinklümpchen  verbindet, 
endlich  die  nahezu  vollständige  Sondemng  der  beiden  Theile  geben  ein  Bild 
der   hier  bei   der  Vermehrung  der  Muskelkerne  sich   vollziehenden  Vorgänge 


Muskelfasern  unter  pathologischen  Verhältnissen.  337 

(IV,  la).  Auch  die  Präparate  aus  A.  und  M.  stimmen  im  Wesentlichen  mit  den  bei 
VII  beschriebenen  überein  (VI,  5,  VII,  3).  An  den  Längsschnitten  treten  die 
iibrillenartige  Feinheit  der  Muskelsäulchen  und  die  Trennung  derselben  durch 
erhebliche  Zwischenräume,  sowie  die  Kemreihen,  an  den  Querschnitten  starke 
Schrumpfung  der  dicken  Fasern,  sowie  Sonderung  der  dünnen  Muskelsäulchen 
deutlich  hervor.  In  der  Umgebung  grösserer  Gefässe  findet  sich  oft  reichliches 
Fettgewebe. 

0.  E.,  g.  S.,  Fl.  Auch  hier  ist  die  Körnelung  an  den  dünnen  Fasern  und 
der  Unterschied  der  beiden  Faserarten  an  den  meisten  Stellen  der  Präparate 
fast  verschwunden.  In  vielen  Fasern  besteht  ausgesprochene  Kemvermehrung, 
doch  sind  die  Kerne  langgestreckt  und  chromatinreicher  als  im  g.  B.  M. 

K.  B.  M.,  g.  S.  F. :  Ausser  denselben  Erscheinungen,  wie  an  der  O.  £.  ist 
hier  noch  beträchtliche  Emigration,  Usur  der  Fasern  durch  die  vordringenden 
Wanderzellen  und  Ansammlung  dieser  an  Faserbruchstücken  innerhalb  des 
Sarcolemms  zu  beobachten,  während  an  den  entfernteren  intacten  Partien  der 
betreffenden  Fasern  keine  oder  nur  eine  ganz  geringe  Kemvermehrung  zu 
finden  ist  (VII,  l;  VIII,  1). 

Kurz  zusammengefasst,  stellen  sich  die  Vorgänge  an  der 
vom  Plexus  axillaris  bei  der  Haustaube  versorgten  Musculatur 
nach  Resection  desselben  folgendermassen  dar: 

Elektrische  Reaction:  Zunächst  tritt  eine  Abnahme  der 
Erregbarkeit  gegenüber  beiden  Stromesarten  am  g.  B.  M.  der 
g.  S.  hervor.  Am  17.  Tage  nach  der  Operation  ist  die  Erregbar- 
keit für  den  inducirten  Strom  hier  vermindert,  jene  für  den 
galvanischen  aber  gesteigert.  Am  18.  und  26.  Tage  ist  die  Erreg- 
barkeit für  erstere  Stromesart  ganz  erloschen,  jene  für  die 
letztere  gesteigert.  Dabei  erweist  sich  die  KS,  wie  hier  hinzu- 
zufügen ist,  immer  noch  wirksamer  als  die  A  S. 

Dicke,  Farbe  und  Consistenz  der  Musculatur: 
Innerhalb  der  ersten  8  Tage  ist  nur  eine  geringe  Abnahme  der 
Dicke  der  Musculatur,  und  am  8.  Tage  ein  deutliches  Blass- 
werden derselben  zu  bemerken.  Vom  11.  Tage  an  tritt  beides 
immer  stärker  hervor,  und  am  35.  Tage  ist  die  Blässe  des 
g.  B.  M.,  g.  S.  sehr  auffallend,  seine  Dicke  auf  wenig  mehr,  als 
%  reducirt  und  seine  Consistenz  sehr  vermehrt. 

Reaction  auf  den  mechanischen  Reiz:  Schon  vom 
6.  Tage  ab  zuckte  der  g.  B.  M.  beim  Einschneiden  an  der  g.  S. 
nicht  mehr. 

Die  Nervenstämmchen  in  den  Schnittpräparaten  aus  F. 
Hessen  eine,  bis  zum  vollständigen  Schwinden  der  Markscheide 


338  Ph.  Knoll  und  A.  Hauer, 

fortschreitende  Degeneration  erkennen,  in  Übereinstimmung  mit 
den  Ergebnissen  der  Untersuchung  der  peripheren  Nerven- 
stümpfe in  Osmium. 

Die  Venen  in  der  gelähmten  Musculatur  sind  schon  vom 
5.  Tage  ab  strotzend  mit  Blut  gefüllt  und  von  da  ab  sind 
Zeichen  von  Emigration  (V,  7;  VII,  1—6;  VIII,  1,  3),  und  Dia- 
pedese  zu  finden;  vom  11.  Tage  ab  sind  in  im  Ganzen  stetig 
anwachsenden  Maasse  Haufen  ausgewanderter  farbloser  Blut- 
zellen (Emigrationsheerde,  VI,  1;  VII,  4)  und  Blutungen  zu 
finden.  Die  Kerne  in  den  Emigrationsheerden  und  den 
Wanderzellen  überhaupt  unterscheiden  sich,  wo  sie  nicht 
amöboid  verzogen  sind,  von  den  Muskelkernen  durch  kugelige 
Form  und  stärkeren  Chromatingehalt  im  Allgemeinen  deutlich, 
doch  finden  sich  auch  Übergangsformen,  welche  die  Möglich- 
keit, dass  die  Kerne  von  in  Muskelfasern  eingewanderten  farb- 
losen Blutzellen  zu  Muskelkernen  werden,  nicht  mit  aller 
Sicherheit  ausschliessen  lassen. 

Die  Muskelkerne  lassen  in  beiden  Faserarten  vom 
5.  Tage  ab,  Vermehrung  und  Theilungsvorgänge  erkennen,  doch 
ist  nirgends  an  unzweifelhaften  Muskelkemen  Mitose  zu  finden, 
während  solche  an  Zellen  des  Zwischengewebes  vereinzelt 
vorkommt  (V,  5,  7).  Die  Muskelkerne  zeigen  dabei  zunächst 
noch  im  Ganzen  die  normale  Form  und  Structur  (IV,  9).  Ob  das 
unter  diesen  Umständen  häufig  zu  findende  amöboide  Ver- 
zogensein der  Kerne  in  Beziehung  zur  Kerntheilung  steht,  muss 
dahingestellt  bleiben,  da  diese  Erscheinung  sich  zuweilen  auch 
an  Muskelkernen  der  n.  S.  findet.  Die  Theilungsvorgänge  sind 
zunächst  denen  bei  Phosphorvergiftung  und  Inanition  analog, 
und  sind  auch  wie  dort  zunächst  auf  die  dicken  Fasern 
beschränkt. 

Vom  11.  Tage  ab  haben  die  Muskelkerne  im  g.  B.  M. 
zumeist  eine  ovoide  Form,  sind  chromatinärmer,  das  Chromatin 
derselben  ist  im  Wesentlichen  auf  1 — 3  nucleolenartige  Klumpen 
reduzirt,  neben  denen  ein  sehr  feines,  nicht  deutlich  gefärbtes 
Fadenwerk  zu  finden  ist  (IV,  10,  a,  b).  Furchung  und  Ein- 
buchtung dieser  Kerne,  Vertheilung  der  nucleolenartigen 
Chromatinklümpchen  in  die  Kerntheile,  Bildung  kleiner  Kem- 
häufchen  oder  langer  Kernreihen  charakterisiren  die  Theilungs- 


Muskelfasern  unter  pathologischen  Verhältnissen.  339 

Vorgänge  an  diesen,  wie  gebläht  aussehenden  Kernen  (IV,  1  a, 
\b).  An  den  dünnen  Muskelfasern,  die  sonst  nur  spärliche,  fast 
ausschliesslich  randständige  Kerne  haben,  erscheinen  unter 
diesen  Umständen  zahlreiche  innenständige,  oft  central  gela- 
gerte Kerne  (V,  3;  VI,  1,  3,  6;  VII,  2,  3).  Die  Frage,  ob  alle  die 
letzteren  von  den  ersteren  Kernen  abstammen,  und  welche  Vor- 
gänge dann  beim  Wechsel  der  Kemlage  stattfinden,  muss  offen 
bleiben. 

An  den  dicken  Muskelfasern  ist  vom  6.  Tage  ab  aus- 
geprägter Zerfall  zu  beobachten,  der  aber  auf  die  der  mechani- 
schen und  chemischen  Schädigung  in  erster  Reihe  ausgesetzten 
Randpartien  der  Präparate  beschränkt  ist  (V,  2;  VI,  4).  Die  Zer- 
fallserscheinungen sind  im  Ganzen  dieselben,  wie  man  sie  beim 
Absterben  durch  Zerzupfen  in  physiologischer  Kochsalzlösung 
isolirter  Muskelfasern  unter  dem  Mikroskop  beobachten  kann. 

Nicht  selten  erscheinen  dabei  die  Fasern  im  Zustande  regel- 
mässiger Zerklüftung  in  einzelne  Abschnitte  (V,  6a — c)  und 
die  ganzen  Erscheinungen  des  Absterbens  derselben,  insbe- 
sondere bei  Verwendung  von  Chrom-Osmium-Essigsäure- 
gemisch sehr  getreu  flxirt.  Der  Querschnitt  der  erhaltener, 
dicken  Fasern  erscheint  dabei  schon  vom  5.  Tage  ab  ver- 
kleinert, und  zwar  erheblicher  als  jener  der  dünnen  Fasern 
(VIII,  5).  Dieses  Verhalten  ist  auch  in  der  späteren  Zeit  in  der 
Regel  festzustellen  und  am  35.  Tage  ist  an  den  beiden  Faser- 
arten zumeist  kein  erheblicher  Unterschied  in  der  Dicke  mehr 
wahrzunehmen  (V,  3).  Die  hinsichtlich  dieses  Punktes  ange- 
führten Ausnahmen  dürften  vielleicht  auf  einen  erheblicheren 
Wassergehalt  der  betreflFenden  dicken  Fasern  zurückzuführen 
sein,  wofür  auch  die  unter  Umständen  sehr  beträchtliche 
Schrumpfung  derselben  in  Alkohol  geltend  gemacht  werden 
kann  (VI,  7,  10;  VII,  3).  Vom  11.  Tage  ab  ist  ein  Vordringen 
von  Wanderzellen  gegen  die  dicken  Fasern,  sowie  lacunäre 
Usur,  Vacuolisirung  und  Physalidenbildung  an  diesen  zu 
bemerken  (VII,  1,  4—6;  VIII,  1—3,  6).  Da  diese  Vorgänge  am 
II.  Tage  mit  Sicherheit  nur  an  dicken  Fasern  zu  verfolgen 
sind  (VII,  5,  6),  hat  es  den  Anschein,  als  wenn  von  diesen 
chemotactische  Wirkungen  ausgingen,  die  zu  einer  Zerstörung 
derselben  durch  farblose,  aus  dem  Blute  ausgewanderte  Zellen 


340  Ph.  Knoll  und  A.  Hauer, 

führen,  die  sich  dabei  unter  Umständen  in  grossen  Massen 
innerhalb  des  Sarcolemmas  ansammeln,  eine  Art  von  Muskel- 
zellenschläuchen bildend  (VII,  1  6;  VIII,  1,  2).  Möglicherweise 
hängt  hiemit  die  auffallende  Abnahme  der  Zahl  der  dicken 
Fasern  an  der  Peripherie  der  secundären  Muskelbündel  des 
g.  B.  M.  in  der  späteren  Zeit  nach  der  Nervendurchschneidung 
zusammen. 

An  den  dünnen  Fasern  ist  von  vornherein  die  auf- 
fallendste Erscheinung  der  Schwund  der  interstitiellen  Köm- 
chen, der  schon  frisch  in  Kochsalzlösung  untersucht,  weit 
schlagender  aber  noch  nach  der  Goldbehandlung  oder  an 
Schnittpräparaten  von  in  F.  oder  P.  gehärteten  Präparaten  her- 
vortritt (I,  4,  8,  9;  V,  1—4,  8).  Sowohl  Fv.  als  in  G.,  weit  deut- 
licher, aber  noch  bei  F.  lässt  sich  erkennen,  dass  eine  Umwand- 
lung der  Körnchen  in  Fett  hiemit  Hand  in  Hand  geht  oder 
vielmehr  wohl  dem  Verschwinden  derselben  vorhergeht.  Die 
Querstreifung  der  Fasern  bleibt  dabei  erhalten,  aber  das  Ver- 
schwinden derselben  bei  ganz  schwacher  Säureeinwirkung, 
wie  hier  hinzugefügt  werden  muss,  lässt  erkennen,  dass  die 
fibrilläre  Substanz  selbst  bei  dem  ganzen  Vorgange  nicht 
unverändert  bleibt  Die  Muskelsäulchen  in  diesen  Fasern  lassen 
vom  11.  Tage  ab  eine  erhebliche  Verdünnung  erkennen  (VI,  2, 3, 
9)  und  erscheinen  später,  an  Zahl  sehr  reduzirt,  sowie  die 
Kerne  dieser  Fasern  von  einer  hyalinen  Masse  umflossen  (VI, 
3,  8),  welche,  da  sie  sich  in  Chlorgold  nicht  stärker  färbt,  mit 
der  sonst  in  den  Muskelfasern  vorkommenden  hyalinen  inter- 
fibrillären  Substanz  nicht  identificirt  werden  kann. 

Die  histologischen  Veränderungen  an  der  o.  E.  und  dem 
k.  B.  M.  sind  im  Wesentlichen  dieselben,  wie  am  g.  B.  M.,  doch 
treten  sie  im  Ganzen  schwächer  und  später  auf. 

Wie  bei  der  Inanition  und  der  Phosphorvergiftung  ergibt 
sich  nach  dem  Angeführten,  auch  nach  der  Nervenresection,  ein 
verschiedenes  Verhalten  der  beiden  Faserarten,  und  wenn 
Grützner  bei  der  Behauptung,  dass  unter  diesen  Umständen 
die  »trüben«  Fasern  später  entarten  als  die  »hellen«,  bloss  den 
Faserschwund  im  Auge  hatte,  so  liefern  die  angeführten  Beob- 
achtungen eine  Bestätigung  seiner  Behauptung.  Ob  aber 
hiemit,  wie  er  anzunehmen  geneigt  war,  die  sogenannte  Ent- 


Muskelfasern  utfter  pathologischen  Verhältnissen.  341 

artungsreaction  zusammenhängt,  muss  wohl  dahingestellt 
bleiben,  da  sich  gleichzeitig  auch  die  ausgeprägteste  Verände- 
rung an  den  die  Hauptmasse  des  Muskels  ausmachenden 
dünnen  (»trüben«)  Fasern  vollziehen.  Überdies  wurde  ein 
Kennzeichen  der  Entartungsreaction,  das  Überwiegen  der 
Anodenwirkung  bei  unseren  Beobachtungen  ganz  vermisst 
Es  wäre  aber  immerhin  noch  eine  dankenswerthe  Aufgabe,  in 
parallelen  Untersuchungen,  namentlich  an  Muskeln,  welche 
bloss  aus  der  einen  Fasergattung  bestehen,  die  Veränderungen 
in  der  Structur  und  der  elektrischen  Erregbarkeit  derMusculatur 
weiter  zu  verfolgen. 

Nach  den  beschriebenen,  in  Fig.  1,  6,  Taf.  VII  und  1,  2, 
Taf.  VIII  wiedergegebenen  Erscheinungen,  muss  die  Behaup- 
tung, dass  durch  Einwanderung  von  farblosen  Blutzellen  in  das 
Sarcolemm  Muskelzellenschläuche  entstehen  können,  was  übri- 
gens Gussenbauer  (16)  und  Erbkam  (17)  schon  vor  längerer 
Zeit  angegeben  haben,  aufrecht  erhalten  werden.  Die  Ent- 
stehung dieser  Gebilde  vollzieht  sich  allem  Anscheine  nach 
unter  lacunärer  Usur  der  Muskelfasern,  wie  sie  wohl  zuerst 
von  R.  Volkmann  beim  Muskelkrebs  (18),  von  Gussenbauer 
später  auch  bei  der  traumatischen  Entzündung  gesehen  worden 
ist  (16,  S.  10,  33,  34,  Fig.  1,  2). 

Ob  die  Wanderzellen  bei  ihrem  Vordringen  in  die  Muskel- 
faser das  im  natürlichen  Zustande  vielleicht  weiche  Sacrolemma 
durchsetzen,  oder  ob  dieses  unter  ihrer  Thätigkeit  selbst  ein- 
schmilzt, muss  wohl  dahingestellt  bleiben. 

Ebenso,  ob  es  sich  bei  diesem  Vorgange,  der  an  die  Sar- 
kolyse  im  Froschlarvenschwanz  und  die  Zerstörung  der  Gewebe 
bei  den  Dipteren  erinnert,  nur  um  die  Beseitigung  von  abster- 
benden Muskelfasern  handelt.  Ganz  unwahrscheinlich  wird 
letztere  Vermuthung  nicht  erscheinen,  wenn  man  erwägt,  dass 
jener  Vorgang  sich  zunächst  auf  die  dicken  Fasern  beschränkt, 
welche  auf  den  mit  dem  Härtungsverfahren  verbundenen  Ein- 
griff hin,  wie  beschrieben  wurde,  so  leicht  zerfallen. 

Die  in  der  späteren  Zeit  in  den  dünnen  Fasern  zu  findenden 
Zellreihen  dagegen,  gehen  wohl  in  der  Hauptsache  aus  Kern- 
theilungsvorgängen  innerhalb  der  Faser  hervor,  wenn  auch  eine 
Betheiligung  von  eingewanderten  Zellen  nicht  mit  Sicherheit 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Cl. ;  CI.  Bd.,  Abth.  III.  23 


342  Ph.  Knoll  und  A.  Hkuer, 

auszuschliessen  ist,  da  zu  dieser  Zeit  auch  an  den  dünnen 
Fasern  lacunäre  Usur  und  in  den  Emigrationsheerden  Über- 
gangsformen von  den  Wanderzellenkernen  zu  der  chromatin- 
armen,  ovoiden  Muskelkernart  zu  beobachten  sind. 

Die  Lagerung  dieser  Kerne  in  der  Faserachse  und  die 
Gruppirung  der  isolirten,  durch  reichliche,  hyaline  Zwischen- 
substanz von  einander  getrennten  Muskelsäulchen  um  den 
Kernstrang,  welche  Babinski  bereits  nach  Nervendurch- 
schneidung am  Kaninchen  beobachtet  und  als  ein  Analogen 
des  embryonalen  Muskelfasertypus  bezeichnet  hat  (19),  bedingt 
eine  Annäherung  an  einen  bei  Mollusken  und  Hexapoden, 
sowie  bei  den  Selachiern  sehr  häufigen  und  in  der  Herz- 
musculatur  der  Wirbelthiere  regelmässig  vorkommenden  Faser- 
typus (2,  S.  693). 

Die  ausserordentlich  rege  amitotische  Kerntheilung  in  den 
Muskelfasern,  die  ein  Schüler  Flemming's  (Robert)  und  Nau- 
werck  jüngst  auch  bei  Muskelverletzungen  beobachtet  haben, 
legt  den  Gedanken  nahe,  die  Vorgänge  bei  dieser  Art  der  Kern- 
theilung genauer  zu  studiren,  doch  müsste  hiezu  wohl  ein 
passenderes  Object,  etwa  die  Salamandermusculatur  gewählt 
werden.  An  der  Taube  ist  das  Fadenwerk  im  Kerne  so  fein, 
dass  ein  genauerer  Aufschluss  über  seine  etwaige  Theilnahme 
an  den  Theilungsvorgängen  im  Kerne  ohne  weitere  besondere 
Hilfsmittel  nicht  zu  erwarten  war. 

Schlussbemerkungen. 

Aus  der  Gesammtheit  der  in  den  vorhergehenden  Abschnitten 
mitgetheilten  Beobachtungen  geht  die  hohe  Bedeutung  des  als 
Rest  der  embryonalen  Bildungszelle  die  Zwischenräume  zwischen 
den  Fibrillen  und  dem  Sarcolemma  ausfüllenden  Protoplasma 
für  die  Fibrillen  selbst  hervor.  Je  ärmer  die  entwickelte  Muskel- 
faser an  Protoplasma  ist,  desto  rascher  schwindet  ihre  fibrilläre 
Substanz  bei  derlnanition,  und  es  dürfte  wohl  hiemit  zusammen- 
hängen, dass  der  ausschliesslich  aus  sehr  protoplasmareichen 
Fasern  bestehende  Herzmuskel  unter  diesen  Umständen 
bekanntlich  weniger  an  Gewicht  verliert,  als  die  Skelett- 
musculatur. 


Muskelfasern  unter  pathologischen  Verhältnissen.  343 

An  den  protoplasmareichen  Muskelfasern  aber  sind  hiebe! 
die  ersten  auffälligeren  Veränderungen  an  den  im  Protoplasma 
derselben  enthaltenen  Kömchen  bemerkbar,  die  eine  Abnahme 
im  Ganzen  und  einen  Schwund  der  in  ihnen  enthaltenen  fettigen 
Substanz  erfahren. 

Auch  bei  der  Phosphorvergiftung  und  nach  Nervenresection 
sind  die  ersten  deutlichen  Veränderungen  der  Faserstructur  an 
diesen  Körnchen  wahrnehmbar,  die  in  beiden  Fällen  verfetten, 
in  letzterem  Falle  später  aber  ganz  schwinden. 

In  allen  drei  Versuchsreihen  prägen  sich  also  die  ein- 
tretenden Veränderungen  im  Stofifwechsel  der  Muskelfasern, 
bauptsächlich  in  den  Veränderungen  der  protoplasmatischen 
Granula  aus,  womit  aber  durchaus  nicht  etwa  gesagt  sein  soll, 
dass  diese  als  die  einzigen  Träger  der  Stoffwechselvorgänge  in 
den  Muskelfasern  anzusehen  seien,  wogegen  ja  schon  das  Vor- 
kommen von  Muskeln  spricht,  bei  denen  sie  in  allen  Fasern 
sehr  spärlich  sind.  Es  scheint  vielmehr,  als  würden  die  im 
gesummten  Protoplasma  sich  vollziehenden  Stoffwechselvor- 
gänge an  diesen  Formelementen  desselben,  die  bei  den  Amphi- 
bien zu  gewissen  Jahreszeiten  auch  eine  Neubildung  erfahren 
können  (2,  S.  686),  nur  sichtbar  werden. 

Die  fibrilläre  Substanz  selbst  aber  erfährt  dabei  unter 
Erhaltung  ihrer  Structur  eine  Reduction  und  wohl  auch  eine 
chemische  Veränderung,  wie  das  Verschwinden  der  Quer- 
streifen bei  ganz  schwacher  Säureeinwirkung  erkennen  lässt. 

Der  Unterschied  in  den  Lebenseigenschaften  der  beiden 
Fasern  spricht  sich  auch  darin  aus,  dass  bei  mechanischer  und 
chemischer  Schädigung  nach  der  Nervenresection  die  proto- 
plasmaarmen Fasern  in  viel  ausgedehnterem  Maasse  zerfallen, 
sowie  dass  die  Kernwucherung  und  die  Aufzehrung  durch 
Wanderzellen  an  ihnen  früher  statt  hat,  als  an  den  protoplasma- 
reichen Fasern,  die  in  diesem  Sinne  wohl  als  widerstandsfähiger 
bezeichnet  werden  können,  während  wieder  ein  an  den  Muskel- 
fasern sehr  häufiger  degenerativer  Vorgang,  die  Verfettung,  auf 
die  protoplasmareichen  Muskelfasern  allein  beschränkt  bleibt, 
oder  wenigstens  nur  an  diesen  deutlich  sichtbar  wird.  Das 
starke  Hervortreten  der  Herzverfettung  bei  zur  Verfettung 
führenden  Allgemeinleiden  mag  hiemit  zusammenhängen. 

23- 


344  Ph.  KnoU  und  A.  Hauer, 

Noch  sei  bemerkt,  dass  es  keineswegs  in  unserer  Absicht 
liegt,  aus  den  mitgetheilten,  an  einer  einzigen  Species  gemachten 
Beobachtungen  sichere  Schlüsse  auf  die  Vorgänge  bei  anderen 
Thieren  und  beim  Menschen  unter  sonst  gleichen  Umständen 
zu  ziehen.  Es  schien  aber  zweckmässig,  diese  Vorgänge 
zunächst  an  einem  passenden  Objecte  möglichst  eingehend  zu 
Studiren.  Eine  Wiederholung  dieser  recht  zeitraubenden  Unter- 
suchungen an  einer  grösseren  Zahl  verschiedenartiger  Thiere 
wird  aber  erst  ergeben  können,  in  wie  weit  eine  Verallgemei- 
nerung der  aus  unseren  Beobachtungen  gezogenen  Schluss- 
folgerungen zulässig  ist.  Ebenso  muss  das  Verhalten  der  beiden 
Faserarten  bei  der  Muskelregeneration  weiteren  Untersuchungen 
vorbehalten  bleiben. 


Verzeichniss  der  angeführten  Abhandlungen. 

1.  Tageblatt  der  62.  Naturforscherversammlung  zu  Heidel- 
berg. Heidelberg  1890.  S.  322. 

2.  Ph.  Knoll.  Über  protoplasmaarme  und  protopiasma- 
reiche  Musculatur.  Denkschriften  der  mathematisch-naturwissen- 
schaftlichen Classe  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften. 
Wien  1891.  S.  633. 

3.  Ph.  Knoll.  Über  Myocarditis  und  die  übrigen  Folgen 
der  Vagussection  bei  Tauben.  Zeitschrift  für  Heilkunde.  Bd.  1. 
1880.  S.  42—47. 

4.  Grützner.  Zur  Physiologie  und  Histologie  der  Skelett- 
muskeln. Breslauer  ärztliche  Zeitschrift.  1883,  S.  257. 

5.  Flemming.  Weitere  Mittheilungen  zur  Physiologie  der 
Fettzelle.  Archiv  für  mikroskopische  Anatomie.  Bd.  7.  S.  328. 

6.  Gaglio.  Sülle  alterazioni  istologiche  e  funzionali  dei 
muscoli  durante  Tinanizione.  Archivio  per  le  scienze  mediche. 
Vol.  VII.  N.  20.  1884. 

7.  G,  R.  Wagener.  Über  die  Entstehung  der  Querstreifen 
auf  den  Muskeln  und  die  davon  abhängigen  Erscheinungen. 
Archiv  für  Anatomie  und  Physiologie.  Anatomische  Abtheilung. 
1 880.  S.  268. 


Muskelfasern  unter  pathologischen  Verhältnissen.  345 

8.  Kolli ker.  Einige  Bemerkungen  über  die  Endigungen 
der  Hautnerven  und  den  Bau  der  Muskeln.  Zeitschrift  für 
wissenschaftliche  Zoologie.  Bd.  VIII.  S.  319.   1857. 

9.  Steffan.  Die  kernähnlichen  Gebilde  des  Muskelprimitiv- 
bündels J.  D.  Erlangen  1860. 

10.  Alexander  Stuart.  Experimentelle  Untersuchungen 
über  die  fettige  Entartung  des  Muskelgewebes.  Archiv  für 
mikroskopische  Anatomie.  Bd.  I.   1865. 

11.  G.  R.  Wagener.  Die  Entstehung  der  Querstreifen  auf 
den  Muskeln.  Pflüger's  Archiv.  Bd.  30.  S.  521. 

12.  Altmann.  Die  Elementarorganismen  und  ihre  Bezie- 
hungen zu  den  Zellen.  Leipzig  1890.  Taf.  X. 

13.  Gad  und  Heymans.  Das  Myelin,  die  myelinhaltigen 
und  myelinlosen  Nervenfasern.  Du  Bois-Reymond*s  Archiv 
1890.  S.  530. 

14.  A.  Heffter.  Das  Lecithin  der  Leber  und  sein  Verhalten 
bei  der  Phosphorvergiftung.  Archiv  für  experimentielle  Patho- 
logie. Bd.  28.  S.  97. 

15.  Samuel.  Das  Gewebswachsthum  bei  Störungen  der 
Innervation.  Virchow's  Archiv.  Bd.  113.  S.  288. 

16.  C.  Gussenbauer.  Über  Veränderungen  des  quer- 
gestreiften Muskelgewebes  bei  der  traumatischen  Entzündung. 
Archiv  für  Chirurgie.  Bd.  XII.  S.  1030  ff. 

17.  B.  Erbkam.  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Degeneration 
und  Regeneration  quergestreifter  Musculatur  nach  Quetschung. 
Virchow's  Archiv.  Bd.  79.  S.  67fiF. 

18.  R.  Volkmann.  Zur  Histologie  des  Muskelkrebses. 
Ebenda.  Bd.  50.  S.  547. 

19.  J.  Babinski.  Des  modifications  que  presentent  les 
muscles  ä  la  suite  de  la  section  des  nerfs  qui  s'y  rendent. 
Comptes  rendus.  T.  98.   1884.  S.  51. 


346  Ph.  Knoll  und  A.  Hauer, 


Erklärung  der  Abbildungen. 


Die  römischen  Ziffern  zeigen  die  Tafeln,  die  arabischen  die  Figuren  an. 
Wo  nichts  Anderes  bemerkt  ist,  stammen  die  sämmtlich  von  der  Haustaube 
gewonnenen  Präparate  vom  grossen  Brustmuskel  her,  sind  in  starkem  Chrom- 
Osmium-Essigsäuregemisch  gehärtet  und  in  mit  gleichen  Theilen  Wasser  ver- 
dünntem Glycerin  aufgehellt.  Fig.  1 — 9  auf  Taf.  I,  sind  nach  Goldpräparaten 
gezeichnet. 

A.  bedeutet  Härtung  in  Alkohol,  M.  in  M  ü  1 1  e r 'scher  Flüssigkeit,  P.  in 
Kleinenberg 's  Pikrinschwefelsäure,  Hä.  Färbung  in  Grenacher'schem 
Hämatoxylin,  S.  in  Safranin,  C.  Aufhellung  mit  Origanumöl  und  Canadabalsam. 
Die  am  Ende  jeder  Figurenerklärung  angeführten  Ziffern  und  Buchstaben  zeigen 
die  angewendeten  Oculare  und  Objectivlinsen  von  Zeiss  an,  wobei  der  Zusatz 
Ap.  Apochromate  bedeutet.  Die  zu  Beginn  der  Figurenerklärung  stehenden 
eingeklammerten  Ziffern  zeigen  die  Zahl,  der  seit  dem  Beginn  der  Nahrungs- 
entziehung oder  der  Phosphorzufuhr,  beziehungsweise  seit  der  Nervendurch- 
schneidung verstrichenen  Tage  an. 

I. 

1.  Normal.  Querschnitte  dünner  Fasern.  3,  D.  D. 

2.  (6)  Inanition.  Längsschnitte  dünner  Fasern.  Ap.  8,  8. 

3.  (6)         »  Querschnitte.  3,  D. 

4.  (13)  Nervendurchschneidung.  Querschnitte  dünner  Fasern.  2,  E. 

5.  (2)  Phosphorvergiftung.  Querschnitte.  2,  E. 

6.  Normal.  Längsschnitte  dünner  Fasern.  3,  DD. 

7.  (6)  Inanition.  Herz.  Querschnitte.  2,  1/12. 

8.  (35)  Nervendurchschneidung.  Querschnitte.  3,  DD. 

9.  (35)  »  Längsschnitt.  3,  DD. 

10.  Normal.  Ap.  12,  Srnm. 

11.  »  Ap.  12,  Smm. 

12.  *  A.   Ap.  12,  Smm. 

13.  >  Ap.          12,  8f»m. 

14.  »  A.   Ap.  12,  Smm. 

15.  »  M.   Ap.  12,  Smm. 

16.  »  A.   Ap.  12,  Smm. 

17.  »  M.   Ap.  12,  Smm. 


Muskelfasern  unter  pathologischen  Verhältnissen. 


347 


II. 

l. 

Normal. 

M. 

Ha.  C.  Ap.  12,8«»«. 

2. 

> 

A. 

Ha.  C.  Ap.  12,  Smm. 

3. 

(7)  Inanition.  2,  F. 

4. 

(7)         ■ 

* 

2,  F. 

5. 

(8)         . 

» 

Herz.  A.  Ha.  C.  2,  1/12. 

6. 

(8)         . 

» 

Herz,  2,  1/12 

7. 

(13)       . 

¥ 

2  F. 

8. 

(7)         • 

t 

S.  C.  Kleiner  Bnistmuskel.  Ap.  4,  2  mm. 

9. 

(7)         • 

» 

S.  C.  Ap.  4,  2  mm. 

10. 

(14)       . 

» 

Ap.  8.  Smm. 

III. 


Abgesehen  von  4,  stammen  alle  Figuren  von  mit  Phosphor  vergifteten 
Tauben  her. 

1.  (23),  Ap.  12,  Smm. 

2.  (17),  3,  DD. 

3.  (17),  Herz.  Ap.  4,  2mm. 

4.  (11)  Nervendurchschneidung.  Ap.  6,  2  mm. 

5.  (17)  Herz.  3,  D. 

6.  (23),  Ap.  12,  Smm. 

7.  (23),  Ap.  12,  Smm. 

8.  (23),  Ap.  12,  Smm. 

9.  (2),  Ap.  \2,Smm 

IV. 

S.  C.  für  sämmtliche  Figuren  giltig. 
\a  (35);  \b  (18),  Nervendurchschneidung.  Ap.  6,  2mm. 

2.  (10)  Phosphorvergiftung.  Ap.  6,  2  mm. 

3.  (7)  Inanition.  Ap.  6,  2  mm. 

4.  (7)         »  Ap.  6,  2  mm. 

5.  (23)  Phosphorvergiftung.  2,  1/12. 

6.  (7)  Inanition.  Ap.  6,  2  mm. 

7.  Normal.  Ap.  6,  2mm. 

8.  (7)  Inanition.  2,  1/12. 

9.  (11)  Nervendurchschneidung.  Obere  Extremität.  Ap.  4,  2  mm. 

10a  (35);  lOb  (18)  Nervendurchschneidung.  Muskcikerne.  Ap.  8,  2mm. 


Die  Figuren   auf  Taf.  V  —  VIII  wurden  sämmtlich   nach  Nervendurch- 
schneidung gewonnen. 


348     Ph.  Knoll  und  A.  Hauer,  Muskeif,  unter  patholog.  Verhältn. 


V. 

1.  (11)  2,  F. 

2.  (6)  3,  B. 

3.  (35)  Ap.  12,  SmtH. 

4.  (11)  Ap.  12,  Smm. 

5.  (11)  Obere  Extremität.  S.  C.  Ap.  4,  2  mm. 
6a,b,c  (11)  P.  Hä.  C.  2,  D. 

7.  (11)  Obere  Extremität.  S.  C.  Ap.  4,  2mm. 

8.  (18)  Ap.  12,  Smm. 


VI. 


1.  (18)  A.  Hä.  C.  Ap.  4,  Smm. 

2.  (11)  M.  Hä.  C.  Ap.  8,  Smm. 

3.  (18)  A.  Hä.  C.  Ap.  4,  2  mm. 

4.  (6)  M.  Ap.  6,  Smm. 

5.  (35)  M.  Hä.  C.  Ap.  12,  Smm. 

6.  (18)  M.  Hä.  C.  Ap.  12,  Smm. 

7.  (13)  A.  Hä.  C.  Ap.  S,Smm. 

8.  (18)  A.  Hä.  C.  Ap.  12,  Smm. 

9.  (13)  A.  Hä.  C.  Ap.  12,  Smm. 

10.  (11)  A.  Hä.  C.  Ap.  6,  Smm. 

11.  (6)  A.  Hä.  C.  Ap.  12,  Smm. 


VII. 


1.  (35)  Kleiner  Brustmuskel.  S.  C.  Ap.  12,  Smm. 

2.  (18)  A.  Hä.  C.  Ap.  12,  Smm. 

3.  (35)  A.  Hä.  C.  Ap.  8,  Smm. 

4.  (14)  Hä.  C.  2,  1/12. 

5.  6.  (11)  S.  C.  2.  F. 

VIII. 

1.  (35)  Kleiner  Brustmuskel.  S.  C.  Ap.  4,  2mm. 

2.  (13)  S.  C.  Ap.  4,  2mm. 

3.  (13)  Kleiner  Brustmuskcl.  S.  C.  2,  F. 

4.  (11)  S.  C.  Ap.  12,  Smm. 

5.  (5)  Ap.  8,  Smm. 

6.  (11)  S.  C.  2,  F. 


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Sitzungsberichte  d. kais.  Akad.  d.  Wiss.,  math.-naturw.Classe,  Bd.CI.  Abth.m.  1892. 


349 


XII.  SITZUNG  VOM  12.  MAI  1892. 


Der  Vorsitzende,  Herr  Vicepräsident  Hofrath  Dr.  J.  Stefan, 
gibt  Nachricht  von  dem  am  5.  Mai  d.  J.  erfolgten  Ableben  des 
Ehrenmitgliedes  dieser  Classe  im  Auslande,  Herrn  geheimen 
Regierungsrath  und  Director  Dr.  August  Wilhelm  Hof  mann 
in  Berlin. 

Die  anwesenden  Mitglieder  geben  ihrem  Beileide  durch 
Erheben  von  den  Sitzen  Ausdruck. 

Se.  Excel  lenz  der  k.  u.  k.  Herr  Feldmarschall-Lieutenant 
und  Obersthofmeister  Se.  k.  u.  k.  Hoheit  des  durchlauchtigsten 
Herrn  Erzherzogs  Rainer  setzt  die  kaiserliche  Akademie  in 
Kenntniss,  dass  Se.  k.  u.  k.  Hoheit  als  Cur  ator  der  Akademie 
die  diesjährige  feierliche  Sitzung  am  30.  Mai  mit  einer 
Ansprache  zu  eröffnen  geruhen  werde. 

Der  Secretär  legt  das  erschienene  Heft  III  (März  1892) 
des  101.  Bandes,  Abtheilung  II.  b.  der  Sitzungsberichte  vor. 

Das  w.  M.  Herr  Regierungsrath  Prof.  E.  Mach  übersendet 
eine  Abhandlung  von  Dr.  G.  J  au  mann,  Privatdocenten  für 
Experimentalphysik  und  physikalische  Chemie  an  der  k.  k. 
deutschen  Universität  in  Prag,  unter  dem  Titel:  »Versuch 
einer  chemischen  Theorie  auf  vergleichend-physi- 
kalischer Grundlage«. 

Das  c.  M.  Prof.  Franz  Exner  in  Wien  übersendet  eine 
Abhandlung,  betitelt:  »Elektrochemische  Untersuchun- 
gent  II. 

Herr  Prof.  Dr.  Josef  Finger  in  Wien  übersendet  eine 
Abhandlung:  Ȇber  die  gegenseitigen  Beziehungen 
gewisser  in  der  Mechanik  mitVorthei'  anwendbaren 

Sitzb.  d.  mathcm.-natunv.  Cl.;  CI.  Bd.,  Abth.  III.  24 


350 

Flächen    zweiter   Ordnung    nebst  Anwendungen   auf 
Probleme  der  Astatik«. 

Der  Secretär  legt  eine  Abhandlung  von  Dr.  Gustav  Jäger 
in  Wien  vor,  betitelt:  »Die  Zustandsgieichung  der  Gase 
in  ihrer  Beziehung  zu  den  Lösungen«. 

Ferner  legt  der  Secretär  ein  versiegeltes  Schreiben  behufs 
Wahrung  der  Priorität  von  Herrn  Ch.  H.  A.  Schellhorn,  Ober- 
Ingenieur  a.  D.  in  Wien,  mit  der  Aufschrift:  »Beitrag  zur 
Mechanik  der  Welt«  vor. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  V.  v.  Ebner  überreicht  eine  vorläufige 
Mittheilung  des  Dr.  Jos.  Seh  äff  er,  Assistenten  am  histologi- 
schen Institute  der  k.  k.  Universität  in  Wien:  »Über  Sarko- 
lyse  beim  Menschen«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  J.  Wiesner  überreicht  eine  im 
pflanzenphysiologischen  Institute  der  k.  k.  Universität  in  Wien 
ausgeführte  Arbeit  von  Dr.  Frid.  Krasser:  »Über  die  Structur 
des  ruhenden  Zellkernes«. 

Femer  überreicht  Herr  Prof.  Wiesner  eine  Abhandlung 
des  Assistenten  am  botanischen  Universitätsinstitute  zu  Inns- 
bruck, Herrn  A.  Wagner,  betitelt:  »Zur  Kenntniss  des 
Blattbaues  der  Alpenpflanzen  und  dessen  biologi- 
scher Bedeutung«. 


351 


XIII.  SITZUNG  VOM  19.  MAI  1892. 


Das  w.  M.  Herr  Prof.  E.  Hering  in  Prag  übersendet  eine 
für  die  Sitzungsberichte  bestimmte  Abhandlung  unter  dem 
Titel:    »Zur  Kenntniss   der  Alciopiden   von  Messina«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  L.  Pfaundler  übersendet  eine  Arbeit 
aus  dem  physikalischen  Institute  der  k.  k.  Universität  in  Graz 
von  dem  Privatdocenten  Dr.  Paul  Czermak,  ersten  Assistenten 
dieses    Institutes:   »Über  oscillatorische  Entladungen«. 

Der  Secretär  legt  eine  eingesendete  Abhandlung  von 
Herrn  J.  Sobotka  in  Zürich:  »Über  Krümmung  und 
Indicatricen  der  Helikoide«  vor. 

Das  c.  M.  Herr  Regierungsrath  Prof  Adolf  Weiss  in  Prag 
übersendet  eine  Arbeit  von  Dr.  Wilhelm  Sigmund,  d.  z.  suppl. 
Professor  an  der  Staats-Oberrealschule  in  Pilsen,  unter  dem 
Titel:  »Beziehungen  zwischen  fettspaltenden  und 
glycosidspaltenden  Fermenten«. 

Herr  Dr.  Alfred  Nalepa,  Professor  an  der  k.  k.  Lehrer- 
bildungsanstalt in  Linz,  übersendet  folgende  vorläufige  Mir 
theilung  über  »Neue  Gallmilben«  (4.  Fortsetzung). 


DEC     8   1892 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WiSSENSCHAHER 


MATHEMATISCH  -NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CI.  BAND.  VI.  HEFT. 


ABTHEILUNG  III. 

« 

ENTHALT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  ANATOMIE  UND 
PHYSIOLOGIE  DES  MENSCHEN  UND  DER  THIERE,  SOWIE  AUS  JENEM  DER 

THEORETISCHEN  MEDICIN. 


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25 


355 


XIV.  SITZUNG  VOM   17.  JUNI   1892. 


Der  Vorsitzende  gibt  Nachricht  von  dem  am  31.  Mai  1.  J. 
zu  Klosterneuburg  erfolgten  Ableben  des  seitherigen  inlän- 
dischen correspondirenden  Mitgliedes  dieser  Classe,  des  Herrn 
Hofrathes  Dr.  Theodor  Meynert,  Professor  der  Psychiatrie  an 
der  k.  k.  Universität  in  Wien. 

Die  anwesenden  Mitglieder  geben  ihrem  Beileide  durch 
Erheben  von  den  Sitzen  Ausdruck. 

Der  Secretär  legt  die  erschienenen  Hefte  I — II  (Jänner 
und  Februar  1892)  des  101.  Bandes  der  Abtheilungen  I  und  III 
der  Si  tzungsberi.chte,  ferner  das  Heft  IV  (April  1892)  des 
13.  Bandes  der  Monatshefte  für  Chemie  vor. 

Das  k.  k.  Ministerium  des  Innern  übermittelt  die  von 
der  niederösterreichischen  Statthalterei  vorgelegten  Tabellen 
über  die  in  der  Winterperiode  1891/92  am  Donaustrome  im 
Gebiete  des  Kronlandes  Niederösterreich  und  am  Wiener  Donau- 
canale  stattgehabten  Eisverhältnisse. 

Das  Curatorium  der  Schwestern  Fröhlich-Stiftung  in 
Wien  übermittelt  die  diesjährige  Kundmachung  über  die  Ver- 
leihung von  Stipendien  und  Pensionen  aus  dieser  Stiftung  zur 
Unterstützung  bedürftiger  und  hervorragender  Talente  auf  dem 
Gebiete  der  Kunst,  Literatur  und  Wissenschaft. 

Herr  Prof.  Dr.  Guido  Goldschmiedt  in  Prag  dankt  für 
die  Zuerkennung  des  Ig.  L.  Lieben*schen  Preises,  und  die 
Herren  Professoren  Dr.  Ig.  Klemencic  in  Graz  und  Dr.  Ernst 
Lech  er  in  Innsbruck  danken  für  den  ihnen  zu  gleichen  Theilen 
zuerkannten  A.  Freiherr  v.  ß aum gar tn er  sehen  Preis. 

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Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Director  F.  SteindaChner  über- 
gibt eine  für  die  Denkschriften  bestimmte  Abhandlung  ichthyo- 
logischen Inhaltes  unter  dem  Titel:  Ȇber  einige  neue  und 
seltene  Fischarten  in  den  Sammlungen  des  k.  k.  natur- 
historischen Hofmuseums«. 

Das  c.  M,  Herr  Prof.  L.  Gegenbauer  in  Innsbruck  über- 
sendet eine  Abhandlung:  »Über  den  grössten  gemein- 
schaftlichen Theiler«. 

Das  c.M.  Herr  Prof.  H.Weidel  in  Wien  übersendet  folgende 
zwei  Arbeiten  aus  dem  I.  chemischen  Laboratorium  der  k.  k. 
Universität  in  Wien: 

1.  »Studien  über  stickstofffreie  aus  den  Pyridin- 
carbonsäuren  entstehende  Säuren«  (II.  Mittheilung), 
von  Prof.  H.  Weidel  und  J.  Hoff 

2.  ^Zur  Kenntniss  der  Mesityl-  und  Mesitonsäure*, 
von  Prof.  H.  Weidel  und  Dr.  E.  Hoppe. 

Das  c.  M.  Herr  Hofrath  E.  Ludwig  übersendet  eine  Ab- 
handlung des  Herrn  Prof.  F.  Emich  in  Graz:  »Zum  Ver- 
halten des  Stickoxydes  in  höherer  Temperatur«  (II. Mit- 
theilung). 

Der  Secretär  legt  folgende  eingesendete  Abhandlungen 
vor: 

1.  »Zur  Elasticität  der  Gase«,  von  P.  Carl  Puschl,  Stifts- 
capitular  in  Seitenstetten. 

2.  "Die  gegenseitigen  Beziehungen  der  physik.i- 
lischen  und  chemischen  Eigenschaften  der  chemi- 
schenElemente  und  Verbindungen«,  von  Prof.  Herm. 
Fritz  am  Polytechnicum  in  Zürich. 

3.  »Üb  er  adjungirte  lineare  Differentialgleichungen«, 
von  Prof.  Dr.  Georg  Pick  an  der  k.  k.  deutschen  Universität 
in  Prag. 

4.  Ȇber  ein  einfaches  Hydrodensimeter*,  von  Prof 
Dr.  Alois  Handl  an  der  k.  k.  Universität  in  Czernowitz. 

Ferner  überreicht  der  Secretär  den  von  den  Professoren 
J.  Luksch  und  J.  Wolf  an  der  k.  und  k.  Marineakademie  in 
Fiume  vorgelegten  vollständigen  Bericht  über  die  an  Bord  S.  M- 


357 

Schiff  »Pola«  in  den  Jahren  1890  und  1891  durchgeführten 
physikalischen  Untersuchungen  im  östlichenMittel- 
meer. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Friedrich  Brauer  bespricht  die  von 
Macquart  aufgestellte  Tachinarien-Gattung  Pachystylum  und 
weist  nach,  dass  dieselbe  wahrscheinlich  identisch  mit  der  von 
ihm  und  Herrn  J.  v.  Bergenstamm  in  den  Denkschriften 
beschriebenen  Gattung  Chaetomera  sei. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Ad.  Lieben  überreicht  eine  Abhandlung: 
*Ober  Darstellung  von  Crotonaldehyd«. 

Ferner  überreicht  Herr  Prof.  Lieben  folgende  zwei  Ab« 
Handlungen: 

1.  Ȇber  das  Verhalten  von  Thiocarbonaten  zu 
Phenolen«,  Arbeit  aus  dem  chemischen  Laboratorium 
der  k.  k. Universität  in  Czemowitz  von  Prof  Dr.  R.  P?ibram 
und  C.  Glücksmann. 

2.  Ȇber  die  Darstellung  von  Aldol  und  Croton- 
aldehyd«, von  W.  R.  Orndorff  und  S.  B.  Newburg  aus 
Ithaka,  U.  S.  of  America. 

Von  Herrn  Dr.  C.  Diener,  welcher  im  Auftrage  der 
akademischen  Boue-Commission  eine  geologische  Forschungs- 
reise nach  dem  centralen  Himalaya  angetreten  hat,  wird  ein 
Schreiben  ddo.  Almora  (Kumaon),  23.  Mai  1.  J.  vorgelegt. 


Selbständige  Werke  oder  neue,  der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

Fletcher,  L.,  The  optical  indicatrix  and  the  transmission  of 
light  in  crystals.  London,  1892,  8". 

Haeckel,  Ernst,  Anthropogenie  oder  Entwickelungsgeschichte 
des  Menschen.  Keimes-  und  Stammes-Geschichte.  L  Theil. 
Keimesgeschichte  oder  Ontogenie;  II.  Theil.  Stammes- 
geschichte oder  Phylogenie.  (Mit  20  Tafeln,  440  Text- 
figuren und  52  genetischen  Tafeln.)  Leipzig,  1891;  8". 

Spezia,  Georgio,  Suirorigine  del  solfo  nei  giacimenti  solfiferi 
della  Sicilia. 


358 

Siemens,  Werner,  Wissenschaftliche  und  technische  Arbeiten. 
I.  Band.  Wissenschaftliche  Abhandlungen  und  Vorträge. 
(Mit  dem  Bildnisse  des  \'erfassers  und  41  Abbildungen  im 
Texte.)  II.  Band.  Technische  Arbeiten.  (Mit  204  Text- 
figuren.) Berlin,  1891;  8*^. 


Preisaufgfabe 

für  den  von  A.  Freiherm  v.  Baumgartner  gestifteten 

Preis. 

(Ausgeschrieben  am  30.  Mai  1886 ;  erneuert  am  30.  Mai  1 889  und  am  30.  Mai  1892.) 

Die  mathem.-naturw.  Classe  der  kaiserlichen  Akademie  der 
Wissenschaften  hat  in  ihrer  ausserordentlichen  Sitzung  vom 
27.  Mai  1892  beschlossen,  für  den  A.Freiherr  v.  Baumgartner- 
schen  Preis  folgende  Aufgabe  abermals  zu  erneuern. 

Der  Zusammenhang  zwischen  Li  cht  ab  Sorption  und 
che  misch  er  Constitution  ist  an  ein  er  möglichst  grossen 
Reihe  von  Körpern  in  ähnlicher  Weise  zu  untersuchen, 
wie  dies  Landoldt  in  Bezug  auf  Refraction  und  chemi- 
sche Constitution  ausgeführt  hat;  hiebei  ist  wo  mög- 
lich nicht  nur  der  unmittelbar  sichtbare  Theil  des 
Spectrums,  sondern  das  ganze  Spectrum  zu  berück- 
sichtigen. 

Der  Einsendungstermin  der  Concurrenzschriften  ist  der 
31.  December  1895;  die  Zuerkennung  des  Preises  von  1000  fl. 
ö.  W.  findet  eventuell  in  der  feierlichen  Sitzung  des  Jahres 
1896  statt. 


359 


XV.  SITZUNG  VOM  23.  JUNI  1892. 


DerSecretär  legt  das  erschienene  Heft  III  (März  1892) 
des  101.  Bandes,  Abtheilung  II.  a.  der  Sitzungsberichte  vor. 

Das  k.  und  k,  Reichs-Kriegs-Ministerium  »Marine-Section« 
theilt  mit,  dass  den  Wünschen  der  kaiserlichen  Akademie  hin- 
sichtlich der  während  der  diesjährigen  Expedition  S.  M.  Schiffes 
>Pola«  einzuhaltenden  Route,  der  durchzuführenden  Arbeiten 
und  des  herzustellenden  Einvernehmens  zwischen  dem  Leiter 
des  wissenschaftlichen  Stabes  und  dem  Schiffs-Commando  zu 
ertheilenden  Instruction  Rechnung  getragen  werden  wird,  und 
dass  mit  Hinblick  auf  die  während  der  Campagne  zu  lösenden 
Aufgaben,  die  Entfernung  und  Ausdehnung  des  Arbeitsfeldes 
einerseits  und  auf  die  vorgeschrittene  Jahreszeit  anderseits, 
die  Maximaldauer  der  diesjährigen  Expedition  mit  zehn  Wochen 
festgesetzt  wurde. 

Der  Secretär  legt  eine  eingesendete  Abhandlung  des 
Dr.  Gustav  Jäger  in  Wien  vor,  betitelt:  »Zur  Theorie  der 
Flüssigkeiten«,  mit  dem  Ersuchen  des  Verfassers  um  deren 
Aufnahme  in  die  Sitzungsberichte. 

Femer  legt  der  Secretär  ein  versiegeltes  Schreiben  behufs 
Wahrung  der  Priorität  von  Herrn  Max  Müll  er.  in  Wien  vor, 
welches  angeblich  folgende  Manuscripte  enthält: 

1.  »Project  für  Lenkbarmachung  des  Luftschiffes  mit  ver- 
mindertem Kraftbedürfniss  bis  zu  907o»  benannt  »Bug- 
spriet-Luftschiff*. < 


360 


2.  »Zusammenstellung  eines  Flugapparates  ohne  Gasballon, 
ebenfalls  mit  Kraftverminderung  bis  zu  80%.« 


Selbständige  Werke  oder  neue,  der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

ArchiVes  de  Sciences  Biologiques,  publiees  par  Tlnstitut 
Imp.  de  Medecine  Experimentale  ä  St.  Petersbourg.  Tome  I. 
N°  1  et  2.  St  Petersbourg,  1892;  4^. 


361 


Neue  Studien  über  die  Assoeiationsbündel  des 

Himmantels 


von 


Theodor  Meynert» 

c.  M.  k.  Akad. 

(Mit  4  Tafeln.) 

(Vorgelegt  in  der  Sitzung  am  5.  Mai  1892.) 

Wenngleich  schon  Svvammerdam  Mitte  des  17.  Jahr- 
hunderts in  der  grauen  Substanz  des  Gehirns  die  Zellen  al^ 
geformte  Körperchen  wahrnahm,  die  er  als  Drüsen  auslegte, 
so  ging  unter  den  Gehirnanatomen  erst  spät  Friedrich  Arnold 
die  Erkenntniss  der  centralen  Bedeutung  des  Gehirngrau  durch 
seine  Zusammensetzung  aus  Zellen  auf.  Weit  mehr  waren  die 
Markgebilde  durch  die  unmittelbare  Aufeinanderfolge  so  bahn- 
brechender Anatomen  wie  R  eil,  Rosenthal,  Burdach  und 
Arnold  selbst  einer  verständnissvollen  Würdigung  zugeführt 
worden.  Der  wichtigste  Schritt  geschah  durch  ReiTs  Ent- 
deckung des  Stabkranzes  in  der  Erkenntniss  von  Mark- 
strahlungen, welche  vom  Hirnschenkel  bis  zur  Hirnrinde 
aufstiegen,  welche  Wahrnehmung  eines  in  die  Rindenhöhle 
dringenden  Projectionssystems  sich  durch  RosenthaTs  syste- 
matische Untersuchungen  des  Himstammes  ergänzte. 

Es  war  vergessen,  dass  schon  der  geniale  Varoli  aus 
den  senkrechten  Riefen  des  Hirnschenkels,  sowie  aus  den 
queren  der  Brücke  das  Dasein  einer  Hirnfaserung  entziffert 
und  ihre  wesentliche  Richtung  im  Sinne  eines  Projections- 
systems gleichsam  vorhergesagt  hatte.  Doch  war  es  Reil 
schon  klar,  dass  durch  das  Auseinanderfahren  seiner  radiären 


362  Th.  Meynert, 

Stammfaserung  dieselbe,  je  näher  der  Kinde,  durch  Divergenz 
um  so  unzulänglicher  zur  Erfüllung  der  Höhlung  der  Hirn- 
rinde werden  müsse.  Für  die  Bedeutung  der  radiären  Projection 
der  Nerven  fand  sich  im  R eil' sehen  Stammsystem  noch  das 
beste  Verständniss.  Dann  glaubte  man  noch  die  Commissuren 
zwischen  den  Halbkugeln,  den  Balken  und  die  von  Eustachius 
schon  gezeichneten,  von  Haller  »commissura  anterior«  ge- 
nannten Bündel  als  verständliche  Nothwendigkeiten  des  Gehirn- 
baues für  das  Zusammenwirken  beider  Hälften  zu  erfassen. 
Das  übrige  Gehirnmark  erledigte  Reil  als  intermediäres  Mark, 
Burdach  als  Belegungsmasse,  Arnold  als  Ausfüllungsmasse, 
Benennungen,  welche  die  Baarheit  der  hier  niedergelegten 
morphologischen  Kenntniss  an  physiologischen  Gedanken 
ausdrücken. 

Vor  Friedrich  Arnold  war  die  früher  nur  als  Verbindung 
der  Streifenhügel  betrachtete  »commissura  anterior«  schon 
als  eine  Mantelcommissur  zu  dem  mächtigeren  corpus  callosum 
gestellt.  Der  historisch  umfassende  Burdach  belehrt  uns, 
dass  die  Eintheilung  in  Hirnkern  und  in  Hirnmantel  von 
Rosenthal  den  Vorgängen  beim  Glockenguss  entnommen  war. 

Huschke  machte  später  darauf  aufmerksam,  dass  der 
Hirnmantel  nicht  einen  Bogen  darstelle,  sondern  eine  Spirale, 
indem  die  Basalfläche  des  Stirnendes  von  dem  Schläfenende 
bedeckt  wird. 

Die  Form,  welche  der  Durchschnitt  des  Stabkranzes  als 
Wurzel  des  Hirnmantels  erhält,  bestimmt  Arnold  weit  früher, 
ihn  mit  der  Ohrmuschel  zu  vergleichen,  während  wieder 
später  Gratiolet  ihn  der  überschlagenen  Faden  wegen  eine 
Düte  (cornet)  nennt.  Schon  ReiTs  Abbildungen,  dessen 
fruchtbarer  Geist  der  Entdecker  fast  sämmtlicher  Formen  der 
Belegungsmasse  ist,  bieten  mehrfach  nicht  die  volle  Treue 
der  Naturbilder  dar,  so  die  Tab.  XII  im  XI.  Bande  von  ReiTs 
Archiv  mit  der  Darstellung  des  Hakenbündels  und  des  Bogen- 
bündels.  Auch  Arnold's  berühmte  »Icones  anatomicae« 
zeigen  noch  den  Irrthum  gleich  Reil,  das  etwa  der  Spindel- 
windung entsprechende  untere  Längsbündel  von  einer  Um- 
beugung  des  Stabkranzes  abzuleiten.  Arnold  gibt  aber, 
nach  Burdach's  Beispiel,  später  diesen  Irrthum  auf.  Luj's,  der 


Associationsbündel  des  Hirnmantels.  363 

in  seinen  Abbildungen  vom  Princip  der  Naturtreue  eigentlich 
gar  nicht  geleitet  ist,  bildete  den  fasciculus  longitudinalis  weit 
richtiger  ab  (Recherches  sur  le  systenie  nerveux  cerebrospinal, 
tab.  XXVIII,  fig.  2,  /.),  doch  bleibt  es  unrichtig,  wenn  er  dieses 
Längsbündel  aus  parallelen,  gleich  langen  Fasern  bestehen 
lässt.  Arnold  ist  für  die  richtige  Auffassung  durch  die  Benen- 
nung »fibrae  propriae  corticis«  massgebend,  indem  er  diese  als 
Fasersysteme  betrachtet,  deren  beide  Enden  sich  in  verschie- 
denen Stellen  der  Rinde  befinden;  die  kürzesten  derselben  ver- 
binden je  zwei  Nachbarwindungen  um  ihre  Furche  herum 
U-förmig.  In  arithmetischer  Progression  verlaufen  längere 
»fibrae  propriae«,  um  die  Distanz  zwischen  einer  ersten  und 
dritten,  ersten  und  vierten,  zweiten  und  vierten  Windung  zu 
durchlaufen.  Längere  Bündel  bestehen  nicht  aus  gleich  langen 
Fasern,  sondern  erwachsen  nur  durch  Tangenten  ungleich 
langer  Fasern.  So  besteht  auch  das  untere  Längsbündel 
zwischen  Hinterhauptspitze  und  Schläfenspitze  keineswegs 
aus  gleich  langen  Fasern,  wie  Arnold' s  Tab.  X  zu  ergeben 
scheint.  (Meynert,  Psychiatrie,  p.  38,  Fig.  18,  L  i.) 

Es  fordert  uns  nun  gebieterisch  auf,  den  Nervenzellen 
der  Rinde  Erregungszustände  zuzuschreiben,  die  ihnen  von 
der  Aussenwelt  durch  die  Projectionsbahnen  mit  einer  Nach- 
dauer zugeführt  werden,  weil  die  Projectionsfasern  Nerven- 
leitungen dieser  Richtung  sind.  Das  Mark  der  Fibrae  propriae 
der  Rinde  ist  nun  auch  leitende  Substanz,  seine  Leitung  führt 
aber  nicht  zur  Aussenwelt,  sondern  von  einer  Rindenstelle 
zur  andern.  Sowie  sie  nun  anatomische  Verbindungen  der 
Rindenstellen  sind,  werden  an  sie  physiologische  Beziehungen 
derselben  Rindenstellen  geknüpft  sein,  und  der  Inhalt  dieser 
Beziehungen  ist  die  Verknüpfung  der  von  aussen  an  ver- 
schiedene Rindenstellen  übertragenen  lebendigen  Kraft  in 
Wahrnehmung  und  Gedächtniss.  Dieses  Axiom  der  beschei- 
densten exacten  Denkfähigkeit  über  den  Gehirnbau  knüpft  den 
functionellen  Namen  Associationssysteme  an  den  anatomischen 
»Fibrae  propriae«  corticis  an.  Auch  die  Mantelcommissuren 
verdienen  den  Namen  »Fibrae  propriae«  der  Rinde. 

Diese  Mittheilungen  sollen  dem  heutigen  anatomischen 
Standpunkt  der  Erkenntniss  beider  angehören. 


364  Th.  Meynert, 

Zunächst  verbinden  die  Associationssysteme  differente 
Stellen  der  Hirnrinde  derselben  Hirnhälfte  wahrscheinlich  so 
reichhaltig,  dass  nicht  zwei  in  der  Quere,  der  Länge  oder  Höhe, 
also  in  irgend  einer  Dimension  zusammenstellbare  Rinden- 
punkte physiologisch  unverbunden  bleiben.  Zur  Anknüpfung 
meiner  Darstellung  stelle  ich  unter  Bereicherung  durch  früher 
nicht  betonte  Thatsachen  Fig.  19  meiner  Psychiatrie  als  Fig.  1 
heran. 

An  der  äusseren  Hemisphärenfläche  liegt  der  hintere 
Kand  der  basalen  Stirnwindungen  und  der  vordere  Rand  der 
Schläfenspitze  sich  so  nahe,  dass  sie  durch  hakenförmig 
scharf  gebogene  Bündel  (f.  unc.)  verbunden  werden.  (Haken- 
bündel, Fasciculi  uncinati).  Dass  die  Oberfläche  des  Linsen- 
kernes glatt  erscheint,  ist  eine  Nachfolge  des  ReiTschen 
Irrthums,  und  aus  Fig.  3  ist  die  Irrthümlichkeit  leicht  ersichtlich. 
Diese  scharf  gekrümmten  Bündel  bilden,  unter  der  Rinde  des 
Fusses  der  Insel  hinweglaufend,  nur  den  vorderen  Rand  eines 
Systems  von  Fibrae  propriae,  welche  gegenüberliegende  Punkte 
der  oberen  und  der  unteren  Lippe  der  Sylvischen  Spalte,  des 
Operculum  und  der  oberen  Schläfewindung  unter  der  Insel- 
rinde weg  miteinander  vereinen,  f.  unc.  Die  sogenannten 
Fasciculi  uncinati  beschreiben,  je  weiter  die  vereinigten  Punkte 
auseinander  rücken,  das  ist  vom  Fuss  der  Insel  längs  der 
Sylvischen  Spalte  aufwärts,  immer  flachere,  nach  vorn  unten 
offene  Bogen,  welche,  wenn  Stirn-  und  Schläfenende  zur 
Ebene  der  Sylvischen  Grube  zusammenflössen,  zu  gerad- 
linigen Fibrae  propriae  rectae  Fig.  1  f.  pr.  r.  werden.  Es  gibt 
keinen  nach  oben  convexen  Fasciculus  uncinatus  mehr,  sobald 
seine  Bündel  nicht  mehr  am  kürzesten  Rande  des  Hemi- 
sphärenbogens,  sondern  hinter  demselben  und  nach  Abblätte- 
rung der  Inselwindungen  und  ihres  Markes  in  der  Vormauer, 
welche  jetzt  den  Boden  der  Sylvischen  Grube  bildet,  verlaufen. 
Der  Verlauf  der  Bündel  wird  nun  stumpfwinkelig  (Fig.  3)  und 
wendet  den  Hakenbündeln  den  Rücken,  mit  nach  oben  offenem 
Winkel,  während  die  Bogen  jener  nach  vorne  offen  waren. 
(Fig.  1  f.  unc).  Der  tiefere  Bogen  der  Sylvischen  Grube,  welchen 
diese  Fibrae  propriae  durchlaufen,  die  Vormauer  zeigt  sich 
wellenförmig  gekrümmt,    den   Fächer  der  darüber  liegenden 


Associationsbündel  des  Hirnmantels.  365 

Inselwindungen  nachahmend.  Dieser  Grund  der  Fossa  Sylvii 
^bleibt  convex  durch  den  äusseren  Knoten  des  Linsenkernes, 
von  dem  sich  fortwährend  Mark  der  äusseren  Kapsel  abheben 
lässt,  das  offenbar  aus  zwei  Lagen  besteht.  Die  äussere  lässt 
noch  winkelige  Bänder  des  Associationssystemes  erkennen, 
die  innere  aber  geht  in  das  Putamen  des  Linsenkernes  ein, 
und  es  ist  ein  von  Reil  stammender  Irrthum,  die  äussere 
Kapsel  sei  vom  Linsenkerne  glatt  abzuschälen.  Seine  Aussen- 
fläche  ist  nur  glatt,  solange  sich  noch  Blätter  von  der  äusseren 
Kapsel  aus  dem  sogenannten  Fasciculus  uncinatus  abspalten 
lassen.  Sucht  man  jedoch  deren  innerstes  Blatt  abzulösen, 
so  wird  der  Linsenkem  rauh,  weil  durch  die  Verwachsung  mit 
diesem  Blatte  angebrochen.  Figur  2  zeigt  die  Einstrahlung  der 
Kapsel  in  den  Linsenkern  ce^  in  dessen  Innerem  sich  die  feinen 
Eintrittsbündel  oft  an  die  lamina  meduUaris  externa  stossen 
(lam.  med.),  sie  auch  durchsetzen  und  Geflechte  mit  ihr  bilden. 

In  Fig.  1  zeigt  die  Präpäration  innerhalb  der  Stirnscheitel - 
Wölbung  der  äusseren  Halbkugelfläche  die  Windungsfurchen 
durch  Abschälen  der  Rinde  von  ihren  Fibrae  propriae  als  con- 
centrisch  gefaserte  Halbrohre,  und  dazwischen  liegen  die  Mark- 
kämme der  Windungskuppen  aus  Projections-  und  Balken- 
bündelsystemen. Diese  Windungsfurchen  und  Kämme  ruhen 
auf  einem  tieferen  und  breiteren  Thalboden,  um  Schnopf- 
hagen  einen  Ausdruck  zu  entlehnen,  continuirlicher  Quer- 
bündel, welche  aus  den  Windungen  des  medialen  Hemi- 
sphärenrandes sich  auf  dem  kürzesten  Wege  als  nach  oben 
flach  concave  Associationsbogen  unter  den  Windungen  der 
Convexität  weg  zum  äusseren  Rande  des  Stirnscheitelhirnes 
begeben. 

Diese  Bündel  sind  nicht  Balkenbündel  wegen  ihrer  queren 
Lage,  denn  sie  streben  keiner  gedachten  Mitte  ihrer  Länge  zu, 
sondern  fliessen  von  medialen  Windungen  nach  aussen;  sie 
würden  denNamen  der  queren  Grundbündel  verdienen  und 
ergänzen  die  langläufigen  Associationssysteme  der  Geraden- 
und  der  Höhenrichtung  gleichsam  in  der  dritten  Dimension. 

Durch  den  schon  erwähnten  Abbruch  der  Convexitäts- 
windungen  tritt  der  Fasciculus  arcuatus  ReiTs  zu  Tage, 
von  Burdach   und    Arnold    das    äussere    Gegenstück   des 


366  Th.  Meynert, 

Fasciculus  fornicatus  genannt.  Er  zieht  im  Windungsbogen 
auf  weiterem  Wege  als  die  Fasciculi  uncinati  vom  Stirnschenkel 
bis  zum  Schläfenschenkel  des  Mantels  (Fig.  1/.  arc). 

Er  tritt  aus  dem  hinteren  Schenkel  des  Bogens  der  Cber- 
gangswindung  hervor  (Fig.  1),  weiter  nach  vorne  reicht 
er  nicht  und  zieht  dann  die  Sylvische  Grube,  welche  durch 
Entfernung  der  Inselrinde  der  oberen  Rindenfläche  der  ersten 
Schläfenwindung,  sowie  des  Klappdeckels  weit  und  tief 
geworden  ist,  in  nach  vorne  weit  offenem  Bogen,  bis  zur 
Spitze  des  Schläfelappens.  Sein  Beginn  im  Marke  der  Über- 
gangswindung ist  noch  dürftig,  innerhalb  seiner  Scheitellänge 
aber  wächst  er  mächtig  an  (Fig.  3,  Fig.  4/a),  gibt  aber  viel 
von  seiner  Masse  in  den  Hinterhauptslappen  ab  (Fig.  4ao, 
Fig.  6/ao)  und  erschöpft  sich  durch  Markabgabe  theils  ziem- 
lich queren  Verlaufes  (Fig.  6a0,  theils  langläufig  in  den  ersten 
beiden  Schläfenwindungen  (Fig.  1). 

Ich  habe  diese  Verhältnisse  getreuer  als  die  Vorgänger 
in  meiner  Psychiatrie  als  Figur  19,  S.  40,  abbilden  lassen,  im 
dortigen  Texte  aber  einen  noch  weiter  im  Stimlappen  durch- 
führbaren Verfolg  vorausgesetzt,  welcher  eine  irrthümliche 
Annahme  wäre. 

Wenn  auch  abgeneigt,  in  der  Terminologie  zu  neuern, 
scheint  es  mir  dennoch  angezeigt,  die  Associationssysteme 
der  Convexität  des  Hirnmantels  durch  das  Schlagwort  eines 
Terminus  anschaulicher  zu  machen.  Wenn  diese  Hirnregion 
in  ihrer  ersten  Anlage  durch  Bildung  der  Sylvischen  Grube  in 
ein  inneres  Gebiet  dieses  Namens  und  ein  umgebendes  Gebiet 
des  noch  windungslosen  Rindenbogens  zerfällt,  an  dem  sich 
stirnwärts  der  Riechlappen  vorbläht,  so  verdient  der  Fasciculus 
arcuatus  mit  seinen  Strahlungen  die  Benennung  des  Mark- 
bogens,  während  der  Name  Hakenbündel  nur  ganz  theil- 
weise  passt  und  durch  den  Namen  Associationssystem 
der  Sylvischen  Grube  füglich  ersetzt  wird. 

In  Fig.  3  ergibt  sich  der  Umstand,  dass  die  Blätter  des 
Markbogens  das  System  der  Sylvischen  Grube  keineswegs 
abgrenzen,  sondern  einerseits  das  innere  Gebiet  desselben 
über  dem  Linsenkern  und  seinem  Associationsmark  frei  lassen, 
andererseits  aber  die  darüber,  dahinter  und  darunter  liegenden 


Associationsbündel  des  Hirnmantels.  367 

Gebiete  mit  ihm  theilen,  welche  doppelte  Besetzung  dieser 
Gebiete  durch  eine  Durchflechtung  beider  Associationssysteme 
eraiöglicht  wird,  in  welcher  die  beiderseitigen  blattartigen 
Bündel  keineswegs  sich  mit  der  Regelmässigkeit  von  Schuss 
und  Einschlag  eines  Gewebes  in  einander  flechten,  sondern  an 
geeigneten  Stellen  sich  oft  gröber  durchsetzen,  um  dickere 
oder  dünne  Schichten  nur  den  Markbündeln  oder  denen  des 
Systems  der  Sylvischen  Grube  zu  überlassen,  so  dass  die 
feine,  kunstgemässe  Abschälung  einem  grossen  Wechsel  in 
der  Form  des  Flechtwerkes  begegnet.  Die  Abbildung  zeigt 
nur  ein  vorderes  Fragment  des  Markbogens  (Fig.  3/a),  dessen 
hinterer  Bruch  blätterige  Lockerheit  darstellt  und  aus  Windun- 
gen der  Scheitelrinde  herabziehende  lange  zur  Durchflechtung 
sich  eignende  Blätter  aufnimmt  (Fig.  3  hf).  Der  hintere  Rand 
einzelner  Blätterfascikel  lenkt  in  die  Flucht  der  hinteren 
Schenkel  h  stumpfer  Winkel  eines  blätterigen  Markes  ein, 
welches  Associationen  zwischen  jenen  Scheitelwindungen 
und  Stirnwindungen,  jedenfalls  noch  vorderhalb  der  Über- 
gangswindung vermittelt  Längere  Strahlungen  ziehen  aus 
dem  Hinterhauptslappen  nach  vorne,  (Fig.  Zocc),  andere 
gehören  dem  Schläfelappen  an.  (Sa,  Tp.)  Die  weitgreifenden 
Sylvischen  Bündel  zerfallen  in  hintere  {Sp\  nach  unten  convexe 
zum  Scheitellappen,  in  mittlere  {Sm\  geradlinige,  welche  sich 
stirnwärts  und  hinterhauptwärts  entbündeln  und  in  nach  oben 
convexe  (Sa),  auf  kürzerem  Wege  aber  nach  rückwärts  einer 
tieferen  Schicht  angehörend,  als  die  Markstrahlungen  des 
Fasciculus  arcuatus,  Stirnlappen  und  Schläfelappen  ver- 
bindend. Letztere  beide  Formen  sind  in  der  Mitte  strangförmig 
und  diese  Mitte  wird  von  den  Autoren  nicht  ganz  glücklich 
noch  als  Hakenbündel  bezeichnet. 

Es  war  in  der  Bildebene  von  Fig.  1  noch  der  Antheil 
einer  Mantelcommissur  zu  beachten,  welcher  sofort  erschöpfend 
gedacht  wird. 

Ganz  im  Anschluss  an  die  hinteren  Schenkel  der  stumpf- 
winkeligen Antheile  des  Associationssystems  der  Sylvischen 
Grube  schliesst  sich  an  ihren  unteren  Rand  die  Entbündelung 
der  vorderen  Commissur,  von  welcher  schon  Rolando, 
Malacarne,   Carus,   Schönlein   und   Luys   meinten,  dass 


368  Th.  Meynert, 

sie  mit  Fasern  gemischt  sei,  welche  ihr  als  Mantelcommissur 
nach  vorne  eine  Commissur  der  Riechlappön  anfügen. 

Ich  habe  in  meiner  Arbeit  »Über  das  Gehirn  der  Säuge- 
thiere«  in  Stricke r*s  Lehre  von  den  Geweben  1870  und  in 
der  »Psychiatrie«  1884  dieses  Verhältniss  der  unteren  Bündel 
der  vorderen  Commissur  an  durchsichtigen  carminisirten  Ab- 
schnitten an  Menschen  und  Säugern  klargestellt  und  gezeigt, 
wie  der  Riechlappenantheil  der  Commissur  beim  Menschen 
am  schwächsten  entwickelt,  bei  Hunden  dagegen  an  Mächtig- 
keit deren  Mantelantheil  übertreffe,  parallel  gehend  der  in 
beiden  Fällen  so  ungleichen  Mächtigkeit  der  Riechlappen. 
Meine  Darstellung  ist  später  von  Ganser,  es  ist  mir  nicht 
erinnerlich,  mit  welcher  Abänderung  im  »Archiv  für  Psychiatrie 
und  Nervenkrankheiten«  wiederholt  worden.  Bezüglich  des 
Mantelantheils,  der  für  die  meisten  Autoren  die  ganze  Com- 
missur vorstellte,  erkannte  nur  Burdach  eine  Hinterhaupt- 
strahlung neben  der  Strahlung  in  den  Schläfelappen  an, 
welchen  Burd ach' sehen  Zusammenhang  mit  der  Hinter- 
hauptsrinde ich  an  carminisirten  Horizontalabschnitten  durch 
Affengehime  sicherstellte.  Doch  gehörte  auch  mir  die  Schläfe- 
lappenstrahlung, welche  ein  Irrthum  ist,  zu  den  zweifel- 
losesten Thatsachen. 

Da  deckte  1886  im  Laboratorium  des  bedeutendsten 
Arbeiters  unter  den  Psychiatern  Deutschlands,  des  bahn- 
brechenden Flechsig,  ein  Fund  des  Herrn  Dr.  Pop  off  an 
einem  ihm  von  seinem  Lehrer  übergebenen  Präparate  einen 
neuen  Gesichtspunkt  für  die  Anatomie  der  vorderen  Commissur 
auf.  Dies  regte  mich  zu  einer  diesen  Gesichtspunkt  verfolgen- 
den Präparation  an,  deren  anatomisches  Resultat  in  Fig.  4 
naturgetreu  dargestellt  ist. 

Das  von  Flechsig  in  Müll  er' scher  Flüssigkeit  erhärtete 
Gehirn  zeigte  an  der  Basis  die  beiden  Zungenwindungen  des 
Hinterhauptlappens  erweicht  (siehe:  Neurologisches  Central- 
blatt  von  Mendel,  V.  Jahrgang,  Nr.  22). 

Die  Erweichung  drang  durch  die  Dicke  der  Hemisphäre 
bis  in  das  Hinterhorn  ein  und  erstreckte  sich  seitlich  noch 
auf  den  hinteren  Theil  der  Spindelwindung.  Ursache  der 
Erweichung  war  atheromatöse  Degeneration  mit  verstopfender 


Associationsbündel  des  Hirnmantels.  369 

Thrombose  in  den  Hinterhauptslappen.  Durch  secundäre 
Degeneration  zeigte  sich  graue  Entartung  aller  Fasern  der 
vorderen  Mantelcommissur  sammt  ihrem  Mittelstück. 

Sonstige  Erweichungsherde  boten  die  hintere  Fläche  der 
hinteren  Kleinhimhälfte  und  das  Pulvinar  des  Sehhügels,  ohne 
dass  letzterer  Herd  auch  nur  in  die  Nähe  des  hinteren  Schen- 
kels der  vorderen  Commissur  reichte.  An  den  sonst  von  den 
Autoren  mit  der  Commissur  in  Verbindung  gesetzten  Mantel- 
theilen,  dem  Schläfe-  und  Stammlappen,  zeigte  sich  keine 
Veränderung.  Diesem  Befunde  glich  noch  ein  zweiter,  von 
Flechsig  untersuchter  Fall,  in  welchem  dieselben  Hinter- 
hauptswindungen halbseitig  erweicht  und  die  vordere  Com- 
misur  halbseitig  grau  degenerirt  waren. 

Es  lag  nun  kein  Erweis  nutritiver  Abhängigkeit  der 
vorderen  Commissur  vom  Schläfelappen,  wohl  aber  ein  solcher 
zweimal  für  den  Hinterhauptlappen  vor.  Ich  untersuchte  noch- 
mals meine  Abfaserungs-  und  meine  frontalen  durchsichtigen 
Schnittpräparate  über  die  vordere  Commissur  und  musste 
gestehen,  dass  die  so  klaren  Verfolgungen  derselben  in  den 
Schläfelappen  nirgends  bis  zur  Rinde  geführt  waren,  sondern 
überall  noch  Bedeckung  durch  anderes  Mark,  das  zwischen 
Schläfe-  und  Hinterhauptlappen  verlief,  statthatte.  In  Fig.  4 
zeigt  sich  das  Mittelstück  der  vorderen  Commissur  aus  der 
basalen  Masse  des  Linsenkernes  glatt  herausgeschält,  geht 
aus  einer  mittleren  drehrunden  Form  in  eine  seitlichere 
plattere  (Fig.  4ca)  über,  welche  sich  im  Schläfelappen  zu 
einer  dreieckigen  Bündelplatte  verbreitert.  Theilt  man  die 
Bündel  in  obere  a,  mittlere  b  und  untere  c,  so  laufen  die 
oberen  am  geradesten  der  Hinterhauptspitze  zu,  die  mittleren 
steigen  im  Schläfelappen  abwärts  und  biegen  stumpfwinkelig 
sich  gegen  die  Occipitalspitze  um,  die  unteren  Bündel  krümmen 
sich  aber  zuerst  der  Spitze  des  Schläfelappens  zu,  dann  nach 
rückwärts  und  bilden  eine  untere  Fläche  der  hinteren  seitlichen 
Arme  der  vorderen  Commissur,  so  dass  dieselbe,  nachdem 
sie  vom  mittleren  drehrunden  Strange  sich  zu  einem  platten 
Mark  verbreitert  hatte,  dem  Hinterhaupte  wieder  als  ein  Strang, 
der  dreikantig  erscheint  (tet.  Fig.  4)  zustrebt,  woraus  zu 
schliessen,  dass  sie  sich  dort  in   keiner  sehr  grossen  Rinden- 

Stizb.  d.  mathem.-naturvv.  Cl.;  CI.Bd.,  Abth.  III.  26 


370  Th.  Mcynert, 

fläche  ausbreitet.  Dies  wäre  vollkommen  erklärlich,  wenn 
wirklich  nur  die  beiden  Zungenwindungen  ihr  angehörten, 
wofür  zweimal  das  Degenerationsergebniss  als  Beweis  eintritt. 

Gedenkt  man  weiterhin  der  Beschreibung,  welche  Bur- 
dach von  dem  Mittelstücke  der  vorderen  Commissur  macht, 
dass  ihre  Bündel  sich  strickartig  übereinander 
drehen,  so  ist  sie  keine  Commissur  in  dem  Sinne, 
dass  die  Enden  ihrer  Faserbogen  identische  Stellen 
symmetrischerRinden  gebiete  mit  ein  anderverbinden. 
Soweit  die  Bündel  der  vorderen  Commissur  aus  der 
Rinde  des  Riechlappens  in  die  Rinde  des  Hinterhaupt- 
lappens wahrscheinlich  gekreuzt  verlaufen,  und 
daher  Rinde  mit  Rinde  durch  ihre  beiden  Enden 
geweblich  verbinden,  functionell  aber  nothwendig 
deren  Erregungszustände  verknüpfen,  so  sind  die 
Fasern  der  vorderen  Commissur,  wenn  auch  nicht 
ihrer  ganzen  Zahl  nach,  als  Associationssystem  zu 
betrachten,  welche,  um  einen  Ausdruck  Schnopfhagen's 
über  eine  andere  Mantelcommissur  \-orweg  zu  nehmen,  in 
gekreuztem  Verlaufe  differente  Rindenstellen  beider 
Hemisphären  associiren.  Die  vordere  Commissur  enthält 
aber  ausserdem,  und  wohl  überwiegend,  Bündel,  welche 
Hinterhauptrinde  mit  Hinterhauptrinde  und  Riechlappen  mit 
Riechlappen  verbinden.  V^on  diesen  Antheilen  derselben  könnte 
die  bisherige  Auffassung  als  Verbindungsfasern  symmetrischer 
Stellen  insoferne  auch  weiterhin  gelten,  als  keine  andere 
wahrscheinlicher  erscheint. 

Beim  Menscheft"  wären  die  Riechlappenbündel  viel  zu 
wenige,  um  der  Commissur  gekreuzt  für  die  Bündel  im  Hirn- 
mantel auszureichen  und  bei  Thieren,  dem  Hunde,  noch  mehr 
dem  Meerschweinchen  reichten  die  vorderen  Commissuren- 
bündel  für  die  schwachen  Hemisphären  durchaus  nicht  hin, 
um  den  mächtigen  Zuzug,  den  der  Riechlappen  zur  Commissur 
leistet,  als  gekreuzte  Fortsetzung  zu  bestreiten. 

Die  gegebene  Darstellung  und  Bedeutung  der  vorderen 
Commissur  als  ein  gekreuzter  Antheil  des  Associationssj^stemes 
führt  das  Interesse  dieser  Arbeit  weiter  zu  einem  Verständnis^ 
bringenden  Parallelismus   mit  der  grossen  Mantelcommissur, 


Associationsbündel  des  Hirnmantels.  o/  1 

dem  Balken.  Ohne  die  ganze  ziemlich  reichhaltige  neueste 
Literatur  über  dieses  verwickelte,  vielfach  strittige  Marksystem 
zu  erschöpfen,  finde  ich  eben  vom  Standpunkt  einer  Würdigung 
der  Assocationssysteme  von  fast  erschöpfender  Bedeutung  die 
eine  hervorragende  Arbeit,  »die  Entstehung  der  Windungen  des 
Grosshirnes«  von  Dr.F.  Schnopfhagen,  am  nöthigsten  hervor- 
zuheben, dem  forschungseifrigen  Oberarzt  der  Irrenanstalt 
Niedemhart,  veröffentlicht  in  den  Jahrbüchern  für  Psychia- 
trie 1890. 

Arnold  zählt  in  seinen  Bemerkungen  über  den  Bau  des 
Hirnes  und  Rückenmarkes,  sowie  in  seiner  »Anatomie  des  Men- 
schen« 2.  Band,  2.  Abtheilung,  1851  als  besondere  Anordnungen 
oder  Lagen,  welche  mit  dem  Knie,  dem  Körper  und  dem  Wulst 
des  Balkens  zusammenhängen,  auf:  1.  Die  hintere  oder  grosse 
Zange,  2.  die  Tapete,  3.  den  Bogen  fascicuius  arcuatus,  4.  die 
äussere  Kapsel,  und  5.  die  vordere  oder  kleine  Zange  und  fügt 
hinzu:  »Der  Zusammenhang  von  der  ersten,  zweiten  und 
fünften  Formation  mit  dem  Balkenstamm  ist  unverkennbar  und 
leicht  nachzuweisen;  der  der  dritten  und  vierten  aber  setzt  der 
Nachforschung  viele  Schwierigkeiten  entgegen  und  wird  erst 
klar,  wenn  man  von  innen  und  aussen  die  Untersuchung  vor- 
nimmt.« 

Ich  möchte  die  mit  dem  Balkenkörper  zusammenhängenden 
Bündelformen  noch  um  die  durchflochtenen  Bündel  vermehren, 
(Meynert:  »Vom  Gehirne  der  Säugethiere«  in  Strick er's  Lehre 
von  den  Geweben,  p.  718),  welche  den  Gyrus  fornicatus  mit  einem 
zweiten  Projectionssystem  ausstatten.  Das  eine  Projections- 
bündel  der  Bogenwindung  geht  vom  Ammonshorn  aus  und  stellt 
das  Gewölbe  dar,  welches  nach  seiner  basalen  Umbeugung  im 
Corpus  mammillare  als  aufsteigender  Gewölbsschenkel  (den  von 
Gudden  als  Fund  Vicq  d'Azyr's  hervorgehoben  und  anders 
aufgefasst  hat)  in  einem  Ursprungsganglion  der  Haube  des 
Hirnschenkels,  im  Sehhügel,  Fig.  2  7a,  ca  Tuberculum  anterius, 
crus  adscendens  endigt.  Die  durchflochtenen  Bündel  gehen  aus 
der  Rinde  des  Cingulum  reichlich  das  Knie  durchsetzend,  spar- 
samer durch  den  eigentlichen  Balkenkörper,  abermals  reichlich 
in  fontainenartigen  Zügen  durch  das  Splenium  hindurch,  um  als 
Mark  desSeptum  pellucidum  zu  verlaufen  und  sich  convergirend 

26* 


372  Th.  Meynert, 

zum  pedunculus  septi  als  Projectionsbündel  der  Rinde  des  Cin- 
gulum  zu  vereinigen,  welches  aber  nicht  wie  das  Ammonshorn 
(durch  den  Thalamus)  in  die  Haube,  in  die  hintere  Bahn  des 
Stammes  verläuft,  sondern  in  ein  Ganglion  der  vorderen  Bahn, 
in  den  Kopf  des  geschweiften  Kernes,  in  die  Substanz  über  der 
Lamina  perforata  anterior. 

Aber  diese  beiden  Formationen,  das  Ammonshorn  und  der 
basale  Theil  des  Streifenhügelkopfes,  in  welchem  das  Mark 
des  Trigonum  olfactorium  aufsteigt  und  endigt,  aus  welchem  die 
Riechlappen-Antheile  der  vorderen  Commissur  entspringen, 
gehören  dem  Geruchssinne  an. 

Ich  habe  bisher  eine  Anschauung  über  den  Balken  fest- 
gehalten, vermöge  deren  beide  Enden  jeder  Balkenfaser 
symmetrische  Stellen  der  Hemisphärenrinde  verknüpfen.  Die  ab- 
weichenden Anschauungen  von  Foville  schienen  mir  durch 
seine  Präparationsmethode  nicht  gestützt;  er  wollte  die  mit  der 
inneren  Kapsel  behaupteten  Zusammenhänge  und  Kreuzungen 
in  der  Mitte  des  Balkens  an  Auseinanderfaserung  des  Balken- 
querdurchschnitts darlegen,  welche  Methode  mir  nur  zu  ganz 
trüben  Resultaten  geeignet  schien.  Wegen  Präparationsmängeln 
konnte  mir  auch  Gratiolet's  ähnliche  Anschauung  über  den 
Balken  (Tab.  XXV,  Fig.  7)  nicht  einleuchten.  Schnopfhagen 
verfolgt  seine  Untersuchung  in  gleich  vollendeter  Technik  an 
Abfaserungen  und  an  durchsichtigen  mit  Goldchlorid  und 
Chlorpalladium  behandelten  Abschnitten. 

Ich  muss  bemerken,  dass  ich  durch  A rn  o  1  d ' s  Bemerkungen 
auf  einen  Lapsus  meiner  Leetüre  Burdach's  aufmerksam 
wurde,  der  schon  auf  strickförmige  Verdrehung  von  Balken- 
bündeln aufmerksam  macht,  woraus  ebenso,  wie  aus  der  strick- 
förmigen  Drehung  am  Körper  der  vorderen  Commissur  auf 
Nicht-Identität  der  beiden  Endigungsstellen  einer  Balkenfaser 
angehörigen  Rindentheile  zu  schliessen  war.  Schnopfhagen 
zeigt  mit  höchster  Klarheit  an  durchsichtigen  Abschnitten  des 
Balkenkörpers,  sowohl  die  strickförmige  Drehung  seiner  Bündel 
als  die  Lageveränderung  anderer,  welche  links  dorsal  in  den 
Balken  eintreten  und  rechts  basal  aus  demselben  austreten. 
Weil  die  vortreffliche  Arbeit  des  psychiatrischen  Collegen  im 
Original  gewürdigt  werden  muss,   beschränke  ich  mich  darauf. 


Associationsbündel  des  Hirnmantels.  373 

sein  Resultat  über  den  Balken  im  Wortlaut  wiederzugeben, 
„dass  die  Balkenfasern  durchaus  nicht,  wie  bisher 
angenommen  wurde,  nur  gleichnamige  und  gleich- 
werthige  St  eil  ender  beiden  Hemisphären  miteinander 
verbinden,  sondern,  dass  durch  sie  die  Verbindung 
zwischen  örtlich  und  functionell  ganz  verschiedenen 
Abschnitten  beider  Hemisphären  hergestellt  wird." 
Anderenorts  sagt  er: „  dass  durch  dieses  mächtigste  ge- 
kreuzte Associationssystem  des  Gehirnes  beide  Hirn- 
hälften erst  zur  vollendeten  functionellen  Einheit 
gestaltet  werden." 

Die  Analogie  des  Verlaufes  und  der  Verbreitungsweise 
der  vorderen  Commissur  mit  dem  Balken  gibt  schon  altern 
genetischen  Anschauungen  Berechtigung,  welche  die  vordere 
Commissur  nur  als  einen  von  der  Balkenbildung  losgelösten 
Antheil  auffassen  (Tiedemann).  Ich  möchte  nun  über  die 
beiden  schwierigen  Antheile  derBalkenbildung  nicht unbetheiligt 
hinweggehen,  welche  Arnold  in  dessen  Zusammenhängen  mit 
dem  Stammlappen,  d.  i.  den  Inselwindungen  und  der  äusseren 
Kapsel,  sowie  in  der  Auffassung  des  Fasciculus  arcuatus  als 
Balkenantheile  hervorhebt.  Auch  hierüber  sucht  Schnopf- 
hagen's  Arbeit  die  bisher  vermisste  Klarheit  zu  verbreiten. 
Dieser  Versuch  tritt  uns  sehr  berechtigt  entgegen,  indem  er  an 
durchsichtigen,  vergoldeten  Abschnitten  auch  das  Feinste  des 
Hemisphären-Markes  entwirren  will,  in  dessen  Bau  diese 
Methode  bisher  weniger  eingedrungen  ist,  gleichzeitig  aber 
diese  für  leichter  verständliche  Bilder  so  allgemeine  Schnitt- 
methode durch  Abfaserungen  des  Markes  ergänzt,  welche  für 
weittragende  Zusammenhänge  beweisender  ist.  Was  nun  den 
Zusammenhang  des  Balkens  mit  derSylvischen  Grube  anbelangt, 
so  geht  das  Balkenknie  (Fig.  5  5)  vor  den  Köpfen  der  ge- 
schwänzten Kerne  (Fig.  5  Nc)  basalwärts  und  vom  Knie  aus 
wird  der  Schnabel  des  Balkens  R  rückläufig  und  kommt  vor 
der  Endplatte  zwischen  die  Basis  der  geschwänzten  Kerne  zu 
liegen.  Besser  gesagt,  ruhen  diese  A^c  auf  queren  Strahlungen 
des  Balkenschnabels  von  diesen  überzogen  (Fig.ofcc).  Seit- 
lich (bei  /)  ist  das  erste  Glied  des  Linsenkernes  mit  dem  Kopf 
des   Streifenhügels    confluent.     Es    wäre    als    Gedankengang 


374  Th.  Meynert, 

consequent,  zu  meinen:  die  basalen  Balkenstrahlungen  schlügen 
sich  gleich  in  Continuität   vom  Kopf  des   Streifenhügels  auf 
die  Aussenfläche  des  Linsenkernes  über  und  bildeten  Burdach's 
äussere  Kapsel.  Der  Bau  ist  aber  hier  verwickelter,  als  die 
Voraussetzung.  Zwischen  den  Linsenkern  und  die  Inselwin- 
dungen drängt  sich  die  Vormauer  und  das  Associationsmark 
der  Sylvischen  Grube  ein,  welches  Figur  3  dargestellt  hat,  und 
jenes  Mark  des  Balkens  setzt  sich  nicht  über  den  Linsenkem 
als  äussere  Kapsel  fort,  sondern  betritt  die  Sylvische  Grube  als 
Mark  von  Inselwindungen  (Fig  5  /),  was  ich  mit  Sicherheit  sah, 
ohne  daraufhin  zu  behaupten,  das  Mark  der  Insel  wäre  reicher 
an  Balkenfasern,  als  die  Gehirnwindungen  überhaupt.  Dass  die 
so  klar  vorliegenden  nach  aussen  zur  Sylvischen  Grube  ge- 
wendeten Balkenfasern  mit  den  Hakenbündeln  durchflochten 
wären,  kann  ich  Schnopfhagen  nicht  bestätigen,  sondern  die 
Entbündelung  des  Hakenbündels  im  Boden    der   Sylvischen 
Grube  von  Reil  liegt  um  eine  Schichte  tiefer,  durchsetzt  die 
Vormauer  und  bildet  unter  ihr  noch  eine  Markschichte,  welche 
man  vom  Linsenkern  anscheinend  glatt  abziehen  kann.  Es  ist 
aber  Täuschung,  in  dieser  abziehbaren  Schichte  die  Oberfläche 
des  Linsenkernes  zu  sehen.  Dieselbe  ist  von  einer  dünnen  Mark- 
lage noch  bedeckt,  die  dem  Associationssystem  nicht  angehört, 
aus    fächerförmig    nach    der  Linsenkernbasis    convergirenden 
Bändern  besteht  (Fig.  6  Ce)  und  nur  rauh  wegen  Anhaftens 
von  Ganglienmasse  zu  entfernen  ist.  Wenn  der  Autor,  welcher 
die    äussere   Kapsel   vom    Balken    ableitet,    Arnold    es  der 
Schwierigkeit   dieses   Nachweises   wegen,    begreiflich    findet, 
dass  Reil  die  äussere  Kapsel  vom  Hakenbündel,  Burdach 
dieselbe  von  der  Stammfasemng  ableite,  so  wage  ich  es  nicht, 
Arnold  ganz  Unrecht  zu  geben  und  das  Vorhandensein  von 
Balkenfasern  schlechthin  abzuweisen,  jedenfalls  aber  hat  Reil 
und  auch  Burdach  richtig  gesehen,   was  auch  Taf.  XXIV, 
Fig.  2,  1.  c.  Luys  bestätigt,  wenn  er  gleich  schematisch  im  Insel- 
mark verticale  Balkenfasern  annimmt   Die  äussere  Kapsel  ge- 
hört zu  den  Associationssystemen  der  Sylvischen  Grube,  im 
Sinne  des  Ersteren  den  Hakenbündeln  zu;  Fig. 6  f.  f.S.  Wie  Fig. 2 
zeigt,  hat  Burdach  vollkommen  recht,  wenngleich  nur  bezüg- 
lich  der  innersten   Schichten   derselben,  dass  sie  sich  in  ein 


Associationsbündel  des  Himmantels.  375 

Blatt  an  der  Oberfläche  des  Linsenkernes  zusammenfinden, 
welches  im  Sinne  der  Projectionssysteme  sich  mit  dem  Gan- 
glion durch  Einstrahlung  feiner  Bündel  verbindet. 

Was  nun  Schnopfhagen's  durchsichtige  Abschnitte 
betrifft,  so  kommen  für  die  Balkenverbindungen  Fig.  14 — 17.  in 
Betracht,  ohne  volle  Klarheit  zu  bringen.  In  Fig.  14  haben  die 
Balkenbündel  sich  mit  den  Stabkranzbündeln  bereits  vor  dem 
Zusammenhang  mit  der  äussern  Kapsel  gekreuzt  und  alle 
Autoren  stimmen  überein,  wie  schwer  nach  dieser  Kreuzung 
Stammbündel  und  Balkenbündel  zu  scheiden  sind.  Die  äussere 
Kapsel  haftet  aber  in  kurzbündeligem  Eindringen,  besonders 
nach  vorne,  im  Linsenkern,  was  der  sicherste  Charakter  der 
Stammbündelung  ist. 

In  Fig.  15  ist  der  Lauf  der  Balkenfasern  durch  die  von 
formlosem  Bindegewebe  geblähte  breite  Vormauersubstanz  aus- 
einander gedrängt  und  was  in  die  Inselrinde  gelangt,  zeigt 
eine  so  lange  Fasercontinuität  vom  Balken  her  in  der  dünnsten 
Vertheilung,  dass  Täuschungen  leicht  zu  Stande  kommen,  und 
die  Fasern  sind  so  schütter  im  Vergleich  zu  dem  radiären  Mark- 
einbruch in  andere  Windungen,  dass  die  Unmittelbarkeit  des 
Bildes  viel  Zweifel  zulässt.  Man  mu.«=s  erwägen,  dass  hier  die- 
selben  mehrfachen  Fasern  in  Continuität  Lager  von  so  verschie- 
denen Härten  und  Spannungen,  wie  Hemisphärenmark,  Vor- 
mauersubstanz und  Rindengewebe  durchmessen  haben  müssten. 
Die  Ungunst  von  durchsichtigen  Abschnitten  für  Darstellung  von 
längeren  Markbahnen  liegt  darin,  dass  allzumeist  nicht  längere 
Verlaufstück e,  sondern  nur  kurze  Schrägabschnitte  erscheinen. 
Das  Eindringen  von  Stammstrahlung  in  die  Inselwindungen 
ist  auch  von  Arnold. so  weit  zugegeben  worden,  dass  er  nur 
die  Balkenbündel  für  überwiegender  hält. 

In  Fig.  16  ist  der  Zusammenhang  des  Balkens  mit  der 
äusseren  Kapsel  mitten  durch  das  dichteste  Fasergewirr,  nur 
durch  wenige,  ganz  zweifelhaft  den  Balken  erreichende  Linien 
dargestellt  und  auch  Fig.  17  bringt  die  vermisste  Klarheit  nicht, 
und  ist  sogar  hier  das  Durchdringen  der  groben  Bauverhältnissc, 
wie  bezüglich  des  Linsenkernes,  schwierig,  vielleicht  zu 
wenig  interpretirt.  Ich  hebe  hier  Schwierigkeiten  herx'or,  welche 
Schnopfhagen's  Verdienst  gar  nicht  schmälern. 


376  Th.  Mcynert, 

Vielleicht  habe  ich  aber  Grund  bezüglich  des  letzten 
Balkenbestandtheiles,  als  welchen  Arnold  das  Bogenbündel 
anspricht,  mich  grösserer  Klarheit  zu  erfreuen.  Der  Meinung 
Arnold 's  von  dem  Übergang  einer  groben  Schichte  des  hintern 
Balkenendes  in  die  Formationen  des  Bogenbündels  kann  ich 
zwar  nicht  beitreten,  und  Schnopfhagen  spricht  sich  nicht 
mit  Entschiedenheit  darüber  aus,  wenn  er  in  den  Abbildungen 
der  Abfaserungen  Bestandtheile  in  seiner  P'ig.  2  des  Fasciculus 
arcuatus,  als  wahrscheinlich  aus  dem  Balken  stammend, 
bezeichnet.  Die  Art,  wie  Reil  auf  Tab.  12  und  Arnold  auf 
Tab.  10  die  Formation  des  Bogens  verjüngt  gegen  den  Balken 
abklingen  lässt,  kann  ich  nur  schematisch  nennen.  In  meiner 
Darstellung,  Fig.  1,  hört  der  Fasciculus  arcuatus  am  hinteren 
Ende  des  Stirnhirns  im  Marke  des  hinteren  Schenkels  der 
Übergangswindung  auf,  wovon  ich  mich  durch  weitere  Präpa- 
rationen erst  später  als  ganz  sicher  überzeugte.  Wenn  Arnold 
die  Schichten  des  Balkens  in  obere  scheidet,  welche  sich  nach 
aufwärts  biegen,  dann  in  mittlere  querlaufende  und  in  untere, 
welche  in  Querschnitte  des  Balkens  nach  abwärts  biegen,  um 
zur  Durchkreuzung  mit  dem  Stabkranz  zu  gelangen,  so  zeigte 
mir  der  Abbruch  derMarkkämme,  mitweichen  dieWindungen  auf 
der  Hemisphärenconvexität  aufsitzen  (Fig.  6  Ab),  dass  an  das 
Bogenbündel  tiefe  Lagen  von  Querbündeln  des  wie  nach 
aussen  abgedachten  Balkens  angrenzen  (Fig.  6  cc).  Fig.  6  stellt 
dar,  wie  bei  Abblätterung  von  Schichten  des  Scheitelstückes 
vom  Bog3nbündel/a  sich  diese  Querbündel  (c)  zwischen  die 
längsläufig  abzublätternden  Schichten  des  Bogenbündels  a 
nach  aussen  schieben  und  sich,  gleichsam  die  Balkenstructur 
aufgebend,  in  einen  glatten  Rand  fa)  von  ein  paar  Linien  Breite 
vereinigen,  welcher  nun  in  der  blätterigen  Schichtung  des 
Bogens  seinen  Weiterlauf  nimmt.  Dieser  feine  Zusammenhang, 
dieses  Herx'^orgehen  der  Formation  des  Fasciculus  arcuatus  aus 
queren  Balkenbündeln  ist  noch  vollkommen  klar,  wenngleich 
an  der  Grenze  der  Feinheit  makroskopischer  Anschauung 
stehend.  Fig.  4  at  und  Fig.  6  a^  und  a'  zeigen,  wie  von  der 
untern  Fläche,  sowohl  langläufig  nach  vorne,  at,  a-  als  rein 
quer  a'  ziehende  Blätter  des  Markbogens  abgehen,  wie  es 
scheint  minder  mächtig,  als  die  von  seiner  obern  Fläche  sich  in 


Associationsbündel  des  Hirnmantels.  377 

mannigfache  Richtungen  entblätternden  Antheile.  Die  Windungen 
des  senkrechten  Stirntheils  zeigen  nur  kurze  Fibrae  arcuatae, 
die  Furchen  zwischen  Randwindung,  mittlerer  und  unterer 
Längswindung  auskleidend,  und  von  längeren  Bündeln  nur 
quere,  von  der  Rinde  des  Hemisphärenrandes  unter  den  kurzen 
Bogenbündeln  hinziehende  Systeme. 

Den  Inhalt  der  voranstehenden  Mittheilung  an  die  ana- 
tomischen Arbeiter  fasse  ich  in  folgenden  Sätzen  zu- 
sammen : 

1.  Die  Fibrae  arcuatae  zwischen  den  Longitudinalwin- 
dungen  und  Lappen  der  Convexität  riihen  auf  einer  queren 
Unterlage  längerer  Associationsbündel,  welche  die  mittlere 
Masse  der  Convexität  mindestens  in  der  hinteren  Stirnscheitel- 
region wie  in  einer  flachen  quer  zusammengefügten  Mulde 
umfasst. 

2.  Von  den  besonderen  weitverbreiteten  Formen  des 
Associationssystemes  sind  dieFasciculi  uncinati  nur  der  vordere 
Rand  einer  sich  vom  Stirnende  des  Hirnmantels  über  die  Sy\- 
vische  Grube  weg  in  das  Scheitelhinterhaupts-  und  Schläfe- 
hirn verbreitenden,  durch  das  Claustrum  und  unter  deftiselben 
als  äussere  Lagen  der  Capsula  externa  laufenden  Schichtung 
des  Associationsmarkes,  Associationssvstem  der  Sylvi- 
sehen  Grube. 

3.  Die  Strahlungen  des  Fasciculus  arcuatus  sind  eine  ober- 
flächlicher gelegene  örtliche  Wiederholung  des  genannten  Asso- 
ciationsmarkes, welche  im  Marke  der  Übergangswindung  be- 
ginnend in  einer  nach  vorne  offenen  Curve  die  Sylvische  Grube 
umzieht,  auf  welchem  Wege  sie  in  den  Scheitellappen,  Hinter- 
hauptlappen und  in  die  Schläfewindungen  bis  zu  deren  Spitze 
sich  an  ausgreifenden  Verbindungen  der  Rinde  durch  fibrae 
propriae  betheiligt. 

4.  In  dem  Bau  der  vorderen  Commissur  ist  eine  gekreuzte 
Association  der  Riechlappenrinde  mit  Windungen  der  Hinter- 
hauptsrinde enthalten. 

5.  Die  grosse  Commissur  des  Balkens  verbindet  die  durch 
den  Fasciculus  arcuatus  associirten  Gebiete  der  Gehirnoberfläche 
mit  unbekannten    Rindengebieten    der   anderen    Hemisphäre, 


•^^8  Th.  Meyncrt, 

und  durch  die  Verbindung  des  Fasciculus  arcuatus  mit  unteren 
Lagen  der  Balkenquerbündel. 

Die  Anwesenheit  des  Associationssystemes  der  Sylvischen 
Grube  gleichörtlich  mit  den  Ausbreitungen  des  Fasciculus  arcu- 
atus erklärt  sich  aus  der  zweifachen  Rolle  der  Associations- 
systeme,  erstens  als  directe  Verbindungen  aller  ungleichen 
Stellen  je  einer  Mantelhälfte  und  zweitens  als  im  Balken  ge- 
kreuzte Verbindungen  ungleicher  Stellen  der  beiden  Mantel- 
hälften (Schnopfhagen).  Dass  es  auch  Balkenfasern  im  Sinne 
der  herrschenden  bisherigen  Auffassung  zur  Verbindung  iden- 
tischer Stellen  beider  Mantelhälften  gebe,  ist,  so  gewiss  als  es 
für  den  Bau  der  vorderen  Commissur  ist,  so  wenig  für  den  Bau 
des  Balkens  auszuschliessen. 

6.  Die  Frage  der  V^erbindung  der  Schichten  der  Sylvischen 
Grube  mit  dem  Balken  lässt  das  Gelangen  von  Balkenfasern  in 
die  Sylvische  Grube  in  einer  Form  zweifellos  erkennen,  kann 
aber  noch  nicht  zu  den  in  ihrem  Umfang  abgeklärten  That- 
sachen  gerechnet  werden.  Nachdem  die  dichte  Durchflechtung 
vom  Balken-  und  Projectionssystem  oberhalb  des  oberen  Randes 
der  Insel  vor  sich  geht,  ist  das  Eintreten  von  Balkenfasem 
nach  aussen  von  den  Bündeln  des  Projectionssystemes in  den 
Linsenkern  in  der  ganzen  obern  Länge  der  Insel  keineswegs 
abzuweisen,  wenn  auch  kaum  anschaulich  zu  machen.  Ob  sich 
diese  Balkenbündel  tiefer  als  im  Mark  der  Inselwindungen,  etwa 
in  der  Capsula  externa  finden,  ist  ganz  unentschieden.  In  den 
anhaftenden  inneren  Schichten,  welche  in  den  Linsenkern  ein- 
treten, sind  weder  einseitige  Associationsbündel,  noch  Balken- 
fasern zu  suchen,  da  beide  lediglich  Fibrae  propriae  der  Hirn- 
rinde darstellen. 

Ich  erwähne  noch,  dass  mindest  wider  eine  ausschliessliche 
Function  symmetrischer  Rindenerregung  durch  die  Balkenfasem 
zwei  Thatsachen  sprechen:  1.  Die  Hnksseitige  Thätigkeit  des 
Hirnmantels  bei  der  Sprache  und  der  Schrift,  falls  durch 
traditionelle  Lehrmethode  die  linke  Hemisphäre  eingeübt  wurde, 
wesshalb  vorzüglich  die  schulenlosen  Wilden  und  die  zur 
schulmässigen  Erziehung  nicht  gelangenden  Kreise  der  socialen 
Noth,  denen  die  eigentliche  Verbrecherwelt  entstammt,  die 
meisten  Linkshänder  aufweisen.  Im   ersten   Falle  vermag  die 


Associationsbündel  des  Hirnmantels,  379 

rechte  Hirnhälfte  die  gleichen  Bewegungsformen  nicht  zu 
innerviren;  2.  die  Thatsache,  dass  bei  den  Körperbewegungen 
beide  Körperhälften  in  ungleichsinnigen  Bewegungsformen  mit- 
einander wirken. 


Tafel-Erklärungen. 


Fig.  1.  Funiculi  uncinati  und  Einbruchsgebiet  des  Fasciculus 
arcuatus.  i**  Stimspitze,  T  Schläfenspitze,  or  Hinterhauptende,  nl.  nucl. 
lenticularis,  er.  Corona  radiata,  f.  arc,  fasciculus  arcuatus,  f.  unc.  fasci- 
culi  uncinati.  f.  pr.  r.  fibrae  propriae  rectae.  Zwischen  den  an  diesem 
Präparate  nur  bis  zum  Linsenkem  ersichtlich  gemachten  geradlinigen 
Associationsbündeln  und  den  untersten  Stabkranzbündeln  gehört  ein 
Dreieck,  dessen  Spitze  nach  vorne  sieht,  der  Entbündelung  der  vor- 
deren Commissur  an.  cc 

Fig.  2.  Äussere  Kapsel  des  Linsenkernes  aus  dem  Projections- 
systeme  an  dessen  Vor  der  fläche.  F  Richtungslose  Markmasse 
im  Stirnlappen,  Xc  Kopf  des  Schweifkernes,  nl  äusseres  Glied  des 
Linscnkemes,  eine  nur  durch  die  Markeinzeichnung  von  cia  des  vor- 
deren Abschnittes  der  inneren  Kapsel  getrennte  Masse,  lam.  med. 
senkrechte  Markplatte,  ca  commissura  anterior,  ce  Aus  dem  Mark, 
gewirre  des  Stimlappens  krümmen  sich  Bündel  in  eine  Richtung  zur 
Oberfläche  des  Linsenkemes  und  sammeln  sich  an  derselben  zu  einem 
Überzüge,  einem  Markblatt,  von  welchem  feine  Fäden  in  das  Innere  des 
Ganglions  treten,  so  dass  diese  äussere  Kapsel  nicht  ohne  Läsion  des 
Ganglions  abziehbar  ist,  cip  hinterer  Schenkel  der  inneren  Kapsel, 
Th,  Sehhügel,  Tub.  a.  vorderer  Höcker  desselben,  ca  aufsteigender 
Gewölbschenkel. 

Fig.  3.  Verlauf  des  Associationssy stemes  der  Sylvischen  Grube. 
F  Stirnspitze,  T  Schläfen.spitze,  0  Occipitalende  der  Mantclhälfte, 
Sa  nach  hinten  krumme,  flache  Bündel  der  Fasciculi  uncinati,  Sm  gerad- 
linige Bündel  vom  Stirn-  zum  Schläfelappcn,  S  p  nach  vorn  winkelige 
Bündel  (Blätter)  der  Sylvischen  Grube,  a  Vorderer  Theil  des  Mark- 
bogens,  an  seinem  hintern  Bruche  ersichtlich  blätterig,  h  hintere 
Schenkel  der  Winkel  (Bogen)  Sp.  der  Sylvischen  Grube,  früher  zu  den 
Fase,  uncinatis  gerechnet,  theils  unter  Blättern  des  F*.  arc.  verschwindend, 
von  ihnen  bedeckt,  theils  unter  abgeblätterten  Fragmenten  solcher 
eine  Strecke  weit  in  das  Scheitelmark  weiter  ziehend  W  bis  in  die 
Kuppe  eines  Gyrus  verfolgbar,  sich  um  eine  Windungsfurche  spaltend, 
occ  in  den  Hinterhauptlappen  fortziehende  Blätter  des  Associations- 
systems  der  Sylvischen  Grube,  Tp  in  den  Schläfelappen  ziehende 
Blätter. 


380  Th.  M  e  V  n  e  r  t ,  Associationsbündel  des  Himmantels. 

Fig.  4.  Verlauf  der  vorderen  Commissur.  F  Stimende,  Tp  Schläfen- 
ende, Occ  Hinterhauptgegend.  Trans  rindenloses  Gebiet  der  Über- 
gangswindung,/aFasciculus  arcuatus,  ao  dessen  Hinterhauptstrahlung, 
at  dessen  Strahlung  in  den  Schläfelappen,  nl  nucleus  lenticularis, 
abgebrochen,  um  die  in  ihn  eingebettete  Commissura  anterior  zu 
sehen.  —  a.  obere  Bündel  der  Commissura  anterior  geradlinig  nach 
dem  Hinterhaupt  verlaufend,  b  mittlere  Bündel,  zuerst  stumpfwinklig 
schläfenwärts,  dann  nach  dem  Hinterhaupt  laufend,  c  untere  Bündel, 
zuerst  spitzwinkelig  schläfenwärts,  dann  umkehrend  schläfenwärts 
laufend,  tet  hinterer,  dreikantig  strangförmiger  Theil  der  comm.  ant., 
er  Corona  radiata. 

Fig.  5.  Zusammenhang  des  Balkenschnabels  mit  derSyl vischen 
Grube  (Inselwindungen).  F  Stirnende,  Occ  Hinterhauptspitze, 
T  Schläfenende  des  Mantels,  Cm  aufsteigender  Ast  des  Sulcus  calloso- 
marginalis,  So  Hinterhauptfurche,  C  u  Cuneus,  Sc  Sulcus  calcarinus, 
Cr  Knie,  cc  Körper,  Sp  Wulst  des  Balkens,  um  welchen  Zwingenbündel 
bis  zum  erweiterten  Ende  des  Sulcus  occipitalis  laufen.  Xc  Schweif- 
kern, Th  Sehhügel,  Q  Querschnitt  durch  das  Mittelhim,  Ci  Aussen- 
wand  des  Unterhornes,  A  Fragment  des  Mandelkernes  vor  demselben 
R  Rostrum,  Balkenschnabel,  0'  vordere  Bündel  des  Rostrum  nächst 
dem  Knie  für  den  Gvrus  rectus  der  Orbitalfläche,  Ri  Associationsmark. 
im  Sulcus  rectus, /cc  Balkenbündel  über  dem  Kopf  des  Schweifkemes, 
AV  1.  perfor.  ant.  /  vorderste  Inselwindungen,  /'  Eindringen  von 
Balkenfasern  des  Schnabels  in  das  Mark  einer  Inselwindung. 

Fig.  6.  Zusammenhang  tiefer  Schichten  des  Balkens  mit  dem 
neben  und  aussen  verlaufenden  Fasciculus  arcuatus. 
F  Stirnende,  Irans  Mark  des  Gyrus  transitorius,  das  vordere  Ende  der 
Bogenstrahlung  enthaltend,  cc  Balkenquerbündel  in  der  Scheitellänge 
des  Balkens,  Qu  Lobus  quadratus,  5oi  innere  Hinterhauptfurche,  C» 
der  Zwickel,  cuneus,  Soe  äussere  Hinterhauptfurche,  Tp  Schläfenspitze, 
par  abgeschnittene  Parallelwindung  begrenzt  von  der  2.  Schläfe- 
windung Gt.  2,  Sp  Parallelfurche,  /  Stimmark  mit  dem  Associations- 
system  der  Sylvischen  Grube  /./.  5.  verbunden,  a  hintere  Strahlungen 
des  Bogenbündels  von  der  unteren  Fläche  des  Fasciculus  arcuatus  lon- 
gitudinal  gegen  T  und  in  a'  quer  nach  aussen  in  der  Parallel  Windung 
verlaufend  und  in  fa^  in  das  Mark  der  zweiten  Schläfewindung,  endlich 
in  fao  in  den  Hinterlappen,  c  Übergang  von  Balkenbündeln  in  glatte 
Schichten,  welche  sich  in  longitudinaler  Richtung  dem  Fasciculus  ar- 
cuatus anschlicssen.  ce  äussere  Kapsel  aus  dem  Projectionssystem, 
feine  Bänder,  basal  gegen  die  Mitte  des  Linsenkemes  convergirend. 
f.f.S  sind  die  abziehbaren,  ce  die  anhaftenden  Blätter  der  äusseren 
Kapsel,  äussere  und  innerste  Schichten  derselben.  Ab  Abbruch  eines 
Windungskiimmcs. 


Meynert:  Associationsbündel  des  Hirnmantels. 


Taf.L 


farr. 


Figl. 


^      Occ 


f.arc. 


Mg  .3. 


.Uilor  drlin. 


Lilh  Aiisl  vTh.Bannwarlh,  Wim. 


Sitzungsberichte  d.kais.  Akad.  d.Wiss.,  math.-naturw.Classe,  Bd.CI.  Abth.m.  1892. 


Meynsrt:  Associationsbündet  des  Himmantels. 


V  :^ 


'.>  I', 


V^ 


Sitiungsberichted.kais.Alud.  d.Wiu.,  math.-natuTw.Claue,Bd.CI.  Abth.nt.  189S. 


Meynert:  Associationsbündel  des  Hiramantels. 
A     Fig.'f. 


:Q4t^\:.. 


Fig. 6. 


Sitiungsberichted.kais.Akad,  d.Wiss,,  math.-naturw.Classe,Bd.CI.  Abth.  in.  IS92. 


Meynert:  Associadonsbündel  des  Himmantels. 


Sitzungaberichle  d.kais.Akad.  d.Wiss.,  math.-naturw.ClaMC.Bd.CI.  Abth.  m.  1893. 


381 


Die  Nervenwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumen- 
muskeln 

von 

Dr.  L.  Röthi  in  Wien. 

<Mit  2  Textfiguren.) 

Aus  dem  physiologischen  Institute  der  k.  k.  Universität  in  Wien. 

^Vorgelegt  in  der  Sitzung  am  14.  Juli  1892.) 

In  den  nachstehenden  Versuchen  habe  ich  es  unternommen, 
die  Nervenwurzeln  der  einzelnen  Rachen-  und  Gaumenmuskeln, 
namentlich  also  des  M.  stylo-pharyngeus,  sämmtlicher  Con- 
strictoren  des  Rachens,  ferner  des  M.  levator  und  tensor  veli 
palatini  und  des  M.  palato-pharyngeus  und  palatoglossus  auf 
experimentellem  Wege  zu  erforschen. 

Die  bisherigen,  diesbezüglichen  Versuche,  insbesondere 
von  Volk  mann  und  Hein,  auf  die  ich  weiter  unten  ausführlich 
zu  sprechen  komme,  wurden  an  todten,  oder  vielmehr  an  frisch 
geschlachteten  und  geköpften  Thieren  gemacht,  bei  denen  dann 
die  betreffenden  Theile  behufs  Reizung,  beziehungsweise  Beob- 
achtung freigelegt  wurden.  Ich  habe  die  Versuche  zumeist 
an  lebenden  Thieren  ausgeführt  und  diese  während  der  Ver- 
suchsdauer in  der  Narkose  erhalten.  In  einzelnen  Fällen  wurden 
aber  die  Versuche  zum  Theil  auch  noch  fortgesetzt,  während 
die  Thiere  im  Absterben  begriffen  waren,  doch  nur  solange,  als 
noch  schwache,  elektrische  Ströme  zur  Auslösung  von  deut- 
lichen Muskelcontractionen  genügten;  mussten  hiezu  bereits 
stärkere  Ströme  in  Anwendung  kommen,  so  wurden  die  Ver- 
suche nur  noch  als  Controle  verwerthet  und  habe  ich  einzelne 
Details  bei  den  betreffenden  Abschnitten  näher  ausgeführt.  Die 
Reizung  war  eine  unipolare,  d.  h.  eine  Elektrode  wurde  mit  dem 
Maulkorbe  des  Versuchsthieres  verbunden,  während  man  mit 


382  L.  Rethi, 

der  anderen,  in  einen  feinen  Platindraht  auslaufenden  und 
behufs  Handhabung  in  ein  Glasröhrchen  eingelassenen  Elektrode 
die  einzelnen  Nervenfäden,  sowie  einzelne  Stellen  der  grösseren 
Nervenquerschnitte  abtasten  konnte. 

Als  Versuchsthiere  dienten  Kaninchen,  Hunde  und  Katzen, 
zusammen  35  an  der  Zahl. 

Es  sollen  vorerst  in  der  Reihenfolge  die  Versuche  über  die 
Innervation  der  oben  erwähnten  Muskeln  besprochen  und  dann 
eine  übersichtliche  Darstellung  der  hier  in  Betracht  kommenden 
motorischen  Functionen  des  N.  trigeminus,  facialis,  glosso- 
pharyngeus  und  vagus,  beziehungsweise  auch  des  N.  acces- 
sorius  Willisii  gegeben  werden. 

I.  Die  Nervenwurzeln  des  M.  stylopharyngeus. 

Der  M.  stylopharyngeus  entspringt  beim  Menschen  nach 
Henle*  »an  der  vorderen  und  medialen  Fläche  der  Wurzel  des 
Grififelfortsatzes,  geht  nach  ab-,  median-  und  etwas  vorwärts, 
breitet  sich  zugleich  in  einzelne  platte  Bündel  aus,  welche 
durch  die  Lücke  zwischen  Cephalo-  und  Hyopharyngeus,  zum 
Theil  auch  zwischen  Abtheilungen  des  M.  cephalo-pharyngeus 
in  die  Tiefe  dringen.  Einzelne  enden  sogleich  in  der  fibrösen 
Haut  des  Pharynx,  in  der  Gegend  des  Ursprungs  des  Arcus 
palato-pharyngeus,  die  übrigen  gehen  an  der  Seitenwand  des 
Pharynx  herab  und  befestigen  sich  die  vordersten  am  Seiten- 
rand der  Epiglottis  und  am  Lig.  pharyngo-epiglotticum,  die 
folgenden  zu  einer  dünnen,  membranösen  Schichte  ausge- 
breitet am  Seitentheil  des  oberen  Randes  der  Cart.  thyreoidea*'. 

In  ähnlicher  Weise  zieht  er  beim  Hunde  nach  Ellen- 
berger  und  Baum*  vom  Processus  styloideus  gegen  die 
Rücken-  und  Seitenwand  der  Rachenhöhle  herab,  um  sich 
zwischen  den  Fasern  des  M.  constrictor  medius  und  denen  des 
pterygo-pharyngeus  an  der  Rücken-  und  Seitenwand  zu  ver- 
breiten und  auch  beim  Kaninchen  entspringt  er  nach  Krause' 


1  Henle,  Handbuch  der  s\'stematischen  Anatomie  des  Menschen.  1876. 

2  Ellenberger  und   Baum,  Systematische  und  topographische  Ana- 
tomie des  Hundes.   Pare\'.  Berlin.  1891. 

^  Krause,  Die  Anatomie  des  Kaninchens.  Engelmann,  Leipzig.  1884. 


Nen'enwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln.  383 

an  dem  beweglichen,  dreikantigen,  einige  Millimeter  langen 
Processus  styloideus  und  inserirt  sich  in  der  Höhe  zwischen 
Zungenbein  und  oberem  Ringknorpelrande,  indem  er  das 
rückwärtige  Drittel  des  Rachenumfanges  in  Form  eines  Mantels 
umgreift. 

Der  M.  stylo-pharyngeus  wird  vom  R.  stylo-pharyngeus 
des  N.  glosso-pharyngeus  versorgt,  während  jedoch  eine  Anzahl 
von  Forschem  diese  motorischen  Fasern  dem  Glosso-pharvn- 
geus-Stamme  selbst  zuschrieb,  sprachen  ihm  andere  Autoren 
jede  motorische  Eigenschaft  ab.  So  hat  sich  namentlich 
Mayo*  von  der  gemischten  Natur  des  N.  glosso-pharyngeus 
überzeugt  und  nach  J.  Müller,*  der  die  Details  der  Versuche 
nicht  weiter  beschreibt  —  aus  dem  Zusammenhange  mit  dem 
Übrigen  muss  jedoch  angenommen  werden,  dass  er  central 
gereizt  hat  —  »erregte  der  N.  glosso-pharyngeus,  unmittelbar 
mit  beiden  Polen  der  Säule  in  Verbindung  gebracht,  kleine 
Zuckungen  in  dem  Schlund,  nachdem  das  Thier  (Kaninchen) 
schon  todt  war«. 

Volkmann ^  gelang  es,  an  frisch  geschlachteten  Kälbern, 
deren  Kopf  er  der  Länge  nach  auseinandergesägt  hat,  durch 
mechanische  und  galvanische  Reizung  der  dünnen  Wurzel  den 
M.  stylo-pharyngeus  zu  erregen. 

Hingegen  hält  R ei d,*  der  zuerst  an  lebenden  oder  noch 
reizbaren  Köpfen  Versuche  gemacht  hat,  den  N.  glosso-pharyn- 
geus für  einen  sensorischen  Nerven,  ebenso  auch  Valentin:'* 
dieser  sagt:  »Es  ist  mir  oft  vorgekommen,  dass  der  herum- 
schweifende und  der  Beinnerv  die  längste  Zeit  die  lebhafteste 


1  Mayo,  Anatom,  and  physiolog.  Comment.  London  1823.  III. 

2  J.  Müller,  Bestätigung  des  Bell'schen  Lehrsatzes,  dass  die  doppelten 
Wurzeln  der  Rückenmarksnerven  verschiedene  Functionen  haben,  durch  neue 
und  entscheidende  Experimente.  Notizen  aus  dem  Gebiete  der  Natur-  und  Heil- 
kunde von  Froriep,  30.  Bd.  1831.  S.  133. 

3  Volkmann,  Cber  die  motorischen  Wirkungen  der  Kopf-  und  Hals- 
nerven. Müller's  Arch.  1840.  S.  475. 

"*  Reid,  On  experimental  investigation  into  the  functions  of  the  eighth 
pair  of  nerves,  or  the  glossophar.  pneumogastric  and  spinal  accessory.  The 
Edinb.  med.  and  surg.  J.  1838. 

^  Valentin,  Lehrbuch  der  Physiologie  des  Menschen.    1848.  IL  S.  391. 


384  l.  Rethi. 

Schlundbevvegung  anregten,  während  der  unmittelbar  nach  der 
Entfernung  des  v^erlängerten  Markes  angesprochene  Zungen- 
schlundkopfnerv  keine  Verkürzungen  lieferte.  Dem  sei  nun,  wie 
ihm  wolle,  so  erhellt  so  viel,  dass  der  grösste  Theil  der  Fasern 
des  neunten  Hirnnerven  keine  Bewegungsfasern    von  vorne- 
herein einschliesst«  und  Longet  *  sah  beim  Pferde  und  Hunde 
auf  centrale  Reizung  des  Glosso-pharyngeusstammes  keinerlei 
Contractionen  im  Rachen;  er  sagt:  *  »j'ai  galvanise,  dans  le  but 
de  provoquer  des  mouvements  du  pharynx  etc.,  le  nerf  glosso- 
pharygien  avant  son  entree   dans  le  trou  dechire  posterieur, 
aucune  contraction  du  pharynx  ou  des  muscles  qui  l'avoisinent, 
n'a  ete  vue  ni  par  moi  ni  par  les  personnes  dont  j'etais  assiste«. 
Über   die    oben    erwähnte  Beobachtung  Müller's    macht   er 
folgende  Bemerkung':  *il  est  permis  de  penser  qu il  a  egale- 
ment  agi  au  niveau  du  cou,  c'est-ä-dire  dans  un  point  oü  reelle- 
ment  le  glosso-pharyngien  est  devenu  mixte  par  Tadjonction  de 
filets    empruntes    au    facial    ou    au    spinal«.    Er   sowohl  wie 
Rüdinger*  leiten  die  motorischen  Fasern,   die   im  N.  stylo- 
pharyngeus  enthalten  sind,  vom  R.  communicans  Nervi  facialis 
et  glosso-pharyngei  ab. 

Auch  nach  Henle*'  ist  »wahrscheinlich  der  R.  communi- 
cans N.  facialis  et  glossopharyngei  dazu  bestimmt,  dem 
N.  glosso-pharyngeus  motorische  Fasern  mitzutheilen«.  Hyrtl** 
sagt:  »die  motorischen  Aste,  welche  er  (nämlich  der  N.  glosso- 
pharyngeus)  zu  den  Rachenmuskeln  sendet,  mögen  ihm  durch 
Anastomosen  mit  dem  Communicans  und  Vagus  procurirt 
werden«.  Nach  Langer^  gibt  »der  N.  glosso-pharyngeus  an 
den  M.  stylopharyngeus .  .  .Aste  ab;  es  ist  jedoch  nicht  sicher- 
gestellt, ob  der  Nerv  diese  Fasern  von  Haus  aus  mitnimmt  oder 
sie  erst  durch  die  Anastomosenkette  zugeleitet  bekommt,  welche 


1  Longe t,  Recherches   sur  les  Ibnctions   des   faisceaux   de  la  moelle 
epiniere.  Arch.  gen.  de  med.  1841. 

2  Long  et,  Traite  de  Physiologie.    1869.  p.  501. 

3  L.  c.  S.  502. 

•*  Rüdin  g  er,  Anatomie  der  Gehirnnerven. 

•'»  Henle,  1.  c. 

^  Hyrtl,  Lehrbuch  der  Anatomie  des  Menschen.  1875. 

"  Langer,   Lehrbuch  der  Anatomie  des  Menschen.  1865. 


Xen'enwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln.  385 

den  Stamm  mit  dem  Vagus  und  diesen  mit  dem  Accessorius 
verbindet.  Die  Ergebnisse  der  an  Thieren  gemachten  Versuche 
sind  so  vieldeutig,  dass  sich  nicht  einmal  streng  entscheiden 
lässt,  ob  in  diesem  ganzen  Gebiete  wenigstens  den  functionell 
geschiedenen  Muskelgruppen  besondere  Nerven  zugewiesen 
sind  oder  ob  nicht  gar  der  den  einzelnen  Muskel  innervirende 
Faden  seine  Fasern  aus  mehreren  Nerven  beziehen  kann».  Und 
Schwalbe  *  sagt:  »Vollständig  sichergestellt  ist,  dass  der 
Glossopharyngeusstamm  motorische  Fasern  für  den  M.  stylo- 
pharyngeus  führt;  doch  liegt  immerhin  die  Möglichkeit  vor, 
dass  sie  ihm  aus  einer  anderen  Quelle  zugeführt  werden. 
Der  R.  communicans  N.  faciei  et  glosso-pharyngei  zweigt 
sich  gewöhnlich  dicht  unter  dem  Ganglion  petrosum  ab 
und  bildet  mit  einem  Theile  des  für  den  M.  digastricus 
bestimmten  Facialiszweiges  eine  nach  unten  convexe  Schlinge, 
aus  der  Fasern  beider  Nerven  in  peripherer  Richtung  aus- 
strahlen können  (Bisch off).  Wahrscheinlich  besteht  aber 
die  Bedeutung  dieser  Verbindung  vorzugsweise  darin,  dass 
durch  sie  dem  Glossophar^mgeus  Fasern  zugeführt  werden, 
w^elche  ihn  möglicherweise  zum  Theil  schon  in  der  Bahn 
des  N.  stylo-pharyngeus  verlassen.« 

Die  M.  stylo-pharyngei  heben  den  Rachen  und  erzeugen 
an  der  hinteren  Rachenwand  beiderseits  von  der  Mittellinie  eine 
Ausbuchtung  nach  hinten  und  aussen,  so  dass  eine  Erweiterung 
des  Rachens  entsteht,  welche  nebst  anderen  Momenten  dazu 
dient,  durch  Druckabnahme  ansaugend  auf  den  Bissen  zu 
wirken,  das  Hineingelangen  von  Speisen  in  den  Kehlkopf  zu 
verhüten  und  den  Organismus  vor  den  Gefahren  des  Ver- 
schluckens  zu  schützen.  * 

Beim  Aufsuchen  der  motorischen  Wurzelfasern  des  M.  stylo- 
pharyngeus  war  die  Versuchsanordnung  mit  geringen  Ab- 
weichungen fast  immer  folgende:  das  Thier  wurde  narkotisirt,  in 
der  Rückenlage  festgebunden, —  nach  vorgenommener  Spaltung 


1  Schwalbe,  Lehrbuch  der  Neurologie.  1881. 

-  L.  Rethi,  Der  Schlingact  und  seine  Beziehungen  zum  Kehlkopfe. 
Sitzungsber.  d.  kais.  Akad.  d.  Wissensch.  in  Wien.  Mathem.-naturwissensch. 
Cl.  Bd.  C.  Abth.  m.  Oct.  1891. 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  CI.;  CI.  Bd.,  Abth.  Ilf.  27 


386  L.  Rethi, 

der  Weichtheile  des  Vorderhalses  in  der  Mittellinie  —  tracheo- 
temirtund  dieTracheotomiekanüle  eingebunden;  die Sublingual- 
drüsen  wurden  abgebunden,  die  Membrana  thyreohyoidea  der 
Quere  und  der  Länge  nach  bis  zum  Zungenbein  hinauf  durch- 
trennt und  die  Wundränder  ligirt;  dann  wurde  der  Schild- 
knorpei,  ebenso  auch  der  weiche  Gaumen  seiner  ganzen  Länge 
nach  in  der  Medianlinie  gespalten  und  die  Epiglottis  abgetragen. 

Im  zweiten  Tempo  wurde  das  Thier  in  der  Bauchlage  fest- 
gebunden und  die  Nervenwurzeln  in  der  Weise  freigelegt,  wie 
es  Gross  mann*  bei  seinen  Versuchen  gethan;  der  Kopf  des 
Thieres  wurde  stark  brustwärts  gebeugt,  die  Haut  zwischen  Pro- 
tuberantiaoccipitalis  externa  und  viertem  Halswirbel  durchtrennt, 
die  Muskeln  beiderseits  doppelt  unterbunden  und  quer  durch- 
schnitten. Dann  wurden  die  Muskeln  von  der  Membrana 
obturatoria  abgelöst,  letztere  gespalten  und  an  den  Ansatz- 
stellen mit  einer  feinen  Scheere  abgetragen,  die  Seitentheile  der 
Membran  jedoch  zur  Vermeidung  von  grösseren  Blutungen, 
welche  eine  Fortsetzung  des  Versuches  stets  unmöglich  machen 
(A.  vertebralis) ,  geschont.  Schliesslich  wurden  nach  Bloss- 
legung  der  Medulla  oblongata,  um  besseren  Zugang  zu  ver- 
schaffen, Theile  des  Os  occipitis  an  der  oberen,  äusseren  Um- 
randung der  gewonnenen  Öffnung  mit  der  Knochenzange 
abgetragen,  jedoch  eine  Entfernung  von  Knochen  in  der  Mittel- 
linie sowohl,  als  auch  an  der  lateralen  Begrenzung  nach  Mög- 
lichkeit vermieden. 

Wurde  nun  das  Versuchsthier  auf  eine  Seite  gelegt,  so 
kamen  die  Wurzelbündel  des  N.  glosso-pharyngeus,  vagus  und 
accessorius  Willisii,  indem  sich  die  Medulla  oblongata  in  Folge 
ihrer  Schwere  gegen  die  nach  unten  gekehrte  Seitenwand 
senkte,  auf  der  entgegengesetzten  Seite  gut  zum  Vorschein,  so 
dass  beim  Kaninchen  von  einer  Rotation  der  Medulla  oblongata 
und  einer  Entfernung  von  Kleinhirntheilen  mittelst  Saugvor- 
richtung abgesehen  werden  konnte.  Man  sieht  beim  Kaninchen 
die  von  innen  oben  nach  aussen  unten  absteigenden  Wurzel- 
bündel (Fig.  1  bei  1),  in  einem  kleinen  Abstände  von  denselben 

1  Grossmann,  Das  Respirationscentrum,  insbesondere  des  Kehlkopfes 
und  die  Wurzelfasern  des  Kehlkopfes.  Sitzungsber.  d.  kais.  Akad.  d.  Wissensch. 
in  Wien.  B.  XCVIII.  Abth.  III.  1889. 


Nervenwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln. 


387 


die  mehr  oder  weniger  quer  abgehenden  mittleren  Fasern  (2) 
und  dann  die  von  innen  unten  nach  aussen  oben  aufsteigenden 
Fäden  (3),  die  sich  in  den  ebenfalls  deutlich  sichtbaren  Acces- 
soriusstamm  (A)  einsenken.  Dass  es  sich  im  Ganzen  und 
Grossen  um  ähnliche  Befunde  handelt,  wie  beim  Menschen,  ist 
schon  aus  der  Ähnlichkeit  der  Bilder  zu  ersehen  (Fig.  2).  • 


Fig.  1. 

Closso-pharyngeus -Vagus-  und  Accessoriuswurzeln  beim  Kaninchen 
(nach  Grossmann).  1.  Oberes.  2.  Mittleres.  3.  Unteres  Wurzelbündel.  A. 
N.  accessorius,  x  und  y  Nervenwurzeln  des  M.  stylo-pharyngeus,  z  Nerven- 
wurzeln der  drei  Constrictoren  des  Rachens,  des  M.  levator  veli  palatini 
und  des  M.  palato-pharyngeus  und  palato-glossus. 

In  der  Seitenlage  des  Thieres  war  es  möglich,  die  Wurzel- 
fasern mittelst  der  feinen  Platinelektrode  zu  reizen  und  die 
einzelnen  Fäden  abzutasten,  während  ein  Gehilfe  bei  aus- 
einandergehaltenen Schildknorpelplatten  die  hintere  Rachen- 
wand beobachtete.  Man  sah  bei  massig  starken  Strömen,  bei 
einem  Rollenabstande  von  etwa  4o  cm  auf  Berührung  des  oberen 
Bündels  eine  rinnenförmige  Vertiefung  auf  der  betreffenden  Seite 

27* 


388 


L.  Rethi, 


entstehen,  eine  Ausbuchtung  der  hinteren  Rachenwand  seitlich 
von  der  Mittellinie  nach  hinten  aussen,  ein  Zurückweichen  der- 
selben, und  zwar  vom  Niveau  des  Zungenbeines  angefangen 
bis  über  die  Spitzen  der  Arytaenoidknorpel  hinaus,  demnach 
in  der  ganzen  Höhe  der  Insertion  des  M.  stylo-pharyngeus; 
gleichzeitig  wurde  die  Raphe  nach  der  gereizten  Seite  hinüber- 


N. abducens 
N.  trigeminus 


Tensor  veli  palatini 


N.  facialis 
X.  acusticus.^ 

N.  glosso- 
pharyngeup 


N.  vagus 
N.  accessoriuä 


..  M.  st}io-phar>Tigcas 

Constrictor  pharyn- 

gis  supeiior, 

medius  et 

inferior;  Levator 

veli  palatini,  M.  pa- 

lato-phaiyngeus  et 

ossus 


Fig.  2. 

XeiTenursprünge  beim  Menschen  (nach  Henle). 

Nervenwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln. 

gezogen,    der  Pharynx    gehoben    und    oft    erfolgte    auch    ein 
Schlingact. 

Wurden  etwas  schwächere  Ströme  angewendet,  bei  einem 
Rollenabstand  von  55  bis  60  cm  —  doch  war  die  erforderliche 
Stromstärke  von  den  verschiedenen  Thieren  selbst  und  wegen 
der  Ermüdung  und  abnehmenden  Erregbarkeit  insbesondere 
auch  von  der  Dauer  des  Versuches  abhängig  —  so  konnte  man 
die  unteren  Fasern  des  oberen  Bündels  in  ihrer  Wirkung  von  den 
oberen  Fasern  desselben  differenziren :  bei  Reizung  der  oberen 
Fasern  dieses  Bündels  (x)  entstand  eine  geringe  rinnenförmige 


Nervenwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln.  389 

Vertiefung,  hauptsächlich  im  oberen  Abschnitte  der  sichtbaren 
hinteren  Rachenwand,  in  der  Höhe  des  Zungenbeines  und  bei 
Reizung  der  unteren  Fasern  (y)  eine  Excavation  hauptsächlich 
im  Niveau  der  Spitzen  der  Arytaenoidknorpel,  wie  ich  sie  bei 
Reizung  des  N.  laryngeus  medius  gesehen  habe.  *  Das  mittlere 
Wurzelbündel  (2  Fig.  1)  hatte  auf  den  M.  stylo'-pharyngeus 
keinen  Einfluss  und  ebenso  konnte  eine  Abhängigkeit  dieses 
Muskels  von  den  Accessorius-Wurzeln  mit  Bestimmtheit  aus- 
geschlossen werden. 

Bei  anderen  ebenso  präparirten  Thieren  wurde  auch  der 
N.  laryngeus  medius  auf  einer  Seite  herauspräparirt  und  durch- 
schnitten; Reizung  der  oberen  Fasern  des  oberen  Bündels  ergab 
unverändert  ebenso,  wie  bei  intactem  N.  laryngeus  medius  nebst 
Hebung  des  Rachens  und  Verziehung  der  Raphe  nach  der 
gereizten  Seite  hin  eine  geringe  Vertiefung  der  hinteren  Rachen- 
wand  in  der  Höhe  des  Zungenbeines,  bei  Reizung  der  unteren 
Fasern  des  oberen  Bündels  hingegen  entfiel  auf  der  operirten 
Seite  die  Excavation  im  Niveau  der  Giessbeckenknorpelspitzen, 
während  sie  bei  Reizung  dieser  Wurzelfasern  auf  der  anderen 
Seite,  auf  welcher  der  N.  laryngeus  medius  erhalten  war,  deut- 
lich auftrat. 

Dann  wurden  auf  dieser,  nicht  operirten  Seite  die  unteren 
Fasern  des  oberen  Bündels  (y  Fig.  1)  mit  einem  feinen  Häkchen 
durchgerissen  und  durch  mechanische  Berührung  des  Rachens 
ein  Schlingact  ausgelöst.  Die  Ausbuchtung  wurde  nun  auf 
beiden  Seiten  vermisst,  auf  einer  Seite,  weil  der  N.  larj^ngeus 
medius  durchschnitten  war  und  auf  der  anderen,  weil  die 
Wurzelfasern  desselben  durchtrennt  waren.  Auf  Reizung  der 
peripheren  Enden  dieser  durchrissenen  Fasern  des  oberen 
Bündels  entstand  die  Excavation  am  Oesophagus- Eingang 
wieder. 

Diese  Versuche  wurden  in  derselben  Anordnung  oder  mit 
geringen  Abweichungen  in  mehreren  Fällen  wiederholt  und  das 
Resultat  war  stets  dasselbe,  nur  kam  es  zu  Ende  der  Versuche, 
wenn  die  Thiere  weniger  erregbar  geworden  und  stärkere 
Ströme    angewendet    werden  mussten,   in  Folge  von   Strom- 


1  L.  Rethi,  1.  c. 


^ 


390  L.  Rethi, 

schleifen,  die  auf  die  benachbarten,  noch  nicht  ermüdeten 
Fasern  übersprangen,  auch  zu  anderen  Erscheinungen,  insbe- 
sondere zu  Vorspringen  der  Arcus  palato-pharyngei  und  Hebung 
des  Gaumensegels. 

In  den  Versuchen,  bei  denen  der  Ursprung  des  N.  facialis 
und  trigeminüs  blossgelegt  wurde  und  die  weiter  unten  aus- 
führlich besprochen  werden  sollen,  konnte  durch  Reizung  der 
genannten  Nervenstämme  eine  Contraction  des  M.  stylo-pharyn- 
geus  niemals  erzielt  werden. 

Demnach  verlaufen  die  für  den  M.  stylo-pharyn- 
geus  bestimmten  motorischen  Fasern  im  oberen 
Wurzelbündel,  insbesondere  aber  führen  die  unteren 
Fasern  desselben  die  durch  den  N.  laryngeus  medius 
vermittelten  motorischen  Nerven. 

2.  Die  Nervenwurzeln  der  Constrictoren  des  Rachens. 

Man  unterscheidet  im  Rachen  beim  Menschen  sowohl  als 
auch  bei  unseren  Versuchsthieren,  drei  Constrictoren.  Beim 
Menschen  verhalten  sie  sich  nach  Hyrtl  *  folgendermassen ; 
>'Der  Constrictor  pharyngis  superior  nimmt  die  oberste  Partie 
der  hinteren  Rachenwand  ein,  welche  den  Choanen  gegenüber- 
steht; er  entspringt  vom  Hamulus  pterygoideus,  von  dem 
hinteren  Ende  der  Linea  mylo-hyoidea,  vom  Seitenrand  der 
Zunge  und  von  der  zwischen  Ober-  und  Unterkiefer  ausge- 
spannten Partie  der  fascia  bucco-pharyngea« ...»  Der  schwache 
Constrictor  medius  kommt  mit  zwei  Bündeln  von  dem  grossen 
und  kleinen  Hörn  des  Zungenbeines  als  Cerato-  und  Chondro- 
pharyngeus;  seine  oberen  Fasern  streben  in  der  hinteren  Rachen- 
wand nach  aufwärts,  seine  unteren  nach  abwärts,  während  seine 
mittleren  horizontal  bleiben. . .  Die  obere  Spitze  schiebt  sich  auf 
den  Constrictor  superior  hinauf,  die  untere  wird  von  der«... 
*  Spitze  der  beiden  Constrictores  inferiores  überdeckt  «  . . . »  Der 
Constrictor  inferior  entspringt  vorzugsweise  von  der  äusseren 
Fläche  des  Schildknorpels  und  von  der  Aussenfläche  des  Ring- 
knorpels. Auch  seine  Bündel  vereinigen  sich  mit  den  entgegen- 
gesetzten in  der  Raphe  und  schieben  sich  mit  qiner  nach  oben 

1  Hyrti,  1.  c. 


Xervenwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln.  391 

gerichteten  Spitze  über  den  Constrictor  medius  hinauf. . .  die 
Schnürermuskeln  bilden  die  Seitenwand  und  die  hintere  Wand 
des  Rachens,  gegen  deren  Medianlinie  sie  von  beiden  Seiten  her 
zusammenstreben. « 

In  ähnlicher  Weise  verhalten  sich  die  Rachenconstrictoren 
auch  beim  Hunde  und  Kaninchen,  doch  sind  bei  Letzterem  ein- 
zelne Bündel  dieser  Muskeln  schwer  zu  unterscheiden,  wenn 
auch  der  mittlere  Constrictor  relativ  stark  entwickelt  ist.  ^ 

Bezüglich  der  motorischen  Innervation  der  Schlundschnürer 
ist  hervorzuheben,  dass  der  N.  glosso-pharyngeus,  vagus, 
accessorius  und  sympathicus  ein  Geflecht,  den  Plexus  pharyn- 
geus  bilden  und  dass  aus  diesem  Fäden  zu  den  genannten 
Muskeln  treten,  doch  werden  darüber,  von  welchem  dieser 
Nerven  die  für  die  Constrictoren  bestimmten  motorischen  Fasern 
herstammen,  verschiedene  Ansichten  ausgesprochen. 

Goerres,*  Scarpa,^  Bischoff,*  Arnold''  und  Valen- 
tin® hielten  den  Vagus  für  einen  rein  sensorischen  Nerven  und 
sprachen  ihm  jedwede  Betheiligung  an  der  motorischen  Inner- 
vation des  Rachens  und  der  Constrictoren  ab.  Auch  Longe  t 
ist  geneigt,  die  motorischen  Nerven  des  Rachens  ausschliesslich 
vom  N.  accessorius  Willisii  abzuleiten;  er  sagt:^  *>Le  nerf 
glosso-pharyngien,  devenu  mixte  par  l'adjonction  d'un  rameau 
du  facial  et  par  son  union  avec  le  rameau  pharyngien  du 
spinal,  se  distribue  ä  la  muqueuse  pharyngienne,  ä  celle  des 
piliers  du  volle  du  palais  etc.,  tandis  que  les  filets  empruntes 
au  spinal  se  terminent  dans  les  muscles  constricteurs  du 
Pharynx«. 


'   Krause,  1.  c. 

-  Goerres,  Exposition  der  Physiologie.  Coblenz  1805. 

3  Scarpa,  De  gangliis  ncrvorum  deque  origine  et  essentia  nervi  inter- 
costalis.  Mailand  1831. 

*  Bisch  off.  Nervi  accessorii  Willisii  anatomia  et  physiologia.  Heidel- 
berg 1832. 

^  Arnold,  Bemerkungen  über  den  Bau  des  Hirns  und  Rückenmarks. 
Zürich  1838. 

ß  V^al entin,  De  functionibus  nervorum  cerebralium  et  ner\'i  sympathici. 
Bern  1839. 

"  Longet,  Traite  de  Physiologie.  1869.  III.  S.  581. 


392  L.  Rethi, 

Hingegen  gibt  Volk  mann  *  an,  bei  frisch  geschlachteten 
Thieren  durch  Reizung  des  Glosso-pharyngeusstammes  Con- 
traction  des  Constrictor  pharyngis  medius  und  nach  Exstirpation 
des  N.  glossopharyngeus  und  accessorius  Willisii  durch 
Reizung  der  Vaguswurzeln  unter  Anderem  auch  Bewegungen 
im  Constrictor  faucium  superior  und  inferior  erzielt  zu  haben. 
Bezüglich  der  Schlundschnürer  gelangte  auch  Hein*  zu  den- 
selben Resultaten,  da  er  den  Constrictor  medius  ebenfalls  durch 
Reizung  des  centralen  Glosso-pharyngeusstammes  erregen 
konnte. 

Henle^  leitet  die  motorische  Innervation  des  Constrictor 
superior  von  den  motorischen  Fasern  der  Vagusvvurzel  des 
Plexus  pharyngeus  ab  und  Luschka*  sagt:  »Die  motorischen 
Nerven  des  Rachens  gehen  aus  dem  Glosso-pharyngeus,  welcher 
.  . .  auch  Fädchen  an  die  Constrictoren  abgibt  und  aus  dem 
Accessorius  Willisii  hervor,  dessen  innerer  mit  dem  Vagus  sich 
verbindender  Ast  durch  die  Rami  pharyngei  des  letzteren  Nerven 
den  Constrictoren  zahlreiche  Elemente  zuschickt« 

Die  Versuchsanordnung  war  dieselbe,  wie  bei  der  Eruirung 
der  motorischen  Wurzel  des  M.  stylo-pharyngeus  und  als  Ver- 
suchsthiere  dienten  auch  hier  Kaninchen,  Hunde  und  Katzen; 
erwähnt  soll  jedoch  werden,  dass  fast  jedes  Thier  in  jedem  Ver- 
suche zur  Erforschung  des  Wurzelgebietes  mehrerer  Muskeln 
verwendet  wurde.  Das  Thier  wurde  narkotisirt,  in  der  Rücken- 
lage festgebunden,  tracheotomirt  und  der  weiche  Gaumen  nach 
Durchtrennung  der  Membrana  thyreo-hyoidea  der  Länge  nach 
gespalten,  damit  die  hintere  Rachenwand  im  Bereiche  des  Con- 
strictor pharyngis  medius  und  inferior  beobachtet  werden 
könne.  In  der  oben  beschriebenen  Weise  wurden  dann  die 
Wurzelfasern  des  N.  glosso-pharyngeus,  vagus  und  accessorius 
Willisii  blossgelegt  Mnd  die  einzelnen  Fasern  abgetastet. 

Bei  Reizung  der  oberen  Fasern  des  mittleren  Bündels 
(P'ig.l  z,  S.  387)  entstand  auf  der  gereizten  Seite  eine  Vorwölbung; 


1  Volkmann,  1.  c. 

2  Hein,  Über  die  Nerven   des  Gaumensei^cls.   .Müll  er 's  .Archiv.    1844. 
»  Henle,  1.  c. 

•*  Luschka,  Die  Anatomie  des  Menschen.  1860. 


Nerv'envvurzeln  der  Rachen-  und  Gaumcnmuskeln.  393 

die  hintere  und  seitliche  Rachenwand  sprang  einmal  mehr  im 
Niveau  des  Zungenbeines  ein  anderesmal  hingegen  mehr  in  der ' 
Höhe  der  Arytaenoidknoipel  vor,  d.  h.  es  contrahirte  sich  sowohl 
der  mittlere  als  auch  der  untere  Schlundschnürer,  doch  war  es 
nicht  möglich  die  feinen  Nervenfäden  derart  zu  isoliren,  dass  man 
die  Abhängigkeit  jedes  einzelnen  dieser  beiden  Constrictoren  von 
bestimmten  Fasern  hätte  nachweisen  können  und  auch  bei  den 
schwächsten  Strömen  waren  stets  auch  Contractionen  des  be- 
nachbarten Schlundschnürers  wenigstens  theilweise  zu  sehen. 
Während  der  Durchschneidung  der  oberen  Fasern  des  mittleren 
Bündels  contrahirten  sich  diese  beiden  Constrictoren  ebenfalls 
und  ebenso  entstand  diese  Contraction  bei  nachfolgender  Reizung 
der  peripheren  Enden  der  durchschnittenen  Fasern.  Reizung  der 
unteren  Fasern  des  mittleren  Bündels  hatte  keine  Veränderung 
im  Rachen  zur  Folge,  und  dass  Durchschneidung  des  N.  laryn- 
geus  medius  an  der  Contraction  der  Constrictoren  nichts  änderte, 
braucht  nach  dem  Vorhergehenden  nicht  ausdrücklich  erwähnt 
zu  werden.  Es  soll  hier  auch  vorweg  genommen  werden,  dass 
auch  Reizung  des  Facialis-  und  Trigeminusstammes  keine  Con- 
traction dieser  beiden  Constrictoren  zur  Folge  hatte. 

Der  Constrictor  pharyngis  superior  konnte  durch  diese 
künstliche  Öffnung  nicht  gut  gesehen  werden  und  statt  einer 
Beobachtung  im  Spiegel,  die  allerdings  möglich  war,  zog  ich  es 
vor,  die  hintere  Rachenwand  in  ihrem  oberen  Abschnitte  nach 
Spaltung  des  Velum  palatinum  direct  durch  die  Mundhöhle  zu 
beobachten.  Zu  diesem  Zwecke  wurde  das  narkotisirte  Thier 
mittelst  eines  eigens  construirten  Maulkorbes,  der  nur  den  Ober- 
kiefer fixirte  und  dessen  unteres  Blatt  sich  an  den  harten 
Gaumen  stützte,  während  eine  quere  Spange  hinter  die  oberen 
Schneidezähne  zu  liegen  kam,  am  Kaninchenhalter  fixirt,  der 
Unterkiefer  mittelst  eines  Fadens  abducirt  und  beim  Kaninchen, 
dessen  Kiefer  sich  durch  grosse  Länge  und  dessen  Mundhöhle 
sich  durch  bedeutende  Tiefe  auszeichnete,  überdies,  um  mehr 
Raum  zu  gewinnen,  auch  noch  die  Wange  von  den  Mund- 
winkeln aus  nach  doppelter  Unterbindung  etwa  2  cm  weit  nach 
hinten  durchtrennt;  nun  wurde  der  weiche  Gaumen,  nach- 
dem andere  die  Innervation  des  Velum  betreffende  Versuche 
vorausgegangen  waren,  in  der  Mittellinie  vorsichtig  der  Länge 


394  L.  Rethi, 

nach  bis  zum  harten  Gaumen  gespalten  und  die  hintere  Rachen- 
wand zur  Ansicht  gebracht. 

Wurde  die  Stelle  (z  in  Fig.  1),  von  der  die  motorische 
Abhängigkeit  des  mittleren  und  unteren  Schlundschnürers 
nachgewiesen  worden  war,  gereizt,  so  contrahirte  sich  auch  der 
Constrictor  pharyngis  superior,  dabei  konnte  man  aber  von  hier 
aus  zumeist  auch  die  Contraction  des  mittleren  und,  wenn  die 
Zunge  gut  niedergedrückt  wurde,  auch  noch  des  unteren 
Schlundschnürers  sehen.  Auch  die  Erregung  des  oberen  Con- 
strictor konnte  nicht  isolirt  werden:  wurden  schwächere  Ströme 
angewendet,  so  kam  es  überhaupt  nicht  mehr  zu  einem  sicht- 
baren Reizeffecte^  und  wenn  man  bei  allmähliger  Steigerung  der 
Stromstärke  eine  Contraction  wahrnehmen  konnte,  trat  sie  an 
allen  drei  Constrictoren  auf. 

Demnach  führt  das  mittlere  Wurzelbündel  in 
seinen  oberen  Fasern  die  für  die  Constrictoren  des 
Rachens  bestimmten  motorischen  Nerven  und  wird 
der  Constrictor  pharyngis  medius  von  demselben 
Wurzelbündelchen  versorgt  wie  der  Constrictor 
pharyngis  superior  und  inferior. 

3.  Die  Nervenwurzeln  des  M.  levator  veli  palatini. 

Die  Anschauungen  über  die  Innervation  des  M.  levator  veli 
palatini  sind  einander  so  widersprechend,  dass  nach  den  anato- 
mischen Untersuchungen,  sowie  den  physiologischen  und  klini- 
schen Beobachtungen  ein  abgeklärtes  Urtheil  über  die  motorische 
Versorgung  dieses  Muskels  bis  nun  nicht  möglich  war. 

Es  sollen  vorerst  die  anatomischen  Verhältnisse  des 
M.  levator  palati  mollis,  dann  die  wesentlichsten  bisherigen 
Beobachtungen  und  Untersuchungen  berührt  und  schliesslich 
unsere  Versuche  ausführlich  besprochen  werden.  Nach  Hyrtl  * 
entspringt  »der  Levator  veli  palatini  s.  petro-salpingo-staphylinus 
vor  dem  Carotischen  Kanal  von  der  unteren  Felsenbeinfläche, 
sowie  auch  von  dem  Knorpel  der  Eustachischen  Ohrtrompete 
und  verwebt  seine  Fasern  im  weichen  Gaumen  theils  mit  den 
Fasern   des  Azygos  uvulae,  theils  fliessen  sie   in   einem  nach 

1   Hyrtl,  1.  c. 


Xervenwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln.  395 

abwärts  convexen  Bogen  mit  jenem  des  gleichnamigen  Muskels 
der  anderen  Seite  zusammen.«  Beim  Hunde  entspringt  er  nach 
Ellenberger  und  Baum  '  »an  dem  Processus  styliformis  des 
Tympanicum,  liegt  an  der  Seitenwand  der  Rachenhöhle  und 
breitet  sich  facherartig  im  Gaumensegel  aus,  indem  seine 
Fasern  zwischen  das  Drüsengewebe  eintreten.  Lateral  liegen 
dem  Muskel  der  Styloglossus  und  Pterygo-pharyngeus  an, 
medial  grenzt  er  an  den  M.  palato-pharyngeus ;  mit  letzteren 
beiden  kreuzt  er  sich. . .  Der  Levator  endet  im  Gaumensegel.« 
Beim  Kaninchen  entspringt  er  nach  Krause*  »an  der  unteren 
Fläche  der  pars  petrosa  ossis  temporum  und  Tuba  Eustachi, 
verläuft  abwärts  und  nach  vorne.  Insertion:  Velum  palatinum.« 
Was  die  motorische  Innervation  des  M.  levator  veli  palatini 
betrifft,  so  gibt  Valentin  ^  an,  dass  derselbe  vom  N.  trigeminus 
und  facialis  versorgt  wird;  von  letzterem  Nerven  sagt  er: 
*R.  petrosi  superficialis  majoris  fibrae  plurimae  semper  a 
N.  faciali  exeunt,  aliae  vero  per  eum  a  N.  trigemino  in  N.  facialem 
intrant  et  partim  N.  acusticum  per  R.  communicatorium  infe- 
riorem petunt.  Itaque  hoc  nervo  efficitur'  ut  fibrae  quaedam 
motoriae  N.  facialis  ad  R.  vidianum  decurrant.  Quam  vero 
regionem  postea  petant,  experimento  erui  non  potuit  nisi 
experientia,  ut  ita  dicam,  negativa  aut  quidem  incerta  aliquid 
probet.  Ut  enim  viderem,  num  fibrae  motoriae,  quae  in  N.petroso 
superficiali  continentur,  palati  mollis  musculos  moveant,  caput 
animalis  nunc  necati  ita  dimidavi,  ut  facillime  N.  facialem 
adtingerem.  Tum  ne  ceterae  ejus  fibrae  motoriae  experimentum 
turbarent,  eum  e  foramine  stylo-mastoideo  egressum  primo 
dividi  et  deinde  partem,  quae  in  meatum  auditorium  internum 
intrat,  posteaque  regionem  decursus  sub  dura  meninge  recon- 
diti  R.  petrosi  superficialis  majoris  irritavi.  Quam  vis  quinquies 
hoc  experimentum  in  equo,  cane,  feie  et  cuniculo  instituissem, 
tarnen  semel  tantummodo  in  cane  palatum  moUe  peristaltica 
quadam    ratione  aliquantum   moveri   vidi;    quae  vero  res   eo 


1  Ellenberger  und  Baum,  1.  c. 
'  Krause,  1.  c. 

3  Valentin,  De  functionibus  nervorum  cerebralium  et  nervi  sympathici 
libri  qualuor.  Bern  1839.  S.  33. 


396  u  Rethi, 

cautius  adhibenda  est,   quo  saepius  motus  ejus  movi  sponte 
exoriuntur.« 

Ebenso  sah  auch  Debrou*  auf  galvanische  Reizung  des 
Facialisstammes  in  der  Schädelhöhle  in  fünf  Experimenten  nur 
einmal  deutliche  Contractionen  des  Gaumens. 

Nach  Volkmann*  rühren  die  motorischen  Fasern  des 
Levator  veli  palatini  vom  N.  vagus  her.  Er  sagt:  »Unzweideutige 
Verkürzung  zeigt  —  an  frisch  geschlachteten  Thieren  —  bei . 
Reizung  der  freigelegten  Facialiswurzel  der  M.  frontalis,  buccalis, 
orbicularis  palpebrae,  eine  Muskelpartie,  welche  die  Nase  be- 
wegte, eine  dergleichen,  welche  den  Mundwinkel  verzog,  zahl- 
reiche Ohrmuskeln . .  .  ferner  der  hintere  Bauch  des  Digastricus 
maxillae,  der  Stylohyoideus. . .,  aber  der  Facialis  bewegt  durch- 
aus nicht  die  Zunge. . . .  Auch  der  weiche  Gaumen  wird  vom 
Gesichtsnerven  nicht  bewegt.  Im  Levator  palati  entstanden 
Bewegungen.  .  .  .bei  Reizung  der  Vaguswurzel.« 

In  demselben  Sinne  fielen  die  Versuche  von  Hein'  aus, 
der  sie  an  geköpften  Thieren,  Schafen,  Kälbern,  Ziegen  und 
Hunden  gemacht  hat'  indem  er  die  Wirbelsäule  im  Atlasgelenk 
vom  Schädel  trennte,  den  Oesophagus  von  hinten  her  auf- 
schlitzte, das  Gehirn  entfernte  und  die  durchschnittenen  Ner\'en 
mechanisch  und  galvanisch  reizte.  Auch  er  sah  »auf  Reizung 
des  Facialis  keine  Bewegungen  im  Gaumensegel,  bei  Reizung 
des  Vagus  hingegen  Contractionen  des  Levator. . . .«.  Er  sagt 
weiter:  »Dass  der  vidianische  Nerv  nicht  aHein  Fäden  vom 
fünften  Paar  zum  siebenten  sondern  durch  den  oberflächlichen 
grossen  Felsenbeinnerven  auch  eine  nicht  kleine  Zahl  von  Fäden 
auf  umgekehrtem  Wege  aus  dem  siebenten  Paar  zum  fünften 
führe,  das  ist  längst  ganz  ausgemacht.  Dass  aber  diese  vom 
siebenten  Nerven  herkommenden  Fäden  durch  den  Gaumen- 
keilbeinknoten hiedurch  ohne  Unterbrechung  m  die  Gaumen- 
nerven verfolgt  werden  könnten,  das  ist  wohl  sehr  unwahr- 
scheinlich; mir  ist  es  nicht  geglückt.« 

Diesen,  einer  Innervation  des  Levator  veli  palatini  durch 
den  N.    facialis   ungünstigen  Anschauungen    und  Versuchen 


^   Debrou,  These  inaug.  1831.  Citirt  nach  Long  et,  1.  c. 
2  Volkinann,  1.  c, 
■^  Hein,  1.  c. 


Nervenwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln.  39/ 

gegenüber  machten  sich  jedoch  wichtige  Beobachtungen  und 
Untersuchungen  geltend,  welche  für  eine  direkte  Betheiligung 
des  N.  Facialis  an  der  motorischen  Innervation  des  Gaumen- 
segels sprechen. 

Nuhn'  lässt  motorische  Fasern  vom  N.  facialis  zum 
Gaumensegel  gelangen,  da  er  bei  Thieren,  vier  Hunden  und 
einer  Katze  durch  Reizung  des  Facialisstammes  innerhalb  der 
Schädelhöhle  Contractionen  des  Gaumensegels  erzielte.  Was 
den  vielfach  citirten  Fall  von  Nuhn  betrifft*,  so  konnte  er  an 
einem  Enthaupteten  bei  Reizung  des  Facialisstammes  deutliche 
Bewegungen  am  weichen  Gaumen  bemerken:  »obwohl  ein 
eigentliches  Heben  desselben,  wie  ich  dies  bei  Experimenten 
an  Thieren  sah,  nicht  wahrgenommen  werden  konnte,  was 
übrigens  bei  der  im  Allgemeinen  schon  ziemlich  gesunkenen 
Reizbarkeit  der  Muskeln  auch  kaum  zu  erwarten  war.«  Doch 
fügt  er  weiter  hinzu:  » hierauf  brachte  ich  die  Leitungs- 
drähte an  den  N.  glossopharyngeus,  vagus  und  accessorius 
Willisii,  wodurch  jedesmal  Contractionen  im  Schlundkopfe  und 
auch  im  Gaumensegel  entstanden.«  Er  durchschnitt  hier  auch 
den  N.  petrosus  superficialis  major  und  reizte  dann  den  Facialis- 
stamm,  doch  war  die  Reizbarkeit  so  gesunken,  dass  er  die 
schwacKen  Vibrationen,  die  er  wahrnahm,  nicht  zu  verwerthen 
wagte. 

Longet^sagt:  »Les  resultats  negatifsobtenusparDebrou 
se  sont  aussi  ofiFerts  parfois  ä  mon  Observation.«  Trotzdem  hält 
er  aber  den  Facialis  für  den  motorischen  Nerven  des  Levator 
palati.  »Quant  aux  filets  nerveux  qui  venus  du  facial,  se  ren- 
dent  aux  muscles  elevateurs  du  voile  du  palais. . .  .j'ai  demon- 
tre  des  1838*  qu*  ils  partent  du  premier  coude  de  ce  nerf  et  que 
formant  une  notable  partie  du  grand  nerf  petreux,  ils  abou- 
tissent  au  ganglion  sphenopalatin,  duquel  ils  emergent  bientot 


1  Nuhn,  Versuche  über  den  Einfluss  des  N.  facialis  auf  die  Bewegungen 
des  Gaumensegels.  Heidelberg  1 849. 

2  Nuhn,  Versuche  an  einem  Enthaupteten  nebst  erläuternden  Versuchen 
an  Thieren.  Zeitschr.  f.  rat.  med.  N.  F.  III.  Bd.  S.  129. 

s  Longet,  1.  c. 

*  Longet,  Journ.  des  connaissances  mcdico-chir.  von  Trousseau  und 
Libaudv. 


398  L.  Rethi, 

pour  se  rendre  ä  leur  destination II  en  resulte  qua  mes 

yeux  le  nerf  facial  preside  ä  la  contraction  de  tous  ies  muscles 
du  voile  palatin,  excepte  le  peristaphylin  externe  (Tensor  palati).- 

Nach  Hyrtl*  besteht  der  N.  petrosus  superficialis  major 
»theils  aus  Fasern,  welche  vom  Ganglion  sphenopalatinum  zum 
Communicans  ziehen,  um  diesem  senorische  Fasern  zuzuführen, 
theils  aus  solchen,  welche  umgekehrt  vom  Communicans  zum 
Ganglion  sphenopalatinum  herüberkommen  und  es  ermöglichen, 
dass  die.  . .  .Nervi  palatini  descendentes  auch  gewisse  Gaumen- 
muskeln (Levator  palati  mollis  und  Azygos  uvulae)  versorgen 
können . .  . .,  wodurch  bei  einseitiger  Lähmung  des  facialis,  das 
Zäpfchen  eine  Abweichung  nach  der  gesunden  Kopfseite  zeigt ; 
—  nicht  constant  — «. 

In  ähnlicher  Weise  beschreibt  ihn  Langer*:  »Der  Zweig 
isolirt  sich  bereits  im  Knie  und  geht  durch  den  Sulcus  petrosus 
auf  der  oberen  Pyramidenfläche  zum  N.  vidianus,  dessen  weisse 
Portion  er  bildet  und  gelangt  endlich  zum  Ganglion  spheno- 
palatinum des  zweiten  Trigeminusastes ....  er  beherrscht  den 
Levator  palati.« 

S.  Meyer  sagt^:  »Da  die  Gaumenfasem  des  Facialis  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  ihren  Verlauf  durch  den  N.  petrosus 
superficialis  major  nehmen,  so  gibt  das  Auftreten  der  (Läh- 
mungs-)  Erscheinungen  am  Gaumen  einen  Fingerzeig  dafür, 
den  Sitz  der  Nervenläsion  im  Niveau  des  Ganglion  geniculi 
oder  centralwärts  zu  vermuthen«  und  schliesslich  erwähnen 
wir  Merkel*:  »Schon  sein  (des  N.  facialis)  im  Schläfenbein 
gelegenes  Ganglion  geniculatum  sendet  durch  den  N.  petrosus 
superficialis  major  Fasern  nach  dem  Ganglion  nasale,  welche 
endlich  in  den  Gaumenmuskeln  anlangen ;  woher  es  sich  erklärt, 
dass  bei  centraler  Lähmung  des  N.  facialis  auch  Lähmung  der 
entsprechenden  Gaumenseite  mit  Schiefstand  des  Zäpfchens 
nach  der  gesunden  Seite  hin  beobachtet  wird.« 

Nach  anderen  Forschern  hingegen  ist  der  N.  facialis  nicht 
der  alleinige  Nerv,  von  dem  der  Levator  veli  palatini  seine 


1  Hyrtl,  1.  c. 

2  Langer,  1.  c. 

3  In  L.  H  e  r  m  a  n  n  's  Handbuch  der  Physiologie  1 879.  III.  Bd.  I.  Th.  S.  255. 
**  Merkel,  Handbuch  der  topographischen  Anatomie.  1890. 


Nervenwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln.  399 

motorischen  Fasern  erhält.  Henle^  sagt:  »Die  schräge  Stellung 
der  Uvula  bei  einseitiger  Lähmung  des  Facialis,  sofern  die 
Ursache  der  Lähmung  im  Centralorgan  oder  im  Schläfenbein 
liegt,  spricht  dafür,  dass  die  Gaumenmuskeln  ihre  Nerven  zum 
Theil  vom  Facialis  empfangen  und  weiter,  da  dies  nur  auf  dem 
Wege  vom  Knie  des  letztgenannten  Nerven  durch  den  N.  petrosus 
superficialis  major,  das  Ganglion  nasale  und  die  Nn.  palatini 
möglich  ist,  dass  der  N.  petrosus  superficialis  major  motorische 
Fasern  führt,  die  vom  Ganglion  geniculatum  zum  Ganglion 
sphenopalatinum  ziehen«;  doch  fügt  er  hinzu:  »der  directe 
experimentelle  Beweis  für  diese  Ansicht  ist  aber  noch  nicht  mit 
der  wünschenswerthen  Sicherheit  geführt«.  An  anderer  Stelle 
sagt  er  dann:  »Mit  dem  R.  pharyngeus  des  Glossopharyngeus 
und  mit  sympathischen  Zweigen  bilden  sie  (die  vom  Plexus 
ganglioformis  abgehenden  Vagusfasern)  den  Plexus  pharyn- 
geus, der seine  Aste  strahlenförmig  gegen  Schlund  und 

Gaumen    entsendet die    terminalen  Zweige   des  Plexus 

pharyngeus  sind  wahrscheinlich  gemischter  Natur jeden- 
falls fiele  den  motorischen  Fasern  der  Vagusvvurzel  des  Plexus 

pharyngeus  die  Innervation  des  M petro-staphylinus  und 

palato-staphylinus  zu.« 

Schwalbe*  äussert  sich  hierüber  folgendermassen : 
»Physiologische  und  klinische  Beobachtungen,  sowie  sorg- 
fältige Zerfaserungen  ergaben,  dass  er  (der  N.  petrosus  super- 
ficialis major)  jedenfalls  motorische  Fasern  enthält,  welche  aus 
der  Bahn  des  Facialis  stammen  und  vom  centralen  Theil  des 
Facialis  am  Ganglion  geniculatum  in  den  N.  petrosus  super- 
ficialis major  übertreten.  Diese  Fasern  gehen  vom  Ganglion 
sphenopalatinum  aus  mit  den  Nn.  palatini  zum  Gaumensegel 
undinnerviren  denLevator  veli  palatini...  Bei Facialislähmungen, 
deren  Ursache  centralwärts  vom  Hiatus  Fallopiae  sich  befindet, 
wird  deshalb  Schiefstellung  des  Gaumensegels  mit  Abweichung 
nach  der  gesunden  Seite  beobachtet ....  überdies  steht  es  fest, 
dass  ein  Zweig  des  N.  pharyngeus  superior  zum  Levator  veli 


1  Henle,  1.  c. 

2  Schwalbe,  1.  c. 


400  L.  Kethi, 

palatini  und  Azygos  uvulae  geht,  so  dass  diese  beiden  Muskeln 
von  zwei  Seiten  vom  Facialis  und  Vagus  innervirt  werden.« 

Auch  nach  Luschka*  stammen  die  motorischen  Nerven 
des  Levator  palati  moUis  »aus  dem  Vagus,  welcher  durch  Ver- 
mittelung  der  Rami  pharyngei  Fasern  an  den  M.  azygos  uvulae, 
Levator  veli  und  an  den  M.  pharyngo-palatinus  abgibt .  .  .  und 
.  .  .  aus  dem  N.  facialis«  und  Brücke  *  sagt:  »Jetzt  muss  man 
zugeben,  dass  die  Ansicht  die  richtige  ist  »  .  .  .  <,  indem  ange- 
geben wird,  dass  auf  Reizung  der  Wurzel  (N.  glossopharyngeus) 
Contractionen  im  M.  stylopharyngeus,  im  Constrictor  pharyngis 
medius,  im  Levator  palati  mollis  und  im  Azygos  uvulae  erzielt 
worden  seien.  Wir  sehen  also  eine  zweite  Quelle  für  die  mo- 
torische Innervation  des  weichen  Gaumens;  die  erste  haben 
wir  im  N.  facialis  kennen  gelernt.«  ...  »In  neuerer  Zeit ...  hat 
man  durch  Reizung  des  Vagus  an  der  Wurzel  desselben  Muskel- 
zusammenziehungen erhalten  ...  im  Levator  palati  mollis.« 

Was  die  klinischen  Beobachtungen  betrifft,  so  hat  schon 
im  Jahre  1831  Montault'^  bei  halbseitiger  Facialislähmung 
Paralyse  des  Zäpfchens  und  einer  Hälfte  des  weichen  Gaumens 
beschrieben,  gleich  darauf  folgten  Mittheilungen  hierüber  von 
Cruveilhier,  Diday,  Seguin  etc.,  und  jetzt  werden  von  den 
klinisch  beobachteten  Erscheinungen  der  Gaumenlähmung 
wichtige  Rückschlüsse  auf  vorhandene  Veränderungen  im  Ver- 
laufe des  N.  facialis  gemacht.  Ueber  die  Lähmungserscheinungen 
im  Gaumensegel  sagt  Erb:*  »Trotz  aller  Untersuchungen  und 
Debatten  über  diese  Erscheinungen  sind  dieselben  noch  nicht 
bis  in  alle  Details  geklärt.  Bekanntlich  gehen  vom  Knie  des 
Facialis  motorische  Fasern  durch  den  N.  petrosus  superficialis 
major  zum  Ganglion  spheno-palatinum  und  von  diesem  zum 
Gaumensegel.  Hier  dienen  sie  der  Innervation  einzelner 
Gaumensegelmuskeln  (vorwiegend  des  Levator  veli  palatini). 
Liegt  nun  die  Lähmungsursache  oberhalb  des  Ganglion  geniculi, 


1  Luschka,  1.  c. 

2  Brücke,  Vorlesungen  über  Physiologie.  1875. 

3  .VIontault,  These  inaug.   1831. 

^  Erb,    Im    Handbuch    der    spccielien    Pathologie   und    Therapie  von 
Zi  ernste  n. 


Xervenwurzcin  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln.  401 

SO  werden  die  Gaumensegelfasern  von  derselben  mitbetroffen 
und  gelähmt  .  .  . 

»Wir  sind  jetzt  durch  unsere  bisherigen  Erfahrungen  in 
den  Stand  gesetzt,  sowohl  in  der  peripheren  Bahn  des  Facialis, 
wie  in  seiner  centralen  mehrere  Unterabtheilungen  zu  unter- 
scheiden, die  wir  aus  den  vorhandenen  Symptomen  mit  einiger 
Sicherheit  von  einander  trennen  können.  Die  dazu  dienlichen 
Anhaltspunkte  geben  die  von  dem  peripheren  Facialis  abgehen- 
den Äste,  der  N.  auricularis  post.,  die  Chorda  tympani,  der 
N.  stapedius,  der  Petrosus  superficialis  major  .  .  Lähmung  aller 
äusseren  Zweige.  Störung  des  Geschmackes  und  Gaumen- 
segelparese  bedeutet  Läsion  in  der  Gegend  des  Ganglion 
geniculatum,  weil  in  diesem  die  Geschmacksfasern  ein-  und 
die  Gaumensegelfasern  austreten.« 

In  ähnlicher  Weise  äussern  sich  die  meisten  Kliniker. 
Eichhorst'  fügt  jedoch  noch  hiezu:  »Wir  müssen  uns  hier 
mit  den  gegebenen  klinischen  Erscheinungen  begnügen;  zu 
ihrer  genaueren  anatomischen  Begründung  reichen  unsere 
Kenntnisse  noch  nicht  hin,  sowohl  inBezugauf  die  anatomische 
Zergliederung  dieser  verwickelten  Nervenbahnen,  als  auch  auf 
experimentelle  und  pathologische  Erscheinungen«,  und  Valen- 
tin* sagt:  »Soviel  ist  gewiss,  dass  wahrscheinlich  der  Antlitz- 
nerv längs  des  ganzen  Felsenbeinnerven  und  bis  zum  Gehirn 
angegriffen  sein  kann,  ohne  dass  sich  eine  Schiefstellung  des 
weichen  Gaumens  nothwendig  verräth.« 

Erwähnt  soll  hier  noch  werden,  dass  Sanders,^  der  an- 
gibt, dass  der  grösste  Theil  der  für  den  M.  Levator  veli  palatini 
bestimmten  Nervenfasern  aus  dem  N.  facialis  stammt  und  der 
weiter  betont,  dass  das  wesentliche  Merkmal  der  Gaumen- 
lähmung in  einer  vertikalen  Erschlaffung,  einem  Tieferhängen 
des  Velum  und  einer  geringeren  Wölbung  des  betreffenden 
Gaumenbogens  bestehe,  in  einem  Falle  bei  Facialislähmung  den 
Levator  palati  moUis  nur  unvollkommen  gelähmt  fand,  obgleich 
auf  der  kranken  Seite  Taubheit  eingetreten  war,  so  dass  man 


^         ^  Eichhorst,  Handbuch  der  speciellen  Pathologie  und  Therapie,  1885. 

-  Valentin,  Lehrbuch  der  Physiologie  des  Menschen.  1848.  II.  S.  38Ö. 

3  Sanders,  Paralysis  of  the  palate  in  fac.   paral.   Edinb  med.  Journ. 
1865.  August.  S.  141.  —  Citirt  nach  L.  Hermann,  1.  c. 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  CI. ;  CI.  Bd..  Ahth.  III.  'i8 


402  L.  Rethi, 

auf  eine  hoch  oben  liegende  Ursache  schliessen  musste,  und 
schliesslich  sei  hier  noch  ein  Fall  von  Eisenlohr'  angeführt, 
in  welchem  es  sich  um  eine  Hemibulbärparalyse  handelte:  un- 
vollständige Anaesthesie  des  linken  Trigeminus  mit  Ausnahme 
der  Mund-  und  Wangenschleimhaut,  Anaesthesie  der  tiefer 
stehenden,  gelähmten  linken  Hälfte  des  Velum,  erschwertes 
Schlucken,  Lähmung  und  Unempfindlichkeit  der  linken  Kehl- 
kopfhälfte. Die  Section  ergab:  auf  der  linken  Seite  der  MeduUa 
oblongata  einen  alten  myelitischen  Herd,  der  vom  unteren 
Ende  des  Abducenskerns  bis  zur  ersten  Cervicalwurzel  herab- 
reichte; Erkrankung  des  Tuberculum  Rolandi,  der  gelatinösen 
Substanz  des  Hinterhorns,  der  Wurzeln  des  Accessorius  und 
Vagus,  des  ganzen  Vaguskerns,  zum  Theil  auch  der  aufstei- 
genden Trigeminuswurzel,  der  innersten  Abschnitte  des  Seiten- 
strangkerns  und  des  corpus  restiforme  und  theilweise  des 
inneren  Accessoriuskerns.  Der  bulbäre  Theil  des  Accessorius- 
kerns,  der  Hypoglossus  und  Facialis  waren  jedoch  intact. 

Zur  Eruirung  der  motorischen  Wurzelfasern  des  M.Levator 
veli  palatini  habe  ich  ebenfalls  Kaninchen,  Hunde  und  Katzen 
verwendet.  Die  Versuchsanordnung  war  beim  Kaninchen 
folgende:  Das  narkotisirte  Thier  wurde  auf  den  Operationstisch 
in  der  Rückenlage  festgebunden,  tracheotomirt,  die  Membrana 
thyreo-hyoidea  der  ganzen  Länge  nach  gespalten,  ebenso  auch 
der  Schildknorpel  und  die  Epiglottis  abgetragen,  so  dass  der 
freie  Rand  des  weichen  Gaumens  und  dieser  selbst  in  einer 
Höhe  von  etwa  15  cm  beobachtet  werden  konnte.  Dann  wurde 
das  Thier  in  die  Bauchlage  gebracht  und  die  Vaguswurzeln 
nach  Spaltung  der  Membrana  obturatoria  und  Entfernung 
schmaler  Knochenleisten  des  Os  occipitis  blossgelegt 

Reizung  des  oberen  Bündels  (1  in  Fig.  1,  S.  387)  ergab 
keinerlei  Bewegung  am  Velum;  auch  Reizung  des  Accessorius- 
stammes  und  seiner  Wurzelfasem  (3)  hatte  weder  an  den 
Rachenwänden,  noch  am  Gaumensegel  irgend  eine  Bewegung 
zur  Folge,  und  bei  Reizung  der  unteren  Fasern  des  mittleren 


1  Eisenlohr,  Zur  Pathologie  der  centralen  Kehlkopflähroungen.   Arch. 
f.  Physiologie.  1888. 


Xervenwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln.  403 

Bündels  war  ebenfalls  nichts  zu  sehen;    wurden  jedoch  die 
oberen  Fasern  dieses  Bündels  (z)  gereizt,  so   contrahirte    sich 
der  Levator  veli  ganz  deutlich,  der  weiche  Gaumen  wurde 
asymmetrisch  gehoben,  er  näherte  sich  auf  der  gereizten  Seite 
dem  Kopfende  des  Thieres,  die  Concavität  des  freien  Velum- 
randes  wurde  stärker  und  die  Schleimhaut  an  der  vorderen 
Fläche  des  Gaumensegels  in  der  Ausdehnung  von  etwa  1*5  cm  in 
bogenförmige,  dem  freien  Rande  mehr  oder  weniger  parallelle 
Falten  gelegt;    überdies  war  ein  Vorspringen    der    hinteren 
Gaumenbögen   und,  soweit  das    intacte  Gaumensegel     einen 
Einblick  gestattete,  Contraction  der  Schlundschnürer  zu  sehen. 
Dann  wurden  vom    Os  occipitis   grössere  Stücke   abge- 
tragen, so  dass  ein  Theil   des  Kleinhirns  zur  Seite  geschoben 
und    der  Facialis-   und  Trigeminusstamm  blossgelegt  werden 
konnten.   In  den  meisten  Fällen  athmete  das  Thier  noch  von 
selbst  und  nun  wurden  nach  Durchschneidung  der  genannten 
Nerven  die  peripheren  Enden  derselben  unipolar  gereizt.  Bei 
Reizung  des  N.  facialis  sah  man  Contraction  der  Gesichts-  und 
Ohrmuskeln,  am  Gaumensegel  war  jedoch  gar  keine  Bewegung 
zu  sehen;  Reizung  des  N.  trigeminus  ergab   Contraction   der 
Kaumuskeln  und  des  M.  mylo-hyoideus,  aber  auch  da  war  am 
Velum  von  der  künstlichen  Öffnung  aus  keine  Veränderung 
und  jedenfalls  keine  Hebung  desselben  zu  bemerken. 

Sehr  lehrreich  waren  einige  Versuche,  bei  denen  Folgendes 
zu  beobachten  war:  die  Versuchsanordnung  war  im  Wesen 
dieselbe  geblieben,  nämlich  Eröffnung  des  Rachens  von  der 
Vorderseite  des  Halses,  Blosslegung  der  Vaguswurzeln,  Ent- 
fernung von  Theilen  des  Hinterhauptbeines  und  Freilegung 
der  Facialis-  und  Trigeminuswurzel.  Bei  schwachen  Strömen 
war  das  zu  sehen,  was  soeben  beschrieben  wurde:  Hebung 
des  Gaumensegels  bei  Reizung  der  oberen  Fasern  des  mittleren 
Bündels  und  vollständige  Ruhe  desselben  bei  Reizung  der 
unteren  Fasern  dieses  Bündels,  sowie  des  ganzen  oberen 
Bündels,  des  N.  trigeminus  und  Facialis, 

Da  nun  einige  dieser  Versuchsthiere  verhältnissmässig 
rasch  zugrunde  gingen,  so  dass  auch  von  der  inzwischen  ein- 
geleiteten künstlichen  Athmung  wegen  Herzstillstandes  Abstand 
genommen   wurde,  so  mussten  die  Ströme  aUmälig  verstärkt 

28- 


404  L.  Rethi, 

werden,  um  noch  den  Trigeminus-  und  Facialisstamm  zu  er- 
regen und  die  Kaumuskeln  und  die  Muskeln  des  Gesichtes 
und  der  Ohrmuschel  zur  Contraction  zu  bringen,  während  zur 
Erregung  des  mittleren  Bündels  sowie  der  Vagusvvurzeln  über- 
haupt, die  sich  stets  viel  erregbarer  erwiesen,  noch  bedeutend 
schwächere  Ströme  ausreichten.  Bei  stärkeren  Strömen,  die 
eine  deutliche  Contraction  der  Gesichts-  und  Ohrmuskeln  zur 

Folge  hatten,  sah  man  nun  auch  bei  Berührung  der  N.  facialis 

• 

Hebung  des  weichen  Gaumens,  wurden  sie  jedoch  etwas  abge- 
schwächt, so  dass  man  keine  Contraction  der  Gesichtsmuskeln 
erzielen  konnte,  so  verblieb  auch  das  Velum  in  der  Ruhelage. 
Doch  gelang  es  noch  durch  Berührung  des  zwischen  Facialis- 
und  Vagusursprung  befindlichen  Theiles  der  Felsenbeinpyra- 
mide, je  näher  zum  Vagus,  desto  sicherer,  Contraction  des 
Levator  veli  palatini  zu  erzielen  und  am  ausgiebigsten  war  die 
Contraction  bei  Berührung  der  Vaguswurzeln  selbst.  In  dem 
Masse,  als  die  Erregbarkeit  der  Nerven  sank,  wurde  auch  die 
Entfernung,  in  der  man  noch  Contraction  des  Levator  veli 
palatini  bekommen  konnte,  geringer  und  desto  mehr  concen- 
trirte  sich  diese  Stelle  auf  die  Vaguswurzeln,  bis  schliesslich 
die  Contraction  des  Gaumenhebers  wieder  nur  vom  mittleren 
Bündel  erzielt  werden  konnte.  Wurden  nun  wieder  stärkere 
Ströme  angewendet,  so  wuchs  auch  der  Radius  um  die  Vagus- 
wurzel herum,  innerhalb  dessen  man  eine  Hebung  des  Gaumen- 
segels auslösen  konnte  und  bei  noch  stärkeren  Strömen  konnte 
der  Levator  palati  wieder  durch  Berührung  des  N.  facialis  oft 
noch  ganz  gut  erregt  werden,  wobei  Stromschleifen  auch  auf 
den  N.  trigeminus  übersprangen. 

Jedenfalls  wäre  es  möglich,  manche  Angaben  früherer 
Autoren  über  die  Abhängigkeit  des  M.  levator  veli  palatini  vom 
N.  facialis  auch  hierauf  zurückzuführen,  umsomehr,  als  sie  ihre 
Versuche  nicht  an  lebenden,  sondern  an  frisch  getödteten  und 
enthaupteten  Thieren  machten,  bei  denen  immerhin  so  starke 
Ströme  angewendet  werden  mochten,  dass  Stromschleifen  auf 
die  leicht  erregbaren  Vagusvvurzeln  übersprangen. 

Es  wäre  aber  auch  möglich,  dass,  wie  dies  Volk  mann' 
einmal  gesehen,  bei  Reizung  des  N.  facialis  der  weiche  Gaumen 

^  V  olkmann,  1.  c. 


Nervenwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln.  405 

indirect  durch  die  Zunge  gehoben  wird,  so  dass  der  Verdacht 
entstehen  könnte,  die  Hebung  des  Gaumensegels  sei  direct 
vom  N-  facialis  abhängig;  doch  könnte  man  sich  in  einem 
solchen  Falle  Klarheit  verschaffen,  indem  man  die  Muskeln, 
welche  hiebei  thätig  sind,  den  M.  styloglossus  und  digastricus 
maxillae,  die  vom  N.  facialis  versorgt  werden,  durchschneidet 
und  ihre  Wirkung  ausschaltet. 

Der  weiche  Gaumen  des  Kaninchens  zeichnet  sich  durch 
eine  ausserordentliche  Länge  aus  und  man  kann  von  der 
künstlichen  Öffnung  aus  nur  Vg  bis  7«  desselben  direct 
beobachten;  ich  habe  daher  in  den  folgenden  Versuchen,  in 
denen  ich  zum  Theil  auch  bei  der  Blosslegung  der  Wurzeln 
anders  vorgegangen  bin,  den  Gaumen  von  vorne  durch  den 
Mund  beobachtet  Es  wurde  blos  der  Oberkiefer  des  Thieres 
in  der  Weise  wie  bereits  beschrieben  fixirt,  so  dass  der  Unter- 
kiefer abducirt  werden  konnte,  die  Wange  von  den  Mund- 
winkeln aus  nach  hinten  durchtrennt,  die  Schädelhöhle  durch 
Trepanation  und  mehr  oder  weniger  vollständige  Entfernung 
des  Schädeldaches  eröffnet,  die  Grosshirnhemisphären  von  der 
Schädelbasis  abgehoben,  Theile  derselben  auch  stumpf  ent- 
fernt und  der  Ursprung  des  N.  facialis  und  trigeminus  bloss- 
gelegt.  Die  Blutung  stand  oft  schon  nach  kurzer  Zeit;  dann 
wurden  —  indem  die  Zunge  des  Thieres  behufs  besserer  Be- 
sichtigung des  weichen  Gaumens  herausgezogen  und  an  der 
Wurzel  stark  niedergedrückt  wurde  —  die  Wurzeln  der  ge- 
nannten zwei  Nerven  durchschnitten,  wobei  es  zu  Contraction 
der  Kau-  und  Gesichtsmuskeln,  aber  zu  keinerlei  Bewegung 
am  Gaumen  kam  und  das  periphere  Ende  der  durchschnittenen 
Nerven  mit  der  Platinelektrode  gereizt:  diese  wurde  auch  in 
den  Nerven  eingestochen  und  eine  Strecke  weit  in  den  Knochen- 
kanal eingeführt;  die  Gesichtsmuskeln  wurden  wol  erregt,  aber 
am  Levator  veli  palatini  war  keinerlei  Contraction  zu  sehen 
und  ebensowenig  konnte  durch  Reizung  der  Trigeminuswurzel 
eine  Hebung  des  weichen  Gaumens  erzielt  werden. 

Lebte  das  Thier  noch  und  war  auch  Herzschlag  vorhanden, 
so  wurden  die  Vaguswurzeln  rasch  blossgelegt  und  mit  sehr 
schwachen  Strömen,  schwächeren,  als  bei  Reizung  des  N.  faci- 
alis  und    trigeminus,    gereizt.    Bei    Berührung   des    mittleren 


406  L.  Rethi, 

Bündels  —  eine  genaue  Differenzirung  der  einzelnen  Fasern 
dieses  Bündels  war  jetzt  nicht  möglich,  weil  die  Spannung 
fehlte  —  entstand  ausgiebige  Hebung  des  weichen  Gaumens. 
Während  des  Versuches  mussten  in  dem  Masse,  als  die  Erreg- 
barkeit der  Nerven  sank,  stärkere  Ströme  angewendet  werden, 
um  noch  in  den  vom  N.  trigeminus  und  facialis  abhängigen 
Muskeln  Contractionen  zu  erzielen  und  stets  konnte  man  auch 
hier  mit  diesen  starken  Strömen  den  Levator  veli  palatini  von 
dem  zwischen  Facialis-  und  Vagusaustritt  liegenden  Knochen 
erregen,  am  ausgiebigsten  allerdings  von  den  Vaguswurzeln 
selbst. 

Noch  besser  konnte  die  Hebung  des  weichen  Gaumens 
an  Katzen  gesehen  werden,  bei  denen  die  Beobachtung  vom 
Munde  aus  leichter,  dagegen  dieBlosslegung  der  Vaguswurzeln 
—  nach  Spaltung  der  Membrana  obturatoria  —  und  die 
Differenzirung  der  einzelnen  Fasern  des  mittleren  Bündels 
schwieriger  war.  Es  wurde  daher  vorgezogen,  das  Schädeldach 
ebenso  zu  entfernen,  wie  in  einigen  Versuchen  beim  Kaninchen 
und  die  Vaguswurzeln  und  zugleich  auch  den  Facialis-  und 
Trigeminusstamm  nach  Entfernung  des  Gehirns  blosszulegen. 

Bei  Durchschneidung  des  oberen  Bündels  war  Contraction 
des  M.  stylopharyngeus  und  bei  Durchschneidung  des  mittleren 
Bündels  unter  anderem  auch  Hebung  des  weichen  Gaumens 
zu  sehen.  Die  Erregbarkeit  ist  bei  der  Katze  ausserordentlich 
anhaltend,  so  dass  man  mit  den  ursprünglichen  Strömen  fast 
noch  eine  halbe  Stunde  nach  eingetretenem  Tode  experimen- 
tiren  kann,  ohne  sie  verstärken  zu  müssen.  Bei  Reizung  des 
oberen  Bündels  konnte  die  Contraction  des  M.  stylopharyngeus 
auf  der  gereizten  Seite  und  bei  Reizung  des  mittleren  Bündels 
Verengerung  des  unteren  Rachenabschnittes  (M.  constrictor 
pharyngis  inferior  und  medius)  und  nebst  Vorspringen  der 
Gaumenbögen,  wovon  weiter  unten  ausführlich  gesprochen 
werden  soll,  Hebung  des  weichen  Gaumens  auf  der  betreffenden 
Seite  constatirt  werden. 

Zur  Erregung  des  Facialis-  und  Trigeminusstammes  waren 
auch  hier  stets  etwas  stärkere  Ströme  nothwendig  und  bei 
Reizung  dieser  Nerven  war  von  einer  Hebung  des  Gaumen- 
segels nichts  zu  sehen.  Wurde  bei  derselben  Stromstärke  der 


Nervenwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln.  407 

Knochen  zwischen  den  Austrittsöfifnungen  dieser  beiden  Nerven, 
vom  N.  facialis  beginnend  abgetastet,  so  kamen  allmälig  immer 
deutlichere  Contractionen  des  Levator  veli  palatini  zum  Vor- 
schein, bis  sie  in  der  Nähe  der  Glossopharyngeo-vagus-Wurzel 
und  bei  Reizung  dieser  selbst  am  ausgiebigsten  wurden.  Eine 
Differenzirung  der  einzelnen  Bündel,  der  oberen  und  mittleren 
Fasern  nach  ihren  Functionen  wurde  erst  nach  Abschwächung 
des  Stromes  möglich. 

Wir  müssen  demnach  die  motorische  Wurzel  des 
Levator  veli  palatini  in  die  oberen  Fasern  des  mitt- 
leren Bündels  verlegen,  und  wenn  es  auch  zuweilen  vor- 
kam, dass  sich  diese  Wirkung  auch  bei  möglichst  schwachen 
Strömen,  für  die  es  ja  in  dieser  Richtung  kein  absolutes  Mass 
gibt,  bei  Berührung  des  oberen  Bündels  einstellte,  so  glaube  ich 
diese  Wirkung  nicht  einmal  auf  individuelle  Verschiedenheiten, 
sondern  auf  Stromschleifen  zurückführen  zu  müssen,  denn 
erstens  war  die  Levatorwirkung  bei  Reizung  der  oberen  Fasern 
des  mittleren  Bündels  bei  genügender  Stromstärke  eine  con- 
stante,  während  sie  bei  Reizung  des  oberen  Bündels  mit  den- 
selben Strömen  in  der  Regel  ausblieb,  und  zweitens  war  in  jenen 
Fällen,  in  denen  auch  Reizung  des  oberen  Bündels  Contraction 
des  Gauntenhebers  ergab,  die  Hebung  des  Gaumensegels  immer 
ausgiebiger,  wenn  sie  durch  Berührung  der  oberen  Fasern  des 
mittleren  Bündels  ausgelöst  wurde. 

4.  Nervenwurzeln  des  M.  tensor  palati  mollis. 

Mit  grösseren  Schwierigkeiten  war  wegen  seiner  tiefen  und 
versteckten  Lage  die  Beobachtung  des  Tensor  palati  mollis  ver- 
bunden; es  soll  daher  auch  hier  einer  Beschreibung  desselben, 
insbesondere  seiner  Insertion  und  Ausbreitung  beim  Kaninchen 
und  Hunde  und  vergleichsweise  auch  beim  Menschen  voraus- 
geschickt werden. 

Nach  Hyrtl*  »liegt  der  Tensor  palati  s.  circumflexus 
s.  spheno-salpingo-staphylinus  als  ein  glatter  und  dünner 
Muskel  an  der  äusseren  Seite  des  Levator  zwischen  ihm 
und  dem  Ursprung  des   Pterygoideus  internus.   Er   entspringt 

1  Hyrtl,  1.  c. 


408  L.  Reihi 

an  der  Spina  angularis  des  Keilbeins  und  an  der  knorpeligen 
Ohrtrompete,  umschlingt  mit  seinen  beiden  Endsehnen  den 
Haken  der  inneren  Lamelle  des  Flügelfortsatzes  und  lässt 
die  Fasern  dieser  Sehne  im  weichen  Gaumen  ausstrahlen,  wo 
sie  theils  an  den  hinteren  Rand  des  harten  Gaumens  sich 
inseriren,  theils  mit  jenen  des  gegenständigen  Tensor  ver- 
schmelzend eine  Aponeurose  erzeugen,  welche  als  die  feste 
Grundlage  des  weichen  Gaumens  angesehen  werden  mag.« 

Beim  Hunde  beginnt  er  nach  Ellenberger  und  Baum' 
mit  dem  M.  levator  palati  »gemeinsam  am  Processus  styliformis 
des  Tympanicum  und  liegt  anfangs  lateral  an  demselben;  dann 
trennen  sich  beide  Muskeln.  Der  Tensor  geht  an  der  Tuba, 
respective  seitlich  an  der  Schädelbasis  herab  und  gelangt,  sich 
verbreiternd,  an  die  laterale  Fläche  des  Pterygoideum,  schlägt 
sich,  sehnig  werdend,  um  den  freien  Rand  desselben  herum  und 
endet  in  der  Fascie  des  Gaumensegels.  Dabei  bildet  er  noch 
ein  Fascienblatt,  welches  den  Levator  veli  überzieht  und  bis 
zum  freien  Rand  des  Segels  herabreicht.  Der  Muskel  liegt  dem 
M.  pterygoideus  dicht  an.« 

Krause*  beschreibt  diesen  Muskel  beim  Kaninchen  folgen- 
dermassen:  »Ursprung:  laterale  Fläche  der  Lamina  medialis 
des  Processus  pterygoideus  ossis  sphenoidalis.  Insertion:  Der 
Muskel  geht  in  eine  glänzende  platte  Sehne  über,  welche 
sich  um  den  Hamulus  pterygoideus  herumschlägt  und  in  trans- 
versaler Richtung  in  das  Velum  palatinum  ausstrahlt.« 

Was  die  Innervation  des  M.  tensor  palati  moUis  betrifft, 
so  konnte  Volkmann^  entgegen  den  Angaben  früherer  For- 
scher über  die  Abhängigkeit  desselben  vom  N.  trigeminus,  bei 
seinen  Versuchen  an  geköpften  Thieren  durch  Reizung  der 
Trigeminuswurzel  keinerlei  Bewegung  am  weichen  Gaumen 
erzielen.  »Bei  einem  frisch  getödteten  Kalbe  wurde  die  kleine 
Wurzel  des  Nerven  (des  N.  trigeminus)  galvanisch  gereizt, 
worauf  so  heftige  Kaubewegungen  entstanden,  dass  die  Zähne 
klappernd   aneinanderschlugen;    dasselbe  Experiment   gelang 


^   F2l  len  berger  und  Haum  ,  1,  c. 
2  Krause,  1.  c. 
•*   ^  olkmann,   1.  c. 


Nervenwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln.  409 

auch  bei  anderen  Thieren . . .  Reizung  der  kleinen  Wurzel 
erregt  in  folgenden  Muskeln  deutliche  Zusammenziehungen: 
Mylohyoideus,  vorderer  Bauch  desDigastricus  maxillae,  Tempo- 
ralis,  Massetericus  und  Pterygoideus  internus. . .  nie  bewegte 
sich  bei  Reizung  des  fünften  Paares  der  Buccinator  oder  Mund- 
winkel .  .  .  ebensowenig  der  weiche  Gaumen. . . .  Ich  glaube 
behaupten  zu  dürfen,  dass  sich  der  motorische  Einfluss  des 
Quintus  auf  die  oben  genannten  Muskeln  beschränkt,  indem 
die  abweichenden  Angaben  meiner  Vorgänger  auf  anatomischen 
und  pathologischen  Beobachtungen  zu  beruhen  scheinen,  die 
weniger  Sicherheit  bieten,  als  meine  zahlreichen,  immer  mit 
gleichem  Erfolge  angestellten  Versuche.* 

Hingegen  hat  Hein^  die  Abhängigkeit  des  Tensor  palati 
moUis  vom  N.  trigeminus  nachweisen  können;  um  den  Muskel 
zur  Ansicht  zu  bringen,  sägte  er  den  Schädel  der  Länge  nach 
auseinander  und  erst  nachdem  der  Bauch  des  hinter  dem  Haken 
des  Flügelfortsatzes  versteckten  Tensor  frei  zu  Tage  lag,  konnte 
er  Contractionen  desselben  bei  Reizung  des  N.  trigeminus 
sehen. 

Die  Ansicht,  dass  der  N.  trigeminus  der  motorische  Nerv 
des  Tensor  palati  mollis  ist,  wird  auch  von  den  neueren  Autoren 
durchwegs  vertreten.  Nach  Luschka*  gibt  der  dritte  Ast  des 
fünften  Nerven  vermittelst  des  N.  pterygoideus  internus  ein 
Fädchen  an  den  M.  tensor  veli  palatini  ab,  und  Longe t'^  sagt: 
». .  .le  nerf  facial  preside  ä  la  contraction  de  tous  les  muscles 
du  voile  palatin,  excepte  le  peristaphylin  externe  (Tensor  veli 
palatini)  qui  est  anime,  comme  on  le  savait,  par  la  racine  motrice 
du  trijumeau«. 

Nach  He  nie*  »entspringt  aus  der  vorderen  Spitze  des 
Ganglion  oticum  der  Nervulus  ad  M.  sphenostaphylinum  und 
geht  schräg  vor-,  lateral-  und  abwärts  zum  hinteren  Rand  des 
genannten  Muskels.  Auch  dieser  Nerv  lässt  sich  zuweilen 
innerhalb  des  Ganglions  zu  dem  N.  pterygoideus  internus  zu- 
rückverfolgen*. 


1  Hein,  1.  c. 

2  Luschka,  1.  c. 

3  Longet,  1.  c. 
*  Henle,  I.  c. 


410  L.  Rethi 

Die  Versuche  habe  ich  in  der  Weise  ausgeführt,  dass  beim 
narkotisirten  Thier  der  Unterkiefer  abducirt,  der  Mund  weit 
geöffnet  und  beim  Kaninchen  überdies  auch  die  Wange  von 
den  Mundwinkeln  aus  gespalten  wurde.  Dann  wurde  nach  vor- 
genommener Trepanation  des  Schädels  so  viel  Raum  geschaffen, 
dass  das  Grosshirn  von  der  Schädelbasis  abgehoben  —  nach 
Entfernung  des  knöchernen  Tentorium  cerebelli  beim  Hunde 
und  bei  der  Katze  -  der  Trigeminusursprung  blossgelegt  und  der 
Stamm  an  seiner  Austrittsstelle  durchschnitten  werden  konnte. 
Bei  Reizung  des  peripheren  Endes  des  durchschnittenen  Nerven 
konnte  man  nebst  Contraction  der  Kaumuskeln  und  einer 
energischen  Adductionsbewegung  des  Unterkiefers  am  weichen 
Gaumen  auf  der  gereizten  Seite  eine  Vorwölbung  constatiren, 
die  in  der  Höhe  des  Hamulus  pterygoideus,  zwischen  diesem 
und  der  Medianlinie  zuweilen  ziemlich  deutlich  ausgesprochen 
war,  zum  Theil  aber,  namentlich  in  markirteren  Fällen  auch 
die  Mittellinie  überschritt,  beim  Kaninchen  etwa  05  cm  bis  zum 
hinteren  Rand  des  harten  Gaumens  heranreichte  und  in  verti- 
caler  Richtung  in  einer  Ausdehnung  von  15  cm  bemerkbar 
war;  die  Wölbung,  welche  der  weiche  Gaumen  in  der  Ruhe- 
lage an  dieser  Stelle  aufweist,  wurde  geringer,  so  dass  er 
eine  plane  Fläche  darstellte  und  in  der  Mitte  sogar  ein  wenig 
convex  in  die  Mundhöhle  vorsprang. 

Man  hätte  vielleicht  auch  vermuthen  können,  dass  es  sich 
nicht  um  eine  Contraction  des  M.  tensor  veli  palatini,  sondern 
anderer  in  der  Nähe  befindlicher  Muskeln,  insbesondere  des 
M.  pterygoideus  internus,  der  sich  bei  Reizung  des  M.  trige- 
minus  ebenfalls  contrahirt  und  somit  um  eine  passive  Bewegung 
des  weichen  Gaumens  handelt.  Ich  habe  daher  beim  Hunde 
und  bei  der  Katze  über  der  sich  vorwölbenden  Stelle  die 
Schleimhaut  abgelöst,  die  senkrecht  verlaufenden  Levatorfasern 
durchgeschnitten  und  die  sehnige  Ausbreitung  des  Tensor 
palati  moUis  blossgelegt.  Wurde  nun  der  Trigeminusstamm 
gereizt  so  zeigte  sich  nach  aussen  von  der  Medianlinie  an 
dieser  Stelle  hinter  dem  M.  levator  veli  palatini  ganz  deutlich 
eine  Retraction  der  sehnigen  Fasern,  eine  Bewegung  derselben 
nach  aussen,  eine  Verziehung  der  Tensorsehne  gegen  den 
Hamulus  pterygoideus  hin. 


Nervenwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln.  411 

Demnach  liegen  die  motorischen  Fasern  des  Ten- 
sor palati  moUis,  wie  von  den  meisten  Autoren  ange- 
geben wurde,  in  der  motorischen,  kleinen  Wurzel  des 
N.  trigeminus. 

5.  Die  Nerven  wurzeln  des  M.  palato-pharyngeus  und  palato- 

glossus. 

Die  Beobachtung  des  M.  palato-pharyngeus  bereitet  zwar 
keine  Schwierigkeiten,  hingegen  ist  gegebenenfalls  die  Ent- 
scheidung ob  sich  der  M.  palato-glossus  contrahirt  umso 
schwieriger;  daher  mögen,  wie  in  den  vorhergehenden  Ab- 
schnitten, auch  hier  diese  Muskeln  beim  Hunde  und  beim  Kanin- 
chen beschrieben  und  vergleichsweise  auch  ihr  Verhalten  beim 
Menschen  erwähnt  werden.  Diese  beiden  Muskeln  liegen  in 
den  gleichnamigen  Schenkeln  des  weichen  Gaumens  einge- 
schlossen; der  M.  palato-pharyngeus  »hängt  mit  der  Aponeurose 
des  Tensor  palatinus  zusammen,  auf  welcher  auch  die  Fasern 
der  beiderseitigen  Palato-pharyngei  bogenförmig  in  einander 
übergreifen ....  er  befestigt  sich  theils  am  hinteren  Rand  des 
Schildknorpels,  theils  verliert  er  sich  in  decr  hinteren  Pharynx- 
wand,  deren  Längsmuskelfasern  er  vorzugsweise  zu  liefern 
scheint.«^  Den  M.  glosso-palatinus  s.  Constrictor  isthmi  pha- 
ryngo-oralis  beschreibt  Luschka*  in  folgender  Weise:  »Auf 
jeder  Seite  geht  aus  dem  Seitenrand  der  Zungenwurzel  ein 
plattes  dünnes  Fleischbündel  aus,  welches  theils  von  der 
Schleimhaut  der  Zunge  entspringt,  theils  eine  Fortsetzung  von 
Fasern  des  M.  stylo-glossus,  theils  mit  den  hintersten  Fasern 
des  M.  transversalis  linguae  continuirlich  ist.  Dasselbe  bildet 
den  hauptsächlichen  Inhalt  des  Arcus  glosso-palatinus,  steigt 
schräg  von  der  Mandel  medianwärts  empor,  fliesst  unter  der 
Schleimhaut  und  Drüsenschichte  an  der  vorderen  Seite  des 
weichen  Gaumens  mit  dem  der  anderen  Seite  grösstentheils 
bogenförmig  zusammen.« 

Beim  Hunde  bilden  »die  Arcus  palato-glossi  nach  Ellen- 
berger  und  Baum^  zwei   sehr  deutliche,  ziemlich  senkrecht 


J  Hyrti,  1.  c. 

2  Luschka,  I.  c. 

3  Ellenberger  und  Baum,  I.  c. 


412  L.  Rethi, 

gestellte  und  nur  etwas  oral  verlaufende,  zum  Seitenrand  der 
Zunge  ziehende  Falten.  Die  Arcus  palato-pharyngei  » . . .  *  sind 
stärker  als  die  ersteren  und  spalten  sich  bald  nach  ihrem 
Ursprung  in  zwei  Schenkel ;  der  eine  (kürzere)  von  diesen  zieht 
schräg  zur  lateralen  und  aboralen  Wand  des  Pharynx,  um  sich 
allmälig  in  der  Schleimhaut  zu  verlieren,  während  der  andere 
(längere)  Schenkel  an  der  Seitenwand  des  Pharynx  bis  zum 
Kehldeckel  geht  und  sich  mit  dem  der  anderen  Seite  vereinigt, 
indem  er  dabei  gleichzeitig  in  die  Pharynxschleimhaut  aus- 
strahlt.« . . .  »Beim  Hunde  sind  beide  Muskeln  (der  M.  palatinus 
et  palato-pharyngeus)  miteinander  verschmolzen;  der  gemein- 
schaftliche Muskel  entspringt  mit  einer  dünnen  Sehne  platt 
am  freien  Rande  des  Palatinum  bis  zum  Hamulus  ossis  ptery- 
goidei,  woselbst  er  mit  dem  Pterygo-pharyngeus  zusammen- 
stösst,  verlauft  zum  Theil  direct  aboral  zum  Arcus  palatinus, 
woselbst  er  endet,  zum  Theil  seitlich  zur  Seitenwand  der 
Rachenhöhle,  um  sich  an  der  Fascia  pharyngea  gegen  die  Raphe 
hin  zu  inseriren;  er  hilft  dadurch  die  orale  und  Seitenvvand 
dieser  Höhle  bilden.  Er  liegt  auf  der  Rachenhöhlenfascie  und 
einem  Theile  des  Levator  veli  und  wird  zum  Theil  v^om  Stylo- 
glossus  und  Pterygoideus  bedeckt.  Der  mediale  Theil  des 
Muskels,  der  median  am  harten  Gaumen«  .  . .  »entspringt  und 
zur  Mitte  des  aboralen  Randes  geht«  .  .  .  »stellt  den  eigentlichen 
Palatinus  dar.  Wirkung:  Heber,  Verkürzer  und  Spanner  des 
Segels,  Vorzieher  des  Schlundkopfes,  Verkürzer  des  Rachen- 
raumes.« 

Beim  Kaninchen  liegen  diese  beiden  Gaumenmuskeln  eben- 
falls in  den  gleichnamigen  Gaumenbögen;  während  jedoch  der 
hintere  Gaumenbogen  beträchtlich  entwickelt  und  deutlich 
ausgesprochen  ist,  springt  der  Arcus  palato-glossus  nur 
wenig  vor. 

Die  motorische  Innervation  dieser  Muskel  betreffend,  fand 
Volkmann*  bei  frisch  getödteten  und  geköpften  Thieren  auf 
Reizung  der  Vaguswurzeln  nach  Exstirpation  des  N.  glosso- 
pharyngeus  und  accessorius  Willisii  »Bewegungen  im  M.  con- 
strictor  faucium  supremus,  Constrictor  infimus,  Levator  palati« 


1  Volk  mann,  1.  c. 


Xerv'enwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln.  413 

..*und  Arcus    pharyngo-palatinus.«    —   Contractionen    des 
M.  palato-glossus  konnte  er  nicht  bekonnmen. 

In  ähnlicher  Weise  fand  Hein*  bei  Schafen,  Ziegen  und 
Hunden  auf  Reizung  des  N.  vagus  Contractionen  des  M.  palato- 
pharyngeus.  Die  Beobachtung  des  M.  palato-glossus  hingegen 
bereitete  auch  ihm  grosse  Schwierigkeiten;  Contraction  des- 
selben konnte  er,  wie  er  meint,  »wegen  der  Schwäche  und  Zart- 
heit dieses  Muskels«  nicht  constatiren.  Weil  er  jedoch  keine 
anderen  Nerven  in  diesen  Muskel  hinein  verfolgen  und  ihn  auch 
von  einem  anderen  Nerven  nicht  erregen  konnte,  so  nimmt  er 
seine  Abhängigkeit  vom  N.  glosso-pharyngeus  an. 

So  wie  Hein  leitet  auch  Luschka^  die  motorischen 
Fasern  des  M.  pharyngo-palatinus  vom  N.  vagus  und  diejenigen 
des  M.  glosso-palatinus  vom  N.  glosso-pharyngeus  ab  und 
Henle*'  sagt:  ». .  .jedenfalls  fiele  den  motorischen  Fasern  der 
V'aguswurzel    die  Innervation  der« . . .  »Palato-pharyngei  zu.« 

Nach  J.  Müller*  »können  diese  Muskeln  (Levator  veli 
palatini  und  M.  palato-pharyngeus)  auch  vom  Accessorius  bewegt 
werden.«  Longet^  hingegen  sagt:  »Le  nerf  glossopharyngien 
se  distribue  ä  la  muqueuse  pharyngienne  tandis  que  les  filets 
venus  du  facial  s'arretent  specialement,  suivant  moi,  dans  les 
muscles  des  piliers,  c*est-ä-dire  les  glosso-staphylins  et  pha- 
ryngo-staphylins. « 

Es  wurde  oben  bereits  erwähnt,  dass  Sanders**  in  einem 
Falle  bei  Facialislähmung  den  Levator  palati  moUis  nur  unvoll- 
kommen, und  den  M.  palato-glossus  und  palato-pharyngeus 
gar  nicht  gelähmt  fand,  obgleich  auf  der  kranken  Seite  Taub- 
heit eingetreten  war,  so  dass  man  auf  eine  hoch  oben  liegende 
Ursache  schliessen  musste,  was  jedenfalls  gegen  eine  Abhängig- 
keit der  genannten  Muskeln  vom  Facialisstamm  sprechen  würde. 

Zur  Eruirung  der  motorischen  Wurzelfasern  des  M.  palato- 
pharyngeus  wurde    das   narkotisirte  Thier  in    einer   Reihe 

1  Hein,  1.  c. 

-  Luschka,  1.  c. 

■^  He  nie,  1.  c. 

■*  J.  Müller,  Handbuch  der  Physiologie  des  Menschen.   1844. 

•'*  Longet ,  1.  c. 

*'  Sanders,  1.  c. 


414  L.  Relhi, 

von  Versuchen  in  der  Rückenlage  auf  den  Operationstisch 
festgebunden  und  nach  vorgenommener  Tracheotomie,  sowie 
Spaltung  der  Membrana  thyreo- hyoidea  und  Cartilago  thyreo- 
idea  der  untere  Theil  des  tief  herabhängenden  Gaumensegels 
sammt  seinen  bogenförmigen  Fortsetzungen  und  ihrem  Über- 
gang in  die  hintere,  seitliche  Rachenwand  zur  Ansicht  gebracht. 
Dann  wurden  in  der  Bauchlage  des  Thieres  die  Wurzelfasern 
des  N.  glosso-pharyngeo-vagus  und  accessorius  in  der  eben- 
falls beschriebenen  Weise  nach  Durchtrennung  der  Membrana 
obturatoria  zugänglich  gemacht  und  die  einzelnen  Fasern  mit 
der  Elektrode  abgetastet. 

Reizung  des  oberen  Bündels  ergab  am  Arcus  palato-pha- 
ryngeus  keine  Veränderung,  weder  bei  Berührung  der  oberen 
noch  der  unteren  Fasern  desselben,  wurden  jedoch  die  oberen 
Fasern  des  mittleren  Bündels  gereizt  (Fig.  1,2;.  S.  387),  und  zwar 
dieselben,  von  denen  man  den  Levator  veli  palatini  und  die 
Constrictoren  des  Rachens  erregen  konnte,  so  erfolgte  nebst 
einer  Hebung  des  Gaumensegels  seitlich  von  der  Mittellinie 
(Levator  palati)  und  einer  Verengerung  des  Rachens  (Constrictor 
pharyngis  inferior  und  medius  —  der  obere  war  von  hier  aus 
nicht  zu  sehen)  eine  sehr  ausgiebige  Contraction  des  M,  palato- 
pharyngeus:  starkes  Vorspringen  der  hinteren  Gaumenbögen 
und  ein  V^orrücken  derselben  gegen  die  Mittellinie  auf  der 
gereizten  Seite.  Von  den  unteren  Fasern  des  mittleren  Bündels 
konnte  keine  Contraction  dieses  Muskels  bewirkt  werden  und 
ebenso  wenig  von  den  Accessoriuswurzeln. 

Naturgemäss  konnte  auch  hier  nur  die  Wirkung  der 
schwächsten  Ströme  verwerthet  werden,  bei  denen  es  überhaupt 
noch  zu  einer  Contraction  kam,  denn  wurden  die  Ströme  etwas 
verstärkt,  so  konnte  man  namentlich  auch  durch  Berührung 
der  unteren  Fasern  des  oberen  Bündels  und  schliesslich  auch 
von  den  Accessoriuswurzeln  Contraction  des  M.  palato-pharyn- 
geus  auslösen;  man  sah  jedoch  deutlich,  dass  es  sich  um 
Stromschleifen  handelte,  denn  es  trat  bei  Reizung  des  oberen 
Bündels  gleichzeitig  auch  Stylo-pharyngeus-Wirkung  und  bei 
Reizung  des  unteren  Bündels  auch  kräftige  Contraction  der 
Nackenmuskeln  (N.  accessorius)  auf;  —  auch  waren  diese 
genannten  Bewegungen  bei  Reizung  der  oberen  Fasern  des 


Nen'enwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln.  415 

mittleren  Bündels  zu  sehen;  ferner  war  das  Vorspringen  der 
hinteren  Gaumenbögen  bei  Berührung  dieser  Fasern  (c)  am 
deutlichsten  ausgesprochen  und  dann  deuteten  sich  diese 
Bewegungen  auch  bei  Berührung  des  Knochens  in  der  Nähe 
der  Vagus-Wurzel  an.  Dass  vom  Facialis- und  Trigeminusstamm 
keine  Contraction  des  M.  palato-pharyngeus  erzielt  werden 
kann,  davon  habe  ich  mich  bei  den  zu  anderen  Zwecken 
vorgenommenen  Versuchen  schon  früher  überzeugt. 

Dieser  Versuch  wurde  ebenso,  wie  die  anderen,  öfter 
wiederholt,  auch  in  der  gleich  unten  zu  besprechenden  Modi- 
fication  ausgeführt  und  stets  dasselbe  Resultat  erzielt. 

Die  Wurzelfasem,  deren  Reizung  Contraction  des  ge- 
nannten Muskels  ergab,  konnten  von  jenen,  welche  die  motori- 
schen Nerven  des  Levator  veli  palatini  und  der  Constrictoren 
des  Rachens  führen,  nicht  mit  Sicherheit  differenzirt  werden; 
alle  diese  Erregungen  schienen  durch  dasselbe  Nervenbündel- 
chen nach  der  Peripherie  geleitet  zu  werden.  Die  Erregbarkeit 
des  M.  palato-pharyngeus  war  ungefähr  die  gleiche,  wie  die 
des  Levator  palatinus  und  der  Constrictoren. 

Um  den  M.  palato-glossus  zur  Ansicht  zu  bringen, 
musste  der  Versuch  modificirt  werden.  Beim  Kaninchen  w^urde 
nach  Fixirung  des  Oberkiefers  die  Mundspalte  nach  den  Seiten 
hin  künstlich  vergrössert,  der  Unterkiefer  abducirt  und  der 
Rachen  von  vorne  durch  den  Mund  beobachtet.  Bei  Reizung 
des  oberen  Bündels  war  am  Gaumen  und  den  Gaumenbögen 
nichts  zu  sehen,  wurden  hingegen  die  oberen  Fasern  des 
mittleren  Bündels  gereizt  (Fig.  1  z),  so  sah  man  beide  Gaumen- 
bögen, den  Arcus  palato-glossus  sowohl,  als  auch  den  Arcus 
palato-pharyngeus  auf  der  gereizten  Seite  gegen  die  Mittel- 
linie hin  vorspringen,  doch  war  erstens  die  Lageveränderung 
des  hinteren  Gaumenbogens  viel  ausgiebiger,  als  die  des 
vorderen,  und  zweitens  war  dieses  Vorspringen  des  Arcus 
palato-glossus  nicht  immer,  in  der  Regel  sogar  nur  andeu- 
tungsweise zu  sehen;  auch  entzog  sich  die  Contraction  des 
M.  palato-glossus,  wenn  schwächere  Ströme  angewendet  wur- 
den, vielleicht  wegen  der  grösseren  Zartheit  der  Muskelbündel 
früher  dem  Auge,  als  die  des  weitaus  kräftigeren  M.  palato- 
pharyngeus. 


416  L.  Rethi. 

Auf  den  ersten  Blick  wäre  auch  eine  Verwechslung  der 
Contraction  des  M.  palato-glossus  mit  der  Wirkung  anderer 
in  der  Nähe  befindlicher  Muskeln,  insbesondere  des  Schlund- 
schnürers,  möglich;  doch  kann  derselbe  höchstens  die  untere 
Partie  des  vorderen  Gaumenbogens,  nicht  aber  die  Mitte  des- 
selben beeinflussen,  während  sich  dieser  zuweilen  ganz  gleich- 
massig  und  am  ausgiebigsten  in  seiner  Mitte  spannte.  Überdies 
habe  ich  beim  Hunde  und  bei  der  Katze  die  Schleimhaut  des 
vorderen  Gaumenbogens  abpräparirt  und  die  dürftigen  Muskel- 
bündel blossgelegt,  so  dass  man  dann  gelegentlich  bei  Reizung 
der  oberen  Fasern  des  mittleren  Bündels  die  Contraction  der 
Muskelbündelchen  direct  beobachten  konnte. 

Demnach  verlaufen  die  motorischen  Nerven  der 
beiden  Gaumenbogenmuskeln  in  den  oberen  Fasern 
des  mittleren  Bündels. 


Was  die  einzelnen,  hier  in  Betracht  kommenden  Hirn- 
nerven betrifft,  deren  Function  wir  nun  überblicken  wollen, 
so  finden  sich  die  oben  beschriebenen  Versuche  bezüglich 
des  N.  trigeminus  mit  den  bisherigen  Angaben  in  Über- 
einstimmung; er  führt  bei  seinem  Austritte  aus  dem  Gehirn 
in  seinem  Stamm  (kleine  Wurzel)  nebst  anderen,  namentlich, 
für  die  Kaumuskeln  bestimmten  Fäden  die  motorischen  Fasern 
für  den  M.  tensor  veli  palatini. 

Was  den  N.  facialis  betrifft,  der  vielfach  mit  der  motori- 
schen Innervation  des  Levator  veli  palatini  und  Azygos  uvulae 
in  Verbindung  gebracht  wird,  so  muss  die  Wurzel  derselben 
nach  diesen  Versuchen  von  einer  Betheiligung  an  der  Inner- 
vation der  genannten  Muskeln  mit  Bestimmtheit  ausgeschlossen 
werden.  Bezüglich  der  Zerfaserungen  des  N.  petrosus  super- 
ficialis major  (Longet,  Arnold,  Valentin,  Nuhn,  Früh- 
wald) soll  hier  nur  bemerkt  werden,  dass  sich  die  Fasern  nicht 
continuirlich  von  der  Wurzel  bis  an  ihr  Endziel  verfolgen  lassen. 
Hein*  hat  bei   einigen  Hunden  den  N.  petrosus  superficialis 

J   Hein.  1.  c. 


Nervenwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln.  417 

major  von  der  Schädelhöhle  aus,  zwischen  dem  fünften  und 
siebenten  Nerven  zerstört,  um  sich  zu  überzeugen,  »ob  viel- 
leicht centrifugale  Fäden  des  zehnten  Nerven,  die  wohl  füglich 
durch  den  Ohrast  zum  Stamm  des  siebenten  Nerven  gelangen 
könnten,  aus  diesem  durch  jene  Verbindungsnerven  zum 
Gaumenkeilbeinknoten  und  so  zu  den  Gaumenmuskeln  geleitet 
würden.  Die  Bewegungen  dieser  Muskeln  erfolgten  aber  stets 
auch  nach  Zerstörung  der  Felsenbeinnerven  bei  Reizung  des 
zehnten  und  eilften  Nerven,  wie  sonst  auch.« 

Die  klinischen  Erfahrungen  scheinen,  wie  oben  aus- 
einandergesetzt, der  Annahme,  dass  der  Levator  veli  palatini 
vom  N.  facialis  abhängig  ist,  allerdings  günstig  zu  sein,  doch 
lassen  sich  einige  Beobachtungen  mit  dieser  Annahme  nicht 
in  Einklang  bringen  und  insbesondere  haben  wir  gegenüber 
zahlreichen,  nicht  näher  angeführten  positiven  Angaben,  auf 
die  durch  einen  ausführlichen  Sectionsbefund  belegte  Beob- 
achtung von  Eisenlohr  hingewiesen. 

Was  schliesslich  die  Experimente  betrififl,  so  muss  an- 
gesichts der  vorliegenden  zahlreichen  Versuche  angenommen 
werden,  dass  sich  bei  den  positiven  Ergebnissen  der  Versuche 
anderer  Autoren  Fehler  eingeschlichen  haben,  und  insbesondere, 
dass  es  sich  bei  denselben  um  Stromschleifen  gehandelt  haben 
dürfte;  die  Versuche  rühren  nämlich  zum  Theil  aus  einer  Zeit 
her,  in  der  man  auf  Fehlerquellen,  die  durch  Stromschleifen 
entstehen  können,  und  auf  Methoden,  dieselben  zu  vermeiden, 
weniger  aufmerksam  war. 

Es  kommt  ganz  besonders  in  Betracht,  dass  ich  die  Ver- 
suche an  lebenden  Thieren  ausgeführt,  beziehungsweise  an 
solchen  fortgesetzt  habe,  die  noch  während  der  Versuche 
starben,  und  dass  ich  mit  wenigen  Ausnahmen  nur  jene  Ver- 
suche verwerthet  habe,  bei  denen  das  Thier  noch  am  Leben 
war,  wo  also  noch  sehr  schwache  Ströme  genügten,  um  Con- 
tractionen  auszulösen,  und  bei  denen  die  Gefahr  der  Strom- 
schleifen wegen  der  schwachen  Ströme  eine  sehr  geringe  war. 
Da  sich  die  Gefahr  der  Stromschleifen  aus  physikalischen 
Gründen  principiell  niemals  vermeiden  lässt,  so  verfuhr  ich  in 
der  Weise,  dass  ich  bei  massiger  Stromstärke  das  Gebiet 
zwischen  zwei  Nervenursprüngen  mit  der  Elektrode  abtastete 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Gl.;  Gl.  Bd.,  Abth.  III.  29 


418  L.  Rethi. 

und  beobachtete,  welcher  der  Nervenursprünge  bei  Annäherung 
der  Elektroden  die  betreffende  Muskelaction  auslöste. 

Was  den  N.  glosso-pharyngeus  und  vagus  betrifft,  so 
haben  wir  gehört,  dass  der  N.  glossopharyngeus  insbesondere 
von  Mayo  und  J.  Müller  für  einen  gemischten  Nerven  erklärt 
und  dass  die  motorischen  Eigenschaften  desselben  durch  die 
Versuche  von  Volk  mann  und  Hein  sicher  gestellt  wurden,  dass 
ihm  aber  Reid,  Valentin  und  Longet  die  motorischen  Eigen- 
schaften abgesprochen  haben;  ebenso  wurde  auch  der  X. 
vagus  von  Goerres,  Arnold,  Scarpa,  Bischoff,  Valentin 
und  Longet  für  sensorisch  gehalten,  während  andere  Beob- 
achter, Reid,  Müller,  Volkmann,  u.  s.  w.  nachgewiesen 
haben»  dass  er  gemischt  ist. 

Die  Angaben  über  die  motorischen  Eigenschaften  dieser 
Wurzelfasern  werden  also  durch  die  vorstehenden  Versuche 
bestätigt:  Das  obere  Bündel  führt  die  motorischen  Fasern  des 
M.  stylo-pharyngeus;  die  unteren  Fasern  des  mittleren  Bündels 
hingegen,  die  ein  anderes  Aussehen  haben,  als  die  oberen, 
indem  sie  dünner  und  zarter  sind,  enthalten  keine  motorischen 
Nerven  für  die  Rachenmuskeln,  während  die  oberen  Fasern 
desselben  alle  drei  Constrictoren  des  Rachens,  den  Levator 
veli  palatini,  den  M.  palato-pharyngeus  und  palato-glossus 
mit  motorischen  Nerven  versorgen.  Eine  Isolirung  der  Fädchen, 
welche  die  motorischen  Elemente  der  einzelnen  Muskeln  ent- 
halten, war  bei  der  Feinheit  der  Objecte  nicht  möglich. 

Durch  diese  Versuche  wurde  sicher  gestellt,  dass  die 
motorischen  Nerven  der  genannten  Muskeln  in  dem  oberen 
und  mittleren  Wurzelbündel  verlaufen;  in  welcher  Weise  sich 
jedoch  aus  diesen  Wurzeln  der  sogenannte  N.  glossopharyngeus 
und  der  sogenannte  N.  vagus  formiren,  und  welche  Fasern  in 
den  Stamm  des  einen,  und  welche  in  den  des  anderen  eintreten, 
ist  nicht  bekannt.  Es  soll  hier  auch  unerörtert  bleiben,  auf 
welchen  Bahnen  die  motorischen  Nerven  von  den  Wurzeln 
zu  ihrem  Bestimmungsorte  gelangen,  insbesondere  auch, 
welchen  Weg  die  für  den  Levator  veli  palatini  bestimmten 
Fasern  einschlagen,  doch  geht  aus  diesen  Versuchen  hervor, 
dass  die  für  den  M.  stylo-pharyngeus  bestimmten  und  in  den 
unteren   Fasern   des  oberen  Bündels  enthaltenen  motorischen 


Nervenwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln.  419 

Nerven  ihrem  Endziel  durch  den  N.  laryngeus  medius  zugeführt 
werden. 

Für  die  motorische  Abhängigkeit  des  M.  azygos  uvulae 
von  dem  mittleren  Bündel  will  ich  nicht  eintreten,  da  bei 
meinen  Versuchsthieren  die  Uvula  fehlt,  doch  ist  es  nach  dem 
anatomischen  Verhalten  der  Muskeln  sowie  nach  den  Angaben 
der  Autoren,  dass  beide  Muskeln,  der  Levator  veli  palatini  und 
Azygos  uvulae  von  demselben  Nerven  versorgt  werden,  wahr- 
scheinlich, dass  bei  Thieren,  bei  denen  der  letztere  Muskel 
vorhanden  ist,  derselbe  seine  motorischen  Nerven  ebenfalls 
vom  mittleren  Bündel  der  Glosso-pharyngeo-vagus-Wurzel 
empfängt. 

Um  schliesslich  auch  den  N.  accessorius  zu  berühren, 
dessen  Wurzelgebiet  sich  in  unmittelbarer  Nähe  des  N.  vagus 
befindet  und  auf  welchen  bei  den  Versuchen  Stromschleifen 
leicht  überspringen  können,  so  soll  nur  erwähnt  werden,  dass 
ich   bei  Reizung  seiner  Wurzeln  (3  in  Fig.   1),    oder  vielmehr 
jener  Fäden,  welche  vom  mittleren  Bündel  zumeist  durch  einen 
kleinen  Zwischenraum  getrennt  sind  und  dann  in  der  Regel  in 
den  sogenannten  N.  accessorius  eintreten,  niemals  Contractionen 
im  Rachen  oder  am  Weichen  Gaumen  gesehen  habe.   Es  muss 
nämlich  auch  hier  bemerkt  werden,  dass  man  ebenso,  wie  die 
Wurzeln  des  neunten  und   zehnten  Hirnnerven,  auch  die  des 
eilften  anatomisch  nur  in  ganz  conventioneller  Weise  trennen 
kann,    und    wenn    Volk  mann*    angibt,    auf    Reizung    der 
Accessoriuswurzel  bei  einer  Katze  Bewegungen  des  Gaumen- 
segels gesehen  zu  haben,  so  kann  das  daher  rühren,  dass  er 
Fasern  zum  N.  accessorius  gerechnet  hat,  die  höher  oben  liegen. 
Dass  bei  starken  Strömen  auch  vom   unteren  Bündel  Contrac- 
tionen im  Levator  veli  palatini,  M.  palato  pharyngeus,  Constrictor 
pharyngis  etc.  erzielt  werden   konnten,    wurde    oben   hervor- 
gehoben. 

Auf  Grund  dieser  Versuche  können  den,  nach  ihren  Func- 
tionen geschiedenen  Rachenmuskeln  verschiedene  Nerven- 
wurzeln  zugewiesen  werden:  die  Verengerer  des  Rachens, 
oder  vielmehr  jene  Muskeln,  welche  zur  Verengerung  und  zum 


Volkmann,  1.  c. 


420       L.  Rethi,  Nervenwurzeln  der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln. 

Abschiuss  der  Rachenhöhle  gegen  die  benachbarten  Räume 
dienen,  die  Constrictoren  einerseits  und  andererseits  die  Mm. 
palato-pharyngei,  palato-glossi  und  der  Levator  veli  palatini, 
welche  den  Abschiuss  theilweise  wenigstens  gegen  die  Mund- 
und  Nasenhöhle  zu  besorgen  haben,  erhalten  ihre  motorischen 
Nerven  von  den  oberen  Fasern  des  mittleren  Bündels,  während 
die  Erweiterer  des  Rachens,  die  Mm.  stylo-pharyngei,  vom 
oberen  Bündel  versorgt  werden. 

Bei  der  stets  offenen  Frage,  in  wie  weit  Thierversuche 
auf  den  Menschen  übertragen  werden  dürfen,  fällt  hier  der 
Umstand  ganz  besonders  in's  Gewicht,  dass  die  Ergebnisse 
dieser  Versuche  auch  bei  verschiedenen  Thieren  stets  dieselben 
waren  und  dass  beim  Menschen  und  bei  meinen  Versuchs- 
thieren  nicht  nur  bezüglich  der  Nervenwurzeln,  sondern  auch 
bezüglich  der  betreffenden  Muskeln  keine  wesentlichen  anato- 
mischen Unterschiede  bestehen.  Demnach  ist  es  sehr  wahr- 
scheinlich, dass  beim  Menschen  ähnliche  Verhältnisse  obwalten 
und  dass  die  Rachen-  und  Gaumenmuskeln  ihre  motorischen 
Nerven  von  den  analogen  Wurzelgebieten  ableiten. 

Wenn  wir  die  an  Kaninchen,  Hunden  und  Katzen  ge- 
wonnenen Resultate  nach  dem  anatomischen  Verhalten  auf 
den  Menschen  übertragen,  so  können  sie  in  der  auf  Fig.  2 
(S.  388)  angegebenen  Weise  anschaulich  gemacht  werden. 


Inhalt. 


1.  Die  Nervenwurzeln  des  M.  stylo-pharyngeus 382 

2.  »  >  der  Constrictoren  des  Rachens 390 

3.  »  »  des  Levator  veli  palatini 394 

4.  »  »  des  Tensor  veli  palatini 407 

5.  >  »               des  M.  palato-pharyngeus  und  palato-glossus  .411 


421 


Versuche  über  die  respiratorische  Function 

der  Intercostalmuskeln. 

I.  Abhandlung. 

Der  Einfluss  der  Intercostalmuskeln  auf  die  Capacität 

des  Thorax 

von 

J.  Weidenfeld, 

stud.  med. 

(Mit  2  Tafeln.) 

Aus  dem  physiologischen  Institute  der  k.  k.  Universität  in  Wien. 

(Vorgelegt  in  der  Sitzung  vom  14.  Juli  1892.) 

I.  Geschichtliche  Vorbemerkungen. 

Der  Streit,  der  im  vorigen  Jahrhundert  durch  Hamberger 
so  heftig  angeregt  wurde,  ist  heute  noch  nicht  beigelegt,  denn 
Jahr  für  Jahr  erscheinen  Arbeiten,  die  sich  bald  für,  bald  gegen 
die  Ansicht  Hamberger's  aussprechen,  von  denen  aber  noch 
keine  allgemeine  Anerkennung  gefunden  hat. 

Schon  vor  Hamberger  hatte  VesaP  die  bis  damals  unan- 
gefochtene Ansicht  Galen's,*  dass  die  musculi  intercostales 
externi  Exspiratoren,  die  Mm.  intercostales  intemi  Inspirations- 
muskeln wären,  verworfen  und  sie  beide  für  Expiratoren  erklärt, 
weil  beide  Muskeln  durch  ihre  Contraction  die  Intercostalräume 
nur  verengern  und  damit  das  Volumen  des  Thorax  verkleinern 
können.  Trotzdem  blieb  die  Galen'sche  Lehre  in  der  Folge 
noch  bestehen. 


1  V  e  s  a  l :  De  corporis  humani  fabrica.  Über  II,  Cap.  XXXV,  p.  239. 
Opera  omnia.  Herausgegeben  von  Boerhave,  1725. 

'Galen:  I,  3.  De  causis  respirationis.  Omnia  opera,  prima  classis, 
p.  225.  Venetiis  1541. 


422  J.  Weidenfeld, 

Auch  Borelli*  trat  gegen  die  Galen 'sehe  Lehre  auf, 
wenngleich  sich  auch  seine  Ansicht  von  der  Vesal's  wesent- 
lich unterscheidet.  Beide  Muskelgruppen  haben  nach  ihm  eine 
simultane  hebende  Wirkung.  Der  Zweck  ihres  verschiedenen 
Verlaufes  sei,  jeden  Rippenpunkt  in  genau  perpendiculärer  Rich- 
tung nach, aufwärts  zu  ziehen,  welche  Richtung  den  Diagonalen 
beider  Muskelzüge  entspräche.  —  Nach  ihm  trat  Bajleus' 
mit  einer  ganz  anderen  Ansicht  hervor;  die  verschiedene  Rich- 
tung beider  Muskeln  sei  auch  Ausdruck  einer  verschiedenen 
Wirkung.  Die  Mm.  intercostales  externi  seien  Heber  der 
Rippen,  also  Inspiratoren,  die  Mm.  intercostales  interni  Senker 
und  Exspiratoren.  Zur  Erklärung  führte  er  'die  mechanischen 
Verhältnisse  der  Rippen  und  der  Muskeln  an.  —  In  ganz  ähn- 
licher Weise  behandelte  später  Hamberger^  den  Gegenstand. 
Das  obere  Ende  einer  jeden  Faser  der  Mus.  intercostales  interni 
ist  von  dem  Gelenke  der  zugehörigen  Rippe  weiter  entfernt,  als 
das  untere  Ende  von  dem  der  unteren  Rippe.  Die  Rippen  selbst 
stellt  sich  Hamb erger  als  einarmige  Hebel  vor,  welche  sich 
um  einen  Punkt  drehen  (um  das  Köpfchen  der  Rippe).  Wenn 
nun  diese  Muskeln  sich  zusammenziehen,  so  muss  die  obere 
Rippe  gegen  die  untere  herabgezogen  werden,  weil  für  die 
obere  Rippe  der  Muskel  einen  günstigeren  Angriffspunkt  hat, 
als  für  die  untere.  Das  Herabziehen  der  Rippen  verringert  aber 
das  Volumen  des  Thorax,  folglich  sind  die  Mm.  intercostales 
interni  Exspiratoren.  Das  umgekehrte  Verhalten  zeigen  die 
Mus.  intercostales  externi;  diese  sind  deshalb  Rippenheber 
und  Inspiratoren.  Seine  Erklärung  stützt  Hamberger  auf  eine 
den  natürlichen  Verhältnissen  der  Rippen  und  ihrer  Befesti- 
gungen scheinbar  entsprechende  mechanische  Vorrichtung. 
Dieses  »Schema«  besteht  aus  einem  in  Chanieren  beweglichen 
aus  Stäben  gebildetem  Parallelogramm.  Ein  Stab  entspricht  der 
Wirbelsäule;  der  gegenüberliegende  dem  Sternum,  die  beiden 
anderen  zwei  Rippen.    Sie  sind,  der  normalen  Rippenstellung 


'   Borelli:  De  motu  animalium  II.  Prop.  84. 

-  Bajleus:  Institutiones  phys.  Tolosae  1700,   tom  III,   tract.  II,  Art.  V. 
3  Hamberger:    De  respirationis   mechanismo^et  usu  genuino  una  cum 
scriptis.  Jenae  1749. 


Respiratorische  Function  der  Intercostalmuskeln.  423 

entsprechend,  von  der  Wirbelsäule   gegen  das  Sternum   als 
schief  nach  abwärts  geneigt  zu  denken. 

Wenn  nun  an  den  »Rippen«  dieser  Vorrichtung,  ent- 
sprechend den  Mus.  intercostales  externi,  Bänder  gespannt 
werden,  welche  einen  Zug  bewirken,  so  erweitem  sich  die 
Intercostalräume,  die  Ansatzpunkte  der'  Mm.  intercostales 
interni  entfernen  sich,  das  »Sternum«  und  die  »Rippen«  heben 
sich.  Das  Umgekehrte  findet  statt,  wenn  die  Action  der  Mm. 
intercostales  interni  nachgeahmt  wird.  Da  nun  ein  Nähern  der 
Ansatzpunkte  eines  Muskels  hier  gleichbedeutend  mit  seiner 
Contraction  ist,  so  schloss  Hamberger,  dass  die  Hebung  nur 
durch  die  Mm.  externi  und  die  Senkung  durch  die  Mm.  interni 
bewirkt  werden  könne. 

Gegen  diese  Anschauung  trat  Haller*  sehr  entschieden 
auf.  Er  führte  Vivisectionen  aus,  welche  ihm  das  Gegentheil 
ergaben.  Er  sah  die  Intercostalräume  sich  inspiratorisch  ver- 
kleinem, die  Intercostales  interni  wurden  hiebei  gleichzeitig 
mit  den  Intercostales  externi  hart,  woraus  er  schloss,  dass  so- 
wohl die  Mm.  intercostales  interni  als  auch  die  Mm.  intercost. 
externi  Inspirationsmuskeln  seien. 

Die  mechanische  Betrachtung  Hamberger's  suchte  er 
durch  eine  andere  zu  entkräften.  Die  untere  Rippe  werde  immer 
leichter  gehoben,  als  die  obere  gesenkt,  und  zwar  im  Verhältniss 
von  8:1.  Dadurch  muss  sowohl  beim  Wirken  der  Mm.  externi 
als  auch  der  Mm.  interni  die  untere  Rippe  gegen  die  obere 
hinaufgezogen  werden,  weil  doch  immer  das  Bewegliche  gegen 
das  weniger  Bewegliche  gezogen  wird.  Ausserdem  ist  die  erste 
Rippe  fix,  was  hier  schwer  ins  Gewicht  fällt. 

Das  Schema  Hamberger*s  entspräche  demnach  nicht 
der  Wirklichkeit.  An  diesem  zeigen  die  Rippen  die  gleiche 
Beweglichkeit,  und  es  darf  daher  nicht  Wunder  nehmen,  wenn 
beim  Anziehen  der  den  Mm.  intercostales  interni  entsprechenden 
Binden  die  Rippen  nach  abwärts  gezogen  werden. 

Zwanzig  Jahre  währte  der  Kampf  zwischen  beiden 
Forschern.  Die  Zeitgenossen  entschieden  sich  meist  für 
Haller's    Ansicht.     In   unserem   Jahrhundert   ist    es   anders 


«  Hall  er:  Elcmenta  physiologiae.  III,  p.  36. 


424  J.  Weidenfeld, 

geworden,  indem  sich  die  meisten  Forscher  Hamberger's 
Ansicht  zuneigen.  Trotzdem  gibt  es  nicht  wenige,  die  diese 
verwerfen. 

Unter  ihnen  wäre  Budge,*  Duchenne*  und  in  neuerer 
Zeit  Volkmann^  zu  nennen.  Budge  und  Volkmann  zeigten 
dieUnanwendbarkeit  des  Hamberger'schen  Schemas  auf  den 
menschlichen  Thorax,  da  die  Rippen  sich  nicht,  wie  Ham- 
berger  annahm,  um  einen  Punkt  bewegen,  sondern  um  Axen, 
welche  nach  Budge  vom  Capitulum  costae  zum  vorderen 
Rippenende,  nach  Volkmann  durch  das  capitulum  und  tuber- 
culum  gehend  zu  denken  sind.  Auf  Grund  dieser  neuen  That- 
sachen  kamen  beide  Forscher  zu  dem  Resultate,  dass  beide 
Intercostalmuskeln  gleichsinnig  wirken. 

Zu  ähnlicher  Anschauung  gelangte  Duchenne  durch 
seine  Untersuchungen  am  lebenden  Menschen. 

Auch  Helmholtz*  nimmt  nur  eine  inspiratorische  Thätig- 
keit  beider  Muskelarten  an,  indem  die  Exspiration  keiner  Muskel- 
kraft bedürfe.  Functionen  unterscheiden  sich  beide  Muskel- 
gruppen nur  insoferne,  als  die  Mm.  intercostales  externi  für  die 
respiratio  thoracica,  und  die  Mm.  intercostales  intemi  für  die 
respiratio  abdominalis  in  Verwendung  kommen  dürften. 

Eine  ganz  eigenthümliche  Stellung  in  dieser  Frage 
nehmen  He  nie-'*  und  Brücke^  ein.  Beide  Forscher  betrachten 
diese  Muskeln  überhaupt  nicht  als  Respirationsmuskeln, 
sondern  als  bestimmt  zur  Regulirung  der  Spannung  in 
den  Intercostalräumen  und  zur  Drehung  des  Thorax  um  eine 
Längsaxe. 


1  Budge:  Über  die  Wirkung  der  Mm.  intercostales.  Archiv  für  physio- 
logische Heilkunde.  I.  Band,  N.  F.  Jahrgang  1857,  S.  63. 

2  Duchenne:  Physiologie  de  mouvements.  Paris  1867. 

3  Volkmann:  Zur  Theorie  der  Intercostalmuskeln.  Zeitschrift  für 
Anatomie  und  Entwicklungsgeschichte.  II.  Band  1877,  S.  159. 

•*  Helmholtz:  Über  die  Bewegungen  des  Brustkastens.  Verhand- 
lungen des  naturhistorischen  Vereines  für  Rheinlanden  und  Westphalen. 
Jahrg.  XIII.  S.  70  —  71.  Wieder  abgedruckt  in  Helmholtz 's:  Wissenschaft- 
lichen Abhandlungen,  II.  Band,  S.  953. 

5  Henle:  Handbuch  der  Anatomie  des  Menschen.  I.  3.  S.  106. 

^'  Brücke:  Vorlesungen  über  Physiologie.  S.  441.  Wien,  1875. 


Respiratorische  Function  der  Intercostalmuskeln.  425 

Im  Gegensatze  zu  diesen  Forschern  vertritt  wieder 
Hutchinson*  die  Ansicht  Hamberger's.  Von  den  neueren 
Forschem  schreibt  v.  Ebner*  den  Mm.  intercostales  externi 
eine  hebende  Wirkung  zu;  die  Frage  über  die  Wirkung  der 
Mm.  intercostales  intemi  lässt  er  offen. 

Landerer^  glaubt  hingegen  auf  Grund  seiner  Unter- 
suchungen, die  er  gleich  V.  Ebner  am  menschlichen  Cadaver 
angestellt  hatte,  den  Intercostalmuskeln  eine  Wirkung  nur  per 
accidens  zuschreiben  zu  können,  indem  diese  eine  ihnen 
übertragene  Bewegung  gleich  Bändern  fortzuleiten  im  Stande 
wären.  Während  der  Inspiration  hätten  demnach  die  gespannten 
Muskeln  den  auf  sie  von  den  höheren  Rippen  übertragenen 
Zug  auf  die  tieferen  fortzuleiten,  während  sie  die  Exspiration 
durch  Zurücktreten  aus  der  Spannung  in  die  Ruhelage  bewirken 
könnten.  Hermann  v.  Meyer*  nimmt  hebende  Wirkung  beider 
Muskelgruppen  an. 

Lukjanow^  untersuchte  an  Thieren  die  Veränderungen 
der  Intercostalräume  und  kam  zum  Schlüsse,  dass  die  Inter- 
costalmuskeln bei  der  Respiration  nicht  direct  betheiligt  sind, 
dass  sie  wahrscheinlich  nur  die  Function  haben,  die  ihnen 
Henle  und  Brücke  zuschreiben. 

Wenn  Fick*  sich  in  seiner  Schrift  gegen  diese  Ansicht 
wendet  und  mit  Entschiedenheit  die  Wirkung  der  Intercostal- 
muskeln schon  während   der  gewöhnlichen  Respiration    an- 


1  Hutchinson:  Todd:  Encyclopädia  of  Anatomy  and  Physiolog. 
Article  Thorax,  p.  1016. 

2  V.  Ebner:  Versuche  an  der  Leiche  über  die  Wirkung  der  Zwischen- 
rippenmuskeln  und  der  Rippenheber.  Arch.  f.  Anat.  und  Physiologie  lanat. 
Abtheilung)  1880,  S.  185. 

8  Landerer:  Über  die  Athembewegungen  des  Thorax.  Archiv  für  Anat. 
und  Physiologie  fanat.  Abtheilung;,  1881,  S.  272. 

•*  Meyer:  Der  Mechanismus  der  Rippen  mit  besonderer  Rücksicht  auf 
die  Frage  von  den  Intercostalmuskeln.  Arch.  für  Anat.  und  Physiol.  (anat. 
Abtheilung),  188d. 

^  Lukjanow:  Über  die  Veränderungen  der  Intercostalräume  bei  der 
Respiration,  als  Beitrag  zur  Lehre  von  der  Function  der  Intercostalmuskeln. 
Archiv  für  die  gesammte  Physiologie  XXX.  Band,  1 883,  S.  82. 

ß  Fick:  Einige  Bemerkungen  über  den  Mechanismus  der  Athmung ; 
Festschrift  des  Vereines  für  Naturkunde  zu  Cassel  1 88(5.  Separatabdruck. 


426  J.  Weidenfeld, 

nimmt,  so  stützt  er  diese  Annahme  wesentlich  auf  subjective 
Beobachtung,  deren  überzeugende  Kraft  doch  nur  für  den,  der 
sie  selbst  angestellt  hat,  eine  zwingende  sein  kann. 

Wie  die  Ansichten  über  die  Wirkung  dieser  Muskeln  ver- 
schiedenartig sind,  sind  es  auch  die  Methoden,  die  zur  Unter- 
suchung derselben  angewendet  wurden. 

Man  kann  im  Wesentlichen  vier  Methoden  unterscheiden. 
Die  erste  Methode  ist  die  theoretisch-mechanische,  wie  sie  von 
Bajle',  später  von  Hamberger*  und  in  neuerer  Zeit  von 
Budge^  und  Volkmann*  geübt  wurde.  Sie  besteht  darin, dass 
die  mechanischen  Gesetze  nach  Feststellung  der  Drehungsaxen 
auf  die  Rippenbewegung  angewendet  und  mit  Berücksichtigung 
dieser  die  Wirkungen  der  Intercostalmuskeln  bestimmt  werden. 
Diese  Methode  vermag  nach  meiner  Anschauung  wegen  des 
noch  nicht  ganz  aSifgeklärten  Mechanismus  des  Thorax,  was 
Drehungsaxen,  Befestigung  und  Biegsamkeit  der  Rippen  be- 
trifft, nur  unsichere  Resultate  zu  liefern. 

Die  zweite  Methode  ging  darauf  aus,  Mittel  zu  finden,  die 
Consequenzen  des  Hamberger*schen  Schemas  am  mensch- 
lichen Thorax  beweisen  oder  verwerfen  zu  können.  Die  meiste 

« 

Verbreitung  fand  sie  in  der  von  Sibson**^  und  Hutchinson* 
angewandten  Form,  den  Thorax  aufzublasen  und  so  die 
Inspirationsstellung  zu  erzeugen.  Der  Gedanke,  der  hierbei  ver- 
folgt wurde,  ist  folgender:  Wenn  durch  Contraction  der  Mm. 
intercostales  externi  eine  Hebung  stattfindet,  so  müssen  sich 
die  Intercostalräume  erweitern,  die  Ansatzpunkte  der  Intercost. 
externi  sich  nähern,  die  der  Intercost.  interni  von  einander  ent- 
fernen, und  ebenso  müssten,  wenn  diese  Muskeln  Inspiratoren 
sind,  dieselben  Erscheinungen  eintreten,  wenn  der  Thorax  auf 
irgend  eine  andere  Weise  in  eine  künstliche  Inspirationsstellung 
gebracht  wird.    Durch   Messungen  werden  die  Veränderungen 


»   Bajlu:  1.  c. 

-  Ha  mbcrgcr:  1.  c. 

'•  Budgc-  1.  c. 

•  Volkmann:  1.  c. 
'*  Sibson:  On  the  mechanism  of  rcspiration.  PhilosophicalTransactionö^ 
Vol.  H.    IS4B,  p.  501,  ref.  in  Müller's  Archiv  1847,  S.  97. 
'•  Hutchinson:  1.  c. 


Respiratorische  Function  der  Intercostalmuskeln.  427 

ZU  erkennen  gesucht,  v.  Ebner'  und  v.  Landerer*  benützten 
in  neuerer  Zeit  diese  Methode. 

Bei  einer  dritten  Methode  versuchte  man  durch  Beob- 
achtung am  lebenden  Körper  Einsicht  in  die  Wirkung  der 
beiden  Muskelgruppen  zu  gewinnen.  Es  dienten  hierbei  ent- 
weder Thierexperimente,  welche  aber,  abgesehen  von  der 
Schwierigkeit  der  exacten  Ausführung,  noch  den  Nachtheil 
haben,  dass  die  gewonnenen  Resultate  nicht  direct  auf  den 
Menschen  übertragen  werden  dürfen,  oder  Untersuchungen  am 
lebenden  Menschen.  Durch  elektrische  Reizung  wurden  die  zu 
untersuchenden  Muskeln  in  Contraction  versetzt  und  ihre 
Wirkungbeobachtet,  ein  Verfahren,  das  vornehmlich  Duchenne^ 
eingeführt  hatte. 

Endlich  viertens  kann  man  auch,  ausgehend  von  dem 
Gedanken,  dass  sich  bei  jeder  Contraction  doch  nur  die  Muskel- 
fasern zu  verkürzen  suchen  und  demnach  einen  Zug  in  der  Rich- 
tung ihres  Verlaufes  ausüben,  diesen  Muskelzug  am  Cadaver 
nachahmen,  und  den  Effect  derselben  direct  beobachten.  Diese 
letzte  Methode  ist  es  auch,  die  ich  auf  Rath  des  Herrn  Prof. 
Exner,  auf  dessen  Veranlassung  hin  ich  überhaupt  die  Unter- 
suchung dieses  Gegenstandes  in  Angriff  nahm,  einschlug.  Sie 
wurde  schon  von  Haller*  und  in  neuerer  Zeit  von  Ruther- 
ford ^  geübt. 

II.  Eigene  Untersuchungen. 

Ich  verfuhr  demnach  derart,  dass,  entsprechend  den  Inser- 
tionspunkten  einer  Faser  der  Intercostalmuskeln,  an  den  Rippen 
Befestigungspunkte  angebracht  wurden,  zwischen  denen  ein 
Zug  ausgeübt  werden  konnte,  der  die  beiden  Punkte  einander 
zu  nähern  suchte.  Ich  wählte  zur  Befestigung  Schrauben  von 


1  V.  Ebner:  1.  c. 

-  V.  Landerer:  1.  c. 

•*  Duchenne:  1.  c. 

^  Haller:  1.  c. 

''  Rutherford:  Noteon  the  action  of  the  internal  intercostal  muscles. 
Journal  of  Anatomy  and  Physiolog.  X,  608 — 610,  ref.  in  Jahresberichten  über 
Physiolog.   1876,  S.  82. 


428  J.  Weidenfeld, 

2  mm  Dicke  und  1  Vj — 2  cm  Länge ,  die  ich  an  einem  Ende 
zuspitzte,  am  andern  abrundete,  und  anstatt  der  von  anderen 
Autoren  gewählten  elastischen  Binden,  wählte  ich  als  Bänder 
aus  Zinkdraht  gemachte  Klammern.  Sie  bestehen  aus  je  einem 
Stück  Drahtes,  das  an  seinen  Enden  zu  einem  Ringelchen  ein- 
gebogen ist  und  haben  den  Vortheil,  nach  Belieben  leicht  ver- 
längert oder  verkürzt  werden  zu  können  (siehe  Fig.  1).  Die 
Löcher  für  die  Schrauben  bohrte  ich  mit  einem  Bohrer,  der 
einen  etwas  geringeren  Durchmesser  hatte,  als  die  Schrauben. 

Für  die  zwei  Intercostalmuskelgruppen  wurden  Schrauben 
aus  zwei  verschiedenen  Metallen  angewendet,  damit  während 
der  Manipulationen  keine  Verwechselung  eintreten  kann.  Die 
Schrauben,  die  den  Mm.  intercost.  externi  entsprachen,  waren 
aus  Eisendraht,  die  anderen  aus  gleich  dickem  Messingdraht. 
Sie  wurden  genau  nach  der  Richtung  einer  Faser  angeordnet. 
Damit  aber  doch  eine  grössere  Anzahl  von  Fasern  in  ihrer 
Thätigkeit  nachgeahmt  werde,  wurden,  entsprechend  einem 
Zwischenrippenraume,  an  zwei  bis  drei  Stellen  Klammem  an- 
gelegt, und  dieses  für  alle  Rippen  des  Thorax  in  der  Ausdehnung, 
in  welcher  die  betreffenden  Intercostalmuskeln  überhaupt  vor- 
handen sind,  ausgeführt.  Bekanntlich  fehlen  ja  die  äusseren 
Intercostalmuskeln  in  den  vorderen,  die  inneren  in  den  hinteren 
Antheilen  jedes  Intercostalraumes. 

Diese  Versuche  wurden  an  zwei  Brustkörben  angestellt; 
der  eine  war  der  eines  20jährigen  Mädchens,  der  andere 
der  eines  44jährigen  Mannes.  Die  Brustkörbe  waren  aller 
Weichtheile  entblösst;  der  Kopf  wurde  im  ersten  Halswirbel- 
gelenke abgenommen,  die  Wirbelsäule  im  Lendentheile  durch- 
trennt, die  Muskulatur  am  Thorax  abpräparirt,  so  dass  die 
hitercostalmuskeln  frei  dalagen. 

Beide  Brustkörbe  erwiesen  sich  als  für  unsere  Versuche 
sehr  geeignet;  die  Rippen  waren  leicht  beweglich  und  die 
Knorpeln  nicht  verknöchert,  nur  waren  beide,  ich  will  es  hier 
gleich  bemerken,  etwas  scoliotisch  nach  rechts  gekrümmt. 
Ausserdem  waren  die  unteren  sechs  Rippen  an  den  beiden 
Brustkörben  nicht  von  gleicher  Beschaffenheit.  Am  männlichen 
Thorax  waren  die  siebente,  achte,  neunte,  zehnte  Rippe  amphi- 
arthrotisch  mit  einander  verbunden,  am  weiblichen  war  zwischen 


Respiratorische  Function  der  Intercostalmuskeln.  429 

diesen  Rippen  keine  Verbindung,  vielmehr  konnten  sie  sich  an 
einander  verschieben.  Die  Schrauben  wurden  an  beiden  Brust- 
körben an  denselben  Stellen  angebracht.  Die  Conservirung  der 
Präparate  geschah  in  2^l^^l^\gQV  Carbolsäure. 

Für  die  Mm.  intercost.  extemi  wurden  in  der  Gegend  ihres 
vorderen  Randes  und  am  hinteren  Rande  2 — 3  cm  weit  von  der 
Wirbelsäule  entfernt  (das  obere  Ende  gerechnet),  Schrauben  an- 
gebracht, für  die  Mm.  interni  hinten,  wo  sie  endigen  und  vorne, 
wo  sie  eben  noch  von  den  Mm.  externi  bedeckt  werden.  Die  Mm. 
intercost.  externi  mussten  natürlich  stellenweise  aufpräparirt 
werden,  damit  die  Faserrichtung  der  Interni  übersehen  werden 
konnte.  Die  eingedrehten  Schrauben  sassen  fest  genug,  um 
oftmals  zum  Anbringen  der  Klammern  verwendet  zu  werden. 
Wenn  die  Wirkung  eines  Muskels  nachgeahmt  werden 
sollte,  so  wurden  um  die  Schrauben  die  Klammern  gelegt, 
welche  natürlich  kürzer  waren  als  der  Abstand  der  zwei 
Schrauben  von  einander.  Die  Verkürzung  betrug  in  allen  Ver- 
suchen fast  2  mm  und  sie  konnte  annäherungsweise  immer 
gleich  genommen  werden. 

Angelegt  wurden  die  Klammern  zuerst  vorne,  dann  hinten, 
wobei  sich  sogleich  zeigte,  dass  beide  Arten  in  demselben  Sinne 
die  Stellung  der  Rippen  beeinflussen.  Durch  das  nachträgliche 
Anlegen  der  hinteren  Klammern  wurden  oftmals  die  vorderen 
Schrauben  genähert  und  die  Klammern  fielen  herab  und 
mussten,  um  auch  weiter  einen  Zug  auszuüben,  verkürzt 
werden. 

In  der  ersten  Zeit  der  Versuche  diente  mir  als  ßefesti- 
gungsapparat  für  den  Thorax  ein  Brett,  welches,  am  Tische 
festgeschraubt,  zwei  Querhölzer  trug,  an  welchen  die  Wirbel- 
säule durch  Klammern  senkrecht  fixirt  wurde.  Später,  als  ich 
auch  die  Verschiebungen  der  Rippen  in  einer  anderen  Richtung 
Studiren  wollte,  wurde  der  Thorax  an  einer  hierzu  construirten 
Vorrichtung  befestigt.  Diese  bestand  aus  einer  dicken,  wenig 
federnden  Eisenstange  von  circa  2  m  Höhe,  welche  an  ihrem 
oberen  Theile  zwei  in  einem  der  Länge  des  Thorax  ent- 
sprechenden Abstände  angebrachte  Querhölzer  trug,  von  denen 
das  obere  weiter  vorne  stand,  als  das  untere.  Die  Stange  war 
entsprechend  der  Krümmung  der  Wirbelsäule  ausgebogen.  Die 


430  J.  Weidenfeld, 

Befestigung  des  Thorax  geschah,  indem  sowohl  an  der  Hals- 
als  auch  an  der  Lendenwirbelsäule  eine  passend  gebogene  Eisen- 
spange den  Thorax  an  beiden  Querhölzern  festklemmte  (siehe 
Fig.  1).  Die  ganze  Vorrichtung  war  um  eine  senkrechte  Axe 
drehbar,  und  zwar  befand  sich  am  Boden  ein  Lager,  worin  sich 
das  abgestumpfte  Ende  der  Stange  drehte  und  am  Tische  eine 
Führung,  welche  aus  zwei  Theilstücken  bestand,  die  einen 
runden  Canal  begrenzten,  worin  sich  die  genau  passende 
Stange  bewegte.  So  war  die  Drehung  der  Stange  correct  und 
diese  durch  Schrauben,  welche  die  beiden  Theile  der  Führung 
verbanden,  in  jeder  Lage  festzuhalten. 

Für  die  uns  interessirende  Frage  schien  es  in  erster  Linie 
von  Wichtigkeit  zu  entscheiden,  wie  verändert  sich  der  Thorax 
bei  der  Wirkung  der  einen  Art  und  wie  bei  der  Wirkung  der 
anderen  Art  von  Intercostalmuskeln  ?  Ob  sich  die  einzelnen 
Rippen  dabei  einander  nähern  oder  von  einander  sich  entfernen, 
worauf  so  viele  Messungen  früherer  Autoren  sich  bezogen, 
schien  zunächst  von  untergeordneter  Bedeutung.  Dass  die 
Änderung  des  Thorax,  soferne  sie  durch  Intercostalmuskeln 
bewirkt  wird,  wesentlich  auf  Hebung,  Senkung  und  Drehung 
der  Rippen  beruhen  musste,  ist  selbstverständlich,  und  damit 
diese  Bewegungen  in  normaler  Weise  erfolgen,  waren  an 
meinen  Präparaten  sämmtliche  Gelenke  vollkommen  intact 
gelassen. 

Zur  Beobachtung  dieser  Veränderungen  am  Thorax  be- 
diente ich  mich  eines  Visirapparates.  Er  besteht  aus  zwei  ganz 
gleichen  Holzrahmen  von  50  cm  Höhe  und  40  cnt  Breite, 
welche  hinter  einander  in  einer  Entfernung  von  40  cm  parallel 
aufgestellt  und  durch  Querleisten  starr  mit  einander  verbun- 
den sind.  In  jedem  dieser  Rahmen  sind  in  senkrechter  und 
horizontaler  Richtung  Fäden,  und  zwar  in  je  einem  Abstand  von 
1  cm  gespannt.  Zur  besseren  Orientirung  wurden  abwechselnd 
rothe,  weisse  und  grüne  Fäden  verwendet.  Selbstverständlich 
kamen  auch  die  Fäden  hintereinander  und  die  gleich  gefärbten 
in  derselben  horizontalen,  beziehungsweise  verticalen  Ebene 
zu  liegen.  Die  Fäden  bildeten  also  in  Form  und  Farbe  con- 
gruente  Netze  von  quadratischen  Maschen.  Visirt  man  durch 
zwei  congruente  Quadrate  oder  besser  Kreuzungspunkte  der 


Respiratorische  Function  der  Intercostalmuskeln.  431 

Fäden,  so  steht  die  Visirlinie  horizontal  und  sämmtliche  Visir- 
linien  laufen  parallel.  Hinter  diesem  Doppelnetz  ist  der  Thorax 
aufgestellt,  an  dem  einzelne  Punkte  (Marken)  gekennzeichnet 
wurden,  um  die  Veränderungen  seiner  Gestalt  durch  die  Lage- 
änderung jener  Marken  zu  bestimmen.  Als  solche  dienten 
Reissnägel,  die  in  Rippen  und  Sternum  eingestochen  und  deren 
Mittelpunkte  durch  je  einen  kleinen  farbigen  Fleck  kenntlich 
gemacht  waren. 

Bei  den  Bestimmungen  verfuhr  ich  in  folgender  Weise. 
Nachdem  der  Thorax  am  oben  beschriebenen  Stativ  befestigt 
war,  wurden  die  Lagen  der  Punkte  an  Rippen  und  Sternum 
durch  den  Visirapparat  bestimmt  und  auf  einer  Schablone  ver- 
zeichnet. Dieselbe  bestand  aus  einem  gezeichneten  Netz  ganz 
derselben  Art,  wie  das  Netz  des  Visirapparates.  Die  markirten 
Punkte  des  Thorax  wurden  dann  in  dieses  Netz  so  einge- 
zeichnet, wie  es  ihrer  Lage  im  Visirapparat  entsprach.  Die 
Marken  befanden  sich  an  den  vorderen  Enden  und  an  der  Mitte 
einer  jeden  Rippe,  also  in  einer  Linie,  welche  ungefähr  der 
mittleren  Axillarlinie  entsprechen  würde.  Auch  war  am  oberen 
und  unteren  Ende  des  Sternums  je  eine  Marke  angebracht. 

Bei  jeder  Beobachtung  konnte  natürlich  nur  die  Ver- 
schiebung der  Rippen  in  zwei  Raumrichtungen  bestimmt 
werden,  und  um  die  dritte  Richtung  zu  bestimmen,  musste  der 
Thorax  um  90**  gedreht  werden,  was  an  meiner  Vorrichtung 
leicht  möglich  war.  Im  letzteren  Falle  wurden  die  Stellungen 
der  in  der  Mitte  der  Rippen  angebrachten  Marken  bestimmt. 
Um  auch  die  Lage  des  Sternums  im  Profil  zu  bestimmen, 
mussten  rechtwinkelig  gebogene  Nägel  in  dasselbe  eingebohrt 
werden,  welche  an  ihrem  Kopfe  ebenfalls  gefärbt  waren,  weil 
die  vorderen  Marken  von  der  Seite  nicht  gesehen  werden 
konnten. 

Es  waren  also  zur  näheren  Bestimmung  der  Lage  einer 
Rippe  zwei  Ablesungen  nöthig,  und  zwar  eine  von  vorne  und 
eine  im  Profil.  Waren  die  Marken  einzeln  visirt  und  auf  der 
Schablone  verzeichnet,  so  wurden  dann  alle  einer  Art  von  Inter- 
costalmuskeln entsprechenden  Klammem  angelegt  und  aber- 
mals durchvisirt.  Oder  ich  machte  zuerst  die  Ablesung  bei 
angelegten  Klammern,  und  nachher  die  in  der  Ruhelage.  Der 


432  J.  Weidenfeld, 

Übersichtlichkeit  der  Resultate  wegen  verzeichnete  ich  beide 
Ablesungen  auf  eine  Schablone.  Dabei  war  es  nöthig,  dass  die 
fixen  Punkte  des  Thorax  vor  und  nach  der  Manipulation  mit 
den  Klammern  wieder  genau  dieselbe  Lage  hatten.  Dies  war 
leicht  zu  erreichen,  indem  zwei  an  Hals-  und  Lendenwirbel- 
säule angebrachte  Marken  wieder  genau  in  ihre  ursprüngliche 
Lage  gegenüber  dem  Visirapparate  gebracht  wurden. 

Die  nachfolgenden  Versuche  sind  aus  einer  Anzahl  gleicher 
Versuche  herausgenommen  und  als  Paradigmata  aufgestellt. 
Ich  will  nur  noch  bemerken,  dass  die  Versuche  zuerst  am 
Mädchen-  und  dann  am  Männerthorax  angestellt  wurden,  dass 
aber  die  Resultate  an  beiden  so  ähnlich  sind,  dass  ich  mir 
erlaube,  die  vom  Männerthorax  allein  zu  verzeichnen.  Dort, 
wo  sich  doch  Unterschiede  finden,  werde  ich  nicht  unterlassen, 
sie  anzuführen. 

I.  Versuch.  Der  Thorax  wird  bei  entsprechend  den  Mm. 
intercost.  interni  angelegten  Klammern  durchvisirt.  Die 
Klammern  werden  hierauf  entfernt  und  der  Thorax  jetzt  in 
dieser  Stellung  beobachtet. 

Auf  Fig.  1  ist  der  Thorax  im  Zustande  der  durch  die 
Musculi  interni  bewirkten  Contraction  in  die  Schablone  hinein- 
gezeichnet. Die  späteren  Figuren  stellen  nur  die  Schablone  mit 
den  den  Marken  der  Rippen  und  des  Sternums  entsprechenden 
Punkten  dar.  Da  alle  Versuche  (mitAusnahme  des  III.  Versuches) 
dieselbe  Anordnung  haben,  so  hatte  ich  auch  für  alle  Figuren 
dieselben  Bezeichnungen  für  analoge  Zustände  gewählt.  Es 
bezeichnet  überall  (ausgenommen  Fig.  5[']),  die  in  die  normale 
Lage  zurückgekehrte  Marke  nach  Entfernung  der  Klammem; 
durch  A  und  B  wurde  die  obere  und  untere  Sternummarke 
bezeichnet.  Die  Zahlen,  die  sich  bei  den  Marken  an  allen 
Schablonen  (mit  Ausnahme  von  Fig.  1 ,  wo  sie  mir  über- 
tlüssig  erschienen)  befinden,  entsprechen  den  Nummern  der 
Rippen. 

Fig.  2  gibt  die  Ansicht  von  der  Seite  wieder. 

II.  Versuch.  Dieselbe  Anordnung.  Die  Klammern  werden 
aber  entsprechend  den  Mm.  intercost.  externi  angelegt  (siehe 
Fig.  3  und  4).  Fig.  3  gibt  die  Resultate  von  vorne,  Fig.  4  von 
der  Seite  gesehen  wieder. 


Respiratorische  Function  der  Intercostalmuskeln.  433 

Diese  vier  Figuren  zeigen  auf  den  ersten  Blick,  dass  durch 
Wirkung  der  Mm.  intercost.  interni  eine  Senkung,  durch  die 
Wirkung  der  externi  eine  Hebung  des  ganzen  Thorax  zustande 
kommt.  Auch  die  erste  Rippe  wird  gehoben  und  gesenkt. 
Hall  er*  und  seine  Anhänger  nahmen  die  erste  Rippe  als  fix 
an,  wodurch  Ersterer  seiner  Theorie  eine  unumstössliche  Basis 
zu  geben  glaubte. 

Dieser  Versuch  beweist  das  Gegentheil.  Wir  werden  aber 
später  an  einem  anderen  Versuch  sehen,  dass  die  Verhältnisse, 
wenn  selbst  die  erste  Rippe  so  gut  als  möglich  fixirt  ist,  nicht 
geändert  werden.  Ich  will  hier  noch  hinzufügen,  dass  am 
Mädchenthorax  für  die  oberen  sieben  Rippen  gleiche  Resultate 
sich  ergaben;  für  die  unteren  Rippen  fand  durch  beide  Inter- 
costalmuskelarten  eine  Hebung  statt.  Das  Sternum  wurde  aber 
analog  den  obigen  Versuchen  in  einem  Falle  gehoben,  im 
anderen  gesenkt  Es  mag  der  Grund  für  diese  Verschiedenheit 
in  dem  Geschlechte  zu  suchen  sein.* 

Durch  die  Hebung  der  Rippen  wird  aber  infolge  ihrer 
Gestalt  und  Befestigung,  wie  allgemein  anerkannt,  der  Thorax- 
raum erweitert,  durch  Senkung  verkleinert. 

Eine  Verschiebung  des  Rippenpunktes  nach  vorne  oder 
nach  hinten  würde  eine  Vergrössenmg  oder  Verkleinerung  des 
Thorax  im  antero-posterioren  Durchmesser  ausdrücken;  die 
Verschiebung  des  Rippenpunktes  nach  aussen  oder  innen 
würde  eine  Vergrösserung  oder  Verkleinerung  des  Thorax  im 
Durchmesser  von  rechts  nach  links  ausdrücken. 

Um  die  Veränderungen  des  Thorax  im  antero-posterioren 
Durchmesser  zu  beobachten,  musste  der  Thorax  von  der  Seite 
durchvisirt  werden. 

Die  Versuche,  die  ich  über  diesen  Punkt  angestellt  habe, 
ergaben   die   erste  Zeit  hindurch   höchst  mangelhafte  und  oft 


I  Haller:  1.  c. 

-  Obgleich  Tschaussow  (zur  Frage  über  die  Sternocostalgelenke  und 
den  Respirationstypus.  Anatomischer  Anzeiger  1891,  S.  512)  fand,  dass  die 
Entwickelung  der  Sternocostalgelenke  und  die  Erscheinungen  an  den  vorderen 
Rippenenden  in  keiner  Weise  klar  darauf  hinweisen,  dass  irgend  welcher 
Unterschied  im  Respirationstypus  für  Männer  oder  Frauen  existire,  so  zeigt 
doch  mein  Fall  oben  er\vähnten  nicht  unwesentlichen  Unterschied. 
Sitzb.  d.  malhem.-naturw.  Gl.;  CI.  Bd.,  Ahth.  III  30 


434  J.  Weidenfeld, 

widersprechende  Resultate.  Der  Grund  lag  in  einigen  Unvoll- 
kommenheiten  der  Methode  selbst.  Wenn  nämlich  die  eine 
Seite  des  Thorax  mit  Klammern  versehen  wurde,  die  etwas 
stärker  angezogen  waren,  als  die  der  anderen  Seite,  so  entstand 
eine  asj^mmetrische  Verschiebung  des  Thorax,  welche  sich 
natürlich  an  den  Ortsänderungen  der  Sternal-Marken  äussern 
musste.  Um  diesem  Umstände  abzuhelfen,  musste  die  Möglich- 
keit einer  Bewegung  des  Sternums  nach  rechts  oder  links 
genommen  werden.  Dieses  wurde  durch  folgende  Vorrichtung 
erzielt. 

Zwei  sehr  dicke,  nicht  leicht  biegsame  Eisenstäbe  wurden 
(siehe  Fig.  1)  am  oberen  und  unteren  Ende  des  Sternums  durch 
Schrauben  befestigt.  Am  unteren  und  oberen  Querholz  wurden 
zwei  Brettchen  angebracht,  welche  einen  Ausschnitt  hatten 
von  der  Breite  des  Durchmessers  der  Stäbe.  In  diesen  Aus- 
schnitt passten  die  Stäbe  hinein,  konnten  dabei  sich  nach  oben 
und  unten,  nach  vorne  und  rückwärts  frei  bewegen,  von  rechts 
nach  links  war  ihnen  hierdurch  die  freie  Beweglichkeit 
genommen,  somit  auch  dem  Sternum. 

Die  genannten  Figuren  1  — 4  sind  bei  derartiger  Führung 
des  Sternums  gewonnen. 

Das  Sternum  wird  durch  Action  der  Externi  (Fig.  4)  nach 
vorne  gestossen,  durch  die  der  Interni  (Fig.  2)  nach  rückwärts, 
was  den  Bewegungen  des  Sternums  beim  normalen  Athmen 
entspricht.  Hierbei  wird  das  untere  Ende  des  Sternums  in  der 
Regel  mehr  vorgestossen  als  das  obere,  was  gerade  bei  dem 
Versuch  dieser  Tafel  nicht  der  Fall  war,  in  der  Mehrzahl  der 
Messungen  aber  verzeichnet  worden  ist. 

Was  vom  Sternum  gilt,  gilt  auch  von  den  Rippen.  Die 
Mm.  intercost.  interni  bewegen  wenigstens  die  oberen  acht 
Rippen  nach  rückwärts,  und  die  Mm.  intercost.  externi  alle 
nach  vorne  (Fig.  2  und  4). 

Gerade  das  Gegentheil  behauptet  H.  v.  Meyer.^  Übrigens 
zeigt  auch  der  Anblick  des  Thorax  vor  und  nach  dem  Anlegen 
der  Klammern,  dass  die  Mm.  intercost.  externi  den  Thoraxraum 
von  vorn  nach   hinten   erweitern,   also   die  Rippen  nach  vorne 

1    M  e  V  e  r :  1.  c. 


Respiratorische  Function  der  Intercostalmuükeln.  435 

schieben,  die  Mm.  intercost.  interni  den  Thorax  abflachen,  also 
die  Rippen  nach  rückwärts  schieben,  wobei  die  anguli  der 
Rippen  spitzer  werden. 

Über  die  Bewegung  der  Rippen  nach  aussen  oder  nach 
innen  geben  die  Figuren  1  und  3  Aufschluss.  Es  bewegen  sich 
die  Rippen  beim  Heben,  also  beim  Wirken  der  Externi  nach 
aussen  und  umgekehrt  beim  Senken  nach  innen,  und  zwar 
werden  die  oberen  Rippen  weniger  nach  aussen  oder  innen 
bewegt  als  die  unteren. 

In   ganz  ähnlicher  Weise  wie  sich   die  Verhältnisse  bei 
dieser   Versuchsanordnung   gestalteten,   wo    die  Wirbelsäule 
befestigt  wurde  und  das  Sternum  frei  hing,  gestalteten  sie  sich, 
wenn    man   umgekehrt  das  Sternum  fixirt  und  die  Wirbelsäule 
frei  hängen  Hess.  Zu  diesem  Behufe  wurde  das  Sternum  an  einer 
Stange    befestigt,    welche   am    Stativ   festgeschraubt   werden 
konnte.  Die  Wirbelsäule  kam  dabei  senkrecht  zu  stehen.  Durch 
diese  umgekehrte  Anordnung  machten  sich   auch   die  umge- 
kehrten Wirkungen  der  Intercostalmuskeln  geltend.   Die  Mm. 
interni   hoben   nun  sehr  stark  die  Wirbelsäule  und  zogen  sie 
nach   vorne;  die  Mm.  externi  senkten  sie,  wenn  auch  wenig, 
und  schoben  sie  nach  rückwärts.  Der  geringere  Effect  beruht 
offenbar  darauf,  dass  das  bedeutende  Gewicht  die  Wirbelsäule 
soweit  gesenkt  hatte,  dass  sie  durch  die  Mm.  externi  nicht 
mehr  viel  tiefer  gesenkt  werden  konnte,  denn  wenn  man  die 
Stange,  die  mit  dem  Sternum  verbunden  war,  in  horizontaler 
Lage  befestigte,  so  zeigte  sich  ein  grösserer  Ausschlag. 

Wenn  man  einen  Blick  auf  die  gewonnenen  Resultate 
wirft,  so  wird  man  sich  leicht  von  der  vollständig  antagonisti- 
schen Wirkung  beider  Muskelgruppen  überzeugen  und 
Meinungen,  welche  manche  Autoren  vertreten  haben,  fallen 
lassen  müssen. 

Ludwig!  glaubt  auch  eine  Simultanwirkung  leugnen  zu 
müssen,  weil  durch  die  Contraction  beider  Muskelgruppen  keine 
Wirkung  zu  Stande  kommen  könnte.  Borelli,*  H  aller**  u.  A. 


1  Ludwig:   Lehrbuch  der  Physiologie.  II.  Hand.  S.  4S2,   1S61 

2  BoreUi:  1.  c. 
•T  Haller:  1.  c. 


436  J.  VVeidenfeld, 

hingegen  nehmen  mit  Beslimmtheit  eine  Simultanwirkung  an. 
Es  war  also  der  Versuch  zu  wagen,  ob  nicht  doch  bei  Wir- 
kung beider  Muskelgruppen  irgend  eine  combinirte  Bewegung 
resultirt. 

Dieser  Versuch  wurde  ausgeführt,  und  zwar  in  folgender 
Weise  : 

Versuch  III.  Der  Thorax  des  Mädchens  wird  in  normalem 
Zustande  durchvisirt.  Hierauf  werden  die  den  Mm.  intercost. 
interni  entsprechenden  Klammern  angelegt  und  die  Veränderung 
durch  Visirung  bestimmt,  worauf  weiterhin  die  denMm.  externi 
entsprechenden  Klammern  angelegt  werden. 

Fig.  5  gibt  die  Resultate  wieder.  Hier  zeigen  die  unbe- 
zeichneten  Punkte  die  Normalstellung  an;  die  mit  (')  bezeich- 
neten Punkte  geben  die  Stellung  der  Rippen  nach  Anlegung 
der  Klammern  im  Sinne  der  Mm.  interni,  die  mit  ('0  bezeich- 
neten Punkte  die  Stellung  der  Rippen  nach  Anlegen  der 
Klammern  im  Sinne  der  Mm.  externi  an.  Die  anderen  Bezeich- 
nungen blieben  dieselben.  Es  ist  hier  nur  die  Vorderansicht 
aufgenommen. 

Ganz  zweifellos  tritt  hier  wieder  der  Antagonismus  beider 
Intercostalmuskelgruppen  hervor.-  Die  durch  die  Mm.  interni 
gesenkten  Rippen  werden  wieder  durch  die  Mm.  externi  ge- 
hoben, und  zwar  an  einigen  Rippen  bis  zur  Norm,  an  anderen 
bis  unter  die  Norm  oder  etwas  über  dieselbe,  je  nachdem  hier 
die  Klammern  stärker  spannten  oder  weniger.  An  den  fünf 
unteren  Rippen  zeigt  sich  eine  gleichsinnige  Wirkung,  wie 
nach  der  oben  angeführten  Eigenthümlichkeit  dieses  Thorax 
zu  erwarten  war,  indem  an  diesen  auch  die  Mm.  interni  hebend 
wirken.  Wurden  die  Klammern  in  der  umgekehrten  Reihen- 
folge angelegt,  so  erhielt  ich  dasselbe  Ergebniss. 

Daraus  folgt,  dass  die  Mm.  interni  und  Mm.  externi  für  die 
oberen  Rippen  Antagonisten  sind. 

Versuch  IV.  Die  Hai  1er 'sehe  Theorie  beruht  auf  der 
Annahme  der  Fixation  der  ersten  Rippe.  Dieselbe  soll  durch 
die  Verbindung  mit  dem  Sternum  und  durch  die  mit  Bändern 
und  Muskeln  unbeweglich  sein.  Da  aber  bei  den  bisherigen 
Versuchsanordnungen  die  erste  Rippe  ohne  derartige  Befesti- 
gung   war,    so    musste    sie    zur   Prüfung   der   Haller'schen 


Respiratorische  Function  der  Intercostalmuskeln.  43/ 

Ansicht  fixirt  werden.  Aber  nicht  nur  sie,  sondern  auch  das 
Manubrium  sterni  wurde  fixirt,  um  die  Wirkung  der  gespannten 
Sternocleidomastoidei  nachzuahmen.  Es  geschah  auf  folgende 
Weise: 

Ich  glaubte  die  natürlichen  Verhältnisse  in  übertriebenem 
Masse  dadurch  herzustellen,  dass  ich  vor  der  Wirbelsäule,  in 
der  Höhe  des  Atlas  eine  sagittal  gestellte  starke  Eisenstange 
fixirte,  von  der  aus  theils  Drähte,  theils  eiserne  Kettchen  in  der 
Richtung  der  Mm.  sternocleidomastoidei  und  der  musculi  scaleni 
zum  Sternum  und  zu  den  Rippen  verliefen.  Dieselben  wurden 
kräftig  angespannt.  Da  sie  schief  von  oben  nach  vorne  und 
unten,  sowie  nach  seitwärts  und  unten  verliefen,  so  war  eine 
Senkung  des  Sternums  oder  der  ersten  Rippe  nur  möglich  bei 
einer  Näherung  derselben  an  die  Wirbelsäule,  also  einer  Ab- 
flachung des  Thorax. 

Wenn  nun  die  Action  der  Mm.  interni  nachgeahmt  wurde, 
so  war  in  der  That  zu  bemerken,  dass  ausser  allen  anderen 
Rippen  auch  die  erste  Rippe  und  das  Sternum  gesenkt  wurden 
(Fig.  6  und  7).  Bei  mehrmaliger  Untersuchung  hatte  ich  das- 
selbe Resultat  zu  verzeichnen. 

Versuch  V.  Etwas  anders  gestalteten  sich  die  Ver- 
hältnisse bei  der  Action  der  Mm.  externi.  Die  erste  Rippe  und  das 
Manubrium  sterni  blieb  fast  an  ihrem  Orte,  weil  sie  offenbar 
schon  durch  jene  Zugvorrichtung  ad  maximum  gehoben  waren. 
Fig.  8  und  9  zeigen  die  Ergebnisse  dieser  Versuche.  Bei  den- 
selben findet  sich  ausser  den  schon  oft  gebrauchten  Bezeich- 
nungen auch  je  eine  mit  zwei  Strichen  versehene  Marke.  Die- 
selbe bedeutet  die  Stellung  nach  Abkneipen  der  die  oberste 
Rippe  und  das  Manubrium  sterni  feststellenden  Drähte. 

Darnach  ist  Haller 's  Ansicht,  dass  diePixirung  der  ersten 
Rippe  einen  bestimmenden  Einfluss  auf  die  Wirkung  der 
Musculi  interni  hat,  als  unstichhältig  zu  betrachten. 

Trotz  dieser  Resultate  könnte  immer  noch  der  directe 
Nachweis  wünschenswerth  erscheinen,  dass  die  Bewegungen 
der  Rippen,  welche  die  Intercostalmuskeln  bewirken,  eine 
Raumvergrösserung,  also  eine  Inspiration,  respective  eine  Ver- 
engerung oder  Exspiration  erzeugen.  Um  diese  Frage  ent- 
scheidend beantworten   zu  können,  musste   an  einem  Thorax, 


438  J    Weidenfeld, 

an  welchem  die  Lungen  erhalten  sind,  durch  ähnliche  Nach- 
ahmung des  Muskelzuges  direct  eine  Inspiration  oder  Exspira- 
tion hervorgerufen  werden  können,  d.  h.  es  mussten  die  Lungen 
Luft  aspiriren,  wenn  die  Mm.  externi  wirken  und  Luft  exspiriren, 
wenn  die  Mm.  interni  wirken.  Gelänge  es,  dies  zu  zeigen,  so 
dürfte  weiter  kein  Zweifel  über  die  Wirkung  der  Intercostal- 
muskeln  sein.  Dieser  Versuch  scheint  in  solcher  Art  bis  jetzt 
von  Niemandem  ausgeführt  worden  zu  sein. 

Ich  ging  also  darauf  aus,  analoge  Versuche  wie  die  be- 
schriebenen an  einem  Thorax  mit  erhaltenen  Lungen  durchzu- 
führen. Es  musste  nur  die  Vorsicht  gebraucht  werden,  die 
Schrauben  zwar  fest,  aber  nicht  so  tief  einzubohren,  dass  die 
Pleura  verletzt  werde. 

Auch  hier  wurden  Schrauben  von  derselben  Grösse  ver- 
wendet. Nur  wurde  für  sie  ein  kaum  2  mm  tiefes  Loch  gebohrt, 
somit  die  Rippe  nicht  in  ihrer  ganzen  Dicke  durchlöchert.  An 
den  Schrauben  wurden  von  aussen  her  noch  Muttern  von 
dünnem  Messingblech  angebracht.  Diese  gewährten  den 
doppelten  Vortheil,  die  schon  in  den  Rippen  festsitzenden 
Schrauben  noch  fester  zu  machen  und  als  Merkmal  für  die 
Länge  des  versenkten  Schraubenendes  zu  dienen.  Die  Schrauben 
hatten  natürlich  kein  zugespitztes  Ende. 

Der  Thorax,  den  ich  für  diese  Versuche  verwendete,  war 
der  eines  58jährigen  Mannes,  der  an  Typhus  gestorben  war 
und  muthmasslich  gesunde  Lungen  hatte.  Er  wurde,  wie  die 
früher  gebrauchten  Brustkörbe,  aus  seiner  Verbindung  mit  dem 
Kopfe  im  Atlasgelenke  und  aus  der  mit  dem  Becken  durch 
Durchtrennung  der  Lendenwirbelsäule  gelöst.  Die  Baucheinge- 
weide wurden  mit  aller  Schonung  des  Zwerchfells  entfernt, 
ebenso  alle  Muskulatur  am  Rumpfe  bis  auf  die  Intercostales. 
Die  Haut  und  die  Weichtheile  aber  am  Halse,  ebenso  am  ersten 
Intertfostalraum  wurden,  sowie  auch  die  Clavicula,  welche 
natürlich  von  der  Scapula  losgelöst  war,  geschont.  Um  den 
Thorax  so  viel  als  möglich  vor  Verwesung  zu  schützen,  wurde 
von  der  Vena  cava  aus  durch  ihn  eine  5^/^^ige  Carbolsäure- 
lösung  gespült.  Im  Übrigen  ward  so  rasch  präparirt,  dass  ich 
am  Tage  nach  dem  Empfang  der  Leiche  den  nachstehenden 
Versuch  anstellen  konnte. 


Respiratorische  Function  der  Intercostalmuskeln.  439 

Trotz  des  Alters  des  Mannes  erwies  sich  der  Thorax  zu 
den  Versuchen  sehr  geeignet.  Die  Rippen  waren,  obgleich 
dünn,  doch  sehr  beweglich.  Der  Thorax  selbst  war  nicht  ganz 
symmetrisch  gestaltet  und  kurz.  Wegen  des  geringen  Dicken- 
durchmessers der  Rippen  wurden  die  Schrauben  nur  an  der 
2. — 11.  (exl.)  Rippe  angebracht.  Die  Schrauben  entsprachen 
ungefähr  den  Fasern  aus  der  Mitte  eines  Intercostalmuskels. 
Die  künstliche  Verkürzung  dieser  Faser  wurde  ganz  wie  bei  den 
früheren  Versuchen  durch  Zinkdrahtklammern   bewerkstelligt. 

Zuerst  war  aus  Misstrauen  gegen  die  Festigkeit  der 
Schrauben  die  Verkürzung  nur  äusserst  gering  gewählt;  in 
späteren  Versuchen  wurde  sie  etwas  stärker  genommen.  Der 
Thorax  lag  bei  diesen  Versuchen  frei  mit  dem  Rücken  auf  dem 
Tisch  und  es  wurde  Vorsicht  angewendet,  ihn  bei  den  Mani- 
pulationen nicht  aus  der  Ruhelage  zu  bringen,  da  Änderung 
der  Lage  die  Resultate  hätte  trüben  können. 

Als  Messapparat  diente  mir  ein  Wassermanometer,  welches 
durch  einen  Schlauch  mit  der  Trachea  verbunden  war.  Wie  in 
den  früheren  Versuchen  wurden  auch  hier  zuerst  die  Klammern 
angelegt  und  dann  die  Verbindung  der  Trachea  mit  dem  Mano- 
meter hergestellt,  dasselbe  abgelesen,  und  nun  vorsichtig  die 
Klammern  entfernt. 

Versuch  VI.  Es  wurden  die  Klammern  für  die  Mm.  interni 
angelegt.  Nach  Verbindung  mit  dem  Manometer  wurde  vor- 
sichtig eine  Klammer  nach  der  andern  gelöst,  wobei  sich  eine 
Druckerniedrigung  im  Sinne  einer  Aspiration  zeigte,  die  nach 
Abnahme  der  letzten  Klammer  22  mtn  Wasserdruck  betrug. 

In  einem  späteren  Versuche,  bei  dem  die  Klammern 
stärker  angezogen  wurden,  zeigte  das  Manometer  einen  Aus- 
schlag von  27  mm.  Diese  Resultate  genügen,  um  die  Richtig- 
keit der  an  den  früheren  Brustkörben  gefundenen  Resultate 
und  die  exspiratorische  Wirkung  der  Mm.  intercostales  interni 
zu  erhärten. 

Versuch  VII.  Die  Klammern  wurden  im  Sinne  der  Externi 
angelegt.  Nach  Verbindung  der  Trachea  mit  dem  Manometer 
wurden  die  Klammem  vorsichtig  gelöst,  wobei  sich  eine  Druck- 
erhöhung im  Sinne  einer  Exspiration  zeigte,  die  16w;>«  Wasser- 
druck betrug.  Hiernach  sind  die  Mm.  externi  Inspiratoren 


440  J.  Wcidenfeld, 

Der  geringe  Ausschlag  darf  nicht  die  Meinung  veranlassen, 
dass  die  Intercostalmuskeln  nur  eine  geringe  Wirkung  auszu- 
üben vermögen.  Schon  die  Thatsache,  dass  in  diesen  Ver- 
suchen nur  an  einer  Stelle  die  Thätigkeit  der  Muskeln  imitirt 
wurde,  lässt  einen  geringen  Effect  erwarten. 

Übrigens  ist  die  Kraft,  mit  der  die  Summe  der  angelegten 
Spangen  den  Thorax  in  seiner  Gestalt  veränderte,  gar  nicht 
gering.  Um  einen  gleichen  Ausschlag,  wie  ihn  die  Lösung  der 
Klammern  für  die  Mm.  externi  erzeugte,  hervorzurufen,  musste 
ein  Gewicht  von  über  2  kg  auf  das  Sternum  gelegt  werden. 
Dabei  war  es  nicht  ganz  gleichgiltig,  wie  die  Gewichte  auf  dem 
Sternum  vertheilt  waren. 

Es  war  weiters  interessant  zu  untersuchen,  wie  sich  der 
Ausschlag  des  Manometers,  der  durch  die  Nachahmung  der 
Contraction  der  Mm.  intercostales  gewonnen  wird,  zu  dem  Aus- 
schlag verhält,  welcher  durch  Zug  des  Sternums  nach  unten 
oder  nach  oben  gewonnen  wird. 

Zu  diesem  Zwecke  befestigte  ich  den  Thorax  an  dem  oben 
beschriebenen  Stative,  brachte  am  oberen  und  unteren  Ende  des 
Sternums  eine  Schraube,  an  welcher  ein  Ring  befestigt  war,  an,  an 
welchem  dann  Gewichte  aufgehängt  wurden.  Diese  sollten  den 
durch  die  Lösung  der  Klammern  gewonnenen  Ausschlag  com- 
pensiren.  Um  einen  Zug  nach  oben  durch  Gewichte  auszu- 
führen, mussten  diese  an  einerSchnur,  welche  von  der  Schraube 
am  oberen  Ende  des  Sternums  über  eine  Rolle  ging,  aufgehängt 
werden 

Versuch  VI  IL  Thorax  am  Stativ  befestigt.  Es  wurden 
die  Klammern  im  Sinne  der  Interni  angelegt.  Nach  Verbindung 
mit  dem  Manometer  und  nachträglicher  Abnahme  der  Klammem 
zeigte  das  Manometer  analog  den  früheren  Versuchen  eine 
Druckänderung  im  Sinne  einer  Aspiration  von  28  mm  Wasser- 
druck. Es  wurden  nun  am  unteren  Sternumende  Gewichte  auf- 
gehängt, welche  diesen  Ausschlag  compensiren  sollten.  10^^ 
erwiesen  sich  als  nöthig,  um  das  Manometer  auf  den  Nullpunkt 
zurückzubringen. 

Versuch  IX.  F!s  wurde  nun  die  Gegenprobe  gemacht, 
indem  am  oberen  Sternumende,  nachdem  vorher  das  Nano- 
meter  auf  den  Nullpunkt  gebracht  wurde,  Gewichte  aufgeliängt, 


Respiratorische  Function  der  Intercostalmuskeln.  44 1 

welche  dieselbe  Druckerniedrigung  erzeugen  sollten,  wie  sie 
früher  die  gespannten  Klammern  erzeugten.  Dasselbe  Gewicht 
(10  kg)  war  hierzu  erforderlich. 

Versuch  X.  Dieser  Versuch  wurde  ähnlich  wie  der 
frühere  ausgeführt,  nur  dass  hier  die  Klammern  im  Sinne  der 
Mm.  externi  angelegt  waren.  Um  hier  die  sich  am  Manometer 
zeigende  Druckerhöhung  von  12  mm  Wasserdruck  im  Sinne 
einer  Exspiration  zu  compensiren,  musste  ein  Zug  am  oberen 
Sternumende  von  4  kg  ausgeübt  werden.  Um  dieselbe  Druck- 
höhe an  dem  auf  den  Nullpunkt  zurückgeführten  Manometer 
zu  erzeugen,  musste  dasselbe  Gewicht  am  unteren  Sternum- 
ende angebracht  werden. 


Alle  diese  Versuche  ergaben  also  das  Resultat,  dass  die 
Mm.  intercostales  externi  als  Inspirationsmuskeln,  die  Inter- 
costales  interni  als  Exspirationsmuskeln  wirken  können.  Dass 
sie  als  solche  thatsächlich  wirken,  wird  kaum  bezweifelt  werden 
können,  wenn  man  bedenkt,  dass  wenigstens  unter  gewissen 
Verhältnissen  alle  Muskeln  des  Thorax,  deren  anatomische 
Anordnung  es  erlaubt,  zu  den  Respirationsbewegungen  heran- 
gezogen werden. 

Die  Kraft,  mit  der  sie  wirken,  darf  mit  Rücksicht  auf  ihren 
grossen  physiologischen  Querschnitt,  nicht  unterschätzt  werden; 
anderseits  wird  man  freilich  nicht  daran  zweifeln  können,  dass 
sie,  wie  alle  bekannten  Respirationsmuskeln,  auch  noch  anderen 
Functionen  dienen,  z.  B.  der  Drehung  des  Thorax  um  eine  ver- 
ticale  Axe  und  dergleichen.  Es  scheint  auch  durchaus  nicht 
ausgeschlossen,  dass  sie  unter  gewissen  Verhältnissen  gleich- 
zeitig in  Contraction  gerathen,  sei  es  zur  Feststellung  des 
Thorax,  sei  es  um  der  Pleura  costalis  oder  um  einem  von 
aussen  wirkenden  Zug  oder  Druck  als  feste  Unterlage  zu 
dienen. 

Wenn  ich  nun  auch  erwiesen  zu  haben  glaube,  dass  die 
Innervation  der  Mm.  intercost.  externi  eine  inspiratorische,  die 
der  Mm.  intercost.  interni  eine  exspiratorische  Thoraxbevvegung 
erzeugen  muss,  so  bleibt  doch  noch  die  Controverse  über  die 
Frage  bestehen,  ob   und  unter  welchen   Verhältnissen   diese 


1 


442   J.  W  e  i  d  e  n  l'e  1  d ,  Respiratorische  Function  der  Intercostalmuskeln. 

Muskeln  bei  der  Athmung  wirklich  innervirt  werden.  Es  wäi 
ja  immerhin  noch  möglich,  dass  dieselben,  wenn  sie  z.  B.  bi 
gewissen  Körperstellungen  in  Action  treten,  die  Gestalt  d( 
Thorax  verändern,  und  dieser  nun  während  der  ganzen  Dau( 
der  neuen  Stellung  und  unabhängig  von  dieser  seine  Athei 
bewegungen  fortsetzt. 

Studien    über    die  Frage,    ob    und    unter   welchen  V( 
hältnissen  die  Intercostalmuskeln  bei   der  Athmung  innervii 
werden,  sollen  den  Inhalt  einer  zweiten  Abhandlung  bilden. 


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SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


MATHEMATISCH  -NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CI.  BAND.  VII.  HEFT. 


ABTHEILUNG  111. 

ENTHALT   DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM   GEBIETE  DER  ANATOMIE  UND 
PHYSIOLOGIE  DES  MENSCHEN  UND  DER  THIERE,   SOWIE  AUS  JENEM  DER 

THEORETISCHEN  MEDICIN. 


^ 


445 


XVI.  SITZUNG  VOM  7.  JULI   1892. 


Der  Secretär  legt  das  erschienene  Heft  V  (Mai  1892) 
des  13.  Bandes  der  Monatshefte  für  Chemie  vor. 

Das  w.  M.  Herr  Hotrath  L.  K.  Schmarda  übersendet  eine 
Abhandlung  des  Dr.  Alfred  Nalepa,  Professor  an  der  k.  k. 
Lehrerbildungsanstalt  in  Linz,  unter  dem  Titel:  »Neue  Arten 
der  Gattung  Phytoptits  Duj.  und  Cecidophyes  Nal.« 

Das  w.  M.  Herr  Oberbergrath  E.  v.  Mojsisovics  übergibt 
ein  Schreiben  von  Dr.  C.  Diener  ddo.  Munshiari  (Kumaon) 
4.  Juni  1892,  welches  einen  weiteren  kurzen  Bericht  über  dessen 
geologische  Forschungsreise  nach  dem  centralen  Himalaya 
enthält. 

Der  Secretär  legt  ein  versiegeltes  Schreiben  behufs 
Wahrung  der  Priorität  von  Herrn  I.  E.  Pfiel,  Chemiker  in  Wien, 
vor,  welches  angeblich  die  Beschreibung  der  Art  und 
Erzeugung  eines  neuen  Düngmittels  mit  besonderer 
Empfehlung  desselben  zur  Anwendung  gegen  die 
Reblaus  enthält. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  A.  Kerner  v.  Marilaun  über- 
reicht eine  Abhandlung  von  Dr.  Karl  Fritsch:  Ȇber  einige 
südwestasiatische  Prumis-Avien  des  Wiener  botani- 
schen Gartens«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Ad.  Lieben  überreicht  eine  in  seinem 
Laboratorium  ausgeführte  Arbeit  von  Dr.  K.  Natterer,  betitelt: 
»Chemische  Untersuchungen  im  östlichen  Mittelmeer« 
(IL  Abhandlung),  als  Ergebniss  der  im  Sommer  1891  auf  S.  M. 
Schiff  »Pola«  vorgenommenen  zweiten  Tietsee-Expedition  in 
der  Umgebung  von  Kreta. 


446 


Herr  Dr.  Richard  R.  v.  Wettstein,  Privatdocent  an  der 
k.  k.  Universität  in  Wien,  überreicht  eine  Abhandlung  mit  dem 
Titel:  »Die  fossile  Flora  der  Höttinger  Breccie«,  in  der 
er  die  Resultate  seiner  in  den  letzten  fünf  Jahren,  zunn  Theii 
mitSubventionirun^  der  kaiserlichen  Akademie,  durchgeführten 
Untersuchung  dieser  Ablagerung  niederlegt. 


Selbständige  Werke  oder  neue,  der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

Documents  relatifs  ä  TUnification  de  THeure  et  ä  la 
legalisation  du  nouveau  mode  de  mesurer  le  temps. 
Imprimes  par  ordre  du  Parlement.  Ottawa,  1891;  8". 

Lepsius,  R.,  Geologie  von  Deutschland  und  den  angrenzenden 
Gebieten.  Handbücher  zur  deutschen  Landes-  und  Volks- 
kunde. Bd.  I.  (Mit  1  geolog.  Karte,  1  Profil-Tafel  und 
130  Textfiguren).  Stuttgart,  1892;  8®. 


447 


XVII.  SITZUNG  VOM   14.  JULI   1892. 


Der  Secretär  legt  das  erschienene  Heft  III  und  IV  (März 
und  April  1892),  Abtheilung  I,  ferner  das  Heft  IV  und  V  (April 
und  Mai  1892),  Abtheilung  II.  b,  des  101.  Bandes  der  Sitzungs- 
berichte vor. 

Das  Präsidium  der  k.  böhmischen  Kaiser  Fr  anzJosef- 
Akademie  der  Wissenschaften,  Literatur  und  Kunst 
inPrag  übermittelt  die  aus  Anlass  derGründung  dieser  Akademie 
geprägte  Gedenkmedaille. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  L.  Pfaundler  übersendet  eine  Arbeit 
aus  dem  physikalischen  Institute  der  k.  k.  Universität  in  Graz 
von  Prof.  Dr.  I.  Klemencic  und  Dr.  Paul  Czermak,  betitelt: 
»Versuche  über  die  Interferenz  elektrischer  Wellen 
in  der  Luft«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  J.  Wiesner  übergibt  eine  Abhandlung: 
»Untersuchungen  über  den  Einfluss  der  Lage  auf 
die  Gestalt  der  Pflanzenorgane.  Erste  Abhandlung:  Die 
Anisomorphie  der  Pflanzen«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Ad.  Lieben  überreicht  eine  in 
seinem  Laboratorium  ausgeführte  Arbeit  des  Herrn  Dr.  Titus 
Schindler:  »Über  die  Einwirkung  von  Schwefelsäure 
auf  ß-Trimeth^Mäthylidenmilchsäure«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  E.  Weyr  überreicht  eine  Abhandlung 
des  Prof.  J.  Tesar  an  der  k.  k.  deutschen  Staatsgewerbeschule 
in  Brunn:  Ȇber  ein  Paar  unicursaler  Degenerirungs- 
Curven  dritter  Ordnung  des  Normalen-Problems  und 
das  Normalen-Problem  einer  confocalen  Kegelschnitt- 
schaar«. 


448 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Sigmund  Exner  überreicht  eine  im 
physiologischen  Institute  der  k.  k.  Universität  in  Wien  aus- 
geführte Untersuchung  von  stud.  med.  J.  Weidenfeld,  betitelt; 
'^Versuche  über  die  respiratorische  Function  der 
Intercostalmuskeln.  I.  Abhandlung.  Der  Einfluss  der 
fntercostalmuskeln   auf  die  Capacität   des  Thorax*. 

Herr  Prof.  Sigmund  Exner  überreicht  ferner  eine  Abhand- 
lung von  Dr.  L.  Rerhi  in  VV'ien:  *Über  die  Nervenwurzeln 
der  Rachen-  und  Gaumenmuskeln«. 

Herr  Dr.  Jos.  Schaffer,  Privatdocent  und  Assistent  am 
Histologischen  Institute  der  k.  k.  Universität  in  Wien,  theilt  kurz 
als  histologisches  Novum  das  Vorkommen  von  Drüsen  im 
menschlichen  Nebenhoden  mit. 


449 


XVIII.  SITZUNG  VOM  21.  JULI  1892. 


Der  Secretär  legt  das  erschienene  Heft  III — V  (März — Mai 
1892)  des  101.  Bandes  derAbtheilung  III  der  Sitzungsberichte, 
ferner  das  Heft  VI  (Juni  1892)  des  13.  Bandes  der  Monatshefte 
für  Chemie  vor. 

.  Das  w.  M.  Herr  Prof.  L.  Pfaundler  übersendet  eine  vor- 
läufige Mittheilung  aus  dem  physikalischen  Institute  der  k.  k. 
Universität  in  Graz,  in  welcher  Herr  Dr.  H.  Luggin  über  Ver- 
suche, welche  sich  auf  das  Potential  von  Metallen  im 
ersten  Augenblick  der  Berührung  mit  einem  Elektro- 
lyten beziehen,  berichtet 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  L.  Gegenbauer  in  Innsbruck  über- 
sendet eine  Abhandlung:  Ȇber  die  aus  den  vierten  Ein- 
heitswurzeln gebildeten  primären  ganzen  complexen 
Zahlen«. 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  H.  Weidel  übersendet  folgende  zwei 
Arbeiten  aus  dem  I.  chemischen  Laboratorium  der  k.  k.  Uni- 
versität in  Wien: 

1.  >Über  die  Esterificirung  der  Opiansäure«,  von 
Dr.  R.  Wegscheider. 

2.  »Über  die  Zersetzung  der  Chinolinsäure  durch 
nascirenden  Wasserstoff«,  von  A.  Perlmutter. 

Der  Secretär  legt  folgende  eingesendete  Abhandlungen 
vor: 

1.  »Über  die  Änderung  der  Capillaritätsconstanten 
des  Quecksilbers  mit  der  Temperatur«,  von  Dr. 
Gustav  Jäger  in  Wien. 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  CI.;  CI.  Bd.,  Abth.  III.  31 


450 


2.  »Vorläufiger  Bericht  über  die  Dendroiden  des 
böhmischen  Silurs«,  von  Dr.  A.  J.  Jahn,  d.  Z.  in 
Pardubitz  (Böhmen). 

Das  w.  M.  Herr  Oberbergrath  E.  v.  Mojsisovics  übergibt 
ein  Schreiben  von  Dr.  C.  L.  Griesbach  aus  Milam,  Camp 
via  Almora  (Kumaon),  vom  13.  Juni  1892,  welches  weitere 
Mittheilungen  über  dessen  geologische  Forschungsreise  nach 
dem  centralen  Himalaya  berichtet. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Director  F.  Steindachner  über- 
reicht eine  Abhandlung:  Ȇber  zwei  noch  unbeschriebene 
Nototrema- Arten  aus  Ecuador  und  Bolivia«. 

Herr  Hofrath  Steindachner  legt  ferner  eine  Abhandlung 
des  Herrn  Karl  Koelbel:  »Ein  neuer  ostasiatischer  Fluss- 
krebs« vor. 

Das  w.  M.  Herr  Director  E.  Weiss  überreicht  eine  Ab- 
handlung vom  Herrn  k.  u.  k.  Oberstlieutenant  H.  Hartl: 
»Bestimmung  von  Polhöhe  und  Azimuth  auf  der  Stern- 
warte in  Athen«. 

Herr  Director  E.  Weiss  überreicht  ferner  eine  von  ihm 
ausgeführte  Untersuchung  über  die  systematischen  Diffe- 
renzen einiger  südlicher  Sternkataloge,  deren  gegen- 
seitiges Verhalten  noch  nicht  näher  bekannt  war. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Ad.  Lieben  überreicht  zwei  Ab- 
handlungen aus  dem  chemischen  Institute  der  Universität  Graz: 

1.  »Über  Umwandlungen  des  Cinchonins«,  von  Dr. 
Gustav  Pum. 

2.  »Die  Einwirkung  von  Jodwasserstoffsäure  auf 
Cinchonidin«,  von  Dr.  Georg  Neumann. 

Ferner  überreicht  Herr  Prof.  Ad.  Lieben  folgende  vier 
von  Prof.  Dr.  Guido  Goldschmiedt  eingesendete  Abhand- 
lungen aus  dem  chemischen  Laboratorium  der  deutschen  Uni- 
versität in  Prag: 

1.  »Über  das  Laudanin«,  von  Guido  Goldschmiedt 

2.  »ZurKenntniss'der  Papaverin säure«,  von  G.  Gold- 
schmiedt und  F.  Schranzhofer. 


451 

3.  »Über  das  Mekoninmethylphenylketon«,von  Franz 
V.  Hemmelmeyr. 

4.  »Eine  neue  Synthese  der  Isoäpfelsäure«,  von 
Dr.  Karl  Brunn  er,  Privatdocent  an  der  k.  k.  deutschen 
Universität. 

Herr  W.  Mey erhoffer  überreicht  eine  Arbeit  aus  dem 
II.  chennischen  Laboratorium  der  k.  k.  Universität  in  Wien,  be- 
titelt: Ȇber  ein  neues  Doppelsalz  und  seine  Existenz- 
bedingungen«. 


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SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFIEN. 


MATHEMATISCH  -NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CI.  BAND.  VIII.  HEFT. 


ABTHEILUNG  III. 

ENTHALT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  ANATOMIE  UND 
PHYSIOLOGIE  DES  MENSCHEN  UND  DER  THIERE,  SOWIE  AUS  JENEM  DER 

THEORETISCHEN  MEDICIN. 


1 


455 


XIX.  SITZUNG  VOM  6.  OCTOBER  1892. 


Herr  Vicepräsident  Hofrath  Dr.  J.  Stefan  führt  den 
Vorsitz  und  begrüsst  die  Mitglieder  der  Classe  bei  Wieder- 
aufnahme der  akademischen  Sitzungen. 

Hierauf  gedenkt  der  Vorsitzende  des  Verlustes,  welchen 
die  Akademie  und  speciell  diese  Classe  durch  das  am  30.  August 
1.  J.  erfolgte  Ableben  des  wirklichen  Mitgliedes  Herrn  Hofrath 
und  emerit.  Professor  Dr.  Anton  Win  ekler  erlitten  hat. 

Die  anwesenden  Mitglieder  geben  ihrem  Beileide  über 
diesen  Verlust  durch  Erheben  von  den  Sitzen  Ausdruck. 

Der  Secretär  legt  die  im  Laufe  der  Ferien  erschienenen 
akademischen  Publicationen  vor,  und  zwar: 

Den  42.  Jahrgang  des  A 1  m  a  n  a  c  h  der  kaiserlichen 
Akademie  für  das  Jahr  1891 ;  ferner  von  den 

Sitzungsberichten  der  Classe,  Jahrgang  1892,  Bd.  101: 
Abtheilung  I,  Heft  V— VI  (Mai— Juni);  Abtheilung  II.  a,  Heft 
IV— V  (April— Mai)  und  Heft  VI  (Juni);  Abtheilung  II.  b,  Heft 
VI — VII  (Juni— Juli);  dann  das  Register  zu  den  Bänden  97 
bis  100  der  Sitzungsberichte  und  die 

Monatshefte  für  Chemie,  Jahrgang  1892,  Bd.  13: 
Heft  VII  (Juli)  und  VIII  (August);  ferner  den  eben  erschienenen 
ersten  Band  (Jahrgang  1880)  dieser  Publication,  von  welcher 
eine  Neuauflage  der  ersten  sechs  Bände  durch  anastatisches 
Verfahren  bei  der  Buchhandlungsfirma  Mayer  &  Müller  in 
Berlin  veranstaltet  wurde. 

32* 


456 

Für  die  Wahl  zu  inländischen  correspondirenden  Mit- 
gliedern sprechen  ihren  Dank  aus  die  Herren  Prof.  Dr.  Zd.  H. 
Skraup  in  Graz  und  Prof.  Dr.  Friedrich  Becke  in  Prag. 

Herr  Prof.  Dr.  Ludwig  v.  Graf f  in  Graz  dankt  für  die  ihm 
zu  einer  zoologischen  Forschungsreise  nach  den  Tropen 
behufs  Vollendung  des  II.  Bandes  seiner  Monographie  der 
Turbellarien  bewilligte  Subvention. 

Das  k.  k.  Ackerbau- Ministerium  übermittelt  ein 
Exemplar  der  im  Auftrage  desselben  herausgegebenen  Publi- 
cation:  »Montan-geologische  Beschreibung  des  Pfi- 
bramer  Bergbau-Terrains  und  der  Verhältnisse  in 
der  Grube  nach  dem  gegenwärtigen  Stande  des  Auf- 
schlusses in  diesem  Terrain«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  C.  Claus  überreicht  die  Fort- 
setzung des  von  ihm  herausgegebenen  Werkes:  »Arbeiten 
aus  dem  zoologischen  Institute  der  k.  k.  Universität 
in  Wien  und  der  zoologischen  Station  in  Triest«, 
Bd.  X,  Heft  I. 

Das  w.  M.  Herr  Regierungsrath  Prof.  E.  Mach  in  Prag 
übersendet  eine  Abhandlung,  betitelt:  »Ergänzungen  zu 
den  Mittheilungen  über  Projectile«. 

Die  Herren  Oberlehrer  J.  Elster  und  H.  Geitel  vom 
herzogl.  braunschweigischen  Gymnasium  zu  Wolfenbüttel 
übersenden  eine  Abhandlung,  betitelt:  »Elmsfeuerbeobach- 
tungen auf  dem  Sonnblick«. 

DerSecretär  legt  folgende  eingesendete  Abhandlungen 
vor: 

1.  »Über  chemische  Äquivalenz«,   von  P.  C.  Puschl, 
Stiftscapitular  in  Seitenstetten. 

2.  »Das  periodische  Gesetz«,  von  Dr.  G.  C.  Schmidt  in 
Eberswalde  (Preussen). 

Ferner  legt  der  Secretär  ein  versiegeltes  Schreiben  behufs 
Wahrung  der  Priorität  von  Dr.  Fritz  Obermayer  in  Wien  vor, 


457 


welches  die  Aufschrift  führt:    »Chemische  Studien  über 
Eiweiss«. 

Herr  Prof.  Dr.  L.  Weinek,  Director  der  k.  k.  Sternwarte 
in  Prag,  übermittelt  als  Fortsetzung  seiner  photographischen 
Mondarbeiten  eine  Copie  der  20  fach  vergrösserten  Zeichnung 
der  Mondwallebene  »Vendelinus*. 

Herr  Dr.  Alfred  Nalepa,  Professor  an  der  k.  k.  Lehrer- 
bildungsanstalt in  Linz,  übersendet  eine  vorläufige  Mittheilung 
über  »Neue  Gallmilben«  (5.  Fortsetzung). 

Der  Secretär  berichtet,  dass  die  diesjährige  wissenschaft- 
liche Expedition  S.  M.  Schiffes  »Pola«  am  16.  August  den 
Centralhafen  von  Pola  verlassen  hat  und  bringt  die  bis  jetzt 
vom  Commando  des  Expeditions-Schiffes  im  Wege  der  hohen 
Marine-Section  an  die  kaiserl.  Akademie  gelangten  tele- 
graphischen Mittheilungen  zur  Kenntniss. 

Zugleich  theilt  der  Secretär  ein  Schreiben  des  Leiters 
der  wissenschaftlichen  Arbeiten  der  Expedition,  Herrn  Hofrath 
Director  F.  Steindachner,  ddo.  Port  Said;  6.  September  mit, 
welches  mit  einem  vorläufigen  Bericht  von  dem  Mitgliede  des 
wissenschaftlichen  Stabes,  Herrn  Prof.  J.  Luksch,  ddo.  Alexan- 
drien,  30.  August  eingelangt  ist. 

Weiter  theilt  der  Secretär  die  ihm  neuerlich  zuge- 
kommenen Berichte  des  Herrn  Dr.  C.  Diener  über  die  geolo- 
gische Expedition  in  den  Himalaya,  sowie  den  Inhalt  eines  an 
das  w.  M.  Herrn  Oberbergrath  E.  v.  Mojsisovics  gelangten 
hierauf  bezüglichen  Schreibens  des  Dr.  Diener  im  Auszuge  mit. 


Selbständige  Werke  oder  neue,  der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

K.  k.  Ackerbau  -  Ministerium,  Montan  -  geologische  Be- 
schreibung des  Pribramer  Bergbau-Terrains  und  der  Ver- 
hältnisse in  der  Grube  nach  dem  gegenwärtigen  Stande 


458 

des  Aufschlusses  in  diesem  Terrain.  Herausgegeben  im 
Auftrage  dieses  Ministeriums  von  der  k.  k.  Bergdirection  in 
Pfibram.  Redigirt  vom  k.  k.  Oberbergrathe  Wilhelm  Göbl. 
{Mit  1  Karte  und  9  Tafeln.)  Wien,  1892;  4<». 
Technische  Hochschule  in  Karlsruhe,  Festschrift  zum 
Jubiläum  der  vierzigjährigen  Regierung  Seiner  königlichen 
Hoheit  des  Grossherzogs  Friedrich  von  Baden. 
Karlsruhe,  1892;  4«. 


459 


XX.  SITZUNG  VOM  13.  OCTOBER  1892. 


Der  Vorsitzende  theilt  mit,  dass  der  Herr  Secretär 
verhindert  ist  in  der  heutigen  Sitzung  zu  erscheinen  und 
begrüsst  hierauf  das  neu  eingetretene  Mitglied  Herrn  Prof.  Dr. 
Gustav  V.  Escherich  im  Namen  der  Classe. 

Die  Herren  Regierungsrath  Prof.  Dr.  F.  Mertens  in  Graz 
und  Prof.  Dr.  A.  Weichselbaum  in  Wien  danken  für  ihre 
Wahl  zu  inländischen  correspondirenden  Mitgliedern. 

Das  w.  M.  Herr  Oberbergrath  Dr.  E.  v.  Mojsisovics  über- 
sendet für  die  Sitzungsberichte  eine  Mittheilung  über:  »Die 
Hallstätter  Entwicklung  der  Trias«. 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  Franz  Exner  in  Wien  übersendet 
eine  Abhandlung,  betitelt:  »Elektrochemische  Unter- 
suchungen«. (III.  Mittheilung.) 

Herr  Prof.  Dr.  Ph.  Knoll  in  Prag  übersendet  eine  Abhand- 
lung: »Zur  Lehre  von  den  doppelt  schräg  gestreiften 
Muskelfasern«. 

Vom  Commando  S.  M.  Schiffes  »Pola«  sind  zwei  weitere 
Telegramme  im  Wege  der  h.  Marine-Section  des  k.  u.  k.  Reichs- 
Kriegs-Ministeriums  eingelangt,  und  zwar: 

Nr.  8.  Rhodus,  8.  October:  Morgen  Abfahrt  nach  Syra 
behufs  Kohleneinschiffung. 

Nr.  9.  Syra,  10.  October:  Abfahrt  Dienstag  nach  Corfu. 


460 

Der  k.  u.  k.  Oberst  Herr  Ludwig  Roskiewicz,  d.  Z.  in 
Wien,  übersendet  eine  versiegelte  Rolle  behufs  Wahrung  der 
Priorität,  mit  der  Aufschrift:  »Studie  über  Bergwesen«. 
(Mit  12  Special-  und  2  Generalkarten-Blättern.) 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  J.  Wiesner  überreicht  eine  Ab- 
handlung des  Herrn  Prof.  Dr.  G.  Haberlandt  in  Graz,  betitelt: 
»Anatomisch  -  physiologische  Untersuchungen  über 
das  tropische  Laubblatt.  I.  Abhandlung:  Über  die 
Transpiration  einiger  Tropenpflanzen«. 


461 


XXI.  SITZUNG  VOM  20.  OCTOBER  1892. 


Der  Secretär  legt  das  erschienene  Heft  VII  (Juli  1892) 
des  101.  Bandes  der  Abtheilung  I  der  Sitzungsberichte  vor. 

Der  a.  o.  Gesandte  und  bevollmächtigte  Minister  der  Schweiz 
am  k.  u.  k.  Hofe  in  Wien,  Herr  A.  O.  Aepli,  übermittelt  im  Auf- 
trage seiner  Regierung  die  von  derselben  herausgegebene 
Publication:  »Die  Neuenburgischen  Marine-Chronometer, 
beobachtet  und  prämiirt  auf  der  Neuenburger  Sternwarte«. 

Vom  Commando  S.  M.  Schiffes  »Pola«  ist  eine  tele- 
graphische Nachricht  ddo.  Corfu  14.  October  eingelaufen,  welche 
lautet:  Tiefseearbeiten  beendet,  Abfahrt  Mittwoch. 

Herr  Prof.  J.  Luksch  an  der  k.  u.  k.  Marine-Akademie  in 
Fiume  und  Mitglied  der  Tiefsee -Expedition  übersendet  aus 
Corfu  einen  vorläufigen  Bericht  über  die  Resultate  der  auf  der 
dritten  Reise  S.  M.  Schiffes  »Pola«  im  Sommer  1892  im  öst- 
lichen Mittelmeere  zwischen  dem  Meridian  von  Rhodus  bis 
zur  syrischen  Küste  ausgeführten  physikalisch-oceano- 
graphischen  Arbeiten. 

Herr  Dr.  H.  Malfatti,  Privatdocent  an  der  k.  k.  Universität 
zu  Innsbruck,  übersendet  eine  im  Laboratorium  für  angew. 
medicin.  Chemie  an  dieser  Universität  ausgeführte  Arbeit,  be- 
titelt: »Einige  Versuche  über  die  Zersetzbarkeit  von 
Salzlösungen  durch  Capillarwirkung«. 

Der  Secretär  legt  eine  von  Herrn  Johann  Kämpf,  Lehrer 
in  Werlsberg  (bei  Joachimsthal),  eingesendete  Abhandlung  vor, 
welche  betitelt  ist:  »Einheit  der  Naturkraft  oder  Wärme 
als  alleinherrschende  Macht  im  Weltall«. 


462 

Ferner  theilt  der  Secretär  ein  ihm  neuerlich  zugekom- 
menes Schreiben  des  Herrn  Dr.  C.  Diener,  ddo.  Joshimath 
(Gurwhal),  19.  September  1892,  über  die  geologische  Expedition 
in  den  Himalaya  mit. 

Das  w.  M.  Herr  Oberbergrath  Dr.  v.  Mojsisovics  theilt 
ebenfalls  ein  Schreiben  des  Herrn  Dr.  Carl  Diener  vom  selben 
Tag  und  Ort  mit. 

Herr  Dr.  Gottlieb  Adler,  Privatdocent  an  der  k.  k.  Uni- 
versität in  Wien,  überreicht  eine  Abhandlung:  »Über  die  an 
Eisenkörpern  im  Magnetfelde  wirksamen  Oberflächen- 
spannungen«. 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEME  DER  WISSENSCHAfTEN. 


MATHEMATISCH  -NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CI.  BAND.  IX.  HEFT. 


ABTHEILUNG  III. 

ENTHÄLT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  ANATOMIE  UND 
PHYSIOLOGIE  DES  MENSCHEN  UND  DER  THIERE,  SOWIE  AUS  JENEM  DER 

THEORETISCHEN  MEDICIN. 


mt- 


465 


XXII.  SITZUNG  VOM  3.  NOVEMBER  1892. 


Die  Nachricht  von  dem  am  24.  October  1.  J.  erfolgten  Ab- 
leben des  wirklichen  Mitgliedes  Herrn  Prof.  Dr.  Anton  Gindely 
in  Prag  wurde  in  der  Gesammtsitzung  der  kaiserl.  Akademie 
vom  27.  October  1.  J.  zur  Kenntniss  genommen  und  das  Beileid 
über  diesen  Verlust  von  der  Versammlung  zum  Ausdruck 
gebracht. 

Herr  Prof.  Dr.  Ph.  Knoll  in  Prag  übersendet  eine  Abhand- 
lung: »Zur  Lehre  von  den  Structur-  und  Zuckungs- 
verschiedenheiten der  Muskelfasern«. 

Der  Secretär  legt  eine  im  anatomischen  Institute  der 
k.  k.  Universität  in  Graz  von  Herrn  stud.  med.  Meinhard 
Pfaundler  ausgeführte  Arbeit  vor,  betitelt:  »Zur  Anatomie 
der  Nebenniere«. 

Ferner  legt  der  Secretär  eine  Arbeit  aus  dem  physika- 
lischen Institute  der  k.  k.  Universität  in  Wien  von  dem  Privat- 
docenten  Herrn  Dr.  Gustav  Jäger:  »Über  die  Art  der  Kräfte, 
welche  Gasmolekeln  auf  einander  ausüben«,  vor. 

Herr  Stefan  Heinrich,  Ingenieur  in  Wien,  übermittelt 
behufs  Wahrung  der  Priorität  ein  versiegeltes  Schreiben  mit  der 
Aufschrift:  »Kräfte  im  Räume«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  V.  v.  Lang  überreicht  eine 
Abhandlung  des  Herrn  Prof.  Dr.  J.  M.  Eder,  Director  der  k.  k. 
Lehr-  und  Versuchsanstalt  für  Photographie  und  Reproductions- 
verfahren  in  Wien:  Ȇber  das  sichtbare  und  ultraviolette 
Emissions-Spectrum  der  Ammoniak-Oxygen-Flamme 
(Ammoniak -Spectrum)«. 


466 

Herr  Dr.  Eduard  Mahl  er  überreicht  eine  Abhandlung 
unter  dem  Titel:  »Der  Kalender  der  Babylonier«  (II.  Mit- 
theilung). 


Selbständige  Werke  oder  neue,  der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

Bergbohm,  J.,  Entwurf  einer  neuen  Integralrechnung  auf 
Grund  der  Potential-,  Logarithmal-  und  Numeralrechnung. 
Die  rationalen  algebraischen  und  die  goniometrischen 
Integrale.  Leipzig,  1892;  8". 

Fl  et  eher,  L.,  M.  A.,  F.  R.  S.,  The  Optica!  Indicatrix  and  the 
transmission  of  light  in  crystals.  London,  1892;  8®. 

Publicationen  für  internationale  Erdmessung,  astrono- 
mische Arbeiten  des  k.  k.  Gradmessungs-Bureau,  aus- 
geführt unter  Leitung  des  Hofrathes  Theodor  v.  Oppolzer; 
nach  dessen  Tode  herausgegeben  von  Prof.  Dr.  Edmund 
Weiss  und  Dr.  Robert  Schräm.  IV.  Band.  Längen- 
messungen. Wien,  1892;  4®. 

Wilhelm  Weber's  Werke,  herausgegeben  von  der  königlichen 
Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Göttingen.  L  Band: 
Akustik,  Mechanik,  Optik  und  Wärmelehre  (mit  dem  Bild- 
nisse Wilhelm  Webers  und  13  Tafeln),  besorgt  durch 
Waldemar  Voi  gt.  —  II.  Band:  Magnetismus  (mit  10  Tafeln), 
besorgt  durch  Eduard  Rietke.  Berlin  1892;  8®. 


467 


XXIII.  SITZUNG  VOM  10.  NOVEMBER  1892. 


Der  Secretär  legt  das  erschienene  Heft  VI — VII  (Juni  und 
Juli  1892)  des  101.  Bandes  der  Abtheilung  III  der  Sitzungs- 
berichte vor. 

Die  Naturforschende  Gesellschaft  in  Danzig  ladet 
die  kaiserliche  Akademie  zur  Theilnahme  an  der  Feier  ihres 
150jährigen  Stiftungsfestes  am  2.  und  3.  Jänner  1893  ein. 

Der  Secretär  berichtet,  dass  die  wissenschaftliche 
Expedition  S.  M.  Schiffes  »Pola«  von  ihrer  diesjährigen 
III.  Forschungsreise  im  östlichen  Mittelmeere  zurückgekehrt 
und  das  Expeditionsschiff  am  22.  October,  7  Uhr  früh  im  Central- 
hafen  von  Pola  eingelaufen  ist. 

Ferner  legt  der  Secretär  eine  Abhandlung  von  Prof. 
Dr.  O.  Tumlirz  an  der  k.  k.  Universität  in  Czernowitz  vor, 
betitelt:  »Die  Dichte  der  Erde,  berechnet  aus  der 
Schwerebeschleunigung  und  der  Abplattung«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  V.  v.  Lang  überreicht  eine 
Mittheilung  des  Herrn  Ingenieurs  Victor  Schumann  in  Leipzig 
über  eine  neue  ultraviolett  empfindliche  Platte  und 
die  Photographie  der  Lichtstrahlen  kleinster  Wellen- 
längen. 

Herr  stud.  phil.  Thaddäus  Garbowski  in  Wien  überreicht 
eine  Abhandlung,  betitelt:   »Materialien  zu  einer  Lepido- 


468 

pterenfauna    Galiziens,    nebst    systematischen    und 
biologischen  Beiträgen«. 

Herr  Dr.  A.  Kr  ei  dl,  Assistent  am  physiologischen  Institut 
der  k.  k.  Universität  in  Wien,  überreicht  eine  Abhandlung  be- 
titelt: »Weitere  Beiträge  zur  Physiologie  des  Ohr- 
labyrinthes« (I.  Mittheilung). 


^ 


4t)9 


Weitere  Beiträge  zur  Physiologie  des  Ohr- 
labyrinthes 

I.  Mittheilung.) 

Versuche  an  Fischen 

von 

Dr.  Alois  Kreidl, 

--1.  .s/.s/t/i/i«  iini  fhysioloiiischen  Institute  der  k.  k.  Universität  in  Wien. 

I.  Einleitung. 

WenigeMonate, nachdem  ich*  meine  »Beiträge  zur Physio- 
logie  des  Ohrlabyrinthes  auf  Cirund  von  Versuchen  an  Taub- 
stummen« veröffentlicht  hatte,  bot  sich  mir  die  Gelegenheit, 
Dank  der  Unterstützung,  die  mir  von  Seite  der  hohen  kais. 
Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien  zu  Theil  wurde,  dieses 
Thema  in  vergleichend -physiologischem  Sinne  von  Neuem, 
diesmal  an  der  zoologischen  Station   in  Neapel,  aufzunehmen. 

Ich  habe  mich  bei  diesen  Untersuchungen  vorwiegend  mit 
der  Frage  von  der  physiologischen  Function  der  Otolithen- 
organe  bei  wirbellosen  Thieren  beschäftigt;  da  mir  in  der 
zoologischen  Station,  bei  dem  reichen  Material,  das  zur  Ver- 
fügung gestellt  wird,  die  Möglichkeit  geboten  wurde,  an  Fischen 
dasselbe  Thema  in  Angriff  zu  nehmen,  so  habe  ich  diese  in 
den  Rahmen  meiner  Untersuchungen  mit  einbezogen,  umso- 
mehr.  als  diese  P>age  noch  immer  Gegenstand  einer  Contro- 
verse  ist. 


J   A.  Kreidl,  Beiträge   zur  Physiologie   des   Ohrlabyrinthes   auf  (irund 
v.n  Versuchen  an  Taubstummen.  (Pflüger's  Archiv  LI.  Hd.  S.  119.) 
Sitzb.  d.  mathem.-naiiirw.  Tl.:  ci.  ijj.,  Abth.  III.  '^^'^ 


470  A.  Kreidl, 

Die  Veröffentlichung  der  von  mir  an  Wirbellosen  ausge- 
führten Experimente  hat  sich  jedoch  (infolge  der  nöthig  gewor- 
denen genaueren  histologischen  Untersuchung  der  Versuchs- 
objecte)  in  unfreiwilliger  Weise  verzögert,  und  ich  sehe  mich 
daher  veranlasst,  vorläufig  über  jene  Resultate  zu  berichten,  die 
ich  an  Haifischen  gewonnen  habe. 

Ehe  ich  an  die  Besprechung  dieser  Untersuchungen  gehe, 
erfülle  ich  eine  angenehme  Pflicht,  einer  hohen  kais.  Akademie 
der  Wissenschaften,  sowie  den  Herren  der  zoologischen  Station 
zu  Neapel  an  dieser  Stelle  meinen  wärmsten  Dank   zu  sagen. 

2.  Zerstörung  des  Labyrinthes  an  Haifischen. 

Es  lag  ziemlich  nahe,  die  Fische  überhaupt,  die  bekannt- 
lich keine  Schnecke,  wohl  aber,  mit  geringen  Ausnahmen, 
wohlausgebildete  Bogengänge  und  Otolithenorgane  besitzen, 
zu  Versuchen  über  die  physiologische  Function  von  Bogen- 
gang- und  Otolithenapparat  heranzuziehen. 

A.  Tommaszewicz  *  berichtet  bereits  über  einige  ein- 
schlägige Experimente  an  Knochenfischen,  doch  beschränkt 
sich  die  Forscherin  auf  wenige  Versuche:  bezüglich  der 
passiven  Rotation  heisst  es  daselbst:  »Der  Ausführung  dieser 
Versuche  setzten  sich  manche  Schwierigkeiten  entgegen,  die 
Jahreszeit  war  ungünstig,  der  Apparat  wenig  geeignet;  sie  sind 
daher  wenige  an  der  Zahl,  und  ich  möchte  die  Resultate  nicht 
besonders  betonen,  nur  flüchtig  erwähnt  haben,  dass  ich  eine 
Reaction  der  Fische  auf  passive  Drehung  nicht  beobachtet 
habe.« 

Auch  die  Exstirpation  des  Labyrinthes  nahm  A.  Tomma- 
szewicz  nur  in  wenigen  Fällen  vor;  es  wurden  im  Ganzen 
6  Fische  operirt;  von  diesen  ^blieben  nur  2  so  lange  am  Leben, 
dass  ihre  Bewegungen  beobachtet  werden  konnten;  der  erste 
schwamm  in  den  ersten  Stunden  nach  der  Operation  ziemlich 
lebhaft  und  bev^orzugte  keine  Richtung;  am  anderen  Morgen 
wurde  er  todt  aufgefunden:  der  zweite  lebte  drei  Tage,  schien 


J  A.  Tommaszewic  z,   Beitrage   zur  Physiologie  des  Ohrlabyrinthes. 
Inaug.  Diss.  Zürich  1877. 


Physiologie  des  Ohrlabyrinthes.  4  t  1 

ziemlich     munter    und    verhielt     sich    ganz    normal     beim 
Schwimmen«.' 

Die  Verfasserin  sagt  wohl  selbst,  dass  sie,  da  die  Versuche 
mit  Labyrinthexstirpation  viel  zu  wünschen  übrig  lassen,  die- 
selben in  der  Arbeit  nicht  erwähnt,  spricht  sich  jedoch  auf  Grund 
von  Versuchen  an  Thieren  anderer  Classen  gegen  die  nicht  aku- 
stische Function  des  Labyrinthes  aus. 

Kiesselbach*  hat  an  Karpfen  und  Schleien  operirt,  und 
war  der  Erfolg  sämmtlicher  Versuche  sowohl  nach  einseitiger, 
wie  nach  beiderseitiger  Durchtrennung  der  halbzirkelförmigen 
Canäle  ein  negativer. 

Cyon^  hat  an  Neunaugen  {Petromyzon)  Zerstörungen  von 
Bogengängen  vorgenommen  und  bei  einseitiger  Verletzung 
Manegebewegungen  und  drehende  Bewegung  um  die  Längsaxe 
beobachtet.  Nach  beiderseitiger  Exstirpation  der  Bogengänge 
bewegt  sich  das  Thier  im  Kreise  und  wälzt  sich  um  die  Längs- 
axe des  Körpers.  Cj^on  sagt  dann  weiter:  »Während  dieser 
Umwälzung  ereignet  es  sich  öfters,  dass  es  auf  dem  Rücken 
liegen  bleibt;  dann  fährt  es  fort,  sich  in  dieser  Lage  im  Kreise 
zu  bewegen,  und  nur  mit  vieler  Mühe  gelingt  es  ihm,  seine 
normale  Körperhaltung  einzunehmen.  Dieselbe  Erscheinung 
beobachtet  man,  wenn  man  es  auf  den  Rücken  umlegt;  es 
schwimmt  alsdann  während  einiger  Zeit  in  dieser  Lage;  macht 
es  Halt,  so  sucht  es  vermöge  des  dorsalen  Theiles  der  Haft- 
scheibe sich  anzusaugen  und  nur  nach  mehrfachen  fruchtlosen 
Versuchen  nimmt  es  seine  normale  Stellung  wieder  ein.* 

9 

Aus  diesen  Versuchen  schliesst  der  Verfasser,  dass  bei 
den  Neunaugen  » das  sogenannte  Gehörorgan  wahrscheinlicher- 
weise zu  nichts  anderem  dient,  als  zur  Orientirung  im  Räume.« 

Sewall*  hat  an  Haien  und  Rochen  operirt  und  bei  einigen 
Thieren  die  Bogengänge,  bei  anderen  die  Otolithenapparate 
zerstört  und  gefunden,  dass  bei  Extraction  der  Bogengänge  bei 


1  L.  c.  S.  89-90. 

2  Kiesselbach,  Zur  Function  der  halbzirkelförmigen  Canäle.  Archiv 
für  Ohrenheilkunde.  XVIII.  Bd.  1882. 

^  E.  V.  Cyon,  Gesammelte  physiolog.  Abhandl.  Berlin,  1888.  S.  337 -339. 
*  Sewall,   Experiments  upon  the   ears  of  fishes  with  reference  to  the 
*    function  of  Equilibrium.  (Journ.  of  Phys.  IV.  p.  339). 

33* 


4/2  A.   Kreidl, 

Haifischen  kaum  nennenswerthe  Bewegungsstörungen  auf- 
treten, vvolil  aber  bei  Verletzungen  der  Otolithenapparate. 
Sewall  urtheilt  jedoch,  da  Laesionen  der  Bogengänge  und 
Otolithen  oft  keine  Störungen  zur  Folge  haben,  dass  dieselben 
nicht  als  Gleichgewichtsorgan  angesehen  werden  können. 

Steiner*  hat  ebenfalls  seine  Experimente  an  Haifischen 
ausgeführt  und  gefunden,  dass  weder  eine  einseitige  noch 
doppelseitige  Zerstörung  sämmtlicher  Bogengänge  irgend  eine 
Störung  in  den  Bewegungen  des  Thieres  hervorruft. 

In  einer  späteren  Arbeit*  hat  derselbe  Autor  auch  Zer- 
störungen der  Otolithenapparate  bei  Haitischen  vorgenommen 
und  gefunden,  dass,  wenn  man  die  Otolithen  mit  einer  Pincette 
herauszieht  oder  auch  nur  herauszuziehen  versucht,  Störungen 
auftreten,  welche  gewöhnlich  in  Rollungen  nach  der  operirten 
Seite  bestehen.  Steiner  führt  diese  Störungen  nicht  zurück 
auf  eine  Läsion  der  Vorhofsgebilde,  sondern  auf  eine  Zerrung 
des  centralen  Acusticusendes  und  in.  weiterer  Folge  einer 
Zerrung  des  Nackenmarkes,  weil  dieThiere  bei  derExstirpation 
der  Otolithen  mit  dem  Auge  zwinkern,  was  der  Verfasser  für 
eine  Schmerzensäusserung  hält,  hervorgerufen  durch  Zerrung 
des  sensiblen  Facialis,  welcher  mit  dem  Acusticus  enge  ver- 
bunden ist. 

Loeb"*  hat  aber  in  letzter  Zeit  gefunden,  dass  Haifische, 
denen  man  das  Labyrinth  beiderseits  zerstört,  desorientirt  sind, 
auf  dem  Rücken  ebenso  schwimmen  wie  auf  dem  Bauch,  dass 
die  Drehungen  der  Bulbi  bei  dauernder  Änderung  der  Orien- 
tirung  fehlen  und  dass  eine  beiderseitige  Acusticusdurchschnei- 
dung  einer  Zerstörung  der  Otolithenapparate  gleichkommt. 

Loeb  schliesst  sich  auf  Grund  dieser  Resultate  wieder 
der  Breuer'schen  Theorie  an,  nach  welcher  das  Ohr- 
labyrinth  mit   Ausnahme    der  Schnecke    ein  Sinnesorgan   ist. 


^  Steiner,  Über  das  Centralnervensystem  des  Hairischcs  und  des 
Ainyhiffxns  lanccolatus  und  über  die  halbzirkelförmigen  Canäle  des  Haifisches. 
iSiizungsberichle  der  Berl.  Akad.  der  Wissensch.  XXVIII.  Bd.  ISSß-^i 

-  Derselbe,  Die  Functionen  des  Centralnervensystems  und  ihre  Phyllo- 
^enesc.   2.  Ablh.  P'ische.   Vieweg,  1S8S. 

•'  L'»eb.  l'ber  Geotropismus  bei  Thieren.  Pflüi2:er'*^  Archiv.  XLIX.  HJ. 
S.  17.-). 


Phv->ioloG;ie  des  Ohrlabvrinthes.  4/^^) 

bestimmt    zur  Wahrnehmung  von   Bewegung    und  Lage  des 
Körpers. 

Ich  habe  meine  Versuche  fast  ausschliesslich  an  Haitischen 
{Scyllium  canicula  und  cattdus)  ausgeführt,  bloss  zu  einigen 
Control-Rotationsversuchen  habe  ich  lebhafte,  kleine  Knochen- 
fische benützt.  Ich  operirte  an  Thieren  verschiedener  Grösse 
(0*2^1 -Oiw),  doch  möchte  ich  hier  gleich  hinzufügen,  dass 
sich  die  grossen  Thiere  zu  den  Exstirpationsversuchen  weniger 
eignen,  da  sie  in  ihren  Bewegungen  weit  träger  sind  und  des- 
halb weniger  prägnante  Resultate  geben. 

Ich  habe  bei  mehr  als  25  Thieren  die  beiderseitige  Exstir- 
pation  der  Otolilhen  vorgenommen  und  die  Thiere  durch  längere 
Zeit,  ein  Exemplar  durch  fast  zwei  Monate,  im  Aquarium  beob- 
achtet. * 

Die  Exstirpation  der  Otolithen  wurde  in  folgender  Weise 
vorgenommen:  DasThier  wurde  mit  Seewasser  respirirt,  indem 
ihm  mittels  eines  Schlauches  Wasser  durch  den  Mund  geleitet 
wurde:  grosse  Exemplare  mussten  gehalten  werden,  mittel- 
grosse und  kleine  blieben  während  der  Operation  in  der  Regel 
ruhig  liegen.  Die  Kopfhaut  wurde  über  dem  Hinterhaupt  nach 
Steiner  mit  einem  kreuzförmigen  Schnitte  in  vier  Lappen  ge- 
trennt, dieselben  zurückgeschlagen,  wobei  alsbald  die  bläulich 
durchschimmernden  Gehörblasen  sichtbar  wurden.  Mit  einem 
feinen  Scalpell  wurde  die  knorpelige  Decke  soweit  abgetragen, 
dass  man  mit  einer  Pincette,  einer  entsprechend  dicken  Glas- 
pipette oder  mit  einem  kleinen  Löffelchen  auf  den  weisslich 
glänzenden  Otolithen  eingehen  konnte.  Derselbe  wurde  nun 
mit  der  Pincette  gefasst  und  herausgezogen,  oder  mit  der 
Pipette  (Se  wall)  angesaugt;  bei  einiger  Übung  gelingt  es,  auf 
einen  Zug  den  Otolithen  herauszubringen.  Wenn  dies  geschehen 
war,  habe  ich  die  Gehörblase  mit  Seewasser  ausgespült,  um 
noch  die  etwaigen  Reste  zu  entfernen.  Hierauf  wurde  die 
Wunde  vernäht  und  ausserdem  mit  Tannin  -  Gelatine  nach 
Steiner  gedeckt.  Die  Thiere  wurden  nun  auf  dem  Operations- 


1  Ein  anderes  E.xemplar  Hess  ich  in  der  Xeapeler  Station  zurück  und 
erhielt  die  briefliche  Nachricht,  dass  es  nach  einem  weiteren  .Monate  noch  die- 
selben Erscheinungen  bot.  auf  die  ich  gleich  zu  sprechen  komme. 


474  A.  Kreidl, 

f 

lische  bei  fortgesetzter  VVasserrespiration  so  lange  liegen  ge- 
lassen, bis  die  Gelatine  erhärtet  war.  Hierauf  kamen  die  Thiere 
in  das  Bassin  zurück,  wo  sie  sich  alsbald  von  der  Operation 
erholten.  Es  geschah  mitunter,  dass  ein  oder  der  andere  Bogen- 
gang verletzt  wurde.  Die  exstirpirten  Otolithen  wurden  stets 
mikroskopisch  untersucht  und  selbstverständlich  ein  jedes 
operirte  Thier  secirt  und  der  Sectionsbefund  nofirt. 

Die  Zerstörung  eines  oder  mehrerer  Bogengänge  geschah 
nach  derselben  vorbereitenden  Operation;  bei  einigen  Thieren 
wurde  das  ganze  Labyrinth  zerstört. 

Exstirpation  der  Otol ithen.  Haifische,  denen  die  Oto- 
lithen beiderseits  mit  Schonung  der  Bogengänge  exstirpirt 
worden  waren,  zeigen  alle  ein  ganz  charakteristisches  Verhalten- 
Schön  kurze  Zeit  nach  der  Operation  kann  man  beobachten, 
dass  diese  Thiere  wieder  schwimmen;  dieses  Schwimmen  ist 
aber  kein  normales.  Man  sieht  ein  solches  Thier  oft  das  ganze 
circa  2  m  lange  Bassin  auf  dem  Rücken  durchschwimmen,  dann 
kehrt  es  wieder  in  die  Bauchlage  zurück.  Es  scheint  dem 
Thiere  das  Bewusstsein  von  seiner  Lage  im  Räume  zu  fehlen. 
Ganz  besonders  deutlich  tritt  dies  hervor,  wenn  man  die  Thiere, 
die  oft,  wie  es  in  der  Gewohnheit  der  Haifische  liegt,  stunden- 
lang auf  dem  Boden  des  Aquariums  liegen,  mit  der  Hand  zu 
fassen  sucht;  dann  schwimmen  sie  eilig  davon  und  gerathen 
dabei  in  ungeregelter  Abwechslung  in  die  Bauch-  und  Rücken- 
lage, natürlich  auch  in  die  Seitenlage.  Geht  man  vorsichtig 
mit  einem  entsprechend  gebogenen  Glasstab  unter  den  ruhig 
liegenden  Fisch  ein,  so  gelingt  es  ausnahmslos  das  Thier  aus 
der  Bauchlage  in  die  Rückenlage  zu  bringen,  in  welcher  es 
dann  längere  Zeit  verharrt;  ich  habe  solche  Thiere  oft  eine 
halbe  Stunde  in  der  Rückenlage  beobachten  können. 

Auch  spontan  trifft  man  die  operirten  Haie  auf  dem  Rücken 
liegend  im  Bassin  an,  und  zwar  liegen,  wie  dies  die  Thiere  zu 
thun  pflegen,  mehrere  aufeinander,  in  unregelmässiger 
Anordnung,  wie  ein  Haufen  zusammengeworfener  todter  Fische. 

Die  Lieblingsstellung  der  Haifische  ist  im  Bassin  die,  dass 
sie  in  irgend  einer  Ecke  mit  der  hinteren  Körperhälfte  am 
Boden,  mit  der  vorderen  rechtwinkelig  nach  aufwärts  gebogen 
an  der  Seitenwand   gewissermassen   lehnen,   so   dass  sie  dem 


Physiologie  des  Ohrlabyrintes.  4^75 

durch  die  senkrechte  Wand  blickenden  Beschauer  die  Bauch- 
seite zukehren;  es  ist  nun  ganz  bezeichnend,  dass  beiderseits 
otolithenlose  Thiere  ebenfalls  diese  Lage  einnehmen,  jedoch  in 
ganz  charakteristischer  Weise  oft  statt  des  Bauches  den  Rücken 
dem  Beobachter  zukehren.  Aus  dieser  Stellung  ist  es  nun  sehr 
leicht,  die  Thiere  mit  einem  Stabe  vorsichtig  umzuwerfen,  wo- 
bei die  operirten  Thiere -die  Lage,  in  die  man  sie  so  gebracht 
hat,  stets  beibehalten,  während  normale  Thiere  sofort  die 
Bauchlage  einnehmen.  Manchmal  gehen  die  operirten  Haifische 
mit  dem  Kopfende  gegen  den  Boden  des  Bassins,  als  ob  sie 
auf  dem  Kopfe  stehen  wollten,  offenbar  darüber  desorientirt,  wo 
oben  und  unten  ist.  Bei  normalen  Fischen  beobachtete  ich  ein 
solches  Benehmen  niemals. 

Ich  kann  es  nicht  unterlassen,  an  dieser  Stelle  darauf  hin- 
zuweisen,  wie  analog  das  Verhalten  der  operirten  Fische  ist 
mit  dem  der  nach  Schrader  operirten  Frösche.  Bei  diesen 
beschreibt  Breuer,*  dass  sie,  ins  Wasser  gebracht,  über  ihre 
Lage  vollständig  desorientirt  sind,  auf  dem  Rücken  ebenso 
schwimmen  wie  auf  dem  Bauch,  gelegentlich  auch  auf  dem 
Rücken  liegend  gefunden  werden. 

In  der  Regel  zeigen  otolithenlose  Haifische  keine  Roll- 
bewegungen, sondern  nur  dann,  wenn  ein  oder  der  andere 
Bogengang  mit  verletzt  ist. 

Exstirpation  der  Bogengänge.  Thiere,  denen  ich  die 
Bogengänge  zerstört  habe,  schwimmen  im  Kreise  und  rollen 
sich  öfters  ein;*  wenn  sie  sich  beruhigt  haben,  liegen  sie  in 
normalerweise  auf  dem  Bauche;  bei  dem  Versuche,  sie  auf 
den  Rücken  zu  legen,  führen  sie  sofort  Rollbewegungen, 
Schwimmbewegungen  im  Kreise  und  mannigfaltige  Combina- 
tionen  dieser  aus,  bleiben  jedoch,  wieder  beruhigt,  niemals 
auf  dem  Rücken  liegen.  Auch  ein  Thier,  dem  die  Bogen- 
gänge zerstört,  die  Otolithen  jedoch  intact  gelassen  wurden 
benahm  sich,  mit  Ausnahme  von  Rollbewegungen,  normal. 


1  Breuer,  Über  die  Function  der  Otolithenapparate.  Pflüger's  Archiv. 
XLVIII.  Bd.  1890. 

2  Zwei  normale  Exemplare  von  Scyllium  catulus  rollten  sich  ebenfalls 
sehr  oft  ein,  wenn  ich  sie  zu  fassen  suchte,  derart,  dass  sie  sich  gelegentlich 
in  den  Schwanz  bissen. 


476  A.   Kreidl. 

Bei  normalen  Thieren  ist  es  mir  niemals  gelungen,  sie  aus 
der  Bauchlage  herauszubringen.  Da  es  immerhin  denkbar  wäre, 
dass  diese  Erscheinungen  von  einer  Reizung  der  Wunde, 
z.  B.  durch  das  Seewasser,  herrühren  konnten,  habe  ich  bei 
einem  Thiere  zur  Controle  an  derselben  Stelle  bloss  eine  Haut- 
muskelwunde gesetzt;  wiewohl  das  Thier  an  dieser  Wunde 
empfindlicher  war,  zeigte  es  jedoch  stets  ein  ganz  normales 
Verhalten. 

Grosse  Exemplare  ohne  Otolithen  —  ich  habe  zwei  1  nt 
grosse  Thiere  operirt  —  zeigen  dieselben  Eoßcheinungen, 
lassen  sich  auf  den  Rücken  legen,  allein  nicht  so  schön  wie 
kleine  Thiere,  vermuthlich  deshalb,  weil  sie  in  ihren  Bewe- 
gungen  viel  träger  sind  und  infolge  ihres  breiten  Querdurch- 
messers schwerer  aus  ihrer  Gleichgewichtslage  zu  bringen  sind. 

Ich  vermuthe  auch,  wenn  ich  nicht  annehmen  will,  dass 
Steiner  falsch  beobachtet  hat,  dass  sich  die  abweichenden 
Resultate  dieses  Forschers  am  ehesten  dadurch  erklären  lassen, 
dass  derselbe  bloss  an  grossen  Exemplaren  operirt  und  die- 
selben im  Aquarium  beobachtet  hat,  ohne  sie  zu  reizen. 

Die  an  und  für  sich  trägen  Thiere  liegen  dann  ruhig  am 
Boden  des  Aquariums  und  können  den  Eindruck  normaler 
Thiere  hervorrufen. 

Ich  hatte  Gelegenheit,  meine  operirten  Thiere  auch  Nachts 
zu  beobachten,  und  konnte  constatiren,  dass  die  Erscheinungen 
der  Desorientirung  weniger  ausgeprägt  sind,  offenbar  weil  die 
Thiere  nur  bei  Nacht  sehen. 

Alle  diese  Erscheinungen,  die  die  operirten  Thiere  zeigen, 
lassen  sich  ungezwungen  durch  die  Breuer-Mach'sche 
Theorie  erklären. 

3.   Rotationsversuche   an   normalen  und  operirten   Fischen. 

Die  Drehversuche  habe  ich  auf  einem  Centrifugalapparat 
ausgeführt,  an  dem  zu  diesem  Zwecke  einige  besondere  Vor- 
richtungen angebracht  waren.  Dieselben  ermöglichten,  ein 
cvlindrisches  Gefäss  oder  eine  Schale  rasch  um  ihre  Axe  zu 
drehen;  ersteres  konnte  auch  horizontal  gelegt  und  um  einen 
ungefähr  durch  seine  Mitte  gehenden  Durchmesser  seinem 
Querschnittes  gedreht  werden.  Die  cvlindrischen  Gefässe,  die 


Phvsioloyrie  des  Ührlabvrinthes.  4/  t 


'n 


ich  verwendete,  waren  30 — 40  cm  hoch  und  die  Lichtung 
betrug  8 — \Ocm.  Die  verwendeten  Schalen  hatten  einen  Durch- 
messer von  circa  20 — 30  cm. 

Ich  habe  zu  diesen  Rotationsversuchen  keine  grossen 
Exemplare  genommen  und  auch  nicht  nehmen  können,  da  die 
Drehscheibe  nicht  darnach  eingerichtet  war;  der  Durchmesser 
der  Scheibe  betrug  circa  30  cm,  und  da  sowohl  das  cylindrische 
Gefass  als  die  Glasschale  nicht  über  den  Rand  hinausragen 
durften,  so  waren  auch  die  Fische  von  dieser  Grösse.  Die  ge- 
drehten Thiere  wurden  nach  der  Rotation  mit  dem  Inhalt  des 
Gefässes,  in  welchem  sie  gedreht  worden  waren,  in  das  Bassin 
geworfen  und  darin  ihr  ferneres  Verhalten  beobachtet.  Die  Hai- 
fische eignen  sich  besonders  gut  zu  diesen  Rotationsversuchen, 
da  sie  sehr  widerstandsfähig  sind  und  sehr  lange  Zeit  ohne 
Wasserwechsel  aushalten  können. 

Die  Rotationsversuche  mit  normalen  Thieren  wurden 
ebenfalls  an  einer  grösseren  Anzahl  vorgenommen  und  ent- 
halten die  Angaben  über  das  Verhalten  dieser  Thiere  während 
und  nach  der  Drehung  selbstverständlich  das  von  allen  gemein- 
sam gebotene  Bild. 

Ich  habe  auch  an  Knochenfischen  der  angegebenen  Grösse 
ähnliche  Versuche  ausgeführt,  doch  in  so  geringer  Anzahl, 
dass  ich  auf  dieselben  nicht  näher  eingehen  möchte. 

Die  Rotationsgeschwindigkeit  wurde  in  allen  Versuchen 
entsprechend  variirt,  ebenso  die  Dauer  der  Drehung;  für 
gewöhnlich  wurden  die  Thiere  V2 — ^  Minute  mit  mittlerer 
(4 — 6  Umdrehungen  in  der  Secunde)  oder  grosser  Geschwindig- 
keit (10 — 12  Umdrehungen  in  der  Secunde)  gedreht. 

Die  Haifische  zeigen  nun  folgendes  Verhalten:  Wenn  man 
ein  Thier  in  einem  horizontal  liegenden  Cylinder  durch  längere 
Zeit  so  im  Sinne  eines  Uhrzeigers  dreht,  dass  es  um  eine  durch 
seine  Mitte  gehende  und  auf  der  Wirbelsäule  senkrecht  stehende 
Axe  rotirt,  so  schwimmt  es,  rasch  ins  Wasser  geworfen,  in 
einem  Kreise  herum,  und  zwar  auch  im  Sinne  des  Zeigers 
einer  Uhr;  wird  das  Thier  im  vertical  stehenden  Cylinder, 
also  um  seine  Längsaxe  ziemlich  lange  gedreht,  so  führt 
es,  ins  Wasser  geworfen,  einige  Drehungen  um  dieselbe 
Axe  aus,    wobei    ich    jedoch    bemerken    möchte,    dass  diese 


478  A.  Kreidl, 

Drehbewegungen  nicht  so  sicher  eintreten  wie  die  früher 
genannten. 

Bringt  man  einen  Haifisch  in  eine  flache  Glasschale  und 
beginnt  ihn  langsam  zu  drehen,  so  schwimmt  er  gegen  die 
Drehrichtung,  oder  versucht  es  zum  Mindesten;  wenn  man 
die  Drehrichtung  umkehrt,  so  kehrt  sich  auch  das  Thier  um, 
um  von  Neuem  gegen  die  Drehrichtung  zu  schwimmen;  dabei 
halten  sich  die  Thiere  gewöhnlich  an  die  Peripherie  des 
Gefässes.' 

Wird  die  Drehung  allmälig  schneller,  so  geben  die  Thiere 
die  Schwimmversuche  auf,  und  wenn  man  nun  in  diesem  Tempo 
(10 — 12  Umdrehungen  in  der  Secunde)  längere  Zeit  fort  rotirt, 
und  dann  ein  solches  Thier  rasch  ins  Bassin  schüttet,  so 
schwimmt  es  ganz  regelmässig  im  Kreise  herum,  und  zwar  in 
demselben  Sinne,  wie  die  ursprüngliche  Drehung  war;  auf- 
fallender Weise  treten  diese  nach  der  passiven  Drehung  im 
Wasser  activ  fortgesetzten  kreisförmigen  Bewegungen  sicherer 
auf,  wenn  man  das  Thier  mit  dem  Schwanzende  voraus  gedreht 
hat;  wird  das  Thier  mit  dem  Kopfende  voraus  gedreht,  so  treten 
diese  Erscheinungen  weniger  prägnant  auf;  ganz  besonders 
sind  es  die  kleinen  Exemplare,  welche  auf  diese  Art  in  sehr 
schöner  Weise  schwindlig  zu  machen  sind.  Die  grösseren 
Exemplare  zeigen  die  ganze  Reaction  weniger  auffallend; 
möglicher  Weise  liegt  dies  daran,  dass  diese  Thiere  in  höchst 
unbequemer  Weise  zusammengerollt  in  den  für  sie  zu  kleinen 
Gefässen  sich  befanden. 

Während  der  Rotation  zeigen  die  Thiere  ausser  der  früher 
erwähnten  Erscheinung,  dass  sie  immer  gegen  die  Drehung  zu 
schwimmen  versuchen,  nichts  Besonderes;  ein  einzigesmal 
beobachtete  ich,  dass  ein  Haifisch  während  der  länger  dauern- 
den Rotation  die  eben  kurz  vorher  verschlungene  Nahrung 
erbrach!  (Eine  amüsante  Analogie  der  Seekrankheit  bei  Hai- 
tischen!) 


^  Ich  konnte  ein  gleiches  Verhalten  bei  Petromyzon  Plancri  —  von  dem 
ich  zufällig  einige  Exemplare  erhielt  —  sehr  schön  beobachten.  Ein  ähnliches 
Verhalten  beschreibt  K.  L.  Schäfer  (Über  den  Drehschwindel  der  Thiere, 
Xaturw.  Wochenschrift  Nr.  25,  1891;  von  den  Schnecken. 


Physiologie  des  Ohrlabyrinthes.  479 

Es  war  nicht  möglich,  Haifische,  deren  Labyrinth  zerstört 
war,  in  Betreff  dieser  Rotationsversuche  mit  normalen  zu 
vergleichen,  denn  erstere  machten  auch  ohne  vorhergehende 
Drehung,  jedesmal,  wenn  man  sie  in  das  Bassin  schüttete,  so 
stürmische  Rotationsbewegungen,  dass  von  dem  Erkennen 
eines  Mehr  oder  Weniger  abgesehen  werden  musste. 

4-  Über  den  Einfluss  der  Centrifugalkraft  auf  normale  und 

otolithenlose  Fische. 

Um  den  Einfluss  der  Centrifugalkraft  auf  otolithenlose 
Haifische  zu  studiren,  habe  ich  vorerst  an  normalen  solchen 
Thieren  und  einigen  kleinen  Knochenfischen  aus  dem  Golfe 
von  Neapel  Versuche  ausgeführt. 

Diese  Thiere  wurden  alle  in  einer  flachen  Glasschale  mit 
sehr  grosser  Geschwindigkeit  —  mehr  als  15  Umdrehungen  in 
der  Secunde  —  rotirt  und  während  der  Drehung  in  diesem 
beobachtet.  Sowohl  alle  Haifische  —  auch  diesmal  habe  ich 
nur  die  kleinen  Thiere  verwendet  —  wie  auch  die  übrigen 
kleinen  Fische  zeigen  ein  ganz  typisches  Verhalten,  indem  sie 
sich  in  die  Richtung  der  Resultirenden  von  Schwerkraft  und 
Centrifugalkraft  einstellen,  und  zwar  in  der  Weise,  dass  sie 
sich  stets  mit  dem  Rücken  gegen  die  Drehungsaxe  hinneigen, 
mit  der  Bauchseite  nach  aussen.  Ganz  besonders  schön  konnte 
man  dies  bei  den  Haifischen  beobachten;  während  der  lang- 
samen Rotation  lagen  die  Thiere  auf  dem  Bauche,  wie  jedoch 
die  Geschwindigkeit  und  damit  die  Centrifugalkraft  zunahm, 
neigte  sich  das  Thier  mit  dem  Rücken  nach  innen  und  wies  die 
glänzend  weisse  Bauchseite  dem  Beschauer.  Diese  Neigung 
entspricht  derjenigen  des  galoppirenden  Pferdes  im  Circus. 

Haifische,  welchen  beiderseits  dieOtolithen  entfernt  wurden, 
ändern  nun  unter  dem  Einfluss  der  Centrifugalkraft  ihre  Lage 
in  dem  Gefässe  nicht,  zeigen  also  keine  Schiefstellung;  ja,  sie 
behalten  auch  bei  der  Rotation  alle  jene  abnormen  Stellungen 
bei,  die  oben  geschildert  worden  sind;  es  kommt  sogar  vor, 
dass  diese  Thiere  sich  in  dem  Gefässe  gelegentlich  auf  den 
Rücken  legen  und  die  längste  Zeit  während  einer  sehr  raschen 
Drehung  diese  Lage  beibehalten. 


480  .\_  Kreidl,  Physiologie  des  Ohrlabyrinthe>. 

Kin  ähnliches  Verhalten  habe  ich  bei  normalen  Thieren 
niemals  beobachtet.  * 

Ich  habe  diese  Versuche,  die  ich  gelegentlich  an  Knochen- 
fischen noch  fortzusetzen  gedenke,  in  Kürze  mitgetheilt  und 
mich  darauf  beschränkt,  bloss  die  zu  dem  speciellen  Thema  in 
Beziehung  stehende  Literatur  zu  erwähnen. 

Auf  die  in  jüngster  Zeit  erschienene  reichhaltige  Literatur 
auf  diesem  Gebiete,  sowie  auf  die  Consequenzen,  die  sich  aus 
diesen  Versuchen  für  die  Theorie  von  der  Function  des  Ohr- 
labyrinthes ergeben,  will  ich  im  Zusammenhange  mit  meinen 
an  Wirbellosen  gewonnenen  Resultaten  in  einer  nächsten  Mit- 
theilung ausführlich  eingehen. 


^  Zum  Vergleiche  mit  dem  Verhalten  eines  normalen  Thieres  diene 
folgendes  zufällige  interessante  Versuchsergebniss.  Ich  verfügte  über  zwei 
ziemlich  elende  Exemplare  von  Haifischen,  von  denen  dem  einen  die  Otolithen 
beiderseits  entfernt  worden  waren,  während  das  andere  zwar  normal,  jedoch 
dadurch,  dass  es  durch  einen  Sprung  aus  dem  Bassin  auf  den  Boden  de> 
Zimmers  gefallen  und  längere  Zeit  daselbst  gelegen  war,  fast  moribund  war. 
Während  nun  das  operirte  Thier  während  der  Drehung  seine  Rückenlage  bei- 
behielt, stellte  sich  das  normale  Thier,  obwohl  es  zu  Beginn  der  Drehung  eben- 
falls auf  dem  Rücken  lag,  bei  rascher  Rotation  in  die  Richtung  der  Resultirenden 
von  Schwerkraft  und  Centrifugalkraft. 


481 


Zur  Lehre  von  den  Struetur-  und  Zuekungs- 
Verschiedenheiten  der  Muskelfasern 


von 


Ph.  Knoll. 

(Mit  3  Tafeln  ) 

I.    Zuckungscurven   von   Schliessmuskeln    der  Lamelli- 

branchiaten. 

Bei  meinen  Beobachtungen  über  die  Structurverschieden- 
heiten  am  Schliessmuskel  der  Lamellibranchiaten  (Lit.-Verz.  1, 
S.  659  bis  663,  2,  S.  3  bis  13)  drängte  sich  mir  begreiflicher- 
weise die  Frage  auf,  ob  und  wie  diese  Verschiedenheiten  auch 
in  der  Zuckung  des  Schliessmuskels  der  einzelnen  Lamelli- 
branchiaten zum  Ausdruck  kommen. 

Erörtert  wurde  diese  Frage  bereits  von  verschiedenen 
Forschern,  zunächst,  soweit  ich  zu  ermitteln  vermochte,  von 
Schwalbe  (3,  S.  235),  welcher  im  Anschluss  an  Mittheilungen 
über  das  Vorkommen  von  längs-  und  von  doppelt  schräg- 
gestreiften Muskelfasern  bei  der  Auster,  während  im  Schliess- 
muskel der  Miessmuschel  nur  längsgestreifte  »fibrilläre«  F'asern 
vorkämen,  ausführt,  dass  der  Act  des  Schalenschliessens  bei 
der  Auster  auf  Einwirkung  äusserer  Reize  plötzlich  und  rasch 
geschieht,  bei  Mytilus  dagegen  sehr  langsam  und  allmälig, 
wodurch  er  zu  der  Annahme  veranlasst  wird,  >dass  die 
doppelt  schräggestreiften  Fasern  der  Auster  mehr  für  plötzlich 
und  energisch  auszuführende  Bewegungen  eingerichtet  sind, 
während  die  fibrillären  Fasern  vielleicht  den  festen  Schluss 
besorgen,  der  hier  nur  durch  andauernde  Contraction  zu 
erzielen  ist«'. 


482  Fh.  Knoll. 

Fast  ein  Jahrzehnt  später  hat  H.  v.  Ihering  (4,  S.  15  — 18) 
auf  Grund  von  Versuchen,  die  er  im  Herbste  1876  an  Pecteu 
glaber  und  variiis  angestellt  hat,  eine  analoge  Functions- 
verschiedenheit  für  den  gelblichen  und  weissen  Antheil  des 
Schliessmuskels  dieser  Thiere  aufgestellt,  da  er  fand,  dass 
diese  Muscheln  nach  isolirter  Durchschneidung  des  ersteren 
Antheiles  ihre  Schalen  auf  Reize  nur  sehr  wenig  und  langsam 
schliessen,  dieselben  aber  dann  in  der  gewonnenen  Stellung 
sehr  fest  halten,  nach  isolirter  Durchschneidung  des  letzteren 
Antheiles  dagegen  auf  Reize  die  Schalen  rasch,  aber  nur  für 
wenige  Momente  schliessen.  Er  folgert  hieraus,  dass  die  gelb- 
lichgraue Portion  die  eigentlich  >»musculöse«,  die  Rolle  der 
weissen  mehr  die  einer  dem  Schlussbande  der  Schalen  als 
Antagonist  entgegenwirkenden  Sehne  sei,  und  führt  weiter  aus. 
dass  der  »musculöse«  Theil  des  Schliessmuskels  der  Muscheln 
>aus  den  bekannten  glatten  Faserzellen«  bestehe,  an  denen 
sich  kein  Zerfall  in  Fibrillen,  unter  Umständen  aber,  wie  gerade 
von  Pecten  bekannt  sei,  Querstreifung  finde.  Die  Fasern  des 
>» sehnigen«  Theiles  des  Schliessmuskels  aber  seien  »fibrillär 
gebaut,  in  so  exquisiter  Weise,  dass  man  fast  eine  Ner\- enfaser 
vorsieh  zu  haben  wähnen  könnte«  und  es  fände  sich  nie  Quer- 
streifung an  denselben. 

Engelmann  (5,  S.  563)  aber  fand  keinen  merkbaren 
Unterschied  in  der  Geschwindigkeit  der  Zusammenziehung 
zwischen  den  beiden  verschieden  gefärbten  Antheilen  des 
Schliessmuskels  von  Anodonta  und  zwischen  diesen  und  dem 
Schliessmuskel  von  Cardinm  und  Mytiltts  und  ist  geneigt,  die 
doppelt  schräggestreiften  Fasern  wegen  ihrer  verhältnissmässig 
trägen  Contraction  auch  physiologisch  nur  als  eine  Abart  der 
glatten  Muskeln  zu  betrachten. 

Allen  diesen  Beobachtungen  mangelte  eine  genauere  Ver- 
folgung und  Darstellung  der  Zusammenziehung  der  betreffenden 
Muskeln,  beziehungsweise  Muskelantheile  auf  graphischem 
Wege,  während  wieder  die  mittels  dieser  Methode  von  Fick  (6), 
Pawlow  (7)  und  Biedermann  (8)  vorgenommenen  Beob- 
achtungen an  Auodouta  sich  theils  nur  auf  die  Verzeichnung 
der  Zuckungscurve  des  ganzen  Muskels  (6,  7),  theils  nur  auf 
jene  des  gelblichen  Antheiles  desselben  beschränkten  (8). 


Structur  und  Zuckung  der  Muskelfasern.  483 

Dieser  Stand  der  Dinge  veranlasste  mich  während  eines 
Aufenthaltes  an  der  zoologischen  Station  in  Triest  im  April 
dieses  Jahres  selbst  an  die  Beantwortung  der  eingangs  auf- 
geworfenen Frage  zu  schreiten.  Da  ich  alle  Hilfsmittel  zur  . 
elektrischen  Reizung  der  Muskeln  und  graphischen  Beobachtung 
ihrer  Zusammenziehung  selbst  dahin  mitbringen  musste,  war 
ich  genöthigt  mich  mit  den  einfachsten  und  compendiösesten 
Apparaten  zu  begnügen,  die  der  Untersuchung  von  vornherein 
enge  Schranken  zogen.  Weitere  Schwierigkeiten  verursachten 
die  nothwendigen  kleinen  Reparaturen  an  diesen  Apparaten  in 
einer  Stadt,  wo  keine  Hochschulen  und  keine  mit  den  Bedürf- 
nissen dieser  vertrauten  Mechaniker  zu  finden  sind.  Dazu  kam 
noch  vorwaltend  ungünstiges  Wetter,  welches  die  Beschaffung 
von  geeignetem  Material  so  erschwerte,  dass  ich  beispielsweise 
von  Lima  hians  nur  ein,  von  Lima  sqiiamosa  aber  gar  kein 
Exemplar  in  dieser  Zeit  zu  erhalten  vermochte. 

Diese  Umstände  mögen  es  rechtfertigen,  dass  meine  Unter- 
suchungen nicht  die  wünschensvverthe  Ausdehnung  erfuhren; 
da  dieselben  aber  einerseits  doch  mehrere  bemerkenswerthe 
Thatsachen  ergeben  haben  und  ich  anderseits  dieselben  kaum 
weiter  werde  führen  können,  sei  es  mir  gestattet  über  dieselben 
dennoch  zu  berichten. 

Als  Reizvorrichtung  stand  mir  lediglich  ein  Du  Bois- 
Reymond'scher  Schlittenapparat  mit  5000  Windungen  der 
secundären  Spirale  zur  Verfügung,  der  mit  einem  Leclanche- 
Element  verbunden  wurde.  Zur  Stromschliessung  diente  ein 
Quecksilberschlüssel,  zur  Stromzuleitung  auf  einem  Stativ 
angebrachte  bewegliche  Platinnadel -Elektroden,  die  an  den 
Muskel  seitlich  angelegt  wurden.  Die  einzelnen  Muscheln 
wurden  bis  auf  den  zu  prüfenden  Muskel  oder  Muskelantheil 
ausgeweidet,  zumeist  nach  längerem  oder  kürzerem  Trocken- 
liegen derselben,  was  ein  Klaffen  der  Schalen  bewirkt,  ohne  die 
Reizbarkeit  des  Muskels  zu  beeinträchtigen,  die  eine  Schale 
horizontal  an  einem  Stativ  mittels  einer  der  gewöhnlichen 
Muskelklemmen  fixirt,  die  andere  mittels  Häkchen  und  Schnur 
mit  dem  Schreibhebel  in  Verbindung  gesetzt.  Das  Häkchen 
steckte  entweder  in  einer  Bohröffnung  der  Schale  oder  war,  bei 
Muscheln  mit  dickerer  oder  spröderer  Schale,  an  dieser  mittels 


4^;4  Ph.  Knüll, 

einer  jener  federleichten  Neusilberklemmen  befestigt,  welche 
zum  Verschluss  von  Postsendungen  gebraucht  werden.  Von 
beiden  Schalen  war  soviel  abgetragen,  dass  sich  die  Elektroden 
leicht  an  die  eine  (untere)  Insertion  des  Muskels  anlegen  Hessen, 
die  Last,  welche  der  Muskel  bei  seiner  Zusammenziehung  herab- 
zuziehen hatte,  möglichst  gering,  der  Abstand  zwischen  den 
freien  Schalenrändern,  aber  dennoch  möglichst  gross  war.  Das 
Schlossband  wurde  nach  dem  Vorgange  Fick's  stark  gelockert, 
jedoch  stets  nur  soweit,  dass  die  nicht  fixirte  Schale  nach 
mechanisch  bewirktem  Schalenschluss  sich  ganz  jäh  wieder 
erhob.  Der  durch  das  Schlossband  gegebene  Widerstand  für 
die  Zusammenziehung  des  Muskels  war  aber  begreiflicherweise 
bei  den  einzelnen  Versuchen  sehr  wechselnd. 

Die  Schnur  ging  schräg  ansteigend  von  der  Schale  über 
eine  Rolle  zu  dem  wesentlich  höher  tixirten  Srhreibhebel,  als 
welcher  ein  an  jener  Rolle  aufgehängter  einarmiger  Hebel 
diente,  wie  ich  ihn  zur  Verzeichnung  der  Augenbewegungen 
benützte  (9).  Dicht  an  dem  nahe  der  Axe  des  Hebels  befind- 
lichen Angriffspunkt  der  Schnur  war  eine  5  Gramm  schwere 
Schale  zur  Aufnahme  von  Gewichten  angebracht.  Bei  sehr 
kleinen  Muscheln  wurde  von  einer  weiteren  Belastung  meist 
abgesehen,  sonst  wechselte  dieselbe  zwischen  5  und  30  Gramm, 
je  nachdem  hiebei  hinsichtlich  der  Curvenhöhe  und  der  Schnellig- 
keit der  Erschlaffung  das  Optimum  erreicht  wurde. 

Der  fein  einstellbare  Schreibhebel  verzeichnete  seine  Aus- 
schläge auf  Papier,  das  durch  die  zum  Rothe'schen  Poly- 
graphen (10)  gehörende  Vorrichtung  berusst,  bewegt  und  in 
Schellack  getränkt  wurde.  Die  Bewegung  des  Papiers  erfolgte 
mit  der  Geschwindigkeit  von  37  Millimeter  in  der  Secunde. 

hidem  ich  nun  an  die  Darstellung  der  an  den  einzelnen 
Arten  angestellten  Beobachtungen  schreite,  sei  vorweg  bemerkt, 
dass  dieselben,  abgesehen  von  Lima  hians,  immer  an  mehreren 
Exemplaren  jeder  Art  gemacht  wurden.  Am  leichtesten  gelang 
die  Herstellung  eines  geeigneten  Präparates  bei  den  Mono- 
myariern  Pcctcn  und  Lima.  Bei  Area  erwies  sich  die  ungemeine 
Hrüchigkeit,  bei  Venus  verrtieosa  die  Dicke  der  Schalen,  bei 
Scrobieiilaria  piperata  und  Cardium  ednle  die  Sprödigkeit  der- 
selben und  die  Kleinheit  derThiere  im  (Ganzen  recht  hinderlich. 


Siructur  und  Zuckung  der  Muskelfii«»ern.  48Ö 

Pecten.  Es  wurden  die  Arten  Jacobaens,  glaher  und 
varins  untersucht.  Wird  nach  Blosslegung  des  aus  zwei  scharf 
gesonderten  Antheilen  bestehenden  Schliessmuskels,  wobei  das 
Thier  seine  Schalen  fest  zusammenpresst,  der  weisse  Antheil 
des  Muskels  durchschnitten,  so  schnellen  diese  mit  einem  Ruck 
weit  auseinander,  selbst  bei  einem  ganz  frischen  auf  Reize 
lebhaft  reagirenden  Thiere,  was  erweist,  dass  hier,  abweichend 
von  Anodonta,  der  gelblichgraue  Antheil  keinen  höheren  Tonus 
besitzt.  Im  Gegensatz  zu  den  von  Fick  und  Biedermann  an 
Anodoitta  gemachten  Beobachtungen  ist  hier  auch  sofort  eine 
lebhafte  Reaction  auf  den  Inductionsreiz  wahrzunehmen,  selbst 
einzelne  Schliessungs-  und  Öffnungsschläge,  die  nach  Bieder- 
mann bei  Anodonta  nur  »in  günstigen  Fällen«,  »bisweilen  eine 
deutliche  Contraction  des  Muskels«  bewirken  (8,  S.  46),  rufen 
hier  sofort  deutliche  Zuckungen  hervor.  An  mehreren  Thieren 
trat  schon  bei  RA  (Rollenabstand)  13  — 14  cw  JÖZ  (Zuckung 
bei  Öffnung  des  Inductionsstromes)  ein,  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  bei  RA  8  — 10.  In  der  Regel  bedurfte  es  eines  mehrere 
Centimeter  geringeren  Rollenabstandes  um  JSZ  (Zuckung  bei 
Schliessung  des  Inductionsstromes)  und  wieder  einer  ähnlichen 
Verminderung  des  Rollenabstandes,  um  JSZ  =:  JÖZ  hervor- 
zurufen. Dreimal  fand  ich  bei  RA  2 — 3  JSZ  >-  JÖZ.  Der  Anstieg 
der  Curven  war  immer  ganz  jäh,  bei  Pecten  varins  in  der  Regel 
auch  der  Abfall  (I,  1).  Bei  einzelnen  Exemplaren  dieser  Pecten- 
Art  und  bei  den  vier  Exemplaren  von  Pecten  Jacobaens,  sowie 
acht  Exemplaren  von  Pecten  giaber,  die  ich  untersuchte,  war 
der  Curvenabfall  zuerst  auch  sehr  jäh,  zuletzt  aber  gedehnter 

(I,  ■!)• 

In   den   letzteren   Fällen   konnte   bei   rascher  Folge  von 

Stromschluss  und  Öffnung  allmälig  anwachsende  Dauer- 
contraction,  also  gewissermassen  eine  Verstärkung  des  Tonus 
des  Muskels,  wie  dies  Biedermann  und  Pavvlow  bei  ana- 
loger Reizung  des  Schliessmuskels  von  Anodonta  mittels  Ketten- 
strömen beobachteten,  erzielt  werden  und  sodann  ein  Ver- 
harren   in    einem    gewissen    mittleren   Contractionszustande, 

•  ff 

während  die  durch  die  einzelnen  Schliessungen  und  Offnungen 
des  Inductionsstromes  bewirkten  Zuckungen  an  Grösse  allmälig 
abnahmen  oder  bei  gleichbleibender  Reizfrequenz  viel  seltener 

Stizb.  d.  mathem.-naturw.  Cl.;  CI.  Bd.,  Abth.  III.  '34 


48(3  IMi.  K'noll, 

wurden  als.  die  Reizungen  (I;  7,  8;.  Ab  und  zu  trat  nach  solchen 
Reizungen  eine  sehr  starke  Erschlaffung  des  Muskels  über  das 
ursprüngliche  Mass  hinaus  auf,  wie  Pawlow  es  unter  analogen 
Verhältnissen  bei  Anodonta  beobachtet  und  aus  der  Einwirkung 
auf  »besondere  Theile  im  Innern  der  Muskelfasern«  zu  erklären 
versucht  hat  (I,  8). 

Tetanisirende  Ströme  riefen,  wenn  der  Strom  kräftig  und 
der  Muskel  nicht  durch  vorhergehende  Reizungen  bereits 
erschöpft  war,  eine  Dauercontraction  hervor,  die  zur  Ver- 
zeichnung einer  horizontalen  Linie  führte,  von  der  die  Cur\'e 
anfangs  jäher  und  dann  mehr  allmälig  wieder  abfiel  (I,  9).  Hielt 
die  Tetanisirung  länger  an,  so  erfolgte  in  der  Regel  das  Absinken 
noch  während  der  Reizung,  und  zwar  dann  zumeist  unter 
zuckungsartigen  Schwankungen  (I,  1 1).  Bei  ermüdetem  Muskel 
konnten  solche  Schwankungen  auch  auf  der  Höhe  der  Curven 
wahrgenommen  werden  (I,  10),  oder  es  sank  die  Curve  selbst  bei 
längerer  Tetanisirung  sofort  nach  erreichtem  Gipfel  unter 
solchen  Schwankungen  ab.  Sowohl  bei  Reizung  mit  Einzel- 
schlägen, als  namentlich  bei  tetanisirenden  Reizen  ermüdet  der 
Muskel  sehr  schnell  (I,  11  —  13). 

Wurde  die  Reizung  am  intacten  Muskel,  also  bei  Erhalten- 
sein des  weissen  Antheiles  vorgenommen,  so  war  bei  Anwendung 
von  Einzelschlägen  eine  Abänderung  der  Form  der  wegen  des 
geringen  Klaffens  der  Schalen  sehr  niederen  Curven  nicht  wahr- 
nehmbar; bei  längerem  Tetanisiren  aber  war  ein  ungemein 
langes  Verharren  in  einem  mittleren  Contractionszustande  (1, 5), 
ja  zuweilen  selbst  ein  allmäliges  Anwachsen  desselben  während 
der  Reizung  wahrzunehmen  (I,  3). 

Dass  dies  auf  der  Miterregung  des  weissen  Antheiles 
beruhte,  lehrte  der  Ausfall  der  Erscheinung  nach  Durch- 
schneidung desselben  (I,  6),  sowie  seine  isolirte  Reizung.  Diese 
blieb  nämlich  bei  Verwendung  von  Einzelschlägen  bei  Pecten 
ganz  wirkungslos,  während  die  Verwendung  starker  tetani- 
sirender  Ströme  zu  einer  sehr  trägen,  aber  auch  sehr  lange, 
sogar  über  die  Reizung  hinaus  anhaltenden  und  nur  ganz  all- 
mälig nachlassenden  Zusammenziehung  des  Muskels  führte  (1, 2). 

So  stellt  sich  also  ein  sehr  ausgeprägter  und  den  Angaben 
I  h  e  r  i  n  g's    im    Ganzen    entsprechender   Unterschied   in   der 


Structur  und  Zuckung  der  Muskelfasern.  487 

Zusammenziehung  der  beiden  Antheile  des  Schliessmuskels  von 
Pecteit  heraus,  ein  Unterschied,  der  wohl  ohne  Zwang  auf  die 
bei  Erschlaffung  und  Zusammenziehung  sich  gleich  bleibenden 
Structurverschiedenheiten  der  beiden  Antheile  zurückzuführen 
ist,  deren  einer  quergestreift  ist,  während  der  andere  nur 
eine  durch  der  Länge  nach  angereihte  stärker  lichtbrechende 
Theilchen  bedingte  Längsstreifung  erkennen  lässt. 

Allerdings  sind  nicht  alle  Fasern  des  gelblichgrauen  An- 
theiles  quergestreift,  es  finden  sich  in  demselben  vielmehr  in 
der  Regel  auch  homogene  Fasern  in  wechselnder  Zahl.  Es  mag 
vielleicht  von  dem  Verhältnisse  der  beiden  Faserarten  zueinander 
abhängen,  ob  die  Erschlaffung  des  gelblichgrauen  Antheiles 
nach  Reizung  mit  einzelnen  Inductionsschlägen  sich  blitzschnell 
vollzieht,  wie  dies  bei  Pecten  varitis  in  der  sehr  überwiegenden 
Zahl  von  Fällen  beobachtet  wurde,  oder  anfangs  jäher  und  dann 
träger,  wie  es  bei  Pecten  Jacobaeus  und  glaber  zu  sehen  war. 

Area  Noae.V'on  den  beiden  Schliessmuskeln  dieser  Muschel 
wurde  nur  der  hintere,  aus  zwei  deutlich  gesonderten  Antheilen 
bestehende  benützt,  der  in  seinem  weissen  Antheil  längs- 
gestreifte Fasern  von  derselben  Beschaffenheit  wie  bei  Pecteu, 
im  gelblichgrauen  aber  im  contrahirten  Zustande  neben  längs- 
gestreiften und  homogenen  doppeltschräg-  und  stellenweise 
auch  quergestreifte  Fasern  in  überwiegender  Anzahl  enthält 
(2,  S.  10,  11).  Auch  hier  klaffen  die  Schalen  beträchtlich,  wenn 
nach  Abtrennung  des  vorderen  der  weisse  Antheil  des  hinteren 
Schliessmuskels  durchschnitten  wird.  Zu  den  durch  die  Brüchig- 
keit der  Schale  hier  bedingten  Schwierigkeiten  der  Präparation 
gesellen  sich  solche,  welche  durch  die  Beschaffenheit  des 
Schlosses  bedingt  sind,  das  gezahnt  ist  und  durch  öfteres 
mechanisches  Auf-  und  Zuklappen  der  Schalen  gelockert 
werden  muss,  wobei  der  Schliessmuskel  stark  gedehnt  wird 
und  leicht  einreisst. 

Im  Ruhezustande,  auch  im  Wasser,  klaffen  die  Schalen 
dieser  Muschel  etwas,  schliessen  sich  aber  auf  Reize  ziemlich 
rasch  und  öffnen  sich  hienach  viel  träger  wieder. 

Bei  Reizung  des  isolirten  grauen  Antheiles  trat  in  mehreren 
Fällen  schon  bei  RA  8  rw  JÖZ,  bei  einem  um  8 — 4  cm  geringeren 
Rollenabstande  JSZ  ein,  welche  bei  einer  weiteren  ähnlichen 

34* 


488  Ph.  Knoll. 

Verminderung  des  Kollenabstandes  annähernd  gleich  stark  wie 
die  JÜZ  ausfiel  (II,  1  —  3).  Die  Curven  zeigten  einen  ziemlich 
jähen,  doch  etwas  minder  steilen  Anstieg  als  die  vom  gelblich- 
grauen Antheil  von  Pecten  gewonnenen,  und  einen  sehr 
gedehnten  Abfall.  Bei  rascherer  Folge  der  Reize  trat  auch  hier 
ein  treppenförmiges  Ansteigen  der  Curve  unter  Abnahme  der 
einzelnen  Zuckungen  {II,  6),  bei  Anwendung  stärkerer  tetani- 
sirender  Ströme  ein  jäherer  Anstieg  derselben  (II,  8)  und 
während  längerer  Tetanisirung  noch  während  der  Reizung  ein 
allmäliges  Absinken  der  Cur\'e  ein  (11,4).  Wiederholte  Reizungen 
führten  auch  hier  zu  rascher  Ermüdung.  Reizung  des  isolirten 
weissen  Antheiles  dieser  Muschel  ergab  nur  bei  Ver- 
wendung stärkerer  tetanisirender  Ströme  Curven,  und  zwar 
solche  von  ganz  analoger  Beschaffenheit  wie  die  vom  weissen 
Antheil  von  Pecten  gewonnenen  (I,  15).  In  einem  Falle  folgte 
einer  derartigen  Reizung  regelmässig  eine  starke,  das  ursprüng- 
liche Mass  weit  überschreitende  Erschlaffung  des  Muskels 
(I,  16). 

Reizung  des  gesammten  intacten  hinteren  Schliessmuskels 
ergab  bei  Verwendung  von  Einzelschlägen  analoge  Curven  wie 
bei  Reizung  des  isolirten  grauen  Antheiles,  bei  länger  dauernder 
Tetanisirung  aber  nach  jäherem  Anstieg  der  Curv^e  eine  lang 
anhaltende  allmälig  anwachsende  Zusammenziehung  (I,  14). 

So  prägt  sich  also  die  typische  Verschiedenheit  in  der 
Structur  der  Fasern  zwischen  dem  weissen  und  grauen  Antheil 
des  Schliessmuskels  von  Pecten  und  Area  und  zwischen  dem 
grauen  Antheil  von  Pecten  einer-  und  Area  anderseits  in 
typischen  Verschiedenheiten  der  Zuckungscurven  aus. 

Venus  verrucosa.  Die  Schalen  dieser  Muschel  klafften 
selbst  nach  sechs-  bis  siebenständigem  Trockenliegen  sehr 
wenig.  Die  Präparation  ist  darum  und  wegen  der  Dicke  und 
Brüchigkeit  der  Schalen  recht  schwierig,  und  die  beiden 
Schliessmuskeln,  die  je  aus  zwei  deutlich  gesonderten  Antheilen 
bestehen,  reissen  dabei  leicht  ein.  Nach  Durchschneidung  des 
vorderen  und  des  weissen  Antheiles  des  hinteren  Schliess- 
muskels klaffen  die  Schalen  etwas  mehr,  doch  auch  nicht  in 
dem  Masse,  wie  dies  bei  den  beiden  vorher  besprochenen 
Muscheln  der  Fall  ist,  was  begreiflicherweise  die  Gewinnung 


Structur  und  Zuckung  der  Muskelfasern.  489 

guter  Curven  sehr  erschwert.  Indessen  gelang  es  mir  doch  fest- 
zustellen, dass  der  graue  Antheil  des  hinteren  Schliessmuskels 
dieser  Muschel  in  allem  Wesentlichen  auf  einzelne  Inductions- 
schläge  (II,  5)  und  tetanisirende  Reize  in  gleicher  Weise  reagirt 
wie  der  analoge  Muskelantheil  von  Ajxay  mit  dem  er  auch  in 
der  Structur  im  Wesentlichen  übereinstimmt. 

Lima  inflata.  Ich  habe  an  anderer  Stelle  (2,  S.  3  bis  8)  ein- 
gehend dargethan,  dass  der  Schliessmuskel  dieses  Thieres 
wohl  nicht  aus  zwei  makroskopisch  deutlich  gesonderten 
Antheilen  besteht,  aber  in  mehrfacher  Lage  an  der  Peripherie 
und  vereinzelt  im  Inneren  die  dem  weissen  Antheil  von 
Pecteti,  Area  u.  s.  vv.  eigenthümlichen  längsgestreiften  dicken 
sogenannten  fibrillären  Fasern  neben  an  Zahl  weitaus  über- 
wiegenden dünnen  Fasern  enthält,  die  im  gedehnten  Zustande 
vorwaltend  schräg,  beziehungsweise  doppelt  schräggestreift 
erscheinen,  während  sie  im  contrahirten  Zustande  zumeist  aus- 
geprägt quergestreift  sind. 

Ruhig  im  Seewasser  gelassen  klaffen  die  Schalen  dieser 
Muschel  in  der  Regel  nicht  unerheblich.  Von  Zeit  zu  Zeit  aber 
klappen  sie  jäh  zusammen,  wodurch  das  Thier  sich  ähnlich 
wie  Pecten  kräftig  weiter  zu  schnellen  vermag.  Während  aber 
bei  Pecten  sich  die  Schalen  rasch  nach  dem  Schluss  wieder 
öffnen  und  nicht  selten  (auch  bei  der  Präparation  des  Schliess- 
muskels) Schluss  und  Öffnung  rasch  nacheinander  sich  zwei- 
bis  dreimal  wiederholt,  erfolgt  das  Öffnen  der  Schalen  bei 
Lima  ziemlich  trag. 

Dem  mechanischen  Öffnen  der  Schalen  setzt  auch  Lima 
bedeutenden  Widerstand  entgegen;  während  aber  bei  Pecten 
die  Überwindung  desselben  leicht  zum  Zerreissen  des  Schliess- 
muskels, namentlich  seines  weissen  Antheiles  führt,  gelingt  es 
unschwer,  den  Muskel  von  Lima  unverletzt  beträchtlich  zu 
dehnen,  wonach  derselbe,  wenn  das  Thier  vorher  ausgeweidet 
wurde,  in  diesem  gedehnten  Zustande  verharrt.  Da  hiebei  der 
Muskel  vollständig  reizbar  bleibt,  auch  die  leicht  durchbohr- 
baren Schalen  so  leicht  sind,  dass  sie  intact  beim  Curven- 
zeichnen  verwendet  werden  können,  sind  die  Bedingungen  für 
das  Gewinnen  guter  Curven  bei  dieser  Muschel  besonders 
günstig.  Bei  RA  10 — 9  rm  erhielt  ich  in  der  Regel  schon  deut- 


490  Ph.  Knoll, 

liehe  JÖZ,  bei  3  -  4  an  geringerem  Rollenabstande  JSZ  und  bei 
weiterer  ähnlicher  Verminderung  des  Rollenabstandes  wurden 
JSZ  und  JÖZ  gleich  stark  (II,  11  —  13j.  Der  aufsteigende  Cur\*en- 
Schenkel  war  dabei  meistens  nahezu  ebenso  steil  wie  bei 
Pecteu,  der  Abfall  der  Curve  erfolgte  aber  immer  gedehnter. 
Das  stufenförmige  Ansteigen  der  Curve  bei  rasch  aufeinander 
folgenden  Reizungen  und  die  hiebei  eintretende  Dauercontraction 
prägten  sich  sehr  schön  aus  (II;  7,  10).  Auch  hier  kam  es 
nachträglich  zuweilen  zu  einer  Erschlaffung  des  Muskels  über 
das  ursprüngliche  Mass  hinaus  (II,  10).  Bei  länger  dauernder 
Tetanisirung  kam  es  in  der  Regel  zu  einem  allmäligen  Absinken 
der  Curve  noch  während  der  Reizung,  nachher  aber  zu  einem 
anfangs  jäheren  und  dann  sehr  allmäligen  Abfall  (II,  9). 

Wie  der  Vergleich  der  Curven  lehrt,  steht  der  Ablauf  der 
Einzelzuckungen  hinsichtlich  der  Schnelligkeit  bei  Lima  uiflata 
gewissermassen  auf  einer  Zwischenstufe  zwischen  jenem  beim 
gelblichgrauen  Antheil  von  Pecien  und  beim  gelblichgrauen 
Antheil  von  Area  und  Venus.  Und  auch  die  histologische 
Beschaffenheit  der  betreffenden  Muskelfasern  nimmt  eine  Art 
Zwischenstellung  ein,  indem,  wie  ich  an  anderem  Orte  dar- 
gethan  (2),  diese  bei  Lima  inflata^  abweichend  von  Peeten^ 
nur  in  verkürztem  Zustande  quergestreift  sind,  bei  Area 
und  Venus  im  verkürzten  Zustande  aber  doppelt  schräg- 
gestreift und  nur  an  besonders  stark  contrahirten  Stellen  quer- 
gestreift sind. 

Wie  ersichtlich  ist,  lässt  sich  also  am  Schliessmuskel  der 
Bivalven  hinsichtlich  der  Schnelligkeit  der  Contractionsvorgänge 
eine  Art  Stufenleiter  feststellen,  auf  welcher  der  graue  Antheil 
von  Peeteii  als  der  flinkste  Muskel  obenan  steht,  hierauf  der 
Schliessmuskel  von  Lima  inflata,  dann  der  graue  Antheil  von 
Venus  und  Area  folgt,  und  der  weisse  Antheil  von  Peeten  und 
Area  (wahrscheinlich  wohl  auch  jener  von  Venus)  zu  unterst 
steht,  eine  Art  Stufenleiter,  der  eine  analoge  hinsichtlich  der 
Streifung  der  Muskelfasern  entspricht. 

Mit  Rücksicht  auf  den  Umstand,  dass  der  Schliessmuskel 
von  Lima  hians  im  Übrigen  gleich  beschaffen  ist  wie  jener  von 
Lima  inflata^  sich  von  diesem  aber  dadurch  unterscheidet,  dass 
er   auch    im    erschlafften    Zustande    zahlreiche    quergestreifte 


Structur  und  Zuckung  der  Muskelfasern.  49 1 

Fasern  enthält  (2,  S.  8),  wäre  mir  ein  Vergleich  der  Zuckungs- 
curven  dieser  beiden  Muscheln  begreiflicherweise  von  Werth 
gewesen.  Wie  ich  aber  schon  eingangs  hervorgehoben  habe, 
vermochte  ich  während  meines  letzten  Aufenthaltes  in  Triest 
nur  ein  Exemplar  von  ersterer  Art  zu  erhalten.  Aus  der  Unter- 
suchung dieser  einen  Muschel  fühle  ich  mich  aber  umso 
weniger  zu  einem  Schluss  berechtigt,  als  dieselbe,  im  Gegen- 
satze zu  den  sonst  zur  Curvenaufnahme  benützten  Thieren 
wenig  reizbar  war  und  nur  sehr  niedrige  Curven  ergab. 

Zur  Vervollständigung  meiner  Beobachtungen  habe  ich 
auch  Zuckungscurven  von  je  mehreren  Exemplaren  von  Cardium 
edule  und  Scrobicularia  piperata  aufgenommen,  welche  ruhig 
im  Wasser  gelassen  ihre  Schalen  fest  geschlossen  hielten. 
Weder  am  vorderen,  noch  hinteren  Schliessmuskel  ist  hier  eine 
Sonderung  in  zwei  Theile  zu  finden,  wohl  aber  enthält  der 
hintere  Schliessmuskel  dieser  Thiere,  der  zu  den  Versuchen 
verwendet  wurde,  neben  zahlreichen  im  verkürzten  Zustande 
doppelt  schräggestreiften  Fasern  solche  von  der  Beschaffenheit 
der  sogenannten  fibrillären  Fasern  in  sehr  grosser  Menge.  Die 
Curven  bei  Anwendung  einzelner  Inductionsschläge  fielen  hier 
so  niedrig  aus,  dass  ich  keinen  weiteren  Schluss  daraus  ziehen 
kann,  als  dass  durch  dieselben  auch  bei  diesen  Muskeln 
Zuckungen  zu  erzielen  sind  (II,  18).  Bei  Anwendung  tetani- 
sirender  Reize  kam  es  zu  höheren  Curven  mit  jäherem  Anstieg 
und  sehr  trägem  Abfall,  bei  länger  dauernder  Tetanisirung  auch 
zu  einer  dem  ersten  Anstieg  folgenden  ganz  allmäligen  weiteren 
Erhebung  der  Curven  (II,  14).  Es  verhielt  sich  also  dabei  der 
Muskel  so,  wie  es  bei  gleichzeitiger  länger  währender  Tetani- 
sirung beider  Antheile  einer  der  früher  genannten  Muschelarten 
zu  beobachten  war,  was  mit  seiner  histologischen  Beschaffen- 
heit in  Übereinstimmung  steht. 

Aus  allen  angeführten  Beobachtungen  geht  hervor,  dass 
meine  Annahme,  dass  so  grosse  Verschiedenheiten,  wie  sie 
sich  mir  im  Bau  der  Fasern  des  Schliessmuskels  der  Lamelli- 
branchiaten  ergeben,  nicht  ohne  Einfluss  auf  die  Muskelthätig- 
keit  sein  dürften  (1,  S.  661),  begründet  war.  Besonderes  Inter- 
esse scheint  mir  dabei  der  Umstand  zu  verdienen,  dass  wir 
hier  in  einem  Muskel  einer  einzigen  Thierclasse  histologisch 


492  Vh.  Knoll. 

und    functionell    den  Übergang  von    der   quergestreiften    zur 
glatten  Musculatur  zu  verfolgen  vermögen. 

II.  Zuckungscurven  vom  Mantel  von  Eledone. 

Die  Beobachtung,  dass  in  der  Musculatur  der  Cephalo- 
poden  zahlreiche  doppelt  schräggestreifte  Fasern,  beziehungs- 
weise Faserstellen  sich  finden,  der  Bau  der  Fasern  im  Ganzen 
dabei  aber  ein  ausgeprägt  blätteriger  ist,  Hess  es  mir  wünschens- 
werth  erscheinen,  die  Eigenthümlichkeiten  in  der  Zusammen- 
ziehung der  Musculatur  auch  hier  festzustellen. 

Bis  zu  einem  gewissen  Grade  war  dies  schon  durch  die 
Beobachtung  der  Athembewegungen  des  Mantels  dieser  Thiere 
möglich,  dessen  freier  Rand  23 — 25  mal  in  der  Minute  sich  jäh 
verengert.  Behufs  graphischer  Verfolgung  des  Vorganges  wurde 
bei  mehreren  grossen  und  drei  beiläufig  einen  Zoll  grossen 
Eledonen  der  Kopf  derart  vom  Körper  abgetrennt,  dass  die 
spontanen  Athembewegungen  erloschen;  das  stumpfe  Körper- 
ende wurde  mittels  einer  starken  Präparirnadel  auf  der  Wachs- 
platte einer  Präparirschale  fixirt,  das  Muskelhäkchen  in  den 
freien  Rand  des  Mantels  eingestochen  und  die  mit  demselben 
verbundene  Schnur  schräg  ansteigend  zu  dem  (je  nach  der 
Grösse  des  verwendeten  Thieres)  mit  10  —  40^  belasteten 
Schreibhebel  geführt.  Zur  Auslösung  der  Zusammenziehung 
des  Mantels  diente  in  der  Regel  der  Inductionsstrom,  doch 
wurden  wiederholt  auch  mechanische  und  chemische  Reize  ver- 
sucht. Da  mit  letzteren,  selbst  wenn  sie  streng  local  angewendet 
wurden,  dieselben  den  ganzen  Mantel  betreffenden  Zusammen- 
ziehungen herbeigeführt  wurden,  wie  sie  bei  Anwendung  von 
Inductionsströmen  auftraten,  dürften  wohl  auch  diese  nur 
reflectorischer  Natur  sein,  ein  Umstand,  der  aber  für  die  Beur- 
theilung  der  Art  der  Zusammenziehung  wohl  umso  weniger  in 
Betracht  kommt,  als  ich  an  dünnen,  dem  Frosch-Sartorius 
ähnelnden,  der  Länge  nach  durchströmten  Streifen,  welche  aus 
der  Mantelmusculatur  herausgeschnitten  wurden,  ganz  analoge 
Zusammenziehungen  zu  beobachten  vermochte  wie  am  intacten 
Mantel.  Diese  aber  waren  bei  Anwendung  einzelner  Inductions- 
schläge,  die  von  7  cm  RA  an  wirksam  waren,  sowie  bei  einer 
Serie  solcher  und  bei  Verwendung  tetanisirender  Ströme,  wie 


Structur  und  Zuckung  der  Muskelfasern.  493 

Fi^.  15  — 17,  19  und  20  auf  Taf.  II  erweisen,  im  Wesentlichen 
ebenso  beschaffen  wie  bei  Lima  iuflata,  obwohl  zwischen  den 
Muskelfasern  hier  und  dort,  abgesehen  von  der  beiderseits 
vorhandenen  deutlichen  Sonderung  der  einfach  und  doppelt 
brechenden  Elemente  nicht  unwesentliche  Structurverschieden- 
heiten  bestehen. 

III.  Zuckungscurven  der  weissen  und  rothen  Musculatur  von 

Cistudo  europaea. 

Ich  habe  an  anderer  Stelle  (1,  S.  686)  auf  den  Unterschied 
in  der  Färbung  und  Structur  zwischen  der  Extremitäten- 
musculatur  und  der  Musculatur  an  der  Wirbelsäule  von  Cistudo 
europaea  hingewiesen  und  angegeben,  dass  mich  vergleichende 
Reizversuche  an  diesen  Muskeln  lehrten,  dass  weiss  und  flink 
und  roth  und  trag  durchaus  nicht  zusammenfallen  müssen,  und 
dass  ich  nach  weiterer  Durchführung  dieser  Versuche  über  die- 
selben besonders  zu  berichten  gedenke. 

Indem  ich  hiemit  an  die  Einlösung  dieses  Versprechens 
schreite,  sei  zuerst  daran  erinnert  dass  in  der  rothen  Extremi- 
tätenmusculatur  von  Cistudo  Fasern  von  verschiedenstem 
Kaliber  durcheinander  gemengt  vorkommen,  die  dünneren  der- 
selben reich  an  ziemlich  dicht  stehenden  feinen  Körnchen  und 
die  dicken  verhältnissmässig  arm  an  solchen  sind,  während  die 
langen,  weissen,  zum  Zurückziehen  des  Kopfes  dienenden 
Muskeln  an  der  Seite  der  Wirbelsäule  fast  ausschliesslich  aus 
an  Körnchen  armen  Fasern  zusammengesetzt  sind  (1,  S.  686). 

Letztere  liegen  je  zu  zweit  an  den  Seiten  der  Wirbelsäule 
und  bilden  wegen  ihrer  an  den  Froschsartorius  erinnernden 
Beschaffenheit  ein  günstiges  Object  für  Reizversuche.  Benützt 
wurde  hiebei  lediglich  der  längere  Muskel  des  Paares,  der  sich 
ohne  ausgeprägte  Sehne  am  Becken  und  mit  längerer  flacher 
Sehne  an  der  Schädelbasis  inserirt.  Diese  Muskeln  wurden 
nach  Abtragen  des  Brustschildes  durch  Ausweiden  des  Thieres 
blossgelegt,  die  Extremitäten  abgetrennt,  dann  der  feine  von 
der  Wirbelsäule  an  die  Mitte  des  Muskels  gehende  Nerv  für 
die  Reizung  vorbereitet,  hierauf  die  lange  Sehne  des  Muskels 
abgetrennt  und  in  der  üblichen  Weise  mit  dem  Myographion 
verbunden  und  sodann  die  Reizung  vom  Nerven  aus  vollzogen. 


494  Ph.  Knoll, 

Da  an  den  Extremitäten  kein  für  die  isolirte  Reizung  vom 
Nerven  aus  geigneter  Muskel  aufzufinden  war,  wurden  hier  die 
Beuger  im  Ellbogengelenk  von  einem  dem  Nerv,  brachialis  beim 
Frosch  analogen,  dicken,  an  den  Vorderarm  ziehenden  Nerven 
aus  gereizt.  Die  vordere  Extremität  wurde  zu  diesem  Behufe 
am  Schulterblatt  eingeklemmt,  in  der  Haut  der  Vola  manus 
das  Muskelhäkchen  befestigt  und  die  Extremität  durch  ent- 
sprechende Belastung  am  Myographion  gestreckt. 

Es  wurden  Zuckungscurv^en  von  1 1  Exemplaren  von 
Cisinäo  europaea  und  einem  Exemplar  von  Tesiudo  graeca 
aufgenommen,  ausserdem  noch  an  zwei  Exemplaren  von  Cisitido 
europaea,  die  anderweiten  Vorlesungsversuchen  dienten,  durch 
Betrachtung  der  Muskeln  festgestellt,  dass  die  Erschlaffung  der 
weissen  Musculatur  träger  ablief  als  jene  der  rothen. 

Mit  Ausnahme  eines  einzigen  Falles,  in  welchem  die 
Musculatur  der  Extremitäten  auffallend  blass  war,  verlief  die 
Zusammenziehung  und  Erschlaffung  der  rothen  Beuger  des 
Vorderarms  sehr  rasch  (III;  l,  3).  Die  Zusammenziehung  der 
weissen  Musculatur  fiel  sehr  wechselnd  aus,  war  manchmal 
sehr  trag,  in  einzelnen  Fällen  dagegen  nahezu  ebenso  flink 
als  jene  der  rothen;  stets  aber  erfolgte  die  Erschlaffung 
derselben  ungleich  träger  als  jene  der  rothen  Extremitäten- 
musculatur  (III;  2,  4).  In  zwei  Fällen  versagte  sowohl  die 
Reizung  vom  Nerven  aus  als  die  directe  Muskelreizung,  selbst 
bei  Verwendung  stärkerer  tetanisirender  Ströme  gänzlich,  in 
zwei  anderen  Fällen  mussten  als  Minimalreiz  ungewöhnlich 
starke  Inductionsschläge  in  Anwendung  gezogen  werden,  um 
eine  Zuckung  auszulösen.  In  anderen  Fällen  wieder  trat 
schon  bei  einem  Rollenabstand  von  21,  ja  sogar  von  33  rw 
JÖZ  auf. 

Macht  auch  dieses  wechselvolle  Verhalten  der  weissen 
Musculatur,  das  wohl  auf  pathologischen  Verhältnissen  der- 
selben beruhen  dürfte,  sowie  der  Umstand,  dass  von  der  rothen 
Musculatur  nicht  ein  isolirter  Muskel  gereizt  wurde,  die  Durch- 
führung einer  genaueren  Vergleichung  zwischen  den  beider- 
seitigen Zuckungscurven  unmöglich,  so  gestattet  doch  wohl 
der  regelmässig  weit  trägere  Ablauf  der  Zuckungscurve  der 
weissen  Musculatur  das  Eine  zu  sagen,  dass  hier  ein  Fall  vor- 


Slruclur  und  Zuckung  der  Muskelfasern.  4U5 

liegt,  auf  welchen  der  Satz,  dass  die  weisse  Musculatur  flinker 
reagirt  als  die  rothe,  keine  Anwendung  finden  kann. 


Literaturverzeichniss. 

1.  Ph.  Knoll,  Über  protoplasmaarme  und  protoplasma- 
reiche Musculatur.  Denkschriften  der  mathematisch  -  natur- 
wissenschaftlichen Ciasse  der  kaiserl.  Akademie  der  Wissen- 
schaften. LVIII.  Bd.,  S.  633  fif. 

2.  Derselbe,  Zur  Lehre  von  den  doppelt  schräggestreiften 
Muskelfasern.  Sitzungsber.  der  kaiserl.  Akademie  der  Wissen- 
schaften in  Wien.  Mathem.-naturw.  Classe,  Bd.  CI,  Abth.  III, 
October  1892. 

3.  G.  Schwalbe,  Über  den  feineren  Bau  der  Muskelfasern 
wirbelloser  Thiere.  Schultzens  Archiv,  Bd.  V,  S.  205  ff. 

4.  H.  V.  Ihering,  Über  Anomia,  nebst  Bemerkungen  zur 
vergleichenden  Anatomie  bei  den  Muscheln.  Zeitschr.  für 
wissenschaftliche  Zoologie,  Bd.  30,  Suppl.  S.  13  (1878). 

5.  Th.  W.  Engel  mann,  Über  den  faserigen  Bau  der  con- 
tractilen  Substanzen,  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
glatten  und  doppelt  schräggestreiften  Muskelfasern.  Pflüger's 
Archiv,  Bd.  25,  S.  538  ff. 

6.  A.  Pick,  Beiträge  zur  vergl.  Physiologie  der  irritablen 
Substanzen.  Braunschweig  1863. 

7.  Joh.  Pawlow,  Wie  die  Muschel  ihre  Schale  öffnet. 
Pflüger's  Archiv,  Bd.  37,  S.  6  ff. 

8.  W.  Biedermann,  Über  die  elektrische  Erregung  des 
Schliessmuskels  von  Anodottta.  Sitzungsber.  der  kaiserl.  Aka- 
demie der  Wissenschaften  in  Wien.  XCI.  Bd.,  III.  Abth.,  S.  29  ff. 

9.  Ph.  Knoll,  Über  die  nach  Verschluss  der  Hirnarterien 
auftretenden  Augenbewegungen.  Ebenda,  Bd.  XCIV,  S.  220  ff. 

10.  Derselbe,  Über  einen  verbesserten  Polygraphen.  Präger 
medicinische  Wochenschrift,  1879,  Nr.  21. 


41.h; 


Ph.  Knüll, 


Erklärung  der  Tafeln. 


Sämmlliche  Curven  auf  Taf.  I  und  II  wurden  mittels  des  im  Text 
beschriebenen  Verfahrens  im  Monat  April  in  der  zoologischen  Station  in  Triest 
gewonnen  und  geben,  mit  Ausnahme  von  15  —  17,  19,  20  auf  Taf.  II,  welche  vom 
Mantel  von  Ekdone  herrühren,  die  Contractionsvorgänge  am  Schliessmuskei 
von  Bivalven  bei  Schliessung  {s)  und  Öffnung  (o)  eines  Inductionsstromes  oder 
Anwendung  tetanisirender  Inductionsströme  (/)  wieder.  Die  den  Zeichen  s,  ö 
und  /  beigefügten  Ziffern  zeigen  den  Abstand  der  secundären  von  der  primären      1 

Spirale  in  Centimetern  an.  Das  Zeichen  X  markirt  das  Ende  der  Tetanisirung, , | 

Jedoch  nur  beiläufig,  da  das  Zeichen  immer  erst  sofort  nach  beendigter  Reizung  ' 
auf  dem  berussten  Papier  angeschrieben  werden  konnte.  Wo  sich  sü  — ►  ö  ver- 
zeichnet findet,  wurde   fortgesetzt  in   rascher  und   möglichst  gleichmässiger 
Folge  der  Strom  geschlossen  und  geöffnet. 

Die  Curven  1  —  4  auf  Taf.  lll  geben  die  Zuckungen  von  Schildkröten- 
muskeln wieder;  1,  2  wurden  mittels  des  im  physiologischen  Institute  der 
deutschen  Universität  in  Prag  gebräuchlichen  Myographion,  3,  4  mittels  der  im 
Text  beschriebenen  Vorrichtung  auf  dem  berussten  Papier  am  He  ring 'sehen 
Kymographion  verzeichnet.  Die  Buchstaben  s,  ö  und  die  beigesetzten  Ziffem|^] 
haben  dieselbe  Bedeutung  wie  auf  Taf.  I,  II,  die  Abscissenstrecke  zwischen  je 
zwei  einfachen  senkrechten  Strichen  hat  den  Zeitwerth  einer  Secunde.  Sämmtliche 
Curven  sind  von  links  nach  rechts  zu  lesen. 


Tafel  I. 

Fig.  1,  2,  9  wurden  von  Peclcn  variits  gewonnen,  und  zwar  1,  9  vom  isolirten 

gelblichgrauen,  2  vom  isolirten  weissen  Antheil  des  Schliessmuskels. 
Fig.  3—8  stammen  von  PecUn  glaber  her;  3,  5  bei  Reizung  beider  Antheile, 

6  bei  Reizung  des  isolirten  gelblichgrauen  Antheiles  derselben  Muschel. 

4,  7,  8  wurden  ebenfalls  vom  isolirten  gelblichgrauen  Antheil  gewonnen. 

Bei  Fig.  7,  8  wurde  Schluss-  und  Öffnung  des  Stromes  fortgesetzt  in 

möglichst  gleichmässigem  Tempo  vorgenommen,   wobei   im   weiteren 

Verlaufe  der  Reizung  die  Zuckungen  des  Muskels  weit  seltener  wurden 

als  die  Reizungen. 
Fig.  10  — 13  verzeichnet  die  Vorgänge  bei  einer  in  rascher  Aufeinanderfolge 

vorgenommenen  Serie  von  Reizungen  mit  tetanisirenden  Strömen  am 

isolirten  grauen  .\ntheil  von  Pectcn  Jacobaeus. 
Fig.  14    wurde    durch    gleichzeitige    Tetanisirung   beider   .-\ntheile    bei    Area 

gewonnen. 
Fi«4.  1,'),  16.   Reizung  des  isolirten  weissen  Antheiles  von  Area. 


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Structur  und  Zuckung  der  Muskeliasern.  49/ 

Tafel  II. 

Fi|!c.  1  —  4,  6,  8.  Reizung  des  isolirten  gelblichgrauen  Antheiles  von  Atra. 

Fig.  5.  Reizung  des  isolirten  gelblichgrauen  Antheiles  von  Venus. 

Fig.  7,  9  — 13.  Reizung  des  Schiiessmuskels  von  Lima  inßala;  7,  10 bei  gleich- 
bleibender Frequenz  der  Reizungen. 

Fig.  14,  18.  Reizung  des  hinteren  Schiiessmuskels  von  Scrobictilaria. 

Fig.  15  — 17,  19,  20.  Reizung  des  Mantels  einer  (ohne  die  Arme)  beiläufig  einen 
Zoll  langen  EUdone. 

Tafel  III. 

Fig.  1,3.  Reizung  der  rothen,  2,  4  Reizung  der  weissen  Musculatur  von  Cisludo 
enropaea  vom  Nerven  aus. 


498 


Zur  Lehre  von  den  doppelt  schräggestreiften 

Muskelfasern 

von 

Ph.  Knoll. 

^Mit  2  Tafeln.) 
(Vorgeleg^t  in  der  Sitzung  am  13.  October  1892.) 

In  einer  im  Vorjahre  erschienenen  Mittheilung  (1)  habe  ich 
die  Frage  nach  der  Structur  der  doppelt  schräggestreiften 
Muskelfasern  kurz  erörtert  und  indem  ich  mich  hinsichtlich  dieser 
Fasern  bei  den  Cephalopoden  der  von  Schwalbe  (2)  für  die 
Hirudineen  aufgestellten  Ansicht  anschloss,  dass  die  die  Faser 
zusammensetzenden  Muskelblätter  in  zwei  spiraligen  Systemen, 
von  denen  das  eine  der  dem  Beobachter  zugekehrten,  das 
andere  der  entgegengesetzten  Seite  der  contractilen  Rinde 
angehört,  um  die  Marksubstanz  herumlaufen  (1,  S.  670),  im 

*  • 

Übrigen  die  Meinung  ausgesprochen,  dass  nicht  alles,  was  als 
Doppeltschrägstreifung  erscheint,  nach  einem  und  demselben 
Schema  erklärt  werden  kann,  und  dass  es  immer  Sache 
besonderer  Untersuchung  sei,  zu  ermitteln,  worauf  in  diesem 
oder  jenem  Falle  dieses  eigenthümliche  Bild  zurückzuführen 
ist  (l,S.  663). 

Ein  Aufenthalt  an  der  zoologischen  Station  in  Triest  im 
Herbst  des  vorigen  und  im  Frühling  dieses  Jahres,  bei  welchem 
ich  dem  Inspector  derselben,  Herrn  Dr.  Ed.  Graeff  e,  für  bereit- 
willige Beschaffung  von  Material  wieder  zu  Dank  verpflichtet 
wurde,  regte  mich  zu  weiterer  Beschäftigung  mit  diesem  Gegen- 
stande an,  der  mich  um  seiner  Bedeutung  für  die  Fragen  nach 
der  Entwickelung  der  quergestreiften  Muskelfaser  in  der  Thier- 
reihe  und  nach  den  Vorgängen  in  den  gestreiften  Muskelfasern 
bei  der  Zusammenziehung  immer  wieder  anzog,  wenn  derselbe 
auch  ausserhalb  meines  eigentlichen  Arbeitskreises  liegt. 


Doppelt  schräggestreifte  Muskelfasern.  499 

Indem  ich  nun  das  Ergebniss  langwieriger,  mühevoller 
Untersuchungen  in  diesen  Blättern  kurz  darlege,  bin  ich  mir 
dabei  wohl  bewusst,  nur  einzelne  Thatsachen,  die  für  eine  der- 
einstige Lösung  der  Fragen,  um  die  es  sich  hier  handelt,  heran- 
gezogen werden  können,  beizubringen;  da  mir  aber  die  eine 
oder  andere  dieser  Thatsachen,  wie  die  Umordnung  der  stark 
lichtbrechenden  Theile  in  der  Muskelfaser  bei  der  Zusammen- 
ziehung recht  bemerkenswerth  erscheint,  und  ich  nicht  weiss, 
ob  und  wann  ich  den  fraglichen  Gegenstand  weiter  zu  verfolgen 
vermag,  glaubte  ich  mit  meiner  Darlegung  nicht  zurückhalten 
zu  sollen. 

Wie  widersprechend  die  Ansichten  der  verschiedenen  Beob- 
achter über  die  Structur  der  von  Schwalbe  als  doppelt  schräg- 
gestreift  (2,  S.  212)  bezeichneten  Muskelfasern  sind,  geht  schon 
zur  Genüge  aus  meinen,  sowie  aus  den  ausführlicheren  Mit- 
theilungen von  Ballowi  tz  (3)  über  die  Literatur  dieses  Gegen- 
standes hervor.  Und  nimmt  man  hinzu,  dass  jüngst  Th.  Eimer 
(4)  im  Einklang  mit  einer  älteren  Mittheilung  Margo's  (5)  angab, 
am  Schliessmuskel  von  Anodonta,  der  seit  Engelmann*s  (6) 
bekannten  Untersuchungen  gewissermassen  als  classischer 
Repräsentant  der  doppelt  schräggestreiften  Musculatur  galt, 
Querstreifung  beobachtet  zu  haben  (4,  S.  80,  81),  und  ausführte, 
die  »schiefen,  gekreuzten  und  Zickzacklinien  würden  dadurch 
hervorgerufen,  dass  die  Fibrillen  aneinander  verschoben  sind», 
wie  man  ähnliche  Bilder  auf  Grund  derselben  Ursache  sehr 
häufig  auch  bei  den  quergestreiften  Muskeln  der  höheren  Thiere 
finde  (S.  84,  85),  so  dürfte  eine  weitere  Untersuchung  dieses 
Gegenstandes  wohl  als  ein  gerechtfertigtes  Beginnen  erscheinen. 

Mich  leitete  hiebei  zunächst  der  Gedanke,  zu  ermitteln, 
welche  Stellung  innerhalb  des  Muskelgewebes  die  doppelt 
schräggestreiften  Muskelfasern  einnehmen,  ob  wir  in  denselben 
eine  Abart  der  fibrillären  glatten  Muskelfasern  vor  uns  haben, 
wie  Engelmann  annimmt,  oder  eine  durch  schräge  Anordnung 
der  doppelt  brechenden  Theilchen  charakterisirte  Abart  der 
gestreiften  Muskelfasern,  wie  Schwalbe  behauptete,  eine  Frage, 
deren  Beantwortung  für  unsere  Kenntnisse  der  Entwickelung 
der  Muskelfaser  innerhalb  der  Thierreihe  von  Wichtigkeit  ist, 
und  mich  in  weiterer  Folge  zum  Studium  der  Zuckungseigen- 


1 


ÖOO  Ph.  Knoll, 

thümlichkeiten  der  längsgestreiften,  doppelt  schräggestreiften 
und  quergestreiften  Muskelfasern  der  Mollusken  veranlasste. 

Ich  habe  mich  dabei  auf  das  Studium  der  Schliessmuskeln 
der  Lamellibranchiaten  und  die  Musculatur  des  Mantels,  der 
Buccalmasse  und  der  Arme  der  Cephalopoden  beschränkt  da 
diese  Objecte  alle  genannten  Faserarten  in  vvohlausgeprägten 
Typen  enthalten  und,  abgesehen  von  der  Buccalmasse  der 
Cephalopoden,  gleichzeitig  sich  zu  Reizversuchen  eignen,  über 
deren  Ergebnisse  ich  aber  abgesondert  berichten  werde. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  wurde  an  frischen  und 
an  fixirten  Objecten,  an  gefärbten  und  ungefärbten  Zupf-  und 
Schnittpräparaten  vorgenommen.  Am  geeignetsten  erwies  sich 
die  Untersuchung  an,  in  einer  Mischung  von  Wasser  und 
Glycerin  zu  gleichen  Theilen  liegenden  ungefärbten  und 
gefärbten  Zupfpräparaten  von  fixirten  Objecten,  namentlich  von 
in  Flemming'scher  Lösung  (nach  dem  stärkeren  Recept  und 
nach  der  von  Cori  angegebenen  Modification)  und  in  Pikrin- 
schvvefelsäure  fixirten  Objecten.  Einschluss  in  Balsam  erwies 
sich,  abgesehen  von  Präparaten,  die  für  die  Untersuchung  mit 
dem  Polarisationsmikroskop  bestimmt  waren,  als  unvortheilhaft. 
Die  Beobachtung  erfolgte  fast  durchaus  mittels  Zeiss'scher 
Öl-Immersionslinsen. 

I.    Die  doppelt  schräggestreiften  Muskelfasern  der  Lamelli- 
branchiaten. 

Den  Ausgangspunkt  meiner  diesbezüglichen  Unter- 
suchungen bildete  der  Schliessmuskel  von  Lima  inßaia,  in 
welchem,  wie  ich  bereits  angegeben  (1,  S.  660),  einfach  und 
doppelt  schräg-,  sowie  quer-  und  längsgestreifte  Fasern  neben 
einander  vorkommen. 

Lima  inflata.  Der  Schliessmuskel  dieses  Thieres  erscheint 
in  seinem  ganzen  Umfange  weiss,  sehnig  glänzend,  auf  dem 
Querschnitte  aber  gelblichgrau.  Makroskopisch  ist  eine  Son- 
derung in  zwei  Antheile  nicht  vorhanden,  mikroskopische 
Schnitte  durch  die  Dicke  des  ganzen  Muskels  lehren  aber,  dass 
die  dem  sogenannten  sehnigen  Antheile  des  Schliessmuskels 
anderer  Muscheln  eigenthümlichen  dicken,  ausgeprägt  längs- 


Doppell  schräggestreifte  Muskelfasern.  öOl 

gestreiften  Fasern  den  Muskel  an  seinem  ganzen  Umfange  in 
mehrfacher  Lage  umsäumen,  vereinzelt  eingesprengt,  aber  auch 
im  Inneren  desselben  vorkommen. 

Das  Thier,  dessen  Schalen  bei  voller  Ruhe  stets  etwas 
klaffen,  setzt  dem  gewaltsamen  Öffnen  derselben  erheblichen 
Widerstand  entgegen,  der  aber  ohne  das  bei  anderen  Muscheln 
so  leicht  eintretende  Zerreissen  des  Muskels  überwunden 
werden  kann,  so  dass  der  Schliessmuskel  desselben  unversehrt 
beträchtlich  gedehnt  werden  kann,  in  welchem  Zustande  er 
dann  verharrt.  Eine  ähnliche  Verlängerung  erfährt  der  Muskel 
beim  Absterben  des  Thieres  spontan. 

Nach  Abtrennung  von  einer  Schale  schrumpft  der  künst- 
lich stark  gedehnte  Muskel  unter  Umständen  bis  auf  den  vierten 
Theil  der  erreichten  Länge  zusammen.  Viele  Fasern  zeigen 
dann  eine  starke  Kräuselung,  was  mir  für  eine  Mitbetheiligung 
elastischer  Kräfte  an  der  Verkürzung  zu  sprechen  scheint. 

Mit  Rücksicht  auf  die  Angabe  Engelmann 's,  dass  bei 
Anodottta  alle  Fasern  des  Schliessmuskels,  auch  wenn  sie  dem 
gelben  Theil  entnommen  sind,  zwar  deutlich  fibrillär,  aber  nicht 
deutlich  oder  doch  nur  unter  sehr  spitzem  Winkel  doppelt 
schräggestreift  erscheinen,  wenn  der  Muskel  im  gedehnten 
Zustande  fixirt  wurde,  dagegen  an  allen  Fasern  und  an  nahezu 
allen  Stellen  aller  Fasern  stark  ausgesprochene  doppelte  Schräg- 
streifung sichtbar  ist,  wenn  der  Muskel  ad  maximum,  und  end- 
lich wohl  an  vielen  Stellen  aber  an  keiner  Faser  in  ihrer  ganzen 
Länge  Doppeltschrägstreifung  zu  finden  ist,  wenn  er  in 
geringerem  Maasse  verkürzt  fixirt  wurde  (6,  S.  555 — 557),  habe 
ich  die  Untersuchung  am  Schliessmuskel  von  Lima  inflata  bei 
verschiedenen  Graden  der  Dehnung,  beziehungsweise  Ver- 
kürzung desselben  vorgenommen. 

Im  Ganzen  wurde  der  Schliessmuskel  von  21  sehr  ver- 
schieden grossen  Exemplaren  dieser  Muschelart  untersucht, 
hievon  acht  im  gedehnten,  die  übrigen  im  Zustande  verschieden- 
gradiger  Verkürzung.  Sechs  hievon,  durchwegs  sehr  kleine 
Exemplare,  gehörten  nach  Bestimmung  des  Prof.  Dr.  Boettger 
in  Frankfurt  a.  M.  wahrscheinlich  der  var.  hesperia  an. 

Zunächst  ist  hervorzuheben,  dass  sowohl  in  den  gedehnt, 
wie  in   den  verkürzt,  frisch  in  Seewasser  oder  in  ein  Drittel- 

Sitzb.  d.  mathera.-naturvv.  CK;  CI.  Bd.,  Abth.  III.  35 


502  Ph.  Knüll, 

beziehungsweise  absolutem  Alkohol,  osmiumreicherer  und 
osmiumärmerer  Flemming'scher  Lösung  (Modification  von 
Cori)  und  Pikrinschvvefelsäure  fixirten  Objecten  doppelt  schräg- 
gestreifte Fasern  zu  finden  waren,  weit  zahlreicher  sogar  in  den 
gedehnten  Muskeln  als  in  den  verkürzten,  in  welchen  letzteren 
die  quergestreiften  Fasern  überwogen.  Wenn  ich  den  Unter- 
schied des  Schliessmuskels  von  Lima  inflata  im  verkürzten 
und  gedehnten  Zustande  mit  Schlagworten  kennzeichnen  sollte, 
müsste  ich  den  Muskel  im  ersten  Falle  als  quergestreift,  im 
letzteren  als  doppelt  schräggestreift  bezeichnen.  Dabei  fanden 
sich  aber  in  beiden  Fällen  zahlreiche  Fasern,  die  in  der  Structur 
von  der  Hauptmasse  der  Fasern  in  verschiedener  Weise  ab- 
wichen, was  das  Zusammenfassen  der  Befunde  von  einem  ein- 
heitlichen Gesichtspunkte  aus  sehr  erschwert. 

Die  Durchmusterung  einer  überaus  grossen  Zahl  von 
ungefärbten  oder  in  Hämatoxylin  gefärbten  Zupf-  und  Schnitt- 
präparaten von  den  in  50  zu  70  und  907o  ansteigendem  Alkohol 
nachgehärteten  Objecten  lehrte,  dass  im  gedehnten  wie  im  ver- 
kürzten Muskel  die  Fasern,  abgesehen  von  einer  wechselnden 
Zahl  von  homogenen,  in  der  schwach  lichtbrechenden,  in 
Hämatoxylin  nicht  oder  doch  nur  schwächer  sich  färbenden 
Grundsubstanz  stärker  lichtbrechende  und  in  Hämatoxylin  sich 
stärker  färbende  Theilchen  von  in  den  einzelnen  Fasern  sehr 
wechselnder  Anordnung  enthielten. 

In  den  gedehnten  Muskeln  überwogen  weitaus  die  Fasern, 
in  welchen  diese  Theilchen  entweder  regellos  verstreut,  oder  in 
Längsreihen  (Taf.  I,  Fig.  1 ;  Taf.  II,  Fig.  1)  oder  in  von  der  Faser- 
axe  mehr  oder  weniger  abweichenden  Schrägreihen  (Taf.  II, 
Fig.  2 — 4;  Taf.  II,  Fig.  4 — 6)  angeordnet  waren.  Oft  machten 
diese  Schrägreihen  den  Eindruck  fein  gekörnelter  Fibrillen,  an 
denen  eine  leichte  wellige  Biegung  wahrzunehmen  war  (Taf.  II 
Fig.  5).  Bei  wechselnder  Einstellung  trat  dann  zumeist,  so  auch 
bei  der  eben  bezeichneten  Faser,  ein  System  entgegengesetzt 
verlaufender  solcher  Streifen  hervor.  War  die  wellige  Biegung 
stärker,  so  entstand  der  Eindruck  einer  eigenthümlichen  zopf- 
artigen Durchflechtung  jener  fibrillenartigen  Züge  (Taf.  I,Fig.  2,3), 
wobei  sich  die  einzelnen  fibrillenartigen  Reihen  stärker  licht- 
brechende»-  und  stärker  sich  färbender  Theilchen,  oft  linienartig 


Doppelt  schräggestreifte  Muskelfasern.  503 

mit  einander  verschmolzen,  immer  nur  auf  kürzere  Strecken  im 
ununterbrochenen  Zusammenhange  verfolgen  Hessen. 

Nicht  selten  aber  auch  erschienen  die  Schrägreihen  stärker 
lichtbrechender  Theilchen  bandartig  verbreitert  und  letztere 
zuweilen  durch  helle  Zwischenräume  weiter  von  einander 
gesondert  (Taf.  I,  Fig.  19),  wodurch  ein  Bild  entstehen  kann,  das 
der  von  Schwalbe  (2,  Taf.  XIV,  F'ig.  4)  gegebenen  Abbildung 
einer  doppelt  schräggestreiften  Faser  sehr  ähnelte.  In  der  Regel 
konnte  ich  mich  aber  dann  durch  vorsichtig  wechselnde  Einstel- 
lung davon  überzeugen,  dass  dieses  Bild  durch  die  Kreuzung 
zweier  in  verschiedenem  Niveau  liegender  und  verschieden 
gerichteter  Systeme  von  hellen  und  dunklen  Bändern  bedingt 
war.  In  anderen  Fällen  aber  konnte  ich  auch  bei  wechselnder 
Einstellung  nur  ein  System  solcher  Streifen  wahrnehmen,  das 
aber  unter  Umständen  seine  Richtung  innerhalb  einer  und 
derselben  Faser  wechselte   (Taf.  II,  Fig.   4,  6;  Taf.  I,  Fig.  4). 

In  dem  stark  verkürzt  fixirten  Muskel  fanden  sich  neben 
den  vorwaltenden  quergestreiften  Fasern  stets  theils  vereinzelt, 
theils  in  Gruppen,  Fasern  von  derselben  Beschaffenheit  wie  im 
gedehnten  Muskel,  während  anderseits  in  diesem  wieder  an  ein- 
zelnen Fasern  an  gewissen  Stellen  eine  nur  einen  Theil  der 
F'aserbreite  durchsetzende  Querstreifung  zu  sehen  war  (Taf.  II, 
Fig.  1),  wie  Vosseier  (7)  sie  jüngst  von  Anthropodenmuskeln 
abgebildet  hat,  an  Faserwülsten  wohl  auch  eine  über  die  ganze 
Faserbreite  sich  erstreckende  Querstreifung  fand. 

Die  mannigfaltige  Erscheinungsform  der  Querst'reifung, 
der  Wechsel  zwischen  Quer-  und  Schrägstreifung  und  einer 
regellosen  Vertheilung  der  stark  lichtbrechenden  Theilchen,  das 
Vorkommen  dachsparrenartiger  Zeichnung  und  der  Übergang 
von  dieser  in  die  Querstreifung  an  einer  und  derselben  Faser, 
sowie  die  gleichzeitige,  an  Alkoholpräparaten  oft  sehr  aus- 
geprägte  fibrilläre  Längsstrichelung  der  Fräsern  ergibt  sich 
genügend  aus  den  Fig.  5  auf  Taf.  I,  und  3,  10.  11,  12,  14,  16  auf 
Taf.  II.  Aus  allen  diesen  Beobachtungen  aber  wird  sich  meines 
Erachtens  kaum  ein  anderer  Schluss  ziehen  lassen  als  der,  dass 
die  stärker  lichtbrechenden  und  stärker  sich  färbenden  Theilchen, 
welche  die  Zeichnung  der  Fasern  des  Schliessmuskels  von  Lima 
inflata  bedingen,  überaus  labil  sind,  bald  linienartig  mit  einander 


504  Ph.  Knoll, 

verschmelzen,  bald  wieder  zu  gröberen,  weiter  von  einander 
gesonderten  Partikeln  zusammentreten  und  unter  dem  Einfluss 
richtender  Kräfte  aus  der  Längs-  in  die  Schräg-  und  Queranord- 
nung übergeführt  werden. 

Dass  unter  diesen  richtenden  Kräften  die  bei  der  Zusammen- 
ziehung der  Faser  thätigen  wohl  in  erster  Reihe  stehen,  scheint 
mir  nicht  bloss  aus  dem  Unterschiede  zwischen  den  verkürzt 
und  erschlafft  fixirten  Objecten,  sondern  insbesondere  daraus 
hervorzugehen,  dass  man  an  Fasern,  an  denen  sich  ein  Wulst 
findet,  zuweilen  den  Übergang  aus  der  Längs-  durch  die  Schräg- 
stellung in  die  innerhalb  des  Wulstes  herrschende  Querstellung 
beobachten  kann  (Taf.  II,  Fig.  13),  wobei  aber  bemerkt  werden 
muss,  dass  die  Querstreifung  an  Faserwülsten  oft  nur  an 
einer  Stelle  deutlich  ist,  ja,  dass  diese  sehr  häufig  im  Ganzen 
nur  unregelmässig  granulirt  oder  homogen  und  glänzend 
erscheinen. 

Ob  wir  in  der  spiraligen  Biegung  der  fibrillenartigen  Reihen 
stärker  lichtbrechender  Theilchen,  welche  so  häufig  zu  finden 
ist,  den  Beginn  der  zur  Anordnung  dieser  Theilchen  in  Quer- 
reihen führenden  Bewegung  zu  suchen  haben,  lässt  sich  nach 
Erscheinungen,  wie  sie  auf  Fig.  13,  Taf.  II  dargestellt  sind,  nicht 
geradezu  verneinen,  doch  finde  ich  auch  keine  ausreichenden 
Anhaltspunkte  dafür,  dies  geradezu  zu  behaupten. 

Ebenso  zurückhaltend  muss  ich  mich  hinsichtlich  der 
Frage  aussprechen,  ob  die  auf  Fig.  1,  Taf.  II  abgebildete 
partielle  Querstreifung  auf  Entwickelungsvorgänge  oder  auf 
stellenweise  Faserthätigkeit  zu  beziehen  ist. 

Dass  die  stärker  lichtbrechenden  und  stärker  sich  färbenden 
Theilchen  Disdiaklasten-Gruppen  sind,  ist  nicht  nur  nach  ihrer 
stärkeren  Lichtbrechung  und  Färbung,  sondern  insbesondere 
dadurch  wahrscheinlich,  dass  breitere,  stärker  lichtbrechende 
Streifen  an  diesen  Muskelfasern  an  in  Glycerin  liegenden 
Alkoholobjecten  bei  gekreuzten  Nicols  auf  Gyps,  Roth  erster 
Ordnung,  blau  erscheinen. 

Bei  Zuleitung  schwacher  Essig-  oder  Ameisensäure  unter 
dem  Deckglase  werden  selbst  breite  Quer-  oder  Schrägstreifen 
an  diesen  Fasern  rasch  auf  eine  feine  Linie  reducirt,  die  bald 
darauf  auch  verschwindet. 


Doppelt  schräggestreifte  Muskelfasern.  oOo 

Im  Zusammenhange  hiemit  findet  man  an  dem  Goldver- 
fahren  unterzogenen  Fasern  in  der  Regel  keine  Structur- 
Zeichnung  oder  nur  feine,  an  eingekerbten  Faserstellen  liegende 
rothe  Linien.  Bei  der  Vergoldung  sehr  schwach  angesäuerter 
Objecte  aber  oder  von  Alkoholpräparaten,  kann  man  auch  breite, 
rothe  Streifen  zur  Darstellung  bringen,  die  in  letzterem  Falle 
wohl  auch  noch  eine  fibrilläre  Strichelung  erkennen  lassen 
(Taf.  I,  Fig.  20). 

Inwieweit  der  Umstand,  dass  man  bei  Lima  inflata  die 
Umordnung  der  in  der  erschlafften  Faser  in  Längsreihen  ange- 
ordneten Disdiaklasten-Gruppen  zu  Querreihen  bei  der  Con- 
traction  beobachten  kann,  als  Stütze  der  von  Eimer  (4)  ent- 
wickelten Ansicht  zu  dienen  vermag,  dass  die  Querstreifung 
der  Muskelfasern  nur  Product  ihrer  Thätigkeit  ist  und  bei  den 
höheren  Thieren  gewissermassen  nur  infolge  ihrer  anhaltenden 
Thätigkeit  stabilisirt  erscheint,  muss  ich  ganz  dahingestellt  sein 
lassen.  Der  Umstand  aber,  dass  man  bei  den  sofort  anzuführen- 
den nahe  verwandten  Arten,  bei  denen,  soweit  ich  dies  zu  er- 
mitteln vermochte,  eine  wesentliche  Verschiedenheit  der  Lebens- 
weise nicht  besteht,  die  Fasern  wenigstens  in  gewissen  Ab- 
schnitten des  Schliessmuskels  dauernd  quergestreift  findet, 
scheint  mir  nicht  sehr  für  diese  Ansicht  zu  sprechen. 

Lima  hians  (2  Exemplare)  und  squamosa  (4  Exemplare^, 
Pecten  Jacobaeus  (5  Exemplare),  varius  (2  Exemplare)  und 
glaber  (2  Exemplare).  Bei  allen  diesen  Lamellibranchiaten  finden 
sich  am  gedehnten,  wie  am  verkürzten  Schliessmuskel  aus- 
geprägt quergestreifte  oder  solche  Fasern,  bei  denen  die  Streifen 
nur  ganz  wenig  von  der  Querlage  abweichen  in  grosser  Zahl, 
die  bei  dem  makroskopisch  mit  jenem  von  Lima  irtßafa  ganz 
analogen  Schliessmuskel  von  Lima  hians,  abgesehen  von  der 
Peripherie,  die  Hauptmasse  des  Muskels  ausmachen,  bei  Lima 
squamosa,  wo  wenigstens  an  grösseren  Exemplaren  eine  deut- 
lichere Sonderung  in  einen  weissen  und  gelblichgrauen  Antheil 
vorhanden  ist,  sowie  bei  den  Pecten-Arten,  bei  denen  beide 
Antheile  scharf  gesondert  erscheinen,  nur  in  dem  letzteren,  und 
zwar  in  der  Regel  vermengt  mit  homogenen  Fasern  vorkommen. 
Wohl  finden  sich  auch  hier  dachsparrenartig  gezeichnete  F'aser- 
stellen,  oder  solche,  wo  die  Streifen  stärker  schräg  liegen,  ver- 


'")0G  Ph.  Knoll, 

einzelt,  sehr  selten  auch  solche,  wo  die  Schrägstreifen  innerhalb 
einer  Faser  nach  verschiedener  Richtung  laufen.  Ab  und  zu 
stösst  man  auch  auf  eine  Faser  mit  partieller  Querstreifung 
(Taf.  I,  Fig.  6).  Im  Ganzen  aber  beherrscht,  und  zwar  sowohl 
im  gedehnten,  wie  im  verkürzten  Zustande  des  Muskels  eine 
durch  verhältnissmässig  breite,  meist  ausgeprägt  fibrilläre  und 
oft  in  der  Mitte  aufgehellte  Streifen  bedingte  Querstreifung  das 
Bild  vollständig  (Taf.  I,  Fig.  7 — 10,  16).  Es  ist  gewissermassen 
als  ob  sich  hier  bereits  eine  Stabilisirung  der  bei  Lima  inflata 
noch  sehr  labilen,  stärker  lichtbrechenden  Theilchen  in  Quer- 
reihen und  damit  der  Übergang  zur  eigentlichen  quergestreiften 
Muskelfaser  vollzogen  hätte. 

Die  Doppelbiechung  der  stärker  lichtbrechenden  Streifen 
ist  bei  diesen  Pectiniden  noch  ausgeprägter  als  bei  Lima 
inflata^  das  Verhalten  gegen  Säuren  und  Chlorgold  das  Gleiche. 

Bei  allen  Pectiniden  fand  ich  an  Schnitt-  und  Zupfpräparaten 
an  einer  Anzahl  von  Fasern  kolbige  Enden,  die  oft  noch, 
wenigstens  an  dem  der  übrigen  Faser  zugekehrten  Theile,  eine 
sehr  feine  Querstreifung  erkennen  Hessen,  sonst  aber  nur  un- 
regelmässig granulirt  oder  homogen  erschienen.  Ich  muss  es 
dahin  gestellt  sein  lassen,  ob  es  sich  dabei  immer  um  Contractions- 
wülste  handelte,  da  nicht  selten  auch  den  von  Margo  bei 
Aiiodonta  und  den  Cephalopoden  beschriebenen  Sarkoplasten 
(5,  Fig.  6,  7)  ähnelnde,  an  beiden  Enden  kolbig  abgerundete  sehr 
kurze  Fasern  von  gleicher  Structur  wie  jene  kolbigen  Faser- 
enden vorkamen. 

Ebenso  wie  Schwalbe,  der  letztere  Gebilde  im  Schliess- 
muskel  von  Mytihts  bobachtet  hat  (2,  S.  237),  habe  ich  Kerne 
an  denselben  vermisst,  und  kann  gleich  diesem  ȟber  die 
Bedeutung  derselben  kein  sicheres  Urtheil  fällen«. 

Der  Umstand,  dass  die  Structur  dieser  Gebilde  mit  jener 
von  unzweifelhaften  Contractionswülsten  übereinstimmt  und 
dass  dieselben  sich  auch  bei  erwachsenen  Thieren  zahlreich 
finden,  lässt  es  meines  Erachtens  nicht  ausschliessen,  dass  man 
in  denselben  oder  wenigstens  in  einem  Theile  derselben  voll- 
ständig contrahirte  Fasern  vor  sich  hat,  wobei  es  freilich  immer 
noch  zu  erklären  bliebe,  wie  es  kommt,  dass  hiebei  der  aussen- 
ständige  Kern  unsichtbar  wird. 


Doppelt  schräggestreifte  Muskelfasern.  oO/ 

Endlich  habe  ich  noch  7U  bemerken,  dass  ich  mich  diesmal 
im  Gegensatze  zu  meiner  ersten  Beobachtung  über  diesen  Punkt 
(1,  S.  660)  davon  überzeugt  habe,  dass  die  zuerst  von 
Wagener  (8),  bei  Lima  »spec».  beobachtete  dachsparrenartige 
Zeichnung  bei  den  Pectiniden  auch  an  Fasern  vorkömmt,  die 
bei  keinerlei  Einstellung  Doppeltschrägstreifung  zeigen  (Taf.  1, 
Fig.  4,  5,  9;  Taf.  II,  Fig.  11,  12). 

Area  (5  Exemplare),  Venus  verrucosa  (3  Exemplare),  Ano- 
donta  (8  Exemplare),  Unio  pictorum  (6  Exemplare),  Scrobi- 
cularia  piperata  (4  Exemplare),  Cardium  edule  (2  Exemplare). 

Während  die  früher  erwähnten  Lamellibranchiaten  Mono- 
m^^arier  sind,  gehören  die  eben  angeführten  zu  den  Dimyariern. 
In  der  Regel  wurde  hier  nur  der  hintere  Schliessmuskel  der 
Untersuchung  unterzogen,  der  bei  den  ersten  vier  angeführten 
Arten  eine  ausgeprägte  Sonderung  in  einem  »sehnigen«  (weissen) 
und  »glasigen«  (gelblich  grauen)  Antheil  erkennen  lässt, 
während  dies  bei  Scrobicularia  und  Carditim  nicht  der  Fall  ist. 

Der  Vergleich  zwischen  gedehntem  und  verkürztem  Muske 
wurde  hier  nur  bei  Auodonta  und  ('nio  vorgenommen.  In  Über- 
einstimmung mit  den  Angaben  Engelmann's  erwiesen  sich 
die  Fasern  hier  auch  im  »glasigen«  Antheile  im  gedehnten 
Zustande  in  der  Hauptmasse  längsgestreift,  im  verkürzten 
Zustande  dagegen  zumeist  doppelt  schräggestreift,  wobei  in  der 
Regel  nachzuweisen  war,  dass  die  beiden  sich  kreuzenden 
Streifensysteme  in  verschiedenem  Niveau  liegen.  Doch  muss 
ich  hervorheben,  dass  an  Muskeln,  welche  stark  gedehnt  durch 
24  Stunden  in  osmiumreicherer  Flemming*scher  Lösung  fixirt 
und  dann  von  den  Schalen  abgelöst  in  derselben  Flüssigkeit 
und  hierauf  in  Alkohol  von  steigender  Dichte  nachgehärtet 
worden  waren,  neben  einer  erheblichen  Zahl  homogener  oder 
unregelmässig  granulirter  Fasern  und  neben  sarkoplastenartigen 
ausgeprägt  quergestreiften  Gebilden  (Taf.  I,  Fig.  18)  auch  nicht 
wenige  Fasern  zu  finden  waren,  die  an  verdickten  Stellen  un- 
zweifelhafte in  Hämatoxylin  sich  färbende  Querstreifen  zeigten 
(Taf.  I,  Fig.  21),  und  dass  vereinzelt  Fasern  vorkamen,  welche 
Übergang  aus  der  Längs-  in  die  Doppeltschrägstreifung, 
beziehungsweise  in  die  einfache  Schräg-  und  Querstreifung 
erkennen  liessen  (Taf  II,  Fig.  2). 


508  Ph.   Knoll, 

Anderseils  fand  sich  auch  im  ad  maximum  verkürzt  fixirten 
'»glasigen«  (gelben)  Antheil  von  Anodonta  und  Unio,  wie  in  dem- 
selben Antheile  von  Area  und  Venus  und  bei  Scrobictdaria  und 
Cardium,  die  alle  nur  in  stark  verkürztem  Zustande  untersucht 
wurden,  stets  eine  Anzahl  von  Fasern,  die  wenigstens  stellen- 
weise Längsstreifung  erkennen  Hessen  (Taf.  I,  Fig.  12).  Längs-, 
Schräg-  und  Querstreifen  erwiesen  sich  in  der  Regel  bei  Ver- 
wendung eines  apochrom.  Systems  von  Zeiss  2-0 mm,  Com- 
pensat.  Ocul.  4 — 6  aus  einzelnen  stärker  lichtbrechenden 
Theilchen  zusammengesetzt,  welche  oft  noch  durch  eine  etwas 
schwächer  lichtbrechende  und  schwächer  sich  färbende  Sub- 
stanz verbunden  erschienen  (Taf.  I,  Fig.  12 — 15,  17,21,22). 
Nicht  selten  aber,  namentlich  an  Alkoholpräparaten  waren  die 
Streifen  linienhaft. 

Am  klarsten  trat  die  Zusammensetzung  der  stärker  licht- 
brechenden Streifen  (in  dem  »glasigen«  Antheil  der  genannten 
Lamellibranchiaten)  aus  einzelnen  kleinen  Theilchen 
gewöhnlich  an  den  auch  hier  nicht  seltenen  Übergangsstellen 
von  der  Längs-  und  Schräg-  zur  Querstreifung  hervor  (Taf.  I, 
Fig.  17;  Taf.  II,  Fig.  2,  7).  Doch  konnte  ich  mir  dieselbe  auch  an 
im  Ganzen  doppelt  schräggestreiften  Fasern  in  der  Regel  dadurch 
zur  Anschauung  bringen,  dass  ich  möglichst  scharf  nur  auf  das 
dem  Beobachter  zugekehrte  Streifensystem  einstellte  (Taf.  I, 
Fig.  11,  13,  15,  22),  wobei  dann  auch  der  Eindruck  einer  Art 
von  Doppeltschrägstreifung  entstand.  Weniger  deutlich  war 
dies  aus  naheliegenden  Gründen  an  dem  bei  tieferer  Ein- 
stellung hervortretenden  zweiten,  gekreuzt  verlaufendem 
Streifensystem. 

Recht  schlagend,  namentlich  an  den  in  osmiumreicherer 
Flemming'scher  Lösung  fixirten  Objecten,  trat  in  der  Regel 
die  Zusammensetzung  aus  einzelnen  und  zwar  hier  meist  etwas 
gröberen  Theilchen,  an  den  stärker  lichtbrechenden  Streifen 
der  Fasern  des  »sehnigen«  Antheiles  aller  angeführten  Lamelli- 
branchiaten hervor,  bei  denen  ein  solcher  deutlich  gesondert 
sich  findet.  Die  Anordnung  derselben  aber  war  hier  im  gedehnten 
wie  im  ad  maximum  verkürzten  Zustande  stets  von  der  Längs- 
axe  nicht  oder  nur  ganz  wenig  abweichend;  die  den  Fasern  des 
glasigen  Antheiles   eigenthümliche  Labilität  dieser  Theilchen 


Doppelt  schräggestreifte  Muskelfasern.  509 

fehlte  also  hier.  Möglicherweise  hängt  hiemit  die  Verschiedenheit 
in  der  Zusammenziehung  dieser  beiden  Antheile,  über  die  ich 
besonders  berichten  werde,  zusammen. 


Alles  zusammengenommen,  muss  ich  mit  Engelmann  die 
Doppeltschrägstreifung  in  den  Fasern  des  Lameilibran- 
c  h  i  a  t  e  n  -  Schliessmuskels  auf  einen  Contractionsvorgang 
zurückführen.  Aus  zahlreichen  Beobachtungen  muss  ich  ferner 
schliessen,  dass  die  stärker  lichtbrechenden  Theilchen  dabei 
in  den  Fällen,  wo  die  Richtung  der  Streifen  mit  der  Einstellung 
w'echselt,  in  der  That  in  Spiralen  um  die  Faseraxe  angeordnet 
sind,  und  da  man  nicht  selten  die  Kreuzung  der  in  verschiedenem 
Niveau  liegenden  Streifen  bis  an  die  Spitze  der  Fasern  verfolgen 
kann,  vermag  ich  mich  auch  nicht  der  von  Fol  aufgestellten  (9) 
und  später  auch  von  Ballowitz  (3,  S.  320)  vertretenen  Ansicht 
anzuschliessen,  dass  es  sich  nur  um  Anordnung  in  einem  Spiral- 
system handelt,  dessen  dem  Beobachter  zu-  und  abgewendete 
Hälften  sich  kreuzen,  sondern  muss  mit  Engelmann  Anreihung 
in  zwei  verschieden  gewundenen  Spiralsystemen  annehmen. 

Zweifelhaft  muss  ich  es  lassen,  ob  eine  Anordnung  der 
stärker  lichtbrechenden  Theilchen  in  Spiralen  auch  an  voll- 
ständig erschlafften  Fasern  oder  Faserstellen  besteht.  Es  müsste 
sich  dann  um  einen  so  gedehnten  Verlauf  der  Spirale  handeln, 
dass  ich  die  Abweichung  von  der  Längsaxe  nicht  mehr  aufzu- 
fassen vermochte. 

Worin  ich  mich  aber  von  der  Ansicht  Engelmann 's  ent- 
fernen und  jener  Schwalbe's  nähern  muss,  der  die  Doppelt- 
schrägstreifung durchwegs  auf  schräggestellte  Reihen  doppelt 
lichtbrechender  Theilchen  zurückführt  (2,  S.  213),  das  ist,  dass 
ich  die  Streifen  der  doppelt  schräggestreiften  Fasern  nicht  als 
homogene  Fibrillen,  sondern  als  Reihen  von  fibrillenartig  ange- 
ordneten Disdiaklastengruppen  von  grosser  Labilität  ansehen 
muss.  Wohl  besitzen  die  Fasern  eine  gewisse  Neigung  zur 
Spaltung  in  der  Richtung  jener  Reihen  (^Taf  I,  Fig.  11,  14,  22); 
anderseits  aber  konnte  ich  auch  nicht  selten,  insbesondere  an 
Alkoholpräparaten,  und  hier  wieder  namentlich  bei  Lima  inflata 
(Taf  II,  Fig.  3,  6,  10),  aber  auch  bei  Area  und  Venus  eine  Zer- 


r)lO  Ph.  Knoll, 

theilung  der  Faser  in  feine,  die  Richtung  der  stark  lichtbrechen- 
den Streifen  kreuzende  Fibrillen  beobachten. 

Ich  kann  danach  auch  die  Fasern,  um  die  es  sich  hier 
handelt,  nicht  lediglich  als  glatte  Muskelfasern  mit  besonderem 
\'erlaufe  der  Fibrillen  betrachten,  sondern  erblicke  in  denselben 
eine  Übergangsform  zu  den  bei  einer  Anzahl  von  Pectiniden 
bereits  in  wohl  ausgeprägten  Typen  vorkommenden  quer- 
gestreiften Fasern. 

II.  Die  doppelt  schräggestreiften  Muskelfasern  der  Cephalo- 

poden. 

In  meiner  eingangs  erwähnten  Monographie  habe  ich 
bereits  eine  mit  Abbildungen  versehene  Beschreibung  dieser 
Fasern  gegeben,  aus  der  ich  folgerte,  dass  die  Deutung  nahe 
liegt,  dass  die  Doppeltschrägstreifung  hier  dadurch  zu  Stande 
kommt,  »dass  die  die  Faser  zusammensetzenden  Muskelblätter 
in  zwei  spiraligen  Systemen,  von  denen  das  eine  der  dem  Beob- 
achter zugekehrten,  das  andere  der  entgegengesetzten  Seite  der 
contractilen  Rinde  angehört,  um  die  Marksubstanz  herum- 
laufen«. 

Seitdem  hat  Ballowitz  (3),  ohne  von  meiner  ja  erst  kurz 
vorher  erschienenen  und  in  einer  grösseren  Monographie  ein- 
geschachtelten Darstellung  Kenntniss  zu  besitzen,  eine  ein- 
gehendere, im  Wesentlichen  mit  der  meinen  übereinstimmende 
Beschreibung  dieser  Fasern  veröffentlicht. 

Drei  Punkte  sind  es  aber,  in  denen  unsere  Deutung  der 
Befunde  von  einander  abweicht.  Während  Ballowitz  die  in 
Gold  sich  färbenden  Streifen  der  Rinde  mit  den  schwach  licht- 
brechenden Streifen  der  ungefärbten  Präparate  identificirt,  habe 
ich  dieselben  als  aus  den  stark  lichtbrechenden  Streifen  hervor- 
gehend angesehen.  Und  da  für  meine  Auffassung  der  Umstand 
spricht,  dass  die  stark  lichtbrechenden  und  die  in  Gold  gefärbten 
Streifen  feiner  sind  als  die  anderen  und  häufig  eine  körnige 
Beschaffenheit  zeigen,  die  anderen  aber  nicht,  muss  ich  auch 
heute  noch  an  derselben  festhalten. 

Ballowitz  betrachtet  ferner  die  stark  lichtbrechenden, 
blätterigen  Streifen  als  fibrilläre,  die  schwach  lichtbrechenden 
als  interfibrilläre  Substanz.    Ich  musste  früher  diese  Frage  un- 


Doppelt  schräggestreifte  Muskelfasern.  511 

beantwortet  lassen,  und  glaube  nun,  da  ich  in  Übereinstimmung 
mit  einer  älteren  Angabe  Margo's  (5,  S.  570)  die  ersteren 
Streifen  unter  Verwendung  von  Gypsblättchen  doppelt,  die 
letzteren  einfach  brechend  fand,  dass  es  sich  hier  überhaupt 
nicht  um  einen  Wechsel  von  fibrillärer  und  interfibrillärer  Sub- 
stanz im  gewöhnlichen  Sinne,  sondern  um  eine  Schichtung  von 
einfach  und  doppelt  brechender  Substanz  handelt,  deren  ersterer 
man  eine  Betheiligung  am  Contractionsvorgange  schon  aus  dem 
Grunde  kaum  wird  absprechen  können,  weil  es  bei  den  Cephalo- 
poden  zahlreiche,  nur  aus  schwach  lichtbrechender  Substanz 
bestehende  Muskelfasern  gibt. 

Ballowitz  führt  ferner  mit  Fol  die  Doppeltschrägstreifung 
auf  Kreuzung  der  beiden  Hälften  eines  einzigen  Systems  von 
Spiralfasern  zurück  (3,  S.  320). 

Ich  muss  dem  gegenüber  bemerken,  dass  man  auch  an 
den  Cephalopodenmuskelfasern  häufig  die  Doppeltschräg- 
streifung bis  an  das  Faserende  verfolgen  kann,  habe  aber  ausser- 
dem zu  Gunsten  meiner  Ansicht  Fig.  23  auf  Taf.  I  beizubringen, 
welche  das  Rissende  einer  doppelt  schräggestreiften  Faser  aus 
der  Buccalmasse  von  Eledone,  und  zwar  bei  hoher  (a), 
mittlerer  {b)  und  tiefer  {c)  Einstellung  wiedergibt. 

Ich  habe  in  meiner  eingangs  erwähnten  Monographie 
darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  bei  den  Cephalopoden  neben 
den  ausgeprägt  doppelt  schräggestreiften  Fasern,  welche  zu- 
gleich dicker  sind  und  eine  verhältnissmässig  breitere  Rinden- 
substanz besitzen,  Fasern  vorkommen,  die  scharf  ausgeprägte 
Längsstreifung  mit  nahezu,  aber  nicht  vollständig  parallelem 
Verlauf  dieser  Streifen  zur  Faseraxe  besitzen  (1,  S.  669). 

Ich  habe  dabei  die  Frage  aufgeworfen,  ob  etwa  genetische 
Beziehungen  zwischen  diesen  beiden  Faserkategorien  bestehen, 
es  aber  als  sehr  unwahrscheinlich  bezeichnet,  dass  die  erste 
dieser  Faserkategorien  etwa  nur  einen  Contractionszustand  der 
zweiten  darstellt. 

Ich  habe  diese  Beziehungen  in  neuerlichen  Untersuchungen 
verfolgt  und  ein  Übergehen  der  einen  in  die  andere  Faserart 
nicht  selten  nachweisen  können  (Taf.  II,  Fig.  8,  9,  15).  Nach 
den  im  ersten  Capitel  angeführten  Beobachtungen  und  Er- 
wägungen aber  und  nach  Bildern,  wie  sie  die  eben  angeführten 


512  Ph.  Knoll, 

Figuren  wiedergeben,  scheint  mir  die  Ansicht,  dass  die  erste 
Faserart  nur  einen  Contractionszustand  der  zweiten  darstellt, 
durchaus  nicht  abzuweisen. 

Ich  muss  auch  hier  anführen,  dass  ich  bei  einigen  zoll- 
grossen  Eledonen,  die  ich  im  Frühjahre  in  Triest  zu  untersuchen 
Gelegenheit  hatte,  durchaus  nicht  auffallend  mehr  »Sarco- 
plasten«  fand,  als  bei  erwachsenen  Thieren.  Anderseits  aber 
führte  auch  die  Untersuchung  an  Mantelmusculatur,  die  in  stark 
contrahirtem  Zustande  durch  Injection  von  Osmiumsäure  ins 
Gewebe  jfixirt  worden  war,  zu  keinem  schlagenden  Ergebnisse. 
Möglicherweise  könnten  Beobachtungen  an  ganz  schlaffer, 
nicht  mehr  erregbarer  Musculatur  zum  Ziele  führen. 

Jedenfalls  scheint  mir  die  Frage  nach  der  Natur  der  »Sarco- 
plasten«  weiterer  Verfolgung,  auch  auf  dem  Wege  entwicklungs- 
geschichtlicher Untersuchung  werth. 


Verzeichniss  der  angeführten  Literatur. 

1.  Ph.  Knoll,  Über  protoplasmaarme  und  protoplasma- 
reiche Musculatur.  Denkschriften  der  mathem.-naturw.  Classe 
der  kaiserl.  Akad.  in  Wien,  Bd.  LVIII,  S.  633  ff. 

2.  G.  Schwalbe,  Über  den  feineren  Bau  der  Muskel- 
fasern wirbelloser  Thiere.  Schultze's  Arch.,  Bd.  V,  S.  205  ff. 

3.  E.  Ballowitz,  Über  den  feineren  Bau  der  Muskel- 
substanzen. Ebenda,  Bd.  XXXIX,  S.  291  ff. 

4.  Th.  Eimer,  Die  Entstehung  und  Ausbildung  des 
Muskelgewebes.  Zeitschr.  für  wiss.  Zool.,  Bd.  LIII,  Suppl.  S.  67  ff. 

5.  Margo,  Über  die  Muskelfasern  der  Mollusken.  Sitzungs- 
ber.  der  Wiener  Akad.,  mathem,-naturu'.  Cl.,  Bd.  XXXIX,  S.  559  ff. 

6.  Th.  ?Zn  gel  mann.  Über  den  faserigen  Bau  der  con- 
tractilen  Substanzen,  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
glatten  und  doppelt  schräggestreiften  Muskelfasern.  Pflügers 
Arch.,  Bd.  XXV,  S.  551. 

7.  Vosseier,  Untersuchungen  über  glatte  und  unvoll- 
kommen quergestreifte  Muskeln  der  Arthropoden.Tübingen,  189 1 . 

8.  G.  R.  Wagen  er,  Über  die  Muskelfaser  der  Evertebraten. 
Arch.  von  Reichert  und  Du  Bois-Re\^mond,  1863,  S.  211. 

9.  Fol,  Sur  la  structure  microscopique  des  muscles  des 
mollusques.  Compt.  rend.,  T.  106,  p.  300. 


Doppelt  schräggestreitte  Muskelfasern.  ol3 


Erklärung  der  Abbildungen. 


Sämmtliche  Figuren,  mit  Ausnahme  von  Taf.  I,  23  und  Taf.  II,  8,  9,  15, 
stammen  vom  Schliessmuskel  von  Lamellibranchiaten  her  und  sind  mit  Ver- 
wendung von  Zeiss'schen  Systemen  gezeichnet.  Nur  bei  Taf.  I,  Fig.  1 1  wurde 
eine  Reichert'sche  Öl-Immersion  V20  verwendet.  Mit  Ausnahme  der  auf  Taf.  I, 
Fig.  2,  3  und  23  gezeichneten,  die  in  Canadabalsam  lagen,  waren  sämmtliche 
Präparate  in  einer  Mischung  von  Glycerin  und  Wasser  zu  gleichen  Theilen 
eingeschlossen. 

A.  bedeutet  Fixation  in  absolutem,  AV3  in  Drittelalkohol,  F  in  osmium- 
reicherer Flemming'scher  Lösung,  FC  in  der  osmiumärmeren  Cori'schen 
Modification  derselben,  P  in  Kleinenberg'scher  Pikrinschwefelsäure,  H 
Färbung  in  Grenach  er'schem  oder  Böhme r'schem  Hämatoxylin.  Die  Ziffern 
und  Buchstaben  am  Ende  jeder  Figurenerklärung  zeigen  die  verwendeten 
Systeme  an,  wobei  Ap.  »Apochromat«  bedeutet. 

Tafel  I. 

1—4.  Lima  inflata,  gedehnt.  A  ^A,.  H.  1—3:  Ap.  6;  2  mm;  4:2;  1/12. 

5.  Lima  inflala,  verkürzt.  A.  H.  Ap.  6;  2  mm, 

6.  Lima  squamosa,  verkürzt.  FC.  H.  Ap.  4;  2  mm. 

7.  Pecten  Jacobactts,  gedehnt.  FC.  H.  Ap.  4;  2  mm. 

8.  Pecten  varius,  verkürzt.  FC.  H,  Ap.  4;  2  mm. 

9.  Lima  squamosa,  verkürzt.  FE.  H.  Ap.  4;  2  mm. 

10.  Pecten  JacobaenSy  gedehnt.  FC  H.  Ap.  4;  2  mm. 

11.  Venus  verrucosa f  xerküTZi.  P.  H.  Reichert,  2;  '/.»o  Öl-Imm. 

12.  Anodonia^  verkürzt.  .\  V3.  H.  Ap.  6;  2  mm. 

13.  Anodontaj  gedehnt.  A  Va-  H.  Ap.  6;  2  mm. 

14.  Anodontay  verkürzt.  A  Vs-  H.  6:  2  mm. 

15.  Venus  verrucosa,  vertcürzt.  P.  H.  6;  2  mm. 

16.  Lima  squamosa,  verkürzt.  FC.  H.  Ap.  4;  2  mm. 

17.  Area,  verkürzt.  P.  H.  Ap,  4;  2  mm. 

18.  Anodonta,  gedehnt.  F.  2;  1/12. 

19.  Lima  inflata,  gedehnt.  A  Va-  Ap.  4;  2  mm. 

20.  Dasselbe.  Anwendung  des  Löwit'schen  Goldverfahrens  auf  das  in  50  bis 

90%  Alkohol  nachgehärtete  Object.  Ap.  4;  2  mm. 

21.  Anodonta,  gedehnt.  F.  H.  2;  1/12. 

22.  Venus  verrucosa,  verkürzt.  P.  H.  Ap.  6;  2  mm. 

23.  Eledone,  Bucc&lmasse.FC.  H.  2;  1/13.  aj  bei  oberflächlicher,  b)  bei  mittlerer, 

cj  bei  tiefer  Einstellung  gezeichnet. 


«>14  Ph.  KnoU.  Doppelt  schrüj^gestrcifte  Muskelfasern. 

Tafel  IL 

1.  Litna  tnjlala,  gedehnt.  FC.  Ap.  4;  2  ;/////. 

2.  Anodonta,  gedehnt.  F.  2;  1/12. 

3.  Lima  inflata^  verkürzt.  FC.  Ap.  4;  2  mm. 

4.  Dasselbe.  A  J/g.   2;  1/12. 

5.  Dasselbe.  F.  Ap.  6;2fifw. 

6.  Dasselbe,  verkürzt.  A  1/3.  2;  112. 

7.  Arcüy  verkürzt.  A.  2;  1  12. 

8.  9.  EUdottCj  Buccalmasse.  FC.  Ap.  4;  2  mm. 

10  —  13.  Lima  inflata,  verkürzt.  FC.  10:  2;  1/12,  11  —  13:  Ap.  4;  2  mm. 

14.  Dasselbe.  A  ^'3.  Ap.  4;  2  mm. 

15.  EledonCy  Buccalmasse.  FC.  Ap.  4;  2  mm. 

16.  Lima  inßata,  verkürzt.  F.  2;  1/12. 


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515 


Zur  Anatomie  der  Nebenniere 


von 


Meinhard  Pfaundler, 

stud.  med. 
Aus  dem  anatomischen  Institute  der  k.  k.  Universität  in  Graz. 

(Mit  2  Tafeln.) 

Das  Ergebniss  der  vielen  und  eingehenden,  von  verschie- 
denen Forschern  vorgenommenen  Untersuchungen  über  den 
Bau  der  Säugernebennieren  ist  keineswegs  derartig,  dass  man 
sagen  könnte,  die  Kenntniss  von  der  Anatomie  dieser  Organe 
sei  zu  einem  befriedigenden  Abschlüsse  gebracht. 

Bei  Durchsicht  der  Literatur  findet  man  widersprechende 
Angaben  und  noch  viele  der  Lösung  harrende  Fragen.  Besonders 
auffallend  erscheint  es,  dass  die  Beschreibungen  der  Neben- 
nierenstructur  für  manche  sonst  nahe  verwandte  Säugerarten 
sehr  beträchtliche  Abweichungen  bieten,  so  dass  man  zur 
Meinung  gelangen  muss,  es  liege  dem  Bau  der  Nebennieren 
kein  einheitliches,  aligemeines  Gesetz  zu  Grunde.  Alexander 
Dostoiewsky*  äussert  geradezu,  dass  die  Rindensubstanz 
der  Nebenniere  durchaus  nicht  bei  allen  Thieren  denselben  Bau 
besitze,  wesshalb  auch  die  Darstellung  der  Structurverhältnisse 
nicht  »in  einem  Rahmen«  geschehen  könne. 

Die  vorliegende  Abhandlung  versucht  es,  zu  unseren 
Kenntnissen  über  die  descriptive  Anatomie  der  Nebennieren 
einiger  Säuger  einen  kleinen  Beitrag  zu  liefern;  es  sei  gleich 


1  Alexander  Dos toiewsky,  Materiale  zur  mikroskopischen  Anatomie 
der  Nebennieren.  Dissertation,  Petersburg  1884. 


'>16  M.  Pfaundler, 

im  Vorhinein  die  Bemerkung  gestattet,  dass  sich  dieselbe  in 
einem  eng  begrenzten  Felde  bewegt,  und  daher  manche 
während  der  Untersuchung  sich  aufdrängende  Fragen,  deren 
Studium  entwicklungsgeschichtliche  und  weit  ausgedehnte  ver- 
gleichend-anatomische Untersuchung  erfordert  hätte,  nicht  ein- 
gehender berücksichtigt  wurden. 

Am  meisten  machte  die  Erforschung  des  Baues  der  Rinden- 
substanz zu  schaffen,  da  diese  im  Anfange  der  Untersuchung 
bei  verschiedenen  Säugern  in  der  That  wesentlich  abweichende 
Befunde  ergab;  erst  im  weiteren  Verlaufe  zeigte  sich,  dass  die 
richtige  Erkenntniss  des  Rindenbaues  in  hohem  Grade  von  der 
Behandlung  der  Objecte  und  insbesondere  von  der  Orientirung 
der  Schnitte  abhängig  sei.  Nicht  entsprechend  behandelte  und 
in  schlechter  Orientirung  geschnittene  Objecte  können  leicht 
zu  irrthümlichen  Anschauungen  Veranlassung  geben  und 
darin  ist  vielfach  die  Ursache  der  sich  wiedersprechenden 
Literaturangaben  zu  finden.  In  dieser  Hinsicht  sei  erwähnt, 
dass  sich  z.  B.  die  auffallend  differenten  Beobachtungen  der 
Autoren  über  das  Fehlen  oder  Vorhandensein  und  über  die 
Breitenverhältnisse  gewisser  Rindenzonen  nur  durch  Befunde 
an    mannigfach    schräg    geführten  Schnitten  erklären   lassen. 

Es  scheint  nicht  nothwendig,  der  Arbeit  eine  ausführliche 
Literaturübersicht  vorauszuschicken,  da  frühere  Forscher, 
namentlich  Räuber,*  Dostoiewsky*  und  in  jüngster  Zeit 
Alexander'  eine  solche  in  erschöpfender  Weise  geboten 
haben. 

Zur  Untersuchung  wurden  herangezogen  die  Nebennieren 
des  Menschen  und  der  folgenden  Säuger:  Affe;  Katze,  Hund; 
Maulwurf,  Igel;  Fledermaus;  Maus,  Ratte,  Meerschweinchen, 
Kaninchen;  Rind,  Ziege;  Pferd  und  Schwein. 


1  Huso  Räuber,  Zur  feineren  Structur  der  Nebennieren.  Inaugural- 
Dissertation.  Berlin,  1881. 

-  Alex.  Dostoiewsk y,  Ein  Beitrag  zur  mikroskopischen  Anatomie  der 
Nebennieren  bei  Säugethieren.  1886.  Arch.  f.  mikr.  Anat.  Bd.  37,  S.  272. 

'*  Carl  Alexander,  Untersuchungen  über  die  Nebenniere  und  ihre 
Beziehungen  zum  Nervensystem.  Ziegler's  Beitr.  d.  path.  .Anat.  u.  allg.  Path. 
Band  XI,  Heft  1,  1S91.  S.  14.')- 197. 


Anatomie  der  Nebenniere.  517 

Die  Organe  stammten  von  Thieren  verschiedenen  Alters 
und  Geschlechtes;  sie  wurden  lebenswarm  entnommen, 
unter  möglichster  Schonung  in  Stücke  zerlegt  und  der  weiteren 
Behandlung  zugeführt. 

Da  ich  beobachtet  hatte,  dass  verschiedene  Fixirungs-  und 
Färbungsreagentien  sehr  verschieden  auf  die  Elemente  der 
Nebenniere  einwirken,  versuchte  ich  bei  allen  Thieren  möglichst 
viele  Methoden  der  Behandlung. 

Zur  Fixirung  und  Färbung  dienten: 

Absoluter  Alkohol,  der  sich  als  sehr  brauchbar  erwies; 
Essigsäure -Sublimat,  Chromsäure  P/o»  Kaliumbichromat  57o» 
Erlyki'sche  und  Müller'sche  Flüssigkeit  (im  Brütofen  8  —  10 
Tage),  Pikrinschwefelsäure  nach  Kleinenberg,  ^I^^^/q  Platin- 
chlorid, Flemming'sche,  Hermann'scheFlüssigkeit, Osmium- 
säure lo/o  und  Sublimat-Pikrinsäure  nach  Rabl.  Ferner  wurde 
die  durch  Ramon  y  Cajal  modificirte  Golgi'sche  Osmium- 
silbermethode verwendet. 

Zur  Färbung  dienten:  Alauncarmin,  Pikrocarmin,  Alaun- 
cochenille, Boraxcarmin,  die  Hämatoxylinlösungen  von  Böh- 
mer, Kleinenberg,  Ehrlich,  Friedländer,  ferner  Safifranin 
und  andere  Anilinfarben,  sowie  verschiedene  Vergoldungs- 
methoden. 

Die  gehärteten  Objecte  wurden  mit  Toluol  und  Paraffin 
behandelt  und  meist  in  Schnittserien  zerlegt.  Zur  Isolirung  der 
Gewebselemente  eignete  sich  Drittelalkohol  und  107o  Koch- 
salzlösung. 

Injectionen  wurden  mittelst  Dr.  Grübler's  Leiminjec- 
tionsmasse  oder  dessen  wasserlöslichen  Berlinerblau  vorge- 
nommen. Es  empfiehlt  sich  venös  —  bei  klemen  Thieren 
durch  das  rechte  Herz  in  die  Vena  cava  inf.,  bei  grösseren 
durch  die  Vena  suprarenalis  oder  eine  Vena  phrenica  —  und 
zwar  bei  unterbundenen  Leber-  und  Nierengefässen  einzu- 
spritzen. Arterielle  Injectionen  ergaben  nie  ein  völlig  befriedi- 
gendes Resultat;  überhaupt  bieten  die  Ausspritzungen  derNeben- 
nierengefässe  ziemliche  Schwierigkeiten. 

Der  Bau  der  Nebennierenrinde  ist  durchaus  radiär  und 
dies  macht  es  erklärlich,  dass  eine  richtige  Auffassung  und 
körperliche  Anschauung  ihrerStaicturverhältnisse  am  sichersten 

Sitzb.  d.  mathem.-n.iturw.  CK;  CI.  Bd.  Abth.  III.  '^0 


518  M.  Pfaundler, 

durch  die  Combination  der  Bilder  von  streng  radiären  und 
darauf  senkrecht  geführten,  Oberflächen -parallelen  Schnitten 
erreicht  werden  könne.  Schräge  Schnitte  werden  nur  dann 
verstanden  und  richtig  gedeutet,  wenn  Beobachtung  der  in 
der  angegebenen  Weise  genau  orientirten  Schnitte  vorausge- 
gangen ist. 

Am  klarsten  unter  allen  untersuchten  Säugethieren  stellt 
sich  dieStructur  der  Nebenniere  beim  Pferde  dar,  deren  Studium 
aus  diesem  Grunde  bereits  durch  v.  Brunn*  empfohlen  wurde. 
Ich  lege  meiner  Beschreibung  die  der  Pferdenebenniere  zu 
Grunde  und  werde  an  geeigneter  Stelle  Beobachtungen  über 
die  gleichen  Organe  anderer  Thiere  anführen. 

Anlangend  die  makroskopischen  Verhältnisse  der 
Pferdenebenniere,  so  ergab  sich  zunächst  als  auffallender 
Befund  eine  Asymmetrie  der  rechten  und  linken  Nebenniere, 
welche  in  allen  acht  untersuchten  Fällen  (an  6  männlichen  und 
2  weiblichen  gesunden  Pferden  im  Alter  von  8 — 20  Jahren) 
beobachtet  wurde. 

Die  rechte  Nebenniere  ist  flach  und  oval  mit  Durchmessern 
von  272»  4  und  6  cm;  die  linke  lang  gestreckt,  walzenförmig, 
am  unteren  Ende  medialwärts  hakig  umgebogen,  8  an  lang,  je 
2  cm  breit  und  dick.  Der  Querschnitt  zeigt  die  starke  binde- 
gewebige Kapsel,  die  dunkle  Rindenzone  um  das  helle  Mark. 
An  die  innere  Oberfläche  der  Kapsel  grenzt  der  äussere  Theil 
der  Rindensubstanz  als  schmaler,  braunrother  Saum;  ihm  folgt 
eine  breite  innere  Zone,  welche  im  peripheren  Theil  gelbrosa, 
gegen  innen  allmälig  dunkler  und  endlich  graubraun  gefärbt  ist 
und  sich  mittelst  eines  hellgelben  Streifens  scharf  gegen  das  Mark 
absetzt.  Feinere  und  stärkere  radiäre  Bindgewebsbalken  durch- 
ziehen, von  der  Kapsel  ausgehend,  die  Rinde  und  bedingen 
deren  radiären  Bruch.  Die  derbe,  ziemlich  widerstandsfähige 
Rindensubstanz  umgibt  dasgleichmässigweisslichgrau  gefärbte 
Mark,  welches  von  weicher,  breiiger  Consistenz  ist 


i  A.  V.  Brunn,  Ein  Beitrag  zur  Kenntniss  des  feineren  Baues  und  der 
Entwicklungsgeschichte  der  Nebennieren.  Arch.  f.  mikr.  Anat  1872.  VIII.  Bd., 
S.  620. 


Anatomie  der  Nebenniere.  519 

Die  Rindenmarkgrenze  ist  am  frischen  Organe  sehr  scharf 
-erkenntlich,  stellenweise  nach  innen  oder  aussen  buchtig  er- 
weitert; das  Massenverhältniss  von  Rinde  und  Mark  wechselt 
zwischen  weiten  Grenzen  und  ist  im  Durchschnitte  etwa  4:1. 

0 

Die  makroskopische  Anatomie  der  Organe  anderer  Thiere 
betreffend,  wäre  den  Literaturangaben  beizufügen,  dass  bei 
Hunden  und  Katzen  die  Nebenniere  meist  beiderseits  in  zwei 
Lappen  getheilt  ist,  welche  sich  nur  durch  eine  schmale,  mark- 
lose Brücke  miteinander  verbinden  und  sich  eng  an  die 
zwischenliegende  Vene  anschliessen. 

Beim  Affen,  bei  der  Ziege,  beim  Meerschweinchen  und 
Igel  ist  die  Nebenniere  oval  bis  nierenförmig;  bei  der  Ratte, 
Maus,  Kaninchen  und  Fledermaus  besitzt  sie  ungefähr  die 
Gestalt  einer  dreiseitigen  Pyramide,  deren  Basis  der  Niere 
aufliegt. 

Bei  allen  Thieren  steht  die  rechte  Nebenniere  topographisch 
in  unmittelbarer  Beziehung  zur  Vena  cava  inf.  und  liegt  meist 
ganz  v^on  der  Leber  bedeckt.  Bei  den  Nagern  und  anderen 
ist  die  Nebenniere  beiderseits  von  einem  eigenthümlichen 
fettähnlichen  Gewebe  umschlossen.  Die  Farbe  der  durch  die 
Kapsel  schimmernden  Rindensubstanz  ist  beim  Ochsen, 
Schweine  und  der  Ziege  braunroth,  bei  allen  anderen  Thieren 
weiss  bis  gelb. 

A.  Bau  der  Rinde. 

I.  Die  Anordnung  des  Bindegewebes  und  der  «Rinden- 
stränge«. 

Die  Rindensubstanz  besteht  bei  allen  untersuchten  Thieren 
aus  Fortsätzen  der  sie  einhüllenden  bindegewebigen  Kapsel, 
aus  Blut-  und  Lymphgefässen,  Nerven  und  specifischen  zelligen 
Elementen:  den  Rindenzellen. 

Alle  erwähnten  Theile  zeigen  eine  durchaus  radiäre 
Anordnung;  und  zwar  die  Rindenzellen,  insoferne  sie  zu 
radiären  Zellreihen  (»Rindensträngen« ,  »Zellsäulen«, 
» Rindencylindern «)  zusammentreten ,  die  Bindewebsbalken, 
Gefässe  und  Nerven,  indem  sie  von  der  Kapsel  direct  gegen 
die  Rindenmarkgrenze  verlaufen. 

36* 


r)2()  M.  IM'aundler, 

Nicht  bei  allen  Thieren  tritt  der  strahlige  Bau  der  Kinde 
SU  deutlich  hervor,  wie  etwa  beim  Pferde,  beim  Hunde  und 
Kaninchen;  er  ist  kaum  erkenntlich  beim  Schweine  und  der 
Ziege.  Es  hängt  dies  mit  der  mehr  oder  minder  mächtigen 
Entwicklung  der  von  der  Kapsel  abgehenden  Bindegewebs- 
balken  zusammen.  Je  stärker  und  zahlreicher  diese  sind  und  je 
mehr  sie  in  die  Tiefe  dringen,  umso  klarer  tritt  die  radiäre  An- 
ordnung der  Rindenstränge  zu  Tage  und  umso  deutlicher  wird 
ihre  Individualisirung. 

1.  Kapsel  und  deren  Fortsätze  in  die  Rinde.  Die 
bindegewebige  Kapsel  stellt  beim  Pferde  eine  80 — 120|i 
starke  Membran  dar,  welche  in  den  äusseren  Schichten  fast 
durchwegs  aus  dicht  verfilzten,  elastischen  Fasern,  in  den 
inneren  Schichten  aus  fibrillärem  Bindegewebe  mit  stäbchen- 
förmigen bis  ovalen  oder  runden  Kernen  und  spärlichen  elasti- 
schen, selten  contractilen  Elementen  besteht. 

Die  Kapsel  (Taf.  I,  Fig.  1,  k)  entsendet  starke,  lamellen- 
artige Dissepimente  centralwärts ,  welche  am  radiären 
Schnitte  als  breite,  in  Abständen  von  etwa  160|x  entspringende 
Fortsätze  (im)  erscheinen.  Die  Lamellen  lassen  sich  bis  unge- 
fähr V:,  ^^^  gesammten  Rindenbreite  verfolgen,  lösen  sich  hier 
in  feine,  radiäre  Fasern  auf,  die  sich  mitunter  noch  bis  an 
die  Markgrenze  hinziehen. 

Das  Gewebe  der  Lamellen  besteht  aus  bindegewebigen» 
elastischen  Fasern  und  spärlichen  Muskelzellen. 

In  den  Lamellen  verläuft  ein  Theil  der  Rindenge  fasse; 
es  sind  dies  feine  Arterien,  welche  durch  die  Kapsel  eingetreten 
sind,  längs  ihres  ganzen  Verlaufes  nach  allen  Seiten  kurze 
Äste  abgeben  und  sich  noch  vor  der  Rindenmarkgrenze  ver- 
lieren. 

Auf  dem  Tangentialschnitt  erscheinen  die  Lamellen  zu 
einem  Netze  verbunden,  wie  es  Kölliker's*  Zeichnung 
(Fig.  374)  und  Fig.  2,  Im  auf  Taf.  I,  zeigen,  aus  welch'  letzterer 
auch  ersichtlich  ist,  dass  die  Kapselfortsätze  keine  cylindri- 
schen,  baumartig  sich  verzweigenden  und  den  Gefässwandungen 


^  A.  V.  Külliker,   Handbuch   der  Oewebelehre   des   Menschen.    Füntie 
Auflage,  1867,  S.  514  ff. 


Anatomie  der  Nebenniere.  o2  1 

adventitiell  aufgelagerten  Bindegewebszüge  sind,  wie  dies 
neuere  Autoren  annahmen,  sondern  in  der  That  breite,  zu- 
sammenhängende, die  Rindenstränge  umschliessende  Scheiden 
darstellen. 

Neben  diesen  Lamellen  finden  sich  beim  Pferde,  Hunde 
und  anderen  Säugern  noch  makroskopisch  sichtbare,  ungemein 
mächtig  entwickelte  Balken  vor,  welche  die  ganze  Rinde  durch- 
setzen und  starke  Gefässe  in  das  Mark  eintreten  lassen.  Diese 
Balken  sind  weniger  zahlreich  und  entsenden  gleich  der  Kapsel 
nach  allen  Seiten  hin  Lamellen  vom  oben  beschriebenen  Bau, 
welche  in   diesem  Falle  als  secundäre  Äste  aufzufassen  sind. 

Diese  mächtigen  Balken  sind  nichts  anderes,  als  Ein- 
ziehungen der  bindegewebigen  Kapsel  in  das  Rindeninnere, 
die  durch  den  Eintritt  starker  Arterien  ins  Mark  bedingt  werden. 

Relativ  fast  ebenso  stark  wie  beim  Pferde  sind  dieBinde- 
gevvebslamellen  und  die  Balken  beim  Hunde  und  Kaninchen 
entwickelt;  viel  schwächer  sind  sie  beim  Affen,  der  Fledermaus, 
Katze,  Maus,  Ratte,  Meerschweinchen,  Ziege,  Rind,  sehr  zart 
beim  Schweine  und  bei  allen  jungen  Thieren.  BeimKaninchen 
herrschen  die  elastischen  Fasern  in  den  Lamellen  so  stark 
vor,  dass  diese  meist  einen  welligen  Verlauf  nehmen,  welches 
Verhalten  charakteristisch  ist. 

Von  grossem  Werthe  für  die  Darstellung  des  binde- 
gewebigen Rindenstromas  sind  die  Fixirungsmethoden  mit 
Osmiumsäure. 

2.  Rindenstränge.  Durch  die  radiär  gestellten  Fächer, 
welche  die  Fortsätze  der  Kapsel  erzeugen,  ist  die  radiäre  An- 
ordnung der  Rindenzellen  bedingt.  Die  Verhältnisse  an  den 
Rindensträngen,  namentlich  deren  Beziehungen  zu  den  lamellen- 
artigen Fortsätzen  erscheinen  ziemlich  verwickelt  und,  so  viel 
über  dieselben  schon  angegeben  wurde,  gelangt  man  doch  zu 
keiner  richtigen  Vorstellung  vom  Sachverhalte  beim  Vergleiche 
der  verschiedenen  Beschreibungen.  Von  der  weitaus  grössten 
Bedeutung  sind  in  dieser  Hinsicht  die  folgenden  Mittheilungen 
KöUiker's:*  »Auf  senkrechten  Schnitten  erkennt  man  zier- 
liehe  strangförmige  Bildungen,  welche  in  den  äusseren  Theilen 

J   L.  c.  S.  51H. 


522  M.  Pfaundler, 

der  Rinde  aus  lang  gestreckten,  schmalen,  quergelagerten 
Zellen  bestehen,  die  aufs  täuschendste  gewissen  Cylinder- 
epithelialzellen  gleichen,  weiter  nach  innen  kürzere,  mehr 
rundliche  und  rundlich- eckige  Zellen  zeigen.  Von  diesen 
Cylindern  hängen  in  der  Regel  je  zwei  an  der  Oberfläche  bogen- 
förmig zusammen  und  zwischen  denselben  liegt  eine  an  Blut- 
gefässen reiche,  faserige  Bindesubstanz  mit  Bindegewebs- 
körperchen,  die  zum  Theile  in  der  Gestalt  von  Scheidewänden 
zwischen  den  Rindensträngen  erscheint  und  von  der  äusseren 
Hülle  aus  zwischen  dieselben  sich  erstreckt,  zum  Theile 
zwischen  je  zwei  verschmolzenen  Rindencylindern  ihre  Lage 
hat.  Genauere  Aufschlüsse  über  diese  Bildungen  gewähren 
erst  Flächenschnitte  der  Rinde,  welche  zeigen,  dass  die  ver- 
meintlichen Rindencvlinder  selten  wirklich  solche  sind,  sondern 
meist  bandartige,  oft  der  Fläche  nach  gewundene  Stränge  dar- 
stellen, ja  selbst  als  geschlossene  Ringe  erscheinen,  so  dass  sie 
schlauchförmigen  Drüsen  gleichen.  Es  gehören  som.it  häufig" 
zwei  scheinbar  selbständige  Cylinder  des  Längsschnitts  zu- 
sammen, und  sind  die  bogenförmigen  Anastomosen  derselben, 
die  auch  He  nie  erwähnt  und  als  solche  deutet,  nicht  wirklich 
solche,  sondern  nur  die  Enden  eines  und  desselben  bandartigen 
Rindenstranges,  der  hier  canalartig  geschlossen  zu  denken  ist, 
während  er  weiter  einwärts  in  einen  erst  fast  geschlossenen^ 
und  dann  nach  und  nach  sich  öffnenden  Halbcanal  umwandelt. 
Weiter  nach  innen,  wo  die  Rindenstränge  kleinere  Zellen  ent- 
halten, beginnen  dieselben  alle,  auch  die,  welche  vorher  nicht 
schon  rinnenförmig  ausgehöhlt  waren,  verschiedentlich  in  der 
Fläche  sich  zu  krümmen  und  ergeben  Flächenschnitte  dieser 
Gegend  mannigfach  gewundene  und  in  einander  greifende 
Zellenstränge  (die  Querschnitte  der  Rindenstränge),  während 
auf  senkrechten  Schnitten  scheinbar  schmale  parallele  Cylinder 
zum  Vorschein  kommen.  Hier  beginnen  dann  auch,  wie  es 
scheint,  die  einzelnen  Rindenstränge  untereinander  zusammen- 
zuhängen und  schliesslich  ein  Netz  zu  bilden,  dessen  Lücken 
von  den  Blutgefässen  eingenommen  sind.«« 

In  der  ganzen  Nebennieren-Literatur  von  1867  an  finden 
sich  nur  an  zwei  Stellen  Angaben,  welche  je  einen  Theil 
dieser    wichtigen    Beobachtungen    Kölliker's     bestätigen. 


F 


Anatomie  der  Nebenniere.  OS,o 

V.  Brunn*  betont,  dass  sich  die  Zellen  der  äusseren  Rinden- 
schichte (Kolli ker's  »langgestreckte,  quergelagerte«)  all- 
mäligund  innerhalb  der  Ze listränge  in  die  Zellen  der 
mittleren  Rindenschichte  verwandeln;  er  leitet  aus 
diesem  Verhalten  die  gleiche,  gemeinsame  Herkunft  beider 
Zellformen  ab. 

Creighton^  bestätigt  einige  andere  Angaben  Kolli  ker's, 
nämlich  die,  welche  den  Querschnitt  der  Stränge  betreffen, 
schliesst  sich  aber  der  Ansicht  dieses  Autors  von  dem  Zustande- 
kommen der  bogenförmigen  Anastomosen  nicht  an,  und  stellt  den 
directen  Übergang  der  Cylinderzellen  in  die  inneren  Rinden- 
zellen und  die  Fortsetzung  der  Stränge  in  die  innere  Rinden- 
schichte ausdrücklich  in  Abrede.-  Über  v.  Brunnes  diesbe- 
zügliche, oben  erwähnte  und  ganz  richtig  gedeutete  Beob- 
achtung spricht  er  sich  folgendermassen  aus:  »The  attempt  of 
V.  Brunn  to  show  that  these  structures  are  really  continuous 
at  their  lover  ends  with  the  tissue  internal  to  them,  and  that 
there  is  essentially  nothing  to  separate  the  one  kind  of  structure 
from  the  other,  can  only  be  regarded  as  an  effort  of  perverse 
ingenuity  setting  aside  the  common  sense  view  ofthecase.« 

An  keiner  Stelle  gehen  die  genannten  Autoren  näher  auf 
Kölliker's  Untersuchungen  ein  und  andere  neue  Arbeiten 
lassen  dieselben  ganz  unberücksichtigt:  es  scheint  demnach 
angezeigt  auf  sie  zurückzukommen  und  die  vorliegenden  Be- 
funde mit  denen  Kölliker's  zu  vergleichen. 

Was  zunächst  den  Radiärschnitt  betrifft  (Taf.  I,  Fig.  1),  so 
zeigen  sich  hier  die  Räume  zwischen  den  Lamellen  als  arkaden- 
artige Fächer,  in  welchen  die  Rindenstränge  (Taf.  I,  Fig.  1  p) 
enthalten  sind.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  liegen  je  zwei 
Stränge  in  einem  Fache;  sie  schliessen  sich  dann  einerseits 
dicht  an  das  Gewebe  der  Kapselfortsätze  an,  anderseits  be- 
grenzen sie  einen  centralen  Spalt  (Taf.  I,  Fig.  1  g),  um  dessen 
peripheres,  kolbenartig  erweitertes  Ende  sie  unter  Bildung 
eines  äusserenBogens  (Taf. I, Fig. a^^)  ineinander  übergehen. 
In  anderen   Fächern   liegt  keine  solche   »Rindenschleife«, 

1  L.  c.  s.  623. 

'-  C.  Creighton,   A  theory  of  the  homology  of  the  suprarenals,  bascd 
on  Obsen'ations.  Journal  of  .A-nat.  and  Phys.  Vol.  XIII. 


»">-4  M.  Pfaundler. 

sondern  ein  einfacher  Strang,  der  in  gestrecktem  Verlaufe  die 
Kapsel  erreicht  und  den  Raum  zwischen  den  Fortsätzen  ganz 
erfüllt. 

Man  kann  sich  in  diesem  Falle  leicht  vorstellen,  dass  auch 
dieser  Strang  einer  Rindenschleife  angehört,  deren  Beugungs- 
ebene jedoch  zur  Schnittebene  senkrecht  stand  und  deren 
zweite  Hälfte  dementsprechend  in  den  nächst  höheren  oder 
tieferen  Schnitten  enthalten  sei,  worauf  mitunter  auch  das 
Aussehen  des  Stranges  an  der  Kapsel  hinweist. 

Diese  Vermuthung  Hess  sich  manchmal  an  Serien  be- 
stätigen; anderemale  aber  zeigte  sich,  dass  der  Strang  sich 
nicht  weiter  fortsetzte,  dass  also  in  der  That  manche  Fächer 
keine  Rindenschleifen,  sondern  einfache  Rindenstränge  (ein- 
fache Zellsäulen)  enthalten. 

Sowohl  die  beiden  Schenkel  der  Rindenschleifen,  als  die 
einfachen  Stränge,  die  in  gleicher  Weise  aus  cylindrischen, 
aneinander  gereihten  Zellen  bestehen,  gehen,  ohne  von  ihrer 
Richtungslinie  gegen  das  Mark  abzuweichen,  in  einer  be- 
stimmten Entfernung  von  der  inneren  Kapseloberfläche  in  etwas 
schmälere  Säulen  aus  kubischen  (»rundlich-eckigen«  Kölliker) 
Zellen  über;  diese  dringen,  dicht  an  die  Kapselfortsätze  sich 
haltend,  in  radiärem  Verlaufe  tief  in  das  Rindeninnere  ein. 

Es  ist  sehr  schwer,  die  Säulen  hier  weiter  zu  verfolgen, 
doch  gelingt  dies  an  manchen  günstigen  Stellen  und  es  zeigt 
sich  dann:  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  gehen  die  beiden, 
einem  gemeinsamen  Bindegewebszuge  anliegenden, 
also  aus  benachbarten  Fächern  stammenden  Zell- 
stränge um  das  centrale  Ende  des  Balkens  in  einem 
nach  aussen  concaven  Bogen  (innerer  Bogen)  in- 
einander über  (Taf.  I,  Fig.  1  ibg);  niemals  konnte  beobachtet 
werden,  dass  die  beiden  aus  demselben  Fache  stammenden 
Stränge  in  irgendwelche  Beziehungen  treten,  vielmehr  setzt 
sich  der  zwischen  ihnen  betindliche,  oben  erwähnte  Spalt  noch 
(Taf.  I,  Fig.  1  g)  weiter  fort  und  zieht  —  beide  Stränge  trennend 
—  bis  an  die  Rindenmarkgrenze. 

Dieser  Spalt  ist  nichts  anderes,  als  ein  Gefäss,  dessen 
Wandung  aus  einer  kernreichen  Intima  besteht,  und  welches 
von  der  concaven  Seite  der  Strangbeuge  an  die  ganze  Rinde 


Anatomie  der  Nebenniere.  525 

durchzieht,  um  mit  den  Bluträumen  im  Mark  zu  communi- 
ciren. 

Manchmal  lagern  sich  um  die  Wandung  dieser  Gefässe 
zarte  Bindegewebszüge,  wodurch  sie  sich  dann  in  ihrem  Bau 
wenig  von  den  in  den  Lamellen  laufenden  Gefässen  unter- 
scheiden. Kölliker^  fasst  beide  Arten  von  Geweben  als 
»•gefässreiche,  faserige  Bindesubstanz«  zusammen. 

Wie  Arnold*  erwiesen  hat,  sind  die  »Rindenschläuche« 
der  älteren  Autoren'  nichts  anderes  als  jene  Zellsäulen  und  die 
»Membrana  propria«  derselben  ist  die  Wandung  des  eben 
erwähnten  Gefässes. 

Von  den  Bindegewebszügen  der  Kapsellamellen  ziehen 
seitliche  Aste  gegen  das  centrale  Gefäss,  und  zwar  finden 
sich  diese  im  Bereiche  der  cylindrischen  Zellen  in  Form 
senkrecht  abzweigender,  den  Strang  leicht  gewölbt  über- 
brückender Fasern,  im  Bereiche  der  »rundlich-eckigen»  Zellen 
als  stärkere  Faserzüge  (Taf.  I,  Fig.  1  h),  die  sich  in  kurzem, 
schief  nach  innen  gerichteten  Verlaufe  noch  weiter  verästeln. 
Die  letzteren  schienen  auch  Gefässästchen  zu  enthalten;  sie 
senden  ihre  feinsten  Ausläufer  um  die  Zellen  und  bilden 
dadurch  die  durch  v.  Brunn*  erwähnten  »korbartigen«  Um- 
hüllungen derselben. 


1  L.  c.  s.  516. 

-  J.  Arnold,  Ein  Beitrag  zu  der  feineren  Structur  und  dem  Chemismus 
der  Nebennieren.  Virchow's  Arch.  f.  path.  Anat.  u.  Phys.  Band  35.   1866. 

^  AI.  Ecker,  Der  feinere  Bau  der  Nebennieren.  Braunschweig  1846.  — 
G r  a n  d  r  j' ,  Memoire  sur  la  structure  de  la  capsule  surrenale  etc.  R  o b  i  n  s,  Journal 
de  TAnat.  et  de  la  Phys.  1867.  —  Frey,  Suprarenal  capsules.  Cyclopaed. 
Vol.  4,  pag.  827.  —  G  erlach.  Gewebelehre,  2.  Aufl.  S.  258.  —  Hassel, 
Mikroskopische  Anatomie,  1849.  11.  und  12.  L  S.  370.  —  Luschka,  Ana- 
tomie d.  Menschen,  Bauch.  S.  372.  —  Henle,  Zeitschrift  f.  rat.  Med.  Bd. XXIV. 
H.  1  u.  Handbuch  der  systero.  Anat.  d.  Menschen.  1866.  II.  Bd.  S.  561.  ff. 

•*  L.  c.  S.  620.  Die  gleiche  Beobachtung  machten  G.  J Osten.  Der  feinere 
Bau  der  Nebenniere.  Arch.  f.  Heilkunde.  Heft  2.  Räuber,  (S.  16)  und  Arnold. 
L.  c.  1864.  S.  97  ff.  —  Mors,  Über  den  feineren  Bau  d.  Nebenniere.  Virch. 
Arch.  Bd.  XXIX.  S.  357;  im  Gegensatze  zu  Leydig,  Lehrbuch  der  Histologie, 
Frankfurt,  1857.  und  Werner,  De  capsul.  suprarenal.  Diss.  Dorpat  1857, 
welche  grössere  Rindenzellcomple.xe  in  gemeinsamen  Bindegewebsmaschen 
angaben. 


Ö26  M.  Pfaundler, 

Das  bindegewebige  Stroma  ist  in  dem  äusseren  Theile  der 
inneren  Rindenschichte  stärker  entwickelt,  als  weiter  central- 
wärts. 

Wenn  man  den  inneren  Bogen  (Taf.  I,  Fig.  1  ibg)  ins  Auge 
fasst,  so  zeigt  sich  häufig,  dass  sich  dieser  mittelst  einer 
schmalen  Zellsäule  fortsetzt,  die  — von  seiner  convexen  Seite 
entspringend  —  in  gewundenem  Verlaufe  gegen  das  Mark  zieht 
(Taf.  I,  Fig.  \f).  Diese  Endstücke  der  Rindenstränge  pflegen 
miteinander  zu  anastomosiren  (Taf.  I,  Fig.  1  an),  sich  zu  theilen, 
oder  zu  verschmelzen  und  können  auf  diese  Weise  das  Netz 
bilden,  welches  von  den  meisten  Autoren '  angegeben  woirde, 
und  in  Taf.  I,  Fig.  3,  Querschnitt  durch  den  inneren  Rinden- 
antheil  (nahe  dem  Marke),  dargestellt  ist. 

In  manchen  Fällen  theilen  oder  vereinen  sich  auch  die 
Rindenstränge  in  den  peripheren  Abschnitten  in  mannigfacher 
Art,  namentlich  an  der  Cbergangszone  der  cylindrischen  Zellen 
(Fig.  1  c)  in  die  rundlich-eckigen  (Fig.  1  /?),  sowie  weiter  central- 
wärts  (Taf.  I,  Fig.  1  /). 

An  einem  Oberflächen-parallelen  Schnitt  durch  den 
äussersten  Rindenantheil  unmittelbar  unter  der  Kapsel  (Taf.  I, 
Fig.  2)  bilden  die  querdurchschnittenen  Rindenstränge  meist 
ringförmige  Complexe  (Fig.  2  A),  welche  das  dünnwandige 
centrale  Gefäss  (Taf.  I,  Fig.  2  g)  umschliessen.  Die  Hauptaxen 
der  Cylinderzellen  stehen  im  Ringe  radiär.  Häufig  ist  auch  (wie 
auf  Taf.  I,  Fig.  2  B  zu  ersehen)  der  Ring  an  einer  Stelle  durch- 
brochen. Selten  finden  sich  massive  Strangquerschnitte  (Taf.  I, 
Fig.  2  Q. 

Die  ring-  und  die  halbringförmigen  Querschnitte  gehören 
solchen  Strangformen  an,  die  sich  am  radiären  Schnitte 
als  Strangpaare  mit  bogenförmigen  Anastomosen  (Rinden- 
schleifen) darstellten;  die  massiven  Querschnitte  entsprechen 
den  erwähnten  soliden  Säulen. 

Man   gewinnt  hieraus  eine   körperliche  Vorstellung. 

In  den  jetzt  körperlich  gedachten,  durch  breite  Lamellen 
gebildeten  F'ächern,  die  einerseits  durch  die  Kapsel  verschlossen 

^  M.  Güttschau,  Structiir  und  embryonale  E)ntwicklung  der  Neben- 
nieren bei  Säugethieren.  Arch.  f.  Anat.  und  Entwicklungsgeschichte  1883. 
S.  412.  ff.  —   V.  Brunn,  Kölliker  1.  c. 


Anatomie  der  Nebenniere.  o2  / 

sind,  anderseits  gegen  das  Mark  sich  öffnen,  liegen  folgende, 
durch  Rindenzellen  aufgebaute  Formen: 

1.  An  der  Kapsel  kuppenförmig  geschlossene  Hohl- 
cylinder  (Taf.  I,  Fig.  l  abg,  Fig  2  D). 

2.  durch  Halbkuppen  abgegrenzte  Rinnen  (Taf.  I,  Fig  2  B)  und 

3.  massive,  bandartige  Stränge  (Fig.  2  C) 

Im  Lumen  des  Hohlcylinders  und  der  Rinne  verläuft 
jedesmal  das  erwähnte  dünnwandige  Gefäss. 

Am  Radiärschnitte  ist  zu  ersehen,  dass  der  einem  Kapselfort- 
satz anliegende  Zellstrang  (Taf.  I,  Fig.  1  a)  nicht  nur  mittelst  eines 
äusseren  Bogens  (Taf.  I,  Fig.  1  abgebildet)  an  der  inneren 
Kapseloberfläche  mit  dem  anderen  Zellstrang  desselben  Faches 
in  Verbindung  tritt,  sondern  auch  am  centralen  Ende  des 
Kapselfortsatzes  mittelst  eines  inneren  Bogens  (Taf.  I,  Fig.  1 
abgebildet)  mit  dem  benachbarten  Zellstrang  (Taf.  I,  Fig.  1)  des 
angrenzenden  Faches  zusammenhängt.  In  Erwägung  dessen, 
drängt  sich  der  Gedanke  auf,  dass  die  ganze  Anordnung 
des  Rindenbaues  auf  eine  ursprünglich  mit  einer 
einfachen  Zellage  bekleideten,  zu  vielen  ver- 
schiedengestalteten Falten  centralwärts  einge- 
zogenen bindegewebigen  Kapsel  zurückzuführen  sei. 

Die  gefässhaltigen  Lamellen  würden  den  beiden  ver- 
wachsenen Blättern  der  eingezogenen  Kapsel  entsprechen;  die 
in  Kapselfächern  gelegenen  einfachen  Zellstränge  wären  als 
solide,  die  Einfaltung  vertretende  Wucherungen  der  Zellage 
anzusehen. 

Eine  Sicherstellung  der  Annahme,  dass  die  Rinde  der 
Nebenniere  durch  einen  Einfaltungsvorgang  entstanden  sei,  ist 
freilich  nur  durch  entwicklungsgeschichtliche  Untersuchung  zu 
gewinnen,  doch  können  einige  Befunde  angeführt  werden, 
welche  für  die  Richtigkeit  derselben  zu  sprechen  scheinen. 

An  einem  radiären  Schnitt  durch  die  Nebennierenrinde 
eines  wenige  Tage  alten  Hundes(Taf.I,  Fig.  4)  findet  man  das 
Bindegewebe  sehr  schwach  entwickelt;  die  Lamellen  erscheinen 
als  kurze  zapfenartige  F'ortsätze.  Die  äussersten  cylindrischen 
Rindenzellen  (Fig.  4  c)  bilden  eine  epithelartige  Lage  an  der 
Kapsel,  welche  durch  die  Fortsätze  derselben  leicht  eingestülpt 


o28  M.  Pfaundler, 

wird.  Es  entstehen  dadurch  an  der  Kapsel  nach  innen,  an  der 
Spitze  der  Bälkchen  nach  aussen  concave  Bögen,  die  den 
Bogenformen  beim  Pferde  offenbar  entsprechen,  aber  den 
Charakter  der  Einstülpung  noch  deutlich  an  sich  tragen. 

Ferner  wurden  auch  beim  erwachsenen  Thier  (namentlich 
beim  Hunde,  Kaninchen  und  der  Fledermaus)  gar  nicht  selten 
gewisse  Abweichungen  von  dem  normalen  Verhalten  beob- 
achtet, die  für  diese  Frage  von  Bedeutung  sind.  Taf.  I,  Fig.  5, 
zeigt  kurze  Kapselfortsätze  vom  erwachsenen  Hunde,  an 
welchen  der  bogenförmige  Übergang  im  centralen  Theile  noch 
im  Bereiche  der  Cylinderzellen,  nicht,  wie  dies  Regel  ist, 
im  Bereiche  der  »rundlich-eckigen«  Zellen  stattfindet.  In  diesem 
Falle  erinnert  das  Bild  des  Längsschnittes  einerseits  auffallend 
an  die  Beobachtung  beim  neugeborenen  Thiere,  anderseits 
an  die  Darstellung  der  beim  Pferde  obwaltenden  Verhältnisse. 

Endlich  wäre  für  diese  Anschauung  von  der  Bildung  der 
Rinde  auf  die  Angabe  der  Autoren  zu  verweisen,  dass  sich  an 
der  Aussenseite  der  Kapsel  bei  neugeborenen  und  erwachsenen 
Thieren  eine  feine  Kerbung  bemerklich  macht,  wie  ich  sie 
ebenfalls  beobachtete  (Hund). 

Der  geschilderte  Grundzug  des  Baues  der  Pferdeneben- 
nierenrinde  konnte  auch  bei  anderen  Thieren,  nämlich  beim 
Hunde,  bei  der  Fledermaus  (Taf.  II,  Fig.  6),  der  Katze,  dem 
Igel,  Maulwurf,  der  Maus  und  dem  Kaninchen,  (also 
Vertretern  der  meisten  Säugethierclassen)  deutlich  wieder- 
erkannt werden.  Weniger  gut  gelang  dies  beim  Affen,  der 
Ratte,  dem  Meerschweinchen,  der  Ziege  und  dem  Rinde,  sowie 
bei  der  menschlichen  Nebenniere.  Die  Ursache  der  leichteren  oder 
schwierigeren  Erkenntnis  des  Rindenbaues  bei  verschiedenen 
Thieren,  ist  hauptsächlich  die  verschiedene  Entwicklung  der 
Bindegewebsbalken  und  die  wechselnde  Form  der  Rinden- 
strangzellen. 

Beim  Pferde  sind  die  Balken  ungemein  zahlreich  und 
mächtig,  und  ist  die  Form  der  äusseren  Rindenzellen  insoferne 
günstig,  als  man  aus  der  Lage  der  nach  den  drei  Dimensionen 
so  ungleich  ausgedehnten  Elemente  auf  die  Orientirung  des 
Stranges  schliessen  kann. 


Anatomie  der  Nebenniere.  529 

II.  Die  Zellen  der  Rinde. 
1.  Pferd  und  Hund. 

Der  Form  nach  lassen  sich  beim  Pferde  und  Hunde  die 
Zellen  der  Rindencylinder  in  zwei  Gruppen  bringen:  in  »cylin- 
drische«  und  »rundlich-eckige«  (Kölliker). 

Die  »cylindrischen«  Zellen  bauen  die  früher  als  äussere 
Bögen  (Taf.  I,  Fig.  1  abg)  bezeichneten  Theile  der  Rinden- 
stränge, somit  den  äusseren  Rindenantheil  auf,  während  die 
rundlich-eckigen  Elemente  von  diesen  äusseren  Bogenstücken 
an  bis  zum  Mark  reichen  (Taf.  I,  Fig.  1  p). 

Dem  entsprechend  könnte  man  die  Rindenstränge  in  zwei 
Abschnitte  trennen,  in  einen  äusseren  aus  »cylindrischen«, 
und  einen  inneren  aus  »rundlich-eckigen«  Zellen  bestehenden. 

a)  Zellen  des  äusseren  Rindenantheils. 

Der  äussere  Theil  der  Rindenstränge  besteht  beim  Pferde 
aus  bald  cylindrischen,  bald  kegelförmigen,  manchmal  an  beiden 
Enden  verschmälerten,  durch  gegenseitigen  Druck  in  ihrer 
Form  beeinflussten,  aber  stets  sehr  langgestreckten  Zellen,  die 
einen  deutlichen  Epithelcharakter  aufweisen.  Um  an  Schnitt- 
präparaten die  Form  dieser  Zellen  bestimmen  zu  können, 
bedarf  es  äusserst  feiner  Schnitte,  die  nur  eine  einfache  Zell- 
lage enthalten. 

Ein  genauer  Untersucher,  v.  Brunn,*  erklärt  die  in  Rede 
stehenden  Elemente  für  Spindelzellen:  »Wenn  man  aus  dem 
völlig  frischen  Organe  des  Pferdes  Schnitte  fertigt  und  aus  den- 
selben durch  Schütteln  mit  Kochsalzlösung  einen  Theil  der 
Zellen  entfernt,  dann  sieht  man,  dass  die  Zellen  einen  spindel- 
förmigen Leib  und  einen  bis  zwei  lange  Ausläufer  haben 

Mittelst  dieser  Ausläufer  hängen  sie  mit  dem  Bindegewebe  der 
Umgebung  zusammen.«  v.  Brunn  gibt  an,  diese  Zellen  seien 
bindegewebiger  Natur  und  nichts  anderes  als  modificirte,  den 
Gefässen  zugehörige  Adventitia-Zellen. 

Obwohl,  wie  ich  glaube,  unsere  heutigen  Kenntnisse  von 
der  Entwicklungsgeschichte  der  Nebenniere  gtgQn  diese 
Annahme  V.  Brunn's  sprechen,  mussten  dessen  Beobachtungen 


*   L.  c. 


530  M.  Pfaundler, 

doch  mit  denen  an  Isolationspräparaten,  die  ich  nach  seiner 
Methode  herstellte,  verglichen  werden.  Die  Zellen  zeigten 
cylindrische  oder  kegelförmige  Gestalt  (wie  sie  auch  v.  Brunn 
in  Fig.  2  abbildet)  oder  sie  waren  an  beiden  Enden  etwas  ver- 
schmälert; niemals  aber  gewahrte  ich  einen  solchen  Bau  der 
Zellen,  dass  ich  sie  als  Spindelzellen  im  eigentlichen 
Sinn  des  Wortes  hätte  ansehen  können.  Wurde  auf  das  Deck- 
gläschen ein  leichter  Druck  ausgeübt,  dann  floss  mehr  oder 
weniger  vom  Inhalte  des  Zellleibes  aus,  der  Rest  des  Proto- 
plasmas sank  zusammen  und  stellte  fadenartige  Ausläufer  der 
Zelle  dar,  welche  mitunter  Spindelzellen  vortäuschen  konnten. 

Dass  die  intacten  cylindrischen  Zellen  an  ihren  basalen 
Enden,  mittelst  welcher  sie  sich  an  die  Unterlage  anheften, 
fadenförmige  Ausläufer  besitzen,  ist  gewiss,  doch  ändert  dies 
an  ihrem  Cylinderzellencharakter  nichts,  da  ja  solche  Fortsätze 
den  Cylinderzellen  überhaupt  zukommen. 

Die  meisten  von  Brunn  abgebildeten  Zellen  (Fig.  2)  sind 
wohl  nicht  als  Spindelzellen  anzusehen  und  dürften  auch  nicht 
ganz  unversehrt  sein,  sondern  ihre  Fortsätze  durch  Auslaufen 
des  Zellinhaltes  erworben  haben.  Ich  darf  nicht  unterlassen  an- 
zugeben, dass,  wenn  ich  kleine  Stückchen  der  frischen  Neben- 
nierenrinde durch  24  Stunden  mit  10"/oiger  Kochsalzlösung 
behandelte  und  dann  auf  dem  mit  Kochsalzlösung  v^ersehenen 
Objectträger  aufschwemmte,  Zellen  mit  Ausläufern  und  aus- 
gesprochener Spindelform,  wie  sie  zum  Theil  v.  Brunn  ab- 
bildet, zum  Vorschein  kamen.  Ein  Vergleich  dieses  Befundes 
mit  dem  an  frisch  untersuchten  Stücken  lässt  mich  vermuthen, 
dass  es  sich  hier  um  eine  Macerationserscheinung  handle  und 
die  Formveränderung  wieder  auf  den  Austritt  von  Zellinhalt 
zurückzuführen  sei. 

Die  fraglichen  Zellen  sind  äusserst  zarter  Natur;  der 
Isolirungsvorgang  und  die  Behandlung  mit  den  verschiedenen 
Reagentien  sind  offenbar  von  bedeutendem  Einflüsse  auf  ihre 
Gestalt.  Indem  ich  nun  weder  einerseits  an  den  frischen  Präpa- 
raten (Methode  v.  Brunn),  noch  anderseits  an  den  nach  zahl- 
reichen Methoden  hergestellten  Schnitten  durch  die  äusseren 
Rindenantheile  Spindelzellen  im  eigentlichen  Sinn  des  Wortes 
beobachten  konnte,  so   möchte  ich  mich  der  Meinung  derer 


Anatomie  der  Nebenniere.  Oö  1 


> 


anschliessen,  welche  für  diese  Schichte  der  Pferdenebenniere 
cylindrische  Zellen  angeben. 

Die  Messung  der  Zellen  an  Schnittpräparaten  ergab  eine 
Länge  von  40 — 60  |x,  eine  Breite  von  4 — 10  ja;  für  die  Kerne 
eine  Länge  von  8 — 12  |x,  eine  Breite  von  5 — 6  (x. 

Das  Protoplasma  der  Cylinderzellen  ist  feinkörnig;  es 
nimmt  bei  Carmintinctionen  eine  ganz  hellrosa,  bei  Hämat- 
oxylinbehandlung  eine  graue  Färbung  an;  durch  Osmiumsäure 
wird  es  gelbgrau.  Es  enthält  eine  grössere  oder  geringere 
Menge  von  gelben,  stark  lichtbrechenden  Körnchen, 
welche  meist  in  Gruppen  neben  dem  Kern  beisammen  liegen, 
aber  auch  zerstreut  durch  die  ganze  Zelle  sowie  ausserhalb 
derselben  vorkommen  können. 

Die  Körnchen  sind  rund,  ihr  Durchmesser  beträgt  kaum 
mehr  als  1  (i  im  Maximum,  meistens  aber  weniger  bis  herab  zu 
einer  unmessbaren  Grösse.  Bei  der  frischen  Präparation  treten 
sie  häufig  aus  den  Zellen  und  vereinigen  sich  dann  oft  zu 
grösseren  Tropfen.  Mineralische  und  organische  Säuren  greifen 
sie  auch  bei  Concentration  nicht  an,  ebensowenig  andere  ver- 
wendete Reagentien,  wie  Alkohol,  Äther,  Chloroform,  Terpentin, 
Chlorwasser,  Wasserstoffsuperoxyd  u.  s.  w. 

In  den  meisten  Tinctionsmitteln  verändern  sie  ihr  Aus- 
sehen nicht;  concentrirte  Säurefuchsinlösung  schien  sie  schwach 
zu  färben.  Durch  Osmiumsäure  P/o  schwärzen  sie  sich  intensiv, 
doch    erst    nach   längerer   Einwirkung.*    Sie   vertragen   eine 


^  Anders  als  die  frischen  Körnchen  verhalten  sich  diese  in  osmirtem 
Zustande  verschiedenen  Reagentien  gegenüber;  es  wurden  in  Osmiumsäure 
erhärtete  Stücke  in  feine  Schnitte  zerlegt  und  diese  mit  verschiedenen  Reagentien 
behandelt.  In  Wasserstoffsuperoxyd  verschwanden  die  Körnchen  in  15  bis 
25  Minuten,  in  10%  Chromsäure  in  vier  Stunden;  in  Chlorwasser  ebenfalls  in 
kürzerer  Zeit.  Dagegen  blieben  sie  in  Terpentin  und  terpentinigen  Lacken,  Toluol 
und  Xylol  wenigstens  durch  mehrere  Stunden  unverändert.  Dadurch  unter- 
schied ich  sie  auch  von  den  bei  älteren  Thieren,  namentlich  in  der  äusseren 
Rindenschichte,  manchmal  vorgefundenen  Fetttröpfchen,  welche  sich  nach 
Einwirkung  von  Osmiumsäure  und  den  eben  erwähnten  Reagentien  s  e  h  r  b  a  I  d 
lösten.  Vergl.  darüber  Dekhuyzen  (Centralblatt  für  Phys.  1889,  Nr.  21). 
Flemming  (Zeitschr.  f.  wissensch.  Mikr.  u.  mikr.  Technik  VI.  Bd.,  S.  39  und 
178)  und  H.  Rabl  (Arch.  f.  mikr.  Anat.  Bd.  38.  Entwicklung  und  Structur  der 
Nebennieren  bei  Vögeln,*S.  513). 


'>''52  M.   Pfaundler, 

Temperatur  von  öO — 60°  C.  durch  mehrere  Stunden,  nachdem 
sie  sich  an  Schnitten  von  Paraftinstücken  ebenso  finden,  wie 
in  frischen  Zellen. 

Ihre  Zahl  ist  bei  verschiedenen  Individuen  verschieden; 
am  reichlichsten  fand  ich  sie  bei  einem  schlecht  genährt  aus- 
sehenden 12jährigem  Hengst;  bei  älteren  Thieren  sind  sie  im 
Allgemeinen  seltener;  bei  einem  20jährigen  Thiere  fand  ich 
nur  in  einzelnen  Zellen  Körner. 

Der  Kern  der  Cylinderzellen  ist  sehr  scharf  contourirt, 
immer  von  ovaler  Gestalt;  er  lässt  sich  mit  allen  gebräuch- 
lichen Farbstoffen  sehr  gut  imprägniren.  Er  enthält  1 — 3  runde 
Chromatinbrocken  (Kernkörperchen  ?)  von  etwa  2  {jl Durchmesser 
und  ausserdem  feine,  stark  tingirte  Körnchen  (Kernnetz?).  Die 
Längsaxe  des  Kernes  ist  stets  mit  der  Längenrichtung 
der  Zelle  parallel;  er  füllt  meist  die  ganze  Breite  der  Zelle 
aus  und  macht  häufig  Biegungen  der  Zelle  mit.  In  den  Kegel- 
zellen steht  er  immer  basal,  in  den  Cylinderzellen  dagegen 
central;^  desshalb  trifft  man  auch  an  Längsschnitten  durch  die 
Stränge  sehr  selten  nur  eine  Keinreihe,  meistens  deren  zwei 
oder  drei. 

Frische  Präparate  und  dünne  Schnitte  lehren,  dass  die 
Cylinderzellen  nicht  dicht  aneinander  schliessen,  sondern  einen 
capillaren  Spaltraum  umgrenzen,  den  ich  an  einem  meiner 
Injectionspräparate  durchwegs  von  der  eingespritzten  Masse 
erfüllt  sah. 

Die  Verbindung  der  Zellen  mit  dem  sie  stützenden  Ge- 
webe geschieht  nach  v.  Brunn*  durch  die  basalen  Ausläufer. 
Dabei  kommt  aber  noch  eine  Beobachtung  in  Betracht,  die  von 
Räuber*  an  der  Pferdenebenniere  gemacht  wurde,  und  über 
welche  dieser  Autor  schreibt:  '> Während  der  grösste  Theil  des 
die  Hohlräume  bildenden  Bindegewebes  (unsere  Lamellen) 
Kerne  besitzt  und  die  Gefässe  enthält,  erkennt  man  nach  dem 


1  Vergl.  J.  Guarnieri  et  J.  .Magini.  Ktudes  sur  la  fine  structure  des 
capsules  surrenales.  Archives  Italiennes  de  Biologie,  Tome  X,  1888,  pag.  380. 
(Rendicunti  della  R.  Acc.  d.  L.  Vol.  IV,  1881,  pp.  844-848). 

•-'   L.  c.  S.  622,  623. 

•'•  L.  c.  S.  15. 


Anatomie  der  Nebenniere.  533 

Inneren  des  Lumens  zu  jedesmal  eine  kernlose,  feingranulirte, 
etwa  3 — 4  »x  dicke  Schicht«,  und  später:  »Man  bekommt  durch 
das  Schütteln  solcher  Schnitte  (mit  Methylmischung  behandelt) 
Bilder,  in  welchen  die  Zellen  mit  ihrem  einen  Ende  frei  flottiren, 
während  sie  mit  dem  anderen  an  der  Wand  festsitzen.  Es 
gelang  nicht,  das  genaue  Verhalten  des  festsitzenden  Fort- 
satzes nachzuweisen.  Derselbe  Hess  sich  nicht  durch  die 
structurlose  Schicht  verfolgen,  daher  konnte  eine  Verfilzung 
mit  dem  Bindegewebe,  wie  sie  v.  Brunn  angibt,  nicht  con- 
statirt  werden.« 

Ich  untersuchte  zunächst  das  Verhalten  der  Zellen  und 
deren  Ausläufer  an  ihren  den  Kapsellamellen  anliegenden  Enden 
und  glaube  hier  —  namentlich  nach  dem  Befunde  an  frischen 
Zerzupfungspräparaten  —  die  Angaben  v.  Brunn's  bestätigen 
zu  können. 

Das  andere  Ende  der  Zellen  ist  gegen  das  centrale,  mit 
einfacher  Intima  versehene  Gefäss  gerichtet.  Zwischen  den 
Zellenden  und  der  Gefässintima  liegt  ein  äusserst  feiner  Faser- 
filz, '  der  an  die  Fasermassen  um  den  centralen  Zottenraum 
erinnert.  Ob  dieser  Faserfilz  ein  Product  der  Zellen  ist,  oder 
eine  besondere  Bildung  darstellt,  vermag  ich  nicht  zu  ent- 
scheiden. Wenn  derselbe  von  Ausläufern  der  Cylinderzellen 
gebildet  wird,  so  hätten  dann  die  Cylinderzellen  zwei  faden- 
artige Ausläufer,  ihre  Anordnung  und  Verbindung  wäre  dann 
eine  solche,  wie  sie  v.  Brunn  beschreibt.  Die  im  obigen  Citate 
von  Räuber  erwähnte  feingranulirte,  3 — 4  (jl  dicke  Schicht  ist 
offenbar  mit  der  centralen  Gefässwand  identisch. 

Ich  habe  oben  angeführt,  dass  ältere  Autoren  die  Wandung 
des  centralen  Gefässes  für  die  Membrana  propria  der  Zell- 
schläuche gehalten  haben  und  Ecker*  gibt  zur  Darstellung 
derselben  die  Behandlung  mit  Kalilauge  an.  Davon  unabhängig, 
bemerkt  Räuber,^  dass  sich  die  von  ihm  beobachtete  Schichte 
unter  anderem  auch  besonders  nach  Zusatz  von  Kalilauge 
deutlich  zeige. 


J   »Grenzschicht  der  bindegewebigen  Septa«.  Kolli ker,  1.  c. 
2  L.  c. 

•^  L.  c.  S.  15. 
Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  (*1.;  CI.  Bd.,  Abth.  IIl.  37 


534  M.  Pfaundler, 

Kölliker  hat  die  Beobachtung  der  besprochenen,  so  ver- 
schieden gedeuteten  Zone  ebenfalls  gemacht,  und  »die  scharfe 
Linie,  welche  die  die  Stränge  enthaltenden  Fächer  häufig  zu 
innerst  zeigen*  nicht  als  besondere  Hülle  (Membr.  propria), 
sondern  als  »Grenzschicht  der  bindegeweblichen  Septa«  an- 
gesehen. 

Der Cylinderzellenschicht  des  Pferdes  ist  die  des  Hundes 
sehr  ähnlich. 

Die  Cylinderzellen  sind  hier  von  etwas  plumperem  Bau, 
(v.  Brunn),  zeigen  aber  sonst  keine  wesentlichen  Unterschiede. 
Der  Einschluss  von  gelben,  stark  lichtbrechenden  Körnchen 
wurde  in  gleicher  Weise  wie  beim  Pferde  bei  allen  zwölf  unter- 
suchten Hunden  beobachtet. 

Bei  einigen  Individuen  waren  die  Zellen  höchst  auffallend 
verändert,  und  zwar  in  ganz  ähnlicher  Weise,  wie  dies 
Dostoiewsky*  für  die  innere  Rindenschicht  des  Pferdes  be- 
schrieben,  und  als  »regressiv  metamorphosirt«  bezeichnet  hat. 
Dostoiewsky  gibt  an:  »Die  Zellen  werden  kleiner  und  in 
ihrem  Protoplasma  zeigen  sich  von  allen  Seiten  Einkerbungen, 
so  dass  die  Zellen  eine  sternförmige  Gestalt  annehmen;  eine 
geringe  Menge  Protoplasma  bleibt  nur  um  den  Kern  herum, 
die  Zellen  grenzen  sich  nicht  deutlich  von  einander  ab  und 
scheinen  mit  ihren  Fortsätzen  zu  verschmelzen,  so  dass  die 
Rindensubstanz  auf  Schnitten  dieser  Stellen  gleichsam  ein 
feinstes  Gespinnst  darbietet«. 

Ausserdem  zeigten  sich  auch  die  Kerne  an  meinen  Präpa- 
raten vom  Hunde  geschrumpft,  mit  zackigen  Rändern  versehen, 
und  gleichmässig  dunkel  gefärbt.  Das  Gebiet  der  metamor- 
phosirten  Zellen  erstreckte  sich  in  manchen  Fällen  über  die 
ganze  äussere  Rindenschichte. 

h)  Zellen  des  inneren  Rindenantheils. 

Die  Cylinderzellen  der.  Pferdenebenniere  gehen  in  einem 
Abstände  von  etwa  Od  mm  von  der  inneren  Kapseloberfläche 
allmälig  in  die  Zellen  der  inneren  Schichte,  in  Kölliker's 
*rundlich-eckigec'  Zellen  über.  (Taf.  I,  Fig.  \  p.) 

1  L.  c.  S.  279. 


Anatomie  der  Nebenniere.  o35 

Die  Form  dieser  Elemente  ist  eine  sehr  wechselnde;  sie 
erscheinen  an  Längs-  und  Querschnitten  meist  polygonal,  oval 
oder  quadratisch,  häufig  aber  auch  niedrig  cjdindrisch  und  in 
dem  letzteren  Falle  ist  die  Anordnung  immer  wieder  die  der 
äusseren  Rindenzellen.  Nach  dem  Aussehen  des  Zellleibes  und 
Zellkerns  unterschied  ich: 
a)  Zellen  mit  dunklem,  fein  reticulirtem  Protoplasma  und 
rundem,  glattrandigen  Kern.  (Taf.  II,  Fig.  7  a) 

b)  Zellen  mit  hellem,  von  lockerem  Maschenwerk  erfüllten 
Leib  und  einem  Kern  wie  bei  a).  (Taf.  II,  Fig.  7  b) 

c)  Zellen,  deren  Protoplasma  in  ein  sehr  lockeres  Netz  von 
feinen  Fäden  verwandelt  schien,  deren  Kern  geschrumpft 
und  zackig  war.  (Taf.  II,  Fig.  7  c) 

Diese  verschiedenen  Zellformen  zeigten  in  der  angegebenen 
Reihenfolge  mannigfache  Übergänge,  und  es  scheint  mir  höchst 
wahrscheinlich,  dass  ihr  differentes  Aussehen  auf  verschiedene 
physiologische  Zustände  zurückzuführen  sei. 

Es  Hess  sich  nicht  feststellen,  dass  bestimmte  Formen 
dieser  Zellen  in  bestimmten  Zonen  der  Rinde  besonders  auf- 
fallend vorherrschen;  dagegen  ist  es  ein  häufiges  Vorkommniss, 
dass  innerhalb  der  einzelnen  Stränge  z.  B.  nur  dunkle,  oder  nur 
helle  Zellen  liegen.  Oft  sah  ich  Stränge,  die  aus  einer  Art  von 
Zellen  ausschliesslich  bestanden,  zwischen  anderen  verlaufen 
und  dadurch  besonders  markirt  erscheinen. 

Alle  genannten  Zellformen  enthalten  wie  die  Cylinderzellen 
stellenweise  eine  gelbe  Körnung,  die  auch  hier  an  Osmiumpräpa- 
raten schwarz  gefärbt  ist  und  sich  insbesonders  in  den  innersten 
Rindenpartien  anhäuft.  Hier  erreichen  die  einzelnen  Körnchen 
eine  Grösse  bis  zu  3  ;jl  und  ballen  sich  zu  Haufen  zusammen, 
welche  die  ganze  Zelle  einnehmen,  den  Kern  allein  freilassen. 

Dostoiewsky*  beobachtete  dieselbe  Erscheinung  beim 
Pferde  und  anderen  Thieren  und  bezeichnete  solche  Zellen  als 
»fettig  infiltrirte«. 

Die  Grösse  der  Durchmesser  der  Zellen  in  dieser  Schichte 
ist  beim  Pferde  etwa  20 — 30  |x,  der  des  Kernes  etwa  6|jl.  Gegen 
die  Markgrenze  nimmt  die  Grösse  der  Zellen  etwas  ab. 


1  L.  c.  S.  282. 

37* 


5:^ü  M.  Pfaundler, 

Beim  Hunde  sind  die  Verhältnisse  dieselben,  nur  tritt  oft 
die  »regressiveMetamorphose«, welche  Dostoiewsky  erwähnt, 
auch  in  dieser  Schichte  ein,  wodurch  das  Gewebe  das  Aus- 
sehen eines  Netzwerkes  mit  blasigen  Maschen  erhält. 

Auf  einen  Befund  an  den  Kernen  der  inneren  Kindenzellen 
des  Pferdes  glaube  ich  noch  insbesondere  aufmerksam  machen 
zu  sollen. 

Es  zeigte  sich,  dass  die  Kerne  der  erwähnten  Zellformen 
uj  und  hj  neben  dem  Kernkörperchen  in  den  Maschen  des 
Kerngerüstes,  sowie  insbesonders  an  der  Kernwand  kleine, 
rundliche  chromatische  Brocken  enthalten  (Taf.  II,  Fig.  8).  In 
anderen  Kernen  lagen  dicht  an  der  Kernwand  2-3  chromatische 
Klumpen  von  der  Grösse  der  Kernkörperchen,  die  aber  nicht 
ganzrandig  und  rund,  sondern  aus  einigen  (3 — 4)  chromatischen 
Kugeln  zusammengesetzt  schienen.  In  sehr  zahlreichen  Fällen 
beobachtete  ich  nun,  dass  solche  chromatische  Kugeln  oder 
Kugelcomplexe  theilweise  oder  ganz  ausserhalb  der  Kernwand 
im  Zellleibe  lagen  (Taf.  II,  Fig.  8). 

Es  scheint  demnach  in  den  Zellen  der  inneren  Rinden- 
schicht der  Pferdenebenniere  ein  Auswandern  von  chroma- 
tischer Substanz  aus  dem  Kerne  in  Form  von  kleinen 
Kugeln  oder  höckerigen  Kugelcomplexen  stattzufinden. 

Dieser  Vorgang  hat  Ähnlichkeit  mit  dem  erst  im  ver- 
gangenen Jahre  von  Holl*  an  der  menschlichen  Eizelle  und 
von  Jarisch*  an  Oberhautpigmentzellen  der  Froschlarve  beob- 
achteten Austritt  von  Kernsubstanzen  in  den  Zellleib. 

Manche  Kerne  waren  an  einer  Stelle  durch  die  austretenden 
chromatischen  Brocken  in  einen  spitzen  Fortsatz  ausgezogen. 
(Fig.  8  a).  An  den  ausgewanderten,  grösseren  Klumpen  bemerkt 
man  deutlich,  dass  sie  aus  einzelnen  kleineren  Antheilen 
zusammengesetzt  sind,  und  es  ist  deren  Zusammenhang  in 
manchen  Fällen  ein  sehr  lockerer. 


^  M.  Ho  11,  Über  die  menschliche  Eizelle.  Vorläufige  Mittheilung.  Ana- 
tomischer .Anzeiger  1891.  Nr.  19. 

-  J  arisch,  Über  die  Bildung  des  Pigmentes  in  den  Oberhautzellen. 
Arch.  für  Dermal,  u.  Syph.  1189. 


Anatomie  der  Nebenniere.  537 

2.  Die  übrigen  untersuchten  Thiere. 

Von  den  übrigen  Thieren  lassen  sich  die  Nager  (Maus, 
Ratte,  Kaninchen,  Meerschweinchen)  mit  den  Insecten- 
fressern  (Maulwurf,  Igel)  und  den  llandflüglern  (Fleder- 
maus) in  eine  Gruppe  zusammenfassen.  Bei  den  genannten 
Thieren  findet  man  im  äusseren  Theil  der  Rinde  Zellen,  welche 
an  die  beim  Pferde  beschriebenen  erinnern,  mit  ihnen  verwandt 
zu  sein  scheinen,  und  es  fällt  meist  nicht  schwer,  die  früher 
beim  Pferde  unter  a)  b)  und  cj  beschriebenen  Zellformen  wieder 
zu  erkennen,  oder  wenigstens  eine  oder  zwei  derselben  ver- 
treten zu  finden.  Die  Gestalt  der  Zellen  ist  mannigfachen 
Abweichungen  unterlegen. 

Beim  Kaninchen  besteht  die  ganze  Rinde  mit  Ausnahme 
der  innersten  Partien  (der  Zona  reticularis  Arnold 's  und 
Gottschau*s)  aus  Zellen  mit  lockerem,  protoplasmatischen 
Netzwerk  und  rundem  Kern;  die  Zellen  nahe  der  Kapsel  sind 
halbmondförmig  oder  rechteckig  mit  schwacher  Krümmung, 
oder  haben  die  Form  eines  gebogenen  Keils.  Ihre  Concavität 
ist  stets  nach  aussen  gerichtet;  sie  sind  kleiner  als  die  in  den 
inneren  Partien  gelegenen  Elemente  und  die  dicht  stehenden 
Kerne  bedingen  die  dunkle  Färbung  der  äussersten  Rindenzone 
(Gottschau). 

Es  erinnern  die  sichel-  und  keilförmigen  Elemente  an  die 
hochcylindrischen  Zellen  beim  Pferde  und  Hunde,  und  es  bietet 
überhaupt  die  Nebennierenrinde  des  Kaninchens  am  meisten 
Annäherung  zu  der  jener  Thiere. 

Wie  Gottschau  bemerkt,  trift't  man  zwischen  je  zwei  Zellen 
häufig  sichelförmige,  helle  Räume,  die  er  als  Schrumpfungs- 
erscheinungen deutet.  Ich  fand  dieselben  an  vielen  und  ver- 
schieden behandelten  Präparaten  regelmässig  wieder. 

Weiter  centralwärts  liegen  grössere  Zellen  von  kubischer  und 
polygonaler  Gestalt,  die  gegen  die  Markgrenze  hin  in  platte,  lang- 
gestreckte Formen  mit  dunklem,  fein  reticulirten  Protoplasma 
übergehen.  Ich  vermuthe,  dass  diese  häufig  eine  körnige  Einlage- 
rung enthaltende  Zellen  es  sind,  welche  Gottschau'  für  das 
Kaninchen   und  andere  Thiere  als    »braune   Zellen«    anführt. 


»  L.  c,  s.  482. 


538  M.  Pfaundler, 

Beim  Meerschweinchen  sind  die  Verhältnisse  ganz 
ähnliche.  Die  hellen,  halbmondförmigen  Zellen  sind  etwas 
plumper,  die  Keilformen  herrschen  vor.  In  der  innersten  Schichte 
ist  der  Zellleib  sehr  stark  tingirbarund  die  Zellgrenzen  scheinen 
oft  verwischt.  Eine  körnige  Infiltration  förbt  manche  Zellen  gelb. 

Bei  der  Maus  und  der  Ratte  lässt  sich  (namentlich  an 
Osmiumpräparaten)  erkennen,  dass  sich  eine  äussere,  hellere, 
von  einer  inneren,  dunkleren  Rindenschichte  scheidet.  Jene 
besteht  aus  den  hellen  Zellen  mit  weitmaschigem  Protoplasma- 
netz, diese  aus  fein  reticulirten  Elementen.  Halbmondförmige, 
stark  gekrümmte  Zellen  mit  zwischenliegenden  ähnlich  gestal- 
teten Lücken  reichen  von  der  Kapsel  bis  zum  Mark. 

Die  Rattennebenniere  zeigt  in  der  Nähe  der  Kapsel  auch 
die  erwähnten,  mit  geschrumpften  Kernen  versehenen  Zellen. 

Einen  Radiärschnitt  durch  die  Rinde  der  Fledermaus- 
nebenniere stellt  Taf.  II,  Fig.  6  dar.  Nächst  der  Kapsel  liegen 
helle,  centralwärts  dunkle  Zellen,  welch'  letztere  bei  der 
Behandlung  mit  Müll er'scher  Flüssigkeit  und  Hämatoxylin- 
färbung  einen  eigenthümlichen  grauen,  weichen  Ton  annehmen, 
wie  er  ähnlich  auch  bei  den  Cylinderzellen  des  Pferdes  beob- 
achtet wurde. 

Die  Form  der  Zellen  ist  —  wie  ersichtlich  —  grössten- 
theils  cylindrisch  (Fig.  6  zi)y  doch  trifft  man  auch  auf  sichel- 
förmige Gebilde,  wie  bei  den  Nagern.  (Taf.  II,  Fig.  6  s.) 

Beim  Maulwurf  und  Igel  unterscheiden  sich  die  Rinden- 
zellen in  den  einzelnen  Schichten  nur  durch  ihre  Grösse  und 
ihren  Körnchengehalt. 

An  der  Kapsel  und  an  der  Rindenmarkgrenze  fand  ich 
stets  durch  ihre  Osmiumsäurereaction  sehr  leicht  ersichtlich 
zu  machende  Körnchen  in  grosser  Zahl,  während  die  mittleren 
Rindenpartien  nur  wenige  solche  aufwiesen.  Die  centralen 
Zellen  sind  bedeutend  kleiner  als  die  peripheren. 

Über  das  Rind  liegen  ausführliche  Untersuchungen  von 
Stilling,*  Räuber*  und  Dostoiew'sky'  vor,  deren  Resultate 


^  H.  Stilling,  Zur  .A.natomie   der  Nebennieren.  Virch.  Arch.  f.  path. 
Anat.  u.  Phys.   1887,  Bd.  109,  S.  324. 
-*  L.  c. 
•"•  L.  c. 


Anatomie  der  Nebenniere.  o39 

zum  grossten  Theile  mit  denen  meiner  Beobachtungen  über- 
einstimmen. In  der  äussersten  Rindenzone  fand  ich  schmale, 
cylindrische  Zellen  mit  rundem,  oder  ovalen  centralen  Kern, 
wie  sie  Stilling*  beschreibt;  dagegen  konnte  ich  die  Pigment- 
zellen mit  verästelten  Fortsätzen  Stillings  —  auch  an  den 
Organen  scheckiger  Thiere  —  weder  in  der  Kapsel  noch  im 
Innern  des  Organs  antreffen. 

Während  die  erwähnten  äusseren  Rindenzellen  ein  glasiges 
Ansehen  haben,  liegen  in  der  ganzen,  sehr  weit  ausgebreiteten 
inneren  Rindenpartie  wieder  die  dunkeln,  fein  reticulirten  poly- 
gonalen Zellen, 

Von  ähnlicher  Beschaffenheit  sind  die  Rindenzellen  beim 
Schwein  und  der  Ziege.  Bei  einer  neugeborenen  Ziege 
fand  ich  die  Zellen  der  äussersten  Zone  hochcylindrisch  wie 
beim  Pferde. 

Die  Rinde  der  Katzennebenniere  weist  drei  sehr  diffe- 
rent  aussehende  Arten  von  Zellen  auf,  wovon  zwei  bereits 
von  Dostoiewsky*  beschrieben  wurden.  Man  unterscheidet 
Zellen  mit  sehr  hellem,  feinkörnigen  Protoplasma,  ausge- 
randetem,  dunklen  Kern;  femer  Zellen  mit  sehr  grobreti- 
culirtem  (bei  oberflächlicher  Betrachtung  grobkörnig  aus- 
sehendem) Protoplasma  und  rundem  oder  wenig  ge- 
schrumpftem Kerne;  beide  Arten  zeigen  sehr  scharfe  Zell- 
grenzen und  erinnern  mich  an  die  in  menschlichen  Haar- 
balgdrüsen beobachteten  zwei  Secretionszellformen;  endlich 
Zellen  mit  dunklem,  stark  färbbarem  Leib  und  blasigem  Kern 
mit  deutlichem  Kernkörperchen.  Die  letzteren  Zellen  sind 
wenig  scharf  contourirt  und  kleiner  als  die  vorerwähnten; 
sie  finden  sich  in  den  inneren  Rindenpartien  bis  ans  Mark 
und  haben  in  Form,  Structur  und  Anordnung  auffallende 
Ähnlichkeit  mit  den  Leberzellen  der  Säuger.  Die  grobreticulirten 
und  feinkörnigen  Zellen  bilden  die  äussere  Rindenschichte, 
und  zwar  herrschen  die  erstgenannten  vor.  Von  den  hellen 
bis  zu  den  dunkeln  Zellen  finden  sich  zahlreiche  Zwischen- 
formen. 


1  L.  c.  S.  325,  327. 
-*  L.  c.  S.  280. 


540  M.  Pfaundler. 

Die  Erforschung  des  Baues  der  menschlichen  Neben- 
niere ist  ungemein  schwierig;  es  gelang  nicht  über  die  Ver- 
hältnisse vollständig  ins  Klare  zu  kommen.  Die  Form  und 
Structur  ist  hier  eine  sehr  mannigfaltige.  Manche  Zellen  der 
peripheren  Zone  haben  Ähnlichkeit  mit  den  glasigen  Zellen 
des  Rindes,  die  centralen  Rindenzellen  mit  den  dunkeln  fein- 
reticulirten  desselben  Thieres. 

An  der  Rindenmarkgrenze  liegen  kleine  Zellen  mit  ein- 
gelagerten gelben  Körnchen.  In  den  drei  mir  zu  Gebote 
stehenden  —  Justificirten  3  Stunden  post  mortem  entnommenen, 
und  mit  RabTs  Sublimatpikrinsäure  vorzüglich  conser\^irten 
Organen  —  suchte  ich  vergeblich  nach  einem  »körnigen, 
braunen  Pigment«,  wie  es  Räuber^  fand. 

Stellenweise  zeigten  sich  ganz  verstreut  kleine  Kern- 
häufchen von  wenig  Protoplasma  umgeben,  wie  sie  von 
Dagonet*  beim  Menschen  beschrieben  und  als  lymphoides 
Gewebe  gedeutet  wurden. 

Aus  den  hiemit  dargelegten  Beobachtungen  über  die 
Anordnung,  die  Structur  und  sonstigen  Eigenschaften  der  die 
Nebennierenrinde  verschiedener  Säuger  zusammensetzenden 
Elemente  ist  ersichtlich,  dass  dem  Bau  der  Rindensubstanz  ein 
allgemein  durchgreifendes  Gesetz  zu  Grunde  liegt,  dass  es  aber 
trotzdem  nicht  angeht,  eine  Scheidung  von  einzelnen  concen- 
trischen  Rindenzonen  bei  den  verschiedenen  Säugern  in  einem 
bestimmten  Sinne  durchzuführen,  und  dabei  ein  Eintheilungs- 
princip,  das  sich  bei  einzelnen  der  untersuchten  Thiere  bewährt 
hat,  auch  auf  die  Nebennierenrinde  aller  anderen  Thiere  zu 
übertragen,  wie  dies  von  manchen  älteren  Autoren  versucht 
wurde;  es  würde  z.  B.  nicht  gelingen,  die  beiden  beim  Pferde 
als  »Schicht  der  cvlindrischen«  und  »Schicht  der  rundlich- 
eckigen  Zellen-  bezeichneten  Antheile  der  Rindensubstanz  bei 
anderen  Säugern  wiederzufinden,  da  Zellen  vom  Charakter  der 
Cvlinderzellen  des  Pferdes  nur  noch  beim  Hunde  ans^etroffen 
werden. 


i  L.  c.  s.  2:3. 

-  L.  c.  S.  18. 


Anatomie  der  Nebenniere.  o4l 

Arnold*  theilte  die  Rindensubstanz  der  Nebenniere  in 
eine  Zona  glomerulosa,  eine  Zona  fascicularis  (s.  fasciculata) 
und  eine  Zona  reticularis.  Schon  Kölliker*  und  andere 
Autoren'  haben  sich  dieser  Trennung  der  Rindenschichten 
nicht  angeschlossen  und  aus  den  ungemein  abweichenden  An- 
gaben jener  späteren  Autoren,  welche  sich  der  Arnold'schen 
Eintheilung  bedienten,  ist  zu  ersehen,  dass  die  Abgrenzung  der 
einzelnen  Zonen  nach  derselben  durchaus  keine  präcise  und 
unzweideutige  ist.  So  z.  B.  nimmt  beim  Hunde  Eberth*  drei 
Schichten  an,  die  den  Arnold'schen  entsprechen,  v.  Brunn'' 
und  Gottschau®  bemerken  ausdrücklich,  dass  eine  Zona 
glomerulosa  fehle,  Räuber^  beschreibt  eine  Zona  glomerulosa, 
Grandry*^  beschreibt  zwei  Schichten,  die  sich  mit  der  Z 
fascicularis  und  Z.  reticularis  Arnold 's  decken,  Creighton* 
nimmt  wieder  eine  Glomerulosa  an,  während  Dostoiewsky 
sich  über  die  Zonenvertheilung  beim  Hunde  gar  nicht  aus- 
spricht und  Arnold  selbst  über  einzelneThiere  nichts  Specielles 
angibt. 

Zur  allgemeinen  Verwirrung  trug  allerdings  noch  der 
Umstand  bei,  dass  fast  alle  Autoren  das  Eintheilungsprincip 
Arnold's  verkannten.  Während  Arnold  nämlich  den  Gefäss- 
verlauf  seiner  Eintheilung  zu  Grunde  legte,  bemühten  sich 
spätere  Autoren  eine  »haufenweise«,  »bündelweise«  und  »netz- 
artige« Zellenanordnung  in  den  Rindenschichten  der  ver- 
schiedenen Thiere  aufzufinden  und  darnach  die  Zonen 
Arnold 's  abzugrenzen. 

Man  traf  in  der  That  bei  allen  Thieren  an  der  Kapsel 
rundliche  Zellhaufen  und  an  der  Markgrenze  eine  breite 
Schichte  mit  netzartiger  Zellanordnung.     Die    ersteren   waren 


1  L.  c. 
■J  L.  c. 

^  Eberth,   in   Stricker's  Handbuch   der  Gewebelehre.    1871,  I.  Bd. 
»Die  Nebennieren«.  Dostoiewsky  u.  a.  S.  508  —  516. 
*  L.  c.  S.  510. 

ß  L.  c.  S.  425. 

L^m      W*      O«       1  *tf  • 

»  L.  c.  S.  229  u.  2:34. 
^  L.  c.  S.  62. 


r)4*2  M.  Pfaundler, 

schräg  durchschnittene  Zellstränge,  aus  denen  die  vermeint- 
liche Zona  glomerulosa  bestand;  die  Zona  reticularis  täuschten 
wenig  orientirte  Schnitte  durch  die  innere  Rindenschichte  vor. 

Arnold  *  gibt  an:  *Die  zu  der  Oberfläche  der  Nebenniere 
tretenden  und  unter  deren  Kapsel  in  Form  beschränkter  Gefass- 
bezirke  angeordneten,  arteriellen  Gefasse  bilden  in  der  Zona 
glomerulosa  Knäuel.  Aus  diesen  gehen  ziemlich  weite  Gefäss- 
schläuche  hervor,  welche  die  Zona  fasciculata  in  radiärer  Rich- 
tung durchsetzen  und  in  gleichmässigen  Abständen  verlaufen. 
Durch  vielfache  Theilung  und  Verbindung  dieser  Gefässe  wird 
in  der  Zona  reticularis  ein  sehr  enges  Gefässnetz  gebildet.« 

Bezüglich  der  Gefässknäuel  (»Glomeruli«)  in  der  Glome- 
rulosa, welche  von  keinem  der  späteren  Autoren  gefunden 
wurden,*  schliesse  ich  mich  der  Ansicht  Räuber's'  an,  welcher 
meint,  Arnold  verstehe  unter  den  Knäueln  »die  Bildung  von 
Capillarschlingen,  welche  dadurch  zu  Stande  kommen,  dass  die 
Gefässchen  die  äussersten  Zellhaufen  umspinnen  und  auch  ins 
Innere  dieser  Haufen  treten.«  Damit  verträgt  sich  denn  auch 
unsere  Anschauung,  nach  welcher  der  Querschnitt  eines  Strang- 
complexes  an  der  Kapsel  von  dem  in  den  Lamellen  liegenden 
Gefässnetz  umgeben  und  mit  einem  centralen  Gefasse  ver- 
sehen erscheint. 

An  einem  genau  radiären  Schnitte  lässt  sich  jedoch  — 
wie  die  Abbildung  Taf.  I,  Fig.  1  zeigt  —  die  Arnold'sche  Ein- 
theilung  in  keiner  Weise  rechtfertigen. 

Eine  andere  Eintheilung  der  Nebennierenrinde  schlägt 
Creighton*  vor.  Dieser  Autor  untersuchte  accessorische 
Xebennieiwn  vom  Pferde  und  geht  von  diesen  aus.  Er  fand 
darin  in  Übereinstimmung  mit  anderen  Forschern  nur  zwei 
Schichten,  die  er  auch  in  einer  Weise  abbildet,  "*  wie  es  dem 
Sachverhalte  an  einem  meiner  Präparate  hierüber  genau  ent- 
spricht. Die  äussere  Schichte  ist  auf  den  ersten  Blick  erkennt- 
lich  als   die  Schichte  der  Cylinderzellen  —  die  ganze  centrale 


'   L.  c.  S.  91. 

-'  Siehe  Kölliker.  S.  520. 

■'  L.  c.  S.  31. 

*  L.  c.  4.  The  limits  of  the  Suprarenal  Cortex  and  MeduUa  etc. 

b    V\,T    S 


Anatomie  der  Nebenniere.  o4o 

Schichte  besteht  aus  Elementen,  die  sich  in  keiner  Weise  von 
den  inneren  Rindenzellen  des  Organs  unterscheiden.  Mark  —  im 
Sinne  der  sämmtlichen  Autoren  —  findet  sich  in  accessorischen 
Organen  niemals  vor.  * 

Diese  Anordnung  entsprichtauch  der  nach  Dagonet's* 
Angaben  zweifach  möglichen  Entstehungsweise  der  accessori- 
schen Nebennieren:  durch  Propulsion  oder  Segmentation. 

Creighton  hebt  noch  besonders  herx'or,  dass  die  innere 
Zone  durchaus  gleichmässig  sei  und  sagt:  »The  central  part  is 
uniform  throughout;  there  being  no  region  of  brown  coloration, 
and  there  is  only  one  way,  in  which  the  body  can  be  sub- 
divided  into  cortex  and  medulla«.  Der  einzige  Weg  sei  der,  die 
Cylinderzellenschichte  für  sich  als  »Rinde«,  die  innere  Zone 
und  dementsprechend  alles,  was  sich  beim  Hauptorgan  inner- 
halb dieser  »Rinde«  befindet,  als  »Mark«  zu  bezeichnen. 

Creighton  trennt  dadurch  Theile  der  Rinde,  die  sich  nur 
beim  Pferde  und  Hunde  deutlich,  dagegen  bei  allen  anderen 
Thieren  nur  unwesentlich  unterscheiden,  die  ineinander  über- 
gehen und  in  Gemeinschaft  miteinander  dieStructuren  der  Rinde 
aufbauen,  anderseits  fasst  er  zusammen,  was  anerkanntermassen 
verschiedenen  Ursprungs  ist,  sehr  typisch  verschiedene  Reac- 
tionen  zeigt  und  von  allen  bisherigen  Untersuchern  in  ganz 
übereinstimmender  Weise  auseinander  gehalten  wurde. 

B.  Der  Bau  der  Marksubstanz. 

I.  Die  Anordnung  des  Stromas  und  der  Zellreihen. 

Schnitte  durch  die  Marksubstanz  der  in  gleicher  Weise 
behandelten  Nebennieren  verschiedener  Thiere  zeigen  unter- 
einander so  grosse  Ähnlichkeit,  dass  die  Darlegung  der  Befunde 
für  alle  untersuchten  Säuger  gemeinschaftlich  vorgenommen 
werden  kann. 

Die  Gefässe  des  Marks  sind  sehr  zahlreich  und,  wie  es 
scheint,  grösstentheils  venöser  Natur.   Die   feinsten  Verzwei- 


^  Vergl.  Marc h and,  über  accessorische  Nebennieren  im  Ligamentum 
iatum.  Virch.  Arch.  f.  path.  Anat.  u.  Phys.  Bd.  92,  S.  14. 

-  J.  Dago n et,  Beitr.  z.  path.  Anat.  d.  Nebennieren  d.  Menschen.  Zeit- 
schrift für  Heilkunde.  Bd.  VI,  1885,  S.  1. 


544  M.  Pfaundler, 

gungen,  die  mit  den  Markzellen  in  enge  Beziehungen  treten, 
haben  den  Charakter  von  Capillaren  und  besitzen  als  Wandung 
nur  eine  dünne  Intima.  Durch  Vereinigung  der  kleinen  Äste 
entstehen  immer  stärkere  Gefässe,  die  endlich  in  die  V^ena  cen- 
tralis münden.  Diese  verlässt  das  Organ  am  Hilus  und  ergiesst 
als  Vena  suprarenalis  ihr  Blut  in  die  Vena  cava  inf. 

Das  bindegewebige  Stroma  und  die  zelligen  Elemente  der 
Marksubstanz  ordnen  sich  in  bestimmter  Weise  um  die 
Gefässe. 

Ein  Querschnitt  durch  ein  kleineres  Gefäss  des  Marks 
(Taf.  I,  Fig.  1  ge)  zeigt  eine  von  wenigen  zarten  Adventitia- 
fasern  umsponnene  Wandung,  von  welcher  stellenweise  feinste, 
radiär  gerichtete  Bindegewebsfibrillenzüge  abgehen;  diese 
treten  zwischen  die  um  das  Gefass  radiär  gestellten  Mark- 
zellen, um  sich  mit  einem  diese  Zellen  umfassenden  Ring  von 
Bindegewebsfasern  zu  verbinden. 

Der  Längsschnitt  durch  ein  ungefähr  gleich  starkes  Gefäss 
(Fig.  1  /)  zeigt  in  entsprechender  Weise  in  einiger  Entfernung 
beiderseits  neben  der  Wandung,  dieser  parallel  ziehende 
Fasern,  welche  mit  dem  Bindegewebe  an  der  Intima  durch 
quere  Anastomosen  in  Verbindung  stehen. 

Demnach  hätte  man  sich  das  bindegewebige  Stroma  des 
Markes  vorzustellen  als  ein  System  von  Lamellen,  welche  die 
Gefässe  in  der  Form  von  Cylindermänteln  rings  umgeben  und 
mit  den  bindegewebigen  Antheilen  der  Gefässwände  durch 
radiäre  Septen  zusammenhängen.  An  Schnitten  durch  das 
periphere  Mark  trifft  man  nirgends  Theile  des  Bindegewebs- 
netzes,  die  nicht  mit  einem  der  umliegenden  Gefäss-,  Quer- 
oder Längsschnitte  in  der  angegebenen  Beziehung  stehen. 

Etwas  anders  scheinen  die  Verhältnisse  in  dem  centralen, 
um  die  stärksten  Gefässstämme  liegenden  Markantheile  zu 
sein,  in  welchem  Bereiche  sich  das  Gewebe  so  dicht  zusammen- 
drängt, dass  eine  Entwirrung  des  Maschenwerks  ungemein 
schwierig  ist.  Dieser  centrale  Marktheil  fehlt  übrigens  bei  den 
kleineren  Säugethieren  in  allen  Fällen  und  stellenweise  auch 
bei  Pferd  und  Rind. 

Die  Anordnung  der  Markzellen  ist,  wie  bereits  erwähnt, 
eine   mit   dem   Längsdurchmesser  zum   Gefässlumen   radiäre. 


Anatomie  der  Nebenniere.  o4o 

Am  Querschnitt  entstehen  durch  diese  Anordnung  die»S  t  r  a  h  1  e  n- 
k ranze«  (Räuber),  am  Längsschnitte  breite  Säume  von  Zell- 
reihen, die  von  den  Autoren  mit  Cylinderepithelien  verglichen 
wurden.  Sehr  auffallend  ist  die  streng  basale  Lagerung  der 
Zellkerne,  welche  auch  eine  reihige  Anordnung  derselben 
bedingt.  Nachdem  die  Kerne  überall  an  dem,  vom  Gefässlumen 
entfernten,  äussersten  Ende  der  Zelle  liegen,  kommt  es  dazu, 
dass  bei  parallelem  und  nachbarlichem  Verlaufe  zweier  Gefässe 
die  Kerne  beider  Zellstränge  eine  gemeinsame  breite  Reihe 
bilden  (Taf.  I,  Fig.  1  r).  Dostoiewsky  *  deutet  diesen  Befund 
wohl  irrthümlich  beim  Schafe,  Schweine  und  Rind  in  der  Weise, 
dass  er  neben  basal  stehenden  auch  central  stehende  Kerne 
annimmt. 

In  den  durch  die  radiären  Septen  gebildeten  Fächern  liegen 
stets  einige,  2 — 3  Markzellen  gemeinsam. 

II.  Die  Zellen  des  Marks 

sind  bei  allen  untersuchten  Thieren  cylindrisch,  und  zwar  beim 
Pferd,  Rind  und  Schwein  sehr  hoch-,  bei  den  niederen, 
namentlich  den  kleineren  Thieren  mehr  breit-cylindrisch.  Das 
Protoplasma  ist  sehr  feinkörnig,  der  Kern  rund  und  scharf 
begrenzt  mit  1 — 2  Kernkörperchen.  Die  Farbe  des  Zellleibes 
ist  bei  Carmintinctionen  hellrosa,  bei  Hämatoxylinfärbung  hell 
graublau. 

Eine  Zellmembran  ist  nicht  nachweisbar,  die  Zellgrenzen 
sind  selten  sehr  scharf  zu  erkennen  und  wenn  das  Organ  nicht 
lebenswarm  eingelegt  wurde,  meist  nicht  mehr  ersichtlich. 

Die  durch  v.  Brunn*  erwähnten  kurzen  Ausläufer  der 
Markzellen  fand  ich  an  Schnitten  nirgends  und  auch  an  Isola- 
tionspräparaten, an  welchen  es  übrigens  sehr  selten  gelingt, 
die  ausserordentlich  zarten  Elemente  des  Marks  unverletzt 
zu  erhalten,  konnte  ich  mich  von  deren  Vorhandensein  nicht 
überzeugen.  Die  Zellen  liegen  mit  ihren  Längsseiten  dicht 
aneinander,  mit  ihren  Schmalseiten  einerseits  an  der  dünnen 
Gefässwand,  anderseits  an  den  beschriebenen  Bindegewebs- 
zügen. 


»   L.  c.  S.  285. 
2  L.  c.  S.  624. 


546  M.  Pfaundler, 

Sehr  eigenthümlich  ist  die  von  Henle  entdeckte  Reaction 
der  Markzellen  auf  Chromsäure  und  deren  Salze.  Die  Braun- 
färbung erstreckt  sich,  wie  Dostoiewsky  im  Gegensatze  zu 
V.  Brunn's  Angabe  bemerkt,  manchmal  auch  auf  die  Zellkerne, 
sowie  bei  längerer  Einwirkung  auch  auf  die  Rindenzellen. 

Demnach  scheint,  dass  jener  Stoff,  welchen  Dostoiewsky' 
als  die  Ursache  der  P'ärbung  annimmt,  und  welcher  höchst 
wahrscheinlich  in  Beziehung  zur  physiologischen  Leistung  der 
Organe  steht,  sowohl   in   der  Rinde   als  im  Mark  enthalten  ist. 

Das  Aussehen  der  einzelnen  Alarkzellen  nach  der  Behand- 
lung mit  Müller's  Fl.  ist  häufig  ein  verschiedenes;  man  unter- 
scheidet deutlich  gleichmässig  gelb  gefärbte,  von  mehr  grau 
gefärbten,  körnigen  Zellen,  welch'  erstere  an  den  Wandungen 
der  grösseren,  welch*  letztere  an  den  kleinen  Gefässen  vor- 
herrschen. 

Schon  bei  Sublimat-  und  Alkohol-Fixationen  lässt  sich 
eine  solche  Unterscheidung  treffen.  Grössere  Gefässlumina 
sind  von  Zellen  umgeben,  deren  Protoplasma  sich  ziemlich 
dunkel  färbt,  deren  Zellgrenzen  an  der  Längsseite  kaum  mehr 
erkenntlich  sind  und  deren  Kerne  nicht  mehr  das  bläschen- 
förmige Ansehen  der  anderen  Markzellkerne  haben,  sondern 
geschrumpft  unregelmässig  geformt  und  sehr  stark  tingirt 
erscheinen  (Pferd). 

Eine  andere  Beobachtung  machte  ich  —  noch  unabhängig 
von  Dostoiewsky's  Mittheilungen  —  am  Mark  der  Pferde - 
nebenniere.  Dostoiewsky*  schreibt:  »Studirt  man  diese 
Reihen  (der  Markzellen)  genauer,  so  findet  man,  dass  nicht  alle 
Zellen  gleich  sind  zwischen  den  eben  beschriebenen  cylindri- 
schen  Zellen,  die  in  Chromsäure  und  ihren  Salzen  eine  braune 
Färbung  annehmen,  liegen  runde  oder  ovale  bläschenförmige 
Zellen  mit  je  einem  kleinen  excentrisch  angeordneten  Kern,  die 
sich  sehr  schwach   in   Müller's  Fl.  färben.   Mitunter  ist  die 

Gestalt  solcher  Zellen  eine  becherförmige Diese  Zellen 

sind  sehr  vergänglicher  Natur  und  gehen  leicht  zu  Grunde:  in 
solchem   Falle  sieht  man   auf  Schnitten   zwischen  den  cylin- 


1  L.  c.  S.  286. 

2  L.  c.  S.  285. 


Anatomie  der  Nebenniere.  o47 

drischen  Zellen  scharf  begrenzte  leere  Räume,  deren  Form  der 
zu  Grund  gegangenen  Zelle  entspricht.« 

Auch  bei  anderer  Behandlung  (Sublimat;  Borax-Carmin), 
sowie  insbesonders  bei  Härtung  und  Tinction  nach  Ramon 
y  CajaTs  Methode  erhielt  ich  die  becherförmigen  Zellen  und 
ovalen  Räume  Dostoiewsk y's  sehr  deutlich.  Der  Vergleich 
der  differenten  Zellformen  im  Marke  lässt  vermuthen,  dass  es 
sich  auch  hier  nur  um  verschiedene  phvsiologische  Zustände 
einer  und  derselben  Art  von  Zellen  handle. 

Viele  der  Markzellen  (vom  Pferd,  Rind,  Hund,  Igel  etc.) 
enthalten  ebensolche  Körnchen,  wie  sie  für  die  Rindenzellen 
beschrieben  wurden,  nur  in  weit  geringerer  Anzahl. 

Von  manchen  Autoren  wurden  neben  den  eigentlichen 
Markzellen  noch  andere  Elemente  des  Markes  erwähnt,  welche 
nach  Holm's*  Zeichnungen  auch  mit  dessen  »zweifelhaft 
nervösen  Zellen«  identisch  sein  dürften.  Schon  Holm  sagt, 
dass  diese  Zellen  völlig  den  Charakter  von  Rindenzellen  an 
sich  tragen  und  es  lässt  sich  auch  an  seinen  Abbildungen 
(5^  und  6  c)  kein  Unterschied  zwischen  den  »zweifelhaft 
nervösen«  und  den  Parenchymzellen  der  Rinde  erkennen. 

Räuber*  bezeichnet  diese,  meist  durch  Nerven-  oder 
Gefässstämme  von  der  Rinde  ins  Mark  eingezogenen  Zellen, 
zuerst  als  Rindenzellen  und  Dostoiewsk}^, '^  der  eine  Ähn- 
lichkeit dieser  Elemente  mit  echten  Nervenzellen  gleich  mir 
nicht  erkannte,  lieferte  den  Nachweis,  dass  sie  in  der  That 
nichts  anderes  als  Rindenzellen  sind. 

Nerven,  sowie  echte  Ganglienzellen*  fand  ich  im  Mark 
aller  grösseren  Thiere  (Pferd,  Rind  u.  a.)  in  ziemlich  grosser 
Anzahl. 

Wenn  man  die  Rinden-Markgrenze  verfolgt,  wie  sich  dies 
bei  kleineren  Thieren  leicht  unter  dem  Mikroskope,  bei  grösseren 


1  F.Holm.   Über  die   nervösen  Elemente   in  den  Nebennieren.  Wiener 
Akad.  Ber.  Bd.  Uli.   1866.  S.  314. 
"^  *-i  L.  c.  S.  28. 

3  L.  c.  S.  288  fT. 

*  Über  Ganglienzellen  d.  Nebenniere  vergl.  auch:  Pförtner,  Unter- 
suchungen über  das  Gangl.  intercarot.  und  d.  Nebenniere.  Zeitschr.  f.  rat. 
Med.  Bd.  XXXIII. 


•'>48  M.  Pfaundler, 

mit  freiem  Auge  ausführen  lässt,  dann  trifft  man  es  sehr  häutig, 
dass  dieselbe  kein  geschlossenes  Oval  bildet,  sondern  zuweilen 
zipfartige  Fortsätze  in  die  Rinde  entsendet,  und  sich  manchmal 
sogar  bis  an  die  Oberfläche  des  Organes  erstreckt. 

Die  Marksubstanz  liegt  in  letzterem  Falle  nur  theilweise 
von  der  Rinde  umgeben  —  an  einer  Stelle  frei  nach  aussen, 
wie  dies  beim  Kaninchen  von  Mitsukuri^  beobachtet 
wurde.  Mitsukuri  beschreibt  beim  erwachsenen  Thiere 
sogar  einen  zweiseitigen,  solchen  '»Markaustritt«,  wobei  sich 
das  Mark  an  der  Oberfläche  des  Organs  ausgebreitet  habe  und 
in  Beziehungen  getreten  sei  zu  Haufen  von  Zellen,  die  den 
Markzellen  geglichen  und  dieselbe  Chromreaction  gezeigt 
hätten.  Diese  Zellhaufen  selbst  standen  wieder  in  Verbindung 
mitComplexen  von  ähnlichen,  aber  deutlicher  abgegrenzten  und 
mit  grösserem  Kern  versehenen  Elementen,  die  Mitsukuri  für 
Nervenzellen  hält.  Diese  Ganglienzellenstränge  schienen  ihm 
in  Nervenfaserbündel  überzugehen  und  Ausbreitungen  von 
Nervenstämmen  zu  enthalten. 

Meine  Beobachtungen  an  Stellen  solcher  -Markaustritte  < 
stimmen  genau  mit  denen  Mitsukuri's  überein,  namentlich 
konnte  ich  mich  von  dem  allmäligen  Übergange  der  an  der 
Oberfläche  des  Organs  liegenden  Markzellen  in  wirkliche 
Ganglienzellen  überzeugen  (Katze).  Bei  Hund,  Katze,  sowie 
bei  Kaninchen,  Ratte,  Maulwurf  und  Fledermaus  scheint  das 
Vorkommen  einer  solchen  Ausbreitung  des  Marks,  und  zwar 
meist  längs  der  stärkeren  Venen  (Gott schau)  sehr  häutii^ 
zu  sein. 

Physiologische  Bemerkung.  Wie  schon  Stilling^ 
erwähnt,  finden  sich  die  seit  langer  Zeit  bekannten  feinen 
Körnchen  der  Nebennieren  nicht  nur  innerhalb  der  Rinden-  und 
Markzellen,  sondern  auch  zwischen  diesen  in  Lücken  des 
Gewebes  und  sie  wurden  von  mir  auch  in  den  Blutgefäss- 
räumen  angetroffen.  Dies  gab  mir  die  Veranlassung,  den 
Inhalt  der  Nebennierenvene  (Kaninchen)  zu  untersuchen.  Nach- 

^  Mitsukuri,  On  the Development  of  tiie  suprarenal  Bodies in Maramalia 
Journal  of  microscopical  Science.   London.  New  Series.  Xr.  85. 
••2  L.  c.  S.  327. 


Anatomie  der  Nebenniere.  549 

dem  ich  dieselbe  mit  grösster  Sorgfalt  und  unter  Vermeidung 
jeden  Druckes  auf  das  Organ,  doppelt  unterbunden, 
herausgenommen  hatte,  wurde  der  Inhalt  frisch,  sowie  nach 
vorhergegangener  Härtung  der  Vene  an  Schnittpräparaten 
untersucht.  Ich  fand  darin  dieselben  Körnchen  wie  innerhalb 
des  Organes  in  auffallend  grosser  Zahl.  Sehr  häufig  waren 
sie  auch  noch  in  dem  der  Einmündungsstelle  der  Vena 
suprarenalis  nächstgelegenen  Theile  der  Vena  cava. 

Die  Körnchen  finden  sich  im  Blute  dieser  Venen  einzeln 
oder  in  kleine  Conglomerate  vereinigt  und  unterscheiden  sich 
nicht  von  dem  im  ganzen  Körperblute  der  Säuger  vorgefundenen 
Körnchen  fraglicher  Herkunft. 

Der  Vergleich  des  Nebennierenvenenblutes  mit  dem  Blute 
der  vorderen  Extremität  und  des  linken  Herzens  vom  näm- 
lichen Thiere  ergab,  dass  die  Körnchen  in  dem  ersteren  in  der 
40-fachen  relativen  Zahl  zu  den  rothen  Blutkörperchen  vor- 
handen waren. 

Die  Beobachtung  von  Körnchen  in  dem  durch  die  Vene 
aus  der  Nebenniere  herausgepressten  Safte  wurde  bereits  von 
Gottschau*  gemacht. 

Das  Blut,  welches  durch  die  Nebenniere  wegen  der  Weite 
der  in  ihr  enthaltenen  Blutgefässe  in  langsamem  Strome  fliesst, 
kommt  mit  den  Zellen,  von  denen  es  nur  durch  eine  zarte 
Intima  getrennt  ist,  in  innigste  Beziehung  (v.  Brunn). 

Da  nun,  wie  oben  bemerkt,  die  Körnchen  theils  in  den 
Zellen  liegend,  theils  in  dem  Inneren  derGefässe,  sowie  endlich 
in  der  Vena  suprarenalis  angetroffen  werden,  so  liegt  die 
Vermuthung  nahe,  dass  die  in  den  Zellen  gebildeten 
Körnchen  in  den  Blutstrom  der  Nebenniere  gelangen 
und  durch  die  Nebennierenvene  dem  Körperkreis- 
lauf zugeführt  werden.  Die  Nebennieren  wären  dem- 
nach als  Organe  anzusehen,  deren  Elemente  eigen- 
thümliche   Stoffe*   in    Form    feinster   Körnchen    aus- 


1  L.  c.  s.  437. 

'-i  Was  die  chemische  Zusammensetzung  dieses  den  Nebennieren  eigen- 

thümlichen  Stoffes  betrifft,   so  scheint  es  sich  nach  den  in  neuester  Zeit  von 
Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Cl.;  CI.  Bd.  Abth.  III.  38 


550  M.  Pfaundler, 

scheiden  und  deren  Gefässe  die  ausgeschiedenen 
Körnchen  aufnehmen  und  abführen.  Die  im  Blute 
der  Säuger  vorhandenen  bekannten  Körnchen  würden 
demnach  —  wenigstens  zum  grossen  Theile  —  aus 
den  Nebennieren  stammen. 

V.  Brunn's*  Hypothese  über  die  physiologische  Bedeutung 
der  Nebenniere  geht  dahin,  dass  die  Zellen  »aus  dem  Blute 
irgend  einen  Bestandtheil  aufnehmen,  ihn  in  irgend  einer 
Weise  verändern  und  dem  Blute  zurückgeben«.  Im  Vorher- 
gehenden wurde  gezeigt,  dass  von  den  Zellen  der  Nebenniere 
Stoffe  in  Form  von  feinsten  Kömern  gebildet,  ausgeschieden 
und  in  die  Blutbahn  überführt  werden.  Der  Annahme,  dass 
diese  Kömer  von  Bestandtheilen  des  Blutes  stammen,  welche 
von  den  Nebennierenelementen  aufgenommen  und  verändert 
wurden,  steht,  in  Anbetracht  der  innigen  Beziehungen  der 
Zellen  der  Nebennieren  zu  dem  in  ihr  kreisenden  Blute  nichts 
im  Wege;  jedenfalls  ist  aber  auf  die  specifische  Fähigkeit  der 
Zellen  der  Nebenniere,  der  Production  von  eigenthümlichen 
Körnern,  die  Aufmerksamkeit  zu  richten. 

Nach  dem  Gesagten  schliesse  ich  mich  der  Anschauung 
St i Hing's,*  welcher  seinen  Untersuchungen  über  die  Lymph- 
gefässe  der  Nebenniere  zufolge,  diese  als  die  Abführungs- 
wege eines  Secrets  ansah,  nicht  an.  Auch  der  heute  in 
Geltung  stehenden  Ansicht  Still ing*s,  dass  die  Nebenniere 
im  gesunden  Körper  zur  Pigmentbildung  in  Beziehung 
trete,  kann  ich  nicht  beipflichten,  und  zwar  hauptsächlich  auf 
Grund    des,    wie    mir    scheint,    wichtigen    Befundes,    dass 


Alexander  (1.  c.)  ausgeführten  Untersuchungen  um  Cholesterin  und 
Lecithin  (»einen  der  wichtigsten  Stoffe  für  das  Nervensystem«)  zu  handein. 
Über  die  Chemie  der  Nebennieren  vergl.  ferner:  J.  G.  Zellweger^  Unter- 
suchungen über  die  Nebennieren.  Frauenfeld,  1858.  —  Virchow,  in  dessen 
Archiv.  Bd.  XII,  S.  481-483.  -  Vulpian,  Gaz.  med.  1856,  1857,  Gaz. 
hebdom.  1857.  —  Seligsohn,  Virchow's  Archiv  Bd.  XYIll.  S.  355  ff.  - 
Arnold,  1.  c.  S.  104  ff. 

1  L.  c. 

2  L.   c.   vergl.   auch    Kulmus   inHaller's  Elementa   physiologiae  1575. 
Vlil,  S.  65. 


Anatomie  der  Nebenniere.  OD  1 

sich  im  Aussehen  der  Nebennierenelemente  bei  sehr  stark 
pigmentirten  und  bei  albinotischen  Thieren  .  derselben  Art 
(Kaninchen,  Maus,  Katze,  Taube)  kein,  wenn  auch  noch  so 
geringer,  wesentlicher  Unterschied  erkennen  Hess. 

Am  Schlüsse  dieser  Arbeit  sei  es  mir  gestattet,  meinem 
hochverehrten  Lehrer,  Herrn  Professor  H oll,  für  die  Anregung 
zu  derselben  und  die  mir  zu  Theil  gewordene  vielfache  Unter- 
stützung meinen  besten  Dank  auszusprechen. 


38  • 


552  M.  Pfaundler, 


Erklärung  der  Abbildungen.^ 


Fig.  1.  Aus  einem  Radiärschnitt  durch  die  Nebenniere  eines  15jährigen  Pferdes. 
Sublimatbehandlung,  Friedländer 's  Hämatoxylin.  K  Bindegewebige 
Kapsel,  Im  deren  Fortsätze  in  das  Innere,  b  Zweige  derselben,  /w^Gefass 
in  den  Fortsätzen  der  Kapsel,  c,  p,  a,  ß  Rindenstränge,  c  äussere 
Schichte  der  Rinde  mit  Cylinderzellen,  p  innere  Schichte  derselben  mit 
polygonalen  (rundlich-eckigen)  Zellen,  abg  äusserer  Bogen  zweier  in 
demselben  Fache  liegender ,  ibg  innerer  Bogen  zweier  aus  benachbarten 
Fächern  stammender  Rindenstränge,  /  zellige  Fortsätze  der  Rinden- 
stränge, an  Anastomose  der  Rindenstränge,  t  Zweige  der  Rinden- 
stränge, g  Gefäss  zwischen  zwei  Rindensträngen,  mz  Markzellen, 
ge  quergeschnittenes,  /  längs  geschnittenes  Gefäss  im  Mark,  r  die 
basalen  Kerne  zweier  Markzellenreihen   (doppelte  Kemreihe  s.  Text). 

Fig.  2.  Aus  einem  Oberflächen -parallelen  Schnitt  unmittelbar  unter  der 
Kapsel  einer  Pferdenebenniere.  Sublimat,  Friedländer's  Hämatoxylin, 
Zeiss,  Apoch.  16*0 mm  Oc.  12.  Im  quergeschnittene  lamellenartige 
Fortsätze  der  bindegewebigen  Kapsel.  A  geschlossener,  B  nicht  ge- 
schlossener Zellring  (Querschnitt  eines  Hohlcylinders),  C  solider  Zell- 
strang, D  Querschnitt  der  Kuppe  eines  Cylinders  (Fig.  1  äbg)^  g  Gefäss 
im  Hohlcylinder  (Fig.  1  g),  c  Cylinderzellen,  Img  Geföss  im  binde- 
gewebigen Fortsatz  der  Kapsel. 

Fig.  3.  Querschnitt  der  inneren  Rindenschichte  einer  Pferdenebenniere,  nahe 
der  Markgrenze.  Absol.  Alk.,  Böhmer*s  Hämatoxylin,  Zeiss,  Apoch. 
16  mm  Oc.  8.    p  polygonale  Zellen  (Fig.   \  p).  ^  Gefasse. 

Fig.  4.  Aus  einem  Radiärschnitte  durch  die  Nebennierenrinde  eines  fünf  Tage 
alten  Hundes.  Sublimat,  Grenacher's  Hämatoxylin,  Zeiss.  Apoch. 
16 '0mm  Oc.  12.  K  Kapsel,  Im  bindegewebiger  F'ortsatz  derselben, 
c  Cylinderzellen. 

Fig.  5.  Aus  einem  Radiärschnitt  durch  die  Nebennierenrinde  eines  erwachsenen 
Hundes.  Sublimat,  Gre  nach  er's  Hämatoxylin.  Zeiss  Apoch.  16' 0mm, 
Oc.  6.  K  Kapsel,  Im  deren  bindegewebige  Fortsätze,  ihg  innere 
Bögen  der  Rindenstränge,  abg  äussere  Bögen  der  Rindenstränge  c  cylin- 
drische,  p  polygonale  Zellen. 

Fig.  6.  Aus  einem  Radiärschnitt  durch  die  Nebennierenrinde  einer  Fleder- 
maus. M Uli er'sche  Flüssigkeit.  Friedländer's  Hämatoxylin,  Zeiss 


1  Die    Zellen   in    den  Abbildungen    1   und    6  wurden,    um    die   Zeich- 
nungen einfacher  zu  gestalten,  nach  der  Natur  etwas  schematisirt. 


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M.Pfaundler:  Anatomie  der  Nebenniere. 


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Sitzungsberichte  d.kais.  Akad.  d.Wiss.,  math.-naturw.Classe, Bd.CI.  Abth.IH.  1892. 


Anatomie  der  Nebenniere.  553 

Apoch.  S'Omm,  Oc.  8.  K  Kapsel,  Im  deren  Fortsätze,  za  helle, 
zi  dunkle  Zellen  der  Rinde,  s  sichelförmige  Zellen,  ibg  innerer  Bogen 
der  Rindenstränge,  abg,  äusserer  Bogen  der  Rindenstränge  /  Fortsetzung 
der  Rindenstränge  gegen  das  Mark,  g  Gefass  zwischen  zwei  Rinden- 
strängen. 

Fig.  7.  Zellen  aus  einem  Schnitt  durch  die  Nebennierenrinde  des  Pferdes. 
Hermann 's  Flüssigkeit.  Zeiss  Apoch.  4*0  mm,  Oc.  18.  a  Zelle 
mit  feinreticulirtem  Protoplasma,  b  Zelle  mit  lockerem  protoplasma- 
tischen Netzwerk,  c  Zelle  mit  sehr  weitem  Maschenwerk  und  ge- 
schrumpftem Kerne  (siehe  Text  S.  535). 

Fig.  8.  Zellen  aus  der  inneren  Rindenschichte  der  Pferdenebenniere.  Absol. 
Alk.  Friedländer 's  Hämatoxylin.  Zeiss  Apoch.  4' 0  mm,  Oc.  18 
(siehe  Text  S.  536). 


554 


XXIV.  SITZUNG  VOM  17.  NOVEMBER  1892. 


Der  Secretär  legt  das  erschienene  Heft  VII  (Juli  1892) 
des  101.  Bandes  der  Abtheilung  H.a.  der  Sitzungsberichte» 
femer  das  Heft  IX  (November  1892)  des  13.  Bandes  der 
Monatshefte  für  Chemie  vor. 

Femer  legt  der  Secretär  folgende  eingesendete  Ab- 
handlungen vor: 

1.  »Gesetzmässiger  Vorgang  beim  Factorenzer- 
legen  eines  Polynoms«,  von  Herrn  k.  und  k.  Hauptmann 
Josef  Baschny,  Lehrer  an  der  Infanterie-Cadettenschule  zu 
Karlstadt  in  Croatien. 

2.  »Luftelektricitätsmessungen  im  Luftballon«, 
von  Dr.  Josef  Tuma,  Assistent  am  physikal.-chemischen  In- 
stitute der  k.  k.  Universität  in  Wien. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Emil  Weyr  in  Wien  überreicht  eine 
Abhandlung:  »Über  algebraische  Jn-\  auf  Trägern  vom 
Geschlechte  Eins«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Ad.  Lieben  überreicht  eine  in  seinem 
Laboratorium  ausgeführte  Arbeit  des  Herrn  Emerich  Selch: 
Ȇber das  Diresor ein  und  die  Einwirk ungderSchwe fei- 
säure auf  dasselbe«. 

Herr  Dr.  Jos.  Finger,  Professor  an  der  k.  k.  technischen 
Hochschule  in  Wien,  überreicht  eine  Abhandlung:  »Über  jenes 
Massenmoment  eines  materiellen  Punktsystems, 
welches  aus  dem  Trägheitsmomente  und  dem  Devia- 
tion smomente  in  Bezug  auf  irgend  eine  Axe  resultirt«. 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEM  DER  WISSENSCHAFTEN. 


MATHEMATISCH  -NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CI.  BAND.  X.  HEFT. 


ABTHEILUNG  I. 

ENTHÄLT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  MINERALOGIE, 

KRYSTALLOGRAPHIE,  BOTANIK,  PHYSIOLOGIE  DER  PFLANZEN,  ZOOLOGIE. 

PALÄONTOLOGIE,  GEOLOGIE,  PHYSISCHEN  GEOGRAPHIE  UND  REISEN. 


557 


XXV.  SITZUNG  VOM  1.  DECEMBER  1892. 


Die  American  Philosophical  Society  ia  Phil- 
adelphia ladet  die  kaiserliche  Akademie  zur  Theilnahme 
an  der  Feier  ihres  150jährigen  GründungsfestTes  in  den  Tagen 
vom  22.  bis  26.  März  1893  ein. 

Herr  Dr.  V.  Hilber  in  Graz  übersendet  eine  Abhandlung, 
betitelt:  »Fauna  der  Pereiraia-Schichten  von  Bartelmae 
in  Unter-Krain«. 

Herr  Gejza  v.  Bukowski  übersendet  eine  vorläufige 
Notiz  über  die  Molluskenfauna  der  levantinischen 
Bildungen  der  Insel  Rhodus. 

Der  Secretär  legt  eine  Abhandlung  von  Dr.  Gustav  Jäger, 
Privatdocent  an  der  k.  k.  Universität  in  Wien,  betitelt:  »Über 
die  Temperaturfunction  der  Zustandsgieichung  der 
Gase«,  vor. 

Femer  legt  der  Secretär  ein  von  dem  k.  k.  Bezirks- 
hauptmann i.  R.  Herrn  Emanuel  Puch berger  in  Wien  behufs 
Wahrung  der  Priorität  eingesendetes  versiegeltes  Manuscript 
vor,  mit  der  Aufschrift:  »Lösung  eines  mathematischen 
Problems«. 

Das  w.  M.  Herr  Director  E.  Weiss  berichtet  über  die 
Kometenentdeckungen  der  letzten  Zeit,  und  zwar  über  jene, 
welche  Holmes  am  6.  November  und  über  jene,  welche 
Brooks  am  20.  November  1.  J.  gelang. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof  V.  v.  Lang  überreicht  eine 
Mittheilung  der  Herren  Director  Dr.  J.  M.  Eder  und  E.  Valenta 


558 

in  Wien  über  einige  neue  Linien  im  brechbarsten, 
ultravioletten  Emissionsspectrum  des  metallischen 
Calciums. 


Selbständige  Werke  oder  neue,  der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

Le  Prince  Albert  I®^  Prince  de  Monaco,  Resultats  de  Cam- 
pagnes Scientiflques  accomplies  sur  Son  Yacht  »THiron- 
delle«.  Fascicule  II.  Contribution  ä  Tetude  des  Spongiaires 
de  r Atiantique  Nord  par  E.Topsent.  (Avec  onze  Planches.) 
Publies  sous  Sa  direction  avec  le  concours  deM.  LeBaron 
Jules  de  Guerne,  Charge  des  Travaux  zoologiques 
ä  bord.  Imprimerie  de  Monaco,  1892;  4* 

Adamkiewicz  A.,  Untersuchungen  über  den  Krebs  und  das 
Princip  seiner  Behandlung.  (Experimentell  und  klinisch.) 
(Mit  8  Tafeln.)  Wien,  1893;  S^. 

Festschrift  für  die  Mitglieder  der  XXVI.  Wanderversammlung 
ungarischer  Arzte  und  Naturforscher:  Beiträge  zu  einer 
Monographie  der  königl.  freien  Stadt  Kronstadt 
Herausgegeben  auf  Kosten  der  Festgemeinde.  Kronstadt, 
1892;  8^ 


5Ö0 


XX VL  SITZUNG  VOM  9.  DECEMBER  1892. 


Herr  Geheimrath  Prof.  Dr.  Albert  von  Koelliker  in  Würz- 
burg dankt  für  seine  Wahl  zum  ausländischen  Ehrenmitgliede 
der  nnathematisch-naturwissenschaftlichen  Classe. 

Das  c.  M.  Herr  Regierungsrath  Prof.  Dr.  F.  Mertens  in 
Graz  übersendet  eine  Abhandlung:  »Ober  einen  algebrai- 
schen Satz«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Dr.  C.  Claus  überreicht  die  Fort- 
setzung des  von  ihm  herausgegebenen  Werkes:  »Arbeiten 
aus  dem  zoologischen  Institute  der  k.  k.  Universität 
in  Wien  und  der  zoologischen  Station  in  Tri  est«.  Bd.  X, 
Heft  II.  1892. 

Ferner  überreicht  Herr  Hofrath  Claus  eine  Abhandlung 
unter  dem  Titel  »Die  Anatomie  der  Pontelliden  und  das 
Gestaltungsgesetz  der  männlichen  Greifantenne«. 


560 


XXVII.  SITZUNG  VOM  15.  DECEMBER  1892- 


Der  Secretär  legt  den  59.  Band  (Jahrgang  1892)  der 
Denkschriften  und  die  aus  demselben  veranstaltete  CoUectiv- 
Ausgabe  der  Berichte  der  Commission  für  Erforschung 
des  östlichen  Mittelmeeres  (Erste  Reise),  ferner  das 
erschienene  Heft  VIII  (October  1892)  des  101.  Bandes  der 
Abtheilung  II.  a.  der  Sitzungsberichte  vor. 

Das  w.  M.  Herr  Regierungsrath  Prof.  E.  Mäch  in  Prag 
übersendet  eine  Abhandlung:  »Zur  Geschichte  und  Kritik 
des  Carnot'schen  Wärmegesetzes«. 

Ferner  übersendet  Prof.  Mach  eine  vorläufige  Mittheilung 
des  Herrn  Med.  Cand.  W.  Pascheies:  Ȇber  ein  elek- 
Irisches  Mass  der  Circulation  und  Resorption  in  der 
menschlichen  Haut«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  J.  Wiesner  überreicht  eine  von 
A.  Zoebl  und  C.  Mikosch  in  Brunn  ausgeführte  Arbeit,  betitelt: 
»Die  Function  der  Grannen  der  Gerstenähre«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  E.  Weyr  überreicht  eine  für  die 
Sitzungsberichte  bestimmte  Abhandlung:  Ȇber  Vervoll- 
ständigung von  Involutionen  auf  Trägern  vom 
Geschlechte  Eins  und  über  Steiner'sche  Polygone« 
(II.  Mittheilung). 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Director  J.  Hann  überreicht  eine 
Abhandlung  von  Prof.  Karl  Kolbenheyer  unter  dem  Titel: 
»Untersuchungen  über  die  Veränderlichkeit  der 
Tageste  mperatur«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Ad.  Lieben  überreicht  eine  in  seinem 
Laboratorium  ausgeführte  Arbeit  von  Dr.  C.  Pomeranz: 
»Über  das  Bergapten«  II. 


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Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  V.  v.  Lang  überreicht  eine 
Abhandlung  von  Director  Dr.  J.  M.  Eder  in  Wien:  Ȇber  die 
Verwendbarkeit  der  Funkenspectren  verschiedener 
Metalle  zur  Bestimmung  der  Wellenlänge  im  Ultra- 
violetten, mit  Bezug  auf  das  Spectrum  des  Sonnen- 
lichtes, Drummond'schen,Magnesium-und  elektrischen 
Bogenlichtes«. 

Der  Vorsitzende  Herr  Hofrath  Prof.  J.  Stefan  überreicht 
eine  für  die  Sitzungsberichte  bestimmte  Abhandlung:  »Über 
das  Gleichgewicht  der  Elektricität  auf  einer  Scheibe 
und  einem  Ellipsoide«. 

Herr  J.  Liznar,  Adjunct  der  k.  k.  Centralanstalt  für 
Meteorologie  und  Erdmagnetismus,  überreicht  einen  IV.  vor- 
läufigen ßerichtüber:  »Eine  neue  magnetische  Aufnahme 
Österreichs*. 

Herr  Dr.  H.  Strache,  Privatdocent  an  der k.k. technischen 
Hochschule  in  Wien,  überreicht  eine  von  ihm  in  Gemeinschaft 
mit  Herrn  S.  Iritzer  ausgeführte  Arbeit:  »Über  die  Oxyda- 
tion der  Säurehydrazide  durch  Fehling'sche  Lösung«. 

Herr  Dr.  Josef  Schaff  er,  Privatdocent  und  Assistent  am 
histologischen  Institute  der  k.  k.  Universität  in  Wien,  über- 
reicht eine  Arbeit,  betitelt:  »Beiträge  zur  Histologie  und 
Histogenese  der  quergestreiften  Muskelfasern  des 
Menschen  und  einiger  Wirbelthiere«. 


Selbständige  Werke  oder  neue,  der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

Otto  Herman,  J.  S.  v.  Petenyi,  der  Begründer  der  wissen- 
schaftlichen Ornithologie  in  Ungarn  1799  — 1855.  Ein 
Lebensbild.  Schriften  des  ungarischen  wissenschaftlichen 
Comites  für  den  II.  internationalen  ornithologischen  Con- 
gress.  (Mit  Titelbild.)  Budapest,  1891;  4«. 

Weinek  J.,  Astronomische  Beobachtungen  an  der  k.  k.  Stern- 
warte zu  Prag  in  den  Jahren  1 888 — 1891,  nebst  Zeichnungen 
und  Studien  des  Mondes.  Appendix  zu  den  Jahrgängen 
49—52.  Prag  1893;  4«. 


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