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SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
MATHEMATISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
HUNDERTERSTER BAND.
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WIEN, 1892.
AUS DER KAISERLICH -KÖNIGLICHEN HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
IN COMMISSION BEI F. TEMPSKY,
DUCHHANDLBR DER KAISBRLICHBN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
SITZUNGSBERICHTE
V^
DER
MATHEMATISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHEN CLASSE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
CI. BAND. ABTHEILUNG IIL
Jahrgang 1892. — Heft I bis X.
(MIT 25 TAFELN UND 2 TEXTKIGUREN.)
WIEN, 1892.
AUS DER KAISERLICH -KÖNIGLICHEN HOF- UND STAATSDRUCKEREI
IN COMMISSION BEI F. TEMPSKY,
Ut'l IIIIANDLEK DEK KAISEKLICIIEN AKADEMIE DER WlbbEN^ClIAl- i BN.
/P?J^^ LsL- //- //^^^. cJ/^,J/.
y
APR 4 1893
I N H A LT.
Seite
I. Sitzung vom 7. Jänner 1892: Obersicht 3
n. Sitzung vom 14. Jänner 1892: Übersicht 4
m. Sitzung vom 21. Jänner 1892: Übersicht 5
IV. Sitzung vom 4. Februar 1892: Übersicht 9
V. Sitzung vom 11. Februar 1892: Übersicht 22
VI. Sitzung vom 18. Februar 1892: Übersicht 24
Vn. Sitzung vom 10. März 1892: Übersicht 263
Vm. Sitzung vom 17. März 1892: Übersicht 265
IX. Sitzung vom 24. März 1 892 : Übersicht ' . . 266
X. Sitzung vom 7. April 1892; Übersicht 271
XI. Sitzung vom 5. Mai 1892: Übersicht 275
XII. Sitzting vom 12. Mai 1892: Übersicht 349
Xin. Sitzung vom 19. Mai 1892: Übersicht 351
XIV. Sitzung vom 17. Juni 1892: Übersicht 355
XV. Sitzung vom 23. Juni 1892: Übersicht 359
XVI. Sitzung vom 7. Juli 1892: Übersicht 445
XVn. Sitzung vom 14. Juli 1892: Übersicht 447
XVni. Sitzung vom 21. Juli 1892: Übersicht 449
XIX. Sitzung vom 6. October 1892: Übersicht 455
XX. Sitzung vom 13. October 1892: Übersicht 459
XXI. Sitzung vom 20. October 1892: Übersicht 461
XXII. Sitzung vom 3. November 1892: Übersicht 465
XXra. Sitzung vom 10. November 1892: Übersicht 467
XXrV. Sitzung vom 17. November 1892: Übersicht 554
XXV. Sitzung vom 1. December 1892: Übersicht 557
XXVI. Sitzung vom 9. December 1892: Übersicht 559
XXVII. Sitzung vom 15. December 1892: Übersicht 560
Ebner V., v., Über die Beziehungen der Wirbel zu den Urwirbeln.
(Mit 1 Tafel.) [Preis : 40 kr. = 80 Pfg.] 235
Fonttanek is., Über den Einfluss hcisser Bäder auf die Stickstoff-
und Harnsäure- Ausscheidung beim Menschen 278
VI
Seite
Knoll Ph. und Hauer i4., Über das Verhalten der protoplasmaarmen
und protoplasmareichen, quergestreiften Muskelfasern unter
pathologischen Verhältnissen. (Mit 8 Tafeln.) [Preis : 1 fl.
30 kr. = 2 RMk. 60 Pfg.] 315
— Zur Lehre von den Structur- und Zuckungsverschieden-
heiten der Muskelfasern. (Mit 3 Tafeln.) [Preis : 70 kr. =
1 Mk. 40 Pf.] 481
— Zur Lehre von den doppelt schräggestreiften Muskelfasern.
(Mit 2 Tafeln.) [Preis: 45 kr. =90 Pf.] 498
Kreidl A., Weitere Beiträge zur Physiologie des Ohrlabyrinthes.
(L Mittheilung,) Versuche an Fischen. [Preis : 1 5 kr. = 30 Pf.] 469
MareS F., Zur Theorie der Hamsäurebildung im Säugethierorga-
nismus. [Preis: 15 kr. = 30 Pfg.] 12
Meynerl Th., Neue Studien über die Associationsbündel des Him-
mantels. (Mit 4 Tafeln.) [Preis: 70 kr. = 1 Mk. 40 Pf.] . . 361
Paschkis H. und Obermayer F., Pharmakologische Untersuchungen
über Ketone und Acetoxime. [Preis: 20 kr. = 40 Pfg.]. . . 299
PJattndlerM., Zur Anatomie der Nebenniere. (Mit 2 Tafeln.) [Preis:
75 kr. = l Mk. 50 Pf.] 515
Reiht L., Die Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln.
(Mit 2 Textfiguren.) [Preis : 40 kr. = 80 Pfg.] 381
Konx W.y Beitrag zur Entvvickelungsmechanik des Embryo, Über
die morphologische Polarisation von Eiern und Embryonen
durch den elektrischen Strom, sowie über die Wirkung des
elektrischen Stromes auf die Richtung der ersten Theilung
des Eies. (Mit 3 Tafeln.) [Preis: 2 fl. 25 kr. =4 RMk. 50 Pfg.] 27
Schaffer /., Über Sarkolyse beim Menschen. (Vorläufige Mit-
theilung.) [Preis : 10 kr. = 20 Pfg.] 293
Weidenfeld J., Versuche über die respiratorische Function der
Intercostalmuskeln. I. Abhandlung. Der Einlluss der Inter-
costalmuskeln auf die Capacität des Thorax. (Mit 2 Tafeln.)
[Preis: 1 fi. = 2 Mk.] 421
JUL 11 1892
4fBRAtd-
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAHEN.
MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CI. BAND. I. HEFT.
ABTHEH^UNG III.
ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER ANATOMIE UND
PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER THIERE, SOWIE AUS JENEM DER
THEORETISCHEN MEDICIN.
I. SITZUNG VOM 7. JÄNNER 1892.
l
Der Vorsitzende gedenkt des Verlustes, welchen die
kaiserliche Akademie und speciell diese Classe durch das am
7. Jänner d. J. erfolgte Ableben ihres wirklichen Mitgliedes, des
Herrn Hofrathes und emerit. Universitäts-Professors Dr. Ernst
Ritter v. Brücke in Wien, erlitten hat.
Die anwesenden Mitglieder geben ihrem Beileide durch
Erheben von den Sitzen Ausdruck.
Der Secretär legt eine Arbeit von Dr. C. Schierholz in
Wien vor, betitelt: »Zur Trennung von Jod, Brom und
Chlor«.
Herr Alfred Justus R. v. Dutczvrtski in Wien übermittelt
ein versiegeltes Schreiben behufs Wahrung der Priorität unter
der Aufschrift: »Die Resultirende, Grundriss eines
neuen philosophischen und biologischen Systems
und neuer physiologischer Anschauungen«.
Das w. M. Herr Prof. Friedrich Brauer gibt eine Über-
sicht der bis jetzt aus Afrika bekannt gewordenen
Oestri den (25) und beschreibt die Larven von zwei neuen
Gattungen (Dennatoestrns strepsicerontis aus dem Kudu und
Strobiloestrus antilopinus aus dem Klippspringer), welche Herr
Dr. H ol u b freundlichst dem kaiserlichen Museum überlassen hat.
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
Risley, H. H., The tribes and Gastes of Bengal. Anthropometric
Data. Vol. I and II. Galcutta, 1891; 8^.
IL SITZUNG VOM 14. JÄNNER 1892.
In Verhinderung des Herrn Vicepräsidenten führt
Herr Prof. J. Loschmidt den Vorsitz.
Die Ungarische Naturwissenschaftliche Ge-
sellschaft in Budapest ladet die kaiserliche Akademie zur
Theilnahme an ihrer fünfzigjährigen Gründungsfeier am
17. Jänner d. J. ein.
Das w. M. Herr Regierungsrath Prof. E. Mach übersendet
eine Mittheilung von stud.med. Ludwig Mach in Prag: Ȇber
ein Interferenzrefractometer«.
Herr Prof. Dr. Franz Mare§ an der k. k. böhmischen Uni-
versität in Prag übersendet eine Abhandlung, betitelt: »Zur
Theorie der Harnsäurebildung im Säugethier-
organismus«.
«
Das c. M. Herr Prof. C. Grobben in Wien überreicht
eine Abhandlung unter dem Titel: »Zur Kenntniss des
Stammbaumesund desSystems der Crustaceen*.
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
Memoires de la Societe Ouralienne de Medecine
äEkaterinebourg. P annee. Perm, 1891; 8**.
Toula, F., Der Stand der geologischen Kenntniss der Balkan-
länder. Ein Vortrag, gehalten auf dem IX. Deutschen Geo-
graphentage in Wien im Jahre 1891. (Mit l Tafel.) Berlin,
1891; 8».
III. SITZUNG VOM 21. JÄNNER 1892.
In Verhinderung des Herrn Vicepräsidenten führt Herr
Intendant Hofrath F. Ritter v. Hauer den Vorsitz.
Der Secretär legt das erschienene »Verzeichniss
der von der kaiserlichen Akademie der Wissen-
schaften herausgegebenen und derzeit vorräthigen
Schriften« vor.
Das k. k. Ministerium des Innern übermittelt ein
Exemplar der in Ausführung des §. 60 des Unfallversicherungs-
gesetzes an den Reichsrath gerichteten Mittheilung, betreffend
die Gebarung und die Ergebnisse der Unfallstatistik der
Arbeiter-Unfallversicherungsanstalten im Jahre 1890.
Der Secretär bringt ein von der kaiserlichen Aka-
demie der Wissenschaften in Krakau aus Anlass des
Ablebens des w. M. Herrn Dr. Ernst Ritter v. Brücke ein-
gelangtes Beileid -Telegramm, femer ein aus dem gleichen
Anlasse eingesendetes Beileidschreiben des Reale Istituto
Veneto di Scienze, Lettere ed Arti in Venedig zur
Kenntniss.
Das w. M. Herr Regierungsrath Prof. E. Mach übersendet
eine im physikalischen Institute der k. k. deutschen Universität
in Prag ausgeführte Arbeit von G. Jaumann, betitelt : »Abso-
lutes Elektrometer mit Kuppelsuspension«.
Das w. M. Herr Prof. L. Pfaundler übersendet eine
Arbeit aus dem chemischen Institute der k. k. Universität in
Graz, betitelt: »Das Verhalten des Kupfers und der
Edelmetalle zu einigen Gasen und Dämpfen«, von
Dr. G. Neu mann.
6
f
DerSecretär legt eine Abhandlung des Privatdocenten
Herrn Emil Waelsch an der k. k. deutschen technischen
Hochschule in Prag: »Über die Isophoten einer Fläche
bei centraler Beleuchtung« vor.
Das w. M. Herr Director E. Weiss überreicht eine Ab-
handlung des Herrn Regierungsrathes Prof. G. v. Niessl in
Brunn, betitelt: »Bahnbestimmung des grossen Me-
teores vom 2. April 1891«.
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
Bagnasco, G. G., Americae Retectio, Atlas. Monography.
Palermo, 1892; 8^
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFIEN.
MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CI. BAND. IL HEFT.
ABTHEILUNG III.
ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER ANATOMIE UND
PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER THIERE, SOWIE AUS JENEM DER
THEORETISCHEN MEDICIN.
-*»»
l
IV. SITZUNG VOM 4. FEBRUAR 1892.
In Verhinderung des Herrn Vicepräsidenten führt Herr
Intendant Hofrath F. Ritter v. Hauer den Vorsitz.
Der Secretär legt das erschienene Heft VIII (October
1891), Abth. II. a des 100. Bandes der Sitzungsberichte,
femer das Heft X(Decemb er 1891) des 12. Bandes der Monats-
hefte für Chemie vor.
Herr Prof. Dr. L. Weine k, Director der k. k. Sternwarte in
Prag, übermittelt eine Abbildung der Wallebene Petavius des
Mondes, zwanzigfach vergrössert nach der Li ck- Aufnahme
vom 31. August 1890, in photographischer Copie nach seiner
Originalzeichnung von 12 :\5 cm Grösse.
Das c. M. Herr Prof. H. We i d e 1 übersendet eine im ersten
chemischen Laboratorium der k. k. Universität in Wien von
Herrn E. Murmann ausgeführte Untersuchung: »Über einige
Derivate des a-Pheny Ichinolins«.
Herr Prof Dr. A. Grünwald in Prag übersendet die
empirisch-inductive Abtheilung des I. Theiles der
in den akademischen Anzeigern Nr. IX und XIX vom 17. April
und 9. October 1890 besprochenen Abhandlung: Ȇber das
sogenannte zweite oder zusammengesetzte Wasser-
stoffspectrum von Dr. B. Hasselberg und die Structur
des Wasserstoffes.«
10
Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen
vor:
1. »Die goniometrischen Functionen complexer
Winkel« und
2. »Imaginäre Kegelschnitte«, beide Arbeiten von Prof.
Adalbert Breuer an der k. k. Staatsrealschule im III. Bezirk,
Wien.
3. »Die Theorie der Construction des lenkbaren
Luftschiffes«, von Dr. Alois Herman, königl. Gerichts-
adjunct zu Gospic in Croatien.
Herr Prof. Dr. A. Adamkiewicz übersendet eine sechste
Mittheilung zu seinen »Untersuchungen über den Krebs.«
Herr Dr. Alfred Nalepa, Professor an der k. k. Lehrer-
bildungsanstalt in Linz, übersendet eine dritte vorläufige Mit-
theilung über »Neue Gallmilben.«
Das w. M. Herr Prof. Wiesner überreicht den ersten
vorläufigen Bericht des Herrn Prof. G. Haberland t, welcher
sich gegenwärtig mit Unterstützung der kaiserl. Akademie zum
Zwecke botanischer Untersuchungen in Buitenzorg auf Java
aufhält.
Ferner überreicht Herr Prof. Wiesner eine Abhandlung
des Herrn Hugo Zukal, betitelt: Ȇber den Zellinhalt der
Schizophyten.«
Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht eine Abhand-
lung von Prof. Dr. G. Goldschmiedt und Dr. R. Jahoda in
Prag: »Über die Ellagsäure.«
Das w. M. Herr Prof. E. Weyr überreicht folgende zwei
Abhandlungen :
1. »Isodynamische und metaharmonische Gebilde«,
von Prof. Dr. Jan de Vries in Kampen.
2. »Nachweis linearer Mannigfaltigkeiten beliebiger
Dimension in unserem Räume, lineare Complexe
und Strahlensystem in denselben«, von Herrn Kon-
rad Zindler in Graz.
Der Secretär überreicht eine Abhandlung des Herrn
Gejza V. Bukowski in Wien unter dem Titel: »Die geo-
11
logischen Verhältnisse der Umgebung von Balia-
Maaden im nordwestlichen Kleinasien (My sie n)«.
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
Lendenfeld, R* v., Die Spongien der Adria. I. Die Kalk-
schwämme. (Mit 8 Tafeln und 1 Textfigur.) Leipzig, 1891; 8*.
Royal Society ofLondon, Catalogue of Scientific Papers
(1874—1883). Compiled by the Royal Society ofLondon.
Vol. IX. London, 1891; 4^
12
Zur Theorie der Hamsäurebildung im Säuge-
thierorganismus
von
Prof. Dr. F. Marcs,
Assistenten am physiologischen Institute der k. k. böhm. Universität in Prag.
(Vorgelegt in der Sitzung am 14. Jänner 1892.)
Herr Prof. Horbaczewski hat in den Sitzungsberichten
der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien (mathem.-
naturw. Classe, Bd. C, Abth. III) eine Abhandlung über die
Bildung der Harnsäure im Säugethierorganismus veröflFentlicht,
in welcher er die Theorie aufstellt, dass in der Norm die Harn-
säure im Organismus beim Zerfalle nucleinhältiger Gewebe sich
bildet, wobei das Nuclein der Zellkerne frei wird, zerfallt und
die Muttersubstanzen der Harnsäure liefert; namentlich sei der
Zerfall der Leukocyten die Hauptquelle der Harnsäure beim
Säugethiere.
Diese Theorie stützt er auf die von ihm experimentell nach-
gewiesene Thatsache, dass bei der Fäulniss der Leukocyten
der Milzpulpa, sowie bei der Fäulniss anderer nucleinhältiger
Organe Harnsäure gebildet wird. Auch das isolirte Nuclein liefert,
durch Fäulniss gespalten, Harnsäure. Eine andere Methode der
Zersetzung des Nucleins als die durch Fäulniss, um die Vor-
stufen der Harnsäure abzuspalten, wurde vorläufig nicht auf-
gefunden.
Nach diesen chemischen Versuchen in vitro tritt der Autor
an die physiologische Frage heran, ob die Nucleine auch in vivo
Muttersubstanzen der Harnsäure liefern. Um diese Frage zu
beantworten, stellte er physiologische Versuche und Beob-
achtungen an. Zuerst wurde Kaninchen und Menschen Nuclein
Hamsäurebildung im Säugethierorganismus. 13
einverleibt; es zeigte sich darnach eine Vermehrung der aus-
geschiedenen Harnsäure.
Daraus folgert der Autor, dass auch im Organismus die
Harnsäure aus Nuclein sich bilden kann, so dass die Bildung
der Harnsäure als Ausdruck des Zerfalles nuclei'nhältiger
Gewebe betrachtet werden könnte. Diese Gewebe sind, wenn
von den epidermoidalen Gebilden und gewissen Drüsen abge-
sehen wird, die Leukocyten, die zweifellos einem raschen
Wechsel unterliegen. Die Schicksale der Leukocyten seien zwar
nicht näher bekannt, es dürfte aber keinem Zweifel unterliegen,
dass dieselben in den Geweben zu Grunde gehen und dass die
Zerfallsproducte derselben offenbar als Nährmateriale für die
Gewebe dienen. Unter diesen Zerfallsproducten muss aber auch
das Leukocytennuclein und die Zersetzungsproducte desselben
auftreten, die aber zur Bildung der Harnsäure beitragen können.
In bester Übereinstimmung mit der Ansicht, dass im Säuge-
thierorganismus in der Norm nur die Leukocyten, respective
deren Zerfallsproducte die Muttersubstanzen der Harnsäure
abgeben, befinden sich die bis jetzt bekannt gewordenen That-
sachen, betreffend das Verhalten des Leukocytengehaltes des
Blutes und der Hamsäureausscheidung. Es soll nämlich ein
Parallelismus zwischen der Menge der Leukocyten im Blute
und der Menge der ausgeschiedenen Harnsäure bestehen.
Der Autor stellt nun Beobachtungen an, um diesen Parallelis-
mus nachzuweisen. So führt er an, dass im Jugendalter, nach
Fleischaufnahme, nach Pilocarpininjection vermehrte Leuko-
cytenmenge und vermehrte Hamsäureausscheidung stattfindet;
eben solcher Parallelismus zeige sich in einigen pathologischen
Zuständen, namentlich in der Leukaemie.
Diese Versuche bilden die Grundlage der von ihm auf-
gestellten physiologischen Theorie der Harnsäurebildung, dass
die Harnsäure ein Zerfallsproduct nucleinhältiger Gewebe ist,
namentlich der Leukocyten.
Ich habe vor fünf Jahren eine Abhandlung über den
Ursprung der Harnsäure beim Menschen veröffentlicht (Marcs,
sur Torigine de Tacide urique chez l'homme, Archives slaves de
Biologie III, 207; Sbornik lekafsk]^ II, 1. Referirt im Centralblatt
für die medicinischen Wissenschaften 1888, 2; Centralblatt für
14 F. Marcs,
Physiologie, I, 444), in welcher ich auf Grund physiologischer
Versuche an Menschen zu der Anschauung gelangte, dass die
Harnsäure nicht, wie man bisher annahm, eine Vorstufe des
Harnstoffes bei der Zersetzung der Nahrungseiweissstoffe dar-
stellt, sondern dass die Harnsäure ein Product der molecularen
Veränderungen im Zellenprotoplasma ist, während der Harn-
stoff aus den zersetzten Eiweissstoffen der Nahrung entsteht.
So bildet sich nach der Nahrungsaufnahme die Harnsäure bei
der Thätigkeit der Verdauungsdrüsen, bei welcher die Substanz
der Drüsenzellen sichtbare materielle Veränderungen zeigt.
Diese Anschauung gründete ich auf folgende physiologische
Versuchsergebnisse: 1. Die Harnsäuremenge ist im Hunger-
zustande individuell constant, am grössten bei jugendlichen
Individuen, namentlich bei Neugeborenen. 2. Nach eiweissreicher
Nahrungsaufnahme erscheint die Harnsäure gleich in den ersten
Stunden vermehrt und ihr Maximum fällt in die sechste bis achte
Stunde nach der Nahrungsaufnahme; also augenscheinlich
parallel mit der Bildung der V^erdauungssecrete. Die Vermehrung
des Harnstoffes erscheint aber später, ihr Maximum fällt in die
zehnte bis zwölfte Stunde nach der Nahrungsaufnahme und die
Harnstoffvermehrung dauert viel länger an als die der Harnsäure;
also augenscheinlich entsprechend der Resorption der ein-
verleibten Eiweissstoffe. 3. Pilocarpin, das die Thätigkeit fast
sämmtlicher Drüsen direct anregt, verursacht eine Vermehrung
der Harnsäureausscheidung.
Diese Versuchsergebnisse wurden von anderen Forschern
bestätigt, so namentlich die individuelle Constanz der Harn-
säure von Salkowski, ihre Vermehrung nach Pilocarpin-
einverleibung von Horbaczewski.
Der causale Zusammenhang der von mir gefundenen
physiologischen Thatsachen schien mir am besten durch die
Theorie erklärbar, dass die Harnsäure ein Product des Stoff-
wechsels der Zellen ist, jenes chemischen Processes, der die
Grundlage der Thätigkeit der Zellen bildet.
Da die Theorie des Herrn Prof. Horbaczewski, nach
welcher die Harnsäure ein Zerfallsproduct der Körpergewebe
ist, im Principe das Gleiche besagt, und da Herr Prof. Horba-
czewski in seiner Abhandlung das theoretische Resultat meiner
1f»
^ j, ^ o
Arbeit, obzwar er dieselbe einigemale citirt, gar nicht erwähnt
hat, sehe ich mich veranlasst, den Prioritätsanspruch zu erheben
und zu behaupten.
Herr Prof. Horbaczewski hat seine Abhandlung in
böhmischer Übersetzung auch im »Casopis ceskych lekafa«
(1891, Z. 38 ff.) abdrucken lassen. Als ich an jener Stelle
denselben Anspruch geltend machte, erklärte er, dass die beiden
Theorien nicht identisch sind, sondern im Gegentheil einander
ausschliessen. Denn ich nähme an, die Harnsäure entstehe
durch den Stoffwechsel im Zellenprotoplasma, namentlich bei
der Zellenthätigkeit, also durch den vitalen chemischen Process,.
der die Grundlage der Thätigkeit der organisirten Materie bildet;
er aber behaupte, die Harnsäure entstehe beim Zerfall oder
Absterben der Zellen, namentlich der Leukocyten, wobei das
Zellennuclein frei wird und selbst weiter zerfallen muss, damit
die Muttersubstanzen der Harnsäure frei werden.
Das Princip beider Anschauungen ist jedoch offenbar
gleich, dass nämlich die Harnsäure ein Product der organisirten
Körpergewebe ist und nicht der Nahrungsstoffe. Diese Idee
hatte vor uns beiden Niemand so klar und auf Thatsachen
gestützt ausgesprochen, wie Herr Prof. Horbaczewski zugibt.
Der Unterschied aber, dass ich den Bildungsprocess der
Harnsäure für einen vitalen chemischen Vorgang halte, während
Herr Prof. Horbaczewski ihn als einen nekrotischen Zerfalls-
process darstellt, ist secundärer Natur; denn diese Deutung
wurde der Theorie erst nachträglich gegeben, sie ist durch die
physiologischen Versuche des Herrn Prof. Horbaczewski
nicht begründet und sie ist, meiner Meinung nach, für die
Theorie wenig vortheilhaft. Dies will ich nun versuchen nach-
zuweisen.
Der erste physiologische Versuch des Herrn Prof. Horba-
czewski besteht darin, dass nach Einverleibung von Nuclein
beim Menschen und Kaninchen Vermehrung der Harnsäure
erscheint. Daraus schliesst der Autor, dass im Organismus die
Harnsäure auch aus Nuclein, beziehungsweise beim Zerfalle
nucleinhältiger Gewebe sich bilden kann. Das Nuclein der
zerfallenen Zellen stellt also in der Norm die Muttersubstanz
der Harnsäure dar.
16 F. Marcs,
Weiter aber findet der Autor, dass das einverleibte NucleVn
Leukocytose hervorbringt, ebenso wie Pilocarpin und eiweiss-
reiche Nahrung. Das Nuclein wirkt also vielleicht toxisch wie
Pilocarpin, es erscheint Vermehrung der Leukocyten und der
Harnsäure, obzwar diese viel weniger vermehrt erscheint, als
bei Verdauungsleukocytose.
Es ist also fraglich, sagt der Autor, ob diese Harnsäure
sich direct aus dem einverleibten Nuclein oder aus den Leuko-
cyten bildet.
Daraus geht aber hervor, dass der physiologische Nach-
weis, dass das Nuclein auch in vivo die Muttersubstanzen der
Harnsäure liefert, nicht gelungen ist. Denn mit demselben
Rechte könnte man, gestützt nur auf diesen physiologischen
Versuch, das Nahrungseiweiss oder das Pilocarpin als Mutter-
substanzen der Harnsäure im Säuge thierorganismus ansprechen.
Es ist also bloss eine Hypothese, dass das Nuclein auch im
Organismus die Muttersubstanzen der Harnsäure liefert, es ist
keine physiologisch nachgewiesene Thatsache.
Der zweite physiologische Versuch des Autors besteht in
dem Nachweis eines Parallelismus zwischen der Menge der
Leukocyten im Blute und der Menge der ausgeschiedenen
Harnsäure. Dieser Parallelismus zeigt sich in manchen Fällen;
so im Kindesalter, im Hungerzustande und nach reichlicher
Fleischnahrung, nach Einverleibung einiger Gifte, in manchen
pathologischen Zuständen.
Nun sagt aber der Autor weiter: ^Betrachtet man aber
diesen Parallelismus näher, so kann man sich gar nicht ver-
hehlen, dass hier zuweilen ein gewisses Missverhältniss besteht.
Nach Pilocarpin und Nuclein tritt eine sehr intensive Leuko-
cytose, wie nach Aufnahme grosser Fleischmengen auf, die
dieselbe begleitende Harnsäureausscheidung ist aber nicht sehr
bedeutend, während nach Fleischaufnahme dieselbe viel an-
haltender und bei weitem intensiver ist. Zu envarten wäre aber
vielleicht, dass in allen Fällen, wo die Vermehrung der Leuko-
cytenzahl aus irgend welchem Grunde eine bestimmte Höhe
erreicht, immer auch eine gleich grosse Vermehrung der Harn-
säureausscheidung auftreten wird. Dabei ist aber Folgendes zu
berücksichtigen: Die Grösse der Harnsäurebildung kann nur
Hamsäurebildung im Säugethierorganismus. 1 7
von der Menge der zerfallenen Leukocyten abhängig sein. Es
ist natürlich, dass, wenn mehr Leukocyten vorhanden sind,
auch mehr zerfallen können, jedoch muss nicht in einem jeden
Falle dieselbe Menge derselben zerfallen. Weiter ist zu bedenken,
dass unter dem Terminus »Leukocyt« keineswegs einheitliche
Elemente verstanden werden, und dass es Leukocyten gibt, die
gross sind, viel Kemsubstanz haben, viel Nuclein enthalten,
und Leukocyten, die klein sind, kleine Kerne haben und wenig
Nuclein führen. Dass demnach die verschiedenen Leukocyten
beim Zerfalle dieselbe Menge von Zerfallsproducten und speciell
Harnsäurevorstufen liefern könnten, ist absolut undenkbar. . . .
Es ist daher klar, dass nicht in allen Fällen numerisch gleich
grosser Leukocytosen auch gleich grosse Hamsäuremengen
als Ausdruck derselben auftreten können. Um diese Verhältnisse
genau zu verfolgen, müssen die Leukocyten des Blutes nicht
nur einfach gezählt, sondern auch auf ihre Eigenschaften, ins-
besondere auf ihren Nucleinreichthum untersucht werden, in
welcher Richtung aber vorläufig jedwede Erfahrungen und
Methoden fehlen. «
Da nun aber in den Versuchen des Herrn Prof. Horba-
czewski die Leukocyten des Blutes bloss gezählt wurden,
konnte der gesuchte Parallelismus natürlich nicht gefunden
werden. Und wenn es auch möglich wäre, die Leukocyten des
Blutes auf ihren Nucleinreichthum zu untersuchen, könnte der
gesuchte Parallelismus doch nicht gefunden werden, weil die
Leukocyten des Blutes einen kleinen Bruchtheil der Gesammt-
menge der Leukocyten vorstellen und die Mehrzahl derselben
in der Lymphe, den Lymphknoten, der Milz und den Gewebs-
interstitien unberücksichtigt bliebe.
Es scheint aber, dass überhaupt kein genauer Parallelismus
zwischen Leukocyten- und Harnsäuremenge bestehen kann;
denn nicht nur Leukocyten gehen im Organismus zu Grunde;
dieses Schicksal trifft in reichlichem Masse auch die gesammten
Epithelien, welche auch Nuclein enthalten und bei der Fäulniss
Harnsäure liefern.
Es ist also der Parallelismus zwischen Leukocyten- und
Hamsäuremenge in den Versuchen des Herrn Prof. Horba-
czewski nicht nur nicht nachgewiesen worden, sondern vor
. Stizb. d. mathem.-natunv. Gl.; Ol. Bd. Abth. III. 2
18 F. Marcs,
läufig Überhaupt nicht nachweisbar. Es bleibt also auch dieser
Parallelismus bloss eine Hypothese, er ist keine physiologisch
nachgewiesene Thatsache.
Nehmen wir aber an, dieser Parallelismus zwischen der
Leukocyten- und Harnsäuremenge bestehe thatsächlich. Dann
kann die Entstehung der Harnsäure durch die reichlichere
Bildung, als Nebenproduct des Vermehrungsprocesses, oder
aber durch den reichlicheren Zerfall der Leukocyten bedingt
sein, wenn wir nämlich auch annehmen, dass jener Parallelismus
ein direct causaler, nicht aber von einer dritten gemeinsamen
Ursache herrührender ist. Nun ist aber die Vermehrung der
Leukocyten direct durch ihr Zählen und durch den histo-
logischen Befund der Kariokinese nachweisbar; der Zerfall der
Leukocyten bei deren Vermehrung ist aber direct nicht nach-
weisbar, sondern erschlossen, hypothetisch, wie es ja der Autor
selbst auseinandersetzt. Wenn also zum Beispiel nach Pilo-
carpineinverleibung Vermehrung der Harnsäure und direct nach-
weisbare Vermehrung der Leukocyten gefunden wird, so scheint
es mir näher zu sagen, die Vermehrung der Harnsäure gehe
parallel mit der vermehrten Bildung der Leukocyten, als zu
sagen, sie gehe parallel mit dem vermehrten Zerfall derselben.
Wenn also der Autor sagt, die Harnsäurebildung gehe parallel
mit dem Zerfall oder dem Absterben der Leukocyten, so macht
er wieder eine Hypothese, die durch seinen physiologischen
Versuch nicht begründet ist.
Aus allen dem geht, meine ich, hervor, dass die physio-
logischen Versuche und Beobachtungen des Autors keine physio-
logischen Thatsachen, sondern blosse Hypothesen zum Resultate
haben.
Es bleibt also die einzige thatsächliche Grundlage der
Theorie, dass nämlich bei der Fäulniss nucleinhältiger Gewebe
Harnsäure entsteht. Diese Thatsache ist vom chemischen Stand-
punkte aus gewiss sehr wichtig. Sie ist aber für sich allein
physiologisch nicht verwerthbar; sie könnte wohl direct für die
Physiologie der betreffenden Fäulnissorganismen von Belang
sein, wie die Bildung von Alkohol aus Zucker für die Physio-
logie der Hefezellen von Belang ist; für die Physiologie der
Harnsäurebildung im Säugethierorganismus. 19
Thiere aber, denen die faulenden Organe angehörten, ist sie für
sich allein nicht zu verwerthen.
Es ist sehr wichtig zu wissen, dass Harnsäure durch
Fäulniss von NucIeYnsubstanzen entsteht. Aber Harnsäure ent-
steht auch beim Erhitzen einer Mischung von Harnstoff und
Glykocoll, wie Horbaczevvski gezeigt hat.
Eine in vitro nachgewiesene Bildungsweise der Harnsäure
ist an und für sich physiologisch nicht verwerthbar, weil eben
eine und dieselbe Substanz auf verschiedene Weise und aus
verschiedenen Muttersubstanzen gebildet werden kann.
Für die Bildungsweise der Harnsäure aus Harnstoff und
Glykocoll, die doch beide im Organismus disponibel sind, fehlt
es im Thierkörper an der erforderlichen Hitze; für die Bildungs-
weise aus Nuclein fehlt es an der Fäulniss.
Der Autor verwerthet aber dennoch diese Thatsache zu
einer physiologischen Theorie, indem er sagt: »Obzwar bei
den Versuchen die Organe, beziehungsweise das Nuclein, durch
Fäulniss gespalten werden musste, um Harnsäure zu erhalten,
und im Organismus keine Fäulniss in den Geweben vor sich
geht, so besteht doch keine Schwierigkeit für die Annahme
einer ähnlichen Spaltung des Nucleins im Organismus, da ana-
loge Processe bekannt sind und nach Nucleineingabe eine Ver-
mehrung der Harnsäure constatirt wurde.«
Was die Vermehrung der Harnsäure nach Nucleineingabe
anbelangt, habe ich gezeigt, dass dadurch physiologisch nicht
nachgewiesen ist, dass das einverleibte NucleYn thatsächlich
die Muttersubstanz der Harnsäure im Organismus liefert. Es
spricht jedoch nichts dagegen, dies als eine wahrscheinliche
Hypothese anzunehmen.
Die zur Bildung der Harnsäure aus Nuclein erforderliche
Fäulniss ersetzt nun der Autor durch »bekannte analoge Pro-
cesse im Organismus«. Man könnte geneigt sein, diese der
Fäulniss analogen Processe im Organismus für den vitalen, mit
Absorption von Sauerstoff und Exhalation von Kohlensäure
verbundenen chemischen Stoffwechsel in der lebenden Zelle zu
halten, da die Fäulniss ein ebenfalls an das Leben gebundener
chemischer Process ist.
9»
20 F. Mares,
Dann würde aber die Theorie lauten, dass die Harnsäure
ein Product des vitalen chemischen Processes in der lebenden
Zelle ist, das heisst, die Theorie der Harnsäurebildung des
Herrn Prof. Horbaczewski wäre vollkommen identisch mit
jener, die ich vor fünf Jahren publicirt habe.
Nun hat aber Herr Prof. Horbaczewski den der
Fäulniss analogen Processen im Organismus eine andere
Deutung gegeben, indem er sagt, die Harnsäure entstehe beim
Absterben, durch den nekrotischen Zerfall der Zelle. Dadurch
entsteht ein Unterschied zwischen den beiden Theorien.
Ich habe gezeigt, dass die physiologischen Beobachtungen
des Herrn Prof. Horbaczewski nicht beweisen, dass die
Harnsäuremenge mit dem Zerfall oder der Nekrose der Leuko-
cyten parallel geht, sondern dass dieser hypothetische Parallelis-
mus eher zwischen der Mehrbildung der Leukocyten und der
Harnsäurevermehrung angenommen werden könnte, da die
Mehrbildung der Leukocyten direct durch Zählen und histo-
logisch durch Kariokinese nachweisbar ist, während der Mehr-
zerfall dieser Zellen bei bestehender Vermehrung derselben ganz
hypothetisch ist.
Im Übrigen aber überlasse ich es dem Urtheile von Phy-
siologen, zu entscheiden, ob die Deutung des Herrn Prof.
Horbaczewski, durch welche er seine Theorie von der
von mir aufgestellten unterscheidet, physiologisch begründet
und für die Theorie selbst vortheilhaft ist.
Meiner Meinung nach verhält sich die Sache folgender-
massen : Vor fünf Jahren habe ich auf Grundlage physiolo-
gischer Thatsachen die Idee ausgesprochen, die Harnsäure ent-
stehe in den Körperzellen durch den vitalen chemischen Pro-
cess, welcher die physische Grundlage der Thätigkeit der
Zellen bildet. Ich habe aber nicht näher bestimmen können,
welche Substanz in der Zelle bei der Bildung der Harnsäure
betheiligt ist; dies war eben eine specielle Frage chemischen
Inhalts, auf die ich nicht näher eingehen konnte.
Herr Prof. Horbaczewski hat das Verdienst, diese
specielle chemische Frage näher beantwortet zu haben, indem
er auf Grundlage chemischer Versuche auf das Nuclein der
Zellen als die mögliche Muttersubstanz der Harnsäure hinwies.
Harnsäurebildung im Säugethierorganismus. 2 1
Die Theorie der Hamsäurebildung im Säugethierorganis-
mus würde nun lauten: »Die Harnsäure ist ein Product des
Stoffwechsels in den lebenden Körperzellen, wobei namentlich
die Nucleine der Zellenkerne betheiligt sind.«
Die neuere Zeit hat Beobachtungen gebracht, welche diese
Theorie noch näher beleuchten. Den Nucle'inkörpern wird näm-
lich bei der Zellenthätigkeit eine grosse Rolle zugewiesen,
namentlich bei der Assimilation und der Vermehrung.
Ich verweise in dieser Beziehung auf die Arbeit von
Liebermann (Studien über die chemischen Processe in der
Magenschleimhaut, Pflüger's Arch. 50, 25), welcher den
XucleYnen der Drüsenzellen eine grosse Rolle bei der Secretion
der Magensäure zuschreibt, dann auf den Aufsatz von Loew
(Physiologische Function der Phosphorsäure, Biol. Centralblatt
1891, 269), wo die grosse Rolle der NucleYne des Zellenkernes
bei der Zellenthätigkeit überhaupt besprochen wird.
22
V. SITZUNG VOM 11. FEBRUAR 1892.
In Verhinderung des Herrn Vicepräsidenten führt Herr
Intendant Hofrath F. Ritter v. Hauer den Vorsitz.
Das w. M. Herr Hofrath C. Claus übersendet die Fort-
setzung des von ihm herausgegebenen Werkes: »Arbeiten
aus dem zoologischen Institute der k. k. Universität
in Wien und der zoologischen Station in Triest.«
Bd. IX, Heft III, 1891.
Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen
vor:
1. »Ein einfaches Gesetz für die Verdampfungs-
wärme der Flüssigkeiten«, von Prof. Dr. O. Tumlirz
an der k. k. Universität in Czernowitz.
2. »Die Bestimmung der geographischen Schiffs-
position in dem sogenannten kritischen Falle«,
von Herrn Eugen Gel eich, Director der k. k. nautischen
Schule in Lussinpiccolo.
3. »Die Logarithmen complexer Zahlen in geome-
trischer Darstellung. Ein Beitrag zur algebraischen
Analysis«, von Prof. Adalbert Breuer an der k. k. Staats-
realschule im III. Bezirke in Wien.
4. »Über die Theilbarkeit der Zahlen«, von Herrn
Eduard Grohmann in Wien.
Das w. M. Herr Prof. V. v. Ebner überreicht eine Abhand-
lung: Ȇber die Beziehungen der Wirbel zu den Ur-
wirbeln.«
23
Herr Prof. Dr. Karl Exner in Wien überreicht eine Ab-
handlung: Ȇber die polarisirende Wirkung der Licht-
beugung« (IL Mittheilung).
Herr J. Liznar, Adjunct an der Centralanstalt für Meteoro-
logie und Erdmagnetismus, überreicht eine Abhandlung: »Über
die Bestimmung der bei den Variationen des Erd-
magnetismus auftretenden ablenkenden Kraft, nebst
einem Beitrage zur eilfj ährigen Periode des Erdmagne-
tismus.«
24
VL SITZUNG VOM 18. FEBRUAR 1892.
Das w. M. Herr Prof. L. Pfaundler übersendet eine Arbeit
aus dem physikalischen Institute der k. k. Universität in Graz
von Prof. Dr. I. Klemen2i2: Ȇber eine Methode zur
Bestimmung der elektromagnetischen Strahlung«.
Das c. M. Herr Hofrath Prof. E. Ludwig übersendet
folgende fünf Abhandlungen aus dem chemischen Labora-
torium der k. k. technischen Hochschule in Graz:
1. »Zur Darstellung des Stickoxydes«, von F. Emich.
2. Zum Verhalten des Stickoxydes in höherer Tem-
peratur«, von F. Emich.
3. Ȇber die Reaction zwischen Sauerstoff und Stick-
oxyd. Notiz zur Lehre von der chemischen Induction«,
von F. Emich.
4. »Bemerkungen über die Einwirkung von Ätzkali
auf Stickoxyd«, von F. Emich.
5. »Die Pikrinsäure als allgemeines Reagens für
Guanidine«, von O. Prelinger.
Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen
vor:
1. »Histologisch-experimentelle Untersuchungen
über die Herkunft der chromatischen Substanz
der Leukocyten und anderen cellulären Elemente«,
von Prof. Dr. A. Obrzu t an der k. k. böhmischen Universität
in Prag.
2. »Über die allgemeinsten abwickelbaren Räume,
ein Beitrag zur mehrdimensionalen Geometrie«, von Prof.
Dr. A. Puchta an der k. k. Universität in Czernowitz.
25
Das w. M. Herr Hofrath Director F. Steindachner über-
reicht eine Abhandlung von Prof. Dr. August v. Mojsisovics
an der k. k. technischen Hochschule in Graz: Ȇber eine auf-
fällige neue Varietät des Acipenser ruthenus L,*
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
Anspach L., Le role de Teau dans les cylindres ä vapeur.
Bruxelles, 1891; 8®
27
Beitrag zur Entwickelungsmechanik des
Embryo,*
über die morphologische Polarisation von Eiern und Embryonen
durch den elektrischen Strom, sowie über die Wirkung des
elektrischen Stromes auf die Richtung der ersten Theilung
des Eies
von
Wilhelm Roux.
(Mit 3 Tafeln.)
Aus dem anatomischen Institute der k. k. Universität zu Innsbruck.
(Vorgelegt in der Sitzung am 17. December 1891.)
I. Abschnitt.*
Vom 5. bis 9. April d. J. machte ich Versuche an Eiern des
braunen Grasfrosches (Rana ftisca) mit dem Wechselstrom, der
zur elektrischen Beleuchtung des k. k. anatomischen Institutes
zu Innsbruck dient. Der verwendete transformirte Strom hat eine
Spannung von 100 Volt, die in einigen Versuchen mit wesentlich
dem gleichen Erfolg, durch Umschaltung am Transformator, auf
50 Volt herabgesetzt war. Daraufwurdenauch Versuche mit einem
Gleichstrom von 43 Volt angestellt. Der Zweck der Versuche
war, festzustellen, ob der elektrische Strom die Richtung der
ersten Theilung des Eies zu beeinflussen vermag.
1 Nr. 6 der fortlaufenden, in verschiedene Zeitschriften vertheilten Serie.
2 Ein Bericht über die in Abschnitt I mitgetheilten Beobachtungen wurde
am 11. April, über die des Abschnittes II am 7. Mai 18Ü1 der kaiserlichen
Akademie der Wissenschaften zu Wien verschlossen eingereicht und durch
Beschluss vom 16. April, resp. 14. Mai, gütigst in Depot genommen.
28 VV. Roux,
Die Beantwortung dieser Frage schien mir von Bedeutung,
da wir mit ihrer Entscheidung im positiven oder nega-
tiven Sinne eine Andeutung darüber erhielten, ob bei den
morphologischen Vorgängen der indirecten, mitotischen Kern-
theilung elektrische Wirkungsweisen einen wesentlichen Antheil
haben oder nicht. Denn es ist klar, dass diese typischen
Gestaltungen durch den elektrischen Strom alterirt werden
müssen, sofern sie selber durch elektrische Kraftwirkungen ver-
mittelt werden.
Ein sicheres negatives Ergebniss musste diese Eventualität
als unzutreffend erweisen, ein positives zu weiteren Unter-
suchungen darüber auffordern, ob die beobachtete Wirkung
des elektrischen Stromes eine directe Wirkung auf die mito-
tischen Theilungsvorgänge ist oder durch Einwirkung auf den
Zellleib vermittelt wird, beides gleich wichtige Eventualitäten.
Aus diesen Gründen hatte ich schon im Jahre 1885* die
gleiche Frage geprüft, aber ein negatives Ergebniss erhalten.
Doch musste der mir damals zur Verfügung stehende Strom,
ein Gleichstrom von drei Bunsen'schen Elementen viel zu
schwach erscheinen, um eine sichere negative Folgerung zu
gestatten. Zur Ableitung eines solchen Schlusses mussten
Ströme von einer Stärke angewendet worden sein, die der
deletär wirkenden Stromstärke benachbart war. Da zu ver-
muthen war, dass der Strom meiner jetzigen Anstalt die
genügende Stärke haben werde, und da zudem bei den früheren
Versuchen die in eine Glasröhre aspirirten Froscheier nur von
einer aussen umgewundenen Spirale aus umströmt, nicht aber
die Eier selber durchströmt worden waren, so nahm ich diese
Versuche wieder auf und begann zunächst mit der noch nicht
verwendeten Methode der directen Durchströmung.
Sogleich bei dem ersten, an einem Sonntag Nachmittag
(den 5. April) behufs Orientirung über die etwa nöthige Ver-
suchsanordnung angestellten Versuche trat ein evidentes
Resultat der Einwirkung des Wechselstromes hervor.
1 Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo, Nr. 3: Über die
Bestimmung der Hauptrichtungen des Froschembn'o im Ei und über die erste
Theiiung des Froscheies. Bresiauer ärztliche Zeitschr., 1885, Nr. 6 u. f.,Separat-
Abdr. S. 38 u. f.
r
Entwickelungsmechanik des Embr^'o. 29
An einem 2 cm breiten und 4 cm langen, der Länge nach
durchströmten, vvagrecht orientirten Bande von Froschlaich aus
vor zwei Stunden befruchteten Eiern bemerkte ich bei einer
nach zehn Minuten vorgenommenen Besichtigung schon an
jedem Eie eine senkrecht stehende, das Ei
halbirende Furche, welche an allen Eiern recht-
winkelig zur Stromrichtung orientirt war. Ich
glaubte natürlich, die fragliche richtende Wirkung des Stromes
auf die Eitheilung gefunden zu haben; nur wunderte mich, dass
die erste Furche eine ganze halbe Stunde eher, als ich nach
der Zimmertemperatur envartet hatte, aufgetreten war. Als ich
diese Furche jedoch mit der Loupe besichtigte, fiel mir sogleich
auf, dass sie ein wenig weiter war, als normale Theilungs-
furchen des Froscheies zu sein pflegen, und dass sie sich nach
der Tiefe zu nicht verengte, nicht sich zu einem engen Spalt
verjüngte.
Dies liess erkennen, dass hier eine ganz andere Erschei-
nung vorlag; und die nächsten sogleich vorgenommenen, etwas
variirten Versuche bestätigten diesen Schluss.
Die neue Erscheinung erregte durch ihre typischen
Gestaltungen mein Interesse derart, dass ich ihr eine Zeitlang
ausschliesslich nachging. Diese Sachlage ist der Grund, dass in
den folgenden Mittheilungen zwei in ihrem Wesen verschiedene,
aber theilweise in der nöthigen Versuchsanordnung und dem
Versuchsmateriale übereinstimmende Themata zugleich be-
handelt werden, und dass ich überhaupt eine Gruppe von
Erscheinungen bearbeitet habe, die, wie sich bald herausstellte,
mehr in das Gebiet der jetzigen Physiologie, als in das der
Entwickelungsmechanik gehört.
Die nächsten Versuche ergaben im Wesentlichen nach-
stehende Resultate.
Beim Durchströmen eines geraden Bandes Froschlaich
von 5 bis 9 cm Länge, 2 bis 2*5 cm Breite und einer einzigen
Eilage Höhe, in Richtung der Länge des Bandes von 17 cm
breiten Platjnelektroden aus, entstand an jedem der vor ein bis
drei Stunden befruchteten Eier innerhalb 1 5 bis 30 Secunden
eine deutliche Scheidung der annähernd kugeligenOberfläche
in drei Felder, welche durch zwei einander parallele kreisförmige
30 W. Roux,
Grenzlinien gesondertsind, nämlich in zwei einander gegenüber
liegende, den Elektroden zugewendete P o 1 f e 1 d e r mit veränderter
Oberfläche und ein zwischen ihnen gelegenes äquatoriales
Gürtel fei d ohne solche Veränderung. Diese Scheidung der
Oberfläche erfolgt gewöhnlich zunächst durch Aufhellung im
Bereiche des Polfeldes unter anfänglichem Entstehen einer netz-
artigen oder punctirten helleren Zeichnung; manchmal treten
auch schon, ehe eine Verfärbung der Oberfläche erkennbar ist,
auf der unteren, hellgrauen, oft fast weissen Hemisphäre des
Eies die beiden Parallelkreise als schwärzliche Linien auf und
bewirken so die erste sichtbare Scheidung in die drei Abschnitte.
Bei weiterer Einwirkung des Stromes vertieft sich nach ein bis
zwei Minuten die Stelle dieser beiden Parallelkreise zu je einer
deutlichen, oben tieferen Ringfurche, und in derselben treten
oben weisse Flecken, durch Austritt von Eisubstanz bedingt, auf.
Längs der Mitte des Äquatorgürtels entsteht unter vollkommener
Aufhellung seiner Ränder auf der helleren Unterseite des Eies
nicht selten eine schwärzliche Linie mit oder ohne scharfe seit-
liche Grenzen, also eine Pigmentanhäufung. An der schwarzen,
oberen Hemisphäre des Eies sieht man, wenn die Polfelder sich
nicht genügend aufhellen, nur die beiden Ringfurchen.
Während somit im Einzelnen das Bild der Veränderungen,
und zwar je nach der Dauer und Stärke des wirkenden Stromes
und wohl auch nach der Beschaffenheit der Eier selber, ein etwas
verschiedenes ist, so ist das Wesentliche der Erscheinungen
vollkommen constant, nämlich die Theilung der Eioberfläche
in zwei den Elektroden zugewendete, sichtbar veränderte Pol-
felder und einen sie trennenden, nicht veränderten, oder nur
schwach und in anderer W^eise veränderten Äquatorgürtel ; und
zwar sind diese drei Felder bei der erwähnten Anordnung des
Versuches durch zwei fast oder ganz parallele, continuirlich
(ungezackt) verlaufende, rechtwinkelig zur Stromrichtung orien-
tirte Ringlinien gegen einander abgegrenzt.
Der Abstand dieser beiden Grenzlinien von einander ist an
Eiern, welche in der Nähe der Elektroden stehen, am geringsten
und nimmt gegen die Mitte des Stromfeldes allmälig zu. Ist der
Strom durch Einschaltung grosser Widerstände geschwächt, so
vergrössert sich der Abstand ; arbeitete ich, wie gerade beim
Entwickelungsmechanik des Embryo. 31
ersten Versuche, ohne solche Widerstände, so treten die sich
erhebenden Ränder der beiden Polfelder oben einander so nahe,
dass der von ihnen begrenzte, tiefer liegende Aquatorgürtel bloss
als der schmale Grund einer einzigen Furche erscheint.
Über die Stellung der beiden Grenzlinien zu einander und
zur Richtung der Kraftlinien des Stromes erfuhr ich Weiteres
durch eine Änderung der Versuchs-Anordnung, indem statt der
Verwendung eines parallel contourirten Bandes von Frosch-
laich, die ganze runde Schale gleichmässig mit einer einzigen
Lage von Froscheiem ausgefüllt und dies Material von zwei
einander entgegengesetzten Stellen des Randes der Schale aus
und unter Benutzung schmälerer Elektroden durchströmt wurde.
Die Gesammtheit der beiden Linien von allen Eiern markirt als-
dann typische Curven, die leichter zu erkennen sind, wenn man
die Schale nach Beendigung des Versuches umdreht und die
hellen unteren Hemisphären betrachtet, als bei Besichtigung
der schwarzen Furchen auf der schwarzen oberen Eihälfte. Da
die Froscheier durch ihre dicken Gallerthüllen von einander
geschieden sind und nicht in den Curven entsprechenden
Reihen liegen, so bilden die beiden Grenzlinien aller der etwa
200 Eier einer Schale keine continuirlich gezeichneten Curven,
sondern man muss sich die Curven aus den vielen neben-
einanderliegenden Bruchstücken selber integriren; was aber
bei Benutzung einer seh wachen Loupe nicht schwer fällt.
Das Bild, welches man so gewinnt, ist folgendes; Die Curven
beginnen, entsprechend dem zuerst mitgetheilten Versuche, alle
rechtwinkelig zu der mittleren geraden Verbindungslinie der
Elektroden und wenden sich dann, die nächste Elektrode
im Bogen umziehend, unter allmäliger Vergrösserung ihres
Abstandes gegen den Rand der Schale, um daselbst in rechtem
Winkel zur Umrandung zu enden. Die Krümmung der Curven
ist daher unmittelbar neben den Elektroden am stärksten und
nimmt bis zu der in gerader Richtung verlaufenden mittelsten
Linie allmälig ab. Beide Grenzlinien jedes Eies entsprechen
dieser Schilderung; es sind also beide bloss gegen die nächste
Elektrode concav; nur an den in der rechtwinkelig zur Strom-
richtung orientirten Mittellinie der Schale liegenden Eiern ist
jede von beiden Grenzlinien gegen eine andere Elektrode concav.
32 W. Roux,
Auch stehen nur an den durch diese Mittellinie halbirten Eiern
und an den in der geraden Verbindungslinie der Elektroden
sich befindenden Eiern die Grenzlinien symmetrisch zu einem
Eimeridian, wenngleich dies der flüchtigen Betrachtung an vielen
Stellen so scheinen mag. Bei genauer Betrachtung der für diese
Unterscheidung charakteristischen Stellen an vollkommen nor-
malen Eiern kann kein Zweifel bestehen, dass die Richtung
dieser Linien ihrem Wesen nach nicht zu einer i m E i selber
gelegenen Linie typisch bestimmt ist, sondern dass diese Be-
stimmung von aussen her, in je nach der zufälligen Lage der
Eier zu den Elektroden und zur Gesammtform des elektrischen
Feldes verschiedener Weise getroffen wird. Desgleichen
hängt auch der Abstand dieser Grenzlinien wesentlich von den
genannten äusseren Umständen ab (mit der Einschränkung,
dass bei grösseren Eiern sie vielleicht ceteris paribus
weiter von einander entfernt sind, worüber ich in Erman-
gelung von Rieseneiern noch keine Beobachtungen machen
konnte).
Ich halte die durch diese Grenzlinien markirten Flächen
für Potentialniveauflächen, also für äquipotentiale Flächen
des ganzen elektrischen Feldes.
In der Überzeugung, dass meine Vorstellung von der Gestalt
der äquipotentialen Flächen die zutreffende ist, will ich die
erwähnten Grenzlinien des durchströmten Froscheies weiterhin
als Niveauringe bezeichnen; doch will ich die Möglichkeit
nicht als ausgeschlossen hinstellen, dass die Physiker bei
genauerem Vergleiche kleine typische Abweichungen obiger
Niveauringe von den von ihnen berechneten Niveaulinien er-
mitteln werden ; Abweichungen, die aber dann wohl nur durch
secundäre Momente bedingt sind und den Hauptcharakter
unserer Niveauringe als äquipotentialer Linien nicht alteriren
werden.
An manchen Eiern, an denen die Polfelder sehr grobkörnig
wurden, war die Grenze letzterer auch nicht continuirlich
gerichtet, sondern gezackt, und die Gesammtkrümmung der
Grenzlinien entsprach dann auch nicht vollkommen dem Durch-
schnitt von Niveauflächen des elektrischen Feldes durch die
Eioberflächen. Diese im Anfange der Versuche an den
Entwickelungsmechanik des Embryo. 33
frischen Eiern nicht vorgekommenen Fälle halte ich indess für
abnorm, für bedingt durch die künstliche Verzögerung der
Laichung, wobei auch schon am normalen Furchungsschema
viele Abweichungen vorkommen.
Noch charakteristischer als bei der letzterwähnten Ver-
suchsanordnung, noch evidenter nur äquipotentialen Flächen
entsprechend, werden die durch die Niveauringe gebildeten Cur-
ven, wenn man die Elektroden nicht an den Rand, sondern entfernt
vom Rande der Schale und auf die Fläche der Froschlaichlage
aufsetzt. Anden Eiern, welche alsdann von oben aus durchströmt
werden, liegen die beiden Niveauringe fast wagrecht, während
sie an den wagrecht durchströmten entfernteren Eiern senkrecht
stehen. Es ist vollkommen deutlich, dass die durch die beiden
Niveauringe markirten Flächen rechtwinkelig zu den Kraftlinien
stehen. (Vergl. Fig. 2, Taf. III nebst der Figurenerklärung.)
An den bei dieser letzteren Anordnung seitlich im
Stromfeld befindlichen Eiern entstehen im Bereiche desAquator-
gürtels häufig nachträglich, im Laufe von Stunden oder Tagen
vielfache Zersetzungen, grössere weisse und schwarze Flecken,
sowie auch intensiv schwarze Punkte von zum Theil regel-
mässiger, sternförmiger Anordnung, während im Bereiche der
Polfelder nach der Durchströmung keine nachträglichen Ver-
änderungen zu erkennen sind.
Wenn man Eier, die schon längere Zeit durchströmt
worden sind, nachträglich in anderer Richtung, z. B. recht-
winkelig zur früheren Richtung durchströmt, so findet keine
neue, dieser Stromrichtung entsprechende Ringbildung, über-
haupt keine äusserlich erkennbare Änderung des zuerst er-
zeugten Bildes statt. Wird dagegen die wagrechtstehende
Schale mit den Eiern während der Durchströmung continuirlich
gegen die am Rand eintauchenden feststehenden Elektroden
gedreht, so entsteht statt der beiden Polfelder ein Polgürtel und
statt des Äquatorgürtels ein oberes und ein unteres rundes Feld.
Werden die Eier während der Durchströmung auch noch aus
der wagi'echten Ebene gebracht, z. B. in einer hohen mit Wasser
gefüllten Schale zwischen den Elektroden nach allen Richtungen
in ihrer Lage verändert, so tritt keine Sonderung in abgegrenzte
Felder mehr auf.
Sitzb. d. matheni.-naturw. Cl.; CI. Bd. Abth. III. 3
34 W. Roux,
Schwimmen die Eier in einer Flüssigkeit von geeignet
hohem specifischen Gewicht (Wasserglas oder Lösung von
Gummi arabicum), so behalten dieselben während der Durch-
strömung ihre vorher eingenommene zufällige Anordnung bei
und drehen sich auch nicht um eine Axe; dessgleichen tritt auch
nach der Bildung der Polfelder während der weiteren Durch-
strömung sowie nach dem Aufhören derselben eine Änderung
der Anordnung ohne äusseres Zuthun nicht ein. Werden die
mit Polfeldern versehenen schwimmenden Eier gegeneinander
verschoben, oder um ihre verticalen Axen verdreht, so behalten
sie die ihnen gegebene Anordnung bei, selbst wenn aufs Neue
ein Strom durch die Schale geleitet wird.
Unbefruchtete aber reife, der Gebärmutter entnommene,
in Wasser gequollene Eier reagiren in ähnlicher Weise auf den
Wechselstrom. Auch hier entstehen zwei Niveauringe an jedem
Ei; die Polfelder werden hell und netzförmig gezeichnet. Doch
sind in der Beschaffenheit der Oberfläche kleine Unterschiede
vorhanden und die Reaction geht viel langsamer vor sich.
An mechanisch,durchDrückenmitden Fingern oderdurch
Pressen zwischen Glasplatten insultirten und deformirten
Eiern entstehen zum Theil keine, zum Theil mit ihren Niveau-
ringen von dem gewohnten Anblick abweichende Stellungen
einnehmende Polfelder. Von besonderem Interesse ist bei diesem
Verfahren das Verhalten der entstandenen Dotterhernien.
Der Reife nahe, aber noch unreife Eier aus der Bauchhöhle
und vom Eierstock standen mir noch nicht zur Verfügung.
Kleine unreife Eierstockeier für das nächste Jahr zeigten
keine Reaction auf den Wechselstrom, auch wenn sie schon eine
schw'arze und weisse Hemisphäre ausgebildet hatten.
Geschieht die Durchströmung nach der Anlage oder Voll-
endung der ersten Furche, also während der ersten Theilung
des Eies, so findet gleichwohl die Scheidung in die beiden Pol-
felder und den Äquatorgürtel statt. Doch ist das Bild nur dann
dem früheren, amnochungetheiltenEie gewonnenen, wesentlich
gleich, wenn die erste Furche zufällig ganz oder annähernd
rechtwinkelig oder ganz parallel zu den Niveauflächen steht.
Weicht die erste Furche dagegen etwa 10 — 45° von der Richtung
der gedachten Niveauflächen des ganzen Eies ab, dann erfährt
Entwickelungsmechanik des Embryo. 35
der jeder von beiden Zellen zukommende Antheil am Äquator-
gürtel eine deutliche Verwerfung gegen das Äquatorstück der
anderen Zelle; auch sind die der Furche anliegenden Theile des
Äquators stark von der Richtung der Niveaulinien des homogen
gedachten elektrischen Feldes abgelenkt; siehe Fig. 7.
Nach der Entstehung der zweiten Furche wird das Bild
dieser Verwerfungen oft noch etwas complicirter; doch ist auch
hier die Bildung zweier Polfelder am Eie und einer Äquatorial-
zone vollkommen deutlich.
War das Ei zur Zeit der Durchströmung schon in mehr
Zellen zerlegt, also imMorulastadium befindlich, so entstand
wieder ein continuirlicher, durch zwei Niveauringe begrenzter
Äquatorgürtel; aber ausserdem traten, diesem letzteren ziemlich
parallel auf den Polfeldern jederseits 2 — 3 helle Ringe auf, die
anscheinend durch Austritt von Dottersubstanz aus den den
Niveauflächen annähernd parallelen normalen Furchen (Zell-
grenzen) entstehen, aber zum Theil wohl auch durch weisse
Verfärbung der Oberfläche (im Bereiche der unteren Hemisphäre
des Eies) bedingt sind, worüber erst die mikroskopische Unter-
suchung genaueren Aufschluss geben kann. Die in noch kleinere
Zellen zerlegte Blastula Hess ausser den beiden Niveauringen
noch mehr solcher secundärer Parallelkreise hervorgehen, deren
Zahl wiederum der Zahl der vorhandenen Zellreihen entsprach.
Im Stadium derGastrula traten kaum noch äusserlich
sichtbare polare Veränderungen auf.
Alle durch den Strom in der geschilderten Weise alterirten
Eier entwickelten sich nicht weiter; auch drehten sich dieselben
nach Aufwärtswendung des Bodens der Schale, an welchem
die Eihüllen anhaften, selbst im Verlauf von 24 Stunden nicht
wieder mit der hellen Seite nach unten, wie dies befruchtete Eier
in wenigen Minuten, unbefruchtete in 2 — 3 Stunden thun. Das
Ausbleiben letzterer Erscheinung beruht jedoch nicht auf Ver-
mengung der Eisubstanzen ungleichen specifischen Gewichtes
(des Nahrungs- und des Bildungsdotters), sondern nur auf
Befestigung des Eies gegen die Gallerthülle; denn mit dieser
Hülle herausgenommene Eier nahmen, wenn man sie in Wasser-
glas schwimmen Hess, rasch die normale Stellung mit dem
hellen Theile nach unten wieder ein.
36 W. Roux,
Am Dotter eines gelegten Hühnereies, sowie an den Eier-
stockseiern zweier Tauben konnte ich nach Anwendung des
mir zur Verfügung stehenden Stromes bei äusserer Besichtigung
keine denen der Froscheier entsprechenden Veränderungen
wahrnehmen.
Die Kunstmühlenbesitzer Herren Gebrüder Rauch in
Mühlau gestatteten mir am 8. April freundlichst die Benutzung
des mit der kleineren ihrer Dynamomaschinen unter einer
Tourenzahl von 1200 per Minute erzeugten Gleichstromes
von 43 Volt Spannung; ich verw^endete von demselben nur eine
schwache Stromschleife. Um möglichst verschiedene Strom-
dichten zugleich zu prüfen, setzte ich die Elektroden einander
nahe im Binnenraume des runden Stromfeldes auf.
Bei diesem Strom zeigte sich eine Verschiedenheit der von
beiden Elektroden ausgehenden Wirkungen zunächst schon an
der Gallerthülle. Während beim Wechselstrom die Gallerthülle
unverändert blieb, entstand hier um die durch stärkere Gasent-
wickelung ausgezeichnete, also negative Elektrode zunächst eine
Aufhellung der Gallerthüllen, der später beim Kochen eine opak-
weisse Trübung folgte; in der Umgebung der Anode dagegen ent-
stand einbläulich hyalinerSchimmerinderihrzugewendetenSub-
stanz der Gallerthüllen, der sich nach dem Kochen noch erhielt.
An reifen unbefruchteten Eiern entwickelte sich in
weiter, die Mittellinie des elektrischen Feldes überschreitender
UmgebungderpositivenElektrodean den Eiern bloss ein grosses
grau verfärbtes, der Anode zugewendetes und demnach der
Kürze halber als anodisches oder positives zubezeichnendes
Polfeld mit einer deutlichen Niveauringfurche als Grenze. An
den weiter gegen die negative Elektrode hin gelegenen Eiern trat
danach eine kathodenwärts liegende Niv^eauringlinie hinzu als
einzige Marke der Scheidung auf dieser Seite des Eies; und
bloss die der Kathode nächsten zwei Reihen Eier hatten ein ver-
färbtes, aber grosses kathodisch gelegenes Polfeld unter Fehlen
eines anodischen. Die seitlich im Stromfeld liegenden Eier boten
vielfach zwei schwach verfärbte Polfelder und zwischen ihnen
einen unverfärbten Aquatorgürtel dar; aber an manchen Eiern
fand sich nur anodenwärts ein verfärbtes Polfeld, kathoden-
wärts dagegen wieder bloss eineNiveauringlinie. Die Richtungen,
I
I
Entwickelungsmechanik des Embryo. 37
Krümmungen und Abstände derNiveauringe entsprachen wieder
durchaus der ihnen gegebenen Bezeichnung.
An befruchteten, zwischen den Elektroden gelegenen
Eiern zeigten sich nach kurz dauernder Durchströmung zwei
Niveauringe von deutlicher Schärfe; das anodische Polfeld war
gross und nur wenig verfärbt; das kathodische zeigte sich
an manchen Eiern etwas verfärbt, an anderen gleich dem
Äquatorgürtel unverfärbt, und war in der Stromrichtung verlängert
und in verticale Längsfalten gebogen. Im seitlichen Theile des
Stromgebietes war im Bereiche des Aquatorgürtels der Eier nach
einigen Stunden vielfache Zersetzung, wie oben beim Wechsel-
strom beschrieben, wahrnehmbar. Weiter seitlich und nach hinten
von den Elektroden waren die Eier unverändert und theilten sich
später normal. Am Übergang zwischen beiden letztgenannten
Abschnitten fanden sich Eier mit zwei sehr kleinen verfärbten
Polfeldem; an diesen Eiern bildete sich später im breiten
Aquatorgürtel die typische erste Furche und stand auffallend
häufig in Richtung der mittleren Verbindungslinie beider Pole.
Es ergab sich also ein deutliches Überwiegen der Wirkung
dieses Gleichstromes auf der anodischen Seite der Eier, im
Übrigen aber doch eine doppelseitige, wenn auch schwächere
Wirkung als beim Wechselstrom. Bei dem Versuch an unbe-
fruchteten Eiern zeigte sich deutlich eine Abnahme der ano-
dischen und kathodischen Wirkung mit dem Abstände der
Eier von der gleichnamigen Elektrode.
Von Bedeutung war mir die Wahrnehmung, dass bei dieser
hohen Spannung von 43 Volt die seitlich gelegenen Eier schon
keine Polfelder mehr bildeten, dass ich also schon an der
unteren Grenze dieser Wirksamkeit angelangt war. Ich suchte
daher, unter Einschaltung eines grossen Widerstandes, auch
mit dem höher gespannten Strom meiner Anstalt diese Grenze
und versuchte, die Eier mit dem stärksten, nicht mehr
deletär wirkenden Strom zu beeinflussen. Dadurch
wurde möglich, endgiltig zu prüfen, ob der Wechsel-
strom eine Wirkung auf die Richtung der ersten
Theilung des Eies ausübt, welche, wie ich' und bald
1 W. R o u X, Ober die Zeit der Bestimmung der Hauptrichtungen des
Froschembryo. Leipzig, 1883.
38 W. Roux,
darauf Pflüger*festgestellt haben, die Medianebene des Frosch-
embryo darstellt, so dass sie also das Eimaterial qualitativ und
quantitativ halbiren muss und daher meiner Meinung nach eher auf
den Wechselstrom reagiren könnte, als auf den Gleichstrom, der
sich mehr für die zweite, nach meinen Beobachtungen kopf-
und schwanzwärts sondernde Theilung zu qualificiren scheint
Damit war ich zum Ausgangsproblem dervorstehend mitgetheilten
Versuche zurückgelangt. Dahin führte auch die erwähnte Beob-
achtung, dass an Eiern mit zwei sehr kleinen Polfeldern die
erste Furche auffallend häufig in der mittleren Verbindungslinie
beiderPolfelder lag. Durch Aspiration von Eiern in enge Glasröhren
(wodurch die Eier Verlängert werden) und darauf folgende Durch-
strömung längs der Röhre hätte sich sogleich entscheiden lassen,
ob diese Richtung der Furche als besondere Wirkung des
Stromes oder bloss der Verkleinerung des Eies in eben dieser
Richtung durch Wegfall der an den Polen befindlichen veränderten
Substanz bedingt sei, dennPflüger und ich haben experimen-
tell nachgewiesen, dass die ersten Theilungen des Froscheies
gewöhnlich in den kleinsten Richtungen des Zellleibes erfolgen.
Da jedoch schon bei den Versuchen des 8. April an den
Probeeiern Zeichen von der entwicklungsstörenden Wirkung
der künstlich verzögerten Laichung aufgetreten waren, sah ich
mich veranlasst, eine dieser beiden Fragen zu bevorzugen, um
wenigstens noch eine Frage erledigen zu können, und wählte
die erstere, principiell wichtigere.
Ich schwächte den Wechselstrom von über 20 Ampere
Stärke und 100 Volt Spannung in Ermanglung eines Rheostaten
durch den Widerstand einer halbprocentigen Kochsalzlösung in
einem Glasrohre von 81 cm Länge und 7 mm Durchmesser so
stark ab, dass nach Aufsetzung der Elektroden nahe der Mitte
der 7 — 9 cm im Durchmesser haltenden Schalen nur die den
Elektroden nächsten Eier Polfelder bildeten. Mit diesem
Wechselstrom wurden nun Eier in verschiedenen Phasen,
nämlich während der Copulation der beiden Geschlechtskerne,
während der Existenz des Furchungskernes und während der
1 E. Pflüg er, Über den Einfluss der Schwerkraft auf die Theilung der
Zellen. Pflüger's Arch. f. Physiologie, 1883, Bd. XXXI.
Entwickelungsmechanik des Embr}'0. 39
Theilung desselben durchströmt. Als die erste Furche auf-
getreten war, zeigte sich, dass die Richtungen dieser Furchen
an den etwa 200 — 250 Eiern einer Schale keine Beziehung zu
den Niveauflächen oder Kraftlinien erkennen Hess. Zu einem
vollen Resultat fehlt jedoch noch die Prüfung an einem maxi-
malen ertragenen wirklichen Gleichstrom. Schliesslich wieder-
holte ich auch den schon vor sechs Jahren mit einem schwachen
Gleichstrom erfolglos angestellten Versuch der Umströmung
der Eierjetzt mit dem Wechselstrom. Es wurden frisch befruchtete
Eier in eben noch so weite Glasröhren aspirirt, dass sie keine
Pressung in denselben erlitten, und darauf bei wagrechter Lage
der Röhre mit dem zur Vermeidung zu hoher Erwärmung durch
eine eingeschaltete Schale von schwacher Kochsalzlösung
genügend abgeschwächten Wechselstrom stundenlang in dicht,
aber bloss in einer Lage um die Röhre gewundenen Spiraltouren
umströmt. Jedoch auch bei dieser Versuchsanordnung war
keine richtende Wirkung des Stromes auf die erste Theilung
des Eies, also keine Wirkung einer dynamischen Induction zu
erkennen; die erste Furche der verschiedenen Eier stand weder
durchweg quer zum Solenoid oder längs desselben oder wag-
recht, sondern, wie sonst bei zwangloser Aufsetzung der Eier,
allenthalben senkrecht, aber in den verschiedensten Richtungen.
II. Abschnitt. *
Zunächst habe ich zu erwähnen, dass es mir durch eine
zur Verstärkung der Stromwirkung führende Änderung der
Versuchsanordnung gelungen ist, auch an noch im Eierstock
befindlichen Froscheiem Veränderungen hervorzurufen, die den
an unbefruchteten Uteruseiem mit dem Wechselstrom ge-
wonnenen zum Theil entsprechen.
An dotterkömerhaltigen Eierstockseiern, welche mehrere
Stunden in Wasser gelegen hatten, entstanden unter nur sehr
geringer Verfärbung der Polfelder zwei deutliche Niveauring-
furchen, welche wie mit einer Nadel eingeritzt erschienen. Bei
den Eiern von erst der halben Grösse reifer Eier, war der von
diesen Niveau furchen begrenzte Äquatorgürtel nicht nur
* Vergl. die Anmerkung 2 am Beginne des ersten Theiles.
40 W. Roux,
relativ, sondern auch absolut breiter,, als bei den daneben befind-
lichen fast reifen, grösseren Eiern.
Danach gelang es mir auch an frischen Eierstöcken, welche
nicht in Wasser gelegen hatten, aber in Wasser durchströmt
wurden, feine Niveaufurchen nach der Durchströmung an den
Eiern wahrzunehmen; doch sind sie infolge des Mangels jeder
Verfärbung schwer zu sehen.
Ausgewachsene Eierstockseier in V«Vo Kochsalzlösung
zerquetscht und zerschnitten, Hessen an dem so gewonnenen
Saft weder bei Verwendung des schwachen, noch des starken
Wechselstromes eine besondere Wirkung des Stromes oder eine
besondere Reaction der Substanz erkennen.
Wenn der geschlossene Uterus mit seinen einge-
schlossenen Eiern direct durchströmt worden war, konnte ich
keine Bildung von Polfeldern wahrnehmen, auch nicht, wenn die
Eier nach der Durchströmung in Wasser gelegt worden waren.
Bei Lagerung von Eiballen zwischen zwei Stücke gequollenen
Laiches wurden dagegen durch Punktirung auf der hellen
Hälfte des Eies zwei Polfelder markirt, die einen mit helleren
Rändern versehenen Äquartorgürtel begrenzten. Wurden die
trockenen Uteruseier jedoch einzeln zwischen die gequollene,
aber durch Fliesspapier abgetrocknete Gallerthülle anderer
Eier gelegt, so zeigten sich beim Durchströmen schon nach
vier Minuten deutliche Niveauringe. Während dieser Zeit aber
waren die Gallerthüllen der trockenen Eier schon deutlich
erkennbar gequollen. Also ein gewisses Minimum an Wasser ist
für die beschriebene Reaction nöthig.
Unbefruchtete Eier, welche aus dem Uterus in vier- und
mehrprocentige Kochsalzlösung gelegt worden waren, und
eine Stunde darin verweilt hatten , gaben selbst bei sieben
Minuten dauernder Durchströmung nicht die specifischeReaction ;
gleiche Eier in 27o Lösung Hessen erst spät zwei den Niveau-
ringen entsprechende Reihen von Punkten wahrnehmen; auch
sogleich in l^o Kochsalzlösung übertragene Eier reagirten noch
trag. Eier, welche 1 74 Stunde in 47o Kochsalzlösung verweilt
hatten, darauf in Wasser übertragen worden waren und nach
1 bis 15 Stunden fünf Minuten lang durchströmt wurden, zeigten
keine Reaction.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 41
Dagegen bildeten Eier mit in Wasser gequollenen Hüllen,
wenn sie in gesättigte Kochsalzlösung oder dergleichen Bor-
säure-, Boraxlösung versetzt und sogleich darin durchströmt
wurden, schön die Polfelder und Niveauringe.
Im Anfang durchströmte ich die Eier viel länger als un-
erlässlich nöthig war, um die Polfelder- und Niveaulinienbildung
hervorzurufen, weil die Reaction auf der schwarzen, oberen Ei-
hälfte bei Ranafusca viel später sichtbar wird, als auf der hellen
Unterseite des Eies. Aus dieser Zeit stammt auch der im ersten
Abschnitt mitgetheilte Versuch, in welchem die zweite, in anderer
Richtung als die erste bewirkte Durchströmung ohne sichtbaren
Erfolgblieb, weil dieReactionsfahigkeit der Eier schon erschöpft
war. Wenn man dagegen die erste Durchströmung nur während
des Minimums der zur Bildung der Niveaulinien auf der Unter-
seite nöthigen Zeit oder Weniges darüber durchströmt und
darauf die Stromrichtung ändert, entstehen zu den schon
vorhandenen, neue dieser Richtung entsprechende Niveaulinien
und Polfelder. Durchströmt man zuerst mit schwachem Strom
bis zur Bildung der Niveaulinien, darauf mit starkem Strom in der
gleichen Richtung wie früher, so wird der breite Äquator ver-
schmälert, indem zugleich zwei weisse Bänder auf Kosten des
früheren Äquators entstehen. Verwendet man zuerst den starken
und danach den schwachen Strom in zur früheren gekreuzter
Richtung, so kann man bei geeignetem Verhältniss in der Zeit-
dauer beider Wirkungen noch einen zweiten Effect hervorbringen.
Bei sehr geschwächtem Strom (durch Einschalten
einer Wassersäule von 129 cm Länge und 7 mm Durchmesser)
ist nach 5 Minuten noch keine Wirkung an den befruchteten
Eiern erkennbar; selbst bei Ersetzung des Wassers durch 7% Vo
Kochsalzlösung war nach elf Minuten unten bloss ein leicht
gedunkelter Äquatorgürtel mit helleren Rändern, oben keine
Änderung zu sehen. Nach Verkürzung dieser Röhre auf 81 cm
dagegen entstanden minimale, bei Ranafusca nur aus einem
oder wenigen Flecken, bei Rana esculetita deutlich aus
kleinen Extraovaten* bestehende Polfelder, und zwar nur
1 Mit diesem Namen habe ich die aus dem Ei unter Durchbrechung der
Eirinde ausgetretene Substanz belegt. Vergl. Beitrag I zur Entwickelungs-
mechanik des Embryo. Zeitschr. für Biologie, Bd. XXI, N. F. III, 1885.
42 W. Roux,
an den in derNähe derElektroden befindlichen Eiern; manchmal
fand sich nach dernäheren Elektrode zu ein etwas grösseres, nach
der entfernteren Elektrode ein kleineres Polfeld oder auf letzterer
Seite gar keines.
Bei der gewöhnlich verwendeten, reichlich starken An-
ordnung dagegen bieten sich beide Polfelder jedes Eies beim
Wechselstrom für die einfache Besichtigung gleich gross dar.
Nicht selten jedoch glaubt man an einem Eie, bei Besichtigung
der noch in ihrer Hülle und in der Glasschale befindlichen
Eier mit der Loupe, deutlich eine grosse Differenz der Polfelder
wahrzunehmen; nach der Ausschälung jedoch ist meist kein
oder nur ein geringer Grössenunterschied vorhanden, der auf
Ungleichmässigkeiten in der Substanz der Hälften des be-
treffenden Eies beruhen muss, wenn, wie gewöhnlich bei gleich-
massiger Anordnung der Eier, die Eier der Umgebung solche
Unterschiede nicht darbieten.
Bei nicht gleichmässiger Vertheilung der Eier in
der Schale, beim Vorhandensein von Lücken oder Brücken im
Eistratum wird die Breite der Äquatorgürtel neben einander
liegender Eier manchmal erheblich verschieden, und die oft
stark divergirenden Richtungen der beiden den Äquator
begrenzenden Niveauringe entsprechen natürlich nicht mehr
den Richtungen der Niveaulinien eines homogenen, die ganze
Glasschale einnehmenden elektrischen Feldes.
Kurz dauerndeEinwirkung des Stromes auf befruchtete
Eier bildet bloss die Polfelder ohne Niveauringe aus. Selbst bei
wenig längerer Durchströmung kommt es vor, dass erst nach der
Unterbrechung des Stromes die besondere Färbung und
manchmal doppelte Contourirung der Niveauringe entsteht
Bei längerer Dauer der Einwirkung eines starken
Stromes dagegen steigern sich die Veränderungen eine Zeit
lang; es treten grössere Flecken auf, und selbst auf der oberen
schwarzen Hemisphäre entstehen grosse, weisse Flecken
(Extraovate), die von den Niveaulinien sich auf das Gebiet
des Äquatorgürtels überlagern können.
Die Grösse derPolfelder hängt auch an reifen, befruch-
teten und unbefruchteten Eiern ceteris paribus von der
Qualität der Eisubstanz ab; dies macht sich am Ende der
Entwickelungsmechanik des Embryo. 43
Laichperiode, wo die Eier schon etwas gelitten haben, besonders
bemerkbar; indem in denselben Niveauflächen neben einander
liegende Eier gleicher Grösse erhebliche, unregelmässige
Ungleichheiten in der Breite des Äquatorgürtels darbieten.
Diese Verschiedenheiten sind jetzt am Ende der Laichperiode von
Rana fusca so gross, dass sie den Versuch, die Wirkung der
Grösse der Eier auf die Grösse der Polfelder festzustellen, erfolg-
los machten, indem an durch einander gesäten Eiern verschie-
dener (aber bloss zwischen 18 bis 2'bmm wechselnder) Grösse
keine constante Verschiedenheit sich feststellen Hess.
An zwischen Glasplatten zusammengepressten,
unbefruchteten Eiern entstehen auch bei erheblicher Deformation
noch die Polfelder; aber ihre Ränderbieten, wie im ersten Theil
bereits erwähnt, von den normalen Niveaucurven eines homo-
genen Feldes mannigfach abweichende Richtungen dar. Bei
dem Pressen platzt das Ei oft auf; an den so entstandenen, in
der Gallerthülle eingeschlossenen, mit dem Eie noch zusammen-
hängenden Extraovaten konnte ich jedoch keine sichere
Polarisation wahrnehmen, weder eine selbstständige, vom Eie
unabhängige, noch eine mit ihm in Verbindung stehende, wie
sie zu erwarten wäre, wenn die Niveaulinien des Eies gerade
die Richtung auf das Extraovat hin hatten.
Die früher mitgetheilten, beim Durchströmen während der
ersten oder zweiten Furchung entstehenden Verwer-
fungen der Theile des Äquatorgürtels gegen einander werden
um so geringer, je stärker der Strom ist
Auch längere Zeit nach der Durchströmung der Eier
finden noch mannigfache Veränderungen in den Eiern statt, die
als Folgen der Durchströmung aufzufassen sind. So zersetzte
sich zum Beispiel die Substanz der Äquatorscheiben unter
Vacuolisirung und Fleckenbildung in einer Weise, wie sie auch
sonst, aber nur an älteren Eiern vorkommt; bei noch jungen Eiern
fand sie sich bloss an den mit Polfeldem versehenen Eiern,
während andere Eier derselben Schale, die am Rande der Schale
standen und keine Polfelder gebildet hatten, drei Tage lang ihr
normales Aussehen behielten. Die Pol fei der selber dagegen
erscheinen weniger veränderlich; im Bereiche der geraden
Kraftlinie sind sie nach der Behandlung der Eier mit starkem
44 W. Roux,
Strome ganz unveränderlich, also wohl todt; während, wie
früher mitgetheilt, an den breiten Äquatorgürteln in derselben
Schale seitlich stehender Eier sogar noch die erste Furchung
auftrat. Die Äquatorscheiben stellen also die am wenigsten
veränderte Substanz dar.
Die Fähigkeit der Eier in der beschriebenen Weise auf
den Strom zu reagiren, erhält sich an den aus dem Körper
entnommenen Eiern ziemlich lange. So boten in Wasser
versetzte, unbefruchtete Eier sie noch nach iVg Tagen dar.
Und Eier von vor drei bis vier Tagen getödteten und mit
eröffnetem Leibe gelegenen Weibchen, deren Eier zum Theil
an die Uteruswandung angetrocknet waren, bildeten noch die
Niveauringe, obgleich die zur Probe besamten aber nicht
durchströmten Eier sich nicht furchten, also nicht mehr ent-
wickelungsfähig waren.
Dagegen verlieren die Eier durch vier Minuten
langes Einlegen in Wasser von 45 — 46** dies Vermögen
auf den Strom zu reagiren; wohl ein Zeichen, dass gleichwohl
diese Reaction an Lebenseigenschaften der Eier gebunden ist.
Die während der vorstehend mitgetheilten Versuche ent-
wickelten Embryonen gaben Gelegenheit, auch an weiteren
Entwicklungsstufen die Wirkung des Wechselstromes zu
Studiren. Es zeigte sich, dass an noch in ihrer Gallerthülle
befindlichen Froschembryonen, sei es mit noch offenem oder
mit schon geschlossenem Medullarrohr, ja auch sogar an schon
seit einigen Tagen ausgeschfüpften freien Embryonen der
Wechselstrom scharf abgegrenzte Polfelder hervorbringt, die
durch einen anscheinend unveränderten Äquatorgürtel getrennt
sind. Doch bleibt bei schon ausgeschlüpften Embryonen
manchmal die scharfe Begrenzung der Polfelder gegen das
Äquatorfeld aus. Im Bereiche der Polfelder tritt leichte graue
Verfärbung auf, die anscheinend auf Rundung der Epithelzellen,
besonders der farblosen, und auf allmäligem Abfall derselben
beruht: eine dem Tode des Embryo vorausgehende Veränderung,
die ich alsFramboisia embryonalis finalis minor bezeich-
net habe. * Diese Veränderung setzt sich auch nach dem Auf-
1 Vergl. W. Roux, Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo.
Nr. I, Zeitschr. für Biologie, Bd. XXI, N. F. Ill, 1885.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 45
hören der Durchströmung noch fort unter Verschärfung der
Abgrenzungslinien der Polfelder gegen den unveränderten
Äquatorgürtel. Hat man bei starker Anordnung zu lange
durchströmt, so greift die Framboisia minor, wie sonst beim
Absterben, rasch auf den ganzen Embryo über, und man
übersieht alsdann leicht die zuerst vorhanden gewesene polare
Localisation der Veränderung. Werden jüngst ausgeschlüpfte
oder durch Scheerenschnitt etwas vor der Zeit zur Welt
gebrachte Embr>'onen in dicke Lösung von Gummi arabicum
gethan und durchströmt, so sieht man an den den Elektroden
nächsten Stellen die Zellen sich runden, aber nur wenige
abfallen; eine deutliche Grenze der veränderten Theile gegen
ein unverändertes mittleres Feld ist jedoch nicht wahrnehmbar,
obgleich gleichalterige Embr>'^onen derselben Abkunft, zur
Probe in Wasser durchströmt, ein scharf begrenztes Äquatorfeld
darbieten. In Wasserglas gelegte Embryonen bilden auch ohne
Durchströmung sofort starke universelle Framboisie. Ist das
Wasserglas aber beim Einlegen des Embryo schon durchströmt,
so ist die alsdann auch in längerer Zeit eintretende Epithel-
ablösung nur gering, so dass zu schliessen ist, die Epithelzellen
werdenjetzt meist sofort getödtet, ehe sie noch Zeit hatten, sich
in sich selber zusammenzuziehen. Die bei der Framboisia minor
von den Embryonen abgefallenen Epithelzellen werden gewöhn-
lich durch typische Strömungen an zwei Stellen der Umgebung
des Embryo angehäuft, nämlich in der Umgebung der Schwanz-
spitze und in der Umgebung der beiden, dicht bei einander
befindlichen Haftnäpfe.
Die Breite des Äquatorgürtels der Embryonen wächst
ceteris paribus mit der in Richtung des Stromes gemessenen
Länge des Embryo (also mit l. cos a, wenn a den Winkel zwischen
Stromrichtung und Embryo bezeichnet); dieses Wachsthum
ist aber keineswegs proportional dieser Länge; das geht auch
schon daraus hervor, dass der Äquator meist parallel contourirt
ist, obgleich die Embryonen an beiden Seiten convex sind. Der
Äquator steht also nicht etwa in einem bestimmten Verhältniss
zu der von jedem Stromfaden durchsetzten intraembryonalen
Länge, sondern mehr zu Verhältnissen der äusseren Con-
figuration.
46 W. Roux,
Die Breite des Äquatorgürtels der Embryonen nimmt ferner
mit der Abnahme der Stromstärke zu. Bei schwächerem Strom
werden also ceteris paribus die Polfelder kleiner, während der
Äquatorgürtel entsprechend an Breite gewinnt, so dass schliess-
lich bloss noch die beiden äussersten, den Elektroden zuge-
wandten Enden die Framboisie darbieten. Bei weiterer Strom-
schwächung ist dann keine morphologische Wirkung mehr
wahrnehmbar, sondern es finden an schon genügend weit
entwickelten Embryonen bloss Zuckungen statt. Dieses dem
früher über die Eier Mitgetheilten entsprechende Verhalten der
Embryonen bekundet also wiederum, dass nur Ströme von
gewisser Stärke die geschilderte morphologische Polarisation
der durchströmten bezüglichen organischen Körper hervor-
bringen, während schwächere Ströme ohne eine solche deletäre
Polarisation zu bewirken diese Körper durchfliessen. Die Breite
des Äquatorgürtels ist aber ausserdem auch erheblich von der
Gestalt des Embryo abhängig.
Für die Lage des Äquatorbandes am Embryo zeigt
sich unter Anderem von Bedeutung, dass das mit einer Spitze
gegen die nächste Elektrode gerichtete, caudale Polfeld in
Richtung des Stromes länger ist, als das eine stumpfere Form
der Elektrode zuwendende andere, cephale Polfeld. Die Wirkung
dieser Componente ist sehr bedeutend.
Die Intensität der imBereiche der Polfelder stattfindenden
Veränderungen ist ausser durch die Intensität des Stromes und
die Dauer seiner Einwirkung wesentlich wiederum durch die
Gestalt, sowie durch die Richtung der Flächen zu den Strom-
fäden bestimmt. Gegen die Elektrode gewendete Spitzen werden
eher und stärker verändert als stumpfere Flächen.
Wenn man sich die Richtung der Stromfäden von einer Elek-
trode aus vorstellt, so sieht man, dass die dieser Elektrode zuge-
wendeten Flächen des nach ihr hin gelegenen Stückes des Embryo,
welche also direct von den aus der Flüssigkeit in den Embryo
eintretenden Stromfäden getroffen werden, eine stärkere Ver-
änderung erfahren, als die hinter Vorsprüngen des Embryo
gelegenen, demselben Polfeld zugehörigen Oberflächen. Dieser
Stromschatten beweist zugleich, dass die im Bereiche der Pol-
felder beobachteten Veränderungen durch den Ein- resp. Austritt
Entwickelungsmechanik des Embryo. 47
der Stromfäden veranlasst werden. Der Stromschatten ist sehr
ausgesprochen; aber die räumliche Ausdehnung seines Gebietes
entspricht nicht dem Schatten, den die zuerst von den Strom-
faden des Elektrolyten getroffenen Flächen in Richtung dieser
Fäden werfen würden; sondern das der geringeren Veränderung
nach als im Stromschatten befindlich zu erkennende Gebiet ist
kleiner, was auf den Eintritt seitlicher Stromfäden, also auf
Ablenkung derselben von ihrer eigentlichen Richtung hinweist.
Auch bis zur Berührung zusammengedrängte und quer
oder schräg zur Richtung der Berührungsflächen durchströmte
Embryonen werfen auf einander einen Stromschatten.
Die Richtung des Äquatorgürtels, respective seiner
beiden Grenzlinien weicht beiden complicirter gestalteten
Embryonen sehr erheblich von den Niveaulinien des um-
gebenden homogenen elektrischen Feldes ab; diese Abwei-
chungen sind bei jungen, noch schwanzlosen aber cephal und
caudal verdickten, sowie an schon mit dem Schvvanzstummel
versehenen, aber infolge Raummangels in der Gallerthülle seit-
wärts gebogenen Embryonen erheblicher als bei etwas älteren,
freien, schon gestreckten und ausser den Kiemen keine grösseren
Verwölbungen besitzenden Embryonen. Letztere lassen bei
Stellung in Richtung der Stromlinien oder der Niveauflächen
wieder deutlich die Annäherung der Aquatorränder an die bei
kugeligen Gebilden (Eiern, Morulae und Blastulae) gewon-
nenen Potentialniveaucurven erkennen; bei diesen Stellungen
gewinnt man auch an den complicirter gestalteten jüngeren
Embryonen noch bezüglich gerichtete Äquatorgürtel; aber die
Abweichungen sind doch schon erheblicher.
Bei schiefer Lage der Embryonen zu den Kraftlinien
erhält das Aquatorband mannigfach gebogenen Verlauf. Es
können ferner an den in der Mitte eingeschnürten Embr^'onen
zwei wohl contourirte Bänder auftreten. Auch Stücke von
lebend zerschnittenen Embryonen zeigen eine den mitge-
theilten Regeln annähernd entsprechende Polarisirung und in
den Polfeldern die Framboisia minor; aber wenn die Schnitt-
fläche der Elektrode zugewendet ist, wird von der Seitenfläche
fast bloss der anstossende Epithelrand verändert. Dessgleichen
bietenunvollkommenzertheilte Embryonen ausserordent-
48 W. Roux,
lieh mannigfach gestaltete Polfelder dar. Das Genauere dieser
Verhältnisse kann nur an der Hand von Abbildungen mitgetheilt
werden und verdient vorher noch weitere Beobachtung. Wesent-
lich ist noch, dass an Embryonen mit umgebogenem Schwänze,
die Umbiegungsstelle in ihrem, auf den mittleren Stromfaden be-
zogen, lateralen Theil keinÄquatoralband enthält, was wiederum
wohl durch seitlich eindringende Stromfäden bedingt ist.
Da bei der polarisirenden Wirkung des Stromes voraus-
sichtlich auch die Differenz des Leitungsvermögens der
organischen Körper und des Menstruums von Bedeutung ist,
so variirte ich letzteres, indem ich es mehr der Leitungsfahigkeit
der Eier zu nähern suchte. Ich verwandte zunächst, wie schon
oben mitgetheilt, gesättigte Lösungen von Kochsalz, von Bor-
säure und von Borax; in all diesen Lösungen ging an vorher in
Wasser gelegenen, noch in ihrerGallerthülle befindlichen Frosch-
eiern die Bildung der Polfelder vor sich. Da aus ihrer Gallert-
hülle ausgeschlüpfte Embryonen beim Einlegen in Wasser-
glas oder in auch nur 57o Kochsalzlösung auch ohne Durch-
strömung sofort universelle Framboisia minor ausbilden, so
sind sie zur Prüfung der Wirkung des Stromes bei diesem Men-
struum nicht zu gebrauchen.
Die gesättigte Kochsalzlösung hat von den angewandten
Lösungen das beste Leitungsvermögen. Aber es ist wohl daran
zu denken, dass die an verschiedenen Salzen so reichen Eier
vielleicht noch besser leiten; daher versuchte ich30%Schwefel-
säure, die ein dreimal besseres Leitungsvermögen als gesättigte
Kochsalzlösung und überhaupt das beste Leitungsvermögen
von allen wässerigen Flüssigkeiten hat. Wenn die Schwefelsäure
erheblich besser leitet als die Eier, dann durfte meiner Meinung
nach keine Polarisation an ihnen entstehen. Beim Versuch er-
gab sich zunächst, dass die Schwefelsäure, ein starkes Gift für
das Ei, schon nach 30 Secunden die 2 — 3 mm dicke gequollene
Gallerthülle durchsetzt. Daher verstärkte ich die Versuchsan-
ordnung ad maximum, so dass an Eiern, welche in Wasser
durchströmt wurden, schon nach 5 Secunden die Polfelder zu
sehen waren. Danach Hessen befruchtete Eier von Rana fusca,
20 Secunden lang in 30 vol. procentiger Schwefelsäure durch-
strömt, keine sicher feststellbare Polarisation erkennen, obschon
Entwickelungsmechanik des Embryo. 49
sie bei gleich darauf vorgenommener Durchströmung in Wasser
innerhalb kürzerer Zeit schön ausgeprägte Polfelder, aber nur
von einer für diese starke Anordnung auffallenden Kleinheit
entwickelten. Wenn ein in 30 vol. procentiger Schwefelsäure
schwimmendes Ei mit seiner Gallerthülle direct die Elektrode
berührt, so scheint eine Spur der Polfelderbildung an ihm statt-
zufinden.
Auch bei eine Minute dauernder Durchströmung in 30,
ebenso wie noch in 5 vol. procentiger Schwefelsäurelösung ent-
steht keine deutlich sichtbare Polarisation. In 4 vol. procentiger
Schwefelsäure scheint schon eine schwache Polfelderbildung
aufzutreten.
In 2 vol. procentiger Schwefelsäurelösung werden dagegen
nach längerer Durchströmung deutliche, grobgefleckte, aber für
die angewandte Stromstärke nur sehr kleine Polfelder gebildet.
Es war nicht zu beurtheilen, ob die Polfelder so klein sind,
weil nur so wenig Stromfaden aus dem Menstruum in das Ei
treten, oder weil die Eier durch die Schwefelsäure gelitten haben.
In blos 1 vol. procentiger Lösung entstehen die Polfelder
noch langsam ; die wieder grobe, weisse Fleckung breitet sich
sehr allmälig von den den Elektroden zugewendetsten Theilen
der Eier aus, und die am Rande des Polfeldes befindlichen
Flecke verlängern sich in zum Pole radiärer Richtung und bilden
so einen typischen Kranz. Am Äquator zieht sich wieder das
Pigment von den Rändern gegen die Mitte zurück. Die Polfelder
entwickeln sich aber seitlich am Eie meist nicht mehr bis zu
der den Niveaulinien entsprechenden Ausdehnung und stellen
somit zwei um die Pole selber centrirte Kappen des Eies dar,
ein Verhalten, welches ich wieder, wie schon früher an durch
verzögerte Laichung geschädigten Eiern, für eine abnorme
Reactionshemmung halte. In 7^ vol. procentiger Schwefelsäure
zeigt sich wesentlich das gleiche Verhalten. — Messungen des
Leitungsvermögens der Eier im Vergleich mit dem Leitungs-
vermögen der 5 vol. procentigen Schwefelsäure können er-
kennen lassen, bei wie viel grösserem Leitungsvermögen des
Menstruums als dem der Eier die Polarisation derselben infolge
Durchströmung mit einem Strome von an sich geeigneter
Stärke eben noch entsteht.
Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; CI. Bd. Abth. IK. 4
50 W. Roux,
Herr College Wassmuth, der interimistische Leiter des
k.k. physikalischen Institutes, war so freundlich, mir löBunsen'-
sche Elemente von 20 cm Höhe zu leihen. Der mit diesen Ele-
menten erzeugte Gleichstrom wurde auf die jetzt allein vor-
handenen, im Allgemeinen viel empfindlicheren Eier des grünen
Wasserfrosches, Ra^ta esculenta angewandt und Hess bei
Nebeneinanderschaltung, wie ervyartet, auch bei starker Ver-
suchsanordnung (kleine Schale, Abstand der Elektroden von
bloss 1*6 cm) innerhalb drei Minuten keine Wirkung weder auf
die Eier noch auf die Gallerthüllen derselben erkennen. Daher
wurde weiterhin nur noch mit hintereinandergeschalteten
Elementen experimentirt unter Gewinnung folgender Ergebnisse:
Die Wirkung dieses Stromes auf die Gallerthüllen und auf die
befruchteten Eier entspricht wesentlich der früher mitge-
theilten Wirkung des mit der Gleichstrom-Dynamomaschine er-
zeugten Stromes. Zuerst entstehen wieder die gegen die posi-
tive Elektrode (Anode) hin gewendeten anodischen oder posi-
tiven Polfeder. Von oben gesehen, wird der Bereich dieses Feldes
am noch ungetheilten Eie auf einmal leicht graulich, trüb, dar-
auf sogleich hellbraun, und grenzt sich oben durch eine deut-
liche Furche ab; daraufsteigt ein, gewöhnlich zungenförmiger
Strom der hellbraunen Substanz auf und breitet sich oben
bohnenförmig aus, verschwindet aber einige Zeit nach der
Stromunterbrechung oder beim sofortigen, behufs Fixation vor-
genommenen Kochen in den meisten Fällen, wohl durch Ver-
theilen der ausgetretenen Substanz im Eiwasser, wieder. Die
Besichtigung der aus der Hülle ausgeschälten Eier zeigt das
positive Polfeld unten mit hellen Flecken bedeckt, die durch
ein eckig-maschiges Netz schwarzbrauner Linien getrennt sind.
Dieses anodische Polfeld stellt in seiner Gestalt einen Kugel-
abschnitt dar und setzt sich durch seinen oberen, vorspringenden
Rand von dem übrigen, oft in Richtung des Stromes deutlich
verlängerten, mit einigen leichten Längsfurchen und entspre-
chenden Wülsten versehenen Theil des Eies ab. An letzterem
Theil findet sich, dem positiven entgegengesetzt, das oft kleinere,
der negativen Elektrode zugewendete »negative« oder »katho-
dische« Polfeld. Dasselbe entsteht später als das positive und
ist durch noch rundliche helle Fleckchen, die kleiner sind als
Entwickelungsmechanik des Embryo. 51
die zuletzt eckigen Flecken des anodischen Feldes, charak-
terisirt; es hat meist keine deutliche Grenze; selten ist unten
am Eie als Grenze eine dunkle Linie oder eine Reihe von
Flecken vorhanden. Die Veränderungen sind viel geringer als am
positiven Felde. Zwischen beiden Polfedern liegt der in seiner
Farbe meist unveränderte Äquatorgürtel. Das Ei ist oben
manchmal abgeplattet.
An unbefruchteten Eiern ist die Wirkung des Gleich-
stroms wesentlich die gleiche; doch ist die positive Niveaulinie
gewöhnlich weiss und der anstossende Äquatorrand um so
dunkler; manchmal ist jedoch auch eine schwarze anodische
Niveaufurche vorhanden. Das anodische Polfeld kann rosetten-
artig ausgebogen sein. Das kathodische Polfeld ist mit weissen
runden Flecken versehen und kann einer scharfen Grenze ent-
behren. Nach der Ausschälung und Härtung sah ich amÄquator
und kathodischen Theile des Eies von dem einen auf den andern
Theil übertretend, durch seichte Furchen getrennte Längswülste,
vondenen die beiden obersten in Richtung desStromes, die mehr
seitlichen aber etwas nach der Seite concav verliefen, beiderseits
aber symmetrisch zu einander geordnet waren. Manchmal hat
das kathodische Polfeld eine deutliche Grenze und ist auch eine
besondere negative Niveaulinie vorhanden. Die Summe der
Niveaulinien bildet bei gleichmässiger Zusammenlagerung der
Eier in der Schale wiederum deutliche Potentialniveauflächen.
Setzte ich die Elektroden zuerst im Binnenraume der Schale
auf und sodann am Rande derselben, wobei die neu zwischen
die Elektroden gelangten Stellen in zur früheren fast umge-
kehrten Richtung durchströmt wurden, so zeigten die Eier dieser
Stellen dann jederseits ein Polfeld vom Charakter des anodi-
schen Polfeldes, so dass sich also die beim Wechselstrom beob-
achteten Veränderungen leicht aus den alternirend in entgegen-
gesetzten Richtungen erfolgenden Wirkungen des Gleichstroms
ableiten lassen. Die ursprünglich zwischen den Elektroden ge-
legenen' Eier dagegen Hessen durch den zweiten, geschwächten
Strom keine diesem Strom entsprechende Ausbildung von
neuen Niveauringen nach aussen von den früheren erkennen.
Auch an Eiern, welche in der ersten und zweiten Thei-
lung begriffen waren, traten wesentlich dieselben Veränderungen
4*
52 W. Roux,
durch den Gleichstrom auf; doch folgte der aufsteigende Sub-
stanzstrom den zufällig der positiven Elektrode zugewendeten
Furchen, und zwar zunächst getheilt als zwei Ströme, an jeder
Wandungsfläche der Furche einen; später aber vereinigen sich
die neben einander aufgestiegenen hellbraunen Massen.
An Gastrulae bewirkte der Gleichstrom nur geringe Ver-
änderung; man sah ein leicht grau verfärbtes, aber grosses,
kathodisches, ein anscheinend kleineres anodisches Pol-
f e 1 d, welche beide einen seine schwarze Farbe behaltenden, wenig
scharf begrenzten Äquatorgürtel zwischen sich fassten. An den
Polfeldern selbst entstand bloss Rauhigkeit mit einigem Epithel-
abfall combinirt. Wenn bereits die Medullarplatte an der
Gastrula vorhanden ist, so durchsetzt der Äquatorgürtel mit
seinen, Niveauringe darstellenden Grenzen diese Anlage des
Centralnervensystemes ohne jede Unterbrechung oder Rich-
tungsänderung. Durch besondere Veränderungen ausgezeich-
nete Niveauringe oder gar Niveaufurchen entstehen gleichfalls
nicht im Bereiche der Anlage des Centralnervensystemes.
Noch in der Gallerthülle befindliche Embryonen mit soeben
geschlossenem Medullarrohr zeigten dieselben Veränderungen,
aber intensiver, mit stärkerem Epithelabfall. Das positive Pol-
feld wurde zuerst weisslich,das negative schien wieder grösser.
Schon ausgeschlüpfte, sogar mit Kiemenfäden versehene Em-
bryonen bekamen unter Wirkung des Gleichstroms die beim
Wechselstrom ausführlich nach Ausdehnung, Lage und Rich-
tung erörterten Erscheinungen derFramboisia minor im Bereiche
der Polfelder.
Zur Vervollständigung des früher über die Wirkung des
Stromes auf die Richtung der normalen ersten Thei-
lungsebene des Eies mitgetheilten, bloss mit dem Wechsel-
strome angestellten Versuches, wiederholte ich jetzt dasselbe
Experiment mit dem maximalen ertragenen Gleichstrom.
Die Durchströmung begann 2 Stunden nach der Befruchtung
und dauerte 1 7* Stunden bis zum Auftreten der ersten Furche.
Der Strom war gerade so stark, dass die der Elektrode nächsten
Eier noch kleine Polfelder bildeten. Die ersten Furchen waren
jedoch wieder wie beim Wechselstrom vollkommen atypisch
gerichtet, und Hessen somit trotz 1 '/^stündiger Wirkungsdauer
Entwickelungsmechanik des Embryo. 53
in ihrer Richtung keine Beziehung zu den Kraftlinien des Strom-
feldes erkennen. Damit ist dargethan, dass auch der Gleich-
strom auf die Richtung der ersten Theilung des
Furchungskernes und des Eileibes eine bestimmende
Wirkung nicht auszuüben vermag.
Bei Ausdehnung der Versuche mit dem Wechselstrom auf
andere organische Objecte ergab sich zunächst ein positives
Resultat an der noch lebenden Gallenblase des Frosches.
Dieses annähernd kugelig gestaltete, 5 — 7 mm grosse Gebilde
lieferte nach Unterbindung des Ausführungsganges, bei praller
Füllung Polfelder, deren Grenzen typische Niveauflächen des um-
gebenden Elektrolyten darstellen. Je nach der Dicke der Wandung
kann man nach 1 — 4 Minuten die den beiden Polen nächsten
Theile durch grüne Farbe von dem blaugrauen Mittelstück sich
abheben sehen; bei fortgesetzter Durchströmung breitet sich
die diesen Farbenwechsel bedingende Exosmose der Galle
weiter aus; die grünen Polfelder werden allmälig grösser, um
dann, bei nicht zu starkem Strome auf gewisser Grösse stehen
zu bleiben, so dass das zwischen ihnen gelegene unveränderte
Äquatorband eine constante Breite erhält, welche in einem um-
gekehrten Verhältniss zur Stromstärke steht. Ist die Anordnung
sehr stark, so verschmelzen beide Polfelder zuletzt in der Mitte
mit einander. Ist umgekehrt der Strom sehr schwach, so bleiben
die Polfelder sehr klein, um bei gewisser Schwäche des Stromes
überhaupt nicht zu entstehen. Der Strom durchfliesst dann also
wieder den Gegenstand, ohne ihn in der beschriebenen Art zu
polarisiren. Ist das Wasser ein wenig mit Schwefelsäure, wenn
auch nur sehr schwach eingesäuert, so vollzieht sich die ganze
Veränderung in wenigen Secunden und die Polfelder werden
statt dunkel-, hellgrün. Durchströmt man eine in Wasser durch-
strömte, bereits polarisirte Gallenblase zum zweiten Male, recht-
winkelig zur früheren Richtung, so bildet sich, aber erst nach
längerer Durchströmung als vorher, auf den jetzt polaren Seiten
des Äquatorgürtels ein grünes Feld, jedoch bloss in der Mitte
des Äquatorbandes aus; die seitlichen Ränder, also die den Pol-
feldern der ersten Durchströmung anliegende Zone des Äqua-
tors, bleibt blaugrau, sie wird also nicht mehr diffusibel durch
den Strom. Während Erwärmen einer lebenden Gallenblase auf
54 W. Roux,
52*' C, wohl durch Tödtung des Epithels, bewirkt, dass schon
nach 4 Minuten die ganze Gallenblase grün ist, waren auch da-
durch die letzterwähnten, bei der zweiten Durchströmung un-
veränderlich gebliebenen Niveauringe nicht mehr für die Galle
diffusibel zu machen. Die gleiche Reation gibt die prallgefüllte,
unterbundene Gallenblase ganz junger Kaninchen, wenn
man sie quer oder schräg zum Strom stellt Diese Gallenblasen
sind länglich (9 — 11 mm lang, 2 — ^mm dick). Bei Längsein-
stellung derselben im Strom konnte ich mit meinem Wechsel-
strom keinen scharf abgegrenzten Äquator mehr hervorbringen,
wohl aber in den anderen genannten Einstellungen. Bei schräger
Einstellung entsteht das Polfeld jederseits zuerst an der der
Elektrode nächsten Stelle des gewölbten Endes der Blase und
breitet sich von da aus längs der Seitenkanten sowie nach oben
und unten aus, ohne aber das andere Ende der Blase zu er-
reichen. Daraus ergibt sich, dass an jedem seitlichen Ende bloss
ein Polfeld vorhanden ist, und dass der Äquator daselbst eine
Stelle einnimmt, welche fast direct gegen eine Elektrode gewendet
ist. Die einander parallelen Grenzen der Polfelder entsprechen
dabei nicht mehr, wie an der runden Gallenblase und an den
runden Eiern des Frosches, den Niveaulinien des umgebenden
elektrischen Feldes, sondern sie entsprechen dem oben für die
länglichen, aber sonst einfach gestalteten Embryonen Mitge-
theilten. Die Gallenblasen von Hühnern und Tauben sind sehr
dickwandig; darauf beruht es vielleicht, dass ich auch nach
Verkleinerung der Blase durch Abschnüren von Theilen der-
selben, keine deutlich abgegrenzten Polfelder erhielt, selbst
nicht, nachdem ich ihre Wandung durch Einlegen in warmes
Wasser geschwächt hatte. (Vergl. Taf. I, Fig. 12 und Erklärung.)
Auch das Frosch herz lässt bei derselben Versuchsanord-
nung eine polar localisirte Reaction erkennen. Die Polabschnitte
werden tonisch contrahirt und sind daher blass, die nicht con-
trahirte rothe Äquatorscheibe lässt annähernd die Richtung von
Niveauflächen hervortreten, besonders deutlich, wenn man drei
Herzen zugleich in concavem Bogen um eine Elektrode gru-
pirt. Das Herz mag seine Spitze, Basis oder eine Seitenfläche
der Elektrode zuwenden, die drei Äquatorscheiben, von denen
jede durch die ganze Herzsubstanz durchgeht, bilden zusammen
Entwickelungsmechanik des Embryo. 5o
ziemlich gut die Krümmung der Potentialniveauflächen dieser
Stelle des elektrischen Feldes. Doch liegt hier keine morpho-
logische, dauernde, sondern nur eine functionelle polar localisirte
Veränderung vor, beruhend auf der polaren Muskelerregung im
Sinne von Hering, Biedermann und Anderen. Immerhin ist
für uns die übereinstimmende Localisation von Interesse, wenn-
gleich diese Localisation zum Theil anders bedingt sich zeigt,
indem sie auch auf die Schattenseiten übergreift.
Nach diesen Befunden lag natürlich die Vermuthung nahe,
dass vielleicht auch in anderen organischen, lebenden oder
todten Gebilden, wenn nicht auch in anorganischen Körpern
der elektrische Strom bei geeigneter Spannung und Stärke für
die Qualität und Grösse des durchströmten Objectes und für die
Grösse der Differenz des Leitungsvermögens zwischen Men-
struum und Object eine der beschriebenen entsprechende Polari-
sation unter Zerlegung des Objectes in zwei Polabschnitte inten-
siverer Wirkung und einen zwischen ihnen gelegenen Abschnitt
geringster Wirkung, eventuell noch unter besonderer Äusserung
an den oberflächlichen Grenzlinien der drei Abschnitte her-
vorbringt Es ist aber nicht zu erwarten, dass alle lebenden Ob-
jecte vermögen, so sichtbar darauf zu reagiren, wie die Frosch-
eier es durch Bildung veränderter Polfelder und Bildung be-
sonders gefärbter Niveaugrenzlinien, respective wirklicher Fur-
chen thun, wie es ferner die jungen Froschembryonen durch das
Verhalten der Epithelzellen, sich in sich zu contrahiren und
daher den epithelialen Verband zu lösen bekunden, wie sie die
Wandung der Gallenblase durch ihre Eigenschaft, im Bereich
der Polfelder diffusibel, im Bereiche der Niveaulinien aber imper-
meabel zu werden erkennen lässt, und wie es das Froschherz
durch Contraction im ganzen Bereiche der Polabschnitte thut.
Obschon zu vermuthen ist, dass alle Organe des e r-
wachsenen Frosches und anderer erwachsener Wirbelthiere
von den Physiologen dem elektrischen Strom unterworfen
worden sind, ohne dass jedoch ein hieher gehöriges Resultat
mir bekannt wäre, so veranlasste mich doch der neue Befund an
der Gallenblase, diese Prüfung mit meinem Strom und meiner
Versuchsanordnung nochmals vorzunehmen. Ich durchströmte
daher mit dem Wechselstrom die Milz, Stücke der Leber, der
56 W. Roux,
Haut, der Nerven und das Auge, ohne dass eine sichtbare po-
lare Veränderung auftrat. Um eventuell entstandene unsichtbare
Verschiedenheiten nachträglich sichtbar zu machen, legte ich die
Organe in die zur Färbung der Gewebe üblichen Farbstoff-
lösungen, indess ohne Erfolg. Auch wenn die Organe schon
während der Durchströmung in der Farbstofflösung lagen, war
keine polare Färbungsdifferenz bei der blossen Loupenbesich-
tigung wahrzunehmen. Die mikroskopische Untersuchung der
Objecte steht noch aus. Dessgleichen Hessen mit Farbstoff-
lösung prall gefüllte abgeschnürte Theile der Harnblase und der
Lunge des Frosches nach der Durchströmung keine polar
localisirten Veränderungen erkennen.
III. Abschnitt.
Nachdem in den vorstehenden beiden Mittheilungen einige
neue Erscheinungen in der Reihenfolge ihrer Ermittelung vor-
geführt worden sind, ist es unsere Aufgabe, ihnen ihren Platz
unter den Gruppen bereits bekannter Erscheinungen anzu-
weisen. Da kann wohl kein Zweifel sein, dass wir es in diesen
typisch gestalteten Reactionen der Froscheier und -Embryonen
auf den elektrischen Strom mit Veränderungen zu thun haben,
die sich trotz mannigfacher neuer, fremder Züge aufs Engste
an die Entdeckung W. Kühnes* anschliessen, dass die Pro-
tisten durch den elektrischen Strom polar erregt und eventuell
auf der Polseite zerstört werden.
Reizte Kühne eine Amöbe mit dem Gleichstrom, so wurde
der der Anode zugewendete Theil der Amöbe trüb und ver-
wandelte sich in eine wie körniger Sago aussehende Substanz.
Der der Kathode zugewendete Theil dagegen zeigte in seinem
Innern und an seiner Oberfläche vielfache Blasenbildung. Auch
die von Kühne beobachtete, nicht deutlich polare Reaction der
Amöbe auf den Inductionsstrom ist für uns von Bedeutung.
Wurde eine Amöbe wiederholt mit nicht zu starken Inductions-
strömen gereizt, so contrahirte sie sich zu einer bewegungslosen
Kugel, welche undurchsichtig und trüb wurde und endlich einen
kugelig geronnenen Klumpen darstellte. Bei Reizung mit einem
1 W. Kühne, Untersuchungen über das Protoplasma und die Contrac-
tilitat, Leipzig, 1864.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 57
Starken Strom platzte da^ Thier und entleerte seinen Inhalt zum
grossen Theil.
Noch bedeutsamer sind für uns die Beobachtungen W.
Kühne's an Actinophrys Eichhornii (p. 56 u. f.). Auf Ein-
wirkung eines schwachen Inductionsstromes werden bei diesem
Protist bloss die gegen die Elektroden gewendeten Fortsätze ein-
gezogen, während die seitlich am Thier entspringenden, recht-
winkelig zum Strom orientirten Fortsätze unverändert bleiben.
Auch zerplatzen nur auf den Polseiten des Thieres die Blasen
der Rindensubstanz desselben. Wo der Strom eintritt, ist selbst
bei minimaler Reizung die Erscheinung ebenso wie da, wo er
austritt; und nur diejenigen Randtheile, deren Strahlen recht-
winkelig zur Stromrichtung stehen, bedürfen mächtigerer Rei-
zungen, um in Bewegung zu gerathen (p. 59). Im Gleichstrom
wird der der Anode zugewendete Theil des Organismus einge-
schmolzen, zerfällt zu einem Brei, während der kathodische
Theil (beim Einschleichen in den Strom) unverändert bleibt.
Beim raschen Stromschluss, sowie beim Unterbrechen des
Stromes fand an diesem Theile Einziehung der Pseudopodien
und Platzen einiger Blasen statt. Die zum Strome rechtwinkelig
stehenden Strahlen bleiben jedoch auf dem wohlerhaltenen seit-
lichen Rande des Protist stehen, sofern nicht besonders starke
Ströme verwendet werden. Ausser der Einziehung der Pseudo-
podien, dem Zerplatzen der Blasen führt Kühne auch den Zer-
fall auf der Anodenseite des Thieres auf Contraction des Proto-
plasmas zurück.
Auch für Nerven und Muskeln ist die polare Natur. der
elektrischen Erregung dargethan. Pflüger, v. Bezold, Engel-
mann, Hering, Biedermann u.A. haben das Gesetz erwiesen,
dass die Erregung bei der Schliessung des galvanischen Stromes
von der Kathode, bei Öffnung von der Anode ausgeht.
Der in diesen Angaben sich aussprechende Gegensatz
zwischen der specifischen Localisation der Schliessungs- und
ÖfTnungserregung an den Polen bei dem erwähnten Protist
gegenüber dem Verhalten der Nerven und Muskeln wurde be-
stätigt durch eine jüngste Arbeit Max Verworrns,* welcher
1 M. Verworrn, Die polare Erregung der Protisten durch den gal-
vanischen Strom. Pflüger's Archiv f. Physiologie, Bd. 45 u. 46.
58 VV. Roux,
Autor an einer ganzen Reihe von Protisten die Angabe Kühne's
bestätigte. Doch fand er auch einige Flagellaten und Ciliaten,
welche nebst den Bakterien auf der Kathodenseite die Schlies-
sungserregung darbieten. Bei Anwendung deslnductionsstromes
beobachtete Verworrn gleich Kühne auf beiden Polseiten
einen körnigen Zerfall, während der mittlere Theil des ein-
zelligen Organismus zunächst unverändert blieb.
Meine mitgetheilten Versuche mit dem Gleichstrom zeigten,
dass die Froscheier ähnlich Actinosphärium bei geschlossenem
Strome zuerst und am stärksten auf der Anodenseite alterirt
werden, und dass erst erheblich später eine weniger starke
und oft weniger scharf begrenzte Veränderung auf der Katho-
denseite stattfindet.
Über die besondere Wirkung des Stromschlusses, respec-
tive der Stromunterbrechung habe ich keine Versuche gemacht,
was bei der von mir beobachteten Reactionsweise wohl auch
schwerer möglich gewesen wäre, immerhin aber durch Ein- und
Ausschleichen hätte geschehen können. Meine Versuche sollen
nicht die Beispiele über die specielle Localisation der Schlies-
sungs- oder Öffnungsveränderung auf die Kathoden- oder
Anodenseite vermehren; sondern der Schwerpunkt derselben
liegt in der neuen Art der Reaction eines auch noch nicht als
reactionsfähig bekannt gewesenen lebenden Materiales, beson-
ders aber in der scharf umgrenzten, typisch gestalteten Loca-
lisation dieser Reaction, welche letztere bei unserem Material
so scharf umschrieben, so bestimmt gestaltet auftritt, dass sie
unwillkürlich zur eingehenderen Betrachtung und zur Frage
nach ihren Ursachen auffordert und vielleicht auch den Physio-
logen Gelegenheit geben wird, den Ursachen der polaren Natur
der elektrischen Erregung etwas näher zu treten.
Es wird zunächst unsere Aufgabe sein, die Ausdehnung
des Vorkommens bezüglicher Veränderungen des Weiteren zu
ermitteln und zugleich festzustellen, ob etwa noch Variationen
der Art und Localisation auftreten, welche uns einen weiteren
Blick in das Wesen der Vorgänge zu thun gestatten.
Da jedoch die besprochenen Reactionen embrj'onaler Proto-
plasten auf den elektrischen Strom mit denjenigen Vorgängen,
auf welchen, die mich speciell angehenden normalen Gestal-
Entwickelungsmechanik des Embryo. 59
tungen der Organismen beruhen, nur in geringer Beziehung zu
stehen scheinen, so beabsichtige ich nicht, die neuen Erschei-
nungen bis in's Letztmögliche zu verfolgen.
Ehe wir weiterschreiten, seien einige Termini erläutert,
deren Gebrauch die Darstellung in diesem grösseren Abschnitte
verkürzen wird.
Unter den Polen eines durchströmten Gebildes wird jeder-
seits die der Elektrode dieser Seite nächste, also gegen die
Elektrode vorspringende Stelle verstanden. Die Polseiten
sind die gegen die Elektroden gewendeten Seiten eines Ge-
bildes. Als Polmeridiane werden die über die Oberfläche des
betreffenden Gebildes von Pol zu Pol gezogenen Linien mini-
maler Krümmung benannt. Das Polfeld bezeichnet den Pol
und dessen Umgebung, wenn, respective soweit die Theile durch
den Strom polar verändert worden sind. Polabschnitt sei
der Abschnitt des durchströmten Objectes, der etwa durch eine
Fläche minimaler Krümmung abgetrennt wird, welche durch
die Grenzlinie oder, wenn sie vorhanden ist, durch die Grenz-
furche des Polfeldes hindurch gelegt werden kann. Die beiden
Flächen fassen zwischen sich die Aquatorscheibe. Wenn
vom Äquator gesprochen wird, so ist immer der von den Pol-
feldern flankirte mittlere Theil der Oberfläche des durchströmten
Gebildes, also genauer der elektrische Äquator gemeint; und
unter der Breite des Äquators verstehen wir immer seine
Ausdehnung in Richtung des Stromes. Da letzterer bei unserer
wagrechten Anordnung der Elektroden zu einander, und bei
der wagrechten Stellung unserer Schalen immer in wagrechter
Richtung verläuft, so ist der Äquator, soweit er Niveauflächen-
richtung des ganzen Feldes hat, immer senkrecht orientirt.
Bei Anwendung des Gleichstroms wird das der Anode zu-
gewendete Polfeld als positives oder anodisches, das der
Kathode zugewendete als negatives oder kathodisches
Polfeld der Kürze halber bezeichnet, ohne dass damit irgend
etwas über die anodische oder kathodische Natur dieser Pol-
felder angedeutet sein soll. Dasselbe gilt von der Bezeichnung
der beiden Polseiten eines Gebildes.
Von dem »elektrischen Äquator« ist zu unterscheiden der
Eiäquator, worunter man am Frosch- und Tritonei die, bei
6ü W. Roux,
gewöhnlicher Einstellung des Eies wagrechte Grenzzone des
oberen, pigmentirten: braunen oder schwarzen, mehr protoplas-
matischen und daher specifisch leichteren Eiabschnittes gegen
den unteren, hellen, mehr aus den specifisch schwereren
Dotterkörnern gebildeten, bald grösseren, bald kleineren Ei-
abschnitt versteht. Diese beiden, gewöhnlich ungleich grossen
Eiabschnitte werden als obere, braune oder dunkle, und
untere, helle Hemisphäre bezeichnet. Unter Ei axe versteht
man die gerade Verbindungslinie der Mittelpunkte der Ober-
flächen beider Hemisphären.
Ferner seien noch einige Termini der ersten Entwicklungs-
stufen kurz erläutert. Das in eine grössere Zahl von ab-
gerundeten und entsprechend nach aussen sich vorwölbenden
Zellen zertheilte Ei führt wegen seiner Ähnlichkeit mit einer
Maulbeere den Namen Morula. Es hat in seinem Innern eine
kleine Höhle. Ist diese Höhle gross geworden, so heisst das Ei
Keimblase s. Blastula; dabei sind zugleich die Zellen so klein,
dass man sie mit unbewaffnetem Auge nicht mehr gut erkennt.
Das nächste, gleichfalls noch kugelig gestaltete Stadium heisst
Bauchlarve s. Gastrula und entsteht unter Bildung einer
neuen, mit der Aussenwelt communicirenden Höhle im Innern;
die Mündung dieser Höhle heisst derUrmund. Danach wird
aussen eine lange Furche am Ei gebildet, die Medullar-
furche, deren beide Ränder sich einander nähern, schliesslich
vereinigen. Das so aus der inneren Wandung der Furche her-
vorgegangene Rohr ist das Medullarrohr, die Anlage des
Centralnervensystems. Diese Entwickelungsstufe führt bereits
den Namen Embryo. Derselbe ist nicht mehr kugelig, sondern
länglich und an den Seiten abgeplattet; er besteht schon aus drei
Keimblättern, dem äusseren oder Ectoblast, dessen das
Medullarrohr bildender Theil als Medullarplatte bezeichnet
wird, zweitens dem inneren oder Entoblast, welches die
Auskleidung des Darmcanals und seiner Derivate bildet; und
zwischen diesen beiden Blättern findet sich das mittlere Keim-
blatt oder das Mesoderm. Die weiterhin mitgetheilten Versuche
an Froscheiern erstrecken sich allein auf den grünen Wasser-
frosch (Rana esailcnta)^ der aus dem Etschthal bezogen war,
da die zu den Versuchen der früheren Mittheilungen fast aus-
Entwickelungsmechanik des Embryo. 61
schliesslich verwendeten Eier des braunen Grasfrosches (Rana
fusca) nicht mehr brauchbar waren.
Für gewöhnlich wurde mit dem Wechselstrom ge-
arbeitet; daher ist immer da, wo einfach von Strom die Rede
ist, der Wechselstrom gemeint. Da die Herrichtung der Bunsen-
schen Batterie natürlich besondere Umstände und Kosten ver-
ursachte, so wurden mit dem Gleichstrom nur wenige Ver-
suche gemacht. Erst später gelang es mir, eine Einrichtung zu
treffen, um aus dem mir zur steten Verfügung stehenden
Wechselstrom einen Gleichstrom zu gewinnen; was eine grosse
Bequemlichkeit darstellt. Indess besitzt der Apparat noch Män-
gel, deren Beseitigung zunächst anzustreben ist. Die Durch-
strömung fand, wenn nicht anders vermerkt, in runden Glas-
schalen und in Wasserleitungswasser statt. Das Instrumentarium
bestand in Platinelektroden, einem Stromschalter, einem etwas
trag reagirenden Federbart-Galvanoskop, welches nur grobe
Schätzungen der Stromstärken von Vio Ampere und darüber
gestattete, so dass es bei den grossen Widerständen meiner Objecte
meist nicht reagirte, und einem Amperemeter mit Theilung von
1 — 12 Amperes. Letztere beiden Instrumente, sowie die Bunsen'-
schenElemente verdanke ich der Güte des Herrn Collegen Wass-
muth, des interimistischen Vorstandes des k. k. physikalischen
Institutes der Universität. Leider erst gegen den Schluss der
Untersuchungen Hess ich mich herbei, ein Horizontalgalvano-
meter von Reiniger, Gebbert und Schall in Erlangen, welches
von 7io — ^ Milliampere getheilt ist, sowie oblonge Glasschalen
anzuschaffen, womit dann manche, neuen Aufschluss gewäh-
rende Versuche ermöglicht wurden.
An Protisten begonnene Versuche gab ich sofort als un-
nöthig auf, nachdem ich die obencitirten ausgedehnten Unter-
suchungen Verworrn's kennen gelernt hatte. Ich theile daher
nur einige Versuche an dem gleichfalls von Verworrn geprüften
Aethalium sepiicum mit, obschon ich von diesem Materiale
noch nicht das geeignete Entwickelungsstadium angetroffen
hatte, und daher nur einige, zum Theile eigentlich nicht hieher
gehörige Beobachtungen an ihm gemacht habe.
Ich fand, dass die aus der Lohe nach dem Regen entnom-
menen Theile der Lohblüthe sich sehr verschieden gegen den
62 W. Roux,
Wechselstrom verhalten. An Stückchen mit amöboiden Fort-
sätzen wurde manchmal beim Stromschluss die Rinde jedes
freien Fortsatzes gesprengt, und während der Dauer des Stromes
fand ein Ausströmen von Inhalt statt, welches mit der Strom-
unterbrechung cessirte, mit dem neuen Schlüsse wieder ein-
setzte. Bei anderen, anscheinend gleichen Fortsätzen blieb
jedoch diese Reaction aus. Bloss einmal trotz vieler Versuche
beobachtete ich an zwei solchen Fortsätzen auf der, einer
Elektrode frei zugewendeten Seite unmittelbar nach dem Strom-
schlusse eine Bildung von Kerben und danach von glänzenden
Körnern von 3*5 (x Grösse an dieser Stelle der 35 — 70 |x messen-
den Fortsätze eines Klumpens von OAmm Durchmesser. Später
trat blasige Entartung dieser Fortsätze ein. Die Protoplasma-
körnchen mancher Fortsätze werden während des Purch-
strömens stärker sichtbar, anscheinend durch Aufhören eines
nach der Durchströmung vorhandenen minimalen Zitterns der
Substanz. Ähnlich gibt W. Kühne (l. c. p. 31) an, dass bei
der Durchströmung der Amöben mit dem Inductionsstrome die
Körnchenbewegung in denselben aufhört.
Nicht selten findet man durch dunkle Kömer schwach
bräunlich gefärbte Protoplasmakugeln von 84 — 100 |jl, die sich
während der Durchströmung durch zwei parallele Furchen
einschnüren, so dass ein der unten mitgetheilten Anfangs-
reaction der Fischeier sehr ähnliches Bild entsteht; jedoch
kommen bei Aethalium diese Bildungen auch ohne Durch-
strömung häufig vor.
Von Evertebraten prüfte ich nur das Verhalten der Hydra
ftisca an einigen Exemplaren, welche ich der Güte des Herrn
Collegen von Lenden feld verdanke. Sie reagirten gleichfalls
deutlich polar. An den direct bestrahlten Polseiten fand Contrac-
tion der Zellen unter Entleerung ihres Inhaltes statt; ein Vor-
gang, dessen allmäliges, von beiden Polen ausgehendes räum-
liches Weiterschreiten am Thiere bei wiederholten momentanen
Stromschliessungen deutlich verfolgt werden konnte. Die Zellen
der Aquatorgegend blieben längere Zeit unversehrt. In den
Polfeldern fand zuerst eine Schichtensondenmg statt, welche
genauere Untersuchung verdient.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 63
Frosch.
Zu den Amphibien zurückkehrend, sei zunächst als Fort-
setzung der Ausgangsbestrebungen der vorliegenden Unter-
suchung über einige Versuche zur Ermittelung eventueller Ein-
wirkung des Wechselstromes auf die Besamungs-
richtung des Eies, sowie auf die Copulationsrichtung
des Eikernes und Samenkernes berichtet, wobei zugleich
auch eine für unsere zweite Aufgabe wichtige Beobachtung
gemacht wurde.
Um nicht etwa einen Einfluss des Wechselstromes bloss
auf die Bewegung der Samenkörper innerhalb der Gallerthülle
der Froscheier festzustellen, da das zuerst an der schwarzen
Ei rinde ankommende Samenthierchen das Froschei befruchtet,
sondern um den Einfluss des Stromes auf die Besamung des
Eies zu ermitteln, wurden Eier des grünen Frosches erst zehn
Minuten nach der Begiessung mit Samen (also zu einer Zeit,
da die Samenkörper die Gallerthülle schon bald durchdrungen
haben und an das Ei selber gelangen) mit dem, durch Ein-
schaltung der 8\cm langen, mit V^procentiger Kochsalzlösung
gefüllten Röhre geschwächten Strom in constanter Richtung
durchströmt. Es konnte sich dabei herausstellen, dass etwa die
Samenkörper leichter an den Polen oder an dem elektrischen
Äquator eintreten, was daran zu erkennen gewesen sein würde,
dass die später auftretende erste Theilungsebene des Eies durch
diese Stelle hindurch ginge; denn ich habe früher experimentell
nachgewiesen,* dass bei zwanglos gehaltenen Froscheiern die
erste Theilungsebene (welche zugleich das Ei halbirt und senk-
recht steht) durch die Eintrittsstelle des Samenkörpers in das
Ei hindurch geht. Die Durchströmung wurde fortgesetzt, bis die
Eier sich nach 32 Minuten mit den hellgelben Hemisphären
nach unten gedreht hatten, also bis zum ersten äusseren
Zeichen der erfolgten Befruchtung. Als nach 2*/^ Stunden die
erste Theilung eintrat, standen jedoch die Theilungsebenen der
Eier ohne jede constante Richtung zu den Stromlinien.
1 W. Roux, Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo, Nr. 4*
Die Bestimmung der M'edianebene des Froschembryo durch die Copulation des
Eikernes und des Spermakemes. Arch. f. mikroskop. Anatomie, Bd. 29, 1887.
64 W. Roux,
Unmittelbar nach der Stromunterbrechung in dieser Schale
wurde mit demselben Strom eine andere Schale durchströmt,
deren Eier sich soeben gedreht hatten. Es geschah, um zu
prüfen, ob die Stromrichtung auf die Richtung der nun folgenden
Vereinigung des Samenkernes und des Eikemes wirke, welche
Vereinigungsrichtung, wie ich loco cit. gezeigt habe, gleichfalls
die Richtung der ersten Furche zu beeinflussen vermag. Nach
27^ Stunden lang fortgesetzter Durchströmung trat die erste
Theilung ein; aber die Richtungen dieser Theilungen Hessen
wieder keine Beziehungen zu den Stromrichtungen erkennen.
Da ich in Abschnitt I, S. 37 dargethan habe, dass der Wechsel-
strom nach stattgehabter Copulation dieser Kerne nicht
richtend auf die erste Theilung des Furchungskernes, sowie auf
die des Zellleibes der Eier zu wirken vermag, so hätte eine
jetzt hervorgetretene Constanz in der Stellung dieser ersten
Theilungsrichtung zur Stromrichtung eine Einwirkung des
Stromes auf die Copulationsrichtung erschliessen lassen.
Während dieser langdauernden Durchströmunghatten bloss
die den Elektroden nächsten Eier Polfelder, und zwar bloss von
sehr geringem Umfange gebildet. Es erhellt also, dass die
anderen, ferner stehenden Eier mit der stärksten noch ertragenen
Stromdichte behandelt worden waren. Da damit aber keine
richtende Wirkung auf die Besamungsrichtung und auf die
Copulationsrichtung erzielt worden ist, so geht hervor, dass
der Wechselstrom eine richtende Wirkung auf diese
Vorgänge überhaupt nicht auszuüben vermag; und da
die Durchströmung auf die Periode der Theilung des durch die
Copulation gebildeten Furchungskernes und des Zellleibes aus-
gedehnt worden war, so ist zugleich auch die Unwirksamkeit
des Wechselstromes auf die Richtung dieser Vorgänge aufs
Neue bestätigt worden.
Die mit Polfeldern versehenen Eier zeigten zugleich ein
interessantes Verhalten ihres Äquators. Dieser fast die
ganze Eioberfläche einnehmende Äquator war hell geworden
und in der Richtung von Polmeridianen braun gestreift,
siehe Fig. 4. Die so veränderten Eier hatten die erste Furche
nicht gebildet.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 65
Die daran sich anreihenden Eier in der Mitte des Strom-
feldes hatten bloss punktförmige Polfelder gebildet und besassen
im Äquator die erste Furche, welche wieder, wie schon im
ersten Abschnitte einmal beobachtet und mitgetheilt ist, in der
Mehrzahl der Fälle (an 20 von 30 Eiern) die Polfelder direct
verband. Bei den übrigen Eiern aber, welche keine äussere Ver-
änderung durch den Strom erkennen Hessen, standen die ersten
Furchen in beliebigen Richtungen durcheinander.
Die früheren Mittheilungen über Froscheier bezogen sich
fast ausschliesslich auf den braunen Grasfrosch, die nachfol-
genden dagegen ausschliesslich auf den grünen Wasserfrosch,
Rana esculenta. Diese Froscheier sind mir von früher her als
die weit empfindlicheren bekannt; und dementsprechend traten
auch unter den vorliegenden Verhältnissen einige Reactionen
stärker auf. Ausserdem gestattet die hellbraune Färbung eine
genauere Beobachtung der Veränderungen der oberen Hemi-
sphäre, als sie bei den schwarzen Eiern der anderen Species
möglich war. Drittens wurde jetzt, nachdem in den früheren
Beiträgen die Hauptzüge des Bildes der Veränderungen fest-
gestellt waren, die Aufmerksamkeit mehr den Einzelheiten
zugewendet und dadurch eine principiell wichtige Erweiterung
unserer Kenntniss der bezüglichen Reactionen gewonnen.
Auch für die Eierstockseier von Rana esculenta
bestätigte sich, was ich früher von denen dtrRanafusca ange-
geben habe; nämlich, dass der Äquator um so grösser ist, je
kleiner die Eier sind. Während z. B. ein Ei von 1 '7 mm Durch-
messer bei 10 Minuten langer Durchströmung einen Äquator
von bloss 0'\6 mm, also von 9% ^^t, ist ceteris paribus der
Äquator eines Eies von 0*37 ww, 0*24 tw#w, also 64^/^ breit.
Dies verschiedene Verhalten rein protoplasmatischer und ande-
rerseits dotterkömerhaltiger Eier entspricht der an reifen Eiern
gemachten Beobachtung, dass der Äquator im Bereiche der
oberen braunen Hemisphäre deutlich breiter ist, als im unteren,
vorzugsweise aus Nahrungsdotter bestehenden Theile, sowie
dass bei abnormer Stellung des Eies mit der braunen Hemi-
sphäre statt nach oben, seitlich gegen eine Elektrode hin, das
braune Polfeld viel kleiner wird als das helle. An den noch
durchscheinenden, also noch nicht nahrungsdotterhaltigen
SJUb. d. mathem.-naturw. Cl.; CI. Bd. Abth. HI. 5
66 W. Roux,
Eiern bis herab zu einem Durchmesser von z. B. 0'29fnm sind
die, letzteren Falles bloss 0' 04 mm breiten, Polfelder durch
Trübung des Protoplasmas und scharfe, ebene, parallele Ab-
grenzung der Trübung gegen den 0*21 mm breiten Äquator
vollkommen deutlich. An noch kleineren Eiern (die kleinsten
messen 0-12 mm) konnte ich auch mit Zeiss' Objectiv A keine
Polarisation erkennen. Jedoch auch grössere Eier, welche so
trocken lagen, dass sie nicht von ein wenig Gewebesaft um-
geben waren, Hessen gleichfalls keine Reaction erkennen.
Veränderungen der ungetheilten reifen Eier von R.
esculenta : Nur bei kurzdauernder Durchströmung ist im Bereiche
der braunen Hemisphäre der Äquator breiter und nimmt bis zum
Beginne der unteren hellgelben Hemisphäre stetig an Breite ab,
um auf dieser letzteren dann gleich schmal zu bleiben, s, Fig. 1.
Bei längerem Durchströmen dagegen wird er oben schmaler,
oft so schmal, dass bloss eine Furche übrig bleibt. Diese nach-
trägliche Veränderung ist bei Rana esculenta durch die Über-
wölbung der Polabschnitte über den Äquator und durch das
Aufsteigen aus ihnen ausgetretener Substanz bedingt. Auf der
unteren Hemisphäre sind oft ganz deutliche weisse Niveaulinien
oder schon Niveaufurchen vorhanden, ehe die Polfelder selber
merklich weisser geworden sind; die Niveaulinien sind also
Stellen erster stärkster Veränderung. Der Äquator ist auf der
unteren Hemisphäre oft weisser als die schwach gelblich geblie-
benen Polfelder. Auch oben wird der Äquator oft heller durch
Wegwanderung des braunen Pigmentes von den Rändern, so
dass eswieder bloss inderMittedesÄquators noch als einbrauner
Streif vorhanden ist, während unten der anfangs noch in der
Mitte des Äquators verbliebene gelbliche Streifen bald unter
zunehmender Verschmälerung verschwindet.
Bei sehr schwachem Strom dagegen bilden die un-
getheilten Eier nur ein oder mehrere Extraovattröpfchen an
den beiden Polen des Eies. Sind mehrere Extraovate ent-
standen, so liegen sie manchmal in einer wagrechten Linie,
nahe am Eiäquator, manchmal auch in einer senkrechten Linie,
manchmal in unregelmässiger Anordnung um den Pol; ein
Verhalten, welches also auf verschiedene örtliche Disposition
Entwickelungsniechantk des Embrj'o. 67
der Eier zur Bildung der Extraovate, respective zur Durch-
brechung der Eirinde hinweist.
Über die Dauer dieser Reactionsfähigkeit wurden noch
einige Beobachtungen gemacht
Vier Tage lang in Wasser gestandene, unbefruchtete, schon
hochgradig zersetzte vacuolisirte Eier, bei welchen schon Öl
sich ausgeschieden und oben angesammelt hatte, bildeten noch
schöne Niveauringe, innerhalb deren die Eirinde auch auf-
platzte und Eiinhalt austreten Hess. Diese noch reagirenden
Eier hatten aber noch den schwach gelblichen und schwach durch-
scheinenden Ton der Eirinde; während bloss drei Tage alte, auf
Eis gestandene gleichfalls unbefruchtete Eier, die ihren gelb-
lichen transparenten Ton verloren hatten und daher oben
opakbraun oder grauweiss, unten opak weisslich waren, nicht
mehr reagirten; dasselbe war der Fall bei vollkommen un-
verfärbten, aber durch Carboldämpfe vergifteten Eiern. An oben
zersetzten und daselbst nicht mehr deutlich reagirenden Eiern
kommt es vor, dass sich auf der unteren Hemisphäre noch
deutliche Niveaufurchen bilden; die Reaction ist also ein localer,
nicht ein vom ganzen Ei vermittelter Vorgang.
Die Polfeldergrenzen verlieren ihre den Niveauflächen des
umgebenden homogenen elektrischen Feldes entsprechende
Richtung, wenn die runde Gestalt der Eier erheblich alterirt
wird. Sind z. B. die Eier während der Durchströmung zwischen
parallele ebene Glasplatten gepresst und dadurch abgeplattet,
so ist der Äquator zwar an den Rändern noch parallel
contourirt, an den abgeplatteten Flächen dagegen stark, fast
zu einer runden Scheibe verbreitert, und die Polfelder sind
demnach etwa viertelmondförmig (s. Fig. 14). Werden die Eier
in enge Glasröhren aspirirt und dadurch mannigfach deformirt,
so erhalten keilförmig gestaltete, etwas schief zur Röhre
stehende Eier beim Durchströmen einen keilförmigen Äquator:
ovale schiefstehende Eier bilden einen stark schief zur Haupt-
richtung des Stromes stehenden, aber noch parallel con-
tourirten Äquator.
Bei der Beurtheilung dieses neuen Verhaltens ist jedoch
daran zu denken, dass zwei Componenten zugleich geändert
worden sind, ausser der Gestalt des Eies auch die Gestalt
5*
68 W. Roux,
des sie umgebenden elektrischen Feldes. Wir werden später
die besonderen Wirkungen jeder dieser beiden Componenten
getrennt zu beurtheilen Gelegenheit nehmen.
Zwischen parallele ebene Glasplatten gepresste Ga-
st r u l a e können, trotz gleich grosser Abplattung als an den
eben erwähnten Eiern, gleichwohl noch einen parallel, gerad-
linig contourirten Äquator bilden; wobei man sich wohl daran
zu erinnern hat, dass die Gastrulae gewöhnlich eine dicker
gequollene Gallerthülle besitzen als die noch ungetheilten
Eier. Doch kommt an solchen Gastrulae auch die erwähnte
centrale Verbreiterung des Äquators vor, stark ausgesprochen
jedoch bloss, wenn die Gastrula beim Pressen aufgeplatzt ist
und danach ihre beiden durch Pressung entstandenen Flächen
eingesunken sind, wie die Seiten eines rothen Blutkörperchens.
Die Extraovate ungetheilter oder erst einige Mal
getheilter, angestochener oder gepresster Eier sind immer
nackt, das heisst nicht mit der typischen elastischen Eirinde
überzogen. Trotz aller Sorgfalt in der Beobachtung ist es mir nicht
gelungen, eine Bildung von Polfeldern an dieser frisch ausgetre-
tenen Eisubstanz wahrzunehmen. An Extraovaten gepresster
Gastrulae dagegen konnte ich wiederholt sehen, dass sie ein
Polfeld oder bei geeigneter Lage zwei durch einen unveränderten
Äquator getrennte, gleich denen der Gastrula selber grau ver-
färbte Polfelder bildeten. Das Extraovat steht in diesen Fällen
mit der Gastrula noch im Zusammenhang und bildet nur dann
zwei Polfelder und einen eigenen Äquator, welcher stets mit
dem der Gastrula zusammenhängt, wenn das Extraovat seitlich
vom Stammtheil, also in denselben Niveauflächen mit ihm
gelegen ist. Ist dagegen das Extraovat, vom Stammtheil aus ge-
rechnet, schiefzur Stromrichtung gelegen oder gar einer Elektrode
zugewendet, so bildet es biossein einziges, demdesStammtheiles
zugehöriges Polfeld. Das Gemeinsame aller, sichtbare Polfelder
bildenden Extraovate aber ist, dass sie noch einen Epithelüberzug
von der Gastrula besitzen; und nur soweit dieser vorhanden ist,
findet erkennbare Reaction statt. Dies scheint anzudeuten, dass
nackte Extraovate desshalb nicht reagiren, weil ihnen ein reac-
tionsfähiger Überzug fehlt. Indess habe ich an Eiern, welche in
enge Glasröhren aspirirt und dabei aufgeplatzt waren unter Ent-
Entwickelungsmechanik des Embryo. 69
leerung des grössten Theiles ihres Inhaltes, trotz des Vorhanden-
seins der längsgefalteten Eirinde am mittleren Theile, welche
jede Veränderung gut hätte wahrnehmen lassen, beim Durch-
strömen keine polaren Veränderungen beobachten können.
Einmal hatte ich ein seltenes, theoretisch besonders wich-
tiges Verhalten zu beobachten Gelegenheit. Unter den Eiern
eines Weibchens fanden sich zwei Eier, welche durch eine
gemeinsame äussere Gallerthülle mit einander vereinigt waren,
•der Art, dass sie gegen einander abgeplattet und nur durch eine
Ciallertlage von ein Drittel des Eidurchmessers von einander
getrennt waren. Siehe Fig. 5. Ich durchströmte dieselben, um das
Specifische dieses Falles möglichst zu verwerthen, in Richtung
ihrer Verbindungslinie und erhielt an jedem Ei ein grosses, je
<iie halbe Eioberfläche einnehmendes, äusseres und ein kleineres,
dem des anderen Eies zugewendetes, inneres Polfeld; letztere
beiden nahmen ausser der Abplattungsfläche nur noch einen
schmalen Saum der angrenzenden, gewölbten Fläche ein. Beide
Polfelder jedes Eies waren durch einen parallel contourirten
Äquator von einander getrennt. Derselbe Frosch bot noch zwei
mit einander, aber weniger nahe, durch ihre Gallerthüllen ver-
'einigte Eier dar, so dass dieselben sich nicht an einander
abplatteten. Siehe Fig. 6. Beim Durchströmen auch dieser in der
Verbindungsrichtung entstanden wieder zwei äussere grössere,
und zwei gegen einander gewendete, kleinere Polfelder; doch
waren hier, bei grösserem Abstände der beiden Eier, die Breiten-
unterschiede der inneren und äusseren Polfelder nicht so
erheblich als bei den ersteren einander näheren Eiern.
Gehen wir nun zu dem eigenthümlichen Verhalten der e i n-
oder mehrfach getheilten Eier über.
Bei genauerer Betrachtung und Erwägung der in der
ersten Mittheilung schon kurz erwähnten Reactionen in mehrere
Zellen getheilter Eier, erkannte ich, dass darin eine Special-
polarisation der einzelnen Zellen sich ausspricht. (Siehe
Fig. 7-11.)
Ich nahm daher Gelegenheit, dieses fundamentale Verhalten
des Weiteren kennen zu lernen.
An dem in zwei und mehr Zellen getheilten Ei, ebenso wie
an der Morula und noch an der schon in kleine Zellen zerlegten
70 W. Roux,
Blastüla beobachtete ich, dass jede Zelle der Eioberfläche für
sich polarisirt wird; dies derart, dass die bloss an den Polseiten
des Eies liegenden Zellen je ein von aussen sichtbares Polfeld
erhalten, welches dem Pole dieser Seite des Eies zugewendet ist,
während der Äquator den distal vom Pol gelegenen Theil der
freien Oberfläche der Zelle einnimmt. Die Polfelder neben einan-
der liegender Zellen formiren die auf Seite 35 erwähnten concen-
trischen Ringe um den Pol, welche Ringe aber durch die unregel-
mässige Lagerung der Zellen sich aus lauter Bruchstücken
zusammensetzen. Die im Polmittelpunkte gelegene Zelle, hat ihr
Polfeld in der Mitte der Zelle, ihren Äquator ringsum und unter-
scheidet sich damit von den anderen Zellen. Die Zellen, welche
in der Mitte zwischen beiden Polen, also am elektrischen Äquator
des Eies liegen oder den Äquator von aussen her noch erreichen
(siehe Fig. 35 und 36) und zugleich, wie es nach den ersten
Theilungen und noch bei der Morula der Fall ist, so stark sich
verwölben, dass sie von beiden Elektroden aus, durch direct aus
dem Elektrolyten stammende Stromfäden, unter keiner oder nur
geringer Ablenkung derselben von ihrer Bahn im Elektrolyten
getroffen werden können, bilden bei genügend starkem Strom
gegen jede Elektrode hin ein Polfeld aus, zwischen welchen
beiden der Zelläquator gelegen ist. Dies geht so weit, dass auch
neben der äquatorialen Mittelebene, z. B. auf der linken
Hälfte des Eies,also gegen die linke Elektrode liegende Zellen,
wenn die rechts neben ihnen liegenden Zellen gerade eine Lücke
lassen, durch welche also Stromfäden von der rechten Elektrode
die erstere Zelle treffen können, diese Zelle dann ausser ihrem
grossen linken, noch ein deutliches, wenn auch entsprechend
kleineres, rechtes Polfeld ausbildet. Aber auch anders gelagerte,
zweite, kleine Zellpolfelder, welche offenbar eine etwas andere
genetische Bedeutung haben, kommen vor (siehe Fig. 8 und 10):
An erst in zwei, vier oder acht Zellen getheilten Eiern sieht
man bei so kräftiger äusserer Rundung dieser Zellen, dass zwi-
schen ihnen gut geöffnete Furchen entstehen, an der Begrenzung
der annähernd oder ganz quer zum Strom orientirten Furchen
def Äquatorgegend, sowohl in der Tiefe derselben wie auch gegen
ihre Öffnung hin aufsteigend, die typische Polfeldveränderung
an den die Furche begrenzenden Zellwänden. Manchmal schien
Entwickelungsmechanik des Embryo. 71
die Veränderung bloss an den mehr oberflächlichen Theilen der
Furchen Wandung vorhanden zu sein und in der Tiefe zu fehlen;
was indess sehr schwer zu sehen ist Im Gegensatz zu dieser
Polfeldbildung in der Tiefe von quer zum Strom orientirten
Furchen steht ein gleichfalls bei Durchströmung in Wasser
beobachtetes Ausbleiben der Veränderung an ganz gleich ge-
richteten, aber mehr auf der Polseite des Eies gelegenen Furchen.
Es war deutlich zu erkennen, dass das Polfeld sich bloss auf den
direct von den Elektroden aus bestrahlten Theil der Zellober-
fläche ausdehnte und nicht auf die Wandungen der hinter dieser
Zelle liegenden Furche übergriff. Um dieses auffällige Verhalten
zu verstehen, werden noch weitere Beobachtungen über die
speciellen Bedingungen seines Vorkommens zu machen sein.
Nach anderer Richtung in einem Gegensatz zu der in der Aus-
bildung von Polfeldem sich bekundenden Wirkung der directen
Bestrahlung der Zelloberfläche steht die Thatsache, dass an
dem schon in kleine Zellen zerlegten Ei nicht die ganze, den
Stromfaden entgegenstehende Fläche der Zelle, sondern immer
bloss der polwärts gelegene Theil dieser Fläche verändert wird,
während der distal davon liegende Theil, der immer noch unter
einem mehr dem rechten sich nähernden Winkel gegen die
Stromfaden des umgebenden Feldes gerichtet ist, als ein Theil
des Polfeldes der nächst distalen Zellen, unverändert bleibt und
so den Zelläquator darstellt.
Die Niveaulinien der einzelnen Zellen platzen bei weiter
fortgesetzter Durchströmung rasch auf und stellen so die weissen
Linien dar, die ich in der ersten Mittheilung noch auf aufgeplatzte
Furchen zwischen den Zellen bezog. Diese Täuschung ward
dadurch hervorgerufen, dass sich die Zellpolfelder wie die
Polfelder des ganzen, ungetheilten Eies gegen ihren Äquator
etwas erheben und so durch eine Furche abgrenzen. Dabei
ändert sich auch etwas die Gestalt der Zellen und Polfelder
durch Abplattung der Zellen und durch Schluss der Furchen
zwischen letzteren, so dass man in diesem Stadium sehr leicht
die Polfelder zur polwärts, statt zur distal vom Eipol gelegenen
Zelle rechnet; diese Täuschung ist oft eine so vollkommene,
dass nur die genaue Verfolgung des ganzen Processes von
seinem Beginn an vor derselben bewahren kann.
72 W. Roux,
Die Zellpolfelder werden im Bereiche der oberen, braunen
Hemisphäre des KiesvonRana esculenta greLuhraxin, imBereiche
der gelblichen, unteren Hemisphäre weisslich. Die Grösse dieser
Polfelder nahm vom Eipol gegen den elektrischen Äquator des-,
ganzen Eies ab.DiePolfeldbildungbeginntbeimittelstarkemStrom
am elektrischen Pol des Eies und breitet sich von da aus ausseror-
dentlich rasch auf die distal gelegenen Zellen und weiterhin lang-
samer auf jeder einzelnen Zelle in distaler Richtung aus-
ist das Ei noch nicht feingetheilt, so bekommt, wie erwähnt,,
jede Zelle des ganzen Gebildes ihr Polfeld und ihren Äquator.
Ein eigentlicher elektrischer Gesammtäquator des Eies besteht
dabei also nicht, er umfasst bloss die von beiden Polseiten gegen
einander stehenden Zelläquatoren der Zellen dieser Gegend;
dem entsprechend ist er auch nicht durch eine fortlaufende Linie
jederseits contourirt, sondern je nach der Lage der ihn bildendem
Zellenäquatoren bald etwas breiter, bald etwas schmaler. Bei
der weiter fortgeschrittenen Zertheilung in die kleineren und
weniger vorspringenden Zellen der älteren Blastula und der
Gastrula dagegen bleibt ein Gürtel, von den Polen am weitesten
abgelegener Zellen deutlich unpolarisirt; und wir erhalten
damit einen Gesammtäquator, der aber bei genauem Zusehen
wieder ungleich breit ist, da er durch Specialpolfelder der an-
stossenden Zellen begrenzt wird; je kleiner diese Zellen sind,,
um so weniger treten natürlich diese Ungleichheiten hervor.
An älteren Gas trulae bleibt auch bei stärkster Anordnung meines
Stromes immer ein Eiäquator von wenigstens 7ii Eidurch-
messer oder 3 — 4 Zellen Breite ohne äusserlich sichtbare Pol-
felder der Zellen. Zugleich waren an alten Gastrulae die Zellen
der Polseiten anscheinend auf ihrer ganzen freien Oberfläche
hellgrau verändert.
Die durch den Strom ausgelösten Veränderungen des Eies-
setzen sich noch eine Zeit lang nach der Einwirkung des
Stromes fort. Wenn man nach bloss 2 — 3 Secunden dauernder
Einwirkung eines Stromes von geeigneter Stärke auf ein noch
ungetheiltes oder schon mehrfach getheiltesEi unterbrochen hat,,
kommt es sogar vor, dass zur Zeit der Unterbrechung noch keine
Veränderung am Ei zu sehen ist, sondern dass die Veränderung:
erst danach beginnt. Wurde unterbrochen, als schon die Pol-
Entwickelungsmechanik des Embryo. 73
feldbildung einsetzte, so kann man beobachten, dass erst nach
der Stromunterbrechung die Veränderung, etwas polwärts vom
Rande des Gesammtpolfeldes, so heftig wird, dass daselbst an
der oberen Eihälfte unter starkem Aufplatzen und entsprechender
Entleerung derZellen dieser Zone eine durchgehende Niveau-
furche entsteht. Wurde dagegen längere Zeit, 2(y'— 4(y' durch-
strömt, so entsteht diese Niveaufurche in grösserem Abstände vom
Pol. Bei Unterbrechung des Stromes localisirt sie sich an ihrem
jeweiligen Ort. Bei erneuter Durchströmung kann sie nach der
dadurch bedingten Ausbreitung der Polfeldbildung gegen den
Äquator gleichfalls avanciren; oder es entsteht ohne Ver-
schwinden der ersten durch Stromunterbrechung localisirten
Niveaufurche, bei erneutem Durchströmen äquatorwärts jeder-
seits eine neue, alsdann weniger tiefe Furche, oder bloss ein
pigmentirter Ring. (N. B. nur im Bereiche der oberen, braunen
Hemisphäre wird die Veränderung so intensiv; es entsteht also
jederseits bloss ein Halbring.)
Wartet man einige Minuten nach einer kurzen, 10" — 20"
dauernden kräftigen Durchströmung einer Morula oder jungen
Blastula, so sieht man die Zellen sich meist stark abplatten und
die früher offenen Furchen zwischen ihnen sich entsprechend
schliessen. Durchströmt man dieses so zur Kugel abgeplattete
Gebilde nochmals, so entstehen jetzt unter polarer Veränderung
der bisherigen ZeHäquatoren auf den Polseiten des Eies, wie an
einem ungetheilten Ei zwei grosse einheitliche General-Pol-
felder, und zwischen ihnen bleibt ein einheitlicher, durch durch-
gehende parallele ungebrochene Contouren begrenzter schmaler
Äquator, dessen Ränder einander näher liegen, als die erwähnten
früheren durch starkes Aufplatzen entstandenen beiden Furchen.
Bei der Morula liegt natürlich im Bereich dieses General-
aquators ein Theil der oben erwähnten kleinen Zellpolfelder;
diese aber werden jetzt undeutlich oder von den Zellen abge-
stossen. Manchmal ist der so nachträglich entstandene General-
aquator in seinen Grenzlinien doch nicht ganz ungebrochen
und nicht ganz parallel contourirt, und bei einem erst in
4 Zellen getheilten Ei ist er schmäler als der frühere Special-
äquator einer einzigen Zelle, siehe Fig. 1 1 nebst der Figurön-
erklärung.
74 W. Roux,
Natürlich entsteht auch bei ununterbrochen fortgesetzter
Durchströmung mit der Zeit dasselbe Bild; auch hiebei platten
sich die Zellen allmählig ab, und die Specialpolfelder der ein-
zelnen Zellen werden allmählig grösser bis zum Verschwinden
des Zelläquators an den im Bereich der Generalpolfelder ge-
legenen Zellen.
Wenn auch die Rundung der Furchungszellen für die
Bildung der kleinen zweiten Polfelder von Bedeutung erscheint,
indem dadurch Gelegenheit zur Bestrahlung von der zweiten
Seite her gegeben wird, so kann die Rundung doch nicht als die
Ursache der Specialpolarisation der einzelnen, die Morula und
Blastula zusammensetzenden Zellen angesehen werden; denn
dieselbe Einzelpolarisation findet auch an der hellen, unteren
Hemisphäre statt, wo die Zellen nur durch minimale Furchen
geschieden sind, und mit ihrer freien Oberfläche im Niveau der
Gesammtkrümmung des Eies liegen. Auch tritt im Bereich der
oberen Hemisphäre die Specialpolarisation der Zellen auf, wenn
man durch Abkühlung im Eisschrank die Lebensenergie der
Zellen vorübergehend derart herabgedrückt hat, dass sich die
oberen Zellen gleichfalls abgeplattet haben.
Von Eiern ferner, welche ohne auf Eis gestanden zu haben,
also aus innerer Ursache die durch die dritte, vierte oder fünfte
Theilung gebildeten Furchungszellen von selber wieder abge-
plattet hatten, bildete ein Theil beim Durchströmen rasch zwei
allgemeine Polfelder und zwei durchgehende Niveaulinien für
das ganze Ei, indem die im ersten Momente entstandenen kleinen
Specialpolfelder der einzelnen Zellen sich sofort über die ganze
Aussenfläche derbetreflfendenZellen ausdehnten; dies Verhalten
ist wohl zugleich ein Beweis, dass nicht die, die Zellen im Innern
des Eies trennenden Zellmembranen oder die Kittsubstanz
zwischen ihnen die Ursache der elektrischen Sonderung sind.
Da zudem einige dieser abgeplatteten Eier ihre Zellpolfelder
behielten, so folgt daraus wiederum, dass einerseits nicht die
Abplattung an sich bei den anderen Eiern die Ursache der
totalen Veränderung der Zellen durch den Strom war, ebenso
wie auch, dass die vorspringende Wölbung der normalen Zellen
nicht die Ursache der Specialpolfelderbildung ist.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 75
Um die Richtigkeitdieser letzteren Anschauungdes Weiteren
darzuthun, suchte ich das Ei schwach zu vergiften, und so in
seinerLebensenergie zu schwächen, womöglich ohne die Gestalt
der Zellen zu verändern: Wenn man Eier mit wohlgerundeten
Zellen durch kurz dauerndes Einlegen in V«o gesättigte Garbol-
säurelösung schwach vergiftet, so behalten sie ihre runde
Zellgestalt, gleichwohl aber dehnen sich bei der Durchströmung
die im ersten Momente entstandenen Specialpolfelder sofort
weiter über die ganze direct bestrahlte Zelloberfläche aus, und
es entsteht so ganz rasch jederseits ein einheitli ch es, aber
imBereiche der oberen Hemisphäre ausgerundetvorspringenden
Zellen bestehendes Polfeld; und zwischen beiden liegt der von
zwei durchgehenden, parallelen Grenzlinien begrenzte General-
Äquator. Die Polfelder greifen sogar etwas über die Zellkanten
gegen die Furchen hin über.
Diese Beobachtungen beweisen wohl, dass die Special-
polarisation der einzelnen, die Morula und Blastula
zusammensetzenden Furchungszellen an eine mit der
Vitalität derselben schwindende Eigenschaft geknüpft ist. Über
die Natur dieser Eigenschaft werden wir unten etwas Weiteres
erfahren.
Ein wenig längere Zeit mit der CarboUösung behandelte
Eier reagiren nicht mehr auf den Strom, entwickeln sich aber
auch nicht weiter und erhalten sich viele Tage lang unverändert ;
während lebende, aber sich nicht weiter entwickelnde Eier
sich in wenigen Tagen zersetzen.
Auch abnormer Weise schon vor der Zeit der ersten Eitheilung
(vielleicht durch das Eindringen mehrerer Samenthierchen) an
ihrer oberen Hälfte in viele Stücke zerschnürte Eier bildeten beim
Durchströmen Specialpolfelder an den einzelnen, durch Furchen
von der Umgebung abgesonderten Stücken des Zellleibes. Einige
Eier aber entwickelten trotz dieser kugeligen Gliederung wieder
sofort die allgemeinen Polfelder.
Gastrulae und junge Embryonen von R, esculenta ergeben
bei genügend starkem Strom grau verfärbte Polfelder mit scharfem,
deutlichen Grenzcontour, der einen schmalen unverfärbten
Äquator einschliesst. Auch dem Ausschlüpfen nahe, sowie erst
vor Kurzem ausgeschlüpfte Embryonen, welche beide schon
76 W. Roux,
ein geschlossenes Medullarrohr haben, bilden scharf gegen dei>
unveränderten Äquator begrenzte Polfelder; nur muss man, um*
sie deutlich zu sehen, nach 3 — 4 Minuten dauernder Durch-
strömung noch eine halbe bis eine Stunde warten. Die Polfelder
sind je nach der complicirteren oder einfacheren Gestalt der Em-
bryonen und nach der Stellung derselben zur Stromrichtung sehr
verschieden gestaltet, und der Äquator ist im ersten Falle nicht
selten zickzackartig gebrochen und zeigt dabei in manchen'
Stellungen zur Stromrichtung wieder, wie bei R. fusca, eine
Neigung zu Parallelismus seiner Contouren, obgleich bei anderere
Stellungen starke Abweichungen davon vorkommen. Auch treten
stellenweise oder ringsum wieder (vergl. S. 47) zwei Äquator-
bänder auf, welche durch ein drittes, an die schmalen centralen
Polfelder des zwei- bis vierfach getheilten Eies (Fig. 8 und 9)
erinnerndes Polfeld von einander getrennt sind. Die Richtung
des Äquators entspricht gleichfalls wieder nicht mehr der Fort-
setzung der Niveauflächen des umgebenden homogenen
Mediums, vergl. S. 47; doch ist wohl selbstverständlich, dass die
Ränder des Äquators äquipotentiale Linien des Embryo
darstellen.
Wir wissen noch nicht, ob, respective wie weit diesen
äusseren Veränderungen der Embryonen innere entsprechen,,
wenn schon an durchscheinenden Gebilden, wie den kleinen
Eierstockseiern des Frosches, sowie an dem Froschherzen und
anderen später zu erwähnenden Organen die inneren Theile des
Polabschnittes, bei Besichtigung auch ohne vorausgegangene
Mikrotomirung verändert zu sein scheinen. Aus dem Verhalten
der Embryonen geht aber deutlich hervor, dass sich die Gesammt-
reaction eines Embryo nicht aus der Veränderung der in Richtung-
der Stromfäden des homogen gedachten elektrischen Feldes
liegenden, einzelnen, etwa für sich selbst veränderten Substanz-
fäden integrirt, sondern dass jeder einzelne Embryo, wie auch
nach den Beobachtungen an Rana fttsca jedes abgeschnittene,
für sich im Menstruum liegende, lebende Stück eines solchen,
als Ganzes beeinflusst wird. Denn die Reaction erfolgt in einer
Weise, dass die in den Richtungen der Stromlinien des homo-
genen Mediums gelegenen Substanzfäden des Embryo sehr ver-
schieden, z. B. an beiden Enden oder bloss an einem Ende oder gar
Entwickelungsmechanik der Embryo. 77
nicht verändert werden würden. Schon desshalb ist nicht anzu-
nehmen, dass die juxta- und intraembryonalen Stromfadenstücke
in ihren Richtungen denen eines homogenen Feldes derselben
Stelle entsprechen,worüber unten Weiteres ermittelt werden wird.
Selbst über vier Wochen alte Kaulquappen von Ranaftisca
Hessen noch Spuren von unserer Polarisation erkennen. Wenn
man eine solche Quappe von 10 mm, Rumpf- und 18 mm,
Schwanzlänge der Länge nach, eine andere dagegen in Quer-
richtung etwa 16Minuten durchströmt hat, so löst sich nach 1 bis 2
Stunden an ersterer das Epithel am Kopf und Schwanz, an letz-
terer an rechter und linker Seite beim Bepinseln ab, während
es im Bereiche der Mittelstücke, also desÄquators noch fest haftet.
Um die feineren Vorgänge der Polfeldbildung an
Embryonen zu studiren, wurden Froschlarvenschwänze in
dorsiventraler Richtung unter gleichzeitiger mikroskopischer
Beobachtung mit Zeiss'Objectiv C und D 15Minuten lang durch-
strömt. Doch waren die Larven leider schon erheblich älter, als
diejenigen, welche noch scharf umgrenzte Polfelder ergaben. Die
vielfach verästelten Pigmentzellen zogen sich auf ihre Haupt-
balken zusammen; viele peripheren Äste wurden dabei isolirt
und Contrahirten sich zur Kugel. Während in den nicht durch-
strömten Epithelzellen des Probeembr>'0 der Kern kaum zu
sehen war, bekamen während und nach der Durchströmung die
Kerne je einedickeglänzendeMembran,und im Innern entstanden
viele glänzende Fäden. Dann verloren die Kerne ihre Grenzen
und an Stelle der glänzenden Fäden entstanden grössere und
kleinere glänzende Körner; die grösseren Körner verschwanden
darauf, die kleineren Körner vertheilten sich in derKernhöhle.Die
Zellen fielen vom Schwänze ab, behielten dabei aber ihre eckige
Gestalt; dieser Zellabfall fand etwa '/^ Stunden nach dem Be-
ginn der Durchströmung an der Stelle stärkster Stromwirkung
statt Framboisia minore d. h. Rundung der einzelnen Epithel-
zellen unter Lösung des Verbandes mit den Nachbarepithelien
trat in diesem vorgeschrittenen Stadium der Entwicklung nur
an einzelnen Stellen schwächerer Stromwirkung und erst nach
1 — P/4 Stunden auf. Um diese Zeit ist in vielen Epithelzellen
der Kern ganz geschwunden. Zu bemerken ist, dass auch an
einem zum Vergleiche abgeschnittenen, nicht durchströmten
78 W. Roux,
Schwänze einer gleichalterigen Quappe die Kerne später dicke
Membranen gebildet hatten, dass an manchen Stellen zwischen
den Zellen über Nacht viel Intercellularsubstanz abgeschieden
wurde, und dass auch an diesen Zellen die Kerne nicht mehr
erkennbar waren. Diese nicht polaren structurellen Reactionen
embryonaler Zellen auf den elektrischen Strom und ohne solchen,
bloss nach der Abtrennung vom Körper werden von mir an geeig-
neteren Objecten genauer ermittelt und danach einer eingehen-
deren Mittheilung unterzogen werden.
Der Einflu^s der Wärme auf die Polarisationsfähigkeit
der Eier von Rana esculenta entspricht wesentlich dem bereits
vom braunen Frosch Mitgetheilten. Noch ungefurchte Eier
reagiren nach kurzem Einlegen in Wasser von 39"*, 40** — 45°C.
noch stärker und rascher als nicht erwärmte; Abkühlung durch
Eis verzögert und schwächt die Reaction auf den Strom. Durch
3 Minuten langes Erwärmen der noch ungefurchten Eier in
Wasser von 47 — 48"* C. wird die Reaction träge, die Polfelder
werden nur wenig verfärbt und etwas kleiner als sonst, der
Äquator wird also entsprechend breiter, und die Niveaufurchen
sind bloss wie leicht eingeritzt. Nach ebenso langer Erwärmung
in Wasser von 48 — 49° bleibt die Reaction auf den Strom aus.
Dasselbe geschieht auch schon nach 5 Minuten langem Eir>-
legen der Eier in Wasser von 46° C.
Morulae welche durch 2 Minuten langes Einlegen in
Wasser von 40, 46 oder sogar 48° C. erwärmt worden sind,
reagiren sehr rasch, bilden sofort die Specialpolfelder, und an
der Grenze derselben treten an den oberen Zellen kleine Tropfen
Dotters durch die Eirinde. Nach 2^/^ Minuten langem Liegen in
Wasser von 49° C. wachsen beim Durchströmen die Specialpol-
felder sofort über die ganze Aussenfläche der Zelle aus, und es ent-
stehen die beiden Generalpolfelder mit den beiden durchgehenden
Niveaulinien als Grenzen. Etwas polwärts von diesen Linien
war die Veränderung, die Verfärbung am stärksten, nahm dann
polwärts etwas ab, um am Pole selber wieder stärker zu sein.
272 Minuten in Wasser von 49° C. verbliebene Eier behalten
normale Gestalt und Farbe, reagiren aber nicht mehr.
Befruchtete, mehrere Tage alte Eier, welche durch
Carbolsäuredämpfe schwach vergiftet worden waren, und
Entwickelungsmechanik des Embryo. 79
sich desshalb nicht entwickelt hatten, zeigten nach der Be-
handlung mit einem starken Strom einen ebenso schmalen
Äquator, als normale Eier; aber die Polfelder waren nur wenig
verfärbt, hatten keine Extraovate gebildet, und an Stelle der
Niveaufurchen waren bloss pigmentirte Niveaulinien entstanden.
Dieselbe Abschwächung der Reaction bei normaler Ausdehnung
derselben findet auch an frisch mit Carbolsäure vergifteten,
noch ungefurchten Eiern statt; und an beiden Arten von Eiern
vollzog sich nach der Durchströmung allmälig eine erhebliche
Verbreiterung und Aufhellung des Äquators. Nachdem solche
Eier 12 Tage gestanden hatten, war der Äquator stark ge-
wölbt und die Rinde des Äquators besser erhalten als die
Rinde im Bereiche der Polfelder, welche oben zersetzt und
macerirt war.
Mit Hilfe des oben erwähnten Federbart-Galvanoskopes
prüfte ich die im Abschnitt II ausgesprochene Vermuthung,
dass die beobachtete Polarisation unter Freibleiben eines Äqua-
tors vielleicht zum Theil auf einem besseren Leitungsver-
mögen des salzreichen Eies als das der Medien, innerhalb deren
die Polarisation gelang, beruhe. Obgleich mit diesem trägen und
nicht mit einer Scala ausgestatteten Instrument nur grobe
Schätzungen möglich waren, und ich keine unpolarisirbaren Elek-
troden zugerüstet, sondern nur die Platinelektroden angewandt
hatte, schien doch als sicher sich zu ergeben, dass frisch bereitetes
Ragout fin von zur Ablösung reifen Eierstockseiem, sowie von
jungen Embryonen noch nicht einmal so gut leitet, als halb-
procentige Kochsalzlösung. Da wir nun in fünfprocentiger und
in concentrirter Kochsalzlösung, sowie in zweiprocentiger
Schwefelsäure die Polfeldbildung haben vor sich gehen sehen,
so hat sich obige Vermuthung anscheinend nicht bestätigt.
Doch ist daran zu denken, dass nicht die Eier selber in diesen
Lösungen lagen, sondern bloss ihre Gallerthüllen, und dass
innerhalb der 1 — Vbmm dicken, mit Wasser getränkten, und
daher wohl schlechter als das Ei leitenden Hülle die Stromfäden
noch eine erhebliche Umordnung erfahren konnten; und dass
vor der Durchströmung nicht in Wasser, sondern bloss in ein-
procentiger Kochsalzlösung gelegene Eier nur schwach reagirten,
wobei aber zugleich die Möglichkeit einer schädigenden Neben-
80 W. Roux,
Wirkung vorliegt, weil in vierprocentiger Salzlösung gelegene
Eier auch nach dem längeren Liegen in Wasser nicht mehr
reagirten. Neue Versuche müssen &lso mit halbprocentiger
Kochsalzlösung durchgeführt werden. Leider lässt sich, was im
einen Frühjahr versäumt ist, bei diesen, an die Laichperiode
gebundenen Versuchen erst im nächsten Frühjahre nachholen,-
welches ich aber anderen Versuchen zu widmen gedenke.
Werden Eier in einen Ring von 2'Omm dickem Bleidraht
oder in eine aus solchem Bleidraht gebildete und rechtwinkelig
zum Strom gestellte Gabel gelegt, so bilden sie beim Durch-
strömen nur kleine, bloss schwach höckerige, wenig scharf
begrenzte Polfelder, wenn das Wasser den Draht überschwemmt;
steht das Wasser nicht so hoch, so bilden die Eier keine Pol-
felder. Wird dagegen an der Gabel das Verbindungsstück
durchschnitten, so bilden die zwischen den Drähten liegenden
Eier bei transversaler Stellung der Drähte fast ebenso grosse
und durch Niveaufurchen begrenzte Polfelder, als frei im
Elektrolyten liegende Eier. In einer längs des Stromes liegenden,
nicht überschwemmten, engen Metallgabel bildeten bloss die
beiden ersten der Öffnung der Gabel folgenden Eier Polfelder.
Diese Ergebnisse sind unmittelbar verständlich, ebenso
wie die folgenden mit Einlegung von nicht überschwemmten
Glasbälkchen in das dektrolytische Feld: Von Eiern, welche
zwischen zwei einander nahen, rechtwinkelig zum Strom
orientirten Glasbälkchen liegen, bilden bloss die den Enden der
Glasbälkchen nächstliegenden die Polfelder, und zwar kleinere,
weniger veränderte als die freien Eier. An den Eiern in der
Mitte dagegen entstehen keine Polfelder. Bildet man aus den
Glasbälkchen einen spitzen Winkel, so kann man gleichfalls
nach der Grösse der Polfeider an den eingelagerten Eiern die
Abschwächung des Stromes an den betreffenden Stellen, sowie
aus der Richtung der Äquatorränder die abgelenkte Richtung
der Stromfäden erkennen. Wird bloss eine Glasleiste recht-
winkelig zu den Kraftlinien in das Stromfeld gelegt, so bilden
wiederum die ihr anliegenden Eier zwei Polfelder, aber die-
jenigen an der Mitte der Leiste entwickeln solche nur von
geringerer Ausdehnung und geringerem Grade der Veränderung,
als die an den Enden gelegenen.
Entwickelungsmechanik des Embryo. o 1
Bringt man zwischen die Eier Quecksilberkügelchen, so
nähern sich die Kügelchen, wie auch sonst beim Durchströmen
einander, verschmelzen, und die der so entstandenen Queck-
silbermasse zufallig anliegenden Eier bilden unregelmässige,
die nicht vom Quecksilber berührten aber nur kleine Polfelder.
In Dielectricis, wie geschmolzene Carbolsäure, Olivenöl
eingebettete Froscheier reagirten nicht, auch bei grösster Nähe
der Elektroden, so dass also eine Wirkung statischer Induction
nicht erkennbar war; ebenso wie auch, nach dem in Abschnitt I
Mitgetheilten, an den im Solenoid liegenden Eiern keine Wir-
kung einer dynamischen Induction zu bemerken war. Wurden
dieselben Eier unmittelbar darauf in Wasser durchströmt, so
reagirten sie.
Zerreibt man fast zur Ablösung reife Eierstockseier in
halbprocentiger Kochsalzlösung, und durchströmt von der
Masse einzelne Tropfen im Wasser, so ist keine V'eränderung,
also auch keine Polarisation erkennbar. Dasselbe ist der Fall,
wenn man die Masse, um sie zu formen, mit eingedickter
Lösung von Gummi arabicum versetzt hat.
Auch auf die Eier von Rana escnlenta wandte ich den
Gleichstrom an und erhielt ausser der Bestätigung der am
braunen Frosch gewonnenen Befunde noch einige neue Resul-
tate durch Ausdehnung der Versuche auf andere Entwicklungs-
stufen.
Noch durchscheinende Eierstockseier bilden ein weiss-
lich trübes, anodisches und ein helles, wässerig durchscheinendes
kathodisches Polfeld; letzteres wird allmälig etwas länglich
und kann schliesslich aufplatzen, so dass sich der Eiinhalt in
die umgebende Flüssigkeit entleert. Oft sieht man durch das
trübe anodische Polfeld das grosse, klar gebliebene Keim-
bläschen schon bei Loupenbetrachtung durchscheinen. An
gleichen Eiemjwelche aber nicht von etwas Wasser oder Gewebe-
saft umspült waren, konnte ich (N. B. bei Aufsetzung der
Elektroden auf ein Stück des Eierstockes, und bei Anwendung
von bloss 8 Bunsen) gleich wie beim Wechselstrom keine
deutliche Veränderung wahrnehmen. Ebenso bilden dotter-
körnerhaltige, grössere Eierstockseier bei Anwesenheit von
Flüssigkeit deutliche Polfelder, zuerst ein scharf begrenztes
Siub. d. matliem.-naturw. Cl. ; Gl. Bd. Ahth. III. 6
82 W. Röux,
rauh werdendes, anodisches, darauf ein weniger deutliches,
aber an, der Kathode nahen Eiern aufplatzendes kathodisches
Polfeld. Die bekannte kataphorische Wirkung des Gleichstromes
auf der Kathodenseite ist also hier eine sehr starke.
Unbefruchtete, reife Eier von Rana esculenta bilden
gleichfalls zunächst ein grosses, leicht graubraun verfärbtes
positives, darauf ein kleineres, aber in der Nähe der Kathode
an Grösse zunehmendes negatives Polfeld.
Befruchtete Eier zeigten wesentlich dasselbe Verhalten;
an ihnen beobachtete ich im Bereiche der Polfelder an der
oberen Hemisphäre einen Durchtritt feinen, weissen Dotters
durch die ganze Fläche der betreffenden Eirinde nach aussen,
wodurch also die graue Verfärbung des Polfeldes zum Theil
bedingt ist. An durch Eis gekühlten Eiern entstand erst zwei
Minuten nach dem Auftreten des anodischen Feldes auf der
kathodischen Eihälfte eine braun pigmentirte Niveaulinie, oder
bei anderen Eiern ein anfangs kleines, dann fast zur Grösse
des positiven anwachsendes wenig verfärbtes Polfeld. Die
positive Eihälfte behält ihre Wölbung, die negative wird wieder
in Richtung des Stromes etwas verlängert und gefaltet.
Bei geringem Elektrodenabstand, also bei starker An-
ordnung, breitet sich die anodische Polfeldbildung nicht
erkennbar successive vom elektrischen Pol des Eies aus, sondern
tritt anscheinend gleichzeitig in einem grossen Polfelde auf; und
die Veränderung ist sogleich in der Nähe der Niveaulinie am
stärksten, so dass z. B. an der Morula in der Nähe der Niveau-
linie die Zellen ganz weiss oder ganz aufgerissen sind, während
am Pole ihre braune Farbe nur schwach grau verfärbt ist.
Bei schwachem Strom entsteht auf der negativen Seite
des Eies überhaupt kein Polfeld. Bei starker Anordnung nimmt
die Grösse derPolfelder deutlich in der Nähe der Elektroden trotz
gleichen Querschnittes der Strombahn zu, und die unmittelbar
neben der Kathode stehenden Eier werden in ihrer dieser zuge-
wendeten Hälfte geradezu zerrissen; während die neben der
Anode befindlichen Eier stark veränderte Polfelder von der
typischen Form des positiven Polfeldes bekommen.
Wird bloss kurze Zeit (30 Secunden) durchströmt und
darauf die Stromrichtung umgekehrt, so erhält man beider-
Entwickelungsmechanik des Embryo. 83
seits Veränderungen von der Beschaffenheit eines positiven
Polfeldes, und das Ei bietet das Aussehen eines mit dem
Wechselstrom behandelten Eies dar. Wird erst später die
Stromrichtung gewechselt, wenn schon die negative Niveau-
linie vorhanden war, so kann man bei geeigneter Dauer der
zweiten umgekehrten Ehirchströmung Eier mit jederseits zwei
Niveaulinien erhalten, von denen die beiden vom Äquator ent-
fernteren den Kathoden entsprechen; ein Bild, welches ich
auch einige Male bei besonderer Anordnung unter Anwendung
des Wechselstromes erhalten habe.
In der ersten oder zweiten Furchung begriffene,
ebenso wie schon bis zur Morulastufe weiter getheilte Eier
von Rana esculenia bildeten innerhalb 20 — 30 Secunden vom
positiven Pole des Eies aus sich ausbreitende Polfelder an den
einzelnen Zellen, aber bloss an den Zellen der Anodenseite
des Eies. Das Zellpolfeld liegt wieder polwärts, der Zelläquator
distal davon. Springt von der kathodischen Eihälfte eine (also
dem Äquator nahe) Zelle so stark vor, dass sie noch von der
Anode aus durch die Flüssigkeit hindurch direct bestrahlt
werden kann, dann bildet diese Zelle gleichfalls ein ent-
sprechendes, kleines, positives Polfeld.
Auch Gastrulae mit halboffenem Urmund wurden durch-
strömt; sie bildeten zunächst ein leicht grau verfärb tes positives,
dann ein ebenso beschaffenes negatives Generalpolfeld.
Herzen von Rana esculenia^ welchen wie früher bei An-
wendung des Wechselstromes, um das Blut in der Herz-
wandung zu stauen und so den Äquator durch Dehnung sicht-
barer zu machen, mit einem durch den sinus transversus
pericardii ohne jede Verletzung der Vorhofsganglien hindurch-
geführten Faden distal vom Ursprung des bulbus arteriosus
die beiden Arterien unterbunden waren, und welche danach so
rasch in Zusammenhang mit den Vorhöfen herausgeschnitten
worden waren, dass der Ventrikel wohl bluthaltig, aber nicht
prall gefüllt war, bildeten bei der Durchströmung mit dem
Gleichstrom nach einer oder einigen Contractionen zunächst
ein von dem anodischen Pol des Herzens ausgehendes, stetig
wachsendes, bis über die Hälfte des Herzens einnehmendes
blasses Feld tonischer Contraction; darauf entstand auf die
6*
84 W. Roux,
gleiche Weise auch auf Seite der Kathode ein kleinerer
Abschnitt tonischer Contraction; und schliesslich war zwi-
schen den blassen Feldern bloss noch eine rothe bluthaltige
Scheibe, welche entsprechend weiter gegen die Kathode zu
gelagert war und die Hauptrichtung einer Niveaufläche hatte.
Sind die Vorhöfe, gegen die Anode gewendet, so beginnt der
Tonus an ihnen und den Arterien, und die Äquatorscheibe
steht schliesslich etwa in der Mitte des Gesammtherzens, also
nahe der Basis des Ventrikels, wobei wohl die Begünstigung
des kathodischen Feldes durch die Herzspitze von Bedeutung
ist, ebenso wie bei Wendung der Herzspitze gegen die Anode
die rothe Äquatorscheibe ganz an die Basis, an die Grenze des
Ventrikels verlegt wird. Der Versuch gelingt auch, zumal mit
dem Wechselstrom gut, ohne künstliche Blutstauung durch
Unterbindung, besonders in starker Kochsalzlösung; selbst in
fünf- oder zehnprocentigerKochsalzlösung wurden noch contra-
hirte Polfelder gebildet, statt eines contrahirten Äquators, den
man nach dem besseren Leitungsvermögen dieser Elektrolyten
vielleicht erwartet hätte.
Schwerer als beim Wechselstrom gelingt es mit dem
Gleichstrom, dieselbe Reaction ein zweites Mal in anderer oder
in derselben Richtung als beim ersten Male hervorzubringen.
Immerhin ist nicht zu zweifeln, dass in beiden Fällen beim
Herzen keine in ihrer Natur der der Eier und Embrvonen ver-
gleichbare, morphologische Reaction, sondern bloss eine polar
localisirte Contraction, also eine functionelle Reaction, vorliegt.
Mit dem Wechselstrom kann man dreimal polare Contract'on
an demselben Herzen veranlassen, ohne dass eine sichtbare
bleibende Veränderung eintritt, wie es bei den Eiern und
Embryonen und der Gallenblase schon bei der ersten Reaction
der Fall ist; bei diesen letzteren schwindet keine einmal sicht-
bar gewordene Veränderung wieder. An dem Herzschlauch
junger Embryonen werden wir auch noch bleibende, morpho-
logische Polarisation, aber vielleicht nicht unbedingt deletärer
Natur kennen lernen.
Werden Gallenblasen des Wasserfrosches mit sehr
schwachem Wechselstrom durchströmt, so behalten die
grünen Polfelder ihre geringe Grösse bald constant (13 Minuten
Entwickelungsmechanik des Embr>'o. 85
lang geprüft); darauf rechtwinkelig durchströmt, bekommt der
vorherige Äquator eben so grosse Polfelder, die constant
bleiben; aber nach Verstärkung der Anordnung wachsen sie
und können den Äquator ganz zum Verschwinden bringen. Am
Polfeld sind bei schwachem Strom zu unterscheiden ein dem
Pol sich anschliessender Theil mit grünlich gelbem, körnigem
opaken Beschlag, und distal daran grenzend eine bloss blau
durchscheinend gewordene Zone neben dem trüb graublau
gebliebenen Äquator. Mit obigem Gleichstrom behandelt,
bilden mitten zwischen den Elektroden liegende Gallenblasen
sehr rasch gegen die positive Elektrode ein grosses, fast die
halbe Blase einnehmendes, gegen die negative Elektrode nar
ein ganz kleines grünes Polfeld. Die seitlich im Stromfeld
stehenden Blasen zeigten nur das positive Polfeld. Bei darauf
in umgekehrter Richtung erfolgender, 6 Minuten langer Durch-
strömüng bildeten dieselben Blasen auf der früher negativen,
jetzt positiven Seite gleichwohl kein Polfeld; auch war danach
durch erneute Durchströmung in der ersten Richtung keine
weitere Vergrösserung der bei der ersten Durchströmung
erhaltenen Polfelder zu erzielen.
In fünf- oder zehnprocentiger, ja in concentrirter Kochsalz-
lösung durchströmte Gallenblasen bildeten grüne Polfelder statt
eines etwa erwarteten grünen Äquators. Selbst in so gut leiten-
der Flüssigkeit wie verdünnte Schwefelsäure wurden zuerst
die Polabschnitte verfärbt.
Triton.
Ein zu unseren Versuchen sehr geeignetes Material stellen
ferner die Eier, Morulae und Embryonen des Triton alpestris
dar. Die an den beiden Froschspecies gemachten Beobachtun-
gen wurden daran in allen wesentlichen Punkten bestätigt.
Zugleich bot dieses Material Gelegenheit, unsere Kenntnisse
zu erweitern, da die Eihüllen hier leicht zu entfernen sind und
das nackte Ei während der Durchströmung mikroskopisch (mit
Zeiss-Objectiv A bis C) beobachtet werden kann; fernerauch,
weil die Empfindlichkeit des Materiales eine sehr grosse ist.
Ich theile auch die kleinen besonderen, zum Theil sehr wech-
selnden Züge mit; denn wenn schliesslich aus den beobachteten
86 W. Roux,
Erscheinungen die wirklichen Vorgänge der Reaction und deren
ursächliche Vermittlung abgeleitet werden sollen, womit aber
erst nach der Mikrotomirung und der ihr folgenden inneren
Besichtigung der Objecte begonnen werden kann, so sind uns
die feinen Züge unerlässlich nöthig, ja viel wichtiger als das
stets vieldeutige, constantere Geschehen erster Ordnung; denn
die Vorgänge zweiter Ordnung und die unter ihnen vorkommen-
den Variationen sind es, die uns das Wesen eines Geschehens
verrathen.
Die Tritoneier stellen sich, wie die des Frosches, mit der
pigmentirten hellbraunen Hemisphäre nach oben, mit der hell-
gelben Hemisphäre nach unten ein; sie sind manchmal in der
wagrechten Richtung etwas länglich gestaltet.
Werden ungefurchte Tritoneier mit sehr ge-
schwächtem Strom bloss eine Secunde durchströmt, so
bekommen sie erst hinterher ein Polfeld, welches aber nur sehr
klein ist; bei 2 Secunden langer Durchströmung kann das
danach entstehende Polfeld schon 90** einnehmen, ist aber
bloss schwach grau verfärbt und durch eine seichte Niveau-
furche umgrenzt; während nach 5 Secunden langer Durch-
strömung das Polfeld fast nicht grösser, aber viel intensiver
verändert ist. Doch sah ich auch bei ganz derselben Anordnung
nach bloss 1 Secunde dauernder Durchströmung am Pole
einige kleine, - punktförmige Extraovate entstehen, und nach
einer Durchströmung von bloss einer halben Secunde eine sehr
schwache Verfärbung in einer Ausdehnung von fast 90** auf-
treten. Die Reactionen gleich alter Eier bei ganz gleichen
äusseren Bedingungen sind also sehr verschieden.
Tage lang auf Eis gestandene, noch kalte ungefurchte
Eier reagiren auch bei relativ langdauernder Durchströmung
wieder sehr schwach, bilden braune Niveaulinien, wenig verfärbte
Polfelder; nach 2*/^ Minuten langer Durchströmung ist jedoch
der Äquator bloss noch etwa Ye Eidurchmesser breit, um
schliesslich nach 8 Minuten langer Stromdauer bei einer Breite
von Vio Durchmesser stehen zu bleiben und etwas zu ver-
blassen. Auf eine rechtwinkelig zur ersten folgende zweite
Durchströmung reagirte alsdann der Äquator nicht mehr. Ein
ähnliches Erlöschen der Reactionsfähigkeit sah ich nach sehr
Entwickelungsmechanik des Embryo. 87
langer Durchströmung auch an schon getheilten Eiern, z. B. an
den in der zweiten Furchung begriffenen Eiern, darin sich aus-
sprechen, dass der nach Zerstörung der Specialäquatoren der
Zellen entstandene Generaläquator nicht continuirlich gerichtet,
sondern oben bajonetteförmig geknickt war und es auch bei
fortgesetzter Durchströmung blieb.
Bei geringer Verstärkung der Anordnung vergrössem und
vermehren sich die Extraovate; auch treten an zahlreichen
Stellen der Eirinde kleine Tröpfchen des Eiinhaltes wie durch
Poren aus und confluiren nach und nach zu einer einheitlichen
Masse, zu einer Polkappe, die entsprechend der Farbe der Extra-
ovate anfangs oben braun, unten weiss ist. Allmälig steigen
die weisseren Massen von unten auf und vermengen sich oben
mit der braunen Masse.
In der Nähe der Elektroden stehende ungetheilte Eier
bilden manchmal im Bereich der hellbraunen, oberen Eihälfte
am Äquator Pigmentstreifen, welche annähernd die Rich-
tung von Polmeridianen haben.
Vor dem Beginn der Niveaufurchenbildung ent-
stehen an ungefurchten Eiern manchmal in der elastischen
Eirinde im Bereich des Äquators dicht gestellte, einander
parallele, quer zur künftigen Furche orientirte feine Falten,
ähnlich den Falten, wie sie sonst bei Entstehung der ersten
Theilungsfurche in der Rinde, aber in etwas anderen Richtun-
gen, auftreten. Diese Falten machen hier wie dort den Eindruck
von Dehnungsfalten. Die Bildung der Niveaufurchen beginnt
mit einer Einschnürung an der Niveaulinie, und darauf erhebt
sich oben am Ei der anliegende Rand der Polfelder. Vielleicht
ist der Beginn dieser beiden Vorgänge als die Ursache der
Fältelung der Eirinde an diesen Stellen aufzufassen. Die Über-
wölbung des Polfeldes über den entsprechend einsinkenden
Äquator ist beim ungefurchten Tritonei noch stärker als bei
Rana esculenta und kann bei starkem Strom Ve Eidurch-
messer erreichen (siehe Fig. 1 3).
Bei dreimaliger kurzdauernder Durchströmung derselben
Eier sah ich jedesmal die Bildung einer Niveaufurche, welche
letztere während der nächsten Durchströmung sich mehr oder
weniger abglich und durch zungenförmige, in ihrer Farbe ver-
88 W. Roux,
änderte Sprossen des wachsenden Polfeldes überschritten
wurde. Die so allmälig auf 7^ Eidurchmesser verringerte Breite
des Äquators wurde dann während 5 Minuten anhaltender
weiterer Durchströmung beibehalten, wonach sich der Äquator
wieder im Ganzen etwas grau verfärbte, und darauf bei erneuter
Durchströmung in zur ersten rechtwinkeliger Richtung keine
Polfelder mehr bildete, sondern bloss noch etwas grauer wurde.
An einem ungetheilten Ei verfolgte ich genauer die am
Äquator vor sich gehenden Pigmentwanderungen, siehe Fig. 3.
Von der Niveaulinie aus bildeten sich im braunen Äquator der
oberen Hemisphäre weisse, regelmässig neben einander liegende
pigmentlose Felder, die sich äquatorwärts abrundeten und von
einander durch stehengebliebene braune, in dem Pigment des
Äquators auslaufende Streifen getrennt waren, so dass die braune
Äquatorrinde also gegen das Polfeld hin Arcaden bildete; die-
jenigen Arkaden, welche am wagrechten Eiäquator lagen,
waren etwas aufwärts gerichtet, während die oberen annähernd
Polmeridianrichtung hatten. Mit der Zeit wurden die Arcaden
höher, danach schwanden die trennenden braunen Säulen, und
damit war am braunen Äquator die helle seitliche Grenzlinie
entstanden, neben welcher nach aussen die oft dunkelbraun
pigmentirte Niveaulinie als Vorläufer der Niveaufurchenbildung
gelegen ist.
An unbefruchteten Eiern, welche schon so alt waren, dass
sie gelitten hatten, blieben die Durch tritte von Eiinhalt durch
die Eirinde aus; die Polfelder überwölbten auch nicht den
Äquator, welcher oben im Bereiche der braunen Hemisphäre
weiss wurde und sogar bei 10 — 20 Minuten lang dauerndem
Durchströmen seine in der ersten Minute gewonnene Grösse
behielt.-
Einige ungefurchte Eier waren derart zersetzt, dass oben
statt der Eirinde ein runde Hohlräume einschliessendes Netz-
werk von Balken sich fand. Gleichwohl bildeten diese Eier Pol-
felder, Niveaufurchen, einen convexen Äquator, alles dies, ob-
gleich oben, also an der Stelle der intensivsten Veränderungen
die zusammenhängende typische Eirinde fehlte.
Die getheilten Eier angehend, so bildeten diese die
Specialpolfelder der einzelnen Zellen nach den für das
Entwickelungsmechanik des Embryo. 89
Froschei angegebenen Regeln und behielten damit auch an vielen
Zellen den, unter einem scheinbar sehr wirksamen Winkel zu den
Stromfaden stehenden Zelläquator. An Eiern, welche erst in vier
oder acht Zellen zerlegt sind, reicht jede Zelle noch bis zur Ei-
mitte; da nun die Specialäquatoren der Zellen alle distal vom
Pol, also gegen die rechtwinkelig zur Stromrichtung stehende
Mittelebene des Eies gerichtet sind, so formiren alle Special-
äquatoren derZellen wieder den zusammenhängenden, scheinbar
einheitlichen Äquator, der aber durch die gebrochene, nicht in
continuirlich gleicher Richtung durchgehende Begrenzung be-
kundet, dass er nicht ein wirklicher Generaläquator ist. Diese Auf-
fassung bestätigt sich auf s Neue nach weiterer Theilung des Eies,
wo dann Zellen vorhanden sind, die durch andere von der Mitte
getrennt sind, indem diese Zellen ihren eigenen, von dem der
mittleren Zellen durch die Polfelder dieser getrennten Äquator
erhalten. Dieses Verhalten bleibt bei lebensfrischen Morulae, ja
Blastulae mit gerundeten Zellen auch noch auf einer Stufe der
Zellzerkleinerung von dem Maasse bestehen, dass drei oder vier
Zellen die Breite des eben erwähnten Gesammtäquators jün-
gerer, erst in vier oder acht Zellen zerlegter Eier einnehmen,
wobei gleichwohl aber jede einzelne dieser kleinen Zellen für
sich polarisirt ist; nur die der mittelsten Niveaufläche des Eies
anliegenden Zellen berühren noch mit ihren Äquatoren einander
und formiren so wiederum ein scheinbar einheitliches, aber jetzt
nur sehr schmales Äquatorband. Diese Einheitlichkeit ist jedoch
erst bei schon fein getheilten Blastulae wirklich vorhanden;
denn wenn die Theilung noch nicht so weit vorgeschritten ist,
erhält, wie beim Froschei, ein Theil der diesen Äquator bilden-
den Zellen jederseits ein Polfeld, nämlich diejenigen Zellen,
welche durch ihr Vorspringen und zufolge der Gunst der Nach-
barschaft von beiden Seiten her durch direct aus dem Elektro-
lyten kommende Stromfäden getroffen werden können. Bei sehr
schwachem Strome sah ich nach längerer Durchströmung an
Blastulae, dass die beiden mittelsten Zellreihen, die oben
den scheinbar einheitlichen Äquator darstellten, jede i h r R i n d e n-
pigment fast ganz in dem polwärts gelegenen Ende
der Zelle anhäuften, und dass die Zellen selber fast
90 ' W. Roux,
zum doppelten ihrer vorherigen Grösse in der Strom-
richtung verlängert wurden.
Werden Tritoneier nach der vierten und fünften Theilung
mit V20 gesättigter Carbolsäurelösung vergiftet und durch-
strömt, so bilden sie, wie die entsprechend behandelten Frosch-
eier, bei vollkommener Erhaltung der Zellrundung, zunächst die
Specialpolfelder der Zellen; diese Einzelfelder vergrössem sich
aber sofort auf den Polseiten des Eies über die ganze Aussen-
fläche der Zelle zur Bildung der beiden Generalpolfelder
des Eies, während gleiche, nicht vergiftete Eier ihre zuerst
gebildeten Specialpolfelder mehrere Minuten lang in constanter
Grösse behalten, sie aber in verstärktem Maasse verändern und
Zellniveaufurchen entstehen lassen, um erst später auf einmal
zur Bildung der Generalpolfelder überzugehen.
Mit Zeiss' Objectiv A konnte ich an einer in kleine Zellen
getheilten Blas tu la Folgendes beim Durchströmen erkennen.
Zuerst entsteht an den seitlichen braunen Zellen im Bereiche
des Zellpolfeldes eine ganz feine weisse Granulirung, wie durch
Dottersubstanz, die durch die Rinde getreten ist; jede Zelle
bildet ihre braune Niveaulinie; danach erfolgt Aufplatzen der
Zellrinde längs der Niveaulinie und massiger Austritt von Zell-
inhalt, in welchem man oft eine helle, wohl dem Kern ent-
sprechende Stelle sieht. Es* erfolgt also hier dasselbe im Kleinen,
was ich an den ersten Furchungskugeln und am ganzen un-
getheilten Frosch- und Tritonei gesehen hatte. Die Special-
polfelder der Zellen waren im vorliegenden Falle am Pole
am grössten und nahmen gegen den elektrischen Äquator
des Eies allmälig an Grösse ab. Die Zelle in der Mitte des Pol-
feldes hatte statt einer Anhäufung des Pigmentes in einer
Niveaulinie einen grossen, braunen, runden Fleck in der Mitte der
Aussenfläche der Zelle, der zugleich das Polfeld darstellte und
von einem helleren Saume,demZel]äquator,rings umgeben war.
Die Verfärbung der Polfelder ist also deutlich
mit dem Durchtritte von weissem Zellinhalt durch
die Zellrinde verbunden; zugleich findet- eine Pig-
mentanhäufung an der Niveaulinie statt; darauf erfolgt Auf-
platzen der Zellen und Entleerung von viel Zellinhalt als
Extracellulat.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 91
Auch an einer noch älteren Entwickelungsstufe, an einer
dem Schlüsse nahen Gastrula, welche umgekehrt, d. h. mit dem
Urmunde nach oben gewendet lag, konnte ich deutlich sehen,
'dass noch jede einzelne Zelle ein Polfeld bildete, welches gegen
den Pol gewendet war.
Im feineren Verhalten schon vielfach getheilter Eier,
bieten sich jedoch wieder, wie beim ungetheilten Ei, nach Strom-
stärke, Stromdauer und offenbar auch in hohem Maasse nach
der Individualität der Eier mannigfache theilweise entgegen-
gesetzte Variationen dar, die jetzt dargestellt werden sollen.
Die Versuche sind jedoch noch nicht zahlreich genug, um uns
zu gestatten, diese Verschiedenheiten vollkommen nach den
drei genannten Momenten zu sondern.
An der grob und fein getheilten Morula, sowie auch an
der Blastula sah ich wiederholt deutlich, dass in einem be-
stimmten Stadium der Durchströmung die Zellpolfelder in
einem gewissen grösseren Abstände vom Pole und in einem
kleineren von der Niveaulinie am grössten sind, und dass das
der Bildung der Specialpolfelder (selbst nach sofortiger Unter-
brechung des Stromes) nachfolgende Aufplatzen der Zellen
längs der Niveaulinien am stärksten erfolgt in einer Zone des
Eies etwa um 7^ — 7^ Polfeldradius weit polwärts vom
Äquatorrande; das Aufplatzen ist an dieser Stelle so stark, dass
die daselbst befindlichen Zellen ganz verschwinden und die
jederseits angrenzende Zellreihe auch noch sehr stark ver-
ändert wird. Die polwärts, sowie die gegen den Aquatorrand
hin von dieser Zone des Aufplatzens gelegenen Zellen sind
dann weniger intensiv verändert, und zwar die ersteren mit
gegen den Pol stetig abnehmender Intensität. Während also die
erste Wirkung vom Pole sich ausgebreitet hat, wird dieser
fernerhin doch am wenigsten vom ganzen Polfeld verändert.
Durchströmt man dann das Ei nochmals in gleicher Richtung,
so schreitet, wie beim ungetheilten Ei, die Veränderung gleich
auf Kosten des Äquators weiter, und es bildet sich bald eine nun-
mehr jederseits sogleich continuirlich gerichtete durchgehende
Niveaulinie aus, die stets äquatorwärts von der früheren Stelle
stärkster Veränderung gelegen ist.
^2 W. Roux,
Wenn man dagegen continuirlich durchströmt, so bildet sich
nicht an der erst erwähnten Zone eine so starke Veränderung
aus, sondern die Veränderung schreitet noch e^ne Zeit lang,
wenn auch mit rasch abnehmender Geschwindigkeit, äquator-
wärts fort, und erst später entsteht eine vom Pole entfernter ge-
legene Zone stärkster Veränderung, also des Aufplatzens.
Nach sehr kurz dauernder Durchströmung war die
Localisation derintensivsten Veränderung eine andere. Bei bloss
drei Secunden langer Durchströmung hörten die Veränderungen
erst einige Zeit nach der Unterbrechung auf, waren aber deutlich
am Pole selber am intensivsten; die Zellen daselbst waren in
toto weiss geworden, während die entfernten oberen Zellen ent-
sprechend der Breite ihrer Polfelder blos zu ein halb bis ein
Drittel weiss waren.
Bei längerer Durchströmung dagegen sah ich im Gegen-
satze zur obigen Mittheilung einige Male, dass die Polfeldbil-
dung nicht am Pole, sondern an einer etwas davon entfernten
Zone begann und sich von da polwärts und äquatorwärts aus-
breitete.
Bei sehr schwachem Strome entstanden an einem erst
in der dritten Furchung begriffenen Ei nach 30 Secunden langer
Durchströmung Polfelder mit braunen Niveaulinien als Grenzen,
und äquatorwärts unmittelbar daneben brach die Eirinde;
€s bildete sich jedoch auch bei zehn Minuten langer weiterer
Durchströmung kein allgemeiner Äquator und die Polfelder
vergrösserten sich nicht, während zum Beispiele bei einer
Gastrula mit dem gleichen Strome eine Zeitlang eine stetige
Vergrösserung stattfand.
V^iele, behufs Verzögerung der Entwickelung in dem Eis-
schranke aufbewahrte Eier blieben auf der Gastrulastufe stehen
und verfärbten sich allmälig grau. Beim Durchströmen entleerten
manche dieser grauen Gastrulae ihre oberflächlich liegenden
Zellen in sehr starkem Maasse, so dass fast das ganze Proto-
plasma nebst dem Zellkern ausgestossen wurde; und zwar ge-
schah dies bei genügend starkem Strome an der ganzen Ober-
fläche der Gastrula. Andere solche Gastrulae bildeten nur geringe
Extracellulate, welche auf den Polseiten am stärksten waren.
Wieder anderebildetenbloss eine graue Verfärbung der Polseiten.
Bntwickelungsmechanik des Embryo. 93
Eine eventuelle Verschiedenheit in der Breite des
Gesammtäquators an lebenskräftigen und ungeschwächten
Eiern schien mir von Bedeutung für die Theorie der beobach-
teten Erscheinungen; daher habe ich mich bemüht, an den noch
vorhandenen letzterwähnten Gastrulae Sicheres darüber zu
ermitteln, ohne indess ein klares Resultat gewinnen zu können.
An einigen Gastrulae trat auch bei einem schwachen Strome an
den Polseiten so viel Extracellulat aus, dass es sich von der Ei-
oberfläche ganz loslöste, confluirte und aufsteigend den in Folge
der Schwäche des Stromes breiten Äquator bedeckte und so
rasch der Beobachtung entzog; während man doch längere Zeit
durchströmen muss, um einen definitiven, von der Strömungs-
dauer und Reactionsgeschwindigkeit unabhängigen Äquator
zu erhalten.
Der Vergleich nun solcher schon verfärbter, alter Gastrulae
mit noch braunen in Bezug auf die Breite des Äquators hat
kein sicheres Resultat ergeben; denn erstens waren die initialen
Polfelder unter gleichen äusseren Umständen nur wenig und in
nicht constanter Weise verschieden, zweitens reagirten beim
Wachsthum der Polfelder beide Sorten von Gastrulae nicht
prompt, so dass der elektrische Äquator des Eies nicht seine
typische, oben in der Mitte breiteste, von da gegen den Eiäquator
etwas abnehmende, dann auf der unteren Hemisphäre con-
stante Breite hatte; ferner, weil, wie erwähnt, die Extracellulate
oft aufstiegen und die Grenze verdeckten. Und wenn auch zu
erkennen war, dass die Grössenunterschiede nur gering sind, so
wissen wir nicht, ob die älteren Gastrulae ihren Äquator desshalb
nicht unter Vio Eidurchmesser verkleinerten, weil sie noch
widerstandsfähig waren, oder weil sie schon fast getödtet, also
nicht mehr reactionsfähig waren.
Zur Entscheidung dieser Alternative vorgenommene secun-
däre Durchströmungen in rechtwinkelig zur ersteren stehender
Richtung ergaben nur noch so unbestimmte Reactionen, dass
man eher zur letzteren Annahme geneigt sein konnte. Erkennbar
war, dassder Äquator nach längerem Durchströmen von etwa fünf
Minuten eine feste, aber oft unregelmässig gestaltete Grenze
gewann, dass dann der so begrenzte Äquator lange Zeit bei
fortgesetztem Durchströmen sich unverändert erhielt, um dann
94 W. Roux,
bei den noch braun gewesenen Gastrulae mit einem Male sich
in toto zu verfärben. An den schon vor der Durchströmung grau
gewordenen Gastrulae, an denen die Polfelder eben nur durch
Bildung deutlicher Extracellulate kenntlich sind, ist natürlich
eine solche plötzliche Verfärbung des Äquators nicht feststellbar.
An einigen wenig reagirenden Gastrulae trat so wenig Dotter
aus den Zellen aus, dass man ausser dem Äquator auch das
Polfeld noch genauer sehen konnte; da erkannte ich, dass am
Pole und dessen nächster Umgebung die Zellen noch braun
waren, während der Äquator schon auf Vs Eidurchmesser ver-
kleinert war, und die Zellpolfelder neben ihm stark grau verfärbt
sich darboten.
Der Pol war also auch hier wieder die Stelle geringerer Re-
action. Man könnte denken, dies rühre davon her, dass die Pole
bei der gewöhnlichen Einstellung der Eier immer an dem Ei-
äquator liegen, welcher weniger empfindlich sei, so dass also
die geringere Veränderung auf schwächerer Reactionsfahigkeit
beruhe. Diese Auffassung wird jedoch dadurch widerlegt, dass
an der Stelle, wo die Niveaulinien den Eiäquator schneiden,
eine intensive Veränderung sich findet.
Es muss zunächst dahin gestellt bleiben, ob diese
schwächere Affection des Poles auf einen an dieser Stelle ge-
ringeren Einfall von Stromfaden, was nicht wahrscheinlich ist,
oder auf die geringere Brechung der eintretenden Stromfaden,
oder auf ein besonderes Verhalten des Eies als Ganzen, zufolge
dessen es mehr an der Grenze des Äquators und des Polfeldes
reagire, beruht. Letzteres würde erklärlich machen, dass bei
schwächeren Strömen die allein vorhandene, aber starke Ver-
färbung am Pole sich findet, weil dabei das Polfeld eben
bloss auf den Pol sich beschränkt; aber es wäre nicht zu
verstehen, wie die in einzelne, für sich reagirende Zellen
getheilte Morula und Blastula ebenfalls so als Ganzes reagiren
sollte.
Manchmal platzt an der oberen Hälfte der Blastula längs
der Niveaufurche die ganze Zellenlage, welche den grossen
inneren Hohlraum von oben bedeckt, in grosser Ausdehnung
auf, und es entleert sich aus dem Spalte eine so reichliche
Menge Inhalt, als erfolgte eineContraction des Gebildes, also der
Entwickelungsmechanik des Embryo. 95
es zusammensetzenden Zellen. Dieses Maximum der späteren
Veränderungen der Blastula ist also deutlich an den Niveau-
linien localisirt. Liegt die Blastula mit dem braunen Pol nicht
wie gewöhnlich nach oben, sondern nach der Seite einer Elek-
trode hin, so kann man sehen, dass wieder, wie am ungetheilten
Ei bei gleicher Lage, das braune Polfeld kleiner wird als
das gelbe.
Bezüglich des Einflusses der Gestalt des Gebildes
auf die Gestalt und Lage der Polfelder wurden noch
einige wichtige Beobachtungen gemacht An einer durch
Alter etwas geschrumpften, nach einer Seite zugespitzten
und in dieser Richtung mit einer tiefen Längsfurche versehenen
Gastrula, die in Längsrichtung durchströmt wurde, entstand
auf der spitzen Seite ein viel grösseres Polfeld als auf der
stumpfen und in der Tiefe der schmalen Furche, obwohl sie im
Bereiche des Polfeldes lag, blieb die Veränderung aus. Letzteres
Verhalten wurde an mehreren anderen, mit tiefen Gruben ver-
sehenen Gastrulae bestätigt, selbst wenn die Öffnung der Grube
gegen die Elektrode hin gewendet worden war. Auch eine Semi-
biastula, an welcher also, wie ich gezeigt habe,* bios die eine
Hälfte der beiden durch die erste Eitheilung gebildeten Zellen
sich entwickelt hatte, wurde durchströmt, und zwar in Richtung
der Vereinigung beider Hälften. Die ungetheilte Eihälfte reagirte
nicht, während an der entwickelten Hälfte alle Zellen ihren
Inhalt ausstiessen, so dass also kein Äquator stehen blieb.
Ein Triton-Embryo mit eben erst geschlossener Medullar-
furche entwickelte Polfelder wie ein entsprechender Frosch-
embryo und Hess erkennen, dass im Bereiche des Polfeldes
jede Oberfiächenzelle einen weissen Vorsprung (Extracellulat?)
bildete, wodurch die graue Färbung der Polfelder bedingt war.
Nach dieser Schilderung der äusseren Erscheinungen der
Polarisation der Tritoneier seien noch einige Experimente mit-
getheilt, welche angestellt wurden, um den diesen Erscheinungen
zu Grunde liegenden Vorgängen ein wenig näher zu treten.
^ W. R o u X, Beiträge zur Entwickelungsmechanik, Nr. 5. Über die künst-
liche Hervorbringung halber Embryonen durch Zerstörung einer der beiden
ersten Furchungskugeln, sowie über die Nachentwickclung (Postgeneration) der
fehlenden Körperhälfte. Virchow's Arch., Bd. 114, 1888.
96 W. Roux,
Man könnte denken, die Bildung der Niveaufurchen und
ihr Aufplatzen wären Vorgänge, die an das Vorhandensein der
ganzen Eirinde gebunden wären, indem der Zug nach innen
nur dann zum Platzen der Eirinde führen könnte, wenn diese
am Nachrutschen von der Seite her durch ihr Geschlossensein
und die Anfüllung mit Inhalt gehindert wäre. Dies zu prüfen,
brachte ich nackte, ungetheilte Eier vor "der Durchströmung
zum Platzen. Beim Durchströmen jedoch bildeten sich im Be-
reiche der Niveaulinien erst kleine, runde Extraovate, darauf
platzte die Eirinde im ganzen oberen Bereiche der Niveaulinie,
wie gewöhnlich, der Rand des Polfeldes sank alsdann rasch
seitlich abwärts, wie nach unten gedrängt, so dass ein breiter
Spalt entstand. Die Durchbrechung der Eirinde ist also ein Vor-
gang, dessen Ursachen an der Stelle der sichtbaren Verände-
rung oder in unmittelbarer Umgebung derselben sich befinden.
In dem durch den Spalt sichtbar gewordenen, halbflüssigen Ei-
inhalte waren lebhafte, nach verschiedenen divergirenden Rich-
tungen gehende Strömungen erkennbar, die aber alle nach
aussen führten. Während der Dauer der Durchströmung ver-
grösserte sich das durch den Spalt entleerte Extraovat; wieder
eine Erscheinung, welche auf Contraction des Eies hinweist.
An einem Ei, welches nach dem Zerdrücken zum grössten
Theile, etwa Vs ausgeflossen war, und daher nur noch aus der
lang gedehnten, längs gefalteten Eirinde mit wenig Inhalt be-
stand, zogen sich die Niveaulinien tief ein, wie an einem nor-
malen ungetheilten Ei, und die Polfelder wölbten sich danach
stark über; allmälig aber verbreiterte sich der Äquator und
erhielt Streifen in polmeridionaler Richtung.
Nackte Extraovate lassen keine polare Veränderung
erkennen; sie verändern sich aber an ihrer Oberfläche in einer
besonderen Weise, welche jedoch auch ohne Durchströmung
vorkommt und wohl nur durch die Berührung mit dem Wasser
bedingt ist.
Polare Veränderungen, Niveaufurchenbildung und Erhal-
tung einer unveränderten Äquatorzone finden bloss an den mit
Eirinde bedeckten Theilen statt. Ein solches Extraovat kann
zwei verfärbte Polfelder bilden. Liegt daneben ein nacktes, noch
mit ersterem in Zusammenhang stehendes Extraovat, welches
Entwickelungsmechanik des Embryo. 97
aber, wie oft, durch eine tiefe Furche vom anderen abgesetzt
ist, so ist ein Einfluss des nackten Extraovates auf die Lage
der Polfelder an dem mit Rinde versehenen nicht wahrnehmbar.
Fehlt dagegen eine solche trennende Furche und liegt das
nackte Extraovat gegen eine Elektrode hin, so bekommt auf
dieser Seite der mit Rinde versehene Theil kein oder ein ent-
sprechend schmaleres Polfeld, und der Äquator wird so breit,
als gehöre er dem ganzen Gebilde an. Ist auf der anderen Seite
noch ein nacktes, nicht durch eine Einschnürung abgesondertes
Polfeld, so kann auch auf dieser Seite das Polfeld ganz fehlen,
und der Äquator wird somit noch breiter. Stehen die nackten
Extraovate im Stromfelde seitlich vom rindenbedeckten Stamm-
theile des Eies, so sieht man, dass die beiden tiefen Niveau-
furchendes letzteren sich nicht auf den anliegenden, unbedeckten
Theil fortsetzen. Also zur Bildung dieser Furchen ist wie zur
Polfeldveränderung die Rinde und vielleicht noch das ihr
unmittelbar anliegende Protoplasma nöthig.
Auch ein losgelöstes Stückchen eines schon in dritter
Furchung begriffenen Eies, welches in seiner Grösse einer
Furch ungszelle entsprach und rings mit Eirinde bekleidet war
reagirte wie ein ganzes Ei mit zwei Polfeldern und aufgeplatzten
Niveaulinien.
An weiter in Zellen zerlegten Eiern bekommt man natürlich
keine mit Rinde bedeckten eigentlichen Extraovate mehr. Dagegen
erhält man nun leichter i so lirte ganze Zellen, deren Verhalten
gleichfalls von Interesse ist.
Vollkommen isolirte, also einzeln freiliegende, braune
oder weisse Blastulazellen bilden gewöhnlich keine Pol-
felder beim Durchströmen, sondern platzen an beiden Polen
auf und entleeren fast vollkommen ihren Zellinhalt, und zwar,
sofern kein äusseres Hinderniss vorhanden ist, in Richtung
des Stromes (siehe Fig. 17), ein Beweis der allseitig symme-
trischen Rindencontraction um den mittleren Stromfaden; der
mittlere, die Zellrinde vorstellende Theil mit etwas Inhalt, bildet
oft bloss einen Punkt von nicht Vioo ^^^ ganzen Zellmasse.
W. Kühne, sowie M. Verworrn* haben in ähnlicher Weise
1 W. Kühne und M. Verworrn, siehe S. 'M) und 31.
Sitzb. d. mathcm.-naturw. Gl. ; CI. Bd. Abth. III. 7
98 W. Roux,
Protisten bei der Durchströmung aufplatzen sehen. Dies Ver-
halten erinnert auch an dasjenige der ganzen ungetheilten Eier,
welche, allerdings nur bei sehr schwachem Strom, bloss an
den Polen Extraovate und sonst kein Polfeld bilden. Hier an
den freien Zellen erfolgt aber das Aufplatzen momentan beim
Stromschlusse und mit so grosser Öffnung jederseits, dass bei
der augenscheinlichen Contraction der Rindenschichten die Ent-
leerung des Eiinhaltes so rasch sich vollzieht, dass weder Zeit
noch Gelegenheit zu einem Durchtritte durch die Fläche der
Zellrinde gegeben ist. Berühren sich zwei in Stromrichtung
zusammenliegende Zellen so wenig, dass sie sich nur wenig,
aber doch deutlich an einander abplatten, so entsteht das Extra-
cellulat zuerst nur an den freien Polpunkten, danach aber auch
an dem Berührungspunkte, obgleich an dieser Stelle keine
Stromfäden vom Elektrolyten aus eindringen können.
Viele isolirte Zellen reagiren nicht. Zerfällt eine Blastula
beim Zerreissen gleich von selber in viele einzelne Zellen, war
also der Zellverband schon gelockert, indem sich die Zellen
schon vorher gerundet hatten, d. h. befinden sie sich in einem
Zustande, den ich als Framboisia embryonalis finalis
interna* benannt habe, der ein Zeichen fortgeschrittenen
Absterbens ist, so kommt es vor, dass keine dieser Zellen mehr
auf den Strom reagirt.
Da indess ebenso alte und gleich aussehende, ein wenig
abgeblasste Blastulae und Gastrulae im Ganzen durchströmt oft
noch deutliche Polfelder unter Austritt von weissen Kugeln aus
den Zellen, also unter Aufplatzen der Zellen bilden, so lässt
sich schliessen, dass durch die vollkommene Isolirung und das
Liegen in Wasser oder halbprocentiger Kochsalzlösung die
Zellen derart geschädigt werden, dass sie den Rest ihrer noch
vorhanden gewesenen Reactionsfähigkeit einbüssen.
An wenigen freiliegenden Zellen einer zerrissenen Gastrula,
welche nicht wie viele anderen beim Durchtrennen an beiden
Polen aufgeplatzt waren, sah ich nach Auftropfen warmer
Chromsäure und nachträglichem Auswaschen, zwei hellere proto-
1 W, Roux, Beitr. I zur Entwickelungsmechanik. Zeitschr. f. Biologie,
Bd. XXI, 1885. Sep.-Abdr. S. 25 und Beitr. V. Virchow's Arch., Bd. 114, 1888.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 99
plasmatische Polabschnitte und zwischen ihnen einen ein Drittel
des Zelldurchmessers breiten, nicht scharf abgegrenzten Äquator,
in dem die Dotterkörner angesammelt waren (siehe Fig. 16).
Die isolirten älteren Zellen von etwa 35 — 110 [t können
also, wenn sie überhaupt auf den Strom reagiren, dies auf
zweierlei Weise thun: entweder platzen sie an den Polen auf,
oder, viel seltener, bilden sie bei doppeltseitiger Bestrahlung
zwei durch Ansammlung des Protoplasmas gebildete Polab-
schnitte; und in dem Protoplasma findet letzteren Falles manch-
mal eine sehr starke Ausscheidung von grossen Tropfen statt.
Man darf mit dem zuletzt beschriebenen Reactionsbilde nicht
verwechseln das nicht seltene Vorkommen von auch im nicht-
durchströmten Ei sich findenden Zellen, deren Dotter erst an
zwei Seiten halbmondförmig angehäuft ist, wodurch der mittlere
protoplasmatische Theil dann einen hellen, zwischen zwei Pol-
feldem liegenden Äquator vortäuschen kann.
Ein einziges Mal beobachtete ich an einer durch Zer-
reissung einer Blastula isolirten Zelle, welche dabei aufgeplatzt
war, und etwa ein Viertel ihres Inhaltes in einer Richtung ent-
leert hatte, die rechtwinkelig zu der späteren Durchströmung
stand, dass der ausgetretene Zellinhalt beim Durchströmen
sofort wieder eingezogen wurde ;. ein Aufplatzen an den Polen
fand danach aber nicht statt. Es scheint also, dass die durch
den Strom veranlasste Contraction sich unter veränderten Um-
ständen in sehr verschiedener Weise bethätigen kann. Gleich-
falls nur einmal sah ich an zwei sich berührenden runden
Zellen einer zerrissenen Gastrula beim Durchströmen eine circu-
läre Strömung in denselben. Die eine Zelle bildete dabei einen
Fortsatz in Richtung des Stromes und sie verschob sich etwas
gegen die andere Zelle, während jedoch die Verklebungsstelle
beider Zellen ihren Ort nicht änderte.
Wurde eine bereits durchströmte Gastrula zerrissen und
die isolirten Dotterzellen nochmals durchströmt, so platzten
mehrere von ihnen nun sogleich auf; das Gleiche thaten auch
die oberflächlichen Zellen ganzer Dotterklumpen; doch weiss
ich nicht, ob die bei der zweiten Durchströmung noch in
dieser Weise reagirende Substanz nicht etwa aus der Äquator-
scheibe stammte.
7»
100 W. Roux,
Ein anderesmal beobachtete ich ein noch zusammenhän-
gendes Stück einer Blastula, von welcher vollkommen isolirte
Zellen beim Durchströmen an beiden Polen aufplatzten; gleich-
wohl sah ich an den das Stück bildenden Zellen dasselbe Ver-
halten wie an einer ganzen Blastula, indem jede gegen eine
Elektrode gewendeie Zelle zuerst ein dieser zugewendetes Pol-
feld bildete und danach an der Niveaulinie aufplatzte. An einem
platten Stückchen von einer braunen, frischen Gastrula platzten
bloss die Zellen an den polarwärts gelegenen Rändern des
Stückes auf, die Zellen auf den Flächen dagegen reagirten
nicht; es zeigte sich, dass sie im Stromschatten lagen. Es war
also dasselbe Verhalten, wie es die plattgepresste Frosch-
gastrula bei der parallel zu den Seitenflächen erfolgenden
Durchströmung darbot; hier reagirten auch bloss die Zellen des
bestrahlten Randes.
Schliesslich wurden schon ohne Mikrotomirung einige Be-
obachtungen über das innere Verhalten der durchströmten
Gastrulae des Triton gemacht.
Auch an Gastrulae entsteht manchmal durch Aufplatzen
im Bereiche der Niveaufurche oben ein grosser offener Spalt,
ein Loch; aus diesem sah ich einmal viele kugelige Zellen, jede
mit zwei trüben, polar gegenüber stehenden Abschnitten, heraus-
strömen. Ein anderes Mal beobachtete ich an einer noch deut-
lich braunen Gastrula, dass die Dotterzellen aussen weiss, trüb
wurden, ihre gelbliche Farbe also aussen verloren. Als danach
eine Spaltung an einer der Niveaufurchen entstand, tödtete ich
sofort das Ei in erwärmter Chromsäure; darauf sah man an
der Bruchstelle, dass die Zellen aussen weiss-trüb, innen gegen
die Höhlung der Gastrula hin noch gelblich und durchscheinend
waren. Isolirte dieser Zellen im auffallenden Lichte bei
Zeiss' Objectiv A. u. C. betrachtet, zeigten das äussere trübe
Polfeld in einigem Abstände vom Pole mit einem Ringe blasen-
artiger grosser Erhebungen besetzt, siehe Fig. 15; optisch gleich
sich verhaltende kleinere Tropfen waren im Polabschnitt selber
enthalten und nahmen an Grösse sowohl gegen den Pol wie
gegen den beide Polfelder trennenden Äquator ab. Dieser selber
war parallel contourirt, breit und erschien leicht braun, homogen
und schwa'ch durchscheinend. Der scharf gegen ihn abgegrenzte
Entwickelungsmeshanik des Embryo. 101
innere Polabschnitt war mit Dotterkörnern erfüllt und trüber
als der Äquator, gleichwohl aber viel durchscheinender als der
äussere Polabschnitt.
Diese Erscheinungen fanden sich zumeist an den Dotter-
zellen, doch auch an manchen braunen Zellen der oberen He-
misphäre. Beim Erschüttern des Mikroskopes wendeten sich die
in halbprocentiger Kochsalzlösung befindlichen Zellen mit den
weissen Polen nach oben, wohl ein Zeichen, dass dieser Ab-
schnitt specifisch. leichter war. Eine der Zellen war 97 (jl gross,
der Äquator 10 (jl, also Yj^ Durchmesser breit, während das
ganze Ei einen Äquator von Yj Durchmesser hatte.
BeidurchfallendemLichtewareinabgegrenzterÄquator
an diesen polarisirten Zellen nicht mehr zu sehen; sondern die
ihn bildende äusserst feinkörnige (wohl protoplasmatische) Sub-
stanz ging continuirlich in die Substanz des weissen äusseren
Polfeldes über, die oben mit den 0*9 — 0*5 [t grossen Tropfen
durchsetzt war, während die den Kranz bildenden freien,
blasigen Erhebungen bis 21 |jl Durchmesser erlangten. Der innere
Polabschnitt war gleichmässig und dicht mit den 2 1 — 3*5 [a
grossen Dotterkörnern erfüllt. Bei manchen dieser Zellen war
das weisse Polfeld etwas zugespitzt, das gelbe innere war immer
halbkugelig. Dieses Gestaltverhältniss konnte auch einen Antheil
an der Aufwärtswendung der weissen Pole bei Erschütterung
haben. Andere, vielleicht nicht von der Oberfläche stammende
Zellen zeigten auch im auffallenden Lichte bloss ein weisses
Feld ohne blasige Erhebungen und ein gelbes Feld ohne einen
Äquator zwischen sich zu fassen. Wie weit die so veränderten
Zellen sich ins Innere des Eies erstrecken, wird später nach
Mikrotomirung der aufgehobenen Objecte vielleicht erkenn-
bar sein.
Ob das gelbe Feld als Polfeld oder bloss einfach als der nach
der Sonderung des Protoplasmas vom Dotter und nach dem
Übertritt der Hauptmasse des Protoplasmas in das vom Strom
bestrahlte Zellstück verbliebene Zellrest aufzufassen ist, sei für
jetzt dahin gestellt. Verworrn sah^ an Antoeba Umax, verrucosa
und difflnenSy welche aber nicht mit dem Wechselstrom, sondern
1 M. Verworrn, Pflüger's Arch., Bd. 46. Taf. III.
102 W. Roux,
mit dem galvanischen Strom behandelt waren, das hyaline
Protoplasma sich auf der Kathodenseite sammeln, während das
körnige die Anodenseite einnahm; und an Peloniyxa palustris
wurden Reste des hyalinen Protoplasmas an der Kathodenseite
als hyaline blasenförmige Erhebungen hervorgepresst,
Fische.
Ehe wir aufwärts zu den an Reptilien gemachten Beob-
achtungen übergehen, sei über bezügliche Erscheinungen an
Fischen berichtet.
Aus der Classe der Fische verwandte ich Eier und Organe
von 5 Stück des kleinen Knochenfisches Telestes Agassizii
(He ekel), des Laugen.
Es traten hier im Wesentlichen die vom Frosche bekannten
Erscheinungen wieder auf, doch fügte sich auch wieder mancher
neue Zug in das Bild ein, und manche Erscheinungen traten
verstärkt hervor, andere zeigten sich abgeschwächt.
Die Eier dieses Fisches bestehen, im Groben betrachtet,
aus einer grossen, gelblich durchscheinenden kugeligen Dotter-
masse, welche von einer dünnen Protoplasmaschicht überzogen
ist, die sich auch vielfach ins Innere fortsetzt.
Nach der Befruchtung des Eies scheidet sich die Haupt-
masse des inneren Protoplasmas als Bildungsdotter an einer
Stelle aus und bildet hier einen Hügel, ähnlich wie die Horn-
haut am Augapfel. Die übrige Hauptmasse stellt den Nahrungs-
dotter dar. Der entstandene Hügel heisst die Keimscheibe,
und diese allein wird bei der Furchung in Zellen zerlegt. Die
Verbindungslinie der Mitte der Keimscheibe und der Mitte des
Nahrungsdotters heisst die Eiaxe.
Beim Durchströmen solcher befruchteter, noch ungetheilter
Eier mit dem mir zur Verfügung stehenden Wechselstrom
bildete jedes Ei rasch eine tiefe Furche, welche das Ei fast
ganz durchtheilte und annähernd halbirte. Die Furchen standen
anscheinend regellos im Stromfeld durcheinander. Bei den-
kender Betrachtung aber fiel auf, dass keine einzige Furche
ganz oder auch nur annähernd in Richtung der Stromfaden des
elektrolytischen Feldes stand, sondern dass eine annähernd
rechtwinkelige Stellung zu dieser Richtung, aber mit häufigen
Entwickelungsmechanik des Embryo. 103
Abweichungen von 20 — 30* sich in dieser Mannigfaltigkeit aus-
sprechen. Betrachtete man die Eier, deren Furche zufällig in
einer Niveaufläche des elektrischen Feldes stand, so waren es
solche, deren Eiaxe entweder senkrecht oder, wenn schief resp.
wagrecht, gleichwohl auch in einer Niveaufläche, oder gerade in
einer Stromlinie stand.
Sorgt man dafür, dass alle Eier senkrecht stehen, so stellt
die Summe dieser Furchen wieder ebenso schön wie beim
Froschei die Niveauflächen dar. Der Grund der Furche ent-
spricht dem Äquator, die beiden Seitenmassen den Polfeldern
resp. Polabschnitten, welche im Bereiche der Keimscheibe trüb
werden und etwas feine, schwer sichtbare Substanz austreten
lassen, während das Protoplasma des Äquators vollkommen
klar bleibt, siehe Fig. 18. Im Bereiche des Dotters ist manchmal,
aber nicht immer eine Trübung an der Oberfläche der durch
die Niveaufurchen markirten Polfelder deutlich.
Der Vorgang dieser Reaction bei einem mit der Eiaxe senk-
recht stehenden Ei ist folgender. Es entstehen nach wenigen
Secunden der Durchströmung im Bereiche der Keimscheibe die
beiden trüben Polfelder, darauf unter Verlängerung des Eies in
der Stromrichtung zwei seichte Furchen im Abstand von etwa
Vj Eidurchmesser, rechtwinkelig zur Stromrichtung; diese
Furchen vertiefen sich und nähern sich etwas einander und ihre
sich erhebenden Seitentheile knicken sich fast rechtwinkelig
gegen den Äquator ab. Die durch die Furchen abgegrenzten Pol-
abschnitte vergrössem sich und überhöhen somit ringsum den
schmaler und auch im Ringdurchmesser kleiner werdenden
Äquator, so dass schliesslich der Äquator in der Tiefe zwischen
den beiden einander genährten Polfeldern fast verschwindet und
das Ei anscheinend durch eine einzige tiefe Furche getheilt ist.
DerProfilcontour des Äquators ist nach aussen convex oder auch
gerade und wird seitlich durch die rechtwinkelig zu ihm sich
erhebende Innenfläche der Polabschnitte begrenzt. Die Keim-
scheibe dehnt sich mit ihren mittleren Theilen allmälig, am
meisten jederseits längs des Äquators und der Niveaukanten
gegen den Dotter nach abwärts aus.
Um den Vorgang auf das beim Froschei beobachtete Ge-
schehen zu beziehen, so entstehen Niveaufurchen, welche viel
104 W. Roux,
tiefer einschneiden als beim Froschei, und die Polabschnitte
vergrössern sich dabei entsprechend mehr auf Kosten der Sub-
stanz der Äquatorscheibe. Im Bereiche der Keimscheibe kommt
noch eine ausgesprochene Trübung des Protoplasmas des Pol-
abschnittes hinzu. Aus dem Polfeld wird auch hier etwas
Substanz ausgeschieden, aber nur als ein zarter Schleier, also
nicht annähernd so viel, als beim Frosch- und Tritonei durch
die Rinde der Polfelder hindurchtritt. Der Abstand der Pol-
abschnitte ist, wie beim Froschei, im Bereiche des Bildungs-
dotters (seil, der Keimscheibe) wieder etwas grösser als im
Bereiche des Nahrungsdotters. Auch hier überdauert der Ablauf
der Veränderungen, besonders die Abschnürung der Polab-
schnitte von der Aquatorscheibe, die Durchströmung, wenn
diese von nur kurzer Dauer war.
Steht die Axe des Eies annähernd in Richtung der
Stromlinien seines Ortes im elektrischen Felde, so schnürt
sich die Keimscheibe etwas vom Dotter ab und wird für sich
in zwei trübe Polabschnitte und einen zwischen ihnen liegenden,
hell bleibenden Äquator von Niveauflächenrichtung zerlegt;
aber diese drei Theile scheiden sich nicht durch Furchen von
einander, siehe Fig. 19.
Die beobachteten Abweichungen in den Richtungen der
Grenzfurchen der Polabschnitte von den Richtungen der
Niveauflächen des elektrischen Feldes lassen sich vielleicht auf
die unverkennbare mechanische Tendenz des Eies, die Furchen
annähernd durch die Mitte sowohl der Keimscheibe wie des
Dotters hindurch zu bilden, zurückführen, obgleich geringe
Abweichungen nicht selten sind. Verläuft der durch die Mitte
der Keimscheibe gehende Äquator im Dotter stark excentrisch,
so findet bald eine Abknickung der Äquatorscheibe und ihrer
Grenzfurchen statt. Überhaupt folgt der Äquator der Keimscheibe
strenger der Richtung der Niveauflächen, als der Äquator des
Dotters, der auch bei geeigneter Stellung der Eiaxe oft etwas
schief zur bezüglichen Niveaufläche des Mediums verläuft. Bei
schief mit der Keimscheibe gegen eine Elektrode stehenden
Eiern kommt es auch vor, dass die Niveauringfurchen zunächst
rein auf dem Dotter entstehen und dann sich seitlich gegen die
Keimscheibe verschieben. Hier hat sich also wohl das Rinden-
Entwickelungsmechanik des Embryo. 105
Protoplasma des Dotters im Bereiche des Niveauringes zuerst
contrahirt, und dann erst hat sich die Contraction auf die Keim-
scheibe fortgesetzt.
Die trüb gewordenen Polabschnitte der Keimscheibe sind
(infolge einer Contraction?) erheblich fester als ihre Umgebung,
wie man beim Zerreissen wahrnimmt.
Hat sich der zur Keimscheibe gehörige Bildungsdotter vor
der Durchströmung noch nicht abgesondert, so geschieht dies
rasch beim Durchströmen und erinnert so an die Bildung eines
protoplasmatischen und eines die Dotterkörner enthaltenden
Polabschnittes an den Zellen der durchströmten Gastrula des
Triton.
Auch an bloss amöboiden Fortsätzen der Keimscheibe, wie
sie nach der Auslösung des lebenden ungetheilten Eies aus
seiner Hülle entstehen, ebenso wie an durch Scheerenschnitt
isolirten Stückchen selbst bloss von Vg <ier ungefurchten Keim-
scheibe bilden sich die trüben Polfelder und zwischen ihnen
bleibt ein heller, parallel contourirter, scharf begrenzter Äquator.
An grösseren, von beiden Seiten bestrahlten Stücken erfolgt
auch noch Abschnürung der Polabschnitte. An ganz nackten
Eiern sieht man, dass auch am Dotter im Bereiche der Niveau-
furche die oberflächliche Protoplasmarinde trüb wird, gleich
dem Protoplasma in den Polabschnitten der Keimscheibe.
Bei eventueller Quercontraction zur Eiaxe bleiben die in
und neben der Eiaxe verlaufenden parallelen Säulen von Dotter-
körnchen, die durch Protoplasma von einander getrennt sind,
erhalten, werden aber gedehnt.
Bei Erwärmung der Fischeier erfolgt ebenfalls wie
beim Frosch die Reaction auf den Strom rascher; nach fünf
Minuten langer Erwärmung der Eier auf 40** C. bleibt das sonst
rasch vorübergehende Stadium der starken Überhöhung des
Äquators mit noch weit offener Äquatorfurche lange Zeit be-
stehen. Nach vier Minuten langer Erwärmung auf 46 "* C. ist
die Keimscheibe schon trüb und reagirt gewöhnlich nicht mehr;
im Bereiche des Dotters jedoch fand bei einigen Eiern noch
eine geringe Einschnürung statt.
An schon ein- oder mehrfach getheilten Fischeiern
entstehen trübe Specialpolfelder, welche meist den für die
106 W. Roux,
Froscheier gegebenen, durch die Bestrahlung bedingten Regeln
entsprechen. Ist jedoch die Keimscheibe im Morulastadium gegen
die Elektrode gewendet, so schnürt sie sich zuerst wie am noch
ungetheilten Ei durch eine tiefe, in Niveauflächenrichtung
stehende Furche vom Dotter ab, wird dadurch selber etwas
abgeplattet kugelig und zeigt später zwei durch einen unver-
änderten Äquator getrennte, aus theilweise polarisirten Zellen
gebildete Polseiten, aber keine Niveaufurchen.
Da bei diesen Eiern die Zerlegung in Zellen nur einen
kleinen Abschnitt der Eikugel ergreift, so ist Gelegenheit
zu einigen weiteren, über die am in toto zerlegten Frosch-
und Tritonei hinausgehenden Beobachtungen gegeben. Leider
hinderte Mangel an Material, diese Möglichkeit genügend
auszunutzen. Zweimal sah ich, dass die schief zu den Elek-
troden stehende, getheilte Keimscheibe auf der einen Seite im
Profilcontour drei mit je einem Polfeld versehene Zellen ent-
hielt; darauf folgte eine einzige, trotz ihrer auf einer Seite der
Elektrode direct zugewendeten Fläche unveränderte, also den
Äquator repräsentirende Zelle, während die allein noch übrige
anstossende Zelle der anderen Seite, welche nur von der an-
deren Elektrode bestrahlt wurde, mit ihrem einen Polfeld zu-
gleich die ganze zweite Polseite der Profilansicht der Keim-
Scheibe repräsentirte. Dies Verhalten lässt sich kaum noch auf
die vom Frosch und Triton bekannten Verhältnisse beziehen;
und ich habe auch Vertheilungen der Polfelder gesehen, die dies
noch weniger als möglich erscheinen lassen, also eine eigene
Deutung erfordern werden. So beobachtete ich z. B. eine Morula
mit schief zu den Niveauflächen stehendem, also anscheinend
von einer Seite her bestrahltem Äquator, der von zwei ein-
ander gleich grossen, aber gleichfalls von einer und derselben
Elektrode anscheinend mehr bestrahlten, aus gesondert polari-
sirten Zellen bestehenden Polfeldern flankirt wurde.
Grössere und kleinere Stücke der Morulakeimscheibe
bilden gleichfalls zwei Polfelder, ohne sich jedoch dabei sichtbar
zu contrahiren. Bei Besichtigung mit Zeiss' Objectiv E sieht
man, dass viele der 29 — 35 [i grossen Zellen durch reichlichen
Gehalt an kleinen und grossen Körnchen ganz trüb sind.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 107
Vier Tage alte, durchscheinende Embryonen dieserFisch-
art, welche das Rückenmark geschlossen und den kugeligen
Dotter schon zu Y5 umwachsen hatten, bildeten auch noch Pol-
felder und einen scharf begrenzten, annähernd parallel contou-
rirten Äquator. Zuerst wurde die epitheliale Bedeckung des
Dotters, dann das äussere Epithel des Embryo trüb im Bereiche
der Polfelder. Bei Durchströmung in sagittaler Richtung, also
parallel zur Medianebene des Embryo verschmälerte sich das
Rückenmark in transversaler Richtung und erhöhte sich dem ent-
sprechend erheblich in dorsi-ventraler Richtung, und im Bereiche
der Polfelder wurde eine geringe Menge fast flüssiger klarer
Substanz von ihm ausgeschieden. Die Rückenmarkssubstanz
selbst blieb durchscheinend, schien also nicht polarisirbar zu
sein; doch wurden wegen der geringen Zahl der Embryonen
die Versuche nicht genügend variirt, um dies als sicher auf-
fassen zu dürfen.
Vorspringende bestrahlte reagirende Theile werfen wieder
einen Schatten auf die in der Stromrichtung hinter ihnen
liegenden Theile desselben Polabschnittes, so dass diese Theile
erst später trüb werden.
Auch Stücke von Embryonen reagiren; an ihnen
zieht sich während der Reaction zugleich die den Dotter
umschliessende Schicht derart zusammen, dass der Dotter aus
der Schnittstelle zum Theil ausgepresst wird. Die Schnittfläche
des Dotters selber erlangt, so weit sie bestrahlt ist, nur geringe,
punktirte oder fadenförmige Trübung, wohl entsprechend der
geringen Protoplasmavertheilung im Dotter,
Die durchscheinende Beschaffenheit des Fischeies hätte
Gelegenheit geboten, uns über eventuelle, beim Durchströmen
im Bereiche des Äquators vor sich gehende molekulare Ver-
änderungen durch die Beobachtung eines hindurchgesandten
polarisirten Lichtstrahles zu unterrichten; doch war ich zu dieser
Zeit noch zu sehr mit der Übersicht über die Hauptformen der
vorkommenden gröberen Veränderungen beschäftigt, um schon
an die Ermittelung der feineren Verhältnisse zu gehen, und
später konnte ich kein weiteres Fischmaterial erhalten.
An noch durchscheinenden Eierstockseiern bis zu
einer Grösse von etwa Oomm bringt der Wechselstrom mannig-
108 W. Roux,
fache, aber nicht polar localisirte Veränderungen hervor, die
jedoch selbst bei neben einander liegenden Eiern des Eier-
stockes oft verschieden sind. Fast ausnahmslos indess entsteht
in dem mit einer klaren Flüssigkeit erfüllten, grossen, von einer
Membran umschlossenen Keimbläschen, an dessen Innen-
wand eine Anzahl glänzender Körnchen (Nucleolen) liegen,
rasch eine starke Vermehrung dieser; danach entsteht weiter-
hin eine protoplasmaähnliche, dichte, feinkörnige, gelblich-
bräunliche, trübe Masse, in der die glänzenden grösseren
Körner liegen, die sich dann allmälig retrahirt, manchmal zu
einer Scheibe mit vielen zackigen, kantigen Ausläufern. Den
Zwischenraum zwischen der Kernmembran und dieser com-
pacten Kernmasse füllt klare Flüssigkeit aus. In wenigen Zellen
verdickt sich rasch die Kernmembran um das Drei- bis Sechs-
fache. Im Zellleib scheiden sich der Eimembran anliegende,
nicht glänzende (paraplasmatische) grosse halbkugelige Tropfen
von etwa 34 {jl aus, die selten sich zu runden Tropfen ablösen
und dann die äusserliche Zellschicht vacuolisirt erscheinen
lassen. Das vorher helle Protoplasma sondert sich bei etwa ein
Zehntel der Eier in eine äussere, gelbliche homogene und eine
innere feinkörnige Schicht, die beide zusammenhängen. Bei
Eiern, welche schon einige Dotterkörner enthalten, werden die-
selben zwischen diesen beiden Schichten angehäuft. Diese Ver-
änderung erfolgt in 10 bis 15 Minuten; während nichtdurch-
strömte Eier, 24 Stunden nach dem Tode desselben Fisches
der Bauchhöhle entnommen, noch normales Aussehen darbieten.
In Wasser liegende, nicht durchströmte unreife Eier behalten
lange ihr wässeriges Keimbläschen, scheiden aber bald Flüssig-
keitstropfen gegen die Eihaut hin aus, und zwar in grösserer
Zahl als die durchströmten Eier dies thun. Ist diese Aus-
scheidung bei durchströmten Eiern zufallig an zwei gegenüber-
liegenden Stellen localisirt, so kann es den Anschein einer
Polarisation erwecken; doch berichtigt die variable Richtung
dieser Pole zur Stromrichtung sofort diese Auffassung. Auch
die envähnte Sonderung des homogenen Protoplasmas kann
sich in dieser Weise anscheinend polar localisiren. Über diese
morphologisch wichtigen Veränderungen durch den elektrischen
Strom gedenke ich genauere Untersuchungen anzustellen.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 109
Das Herz des Telestes bildet zwei blasse, tonisch contra-
hirte Polabschnitte und eine rothe Äquatorscheibe, letztere
annähernd in Richtung der Niveaufläche des Ortes. Der Tonus
der Polabschnitte überdauerte die Durchströmung. Auch die
Vorhöfe betheiligten sich an dieser Reaction; und man kann
bei Änderung der Stromrichtung das zuerst erhaltene Reactions-
bild umarbeiten lassen.
Die Gallenblasen dieses Fisches sind dünnwandig und
reagiren daher sehr schnell: schon nach 30 Secunden sind die
Polfelder sichtbar. Zuerst entstehen auf dem dunkelgrünen
Grund an dem Pole rundliche, dann eckig werdende und mit
einander zusammenfliessende hellgelbe Flecken, die annähernd
gerundete Maschen einschliessen. Dieser Vorgang breitete sich
von den Polen aus und führte bei der von mir gewöhnlich
angewandten Stromstärke schliesslich unter steter Verschmäle-
rung zum Verschwinden des Äquators. Bei Durchströmung der
Blase in Längsrichtung geht die Vergrösserung der Polfelder
manchmal unter Voraussendung gelber Zacken gegen den
Äquator vor sich. Bei äusserst geschwächtem Strom blieben
die Polfelder auch während 25 Minuten langer Durchströmung
nur kleine Käppchen.
Anhängende Lebersubstanz beeinflusst in keiner erkenn-
baren Weise den Verlauf der Niveaulinien; dagegen wirft das
angewachsene Fett einen kräftigen Schatten und alterirt so die
Gestalt der Polfelder, indem an der Stelle dieses Schattens die
\'eränderung ausbleibt.
Lacerta.
Von Reptilien untersuchte ich nur Eidechsen (Lacerta
agilis).
Die von einem dicht anliegenden Follikelepithel um-
schlossenen jungen Eierstockseier, also die Eierstock follikel
ergaben bei Behandlung mit flem Wechselstrom folgende
Resultate.
Durchscheinende Eierstocksfollikel von 0*5 bis 15 mm
Grösse, deren Eier erst sehr wenige Dotterkörner enthalten,
bilden deutlich trübe Polfelder; diese beginnen als isolirte trübe
110 W. Roux,
Punkte am Pole, dann confluiren die Punkte, während am Rande
neue solche Punkte auftreten, sich weiter ausbreiten und eckig-
maschige Netze bilden von 21 — 30 ji Maschenweite. Mit Zeiss*
Objectiv C sieht man an Eiern von 0*9 — 10 mm Grösse, dass
die trüben Punkte und Netze aus feinkörnigem Protoplasma mit
eingeschlossenem Kern bestehen, also getrübte Follikelepithel-
zellen sind.
Diese Polfelder wachsen noch erheblich nach dem Auf-
hören des Stromes ; ja bei kurz dauernder Durchströmung treten
sie überhaupt erst mehrere Minuten danach auf; durch Einlegen
in Chromsäure werden sie deutlicher und scharf begrenzt.
Nicht isolirte EierstocksfoUikel bilden bloss je ein Polfeld,
nämlich bloss auf der ganz freien, vom Wasser umgebenen
Seite, nicht auf der anderen zum Theil durch benachbarte
Follikel bedeckten Seite, obgleich die benachbarten Follikel
durch eine tiefe, mit dem Menstruum erfüllte Furche getrennt
sind. Beim Durchströmen eines solchen umgestülpten Eier-
stockes tritt demnach die beschattende Wirkung des reactions-
fähigen Substrates in ähnlich ausgesprochener Weise herv^or,
wie sie oben für querstehende Furchen am Pole der Morula des
Wasserfrosches und des Triton beschrieben worden ist. An
bloss mit einem Polfeld versehenen Eierstocksfollikeln breitete
sich nach dem Durchströmen beim Liegen in Wasser die Trü-
bung vom Polfelde allmälig während einer halben Stunde über
das ganze Ei aus, aber mit vom Pole aus abnehmender Inten-
sität. An grossen, dotterkörnerhaltigen Eiern von 7 mw Durch-
messer vermochte ich nach der Durchströmung keine Polari-
sation zu sehen oder durch Chromsäure sichtbar zu machen.
Die Gallenblase der Eidechse verhält sich im Wesent-
lichen wie die der übrigen untersuchten Thiere. Die Polfelder
werden grün, in verdünnter Schwefelsäure rasch opak gelb;
obschon die ausfliessende Galle selber nicht opak gelb wird.
Auch an den Embryonen der Eidechse wurden einige
bezügliche Beobachtungen gemacht. Es standen bloss von drei
schwangeren Eidechsen Embryonen zur Verfügung, welche in
den beobachteten Stadien noch durchscheinend waren und
daher gestatteten, das Verhalten einiger inneren Organe kennen
zu lernen.
Entwicketungsmechanik des Embryo. 111
An diesen Eidechsen -Embryonen mit schon stark vor-
springendem Mittelhim (und mit Extremitätenstummeln) reagirte
vorzüglich das Gehirn auf den Strom. Durchströmt man mit
starkem Strom in cephalocaudaler Richtung, so bildet
die vorspringende Blase des Mittelhims zuerst ein kleines
trübes Polfeld an dem der Elektrode nächsten Theil, welches
in 3 Minuten schon fast die halbe Kugel einnimmt; danach
entsteht auch an der gleichfalls direct bestrahlten dorsalen
Wandung des Hinterhirns, Zwischenhirns und Vorderhirns eine
Trübung. Gleichzeitig wird die ausgedehnte, entgegengesetzte
basale Seite des ganzen Gehirnes trübe; und zwischen diesen
beiden Polfeldern bleibt ein grosser, annähernd parallel con-
tourirter Streifen des Gehirnes vollkommen durchscheinend;
nur im Bereich der ventralen Wandung der Mittelhirnblase,
welche infolge der kugeligen Gestalt der Blase noch besonders
bestrahlt wird, entsteht dem grossen dorsalen Polfelde gegen-
über ein besonders abgegrenztes kleineres, etwas weniger
trübes, aber vollkommen deutliches Polfeld. Die scharf be-
grenzten polaren Trübungen der Gehirnwandung werden auch
nach der Unterbrechung der Durchströmung des Embryo noch
eine Zeit lang intensiver; während der schmale Äquator selbst
nach längerer Durchströmung noch durchscheinend bleibt. Der
gleichfalls unter günstigem Winkel bestrahlte Anfangstheil des
Rückenmarkes bekommt nur eine schwache Trübung. Ferner
wird der schlingenförmige Herzschlauch an den Polseiten
trüb. Das gleiche gilt von den Polseiten derKiemenbogen und der
Extremitätenstun^mel; sie werden ebenfalls oberfläöhlich trüb;
doch konnte ich an ihnen keinen deutlichen Äquator wahr-
nehmen.
Durchströmt man einen Eidechsen-Embryo des gleichen
Stadiums in der Richtung vom Stirnhirn zum Nachhirn,
so sind die trüben Polfelder in der Hirnwandung entsprechend
anders vertheilt, aber ebenfalls scharf begrenzt; am Stirn-,
Zwischen- und Mittelhirn ist je ein vorderes Polfeld; am Mittel-
him, durch hellen Äquator getrennt, ein hinteres Polfeld, und
daran schliesst sich die trübe Hinterhirndachplatte; letzterer
ventral gegenüber liegt der stark trübe, dicke ventrale Theil
des Nachhims. Am Rückenmark sind die Veränderungen wieder
112 W. Roux,
weniger deutlich; dagegen sind sie wieder vollkommen aus-
gesprochen an den derzeitigen Polseiten des Herzschlauches.
Auch die Gehörbläschen bilden polare, aber unscharf begrenzte
Trübungen, Auf einem etwas jüngeren Stadium reagirte das
noch sehr dünne Dach des Zwischenhirns und des vierten
Hirnbläschens nicht erkennbar, sodass bei geeigneter Strom-
richtung den betreffenden Abschnitten das zweite Polfeld fehlte,
wie es übrigens im Bereiche des Nachhirns vorher schon der
Fall war.
Die Hirnwandung der Embryonen verdickt sich im Bereiche
der Polfelder schon während des Durchströmens und noch nach
demselben innerhalb einer Viertelstunde sehr stark, stellenweise
auf das Vier- bis Sechsfache unter Bildung von gleichfalls
trüben, soliden Höckern und Wülsten, die zum Theil regel-
mässig angeordnet sind, und in den Binnenraum der Hirnblase
vorspringen; manchmal ist ihre Bildung schon in einer halben
Stunde so stark, dass sie sich von den beiden Polfeldern aus
in der Mitte berühren und so den durchscheinenden Äquator
unterlagern. Anfangs solide Wülste können später zu Falten
der Hirnwandung werden, indem sich der äussere Theil der
Wandung mit einstülpt. Die Falten sind in Richtung des Stromes
gelegen.
Zum Theil ähnliche, aber natürlich nicht polar localisirte
Veränderungen der Hirnwandung erhält man ohne Durch-
strömung, jedoch viel langsamer, wenn man die Hirnblase auf-
schneidet und die verwendete wässerige, mit wenig VtP^^*
centiger Kochsalzlösung versetzte Menstruumflüssigkeit ein-
dringen lässt. Hiedurch wird die Hirnwandung unter Quellung
von innen aus trüb.
Das Herz reagirt langsamer als das Gehirn und schlägt
gewöhnlich noch, wenn schon am Hirn die Polfelder ent-
wickelt sind.
Auch die AUantois Hess deutlich polare weissliche
Trübung erkennen, besonders ausgesprochen auf der Höhe
der nach aussen vorspringenden direct bestrahlten Falten, in
den Furchen nicht deutlich. Ist die AUantois prall gefüllt, so
sind die Polfelder etwas deutlicher umgrenzt, und daher auch
ein parallel contourirter Äquator eher zu erkennen; aber nie
Entwickelungsmechanik des Embryo. 113
ist der Übergang vom trüben Polfeld zum durchscheinenden
Äquator ein so plötzlicher wie am Gehirn desselben Embryos.
Huhn (G all US dornest icus).
Femer reagiren sehr gut Hühnerembryonen von 2*/^
bis 7 Brüttagen auf den Wechselstrom, während die schon
früher geprüfte Keimscheibe keine Polfelder hatte erkennen
lassen. Da dieses Material gut durchscheinend ist und fast zu
jeder Zeit beschafft werden kann, so wurden an ihm die Beob-
achtungen eKvas weiter ausgedehnt, als dies an den Embrj'onen
der drei Eidechsen möglich war. Die Embryonen wurden in
einhalbprocentiger Kochsalzlösung von 35" — 39* C. durch-
strömt Schon nach 3 bis 5 Minuten tritt an jeder Polseite der
Himbiasen eine scharf umgrenzte Trübung der Wandung, ein
deutliches Polfeld auf, welches wieder je nach der Lage des
Embryo zu den Elektroden verschieden situirt ist, wie dies
bereits von den Eidechsen-Embrj'onen geschildert worden ist.
Die durchscheinende Beschaffenheit gestattet, mit schwachen
Objectiven, Zeiss A und C, zu beobachten, und lässt erkennen,
dass es die innere Schicht der Hirnblasenwandung ist, welche
trüb wird. Bald entstehen im Bereiche der Polfelder, besonders
am Mittelhim, ausgesprochene, wieder in Stromrichtung
gelegene Wülste und Falten der Wandung, siehe Fig, 20,
und zwar vorzugsweise nach innen gegen den Binnenraum
zu; während der scharf begrenzte Äquator jeder Hirnblase
klar durchscheinend und ungefaltet bleibt, und zwar klarer
durchscheinend als der bezügliche Theil des bei jedem Ver-
suchsbeginne zum Vergleiche in 37 — 39" C. warme gleiche
Kochsalzlösung eingelegten gleichalterigen Probe - Embryos.
Letztere werden allmälig etwas trüb, während die durchströmten
Embryonen zunächst durchscheinender werden, als sie waren,
soweit sich nicht Polfelder an ihnen bilden. Erst nach einer
Viertel- bis halben Stunde breiten sich die Trübungen der
durchströmten Embryonen auch über die Äquatortheile aus
und werden etwas hyalin; damit wird der durchströmte Embryo
nicht durchströmten, in nicht mit Salz versetztem Brunnen-
wasser liegenden Embryonen ähnlich, welche allgemein trüb,
etwas hyalin schimmernd werden, aber ihre ungefalteten Hirn-
Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; CI. Bd. Abih. III. 8
114 W. Roux,
Wandungen behalten. Die Hirnwulstungen oder Faltungen def
durchströmten Embryonen bilden dann einen leicht sichtbaren
Unterschied. An in halbprocentiger Kochsalzlösung ohne
Durchströmung liegenden Embryonen dagegen werden viele
verschiedene Schichten trüb, andere bleiben Tage lang durch-
scheinend, so dass die Dififerenzirung viel mehr sichtbar wird,
als im Leben und als an elektrisirten Embryonen.
Die polaren Trübungen finden sich wieder auch an der
basalen Seite des Gehirns in entsprechender Weise, obgleich hier
die Hirnwandung nicht so frei liegt wie dorsalerseits, sondern
vom Kieferbogen, vom Mittelblattgewebe und vom Kopfdarm
bedeckt ist. An dem dünnen Dach des vierten Ventrikels ist die
Trübung nur an den Rändern ganz deutlich.
Die primäre Augenblase reagirt wie das Gehirn. Die
secundäre, schwarz pigmentirte Augenblase reagirt sehr
trag mit Faltungen und Abschnürungen, besonders an den
Polen, und mit Verfärbung und Hellwerden, gleichfalls besonders
an den Polseiten, siehe Fig. 20. Doch entstehen keine scharf
abgegrenzten Polfelder und dem entsprechend auch kein solcher
Äquator. Die Linse zeigt auch Veränderungen. Die Wandung
der Gehörbläschen wird gleichfalls trüb, eventuell gefaltet,
aber wieder nur mit undeutlicher polarer Begrenzung der Ver-
änderung. Auch das Rückenmark Hess in seinem cephalen
Theil polare Trübung, aber wenig deutlich erkennen.
Manchmal glaubte ich auch polare Trübung im freien
Theil des äusseren Keimblattes, im äusseren Überzug des
Körpers zu erkennen; doch war die Abgrenzung keine scharfe
und ist bei der Zartheit dieser Epithelschicht das Urtheil
unsicher. Nur ist eine starke, jedoch wie bei den Eidechsen-
Embryonen, nicht deutlich polar begrenzte Trübung des Epi-
thels der Extremitätenstummel, sowie der sehr direct von
Stromfäden getroffenen Oberflächentheile der Schlundbögen
zu erwähnen.
An jungen Embryonen von 2 — 2^1^ Tagen, an denen mit
dem Mikroskop ohne vorherige Mikrotomirung der Kopfdarm
sichtbar ist, sah ich eine starke, in manchen Fällen deutlich
polar localisirte Trübung seines Epithels, also des Entoblast.
Das Epithel der Rachenmembran und der inneren Seiten der
Entwickelungsmechanik des Embry'o. 115
Schlundbögen ist auch ohne Durchströmung schon trüb; diese
Trübungen aber werden erheblich verstärkt bei geeigneter Lage
der Elektroden. Auch andere stark durchstrahlte Theile des
Entoblast, besonders der vorspringende Umschlagsrand der
vorderen Darmwand zum Dottersack, werden bei Durchströmung
in geeigneter Richtung auf den Polseiten deutlich trüb. An dem
noch S-förmigen Herzen wird gleichfalls auf den Polseiten
eine Trübung durch den Wechselstrom hervorgebracht. Weiter-
hin entstehen an den Seitenplatten des mittleren Keim-
blattes, sowie an den Ursegmenten des Kopfes, Halses und
vorderen Rumpfes polare Trübungen. Manchmal bekommt jedes
Ursegment je eine, bei Längsdurchströmung proximale und
distale, weisslich trübe Grenzscheibe, bei Querdurchströmung
ein mediales und ein laterales weisses Feld; andere Male ist die
polare Localisation der Trübungen undeutlich. Einmal sah ich
nach einer nicht bis zur Polfeldbildung an den Ursegmenten
fortgesetzten Durchströmung innerhalb einer Stunde an der
ganzen lateralen Seite jedes Rumpfsegmentes ein schmales
Stück sich abschnüren und einige davon sogleich mit dem
davor und dahinter liegenden Stück zu einem einheitlichen
Strang sich verbinden. Erwähnenswerth ist, dass vor der Ab-
schnürung jeder laterale Rand des Ursegmentes sich wie durch
transversale Einschnitte, welche aber wohl durch Umordnung
der Epithelzellen bedingt waren, sich in 4 oder 5 Sprossen
sonderte, dass diese sich vom Ursegment abschnürten und
dann zu dem Längsstrang sich vereinigten. Es ist die Bildung
des Umierenganges, die ich da direct von der Dorsalseite des
Embryo aus beobachtet habe; ob dieselbe durch die elektrische
Behandlung beschleunigt war, oder ob sie für gewöhnlich so
rasch verlauft, müssen erst weitere Beobachtungen darthun.
Im Bereiche der polaren Trübungen der Ursegmente
scheint der Zellverband gelöst, denn man sieht mit Zeiss C
nur noch viele Zellkerne von 7 |t Grösse; also hat wohl
Framboisia interna stattgefunden, wie beim äusseren Epithel
der Frosch-Embryonen. Ahnliches sieht man auch an den
Polfeldem von Stücken des Rückenmarkes und Gehirnes,
sowie an der Chorda dorsalis; doch ist Genaueres erst nach
der Mikrotomining der Objecte festzustellen. Dies gilt auch
8*
116 W. Roux,
allgemein für die zwischen den epithelialen Gebilden gelegene
Bindesubstanz, an welcher ich in frischem Zustande keine Ver-
änderung wahrnehmen konnte. In getrübten Stellen des Ento-
blast sieht man schon mit Zeiss C viele glänzende Kügelchen
von 1*4 — 3 -5 ji Grösse. Diese sind es wohl, welche die Trübung
bedingen.
Am Mittelhirnbläschen entsteht auch manchmal eine be-
sondere Niveaulinie, welche dunkler ist als der benachbarte
Theil des Polfeldes, dessen Grenze sie darstellt.
Der Äquator beträgt bei der angewandten Stromstärke an
der Mittelhirnblase etwa Vg ^^^ Ausdehnung des Gebildes in
Richtung des Stromes; bei den beiden Grosshirnbläschen ist
er breiter. Die Äquatoren der Mittelhirnblase, der Zwischen-
himblase und der Grosshirnbläschen sind nicht einander
parallel, sondern es ist, wie bei den schief zur Stromrichtung
stehenden Gallenblasen der Kaninchen, eine Ablenkung des
Äquators von der Niveauflächenrichtung des Menstruums nach
der grössten Ausdehnung der bezüglichen Blase wahrnehmbar;
dies gilt daher besonders für die Grosshirnbläschen und für
das Zwischenhirn, siehe Fig. 20. Es gelten hier überhaupt die
früher von der Localisation der Polfelder an Froschöiern und
-Embryonen und an Gallenblasen aufgestellten Regeln von der
directen Bestrahlung und vom Stromschatten.
Das das Hirn umgebende, selber nicht erkennbar reagrrende
differente Gewebe beeinflusst nicht die Anordnung der Polfelder
an den von ihm eingehüllten Organen; die Hirnblasen verhalten
sich, als ob ihre bestrahlten Formen unverhüllt da lägen. So
Hess auch die Einhüllung in das Amnion keine die Locali-
sation alterirende Wirkung erkennen, von einer geringen Ver-
zögerung der Polfeldbildung abgesehen, welche ich zu bemerken
glaubte.
Am Herzschlauch des Hühnchens bilden die beim
Durchströmen sich trübenden Theile den äussersten Theil der
Wandung und stellen, bei Zeiss C gesehen, eine gelbliche,
dichte, die einzelnen Zellen nicht mehr recht erkennen lassende
Schicht von zum Beispiel 21 |x dar, während man an den nicht
polarisirten Stellen der Rinde die einzelnen 7 — 14 [jl grossen
Zellen deutlich unterscheiden kann. Die polarisirten trüben
Entwickelungsmechanik des Embryo. 11/
Stellen scheinen aus dicht gedrängten Zellkernen von 7 (jl
Grösse zu bestehen. An einem bloss durch Liegen in warmer,
V^procentiger Kochsalzlösung getrübten Herzschlauch war
diese Schicht nicht auffindbar.
Alle bisher durchströmten Gebilde, mit Ausnahme der
Stücke von Froschembryonen, waren durch gerundete oder
auf andere Weise nach aussen vorspringende Flächen begrenzt.
Es ist daher die Vermuthung zu prüfen, ob diese Gemeinsam-
keit der Formen nicht vielleicht Veranlassung zu der gefundenen
Gemeinsamkeit in der Localisation der Veränderungen auf zwei
durch einen unveränderten Äquator getrennte Polfelder ist. Da
in den Hirnblasen Hohlgebilde mit nicht collabirender Wandung
vorhanden sind, war Gelegenheit gegeben, diese Vermuthung
zu prüfen.
Ich zerschnitt daher den Kopf von Hühnerembryonen und
Hess in die offene Höhlung des Vorder- und Mittelhirns den
Strom direct eintreten. Es zeigte sich, dass jetzt nicht etwa ein
trüber Polring am offenen Rande, eine Polkappe am blinden
Ende und zwischen beiden ein unveränderter Äquator, an dem
eine halbe Kugelschale darstellenden Gebilde entstanden,
sondern das ganze bestrahlte Gebilde wurde trüb. Zugleich sah
man jetzt sehr deutlich, dass nur die innere Schicht der Hirn-
wandung sich trübt und zunächst allein die wieder in Richtung
des Stromes gelegenen Wülste bildet. Ist dagegen das direct in
seine Höhlung bestrahlte Hohlgebilde relativ lang, sackartig,
dann sieht man, dass die Umgebung des Einganges und der
Fundus viel trüber werden, als der zwischen ihnen gelegene
mittlere Theil. Wird aber ein so gestaltetes Hohlgebilde parallel
der Schnittfiäche durchströmt, so reagirt es, als wenn es noch
geschlossen wäre, also wie früher beschrieben.
Ein zwei Tage bebrütetes Hühnerei wurde uneröffnet
in der Längsrichtung des Embryo durchströmt und danach der,
abgesehen vom Gehirntheil, noch flach ausgebreitete Embryo
herausgenommen. Er hatte trübe Polfelder an der bestrahlten
Seite des vorderen Endes des Gehirnes, dann einen quergestellten
trüben Streif im Bereiche des Rückenmarkes hinter dem Nach-
him, entsprechend einer zufällig daselbst vorhandenen Biegung,
deren Oberfläche von Stromfäden getroffen werden konnte,
118 W. Roux,
ferner Trübung des Entoblast an der Umschlagsstelle desselben
vom hinteren Ende des Vorderarmes zum Dottersack. Besonders
an den trüben Stellen zeigten auffallend viele Zellen bei hoher
Einstellung des Systems Zeiss' Immers. II zwei matte, an-
nähernd den Elektroden zugewendete Felder, die durch einen
hellen, homogen erscheinenden Äquator getrennt waren; jedoch
habe ich in keinem anderen Falle, selbst nicht nach 6 Stunden
langer Durchströmung ganzer Hühnereier solche polaren (?)
Trübungen am Embryo und solche scheinbar polarisirten Zellen
wieder aufgefunden. Nach Zerreissung des Embryo wurden alle
Zellen der Rissfläche, sowohl der Chorda, wie des Rücken-
markes kugelig. An den trüben Stellen fanden sich zahlreiche
Körnchen zwischen den Zellen und bildeten wohl die Ursache
der Trübung. Auch die noch innerhalb der Chordascheide
befindlichen Zellen der Chorda dorsalis dieses Embryos zeigten
sich nach dem Durchströmen gerundet, hatten also Framboisia
interna gebildet; zum Theil hatten sie unter Aufnahme von
Flüssigkeit zugleich ein bis etwa zum Neunfachen des Normalen
gesteigertes Volumen angenommen.
Weitere Aufklärung über die Gestaltungsursache des Pol-
feldes gewährten die noch ganz oder fast ganz platten,
jüngeren Hühnerembryonen.
An Stücken von einem bloss 40 Stunden lang bebrüteten
Embryo wurde deutlich, dass die polaren Trübungen an den
gegen die Elektroden gewendeten Flächen oder Kanten begannen,
und auch an den direct bestrahlten Theilen von Krümmungen
des Medullarrohres, sowie des Ektoblast, auftreten.
Nur 20 Stunden, ja erst wenige Stunden bebrütete Keim-
scheiben, welche früher bei plattem auf dem Boden liegen
nicht reagirten, bildeten nach dem Zusammenfalten an dem
gegen die Elektrode gewendeten Umbiegungsrande schwache,
nach dem Wiederausbreiten noch sichtbare Trübungen, be-
sonders aber vorspringende Buckeln des Ektoblast, ähnlich
denen des Gehirnes der älteren Embryonen, aber kleiner, und
zwar entwickelte von zwei parallel neben einander liegenden
Falten jede einzelne zwei durch einen besonderen Äquator
getrennte Polfelder, entsprechend den den Elektroden zuge-
wendeten beiden Seiten. Auch in der Area opaca trübte sich
Entwickelungsmechanik des Embryo. 119
der Ektoblast etwas, wenn auch nicht so deutlich als auf der
Zona pellucida und dem Embr^'o.
Auf den galvanischen Strom von 12 Bunsen'schen
Elementen reagirten die Hühnerembryonen zum Theil noch
stärker, als auf den für gewöhnlich verwendeten Wechsel-
strom.
An Hühnerembryonen von 5 — 7 Brüttagen entsteht zuerst
wieder, wie beim Froschei, das anodische Polfeld, welches
schon nach einer Minute am Mittelhirn stark ausgeprägt,
nach 4 Minuten schon gefaltet ist. Drei Minuten nach dem
Beginne der Durchströmung trat das kathodische Polfeld auf,
aber zuerst nur an den in der Nähe der Kathode liegenden
Embryonen. Ähnliches zeigte sich auch an den anodenwärts
liegenden Embryonen bezüglich des positiven Polfeldes, jedoch
in minderem Maasse.
Für die Lage der Polfelder gilt das für den Wechselstrom
Mitgetheilte. Schon nach 5 Minuten war die Wirkung im
anodischen Polfeld so stark, dass einige der Falten der Hirn-
wandung, welche auch hier wieder in Richtung des Stromes
lagen, aufplatzten.
Auch die secundären Augenblasen reagiren wieder
stark; die hell gewordenen Polfelder sind hier zum Theil
besser vom schwarzen Äquator abgegrenzt als beim Wechsel-
strom, und zeigen zum Theil auch Faltung in Richtung des
Stromes.
Ganz evident ist beim Gleichstrom die Wirkung auf den
äusseren Körperüberzug; der Ektoblast wird geradezu weiss,
wo er direct bestrahlt wird. Besonders stark ist diese Ver-
änderung wieder an den Extremitäten, deren Polfelder zwar
auch hier nicht deutlich abgegrenzt waren, aber doch einen
Äquator geringerer Veränderung zwischen sich zu haben
schienen. Auch das bestrahlte Epithel der Kiemenbogen wird
besonders stark weiss, und die Allantois ist deutlich polarisirt.
Die den Boden des Gefässes berührenden, oder ihm sehr
nahen Seiten der Embryonen bleiben durchscheinend; bloss
die aufwärts gebogenen, gegen die Elektroden gewendeten
Ränder an den Unterseiten bieten noch die Veränderung dar,
so dass zum Beispiel ein am Boden liegendes Auge entsprechend
120 W. Roux,
der zugewendeten Elektrode nur ein anodisches, kein katho-
disches Polfeld hat.
Bei diesen Versuchen fiel mir wieder, siehe S. 82, auf, dass
die Wirkung mit dem Abstand von der Elektrode stark
abnahm, indem das anodische Polfeld an den der Anode ent-
fernteren Embryonen später auftrat und schwächer verändert,
respective kleiner war, als an den der Anode näheren Embry-
onen; dasselbe galt in noch stärkerem Maasse für das
kathodische Polfeld.
Dieses Verhalten erinnert an eine Beobachtung von Ver-
worrn an einem langen, in Stromrichtung liegenden, mit viel-
fachen knolligen Verdickungen, versehenen Faden der Loh-
blüthe, der gleichfalls mit dem Gleichstrom behandelt worden
war. Seine Figur 7 auf Tafel IV zeigt, dass an diesem Faden
die anodische Veränderung auf den Anodenseiten aller Knollen
nicht bloss bis zur Mitte des Fadens, sondern fast in ganzer
Länge auf */io desselben vorhanden war, dass aber diese Ver-
änderung an Intensität, sowie an Ausdehnung an den einzelnen
Knollen von dem Anodenende des Fadens stetig abnahm, und
dass an den der Anode nächsten Knollen die anodische Ver-
änderung auch auf der der Anode abgewendeten Seite, an den
entfernteren Knollen bloss auf der direct der Anode zugewen-
deten Seite sich findet. Verworrn^ sagt darüber S. 276:
3^ Diese Intensitätsabnahme der Verfärbung von dem positiven
Pol aus nach dem negativen hinüber scheint daraufhinzuweisen,
dass die Wirkung des Stromes an den anodischen Stellen um
so schwächer ist, je weiter diese von der positiven Elektrode
entfernt liegen, so dass es also an entfernteren Stellen einer
längeren Stromdauer bedarf, bis der körnige Zerfall einen
makroskopisch bemerkbaren Umfang angenommen hat.« Die
mögliche Ursache dieses Verhaltens angehend, so liegt in der
langen continuirlichen Ausdehnung in Stromrichtung seitens
eines wohl besser als das umgebende Menstruum leitenden
Gebildes ein Moment, welches diese Erscheinung der i\bnahme
der Wirkung mit dem Abstand von der bezüglichen Elektrode
durch Aspiration und Vorwegnahme der Stromfäden durch die
1 M. Verworrn, Pflüger's Arch., Bd. 46, 1889.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 121
der Elektrode näheren Stellen des Gebildes auf eine sehr ein-
fache Weise erklären lässt. Versuche über die wahre Bedeutung
dieses Vorkommnisses, die gezeigt haben würden, was es für
eine Bewandtniss mit ihm hat, sind vonVerworrn, dessen
Untersuchung einen anderen Zweck verfolgte, nicht angestellt
worden.
Da man Hühnerembryonen fast das ganze Jahr haben
kann, verschob ich weitere Versuche über dieses Verhalten und
nahm sie erst wieder auf, als leider am hiesigen Orte die
befruchteten Eier schon zu Ende gingen.
Es waren bisher runde Glasschalen verwendet worden,
so dass das Strombett sich gegen die Mitte stark verbreiterte,
also die Stromdichtigkeit abnahm. Dies zu eliminiren, nahm ich
bei Wiederaufnahme der Versuche eine oblonge Schale
in Gebrauch, welche nur wenig breiter war als die Platinelek-
troden. In dieser Schale wurden zwei Hühnerembryonen von
acht Tagen Brütedauer durchströmt, von denen jedoch der eine
Embryo nicht grösser und weiter entwickelt war, als ein normaler
Embryo von fünf Tagen, obwohl er noch lebte, wie das schlagende
Herz bekundete. Der grössere dieser Embryonen lag nahe der
Anode, an die Seitenwand des Glases gelehnt, mit dem Hinter-
ende gegen die Anode gewendet; und dicht neben seinem Kopf
wurde der kleine Embryo gegen dieselbe Glaswand gelehnt,
auch mit dem Steiss gegen die Anode gerichtet. Bei der Durch-
strömung wurden zunächst die in der Nähe der Anode liegenden
Theile des grossen Embryo trüb, weiss, und zwar die linke
Hinter- und Vorderextremität in toto auf beiden Seiten ohne
Äquator; auch sah man eine Zeit lang die trüb gewordenen
Knorpelstrahlen der Zehen und die trüb gewordene Knorpel-
substanz des Tarsus durchscheinen; ferner wurde der Steiss
in toto trüb; vom Rumpf bloss die Anodenseite, desgleichen vom
Kopf. Die Kathodenseite des Kopfes und Rumpfes, und der in
Richtung des Stromes liegende Hals blieben durchscheinend.
Der kleine Embryo blieb im Ganzen hell und erhielt bloss am
Dach des Mittelhirns, welches der Kathode am nächsten stand, in
Richtung des Stromes verlaufende Wülste, wobei dieser Theil nur
wenig trüb wurde und sich dadurch augenfällig von den weissen
oder weisslichen Polfeldern des anderen Embryo unterschied. Der
122 \V. Roux,
kleine Embryo selbst aber bekam keine deutlichen anodischen Pol-
felder. Die gegen die Boden- und Seitenfläche gelehnten und die
angrenzenden Theile beider Embryonen blieben gleichfalls hell.
Wir haben also in der Nähe der Anode an den Extremi-
täten anodische Polfelder von starker Intensität der Veränderung,
welche letztere sogar beide Seiten erfasste und keinen Äquator
erkennen Hess; mit der Entfernung von der Elektrode nahm die
Wirkung rasch ab und beschränkte sich bloss auf der Elektrode
zugewendete Flächen. Ein kathodisches Polfeld war nur an dem
der Kathode nahen kleinen Embryo und bloss am nächsten
Theile sichtbar; allerdings ist zu berücksichtigen, dass die
kathodische Veränderung überhaupt weniger sichtbar ist.
Zugleich war noch die Wirkung des Schattens hier sehr deut-
lich, indem gegen die Glaswand gewendete Flächen der
Embryonen unverändert geblieben waren. Da die beiden
Embryonen und ihre Theile in Stromrichtung hinter einander-
lagen, konnte man denken, die Abnahme der Wirkung mit
dem Abstände von den Elektroden beruhe auf Beschattung der
distalen Theile. Um diese Vermuthung zu prüfen, respective
zu beseitigen, wollte ich drei kleine Embryonen der Art seitlich
gegen einander verschoben in die Strombahn zwischen die
Elektroden vertheilen, dass sie sich nicht beschatten konnten.
Die noch bebrüteten Eier waren jedoch nicht befruchtet und
waren zur Zeit (im November) befruchtete Eier hierorts auch
nicht mehr zu erlangen, so dass damit diese Versuche ein Ende
nehmen mussten.
Zum Schlüsse prüfte ich daher noch den kleinen Embryo,
der bei seiner Lage in Richtung des positiven Stromes hinter
dem grossen Embryo trotz so langer, fast eine halbe Stunde
dauernder Durchströmung kein anodisches Polfeld gebildet
hatte, indem ich ihn in der früheren Richtung neben die Anode
legte; alsbald wurde er ganz weiss auf der Anodenseite, und
an der Gehirnbasis entstanden wieder die typischen parallelen
Wülste in Richtung des Stromes. Dasselbe mit dem ganz gleich
behandelten Kopf des grossen Embryo gethan, ergab jetzt ein
ganz anderes Resultat; obgleich er, neben der Anode liegend, in
derselben Richtung wie früher durchströmt wurde, verlor er
seine anodischen Trübungen, statt sie zu verstärken.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 123
Das interessante Verhalten der anscheinend in gleicher
Weise ringsum anodisch veränderten Extremitäten konnte nun
gleichfalls nicht weiter untersucht werden.
Säugethiere.
An Säugethieren wurden bis jetzt nur wenige Versuche
gemacht. Ich verfolgte bloss den Zweck zu controliren, ob die
bei allen anderen Wirbelthierclassen beobachtete Reactions-
fahigkeit der embryonalen Organe hier auch vorhanden sei.
Nur an den Gallenblassen wurden wegen ihrer besonderen
fomnalen Qualification einige neue Experimente angestellt.
Was die Eier angeht, so verwendete ich zunächst die
Eier der weissen Maus. Diese Eier bieten oft schon ohne
Durchströmung ein polarisirtes Aussehen dar, ähnlich dem-
jenigen einzelner Zellen der Tritongastrula, indem Dotterkörner
an zwei einander gegenüberstehenden Seiten gelagert sich
finden und ein helles, bei zufällig passender Richtung des-
selben leicht für den elektrischen Äquator aufzufassendes
Mittelfeld freilassen. Es ist mir jedoch mit dem Wechselstrom
weder an den isolirten Eiern noch an den ganzen Eierstocks-
follikeln der Maus gelungen, Polfeldbildung zu veranlassen;
und das Gleiche gilt von den Eiern des Kaninchens und
Schweines, obgleich die Eier der beiden ersteren unmittelbar
nach der Tödtung dem Thier entnommen wurden.
Dagegen bildeten Embryonen der weissen Maus von
einem Stadium der ausgeprägten Nackenkrümmung und An-
deutung der Zehenstrahlen in den Extremitätenstummeln
wieder, ebenso wie die Hühnchen- und Eidechsenembryonen
annähernd gleicher Entwicklungsstufe, die Polfelder an den
Himblasen und am Rückenmark. Auch wird die Oberfläche
der Extremitäten wieder besonders weisslich trüb. Somit ist
wenigstens auch an Embryonen von Säugethieren diese Reac-
tionsfahigkeit nachgewiesen.
Die Gallenblasen neugeborner oder wenige Tage alter
Kaninchen verhalten sich im Wesentlichen gleich denen des
Frosches; sie sind aber nicht, gleich diesen, rund, sondern
länglich, zwei- bis dreimal so lang als breit. Bei schwachem
Strom sieht man deutlich, dass die Polfeldbildung in Form
I
124 W. Roux,
grüner Flecken an den Polen beginnt, sich von da allmälig
ausbreitet, während die erstgebildeten Flecken grösser werden
und confluiren. Nach zum Beispiel 5 Minuten langer Durch-
strömung hatte der Äquator bloss noch eine Ausdehnung von
einem Drittel der durchströmten Längsrichtung, und nach
weiteren 8 Minuten war diese Grösse nur auf ein Viertel der
Länge verkleinert.
Wird eine Gallenblase der Länge nach in so wenig Wasser
durchströmt, dass die obere Fläche nicht vom Wasser
bedeckt ist, so entstehen die Polfelder blos an dem im Wasser
liegenden Theil und sind der Art gestaltet, dass der Äquator
nicht parallel wie bei vollkommener Umschliessung der Blase,
contourirt ist, sondern sich von unten her allmälig zu der
unveränderten, nicht eintauchenden, bloss benetzten oberen
Fläche der Blase verbreitert. Dieses Verhalten bew^eist erstens
wiederum, dass nur im Bereich des Ein- und Austrittes von
Stromfäden die Veränderung vor sich geht und zugleich, dass
bei vollkommener Eintauchung auch von einem höheren Niveau
aus Stromfäden gegen die Seitenwand der Gallenblasen con-
vergirend eintreten.
Um zu prüfen, ob die beobachtete Erhöhung der Diosmose
im Bereich der Polfelder auch für andere Flüssigkeiten als
Galle zur Wirkung gelange, wurden die Gallenblasen von
zwei fast erwachsenen Kaninchen durch Unterbindung in je
zwei Abschnitte gelegt und dem einen Theil zu seiner Galle
noch wässerige neutrale Carminlösung eingespritzt. Nach
fünf Minuten dauernder Durchströmung bekam dieser Abschnitt
rothe Flecken im Bereiche seiner Polseiten, obgleich die Blasen-
wandung sehr sehnig war. Die grünen Flecke der anderen Ab-
theilung ergänzten sich nach Einlegen in leicht mit Schwefel-
säure angesäuertes Wasser sofort zu continuirlichen, scharf
gegen den Äquator abgesetzten Polfeldern, während an dem
Carmin haltigen, sehnigeren Abschnitte die rothe Fleckung nur
wenig deutlicher ward, aber nicht zu continuirlichen Polfeldern
confluirte.
Um zu Studiren, wie sich ceteris paribus die Breite des
Äquators bei ungleicher absoluter Grösse der durch-
strömten Gebilde verhält, unterband ich wieder Gallenblasen
Entwickelungsmechanik des Embryo. 1 25
vier W'ochen und darüber alter Kaninchen im Verlaufe ihrer
Länge. Zugleich beabsichtigte ich, die Wirkung des Schattens,
den diese nahen Abschnitte vielleicht auf einander werfen,
kennen zu lernen.
Bei Längsdurchströmung einer solchen, an ihrem stumpfen
Ende zur Kugel abgeschnürten Gallenblase mit schwachem
Strom entstand zuerst am freien, spitzen Ende der Blase, dann
am freien Theile der Kugel je ein Polfeld, nicht aber an den
neben der Einschnürung liegenden gewölbten, einander zuge-
wendeten Flächen; selbst bei 13 Minuten währender Durch-
strömung nicht. Erst nach Ansäuerung des Wassers mit Schwefel-
säure und erneuter Durchströmung entstanden an diesen Flächen
auch Polfelder. Der längere, 9 mm lange, zugleich dünnere, also
wohl auch dünnwandigere Abschnitt hatte in dieser langen Zeit
einen Äquator von 7 mm, die Kugel mit 5 mm Durchmesser
einen Äquator von l'bmm Durchmesser behalten; woraus
deutlich hervortritt, dass das in Richtung des Stromes grössere
Gebilde procentisch erheblich kleinere Polfelder gebildet hatte
als das kleinere. Dieser Versuch wäre sehr beweisend, weil
das längere Stück zugleich dünner und dünnwandiger war,
also demnach eher einen procentisch kleineren Äquator hätte
erhalten sollen, wenn es nicht zugleich mehr cylindrisch,
das andere dagegen kugelförmig gewesen wäre, so dass also
die cetera paria in Bezug auf die Gestalt nicht vorhanden
waren.
An einer Gallenblase mit dickem Fundus und erheblich
dünnerem Ausführungstheil wurde letzterer Theil abgeschnürt
und die Gallenblase quer zum Strom gestellt, so dass jetzt beide
Abschnitte ihre Rotationsflächen den Stromfäden darboten; da
war zu sehen, dass an dem dünneren Abschnitt die Polfelder
schon entwickelt waren, als an dem Pol des dickeren erst die
ersten Flecken auftraten. Nach 10 Minuten war der Äquator
des 2-7 ww dicken Theils bloss 1 -4 mm breit, während er am
4 • 5 mm dicken Abschnitt bloss 3 • 2 mm mass. Dieses Verhalten
würde also den an ungleich grossen, unreifen Froscheiern
gemachten Beobachtungen vollkommen widersprechen, wenn
nicht anzunehmen wäre, dass der dickere Abschnitt der Gallen-
blase eine seinem grösseren Umfange entsprechende, grössere
126 . W. Roux,
Wandungsdicke hätte. Die cetera paria sind leider nicht voll-
kommen herzustellen.
Nach der anderen Seite aber haben wir in diesen und
mehreren entsprechenden Versuchen ein vollkommenes Resultat
in einer viel wichtigeren Frage erhalten: an all den in Unter-
abtheilungen geschnürten Gallenblasen bildet jede Unter-
abtheilung bei genügend starkem Strom ihre eigenen Pol-
felder und ihren eigenen Äquator, und zwar dies nicht
bloss, wenn die Gebilde im Strom neben einander liegen, wo es
selbstverständlich ist, sondern auch, wenn sie in Richtung des
Stromes hintereinander sich befinden; nur treten die beiden
einander zugewendeten Polfelder erst später auf. Obgleich
jede so behandelte Gallenblase ein aus einheitlicher Substanz
bestehendes Continuum darstellt, bildet sie also doch vier Pol-
felder mit zwei Äquatoren; jedenfalls weil sie eine tiefe Ring-
furche hat, in welche der Elektrolyt eingreift und von Strom-
faden durchsetzt wird. Bei sehr lang dauernder Durchströmung
gehen die beiden mittleren Polfelder am Grunde der Furche in
einander über. Dann gleicht also die Reaction wesentlich der
von Froschembryonen mit einer Einschnürung in der Mitte des
Leibes, welche bei Durchströmung auch zwei Äquatoren und
ein drittes, sie trennendes Polfeld entwickelten.
In der Tiefe der Furchen zwischen diesen Abschnitten
entsteht aber die Verfärbung erst spät, auch an den nicht vom
Faden bedeckten Theilen. Diese Stellen befinden sich also in
einem Stromschatten. An Gallenblasen, welche in keilförmige
Abschnitte geschnürt waren, erhielt auch der Äquator des keil-
förmigen Abschnittes bei Querdurchströmung keilförmige Gestalt.
Da ich über den Stromschatten etwas mehr zu erfahren
wünschte, machte ich einige bezügliche Experimente.
Um zu sehen, ob auch an Stellen, wo der Strom nicht vom
Elektrolyten aus in den »Intraelektrolyten« eintritt, sondern
beim blossen Durchtritt durch den letzteren eine genügend
starke Wirkung entsteht, wurden zwei Kaninchengallenblasen
durch zwei Ligaturen mit ihren Langseiten fest gegen einander
gepresst und quer durchströmt. Nach acht Minuten langer Durch-
strömung war in einem Falle an den sich bloss berührenden
Endabschnitten die Berührungsstelle weniger gelblich als die
Entwickelungsmechanik des Einbr}'o. 127
Umgebung, welche ein deutliches Polfeld gebildet hatte. An dem
am innigsten zusammengepressten mittleren Abschnitte waren
die ausgedehnten Berührungsflächen noch weniger gefärbt und
oben von einem nur sehr schmalen freien Polfeld saumartig
begrenzt. Die Schattenwirkung war also deutlich. Es war jedoch
kein absoluter Schatten, und bei längerer Durchströmung wurden
diese Berührungsflächen vollkommen polfarben.
An Gallenblasen, welche noch mit der Leber verwachsen
waren, entstanden Polfelder auch an dieser Verwachsungsstelle.
Wurde dagegen, um eine nur geringe Schattenwirkung erkennen
zu können, die Gallenblase einer Eidechse, in ihrer Leber liegend
bloss 45 Secunden durchströmt, so bot sie an dem freien Theil
Polfelder dar, die einen parallel contourirten Äquator ein-
schlössen, während im Bereiche der mit der Leber verwachsenen
Oberfläche die Blasenwandung noch die frühere blaue Ober-
fläche gleich dem Äquator besass. Eine beschattende Wirkung
der Leber war also vollkommen deutlich. Trotz dieser quanti-
tativen Wirkung vermag jedoch die Leber die Lage des
Äquators an der Blase nicht wesentlich zu alteriren. Wenn
man nämlich die Leber bloss auf einer Seite der Blase weg-
nimmt und die andere angewachsene Hälfte der Leber gegen
eine Elektrode wendet, so liegt nach genügender Durchströmung
der Äquator der Gallenblase gleichwohl in der Mitte derselben
wie bei einer freiliegenden Gallenblase.
Die vorliegende Lebersubstanz wirkt also nicht als Polfeld
wie die Vorhöfe des Fisch- und Froschherzens bei gleicher Lage,
indem sie den Äquator auf dem Ventrikelabschnitt gegen sich
hin zu verschieben vermochten. Daraus könnte man vielleicht
ableiten wollen, dass die Leber durch den Strom wirklich nicht
polarisirt werde, und dass nicht etwa ihr polares V^erhalten bloss
nicht sichtbar sei; dies wäre aber eine nicht zulässige Schluss-
folgerung.
Bei den vorstehenden Versuchen über den Stromschatten
lagen die Gebilde, die sich beschatten sollten, immer bloss
neben einander. Wurden weiterhin, behufs vollkommener
Umschliessung, Tritoneier auf den lebenden Leberlappen
eines Kaninchens gelegt, und mit einem andern grossen Leber-
lappen gut zugedeckt und 15 Secunden mit schwachem Strom
128 W. Roux,
behandelt, so bildeten sie nur ganz schwache Polfelder, etwa
wie an den freien Probeeiern nach bloss zwei Secunden langer
Durchströmung.
Wurden unbefruchtete Froscheier in die lebende Harnblase
des Frosches gethan, also von einer nicht reagirenden Haut
vollkommen umschlossen, so bildeten sie bei 9 Minuten langem
Durchströmen die Polfelder wie ein freies Ei; wohl weil die
Durchströmung für die empfindlichen Froscheier trotz des
äusseren Hindernisses viel zu lang gedauert hatte. Dagegen
entstanden an der Gallenblase eines jungen Kaninchens, welche
in ein Stück Harnblase desselben Thieres, eng umschlossen,
eingebunden war, bei 7 Minuten dauerndem Durchströmen nur
sehr kleine Polfelder der Art, dass der Äquator 3 '5 mm Breite
von 5 mm Organlänge in Stromrichtung besass, während an
einer anscheinend gleichen, freiliegenden, ebenso lange durch-
strömten Gallenblase diese Breite bloss 407o ^^^ Länge betrug.
Die lebende Harnblase schwächte also die Stromwirkung
erheblich.
Schliesslich wurden reactionsfähige Gebilde in ein anderes,
gleichfalls reagirendes Substrat vollkommen eingeschlossen,
indem Tritoneier in die schon ziemlich dickwandige Gallenblase
eines vierwöchentlichen Kaninchens der Art gethan wurden,
dass sie eng von ihr umschlossen waren. Nach nur 5 Secunden
dauernder Durchströmung mit geschwächtem Strom hatten sie
gleichwohl schon in gewohnter Weise reagirt. Die Stromfäden
vermögen also auch nach dem Durchgang durch ein auf sie
specifisch reagirendes Substrat sogleich ein weiteres reagirendes
Substrat zu alteriren; also wo die Stromfäden auf ein reagirendes
Substrat unter geeigneten Nebenumständen treffen, da wird es
alterirt, auch wenn dieselben Stromfäden vorher schon gleiche
Arbeit geleistet haben.
Dieses Verhalten des Wechselstromes ist jedem Physiker
selbstverständlich, und ein besonderer Nachweis erscheint
daher überflüssig. Mich veranlasste indess zu dieser Prüfung
das beim Gleichstrom beobachtete scheinbar abweichende Ver-
halten, indem ein der Elektrode näherer grosser Hühnerembryo
fast vollkommen die Veränderung des in Stromrichtung hinter
ihm liegenden kleineren verhinderte, ja indem trotz gleich-
Entwickelungsmechanik des Embryo. 1 29
bleibenden Querschnittes der elektrolytischen Bahn die polari-
sirende Wirkung mit dem Abstand von der bezüglichen Elek-
trode abnahm. Da wir gesehen haben, dass solche Wirkungs-
weise dem Wechselstrom nicht zukommt, werden wir darauf
hingewiesen, dass sie kein allgemeines, sondern nur ein mit
der specifischen Wirkungsart des Gleichstromes in Zusammen-
hang stehendes Verhalten ist.
Nicht morphologisch polarisirbare Organe.
Wenn man an so vielen lebenden Objecten, wie vorstehend
berichtet, Monate lang, täglich mit immer wesentlich dem-
selben Erfolg polarer Trübungen oder gröberer, polar localisirter
fonnale Veränderungen experimentirt, so bildet sich unwillkür-
lich die Vorstellung, diese Reactionsfähigkeit sei eine allgemeine
Eigenschaft der lebenden Organe. Um so mehr fällt es daher
auf, wenn plötzlich bei einem Objecte keine Reaction eintritt;
und man ist zunächst versucht, dies auf eine ungenügende
Versuchsanordnung zurückzuführen. Diese Vermuthung hat
sich auch für manche Fälle als zutreffend erwiesen, indem sich
bei entsprechender Änderung der Anordnung schliesslich noch
die Reaction zeigte. So ist es mir schwer geworden, den noch
platten Embryo und die secundäre Augenblase des Hühnchens
zum Reagiren zu bringen.
Nicht gelungen ist es mir jedoch, mit dem Wechselstrom
polare morphologische Veränderungen von keimplasmahaltigen
Gebilden hervorzubringen an den Hodencanälchen, an deren
isolirten Epithelien und ebenso nicht an den Spermatozoen des
envachsenen Kaninchens, des Täuberich und Frosches; nicht
an Eierstockeiern einer erwachsenen Henne, weder an Eiern
I
von 7 fHm bis herab zu 0*3 — 0*2 mm Durchmesser, des-
gleichen nicht an Eierstockeiern von 0*2 — 0-3 mm Durch-
messer einer Taube, sowie an Eierstockeiern der weissen Maus,
des erwachsenen Kaninchens, desgleichen an Eierstockeiern
erst einige Wochen alter Kaninchen und an Eierstockeiern des
Fisches Telestes Agassizii. Von allen diesen Objecten wurden
isolirte und noch im Eierstock befindliche Eier durchströmt.
Es wurde in diesen Fällen auch die stärkst mögliche
Anordnung: halbprocentige Kochsalzlösung als Elektrolyt, nahe
Sitzb. d. mathem.-natur\v^ CL; CI. Bd. Abth. III. 9
130 W. Roux,
Elektroden, steter Wechsel der Flüssigkeit, sobald sie 40** C.
warm geworden war, versucht; auch stundenlang fortgesetzte
Durchströmung in schwächerer, bei grösserem Elektroden-
abstand sich nicht über 40® C. erwärmender Lösung wurde in
Anwendung gebracht. Von anderen Thierclassen reagirten
nicht mit sichtbaren polar localisirten Veränderungen eine
Daphne und ihre durch Druck aus ihr befreiten Embrj^'onen,
ebenso eine Clepsine, Paramaecien, Ascaris nigrovenosa ; doch
wurde hier die Versuchsanordnung nicht genügend variirt.
Von erwachsenen oder noch jungen Wirbelthieren
prüfte ich nach dem allgemeinen Erfolg mit den Gallen-
blasen aller Wirbelthierclassen zunächst andere blasenförmige,
eine diffusionsfähige Flüssigkeit einschliessende Organe in ab-
gebundenen Stücken von nicht über 9 mm Durchmesser be-
sitzender Grösse: so die Harnblasen, Schallblasen und Lungen
des Frosches, die innere Schicht der Schwimmblase des Telestes,
die Harnblase des Kaninchens, Die Tunica muscularis (resp.
fibrosa der Schwimmblase) wurde abpräparirt und die Blase mit
Harn, Wasser, gefärbtem Wasser oder Galle gefüllt, alles jedoch
ohne Erfolg. Auch nachträgliches Einlegen in stark verdünnte
Chromsäurelösung, welche die Polfelder an wenig reagirenden
Embryonen manchmal erst deutlich sichtbar gemacht hatte, so
wie in verdünnte Schwefelsäure, die sich bei Gallenblasen so
bewährt hatte, blieb ohne Erfolg; es waren keine, durch eine
Besonderheit gekennzeichneten Polfelder sichtbar zu machen.
Gleiche Misserfolge ergab die Anwendung des Wechsel-
stromes bei allen anderen Organen halb oder
ganz erwachsener Thiere, als: Leber, Milz, Lungen,
Flimmerschleimhaut der Mundhöhle, Schleimhaut der Trachea,
hyalinem Knorpel, Gehirn und Rückenmark des Frosches;
desgleichen, an Leber, Milz, Gehirn, Rückenmark, Flimmer-
schleimhaut der Trachea des Kaninchens. Das Vas deferens
und Stücke der Adductoren des Oberschenkels dieser Thiere
Contrahirten sich bei Längs- und Querdurchströmung sogleich
in toto, jedenfalls weil der Strom zu stark war, da ja Engel-
mann und Biedermann hier mit schwachen Strömen die
polare Erregung nachgewiesen haben. Ich verwandte absicht-
lich den starken Strom, da es nicht meine Absicht war, hier polaj-
Entwickelungsmechanik des Embryo. 131
Ipcalisirte functionelle Leistungen, sondern morphologische Ver-
änderungen, etwa Trübung hervorzurufen. Dasselbe Ergebniss
zeigte sich an den Organen der Taube; nur bildeten Theile des
Drüsenmagens nach der Durchströmung mehr Secret an den
gegen die Elektroden gewendeten Kanten und Ecken als im
Bereich der Fläche des der Länge nach durchströmten platten
Stückes.
Aus diesen Versuchen ergibt sich, dass an den Organen
dergenannten,ganz oder halberwachsenen Thiere die embryonale
Fähigkeit zu den beschriebenen polaren morphologischen Re-
actionen auf den Wechselstrom, wenn sie überhaupt noch
vorhanden ist, jedesfalls sehr viel geringer ist als in früher
embryonaler Periode; es wäre daher für die verschiedenen
Wirbelthierclassen diejenige Entwicklungsperiode festzustellen,
in welcher dieses Vermögen zuerst sich stark vermindert oder
aufhört zu existiren. Beim Frosch war schon an vier Wochen
alten Kaulquappen kaum noch ein deutlich begrenzter Abfall
des Epithels, und zwar nur in zusammenhängenden Fetzen
statt wie früher in einzelnen Zellen im Bereiche der Polseiten
wahrzunehmen, ein sicherer Beweis der verminderten Reactions-
fahigkeit der betreffenden Zellen.*
Ich erkenne wohl, dass die obenstehend mitgetheilten Er-
gebnisse noch viele Lücken darbieten und dass daher auch nach
der Mikrotomirung der aufgehobenen polarisirten Objecte unsere
Kenntnisse nicht ausreichen werden, alle beobachteten Er-
scheinungen unter sich und mit bekannten allgemeinen Prin-
cipien in Zusammenhang zu bringen.
Die erwähnten, durch den elektrischen Strom veranlassten,
polar localisirten morphologischen Veränderungen sind jedoch
grösstentheils deletärer Natur und stehen daher den normalen
1 Bei Anwendung des kräftigen Gleichstromes von 20 Bunsen-Elementen
lassen auch Organe des erwachsenen Frosches, wie Leber und Niere, deut-
liche polare Veränderungen : Trübung auf der anodischen, anfängliche Trübung,
dann Aufhellung und Quellung auf der kathodischen Seite erkennen. An der
Leber sind beide Polabschnitte eine Zeit lang durch einen deutlich begrenzten,
nicht sichtbar veränderten Äquatorabschnitt von einander getrennt. Die Milz
und Stücke der Haut zeigen wenigstens deutlich die bekannte aufhellend«
kataphorische Wirkung auf der kathodischen Seite.
9*
132 W. Roux,
gestaltenden Vorgängen, deren Ermittelung mein Ziel ist,
in ihrem Wesen so fern, dass ich nicht beabsichtige, die
bezüglichen Versuche fortzusetzen; sondern ich werde eher
den im Laufe der Versuche erhaltenen Fingerzeigen, dass der
Strom auch die normalen Gestaltungsvorgänge zu beeinflussen
vermag, folgen. Bis jetzt haben wir unter den polaren Ver-
änderungen in dieser Richtung blos Wanderung des Rinden-
pigments und die Abschnürungdes Protoplasmas durch Furchen-
bildung beobachtet; und «^s müssten sich erst bei der Mikro-
tomirung Hinweise ergeben, dass diese Furchenbildung in ihrem
Vorgange ÄhnHchkeiten mit derjenigen bei der normalen Einthei-
lung besässe, um mich zu veranlassen, ihr ein erneutes Studium
und neue Versuche zu widmen.
Wir haben gesehen, dass Eiern und jungen Embryonen
der Wirbelthiere eine Reactionsfähigkeit auf den Wechsel-
strom eigen ist, welche an den Geweben des erw-achsenen
Thieres nicht mehr sich vorfindet (von der Gallenblase abge-
sehen, welche zwar stark, aber wohl in qualitativ anderer Weise
reagirt). Dieselbe oder eine sehr ähnliche Reactionsweise auf
den elektrischen Strom bieten jedoch die Protisten undCoelente-
raten dar; eine phylogenetisch gewiss interessante Thatsache.
IV. Abschnitt.
Verhalten nicht lebender Körper.
Die im Vorstehenden mitgetheilten Thatsachen schliessen
manche specielle und allgemeineren Probleme ein.
Da ich jedoch kein Physiolog bin, so muss ich mich darauf
beschränken, bloss für das Specifische der Beobachtungen, für
die speciellen Gestaltungen der wahrgenommenen polaren Ver-
änderungen die Erklärung, also die ursächliche Ableitung zu
versuchen. Es bleibt den Fachmännern vorbehalten, die all-
gemeineren Probleme, wie das der primären Ursachen der
besonderen Wirkung des elektrischen Stromes an den Ein- und
Austrittsstellen organischer Körper, der elektrischen Leitung
flüssiger Körper, des Wesens der Elektrolyse etc. weiter zu
führen und insbesondere zu beurtheilen, wie weit etwa die
neuen Thatsachen hiezu eine Handhabe bieten.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 133
Aus dem gleichen Grunde werde ich mich im Folgenden
auch bloss solcher Ausdrücke und Vorstellungen bedienen,
welche der älteren, sinnlich leichter vorstellbaren Auffassung
der Elektricität entsprungen sind, wenn schon an der baldigen
Alleinherrschaft der Farad ay -Max welFschen Auffassungen
kaum mehr zu zweifeln ist. Ich bin ferner überzeugt, dass ich
auf dem mir fremden Gebiete manchen Umweg gemacht habe,
und ersuche daher die Fachmänner um Nachsicht.
Zunächst wollte ich ermitteln^ ob in der beobachteten,
scharf begrenzten, polaren Localisation der durch den Strom
veranlassten Veränderungen ein bloss lebenden Objecten
zukommendes Verhalten sich ausspräche.
Über das negative Ergebniss an dicken Tropfen von trübem
Gummi arabicum, von Eiweiss und von zerstossenen reifen
Eierstockseiern des Frosches bei Behandlung derselben mit
dem Wechselstrom ist oben schon berichtet. Dasselbe hat mich
nicht gewundert. Dagegen hatte ich erwartet, dass Stückchen
von Gelatine, welche mit Phenolphthalleinlösung und ausserdem
bei einigen Versuchen mit Glaubersalzlösung getränkt waren
und in einer Lösung von Glaubersalz liegend vom Gleich-
strom durchströmt wurden, auf der der Anode zugewendeten
Seite sich, wenn auch nur wenig, roth färben würden. Aber
selbst wenn die Anordnung möglichst verstärkt wurde, indem
zwei parallele, mit den Rändern einer kleinen Glasschale ver-
schmolzene, aus dieser Gallerte gebildete Septa in die Strom-
bahn durch den aus Glaubersalzlösung gebildeten, den oberen
Rand der Septa nicht erreichenden Elektrolyten eingeschaltet
waren, fand auch bei langer Durchströmung keine Spur von
Röthung, also keine Abscheidung von Natron an den betreffenden
Seiten statt Die Jonen erhielten also keine Veranlassung, sich
auf ihrer Wanderung an diesem geformten Gebilde in bemerk-
bar werdendem Maasse zu stauen. Auch bei umgekehrter
Anordnung, wenn die Phenolphthalleinlösung in den genannten
Elektrolyten gethan war, fand an den nicht damit getränkten,
reinen oder mit Glaubersalzlösung imprägnirten Gelatinesepten
keine Röthung statt, so stark auch an der Kathode die Röthung
auftrat Dasselbe ergab sich, wenn eine lebende Froschleber
in einer mit Phenolphthallein versetzten Glaubersalzlösung
134 W. Roux,
zerschnitten worden war, und die Streifen quer in die Strom-
bahn gelegt wurden. Diese Versuchsergebnisse sprechen gegen
die Abscheidung von freiem Natron, sei es an der Aus- oder
an der Eintrittsstelle des Stromes oder an den Durchtritts-
stellen wie der Gallerte sowohl auch thierischer Organe; Die von
den Physiologen an- und in den Organen nachgevidesene äussere
und innere Polarisation wird also wohl auf eine etwas andere
Art vermittelt sein.
Nach diesen vergeblichen Versuchen griff ich zum Queck-
silber, um einerseits noch den bildsamen flüssigen Aggregat-
zustand dem Strome darzubieten und anderseits dieLocalisation
der Jonen auf der Oberfläche des Tropfens beobachten zu
können.
An diesem Material machte ich eine Reihe von Beob-
achtungen, die den Physikern, wenn nicht alle, so gewiss zum
Theil bekannt sein werden; da sie aber für die Deutung unserer
biologischen Beobachtungen verwerthbar sind, so sollen sie
hier mitgetheilt werden.
Das zunächst verwendete Quecksilber hatte schon oft zum
Amalgamiren des Zinkes der Batterie gedient, war also stark
mit Zink und vielleicht noch in anderer Weise verunreinigt.
Als ich später durch die Güte des Herrn Collegen Sennhofe r
in Besitz von chemisch reinem, frisch aus Zinnober destillirtem
Quecksilber gekommen war, zeigte dieses in manchen für uns
interessanten Einzelheiten ein anderes Verhalten; weshalb die
Versuche mit beiden gesondert dargestellt werden sollen.
Wird ein Tropfen des in der angegebenen Weise verun-
reinigten Quecksilbers von etwa A mm Durchmesser in
Wasser mit dem Wechselstrom durchströmt, so verlängert
er sich in Richtung des Stromes und bildet bei geeigneter
Anordnung vier rechtwinkelig zum Strom orientirte Querwülste,
deren Oberfläche fortdauernd oscillirt. Bei etwas anderer An-
ordnung der Elektroden zum Quecksilbertropfen nimmt letzterer
Sternform an und kann leicht zum Rotiren nach links oder
rechts herum gebracht werden; ganz interessante elektro-
dynamische Wirkungen, die uns aber nicht weiter angehen.
In 15 — 20 vol. procentiger Schwefelsäure dagegen tritt
keine Gestaltänderung des Tropfens mehr ein, sondern es
Entwickelungsmpchanik des Embryo. 1 35
bedeckt sich das Quecksilber bei momentanem Stromschluss
an beiden Polseiten mit Gasbläschen, und zwischen diesen
beiden Polen bleibt ein blanker Äquator. Dieses Bild, welches
polarisirten Froscheiern ähnlich sieht, verschwindet rasch, lässt
sich aber eine Minute lang fixiren, wenn man der verdünnten
Schwefelsäure eine dicke Lösung von Gummi arabicum zusetzt.
Durchströmt man länger, so vermehren sich die Gasbläschen
rasch der Art, dass sie successive die ganze obere Fläche ein-
nehmen und den anfänglich vorhandenen, von Bläschen freien
Äquator zum Verschwinden bringen. An dem auf dem Glase
aufliegenden, abgeplatteten unteren Theile des Tropfens kann
man durch Spiegelung wahrnehmen, dass auf den Polseiten
mehr Bläschen entstehen als nach dem Äquator zu. Die unten
entstandenen Bläschen strömen gegen den nächsten Pol zu
und dabei bewegen sich die vom Äquator herkommenden fast
wagrecht; auf der oberen Hälfte sieht man deutlich, dass die
Bläschen in Richtung von Polmeridianen des Queck-
silbertropfens oscilliren, unabhängig von der Richtung
ihrer gleichzeitigen Locomotion am Tropfen. Mit der Stärke
des Wechselstromes und mit der Verdünnung der Schwefel-
säure bis etwa auf ein halbes Procent nimmt die Amplitude
dieser Oscillationen zu, mit der Grösse der leicht sich ver-
einenden Bläschen ab. Bei Anwendung eines stark geschwächten
Stronnes und sehr verdünnter Schwefelsäure entsteht eine regel-
mässige Circulation der Bläschen innerhalb jedes Quadranten
der Oberfläche des Tropfens. Bei schwächstem Strom und
schwächster Schwefelsäure entstehen nur wenige Blasen, die
um die Mittellinie des Äquators rechtwinkelig zu demselben
oscilliren und bei Wanderung der Elektroden dem neuen
Äquator entsprechend mitwandern.
Setzt man dem Wasser, in welchem der Quecksilbertropfen
stehende Schwingungen bildet, oder bei etwas anderer An-
ordnung sternförmige Gestalt annimmt und sich dreht, so viel
Tropfen Schwefelsäure zu, dass Gasblasen am Tropfen ent-
stehen, so hören mit der Zunahme der Blasenbildung diese
Schwingungen zugleich auf, was wohl darin begründet ist, dass
jetzt die Oberfläche des Quecksilbers direct in anderer Weise
beeinflusst wird. Die Schwingungen des Quecksilbertropfens
136 W. Roux,
hören aber auch auf, wenn am Tropfen und seiner Umgebung
sich scheinbar nichts geändert hat, sofern nur eine der beiden,
weit vom Tropfen entfernten Elektroden mit Quecksilber über-
zogen ist, wobei dann an dieser Elektrode ein weisses Pulver
gebildet wird. Es scheint also vielleicht bloss das leichteste
Geschehen innerhalb einer auf mehrfache Weise reactions-
fähigen Strombahn stattzufinden; eine freilich im Speciellen
etwas dunkle Vorstellung.
Im galvanischen Strom von zwölf Bunsen'schen Ele-
menten verhielt sich das mit Zink verunreinigte Quecksilber
folgendermassen: In schwacher Kochsalzlösung läuft ein
Quecksilbertropfen gegen die Anode, um sich mit ihr zu
vereinigen, sogar unter Überwindung einer nicht geringen
Steigung; wird diese Vereinigung durch stärkere Schiefstellung
verhindert, so erkennt man deutlich, dass der Tropfen sich
gegen die Kathode zuspitzt und sich durch eine geringe
Verjüngung gegen den gerundeten anodischen Theil
absetzt; wohl eine Äusserung derselben Wirkungsweise, auf der
das Capillarelektrometer beruht. Circulirt die Anode, so folgt
dieser Theil im Kreise ihr nach, während der kathodische Theil
natürlich seinen Ort nicht verlässt, aber seine Richtung ent-
sprechend den Richtungen der Stromfäden ändert. Die katho-
dische Spitze des Tropfens zeigt bei diesen Änderungen
unregelmässige Ecken, die ich auf Verunreinigung ihres Queck-
silbers beziehe; während der anodische Theil immer gerundete
Formen darbietet und auch flüssiger zu sein scheint. Die
eingeschnürte Stelle hat Niveauflächenrichtung. Bei längerer
Durchströmung wurde der anfangs grössere, anodische Theil
des Tropfens kleiner unter entsprechender Vergrösserung des
eckigen, kathodischen Theiles.
In einer Lösung von doppelt kohlensaurem Natron
zeigt sich wesentlich dasselbe Verhalten; nur ist der Zug zur
Anode noch stärker, so dass er noch höhere Steigung des
Gefässbodens überwindet und leicht den Tropfen zerreisst; nach
dem ersten Abreissen eines anodischen Stückes habe ich das-
selbe noch ein zweites Mal beobachtet; das kathodische Stück
wird an der Oberfläche trüb. In Brunnenwasser spitzt sich
die kathodische Hälfte des Quecksilbertropfens nicht zu, sondern
Entwickelungsmechanik des Embryo. 1 37
behält ihre Lagerung und Gestalt, während die anodische Hälfte
sich etwas gegen die Anode hin bewegt, also entsprechend
spitzer wird; diese Gestaltung ändert sich sofort entsprechend
dem oben Gesagten, wenn man Lösung von doppelt kohlen-
saurem Natron derart zusetzt, dass sie zwischen beiden Elek-
troden ausgebreitet ist. Alsdann wird sogleich die Kathodenseite
des Tropfens spitz. Sobald ein Tropfen Quecksilber an die
Platinkathode gekommen war, und diese sich damit überzogen
hatte, fand beim Stromschluss keine Steigung des freien
Quecksilbertropfens gegen die Anode mehr statt.
Ein Tropfen des chemisch reinen Quecksilbers wurde
zunächst mit dem Strom von zwölf Bunsen'schen Elementen in
einer Lösung von doppeltkohlensaurem Natron durch-
strömt. Dabei wandert der ganze Tropfen wieder gegen die
Anode hin. Der Tropfen wird oval und zwar mit dem spitzeren
Theil gegen die Anode zu. Auf der Kathodenseite entsteht
ein Beschlag des Tropfens, der gegen die Anodenseite sich
hinzieht. Beim Unterbrechen wandert der Oxydbeleg gegen die
Anodenseite, um unter ihr zu verschwinden. Beim Schluss tritt
der Beschlag von der Spitze des Tropfens gegen die Kathoden-
seite, so dass die zugespitzte Anodenseite blank ist und durch
einen grauen, parallel begrenzten Oxydring von dem stumpfen
Kathodentheil geschieden ist. Je näher die Elektroden einander
und damit dem Tropfen sind, um so mehr verschiebt sich dieser
Gürtel gegen die Kathode, um so mehr spitzt sich die blanke
Anodenseite des Tropfens zu; bleibt aber immer noch anoden-
wärts orientirt, bis bei geeigneter Nähe eine halsartige Ein-
schnürung des Tropfens anodenwärts vom Oxydring stattfindet
und weiterhin ein Abreissen eines Stückes unter Hinführung
desselben gegen die Anode erfolgt.
Sobald der abgerissene Tropfen die Anode berührt, bekommt
er eine gelbe Überzugsschicht; bei erneutem Stromschluss
rutscht er langsam gegen die Kathode und rennt nach Berührung
derselben manchmal wie angezogen und abgestossen zwischen
beiden Elektroden hin und her.
Bei Durchströmen chemisch reinen Quecksilbers in
Wasserleitungswasser entsteht wesentlich dasselbe. In
sehr verdünnter Schwefelsäure findet auch dieselbe
138 W. Roux,
Gestaltänderung des Tropfens statt; das zugespitzte Ende ist
gegen die Anode gewendet; der Tropfen wandert aber gegen
die Kathode (statt wie bisher gegen die Anode). Der Oxydring
nimmt die beschriebene Stellung ein, und bei Wanderung
mit einer Elektrode um den Tropfen herum folgt der dem
wandernden Pole zugewendete Theil des Tropfens der Elektrode,
und es wird deutlich, dass der Oxydring im Ganzen immer
Niveauflächenrichtung annimmt, wenn schon das Aquatorband
bei einigen Anordnungen sich zwar parallel, aber wellig
contourirt zeigt. Bei Zusatz von mehr Schwefelsäure
entsteht an der Stelle des Oxydbandes ein Kranz von Gas-
blasen, innerhalb dessen die einzelnen Blasen in Spiraltouren
laufen.
Behandelt man den in Lösung von kohlensaurem
Natron liegenden, noch von der Behandlung mit dem Gleich-
strom her zum Theil mit Oxyd bedeckten, vorher chemisch reinen
Quecksilbertropfen in dieser Lösung mit dem Wechselstrom,
so erhält man je nach der Stromstärke verschiedene Bilder,
welche alle für uns von Bedeutung sind. Bei sehr schwachem
Strom und bei blosser Berührung der Flüssigkeit mit der einen
Elektrode entstehen auf der Oberfläche des Tropfens mit dem
Stromschluss aus den Oxydbröckeln Reihen in Richtung der
von den Elektroden ausgehenden Stromfäden, der Art, dass die
Oberfläche des Tropfens in zwei polare Hälften getheilt ist, von
denen jede mit, den genannten Richtungen entsprechenden
Reihen von braunen, schwingenden (?) Flecken bedeckt ist, die
sich fortwährend seitlich verschieben und am seitlichen Rande
des Tropfens auf die Unterfläche absinken, um dann an der
Polseite wieder aufzusteigen. Der sehr schwache Strom bewegt
also die auf der Oberfläche des Quecksilbers liegenden Theile
noch in Richtung der Stromfäden des ganzen elektrischen
Feldes. Je nach der Stromdichte bleibt ein blanker Aquator-
gürtel frei oder nicht.
Bei geringer Verstärkung des Stromes durch ein
Minimum tieferes Eintauchen der Elektroden oder bei statt-
gehabter Erwärmung des Menstruum tritt schon eine geringe
Convergenz der Bröckelreihen gegen die Polseite des Tropfens
ein. Bei tiefem Eintauchen der Drahtelektrode bedecken sich die
Entwickelungsmechanik des Embryo. 139
beiden Polseiten mit einer geschlossenen Schicht von Oxyd-
masse, und die so entstandenen Polfelder sind durch Niveau-
linien des ganzen Stromfeldes, nicht durch Linien begrenzt,
welche um die Pole des Tropfens centrirt sind. Sie schliessen
einen blankenÄquator ein. In diesen Polkappen gehtBewegung
vorsieh; die seitlichen Partieen sinken wieder ab; und wenn
nicht gleich Ersatz vorhanden ist, gewinnt es den Anschein, als
wäre das Polfeld um den Pol des Tropfens centrirt. Beobachtet
man das Absinken, so sieht man die absinkenden Theile aber
längs der Niveaulinie über den seitlichen Tropfenrand gleiten
und so die normale Grenze der defect gewordenen Polkappe
noch markiren. Je kleiner der Quecksilbertropfen im Verhältniss
zur Grösse und zum Abstände der Elektroden ist, um so deut-
licher tritt natürlich der Unterschied zwischen Niveaulinien
des ganzen Feldes und um die Tropfenpole centrirten Linien
hervor.
Wird die Stromdichte für den Tropfen durch Näherung
der Elektroden verstärkt, so verschiebt sich jederseits die
Oxydschicht äquatorwärts, so dass die Pole blank werden; die
Oxydbrocken oscilliren jetzt in Richtungen von Polmeridianen
des Tropfens und begrenzen sich polwärts mit einer um den
Tropfenpol centrirten Linie, gegen den noch blanken schmalen
Äquator mit einer annähernd einer Niveaulinie des ganzen
Feldes entsprechenden Linie. Je näher die Elektroden einander
gebracht werden, um so grösser werden die blanken Polfelder,
um so mehr rücken die beiden braunen Bänder gegen einander,
schliesslich bis zur Berührung in der Mitte und formiren so
deutlich ein dichtes braunes Äquatorband. Dabei sind dann die
Ränder dieses Bandes nicht mehr polwärts centrirt, sondern
entsprechen Niveaulinien; der braune Äquator ist also jetzt ein
durch Niveaulinien begrenztes, gleich breites Band, dessen
Theile nicht mehr oscilliren. Bei weiterer Näherung der Elek-
troden gegen den Tropfen wird dieser Äquator schmäler, bei
Entfernung wieder breiter.
Manchmal sieht man beim Stromschluss die beiden, aus
fibrirenden Bröckeln bestehenden braunen Niveaulinien sofort
in gewissem Abstände von ihren Polen entstehen, darauf in
kurzer Zeit einander sich nähern, um dann in constantem, der
140 W. Roux,
Stromdichte entsprechendem Abstände stehen zu bleiben; es
entstehen also beim Stromschluss sogleich Polfelder von
gewisser Grösse, die bei weiterer Durchströmung allmälig eine
Vergrösserung erfahren, also ganz wie es von den Eiern des
Frosches und Triton beschrieben worden ist.
Wird ein in starker Schwefel säure mit dem Gleichstrom
behandelter Tropfen reinen Quecksilbers, welcher infolge
dessen noch an seiner ganzen Oberfläche mit einer trüben
Staubschicht bedeckt ist, in derselben Flüssigkeit mit dem
Wechselstrom behandelt, so zieht sich die bedeckende Schicht
auf die beiden Polfelder zurück und lässt einen Äquator blank
hervortreten. Bald jedoch wird der graue Staub vom Tropfen
fortgeführt. Nach dem Zusetzen von Wasser wird beim Durch-
strömen die ganze Oberfläche des Tropfens trüb bedeckt, und
erst bei der Stromunterbrechung sammelt sich der Überzug
wieder auf die Polfelder und lässt einen Äquator frei.
Es hat sich also bei der elektrischen Behandlung von
Quecksilbertropfen in verschiedenen Elektrolyten eine erheb-
liche Übereinstimmung der Erscheinungen mit den an Eiern bei
gleicher äusserer Einwirkung gemachten Beobachtungen
ergeben: Eine Zerlegung der Oberfläche in drei verschiedene
Abschnitte, in zwei gegen die Elektroden gewendete Polfelder,
welche sich anders verhalten als der von ihnen begrenzte
Äquator. Letzterer hat wieder, von vorhandenen kleinen Ab-
weichungen abgesehen, im Ganzen die Richtung der Niveau-
flächen der betreffenden Stelle des elektrischen Feldes. Im
Gleichstrom nahm der unreine Quecksilbertropfen sogar eine
Form an, welche der unter der gleichen Einwirkung ent-
standenen Gestaltänderung des Froscheies etwas entspricht,
indem auch bei ihm während der Durchströmung in Kochsalz-
lösung der der Anode zugewendete Theil gerundet und dicker
wurde als der übrige Theil, welcher sich, wie beim Froschei
gegen die negative Elektrode verlängerte; die Grenze beider Ab-
schnitte hat bei beiden Objecten die Richtung der bezüglichen
Niveaufläche. Besondere Linien am Äquator, welche in ihrer
Richtung von Polmeridianen den Richtungen der einige Male be-
obachteten Pigmentstreifen am elektrischen Eiäquator ent-
sprechen, sowie ein besonderes Verhalten der beiden Grenzen
Entwickelungsmechanik des Embryo. 141
des Äquators, der Niveaulinien, bei einem Versuche am Queck-
silbertropfen vergrössern die Übereinstimmung.
Schliesslich wurde bei einer Versuchsanordnung auch ein
Wachsthum der beim Stromschluss sogleich aufgetretenen Pol-,
felder während der Dauer der Durchströmung am Quecksilber-
tropfen, entsprechend dem Verhalten der Polfelder der thierischen
Eier beobachtet.
Diese mehrfache Übereinstimmung in den wesentlichsten
Merkmalen der Localisation der durch den elektrischen Strom
an lebenden Objecten und am Quecksilber hervorgerufenen
Veränderungen scheint auf eine Übereinstimmung auch der
Ursachen dieser Localisation in beiden Fällen hinzuweisen,
wenn schon der Versuch mit der in Phenolphthallein getränkten
Gallerte nicht für einen Antheil der Jonen bei der Polarisation
der organischen Gebilde zu sprechen vermag.
Wir haben also ermittelt, dass die scharfe, in Richtung
von Niveauflächen umgrenzte Localisation der
Reaction auf den Strom keine specifische Leistung der vitalen
Substanzen ist. Und mit der Feststellung dieser principiellen
Übereinstimmung des Verhaltens bei organischen und einem
anorganischen Objecte hätte ich als Nicht-Physiker und Nicht-
Physiologe mich vielleicht begnügen können. Doch das Queck-
silber ist blos in rundlicher Gestalt zu verwenden; es blieb
daher die Frage, ob auch bei den complicirter gestalteten an-
organischen und organischen Gebilden eine Übereinstimmung
auftritt. Deshalb beschloss ich noch mit festen Metallen, welche
sich in jede Gestalt bringen lassen, einige Versuche anzustellen.
Und weiterhin verlangte es mich, auch der Ursache der Lo-
calisation selber näher zu treten. Dieser letztere Zweck, sowie
der Umstand, dass sich bei den festen Metallen einige Ver-
schiedenheiten in der Localisation der Polfelder gegenüber der
der lebenden reactionsfähigen Gebilde ergaben, nöthigten zu
einer weiteren Ausdehnung der Versuche an diesen Metallen,,
insbesondere aber zu einem analytischen Vorgehen, so dass an
ihnen Experimente mit Formen angestellt werden mussten,
denen ich im Gebiete des Organischen zum Theile keine
wesentlich gleichen gegenüberzustellen habe, welche somit
leicht als nicht hieher gehörig beurtheilt werden könnten.
142 w. Roux,
Die festen Metalle erwiesen sich als sehr geeignet; und
die nach den ersten brauchbaren Resultaten vorgenommene
Durchsicht der Literatur zeigte, dass bezügliche Erscheinungen
schon im Jahre 1880 von A. Guebhard* beschrieben worden
sind. Er durchströmte mit dem galvanischen Strom blanke
Metallplatten in Lösungen von Metallsalzen, ohne die Elektroden
in Berührung mit der Platte zu bringen und beobachtete die
an beiden Polseiten der Platte entstehenden Niederschläge, ins-
besondere den der Anode zugewendeten Metallniederschlag.
Sein Interesse wandte sich den bei dünnem Niederschlag ent-
stehenden farbigen Linien zu, und er zeigte, dass bei gewisser
Anordnung des Versuchs diese Linien äquipotentiale Curven
darstellen.
An seine Publication schlössen sich sofort zahlreiche
theoretische Erörterungen und Versuche anderer Autoren an,
so von E. Mach, L. Ditscheiner, A. Tribe, Roiti, Volterra
und Pasqual ini, von denen uns jedoch bloss die Mittheilungen
der letztgenannten Autoren näher angehen.
Roiti* fand, dass auf der Kupferplatte der Metallniederschlag
auf der Eintrittseite des Stromes ausgebreiteter stattfindet als
der Oxydniederschlag auf der Austrittsseite. Den zwischen
beiden Niederschlägen unbedeckt bleibenden Raum leitet er von
einem Polarisationsstrom ab, welcher sich vom primären Strom
subtrahirt.
A. Tribe ^ dagegen beobachtete an hohlen, in axialer oder
äquatorialer Lage zwischen Elektroden in Kupfervitriollösung
durchströmten silbernen Röhren, dass der Kupferniederschlag
auf der Eintrittsseite des Stromes weniger ausgebreitet ist als
der Oxydniederschlag auf der anderen Seite.
1 Guebhard, Adrien. Compt. rend. Bd. 90, p. 984 und 1124. 1880,
Bd. 93, p. 403, 582 und 792, 1881, Bd. 94, p. 437 und 851. 1882, L'Electrien,
Bd. 2, p. 59-67, 273-283, 429—439. 1881-1882. Journal de Physique,
(2) Bd. 1, p. 205—222. 1882.
2 Roiti. N. Cim. Bd. X, p. 97, 1881.
3 A. Trib e, Über die Vertheilung der Elektricität auf hohlen Conductoren
in Elektrolyten. Phil. Mag. Bd. 16, S. 384—386, 1883.
Entwickelungsmechanik des Einbr}'o. 143
Vito Volterra* berechnet,dassdie Linien gleicher Färbung
mit den Linien gleichen Potentiales identisch sind für eine Kugel
von Blech,sowie unter Umständen fürden Abschnitt einerKugel-
oberfläche.
Pasqualini* hat die Abhängigkeit der Ausdehnung des
vom Niederschlag frei bleibenden Raumes von der Strominten-
sität, von der Natur des Metalles und des Elektrolyten, sowie
von der Concentration des letzteren untersucht.
Statt der Metallplatte wurde ein verticaler, in 100 gleiche
Grade im Kreise herum getheilter Messing-, respective Kupfer-
cylinder von 28*5 ww Durchmesser in möglichst neutraler Zink-
lösung verwendet Die Ausdehnung des auf diesen Cylinder
niedergeschlagenen Zinkes ist bei gleicher Stromintensität con-
stant und kann etwa 90* erreichen; grösser wird sie kaum
auch bei grosser Vermehrung der Intensität; die Ausdehnung
des braunen Niederschlages auf der anderen Seite wird fast eben
so gross.
Der Winkel a von der Äquatorialebene bis zu den Nieder-
schlägen steht bei constanter Concentration mit der Stromes-
dichtigkeit in der Relation
D a sin a = N
wobei A^ eine Constante ist.
Bei verschiedenen Concentrationen der ZinkvitrioUösung
von der Leistungsfähigkeit |jl ist AYjjl constant. Nach Vol terra
ist unter der Annahme, dass die entblösste Stelle von einem
Polarisationsstrom herrührt, wenn R der Radius des Cylinders,
e. -4-gj — s die elektromotorischen Kräfte dieses Stromes an den
Niederschlägen sind:
£ = (E — A cos*a),
(X
1 Vito Vol terra, Sülle figure elettrochimiche di A. Guebhard. Atti della
R. Acc. delle Sc. di Torino, Bd. 18. Febr. 1883 und Über die elektrochemischen
Bilder auf der Obernäche eines Cylinders. N. Cim. Bd. 13 p. 119-139 1883.
2 Pasqualini, L. Cber die elektrochemischen Bilder auf der Oberfläche
eines Cylinders. N. Cim. Bd. 14. S. 26-38, 1883.
144 W. Roux,
WO
K
K='- ^'^
und
-/:
Ä
E == Tv/l— /t*sin*'f Jcp
und ^ =: sin a ist.
Auch diese Formel wurde vonP a s q u a 1 i n i bestätigt. (Referirt
nach BeiblätterzudenAnnalen der Physik und Chemie,Bd.8,1884.)
Durch die vorliegenden Arbeiten ist das Gebiet noch nicht
erschöpfend bearbeitet. Es fehlen noch alle Versuche über das
Verhalten beim Wechselstrom; und auch bei Verwendung
des Gleichstromes bieten Variationen der Versuchsbedingungen
manche auffällige Erscheinung dar, von denen es zweifelhaft
erscheinen muss, ob sie durch den von Roiti und Vol terra
angenommenen Polarisationsstrom erklärbar sind.
Als Nicht-Physiker werde ich mich theoretischer Erörte-
rungenenthalten und mich auf die Wiedergabe meiner Versuchs-
ergebnisse beschränken, soweit sie zum Verständniss der an
lebenden Objecten beobachteten Erscheinungen beitragen. Bei
diesen Versuchen wurde manche Vermuthung experimentell ge-
prüft, welche von einem Pysiker von vornherein ausgeschlossen
worden wäre. Wer jedoch auf biologischem Gebiete arbeitet,
wird bald daran gewöhnt, die Richtigkeit jedes scheinbar zwin-
genden positiven oder negativen Deductionsschlusses vor seiner
Verwendung immer erst noch auf ihre empirische Bestätigung
zu prüfen, da unsere biologischen Grundsätze zumeist blos An-
näherungen an die Wahrheit sind. Auf einem mir fremden Ge-
biete war diese Vorsicht gleichfalls geboten; und ich denke, es
wird aus demselben Grund vielleicht auch manchem meiner Leser
die Darstellung dieser primitiven Ableitungen willkommen sein.
Es ist ferner zu erwähnen, dass Mateucci einen Draht in
einer feuchten Hülle unter Verbindung der Elektroden eines gal-
vanischen Stromes mit dieser Hülle durchströmt und gefunden
hat, dass dann auf Polarisation beruhende Ströme auftreten,
welche den elektromotorischen im Nerven gleichen; und L. Her-
mann hat einen in verdünnter Schwefelsäure liegenden Platin-
Ent^ickelungsmechanik des Embryo. 14o
draht als »Kemleiter« verwandt. Doch hatten diese Versuche
nicht die Ermittelung der speciüschen Localisation der Polari-
sation zum Ziel.
Es entstehen nach obigen Citaten an dem in einen Elektro-
lyten eingelegten, die Elektroden nicht berührenden Metallstück
beim Durchströmen mit dem galvanischen Strom zwei den
Elektroden zugewendete Felder oberflächlicher Veränderung
des Metalles uhd zwischen beiden bleibt ein oberflächlich
nicht verändertes Gebiet; auf erstere will ich gleich den für die
an lebenden Objecten beobachteten polaren Veränderungen ein-
geführten Namen Polfelder, auf letzteres den NamenÄquator
ausdehnen. Der im Elektrolyten liegende, die Elektroden nirgends
berührende Körper werde kurz, wenn auch nicht ganz correct,
als »Intraelektrolyt« bezeichnet.
Gehen wir nun zu den Ergebnissen der eigenen, vor-
wiegend, und wo nicht besonders anders bemerkt, stets mit dem
Wechselstrom angestellten Versuche über.
Zunächst seien die für Wechselstrom und galvanischen
Strom gemeinsamen Wirkungsweisen mitgetheilt.
Die Polfeldveränderungbeginnt immer anden den Elektroden
nächstenTheilen des Metallstückes, den Polen, und breitet sich
von da anfangs rasch, allmälig langsamer aus, um schliesslich
stabil zu bleiben. Die Intensität der Veränderung ist an den
Polen des Intraelektrolyten am grössten und nimmt von da
continuirlich ab; bei lange dauernder Durchströmung nimmt sie
derart stetig zu, dass dann auch die Grenzschichte des Pol-
feldes gegen den blanken Äquator stark verändert ist, so dass
also ein greller Contrast, kein allmähliger Übergang zwischen
beiden Theilen besteht. Dies gilt natürlich nur, wenn der Elektrolyt
nicht schon ohne Strom das eingelegte Metall verändert.
Nach Stromunterbrechung geht bei neuem Schluss die
weitere Polfeldbildung nicht wieder erst von den Polen des
Stückes aus; sondern sofort mit dem Schluss schreitet auch die
Grenze des Polfelds fort. Daher breitet sich auch durch rasch
intermittirende Ströme das Polfeld aus; während, wenn jede
neue Polfeldbildung an den Polen beginnen und von da sich
ausbreiten müsste, es eine Unterbrechungsgeschwindigkeit geben
müsste, bei welcher das Polfeld nicht wachsen könnte. Dasselbe
Sitzb. d. roathcm.-natunfc'. Gl.; CI. Bd. Abth. III. 10
146 W. Roux,
erfahren wir, wenn man nach jeder kurzen Durchströmung das
gebildete Polfeld mit Ausnahme seiner Aquatorgrenze mit Putz-
pulver wegputzt. Bei erneuter Durchströmung sieht man dann
das Polfeld sogleich auf Kosten des Äquators sich ausdehnen,
obgleich an dem blank geputzten Pol selber die Veränderung
von Neuem an den Polen beginnt und den von früher her er-
haltenen Rest des Polfeldes noch nicht erreicht hat.
Daraus dürfen wir schliessen, dass die spätere Bildung des
mittleren Theiles der Polfelder wohl nur dadurch bedingt ist,
dass an diesen Stellen die Zahl der eintretenden Stromfaden bei
kürzerer Dauer der Durchströmung zu gering ist, um schon eine
sichtbare Veränderung hervorzubringen. Diese Auffassung wird
bestätigt dadurch, dass bei Anwendung des Gleichstromes auf
Kupfer in Kupfervitriol schon nach einer äusserst kurzen Durch-
strömung, welche blos ein ganz kleines sichtbar mit Metall
beschlagenes Eintrittspolfeld hervorgebracht hat, beim Heraus-
heben gleichwohl schon die ganze Grösse des erst nach viel
längerem Durchströmen sichtbar werdenden Polfeldes benetzbar
geworden ist, während der Äquator noch, wie vorher die ganze
Münze, unbenetzbar ist. Beim Austrittspolfeld dagegen ist die
Benetzungsfläche nicht grösser als die jeweilig sichtbare mit
Oxyd bedeckte Ausdehnung desselben.
Mit der Zunahme der Stromdichte nimmt auch die relative
Grösse der Polfelder zu, also die Breite des Äquators ab, wie
dies schon die obengenannten Autoren festgestellt haben.
Besonders abhängig ist die sichtbare Grösse der Polfelder von
der specifischen Beschaffenheit der Oberfläche. So bilden z. B.
von Schrotkörnern, Rehposten und dgl., welche in Kochsalzlösung
durchströmt werden, einige derselben ganz schwach veränderte,
kleine Polfelder, während an daneben liegenden, gleiches Aus-
sehen darbietenden Exemplaren gleicher Grösse grosse, stark
veränderte Polfelder entstehen; diese Verschiedenheit beruht hier
wohl nur auf zu geringer Veränderlichkeit der Oberflächen-
schichte und auf dadurch bedingtem Unsichtbarbleiben der dem
Äquator benachbarten Theile des Polfeldes selbst bei längerer
Durchströmung. Dagegen ist vollkommen deutlich, dass an ihres
Überzuges beraubten, also blanken Rehposten etc. der Äquator
viel kleiner wird, als ceteris paribus an noch mit ihrer harten
Entwickelungsmechanik des Embryo. 147
Oxydkfuste versehenen, deren Polfelder auch nach sehr langem
Durchströmen mit stark veränderten Rändern einen breiteren
Äquator begrenzen.
Wenden wir uns zu den speciellen Ergebnissen der mit
dem Wechselstrom angestellten Versuche, so sei zunächst
der Einfluss der Gestalt und Grösse des Intraelektro-
lyten auf die Gestalt und Lage der Polfelder, resp. des Äquators
dargestellt und mit der Kugelgestalt begonnen.
Werden Bleikugeln oder Messingkugeln in einem grossen
elektrolytischen Felde vertheilt und durchströmt, so bilden die
Grenzlinien der Polfelder deutlich die äquipotentialen Curven
eines homogenen elektrischen Feldes, gleich den Froscheiern.
Beide Polfelder freistehender Kugeln werden im Wechsel-
strom gleich gross; nur in unmittelbarer Nähe einer Elektrode tritt
eine, wohl von der divergirenden Richtung der Stromfaden ab-
hängige Verkleinerung des dieser Elektrode zugewendeten Pol-
feides unverkennbar hervor. Der hier deutliche Unterschied ist
aber immerhin so gering, dass es nicht zu verwundern ist, dass
ein entsprechendes Verhalten an den von einer dicken, die Beob-
achtung durch Lichtbrechung erschwerenden Gallerthülle um-
gebenen und blos 2*5 mm grossen Froscheiern nicht sicher fest-
gestellt werden konnte.
Die Grösse derPolfelder steht bei den Metallkugeln der von
mir geprüften Dimensionen, ähnlich wie bei den Froscheiern, in
einem umgekehrten Verhältniss zur Grösse des Kugeldurch-
messers, was aus folgender Tabelle hervorgeht. Die kugeligen
Gebilde derselben wurden alle zwei und eine halbe Minute lang
in einhalbprocentiger Kochsalzlösung in einer Schale von 63 mm
Durchmesser, bei 56 mm Elektrodenabstand, bei Mittelstellung
zwischen beiden Elektroden und constanter Flüssigkeitshöhe
unmittelbar nach einander durchströmt. Da die Versuche unmittel-
bar nacheinander vorgenommen wurden, ist wohl auch die
Stromstärke als wesentlich die gleiche anzunehmen.
10*
148
W. Roux,
Durchmesser
der Kugel
Durchmesser des
Äquators
Breite des
Äquators in
Procenten des
Durchmessers
der Kugel
/'
Bleikugel mit )
Oxydüberzug ]
6- 8 mm
5-7
2-8
20
1-2
1 -3 — 1 -brnm
1-7 2-5
11
1-0
0-8
207,
30
40
50
66
Blanke Bleikugel l
6-8i
2-6
1-5
mm
0 • 3—0 • 6 mm
0-6 0-7
05
77o
24
33
Wachskugel mit
sogenanntem
Silberblatt über-
zogen
16 mm
1 • 5 mm
97o
Wachskugel mit ( 1 6 • 3 mm
Apotheker- Gold- \ 7-0
2-8— 3-8 mm
1-5— 20
1-4— 1-5
187o
247o
blatt überzogen l 4*9 1-4— 1*5 29*/^,
Wenn auch diese Messungen an sich sehr ungenau sind,
so zeigen sie in Folge der starken Variationen der Durchmesser
doch die Hauptsache deutlich; und es ergibt sich zugleich, dass
Kugeln von kleinerem Durchmesser ceteris paribus einen ab-
solut grösseren Äquator bekommen können als grössere, wie
wir das auch an den ungleich grossen, unreifen Froscheiern stark
ausgesprochen fanden. Durch lange fortgesetztes Durchströmen
wird dieser Unterschied geringer, wie folgende Tabelle, gleich-
falls für halbprocentige Kochsalzlösung, aber bei schwächerem
Strome zeigt:
Durch- Breite des Äquators
messer in
Millimeter
nach 1 Min.
Durch-
strömung
dieselbe
in ^l() des
Durch-
messers
nach 4Min.
Durch-
strömung
dieselbe in
o/o des
Durch-
messers
Bleikugel ....
6-8
3- 0mm
44
2 • 2 mm
33
Messingkugel
7-0
2-0
28
1-85
26
»
2-65
1-35
51
1-2
46
>
1-3
0-85
65
0-75
57
»
1-3
0-9
69
0-75
57
Entwickelungsmechanik des Embryo. 149
Ausserdem geht aus beiden Tabellen hervor, dass ver-
schiedene Metalle ceteris paribus verschieden grosse Polfelder
bilden, wofür wir ein entsprechendes Verhalten an jedem ein-
zelnen Froschei hatten, indem immer im Bereich des unteren,
nahrungsdotterreichen, hellen Abschnittes der Äquator allent-
halben gleich schmal war und sich im Bereiche des oberen,
mehr protoplasmatischen Bildungsdottertheiles stetig nach oben
verbreiterte.
Die Tabellen zeigen für halbprocentige Kochsalzlösung
als Elektrolyten folgende Reihenfolge der abnehmenden Grösse
der Polfelder an Kugeln von 6, 8 — 7 mm Durchmesser: blankes
Blei, Messing, Bleischrot mit Rinde, Apothekergoldblatt. Ge-
legentlich wurden an metallenen Gebilden einige Beobachtungen
gemacht, welche darauf hindeuten, dass sich für andere Elektro-
lyten, z. B. für schwefelsaures Natron, Salzsäure diese Reihen-
folge vielleicht ändern würde.
Dem Polfelde anhaftende Luftbläschen werfen einen
starken Schatten, so dass an ihrer Haftstelle und deren nächster
Umgebung die Metalloberfläche unverändert bleibt, und in der
darauffolgenden Zone das Polfeld geschwächt ist.
Eine zweite an Bleikugeln, in anderer Richtung als die
erste, vorgenommene Durchströmung bewirkt Entstehung neuer,
entsprechend gelagerter Polfelder, die natürlich im Bereich des
früheren Äquators am deutlichsten sind. An Messingkugeln
sieht man nach nur kurzer zweiter Durchströmung, dass im
Bereiche der neuen Polfelder die beiden Seitentheile des früheren
Äquators als scharf begrenzte blanke Niveau-Linien von
der Veränderung frei geblieben sind, wie es entsprechend
an der Gallenblase des Frosches, hier selbst nach langdauernder
zweiter Durchströmung noch der Fall war.
Sind zwei Kugeln in Richtung der Stromfäden
unter Yg ihres Durchmessers einander genähert, so werden
die einander zugewendeten Polfelder derselben deutlich kleiner,
und zwar um so kleiner, aber zugleich stärker verändert, je
näher die Kugeln einander stehen; die einander abgewendeten
Polfelder werden um so grösser, derart, dass sie zuletzt mehr
als die Hälfte der Kugeloberfläche einnehmen. Berühren sich
beideKugeln mit blanken Stellen,sind siealsoleitend verbunden
J
150 W. Roux,
dann entstehen blos noch die einander abgewendeten, weit über
die Hälfte der Kugeloberfläche einnehmenden Polfelder; beide
Kugeln also reagiren wie ein einziges Stück. Auch nebenein-
ander, also in äquatorialer Richtung benachbart liegende Kugeln
beeinflussen einander, aber erst bei grösserer Nähe, indem der
Äquator beider sich gegen die Stelle grösster Nähe hin plötzlich
stark verbreitert, wohl weil die Stromfäden sich hier auf zwei
Gebilde vertheilen. Ist die Verbindungslinie einander sehr naher
Kugeln schief zur Stromrichtung gestellt, so wird der Äquator
gegen diese Stelle hin allmälig breiter, und die beiden Polfelder
jeder Kugel werden wieder ungleich gross. Gegen die Berührungs-
fläche beider Kugeln am Boden erfolgt gleichfalls eine Ver-
breiterung des Äquators; während beim Froschei, welches durch
die Gallerthülle an dieser Berührung gehindert wird, eine solche
Verbreiterung fehlte, aber an aus der Hülle befreiten Embryonen
deutlich ausgesprochen war.
An den beiden inneren, kleineren Polfeldern einander
sehr naher, in Richtung des Stromes hintereinander liegender
Messingkugeln bei Durchströmung mit demWechselstrom
in VxPröc^^tigßi' Kochsalzlösung sah ich eigenthümliche Er-
scheinungen, siehe Fig. 21. An den beiden einander nächsten
Stellen ist ein dunkelgrüner, gleichmässiger rundlicher Fleck (1),
der mit scharfer Grenze abschliesst; darauf folgt nach aussen ein
metallisch gebliebener Ring (2), auf diesen eine braune Zone,
welche, nach innen scharf begrenzt, mit starker Veränderung
anhebt, nach aussen aber allmälig schwächer wird und so in
einen (4) wieder metallischen blanken Hof übergeht. Dieser wird
aussen begrenzt durch eine (5) blaugrüne viel breitere Zone,
welche nach innen mit starker Veränderung beginnt und nach
aussen allmälig an Intensität der Veränderung abnimmt und
ihrer Farbe nach dem äusseren Polfeld entspricht. Das dunkle
Centrum (Nr. 1) kann auch fehlen; dann wird das Centrum ent-
sprechend Nr. 2 durch eine helle metallische Scheibe gebildet.
Auch an Bleikugeln enstehen entsprechende Zonen bei gleicher
Versuchsordnung.
Da hier zwei blanke metallische Ringe zwischen den ver-
änderten Zonen liegen, kann also die zonale Färbung nicht blos
auf optische Interferenz zurückgeführt werden; und da ich mir
Entwickelungsmechanik des £mbr}'o. 151
derartiges zonales Verhalten auch nicht aus dem sinusoidalen
Verlauf der Phasen meines Wechselstromes ableiten konnte, so
prüfteich noch das Verhalten so naherKugeln imGleichstrom,
wieder in 7| procentiger Kochsalzlösung. Es zeigte sich, dass
jetzt die beiden inneren Polfelder nicht wie beim Wechselstrom
kleiner wurden, sondern eben so gross, eher sogar ein wenig
grösser schienen als die äusseren. An den einander nächsten
Stellen beider Kugeln entstanden wieder wiebeim Wechselstrom
Ringzonen. Am kathodischen, rothbraunen, inneren Polfeld ist
in der Mitte eine noch fast blanke, also nur wenig veränderte
Scheibe ohne scharfe Ränder, oder das Centrum ist schwärzlich;
darauf folgt die stärker veränderte, breite rostbraune Zone, die
peripher einen schmalen schwarzgrünen Saum geringer Ver-
änderung zeigt. Das äussere kathodische Polfeld kann auch im
Centrum neben seiner rostbraunen Hauptfarbe noch einen deut-
lichen schwarzen Schimmer haben und zwar in grosser Aus-
dehnung. Das innere Anoden-Polfeld ist in der Mitte ganz
blank; dann kommt ein grün-schwarz gefärbter Ring, der stark
anhebt, aber nach aussen allmälig ausläuft; daran schliesst sich
die breite Zone des nach dem Aufhören der Bläschenbildung
blanken Bläschenfeldes, neben dessen peripherem Rand nach
aussen manchmal eine deutliche, verschieden breite Trübung
sich findet, besonders oben und seitlich an der Kugel. Das äussere
anodische Bläschenfeld zeigt gleichfalls manchmal diese un-
regelmässig gestaltete Randtrübung, ist aber sonst durchwtgs
blank, nachdem die Bläschen entfernt worden sind. Die Rand-
trübung ist offenbar ohne Bedeutung; sie rührt wohl von freien
Jonen her, welche von den Elektroden oder vom kathodischen
Polfeld aus sich ausgebreitet haben.
Wenn nun auch gewiss der zwischen den beiden einander
nahen Polfeldern entstehende Polarisationsstrom an diesen Er-
scheinungen einen Antheil hat, so bedarf doch die Ursache
dieser zonal scharf begrenzten Veränderungen verschiedenster
Intensität noch der Aufklärung.
Selbst unvollkommen vom Elektrolyten bedeckte Kugeln
bilden, soweit sie in der Flüssigkeit liegen, Polfelder mit äqui-
potentialen Curven ihrer Aquatorränder, im Unterschied zu dem
Verhaltenderunvollkommen bedeckten Gallenblasen,bei welchen
152 W, Roux,
die Polfeldgrenzen stark von den Niveaulinien der Stelle des
elektrolytischen Feldes abwichen.
Gehen wir zum Verhalten platter Gebilde über, so tritt
bei ihnen, im Gegensatz zu den Kugeln, bezüglich der Grösse
und Gestaltung der Polfelder deutlich der Einfluss der Höhe der
über, respective seitlich vom Intraelektroly ten stehenden leitenden
Flüssigkeit hervor, so auch bei runden Scheiben.
Die Erzeugungeinesgeradlinig parallel contourirten
Äquators auf der Fläche von runden Scheiben in runden
Schalen bei Mittelstellung des Gebildes zwischen den Elektroden
ist ausser von der Höhe der Flüssigkeit noch von mehreren
anderen Umständen abhängig. Bei geringem Abstände der platten
Elektroden in enger Schale genügt gewöhnlich eine Höhe der
überstehenden Flüssigkeit von etwas über dem Radius des
Gebildes. Ist bei gleichem Elektrodenabstand die Schale grösser,
so ist eine grössere Höhe nöthig, welche bei grösserem Elektroden-
abstand noch erheblich vermehrt werden muss. Dabei ist aber
am seitlichen Rande der runden Scheibe der Äquator immer
noch schmaler als der Äquator auf der Fläche. In dem Maasse
als die überstehende Flüssigkeitsschichte niedriger ist (bei
gleich bleibender seitlicher Ausdehnung der Flüssigkeit), ent-
steht in der Mitte des p^tten Gebildes eine zunehmende Ver-
breiterung des Äquators, bis bei unbedeckter oder nur eben
benetzter oberer Fläche diese keine Polfelder mehr bildet. Dies
Verhalten entspricht der centralen Verbreiterung des Äquators
an den zwischen Glasplatten flach gepressten Froscheiern, auf
deren platte Flächen Stromfäden nur in Höhe der geringen
Dicke der gepressten Gallerthülle eintreten konnten. Dasselbe
gilt natürlich auch für die Unterfläche platter Gebilde; weshalb
diese bei ebenem Boden des Gefässes unverändert bleibt, selbst
bei dünnster Substanzlage, wie sie feinste Goldblättchen dar-
bieten: alles Beweise, dass nur der Eintritt des Stromes aus
dem Elektrolyten in das Metall und der Austritt in den
Elektrolyten, nicht aber die Durchströmung der Oberfläche
des vom Elektrolyten umgebenen Metalles die Veränderung des
letzteren hervorruft; dass also die an der Ein- und Austritts-
stelle entstehenden Jonen eine wesentliche Ursache dieser Ver-
änderungen sind, was allerdings keines Beweises mehr bedurfte.
Entuickelungsmechanik des Embr}'o. 153
Mit diesen Verhältnissen im Zusammenhang steht auch
derBefund,dass an den Seitenflächen platter Gebilde derÄquator
bei oben überstehender Flüssigkeitsschicht oben schmaler ist
und gegen den Boden hin sich continuirlich, wenn auch nicht
viel, verbreitert Daraus ergibt sich, dass nicht blos im gleichen
Niveau mit dem Objecte, sondern auch aus höheren Schichten
seitliche Stromfaden in die Seitenfläche des Gebildes eindringen.
Da die Eier und jungen Embryonen alle gerundete Gebilde
sind, und ihr elektrischer Äquator der Mitte nahe liegt, also die-
jenige Stelle einnimmt, an welcher die Stromfäden eines homo-
genen Feldes fast tangential zur Oberfläche des Gebildes ver-
laufen würden, hatte ich daran gedacht, dass dieser ungünstige
Einfallswinkel vielleicht an der Entstehung des Äquators einen
wesentlichen Antheil habe. Die Beobachtungen an platten Metall-
stücken, deren ganze obere Fläche, bei geeigneter Lage der
Elektroden, parallel zu den Stromfäden eines homogenen Feldes
steht, gleichwohl aber grosse Polfelder bildete, zeigten, dass
diese Ansicht für Metalle nicht zutrifft; was aber noch keinen
Schluss auf die, nur wenig besser als der Elektrolyt leitenden
organischen Körper gestattet.
Versuche mit einem gebogenen Stanniolstreifen dagegen
ergaben, dass in der Mitte eines der Länge nach, siehe z.B. Hg. 24,
durchströmten Metallstreifens ein rechtwinkeliger metallischer
Vorsprung von der Höhe der halben, in Richtung des Stromes
gemessenen Breite des Äquators vorhanden sein kann, ohne
dass dieser Vorsprung verändert wird; daraus scheint zu
folgern, dass ihn keine Stromfäden treffen, obgleich die Strom-
faden eines homogenen Feldes rechtwinkelig auf ihn einfallen
würden. Da sich an dieser rechtwinkelig zur Stromrichtung
stehenden Metallplatte auch bei längerer Durchströmung keine
Jonen abscheiden, wie es sonst an einer in gleicher Weise, aber
frei stehenden Platte geschieht, ist es ein Beweis, dass die
Jonen nicht allenthalben in der interpolaren Strecke, sondern
nur längs der Stromfaden wandern. Ist die am Äquator vor-
springende Platte höher, so bekommt sie jederseits ein eigenes
Polfeld, aber nur in der Mitte ihrer beiden P^lächen; die Seiten-
theile und Ränder bleiben als Äquator frei. Stanniol wurde
immer in Glaubersalzlösung durchströmt.
154 W. Roux,
Eine ähnliche Reaction tritt auf, wenn ein rechtwinkelig
gebogener Biechstreifen mit dem einen Schenkel rechtwinkelig
zur Gesammt-Stromrichtung, mit dem andern also längs der-
selben orientirt ist. Alsdann werden je nach der relativen, aber
auch von der Stromdichte abhängigen Länge beider Schenkel
verschiedene Befunde erhalten. Der freie Endtheil des Längs-
schenkels wird wie gewöhnlich verändert. Ist der querstehende
Schenkel etwa ein Drittel so lang als der andere, so erhält diejenige
Fläche des queren Schenkels, welche gegen den in Richtung
des Stromes stehenden Schenkel hin gewendet ist, kein Polfeld,
die andere quergerichtetete Fläche dagegen entwickelt, als einer
Elektrode nächst liegende Fläche ein kräftiges, ihre ganze Aus-
dehnung einnehmendes und auch noch auf die Aussenfläche
des Längsschenkels eine Strecke weit sich fortsetzendes
Polfeld,
Wird der Querschenkel niedriger, so greift sein Polfeld all-
mälig über die Ränder auf die Gegenseite über, aber mit nur
schwacher Veränderung, und schliesslich entsteht auch auf der
an letztere anschliessenden Fläche des Längsschenkels ein zuge-
höriges Polfeld, welches aber immernoch durch eine blanke Stelle
an der hohlen Biegungsseite von dem Umgreifungsfelde getrennt
ist. Wird der Querschenkel höher, so erhälter (siehe Fig» 25) auf der
vorher freigebliebenen Seite ein centrales, die Ränder der Fläche
frei lassendes Polfeld; bei weiterer relativer Zunahme des Quer-
schenkeis werden unter Wachsthum des centralen Polfeldes
auch die Ränder der Fläche mit verändert; der Äquator bleibt
aber immer auf dem längs des Stromes gestellten Schenkel,
auch wenn dieser bloss einen kleinen Bruchtheil der seitlichen
Ausdehnung des Querschenkels bildet; nur setzt sich der Äquator
bei sehr kleinem Längsschenkel auf den Seitenrand des queren
Schenkels fort.
Bei einem geraden, in Stromrichtung und, wie in allen
unseren Versuchen, wenn nicht anders erwähnt, mitten zwischen
den Elektroden liegenden, Stab findet sich beim Wechselstrom
der Äquator in der Mitte der Länge des Stabes. Dies ändert sich,
wenn ein Theil des Stabes rechtwinkelig abgeknickt wird; der
neue Äquator liegt dann nahe der Mitte des jetzt noch in
Richtung des Stromes gestellten Schenkels, aber etwas, und zwar
Entwickelungsmechanik des Embryo. 155
auf der Aussenseite weniger als auf der Innenseite des Winkels,
gegen den Querschenkel hin verschoben; siehe Fig. 25. Der Quer-
schenkel, dessen Theile ja alle in fast denselben Niveauflächen
liegen, hat also einen viel geringeren EinOuss auf die Lagerung
des Äquators als der viele Niveauflächen durchsetzende Längs-
schenkel, obwohl ersterer von viel mehr Stromfäden getroffen wird.
Ein Übergreifen des einer Elektrode zugehörigen Polfeldes
auf eine dieser Elektrode abgewendete Fläche findet bei metallenen
Intraelektrolyten auch schon unter einfacherenVerhältnissenstatt,
z.B. an einem Ring ; da sieht man deutlich, dass die Polfelder anfangs
bloss auf den gegen die Elektroden gewendeten Aussenflächen
entstehen, dann allmälig um die Ränder des Ringes herum etwas
auf die Innenseite übergreifen, und zwar natürlich in der Nähe
der Aquatorgegend am geringsten, in der Nähe der Pole am
weitesten. Es gehören also hier, infolge ihrer Lagerung in der
Nähe z. B. der rechten Elektrode, zum rechten Polfeld Flächen-
theile, welche ihrer Richtung nach am directesten von der linken
Elektrode aus bestrahlt werden könnten.
Dies Übergreifen eines Polfeldes auf eine Gegenseite der
Hauptfläche, welches wir in geringerem Maasse schon an zwei
leitend verbundenen Kugeln gesehen haben, lässt erkennen, dass
bei den Metallgebilden an dem für die Stromfäden eines homo-
genen Feldes im Schatten liegenden Theile der Oberfläche ein
wirklicher Stromschatten, wie wir ihn an grobgefurchten Eiern
und Embryonen kennen gelernt haben, nur rasch vorübergehend
vorkommen kann. Wenn man z. B. einen platten Stern aus
Metall durchströmt, so bekommt er nur zwei Polfelder; und die
Polfeldbildung beginnt zwar auf den gegen die Elektroden ge-
wendeten Flächen der Zacken, so dass anfangs ein Schatten
auf den den Polen zum Theil näheren, aber abgewendeten Seiten-
flächen der Strahlen liegt; während von den Polen entferntere,
aber den Elektroden zugewendete Flächen schon verändert
sind. Die Veränderung greift aber rasch auch auf die im Bereiche
der beiden Gesammtpolfelder des Gebildes liegenden, von der
nächsten Elektrode abgewendeten Flächen über; und zwar wird
dies wieder rascher an den den Polen näheren als an den dem
Äquator benachbarten Stellen sichtbar, an welchen wohl die Strom-
laden relativ spärlicher sind. Die in der Tiefe zwischen den Zacken
156 W. Roux,
gelegenen Stellen dagegen bleiben, wie in derTiefe der Furchen an
Embryonen, lange Zeit unverändert, jedenfalls infolge des vorher
schon erfolgenden Übertrittes der Stromfäden in die seitlichen
Wandungen der Furche. Dies ist somit ein Schatten durch Weg-
leitung der Stromfäden von anderen Theilen des Intraelektro-
lyten; aber die Wegleitung geschieht letzteren Falles bereits im
Elektrolyten.
Wird ein eben und blank geschliffener Kupferkreuzer
in Vs — Vio gesättigter Glaubersalzlösung mit dem Wechsel-
strom durchströmt, so entsteht manchmal mit den benetzbar
werdenden, gelben oder grünen Polfeldern zugleich eine orangen-
farbene Trübung zwischen beiden, also im Bereiche des breiten
Äquators, welche nicht benetzbar ist und jederseits durch eine
gleichfalls nicht benetzbare, blank gebliebene
Niveaulinie vom Polfeld getrennt ist. Mit dem Wachsthum
der Polfelder werden diese blanken Niveaulinien einander ge-
nähert, auf Kosten des mittleren, vorher trüben Äquatorfeldes.
Die Bildung unveränderter Niveaulinien ist also ein besonderer,
sogar schon bestehende Veränderungen aufhebender Process. Der
Äquator einer 18 '3 mm grossen Kupferscheibe war in der Mitte
breiter als am Rande, obgleich die Flüssigkeit über der Münze
20 mm hoch stand, was zur Bildung paralleler Contouren in
anderen Verhältnissen übergenug gewesen wäre. Dies hängt
wohl mit geringerer Leitungsdifferenz zusammen, zufolge deren
wohl auch der Äquator schon an sich sehr breit blieb. Die Pol-
felder hatten eine besonders gefärbte, aussen schwarze, innen
orangefarbene Grenzlinie gegen den Äquator. Das Anlaufen des
mittleren Theiles des Äquators, so wesentlich es für die Bekun-
dung besonders sich verhaltender Niveaulinien ist, hängt nur
von Nebenumständen ab; denn es bleibt manchmal bei schein-
bar ganz derselben Versuchsanordnung aus. Ich erhielt es
häufiger, wenn die Münze nicht eben erst frisch geputzt, sondern
vor dem Durchströmen ein wenig angelaufen war.
Ebenso treten Verschiedenheiten hervor bei einer zweiten
rechtwinkelig zur ersten stattfindenden Durch-
strömung der Kupferplatte. Dabei erhält man z. B. zwei
weitere grüne, an die vorherigen sich anschliessende Polfelder,
und von den vier Ecken des übrigbleibenden quadratischen
Ent^'ickelungsmechanik des Embryo. 157
Äquators gehen vier hellere Linien in diagonaler Rich-
tung ab- Nach dem Abwischen zeigt sich an diesen Linien das
Metall noch fast blank, was sich aus einem unten mitgetheilten
Befunde bei rechtwinkelig zu einander erfolgenden Durch-
strömungen mit dem Gleichstrom erklärt, wo jedoch bloss
eine solche schiefe Niveaulinie gebildet wurde. Dass hier vier
solche Linien entstehen, ergibt sich dann wohl aus den vier-
fachen Stromrichtungen des gekreuzt angewandten Wechsel-
stromes.
Nach weniger lang dauernder primärer Durchströmung als
im eben erwähnten Falle wird bei der secundären, recht-
winkeligen Durchströmung der neue Äquator viel dunkler,
orange; die neuen Niveaulinien sind einander parallel und
werden selbst im Bereiche des primären, orange-
farbenen Äquators blank, kupferfarbig unter Rückbildung
des Orange; im Bereiche der gelben, primären Polfelder dagegen
sind sie schwärzlich, und allmälig wird der äussere Rand hell,
der innere schwarz, als wenn die schwarze Substanz gegen den
Äquator zu verschoben wäre, ähnlich also, wie es oft an dem
Pigment in der Rinde des Froscheies der Fall war. Nach dem
Abwischen sind auch diese Theile der Niveaulinien wieder heller
als die Umgebung, ja fast blank; also hat auch hier eine Rück-
bildung der primären Veränderung, welche das Metall trüb
machte, stattgefunden. An den Niveaulinien findet also
zweifellos eine besondere Einwirkung statt. Die pri-
mären Polfelder sind auch im Bereiche des von den Niveau-
linien umgrenzten secundären Äquators stark verändert
worden, so dass dieser also gleichfalls wieder nicht als in-
differente Zone aufzufassen ist.
Bei längerem Durchströmen von kupfernen Gebilden mit
dem Wechselstrom in durch den Strom siedender 1*/^ Koch-
salzlösung wird die Grenzlinie des Polfeldes immer schärfer
und dunkler; derÄquator bekommt einen schwärzlichen
Hauch bis auf jederseits eine, seinen Rand bildende, allent-
halben gleich breite helle Niveaulinie.
Wurde Kupferdraht in warmer verdünnter Schwefelsäure
liegen gelassen, so dass das Kupfer schwarz anlief, so wurden
beim Durchströmen die Polfelder zunächst heller, die dunkle
158 W. Roux,
Färbung verstärkte sich am Äquator, darnach wurden
die Polfelder auch dunkel und waren durch eine helle Niveau-
linie vom dunklen Äquator getrennt. Auch an Bleischeiben
kann man bei gekreuzter Durchströmung Andeutungen von
Niveaulinien hervorbringen.
Sind zwei Metallplatten rechtwinkelig zur Strom-
richtung aufgestellt und durch eine wenn auch nur minimale
Schicht der Elektrolyten getrennt, so bekommt jede Platte auf
jeder ihrer beiden Flächen je ein Polfeld, welches je nach der
Dicke der Platten auch auf die Seitenränder derselben über-
greift und daselbst mit dem andern den Äquator begrenzt Be-
rühren sich jedoch die Platten leitend oder werden sie sonst
leitend verbunden, so bekommen die einander- zugewendeten
Flächen, wie bei den sich berührenden Kugeln, kein Polfeld
mehr; erst bei einem Abstand von mehr als der Breite der
leitend verbundenen Platten entstehen auch an den einander
zugewendeten Flächen Polfelder, welche aber nur schmal und
an den Rändern gelegen sind und wieder nur durch ein Über-
greifen der äusseren Polfelder um die Ränder herum nach innen
zu bedingt sind.
Wird eine dreieckige Platte mit der Spitze gegen eine
Elektrode gewendet, so wird das spitze Polfeld länger als das
stumpfe; aber der Unterschied ist nicht so gross als zwischen
dem Schwanz- und Kopfpolfeld von Froschembryonen, welche
der Länge nach durchströmt wurden.
Dass für die Ausdehnung der Polfelder und damit für die
Lagerung des Äquators wesentlich die Grösse der Oberflächen,
nicht die Grösse der von ihnen umgrenzten Massen in Betracht
kommt, ist schon aus früherMitgetheiltem ersichtlich. Um es noch
besonders darzuthun, löthete ich an einen, l'bntm dicken
Bleistreif quer einen ebenso breiten, aber viermal so langen
Stanniolstreifen von 7,^ mm Dicke, dessen freies Ende ich in
einer der Dicke des Bleies entsprechenden Höhe umbog, um
eventuelle Spitzenwirkungen zu beseitigen. Obgleich nun die
Masse der einen Seite an 20mal grösser war als die der anderen,
lag der Äquator infolge der beiderseits fast gleichen Gestaltung
der Oberfläche fast in der Mitte des der Länge nach durch-
strömten Gebildes.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 159
An langen Stücken Metalldrahtes, also an Gebilden von
sehr ungleichen Dimensionen, traten einige Verhältnisse be-
sonders deutlich hervor. Der Äquator in Richtung des Stromes
stehender Drähte erweist sich ceteris paribus an längeren Ge-
bilden zwar grösser, aber verhältnissmässig viel kleiner als
an kürzeren. So ergaben sich z. B. bei einem Elektrodenabstand
von 114 ww an einem Bleidraht von l'Sww Dicke bei gleich
dauernder Durchströmung in demselben Gefasse für den Äquator
folgende Maasse:
Lange des
Drahtes
Breite des Äquators
... in Procenten der
Länge des Drahtes
35'Omfn
3' 6 mm
107«
8-0 *
30 »
377»
1-8 *
1-7 »
947o
An diesem Ergebniss ist das Verhältniss der Breite des
Gebildes zur durchflossenen Länge desselben nicht erheblich
betheiligt; denn eine quer zur Fläche durchströmte runde
Scheibe von 8*5 mm Radius, 1 '8 mm Dicke (respective durch-
flossenen Länge) ergab einen Äquator von gleicher Breite als
der letzt erwähnte Draht von bloss 0-9 mm Radius und V8mm
durchflossener Länge.
Nimmt die durchflossene Länge noch weiter ab, so dehnt
sich der Äquator von den Seitenkanten noch auf die quer-
stehenden Hauptflächen des Intraelektrolyten aus; es bekommt
z. B. ein Stanniolblättchen von ^/^^mm Dicke, welches quer
zur Fläche durchströmt wird, bei geeignieter Sti'omdichte jeder-
seits ein grosses, centrales Polfeld, welches von einem schmalen
Äquator von etwa 0* 1 — 0*2 mm umsäumt ist. Dieser Äquator-
saum ist bei gleicher Stromdichte an einer quadratischen Platte
von 25 mm Kantenlänge nur wenig breiter als bei einem Qua-
drate von 0'6 mm Kantenlänge. Ist dagegen die Stromdichte
sehr gering, so entsteht kein Äquator mehr am Rande der beiden
Flächen. Der Äquator wird also hier bei geringerer Stromdichte
(aber längerer Durchströmung) kleiner als bei grösserer Strom-
dichte und kürzerer Durchströmungsdauer.
160 W. Roux,
Von gleich langen, aber ungleich dicken, quer abge-
schnittenen Drahtstücken, welche in axialer Richtung durch-
strömt werden, erhält ceteris paribus das dickere Stück, wie
immer in Richtung des Stromes gemessen, einen breiteren Äquator
während bei Querdurchströmung, gleich wie an den Kugeln, die
dickeren Stücke in gleichen Zeiten einen relativ, oft sogar
absolut kleineren Äquator erhalten.
Liegt der axial durchströmte Draht in der Mitte zwischen
beiden Elektroden, so sind ceteris paribus beide Polfelder gleich
gross. Ist der Draht dagegen einer Elektrode näher, so wird das
Polfeld dieser Seite kleiner; doch treten die Unterschiede ähnlich
wie bei Kugeln erst bei grosser Nähe des einen Endes gegen
die Elektrode, also erst bei grosser Ungleichheit des beider-
seitigen AbStandes von den Elektroden hervor, was sich wohl
leicht aus der divergirenden Richtung der Stromfaden in der
Nähe der Elektrode bei rundem Felde ableitet.
An den länglichen Gallenblasen der Kaninchen haben wir
im Gegensatze zu den runden Gallenblasen des Frosches bei
Durchströmung ersterer in schiefer Richtung gesehen, dass
der Äquator schief zu den Niveauflächen eines homogenen
elektrischen Feldes orientirt war. Um dies Verhalten auch am
Metall zu prüfen, wurde ein blanker cylindrischer Kupfer-
draht von 31 mm Länge und 1 '5 mm Dicke in einer runden
Glasschale von 46 mm Durchmesser in Wasserleitungswasser
durchströmt. Er lag 2 mm hoch vom Boden des Gelasses auf
zwei lockeren Fliesspapiergefässröllchen und war in einer Höhe
von 6 — 7 mm vom Wasser überdeckt. Der Mittelpunkt seiner
Länge kam immer in den Mittelpunkt der mittleren geraden
Verbindungslinie beider, einen Abstand von 40 fnm besitzenden
Elektroden zu liegen, und nur der Winkel des Drahtes mit dieser
Mittellinie, damit aber auch der Abstand der Drahtenden von
den Elektroden, wurden verändert; der Draht wurde nach jedem
Versuche blank geputzt. Die Durchströmungszeit betrug je
15 Minuten.
Entwickelungsmechanik des Embryo.
161
1
I.
II.
III.
IV.
V.
' Winkel des
1 Drahtes mit
i der mittleren
Verbindungs-
linie der
1 Elektroden
Winkel des
Äquators mit
der Längs-
richtung des
Drahtes
Winkel des
Äquators mit der
mittleren Niveau-
linie des elek-
trischen Feldes
Breite des
Äquators, in
Richtung des
Drahtes
gemessen
Breite des
Äquators,
rechtwinkelig
zu seinen
Grenzlinien
gemessen
1
, 0"
90«
0'^
2 * 0 mm
2 ' 0 mm
4*5
38
47
2-0
2-0?
9
26
55
30—3 5
2-0?
18
19
53
3 3—4-0
ri
36
12
42
3-5— 5-0
0-8
' 54
5
31
4-5— 8-0
0-8
72
16
23
t ü-7
81
1
8
30
ü-7
90
0
0
1 31
1
0-7
Die Messungen leiden wegen unscharfer Grenzen der
Polfelder und nicht vollkommen runder Gestalt des Kupfer-
drahtes an Ungenauigkeiten; ausserdem ist der Äquator bei den
mittleren Schiefstellungen etwas gebogen, so dass er in der
Mitte einen grösseren, in Columne II angegebenen, Winkel mit
der Längsrichtung des Drahtes bildet, als an den Enden; auch
ist der Äquator an den Enden, in Richtung des Drahtes ge-
messen, breiter als in der Mitte, was in Columne IV zum
Ausdruck kommt. Die Columne III zeigt daher bloss annähernd
die Abweichungen des Äquators von den Niveaucurven eines
homogenen Feldes an; aber es fällt auf, dass diese Ab-
weichungen schon bei 9 — 18° Schiefstellung des
Drahtes ihr Maximum erreichen, was bei den im Ver-
hältniss zu ihrer Dicke weniger langen und am verschlossenen
Ende verdickten Gallenblasen der Kaninchen nicht hervortrat.
Ein Kugelabschalenabschnitt aus Stanniolblech bildet
bei axialer Durchströmung auf der convexen Seite ein centrales,
grosses und ein schmales marginales Polfeld, welche beide den
Äquator zwischen sich fassen. Ist der Abschnitt klein, also flach,
so ist die concave Fläche von einem in der Mitte schwächeren
Polfeld eingenommen; ist er tief, so beschränkt sich wieder wie
Sitzb. d. rnathem.-naturw. Cl.; CI. Bd. Abth. III 11
162 W. Roux,
bei tiefen Furchen das Polfeld auf den Randtheil. Also die
metallene Kugelschale verhält sich im Principiellen ebenso,
wie wir es an dem abgeschnittenen Vorderhirn des Hühner-
embryo sahen. Wesentlich dasselbe gilt natürlich auch für
entsprechende Abschnitte anderer Rotationskörper - Schalen,
deren Erzeugungslinie gegen die Axe concav ist.
Steht ein Ende oder beide Enden eines Drahtes oder
Bandesaus demElektrolyten heraus, so erfolgt die Reaction
des intraelektrolytären Theiles so, als wenn die äusseren Theile
nicht vorhanden wären, wie wir ein Gleiches auch schon an
der nicht vollkommen eingetauchten Kugel gesehen haben.
Anders ist dagegen das Verhalten, wenn die Enden des
Metallstückes innerhalb der Elektrolyten stehen, die leitende
Verbindung derselben aber zum Theil ausserhalb des
Elektrolyten sich befindet. Unter diesen Umständen hängt
die Abweichung der Reaction von derjenigen eines vollkommen
eingetauchten Gebildes gleicher Gestalt wesentlich von der
Stellung des Intraelektrolyten zu den Stromfaden, respective
Niveauflächen ab.
Steht der ganze intraelektrolyrbare Theil des Gebildes in
Richtung einer Niveaufläche, ist es zum Beispiel ein in
einer Ebene gebogener Draht, welcher mit seinen eingetauchten
Endtheilen mitten zwischen beiden Elektroden rechtwinkelig
zur Verbindungslinie orientirt ist, so findet eine principielle Ab-
weichung von dem Verhalten bei entsprechender vollkommener
Eintauchung nicht statt. Die Reaction erfolgt, als wenn lauter
einzelne neben einander liegende Stücke vorhanden wären, da
innerhalb einer Niveaufläche keine Wirkung vor sich geht; und
es ist daher vollkommen nebensächlich, ob alle oder nicht alle
Theile eines Drahtes eingetaucht sind, nur dass sich selbst-
verständlich die Wirkung auf die eingetauchten Theile be-
schränkt>
Von den anderen Stellungen sei blos die einfachste in
ihrem Verhalten geschildert. Steht das Gebilde mit seinem
intraelektrolytären Theil in Richtung des Stromes
und hat z. B. zwei gleich lange in gleichem Abstände gegen
die Elektroden gerichtete wagrechte Schenkel, so sind deren
Polfelder gleich gross, der Ort des Äquators hängt dabei von
Entwickelungsmechanik des Embry«). 163
der Stromdichte ab; ist die Stromdichte eine grosse, so werden
die ganzen intraelektrolytaren Theile polarisirt, und der Äquator
ist dann wohl als extraelektrolytär liegend zu denken. Ist die
Stromdichte gering, so reichen die Polfelder nicht so weit; und
es ist auf jeder Hälfte noch ein gegen den extraelektrolytären
Theil zu gelegener Äquator vorhanden. Ist kein Äquator inner-
halb der Flüssigkeit vorhanden, so kann man schon ein erheb-
liches Stück, z.B. Vs der Länge des einen wagrechten Schenkels
und darüber abschneiden, ehe bei derselben übrigen Versuchs-
anordnungen der Äquator auf der anderen Seite aus dem extra-
elektrolytären Theil des Drahtes in die Flüssigkeit herabrückt.
Schneidet man noch mehr auf der früheren Seite ab, so entsteht
zwischen dem Äquator und dem extraelektrolytären Theil noch
ein Polfeld, welches dann also zu dem Polfeld des verkürzten
Schenkels jenseits der extraelektrolytären Verbindung gehört.
Taucht der verkürzte Schenkel nur noch mit der Spitze in
die Flüssigkeit und steht diese Spitze in derselben Niveaufläche
als das Austrittsende des anderen Schenkels, so bewirkt das
Eintauchen keine messbare Veränderung der Lage des Äquators
am wagfechten Schenkel: steht jedoch die Spitze der anderen
Elektrode näher, so findet eine Verschiebung des Äquators nach
dieser Seite hin statt. Sind die senkrecht verlaufenden einge-
tauchten Theile des Drahtes von erheblicher Länge im Ver-
hältnisszum wagrechten Schenkel, so kommen die oben für recht-
winkelige Intraelektrolyten angegebenen Regeln mit zur Geltung.
Doch sind die Schattenwirkungen selbst bei grosser Nähe der
Enden breiter Metallstreifen alsdann viel geringer als bei intra-
elektrolytärer Verbindung, und die Intensität der Veränderungen
weist manche Abweichung auf, besonders wenn beide Enden,
von ihrem Verbindungstheil aus gerechnet, nach derselben Seite,
also gegen ein und dieselbe Elektrode gewendet sind.
Stehen beide ungleich langen Enden nur senkrecht in der
Flüssigkeit, aber in Richtung des Stromes hintereinander, so
bekommt das kurze Ende ringsum ein kräftiges Polfeld, das
lange ein kräftiges auf der Seite der nächsten Elektrode und
ein schwaches, nach oben allmälig abnehmendes auf der Gegen-
seite, doch reicht letzteres nur bis zur Höhe des anderen Draht-
endes, sofern dieses in nicht zu grosser Entfernung sich findet.
11*
164 W. Roux,
Werden die beiden Enden des Drahtes in getrennte
Schalen getaucht, in welcher jeder eine Elektrode sich findet,
so werden die Drahtenden natürlich in ihrer ganzen intra-
elektrolytären Ausdehnung verändert; ein Äquator entsteht an
keinem derselben, auch wenn das eine Ende sehr lang in
Richtung des Stromes verläuft, während das andere Ende nur
eben eintaucht. Taucht dagegen ein breites Metallband z. B.
von Stanniol in die beiden mit Glaubersalzlösung gefüllten
Schalen, und sind die wagrechten, gegen die Elektroden ge-
wendeten Enden rechtwinkelig abgeknickt gegen den auf-
steigenden Verbindungstheil, so entsteht in der Winkelöffnung
an der Knickungslinie und deren wagrechter und senkrechter
Umgebung ein grosses frei bleibendes, von veränderten Flächen
umgrenztes Feld, welches leicht für einen Äquator gehalten
werden kann. Dass diese Auffassung nicht richtig ist, zeigt eine
Verschmälerung des Streifens, wobei sich das Feld von den
Rändern her verkleinert und schliesslich verschwindet; es ist
also blos durch Vorwegnahme der Stromfäden durch die Ränder
des freien Feldes und deren Umgebung bedingt gewesen, wie
bei einer Furche; während ein Äquator durch eine in Richtung
der Niveaufläche erfolgte Verschmälerung bei derselben An-
ordnung in Richtung des Stromes nie verschwindet; wie wir ja
auch beim rechtwinkeligen Intraelektrolyten die frei bleibende
Seite der Transversalplatte wohl nicht zum Äquator rechnen
durften.
Wenn man einen über halb so breiten als weiten Ring aus
Stanniol mit einer Seitenkante auf den Boden des Glases legt
und in ihn hinein ein nicht über V3 d^r Breite des Ringes hohes
Stanniolbänkchen setzt, so bleibt letzteres beim Durchströmen
des Elektrolyten unverändert. Es ist also durch den äusseren
Ring vollkommen beschatttet. Der Ring erhält in dem aus einer
Lösung von schwefelsaurem Natron bestehenden Elektrolyten
jederseits aussen ein stark verändertes Polfeld, welches, wie
früher mitgetheilt, über die obere, von Flüssigkeit etwas über-
ragte Kante des Ringes ein wenig auf die Innenseite über-
greift. Dieselben Polfelder entstehen, wenn der Ring an irgend
einer Stelle aufgeschnitten ist, aber noch 360** umschliesst.
Wird derRingnochmals durchschnitten und damit die metallische
Entwickelungsmechanik des Embryo. 165
Leitungseinheit zerstört, so bildet natürlich jedes Stück seine
besonderen Polfelder und seinen eigenen Äquator.
Da wir auch Versuche mit dem Gleichstrom an organischen
Gebilden mitgetheilt haben, und da es zum Verständniss der
im Wechselstrom beobachteten Erscheinungen nöthig ist, seien
noch einige Versuche mit dem galvanischen Strom an
metallischen festen Intraelektrolyten mitgetheilt.
Zur Übereinstimmung mit den früher bei den organischen
Gebilden angewandten Bezeichnungen soll auch hier als posi-
tives oder anodisches Polfeld wieder rein topographisch
das gegen die positive Elektrode (Anode) gewendete Polfeld
bezeichnet werden, obgleich es kathodischer Natur ist, da hier
der sogenannte positive Strom aus dem Elektrolyten austritt
und sich an ihm daher die Kationen abscheiden.
Es interessiren uns hier weniger die qualitativen Eigen-
schaften der Veränderungen des Intraelektrolyten, welche natür-
lich dieselben sind als die an Elektroden aus der gleichen
Substanz in den gleichen Flüssigkeiten vor sich gehenden
Veränderungen, deren Farbe auch mit der Dauer und Dichte
des Stromes häufig wechseln, sondern wir beschäftigen uns
wesentlich nur mit der Localisation dieser Veränderungen,
und zwar bloss an einfacher gestalteten Gebilden, nachdem wir
mit dem Wechselstrom bereits den Einfluss der Gestalt in einer
für unsere Zwecke genügenden Weise ermittelt haben. Diese
Localisation ist, wie schon von Roiti und von Tribe angegeben
und oben mitgetheilt worden ist, für verschiedene Metalle und
Elektrolyten zum Theil verschieden, so dass diese immer mit
namhaft gemacht werden müssen.
Eine runde Bleischeibe, in 10 — 20procentiger Salz-
säure durchströmt, bildet beim Durchströmen zunächst ein auf
drei Viertel des Durchmessers der Scheibe und darüber sich
ausdehnendes, geradlinig, scharf begrenztes, schwarzes nega-
tives und ein erst später auftretendes, mit Bläschen besetztes
positives Polfeld, mit dessen Auftreten und Wachsthum das
negative Feld vom Äquator aus unter Verschiebung des letzteren
durch Aufhellung verkleinert wird. Dieses positive Polfeld wird
erst allmälig schwarz und ist, wie auch in Kochsalzlösung,
nicht scharf gegen den relativ breiten Äquator begrenzt, sondern
166 W. Roux,
läuft mit abnehmender Intensität seiner Veränderungen gegen
ihn aus.
Bei seitlicher Verschiebung der Anode verschiebt sich ent-
sprechend das positive Polfeld und der Äquator wieder unter
metallischer Aufhellung des früheren negativen Polfeldes im
Bereiche des neuen Äquators, ein Beweis, dass der Äquator
keineswegs eine neutrale Zone darstellt. Die durch längeren
Gebrauch zu diesen Versuchen entstehende Verunreinigung
der Säure wirkt alterirend auf die Polfeldbildung ein. Zuletzt
veranlasst solche Säure selbst am frisch polirten Blei schon für
sich momentan ein Schwarzwerden. Bei der Durchströmung
wird diese Schwärzung auf der positiven Seite und im Bereiche
des Äquators, vom positiven Pol ausgehend, sogleich zurück-
getrieben, so dass die Fläche bloss noch mattgrau ist; dasselbe
entsteht auch ah jeder Stelle, über welche man die positive
Elektrode hält.
Eine Bleischeibe bekommt in halbprocentiger Koch-
salzlösung durchströmt zuerst ein schwarzes negatives Pol-
feld, welches allmälig vom Pole sich ausbreitet. Aber ihm
voraus läuft bei diesem Fortschreiten, dem Grenzcontour des
schwarzen Polfeldes parallel, eine braune gegen den
Äquator scharf, gegen den hellen schmalen Zwischen-
raum zwischen ihr und dem schwarzen Theil des Pol-
feldes ujischarf begrenzte Linie. Der Abstand des Äquator-
randes dieser Linie vom negativen Polfeld bleibt anscheinend
constant, während die braune Veränderung selbst sich allmälig
rückwärts gegen das schwarze Polfeld ausdehnt. Dies negative
Polfeld kann die Mitte der Scheibe überschreiten.
Erst eine erhebliche Zeit nach dem Auftreten des negativen
Polfeldes beginnt die Sichtbarwerdung des viel kleineren, weniger
trüben, nicht scharf gegen den Äquator begrenzten, sondern
allmälig gegen ihn auslaufenden positiven Polfeldes.
In vierprocentiger Kochsalzlösung wird das negative Pol-
feld viel grösser. Bei seitlicher Verschiebung der Anode erhält
das negative Polfeld einen S-förmigen Grenzcontour gegen den
Äquator.
Noch mit ihrer Oxydrinde versehene Bleikugeln, in
Kochsalzlösung durchströmt, verhalten sich, wie beirri Wechsel-
Entwickelungsmechanik des Embryo. 167
Strom, wieder unter sich sehr verschieden ; während die eine ein
grosses, nur mit Bläschen bedecktes negatives und ein kleines,
mit grösseren Bläschen versehenes positives Polfeld bildet, ent-
steht an einer anderen ein gelbes kleines negatives und ein
grosses positives mit Bläschen bedecktes Polfeld.
Blanke Schrotkugeln bilden rasch ein grosses gelbes
negatives Polfeld und ein positives Bläschenfeld.
Stanniol, in Kochsalzlösung durchströmt, wird wenig ver-
ändert; dagegen entsteht in Salzsäure ein mehr als die Hälfte
einnehmendes, geradlinig scharf begrenztes negatives, ein viel
kleineres, wieder allmälig gegen den Äquator anlaufendes, posi-
tives Polfeld.
Eine mit Apotheker-Goldblatt überzogene Wachs-
kugel bildet in 15procentiger Salzsäure, wie in halbprocentiger
Kochsalzlösung nur ein ganz kleines schwärzliches negatives
Polfeld ohne scharfe Grenze und ein entsprechendes positives
ßJäschenfeld.
Kupfer eignet sich durch schärfere, ja grelle Begrenzung
des Polfeldes gegen den Äquator und grössere Mannigfaltigkeit
des Verhaltens besser für unsere Zwecke als Blei, welches in
manchen Flüssigkeiten nur allmälig gegen den Äquator aus-
laufende Polfeldveränderungen bildete. Daher wurden mit dem
Kupfer mehr Versuche angestellt.
Ein abgeschliffener Kupferkreuzer in Glaub er Salz-
lösung durchströmt, bekommt blos ein negatives, minimales,
gerade begrenztes, grünlich-gelbes Polfeld, trotz grösster Nähe-
rung der Elektroden bei vier Bunsen'schen Elementen; ein
Zeichen für den grossen Einfluss der Natur des Elektrolyten
auf die Grösse des Polfeldes. In Kochsalzlösung wird gleich-
falls nur ein kleines negatives Polfeld gebildet, welches aber
immerhin grösser ist, als in der Glaubersalzlösung.
In Salzsäure entsteht an der Kupfermünze wieder ein
sichtbares, positives Polfeld, welches erheblich kleiner ist als
das bis fast zur Mitte oder noch darüber hinaus sich ausdeh-
nende graubraune negative; dies positive Polfeld besteht aus
zwei ganz verschiedenen Theilen: einem polar gelegenen, gerade
abgegrenzten schwarzblauen und darauf aus einem eventuell
ebenso breiten, bloss durch einen andersfarbigen Metallschimmer
168 W. Roux,
ausgezeichneten, äquatorwärts durch eine orange -kupferige
Linie begrenzten Theil.
Auch im negativen Polfeld kommen wieder mehrere gerad-
linig begrenzte, grell gegen einander abstechende, in sich selber
aber fast gleichartige Zonen von Veränderungen vor, so dass
nicht wohl eine nur allmälige Abnahme der Intensität der Ver-
änderung vom Pole gegen den Äquator angenommen werden kann.
Wenn die Kupfermünze nicht, wie gewöhnlich, in der Mitte
zwischen beiden Elektroden, sondern näher der Kathode sich
befindet, so wird in Salzsäure das positive Polfeld mit seinen
beiden Abschnitten grösser; bei Näherung gegen die positive
Elektrode wird das negative Polfeld grösser als bei Mittel-
stellung. Verunreinigung der Salzsäure mit Kupfervitriol alterirt
sofort die relative Grösse beider Polfelder zu einander.
Wenn eine Kupfermünze in Kupfervitriol durchströmt und
darnach mit Putzpulver wieder blank geputzt worden ist, so
wird bei Durchströmung in Salzsäure dies frühere, durch den
metallischen Kupferniederschlag gebildete Polfeld wieder sichtbar
und die Grenzlinie des früheren Äquators kann im Bereiche des
neuen positiven Polfeldes unverändert bleiben.
Wird ein glatt geschliffener Kupferkreuzer, mitten zwischen
beiden Elektroden liegend, in Kupfervitriollösung durch-
strömt, so entsteht ein schwarzes, anfangs halbmondförmiges
negatives Polfeld, welches schmaler ist als das stets durch eine
gerade Linie begrenzte, mit metallischem Kupfer beschlagene
positive Polfeld. Bei sehr langer Durchströmung aber (z. B.
10 Minuten) wird das negative Polfeld allmälig grösser, sogar
etwas grösser als das positive.
Auf dem positiven Polfeld der glatt und eben abgeschlif-
fenen Kupfermünzen schlägt sich das Kupfer zuerst an den
Randstellen der früher erhabenen Theile der weggeschliffenen
Prägung nieder; auf dem negativen Polfeld haftet nach dem
Wegwischen des Oxydes letzteres fester an den früher erhaben
gebliebenen, also weniger dichten Stellen, so dass auf beiden
Polfeldern die abgeschliffene Schrift und sonstige Prägung
wieder sichtbar wird.
Liegt die Kupfermünze neben der negativen Elektrode,
so wird der Äquator gegen sie hin concav, bei genügend langem
Entwickelungsmechanik des Embryo.
169
Durchströmen zugleich parallel contourirt, und beide Polfelder
sind zuletzt in der Mitte gleich breit; neben der positiven Elek-
trode wird der Äquator gegen diese concav; beides auch (N.B. in
den zu allen Versuchen verwendeten, runden Glasschalen) wenn
die Elektroden eben und breiter sind als die Kupfermünze.
Bei fortgesetztem Durchströmen läuft manchmal der Äquator
im Ganzen trüb an, ohne sich vorher noch verschmälert zu
haben, oder bekommt grosse unregelmässige Flecken, was beides
wohl nur durch Ausbreitung der auf dem sogenannten katho-
dischen Polfeld des metallischen Intraelektrolyten gebildeten
Anionen bedingt ist.
Über den zeitlichen Gang der Verschmälerung des Äquators
gibt folgende Tabelle Auskunft. Sie wurde durch Versuche
an einem auf einer Fläche ebengeschliffenen Kupferkreuzer
von Idmm Durchmesser, bei mittlerer Stellung zwischen den
platten Elektroden von 32 mm Abstand, in einer runden Schale
von 40 fnm Durchmesser bei einer Stromstärke von anfangs
etwa 03 Amperes und einer Höhe der Flüssigkeit von \4mm
gewonnen.
Dauer der
Breite des
Durchströmung
Äquators
30"
2 Ontm
1'
1-7
2'
1-3
3'
1-0
4'
0-8
6'
0 3
8'
0-2
10'
0-15
12'
0-13
Die letzten Messungen sind bei den natürlich nicht ganz
scharfen Grenzlinien bloss Schätzungen, und die Erwärmung
der Flüssigkeit hatte die anfängliche Stromstärke erheblich
erhöht. Der Äquator ist noch zuletzt vollkommen blank; die Pol-
felder dagegen sind unmittelbar neben ihm gleich intensiv ver-
170 W. Roux,
ändert. Das positive Polfeld war schliesslich in der Mitte S'8 mm,
das negative lOmm breit. Während zuerst das positive Polfeld
rascher wuchs, änderte sich das Verhältniss zuletzt in um-
gekehrtem Sinne. Übrigens ist auch die Beschaffenheit der Metall-
oberfläche von erheblichem Einflüsse auf die absolute und
relative Grösse beider Polfelder, wie auch Froscheier vom selben
Frosch entsprechend verschieden reagirten. Im Bereiche des
negativen Polfeldes löst sich die in der Umgebung des Poles
gebildete Masse in zusammenhängenden breiten Stücken ab, und
beim Abspülen sieht man, dass der bezügliche Bezirk sich mit
einer geraden Linie begrenzt. Auch sonst treten beim Abspülen
oder Abwischen wieder, durch gerade oder gebogene Linien
scharf begrenzte Zonen verschiedenen Verhaltens im negativen
Polfeld auf, wie auch schon vorher solche sichtbar sind. Im Be-
reiche des positiven, metallischen Polfeldes ist dies auch, aber
in minderem Maasse der Fall.
Wurde auf eine Kupfermünze mit Siccativ ein Netzwerk
gezeichnet, soreagirte beim Durchströmen in Kupfervitriollösung
natürlich nicht jedes begrenzte und vom anderen oberflächlich
isolirteFeld für sich; sondern, dasie unter diesem Netz homogen
verbunden sind, so reagirt das Ganze wie gewöhnlich, nur fehlt
an den mit Harz bedeckten Stellen die Veränderung; nach
dem Reinigen springen daher auf der negativen Seite die Netz-
linien, auf der positiven die umschlossenen Felder vor; im Be-
reiche des Äquators ist von der früheren Netzzeichnung nichts
mehr zu sehen.
Durchströmt man die bereits einmal in Kupfervitriollösung
durchströmte Kupfermünze nochmals, aber rechtwinkelig zur
früheren Richtung, siehe Fig. 22, so bleibt die dem früheren
positiven Polfeld anliegende Zone a des primären Äquators auf
der Seite, wo sie durch die Drehung in den Bereich des neuen
negativen Feldes gelangt ist, unverändert, wird nicht schwarz;
doch dehnte sie sich bei meinen V^ersuchen vom neuen Äquator
nur ein Stück aus, ohne den Rand der Münze zu erreichen. Dies
Verhalten erinnert wieder an die unveränderten Niveaulinien der
Messingkugeln und der Froschgallenblase bei der zweiten, in
anderer Richtung erfolgenden Durchströmung mit dem Wechsel-
strom. Bei länger fortgesetzter Durchströmung ändert jedoch die
Entwickeiungsmechanik des Embryo. 171
blanke Linie hier ihre Richtung; von derselben Ecke des Äquators
ausgehend, lenkt sie sich allmälig gegen 45* ab und bildet die
Grenze zweier verschiedener Theile des secundären negativen
Polfeldes, nämlich eines grossen Abschnittes, bestehend aus den
im Bereiche des secundären negativen Polfeldes gelegenen An-
theilen des primären negativen Polfeldes, femer des primären
Äquators, sowie des an letzteren Theil anstossenden Stückes
des primären positiven Polfeldes, innerhalb welches Therles die
frühere Veränderung vom primären Äquator aus, eben unter
V^erschiebung der sichtbar gewordenen Niveaulinie a, voll-
kommen rückgängig gemacht worden ist und die gewöhnliche
Oxydbildung stattgefunden hat.
Beim Abwischen verliert dies aus drei ursprünglich ver-
schiedenen Theilen gebildete Stück des secundären negativen
Polfeldes seine schwarze Bedeckung. Das übrige Stück des
secundären negativen Polfeldes, der Zwickel dagegen, ist nicht
schwarz, sondern bloss braunroth geworden; an ihm findet sich
das Oxyd an früherem Kupferniederschlag. Es finden noch
manche andere Besonderheiten bei aufeinanderfolgenden Durch-
strömungen in verschiedenen Richtungen statt, welche Zeichen
erst allmäliger Umarbeitungen aus den früheren Polfeldern in
die der neuen Richtung ensprechenden sind; doch würde ihre
Mittheilung über unser jetziges Ziel hinausgehen. Dieselben sind
ausgeprägter, wenn die primäre Durchströmung längere Zeit
gedauert, also kräftigere Veränderungen hervorgebracht hat.
Die blank bleibende Linie a entsteht dadurch, dass der zwischen
dem primären positiven Polfeld und dem neuen, auf dem pri-
mären Äquator sich anlegenden negativen Polfeld liegende Theil
weniger verändert wird als der übrige Theil des Äquators; aber
wir sind nicht in der Lage zu unterscheiden, ob dieser Theil
infolge dieser einem Äquator entsprechenden Lagerung sich so
verhält, oder ob er schon von der ersten Durchströmung her an
sich weniger veränderlich ist, denn auch für letztes haben wir
in unseren Experimenten Analogien gefunden. Da diese blanke
Stelle aber wandert, und zwar auf das früher positive Polfeld
hin, also unter Rüökbildurig des positiven Niederschlages, so
bezeichnet es, dass vom primären Äquator aus unter Einwirkung
des sogenannten Stromaustrittes eine solche Rückbildung sich
172 W. Roux,
ausbreitet, der dann die typische Oxydbildung nachfolgt und
dass zwischen beiden Gebieten eine gewisse Strecke frei bleibt,
an welcher also die Bedingungen zur Oxydation fehlen wie bei
einem Äquator, und wohl auch aus demselben Grunde, da hier
wieder positives und negatives Polfeld einander gegenüber-
stehen, so dass also die erstere obenerwähnte Möglichkeit hier
wegfallt, während zugleich im ganzen jetzt negativ gelagerten
Theil des ursprünglich positiven Polfeldes auch schon Verände-
rungen vom Charakter eines negativen Polfeldes vor sich gehen.
Wenn Kupferdraht in einprocentiger Kochsalzlösung mit
einem intermittirenden Gleichstrom so lange durchströmt wird,
dass die Flüssigkeit siedet, läuft, entsprechend dem schon für
den Wechselstrom mitgetheilten Verhalten, der Äquator trüb
an, mit Ausnahme seiner beiden Randlinien, welche also wieder
besonders beschaffene, weniger veränderliche Niveau-
linien darstellen.
Für die Ableitung der im Wechselstrom beobach-
teten Erscheinungen aus denen des Gleichstroms sind
zunächst zwei Fälle zu unterscheiden: Erstens die Fälle, in
denen beim Gleichstrom, infolge der specifischen Natur oder in-
folge geringer Stromstärke, kein Polfeld die Mitte über-
schreitet; dann können sich die Wirkungen beider entgegen-
gesetzt gerichteten Ströme innerhalb jeder Seite und an jedem
Ort aufeinandersetzen. Da schon beim Gleichstrom die Polfelder
verschiedene Zonen hatten, so werden diese Verhältnisse ziem-
lich complicirt sein, und wir sehen davon ab, sie im Einzelnen
zu verfolgen, zumal da an unseren lebenden Objecten keine
entsprechenden zonalen Erscheinungen aufgetreten sind. Uns
interessirt daher allein noch die Localisation des Äquators und
die Erscheinungen an den Niveaulinien. Da beide Polfelder im
Gleichstrom gewöhnlich ungleich gross sind, der Äquator also
nicht in der Mitte liegt, so gibt es bei entsprechendem Wechsel-
strom einen mittleren Äquatorabschnitt, der für beide Strom-
richtungen reiner Äquator ist, also auch im Wechselstrom un-
verändert bleiben wird, und daneben einen Saum, der je nach
der Stromrichtung bald Äquator, bald Rand des grösseren Pol-
feldes ist. In diesem Bereiche ist natürlich eine andere Wirkung
zu erwarten.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 173
Überschreitet zweitens ein Polfeld im Gleichstrom
die Mittellinie, so müsste bei entsprechendem Wechselstrom
eine mittlere Zone entstehen, in der bei jeder von beiden Strom-
richtungen dies Polfeld vorhanden ist, wo die Veränderungen
sich also steigern, so dass in der Mitte somit kein Äquator wäre.
Daneben käme dann wieder jederseits eine Zone, wo abwech-
selnd der Äquator und das grössere Polfeld sich finden, so dass
hier eine Stelle geringerer Veränderung vorhanden wäre. Dar-
auf folgt nach aussen ein dritter Abschnitt von der Grösse des
kleineren Polfeldes im Gleichstrom, wo immer Polfelder-
veränderung stattfindet, abwechselnd positive oder negative;
dass sich diese aufeinandergesetzten positiven und negativen
Veränderungen nicht aufheben, haben wir gesehen, da wir kräf-
tige, mit der Durchströmungsdauer sich steigernde Verände-
rungen an dieser Stelle erhalten haben. Es muss fraglich er-
scheinen und bleiben, ob auf diese Weise diejenigen Fälle zu
erklären sind, in denen wir einen veränderten Äquator von zwei
Zonen geringerer Veränderung eingefasst erhielten, da ich keine
Versuche gemacht habe, um die Richtigkeit dieser Ableitungen
zu prüfen.
Ähnliches geschieht auch ohne Sieden, und zwar viel deut-
licher, wenn der Salzlösung eine Spur Salzsäure zugesetzt war.
Dann erhält man mitten im Äquator zwei dunkle Linien, die
durch eine hellere getrennt sind.
Weiterhin prüfte ich noch an Metallmodellen direct das
Verhalten der Formen einiger früher durchströmter, compli-
cirter gestalteter organischer Gebilde.
Bezüglich der Morula wurde eine aus einer Bim geschnit-
tene oder aus Wachs gebildete und mit 10 halbkreisförmig vor-
springenden, einander fast berührenden Vorvvölbungen ver-
sehene Scheibe mit sogenanntem Silberblatt überzogen und
durchströmt; diese reagirte, wie schon aus dem früher Mitge-
theilten sich ergibt, als Ganzes mit Bildung zweier Polfelder
und eines Äquators, nicht aber jeder Buckel für sich. Nur wurden
wieder wie bei dem Stern aus Blei zuerst die direct bestrahlten,
später erst die der nächstgelegenen Elektrode abgewendeten
Theile der Buckel verändert, und erst bei längerer Durchströ-
mung findet auch eine Veränderung in der Tiefe der F'urchen
174 W. Roux.
zwischen den im Bereiche der Polfelder gelagerten Buckeln
statt, zuletzt an den mehr seitlich dem Äquator nahen, also
schwächer bestrahlten und zugleich mehr in Schattenrichtung
liegenden Furchen.
Diese Reaction als Ganzes entspricht also der Reaction der
durch Carbolsäure geschwächten Morula.
Beklebt man bloss die gewölbte Seite jedes Buckels mit
einem besonderen Stückchen Silberblatt, welches dasderNachbar-
schaft nicht berührt, so erhält beim Durchströmen jede Vorwöl-
bung auf dieser Aussenfläche zwei durch einen Äquator
getrennte Polfelder. Dies entspricht nicht dem Verhalten der
lebenskräftigen Morula, deren Zellen, von denen der Äquator-
gegend des Eies abgesehen, aussen bloss ein einziges Polfeld
zeigten. Wird jedoch ausser der freien convexen Fläche der
Vorwölbung auch noch ein jeder Vorwölbung zugehöriges
Stück der grossen Seitenfläche der Scheibe mit Stanniol be-
klebt, so entsteht ein Polarisationsbild, welche an den convexen
Flächen dem der lebenskräftigen Morula fast vollständig gleicht.
Jeder Abschnitt hat wieder zwei Polfelder, von denen aber an
den demPolbezirk zugehörigen Theilen das eine auf die grosse
Seitenfläche (also ins Innere der Morula) fällt und daher an der
Morula von aussen nicht sichtbar sein würde, so dass man von
aussen bloss ein einziges Polfeld und den Äquator wahrnimmt.
Aber an den mehr lateralen Abschnitten kommen wieder zwei
Polfelder aussen zum Vorschein, was bei der Morula bloss an
den direct am elektrischen Äquator des Ganzen gelegenen Zellen
der Fall war. Es fehlt hier aber auch der Schatten durch die
bei der kugeligen Morula vorhandenen Nachbarzellen.
Um die Wirkung der Gestalt der noch complicirter ge-
formten Embryonen direct zu prüfen, schnitt ich das Nach-
bild eines schon mit Kiemenhöckern versehenen Embr^'o aus
einem Stückchen Blei. Nach kurz dauernder Durchströmung
desselben in verschiedenen Richtungen zeigten sich die früher an
den Froschembryonen beobachteten Gestalten des Äquators. Bei
etwas länger dauernden Durchströmungen entstanden dagegen
durch das Schwinden des Schattens bedingte Abweichungen.
Bisher wurden Metalle in Flüssigkeiten, also vielmal besser
als der Elektrol vt leitende Substanzen durchströmt und die Locali-
Entwickelungsmechanik des Embryo. 1'5
sation der Polfelder, also des Stromfädeneinfalles und -Austrittes
studirt Die von uns untersuchten organischen Körper dagegen
leiten millionenmal schlechter als Metalle; nach meinen rohen, mit
Hilfe des wenig empfindlichen Galvanoskopes und bloss mit
polarisirbaren Elektroden angestellten Versuchen schätzte ich
das Leitungsvermögen der Froscheier etwa gleich dem der 7$'
procentigen Kochsalzlösung. Da wir Eier und Embryonen auch
in besser als sie selber leitenden Flüssigkeiten, in
stärkerer Kochsalzlösung und in Schwefelsäurelösung untersucht
haben, so wollte ich auch das Verhalten von anorganischen
Körpern in besser als sie leitenden Elektrolyten direct prüfen.
Zu diesem Zwecke machte ich Kugeln aus mit Wasser
zubereitetem Mehl teig, wälzte sie, um sie reactionsfähig zu
machen, in Messingfeilspähnen und durchströmte in 4% Koch-
salzlösung. Bei Anwendung des Wechselstroms erhielt eineKugel
von 19 ww Durchmesser, wie erwartet, Andeutungen eines
schwärzlichen Äquators, und zwar von 11 mm Breite, in
VtVo Kochsalzlösung von bloss 6 mm Breite; jedoch war die
Schwärzung bloss oben und unten, als an den durch die nahen
Abgrenzungen des Feldes besonders begünstigten Stellen, gut
ausgeprägt und scharf contourirt. Die Pole dagegen blieben un-
verändert
Einen vollkommen ausgebildeten schwarzen Äquator er-
hält man, wenn man eine mit Messingspähnen betupfte Wachs-
kugel durchströmt; solche Kugel wird richtig äquatorisirt
statt polarisirt. Dieser Äquator bestand aus 6 — 8 parallelen ring-
förmigen, aber nicht continuirlich ringsherum gehenden
schwarzen Streifen von verschiedener Breite, die durch gelb ge-
bliebene, breitere oder schmälere Ringstreifen getrennt sind.
Erstere bestehen meist aus Gruppen von Messingspähnen, von
welchen jeder zwei schwarze Polfelder und einen gelben Äquator
hat. Manchmal findet man auch Spähne ganz schwarz gefärbt;
diese standen wohl mit anderen in leitender Berührung, so dass
nicht jeder für sich Polfelder und Äquator bilden konnte. Eine
mit einem Goldblättchen überzogene Wachskugel bildet da-
gegen natürlich wieder veränderte Polfelder bei unverändertem
Äquator. Wird die mit Messingspähnen bestreute Wachskugel
mit dem Gleichstrom behandelt, so entstehen am Äquator un-
176 W. Roux,
mittelbar nebeneinander zwei verschiedene Zonen, gegen die
Anode hin eine schwärzliche, gegen die Kathode eine gelblich-
grüne, so dass also der beim Wechselstrom gleichartige Äquator
jetzt, entsprechend der Verschiedenheit der Anode und Kathode,
durch zwei veränderte Äquatoren vertreten wird.
Um auch Körper, welche nur wenig besser leiten als
die Flüssigkeit, zu prüfen, wurde Mehl mit löprocentiger,
noch mit Kochsalz und Glaubersalz versetzter Schwefelsäure
angerührt und die daraus gebildete, mit Messingspänen be-
streute Kugel bis zum Sieden in Wasser durchströmt, welchem
ein wenig halbprocentiger Kochsalzlösung zugesetzt war, weil
sonst der Strom zu schwach war, um eine deutlich begrenzte
Reaction zu veranlassen; es entstanden, wie zu erwarten, nur
kleine schwärzliche Polfelder.
Wenn Körper von verschiedenem Leitungsver-
mögen sich berührend umschliessen, so muss je nach
der positiven oder negativen Differenz des Leitungsvermögens
des inneren Körpers gegen den äusseren und dieses gegen den
Elektrolyten an der Grenzschicht derselben eine verschieden
gelagerte Reaction erfolgen.
Dieses darzustellen, machte ich eine oberflächlich mit
Messingspänen versehene Wurst aus mit Wasser angerührtem
Mehlteig, und umgab sie mit einer Schicht von schwefelsaurem
Teig, der aussen gleichfalls mit Messingspänen bestreut ward.
Bei querem Durchströmen in Wasser mit wenig Kochsalz ent-
standen aussen am schwefelsauren Teig schwarze Polfelder,
innen an dem Wasserteig ein schwarzer Äquator, und die in
ihrer Lage den äusseren Polfeldern entsprechenden Polseiten
blieben unverändert. Wurde umgekehrt eine Messingkugel (von
25 mm) mit Wasserteig umgeben bis zur Grösse einer Kugel
von \2'mm, diese mit Messingspänen bestreut und in 27o
Kochsalzlösung durchströmt, so entstand aussen natürlich wieder
ein schwarz geringelter Äquator bei unveränderten Polseiten,
während die umschlossene Messingkugel grüne Polfelder und
einen unveränderten Äquator darbot, welch letzterer in seiner
Lage natürlich dem äusseren schwarzen Äquator entsprach.
Die Ursache der so specifisch localisirten Veränderungen
am metallischen Intraelektrolyten wird zweifellos wesentlich in
Entwickelungsmechanik des Embryo. 177
dem entsprechend localisirten Ein- und Austritt von Stromfäden
bestehen. Immerhin aber haben wir mehrfache Verhältnisse
kennen gelernt, welche nicht von dieser Annahme sich ableiten
lassen. Es ist klar, dass gegen die Polenden eines Intraelektro-
lyten, welcher besser leitet als der Elektrolyt, die Stromfaden
wie aspirirt convergiren müssen, um so mehr, je grösser diese
Leitungsdiflferenz ist, und zwar gegen die der betreffenden Elek-
trodenächsten Theile in stärkerem Maasse, als gegen die von der
Elektrode entfernteren Theile des Intraelektrolyten, und dass
daher in der Mitte der, in mittlerer Stromrichtung gemessenen,
Länge des Gebildes eine Stelle geringsten Stromeinfalles vor-
handen ist. Trotzdem müssen jedoch auch an letzterer Stelle
Stronnfaden einfallen, respective austreten, und diese Stelle
müsste daher bei längerer Durchströmung verändert werden,
da, entgegen Farad ay's früheren Angaben, festgestellt worden
ist, dass auch der schwächste galvanische Strom Elektrolyse
hervorbringt, sofern keine elektromotorische Eigenkraft wirk-
sam ist Die Polfelder müssten ferner gegen diese Stelle hin
stetig an Intensität der Veränderung abnehmen, so dass eine
schroffe Grenze des Polfeldes nicht existirte. Statt dessen haben
wir, zum Beispiel beim Kupfer einen blank bleibenden Äquator
erhalten, der ohne Übergang durch eine stark veränderte
Schicht begrenzt ward.
Dies würde sich beim Gleichstrom ohne Weiteres durch
den von Roiti und Volterra angenommenen negativen Polari-
sationsstrom erklären, welcher durch die Flüssigkeit über
den Äquator weg circulirt, und diejenigen Stromtheile, die
nicht stärker sind als er selber, vernichtet. Auch bei Anwen-
dung des Wechselstromes lässt sich dieselbe Erklärung
anwenden; denn während jeder Phase ist er ein Gleichstrom,
der durch die bewirkten beiderseitigen polaren Veränderungen
einen negativen Polarisationsstrom hervorruft, der nur eben
mit dem primären Strom seine Richtung wechselt, aber sich
immer von ihm subtrahirt
Wir haben aber auch Erscheinungen kennen gelernt,
vvelcheauf diese Weise nicht zu erklären sind, zum Beispiel die
beim Durchströmen von Blei in halbprocentiger Kochsalzlösung
beobachtete Thatsache, dass das negative Polfeld nicht conti-
Sitzb. d. mathcm.-naturw. GL ; CI. Bd. Ahth. III. 1 2
1
178 W. Roux,
nuirlich ist, sondern dass ihm eine Linie besonderer Verände-
rung vorausgeht, welche vom Hauptpoifeid längere Zeit durch
eine unveränderte Zone getrennt ist, so dass zwei blanke
Stellen (zwei Äquatoren?) vorhanden sind; ferner dass gewöhn-
lich nur das kathodische Polfeld eine schroffe Grenze hat,
während das anodische Polfeld allmälig gegen den Äquator
ausläuft. Dessgleichen die Beobachtung, dass an sehr dünnen
querdurchströmten Metallplatten der Äquator bei schwachem
Strom schmaler wird als bei starkem Strom, während sich an
in der Stromrichtung ausgedehnteren Metallkörpern dieses
Verhältnis umkehrt. Dies weist darauf hin, dass noch andere
Momente, darunter auch formale Verhältnisse, eine erhebliche
Rolle mit spielen, dass also die Sachlage eine erheblich compli-
cirtere ist. Hierauf deuten auch die bei einer zweiten, in anderer
Richtung erfolgenden Durchströmung, selbst bei Anwendung
des Wechselstromes unverändert bleibenden Niveaulinien der
ersten Durchströmung hin. Andererseits kann im Sinne des
Polarisationsstromes das Zurückweichen des zuerst entstandenen
grossen negativen Polfeldes beim Auftreten des positiven Pol-
feldes gedeutet werden. Als Nichtfachmann, und um mich nicht
zu sehr in ein mir ferner stehendes Thema zu vertiefen, nahm ich
Abstand davon, die Aufklärung dieser Verhältnisse zu versuchen.
Ich wünschte aber wenigstens ein eigenes Urtheil über
den Verlauf der Stromfäden zu gewinnen, besonders dess-
halb, weil wir vielfach dieselben Localisationen der polaren Ver-
änderungen wie an Metallen auch an organischen Gebilden, welche
kaum oder nicht besser leiten als der Elektrolyt, beobachtet haben.
In Ermangelung eines geeigneten Galvanometers konnte ich die
Niveauflächen nicht durch Einsetzen der Drahtenden aufsuchen,
was auch bei unseren Verhältnissen äusserst mühsam gewesen
wäre. Ich verwandte daher die Beobachtung, dass der Äquator
von intraelektrolytär durchströmten Kugeln die Richtung der
Niveauflächen der betreffenden Stelle des die Kugel umgebenden
Feldes annimmt, also eine directe Construction des recht-
winkelig zu ihm erfolgenden Verlaufes des mittleren Stromfadens,
auch für den Fall der Abwesenheit dieser Kugeln gestattet.
Umgibt man einen geraden, in der Verbindungsrichtung
der Elektrode liegenden Bleistab mit mehreren Reihen von
Entwickelungsmechanik des Embryo. 1 ' 9
2bntm grossen, im Abstand eines Radius oder darüber auf-
gesetzten Messingkugeln, so erhält man beim Durchströmen
in halbprocentiger Kochsalzlösung mit dem Wechselstrom rasch
ein klares Bild über den Gang der Stromfaden, wie es zum
Beispiel in Fig. 23 dargestellt ist.
Man ersieht, dass gegen die beiden Polenden und die
anliegenden Theile Stromfaden weit von der Seite her conver-
giren, so dass sie an den Enden sehr dicht stehen müssen
und an den Seiten fast senkrecht zur Oberfläche des Intra-
elektrolyten eintreten. Gegen die Mitte des Stabes zu nimmt
die Dichtigkeit der Stromfaden und ihr Einfallswinkel ab; und
neben der Mitte selber zeigt die daselbst befindliche Kugel
nach lange fortgesetzter Durchströmung an, dass die spärlichen
Stromfaden hier der Oberfläche parallel verlaufen; aber die
Contouren der Polfelder bekunden, dass diese Stromfäden von
aussen her gekommene, gegen den Intraelektroly ten eingebogene,
aber ihn nicht erreichende sind, und auch gleich wieder sich
nach aussen abbiegen. Beim Blei ist der Äquator sehr klein:
und man kann daher hier am geraden Stabe nicht erkennen, ob
auf ihn selber Stromfaden einfallen.
Um dies beurtheilen zu können, eignet sich besser ein
Kupferdraht, der in dem gleichen Elektrolyten durchströmt wird.
Man sieht daselbst an den Kugeln, welche neben dem breiten
Äquator stehen, der sich in der Mitte etwas verdunkelt und
an den beiden Seiten zu frischer Kupferfarbe aufhellt, dass
Stromfaden auch in den breiten hellen Theil einfallen müssen.
Da bei diesem Metall die Polfelder unmittelbar neben dem
Äquator sogleich stark verändert sind, deutet dies schon an, dass
hier ein kräftigerer Polarisationsstrom zwischen den Polfeldern
bestehen muss als bei den ganz allmälig gegen den Äquator
schwächer werdenden, und mit kaum deutlich wahrnehmbarer
Grenze endenden Polfeldern des in Kochsalzlösung durch-
strömten Bleies.
Darauf durchströmte ich unter gleichen Umständen einen
Stanniolstreifen von 33 ium Länge (siehe F'ig. 24) in Glauber-
salzlösung, welcher Streifen aber in der Mitte derart ge-
bogen war, dass er einen rechtwinkelig zu ihm stehenden
Vorsprung von 2*0 mm hatte. Die Kugeln zu beiden Seiten
12-
180 W. Roux,
des letzteren bekamen erst nach sehr langem Durchströmen
Polfelder, und zwar jede deren drei, ein äusseres, schräges
zuführendes, ein kleines gegen den nächsten Theil des Balkens,
und ein drittes, gegen den Vorsprung gewendetes, so dass
diesem letzteren, sowie dem anstossenden, zwischen aa sich
erstreckenden Äquator sicher Stromfäden zugeführt werden. Sie
werden aber entweder zu schwach sein, um sichtbare Wirkung
hervorzubringen, oder sie werden ganz durch den Polarisations-
strom in ihrer Wirkung annullirt; da der durch Biegung des Stan-
niolstreifens gebildete Vorsprung doppelte Wandung besitzt,
zwischen welcher in der Mitte der Elektrolyt eingedrungen ist,
muss der Polarisationsstrom auch den ganzen Vorsprung durch-
setzen.
Schliesslich prüfte ich noch einen rechten Winkel aus
Blei, dessen einer Schenkel in Niveauflächenrichtung steht, um
zu sehen, wie sich die Stromfäden zu derjenigen Fläche des-
selben verhalten, welche gegen den längs des Stromes gestellten
Schenkel gewendet ist, und welche, wie oben mitgetheilt, bei
der Durchströmung unverändert bleiben kann, sofern der Quer-
schenkel nicht zu hoch im Verhältnisse zu dem anderen
Schenkel und den sonstigen Verhältnissen ist. Hier, in Fig. 25,
entstand, aber erst nach langem Durchströmen, ein ganz
schwaches centrales Polfeld.
Die Figur zeigt durch die schmalen schwachen Polfelder
der Kugel, dass gegen diese Fläche hin einige wenige Strom-
fäden divergirend ausstrahlen; ferner ist aus den grossen
dunklen Polfeldem der oberen Kugeln zu erkennen, dass ein
dichter Zug von Stromfäden an der freien Kante des Quer-
schenkels vorbei nach aussen abbiegt. Es ist interessant, aus
welcher Ursache dies geschieht. Die rechtwinkelig anstossende
schmale Seitenfläche ist stark verändert von der jenseitigen
(linken) Elektrode aus; und wir haben früher gesehen, dass
diese Veränderung sogar noch über die Seitenkante weg ein wenig
auf die rechte Hauptfläche übergreifen kann. Warum aber bleibt
diese grosse Fläche im Übrigen fast frei, unter Abbiegung eines
von der anderen Elektrode herauf siegerichtetendichtenStromes.^
Es scheint mir desshalb, weil die links eintretenden Fäden nach
dem Ohm'schen Gesetz grösstentheils durch den metallischen
Entwickelungsmechanik des Embryo. 181
Längsschenkel fortgeleitet werden, so dass nur ein kleiner
Theil den Weg durch die Flüssigkeit nimmt, und der
Polarisationsstrom, der über die Öffnung des Winkels zwischen
beiden Polfeldern verläuft, vernichtet sie wohl grösstentheils.
Man könnte nun fragen : Warum dringen aber nicht die von
der rechten Elektrode ausgehenden dichten, gegen diese Fläche
gerichteten Stromfaden in sie ein, sondern biegen plötzlich
seitwärts ab? Wenn sie einen anderen Weg, als die von der
anderen Elektrode ausgehenden Stromfaden nehmen könnten,
würden sie dies wohl thun; da es nicht geschieht, scheint sich
hier die Nothwendigkeit der Identität der Wege beider elektri-
scher Ströme auszusprechen, sofern die dualistische Elektrici-
tätstheorie die richtige ist; für die unitarische Theorie besteht
diese Eventualität erst gar nicht.
Nach diesen Beobachtungen des Verlaufes der Strom-
fäden im Wechselstrom konnte es überflüssig scheinen,
denselben Versuch noch mit dem Gleichstrom zu wider-
holen, denn es war vorauszusehen, dass der Verlauf derselben
ganz der gleiche sei. Indess gewohnt, auch scheinbar selbst-
verständlichen Ableitungen nicht eher zu trauen, als bis sie
sich bewahrheitet haben, stellte ich einen Probeversuch an,
und erhielt ein überraschend abweichendes Resultat, welches
in Fig. 26 dargestellt ist. Von fünf, neben der in der Ver-
bindungsrichtung der Elektrode stehenden Längskanten der
Bleiplatte in annähernd gleichen Abständen aufgestellten
Messingkugeln bildete beim Durchströmen in achtprocentiger,
mit etwas verdünnter Schwefelsäure versetzter Kochsalzlösung
die links an der Ecke des negativen Poles aufgestellte Kugel
ein negatives, braunes Polfeld von einer Richtung seiner Grenze,
welche bekundet, dass die Stromfäden gegen die Bleiplatte nur
sehr wenig convergiren; das Polfeld der zweiten Kugel stand
auch, aber noch weniger in dieser Weise schief; die dritte
entwickelte ein kathodisches Polfeld von geringer Grösse mit
rechtwinkelig zur Kante der Bleiplatte stehendem Grenzcontour,
so dass also die Stromfaden hier parallel der Seitenkante der
Bleiplatte verlaufen. Die vierte Kugel, welche schon neben
dem positiven Polfelde liegt, hat nicht deutlich reagirt; die
fünfte, neben dem Anfang des positiven Polfeldes liegende»
182 W. Roux,
hat ein deutliches negatives Polfeld, welches andeutet, dass
die Stromfäden hier stark von der Seite her gegen den Stab
convergiren. Die seitlich befindliche, zweite parallele Reihe
von Kugeln, zeigt an, dass der Strom durch alle Kugeln unab-
gelenkt in der Verbindungsrichtung der Elektroden verläuft
Das Resultat ist also ein wesentlich anderes als das mit
dem Wechselstrom gewonnene. Die Stromfäden des Gleich-
stromes convergiren nur äusserst weniggegen den kathodischen
Theii des Bleistückes, obgleich das negative Polfeld weit über
die Hälfte der. ganzen Platte einnimmt, und früher entsteht als
das kleine positive Polfeld. Das Fehlen der Veränderung an
den Kugeln neben dem Äquator und in der Nähe desselben
kann auf den durch die Flüssigkeit geschlossenen Gegenstrom
zurückgeführt werden.
Den abweichenden Verlauf der Stromfäden von demjenigen
beim Wechselstrom vermuthete ich dadurch bedingt, dass das
kathodische Polfeld sehr schlecht leitet, was sich um so mehr
geltend machen musste, als die Messingkugeln im Gleichstrom
nur schwach reagirten. Dadurch wurde lange fortgesetztes
Durchströmen nöthig, um deutlich abgegrenzte Polfelder
hervorzubringen, während dessen auch der Polfeldbelag des
Bleistückes ein ziemlich dicker wurde. Unsere Beobachtung
stellt also nicht den Verlauf der Stromfäden gegen das blanke
Metall, sondern nur das Verhalten gegen die stark veränderten
Polfelder fest.
Um die Wirkung der kathodischen Veränderimg auf den
Stromeintritt vielleicht abschwächend zu variiren, bog ich aus
einem Platin blech ein Kästchen zusammen, und legte es
statt der Bleiplatte in den Strom. Jetzt zeigten die Messing-
kugeln, welche neben die, wieder in Richtung der Verbindungs-
linie der Elektroden gelegene, Seitenkante aufgesetzt worden
waren, durch die Richtung ihres kathodischen Polfeldes einen
etwas stärkeren Stromfädeneintritt von der Seite her an, aber nur
nahe an den Polkanten und immer noch mit viel geringerer
Conv-ergenz von den Seiten her gegen das Metall als bei dem
zum Vergleiche hinterher vorgenommenen Durchleiten des
(allerdings mindestens dreimal stärkeren) Wechselstromes.
Zwischen den längs der Mitte aufgestellten Kugeln läuft
Entwickelungsmechanik des Embryo. 183
der Gleichstrom wieder parallel der Seitenkante des Intra-
elektrolyten und erfahrt selbst neben dem Äquator des Platins
keine so erhebliche Abschwächung wie beim Blei im Gleich-
strom. Dagegen boten beim Durchströmen eines Messing-
balkens in Kochsalzlösung mit dem Gleichstrom die längs
der Kante aufgestellten Messingkugeln eine Neigung ihrer
Äquatoren gegen den Balken dar, welche auf einen ebenso
ausgedehnten seitlichen Eintritt von Stromfäden hinweist, wie
wir ihn gegen einen Kupferdraht im Wechselstrom gesehen
haben.
Da die Leitungsdififerenz zwischen Elektrolyt und Intra-
elektrolyt auf den Verlauf der Stromfäden im ersteren von
grossem Einfluss ist, und da die organischen Körper
millionenmal schlechter leiten als Metalle, so wollte ich den
Verlauf der Stromfaden in der Nähe letzterer direct feststellen.
In Ermangelung embryonalen Materiales von geeigneter Grösse
konnte ich zur Zeit nur Organe des Erwachsenen verwenden.
Ich umstellte daher ein in Wasserleitungswasser liegendes
Froschherz seitlich zur Stromrichtung mit kleinen Messing-
kugeln, s. Fig. 27, und durchströmte mit dem Wechselstrom.
Die zwischen den entstehenden Polfeldern jeder Kugel ver-
bleibenden Äquatoren boten einige Besonderheiten dar, aber
im Ganzen verschmälerten sie sich gegen das Herz hin, ein
Beweis, dass von der Seite her Stromfaden in das Herz ein-
dringen. Wurde der Versuch dagegen in halbprocentiger
Kochsalzlösung angestellt, so divergirten die Aquatorränder
gegen das Herz hin, was bekundet, dass die Stromfaden dem
Herzen ausweichen, dass also das Menstruum besser leitet als
das Herz.
An den neben einem Herzen, welches in fünf- oder zehn-
procentiger Kochsalzlösung durchströmt wurde, liegenden
Messingkugeln bog sich der Äquator (Fig. 28) in einer Weise
ab, welche noch viel stärker zeigt, wie die Stromfäden dem
Herzen ausweichen.
Die neben einer Gallenblase desFrosches in den gleichen
Medien liegenden Messingkugeln zeigten dasselbe Verhalten
als beim Herzen (siehe Fig. 29 und 30j. Da beide Gebilde auch
in dem viel besser leitenden Medium, wie wir oben erfahren
184 W. Roux,
haben, beim Durchströmen polarisirt, statt äquatorisirt
wurden, so beweist dies, dass die örtliche und gestaltliche
Disposition ein erheblich schlechteres Leitungsvermögen bei
diesem Vorgang zu übercompensiren vermag; demnach ist es
auch nichts Besonderes mehr, dass die Froscheier selbst in
verdünnter Schwefelsäure veränderte Polfelder statt eines
veränderten Äquators gebildet haben, wie wir ihn indess an der
mit Messingspänen bestreuten nichtleitenden Wachskugel sehr
ausgeprägt und an der Mehlteigkugel, bei welcher also wohl die
Leitungsdifferenz auch noch grösser war, angedeutet erhalten
haben.
Als dann die Herbstfrösche ihre Eier für das nächste Früh-
jahr gebildet hatten, prüfte ich das Leitungsvermögen der
unreifen Eier auf die gleiche Weise, indem unmittelbar neben
ein längliches Stückchen Eierstock die Messingkugeln auf-
gestellt wurden. Bestand das Menstruum in Wasserleitungs-
wasser, so war eine deutliche Convergenz seitlicher Stromfäden
gegen den Intraelektrolyten aus der schiefen Stellung der Kugel-
äquatoren zu erschliessen; diente dagegen 0'2procentige Koch-
salzlösung als Elektrolyt, so gingen die seitlichen Stromfaden
parallel unabgelenkt am Eierstock vorbei. Dies ist von Bedeu-
tung, da wir in diesem Menstruum die starke Schattenwirkung
der Eierstockgruppen auf einander bei Anwendung des Gleich-
stromes erhalten hatten. Damit fällt die Möglichkeit hin, dass
diese Schattenwirkung auf Aspiration und Vorwegnahme der
Stromfäden durch die den Elektroden näheren Eier bedingt
gewesen sei, worüber sogleich des Weiteren erörtert werden soll.
Zum Schlüsse dieses Abschnittes wollte ich noch die bei
Hühnerembryonen und Froscheiern im Gleichstrom beob-
achtete, höchst auffällige Abnahme der Wirkung im elek-
trischen Felde mit dem Abstände von den Elektroden
bei gleich bleibendem Querschnitt der Strombahn
auch am Metall prüfen. Ich legte daher in eine oblonge, der
Länge nach zu durchströmende Schale in Stromrichtung
6 Messingkugeln von Itttni Durchmesser im Abstände von
06 — 0'8 mm von einander. Beim Durchströmen ergab sich ein
dem der Hühnerembryonen zum Theil entsprechendes Resultat
Sowohl die anodischen als die kathodischen Wirkungen nahmen,
Entwickelungsmechanik des Embryo. 185
von der Anode aus gerechnet, von der ersten bis vierten oder
fünften Kugel ab, um an der letzten Kugel, also neben der
Kathode eine plötzliche Verstärkung zu erfahren. Die Flächen-
ausdehnung der kathodischen, oxydirten Polfelder entsprach
diesem Verhalten nicht ganz, denn die mittleren, weniger ver-
änderten, allerdings auch weniger deutlich begrenzten Polfelder
schienen eher etwas ausgedehnter als das erste; dagegen war
das Polfeld der letzten Kugel trotz seiner intensiven Verände-
ning sehr klein. Bei den anodischen Bläschen bildenden Pol-
feldern nahm, entsprechend der Intensität, also der in Zeit-
einheit von ihm aufsteigenden, Bläschen auch die Ausdehnung
des ganzen Feldes von der ersten bis vierten oder fünften Kugel
ab; die letzte, der Kathode nächste Kugel dagegen hatte wieder
ein Bläschenfeld von fast der Grösse des ersten, welches aber
deutlich weniger Bläschen aufsteigen Hess als jenes.
Bei der Beurtheilung dieses Versuches sind verschiedene
Momente zu berücksichtigen. Die Kugeln standen in Strom-
richtung hintereinander, so dass sie sich beschatten konnten;
femer waren sie derart einander genähert, dass die Verbin-
dungslinie der Kugeln erheblich besser leiten musste, als die
rein durch den Elektrolyten gehenden Bahnen neben ihnen.
Ausserdem waren die beiden Endkugeln der langen Reihe bloss
noch um Kugelbreite von den Elektroden entfernt und konnten
daher von den daselbst abgeschiedenen Jonen direct chemisch
oder durch den zwischen ihnen und dem zugewendeten Polfeld
der nächsten Kugel entstehenden Polarisationsstrom erheblich
beeinflusst werden. Schliesslich war auch die bloss 2bmm
breite Strombahn im Verhältniss zu der 60 wm langen Kugel-
reihe sehr klein. Daher ordnete ich den Versuch einfacher an,
unter Verwendung von bloss 3 Kugeln.
Wurden die drei Kugeln in der Mittellinie derselben Glas-
schale im Abstand von über zwei Kugeldurchmessern aufge-
stellt, so trat aus zahlreichen Versuchen hervor, dass das
anodische, mit Bläschen bedeckte Pol feld der Kugeln
vonder Anode aus etwas an Grösse abnimmt, beson-
dersaber, dass die Zahl der aufsteigenden Bläschen
in dieser Richtung abnimmt, so dass an einer Abnahme
der Stromwirkung mit dem Abstände von der
186 W. Roux,
Anode trotz des allenthalben gleich grossen Quer-
schnittes der Strom bahn bei dieser Versuchsanordnung
nicht zu zweifeln ist, wenn auch der Unterschied bei Weitem
nicht so stark hervortritt, als er bei den Hühnerembryonen
und Froscheiern sich zeigte.
Die Stromstärke musste bei dieser Anordnung, um die
Zahl der aufsteigenden Bläschen gut vergleichen zu können,
so gering genommen werden, dass das kathodische Polfeld nur
aus einem schwachen, noch wenig scharf begrenzten Beschlag
bestand, wesshalb die Grössen desselben an den drei Kugeln
nicht genau genug bestimmt werden konnten, um einen sicheren
Vergleich zu gestatten.
Überhaupt sind die einzelnen, sich oft widersprechenden
Ergebnisse dieser scheinbar einfachen Versuche infolge des
ungleichen speciftschen Verhaltens auch der in gleicher Weise
frisch geputzten Messingkugeln nicht ohne besondere Vor-
sichtsmaassregeln zu deuten. Ich habe daher obiges Resultat
erst als gesichert betrachtet, nachdem ich jede der drei Kugeln
nach einander an alle drei Plätze situirt und ihr Verhalten
untereinander, wie mit dem Verhalten der andern Kugeln am
selben Orte verglichen und diese Versuchsweise an zweimal
drei weiteren Kugeln mit anscheinend demselben Erfolg wieder-
holt hatte.
Um die Wirkung der an den Elektroden abgeschiedenen
Jonen möglichst abzuschwächen, wurde zu jedem Versuche
frische Lösung genommen, und um ihre Ausbreitung durch
Massenbewegung zu vermindern, wurde jede Elektrode mit einer
dreifachen Hülle von Filtrirpapier umgeben. Einfacher ist es, der
Lösung einige Tropfen Schwefelsäure zuzusetzen (wonach die
Flüssigkeit klar bleibt), und während des Versuches ab-
wechselnd die Flüssigkeit in der Nähe der einen Elektrode auf-
zusaugen und neben der anderen Elektrode wieder zuzusetzen.
Drei Bleikugeln schienen bei gleicher Anordnung, aber
weniger deutlich, dasselbe Resultat zu ergeben.
Stehen die drei Messingkugeln in der Stromrichtung
einander auf 0'6mm genähert, so bildet die der Anode
nächste Kugel mehr Blasen als die der Kathode nähere; am
wenigsten, respective gar keine jedoch die mittlere Kugel.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 187
Von besonderer Wichtigkeit war es nun, zu erfahren, ob
auch bei derartig schräger Anordnung der drei in grossem Ab-
stände hintereinander liegenden Kugeln, dass sie sich möglichst
wenig beschatten können, diese bei reiner Hintereinanderlagerung
beobachtete Abnahme der anodischen Polfeldbildung mit der
Entfernung von der Anode noch bestehen bleibt oder aufhört.
Zu diesem Zwecke wurde die eine der drei Kugeln in die
Mitte der oblongen Strombahn, eine andere nahe der Anode und
der einen seitlichen Glaswand, die dritte nahe der Kathode und
der anderen seitlichen Wand aufgesetzt. Nach mehrfachen an-
fangs gleichfalls sich widersprechenden Versuchen bin ich
durch die Umstellungsmethode zu dem Resultat gekommen,
dass auch hierbei die Abnahme der anodischen Wirkung mit der
Entfernung von der Anode stattfindet, so dass also eine
Schattenwirkung nicht wesentlich betheiligt ist.
Diese Abnahme der anodischen polarisirenden
Wirkung descontinuirlich fliessenden Gleichstromes
in einem elektrolytischen Feld von allenthalben gleichem Quer-
schnitt auf mehrere Intraelektrolyten mit dem Abstände der-
selben von der Anode muss demnach ihre Ursache in einer
durch den Gleichstrom bewirkten ungleichen Beschaffen-
heit der elektrolytischen Strombahn selber haben.
Dieses eigenthümliche Verhalten, sowie der beobachtete, von
dem des Wechselstromes abweichende Verlauf der Stromlinien
des Gleichstroms gegen manche Intraelektrolyten veranlassten
mich, zu prüfen, ob nicht vielleicht die Stromlinien im homogenen
elektrischen Felde beim Gleichstrom sich ceteris paribus anders
vertheilen, als beim Wechselstrom. Es wurden daher in eine
runde Schale, ringsum nahe dem Rande sowie inmitten, kleine
Messingkugeln vertheiltund von zwei entgegengesetzten Punkten
des Randes aus die stark mit Schwefelsäure versetzte Glauber-
salzlösung mit Hilfe von Nadelelektroden durchströmt. Es zeigte
sich aber kein Unterschied in den durch die Äquatorränder der
Kugeln markirten Curven von denen beim Wechselstrom.
Die Abnahme der Stromwirkung innerhalb der Strombahn
bei gleichbleibendem Querschnitt derselben widerspricht an-
scheinend dem Fechner'schen Gesetz, dass in allen Quer-
.schnitten einer Strombahn die Stromstärke gleich gross ist.
188 W. Roux,
Um der Ursache dieses Verhaltens näher zu kommen
wollte ich mich zunächst durch Messung von dem Verlauf des
PotentialgeföUes in der ganzen elektrolytischen Bahn unter-
richten. Zu diesem Zwecke wurden an das Horizontal-Galvano-
meter zwei Elektroden von Platindraht angeschlossen. Die
Enden dieser wurden in gleicher Länge rechtwinkelig abge-
knickt und im Abstand von 10 mm durch eine Korkplatte ge-
steckt; um den Parallelismus und damit den bei allen Messungen
Constanten Abstand dieser Enden möglichst zu sichern, wurde
noch zwischen die Handhaben beider Elektroden eine Kork-
platte von geeigneter Dicke gelegt und die Elektroden durch
Zusammenbinden nochmals gegen einander befestigt. Diese
beiden Enden des Nebenkreises wurden stets in Richtung der
mittleren Verbindungslinien der Elektroden des Hauptstromes
eingesetzt und zwar der Gleichmässigkeit wegen bis auf den
Boden der oblongen Glasschale, bei geringem, bloss 2 mm
betragenden Flüssigkeitsstande.
Bei Anwendung der breiten, platten Platinelektroden für
den Hauptstrom, welche auch bei den Versuchen an Embryonen
gedient hatten, sowie der Platinnadelelektroden für den Mess-
kreis, ergaben sich nun folgende Verhältnisse, welche constant
hervortraten, sofern die Vorsicht angewendet wurde, die Mess-
elektroden nach jeder Anwendung in einer Schale mit halbpro-
centiger Kochsalzlösung durch Eintauchen abzuspülen. Halb-
procentige Kochsalzlösung bildete auch den Elektrolyten.
Mit dem schwachen Gleichstrom von 6 Bunsen (mit schon
gebrauchter Säure) zeigte sich bei momentaner, bloss so lang
dauernder Durchströmung, bis die Magnetnadel das Maximum
ihrer ersten Schwingung erreicht hatte, der Ausschlag an allen
Stellen des Elektrolyten (von den Orten der unmittelbaren
Nähe der Elektroden abgesehen) fast ganz gleich gross, ent-
sprechend dem anfänglichen Verhalten unter gleichen Um-
ständen durchströmter, empfindlicher Froscheier; jedenfalls
waren die Differenzen so gering, dass ihre eventuelle Gesetz-
mässigkeit nicht festgestellt werden konnte. Nach auch nur
wenige, etwa 10 Secunden dauernder, continuirlicher Durch-
strömung dagegen stieg der Ausschlag beim Einsetzen neben
der Anode erheblich höher und fiel von da allmälig gegen die
Entwickelungsmechanik des Embryo. 189
Kathode ab, neben welcher annähernd der ursprüngliche Werth
bestehen blieb.
Bei Verwendung von 10 Bunsen-Elementen fand diese
Steigerung so rasch statt, dass eine ursprüngliche Gleichheit
im ganzen Elektrolyten nicht mehr feststellbar war; die Wirkung
war schon bei der ersten Durchströmung während der Bildung
des ersten Nadelausschlages neben der Anode viermal so gross
als neben der Kathode und fiel von der Anode stetig ab. Ein
Umrühren des Elektrolyten nach jeder Messung hatte keinen
ausgleichenden Effect Eine Zeit lang stieg diese Erhöhung der
Wirkung. Später aber trat allmälig neben der Anode ein deut-
licher Abfall ein, und es entstand eine starke Steigerung der
Wirkung zwischen der Anode und der Mitte des Gefässes,
welche weiterhin bis fast an die Mitte fortschritt und die drei-
fache Höhe des Ausschlages neben der Anode erreichte. Von
diesem Gipfel fand nach beiden Seiten hin zunächst ein rascher,
weiterhin ein allmälliger Abfall statt. Bei langfortgesetzter conti-
nuirlicher Durchströmung konnte der Abfall an der Anode bis
unter den, von vorn herein fast stabilen Werth neben der
Kathode sinken und die erwähnte Erhöhung in der Mitte sich
vergrössern, so dass sie das achtfache des Werthes an der
Anode erreichte. Durch Umrühren des Elektrolyten wurde diese
ganze Steigerung, sowie der Abfall an der Anode zum Ver-
schwinden gebracht.
Zusatz von neutraler Lacmustinctur nebst einigen Tropfen
Phenolphthallein Hess erkennen, dass die zuerst entstehende
Steigerung in keiner Beziehung zu den freien an den Elektroden
ausgeschiedenen Jonen stand; dass aber die secundäre Stei-
gerung in der Nähe der Mitte dadurch bedingt war. Diese
Steigerung tritt auf, wenn in grösserer Umgebung der Anode die
Lackmustinctur entfärbt war; sie erreichte ihr Maximum, sobald
diese Schicht der Anionen sich mit der rothen Schicht der
Kationen berührte. Nach der Unterbrechung des primären
Stromes zeigte das Galvanometer bei Messung an der Stelle
des vorherigen Maximums einen nicht unerheblichen Ausschlag
in der Richtung des primären Stromes von 1 Milliampere (gegen
60*0 Milliampere vorher beim Durchströmen); an den Elek-
troden dagegen entstand ein entgegengesetzt gerichteter Aus-
190 W. Roux,
schlag, und zwar an der Anode von — 0*3, vor der Kathode
von — O'o Milliampere.
War die Anode nicht von Platin, sondern von Kupfer, so
blieb mit der Entfärbung der Lacmustinctur auch diese secun-
däre Steigerung aus. War die Platinkathode erheblich schmaler
als die Platinanode, so trat von vornherein, auch bei bloss
momentaner Durchströmung, zwischen Anode und der Mitte
des Feldes eine stärkere Erhöhung der Wirkung ein, als an der
Anode selber; diese auffällige Erhöhung kann gleichfalls nicht
durch die freien Jonen bedingt sein.
Die Werthe ferner, die man, sei es bei kurzer oder nach
langer Durchströmung, erhält, wenn man eine der Messelek-
troden in möglichst grosse Nähe einer Elektrode des primären
vStromes, jedoch ohne sie zu berühren, setzt, sind vielmal
grösser als die im Binnenraum des freien Feldes erhaltenen
Werthe und fallen bei geringerer Vergrösserung des Abstandes
rasch ab. Sie sind ausserdem natürlich auch noch von der
Gestalt, respective Grösse dieser Elektroden abhängig: so neben
einer dünnen Nadelelektrode mehrmals grösser als neben einer
breiten Blattelektrode. In obigen Angaben bedeutet »neben« der
Anode oder Kathode daher stets einen solchen Abstand der
nahen Messelektrode von mindestens 2 mm.
DieMessungen wurden bisher unter Verwendung von Platin-
elektroden, also von polarisirbarem Material, angestellt, und
dabei ein der Wirkung des continuirlichen Gleichstromes auf die
gleichfalls polarisirbaren Eier und Embryonen entsprechendes
Verhalten wahrgenommen.
Für die Beurtheilung der Bedeutung der auffälligen Er-
scheinung war es nöthig, zu wissen, ob sich diese Ungleich-
heiten der Wirkung auch an unpolarisirbaren Elektroden
bemerkbar machen würden. Da jedoch in Innsbruck kein Zink-
draht zu erhalten war, musste ich Streifen Zinkblechs vom
Klempner verwenden, die nicht aus ganz reinem Zink bestanden
und daher wohl noch etwas polarisirt wurden. Auch mag
die Anfertigung der Elektroden meinerseits selber mangelhaft
gewesen sein.
Bei Anwendung dieser Elektroden als Elektroden des Mess-
kreises blieb die im ersten Stadium beobachtete typische Un-
Entwickelungsmechanik des Embryo. 191
gleichheit der Wirkung, der Abfall von der Anode, aus; diejenige
des zweiten Stadiums, also die Erhöhung an der Berührungs-
stelle der Anionen und Kationen, war auf ein Viertel ihrer vor-
herigen Grösse reducirt. Es ist also wohl zu vermuthen, dass
sie ganz verschwunden sein würde, wenn die Elektroden voll-
kommen unpolarisirbar gewesen wären.
Die Versuche wurden durch den etwas gewölbten Boden
und die ungleiche Breite der Lichtung aller meiner oblongen
Glasschalen, sowie durch den auch nicht vollkommen unver-
änderlichen Abstand der Messelektroden erschwert; doch suchte
ich, durch Variationen über die dadurch bedingten Fehler weg-
zukommen.
Da die unpolarisirbaren Elektroden die erste typische
Verschiedenheit der Wirkung im Stromgebiete nicht erkennen
Hessen, so geht hen^'or, dass die bei Anwendung polarisirbaren
Materiales beobachtete typische Abnahme der Wirkung
innerhalb der elektrolytischen Bahn mit dem Abstände
von der Anode bloss auf einer, an den verschiedenen
Stellen ungleichen polarisirenden Wirkung des Elek-
trolyten, nicht aber auf einer Verschiedenheit der
Stromstärke beruht, wodurch wenigstens der scheinbare
Widerstreit gegen das Fechner'sche Gesetz gehoben ist.
Bei den Froscheiern, welche nur relativ kurze Zeit durch-
strömt worden waren, war diese erste typische Art der polari-
sirenden Wirkung, insbesondere die starke Erhöhung in un-
mittelbarer Nähe der Elektroden, also auch an der Kathode,
sehr ausgesprochen zur Geltung gekommen; dessgleichen auch
bei den Hühnerembryonen, sowie bei dem langen Fladen von
Aeihalium septicum Verworrn's (siehe S. 120).
An den letzten Hühnerembryonen, welche über eine Viertel-
stunde lang durchströmt worden waren, konnte danach ausser-
dem noch die zweite Wirkungsweise erheblich mit zur Geltung
gekommen sein, und darauf ist vielleicht das mitgetheilte, dem
früheren widersprechende Resultat am Schlüsse des letzten
Versuches, Seite 122, zurückzuführen. Jedenfalls werden weitere
Versuche nöthig sein, um die Sachlage aufzuklären.
Ich wollte ferner das Verhalten der Strombahn auch während
der Ausbildung dieser ungleichen Veränderungen an den ver-
192 W. Roux,
schieden gelagerten Gebilden aus specifisch reagirendem Mate-
riale messend prüfen. Da jedoch befruchtete Hühnereier zur
Zeit (im November) hier nicht mehr zu erhalten waren, musste
ich mich auf das Ovarium des Frosches beschränken. Ein
Stück solchen Organes wurde mitten in die durch einhalb-
procentige Kochsalzlösung gebildete Strombahn gelegt und die
Messelektroden an folgenden Stellen aufgesetzt: 1. neben der
Anode, 2. mitten auf den Intraelektrolyten, 3. neben der Kathode;
ferner an 2 a, wobei die eine Nadel in dem der Anode zugewen-
deten Organrande steckte und die andere der Anode näher in
der Flüssigkeit sich befand; 2ß dieselbe Stellung nach der Seite
der Kathode. Stellung 1 a und 3 a bedeuten, dass die eine Mess-
elektrode der der Ziffer entsprechenden Elektrode des primären
Stromes möglichst, jedoch ohne sie zu berühren, genähert war.
Die ersten Versuche wurden schon vorgenommen, ehe ich
unpolarisirbare Elektroden angefertigt hatte; sie sind daher nur
mit Platinelektroden angestellt.
In der ersten Versuchsreihe wurde continuirlich durch-
strömt, die Nadeln rasch eingetaucht und so lange eingetaucht
erhalten, bis die Magnetnadel nicht mehr oscillirte. Das Gal-
vanometer zeigte in Stellung 1 a einen starken Strom (z. B.
0*25 Milliampere), bei 1 wieder einen viel schwächeren Strom-
(z. B. 0*04 Milliamperes), bei 2 a stets eine erhebliche Zunahme
(z. B. 0'08 Milliamperes), bei 2 eine weitere Zunahme (z. B. 0*18
Milliamperes), bei 2ß einen steten starken Abfall bis unter die
Grösse von der Stellung 2 a, bei 3 einen weiteren Abfall bis ein
wenig unter den Werth der entsprechenden Stellung 1, bei 3a
fast denselben Werth als bei 1 a. Bei derartiger Querlagerung
des Intraelektrolyten, dass er die ganze Breite der Strombahn
einnahm, war die Steigerung bei 2 a und besonders bei 2 mehr-
mals grösser, der Abfall bei 2ß dann aber vielmals stärker als
bei Längsstellung, wobei dieStrombahn in halberBreite frei blieb.
Bei Längsstellung des Intraelektrolyten ist die Zunahme
auch in der freien Strombahn neben dem Intraelektrolyten deut-
lich ausgesprochen. Bei Anwendung stärkerer, z. B. zweipro-
centiger Kochsalzlösung wurde die Steigerung der Stromstärke
bei 2 a und 2 im Intraelektrolyten nochmals um das Mehrfache
vergrössert.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 193
Es ergab sich also eine starke Steigerung innerhalb und
in der Umgebung des Intraelektrolyten, am stärksten inmitten
desselben, weniger stark am Anodenrande, noch weniger am
Kathodenrande desselben. Diese Steigerung betrug das sechs-
bis zwölffache der Stärke des primären Stromes an den Stellen
vor und hinter dem Intraelektrolyten. Nach der Unterbrechung
des primären Stromes war dagegen an keiner Stelle mehr ein
Strom mit meinem Instrumente nachweisbar; eine eventuelle
wirkliche äussere oder innere Polarisation des Eierstockes
konnte demnach bei der Empfindlichkeit des Instruments nur
unter 0*01 Milliampere betragen.
Dieses Verhalten des Intraelektrolyten wich also bedeutend
von dem vorher bloss am Elektrolyten, gleichfalls bei continuir-
lieber Durchströmung beobachteten Verhalten ab.
Obgleich dieses Verhalten bloss einen Abweg, der uns von
unserer Aufgabe wegführt, darstellt, wie ich nach weiteren Ver-
suchen einsah, sollen doch die zur Aufklärung vorgenommenen
Experimente in ihren Ergebnissen mitgetheilt werden, um einen,
vielleicht gleich mir unerfahrenen Leser vor einer falschen Deu-
tung zu bewahren.
Um zunächst die Wirkung der continuirlichen Durchströ-
mung zu eliminiren, prüfte ich das Verhalten bei bloss mo-
mentanem Stromschluss: hier konnte natürlich nicht die
Ruhestellung der Magnetnadel abgewartet werden, sondern das
Maximum des ersten Ausschlages musste notirt werden.
Die Methode des Eintauchens der Elektroden mit der Hand
ist aber bei diesem Modus natürlich mit einem Fehler verbunden,
indem bei raschem Eintauchen die erste Schwingung der Nadel
nicht unerheblich grösser ausfällt, als bei langsamem Ein-
tauchen. Da jedoch mein Stromschlüssel so primitiv war, dass
beim Schluss und Öffnen durch ihn der Tisch erschüttert und
daher die Magnetnadel abgelenkt wurde, musste ich die Methode
beibehalten und durch möglichste Gleichmässigkeit den so be-
dingten Fehler zu verringern suchen; doch ist es klar, dass in-
folge dessen geringe Verschiedenheiten der Stromstärke, wie sie
zwischen Ort 1 und 3 auch bei bloss momentanem Stromschluss
zu bestehen scheinen, im Einzelnen nicht deutlich beurtheilt
werden konnten, so dass bloss die Summe aller in Folgendem
Siizb. d. mathem. -natura-. Cl.; CI. Bd. Abth. III. 13
194
W. Roux,
ZU besprechenden Beobachtungen hierin einen Schluss ge-
stattet.
Die Methode der momentanen Durchströmung auf den
Eierstock des Frosches als Intraelektrolyten angewandt, ergab
nun z. B. folgende, theils bei Querlage desselben im obigen
Sinne, theils bei Längslage gewonnenen Werthe in Milliamperes:
Bei Querlage
C
3
Vi
VI
TS
o
In halb-
procentiger
Kochsalz-
lösung
In zwei-
procentiger
Kochsalz-
lösung
In
Wasser-
leitungs-
wasser
Bei Längslage
In halbprocentiger Koch-
salzlösung
^ Ca
u >
^ O
1—1 nj
0) g
•a 3
inie
rium
a> cd
u >
■so
«> o
^ ««
2:
«> c
•O 3
f= '5
o» O
1
2a
2
2ß
2
0-015
0-09
0-60
0-03
0-02
0 02
008
0 62
0-05
0-01
0-015
0-10
1-50
0-06
0-01
0*02
0-04
0-085
0 03
0-02
0-02
0-03
0-10
0-02
0-02
0-02
0-05
0-07
0-025
0-03
0
0
0
0
0
03
07
12
03
02
0-03
0-05
0-09
0-03
0 03 i
Es ergab sich also bei momentaner Durchströmung wesent-
lich dasselbe Verhalten, wie es nach continuirlicher Durchstro-
mung beobachtet worden war; nur war die Wirkung auf den
Intraelektrolyten und in der Nähe desselben, nach der Ampli-
tude der ersten Schwingung zu urtheilen, noch mehrmals grösser
als in der Flüssigkeit, indem die Stromwirkung im Intra-
elektrolytendasvierzig-bis hundertfache der Wirkung
im Elektrolyten erreichte. Wenn auch von dieser Wirkung
ein Theil nur scheinbar, nur auf die Trägheit der Magnetnadel
zurückzuführen ist, so bleibt doch immer noch ein ungeheuerer
Erfolg übrig.
Am Schlüsse jeder, mit demselben Object angestellten V^er-
suchsreihe wurden die Nadeln an den fünf Orten in gleicher
Weise aufgesetzt ohne gleichzeitige Durchströmung; und es er-
gab sich nirgends mehr ein Ausschlag der Magnetnadel, trotz
der inzwischen an dem Ovarium aufgetretenen starken morpho-
logischen Polarisation. Dieses eigenthümliche Verhalten musste
nun auf seine Ursache zurückgeführt werden.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 195
Da ich im ersten Momente über seine Bedeutung nicht klar
war, prüfte ich sogleich die weichen Organe des Mutterfrosches,
dem das Ovarium entnommen war; und alle zeigten wesentlich
dasselbe Verhalten, nur war die Steigerung bei verschiedenen
Organen quantitativ verschieden und stand anscheinend in
Abhängigkeit von der Dicke des mit der Nadel durchstochenen
Organes. Um zu sehen, ob andere organische Bildungen ähnlich
sich verhielten, wurde Weizenmehl mit halbprocentiger Koch-
salzlösung angerührt, und der so gebildete Teig in die Strom-
bahn gelegt. Es trat wieder die gleiche Erscheinung auf. Da ich
anderen Tages die annähernd unpolarisirbaren Elektroden
gemacht hatte, verwendete ich auch diese, und da zeigte sich,
dass jetzt die Verstärkung der Stromwirkung auf der Leber und
auf dem Teige zwar noch evident vorhanden war, aber bloss
das drei- bis vierfache der Wirkung im Elektrolyten erreichte.
Um jede Berührung des Organes oder des Teiges zu ver-
meiden, machte ich in dieselben entsprechend situirte, mit Flüs-
sigkeit aus der Umgebung angefüllte Löcher und hielt in diese
die Messelektroden; es ergab sich jedoch wieder das frühere
Resultat.
Nachdem somit festgestellt war, dass hier nicht, wie bei
den Versuchen ohne Intraelektrolyten, bloss eine Ungleichheit
der Polarisation bei gleicher Stromstärke, sondern eine wirk-
liche Ungleichheit der Stromstärke vorlag, kam ich der Ursache
näher, was allerdings bei jedem anderen Untersucher, der
nicht, wie ich, so gut als zum ersten Male mit Elektricität
experimentirte, wohl früher der Fall gewesen wäre.
Da auszuschliessen war, dass hier eine wirkliche Production
von elektrischer Kraft, ausgelöst durch den primären Strom, vor-
liege, weil die Physiologen diese Fähigkeit der Organe längst
wahrgenommen haben würden, so blieb nur die Möglichkeit,
dass die geprüften Körper so viel schlechter als das verwendete
Menstruum leiten, dass sie ein starkes Ausweichen des Stromes
in die den Intraelektrolyten umgebende Flüssigkeit veranlassen.
Die beobachtete Erscheinung beruhte dann nicht auf einer
Vermehrung der Stromstärke in den ganzen bezüglichen Strom-
querschnitten, sondern bloss auf einer localen Vergrösserung
der Stromdichte an einzelnen Stellen derselben.
13*
196
W. Roux,
Gegen diese Annahme schien jedoch zu sprechen die in
der Tabelle auf Seite 191 mitgetheilte Beobachtung, dass auch
bei Verwendung von Wasserleitungswasser als Elektrolyten,
welches doch voraussichtlich schlechter als das Ovarium leiten
wird, an diesem eine Steigerung der Stromwirkung, wenn auch
nur um das Vierfache, wahrgenommen worden war.
Dass aber das letztangenommene Moment stark genug in
diesem Sinne zu wirken vermag, zeigte sich, nachdem ich drei
Glasbälkchen über einander quer mitten in die Strombahn bei
sonst der früheren gleichen Versuchsanordnung gelegt hatte.
Es ergaben sich an, den früheren entsprechenden Örtlichkeiten
folgende Resultate:
Ort der
Messung
la
1
2
3
3a
1
re Elektroden
PI atinelektroden
ünpolarisirba
Flüssigkeit, um-
gerührt
_^
0-36 M.A.
0-24
0-32 M.A.
0-33
0-09
0-11
0-60
0-69
0-94
1-40
0-22
0-30
0-015
0-025
^•~'
0-22
0-09?
^■~
Es zeigte sich also eine ähnliche Verstärkung der Wirkung
in der Umgebung der Glasbälkchen wie bei den Organen und
dem Mehlteig.
Damit ist aber zugleich ein neues Räthsel erstanden. Ich
habe nämlich nicht beobachtet, dass der auf Seite 121 erwähnte,
in der Lücke zwischen der Wandung und dem grossen Hühner-
embryo in Stromrichtung hinter diesem liegende kleine Embryo
besonders stark verändert worden wäre. Im Gegentheil, er
blieb fast unverändert, obgleich der Strom in verstärktem Maasse
durch diese Strasse hätte gehen und auf ihn treffen müssen;
auch blieb die diesem Strom anliegende Fläche des grossen
Embryo fast unverändert.
Da das Versuchsmaterial jetzt nicht mehr zu haben ist,
muss ich auf die jetzige Weiterführung der Untersuchung ver-
Entwickelungsmechanik des Embryo. 197
ziehten; und aus dem oben erwähnten Grunde gedenke ich auch
nicht, sie später wieder aufzunehmen.
V. Abschnitt.
Erklärungsversuche und Zusammenfassung.
Fragen wir zunächst nach den Ursachen der allgemeinsten
Verhältnisse der in den vorstehenden Abschnitten geschilderten
Erscheinungen, also nach den Ursachen der Scheidung der
Oberfläche der intraelektrolytär durströmten Gebilde in zwei
veränderte Polfelder und einen zwischen ihnen gelegenen gürtel-
förmigen Äquator.
Wir sahen, dass blos an denjenigen Stellen der Oberfläche
der morphologisch polarisirbaren Gebilde, seien es lebende Orga-
nismen oder Metalle oder sonstige von uns reactionsfähig
gemachte Gebilde, die polaren Veränderungen stattfanden, an
welchen zu erschliessen, ja durch Versuche direct nachzuweisen
war, dass daselbst Stromfaden ein- oder austraten, während
an anderen, zwar kräftig durchströmten und mit dem Elektro-
lyten benetzten Stellen, an welchen aber Stromfäden-Ein-
und Austritt nicht, respective nur in minimalem Maasse möglich
war, unverändert blieben.
Daraus war zu erschliessen, dass die beobachteten polaren
Veränderungen an den Ein- und Austritt von Stromfaden
gebunden sind.
Ferner fanden diese Reactionen nur an benetzten Stellen
statt; an trocken durchströmten Froscheiern blieben die bezüg-
lichen Veränderungen aus; so dass also die Anwesenheit einer
geeigneten Flüssigkeit, eines Elektrolyten als weitere Bedingung
anzusehen ist.
Neben den äusseren Veränderungen fehlte es auch nicht
ganz an inneren Veränderungen. Selbst an Metallen sind solche
wahrnehmbar. Wenn ich ein früher durchströmtes Bleistück
abgeschabt und blank polirt hatte, so wurden manchmal, auch
nach Monaten noch, beim Einlegen desselben in Salzsäure
von geeigneter Concentration die früheren Polabschnitte wieder
erkennbar, indem sie rascher verändert wurden als der frühere
Äquator. Diese inneren Veränderungen durch den Strom sind
198 W. Roux,
von den Accumulatoren her bekannt; die hier beobachtete
Localisation derselben aber verdient vielleicht eingehendere
Untersuchung. Auch treten unter Umständen Erscheinungen
von Passivität des Bleies, nach dem Durchströmen, am
Äquator auf.
DielebendenGebilde haben wir bis jetzt zumeist nur von
aussen betrachtet, und wissen daher noch nicht, wieweit sich Ver-
änderungen, die denen der Oberfläche ähnlich sind oder mutatis
mutandis ihnen entsprechen ins Innere erstrecken, so dass wir
unser Urtheil vorläufig beschränken müssen. Nur an den durch-
scheinenden Eierstockseiern des Frosches und den Fischeiem,
sowie an den Hühner-, Eidechsen- und Mausembryonen glaubten
wir schliessen zu dürfen, dass die wahrgenommenen intensiven
Trübungen der Polfelder sich ins Innere fortsetzen und die
ganzen Polabschnitte betreffen.
Es ist also zunächst zu fragen: Warum wird nicht die
ganze Oberfläche der Gebilde, soweit sie dem Ein- und Austritt
von Stromfäden dienen könnte, also soweit sie nicht der Glas-
wandung unmittelbar anliegt oder aus dem Elektrolyten frei
heraussteht, sondern vom durchströmten Elektrolyten in ge-
nügender Dicke der Schicht umgeben ist, verändert?
Eine spätere Frage wird es sein, warum nicht auch die
blos durchflossenen Theile der benetzten Oberflächen, siehe
Seite 124, sowie das durchströmte Innere der bezüglichen Or-
ganismen, insbesondere die Substanz der Äquatorscheiben ent-
sprechende Veränderungen erfahren.
Da wir die Stellen der polaren Veränderungen an jedem
Gebilde durch die ihm gegebene Lagerung zu den Elektroden
beliebig bestimmen konnten, so muss die Oberfläche jedes
dieser Gebilde also an allen Stellen reactionsfähig auf den elek-
trischen Strom sein. Daher müssen den anderen, vom Elek-
trolyten umgebenen, aber unverändert bleibenden Theilen der
Oberfläche eines Intraelektrolyten entweder zu wenig Strom-
fäden zugeführt werden, um durch ihren Ein- und Austritt eine
sichtbare Wirkung hervorbringen zu können, oder die an sich
in genügender Zahl hingeführten Stromfäden müssen am Ein-
tritt verhindert worden sein, was bei der Gleichheit der ganzen
Oberfläche nur durch ein besonderes Agens geschehen kann.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 199
Alssolches Moment wurde im vorigenAbschnitt ein zwischen
den beiden Polfeldern circulirender, dem primären Strom ent-
gegengesetzter, also negativer Polarisationsstrom angenommen.
Mildem zuletzt beschafften Galvanometer habe ich diesen Strom
an einem metallischen Intraelektrolyten unmittelbar nach
der Unterbrechung des galvanischen Hauptstromes direct
nachgewiesen, indem ich einen intraelektrolytär durchströmten
Kupferdraht, um die polarisirende Wirkung der durchströmten
Flüssigkeit auf die Messelektroden auszuschalten, rasch aus
der halbprocentigen Kochsalzlösung, in der er durchströmt
worden war, in frische solche Lösung übertrug und die blanken
Kupferdrahtenden des Galvanometerkreises auf die Polfelder
oder neben dieselben aufsetzte.
Der Strom war dem primären Gleichstrom entgegengesetzt
gerichtet und betrug im Maximum bei meiner Anordnung sofort
nach der Unterbrechung des primären Stromes 1, 5 M. Amp.,
fiel aber rasch ab. Der Intraelektrolyt verhält sich natürlich wie
ein Accumulator. Auf die gleiche Weise gelang der Nachweis
auch an dem mit dem Wechselstrom behandelten Intra-
elektrolyten nach der Unterbrechung des primären Stromes, nur
war die Richtung zum primären Strom nicht zu beurtheilen.
Der Polarisationsstrom zeigte sich ein wenig stärker als der
nach dem Gleichstrom beobachtete; freilich war auch der primäre
Strom erheblich, mindestens dreimal stärker, als der verwendete
Gleichstrom. Die specielle Ursache dieses letzteren Polarisations-
stromes, sowie überhaupt die qualitative Beschaffenheit des vom
Wechselstrom erzeugten Polfeldes bedürfen wohl der Unter-
suchung. Wenn auch Drechsel schon die Thatsache der
Polarisation der Elektroden im Wechselstrom nachgewiesen
hat, so ist doch die Alkaliabscheidung an der Kathode und an
der kathodisch beschaffenen Seite eines metallischen Intra-
elektrolyten, also am sogenannten »anodischen« Polfeld, nur
eine sehr geringe, wie ich oft beobachtet habe, nachdem dem
Elektrolyten Phenolphthallein zugesetzt war. Daher kann immer-
hin die relative Stärke des nach der Durchströmung nachweis-
baren Polarisationsstroms Befremden erregen.
Für das Verhalten der Metalle, derenÄquator wirzunächst
besprechen wollen, ist von Bedeutung, dass beim Fehlen einer
200 W. Roux,
elektromotorischen Gegenkraft auch durch den schwächsten
elektrischen Strom schon Elektrolyse veranlasst wird, und
somit die an den Ein- und Austrittsstellen des Stromes an der
Oberfläche des Metalles abgeschiedenen Jonen eine Wirkung
hervorbringen müssen.
Bei den Metallen summiren sich dieReactionen also einfach
mit der Stromdauer; und wenn, von der in der Mitte liegenden
Indifferenzlinie abgesehen, allenthalben Stromfäden eintreten,
kann schliesslich ausser dieser, nur ein Minimum breiten Linie
bloss dasjenige Stück blank bleiben, welches durch den negativen-
Polarisationsstrom genügend geschützt ist. V'orher aber besteht
bei schwachem Strom längere Zeit für die Besichtigung ein
grösserer Äquator, dessen Grösse durch ungenügende locale
Stromdichte bedingt ist.
Bei unseren lebenden Objecten ist wohl zu vermuthen,
dass mit der sichtbaren morphologischen Polarisation eine
elektrische Polarisation verbunden ist, ganz abgesehen von der
sogenannten »inneren Polarisation feuchter Leiter« nach*
du Bois-Reymond; verhält sich doch bei den Muskeln
und Nerven nach L. Hermann jeder absterbende Quer-
schnitt negativ gegen den lebenden; und unsere Polfelder
sind, wie wir an den Froscheiern sahen, eine Substanz,
welche an den Theilungsvorgängen der Zelle nicht mehr theil-
nimmt, sondern unter Umständen von den Zellen direct ab--
gestossen, eliminirt wird, und welche auch nicht mehr jener
Veränderungen (Vacuolisation etc.) fähig ist, wie sie sonst beim
allmäligen Absterben der Eier beobachtet werden.
Wesentlich um diese Polarisation nachzuweisen hatte ich
am Schlüsse meiner Untersuchungen das erwähnte Horizontal-
galvanometer beschafft, dessen Theilung Zehntel Milliampere
noch gross anzeigt, und welches auf Hundertel M. A. noch*
reagiren soll. Aber weder beim Aufsetzen auf die mit dem Gleich-
strom von 8 Bunsen durch directes Anlegen der Elektroden
stark weisslich polarisirten Hühnerembryonen, noch auf den
polarisirten Eierstock des Frosches gelang es mir, an diesem
Instrument einen Ausschlag hervorzubringen; auch nicht wenn
die Messelektroden sehr nahe neben einander standen, und wenn
sie direct an die Stellen der Elektroden des primären Stromes
Entwickelungsmechanik des Embr}'o. 201
aufgesetzt worden \var6n. Um eine Nebenschliessung zu ver-
hindern, waren die Embryonen nach dem Durchströmen dem
Elektrolyten entnommen und auf trockenes. Fliesspapier gelegt
worden. Dasselbe negative Resultat ergab sich nach Behandlung
dieser Objecte mit dem Wechselstrom beim Aufsetzen einer
Elektrode an der Stelle einer früheren Elektrode und der anderen
auf den Äquator. Doch zeigte dieses Galvanometer auch den
Muskelstrom des Froschmuskels selbst bei wirksamster Anord-
nung nicht an. Den Physiologen dagegen wird es ein Leichtes
sein, mit dem du Bois-Reymond'schen Multiplicator die Ent-
scheidung über den hypothetischen Strom zu. geben.
Ist der Polarisationsstrom von genügender Stärke, so kann
er, wie bei den metallischen Intraelektrolyten zur Ableitung
einer scharfen, der allmäligen Abgleichung entbehrenden
Grenze der Polfelder gegen den Äquator verwendet werden. Aber
auch ohne diesen Strom muss sich bei den lebenden Wesen eine
scharfe Grenze ergeben, da nur durch Ströme, welche die Reiz-
schwelle überschreiten, die polare Reaction ausgelöst werden
kann, während benachbarte Stellen nur wenig geringerer Ein-
wirkung unverändert bleiben werden.
Unter Berücksichtigung der Reizschwelle wird es ver-
ständlich, dass bei stark geschwächtem Strom selbst nach
stundenlanger Durchströmung die Froscheier nur in sehr geringer
Ausdehnung polare Veränderungen darboten, und dass weiter
seitlich im runden Stromfelde, also in noch geringerer Strom-
dichte stehende Eier gar keine Reaction mehr erkennen Hessen.
Diese beiden Verhaltungsweisen würden bei der Zurückführung
des Äquators bloss auf einen Polarisationsstrom natürlich nicht
zu erklären sein.
Wie sich die Breite des durch dieses Moment bedingten
Äquators zu der durch den hypothetischen Polarisationsstrom
bedingten verhaltej wird erst nach der Nachvveisung der Stärke
dieses letzteren erörtert werden können.
Alle Stellen, an welchen die für die Auslösung der polaren
-Veränderungen bestehende Reizschwelle nicht überschritten
wird, werden sich solange nicht verändern, bis schliesslich
von den Polfeldern aus das einheitliche lebende Gebilde durch
die Veränderung zu vieler oder zu lebenswichtiger Theile, oder
202 W. Roux,
durch eventuelle innere Wirkung der Durchströmung (durch
innere Polarisation) als Ganzes getödtet worden ist und daraus
resultirende anderweite, auch auf den Äquator sich erstreckende
Alterationen vor sich gehen; wie wir denn an Blastulae und
Gastrulae nach langer Durchströmung den ganzen Äquator
sich plötzlich in toto grau verfärben sahen.
Die Reaction nach Überschreitung der Reizschwelle im
Bereiche der Polfelder war bei demselben Objecte, dem Froschei
oder dem Tritonei je nach der Stärke und Dauer der Gesammt-
einwirkung eine örtlich, graduell und vielleicht auch qualitativ
verschiedene. Während mit den schwächsten Strömen be-
handelte Frosch- und Tritoneier ihre kleinen Polfelder unter
minimalem Durchtritt von Eiinhalt durch die Eirinde nur ver-
färbten, entstand bei starkem Strom an der Grenze des Polfeldes
ausser grossen Austritten von Eiinhalt eine starke, wohl auf
Contraction des Rindenprotoplasma eingeleitete Furche; bei ge-
eigneter Stromstärke und Dauer blieben die elektrischen Pole
des Eies fast unverändert und die starke Veränderung der Ei-
rinde localisirte sich in derNähe derNiveaulinien. Dies alles sind
Erscheinungen, die ihrer Natur nach an die specifisch vitalen
Eigenschaften der Objecte anknüpfen. Weniger grell gegen den
Äquator abstechend war die Polfeldgrenze an den Gehirnblasen
der Hühner-, Eidechsen- und Mausembryonen; bei diesen Ge-
bilden sowie bei Gallenblasen konnte ausserdem def Äquator
durch lange fortgesetzte Durchströmungunter successiv e r Ver-
kleinerung zum Verschwinden gebracht werden. An den Extre-
mitäten der Hühner-, Eidechsen- und Mausembryonen, sowie an
der Allantois der beiden ersteren war überhaupt keine scharfe
Grenze zwischen Polfeld und Äquator vorhanden, ein Verhalten
welches besonderer Aufklärung bedarf.
Gehen wir nun zur Ursache der speciellen Gestalt-
verhältnisse der Polfelder und damit auch des zwischen
ihnen gelegenen Äquators über, so ist zuerst ein Moment ira
Zusammenhange zu besprechen, dem wir sowohl an organischen
wie an anorganischen Gebilden wiederholt begegnet sind, und
welches als Stromschatten bezeichnet worden ist.
Wir sahen, dass manche Flächen des Intraelektrolyten die
Veränderungen nicht in derjenigen Intensität darboten
Entwickelungsmechanik des Embryo. 203
wie sie nach der Dichtigkeit der Stromfaden im homogenen
elektrischen Felde an der betreffenden Stelle und nach der
Richtung der betreffenden Fläche zu den Stromfäden zu erwarten
gewesen wären. Auf solche Flächen bezog sich der Ausdruck,
dass sie sich im Stromschatten befänden. Unter im Stromschatten
befindlichen Flächen eines Intraelektrolyten verstehen wir
demnach diejenigen Theile seiner Oberfläche, auf welche bei
seiner Durchströmung weniger Stromfäden treffen, als nach
der Lage der Fläche zu den Stromfäden des homogen gedachten
elektrischen Feldes ihr zukommen würden.
Nach dieser willkürlichen, jedoch für uns zweckmässigen
Definition ist der Stromschatten also durch Ablenkung der
Stromfäden aus ihrer Richtung im homogenen Felde bedingt,
und zwar entweder infolge von Anziehung oder Abstossung
derselben durch den Intraelektrolyten.
Der Schatten durch Anziehung von Stromfäden besteht
in der Vorwegnahme von Stromfäden durch den Elektroden
näher befindliche Theile eines besser als der Elektrolyt leitenden
Intraelektrolyten, also unter Benachtheiligung der darauf folgen-
den Theile, so z. B. durch die Ränder und angrenzenden Seiten-
flächen von Furchen, welche gegen die Elektrode gewendet
sind, welche also in Richtung des Stromes stehen; wie wir solchen
Schatten an derartig orientirten Furchen von Froschembryonen,
an der gefalteten älteren Gastrula des Triton und an genügend
tief gewölbten Stücken der Vorderhimblasen des Hühnerembryo
gesehen haben. Ferner bekundeten wesentlich denselben Vor-,
gang Froscheier, welche in einer längs des Stromes gerichteten
Drahtgabel lagen, sowie das beim Durchströmen des Feldes un-
verändert gebliebene Stanniolbänkchen innerhalb des Stanniol-
ringes. Ferner zeigt sich dasselbe an den schief zur Strom-
richtung liegenden länglichen Gebilden, wie den Gallenblasen
der Kaninchen, an den Eiern von Tritonen und Fröschen,
welche, in eine Glasröhre aspirirt, dadurch stark länglich
geworden und durch seitlich daneben liegende Eier schief zur
Röhre gestellt waren, ebenso wie an dem schief liegenden
Metalldraht Alle diese behielten beim Durchströmen einen
nicht rein seitlich, sondern schief gegen die Elektroden
gewendeten, wie wir sagten, anscheinend »bestrahlten« Äquator,
1
204 W. Roux,
der also bei gewöhnlichem Verlauf der Stromfäden, wie er
im homogenen Felde stattfindet, von ebenso vielen Stromfäden
getroffen worden wäre, als die angrenzenden, noch den gleichen
Winkel mit der geraden Verbindungslinie beider Elektroden
bildenden Theile der Polfelder. Trotz dieses gleichen Winkeis
ist der eine Theil unverändert, weil ihm durch die der
Elektrode nähere Nachbarschaft die Stromfäden grösstentheils
vorher weggesaugt worden sind. Auch die mit dem Abstände
von der Anode abnehmende anodische Verändierung der Knollen
des Fadens von Aethalinm sepiicunt nach der Abbildung
Verworrns* könnte neben dem auf S. 191 erörterten Moment
auf Vorwegnahme von Stromfäden durch die der Anode näheren
Theile beruhen, da die Durchströmung doch wohl in gewöhn-
lichem Wasser stattfand und das Protist also besser leitete als
der Elektrolyt. Im Wesentlichen gleichfalls derselbe Vorgang,
wenn auch ein wenig modificirt, trat an einer quergestellten
Drahtgabel ein; ebenso natürlich auch, als zwei rechtwinkelig
zum Strom orientirte, einander nahe, leitend verbundene Platten
durchströmt wurden; dabei bekam keine von beiden an der
Innenfläche ein Polfeld, w^ie es sofort geschieht, wenn die
leitende Verbindung unterbrochen wird. Dem ersteren dieser
beiden Fälle Ähnliches beobachteten wir im Bereiche des
Organischen an den in Wasser durchströmten, geschwächten
Morulae des Frosches und Triton, welche zwei Generalpolfelder
bildeten. Diese Polfelder nahmen die ganze gegen die Elektrode
gewendete Seite der Zellen ein und griffen wohl auch ein wenig
über die Ränder herum nach der Gegenseite; aber die beiden
Begrenzungsflächen der vorhandenen kleinen, seitlich gerich-
teten Furchen blieben einige Zeit lang unverändert, gleich wie
in Richtung des Stromes stehende Furchen, aber unter etwas
anderer Vermittelung. Während bei letzterer Stellung in die Tiefe
der Furchen keine Stromfäden gelangen, weil die in die Öffnung
der Furche eingetretenen Stromfäden vorher in die beiden
Seitenwände übertreten, werden die auf die beiden Aussen-
flächen der querstehenden Gabel oder Furche fallenden
Stromfäden durch die leitende Verbindung derselben in einander
übergeleitet und so die weniger gut leitende Flüssigkeit des
Binnenraumes umgangen, respective die auf der einen Seite
Entwickelungsmechanik des Embryo. 205
eingetretenen Stromfäden gehen durch den besser leitenden
Verbindungstheil, um erst auf der anderen Seitenfläche wieder
auszutreten.
Der Stromschatten durch Abstossung von Strom-
faden findet statt, wenn der Intraelektrolyt schlechter leitet als
der Elektrolyt; da, entsprechend dem Ohm'schen Gesetz, der
Strom in der dem relativen Leitungsvermögen entsprechenden
Stärke mehr durch den besser leitenden Theil geht. Es blieben
daher z. B. an den aus mit Wasser angerührtem Mehlteig
gebildeten Kugeln die Polseiten unverändert, und nur am
Äquator der Kugel wurden die an der ganzen Oberfläche
befindlichen Messingspäne polarisirt. Dasselbe war natürlich
der Fall, wenn ein schlechter leitender Körper in Richtung
des Stromes vor dem Intraelektrolyten lag, wie Fett vor der
Gallenblase, Luftblasen auf der Metallkugel oder Glasbalken
vor den Froscheiern. Doch haben die den Elektroden näheren^
also gegen sie vorspringenden Theile immer noch eine Begünsti-
gung für den Stromfädeneintritt vor den seitlichen . Theilen
voraus, welche ein gewisses Maass von geringerem Leitungs-
vermögen zu übercompensiren vermag. Dies sprach sich darin
aus, dass in fünfprocentiger Kochsalzlösung die nach unserer
Beobachtung schlechter leitende, runde Gallenblase noch grüne
Polfelder statt eines grünen Äquators bildete.
Eine etwas schwieriger zu verstehende Art anscheinender
Abstossung von Stromfäden haben wir an dem metallischen
rechten Winkel gesehen, dessen einer Schenkel normal zum
Strome des homogenen Feldes stand und auf der Seite, welche
dem in Richtung des Stromes stehenden Schenkel zugewandt
war, blank blieb, obgleich die Fläche direct der anderen
Elektrode zugewendet war. Das Nöthige über diesen Fall ist
im vorigen Abschnitte schon gesagt, siehe S. 154 u. f. Nach
dem Vorstehenden kann noch hinzugefügt werden, dass sich
das ganze Verhalten auf den Fall einer Metallgabel reducirt,
deren einer Schenkel quer, deren anderer Schenkel in Längs-
richtung zum Strome orientirt ist; die das freie Ende des Quer-
schenkels umgehenden, scheinbar abgestossenen Stromfäden
sind im Gegentheil von ihrer im homogenen F^elde seitlichen
Bahn wie durch Anziehung abgelenkte Stromfäden. Hiebei
206 W. Roux,
braucht das Wort »Anziehung« nicht im wörtlichen Sinne
gedacht zu werden, sondern als abgekürzter Ausdruck dafür,
dass durch das Convergiren der benachbarten Stromfäden
gegen das Metall die Bahn im Elektrolyten zum Theil frei
wurde und daher seitliche Stromfäden in diesen Theil ein-
bogen.
Wir haben noch Thatsachen kennen gelernt, welche auf
eine weitere Art des Stromschattens im Sinne unserer Definition
hinzuweisen scheinen, auf einen Stromschatten infolge localen
Verbrauches oder localer Abschwächung von Stromfaden durch
eine Arbeitsleistung; so z. B. die geringe Veränderung von
Eierstockeiern, welche durch benachbarte, der Elektrode näher
stehende, aber entsprechend vorspringende Eier von der directen
Bestrahlung durch diese Elektrode ausgeschlossen sind und
anscheinend nur die Stromfäden erhalten, welche schon das
davor gelegene Ei passirt haben, ferner die Beobachtung, dass
zwei zusammengebundene und quer zur Berührungsfläche
durchströmte Gallenblasen an diesen Flächen erst erheblich
später sich verändern, als an den direct bestrahlten Aussen-
flächen, eine entsprechende Beobachtung auch an zusammen-
gedrängten Froschembryonen. Eine solche Erklärung dieser
Thatsachen würde jedoch dem Gesetze, dass jede locale
Stromschwächung alle Querschnitte der ganzen Strombahn in
gleicherweise afficirt, widersprechen; es wird daher eine andere
Erklärung der bezüglichen Erscheinungen zu suchen sein.
Wohl nicht durch Stromschatten bedingt war das Aus-
bleiben der Veränderung an der Fläche der platt ausgebreiteten
Keimscheibe des Hühnchens. Diese Fläche lief einfach parallel
den Stromfäden des homogenen Feldes, und infolge der nur
geringen Leitungsdifferenz convergirten seitlich von ihr ver-
laufende Stromfäden nicht in genügender Anzahl gegen sie,
um die Reizschwelle zu überschreiten.
Nach diesen Erörterungen können wir zu einer kurzen
Besprechung der Richtung der Grenzlinien der Polfelder
zu den Niveauflächen des umgebenden, homogenen
elektrolytischen Feldes übergehen.
An unserem ersten Untersuchungsobjecte, den Froscheiern,
hatte sich gezeigt, dass die Grenzlinien der Polfelder gegen den
r
Ent^nckelungsmechanik des Embr}'o. 207
Äquator den Richtungen der Niveauflächen des umgebenden
elektrolytischen Feldes entsprechen; und diese Übereinstim-
mung hätte leicht zu einer falschen Verallgemeinerung ver-
führen können. Doch die an länglichen, schief zu den Strom-
linien stehenden Gebilden, wie Gallenblasen und Embryonen,
beobachteten Abweichungen der Polfeldgrenzen von diesen
Niveauflächen wiesen auf den wahren ursächlichen Zusammen-
hang hin; zumal da bei der Stellung dieser Gebilde mit der
Längsaxe in Richtung der Stromlinien oder dieser Niveauflächen
die Polfeldränder wieder annähernd die Niveauflächenrichtung
erlangten. Dadurch wurde klar, dass die Lage und Richtung
des Äquators sowohl von der Gestalt der Intraelektrolyten
wie von der Lage derselben zur Richtung der Stromfäden
abhängig ist.
Dass jede Wirkung an einem in sich homogenen Intra-
elektrolyten, welche sich auf ihm begrenzt, mit einer äqui-
potentialen Grenze des Intraelektrolyten abschliessen muss,
ist selbstverständlich. Es bleibt also bloss übrig, uns auf elemen-
tarste Weise eine Vorstellung darüber zu bilden, warum diese
äquipotentialen Linien des Intraelektrolyten bei Kugelgestalt
desselben sowie bei einigen anderen Formen zugleich die
Richtung der äquipotentialen Flächen der betreffenden Stelle
des homogenen Elektrolyten besitzen, und warum dies bei
den abweichenden Gestaltungen nicht der Fall ist.
Wir nehmen an, der in einem runden homogenen elek-
trolytischen Felde, dessen Elektroden am Rande einander
gegenüberstehen, liegende Intraelektrolyt sei so klein, dass
die Stromdichte in seinem Bereiche allenthalben wesentlich die
gleiche sei; und ferner, zunächst wenigstens, dass der Intra-
elektrolyt das gleiche Leitungsvermögen besitze als der Elek-
trolyt. Alsdann werden die Stromfäden durch ersteren nicht
abgelenkt Die einen kugeligen Intraelektrolyten tangirenden
Stromfaden bilden mit ihren Berührungspunkten dann nicht
bloss für den Intraelektrolyten eine äquipotentiale Linie, weil
sie die Linie allenthalben gleich minimaler, nämlich keiner
Wirkung darstellen; sondern, da aus geometrischen Gründen
diese Tangentenlinie eine rechtwinkelig zu den betreffenden
Stromfaden stehende Linie ist, ist sie zugleich auch eine
208 W. Roux,
äquipotentiale Linie für das homogene elektrolytische Feld. Die
■letztere Annahme trifft zwar genau bloss für ein aus parallelen
Strahlen gebildetes sowie für ein concentrisches Strahlenbündel
zu, dessen Symmetrie-Axe durch den Mittelpunkt der Kugel
geht, also eigentlich bloss für Kugeln, die in der mittleren,
geraden Verbindungslinie der Elektroden gelegen sind; jedoch
-werden auch an den seitlich im Stromfelde stehenden Kugeln
die Abweichungen jso gering sein, dass sie an den uns an-
gehenden Objecten, den Froscheiern, nicht wahrnehmbar sind.
Auch die durch den Umstand, dass die Froscheier nicht genau
kugelig sind, bedingten Abweichungen werden kaum festzu-
stellen sein» Da der Äquator die Zone geringster Veränderung,
die Tangirungslinie aber die Linie ohne Einwirkung ist, so
wird bei symmetrischer Lage der Kugel zu beiden Elektroden
■die Tangirungslinie die Mittellinie des Äquators darstellen. Die
durch andere Stellung der Eier bedingten Abweichungen werden
immer nur sehr klein sein. Dagegen waren die durch die man-
gelnde Homogeneität der Eier hervorgebrachten Abweichungen
so erheblich, dass wir sie mit Leichtigkeit wahrnehmen konnten.
Da diese sich jedoch auf die obere Hemisphäre beschränkten,
so erhielten wir bei der Betrachtung der Schalen mit Eiern von
unten das Bild anscheinend vollkommen äquipotentialer Curven.
Dieselbe Ableitung gilt natürlich auch für die Tangenten-
linie eines länglichen oder platten Rotationskörpers, dessen
Axe in Richtung eines Stromfadens steht, und ferner wie für
die Tangentenlinie annähernd auch für die übrigen Linien
gleichen Potentials. Verlaufen die Stromfäden der Stelle des
Feldes nicht gerade, so bedingt dies natürlich wiederum kleine
Abweichungen. Leitet der Intraelektrolyt besser als der Elek-
trolyt, so zieht der so orientirte Rotationskörper die Stromfäden
an, aber allerseits in fast gleicherweise; die Tangirungslinie
bleibt somit dieselbe, ebenso die Richtung der äquipotentialen
Linien des Rotationskörpers.
An länglichen, aber schief zu den Stromlinien stehenden
Rotationskörpern und an unregelmässig gestalteten Gebilden
dagegen zeigten sich augenfällige Abweichungen zwischen den
äquipotentialen Linien des Intraelektrolyten und denen des
Elektrolyten, welche nicht bloss durch Abweichungen der
r
Entwickelungsmechanik des Embryo. 209
Tangirungslinie bedingt waren, sondern durch die ungleiche
Stromdichte an den verschiedenen Stellen des Feldes und durch
die Spitzenwirkung noch in dem Maasse verstärkt wurden, dass
z. B. an langen schief im Stromfeld stehenden Gallenblasen oder
Embryonen jedes Polfeld weit über das der Elektrode zuge-
wendete Ende der Blase, also auch über die Tangirungslinie
herübergreift und der an diese Stelle angrenzende Theil des
Äquators der entgegengesetzten Elektrode zugewendet, also
scheinbar von ihr aus stärk bestrahlt ist.
Wir haben alle die an den organischen Gebilden beob-
achteten Verschiedenheiten in der Localisation des Äquators an
metallenen Intraelektrolyten in genügendem Maasse nachge-
macht, um 2u sehen, dass in den Richtungsverhältnissen
des Äquators nichts den lebenden Körpern als solchen Eigen-
thümliches vorliegt.
Besprechen wir nun die Ursachen der Hauptunter-
schiede zwischen dem Verhalten der Metalle und der
lebenden Körper in der Localisation der Polfelder, so
sind sie auf folgende Momente zurückzuführen:
Erstens auf das vielmal bessere Leitungsvermögen
-der Metalle als das der organischen Körper. Dies bedingt,
dass bei den Metallen die Stromfäden sowohl ausserhalb des
Intraelektrolyten wie auch eventuell innerhalb desselben andere
Bahnen einschlagen. Von viel grösserer Entfernung her con-
vergiren die Stromfäden gegen den metallischen Intraelektro-
lyten, werden also in viel höherem Maasse von ihrer Richtung
abgelenkt. So wurden bei den Metallen auch die in der Richtung
von nicht abgelenkten Stromfäden stehenden Seitenflächen bis
auf einen schmalen Äquator verändert, während bei der platten
Keimscheibe des Hühnchens nur die polwärts gewendeten
Ränder eine Trübung zeigten, die Seitenflächen aber unver-
ändert blieben. Und bei gerundeten organischen Gebilden treten
so wenig Stromfäden an den seitlichsten Theilen ein, dass der
daselbst befindliche unveränderte Äquator schon wesentlich
darauf, in Verbindung mit dem Moment derKeizschwdle, zurück-
führbar erscheint. Die Verschiedenheit der Bahnen innerhalb
des Intraelektrolyten ist manchmal von noch grösserer Bedeu-
tung. Berührten sich zwei in Richtung des Stromes hinter-
Sitzb. d. mafiem-naturw. Cl.; CI. Bd. Abth. III. l**
210 W. Roux,
einander liegende Metallkugeln leitend, so bekam jede bloss
ein gegen die Elektrode gewendetes, über die Hälfte der Kugel
einnehmendes Polfeld, und die gegen einander gewendeten
Flächen stellten den Äquator dar. War dagegen eine Gallen-
blase durch Unterbindung in zwei, den Kugeln ähnlich gestaltete,
substanziell aber continuirlich verbundene Abschnitte zerlegt,
so bekam gleichwohl jeder Abschnitt zwei Polfelder und seinen
eigenen Äquator.
Dieser scheinbar fundamentale Unterschied beruht jeden-
falls darauf, dass bei den Metallkugeln alle aussen auffallenden
Stromfäden durch die metallene Verbindung als den leichteren
Weg gehen, auch wenn sie noch so dünn ist; während bei den
Gallenblasen, da deren Substanz nicht viel besser leitet als der
Elektrolyt, dies nur die der Verbindung beider kugeligen Theile
nächsten Stromfäden thun, die entfernter davon befindlichen
aber an der anderen Seite der Kugel wieder aus- und in den,
beide Kugeln trennenden Elektrolyten ein- und aus diesem in die
andere Kugel übertreten, so dass an beiden einander zuge-
wendeten Flächen aufs Neue die specifische Wirkung statt-
findet. Auf dieselbe Weise erklären sich auch die an Embryonen,
welche in der Mitte eingeschnürt sind, beobachteten zwei Äqua-
toren, die durch ein drittes ringförmiges Polfeld von einander
gesondert sind, desgleichen die Specialpolarisation der gesondert
vorspringenden Gehirnblasen.
Die weiteren Unterschiede der Localisation der Verände-
rungen knüpfen vermuthlich an specifisch vitale Eigenschaften
der Organismen an, so vielleicht die stärkere AfTection des
Frosch- und Tritoneies in der Umgebung des Poles als an
diesem selber, sofern hierbei nicht die stärkere Brechung der
Stromfäden an den seitlichen Theilen wesentlich mit betheiligt
ist; ferner der Übergang der Specialpolarisation zur General-
polarisation der Morulae, in Gleichem wie die specifische Natur
der Reactionsweise selber. Die vitalen Eigenschaften kamen
auch einigemal schon bei der abnormen Abgrenzung der Pol-
felder in Betracht, siehe S. 32 und 49.
Wenn wir nun zur Besprechung der specifischen Re-
actionsweisen der lebenden embryonalen Substrate
übergehen, so fehlt uns für deren Beurtheilung, noch mehr als
r
l Entwickelungsmechanik des Embryo. 211
■
für die Localisation der Veränderungen, die Kenntniss des
inneren Verhaltens der Gebilde, weshalb wir uns jetzt nur
zusammenfassende Vorstellungen, aber keine Erklärung der
Vorgänge bilden können.
Bei den ungetheilten Frosch- und Tritoneiern war
ausser der Verfärbung der Rinde der Polfelder und der An-
häufung von Pigment an den Niveaulinien ein die Verfärbung
wesentlich mitbedingender Durchtritt von Zellinhalt durch die
Rinde in diffuser Weise oder, wie an den Niveaulinien, respec-
tive bei sehr schwachem Strom auch an den auf die Pole
beschränkten kleinen Polfeldern, in Form grösserer oder kleinerer
Tropfen wahrnehmbar. Ausserdem fand eine irreparabele Con-
traction des Protoplasma in den Niveaufurchen unter geringer
Näherung derselben gegen einander mit gleichzeitiger Erniedri-
gung des Äquators und Erhöhung der oberen Ränder der Pol-
abschnitte statt. An unreifen Eiern entstand auf dem hellen
Nahrungsdottertheil keine Verfärbung der Polfelder, sondern
bloss eine weisse, wie eingeritzte Niveaulinie. An den Frosch-
und Tritoneiem gingen auch im Bereiche des Äquators Verände-
rungen, besonders der Pigmentvertheilung vor sich, theils indem
die Ränder des Äquators das Pigment verloren, theils indem
das Pigment sich in Richtung von Polmeridianen des Eies
ordnete. Bei den ungetheilten Fischeiern erfolgte zunächst
eine Absonderung des Haupttheiles des Protoplasmas auf einer
nicht durch den Strom bestimmten Seite des Nahrungs-
dotters; die auch bei diesen Eiern entstehenden beiden
Einschnürungen an den Grenzen der Polfelder folgten bloss
dann den Niveauflächen des umgebenden Mediums, wenn die
Eiaxe zufällig selber in einer solchen Fläche oder rechtwinkelig
zu ihr lag. Anderenfalls zeigte sich eine Tendenz, dass die von
der Keimscheibe ausgehenden beiden Einschnürungen sich
möglichst parallel der Eiaxe auch auf den Nahrungsdotter fort-
setzen; der Art jedoch, dass bei Schiefstellung der Eiaxe gegen
die Stromrichtung die Einschnürungen sowohl von der Richtung
der Niveauflächen wie von der parallelen Richtung zur Eiaxe
abweichen. Es ist also vollkommen deutlich, dass das Fischei
nicht gleich dem Froschei fast homogen gegen den Strom sich
verhält, sondern dass ein fester Mechanismus vorliegt, der die
14*
212 W. Roux,
Richtung der durch den Strom veranlassten Contractionen
beeinflusst. Die durch die Schnürfurchen abgegrenzten Pol-
abschnitte werden trüb. Bei Stellung der Eiaxe in Richtung
des Stromes waren diese Trübungen wieder in Richtung der
Niveauflächen begrenzt und lagen manchmal beide in dem
kleinen Bereiche des Bildungsdotters. Auch bei den Fischeiern
wurde Substanz, jedoch nur sehr wenig, im Bereiche der Pol-
felder und bloss in feinster Form aus der Oberfläche hervor-
getrieben.
An den noch durchscheinenden Eierstockeiern des Frosches
wurden, wie bei den Eiern des Fisches, wie es schien, nicht
bloss die Polfelder, also die oberflächlichen Theile, sondern die
ganzen Polabschnitte trüb.
An den getheilten Eiern fand sich wesentlich dieselbe
Art der Veränderung; nur sprach sich dabei ein Gegensatz
zwischen dem Verhalten isolirter Zellen und noch im Verband
der Morula oder Blastula befindlicher Zellen aus. Erstere platzten
an den beiden Polen auf, also ähnlich den lange Zeit mit sehr
schwachem Strom durchströmten ungetheilten Eiern. Die nicht
isolirten Zellen dagegen bildeten Polfelder, die mit ihren Niveau-
linien der äusseren Ansicht nach weniger um den eigenen Zell-
pol, als vielmehr um den nächsten elektrischen Eipol centrirt
waren und dann längs der Niveaulinien aufplatzten. Man kann
sich zur Erklärung vorstellen, dass die isolirten Zellen zu einer
Polfeldbildung keine Gelegenheit erhalten, weil sie sogleich an
den Polen, als an den stärkst afficirten Stellen aufplatzen, wonach
bei derContraction des Rindenprotoplasmas der Inhalt aus diesen
beiden Öffnungen sich entleeren musste, so dass er nicht mehr
diffus durch die Zellrinde gepresst werden konnte und diese
selber auch nicht mehr an einer Niveaulinie aufzuplatzen in der
Lage war, letzteres zugleich noch deshalb, weil durch die beiden
ausgetretenen Protoplasmamassen die Stromfädenvertheilung
alterirt und die Gegend der sonstigen Niveaufurchen auf diese
verlegt '^wurde. Wir haben an Extraovaten der Frosch- und
Tritoneier, sowie an mit dem Messer hergestellten Theilen des
Dotters des Fischeies gesehen, dass die der Rinde beraubten
Eitheile die Niveauring- Contraction nicht bilden. Die natür-
Uche Rindenschicht dagegen ist sehr contractu; denn die Um-
Entwickelungsmechanik des Embryo. 213
schliessungsschichtderisolirtenBlastulazellen desTritons konnte
sich bei der Entleerung ihres Inhaltes um *Vioo ohne Falten zu
bilden zur Umschliessung des geringen Inhaltsrestes verkleinern.
An durchströmten Gastrulae des Triton wurde schon
ohne Mikrotomirung, durch Zerzupfen erkannt, dass Zellen der
Art polarisirt waren, dass sie einen gegen die Eioberfläche
gewendeten hyalin-protoplasmatischen und einen inneren dotter-
körnerreichen Polabschnitt besassen.
An jungen Fr o s c h e m b r y o n e n wurde im Bereiche der Pol-
felder Abfall desEpithels in einzelnen,gerundeten Zellen, an älteren
Embryonen in zusammenhängenden Fetzen beobachtet. An den
durchscheinenden Embryonen des Fisches, der Eidechse,
des Huhns und der Maus war auch polare Trübung an inneren
Organen, besonders am Gehirn, aber auch am Entoblast und an
den Urwirbeln von aussen wahrnehmbar. Die nachfolgende
mikroskopische Untersuchung muss erst das Genauere über
diese Veränderungen ergeben.
An dünnwandigen Gallenblasen aller Wirbelthierclassen
wurde, wie durch den Gleichstrom so auch durch den Wechsel-
jj^rom im Bereiche des Polfeldes sofort eine starke Osmose hervor-
gerufen, welche vielleicht durch eine Tödtung oder Schwächung
der die Blase auskleidenden Epithelien eingeleitet wird. An den
angrenzenden Rändern des Äquators dagegen wurde die Diffusi-
bilität bei geeigneter Stromdichte der Art herabgesetzt oder
aufgehoben, dass diese Linien bei einer zweiten, sie direct
bestrahlenden Durchströmung gleichwohl in ihrer Farbe unver-
ändert blieben, was an ein gleiches Verhalten derselben Linien
bei Messingkugeln und Kupferplatten erinnerte. Es liegt nahe,
dies Verhalten auf einen zwischen dem primären und secundären
Polfeld sich bildenden Polarisationsstrom zurückzuführen; der-
selbe müsste allerdings sehr stark sein, um selbst an der Stelle
stärkster Bestrahlung die Veränderung verhindern zu können;
doch deutet die Rückgängigmachung schon vorhandener Ver-
änderungen bei der auf der Kupferplatte beobachteten Wan-
derung dieser Linie, auf einen complicirteren Zusammenhang
hin; und dafür spricht auch die an den Gallenblasen gemachte
Beobachtung, dass diese Linien selbst durch Erwärmen der
Gallenblase auf 50° C. nicht mehr diffusibel zu machen sind.
214 W.Roux,
Ehe wir zu dem letzten, schwierigsten Abschnitte der uns
obliegenden Erörterung übergehen, wollen wir einen Überblick
über das Allgemeine der bisherigen Ergebnisse werfen.
Wir haben gefunden, dass embryonales Material von
Wirbelthieren in deutlich sichtbarer Weise mit structurellen
und gröberen formalen Veränderungen auf den elektrischen
Strom reagirt. Die specifische Natur dieser Veränderungen
bedarf noch vielfacher Aufklärung, wovon ich selber nur den
durch die mikroskopische Besichtigung der behandelten Sub-
strate möglichen Theil zu geben, das Weitere aber den Unter-
suchungen Anderer, etwa der Physiologen oder der Elektro-
therapeuten, zu überlassen gedenke. Die Veränderungen boten
alle polare Localisation dar, d. h. sie waren auf die Polseiten
der Gebilde beschränkt. Zu der ihrer Qualität nach schon
morphologischen Natur der Veränderung — als Pigment-
wanderung, bleibende Trübung, umschriebene Substanzaustritte,
Aufplatzen, abgesehen von Contractionen, welche ein physio-
logischer Vorgang sind — kam also noch eine typisch gestaltete
Localisation dieser Veränderungen. Diese Localisation war theils
abhängig von der Gestalt der untersuchten Gebilde, in erster
Linie aber von der Versuchsanordnung, nämlich von der intra-
elektrolytären Durchströmungsweise; denn diese allein
machte es möglich, dass die Gestalt der Körper so zur Geltung
kommen konnte, dass geradezu eine von der Gestalt und
Leitungsfähigkeit der Gebilde abhängige Selbstgestaltung
der Ein- und Austrittstellen des Stromes stattfand.
Dieselbe Anordnung war auch bei den Versuchen Kühne*s
und Verworrn's an Protisten angewendet worden, worauf die
Übereinstimmung in der Localisation der von ihnen beobachteten
Wirkungen mit den obigen beruht. Fand dagegen keine voll-
kommene Eintauchung statt, wie wir das bei einer Gallenblase
gesehen haben, oder war der Eintritt von Stromfäden aus dem
Elektrolyten gehindert, wie an den Berührungsstellen der Intra-
elektroly ten mit dem Boden oder der Seitenwand des Glasgefasses,
so blieben auch die betreffenden Stellen unverändert, obgleich
sie selbstverständlich vom Strome durchflössen wurden. Bei
den gewöhnlichen physiologischen Versuchen mit Auflegen des
Objectes auf die Bäuschchen oder mit Aufsetzen der unpola-
Entw'ickelungsmechanik des Embryo. 215
risirbaren Elektroden auf das Object wird die Ein- und Austritts-
stelle des Stromes vom Experimentator bestimmt; und nur von
diesen Punkten aus kann sich der Strom noch innerhalb des
Objectes in bestimmter Weise vertheilen, aber immerhin noch
zumTheil ähnlich wie in der Wasserschale. L. Hermann hat
hervorgehoben, dass Muskeln und Nerven aus Fäden, umgeben
von indifferenten Leitern, bestehen, und hat daraus die von ihm
zur Erklärung der Wirkung des elektrischen Stromes heran-
gezogene innere Polarisation abgeleitet. Da auch das Proto-
plasma wässerige Flüssigkeit, das Paraplasma, zwischen seinen
Fäden, Häutchen oder Körnchen enthält, so sind also alle auf
den elektrischen Strom reagirenden lebenden Substrate in
gewissem Maasse als Intraelektrolyten zu betrachten.
Die Selbstbestimmung der Eintrittsstellen der Stromfaden
durch die Objecte ist, wie oben dargethan wurde, um so grösser,
je grösser die Leitungsdiflferenz von Elektrolyt und Intra-
elektrdyt ist, und bis zu einem gewissen Grade, je grösser die
vom Elektrolyten eingenommenen Zwischenräume zwischen
den reagirenden Intraelektrolyten sind.
Um zum Überfluss das Verhalten embryonalen Materiales
bei nicht intraelektrolytärer Durchströmung direct zu
beobachten, setzte ich an frei, ohne Flüssigkeit in einer Glas-
schale liegende Hühnerembryonen die Nadelelektroden direct
auf; es entstand, wie zu erwarten, bloss an der Berührungsstelle
der Anode und danach in der Umgebung derselben weisse
Trübung, die sich allmälig weiter ausbreitete, und, wie der nach-
her gemachte Durchschnitt zeigte, auch ins Innere eingedrungen
war und alle anwesenden Organe, aber die verschiedenen Or-
gane in nicht ganz gleicher Stärke und nicht ganz gleicher
Ausdehnung von der Elektrode aus, weisslich getrübt hatte. Da
wir bisher gesehen haben, dass diese Wirkung nur an der Be-
rührungsstelle der reagirenden Substanz mit einem Elektrolyten
stattfindet, so ist aus diesem Eindringen ins Innere zu schliessen,
dass die in unserem Sinne polarisirte organische Sub-
stanz sich gegen noch unpolarisirte lebende wie ein
Elektrolyt verhält; und andererseits, dass die noch unver-
änderte lebende Substanz keinen Elektrolyten in dem
Sinne, dass erzur Veranlassung unserer morphologi-
.216 W. Roux,
sehen Reactionen ausreichte, darstellt oder auch nur
^einen solchen enthält, trotz des Paraplasma, welches
allenthalben sich findet und leicht dafür zu halten wäre. An der
Kathode fand so starke Gasentwickelung rstatt, dass man erst
nach dem Aufhören der Durchströmung und Wegspülung der
Blasen das Feld besichtigen konnte; es war heller^ durch-
scheinender und weicher geworden und dehnte sich gleichfalls
ins Innere des Embryo aus; an den Gehirnblasen aber wurden
die innersten Theile der Wandung etwas trüb.
Danach wollte ich prüfen, ob vielleicht dieses Verhalten der
Hühnerembryonen keine vital vermittelte Reaction, sondern auf
Seite der Kathode bloss kataphorische Wirkung und auf Seite
der Anode Gerinnung sei, ob sie also Veränderungen darstellen,
wie sie auch an todten organischen Substanzen vorkommen,
zumal da das änodische weisse Feld, durch Aufsetzei? der
Kathode wieder hell durchscheinend wurde. Um zu ermitteln,
ob die beobachtete Reaction an das Leben der Gewebe gebunden
sei, legte ich ein Stück des vorigen Embryo drei Minuten lang
in halbprocentige Kochsalzlösung von 50° C. und durchströmte
es dann in derselben Richtung als früher; er wurde an der Anode
.noch weiss, aber reagirte.viel träger. Daher verstärkte ich die
W^irkung der Wärme durch drei Minuten langes Erwärmen
eines anderen frischen Embryo auf 60° C., wodurch derselbe
schon ein wenig trüb wurde; beim Durchströmen trübte sich
alsdann auf den Anodenseiten, aber nur sehr langsam, das
-Innere des Embryo, während eine Oberflächenschicht von etwa
0*7 mm Dicke nicht mehr trüber, sondern im Gegentheile hell
<lurchscheinend. wurde. Dies deute ich so, dass die zunächst
erwärmte oberflächliche Schicht vollkommen getödtet worden
war und daher ihre Reactionsfähigkeit verloren hatte, während
die tieferen Theile noch schwach reagirten. Zu weiteren Ver-
suchen waren wegen der Jahreszeit keine Embryonen mehr zu
.erlangen.
Um das an Embryonen beobachtete Verhalten mit dem
Verhalten erwachsener Organe zu vergleichen, wurden die
-Elektroden desselben, nicht starken Gleichstromes auf die
Muskeln, den Darm, die Leber des erwachsenen Frosches
aufgesetzt; es entstand jedoch keine, mit der an den Embryonen
Entwickelungsmechanik des Embryo. 217
beobachteten, V"ergleichbare Trübung, und desgleichen blieb
eine entsprechende Reaction aus bei gleicher Anwendung des
mindestens dreimal stärkeren Wechselstromes, welcher bei
geringem Elektrodenabstand nur durch starke Erwärmung'
allmälig eine Trübung, Gerinnung hervorbrachte.
Beim Durchströmen der Gallenblasen des erwachsenen
Frosches jedoch entstand bei directem Aufsetzen der Draht-
elektroden an der Anode ein allmälig auch auf deren Umgebung
sich ausdehnender hellgrüner Fleck, aber bloss, wenn wässerige
Flüssigkeit, so auch schwache Kochsalzlösung, an der Be-
rührungsstelle sich vorfand; wenn dies nicht der Fall war, so
bildete sich bloss ein trockener, dunkler Fleck.
Diese Versuche haben also die Annahme, dass die in den
Abschnitten I — IV mitgetheilten Localisationen der elektrischen
Wirkung durch die intraelektrolytäre Versuchsanordnung be-
dingt sind, aufs Neue bestätigt.
Wennwirdieseunddie früheren Beobachtungen zusammen-
nehmen, so kann wohl kein Zweifel bestehen, dass den ge-
nannten Eiern, Embryonen und den Gallenblasen eine besonders
leicht eintretende, zum Theil eigenartige Reactionsfähigkeit auf
den elektrischen Strom zukommt, sowie dass der Ort und die
Gestalt dieser durch den Strom veranlassten polaren Verände-
rungen von der Eintrittsstelle der Stromfäden in das noch nicht
todte Substrat abhängig ist, und dass die Wirkungsfähigkeit an
die Anwesenheit eines Elektrolyten gebunden ist. Es ist ferner
zu vermuthen, dass die bezüglichen Veränderungen nur an der
Oberfläche der lebenden Substanz vor sich gehen und nach
dem Absterben der Oberflächenschicht sich bei einigen Gebilden
auch auf die nächst tiefer liegende Schicht und so fort in die
Tiefe ausdehnen können.
Wenn sich somit ergeben hat, dass diese so auffällig ge-
staltete Localisation der beobachteten Veränderungen nichts
den betreffenden Objecten Specifisches, sondern eine Folge der
Versuchsanordnung und der Gestalt der Versuchsobjecte war,
so treten diese doch immer polar localisirten Veränderungen,
sowohl durch ihre morphologischen Charaktere, als: Pigment-
vvanderung, Extraovate, grobe Trübungen und durch ihre Be-:
schränkung auf eine Oberflächenschicht oder wenigstens durch
218 W. Roux,
ihr Ausgehen von derselben unter Freilassen mindestens einer
Äquatorscheibe in einen Gegensatz zu der von Peltier 1834
entdeckten und von du Bois-Reymond und L. Hermann
u. A. weiterhin untersuchten inneren Polarisation thierischer
Gebilde, welche nicht sichtbar ist und sich auf die inneren
Oberflächen der lebenden Theile, angeblich im ganzen Bereiche
der durchflossenen Strecke ausdehnt. Um sie von letzterer
Polarisation zu unterscheiden, habe ich die Entstehung dieser
neuen polaren Veränderungen nach dem einen ihrer unter-
scheidenden Hauptcharaktere als morphologische Polari-
sation bezeichnet.
Es muss den Physiologen überlassen bleiben, die Ursache
nachzuweisen, warum die beschriebenen Veränderungen nur
von der Oberfläche ausgehen, obgleich im Inneren der Gebilde
ebenfalls Gelegenheit sowohl zur Abscheidung von Jonen,
welche nachBernstein als das die Veränderungen vermittelnde
Agens anzusehen sind, wie zur Brechung von Stromfäden
gegeben ist; so dass infolge dessen die Zelle trotz solcher
inneren Structur nur von aussen her und somit als einheit-
liches Ganzes entsprechend ihrer äusseren Gestalt polarisirt
wird. Es ist ferner zu erforschen, worin die specielle Natur
der Veränderungen und der Mechanismus derselben besteht.
So weit es richtig ist, dass beim elektrischen Durchströmen
carcinomatöser Körpertheile gerade die Carcinomzellen alterirt
werden und absterben, kann man auf Grund der vorstehenden
Versuchsergebnisse darin eine Bestätigung ihrer von Virchovv
und Cohnheim vermutheten embryonalen Natur erblicken, eine
Annahme, welcher ich eine weitere Unterlage gegeben habe,
indem ich mehrfach in Embryonen Zellen, welche abnormer
Weise auf viel niederer Stufe der Differenzirung als die der
Umgebung stehen geblieben und nicht an das umgebende Ge-
webe morphologisch angeschlossen waren, an den verschie-
densten Stellen aufgefunden habe.*
Es erübrigt zum Schlüsse, uns eine Meinung über das
zweifache Verhalten des schon mehrfach getheilten
1 W. Roux, Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo, Nr. 5,
loco cit. Über Hervorbringung halber Embryonen etc. Virchow's Arch.,
Bd. 114, 1888, Sep.-Abdr., S. 65.
Entwickelungsmechanik des Embryo. 219
Frosch- und Tritoneies, über die an diesen Gebilden beob-
achteten beiden verschiedenen Localisationen der polaren Reac-
tionen auf den elektrischen Strom zu bilden.
An der lebenskräftigen Morula, Rlastula und jüngeren
Gastrula bildete jede einzelne Zelle ein besonderes »Special-
polfeld*, respective deren zwei, und einen eigenen »Special-
äquator«. An der geschwächten Morula oder Blastula dagegen
entstanden zwei grosse »Generalpolfelder«, die einen über die
Aquatorgegend des ganzen Eies weggehenden »Generaläquator«
begrenzten. (Über ein etwaiges bezügliches, zweifaches Ver-
halten auch der älteren Gastrula und der Embryonen liegen
genügende Beobachtungen zur Zeit nicht vor; doch schien es,
dass bei letzteren die oberflächlichen Zellen durch Contraction
gerundet und ausserdem zur Abscheidung von Flüssigkeit
(Schleim?) angeregt wurden; bei Gastrulae wurde sowohl Zell-
contraction, siehe S. 92, sowie auch Zell-Polfeldbildung gleich
der der jüngeren Gastrula beobachtet, siehe S. 91.)
Es ist die Frage, was jede der beiden obigen, an denselben
Objecten vorkommenden verschiedenen Reactionsweisen be-
deutet, und worin die Verschiedenheit, ja Gegensätzlichkeit
derselben ihren Grund hat
Bei der Generalpolarisation verhält sich das in viele Zellen
zerlegte Ei wie das ungetheilte Ei; bei der Specialpolarisation
der einzelnen Zellen dagegen reagirt jede Zelle des Eies für sich.
Fragen wir zunächst, worauf das letztere Verhalten beruhen kann.
Die Zellen der Morula und Blastula sind normaler Weise
jede für sich nach aussen convex gewölbt. Es war daher mein
erster Gedanke, dass dieses Moment vielleicht wesentlich zu
dem Effecte beitrage; und da bei Schwächung des Eies durch
längere Durchströmung die Zellen sich abplatten, bevor dann
die Generalpolarisation des Eies eintritt, schien diese Annahme
sich zu bestätigen; diese wechselnden Gestaltverhältnisse
schienen also eine ausreichende Erklärung für den Wechsel
der Reaction zu geben.
Um diese Auffassung zu prüfen, wurden mehrere Experi-
mente gemacht.
Ich fand zwei ungetheilte Eier, welche abnormer Weise
eine grosse Furche gebildet hatten, die einen gewölbten, zungen-.
220 W. Roux,
förmigen Theil des Zellleibes unvollkommen absonderte. Diese
Eier wurden sogleich in einer Richtung durchströmt, welche
den Zungenlappen gegen eine Elektrode wendete. Obgleich nun
dieser Lappen durch eine Furche abgeschnürt und durch in sie
eingedrungene Flüssigkeit vom Haupttheil des Eies zum Theil
gesondert und für sich gewölbt war, bildete er sogleich ein die
ganze bestrahlte Fläche einnehmendes Polfeld als Theil des
Generalpolfeldes dieser Seite, aber kein zweites Polfeld und
keinen eigenen Äquator. Es trat also trotz vollkommen geeigneter
Form keine Specialpolarisation ein.
Weiterhin hatte ich beobachtet, dass durch Carbolsäure
getödtete Morulae ihre nach aussen gewölbten Zellformen
behielten, also nicht wie sonst die Eier vor dem Absterben ihre
Oberflächenzellen abplatteten. Daher vergiftete ich Morulae in
geringerem Masse mit Carbolsäure, so dass sie noch reactions-
fähig blieben; beim Durchströmen zeigte sich dann, dass sie trotz
Erhaltung ihrer Zellrundung rasch die beiden Generalpolfelder
bildeten. Ein weiteres Argument boten schon die normalen
Morulae dar. Die helle Unterseite des getheilten Frosch- und
Tritoneies hat immer zur Kugelfläche des Gesammteies abge-
plattete, oberflächlich nur durch feine seichte Furchen von ein-
ander getrennte Zellen; gleichwohl reagirten auch diese Zellen
jede für sich. Das Gleiche war einigemale bei durch Eis ge-
schwächten Eiern auch an den dadurch abgeplatteten Zellen
der schwarzen oberen Hemisphäre der Fall.
Es kann also kein Zweifel darüber bestehen, dass die Glie-
derung der äusseren Oberfläche in viele gerundete Wölbungen
nicht, wie es bei den Gehirnblasen und eingeschnürten Gallen-
blasen der Fall war, die Ursache der Specialpolarisation der die
Morula zusammensetzenden Zellen ist. Ein entsprechendes Ver-
halten zeigte auch die am Rande mit halbrunden Verwölbungen
versehene Metallplatte beim Durchströmen.
Dem wirklichen Grunde werden wir zugleich mit der Unter-
suchung der Ursachen des speciellen Verhaltens der Zell-
p^olarisation näher treten.
Dies letztere bot folgende Hauptzüge dar: Die Polarisation
der einzelnen Zellen dehnte sich auf alle Zellen der Morula und
Blastula, auch auf die in der Gegend des sonstigen elektrischen
Entwickelungsmechanik des Embryo. 221
Eiäquators gelegenen, also von aussen am wenigsten bestrahlten
Zellen aus. In gewissem Gegensatz dazu bildeten die näher
dem Pole gelegenen, mit ihrer Aussenfläche fast rechtwinkelig
gegen die Stromfaden gewendeten, also anscheinend dicht be-
strahlten Zellen nur relativ kleine, oft kaum die Hälfte dieser
äusseren Fläche einnehmende Polfelder aus, während der andere,
polifugal gelegene Theil als Äquator der Zelle unverändert blieb.
Es ist daher die Reaction der schwach bestrahlten äquatorialen
Zellen nicht einfach auf eine Herabsetzung der Reizschwelle
gegenüber den mit diesen Zellen nicht reagirenden, der General-
polarisation unterliegenden, geschwächten Eiern zu beziehen.
Nur die in der Gegend der Mittellinie des elektrischen Eiäqua-
tors liegenden Zellen bildeten zwei äusserlich sichtbare Pol-
felder, alle anderen Zellen Hessen an ihrer Oberfläche bloss
ein einziges Polfeld erkennen.
Die Deutung dieser Erscheinungen ergibt sich aus den
oben mitgetheilten analytischen Experimenten an Metallen und
Gallenblasen.
Wir haben an den im Elektrolyten vertheilten Blei- und
Messingkugeln gesehen, dass von allen durch den Elektrolyten
von einander getrennten metallischen Gebilden jedes für sich je
zwei Polfelder und einen Äquator bildete. Dabei sind zwei
sondernde Momente zugleich vorhanden: die Einschaltung
eines schlechteren Leiters zwischen bessere und die Benetzung
der Oberfläche des Metalls mit dem Elektrolyten. Wir müssen
daher den eventuellen Antheil jedes dieser Momente an der
selbständigen Polarisation uns klar machen.
Die LeitungsdifFerenz des Elektrolyten und der Intraelektro-
lyten kann nur den Ort des Ein- und Austrittes der Stromfäden
beeinflussen; aber dieser Ein- oder Austritt hat nur dann eine
polarisirende Wirkung, wenn er aus dem, respective in den
Elektrolyten erfolgt Wenn zwei Kugeln sich metallisch leitend
berühren, geht der Strom an der Berührungsstelle aus einer
Kugel in die andere, ohne dass Polfelder daselbst entstehen.
Also die doppelte Polfeldbildung beruht beim Metall sicher auf
der vollkommenen Umschliessung mit dem Elektrolyten.
Aber die Ausdehnung der einander zugewendeten Pol-
felder sehr naher Intraelektrolyten ist im hohen Maasse von
222 W. Roux,
der Leitungsdifferenz zwischen ihm und dem Elektrolyten
abhängig. An den einander nahen Metallkugeln wurden die
einander zugewendeten Polfelder im Wechselstrom mit dem
Maasse der Näherung immer kleiner. Wenn jedoch der Elektrolyt
fast ebenso gut leiten würde als das Metall, so würden die
Stromfäden im Innern der Kugel nur schwach gegen den der
anderen Kugel nächsten Punkt convergiren; sie würden in
höherem Maasse durch die seitlichen Theile der einander zuge-
wendeten Flächen beider Kugeln gehen; die bezüglichen Pol-
felder würden also sogar trotz einer continuirlichen Verbindung
der Kugeln fast ebenso gross werden als die äusseren, wie dies
aus dem gleichen Grunde bei den eingeschnürten Gallenblasen
der Fall war.
Aus der Specialpolarisation der Zellen der Morula
und Blastula ist also zu schliessen, dass jede Zelle, wenn
nichtallenthalben so doch grösstentheils, durch elektro-
lytische Substanz in unserem Sinne von ihren Nachbarzellen
gesondert ist. Elektrolytische Substanz in unserem
Sinne ist ein Elektrolyt, der zur Vermittelung der morpho-
logischen Polarisation der von ihm berührten reactionsfahigen
Substanz geeignet ist, also eine andere Substanz als diejenige,
welche zu der inneren Polarisation der Physiologen ausreicht,
da unser Elektrolyt primär bloss an der Oberfläche der Zellen,
letzterer aber im ganzen Inneren der Bionten vorhanden ist
Oberfläche einer Zelle ist in unserem Sinne danach die
Berührungsfläche der lebenden Substanz der Zelle mit einem
solchen Elektrolyten, mag sie nun an der äusseren Fläche der
Morula oder in der Morula zwischen den Zellen oder gar in der
Zelle selber liegen, welch* letzteres aber in unserem Falle primär
nicht der Fall war, sondern erst von der Oberfläche aus im Pol-
abschnitt alimälich sich ausbildete.
Dergleiche Grund für die Specialpolarisation gilt natürlich
auch bezüglich der Urwirbel, des Darmrohres und der basalen
Theile des Gehirnes, von denen ja trotz ihrer Umschliessungund
Vereinigung durch ein anderes Gewxbe jedes seine besonderen
Polfelder bildete; die Umgebung dieser Theile verhielt sich also
zu ihnen wie ein Elektrolyt. Das ist bei den epithelialen Organen
nicht zu verwundern, da sie alle zu dieser Zeit durch Lymph-
Entwickelungsmechanik des Embryo. 223
i spalten von den Theilen des umgebenden interstitiellen
Gewebes getrennt sind oder, wie das Gehirn, im Binnenraum mit
Flüssigkeit erfüllt sind. Für diese Auffassung spricht auch das
Verhalten der reifen und unreifen Froscheier, welche bei voll-
kommener Trockenhaltung nicht erkennbar reagirten. Beim
Herzen reagirten die Vorhöfe und die beiden Arterien, auch wenn
sie gegen die Elektroden zu gelegen waren, mit dem Ventrikel
gemeinsam als eine Einheit, obgleich sie doch durch faseriges
Bindegewebe von ihm geschieden sind, von welchem man wohl
vermuthen könnte, dass es als Elektrolyt fungiren würde; dieses
Verhalten des Herzens bedarf daher besonderer Untersuchung.
Es bleibt ferner zunächst unbekannt, worin bei der Morula der
intercellulare Elektrolyt besteht, ob in der Kittsubstanz, der
Zellrinde oder einer nach innen von ihr gelegenen Schichte.
Nach der bisher gewonnenen Einsicht sind die Erschei-
nungen der SpeciaJpolarisation der Morula und Blastula, soweit
sie die Breite und Lage der Polfelder respective des Äquators
angehen, analytisch auf folgende Momente zurückzuführen.
Erstens auf die Änderung, welche die Breite des Äquators
einer Kugel erfährt, wenn sie durch eine rechtwinkelig zum
Strome stehende elektrolytische ebene Halbinmgsfläche zerlegt
wird. Sind dann die durch die entstehenden beiden inneren
Polfelder bedingten zwei Äquatoren zusammen breiter als der
frühere einfache Äquator? Da unsere entsprechend zerlegten
Eier immer neben der Theilungsfläche abgerundete Kanten
hatten, waren wir nicht in der Lage, Beobachtungen über diesen
Fall anzustellen. Wir sahen vielmehr im Grunde der ersten
Furche an beiden Theilstücken einen veränderten Saum, der
die Grösse und Lage des Äquators beeinflussen musste.
Zweitens: Wird, wenn die Scheidungsflächen nicht eben
sondern gegen jede der Hälften concav sind, der Äquator durch
die Ausdehnung der inneren Polfelder nach aussen hin, also
auf Kosten der äusseren Polfelder verschoben? Diese Frage ist
an den eingeschnürten Gallenblasen in zustimmendem Sinne
beantwortet worden.
Drittens: Treten die Wirkungen 1 und 2 auch bei unvoll-
kommener Scheidung und zwar in mit der Zunahme der
Scheidung stärkerem Maasse auf? Bei Metallen war solches
224 W. Roux,
nicht bemerkbar, weil die geringste metallisch leitende Ver-
bindung der Gebilde zur Fortführung aller Stromfäden ver-
wendet wurde infolge des millionenmal besseren Leistungs-
vermögens der Metalle als der Flüssigkeiten. Bei den
eingeschnürten Gallenblasen dagegen konnten wir diese Frage
bejahen, denn wir sahen, dass der Strom theils durch den zu-
nächst nicht polarisirten Verbindungsstrang, theils durch den
Elektrolyten unter Polarisationswirkung an derAus- und Eintritts-
stelle ging, beide Wege unmittelbar nebeneinander, ohne eine
trennende Zone nehmend. Also könnten auch die Zellen der
Morula theils durch Elektrolyten getrennt, theils, dazwischen
verstreut, durch leitende Nicht-Elektrolyten, wie etwa protoplas-
matische Intercellularbrücken verbunden und so die anzu-
nehmenden inneren Polfelder durch viele nicht veränderte
Stellen unterbrochen sein.
Viertens ist von Bedeutung die oben 'für lebendes und
metallisches Material festgestellte Thatsache, dass kleine Kugeln
relativ kleinere Polfelder, also einen relativ grösseren Äquator
bilden als grössere Kugeln. Dazu käme noch ein weiterer
Factor, den wir aber weder bei den ungleich grossen Eiern
noch bei den frischen und bei den geschwächten Morulis er-
mitteln konnten, nämlich die eventuelle Ungleichheit der Re-
actionsschwelle der Zellen.
Wenn wir auch nicht sicher wissen, wodurch bei den Eiern
der Äquator bedingt war, ob allein durch zu geringen Strom-
fädeneinfall für die Höhe der Reizschwelle oder durch einen
Polarisationsstrom, so haben wir doch die feststehende That-
sache gefunden, dass immer zwischen der Ein- und Austritts-
stelle des Stromes eine freie Zone bleibt, welche der Bedingung 4
entspricht. Dagegen zeigt ein Versuch mit einer Gruppe dicht
zusammenstehender, sich aber nicht berührender Metallkugeln,
dass eine Kugel, welche blos ein einziges Eintrittsfeld hat,
mehrere von einander vollkommen getrennte Austrittsfelder und
umgekehrt haben kann, und dass die gleichartigen dieser
Felder bei entsprechender äusserer Veranlassung continuirlich
in einander übergehen können. In demMaasse, als zwischen den
Zellleibern Elektrolvten vorhanden sind, werden daselbst innere
Polfelder auftreten, und sobald diese gross genug sind, werden
Entwickelungsmechanik des Embryo. 225
sie nach Moment 2 den mit ihnen zugleich entstehenden Zell-
äquator auf die Aussenfläche treiben.
Da die Zellen mit ihren Nachbarflächen sich an einander
abplatten, so stossen sie mit einander parallelen Flächen zu-
sammen. Dies ist ein weiteres, die Grösse der inneren Polfelder
und damit die Lage des Äquators beeinflussendes Moment. Ent-
sprechend geschnittene und ohne, dass sie sich berühren, zu-
sammengelegte Bleikugeln zeigen beim Durchströmen ausser dem
äusseren kleineren Polfeld, dass die inneren Polfelder die ganzen
einander gleich nahen Flächen einnehmen, mögen dieselben
quer oder schief zum Strom stehen. Dasselbe wird auch bei
nicht metallischen Gebilden der Fall sein. Da diese inneren
Oberflächen der Zellen bei mehrfach getheiltemEi mit steigender
Theilungszahl einen immer grösseren Theil der ganzen Zell-
oberfläche, sehr bald aber schon über die Hälfte einnehmen, so
werden also die intercellularen Polfelder den grössten
Theil der Zelloberfläche einnehmen, damit den Äquator auf die
äussere Oberfläche treiben und zugleich die Grösse des äusseren
Polfeldes beschränken.
Fernerkönnte die Wirkungeiner Aspiration derStromfäden
durch die Zellen auf die Grösse des Zelläquators hier sehr er-
heblich sein, da die Zellen unmittelbar neben einander liegen
und die kleinen Polfelder also einander sehr nahe sind, so dass
die Stromfäden des Elektrolyten sich vollkommen auf letztere
vertheilen könnten, sofern nur irgend eine erhebliche Leitungs-
differenz zwischen den Zellen und dem Elektrolyten besteht.
Der Umstand endlich, dass die in der Gegend des elek-
trischen Äquators des Eies liegenden Zellen zwei äussere
Polfelder darbieten, erklärt sich einfach daraus, dass sie allein,
als seitlich vorspringend, von beiden Elektroden aus durch
den Elektrolyten hindurch direct von Stromfäden getroffen
werden, während alle anderen Zellen die Stromfäden der einen
Elektrode nur erst nach dem Durchgehen derselben durch die
Morula erhalten und daher innere, von aussen nicht sichtbare
Polfelder durch ihren Eintritt bilden werden.
Nachdem im Vorstehenden neben den Ursachen der
speciellen Localisation zugleich dargelegt worden ist, auf was
für einem Verhältniss meiner Meinung nach die Special-
Sitzb. d. mathem.-natunv. Cl. : CI. Bd. Abth. III. 1 ')
226 W. Roux,
Polarisation der Zellen der Morula beruhen muss, ist zu er-
örtern, wodurch es- bedingt ist, dass an denselben Gebilden
unter Umständen, sei es nach vorausgegangener Specialpolari-
sation oder sogleich beim Durchströmen eine Generalpolari-
sation auftreten kann, wobei uns freilich die noch mangelnde
Einsicht in das Innere des Eies wieder fühlbar werden wird.
An denjenigen frischen Morulae, welche nach anfänglicher
Zellpolarisation infolge längere Zeit fortgesetzter Durch-
strömung zur Generalpolarisation übergehen, scheint dieser
Wechsel leicht verständlich. Denn da bei der Zellpolarisation
Zellinhalt nach aussen durch die Zellrinde hindurchtritt, kann
man denken, derselbe Vorgang finde auch im Innern statt; die
Zellrinde, respective die minimale Kittsubstanz wären die
Elektrolyten gewesen, und sie würden durch den hindurch-
tretenden Zellinhalt ihrer Eigenschaft als Elektrolyten zu wirken,
mehr und mehr enthoben, da die sich berührenden Zellen jetzt
durch Zellinhalt in directe, nicht morphologisch polarisirbare
Verbindung gelangen und daher fast wie ein Ganzes reagiren;
ähnlich wie zwei Metallkugeln, die sich leitend berühren, nur
dass bei den organischen Gebilden die Verbindungsbrücken in
dem Maasse ausgedehnter sein müssen, als ihre Substanz nicht
erheblich besser leitet als der sie noch theilweise trennende
Elektrolyt. Im Falle das geschwächte Protoplasma vielmal
besser leitete als die nicht protoplasmatischen Trennungstheile
der Zellen, könnten diese fast vollkommen umgangen werden.
Indess sind diese hypothetischen inneren Substanzdurch-
tritte noch nicht gesehen worden; ausserdem wäre auch die
auf sie sich gründende Erklärung nicht auf diejenige General-
polarisaton anwendbar, welche nach der Erwärmung der Morula
auf 40° C. und nach der Vergiftung mit Carbolsäure eintritt. Je
stärker die Erwärmung oder Vergiftung war, um so rascher ging
die beimBeginne der Durchströmung auftretende Zellpolarisation
unter Wachsthum der Polfelder und Verschwinden der Zell-
äquatoren im Bereiche der Polseiten des Eies in die General-
polarisation über; bei den höchsten Graden derartiger Beein-
flussung geschah dieser Übergang sogar so schnell, dass man
kaum die initiale Zellpolarisation wahrnehmen konnte. Dabei
stand die Intensität der sichtbaren Veränderungen in umge-
Entwickelungsmechanik des Embryo. 227
keJirtem Verhältniss zur Geschwindigkeit ihres Auftretens und
zu ihrer Ausbreitung; zuletzt trat bloss noch eine schwache
Verfärbung auf, kein erkennbarer Durchtritt von Substanz durch
die Rinde.
Und diese Geschwindigkeit der Ausbildung der General-
polarisation bei minimaler Intensität der Veränderung steht
wieder in einem Gegensatz zu dem hochgradigen Substanz-
durchtritt bei Durchströmung lebenskräftiger Eier, an welchen
trotz dieser diffusen Extracellulate erst nach mehreren Minuten
und erst, nachdem die Niveaulinien der äusseren Theile auf-
geplatzt waren und nachdem schon dies einige Zeit bestanden
hatte, der Übergang zur Generalpolarisation stattfand.
Daraus ergibt sich schon, dass die erstere Annahme zur
Erklärung der vorliegenden Erscheinungen nicht zutreffend ist.
Man kann nun an andere Momente denken: z. B. an eine
Abnahme der Widerstandsfähigkeit der Zellen durch die schädi-
gende Wirkung der Vergiftung, der Erwärmung oder der länger
dauernden Durchströmung, und zwar in Anknüpfung an die
vorher relativ kleinen Polfelder der Zellen und an den grossen,
fast die Hälfte der freien Oberfläche vieler Zellen einnehmenden
Äquator. Besonders weist auf einen initialen Widerstand der
lebenskräftigen Morula hin, dass der Äquator vieler Zellen hier
fast rechtwinkelig gegen die Stromfäden gerichtet ist, also dicht
von ihnen getroffen werden muss, sofern nicht die lebens-
kräftigen Zellen vielmal besser leiten als die geschwächten und
daher die Stromfaden vollkommen mit den der Elektrode
nächsten Stellen aufnehmen.
Wenn die Änderung des Verhaltens der Morulazellen nach
Erwärmung oder Vergiftung aber auf einer Schwächung ihres
Widerstandes gegen den Strom beruhte, dann müsste die Ver-
änderung auch an den im Bereiche des Generaläquators lie-
genden Zellen weiter schreiten. Da an diesen Äquatorzellen die
Veränderung jedoch nicht weiter schritt, ist diese Annahme also
gleichfalls unzutreffend. Dasselbe gilt auch für eine eventuelle
Schwächung der Widerstandsfähigkeit durch fortgesetzte Durch-
strömung. Hierdurch würden zwar die Äquatorzellen weniger
alterirtwerden,da sie viel weniger dicht von äusseren Stromfäden
getroffen werden. Diese durch die Dichtigkeit der äusseren
15*
228 W. Roux,
Bestrahlung bedingte Schwächungmüsste aber von derÄquator-
region gegen die Pole hin nur ganz allmählig zunehmen; dem-
nach müsste auch die Erscheinung der Vergrösserung der Pol-
felder vom Äquator her continuirlich zunehmen. Statt dessen
entsteht jederseits am Ei ein einheitliches, durch eine braune
Niveaulinie vollkommen scharf begrenztes Polfeld und ein ein-
heitlicher allgemeiner Äquator, innerhalb dessen die früher
vorhandenen kleinen Polfeldernicht nur nicht wachsen, sondern
rückgebildet werden. Die Morula reagirt jetzt ganz wie ein un-
getheiltes Ei, also wie ein einheitliches Gebilde.
Da unsere Erörterung über die möglichen speciellen Ur-
sachen des Überganges der Specialpolarisation der einzelnen
Zellen des getheilten Eies zur Generalpolarisation des ganzen
Eies infolge der uns noch mangelnden Einsicht in die inneren
Vorgänge zur Zeit nicht weiter geführt werden kann, müssen
wir bei der experimentell abgeleiteten Folgerung stehen bleiben
und sagen: Die am normal beschaffenen, getheilten Ei als vor-
handen erschlossene, vollkorhmene oder unvollkommene Tren-
nung der Zellen von einander durch eine wie ein
Elektrolyt wirkende Substanz ist durch die genannten,
die Vitalität schädigenden Mittel ganz oder theilweise aufge-
hoben worden; und dies ist der Grund, dass der ganze Com-
plex von Zellen nunmehr w^e ein einheitliches Gebilde ent-
sprechend seiner äusseren Gestalt auf den elektrischen Strom
reagirt.
Entwickelungsfnechanik des Embrj'o. 229
Figurenerklärung zu Tafel I bis III.
Allgemeines. Alle Figuren sind schematisirt, die der lebenden Objecte
sind nach Momentskizzen gezeichnet.
Die durch den elektrischen Strom veränderten polaren Abschnitte sind in
den Figuren 1 und 3 — 20 blau gefärbt. In Wirklichkeit sind die hier blau mar-
kirten >Polfelder« bei den Frosch- und Tri ton eiern der Fig. 1 — 14 heller als
der von ihnen begrenzte elektrische Äquator, mit Ausnahme von dessen oft auf-
gehellten Rändern.
Wo nicht anders erwähnt, sind die abgebildeten Objecte mit dem
Wechselstrom durchströmt worden. Die mittlere Stromrichtung, die gerade
Yerbindungsrichtung der Elektroden ist auf den Tafeln immer wagrecht, also in
Richtung der Zeilen verlaufend angenommen.
Fig. 1, Kurze Zeit mit nicht starkem Wechselstrom durchströmtes Froschei
von der Seite gesehen. Siehe S. 66.
Fig. 2. (Tafel III.) Froscheier in einer niit Wasserleitungswasser gefüllten
Glasschale, von den beiden geraden, die senkrecht eingesetzten Elek-
troden markirenden Strichen aus durchströmt. Die Schale danach um-
gedreht, und die Eier von unten, yergrössert abgezeichnet; die Polfelder
dunkel markirt. Siehe S. 33.
fig- 3. Kurze Zeit durchströmtes Ei des Triton. Die Ränder des elektrischen
.\quators sind in der Entfärbung begriffen. Siehe S. 88.
Pig- 4. Froschei, stundenlang mit äusserst schwachem Strom durchströmt ; von
oben gezeichnet. Die polaren Extraovate sind blau gezeichnet Das
Ei ist nicht schattirt, um die im Bereiche des breiten Äquators ent-
standenen Streifen besser sichtbar zu machen. Siehe S. 64.
^ig- 5. Zwei in derselben Gallerthülle eingeschlossene Froscheier, in Richtung
ihres geringsten Abstandes durchströmt; von oben gesehen. Siehe S. 69.
f^^g- 6. Zwei mit ihren Gallerthüllen vereinigte Froscheier, wie in Fig. 9 durch-
strömt und abgebildet. Siehe S. 69.
*^ig- 7. Froschei schief zur ersten Furche durchströmt ; von oben gesehen.
Siehe S. 35, 43 und 69.
f^ig. 8 und 9. Froscheier rechtwinkelig zur ersten Furche durchströmt ; von der
Seite gesehen. Siehe S. 70.
f^ig« 10. Frosch- sowie Tritonei nach der zweiten Furchung durchströmt ; von
oben gesehen. Siehe S. 70 und 89.
^'8; 11. Schief stehendes Froschei nach der zweiten Theilung so lange durch-
strömt, bis die anfängliche Specialpolarisation der vier Zellen (Special-
polfelder blau) unter Wachsthum der Polfelder (roth) in die Universal-
polarisation übergegangen war; von oben aus gesehen. Siehe S. 73.
230 W. Roux,
Fig. 12. Gallenblase des Frosches von oben gesehen, erst in Richtung der
Höhe des Blattes, darauf in Richtung der Zeilen durchströmt. Die beiden
»Niveaulinien« der ersten Durchströmung sind bei der zweiten Durch-
strömung unverändert geblieben. Siehe S. 54.
Fig. 13. Ei des Triton alpestris durchströmt; von der Seite gesehen« Siehe S. 87 >
Fig. 14. (Tafel II). Triton-, sowie Froschei in seiner Hülle zwischen ebenen Glas-
platten platt gedrückt und durchströmt; von oben gesehen. Siehe S. 67.
Fig. 15. Oberflächliche Zelle des Polfeldes einer alten Tritongastrula ; Be-
trachtung bei auffallendem Licht; äusserer Polfeldabschnitt blau, innerer
roth gezeichnet. Siehe S. 100.
Fig. 16. Zelle einer alten Triton Gastrula, isolirt und dann durchströmt. Die
beiden protoplasmatischen Polabschnitte blau, die dotterkömerhaltige
Äquatorscheibe roth gezeichnet. Siehe S. 98.
Fig. 17. Eine wie die vorige behandelte Zelle, welche aber beim DurchströmeR
an den beiden Polen aufgeplatzt ist und ihren Inhalt nach beiden
Seiten in Richtung des Stromes entleert hat. Siehe S. 97.
Fig. 18. Ei von Telestes Agassi zii; rechtwinkelig zur Eiaxe durchströmt; von
der Seite gesehen. Siehe S. 103.
Fig. 19. Gleiches Fischei; die Keimscheibe war etwas abgebogen, wurde in
Richtung ihrer Axe durchströmt. Siehe S. 104.
Fig. 20. Skizze des Kopfes eines Hühnerembryo von fünf Brüttagen. Die Pol-
felder am Mittel-, Zwischen- und Vorderhim sind blau markirt; die Ver-
änderungen am Hinterhim und an der Himbasis waren nicht gezeichnet
worden. Am Mittelhim sind die in Richtung des Wechselstromes
stehenden Einfaltungen der Wandung sichtbar. Die an der secundären
Augenblase gezeichneten polaren Faltungen und Abschnürungen sind
erst nach viel länger fortgesetzter Durchströmung aufgetreten, durch
welche die Himblasen bereits viel weiter verändert worden waren, als
hier gezeichnet ist. Siehe S. 114.
Fig. 21. Die eine von zwei einander dicht benachbarten, in Richtung des
geringsten Abstandes in einhalbprocentiger Kochsalzlösung mit dem
Wechselstrom durchströmten Messingkugeln von. 7 mm Durchmesser;
die der anderen Kugel zugewendete Fläche dargestellt. Siehe S. 149»
Fig. 22. Eine Kupferscheibe in Kupfervitriol mit dem Gleichstrom durchströmt;
a) Einmalige Durchströmung in Richtung der Zeilen der Tafel. Das der
Anode zugewendete Polfeld senkrecht, das der Kathode zugewendete
Polfeld schräg schraffirt. Siehe S. 170.
b) Dieselbe Scheibe um 90** gedreht und aufs Neue in Richtung der
Zeilen durchströmt. Schraffirung wie bei a.
c) Dasselbe nach länger fortgesetzter Durchströmung.
a Bezeichnet die an der Grenze des primären positiven Polfeldes
und des primären Äquators bei der zweiten Durchströmung blank
bleibende Stelle und ihre nachträgliche Wanderung. Siehe S. 31.
Fig. 23. Parallelepipedischer Bleistab in einhalb procentiger Kochsalzlösung
der Länge nach mit den W echselstrom durchströmt nach Neben-
stellung von 10 Messingkugeln, um den Verlauf der Stromfaden zu
Entwickelungsmechanik des Embryo. 231
erkennen. Die Polfeder des Stabes schraffirt, die der Kugeln schwarz
gezeichnet. Siehe S. 178.
Fig. 24. Ein in der Mitte ausgebogener Stanniolstreifen, der Länge nach in
Glaubersalzlösung mit dem Wechselstrom durchströmt. Die Strecke
zwischen a a stellt den Äquator dar. Siehe S. 1 53 und 1 79.
Fig. 25. Rechtwinkelig gebogener Balken von Blei, in Richtung des wagrechten
Schenkels mit dem Wechselstrom durchströmt. Siehe S.'128 und 154.
Fig. 26. Parallelepipedischer Bleibalken, in achtprocentiger, mit etwas Schwefel-
säure versetzter Kochsalzlösung mit dem Gleichstrom seiner
Länge nach durchströmt. Siehe S. 181.
Fig. 27. Froschherz mit Messingkugeln umstellt und in Wasserleitungswasser
der Länge nach mit dem Wechselstrom durchströmt; die Polfeder
der Kugeln lassen die Convergenz der Stromfäden (aber etwas zu
stark) erkennen. Siehe S, 183.
Fig. 28. Ein gleiches Herz in fünfprocentiger Kochsalzlösung durchströmt; lässt
die Divergenz der Stromfäden sehen. Siehe Seite 183.
Fig. 29. Gallenblase des Frosches in Wasserleitungswasser durchströmt. Siehe
S. 183.
Fig. 30. Eine gleiche Gallenblase in fünfprocentiger Kochsalzlösung durch-
strömt. Siehe S. 183.
Inhaltsverzeichniss.
L Abschnitt.
Seite
Wirkung des Wechselstromes auf Eier von Ranafusca:
auf ein parallel contourirtes Band von Laich 29
auf eine runde Scheibe von Laich 31
bei wechselnder Durchströmungsrichtung 33
auf schwimmende Eier 34
auf unbefruchtete Eier 34
auf mechanisch insultirte Eier 34
auf getheilte Eier 34
auf Hühner- und Taubeneier 36
Wirkung eines Gleichstromes auf Froscheier 36
Wirkung des Wechselstromes auf die Richtung der ersten
Eitheilung: beim Durchströmen 37
beim Umströmen 39
232 W. Roux,
II. Abschnitt.
Seite.
Weitere Wirkung des Wechselstromes auf Eier von RatM fusca:
auf Eierstockseier 39
auf nicht im Wasser gelegene Eier 40
auf in Salzlösung gelegene Eier 40
bei wechselnder Durchströmungsrichtung 41
Wirkung sehr schwachen Stromes 41
Wirkung bei verschiedener Stromdauer 42
Grösse der Polfeder 42
Verhalten gepresster Eier 43
Veränderungen der Eier nach der Durchströmung 43
Dauer der Polarisationsfahigkeit 44
Aufhebung derselben durch Erwärmung 44
Wirkung auf Embryonen von Rana fusca 44
Einfluss der Differenz des Leitungsvermögens von Ei und
Menstruum 4&
Wirkung des Gleichstromes:
auf Froscheier und -Embryonen J>0
aufdie Richtung derersten Eitheilung 52
Wirkung des W^echselstromes auf Organfe des erwachsenen
Frosches: 53
auf die Gallenblase 53
auf das Froschherz 54
auf andere Organe ... 55
III. Abschnitt 5&
Erläuterung von Terminis technicis 59
Wirkung des Wechselstromes auf:
Aethalium sepiicum 61
Hydra fusca 62
Rana esculenta : 63
Wirkung aufdie Besamungsrichtung 63
auf dieCopulationsrichtung 63
Wirkung sehr schwachen Stromes auf das Ei 64
Wirkung auf Eierstockseier 65
auf reife Eier 66-
auf deformirte Eier 67
auf Extraovate 68
auf einander sehr nahe Eier 6&
auf get heilte Eier
a) Specialpolarisation 69-
b) Generalpolarisation 73
auf Embryonen 75
Entwicklung smechanik des Embryo. 233
Seite
Einfluss der Wärme auf die Polansationsfahigkeit . . 78
Einfluss der Carbolsäure auf die Reactionsfahigkeit
ungetheilterEier 78
Prüfung des Leitungsvermögens der Eier 79
Wirkung auf von Metall umschlossene Eier 80
auf von Dielectricis lunschlossene Eier 81
Wirkung des Gleichstromes auf Ratta esculenta : 81
auf die Eier 81
auf das Herz und die Gallenblase S3
Wirkung des Wechselstromes auf Triton alpcstris: 85
auf ungetheilte Eier S6
auf getheilte Eier:
a) Specialpolarisation 88
b) Generalpolarisation 90
Art des Vorganges der Polarisation 90
Variationen der Polarisation 91
Wirkung auf Extraovate 96
auf isolirte Zellen 97
auf innere Theile der Gastrula 100
Wirkung des Wechselstromes auf Tclestes Agassizii: 102
auf die Eier, Morulae und Embryonen 102
auf Herz und Gallenblase 109
Wirkung des Wechselstromes auf Lacerta agilis: 109
auf die Eier 109
auf die Gallenblase 1 10
auf die Embryonen 11 0
Wirkung auf Gallus domesticus 113
Wirkung auf Säugethiere:
auf Eier und Embryonen 123
auf die Gallenblasen 123
Vorkommen des Stromschatten 126
Durch den Wechselstrom nicht morphologisch polarisirbare Organe 1 29
IV. Abschnitt.
Wirkung des elektrischen Stromes auf nicht lebende Intra-
elektrolyten: 132
auf Gallerte 133
auf Quecksilber 184
auf feste Metalle 142
Wirkung des Wechselstromes: 145
auf kugelige Gebilde 147
Verhalten einander sehr naher Kugeln 148
234 W. Roux, Entwickelungsmechanik des Embryo.
Seite
auf platte Gebilde 152
Verhalten des rechten Winkels 153
der Kupferscheibe 156
auf Draht 159
auf unvollkommene Intraelektrolyten 162
Wirkung des Gleichstromes auf feste metallische
Intraelektrolyten 165
Wirkung auf metallische Intraelektrolyten von der
Gestalt der untersuchten organischen Gebilde ... 1 73
Wirkung in besser als der Intraelektrolyt leitenden
Medien :
scheinbare Äquatorisation 173
Bedingungen der Polarisation 174
Directe Ermittelung des Verlaufes der Stromfaden:
gegen metallische Intraelektroly ten :
im Wechselstrome 178
im Gleichstrome 181
gegen organische Intraelektrolyten 183
Abnahme der galvanischen Wirkung mit dem Abstände von den
Elektroden bei gleichem Querschnitt der clektrolytischen
Bahn 184
V. Abschnitt.
Erklärungsversuche und Zusammenfassung:
Ursache der polaren Localisation der Veränderungen 197
Ursache der scharfen Begrenzung des Äquators 201
Ursachen der speciellen Gestaltungen der Polfelder: 202
Stromschatten 202
Bestimmung der Richtung der Grenzlinien der Polfelder. . . . 206
Unterschiede der Localisation der Polfelder bei metallischen
und bei lebenden Intraelektrolyten 209
Zusammenstellung der specifischen Reactionsweisen der
lebenden Objecte 210
Vorbedingungen der beschriebenen Localisation der Polfelder. 214
Ursachen der Specialpolarisation der Zellen des ge-
theilten Eies 218
Ursachen der General Polarisation des getheilten Eies ., 226
W.Ronx: Elektrische Polarisation der Eier und Embryonen.
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W.Ronx: Elektrische Polarisation der Eier und Embryonen.
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Sitzungsberichte d. kais. Akad. d. Wiss., math.-naturw.Qasse, Bd.CI. Abth.m. 1892.
A
235
Ober die Beziehungen der Wirbel zu den
Urwirbeln
von
Prof. V. V. Ebner in Wien,
w. M. k. Akad.
(Mit 1 Tafel.)
In einer Ȇber die sogenannte Neugliederung der Wirbel-
säule und über das Schicksal der Urwirbelhöhle bei Reptilien«
betitelten Abhandlung beschäftigt sich Corning* mit der von
mir* zunächst an Nattemembryonen beobachteten Thatsache,
dass der skeletbildende Theil der Urwirbel schon frühzeitig
eine mit der Urwirbelhöhle zusammenhängende Spalte zeigt,
welche — der Lage nach — der späteren Wirbelgrenze entspricht.
Ich nannte diese Spalte Intervertebralspalte.
Corning findet diese Spaltbildung sehr deutlich bei
Embryonen der Blindschleiche und gibt von solchen eine Reihe
von Abbildungen, in welchen das Verhalten der Spalte bis zur
beginnenden Knorpelbildung dargestellt wird. Dadurch haben
meine Angaben eine dankenswerthe Bestätigung und Envei-
terung erfahren, und ich würde gegenwärtig keine Veranlassung
haben auf den Gegenstand noch einmal einzugehen, wenn nicht
Corning kritische Bemerkungen gegen meine Darstellung in
seine Arbeit eingeflochten hätte, die den Anschein erwecken,
als ob meine Angaben mit wesentlichen Punkten seiner Unter-
suchungsergebnisse sich in Widerspruch befänden, während
dies thatsächlich nicht der Fall ist. Es scheint mir, dass die von
1 Morphol. Jahrbuch, Bd. XVII (1891), S. 611.
« Diese Berichte, 1888, Bd. XCVII, Abth. III, S. 194.
236 V. V. Ebner,
Corning angewendete Kritik wesentlich auf Missverständnissen
meiner Angaben beruhe. Diese Missverständnisse aufzuklären
und die Frage, um die es sich handelt, genauer zu präcisiren,
ist nun zunächst der Zweck der folgenden Zeilen.
Ich glaube denselben am besten zu erreichen, wenn ich
in etwas anderer Form, als in meiner oben citirten Arbeit, den
Ausgangspunkt meiner Untersuchungen darlege.
BekanntHch galten die Urwirbel nach den Untersuchungen
V. Baer's für die alleinige öruridlage der Wirbel. Diese Annahme
wurde gemacht, trotzdem v. Baer selbst, sowie die Anatomen
seiner Zeit recht wohl wussten, dass es auch Wirbelthiere ohne
Wirbelabtheilungen (Myxinoiden) und solche gibt, welche nur
segmentale Bogen ohne segmentifte Wirbelkörper (Pelroinyzon,
Accipenser, Chimaera) besitzen. JohannesMüUer* nahm daher,
dem entsprechend, auch an, dass die Wirbelsäule in den ver-
schiedenen Classen der Wirbelthiere nicht in derselben Weise
entstehe. Erst Remak* erschütterte die Lehre, dass die Urwirbel
die paarigen Anlagen der Wirbelkörper sammt den zugehörigen
Bogen seien. Nachdem er vorübergehend die Urwirbel aus-
schliesslich für die Anlagen der Spinalganglien erklärt, diese
Angabe aber später berichtigt hatte, stellte er in seinem grossen
Werke über die Entwicklung der Wirbelthiere die Lehre von
den Beziehungen der Urwirbel zur Muskelbildung, zur Bildung
der Spinalnerven, der Wirbel u. s. w. auf, welche bis zu den
Untersuchungen von His die herrschende war. Remak nahm
auf Grund seiner Beobachtungen zunächst mit Bestimmtheit an,
dass aus der dorsalen Seite der Urwirbel die Muskeln zwischen
zwei Wirbeln (intertransversarii, interspinales) hervorgehen ;
Hess es aber dahingestellt, wie weit auch die anderen animalen
Muskeln zu den Urwirbeln in Beziehung stehen. Jedenfalls ist
Remak derjenige, welcher zuerst feststellte, dass die Metamerie
der Urwirbel in erster Linie den segmentalen, dorsalen Rumpf-
muskeln und somit dem entspreche, was man jetzt Myotome
oder Myomeren zu nennen pflegt. Da aber Remak zugleich
auch daran festhielt, dass aus der ventralen und medialen
1 Handbuch der Physiologie. Coblenz, 1840, 11. Bd., S. 733.
2 MÜIIer's Archiv, 1843.
Wirbel und Urwirbel. 237
Fläche der Urwirbel das Blastem hervorgehe, welches die
bleibenden Wirbel bilde, die ja ebenfalls ein System von Meta-
meren darstellen, musste er nothwendig eine Neugliederung der
Wirbelsäule insoferne annehmen, als diederMuskelsegmentirung
entsprechenden Urwirbel auch die Anlagen der Wirbel, welche
mit den Myomeren alterniren, enthalten. Die Frage, wie diese
Neugliederung geschieht, muss heute noch für alle diejenigen
existiren, welche mit Remak das Blastem der Wirbelsäule aus
den Urwirbeln hervorgehen lassen.
Es gibt wissenschaftliche Fragen, welche sich sozusagen
von selbst lösen. Sie veralten, sie werden nicht mehr gestellt,
weil ihre Formulirung den fortgeschrittenen Kenntnissen nicht
mehr entspricht. Zu diesen Fragen scheint mir aber die >»so-
genannte« Neugliederung der Wirbelsäule nicht zu gehören.
Die Frage, wie die metameren Stücke des Axenskeletes aus den
Urwirbeln entstehen, ist und bleibt für jeden eine berechtigte, der
überhaupt einen genetischen Zusammenhang dieser Bildungen
annimmt Sie scheint um so brennender, als His auf Grund um-
fassender Arbeiten geradezu bestritt und bestreitet, dass die
Urwirbel irgend etwas mit derBindesubstanzbildung,beziehungs-
weise Skeletbildung zu thun haben und in dieser Behauptung
vielfache Zustimmung fand. So von Rauber, Kollmann,
Waldeyer u. A. Der Augenschein spricht gegen die Annahme
von His und für die Annahme von Remak, wie insbesondere
Kolli k er eindringlich hervorhob.* Kann man zweifeln,
dass die mächtige Zellenmasse, welche augenscheinlich aus
den Urwirbeln hervorkommt und die Chorda und das ganze
Medullarrohr umhüllt, auch die Anlage für die Wirbelkörper
und Wirbelbogen enthält? Der Augenschein spricht dafür, aber
kann derselbe nicht trügen? Wissen wir nicht jetzt von einem
segmentalen Organe, das Remak aus den Urwirbeln ableitete
und das frühzeitig als eine mächtige Zellenmasse zur Seite des
Medullarrohres liegt, von dem Spinalganglion, dass es, wie His
zuerst zeigte, ganz oben an der Schlusslinie des Medullarrohres
seine Entstehung nimmt und rasch grösser werdend sich in den
Bereich der Urwirbel schiebt? Könnte nicht der Zusammenhang
' Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, Bd. XL, S. 201.
238 V. V. Ebner,
des Wirbelblastemes mit den Urwirbeln auch ein secundärer
sein und das, was aus den Urwirbeln nachweislich herauswächst,
eine ganz andere Bestimmung haben? (Gefässmuskulatur etc.
nach His). In der That, man sucht vergeblich nach einer strikten
Widerlegung der Annahme von His, dass die gesammten Binde-
substanzen, also auch das Wirbelblastem mit den Gefäss-
endothelröhren von der Peripherie in den Embryo hinein gelange,
so sehr der Augenschein an Schnitten dagegen zu sprechen
scheint. Denn wenn Verschiebungen und diffuse Durch-
wachsungen heterogener Anlagen erfolgen, so können solche
Vorgänge mehr weniger vollständig der Beobachtung am todten
Objecte sich entziehen, trotz bester Conservirung mit fixirten
Mitosen und trotz vollständiger Schnittserien. Man wende nicht
ein, die amöboiden Zellen seien »Allerweltszellen«, die überall,
wo man sie einer Hypothese zuliebe brauche, zu Hih'e gerufen
werden. Die Thatsache der activen Ortsveränderung sich ent-
wickelnder Gewebeelemente steht fest; sie ist mitunter eine für
die Untersuchung höchst unbequeme Thatsache, mit der man
aber rechnen muss. Es gibt zweifellos entwicklungsgeschicht-
liche Vorgänge, bei welchen Blutgefässe secundär in bereits
bestehende Gewebeanlagen hinein wachsen (Retina, Central-
nervensystem) ; aber auch solche Fälle, die kaum eine andere
Deutung zulassen als die, dass mit den Blutgefässen auch Ge-
webeanlagen in ein bereits bestehendes Organ hineingelangen.
Hieher rechne ich zum Beispiel das Auftreten von Mark-
gewebe im Innern der Knorpel bei der endochondralen Ossifi-
cation, da das einzige zellige Element, von welchem man in
loco das Markgewebe entstehen lassen könnte — nämlich die
Knorpelzellen der sich eröffnenden Markhöhlen — wohl Zeichen
des Zerfalles, des Kernschwundes u. s. w., nicht aber Ver-
mehrungserscheinungen zeigen.
Angesichts einer solchen Sachlage glaubte ich im Jahre
1888 zwar immer noch an der alten Lehre von der Bedeutung
der Urwirbel für die Skeletbildung festhalten zu müssen;
war mir aber klar, dass mit den gegenwärtig zu Gebote
stehenden Untersuchungsmethoden höchstens ein Wahr-
scheinlichkeitsbeweis, keineswegs ein exact sicherer Nachweis
der Abstammung der Wirbel aus den Urwirbeln geliefert
Wirbel und Urwirbel. 239
werden könne. Nichts konnte mir ferner liegen, als etwa
die Vorstellung, genau die Zellenmasse umgrenzen zu wollen,
aus welcher das Wirbelskelet hervorgehe, oder gar die Meinung
zu hegen, es gingen aus den Urwirbelkernmassen R e m ak's oder
(wie sie jetzt von Hatschek* und Rabl * genannt werden) aus
den Skierotomen nur die Wirbel hervor. Die Auffindung der
Intervertebralspalte schien mir in erster Linie desshalb von
Interesse, weil sich der Nachweis erbringen Hess, dass diese
Spalte bis zum Beginne der Gliederung der knorpeligen Wirbel
zu sehen ist und zu dieser Zeit mit ihrem nahe an die Chorda
reichenden Ende der Grenze zweier Wirbelkörper entspricht.
Dies schien mir weiter mit Rücksicht auf die Thatsache, dass
die Intervertebralspalten aus den Urwirbeln her\^orgehen und
in einer bestimmten Zeit mit den Urwirbelhöhlen zusammen-
hängen, ohne in irgend einer directen Beziehung zu Blut-
gefässen zu stehen, nur durch die Annahme begreiflich» dass
in der That die Intervertebralspalte die Wirbelsegmentirung
einleite. Es Hess sich feststellen, dass die durch die Interverte-
bralspalte halbirten Urwirbelkernmassen mit den nächst vorderen
und nächst hinteren Hälften der benachbarten Urwirbelkern-
massen verwachsen und dadurch zu den Myomeren alternirend
gestellte Metameren bilden, welche der Wirbelsegmentirung ent-
sprechen. Es fiel mir aber niemals ein, mir vorzustellen, dass jener
Theil der Urwirbel, aus welchem die Wirbel hervorgehen, aus-
schliesslich nur für diese das Bildungsmaterial enthalte. Wenn
ich die Intervertebralspalte speciell nur im Bereiche der Wirbel-
körperanlage genauer verfolgte und ihr endliches Verschwinden
im Intervertebralknorpel beschrieb, so geschah dies aus dem
Grunde, weil nur im Bereiche der Wirbelkörper die reine Knorpel-
entwicklung und Segmentirung zu verfolgen war, während im
Bereiche der Bogen, Querfortsätze und Rippen auch die Gang-
lien mit ihren Nerven, die Blutgefässe, die Muskeln, die Bänder
und die Verschiebungen und Umformungen aller dieser Theile
in Frage kommen; lauter schwierige Fragen, die für eine Unter-
suchung, deren Resultate in dem Rahmen von 12 Druckseiten
in knapper Form mitgetheilt wurden, zu weit geführt hätten.
* Anatomischer Anzeiger, 1888, S. 654 und 662.
240 V. V. Ebner,
Kurzum, es war nicht meine Absicht, eine Entwickl ungsgeschichte
der Wirbelsäule der Natter zu schreiben, sondern nur zu zeigen,
dass die Intervertebral spalten den späteren Wirbelgrenzen ent-
sprechen, und dass mithin die längs der Spalten liegenden, aus
den Urwirbeln stammenden Zellenmassen, die Wirbelanlage ent-
halten müssen. Ich habe klar und deutlich gesagt, dass meine
ganze Beweisführung in erster Linie gegen die Parablasttheorie
gerichtet sei und war dabei so vorsichtig, nicht mit apodikti-
scher Sicherheit die Möglichkeit in Abrede zu stellen, dass von
anderwärts herkommendes Zellenmaterial an der Wirbelbildung
sich betheilige. Dies geht am besten aus den am Schlüsse
meiner Abhandlung gegebenen Erwägungen hervor, welche mit
den Worten schliessen: »Wenn ich nun trotzdem behaupte, dass
die Urwirbel den wesentlichsten Antheil an der Wirbelbildung
haben, so geschieht dies nicht, weil diese Annahme eben so gut
oder eben so wenig gerechtfertigt ist, als ihr Gegentheil; sondern,
weil ohne diese Annahme die nachweisbare Umgliederung der
Urwirbelkerne zu einer den Wirbelkörpern und deren Bogen
entsprechenden Segmentirung ganz unbegreiflich wäre.« Ich
hätte mich nicht gewundert, wenn von Seite eines Anhängers
der Parablasttheorie Einwendungen gegen meine Schlüsse er-
hoben worden wären. Zu diesen gehört Corning, als Schüler
Prof. Rabl's, natürlich nicht. Er nimmt als selbstverständlich
anj was ich hauptsächlich zu beweisen suchte, nämlich die Ab-
stammung der Wirbel aus den Urwirbeln, und ist daher nicht
geneigt, die Neugliederung des skeletbildenden Theiles der Ur-
wirbel im Zusammenhange mit der Intervertebralspalte aus dem
Gesichtspunkte zu betrachten, aus welchem ich es that, und
sucht daher in meiner Abhandlung Dinge, die zu besprechen
mir ferne lag.
Dies vorausgeschickt, glaube ich nun ohne Schwierigkeit
die nur durch ein Missverstehen dieses Standpunktes möglichen
Einwendungen aufklären zu können.
Zunächst bemerkt Corning:* »Nähme man die Theorie
V. Ebner's als richtig an, so hätte man sich vor Allem mit der
Thatsache auseinanderzusetzen, dass diese Gefässe« (nämlich
1 L. c. p. 615.
Wirbel und Um-irbel. 241
die interprotovertebralen Blutgefässe, welche Corning, der
alten Bezeichnung von Rathke folgend, als Intercostalgefässe
benennt) »durch die Verschmelzung zweier einander zuge-
kehrter Skierotomhälften von zwei Urwirbeln und der daraus
erfolgten Bildung eines bleibenden Wirbels entschieden intra-
vertebral zu liegen kämen, eine Annahme, welche von vorne-
herein als unzulässig erscheint« Mit der Thatsache, dass die
Gefasse intravertebral liegen würden, wenn sie in unmittelbarer
Nähe der Chorda blieben, habe ich mich auf Seite 8 (201) meiner
Abhandlung in sehr einfacher Weise abgefunden, nämlich durch
die Annahme, dass sie infolge der Wachsthumsvorgänge im
VVirbelblasteme seitlich verschoben werden und so aus dem
Bereiche des werdenden Wirbelknorpels kommen. Mag man
übrigens was immer für eine Vorstellung von der Bildung der
Wirbelknorpel haben, so muss man eine Erklärung für die Ent-
fernung der Blutgefässe von der Chorda, der sie anfangs sehr
naheliegen, geben. Dass dies aber speciell mit dem Vorgange
der Neugliederung der Wirbelsäule in meinem Sinne etwas zu
thun haben soll, ist nicht einzusehen. Ferner meint Corning*
»Die Neugliederung der Wirbelsäule ist kein so einfacher V^or-
gang, wie v. Ebner annimmt. Dass die Urwirbelhöhle eine Rolle
dabei spielt, ist sicher, und zwar dadurch, dass sie das Skierotom
in Abschnitte zerlegt, innerhalb welcher die Bildung der Bogen
und Wirbelanlagen vor sich geht. Die Behauptung v. Ebner s,
dass mit einer secundären Gliederung des Skierotoms durch die
Spalten auch schon die Wirbelanlage gegeben sei, ist nicht auf-
recht zu erhalten. Schon die eine Thatsache, dass die Anlagen
der oberen Bogen und die Querfortsatzanlagen zu einer Zeit
vorhanden sind, wo von Wirbelanlagen noch nicht zu reden ist,
genügt, um die v. Ebner*sche Anschauung zu widerlegen. Das
älteste von v. Ebner abgezeichnete Stadium (Fig. 3 seiner Ab-
handlung) zeigt nicht einmal die Anlagen der Querfortsätze.«
Diesen Einwürfen gegenüber muss ich zunächst hervor-
heben, dass mir durchaus nicht klar wurde, warum die angeb-
lich vorauseilende Entstehung der Bogen und Querforsätze im
Vergleiche zu den Wirbelkörpern gegen meine Darstellung der
' L. c. p. 620.
Sitzb. d. mathcm.-naturw. Cl.; CI. Bd. Abth. III. 1 6
242 V. V. Ebner,
Wirbelneugliederung sprechen soll. Bei dieser handelt es sich
um den Nachweis, dass in der That die Intervertebralspalte der
Grenze der Wirbelkörper entspricht. Diesen Nachweis glaube
ich aber geführt zu haben (obwohl ich nicht alle Entwicklungs-
stadien mit Zeichnungen belegte), und zwar mit folgenden
Worten:* »Ist es schon nach den Befunden an dem besprochenen
Entwicklungsstadium kaum zweifelhaft, dass die Interv^ertebral-
spalten mit der Bildung der Zwischenwirbelbänder, beziehungs-
weise Zwischen Wirbelgelenke in Beziehung* stehen, so wird
dies durch die Untersuchung späterer Entwicklungsstadien,
wie sie an demselben Embryo in der vorderen Rumpfregion
und an Schnitten etwas älterer Embryonen zu beobachten sind,
zur Gewissheit. Die Zellen, welche die Spalte begrenzen, ordnen
sich neben der Chorda zu einer dichten Schichte, wodurch die
ohnehin enge Spalte noch mehr verengert und endlich als
solche unsichtbar wird, während nun ein dichterer Gewebe-
streifen an ihre Stelle getreten ist. Vor und hinter dem Streifen
rücken die mehr rundliche Form annehmenden Zellen aus-
einander, und während die Urwirbelgrenzen durch seitliche
Verschiebung der Blutgefässe neben der Chorda verschwinden,
beginnt so die Dififerenzirung der knorpeligen Wirbelkörper,
welche als etwas hellere Gewebemassen ohne scharfe Grenze
in die dunkleren Zwischenwirbelbänder übergehen.«
Diese Beschreibung ist zwar sehr knapp gehalten, aber
durchwegs auf Grund der Untersuchung von Präparaten, und
zwar von solchen, welche bis zur vollendeten Knorpelbildung
und noch weiter reichen, abgefasst. Dass die Intervertebral-
spalte schliesslich in dem dichten Gewebestreifen verschwindet,
in welchem viel später bei der Natter secundär die Gelenkhöhle
auftritt, konnte ich an meinen Präparaten Schritt für Schritt ver-
folgen, und man wird auch finden, dass diese Darstellung mit
den Abbildungen Corning's von Anguis übereinstimmt, welche
die Intervertebralspalte noch zur Zeit des Beginnes der Knorpel-
bildung zeigen, das endliche Verschwinden der Intervertebral-
1 L. c. p. 7 u. 8 (200 u. 206).
2 Das Wort Beziehung ist, wie aus den folgenden Sätzen klar hervorgeht,
nur topographisch gemeint.
Wirbel und Unvirbel. 243
spalte aber nicht mehr zur Anschauung bringen. Corning
nennt das, was ich Intervertebralspalte nenne, Urwirbelspalte
oder Urwirbelhöhle und gebraucht in den Abbildungen nur für
die ältesten Stadien (Fig. 5 und 6 seiner Abhandlung) den Aus-
druck Intervertebralspalte. Im Texte sagt Corning bei Beschrei-
bung dieser Figuren, dass die Intervertebralspalten deutlich
ausgebildet seien und weiter:* »Die Segmentirung der Wirbel-
säule erfolgt durch die Ausbildung der Intervertebralspalten,
welche in Bezug auf ihre Lage den Urwirbelspalten entsprechen.
Ob sie aus letzteren hervorgehen, möchte ich dahingestellt sein
lassen.«
Corning scheint demnach zu glauben, dass das, was er
Intervertebralspalte nennt, bereits die Anlage der Gelenkhöhle
sei. Davon kann aber gar keine Rede sein. Abgesehen davon,
dass, soweit bekannt, niemals eine Gelenkspalte so früh ent-
steht, ist speciell für die Blindschleiche durch die grundlegenden
Untersuchungen Gegenbau r's* längst nachgewiesen, dass in
den Intervertebralknorpeln drei Zoll langer Embryonen, bei
welchen die Wirbel bereits in der Verknöcherung begriffen
sind, noch keine völlig ausgebildeten Gelenkhöhlen vorhanden
sind. Auch bei der Natter bilden sich die Gelenkhöhlen erst
nach Beginn der Wirbelverknöcherung. Wenn Corning daher
nur bezweifelt, dass aus dem, was ich Intervertebralspalte nenne,
direct die Gelenkhöhle hervorgehe, so halte ich es geradezu
für selbstverständlich, dass die Intervertebralspalte total ver-
schwindet und mit der Gelenkhöhle nicht identisch ist. Nur das
lässt sich, meiner Meinung nach, feststellen, dass die Inter-
vertebralspalte im Bereiche der Wirbel dort verschwindet, wo
der Intervertebralknorpel sich ausbildet. (Vergleiche Fig. 1, 3
und 4.) Wenn aber Corning daran denken sollte: 1. eine Ur-
wirbelspalte (= Intervertebralspalte mihi), 2. eine Intervertebral-
spalte (Corning) und 3. eine Gelenkhöhle zu unterscheiden, so
würden bei der Blindschleiche nach einander drei Spaltbil-
dungen sich finden, von welchen die beiden ersten rasch nach
einander an derselben Stelle auftreten und wieder verschwinden,
1 L. c. p. 620.
* Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule bei
Amphibien und Reptilien. Leipzig, 1862, S. 42.
16*
244 V. V. Ebner,
während erst die spät auftretende dritte Spalte, die Gelenkhöhle,
einen bleibenden Bestand hätte. Es ist aber ganz und gar un-
gerechtfertigt, wenn Carning eine Spalte, die offenbar ein und-
dasselbe ist, zuerst als Urwirbelspalte * und dann später als
Intervertebralspalte bezeichnet, da seine Befunde keinerlei An-
haltspunkte für eine solche Unterscheidung ergeben, ganz ab-
gesehen von der Verwirrung, die Corning damit anrichtet,
däss er dem von mir zuerst und in einem genau definirten
Sinne gebrauchten Ausdrucke »Intervertebralspalte« einen
anderen Sinn beilegt, als ich. Selbstverständlich werde ich den
Ausdruck Intervertebralspalte stets in meinem Sinne (= Ur-
wirbelspalte Corning) anwenden.
Wenn ich nun nachgewiesen zu haben glaube, dass
die thatsächlichen Befunde Comings bei Blindschleichen-
embryonen eine Bestätigung meiner Darstellung der Neu-
gliederung der Wirbelsäule sind und dass die erhobenen Ein-
wendungen auf Alissverständnissen beruhen, so möchte ich
doch noch auch auf einige, die Entwicklung der Wirbelsäule
betreffende Punkte eingehen, die in meiner ersten Abhandlung
ganz bei Seite gelassen wurden, weil sie mit der Hauptfrage
nichts zu thun haben, die aber von Corning in den Vorder-
grund gestellt werden.
Bei aller Anerkennung der Bedeutung phylogenetischer
Gesichtspunkte muss man es doch beklagen, wenn dieselben
in der Darstellung ontogenetischer Vorgänge zu Zwangs-
vorstellungen werden, welche eine unbefangene Deutung der
Befunde beeinträchtigen. Wenn man Corning's Schilderung
liest, möchte man glauben, dass die Chorda und die Wirbel-
säule der Blindschleiche bei der Entwicklung alle Stadien
durchläuft, die als bleibende Zustände von den Acraniern
herauf durch die Cyclostomen, Selachier etc. repräsentirt sind.
Zuerst entsteht die cuticulare Chordascheide, unter welcher ein
Chordaepithel liegt, dann entsteht vom Sclerotom aus eine
äussere Chordascheide, es treten hierauf als erste Anlagen des
eigentlichen Achsenskeletes die oberen Bogen und Querfort-
^ Es möge hier auch bemerkt sein, dass von anderen Autoren, z. B. von
Froriep, mit dem Namen Urwirbelspalt die Spalte zwischen zwei Urwirbeln
bezeichnet wurde.
Wirbel und Urwirbel. 243
Sätze auf, die dann gegen die äussere Chordascheide sich mit
breiterer Basis anlegen und so die Anlagen der Wirbel
bilden u. s. w. Dieses Schema trifft nun bei den Nattern onto-
genetisch durchaus nicht zu, und so weit man nach den Ab^
bildungen Comings urtheilen kann, auch nicht bei den Blind-
schleichen. Zunächst ist es eher verwirrend, als treffend, bei
den genannten Reptilien von einer äusseren Chordascheide zu
sprechen. Man kann allenfalls als solche die schmale Gevvebe-
schichte, welche die sehr dünne cuticulare Chordascheide umgibt,
bezeichnen, in welche die Intervertebralspalten nicht hinein-
reichen und die daher anfänglich ungegliedert ist. Allein histo-
logisch und histogenetisch zeigt diese Schichte nichts Beson-
deres, da die Zellen derselben weiterhin sämmtlich bis ganz
an die cuticulare Chordascheide heran in Knorpelzellen sich
umwandeln. Ferner sehe ich bei den Nattern niemals ein
Chordaepithel, das heisst eine besondere Zellenschicht, die,
unmittelbar unter der Cuticula gelegen, sich von den central
gelegenen Chordazellen durch eine eigenthümliche Beschaffen-
heit auszeichnen würde. Die Zellen erleiden vielmehr sehr bald
bis an die Cuticula allesammt dieselbe Umwandlung in bläschen-
artige Gebilde.
Ferner halte ich es für unrichtig, dass die oberen
Bogen früher entstehen sollen als die Wirbelkörper. Bestimmt
unrichtig ist die Angabe wenn es sich um das erste Auftreten
des deutlich als solchen erkennbaren Knorpels handelt; zweifel-
haft könnte die Frage beantwortet werden, wenn es sich um
die erste Anlage handelt, weil der Begriff »Anlage« in diesem
Falle nicht leicht scharf zu fassen ist. Der deutlich ausgebildete
Knorpel ist in den oberen Bogen, in den Querfortsätzen und
Rippen und in den Wirbelkörpern wesentlich überall von der-
selben Beschaffenheit. Es ist ein aus grossen rundlichen Zellen
bestehender Knorpel, der nur sehr wenig Grundsubstanz ent-
hält, welche sozusagen aus einfachen Knorpelkapseln zu be-
stehen scheint. (Vergl. Fig. 3 WK u. Fig. 5.) Eine andere
Beschaffenheit hat am ausgebildeten knorpeligen Skelet nur
das Perichondrium, die fortwachsenden Knorpelenden (z. B. an
den Rippen) und die Stellen, welche später Gelenkflächen
bilden, was insbesondere von den Intervertebralknorpeln gilt.
246 V. V. Ebner,
Dort geht der grosszellige Knorpel allmälig in einen kleinzelligen
über und die Stelle, welche topographisch der späteren Gelenk-
höhle entspricht, besteht noch zur Zeit, wo die Ossification
beginnt, aus dicht aneinander gedrängten Zellen, weil hier
offenbar noch das Längenwachsthum des Knorpels fortdauert.
Wenn ich nun den Ort aufsuche, wo der erste deutliche gross-
zellige Knorpel auftritt, so finde ich als solchen den Wirbel-
körper, und zwar zwei bilateral symmetrisch zur Seite der
Chorda gelegene, der Mitte des Wirbelkörpers (in cranio-
caudaler Richtung gerechnet) entsprechende Stellen. Von dieser
Thatsache habe ich mich an zahlreichen Präparaten verschie-
dener Embryonen, insbesondere aber durch wiederholte Durch-
sicht einer geordneten Schnittserie eines Natternembryo über-
zeugt, welcher im vordersten Rumpftheile bereits vollkommen
knorpelige Wirbelkörper und Bogen zeigt, während am Schwänz-
ende noch keine Spur von Knorpelbildung zu sehen ist. Dieser
Befund stimmt mit dem, was durch die sorgfältigen Unter-
suchungen Froriep's* über die Wirbelbildung bei Säugethier-
embryonen bekannt ist, überein. Auch bei den Säugethieren
(Rindsembryonen) treten die ersten, als solche zweifellos er-
kennbaren Knorpelzellen bilateral symmetrisch im Wirbelkörper
neben der Chorda auf. Was das weitere Auftreten der Knorpel-
zellen anlangt, so finde ich, ebenfalls wesentlich in Überein-
stimmung mit Froriep's Befunden bei Rindsembryonen, die
Verknorpelung des Wirbelkörpers bei Natternembryone;i rings
um die Chorda herum fortschreiten und auf die Querfortsätze
und die Ursprungsstellen der oberen Bogen sich fortsetzen.
Während dies geschieht, tritt aber ein neuer, selbständiger
Knorpelpunkt an dem dortselbst noch nicht geschlossenen
Bogen zur Seite des Rückenmarkes auf, von welchem aus die
Verknorpelung rasch fortschreitet. Um diese Zeit beginnt auch
die Verknorpelung der Rippen. Ohne in weitere histogenetische
Einzelheiten der Knorpelbildung einzugehen, muss ich jedoch
eine Thatsache, welche mir für die folgenden Betrachtungen
von Wichtigkeit zu sein scheint, noch hervorheben, nämlich
1 Zur Entwicklungsgeschichte der Wirbelsäule. Arch. f. Anat. u. Physiol.
Anat. Abth. 1886.
Wirbel und Urwirbel. 247
die Thatsache, dass dort, wo am Wirbelkörper die ersten
Knorpelzellhaufen sichtbar werden, niemals ein Gewebe von
kleinen^ dicht gedrängten Zellen zu sehen ist; es geht vielmehr
ein von vorneherein durch relativ viel formlose Grundsubstanz
ausgezeichnetes, helles Mesoblastgewebe direct in Knorpel
über. Dieses helle Gewebe von relativ locker geordneten Zellen
schliesst sich durch allmäligen räumlichen Übergang an das
dichte Gewebe der Intervertebralregion, welches an den dich-
testen Stellen an Schnitten wie ein Streifen aneinandergepresster
Kerne sich ausnimmt (Fig. 3.)
Steht es nach dem Vorhergehenden fest, dass, im Gegen-
satze zu dem phylogenetischen Schema, bei den Schlangen, in
Übereinstimmung mit den Säugern, die knorpeligen Wirbel-
körper früher auftreten, als die knorpeligen Bogen, so könnte
man sagen, die Verknorpelung ist nicht das Wesentliche, sondern
die erste Anlage, und was diese betrifft, so ist die Anlage der
Bogen das Frühere. Das ist nun eine sehr schwierige Frage, die
sich meiner Meinung nach gegenwärtig gar nicht beantworten
lässt Froriep* hat in seinen sorgfältigen Untersuchungen zur
Entwicklungsgeschichte der Wirbelsäule einen Streifen dichter
gedrängter Zellen, welcher medial unter der Chorda im Bereiche
der späteren Zwischenwirbelbänder gelegen ist und lateral im
Muskelseptum sich verliert, bei vier Tage alten Hühnerembryo-
nen und bei 8 — 9 mm langen Rindsembryonen beschrieben.
Frühere Stadien der Wirbelsäulenentwicklung hat Froriep
nicht untersucht, da seine Arbeit wesentlich die eigenthümlichen
Entwicklungsvorgänge desAxenskeletes im Bereiche des Hinter-
hauptes und der Drehwirbel im Auge hatte. Die Deutung,
welche Froriep diesen Zellenstreifen als Bogenanlage mit
hypochordaler Spange gegeben hat, ist begreiflich mit Rücksicht
auf den Umstand, dass Froriep nichts von der Intervertebral-
spalte wusste. Immerhin muss es in Froriep's Darstellung auf-
fallen, dass der Bogen ursprünglich im Bereiche der Wirbelkörper
eine intervertebrale und zugleich hypochordale Lage haben
soll. Ich fasse diesen Zellenstreifen in erster Linie als entstanden
durch eine dichtere Lagerung der Zellen längs der Inter-
1 Arch. f. Anat. u. Physiol., 1883 u. 1886.
248 V. V. Ebner,
vertebralspalte, insbesondere längs des caudalen Randes der-
selben, auf. Der Zellenstreifen hinter der Intervertebralspalte
setzt sich lateral in relativ so vorgeschrittenen Stadien direct
in eine dichter gedrängte Zellenmasse fort, welche caudal ab-
biegend, in ein Myoseptum eindringt, und so entsteht der Ein-
druck, als ob das Ganze ein einheitlicher Zellenstreif sei.
(Fig. 1 u. 2, V.) Ob er dies auch wirklich ist, kann nicht mit
Sicherheit festgestellt werden. Im Bereiche der Chorda sieht
man zu beiden Seiten derselben, wie aus den Abbildungen
Corning's und meinen Präparaten hervorgeht (Fig. 1), eine
dichtere Zellenanhäufung vor und hinter der Intervertebral-
spalte; lateral liegt die dichte Zellenanhäufung zunächst hinter
der Intervertebralspalte; im Bereiche der Muskelplatten biegt
sie aber dann caudalwärts ab und schiebt sich, der Lage nach
einem Myoseptum entsprechend, zwischen die Muskelanlagen.
Vergleicht man frühere Stadien, wie ich sie in Figur 1 und 2
meiner ersten Abhandlung abgebildet habe, so findet man
diesen Streifen noch nicht. Doch scheint es naturgemäss, dass
derselbe längs der Intervertebralspalte aus den dort befind-
lichen Zellen hervorgehe; was aber die Zellenmasse anbelangt,
die dem Myoseptum angehört, so ist nicht zu entscheiden,
wie weit die interprotovertebralen Blutgefässe an der Bildung
derselben betheiligt sind; doch ist ja wahrscheinlich, dass die
Verwachsungsstelle der Urwirbelkernhälften lateral vorwach-
send im Anschlüsse an die längs der Intervertebralspalte ge-
bildete Zellmasse zwischen die Muskelplatten eindringe.Froriep
hat diese Zellenstreifen als primitive Wirbelbogen bezeichnet,
Corning betrachtet sie als die Anlagen der oberen Bogen. Ich
halte es aber nicht für gerechtfertigt, so bestimmte Ausdrücke
zu gebrauchen und kann höchstens zugeben, dass diese Streifen
theilweise mit den Rippen und Querfortsätzen in topographi-
scher Beziehung stehen. Die Gründe hiefür sollen im Folgenden
dargelegt werden.
Zunächst möchte ich daran erinnern, dass am ausgebil-
deten Skelete die oberen Bogen der Ringelnattern und Blind-
schleichen dachartige Stücke sind, welche in ihrer Längen-
ausdehnung den Wirbelkörpern wenig nachgeben, während
die Querfortsätze kurze Stäbe (Natter) oder Höcker (Blind-
Wirbel und Urwirbel. 249
schleiche) darstellen, welche mehr vom cranialen Ende der
Wirbelkörper, als vom Neuralbogen abgehen und mittelst eines
Gelenkhöckers mit den Rippen articuliren, welche letzteren, der
Richtung nach, die directen Fortsetzungen der Querfortsätze sind.
(Fig. 3, 4 u. 5.) Wenn man nun an Frontalschnitten durch die
Chorda von Embryonen, an welchen eine Wirbelsegmentirung
durch die Intervertebralspalte zu sehen ist, vom cranialen Ende
des Wirbels einen dichten, aber relativ schmalen Gewebestreifen
transversal und dann schwanzwärts in die Muskelsepten ein-
dringen sieht, so ist wohl zunächst kein Grund vorhanden,
diesen Streifen als »Anlage der Querfortsätze, respective der
oberen Bogen« zu bezeichnen. Ich dächte, dass man die oberen
Bogen knapp am Wirbelkörper und weiter hinauf in Frontal-
schnitten, welche die ventrale Seite des Rückenmarkes treffen,
zur Seite des letzteren suchen müsste. In dieser Gegend ist
aber eine besondere Differenzirung im Mesoblastgewebe noch
zu der Zeit nicht zu bemerken, wo bereits bilateral im Wirbel-
körper die ersten Knorpelzellen auftreten. Zur Seite des Rücken-
markes kann ich um diese Zeit eine Abgrenzung der Bogen
gegen die Rückenmarkshäute etc. noch nicht erkennen, wohl
aber sieht man an der Dorsalseite des Wirbelkörpers die erste
Spur der Bogen, das Rückenmark unten umgreifend, sich er-
heben. Wenn die von Corning als »Anlagen der Querfort-
sätze und Bogen« bezeichneten Streifen die Neuralbogen
liefern sollten, so müssten höchst merkwürdige Verschiebungen
dieser Anlagen auftreten. Thatsächlich nachweisen lässt sich
nur, dass der Gegend dieser Streifen entsprechend, später
Querfortsätze und Rippen entstehen, jedoch, wie ich immer
wieder betonen muss, bedeutend später, als die knorpeligen
Wirbelkörper. Was die Neuralbogen anbelangt, so glaube ich
dass die ersten selbständig entstehenden Knorpelkerne eben so
direct in einem relativ lockeren Mesoblastgewebe auftreten,
wie die ersten Knorpelkerne in den Wirbelkörpern und dass
dem entsprechend anfänglich auch zwischen die Knorpelkerne
des Bogens und des Körpers kleinzelliges Gewebe sich ein-
schiebt, wie es in den Wirbelkörpern gegen die IntervertebraU
knorpel hin auftritt. Es spricht nichts dafür, dass die Bogen
aus der Verschiebung einer entfernt liegenden Zellenmasse
250 V. V. Ebner,
ihren Ursprung nehmen, sondern im Gegentheile alles dafür,
dass sie in loco entstehen. Sobald die oberen Bogen und die
Querfortsätze als solche erkennbar sind, bilden sie mit den
VVirbelkörpern ein einziges zusammenhängendes Stück. Dass
dann die Bogenknorpel dorsalwärts fortwachsend erst spätei
sich über dem Rückenmarke schliessen, ist eine bekannte
Thatsache, die sicher und leicht zu constatiren ist
Wenn man diese Thatsachen ohne Voreingenommenheit
ansieht, wird man kaum zur Behauptung gelangen, dass die
Bogen der Wirbel früher entstehen, als die Wirbelkörper. Der
in Rede stehende Streifen ist vor dem Auftreten der Wirbel-
körperverknorpelung nur segmental im Frontalschnitte deutlich
zu sehen; schon knapp über der Chorda ist er nur mehr
durch die Intervertebralspalte markirt, hinter welcher eine
dichtere Zellenlage vorhanden ist, die sich ohne jede schärfere
Abgrenzung in das lockere, die Blutgefässe und Nerven um-
hüllende Mesoblastgewebe verliert. (Vergl. Fig. 2.) Nur zwischen
den Muskeln ist auch hier noch eine dicht gedrängte Zellenlage.
Ventralwärts unterhalb der Chorda verliert sich der Streifen
ebenfalls ganz unmerklich und an Querschnitten ist derselbe
desshalb schwer aufzufinden.
Wenn also die der Wirbelkörperanlage vorauseilende
Anlage der oberen Bogen darin besteht, dass man nur ganz
im Allgemeinen sagen kann, es zieht ein diffusbegrenzter Streifen
dichterer Zellen aus den Muskelsepten gegen das Cranialende
der Wirbelkörperanlage hin, der auch die Anlage der Quer-
fortsätze und Rippen enthält, so ist das höchst unbestimmt.
Was soll man aus einer Anlage eines Skeletstückes machen,
die nach keiner Richtung des Raumes eine Abgrenzung hat?
Die Wirbelkörperanlage ist um diese Zeit allerdings auch
noch nicht allseitig abgegrenzt, sie wird es ja auch nie, da die
oberen Bogen mit ihren Gelenkfortsätzen und die Querfortsätze
ontogenetisch niemals als ganz selbständige Knorpelstücke er-
scheinen; aber man kann um diese Zeit bereits das craniale und
caudale Ende des Wirbelkörpers unterscheiden (Fig. 1 und 2), man
kann ferner an derDorsalseitedes Wirbelkörpers früher,als imBe-
reiche des oberen Bogens, die gefässhaltigen Rückenmarkshäute
von der Wirbelanlage sich sondern sehen und noch früher als
Wirbel und Urwirbel. 251
dieses, an der ventralen Seite des Wirbels eine dichtere Schicht
transversal verlängerter Zellen, welche weiterhin zum Perichon-
driumwird. Man kann daher nicht behaupten,die Anlagen derBo-
gen seien früher da, als die Anlagen der Wirbel; es sei denn, dass
man unter Anlagen der Bogen ganz im Allgemeinen die cranio-
caudalen Verwachsungsstellen der Urwirbel (Myosepten und
deren hinter den Intervertebralspalten gelegene, nach den
Wirbelanlagen hin gerichtete Fortsetzungen) verstehen will, in
welchen das septale Skelet im Sinne Hatschek*s* (obere und
untere Bogen sammt den verschiedenen Formen von Querfort-
sätzen und Rippen) seine Entstehung nimmt. Diese Verwach-
sungen sind phylogenetisch und ontogenetisch früher da, als
die Sonderung der Wirbel; als erkennbare Anlagen von Skelet-
stücken treten aber die Wirbelkörper bei den Schlangen und
wohl bei allen Amnioten früher auf, als irgend ein dem Bogen-
system angehöriger Theil und es hat ungefähr ebensoviel Be-
rechtigung, die besprochenen Streifen als Anlagen der oberen
Bogen und Rippen zu bezeichnen, als etwa die Behauptung, die
Primitivrinne sei die Anlage des Medullarrohres. Es scheint mir
unmöglich, einen Zellenstreifen als primitiven Wirbelbogen zu
bezeichnen, der im Bereiche des Wirbelkörpers später theilweise
dem Intervertebralknorpel entspricht, hypochordal zu keiner
bleibenden Bildung in nachweisbarer Beziehung steht,* theil-
weise vielleicht lateral mit den Querfortsätzen, Rippen und
Bandapparaten, auf keinen Fall aber mit den oberen Bogen
topographisch in Beziehung gebracht werden kann.
Man wird bis auf Weiteres gut thun, die Wirbelgliederung
der Amnioten nicht gewaltsam in ein falsch verstandenes phylo-
genetisches Schema zu zwängen, das ontogenetisch nicht sicht-
bar wird. Auch dürfte es sich empfehlen, dem fraglichen »pri-
mitiven Wirbelbogen« einen weniger präjudicirlichen Namen
zu geben. Ich möchte diesen segmentalen Zellenstreifen wegen
seiner Lage längs der Intervertebralspalte und seiner Fort-
setzung in das Myoseptum als Vertebralstreifen bezeichnen. Zu
1 Vcrhandl. der anatom. Gesellsch. 1889, S. 113.
' Ich sehe hier vom vorderen Bogen des Atlas ab, der nach Froriep als
einziger bleibender Skelettheil bei Säugern aus der allen Wirbelanlagen zu-
kommenden »hypochordalen Bogenspange« hervorgeht.
232 V. V. Ebner,
welchen Unklarheiten es. führt, wenn man eine Unterscheidung
segmentaler Skeletstücke vor dem Auftreten von Knorpelzellen
durchführen will, wurde von Hasse und Born^ schon vor
13 Jahren auseinandergesetzt; doch leider — wie man sieht —
ohne Erfolg.
Bezüglich des Verhaltens der Chorda stimmen, meine Be-
funde an den Natternembryonen mit den Anschauungen Cor-
nings ebenfalls nicht überein. In seiner Fig. 3 bildet Corning
Chprdaanschwellungen ab, welche im Stadium des Beginnens
der Wirbeldifferenzirung zu sehen sind. Die Einschnürungen
liegen in der Zeichnung in gleicher Höhe mit den Myotom-
grenzen und den Blutgefässen, also interprotovertebral. Im
Texte sagt Corning: *Die Einschnürungen entsprechen der
Lagerung der Intercostalgefässe, sind infolgedessen interverte-
bral, wie es auch den Zuständen beim erwachsenen Thiere ent-
spricht.« Zeichnung und Text sind also in offenbarem Widei-
spruche. Was ist nun das Richtige.^ Ich glaube die Zeichnung,
da ich ähnliche Bilder auch von Natternembryonen kenne.
Dort, wo Corning mir den wunderlichen Einwurf macht, dass
nach meiner Darstellung der Wirbelgliederung intravertebrale
Blutgefässe entstehen müssten, versichert derselbe, dass das
was ich als »interprotovertebrale Blutgefässe« bezeichne, »ein-
fach die ersten Anlagen der Intercostalarterien« seien. Aber es
ist doch nothwendig, sich gegenwärtig zu halten, dass die ersten-
metameren Blutgefässe des Rumpfes und Schwanzes, mag man
sie nun Intercostalgefässe nennen oder nicht, zwischen den Ur-
wirbeln und nicht zwischen den Wirbeln liegen. Erst später
rücken diese Gefässe in caudaler Richtung an die Ganglien,
welche letztere primär knapp vor den Intervertebralspalten
gelegen sind, heran und werden dadurch intervertebral.
Es ist um so unbegreiflicher, dass Corning bezüglich der
Lage der primitiven Chordaeinschnürungen mit Hilfe seiner * Inter-.
costalgefässe« eine solche Confusion anrichtet, als in seiner
Zeichnung ganz deutlich die stärkste Convexität der Chorda-
anschwellungen mit den Intervertebralspalten zusammenfällt.
Es kann also kein Zweifel sein, dass Corning's primitive
t Zoolog. Anzeiger 1879, S. 81
Wirbel und Unvirbel. 253
Chordaeinschnürungen bei Anguis nicht wie beim erwachsenen
Thiere intervertebral, sondern vertebral gelagert sind.
Die bleibende intervertebrale Chordaeinschnürung ent-
wickelt sich bei den in Rede stehenden Reptilien erst secundär
im Zusammenhange mit der Ausbildung des Gelenkkopfes und
der Pfanne. Die primitiven Chordaeinschnürungen, die niemals
sehr ausgesprochen sind, gleichen sich später bei der Natter
und offenbar auch bei der Blindschleiche, wie aus den Abbil-
dungen Corning's zu entnehmen ist, nahezu aus, oder werden
streckenweise auch zahlreicher, als die Wirbelsegmente und
liegen dann theilweise intervertebral. (Vergl. Fig. 3 und 1.) Die
definitiven unzweifelhaften Chordaeinschnürungen entstehen
wie Gegenbaur* v^or 30 Jahren nachwies, in der Weise, dass
insbesondere im Bereiche des Gelenkkopfes die Chorda durch
die wachsende Knorpelmasse von der Seite her förmlich zu-
sammengepresst wird, bis sich die gegenüberliegenden Wände
der Chordascheide nahezu berühren, während in sagittaler Rich-
tung der ursprüngliche Chordadurchmesser sich wenig ändert,
wie an Querschnitten leicht zu sehen ist (Fig. 5). Insbesondere
bei der Blindschleiche gehört die Chordaeinschnürung fast nur
dem Gelenkkopfe an, sie liegt also grösstentheils im caudalen
Wirbeltheile (Fig. 4). Im Bereiche der vorderen Gelenkfläche
des Wirbelkörpers erscheint die Chordanur durch einen schmalen
Wulst des Gelenksknorpels eingeschnürt (Fig. 4 pf.) und knapp
unter der Gelenkpfanne erweitert sich die Chorda sofort zum
Maximum ihres Durchmessers (Fig. 4, cha). Das Alles ist aber
erst bei jungen Blindschleichen von etwa 9 — 10 Centimeter
Länge deutlich zu sehen; bei einem circa 6 Centimeter langen
Embryo, bei welchem zwar bereits die perichondraleOssification
begonnen hat, aber endochondral noch keine Knochenbildung*
im Wirbelkörper zu bemerken ist, zeigt die Chorda noch überall
einen kreisrunden Querschnitt und keine merklichen Einschnü-
rungen. Es ist nach diesen Befunden gar nicht daran zu denken,
die primitiven Chordaeinschnürungen mit den bleibenden in
eine Beziehung zu bringen.
J Lc.
254 V. V. Ebner,
Während ich im Vorhergehenden meine Ansichten über
Wirbeientvvicklung nicht so sehr gegen sachliche Einwen-
dungen zu vertheidigen, als schwer begreiflichen Missverständ-
nissen gegenüber zu erklären hatte — es hätte nur noch ge-
fehlt, dass Corning gefunden hätte, nach meiner Darstellung
müssten die Ganglien intravertebral liegen — muss ich im
Folgenden mich mit einer Arbeit auseinandersetzen, in welcher
ich über kein Missverständniss mich zu beklagen habe, die aber
sachlich mit meinen Anschauungen in Widerspruch steht Ich
meine die Arbeit von J. Kollmann* über die Rumpfsegmente
menschlicher Embryonen von 13 bis 35 Urwirbeln.
Kollmann verlässt seine ältere Ansicht, der zufolge er
mit His eine Entstehung der gesammten Bindesubstanz, also
auch der Wirbelsäule, von der Peripherie des Keimes her an-
nahm, insoferne, als er jetzt die Wirbelsäule aus den Urwirbeln
hervorgehen lässt Er bestätigt die Existenz der von mir als
Intervertebralspal te bezeichneten Bildung auch für den Menschen ;
betrachtet dieselbe aber als die Anlage einer Rinne, welche zur
Aufnahme der Intercostalarterien, Nerven u. s. w. bestimmt sei
und einem Myoseptum im Sinne Hatschek*s entspreche.
Schliesslich soll aus der Intervertebralspalte das Foramen inter-
vertebrale hervorgehen.
Den von mir behaupteten Zusammenhang der Interverte-
bralspalte mit der Neugliederung der Wirbelsäule nimmt Koll-
mann nicht an und er stellt sich auf den Standpunkt, dass die
alternirende Metamerie der Muskeln und Wirbel wesentlich auf
einer Verschiebung der Bogen der Wirbel beruhe. Es gebe
demgemäss keine Neugliederung der Wirbelsäule im Sinne
Remak's, in dem jeder Urwirbel ein Myotom und einen Wirbel
•sammt Bogen etc. aus sich hervorgehen lasse, Kollmann beruft
sich hiebei auf die Untersuchungen Froriep's.*
Bei diesen Darlegungen KoUmann's vermisse ich vor
Allem einen genaueren Nachweis über das Schicksal der Inter-
vertebralspalte im Bereiche des Wirbelkörpers. Dass die Spinal-
ganglien und Nerven etc. in die Intervertebralspalte zu liegen
1 Arch. f. Anat. u. Physiol., 1891
2 L. c.
Wirbel und Urvvirbel. 255
kämen, muss ich mindestens bezweifeln. Die Ganglien liegen
zwar schon primär knapp vor der Spalte, die Gefässe und Nerven
rücken secundär an dieselbe heran, aber so lange die Spalte
sichtbar ist, sind alle diese Gebilde durch eine deutliche, wenn
auch dünne Schicht von Mesodermzellen von derselben getrennt.
Später verschwindet die Intervertebralspalte überhaupt voll-
ständig, sowohl im Bereiche des Wirbelkörpers, als ausserhalb
desselben. Das Foramen intervertebrale als solches kann daher
auf keinen Fall der Rest der Intervertebralspalte sein, wenn ich
auch gerne zugebe, dass wenigstens der caudale Rand des
ersteren der letzteren topographisch nahezu entsprechen muss.
Auf das Entschiedenste muss ich aber in Abrede stellen,
dassdie Wirbelgliederung mit der Urwirbelgliederungzusammen-
falle und dass daher je ein Sclerotom je einen Wirbel bilde. Diese
Behauptung steht in einem unlösbaren Widerspruche mit der
Thatsache, dass die Intervertebralspalte ursprünglich der Mitte
desUrwirbels in cranio-caudaler Richtung entspricht; später aber
im Bereiche der Wirbel im Intervertebralknorpel verschwindet.
Ich halte es überhaupt für unmöglich, durch die Annahme von
Verschiebungen im Bereiche der Wirbelbogen die alternirende
Metamerie der streng segmentalen Muskeln und der Wirbel zu
erklären, sobald man einmal zugibt, dass aus den Urwirbeln die
Wirbel hervorgehen. Ich glaube dies am besten durch folgende
Ausführimgen klar zu machen.
Als Ausgangspunkt wähle ich ein Schema, wie es that-
sächlich durch die Rumpf- und Schwanzsegmente einer Am-
phibienlarve repräsentirt ist. (Fig. 6). Wir haben hier eine un-
gegliederte, bindegewebige Chordascheide, welche sich in die,
zwischen je zwei Myotomen liegenden Muskelsepten fortsetzt.
Wenn nun angenommen wird, dass je ein Myotom und ein
Skierotom aus einem Urwirbel hervorgehen, so fragt es sich
zunächst, was in diesem Falle das zum Myotom gehörige Skle-
rotom ist Offenbar der ganze bindegewebige Apparat, der zu
einem Myotome gehört, also: 1. das Stück Chordascheide, das
zwischen zwei Muskelsepten liegt und das dem Muskel selbst
angehörige Bindegewebe etc.; 2. — und das ist die Hauptsache
~ je die der Insertion der Muskeln entsprechende Fläche des
Muskelseptums, also für jedes Myotom die caudale Fläche des
256 V. V. Ebner,
nächstvorhergehenden und die craniale Fläche des nächstfol-
genden Septums.
Wollte man die Skierotome anders abgrenzen, so käme
man mit der Annahme in Widerspruch, dass Myotom und Skle-
rotom ursprünglich eine gemeinsame Anlage (Urwirbel) sind. Denn
wollte man etwa zu jedem Myotom nur ein Muskelseptum, ent-
weder das nächst vordere, oder das nächst hintere rechnen,
so hätte man einen functionell unmöglichen Apparat Es hätten
dann die Muskeln eines Myotomes nur an einem Septum eine
Befestigung an dem anderen aber nicht. Diese Schwierigkeit
wird anch nicht durch die Annahme beseitigt, dass die Muskeln*
secundär an ihrer freien Seite festwachsen; denn entwicklungs-
geschichtlich ist das doch nichts anderes, als dass auf die Fläche
des dem Myotom nicht zugehörigen Septums sich nun eine
Schicht Skierotomgewebe anlagert, welche dem Myotom selbst
angehört Denn damit der Muskel eine Insertion findet, muss
sein eigenes Bindegewebe sich mit dem Septum verbinden. Es
ist also dann das Endergebniss wieder, dass jedes Septum ideal
in zwei Lamellen zerfällt, zwischen welchen die Sklerotom-
grenze liegt und der einzige Unterschied wäre der, dass bei der
zweiten Annahme die beiden Septenhälften eine nicht ganz
identische Entstehung und infolgedessen vielleicht eine un-
gleiche Beschaffenheit hätten, für welche Annahme indessen
keine bestimmten Thatsachen sprechen.
Denken wir uns nun, dass aus den häutigen Septen starre
Bogen und aus den häutigen Chordascheiden damit zusammen-
hängend Wirbelgliederungen hervorgehen, so ist damit sofort
die Neugliederung der Wirbelsäule im Sinne Remak's gegeben.
Denn jeder echte Wirbelbogen gehört mit seiner cranialen Seite
dem nächstvorhergehenden, mit seiner caudalen Seite dem
nächstfolgenden Skierotome, beziehungsweise Urwirbel an, und
dasselbe gilt natürlich für einen mit dem Bogen fest verbun-
denen Wirbelkörper, während die intervertebrale Strecke, welche
die Bewegung gestattet, einem und demselben Myotom ange-
hören muss, wenn ein functionell brauchbarer Apparat zu Stande
kommen soll.* Diese ganze Auseinandersetzung ist aber nur
J Ahnliche Betrachtungen machte bereits Balfour: Handb. d. vergl. Em-
bryologie, übers, v. Vetter, Jena, 1881, Bd. II, S. 492.
Wirbel und Uru'irbel. 257
mit anderen Worten die Remak*sche Neugliederung, welche
besagt, dass — nebst anderem — aus jedem Urwirbelkerne der
Kopftheil eines Wirbels nebst Wirbelbogen, ein Zwischenwirbel-
band und der Schwanztheil des nächstvorhergehenden Wirbels
sich entwickle.
Diesem von Remak wohldurchdachten Satze kann man,
wie ich glaube, in keiner Weise beikommen, sobald man ein-
mal zugibt, dass die Wirbel mit ihren Bogen aus denUrwirbeln
stammen. Da hilft kein Schieben und Biegen der Bogen, denn
es ist vollkommen gleichgiltig, in welcher Höhe die Dornfort-
sätze oder Querfortsätze etc. mit ihren Enden liegen. Ein dadurch
erzieltes Zusammenfallen der Muskel- und Wirbelmetamerie
wird immer nur ein scheinbares, nie ein wirkliches sein können.
Man wende gegen die gegebene Darstellung der Entstehung
der Wirbelbogen nicht ein, dass thatsächlich nie ein knorpe-
liger Wirbelbogen aus einer cranialen und caudalen Hälfte zu-
sammenwachse, wie etwa der Brustbeinknorpel aus zwei bila-
teralen Stücken. Denn es ist nicht zu bezweifeln, dass die
cranio - caudale Verwachsung der Urwirbel (= Myotom -+-
Sklerotom) phylogenetisch älter ist, als das Auftreten von knor-
peligen Wirbelbogen, welche erst entstanden sein können, nach-
dem die Myosepten im Sinne Hatschek's schon vorhanden
waren. Dass ich demgemäss auch der Ansicht Kollmann's, als
entspräche dielntervertebralspalte demMyoseptum Hatschek's
mich absolut nicht anschliessen kann, ist selbstverständlich, da
ja das Myoseptum aus der Verwachsung zweier Urwirbel und
nicht aus der Spaltung eines Sklerotomes hervorgeht, wie die
Intervertebralspalte.
So einleuchtend mir die vorhergehenden Betrachtungen zu
sein scheinen, so lege ich doch viel mehr Gewicht auf die that-
sächliche Beobachtung, der zufolge jener Vorgang, welcher dem
Remak'schen Neugliederungsschema entspricht, mit dem Auf-
treten und Wiederverschwinden der Intervertebralspalte im Be-
reiche des Intervertebralknorpels wirklich nachgewiesen werden
kann, ebenso wie die theoretisch als nothwendig erscheinende
Verwachsung der benachbarten Skierotome in cranio-caudaler
Richtung. Die Intervertebralspalte tritt ontogenetisch bei den
Amnioten sehr früh auf und theilt die Unvirbelkerne nahezu
SiUb. d. inathem.-naturw. Cl.; Gl. Bd. Abth. 111. 1 7
^
258 V. V. Ebner,
in zwei symmetrische Hälften. Indessen ist die ungleiche Be-
stimmung der beiden Hälften schon durch die Lage des Spinal-
ganglions gegeben, welches im Bereiche des cranialen Theiles
des UnA'irbels, also vor der Intervertebralspalte gelegen ist. Die
primären Blutgefässe, welche interprotovertebral in der Ver-
wachsungsstelle der Urwirbel liegen, werden secundär nach
hinten gegen die Ganglien verschoben, wobei sie jedoch nicht
in die Intervertebralspalte gelangen. Dadurch wird vor der Spalte
die Region der Zwischenwirbellöcher bestimmt, welche ur-
sprünglich der vorderen Hälfte des Urwirbels, mithin der hin-
teren Hälfte des bleibenden Wirbels entspricht. Sehr schön sind
diese primitiven Lagebeziehungen noch in dem bereits functio-
nirenden Rumpfe und Schwänze junger Tritonlarven zu sehen,
wie aus Fig. 6 ersichtlich ist, in welcher gl die ventralen Enden
der Ganglien gf die an der Basis der Muskelsepten gelegenen
metameren Gefässe bezeichnet.
Ob und wann bei den Anamniem die Intervertebralspalte
sich zeigt, darüber habe ich keine Erfahrungen. Vielleicht ist
ihr Auftreten an die Bedingung geknüpft, dass die Entwicklung
eines gegliederten axialen Knorpelskeletes sofort nach den
ersten Umwandlungen der Urwirbel einsetzt, eine Bedingung,
die allgemein bei den Amnioten zutrifft. Es muss aber auch die
Frage aufgeworfen werden, ob das Auftreten der Intervertebral-
spalte nicht mit der charakteristischen Eigenthümlichkeit der
Wirbel höherer Thiere im Gegensatze zu d^n Wirbeln der Te-
leostier und Selachier, nämlich mit dem Auftreten des Interverte-
bralknorpels im Sinne Gegenbaur's,* zusammenfallt,^
Bevor über das Verhalten der Anamnier, insbesondere der
Selachier bezüglich der Intervertebralspalte Untersuchungen
vorliegen, sind Speculationen über die phylogenetische Bedeu-
tung dieser Bildung wohl als verfrüht zu betrachten.
Schliesslich möchte ich die wesenthchsten Ergebnisse
dieser Arbeit in folgenden Sätzen zusammenfassen.
L Die knorpeligen Wirbelkörper der Schlangen und wohl
aller Amnioten entwickeln sich früher als die knorpeligen
Bogen.
1 L. c. p. 64.
Wirbel und ünvirbel. 259
2. Die sogenannten »primitiven Wirbelbogen« der Am-
nioten sind embryonale Anlagen, die mit keinem bestimmten
Skeletstücke in directe Beziehung gebracht werden können. Es
sind segmentaJe Bildungen, welche eine Vielheit nicht näher be-
stimmbarer, zum septalen Skelete gehöriger Anlagen enthalten
und es ist daher besser, dieselben als Vertebralstreifen zu be-
zeichnen.
Die Urwirbelspalte Corning's ist identisch mit dessen
Intervertebralspalte und beide zusammen entsprechen der Inter-
vertebralspalte, wie sie von mir beschrieben wurde. Die Inter-
vertebralspalte ist aber nicht identisch mit der Gelenkhöhle.
4. Die von Corning bei Blindschleichen beschriebenen
primitiven Chordaeinschnürungen haben keine bleibende Be-
deutung und verschwinden später. Die bleibenden Chordaein-
schnürungen der Schlangen und Blindschleichen entwickeln
sich erst spät mit Beginn der Wirbelverknöcherung und im Zu-
sammenhange mit der Ausbildung von Gelenkkopf und Pfanne.
5. Die Gelenkhöhle tritt ebenfalls erst um diese Zeit auf,
nachdem vorher längst die Intervertebralspalte im Bereiche des
Intervertebralknorpels verschwunden ist.
6. Die Intervertebralspalte verschwindet auch ausserhalb
der Wirbelkörper vollständig; das Foramen intervertebrale
kann daher nicht aus ihr hervorgehen, obwohl dasselbe der
Lage nach in ihr Bereich fallt.
7. Die Intervertebralspalte liegt nicht in einem Myoseptum,
da letzteres der Grenze zweier Urwirbel, erstere aber der cra-
nio-caudalen Mitte eines Urwirbels entspricht.
Tafelerklärung.
Die Figuren 1, 2, 3, 4 und 6 sind sämmtlich so orientirt, dass das
Kopfende der Wirbelsäule nach oben gerichtet ist.
Die Figuren 1, 2, 3 und 6 sind bei 70facher, die Figuren 4 und 5 bei
42facher Vergrösserung gezeichnet.
1*^ »
260 V. V. Ebner, Wirbel und Urviirbel.
Fig. 1. Frontalschnitt in der Höhe der Chorda durch den Rumpf eines Em-
bryo von Tropidonotus natrix im Beginne der Verknorpelung der
Wirbelsäule.
ch Chorda dorsalis mit undeutlichen inter\'ertebralen Einschnürungen,
WK Anlage des Wirbelkörpers, 75 Intervertebralspalte, V Vertebral-
streifen, ^Interprotovertebrale Blutgefässe, iV Spinalnerven, Af Muskeln.
Fig. 2. Schnitt aus derselben Serie wie Fig. 1, aber etwas mehr dorsalwarts.
Vom sind die Rückenmarkshäute angeschnitten, deren Blutgefässe mit
gf bezeichnet sind, zur Seite die Spinalganglien gl. Hinten ist die
Chorda ch noch angeschnitten, am grössten Theil des Schnittes schim-
mert die Chorda durch. Buchstabenbezeichnung im Übrigen wie in
Fig. 1.
Fig. 3. Frontalschnitt in der Höhe der Chorda durch den Rumpf eines älteren
Embryo von Tropidonotus natrix mit bereits verknorpelter Wirbel-
säule. Ch Chorda mit unregelmässigen seichten Einschnürungen. WK
Wirbelkörper, in der Mitte mit grosszelligem Knorpel, der nach rück-
wärts in den dichtzelligen Intervertebralknorpel übergeht, in dessen
.Mitte bereits der Contour des Gelenkkopfes angedeutet ist. Die Inter-
vertebralspalte ist verschwunden, die Gelenkhöhle aber noch nicht
vorhanden. Gl Ganglion intervertebrale, Q Querfortsatz, R Rippe, gf
Blutgefässe, M Muskeln.
Fig. 4. Frontalschnitt in der Höhe der Chorda durch den Rumpf einer 9*5
Centimeter langen Blindschleiche. K Knochen des Wirbelkörpers,
Mr Markraum, Gk Knorpel des Gelenkkopfes, 5 Anlage der Gelenk-
höhle, Pf Kleinzelliger Knorpel der Gelenkpfanne, cha Chordaanschwel-
lung, Che Chordaeinschnürung, chs cuticulare Chordascheide, Q Quer-
fortsatz, R Rippe, M Muskeln, A^ Nerven, gf Blutgefässe.
Fig. 5. Querschnitt durch die Intervertebralregion zweier Rumpfwirbel von
einem Embryo von Coronella laevis, an dessen Wirbelsäule bereits
die Ossification begonnen hat. Schnitt nicht genau symmetrisch; auf
der linken Seite der Zeichnung ist das Inter\'ertebralganglion getroffen.
ch Chordaeinschnürung im Bereiche des Gelenkkopfes des vor-
deren Wirbels, Q Querfortsatz, R Rippe, Z Gelenkfortsatz des hinteren
Wirbels, Z' Gelenkfortsatz des vorderen Wirbels. (Zwischen Z und Z^
die spaltförmige Gelenkhöhle). K Perichondraler Knochen, Rm Rücken-
mark. (Die Gelenkhöhle am Wirbelkörper schon angelegt, doch am
Querschnitte nicht sichtbar.)
Fig. 0. Frontalschnitt durch die hintere Rumpfregion einer \Omm langen Larve
von Triton crisiattts ohne Extremitäten.
ch Chorda, chs Cuticula chordae, ach äussere Chordascheide in
die Myosepten (yfs) sich fortsetzend, ^ft Myotom, Gl Ganglion spinale,
gf Arteria interprotovertebralis, E Hautepithel.
Y. V. Ebner: Wirbel und Urwirbel.
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^^•,
j V ^ ff
Sitzungsberichte d.kais.Akad.d.Wiss., math.-naturw.Oa3se,B<J.CI.Abth.m:. 1802.
DER WISSENSCHAFTEN.
ATISCH-NATURWISSENSCHAFTUCHE CUSSE.
30
4^ßRA^
SITZUNGSBERICHTE
DER
.ISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CI. BAND. III. HEFT.
ABTHEILUNG III.
ENTHALT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER ANATOMIE UND
PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER THIERE, SOWIE AUS JENEM DER
THEORETISCHEN MEDICIN.
18
1
I
263
VII. SITZUNG VOM 10. MÄRZ 1892.
In Verhinderung des Herrn Vicepräsidenten führt Herr
Intendant Hofrath F. Ritter v. Hauer den Vorsitz.
Der Secretär legt die erschienenen Hefte VIII — X
(October— December 1891), Abth. I, und VIII— X (October bis
December 1891), Abth. IL b. des 100. Bandes der Sitzungs-
berichte vor.
Der Vicepräsident, Herr Hofrath J. Stefan, übersendet
eine Arbeit aus dem physikalischen Institute der k. k. Universität
in Wien von Dr. Gustav Jäger: »Über die Capillaritäts-
constanten nichtwässeriger Lösungen.«
Das c. M. Herr Hofrath Prof. E. Ludwig übersendet eine
im chemischen Laboratorium der k. k. technischen Hochschule
in Graz ausgeführte Arbeit des Herrn Heinrich Aufschläger:
Ȇber die Bildung von Cyanid beim Erhitzen stick-
stoffhaltiger organischer Körper mit Zinkstaub.«
Das c. M. Herr Prof. H. Weidel übersendet eine Arbeit des
Herrn Dr. Rudolph Wegscheider in Wien: Ȇber Ester
von abnormer Structur.«
Die Herren Prof. Dr. Ph. Knoll und Dr. A. Hauer in Prag
übersenden eine Abhandlung: »Über das Verhalten der
protoplasmaarmen und protoplasmareichen quer-
gestreiften Muskelfasern unter pathologischen Ver-
hältnissen.«
Die Herren Dr. J. Elster und H. Geitel in Wolfenbüttel
übersenden eine Abhandlung unter dem Titel: »Beobach
tungen des atmosphärischen Potentialgefälles und
der ultravioletten Sonnenstrahlung.«
18*
264
Der Secretär legt eine von Herrn F. J. Popp in Deutsch-
Giesshübel eingesendete Mittheilung vor, Vielehe die Frage
behandelt: »Wie oft dreht sich die Erde in einem Jahre
um ihre Axe?«
Das w. M. Herr Oberbergrath Ed. v. Mojsisovics über-
reicht eine Abhandlung von Dr. A. Bittner in Wien: Ȇber
Echiniden des Tertiärs von Australien.«
Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht eine Arbeit
aus seinem Laboratorium: Ȇber die Oxydation von bi-
secundärem Pentaäthylphloroglucin durch den Luft-
sauerstoff«, von Herrn Carl Ulrich.
Herr Dr. Eduard Mahl er überreicht eine Abhandlung unter
dem Titel: »Der Kalender der Babylonier.«
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
Voyage of H. M. S. Challenger 1873—1876. Report on the
scientific results. Deep-Sea Deposits. Published by
Order of Her Majesty's Government, London, 1891; 4^.
265
VIII. SITZUNG VOM 17. MÄRZ 1892-
Das c. M. Herr Prof. H. Weidel übersendet folgende zwei
Arbeiten aus dem ersten chemischen Laboratorium der k. k.
Universität in Wien:
1. »Verfahren zur Bestimmung des Stickstoffs in
organischen Substanzen«, von Dr. F. Blau.
2. >Zur Kenntniss der, aus Berberin entstehenden
Pyridincarbonsäuren«, von Herrn Richard Mayer.
Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen
vor:
1. »Zur Wärmeausdehnung des Wassers«, von P. Carl
Puschl, Stiftscapitular in Seitenstetten.
2. Eine Mittheilung von Dr. Theodor Gross in Berlin, betitelt:
»Kurzer Bericht über die chemische Zerlegbar-
keit des Schwefels durch Elektrolyse«.
Femer legt der Secretär ein versiegeltes Schreiben behufs
Wahrung der Priorität von Prof. Dr. Richard Godeffroy in
Wien vor, welches die Aufschrift führt: »Zur Constitution
der Kohlenhydrate«.
Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht eine Arbeit,
betitelt: Ȇber ine Fehlerquelle bei chemischen
Operationen infolge Verwendung von Gasflammen.«
266
IX. SITZUNG VOM 24. MÄRZ 1892.
Der Secretär legt das erschienene Heft IX — X (November
bis December 1891), Abth. IL a des 100. Bandes der Sitzungs-
berichte und das Heft I— II (Jänner— Februar 1892) des
13. Bandes der Monatshefte für Chemie vor.
Das w. M. Herr Hofrath G. Tschermak übersendet einen
vorläufigen Bericht von Prof. Dr. Friedrich Becke in Prag
über seine mit Unterstützung der kaiserl. Akademie ausgeführten
Untersuchungen über den Bau und die krystallinischen
Schiefer des Hohen Gesenkes (Altvatergebirge).
Das vv. M. Herr Prof. L. Pfaundler übersendet eine Arbeit
aus dem physikalischen Institute der k. k. Universität in Graz
von Prof. Dr. Ign. Klemencic: Ȇber das Verhalten des
Eisens gegen elektrische Schwingungen«.
Der Secretär legt ein versiegeltes Schreiben behufs
Wahrung der Priorität von Herrn Franz Müller in Siegenfeld
vor, welches die Aufschrift führt: »Hilfsmittel für den
Rechenunterricht.«
Das w.M. Herr Prof. Wiesner überreicht eine Abhandlung,
betitelt: „Über den mikroskopischen Nachweis der
Kohle in ihren verschiedenen Formen, und über die
Übereinstimmung des Lungenpigmentes mit Russ-
kohle."
Das w. M. Dir. E. Weiss spricht über den von Denning
zu Bristol in der Nacht vom 18. auf 19. März aufgefundenen
teleskopischen Kometen.
Das w. M. Herr Hofrath J. Hann überreicht und bespricht
eine gedruckte Abhandlung, betitelt: »Magnetische Beob-
267
achtungen an den Küsten der Adria in den Jahren 1889
und 1890«, ausgeführt auf Anordnung des k. und k. Reichs-
Kriegs-Ministeriums (Marine-Section) und berechnet von den
Herren F. L a s c h o b e r, k. und k. Fregatten - Capitän, und
W. Kesslitz, k. und k. Linienschiffs-Lieutenant. (Beilage zu
den »Mittheilungen aus dem Gebiete desSeewesens.«)Pola,1892.
Herr Dr. H. Strache, Privatdocent an der k. k. technischen
Hochschule in Wien, überreicht folgende zwei Arbeiten aus
dem Laboratorium für allgemeine und analytische Chemie an
dieser Hochschule:
1. »Verbesserungen anderMethodezurBestimmung
des Carbonylsauerstoffs und des Acetons«, von
Dr. H. Strache.
2. »Oxydation des Phenylhydrazins mitFehling'scher
Lösung«, von Dr. H. Strache und M. Kitt.
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
Le Prince Albert I®^ de Monaco, Sur une nouvelle Carte
des courants de TAtlantique Nord. (Mit 1 Karte.) Paris,
1892; 4«
Risley H. H., The Tribes and Gastes of Bengal. Anthropometric
Data. Vol. I and IL Calcutta, 1891; 8^
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSEMHAFIEN.
MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CI. BAND. IV. HEFT.
ABTHEILUNG III.
ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER ANATOMIE UND
PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER THIERE, SOWIE AUS JENEM DER
THEORETISCHEN MEDICIN.
«•*-
271
X. SITZUNG VOM 7. APRIL 1892.
Der Secretär legt das erschienene Heft VIII—X (October
— December 1891) des Bandes 100, Abtheilung IL a. der
Sitzungsberichte vor. Mit diesem Hefte schliesst der Druck
des ganzen 100. Bandes aller drei Abtheilungen.
Ferner ist erschienen das Register zum XII. Jahrgange
1891 der Monatshefte für Chemie.
Das c. M. Herr Prof. L. Gegenbauer in Innsbruck über-
sendet eine Abhandlung: Ȇber einige arithmetische
Determinanten höheren Ranges«.
Das c. M. Herr Albert v. Obermayer, k. u. k. Oberst des
Armeestandes in Wien, übersendet eine Abhandlung: »Über
gleitende Funken«.
Das c. M. Herr Hofrath Prof. A. Bauer übersendet eine
Arbeit des Herrn Carl Mangold, Assistenten an der k. k. tech-
nischen Hochschule in Wien, betitelt: »Zur Stereochemie
der Trioxystearinsäuren aus Ricinusöl- und Ricine-
laidinsäure«.
Das c. M. Herr Prof. H. Weidel übersendet folgende drei
im ersten chemischen Laboratorium der k. k. Universität in
Wien ausgeführte Untersuchungen :
1. »Über Euxanthonsäure und Euxanthon«, von Dr.
J. Herzig.
2. »Notiz über Fluorescin, Galle'in und Aurin«, von
Dr. J. Herzig.
3. »Über das aß-Dipiperidyl«, von Dr. Fritz Blau.
Herr Dr. M. Margules in Wien übersendet eine Abhand-
lung, betitelt: »Luftbewegungen in einer rotirenden
Sphäroidschale bei zonaler Druckvertheilung«.
272
Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen
vor:
1. »Zur Stöchiometrie der Lösungen«, von Dr. Gustav
Jäger in Wien.
2. »Beiträge zur Integrirung der Differentiale
x*P \/ {a'\'bX'{'Cx)'^dx*, von Dr. Victor Wolski, Director
der k. k. priv. Südbahn i. P. in Fiesole (Italien).
3. »Aurorae Borealis Norvegicae. Verzeichniss der in
Norwegen bis Juni 1878 beobachteten Nordlichter«, von
Herrn Sophus Tromholt in Barmen.
4. »Über den Einfluss heisser Bäder auf die Stick-
stoff- und Harnsäure- Ausscheidung beim
Menschen«, Arbeit aus dem medicin.-chemischen Labo-
ratorium an der k. k. böhmischen Universität zu Prag von
Herrn Emanuel Formanek.
Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht eine Arbeit
aus seinem Laboratorium; >Über den Abbau der fetten
Säuren zu kohlenstoffärmeren Alkoholen», von Herrn
Angelo Simonini in Wien.
Ferner überreicht Herr Prof. Lieben eine Arbeit des
Dr. Br. Lachowicz, Privatdocent an der k. k. Universität in
Lemberg: Ȇber die Dissociation der Ferriphosphate
durch Wasser und Salzlösungen«.
Das w. M. Herr Prof. Wiesner überreicht eine Abhandlung
des Herrn Dr. E. Heinrich er, Professor an der k. k. Universität
zu Innsbruck, betitelt: »Biologische Studien an der
Gattung Lathraea*. (I. Mittheilung.)
Herr Prof. Dr. Ed. Lippmann in Wien überreicht eine von
ihm in Gemeinschaft mit Herrn F. Fleissner ausgeführte
Arbeit: Ȇber Hydrojodverbindungen einiger China-
alkaloide«.
SITZUNGSBERICHTE
' DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFIEN.
MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CI. BAND. V. HEFT.
ABTHEILUNG III.
ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER ANATOMIE UND
PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER THIERE, SOWIE AUS JENEM DER
THEORETISCHEN MEDICIN.
i
275
XL SITZUNG VOM 5. MAI 1892.
Der Secretär legt das erschienene Heft I — II (Jänner und
Februar 1892) des 101. Bandes, Abtheilung II. b. der Sitzungs-
berichte, femer das Heft III (März 1892) des 12. Bandes der
Monatshefte für Chemie vor.
Das k. k. Ministerium des Innern übermittelt die von
der oberösterreichischen Statthalterei vorgelegten Tabellen und
graphischen Darstellungen über die Eisbildung auf der Donau
während des Winters 1891/92 in den Pegelstationen Aschach,
Linz und Grein.
Das k. und k. Reichs-Kriegs-Ministerium (Marine-
Section) übersendet den von Herrn k. und k. Fregatten-Capitän
Wilhelm Mörth als Commandant S. M. Schiffes »Pola« vor-
gelegten Bericht über die Ausrüstung dieses Schiffes
für Tiefsee-Untersuchungen.
Das w. M. Herr Oberbergrath E. v. Mojsisovics über-
sendet eine vorläufige Mittheilung: »Über die Cephalopoden-
Faunen der Himalaya-Trias«.
Das c. M. Herr Hofrath Prof E. Ludwig in Wien über-
sendet eine in seinem Laboratorium von den Herren Privatdocent
Dr. H. Paschkis und Dr. Fritz Obermayer ausgeführte
Arbeit unter dem Titel: »P h a r ma k ologische Unter-
suchungen über Ketone und Acetoxime«.
Das c. M. Herr Prof L. Gegenbauer in Innsbruck über-
sendet eine Abhandlung des Supplenten A. J. Gm ein er am
k. k. Staatsgymnasium in Graz, betitelt: »Das allgemeine
bicubische Reciprocitätsgesetz«.
276
Das c. M. Herr Prof. G. v. E seh er ich in Wien über-
sendet eine Abhandlung: Ȇber die Multiplicatoren eines
Systems linearer, homogener Differentialgleichun-
gen«. (I.)
Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen
vor:
1. Ȇber das Vorkommen und die Bildung von
Natriumsulfat in den Kalibergwerken vonKalusz«.
2. »Über pyridinartige Basen im Erdöl«, die vorge-
nannten beiden Arbeiten von R. Zaloziecki, Docent an
der k. k. technischen Hochschule in Lemberg.
3. »Über die bei einer Gattung centri scher Rück ungs-
flächen der vierten Ordnung auftretende Reci-
procität«, von Prof. A. Sucharda an der k. k. Staats-
Oberrealschule in Prag.
4. »Über eine neue Jodverbindung des Bleies«, von
Prof. Max Gröger an der k. k. Staatsgewerbeschule in
Brunn.
5. »ZurTheorie derHarnsäurebildungimSäugethier-
organismus«, von Prof. Dr. J. Horbaczewski an der
k. k. böhmischen Universität in Prag.
6. »Über Drehstrommotoren«, von Dr. G. Schilling in
Czernowitz.
Der Secretär legt ein versiegeltes Schreiben behufs
Wahrung der Priorität von Prof. Nicolaus Fialkowski in Wien
vor, mit der Aufschrift: »Erste mathematisch richtige
Lösung des Delischen Problems«.
Ferner übersendet Herr Prof. Dr. A. A d a m k i e w i c z , derzeit
in Wien, ein versiegeltes Schreiben zur Aufbewahrung, welches
die Aufschrift führt: »Mein Verfahren zur Behandlung
der Carcinome«.
Das w. M. Herr Hofrath Director J. Hann überreicht eine
für die Denkschriften bestimmte Abhandlung unter dem Titel:
»Weitere Untersuchungen über die tägliche Oscilla-
tion des Barometers«.
277
Das w. M. Herr Prof. E. Wey r überreicht eine Abhandlung
des Regierungsrathes Prof. Dr. F. Mertens in Graz, betitelt:
»Der Fundamentalsatz der Algebra«.
Das c. M. Herr Hofrath Prof. H. Meynert in Wien über-
reicht eine Abhandlung unter dem Titel: »Neue Studien über
die Associations-Bündel des Hirnmantels«.
Herr Professor Dr. Franz Toula in Wien berichtet über
zwei neue Säugethierfundorte auf der Balkanhalb-
insel.
Herr Prof. Dr. Franz Toula überreicht eine Abhandlung
über die Ergebnisse seiner letzten mit Subvention von Seite
des hohen Ministeriums für Cultus und Unterricht im Früh-
jahre 1890 (vom 28. Mai — 2. Juli) ausgeführten geologischen
Untersuchungen im östlichen Balkan und in anderen
Theilen von Bulgarien und Ostrumelien.
Herr Prof. Dr. E. Freih. v. Haerdtl in Innsbruck überreicht
eine Abhandlung betitelt: Ȇber zwei langperiodische
Störungsglieder des Mondes^ verursacht durch die
.\nziehung des Planeten Venus«.
Siteb. d. mathcm.-nalurw. Cl. ; CI. Bd. Abth. III. 1 9
278
Über den Einfluss heisser Bäder auf die Stick-
stoff- und Hamsäure-Ausseheidung'
beim Menschen
von
Emanuel Formanek.
Aus dem Laboratorium des Prof. J. Horbaczewski an der k. k. böhm.
Universität in Prag.
(Vorgelegt in der Sitzung am 7. April 1892.)
Obzwar diese Frage schon wiederholt Gegenstand experi-
menteller Prüfung war, so konnte dieselbe noch immer nicht als
gelöst betrachtet werden, da verschiedene Autoren zu Resul-
taten gelangten, die einander mehr oder weniger wider-
sprechen.
Bartels * war der Erste, der bei Versuchen am Menschen
nach heissen Dampfbädern eine Vermehrung der HarnstoflF-
ausscheidung constatirte.
Ahnliche Resultate erhielt auch Naunyn *an einem Hunde,
dessen Körpertemperatur durch ein dreistündiges Bad um etwa
4** C. gesteigert war, bei dem am Badetage die Hamstoff-
ausscheidung bedeutend stieg.
G. Schleich,^ der sechs Versuche theilweise an sich selbst,
theilweise an Kranken der Tübinger Klinik ausführte, fand
auch eine constante Vermehrung der Harnstofifausfuhr nach
künstlicher Steigerung der Körpertemperatur durch warme
Bäder von einstündiger Dauer. Ebenso fanden auch Frey und
1 Greifswalder, medic. Beitr. 1864. 3.
2 Berl. Klin. Wochenschr. 1869, Nr. 4. Arch. für Anat. und Physiol. 1870
8 Arch. für experim. Patiiol. und Pharm. 4. 82—106.
Stickstoff- und Harnsäure- Ausscheidung. 279
Heiligenthal* bei an Menschen angestellten Versuchen nach
der Einwirkung heisser Luft- und Dampfbäder eine bedeutende
Erhöhung der HamstoflFausscheidung an den dem Badetage
nächstfolgenden 2 — 3 Tagen, während am Badetage selbst eine
Verminderung derselben gefunden wurde.
Diese Forscher berücksichtigten auch die Hamsäureaus-
scheidung und constatirten eine mit der Hamstoflfvermehrung
einhergehende bedeutende Steigerung der Harnsäureausfuhr.
Der Einfluss russischer Bäder auf den Stickstoflfumsatz
wurde von K o s t j u r i n* und Godlewskij* untersucht und es
wurde von denselben in Übereinstimmung mit den oben er-
wähnten Untersuchungen eine Vermehrung der Hamstoff-
ausscheidung nach russischen Bädern gefunden.
Diesen, im Wesentlichen übereinstimmenden Resultaten
gegenüber stehen aber andere entgegengesetzte Angaben.
So konnte Kaupp ^ bei Einwirkung höherer Lufttemperatur
keine Vermehrung der Harnstoffausscheidung constatiren, und
Senator* beobachtete dasselbe bei einem Tetanischen, dessen
Körpertemperatur auf 41* C. stieg.
Abgesehen von diesen älteren Beobachtungen, sind in
neuerer Zeit die Untersuchungen von C. F. A. Koch,* P. Si-
manowsky** und N. Makowiecki^ erschienen, aus denen
auch hervorgeht, dass die Steigerung der Körpertemperatur die
Stickstoffausscheidung entweder gar nicht beeinflusst, oder
sogar vermindert.
Koch experimentirte an sich selbst und fand nach einem
Bade von einstündiger Dauer, wobei die Körpertemperatur bis
auf 39*6° C. stieg, nicht nur keine Vermehrung, sondern eine
1 Die Wirkung der heissen Luft- und Dampfbäder in Baden-Baden. 1881.
* Citirt bei Makowiecki (vergl. später).
3 Arch. für physiol. Heilkunde. 1855 und 1856.
* Virchow, Arch. 48.
^ Zeitschr. für Biol. 19. 447-468.
6 Ebenda. 21. 1-24.
' Zur Frage der Einwirkung des russischen Schwitzbades auf den
Stickstoffumsatz und die Fettassimilation, sowie auf die Assimilation der
stickstoffhaltigen Substanzen der Nahrung. Inaung.-Diss. (russ.). St. Peters-
burg. 1888.
19*
280 E. Formanek,
wenngleich unbedeutende Verminderung der Stickstaffaus-
scheidung. Dasselbe Ergebniss hatte auch eine, an einem Ka-
ninchen ausgeführte Versuchsreihe, in welcher die Körper-
temperatur bis auf 44** C. durch Erwärmung im Thermostaten-
gesteigert wurde.
Simanowsky studirte diese Frage im Laboratorium von
Voit an einer hungernden Hündin im Stadium der gleich-
massigen, langsam abfallenden Stickstoffausscheidung, wobei
die Temperatursteigerung durch warme Bäder von einstündiger
Dauer erzielt wurde. Nach dem Bade wurde auch die Grösse
der Kohlensäureausscheidung bestimmt. Das Ergebniss der Ver-
suche wird dahin zusammengefasst, dass in Folge der durch
mehrere Stunden hindurch vermittelst heisser Bäder erhöhten'
Temperatur sich die Menge der stickstofffreien Producte des-
Stoffwechsels nicht steigert, und dass die Menge der stick-
stoffhaltigen Producte entweder normal bleibt, oder sich nur in
ganz geringem Masse vermehrt.
Makowiecki stellte fünf Versuche an Menschen an. Die
aus Brot, Fleisch, Milch, Bouillon, Butter, Thee, Zucker und
Kyselj (Moosbeerensaft mit Zucker und Milch) bestehende*
Nahrung wurde auf N und Fett geprüft, und im Harne wurde
neben dem festen Rückstand der Gesammtstickstoff (nach.
Kjeldahl) und Harnstoff (nach Borodin) bestimmt. In den-
Fäces wurde auch der feste Rückstand, sowie der Stickstoff
ermittelt, als auch die Fettsäuren bestimmt. Jeder Versuch-
zerfällt in drei Perioden : 1 . Normalperiode von 5 Tagen ; 2. Bade-
periode von 5 Tagen, und 3. die Periode nach dem Bade von
2 Tagen. Die durch Bäder in der Badeperiode bei den Versuchs-
männern erzielte Steigerung der Körpertemperatur war nicht
bedeutend. In der Normalperiode schwankte die Körper-
temperatur derselben zwischen 36 '4 und 37'8'' und stieg
während des Bades meistens nur auf 38-2 — 38 •5'', nur dreimaP
wurde eine Steigerung bis zu 39** beobachtet.
Das Verhalten der Stickstoffausscheidung erhellt aus dem
im Nachfolgenden mitgetheilten Mittelzahlen:
Stickstoff- und Harns&ure-Ausscheidung.
281
Ver-
suchs-
Numraer
Normal-Periode
Bade-Periode
Periode n.
d. Bädern
Stickstoff-
Stickstoff-
Stickstoff-
Einfuhr
Ausfuhr
Einfuhr
Ausfuhr
Einfuhr
Ausfuhr
I.
20-5
20-5
20-5
17 4
21-6
18-5
II.
20-0
20-7
20-1
19 3
21-0
20-7
m.
18 3
17-2
17-3
15-1
14-8
18-3
IV.
20-5
21-1
20 0
20-7
16-6
19-7
V.
19-5
18 0
18-6
171
15-9
18 2
Aus diesen Versuchen wird geschlossen, dass der N-Um-
satz herabgesetzt wird. Ausserdem findet Verfasser, dass die
Assimilation der stickstoffhaltigen Nahrungsbestandtheile auch
herabgesetzt, die Assimilation der Fette dagegen gesteigert wird.
Aus dem Mitgetheilten ergibt sich, dass die einzelnen
Angaben über die Wirkung heisser Bäder, beziehungsweise
der Körpertemperatursteigerung auf den Stickstoffumsatz sehr
bedeutend divergiren. Aus diesem Grunde wurde beschlossen,
diesbezüglich neue Versuche, und zwar am Menschen durch-
zuführen, um so auf den Grund dieser merkwürdigen Meinungs-
differenzen zu kommen. Während die weiter unten mitge-
theilten Versuche bereits im Gange waren, erhielt ich noch von
der neuesten Arbeit von Paul Richter * Kenntniss, in welcher
unter Anderem auch über diesbezüglich angestellte Versuche
berichtet wird. Die am Kaninchen ausgeführten Versuche
ergaben kein entscheidendes Resultat, dagegen betrachtet Ver-
fasser die Versuche an einer Hündin für entscheidend. Das mit
200^ Fleisch und 30 g Fett ernährte Versuchsthier, welches
eine gleichmässige Stickstoffausscheidung hatte, wurde in
einem Thermostaten auf 24 Stunden gebracht. In der ersten
Versuchsreihe stieg die Körpertemperatur des Thieres von
36-5 bis zu 39'9", in der zweiten von 37 8 bis zu 41 •4''. Die
Bestimmung des Harnstickstoffes (nach Kjeldahl-Wilfart)
ergab an den Überhitzungstagen selbst keine auffallende, an
den nächstfolgenden zwei Tagen aber eine sehr bedeutende
» Virchow, Arch. 123. 118-165.
282 E. Formanek,
Steigerung der SttckstofFausscheidung, die in der zweiten Ver-
suchsreihe, in welcher die Steigerung der Körpertemperatur
grösser war, ein höheres Mass erreichte.
Die Resultate der von mir ausgeführten Versuche sind
folgende:
I. Versuchsreihe.
Diesen Versuch führte ich an mir selbst (22 Jahre alt) in
der Zeit vom 13. — 25. Juli 1891 aus. Die Nahrung bestand aus:
1. Rindfleisch (Lungenbraten). Dasselbe wurde in Quanti-
täten zu etwa 2kg, die für 3 Tage reichten, angekauft, von
allem Fett sorgfältig auspräparirt und als Beefsteak zubereitet
genossen. In jeder Fleischportion wurde der Stickstoffgehalt
ermittelt.
2. Emmenthaler Käse wurde für den ganzen Versuch in
einem Stück auf einmal angekauft, der Stickstoffgehalt ermittelt
und in einem gut schliessenden Glasbehälter aufbewahrt.
3. Brot wurde aus gutem, vorerst analysirtem Weizenmehl
unter Zusatz von etwas Hefe und Wasser nebst Salz bereitet,
und zwar für jeden Versuchstag ein Laibchen aus 144^ Mehl.
4. Reis in der täglichen Ration von 100^. Für den ganzen
Versuch diente derselbe, im verschlossenen Gefösse aufbe-
wahrte Vorrath, dessen Stickstoffgehalt bestimmt wurde.
5. Butter wurde ebenso für den ganzen Versuch ent-
sprechend aufbewahrt, nach Ermittlung des Stickstoffgehaltes.
6. Bier (leichtes Smichover Bier) täglich \bO0 cnt^.
7. Theeeinfuhr aus 0*3^ russischem Thee.
8. Zucker 20 g,
9. Wasser (400 cm%
10. Kochsalz (5^).
Die tägliche Stickstoffaufnahme betrug in
400^ Fleisch 13
100^ Käse 4
1 Laib Brot (aus 144^ Mehl) . 2
100^ Reis 0
125^ Butter 0
1500 cw* Bier 0
Zusammen ... 22
20^
33^
70 g
92 g
09g
90 g
14^
Stickstoff- und Harnsäure- Ausscheidung. 283
Alle Stickstoflfbestimmungen wurden nach der volumetri-
schen Methode nach Ludwig* mit der Modification von
Horbaczewski* ausgeführt. Dasselbe gilt auch von den
Bestimmungen des Stickstoffes im Harne und den Fäces, und
zwar in allen Versuchen.
DieLebensweisewährendderVersuchszeitwareineäusserst
gleichmässige. Es wurde die gewöhnliche Laboratoriumsarbeit
verrichtet und Abends 1 Stunde spazieren gegangen. Die
Nahrungsaufnahme wurde auf 3 Mahlzeiten, um 7 Uhr Früh,
12 Uhr Mittags und 7 Uhr Abends, vertheilt. Die Kost wurde
sehr gut vertragen. Verdauungsstörungen kamen nicht vor.
Der Harn wurde von 7 Uhr Früh des einen bis 7 Uhr Früh des
nächsten Tages gesammelt und in demselben der Gesammt-
stickstoff, sowie die Harnsäure (nach Salkowski-Ludwig)
bestimmt Die Fäces, die jeden Tag regelmässig entleert
wurden, wurden gesammelt und in einer mehrtägigen Partie
derselben der Stickstoff bestimmt, worauf der Stickstoffgehalt
auf die betreffende Periode vertheilt wurde. Vor dem Beginne
des Versuches wurde die oben genannte Nahrung durch 4 Tage
genossen, dann folgte die achttägige Normalperiode. Am 9. Tage
wurde ein heisses Luftbad von ßö** R. in der Dauer von
20 Minuten, dann ein Dampfbad von 41'* R. von 15 Minuten
Dauer, und schliesslich ein Douchebad mit lauwarmem Wasser
genommen. Dem Badetage folgten noch drei weitere Normal-
tage. In der nachfolgenden Tabelle sind die für die Stickstoff-
und Harnsäure-Ausscheidung erhaltenen Werthe zusammen-
gestellt.
1 Wiener medic. Jahrb. 1880. 4.
^ Ebenda. 1886.
284
£. Formanek,
Ver-
suchs-
tag
Körper- j Stick-
gewicht Stoff
in Kilo-
gramm
Ein-
fuhr
Menge
des
Harnes
in
Cubik-
centi-
raetem
Stick-
Stick-
Ge-
Menge
Re- , Stoff
stoff
saromt- der
action
im
der
Stick- Harn-
Harne
Fäces
stoff
säure
Bemer-
kung '
1
2
3
4
5
6
7
8
Mittel
1-8
9
10
11
12
Mittel
9-12
70 950
70-690
70 • 700
70-900
70-930
70-870
70-900
70-900
22-14
22-14
22 14
22 14
22-14
22-14
22 14
22 14
22 14
71-200
70 - 900
71-000
71-000
22-14
22 14
22-14
22-14
22-14
1870
1510
1400
1355
1470
1460
1410
1550
sauer
1400
1460
1410
1520
neutral
sauer
16-60
18-03
18-63
18 16
18-67
18-91
19-30
1910
18-42
18-80
18-91
18-52
19 20
18 88
2-52
2 52
2-52
2-52
2-52
2-52
2-52
2-52
2 52
2-52
2-52
2-52
2-52
2-52
19-12
20-55
21-15
20-68
21 19
21-43
21^82
21-62
20 94
21-32
21-43
21 04
21-72
21-39
0-804
0 839
0-830
0-848
0-913
0-895
0-904
0-897
0-866
0-878
0 896
0 882
0 ■ 854
0-877
Bad
II. Versuchsreihe.
Als Versuchsmann diente ein 23 Jahre alter Candidat der
Medicin. Die Nahrung wurde in diesem Versuche dahin abge-
ändert, dass das Rindfleisch durch eine Wurst ersetzt wurde.
Dieselbe wurde für den Versuch aus Schweine- und Rindfleisch
und etwas Speck, unter Zusatz von Salz und dem gewöhn-
lichen Gewürze bereitet.
Die Wurstmasse wurde, um eine gleichmässige Mischung
herbeizuführen, sechsmal durch eine Wurstmaschine getrieben
und die Wurst für den ganzen Versuch auf einmal hergestellt,
in verschiedenen Partien analysirt und in schliessenden Glas-
gefässen aufbewahrt. Die übrigen Nahrungsmittel waren wie
im Versuche I.
Stickstoff- und Harnsäure-Ausscheidung. 285
Die tägliche Stickstoffaufnahme betrug in :
200^ Wurst 6-88^
100^ Käse 5-07^
100^ Reis 0-92^
1 Laib Brot (144^ Mehl) . . 240^
125^ Butter 0-09^
1500 cw* Bier 0-90^
Zusammen . . . 16'26^N.
Einer viertägigen Vorperiode, in welcher die erwähnte
Nahrung genossen wurde, folgte die achttägige Normalperiode,
in welcher das Verhalten der N- und Harnsäure-Ausscheidung
ermittelt wurde. Am 9. Versuchstage wurde ein heisses Luft-
bad von 65" R. in der Dauer von 20 Minuten, welchem eine
Abwaschung mit 28 ' R. warmem Wasser folgte, dann ein
heisses Dampfbad von 46° R. in der Dauer von 25 Minuten,
welchem auch eine Abwaschung mit lauwarmem Wasser folgte,
genommen. Am 10. Versuchstage wurde ein ganz gleiches
Bad genommen. Diesen zwei Badetagen folgten wieder 8 Nor-
maltage (11 — 18 Versuchstage).
Die Lebensweise des Versuchsmannes war eine äusserst
gleichmässige, während des ganzen Versuches. Die Nahrungs-
aufnahme, Aufsammeln des Harnes und der Fäces geschah
wie im vorigen Versuch. Nachfolgende Tabelle enthält die für
die N- und Hamsäureausscheidung ermittelten Werthe.
Ver-
Körper-
Stick-
suchs- g«^'»^^^* s^off-
.^ I in Kilo- Ein-
tag
in Kilo-
gramm
fuhr
Menge
des
Harnes
in
Cubik-
I centi-
metem
Stick-
Re- I Stoff
action im
Harne
Stick- Ge- Menge
Stoff sammt- der Bemer
in ! Stick- • Harn- ' kung
Fäces stoiT säure i
I
76 100
76 100
I
3 ' 76 000
4
5
16-26i 1240
16 26
1450
16 26; 1520
75-500 16-26; 1710
76 000
16 26! 1260
sauer
14-46
»
14 59
>
15 35
»
14-94
0 98
0-98
15 38 |0-6453
15-37 0-6612
neutral 14-50
0-98 I 16-43 |0-7478'
0-98 ' 15-92 0 7543,
0 98
15 48 0 6605
286
E. Formanek,
Ver-
suchs-
tag
Körper-
gewicht
in Kilo-
gramm
Stick-
stoff-
Ein-
fuhr
Menge
des
Harnes
in
Cubik-
centi-
metem
Re-
action
Stick-
stoff
im
Harne
Stick-
stoff
in
Fäces
Ge-
sammt-
stick-
stoff
Menge
der
Harn-
säure
Bemer-
kung
6
7
8
76-000
76 000
76-000
16-26
16-26
16-26
1730
1250
1500
neutral
sauer
»
14-56
14-67
14-90
0 98
0 98
0 98
15-48
15-65
15-88
0-6340
0-7580
0-6825
Mittel
1-8
16 26
14-74
0-98
15-72
0-6928
9
10
76 000
76-000
16 26
16-26
1215
1670
sauer
»
13-60
16-99
0 958
0 958
14-55
17-94
0-7308
1-1456
Bad
Bad
Mittel
9-10
t
16 26
15-29
0 958
16-25
0-9382
11
12
13
14
15
16
17
18
76-000
76-000
76-000
76-000
76-000
76 000
76 200
76 000
16 26
16 26
16-26
16 26
16-26
16-26
16-26
16-26
1735
1262
1180
1540
1880
1750
1843
1875
sai
Lier
15-95
14-60
13-80
14 40
13-70
14-40
14 50
14 00
0-958
0 958
0 958
0-958
neutral
0-958
0-958
0-958
0 958
16-90
15-45
14 75
15-35
14-65
15-35
15 45
14 95
0 • 8627
0-6018
0-6100
0-7638
0-6730
0-7718
0 - 8662
0 • 8792
Mittel
11-18
16-26
14-41
15-36
0-7534
III. Versuchsreihe.
Als Versuchsmann diente ein 22 Jahre alter Candidat der
Medicin. Derselbe war ausserordentlich mager und erhielt
während des Versuches eine Nahrung, die viel weniger Fett
und Kohlenhydrate enthielt, als die bei früheren Versuchen ver-
wendete Nahrung. Mit Rücksicht auf mehrere Angaben, dass
bei Körpertemperatursteigerung die stickstofffreien Körper-
bestandtheile in grosser Menge zerfallen, war es möglich,
dass in diesem Falle die Steigerung des Stickstoffumsatzes
Stickstoff- und Harnsäure-Ausscheidung. 287
markanter auftreten wird. Auch bei diesem Versuche wurde eine
Wurst genossen, die jedoch nur aus ganz magerem Rind- und
Schweinefleisch, in der beim vorigen Versuche angegebenen
Weise, bereitet wurde. Die tägliche Käsemenge wurde auf
150^ erhöht, die Reismenge auf 50^ reducirt und die Butter
wurde ganz weggelassen. Die übrigen Nahrungsmittel blieben
wie in den vorigen Versuchen.
Die tägliche Stickstoffeinfuhr betrug in:
200^ Wurst 7
150^ Käse 7
1 Laib Brot (aus 144^ Mehl) . 2
50^ Reis 0
1500 cm^ Bier 0
Zusammen ... 18
04^
2Qg
A\g
AQg
90^
07 ^N.
Ähnlich, wie bei den früheren Versuchen, folgte auch bei
diesem einer viertägigen Vorperiode eine neuntägige Normal-
periode. Am 10. Versuchstage wurde ein Wannenbad von
49 Minuten Dauer genommen. Die Wassertemperatur betrug
40" C, die Körpertemperatur (in der Mundhöhle) stieg auf
39", fiel aber nach 2 Stunden auf 37*2". Am nächsten (11.)
Versuchstage nahm Versuchsmann am Vor- und Nachmittage
je ein Wannenbad. Dauer des Bades am Vormittage =: 6 1 Minu-
ten, Wassertemperatur r= 40" C, Körpertemperatur 40*5" (in
der Mundhöhle), nach 2 Stunden = 37*1". Am Nachmittage:
Dauer des Bades 41 Minuten, Wassertemperatur := 41" C,
Körpertemperatur •=. 39 '3". Am nächsten Tage (dem 12. Ver-
suchstage) wurden abermals zwei Wannenbäder genommen.
Am Vormittag: Dauer des Bades 60 Minuten bei einer Wasser-
temperatur von 43" C, Körpertemperatur stieg bis 40- 1", zwei
Stunden nach dem Bade 1=37 -2". Am Nachmittage: Dauer des
Bades z= 60 Minuten, Körpertemperatur stieg auf 39* 1", zwei
Stunden nach dem Bade =: 37 • 3". Diesen drei Badetagen folgten
noch vier Normaltage (Versuchstage 13 — 16). Dienachfolgende
Tabelle enthält die bei der Stickstoffbestimmung erhaltenen
Werthe. Die für die Harnsäureausscheidung erhaltenen Zahlen
sind nicht angegeben, weil die in diesem Falle für die Menge der
288
£. Formanek,
ausgeschiedenen Harnsäure gefundenen Werthe auch in der
Normalperiode derart bedeutend variirten, dass denselben keine
Bedeutung beigemessen werden konnte. Der Harn dieses Ver-
suchsmannes, der keinen von den gewöhnlichen bekannten,
abnormen Bestandtheilen enthielt, zeigte die bei normalen
Harnen sonst nie zu beobachtende Eigenschaft, dass derselbe die
ammoniakalische Silberlösung, mit welcher die Harnsäure aus-
gefällt wird, reducirte und Schwefelsilber auflöste, woraus eine
Fehlerquelle für diese Bestimmungen der Harnsäure resultirte,
die durch abermalige Lösung der durch Säure bereits abge-
schiedenen Harnsäure nicht vollkommen eliminirt werden
konnte, und die auch die stark variablen Werthe verschuldet
haben mag.
Menge
1
1
1
1
Ver- 1
suchs-
tage
1
Körper- .
gewicht
in Kilo- 1
gramm
1
Stick-
stoff-
Einfuhr [
des
Hames
in
Cubik-
centi-
metem
Re-
action
Stick-
stoff '
im
Harne
Stick-
stoff
in
Fäces
Ge-
sammt-
Sück-
stoff
Bemer-
kung
i
l
65-500
18 07
1630
sauer
14 82
1-61
16 43
1
1
2
66 500
18 07
1840
»
14 91
1-61
16-52
3
66 000
18-07
2350
neutral
15-40
1 61
17-01
4
66 000
18 07
1660
»
16-20
1-61
17-81
5
66 000
18 07
1850
>
16 22
1 61
17-83
6
66-000
18-07
1500
»
15 30
1-61
16-91
7
66 000
18-07
1743
»
15 60
161
17-28
!
8
66 000
18-07
1610
>
15 70
1-61
17-31
. 9
NÜttel
l 9
10
66 000
18-07
1866
sauer
16 30
1-61
l 61
1-61
17-91
66-000
18-07
1470
15 60
17-21
18 07
sauer
16-20
17 81
1 Bad
11
65 500
1807
1420
>
16-30
1 61
17-91
2 Bäder
12
65-500
18-07
1000
1046
neutral
17-60
1-61
19-21
2 Bäder
1
Mittel
10-12
18-07
1807
neutral
16-70
1-61
1-61
18 31
1
13
66 • 000
19-00
20-61
1
14
66 000
18 07
1730
sauer
18 66
1-61
20 27
! ir>
66 000
18 07
1570
»
1610
1-61
17 71
16
Mittel
13-16
66-000
18-07
1840
>
15-60
1 61
17 21
18 07
17-34
1 61
18-95
1
Stickstoff- und Harnsäure-Ausscheidung. 289
Die bei allen drei mitgetheilten Versuchen erhaltenen
Resultate können dahin zusammengefasst werden, dass beim
Menschen nach einem heissen Luft- und Dampfbade die Stick-
stoffausscheidung, beziehungsweise der Stickstoffumsatz nur
in sehr geringem, kaum wahrnehmbarem Masse, nach zwei
solchen, an zwei Tagen genommenen Bädern dagegen am
zweiten Badetage schon merklich gesteigert wird, welche
Steigerung auch noch an dem nächstfolgenden Tage bemerk-
bar ist.
Dieselbe Wirkung hatten auch mehrere kurz nach einander
genommene heisse Wannenbäder.
Was die Harnsäureausscheidung anbelangt, so zeigte die-
selbe ein gleiches Verhalten wie die Stickstoffausscheidung,
d. i. beim gesteigerten StickstoflFumsatz wurde dieselbe in
gesteigertem Masse ausgeschieden.
Diese Resultate stehen mit den diesbezüglichen, oben
mitgetheilten Angaben früherer Autoren z. Th. in Überein-
stimmung, z. Th. im Widerspruche. In mehreren neueren
.Arbeiten wurde versucht, die bestehenden Widersprüche auf
diese Weise zu lösen, dass man behauptete: die Versuche,
welche zu entgegengesetzten Resultaten führten, seien nicht
beweisend, da die insbesondere bei älteren Versuchen ange-
wandten Methoden der Stickstoff- und Harnstoffbestimmung
nicht fehlerfrei waren, und da bei diesen Versuchen die
Nahrungs-, beziehungsweise Stickstoffaufnahme nicht con-
trolirt wurde, so dass während der Badeperiode eventuell mehr
oder weniger Stickstoff, als in der Normalperiode eingeführt
und daher auch ausgeschieden wurde. Es mag sein, dass
diese Umstände an den erhaltenen Resultaten z. Th. Schuld
tragen, es dürfte aber schwer fallen, diese Verhältnisse nur auf
diese Weise zu erklären, da auch neuere Untersuchungen, die
anscheinend correct durchgeführt wurden, denn doch ent-
gegengesetzte Resultate lieferten. Es müssen daher wohl noch
andere Momente im Spiele sein.
Von diesen kommt zunächst die Höhe und die Dauer der
Körpertemperatursteigerung in Betracht. Ist die Körpertempera-
tur nur während kurzer Zeit und nicht bedeutend gesteigert^ so
macht sich der Einfluss dieser Steigerung kaum geltend ; ist
290 E. Formanek,
dieselbe aber intensiver und länger andauernd, so trifft dieser
Einfluss deutlich hervor. Auf diesen Umstand machte schon
Richter (I. c.) aufmerksam, und unsere Versuche bestätigen
diese Annahme. Versuch I, wo nur ein Bad genommen wurde,
war beinahe ganz negativ, während die zwei übrigen Versuche
ein positives Resultat ergaben.
Ein warmes Bad veranlasst nur eine relativ unbedeutende
Steigerung der Körpertemperatur, wie auch aus den Versuchen
von Makowiecki hervorgeht, und der normale Zustand stellt
sich sehr bald ein.
Es muss daher die Wirkung eines Bades, die für gewöhn-
lich unbedeutend ist und rasch vorübergeht, von der Wirkung
einer andauernden Körpertemperatursteigerung strenge ge-
schieden werden.
Ferner scheint es zweifellos, dass bei diesen Versuchen
die Individualität eine grosse Rolle spielt. Derselbe Experi-
mentator, Richter, konnte bei Kaninchen keine entscheidende,
beim Hunde dagegen eine ganz zweifellose Steigerung des
Stickstoffumsatzes bei derselben Versuchsanordnung durch
Steigerung der Körpertemperatur hervorrufen. Es gibt daher
wahrscheinlich Individuen mit einem mehr stabilen und einem
mehr labilen Stickstoffgleichgewichte, und zwar nicht nur je
nach der Species, sondern auch innerhalb einer und der-
selben.
Diese Umstände würden die jetzt bekannten Beobachtun-
gen, dass das eine Mal keine, das andere Mal aber eine
bedeutende Steigerung des Stickstoffumsatzes durch Bäder
hervorgerufen wird, vollkommen zwangslos erklären.
Es bleiben aber noch zwei Beobachtungen übrig, die denn
doch problematisch erscheinen, nämlich die Beobachtungen
von Koch (1. c.) und Makowiecki (1. c), dass nach Bädern
sogar Herabsetzung des Stickstoffumsatzes platzgreifen kann.
Koch constatirte allerdings nur eine so unbedeutende Minder-
ausscheidung des Stickstoffes, dass ein sicherer Schluss auf
die Verminderung des Stickstoffumsatzes nicht gezogen werden
kann.
Die von Makowiecki erhaltenen Zahlen sind wenigstens
z. Th. auch nicht entscheidend, so ist namentlich im Versuche
Stickstoff- und Harnsäure -Ausscheidung. 291
Nr. 4 (vergl. oben) eine solche Minderausscheidung des Stick-
stoffes gar nicht vorhanden.
Die Versuche Nr. 3 und 5 gestatten diesbezüglich auch
keinen Schluss, da in der Badeperiode weniger Stickstoff ein-
geführt wurde als in der Normalperiode, und in Folge dessen
musste auch die Stickstoffausscheidung heruntergehen.
Dagegen scheint der Versuch Nr. 1 für eine Herabsetzung
des Stickstoffumsatzes zu sprechen, obzwar in der der Bade-
periode nachfolgenden Normalperiode auch weniger Stickstoff
ausgeschieden wurde, als in der ersten Normalperiode. Im
Versuche Nr. 2 ist diese Herabsetzung auch nur wenig ausge-
sprochen. Für den Fall, dass eine Herabsetzung des Stickstoff-
umsatzes wirklich statt hat, dürfte die von Richter heran-
gezogene Erklärung am wahrscheinlichsten sein, dass es sich
um eine, in Folge der Körpertemperatursteigerung auftretende
compensatorische Minderersetzung von Organeiweiss, die die
Mehrzersetzung sogar übercompensirt, handelt.
Mit Rücksicht auf die Beobachtung von Prof. Horba-
czewski, * der nach einem heissen Bade eine Vermehrung der
weissen Blutkörperchen im Blute fand, wurde auch das Ver-
halten der Blutkörperchen unter dem Einflüsse der Bäder in
den ersten zwei Versuchen untersucht. Die Zählung wurde
kurze Zeit vor dem Bade und gleich nach demselben nach
Thoma-Zeiss vom Laboratoriumsassistenten Herrn Dr. Mra-
zek vorgenommen. In beiden Fällen ergab sich ein relatives,
ziemlich bedeutendes Ansteigen der Leukocytenzahl nach dem
Bade, wie aus Folgendem hervorgeht, wobei sich die Zahlen
auf 1 mm^ Blut beziehen.
Verhältniss
Versuch I. der weissen
zu den
rothen :
1 : 1007
Vor dem Bade: rothe Blutkörperchen
weisse »
Nach dem Bade: rothe »
weisse »
5,037.500>
5.000(
5,025.000/
7.100»
1 :70;
^ Sitzungsber. der kais. Akademie in Wien, 1891, April.
292
E. Formanek, Stickstoff- und Harnsäure-Ausscheidung.
Versuch II.
I. Bad.
Vor dem Bade: rothe Blutkörperchen:
weisse »
Nach dem Bade: rothe » :
weisse » :
4,325.000)
4.450i
4,682.000)
6.800)
Verhältniss
der weissen
£u den
rothen :
1 :931
1 :688
IL Bad.
Vor dem Bade: rothe Blutkörperchen
weisse »
Nach dem Bade: rothe »
weisse »
^■"3 ■ ■ -
Das Verhältniss der weissen Blutkörperchen in den rothen
steigt daher nach dem Bade, es handelt sich daher um einen
relativen Mehrgehalt des Blutes an Leukocyten. Wieso diese
Steigerung der Leukocytenzahl im Blute unter dem Einflüsse
der Bäder zu Stande kommt, ist vorläufig schwer zu ent-
scheiden, allem Anscheine nach handelt es sich um eine An-
häufung derselben im Blute.
293
Über Sarkolyse beim Mensehen
(Vorläufige Mittheilung)
von
Dr. Josef Schaffer,
I Assistenten am histologischen Institute der k. *. Universität in Wien.
I
(Vorgelegt in der Sitzung vom 12. Mai 1892.)
i
I Untersucht man die quergestreifte Muscuiatur menschlicher
Embryonen zwischen der 10. bis 16. Woche an Schnitten oder
Isolationspräparaten, so wird man in derselben auf eine Reihe
eigenthümlicher Gebilde stossen, welche theils schon bekannt
I und vielfach beschrieben, im Ganzen aber noch nie in ihren
I richtigen, genetischen Zusammenhang gebracht worden sind.
j Derselbe wird an Isolationspräparaten viel schwerer erkannt,
I als an Schnitten, welche die Verhältnisse in situ, die einzelnen
1 Formen, wie man sie auseinander entstanden annehmen muss,
I nebeneinander zeigen und kann daher bei dieser Untersuchung
erstere Methode nur zur Controle dienen. Um die angeführte
Zeit sind die Muskelfasern noch hohle Cylinder, deren Mantel
von einer einfachen, meist aber schon doppelten Reihe von
,Primitivfibrillen" gebildet wird, während die Achse des Cy-
linders von den ovalen, in gewissen Abständen längsgereihten
Kernen und der zu diesen gehörigen, protoplasmatischen Masse
ausgefüllt wird, aus welcher sich eben die contractilen Fäser-
chen heraus dififerenziren. Ein Sarkolemm ist um diese Zeit
noch nicht vorhanden.
Während man also bei mittlerer Einstellung auf eine
solche Faser in ziemlich weiten, zwischen 10 — 86 |x schwan-
kenden Abständen die Achsenkerne und zu beiden Seiten der-
selben einen Zug quergestreifter Fibrillen wahrnimmt, erscheinen
die Fasern am Querschnitt als zierliche Punktkreise oder
Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; Gl. Bd. Abth. III. 20
294 J. Schaffer,
-Ringe, deren Mitte entweder der runde Querschnitt eines
Kernes oder das Bildungsplasma einnimmt. Den Durchmesser
dieser Ringe finde ich in der Nackenmusculatur eines 12 — 13
Wochen alten, in Müller'scher Flüssigkeit erhärteten
Embryos im Mittel 10 (jl, in der Oberschenkelmusculatur 8{i
betragen. Zwischen diesen typischen, embryonalen Fasern
sieht man fast in allen untersuchten Muskeln, aber an ein-
zelnen Stellen zahlreich, an anderen vereinzelt Gebilde,
welche sich als mehr oder minder veränderte Fasern erweisen.
An der Musculatur des erwähnten Embryo kann man im
Wesentlichen Folgendes beobachten: Im einfachsten Falle
umhüllt der unveränderte Fibrillenmantel eine Säule nahe, bis
zur gegenseitigen Berührung aneinander gerückter Achsen-
kerne. Dieser Befund ist ein seltener. Meistens zeigt sich der
Fibrillenmantel verändert, und zwar in der Weise, dass er in
verschiedener Ausdehnung verdickte Querscheiben zeigt, die
durch stärkeres Lichtbrechungsvermögen auffallen, den sonst
geradlinigen Contour der Faser perlschnurartig vorwölben und
der Faser ein körniges Aussehen verleihen. Diese Verdickungen
können an derselben Primitivfibrille sehr nahe aneinander
rücken und endlich zu einem längeren, stäbchenförmigen
Knoten zusammenfliessen. Aber auch die Verdickungsknoten
benachbarter Fibrillen können theilweise oder die ganze Peri-
pherie umfassend verschmelzen, so dass der ganze Fibrillen-
mantel an solchen Stellen an Durchmesser zunimmt und es in
der Längsansicht den Anschein hat, als wären in den Faser-
mantel stark glänzende Knoten von cubischer, prismatischer
oder ovaler Gestalt oder wulstförmige Ringe eingelagert Am
Querschnitt erscheinen die Fasem an solchen Stellen bedeutend
verdickt, bis zu einem Durchmesser von 20 — 25 [i, am un-
gefärbten Präparate in schwach lichtbrechendem Medium stark
glänzend und an Stelle der zierlichen Punktirung ist eine
massige, dicht aneinander gerückte Felderung getreten. Der
Länge nach werden diese Knoten und Ringe stets durch
unveränderte Fibrillenabschnitte verbunden, die oft allerdings
auf zarte Querdurchgänge reducirt erscheinen.
Schon in diesen Stadien kann die Faser an einer solchen
Verdichtungsstelle ihre Continuität mit der unveränderten
Sarkolyse beim Menschen. 295
Faser wenigstens an einem Ende aufgeben und wir sehen
dann eine unveränderte Faser mit einem solchen eigenthümlich
umgestalteten Ende, das stets noch durch eine Kemsäule aus-
gezeichnet ist, mitten im Muskel frei aufhören. Am häufigsten
finden sich solche Abschnitte an den Ansatzenden der Fasern.
An anderen Fasern sind die Verdichtungsknoten oder die
Verdichtungsringe der Länge nach miteinander verschmolzen
und machen solche Stellen in ersterem Falle den Eindruck,
als sei die Faser in dicke, homogenisirte Muskelsäulchen
zerspalten, während sie in letzterem Falle als dicke, längs-
streifige, spindelförmige Umhüllung der Achsenkeme erscheint,
die an Eosin-Hämatoxylin-Präparaten durch eine intensivere
Eosinfarbung auffallt. In einzelnen dieser spindelförmigen
Verdickungen, welche an einem ihrer Enden meist noch
isolirte Verdichtungsknoten zeigen, sind die Kerne durch
stärkere Färbbarkeit und Querstellung auffallend. Neben der
Längsstreifung können solche Achsenkernspindeln noch eine
Querstreifung zeigen, welche aber mit der normalen Quer-
streifung nur insoferne zusammenhängt, als sie die Grenzen
der aneinander gerückten Verdichtungsringe andeutet. Das
Querschnittsbild solcher Stellen ist bereits oben besprochen;
bei fortschreitender Homogenisirung des Fibrillenmantels ver-
schwindet auch die Felderung desselben.
So veränderte Faserabschnitte können nun entsprechend
den Grenzflächen der Verdichtungsringe in kernhaltige kürzere
oder längere Bruchstücke zerfallen oder dieser Zerfall betrifft
nur den verdichteten Fibrillenmantel, der sich in Form kurzer,
rinnen- oder halbröhrenförmiger Bruchstücke von der kern-
haltigen, protoplasmatischen Achse loslöst und welche als
mannigfach gestaltete, zunächst stets scharfkantige Fragmente
zwischen die Fasern zu liegen kommen.
Hier erleiden sie einen Einschmelzungsprocess, der sich
durch Abrundung ihrer Kanten und Ränder und durch das
Auftreten eines zarten, in Eosin sich rosafärbenden, proto-
plasmaartigen Hofes um dieselben kundgibt.
Solche Gebilde erscheinen dann als zelienartige, proto-
plasmatische Massen, welche im Innern noch stark in Eosin
färbbare, grössere oder kleinere, mannigfach gestaltete Bruch-
20»
296 J. Schaffer,
Stücke contractiler Substanz enthalten. Dass es sich nicht um
wirkliche Zellen handelt, geht aus dem häufigen Mangel eines
Kernes hervor, öfter kann allerdings bei der Entstehung der
Muskelbruchstücke ein Achsenkern am Rande haften bleiben
oder es lagert sich ein Bindegewebskern an diese Gebilde an,
in welchen Fällen das täuschende Bild einer kernhaltigen
Zelle mit eingeschlossenen Muskelbruchstücken entsteht.
Schliesslich ist es nicht undenkbar, dass auch echte Zellen,
wandernde Leukocyten solche kleinste Fragmente der contrac-
tllen Substanz in ihren Protoplasmaleib aufnehmen.
Die morphologischen Producte dieses Faserzerfalles zeigen
also verschiedene Formen, welche man nach dem Vorschlage
S. Mayer's* passend als freie und eingeschlossene Sarkolyten
bezeichnen kann. Letztere wären aber wieder zu unterscheiden,
je nachdem die einschliessende Protoplasmamasse einen Kern
enthält oder nicht.
Was nun die Constanz dieses Befundes anbelangt, so
glaube ich für dieselbe eintreten zu können, nachdem ich die
Beobachtungen an sieben anderen Embryonen aus der 10. bis
17. Woche wiederholt und auch bei Thierembryonen analoge
Vorgänge gesehen habe.
Das kann ich allerdings nicht behaupten, dass bei der
Resorption einer Faser stets der oben geschilderte Vorgang
eingehalten wird ; es scheinen da viele Modificationen möglich
zu sein. Auch darf man nicht erwarten, in jedem Muskel alle
beschriebenen Stadien der Sarkolyse vorzufinden, da dieselbe
allem Anscheine nach eine gewisse Periodicität besitzt, die
besonders auch dadurch gekennzeichnet ist, dass der Process
in der beschriebenen Ausdehnung und Form mit dem vierten
Monate sein Ende erreicht. Bei sechs älteren Embryonen (aus
dem fünften und sechsten Monate) konnte ich nichts derartiges
mehr beobachten. Es scheint dies mit dem Solidwerden der
Muskelfasern, das ja auch bei verschiedenen Muskeln zu
verschiedener Zeit eintritt, zusammenzuhängen. Dass sich
aber auch später noch sarkolytische Vorgänge an den Muskel-
1 Einige Bemerkungen zur Lehre von der Rückbildung quergestreifter
Musculatur. - Zeitschrift für Heilkunde, Bd. VIII, 1887, S. 187.
Sarkolyse beim Menschen. 297
lasem abspielen, ist durch zahlreiche Befunde erwiesen; nur
werden dieselben durch die veränderte Form der Fasern einen
etwas anderen Verlauf nehmen, obwohl die einleitenden Ver-
änderungen, wie ich in einer späteren ausführlicheren Arbeit
zu zeigen gedenke, dieselben sind, wie bei den frühembryo-
nalen Fibrillenröhren.
Kehren wir zur Besprechung der letzteren zurück, so ist
man oft überrascht, in wie grosser Zahl diese sarkolytischen
Fasern auftreten. Dieser Umstand gewinnt noch an Bedeutung,
wenn man den Ort, an welchem diese rege Sarkolyse beob-
achtet wird, näher in's Auge fasst. Es sind dies nicht so sehr
die mittleren Partien der Muskelfasern zwischen Ursprung und
Ansatz, sondern gerade die letzteren Stellen ; so sehe ich beim
Ansatz der M. pectorales am Brustbein, an den Rippen und
an der Clavicula beim dem Embryo von 12 — 13 Wochen fast
sämmtliche Fasern sarkolytisch verändert.
Die nachfolgenden Bemerkungen über die Bedeutung
dieses Vorkommens kann ich vorläufig nur als Vermuthungen,
i wenn auch manchmal als wohlbegründete Vermuthungen aus-
! sprechen. Es scheint, dass es sich hier bei raschem Wachs-
j thum und dem dadurch bedingten Auseinanderrücken der
Skelettheile um eine typische Loslösung des gleichsam provi-
I sorischen Muskelansatzes handelt, welche von einem erhöhten
I Längenwachsthum der Muskelfaser gefolgt ist. Was den
I letzteren Punkt anlangt, so erinnere ich daran, dass bei der
oben beschriebenen Form der Sarkolyse vielfach nur der ver-
änderte contractile Mantel der Resorption anheim fallt, während
die Achsenkeme mit ihrem Bildungsprotoplasma mit dem
unveränderten Theile der Faser in Zusammenhang bleiben
kann. Durch dieselben ist einerseits der Weg einer neuen
Fibrillenbildung vorgezeichnet, anderseits das Material für
dieselbe geliefert. Durch Auseinanderrücken der eng gedrängten
Kerne in der Längsrichtung der Faser und oberflächlicher
Dififerenzirung von Fibrillen aus ihrem Protoplasma muss die
alte Faser ein bedeutendes Längenwachsthum erfahren. Dieser
Wachsthumsmodus würde auch die bekannte Verschiebung
von Muskelansätzen an Skelettheilen leicht verständlich
machen; anderseits ist die Bedeutung von terminalen Kern-
298 J. Schaff er, Sarkolyse beim Menschen.
Wucherungen für das Längenwachsthum der Muskelfasern
von verschiedenen Seiten betont worden.
Die Berechtigung dieser Vorstellungen muss noch durch
eine Reihe eingehender Untersuchungen geprüft werden; so
viel scheint mir aber schon jetzt sicher, dass imwachsenden
Muskel typischer Weise Einschmelzungs- und
Neubildungs Vorgänge Hand in Hand gehen,* welche
aufdie endliche Formgestaltung des Muskels einen
ähnlichen Einfluss haben, wie die Resorption und
Apposition bei Wachsthum und Formgestaltung
der Knochen. Selbstverständlich muss die Sarkolyse nicht
von einer Neubildung gefolgt sein, sondern sie kann dort, wo
es nothwendig ist, auch zur einfachen Zerstörung von Muskel-
fasern führen. In dieser Hinsicht dürfte das Studium der Ent-
wicklung rudimentärer Muskeln, die im Embryo angelegt
werden, später aber verschwinden, von Interesse sein.
Die oben angeführten Thatsachen sollen in einer aus-
führlichen Abhandlung durch Abbildungen illustrirt und mit
Berücksichtigung der Literatur demnächst ausgeführt werden.
1 Ich hebe hier ausdrücklich hervor, dass schon S. Mayer, der zuerst
nachdrücklich auf diese interessanten Transformationsprocesse in unversehrten
Geweben aufmerksam gemacht hat, der Meinung zuneigte, >dass auch im
Muskel Vorgänge sich abspielen, durch welche innerhalb der Grenzen der
Norm vereinzelt Muskelfasern in ihrer normalen Form und Zusammensetzung
zeitweilig eingeschmolzen werden, um dann in der Folge wieder einem Neu-
bildungsprocesse anheim zu fallen.« (Biolog. Centralblatt, IV. Bd., Nr. 5,
1884, S. 135.)
r
299
Pharmakologische Untersuchungen über
Ketone und Acetoxime
von
Docent Dr. Heinrich Paschkis und Dr. Fritz Obermayer.
(Aus dem Laboratorium für medicinische Chemie der k. k. Universität in Wien.)
Seit mehr als 20 Jahren sind von zahlreichen Forschern
mehr oder minder werthvolle Beiträge zur Kenntniss von einem
anzunehmenden Zusammenhang zwischen chemischer Structur,
beziehungsweise Constitution und physiologischer Wirkung
einiger Körper geliefert worden.
Für diesen Zusammenhang erscheinen zunächst besonders
wichtig die Verschiedenheiten in der Wirkung, welche sich
durch Veränderung der Constitution eines Arzneikörpers
ergeben. Ohne auf Vollständigkeit in der Aufzählung der in
neuester Zeit recht zahlreich gewordenen Arbeiten Anspruch
zu machen, wollen wir von den bisher untersuchten Körpern
als für unsere vorliegenden Untersuchungen wichtig erwähnen
jene, in deren Molekül ein oder mehrere Atome, beziehungs-
weise eine oder mehrere Atomgruppen substituirt worden sind.
So wurden in einem Alkaloidmolekül ein oder mehrere
Atome H durch Alkoholradicale ersetzt (Crum Brown, Fräser,
Buchheim und Schüler). In gewissen basischen Körpern
(Piperinen und Tropeinen) wurde ein Atom H durch einen Säure-
rest ersetzt. In anderen Alkaloiden wurde eine HO-Gruppe ent-
weder durch einen Säurerest oder durch eine andere Atomgruppe
300 H. Paschkis und F. Obermayer,
ersetzt (Stolnikow). In aromatischen Körpern wurden ein
oder mehrere Wasserstoffatome durch Hydroxylgruppen oder
Alkoholradicale substituirt.
In allen diesen Fällen sah man, dass die Wirkung der
neugebildeten Körper von den ursprünglichen Substanzen in
anscheinend gesetzmässiger Art unterschieden war.
Es sind aber auch Beispiele von einzelnen (homologen)
Reihen bekannt, bei denen eine Grundwirkung zugleich mit
der Zunahme des Moleculargewichtes nicht qualitativ, aber
quantitativ verändert wurde (einsäurige Alkohole, Pyridin-
reihe etc.).
Um vielleicht einigen Aufschluss über diesen Zusammen-
hang zu erhalten, untersuchten wir die Gruppe der Acetoxime,
welche aus mehrfachen Gründen uns dafür geeignet erschien.
Zunächst dachten wir daran, dass ebenso wie durch gewisse
chemische Agentien aus diesen Körpern Hydroxylamin abge-
spalten wird, derselbe Process sich vielleicht allmählich im
thierischen Organismus vollziehe. Es könnte also Hydroxyl-
amin, welches schon in geringer Quantität eine bekannte, sehr
energische Wirkung auf den Organismus übt, frei und wirksam
werden.
Ferner war bei diesen Körpern als Isonitrosoderivaten der
Methanreihe der Einfluss des Ersatzes eines Wasserstoff-
atomes durch die Oximidogruppe NOH zu studiren.
Schliesslich waren hiebei auch Körper einer homologen
Reihe zu untersuchen.
Die Acetoxime gehen aus der Verbindung von Ketonen
mit Hydroxylamin hervor. Sie sind als Isonitrosoderivate auf-
zufassen
(CH3),C0 -h NHjOH = (CH3)jCN0H -h H^O.
Zur Darstellung genügt es in der Regel, das in einem
geeigneten Lösungsmittel gelöste Keton mit Hydroxylamin zu
versetzen, welches aus dem salzsauren Salze durch Alkali in
Freiheit gesetzt wurde. Die erhaltenen Acetoxime werden dann
umkrystallisirt oder in anderer Weise gereinigt. Alkalische
Reductionsmittel wirken auf dieselben nicht ein; von Säuren
werden sie wieder in Hydroxylamin und Ketone zerlegt.
Ketone und Acetoxime. 301
Aceton qii/^0.
Die Wirkung dieses Körpers ist von zahlreichen Forschern
studirt Bei den diesbezüglichen Versuchen wurde das Aceton
zumeist zur Inhalation verwendet (Kruska, Tapp einer, Pen-
zoldt), stomachal applicirt (Albertoni) und endlich subcutan
verabreicht (Kussmaul, Penzoldt, de Gennes). An Fröschen,
Kaninchen und Meerschweinchen wurde Narkose beobachtet,
an Hunden wird Pulsbeschleunigung (von Kussmaul), Blut-
drucksteigerung und Verminderung der Herzfrequenz (von
Tapp einer) angegeben. Intravenöse Injectionen finden sich
in der Literatur nicht verzeichnet. Unsere Versuche, welche
wir allerdings nur im Hinblicke auf das sofort zu besprechende
Acetoxim anstellten, ergaben, dass Dosen von 0-03 — 0*50 auf
Frösche gar keine Wirkung hervorbringen. Bei einem Hunde
bewirkten 2' lg intravenös applicirt keine Veränderung der
Herzfrequenz, und unter Schwankungen eine kleine Steigerung
des Blutdruckes. *
Acetoxim ^jj^^CNOH.
Dieser Körper, auch Isonitrosopropan (CH3),CN0H, wird
dargestellt durch Mischen von Aceton mit wässeriger Hydroxyl-
aminlösung,* die Flüssigkeit wird mit Äther geschüttelt; nach
dem Verdunsten des abgezogenen Äthers verbleibt die Substanz
in Form weisser, prismatischer Krystalle. Dieselben sind schon
bei gewönlicher Temperatur sehr flüchtig, riechen nach Chloral
und sind in Wasser, Alkohol und Äther leicht löslich. Acetoxim
zerfällt beim Kochen mit concentrirter HCl in Aceton und
Hydroxylamin, welche Zersetzung auch durch saure Reduc-
tionsmittel stattfindet; durch alkalische Reductionsmittel wird
es nicht zersetzt.
Das Acetoxim brachte beim Frosche zu 0*06 Narkose
hervor, welche in 5 Stunden wieder schwand. 0 * 03 Hydroxylamin
1 Die Blutdrucksversuche haben wir mit gütiger Erlaubniss des Herrn
Prof. Stricker in dessen Institute ausgeführt.
2 V. Meyer, Janni. Bericht der deutsch, ehem. Gesellsch. XV, 1324.
302 ff. Paschkis und F. Obermayer,
bewirkten in 3 Minuten Narkose, in 10 Minuten den Tod von
Fröschen; deren Blut chocoladebraun; Methämoglobinbildung.
Eine concentrirte wässerige Lösung hatte, auf das freigelegte
Herz eines Frosches aufgeträufelt, keine Wirkung. Ein Frosch
in ein Becherglas gesetzt, auf dessen Boden sich 0*3 Acetoxim
befanden, war in 24 Stunden vollkommen narkotisirt, in
48 Stunden todt.
Beim Meerschweinchen brachten 0*5 leichte Narkose mit
lähmungsartiger Schwäche hervor, welche Erscheinungen aber
schon am nächsten Tage verschwunden waren. Einem grossen
weiblichen Meerschweinchen wurde 0-5 in 2cm' H^O gelöst
subcutan injicirt. Nach 17 Minuten ist das Thier unsicher auf
den Hinterbeinen und fällt beim Putzen auf die Seite; nach
weiteren 13 Minuten liegt es an der Wand des Käfigs, schläft
mit geschlossenen Augen, aufgescheucht zieht es die hinteren
Extremitäten nach und taumelt. Auch in den nächsten 20 Minu-
ten kann es sich nicht aufrecht erhalten und schwankt bei dem
Versuche sich fortzubewegen. Nach weiteren 30 Minuten sitzt
es ruhig, ist schwer zu bewegen, den Platz zu verlassen,
schliesst die Augen und bleibt so ruhig bis 3 Stunden nach
Beginn des Versuches. Am nächsten Tage ist das Thier wieder
normal.
lg der Substanz in H^O gelöst und subcutan injicirt, war
bei einem Hunde von 3*3^^ vollständig wirkungslos; ebenso-
wenig Wirkung zeigten 2^ stomachal applicirt. Auf den Blut-
druck waren 1 * 5^ intravenös injicirt, wie aus folgender Tabelle
ersichtlich ist, ohne Wirkung:
OM'B.D. ISOwwHg
1-5'
180
I.Inj. (0-5in5H,O)
2-5
190
2. »
3
172
3. »
4
162
5
154
6
150
8-5
150
12-5
150
Ketone und Acetoxime. 303
Der Puls schwankte während der Versuchsdauer von
156—168. In dem Blute der injicirten Thiere konnte spectro-
skopisch Methämoglobin nicht nachgewiesen werden.
Diaethylketon qii/CO.
Dasselbe ist eine leicht bewegliche Flüssigkeit von ange-
nehmem, etwa an Essigäther erinnerndem Gerüche, Siede-
punkt 101. Es ist in 24 Theilen H^O löslich. Über eine Wir-
kung dieser Substanz ist uns aus der Literatur nichts bekannt
geworden.
Beim Frosch bewirken 0*05 in verdünntem Alkohol gelöst
und subcutan injicirt nach 7 Minuten Narkose, Erlöschen des
Comealreflexes und nach 5 Stunden Tod.
0*8^ einem Hunde (von 4:kg) subcutan injicirt, erzeugen
nur geringe Erscheinungen: häufiges Niesen und 26 Minuten
nach der Injection deutlichen Geruch der Exhalationsluft nach
Diäthylketon. In dem Verhalten des Hundes war mehrere
Stunden nach der Injection nichts Auffallendes zu bemerken.
Bei der intravenösen Injection von 0-5 Diäthylketon zeigte
sich ein sehr geringes Ansteigen des Blutdruckes.
Rattler (4ft^).
0*^1' B. D. 100 fww Hg Inj. 0-5
4 112 Exspir.-Luft riecht
allmähliches Ansteigen bis
8' B. D. 160 mm Hg
9 144
9-15 164
9-30 146
12 156
Diaethylacetoxim q*j^^^NOH.
Dieser zuerst von Scholl * dargestellte Körper ist ein in
Wasserunlösliches, farbloses öl vom Siedepunkt 162 — 163.
1 Berichte der deutsch, ehem. Gesellsch. XXI, S. 509.
304 H. Paschkis und F. Obermayer,
0*06 (entsprechend 0-05 Keton) in verdünntem Alkohol gelöst
und einem Frosche subcutan injicirt, erzeugt nach 1 1' leichte
Narkose bei Erhaltung der Reflexerregbarkeit; das Thier erträgt
die Rückenlage, nach weiteren 9' ist die Narkose noch deut-
licher, die Reaction sehr träge, Cornealreflex noch erhalten.
30' nach Beginn des Versuches ist auch der Cornealreflex
geschwunden, und nach weiteren 1 V2 Stunden stirbt das Thier
unter zunehmenden Lähmungserscheinungen.
Ein Meerschweinchen, welchem 0*5 Diäthylacetoxim sub-
cutan injicirt worden waren, zeigt 4' nach der Injection Benom-
menheit bei Erhaltung des Cornealreflexes und Seitenlage;
Resp. 60; Puls arhythmisch; nach weiteren 9' ist Resp. 52,
ebenfalls arhythmisch; in weiteren 4' Resp. 48, Cornealreflex
erloschen ; im weiteren Verlaufe werden Respiration und Puls
immer langsamer, die erstere stark intermittirend und der
Puls sehr arhythmisch. Die sensiblen Reflexe gering, immer
mehr abnehmend. 1 ^ 20' nach der Injection nach einigen
schnappenden Athemzügen Herzschlag nicht mehr fühlbar:
Exitus. Bei der Section ist das Herz schlaff, nicht contrahirt,
in seinen Höhlen dunkles, flüssiges Blut, welches spectro-
skopisch kein Methämoglobin nachweisen lässt.
Eine subcutane Injection von 0*8 Diäthylacetoxim bei
einem Hunde von 4kg erzeugte nach 16' unsicheren Gang,
Schwanken, namentlich auf den Hinterbeinen, starke Auf-
regung, Niesen. Die Exhalationsluft riecht nach dem Oxim.
Innerhalb der nächsten 14' nimmt das Schwanken noch immer
zu, nach weiteren 8' lebhafter Bewegungstrieb. Das Thier läuft
unablässig mit unsicherem, schwankendem Gange hin und her;
der Herzschlag wegen ausserordentlicher Unruhe des Thieres
nicht zählbar; das Thier ist sehr unruhig und zittert. Eine
Stunde nach der Injection werden die geschilderten Erschei-
nungen geringer; der Hund frisst und säuft und ist nach kurzer
Zeit vollkommen normal.
Der während der Versuchszeit entleerte Harn reducirt
Fehling'sche Lösung weder in der Kälte, noch nachdem der-
selbe mit Lauge erwärmt wurde.
Intravenös applicirt bringt das Diäthylacetoxim Sinken
des Blutdruckes hervor.
Ketone und Acetoxime. 305
A. Hund 4kg,
8.0.1=152 Inj. 0-8.
OM-5' 148
3-5 94
5-5 84
7 • 5 Absinken bis zur Abscisse. Herz-
lähmung. Im Blut kein Methaemoglobin. Deutlicher Geruch
nach Oxim.
0^
B.
Hund. 5
kg.
1' B
. D.
106
Inj. 0-16
3
94
» 0-08
4
86
5
76
5*5
74
. 0-08
7
70
» 008
7-5
64
10
60
11
54
12
52
16
50
CH V
Methylnonylketon q j| ^CO.
9 1 «I
Bestandtheil des Öles von Ruta graveoleus, flüssig, von
angenehmem Gerüche, löst sich nicht in H^O. Auch über diese
Substanz liegen Versuche noch nicht vor.
Bei der subcutanen Verabreichung bringt dasselbe keine
schweren Erscheinungen hervor; beim Hunde sind 0-5 und
rO vollkommen wirkungslos.
Beim Frosche tritt nur eine gewisse Trägheit und geringere
Reaction gegen Reize ein, welche bei der Application von
0 016 nach zwei Tagen wieder verschwinden. 0*03 Methyl-
nonylketon riefen dieselben Erscheinungen schon nach einer
Stunde hervor; am nächsten Tage waren bei grosser Träg-
heit die Reflexe etwas abgeschwächt, der Cornealreflex aber
noch erhalten. Die Trägheit dauerte vier Tage an. Bei der
306 H. Paschkis und F. Obermayer,
intravenösen Injection bringt die Substanz eine vorübergehende
starke Erniedrigung des Blutdruckes hervor.
Hund 5' 2kg
0^ V vor dem Versuch B. D. 102
4 B. D. 1 12, Inj. von 0*32 Keton
5 B.D. 60
7 B.D. 40
darauf allmähliches Ansteigen bis
10' 144. Die Exspirationsluft
riecht nach dem Keton.
CH V
Methylnonylacetoxim q j| yCNOH.
y IV
Dieser Körper wurde von uns nach den Angaben
Spiegler's * dargestellt. Die Substanz besteht aus wohl-
ausgebildeten, nadeiförmigen, in Wasser unlöslichen Prismen
mit dem Schmelzpunkte 42°.
Zur subcutanen Injection verwendeten wir eine alkoholische
Lösung, zur intravenösen Injection eine Emulsion mit Gummi-
schleim. Die erstere brachte weder beim Hunde zu 0'5 der
Substanz, noch beim Frosche zu 0*03 besondere Erschei-
nungen hervor; beim Hunde fehlten sie gänzlich, beim Frosche
kam es nur zu vorübergehender, geringer Trägheit.
Auch intravenös applicirt scheint die Substanz kaum zu
wirken.
Hund (5'2kgy
OM' B.D. 166 1 Inj.
4 B.D. 186
5 B. D. 1 64 2 Inj. [ 0 7 im Ganzen
6 B.D. 120 / injicirt.
allmählich bis84, miteinzelnen Arhythmieni
8' B.D. 140 3 Inj. '
Es tritt also nur ein vorübergehendes, geringes Sinken des
Blutdruckes ein.
1 Monatshefte für Chemie. V. 242.
Ketone und Acetoxime. 307
CH \.
Methylphenylketon (Acetophenon) q p| yCO
CR
Diese als Hypnon seinerzeit zu therapeutischen Zwecken
empfohlene Verbindung stellt grosse Krystallblätter mit dem
Schmelzpunkte 20 -50. dar. * Das als Hypnon im Handel befind-
liche Präparat ist ein nahezu farbloses Öl von eigenthüm-
Jichem Gerüche.
Aus den Untersuchungen, welche 1885 und 1886 von
Dujardin-Beaumetz und Bardet, dann von Laborde, von
Mairet und Combemale, endlich von Grasset angestellt
worden sind, ergibt sich, dass diese Substanz bei Thieren
Betäubung, Trägheit, Coma und Tod hervorbringt. Bei der
intravenösen Application tritt daneben Sinken des Blutdruckes
und der Herzthätigkeit, Beschleunigung und Unregelmässigkeit
der Athembewegung ein.
CH \
Methylphenylacetoxim q j| yCNOH.
CH,
I
Es bildet seidenglänzende Nädelchen, Schmelzpunkt 59**,
I welche in Alkohol und Äther löslich sind. Beim Frosche
I bewirkten 0*03^ in 50% Alkohol gelöst, erst nach 27, Stunden
leichte Narkose und Fehlen der Reflexe, bei normalem Herzen;
0 05 bewirkten schon nach 6 Minuten Betäubung, und nach
19 Minuten Narkose mit vollständigem Erlöschen der Reflexe,
ebenfalls ohne Beeinflussung des Herzens.
Die subcutane Injection von 0* 6 der Substanz brachte beim
Hunde keine Erscheinungen hervor; dieselbe Menge in Emul-
sion einem Hunde intravenös beigebracht, hatte auch keine
nennenswerthe Änderung des Blutdruckes im Gefolge.
Laurineencampher Ci^Hi^O.
Da derselbe ketonartigen Charakter hat und sich mit
Hydroxylamin zu Campheroxim verbindet, wurde er gleichfalls
in den Bereich dieser Untersuchungen gezogen.
Was die, aus den verschiedenen Arbeiten von Hoffmann,
Husemann, Wiedemann u. A. wohlbekannten Wirkungen
des Camphers betrifft, so waren für uns von Bedeutung die bei
1 Beilstein III, S. 70.
308 H. Paschkis und F. Obermayer,
Fröschen auftretende allgemeine Paralyse, bei welcher jedoch
zu bemerken ist, dass bei diesen Thieren vor der Lähmung auf
Reizung krampfhafte Streckung, jedoch keine allgemeine Con-
vulsionen auftreten, und dass die Reflexe lange Zeit energisch
ausgelöst werden. Bezüglich des Kreislaufes soll der Campher
beim Frosch den Herzmuskel direct erregen; Wirkung auf das
Herz ist bei Säugethieren nicht nachweisbar; über eine eventuell
eintretende Blutdrucksteigerung sind die Angaben (welche sich
zudem nur auf die Application des Mittels in den Magen
beziehen) nicht übereinstimmend.
Campheroxim, C,oH|qNOH.
Dieser Körper stellt lange, farblose Nadeln, Schmelzpunkt
115, dar, welche in Alkohol, Äther, Alkalien und Säuren löslich
sind. Der Geruch soll nachNägeli* intensiv campherähnlich
sein; wir fanden die Substanz nur wenig nach Campher,
dagegen auch in sehr verdünnten Lösungen deutlich nach
Lauch riechend. Beim Erwärmen mit HCl entsteht ein ange-
nehmer Veilchengeruch. Die Angabe, dass das Campheroxim
in Atzalkalien löslich ist, ist dahin zu verstehen, dass der Körper
nur im Überschuss der Lauge gelöst bleibt, so dass also der-
artige Lösungen, weder für die subcutane, noch für die intra-
venöse Application verwendbar sind. Wir haben daher zu
unseren Versuchen theils Lösungen in verdünntem Alkohol,
einmal auch in Seife, theils Emulsionen mit Gummischleim
benützt. Schon 0*03 Campheroxim führten einmal beim Frosche
in 12 Stunden den Tod herbei; Gaben von 0*05, 0*06 wirken
nicht rascher, aber ebenfalls tödtlich. Bei den Fröschen trat
zuerst nach 7« — 1 Stunde eine lähmungsartige Schwäche oder
Narkose ein, darauf, in der Regel am nächsten Tage, erhöhte
Reflexerregbarkeit bei fortbestehender Betäubung, später
tonische und klonische Krämpfe, welche anfallsweise unter
heftigem Schreien und Maulaufreissen manchesmal so heftig
auftraten, dass die Thiere schliesslich auf den Rücken fielen
und sich nicht mehr aufrichten konnten. Die Zehen waren
1 Beilstein III, 275.
Ketone und Acetoxime. 309
krampfhaft gebeugt, die Schwimmhäute gespannt, der Kopf
nach vorne abgebogen, der Bauch kugelähnlich aufgebläht;
dabei war die Respiration angestrengt, verlangsamt und aus-
setzend. Allmählich lassen die spontanen Krämpfe nach, wobei
aber noch immer leichteZuckungen in den verschiedenen Muskel-
gruppen auftreten und hie und da durch äussere Reize wieder
Krämpfe ausgelöst werden können. Dieser Zustand dauert oft
tagelang an. Die Thiere werden sehr träge, hüpfen nicht,
ziehen die Beine nach, nehmen aber auch wieder hie und da
die Hockstellung ein. Nach 4 — 5 Tagen tritt der Tod in
Lähmung ein.
Bei dem Aufträufeln einer alkoholischen Campheroxim-
lösung auf das blossgelegte Herz eines Frosches wurde bis auf
eine leichte Verstärkung der Systole und eine sehr geringe
Verlangsamung der Schlagfolge nichts Weiteres beobachtet.
Kleine Gaben bis 0 08 sind auf Meerschweinchen ohne Wir-
kung. Grössere Gaben, wie 0*3 (in alkoholischer Lösung),
bewirken schon nach wenigen (4) Minuten unsicheren Gang,
zuweilen Aufdieseitefallen. Sodann tritt grosse Unruhe und
heftiger Bewegungstrieb auf, welche einige Stunden anhalten.
Die Thiere fallen auf den Rücken, haben leichte, krampfhafte,
aber nur einen Augenblick anhaltende Zuckungen in den
Extremitäten. Der Bewegungstrieb nimmt immer mehr zu, die
Thiere sind sehr unruhig, laufen aufgeregt umher, senken den
Kopf tief nach unten, wie Futter suchend. Bei einem Thiere
beobachteten wir ein krampfhaftes Drehen des Kopfes nach
rechts, worauf auch das Thier Drehbewegungen nach derselben
Richtung machte. Ausserdem treten krampfhafte Bewegungen
in verschiedenen Muskeln, namentlich in den Halsmuskeln,
Schütteln und Nicken des Kopfes auf. Hierauf werden die
Thiere ruhig, sitzen zusammengeknauert und schreien hie und
da erbärmlich auf. Die Krämpfe in den Muskeln und das
Schreien treten anfallsweise in mehr oder weniger grösseren
Pausen ein. Innerhalb 24 Stunden sterben die Thiere. Die
Section ergibt nichts Besonderes. Das Herz fest contrahirt und
blutleer; die Vorhöfe von Blut strotzend. Das Gehirn normal;
überall deutlicher Geruch nach Lauch; im Blute spectroskopisch
kein Methämoglobin nachweisbar.
Sitzb. d. roathem.natunv. Cl.; CI. Bd., Abth. III. 21
310 H. Paschkis und F. Obermayer,
Beim Hunde hatten Gaben von Y, — Ig subcutan in
Emulsion applicirt keinen Einfluss. Einem 3'3kg schweren
Hunde wurden 0-5 Campheroxim in Emulsion in die Jugularis
injicirt.
Blutdruck bei Beginn \32mm Hg. Puls 104; unmittelbar
nach der Injection:
10 See. B. D. 60
0*^ 2' 50
4 60
6 70 P. 152
8 90
10 100
13 140
15 170
16-5 140 P. 150
17 170 Arhythmien
24 160 Vaguspulse
24-5 200
30 Vagi durchschnitten, P. 152,
einzelne Arhythmien
31-15 174
32-5 160 Injection von 0*15
33 Centrale Vaguswirkung: allmähliches
Absinken bis
36 86 P. 108
Vaguswirkung hat aufgehört. Druck
allmählich steigend bis
37 116 Druckschwankungen
41 84
42 126 Athmung sistirt
43 104
44 104 Athmung wieder eingeleitet und all-
mählich Ansteigen bis
1 34 der Druck bleibt innerhalb der nächsten
10' zwischen 100 und 134.
Die Resultate sind in der nachfolgenden Tabelle über-
sichtlich zusammengestellt.
Ketone und Acetoxime.
311
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los, 0'5 intra-
venös: geringe
Drucksteigerung
1 * 0 wirkungs-
los, 0*32 intra-
venös, vorüber-
gehende, starke
Erniedrigung
des Blutdruckes
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Ketone und Acetoxime. 313
Die gewonnenen Versuchsresultate können von ver-
schiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet werden. Als der
wichtigste Punkt ist wohl die Thatsache zu bezeichnen, dass
den Acetoximen die Wirkung des Hydroxylamins vollkommen
abgeht. Es wäre nämlich denkbar gewesen, dass, ebenso wie
beim Erwärmen mit HCl im Reagensglas eine Abspaltung von
Hydroxylamin eintritt, ein ähnlicher Vorgang auch im lebenden
Organismus vor sich gehen könnte. Das Hydroxylamin hat,
wie bekannt, schon in sehr geringen Gaben eine deutlich aus-
gesprochene Wirkung. Zu den wichtigsten und am meisten
charakteristischen Erscheinungen derselben gehört die Ver-
änderung des Blutes, das Auftreten von Methämoglobin. In
keinem unserer Thierversuche, welche wir mit den Acetoximen
anstellten, konnten wir diese Veränderung des Blutfarbstoffes
nachweisen.
Sodann ist hervorzuheben, dass den Ketonen im Allge-
meinen jene Wirkungen zukommen, welche für die Gruppe des
Alkohols eigenthümlich sind: Narkose und Herabsetzung des
Blutdruckes. Wie ersichtlich, ist die Wirkung der einzelnen
Glieder dieser Reihe nicht gleich und es scheint, als wenn die
Stärke der Wirkung zunächst mit der Zunahme des Molecular-
gewichtes wachsen würde. Dass dieses letztere nicht aus-
schliesslich massgebend ist, zeigt das Methylnonylketon, und
wir glauben in diesem Falle nicht fehlzugehen, wenn wir die
DiflFerenzen in dem Grade der Wirkung auch auf die Anwesen-
heit der verschiedenen Alkylgruppen in dem Moleküle beziehen.
Es dürfte sich hier um ähnliche Verhältnisse handeln, wie
sie Baumann für die Sulfone festgestellt hat So wie in diesen
Körpern die Wirkung von der Anwesenheit und Menge der
Äthylgruppen abhängig ist, so scheint, wie aus dem Vergleiche
der Wirkung von Dimethylketon und Diäthylketon hervorgeht,
auch hier ein ähnliches Verhalten obzuwalten.
Was nun die Acetoxime betrifft, so ist, wie schon oben
gesagt, von einer Hydroxylaminwirkung nicht die Rede und
man kann sagen, dass sie sich im Allgemeinen in ihren
Wirkungen der Gruppe des Alkohols anschliessen, indem
Narkose (hie und da auch Rausch) und Herabsetzung des Blut-
druckes eintreten. Daneben gilt bei ihnen dasselbe über die
314 H. Paschkis und F. Obermayer, Ketone und Acetoxime.
Moleculargrösse und die Bedeutung der einzelnen Alkylgruppen,
was wir eben bei den Ketonen bemerkt haben.
Der Eintritt der Oximidogruppe in das Keton hat keinen
nennenswerthen Einfluss auf die Wirkung. Nur beim Campher
tritt eine Änderung insofeme auf, als beim Frosche und beim
Meerschweinchen die erregende Wirkung die lähmende über-
trifft. Beim Hunde bleibt das Campheroxim, wie so häufig auch
der Campher, wenigstens bei subcutaner Application, ohne
Wirkung. Erwähnt zu werden verdient hier noch die vorüber-
gehende Blutdruckherabsetzung, während beim Campher auch
bei curarisirten Säugethieren Drucksteigerung angegeben wird.
Die Constitution des Acetoxim, welches auch als Isoni-
trosopropan aufgefasst werden kann, veranlasste uns auch
einen nahestehenden Körper, das Isonitrosoaceton, einer
Untersuchung zu unterziehen. Dieselbe ist noch nicht abge-
schlossen, jedoch können wir schon jetzt sagen, dass ganz
wesentliche Unterschiede vorhanden sind und dass das Isoni-
trosoaceton auch weit giftiger ist als das. Isonitrosopropan.
315
Über das Verhalten derprotoplasmaarmenund
protoplasmareichen, quergestreiften Muskel-
fasern unter pathologfisehen Verhältnissen
von
Ph. Knoll und Dr. A. Hauer.
(Mit 8 Tafeln.)
(Vorgelegt in der Sitzung am 10. MSrz 1892.)
Über die wichtigsten der in den nachfolgenden Blättern
eingehender darzulegenden Thatsachen hat der erstgenannte
der beiden Verfasser schon im Jahre 1889 bei der Naturforscher-
versammlung in Heidelberg kurz berichtet. (1). Die eingehenden
Studien, die derselbe, im Anschlüsse an die Beobachtung jener
Thatsachen, über das Vorkommen und die functionelle Bedeu-
tung der protoplasmaarmen und protoplasmareichen Musculatur
in der Thierreihe anstellte; (2). sowie der Wunsch bei einer Reihe
weiterer Versuche die Stichhaltigkeit seiner, in der Discussion
bei der Heidelberger Versammlung stark angefochtenen Behaup-
tung, dass es nach Nervendurchschneidung zu einer Einwan-
derung farbloser Rundzellen in die Muskelfasern kommen kann,
und dass auf diese Weise Muskelzellenschläuche entstehen
können, noch einmal zu prüfen, verzögerten die vorliegende
Mittheilung so sehr.
Den Ausgangspunkt für die fragliche Untersuchung bildete
die Beobachtung, dass in der Musculatur der Haustaube bei der
Inanition an den »interstitiellen Körnern« (Kölliker) Ver-
änderungen eintreten, welche den Gedanken nahe legten, dass
ein wesentlicher Theil der Stofifwechselvorgänge in der Muscu-
latur sich an diesen, in eipem Theile der Musculatur weit zahl-
reicher als im anderen, auftretenden Körnern vollziehe (3).
316 Ph. KnoU und A. Hauer,
Die Absicht, das Verhalten der »interstitiellen Körner« unter
verschiedenen, den Stoffwechsel der Muskeln verändernden
Bedingungen ins Auge zu fassen, wurde schon damals bei
Mittheilung jener Beobachtung ausgesprochen (3, S. 42), durch
andere Arbeiten aber in den Hintergrund gedrängt
Das Interesse an dieser Frage aber war mittlerweile durch
die an die Mittheilungen Ranvier's über rothe und weisse
Musculatur anknüpfenden Untersuchungen Grützner's und
seiner Schüler, über das Vorkommen und die functionellen
Verschiedenheiten an »interstitiellen« Körnern reicher (trüber)
und armer (heller) Fasern um so mehr gesteigert, als in einer
der betreffenden Mittheilungen sich die Anjgabe findet, dass die
trüben Muskelfasern nach Nervendurchschneidung später
entarten als die hellen, und überhaupt gegen Schädlichkeiten
widerstandsfähiger seien. (4.)
Die Wiederaufnahme jener Absicht erfolgte im Sommer-
semester 1888, und als Object der Untersuchung wurde haupt-
sächlich der grosse Brustmuskel der Haustaube gewählt, da
bei den früheren Beobachtungen sich ergeben hatte, dass an
»interstitiellen« Körnern sehr arme und sehr reiche Fasern in
demselben vorkommen.
Da die Untersuchung sich begreiflicherweise nicht auf das
Zerzupfen in indifferenten Flüssigkeiten beschränken konnte,
wobei die Körner in den Muskelfasern im allgemeinen ziemlich
gut erhalten bleiben, musste nach einer entsprechenden Methode
der Fixirung gesucht werden, als welche sich, wie dies an
anderer Stelle näher ausgeführt wurde, das starke Chrom-
Osmium-Essigsäuregemisch erwies. (2, S. 650.)
Die möglichst rasch nach dem Tode des Versuchsthieres
ausgeschnittenen Muskelstückchen blieben 4 — 8 Tage in diesem
Gemenge und wurden dann in 70 — 90^© Alkohol nachgehärtet.
Die wesentlich dickeren protoplasmaarmen Fasern, die im
grossen Brustmuskel, an Zahl viel spärlicher, hauptsächlich an
der Peripherie und nur vereinzelt im Inneren der secundären
Bündel liegen, zeigen dabei polygonalen Contur und erscheinen
auf dem Querschnitte, abgesehen von ziemlich zahlreichen
innenständigen Kernen und weit auseinanderstehenden, feinen,
glänzenden Körnchen, in der Regel homogen, auf dem Längs-
Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 317
schnitte aber matt quergestreift, und zwar in der Regel ohne
fibrilläre Zeichnung der Querstreifen (I, 10, 13). Ausnahmsweise
findet sich an den Querstreifen und auf dem Querschnitte bei
dieser Methode der Härtung eine ganz matte, feine Granulirung
als Andeutung der Zusammsetzung der Faser aus Fibrillen. Die
Kerne dieser Fasern sind längsoval und lassen an mit Safranin,
Hämatoxylin oder Methylgrün gefärbten Präparaten ausser
einer im Ganzen zarten und schwach gefärbten, stellenweise
durch die Anlagerung von Chromatinklumpen verdickten Kern-
membran kleine, durch sehr feine Chromatinfäden miteinander
verbundene Chromatinklümpchen erkennen. (IV, 7.)
Die feinen »interstitiellen« Körnchen dieser Fasern
finden sich meist an den Kempolen, die Kerne gewissermassen
zu einer sehr lang ausgezogenen, spitzen Spindel ergänzend.
a, 10.)
Die im grossen Brustmuskel weit zahlreicheren dünneren,
protoplasmareichen Fasern zeigen auf dem Querschnitte ziem-
lich dicht und ziemlich regelmässig stehende, succulente, gröbere
Kömer, die Glanz, und dort, wo die Fasern im Ganzen gelb
gefärbt sind, auch Gelbfärbung erkennen lassen (I, 13). Die
Kerne der diese Fasern dicht umspinnenden, zahlreichen Capil-
laren und die Kerne der in diesen befindlichen Blutkörperchen
können das Vorhandensein zahlreicher, randständiger Kerne
an diesen Fasern vortäuschen. In Wirklichkeit sind die fast
durchwegs randständigen Kerne dieser Fasern recht spärlich,
viel spärlicher als an den anderen Fasern, aber ebenso
beschaffen, wie in diesen. An den gefärbten Präparaten sind
die Körner in einem Theile ihrer Substanz deutlich gefärbt, in
einem anderen Theile derselben hell glänzend.
Auf Längsschnitten erscheinen die Körner in regelmässigen,
Längs- und Querstreifung der Fasern bedingenden Längszügen
angeordnet. (I, 10, 11.)
Abweichungen von dem eben beschriebenen Bilde sind
nicht selten, an den Randpartien der Präparate sogar die Regel,
da hier die Fasern nicht unwesentlich geschrumpft erscheinen,
und, wie an den Alkoholpräparaten die Fibrillen, beziehungs-
weise Säulchen, sehr scharf hervortreten lassen. Ferner erscheint
die Randpartie, und zwar noch über jenen geschrumpften
318 Ph. Knoll und A. Hauer,
Theil hinaus, gelblich gefärbt, während die Mitte des Präpa-
rates bei Objecten von ^l^cm Dicke zumeist ungefärbt ist.
Auch sind zerklüftete Fasern an den Rändern nicht selten zu
finden.
Am Herzmuskel, der aus lauter sehr dünnen, an feinen
Körnchen reichen Fasern besteht, erscheinen an den Rand-
partien die Fasern oft auf weite Strecken hinaus homogen und
färben sich in diesen homogenen, meist an einer Kittleiste
endenden Partien sehr stark.
Aber auch mitten im Präparate finden sich kleine, homogene
Partien, die sich stärker färben, an den zuweilen ziemlich zahl-
reichen Faserwülsten, an denen in den trüben Fasern die Körn-
chen fehlen. (I, 11.)
Derartige, einerseits wohl durch die ungleichmässige
Durchtränkung des Präparates von der Härtungsflüssigkeit,
anderseits aber wohl durch die verschiedene Reaction der
Fasern auf das Härtungsverfahren bedingte Abweichungen
müssen natürlich bei der Deutung der Erscheinungen an den
krankhaft veränderten Muskeln beachtet werden, finden sich
aber auch bei anderen Härtungsverfahren mindestens ebenso
zahlreich.
An in Alkohol und MüUer'scher Flüssigkeit gehärteten
Objecten zum Beispiel wurde das Querschnittsbild der Fasern
in den verschiedenen Partien der Präparate oft sehr wechselnd
gefunden. Es gilt dies weniger von den dicken Fasern, welche
bei jenen Härtungsverfahren in der Regel eine feine, von einem
spärlichen, unregelmässigen Geäder durchsetzte fibrilläre Zeich-
nung des Querschnittes erkennen lassen. (I, 14, 16, 17.) Doch
stösst man auch hier, namentlich an den Präparaten aus
Mülle r'scher Flüssigkeit, öfter auf im Ganzen homogene Quer-
schnitte, von denen sich neben den Kernen an Stelle der Köm-
chen rundliche oder strahlig verzogene Lücken abheben. (I, 15.)
An den dünnen Fasern aber findet man neben Partien, in welchen
die Querschnitte von einem ziemlich regelmässig die Muskel-
säulchen umsäumenden Geäder durchsetzt erscheinen, das bei
wechselnder Einstellung bald hell und glänzend und bald
wieder dunkel erscheint und in Hämatoxylin ungefärbt bleibt
(I, 16, 17; II, 1, 2.), zumeist Stellen, an denen die mannigfaltig-
Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 319
sten Übergänge von einem System rundlicher Lücken zu einem
unregelmässigen und endlich zu jenem regelmässigen Geäder
zu finden sind. (I, 14, 15.)
Zuweilen endlich, namentlich bei Verwendung absoluten
Alkohols oder bei von 50 zu 907o steigender Concentration des
Alkohols, kann man auch an den dünnen Fasern eine Dififeren-
zirung der Fibrillen in den Muskelsäulchen und damit eine
Verwischung des sonst scharf hervortretenden Unterschiedes
im Querschnittsbilde der beiden Faserarten wahrnehmen.
Auf dem Längsschnitte unterscheiden sich die beiden
Faserarten nach Härtung in Alkohol und Müllefscher Flüssig-
keit hauptsächlich durch die verschiedene Dicke und durch die
infolge der Gliederung der dünnen Fasern in Säulchen bedingte
regelmässige Längsstreifung der letzteren. (I, 12.) Zuweilen
sind auch Andeutungen einer Körnelung an letzteren Fasern zu
sehen, doch ist dies kein häufiges und vor allem kein klar aus-
geprägtes Vorkommniss.
Bei einer vergleichenden Versuchsreihe, bei welcher die
Objecte dem Versuchsthiere theils sofort, theils 24 und 48 Stun-
den nach der Tödtung entnommen und in absolutem Alkohol,
Chrom-Osmium-Essigsäuregemisch und Pikrinschwefelsäure
gehärtet wurden, ergab sich kein Einfluss der zwischen der
Tödtung und dem Beginne der Härtung verstrichenen Zeit auf
das Querschnittsbild der Muskelfasern.
Die Pikrinschwefelsäure wurde nur in einer kleinen Zahl
von Versuchen neben den anderen Härtungsflüssigkeiten ver-
wendet. Dieselbe conservirt die »interstitiellen« Körner sehr gut,
und liefert trefflich schneid- und färbbare Präparate. Das starke
Chrom-Osmium-Essigsäuregemisch hat aber den Vorzug, die
Körner unter Umständen zu färben und dadurch Veränderungen
an denselben ersichtlich zu machen, die bei der Verwendung
der Pikrinschwefelsäure nicht zu erkennen sind.
Bei den meisten Versuchen wurden auch Goldpräparate
nach Lö wit's Methode angefertigt und nach Rollett's Angaben,
behufs Gewinnung von Querschnitten zerhackt. Indem bezüg-
lich der Einzelheiten der Goldbilder der trüben, protoplasma-
reichen und hellen, protoplasmaarmen Fasern der Tauben-
musculatur auf die unter 2 angeführte Monographie (S. 652,
320 Ph. Knoll und A. Hauer,
Taf. III, Fig. 14 — 21 und 25) verwiesen wird, in welcher auch
die verschiedene Vertheilung der beiden Faserarten über die
Skelettmusculatur der Haustaube dargestellt ist und die Ver-
hältnisse erörtert werden, welche bei dem wechselnden Quer-
schnittsbilde der trüben Fasern ins Spiel kommen, sei hier nur
her\^orgehoben, dass beim Goldverfahren die Körner in den
protoplasmareichen Fasern auf dem Längs- und Querschnitte
roth gefärbt hervortreten. (I, 1, 6.)
I. Veränderungen bei Inanition.
Die Inanition wurde bei 5 Tauben durch vollständige Ent-
ziehung der Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr, bei zweien
durch Durchschneidung der Halsvagi erzeugt. Bei der ersten
Gruppe erfolgte der Tod in 6, 7, 8, 13 und 14, bei der zweiten
in 6 und 7 Tagen.
Beim Zerzupfen von Stückchen des grossen Brustmuskels
in physiologischer Kochsalzlösung fanden sich in den dünnen
Fasern und in der Zusatzflüssigkeit reichlich, doch nicht so
zahlreich wie unter normalen Verhältnissen Körnchen, doch
nur solche, die keinen oder nur einen ganz matten Glanz zeigten.
Die dicken Fasern, sowie die meisten isolirten Muskelsäulchen
der dünnen Fasern erwiesen sich deutlich quergestreift. Nach
Zuleitung von stark verdünnter Essigsäure oder Natronlauge
war an einem grossen Theile beider Faserarten die sonst bei
dieser Reaction klar zu Tage tretende Quer-, beziehungsweise
Quer- und Längsstreifung nicht sichtbar, an einem anderen
Theile derselben war sie vorhanden, doch fehlten in beiden
Fällen an den dünnen, die sonst unter diesen Umständen an
den Kreuzungspunkten von Quer- und Längsstreifung, wahr-
nehmbaren glänzenden, in Osmium sich schwärzenden, kleinen
Körnchen. (2, S. 652, 53.)
An den Goldpräparaten war der hervorstechendste Unter-
schied gegenüber der Norm die grosse Unregelmässigkeit in
der Vertheilung und Gestaltung der vom Gold gefärbten Massen.
Auf dem Längsschnitte wechselten grössere spindelförmige
Massen und feine Körnchen, weite Lücken zwischen sich
lassend, und ganz unregelmässig angeordnet mit einander ab
Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 321
(I, 2) und ebenso waren die gefärbten Massen auf dem Quer-
schnitte bald gröber und bald wieder viel feiner, sowie weiter
auseinanderstehend und minder regelmässig vertheilt als sonst.
(I, 3.)
Auch am Herzmuskel fanden sich ähnliche Verhältnisse,
doch war hier die Verarmung der Fasern an in Gold sich
färbenden Massen minder auffallend als an den dünnen Fasern
des grossen Brustmuskels. (I. 7.)
Die Querstreifung war entsprechend den vorher ange-
gebenen Folgen der Säureeinwirkung an einem grossen Theile
der Fasern verschwunden.
Analoge Erscheinungen, wie an den Goldpräparaten, traten
an den Schnitten nach Härtung in der starken Fl emm Ingu-
schen Lösung hervor. Auch hier war die Körnelung der dünnen
Fasern des grossen Brustmuskels eine lückenhafte und die
Körnchen selbst waren zumeist in spindelförmigen Haufen
zusammengedrängt. Die sonst an den dünnen Fasern von den
Kömerzügen verdeckte Querstreifung der Muskelsäulchen selbst
trat unter diesen Umständen klar hervor. (II, 3.)
Die Verarmung an Körnchen war sehr wechselnd, im
Ganzen aber bei den Thieren, welche der Inanition später
erlegen waren auffallender (II, 7, 10), als bei jenen, die sich
! gegenüber diesem Eingriffe weniger widerstandsfähig erwiesen
hatten. (II, 4.) Es wechselten aber oft in einem und demselben
j Präparate Stellen, in welchen die Querschnitte noch zahlreiche,
zum Theile grobe Körner enthielten, mit solchen ab, in denen
nur ganz spärliche feine Körner zu finden waren. Alle, auch
die groben Kömer Hessen, wenigstens bei den später erlegenen
Thieren, den denselben sonst eigenthümlichen Glanz voU-
I ständig vermissen.
An vielen Stellen, insbesondere bei den später erlegenen
^ Thieren, erwiesen sich die dicken Fasern bedeutender ver-
I kleinert, als die dünnen, so dass im Zusammenhange mit der
Abnahme der Körnelung in den letzteren Fasern der sonst
so auffallende Unterschied der beiden Faserarten, namentlich
1 bei Verwendung schwächerer Vergrösserungen sehr verwischt
erschien. Der Schwund der dicken Fasern war in dem zur
Peripherie der secundären Bündel senkrechten Durchmesser
\
322 Ph. KnoU und A. Hauer,
derselben stärker ausgeprägt als in dem anderen, so dass sie oft
wie plattgedrückt aussahen, was wohl mit den durch den Unter-
schied in der Atrophie der beiden Faserarten und die Lage der
einen an der Peripherie der secundären Bündel bedingten Druck-
verhältnissen zusammenhängt. (II, 10.)
An den dicken Fasern war eine auffallende Vermehrung
der Kerne wahrzunehmen. Nirgends fand sich aber ein Zeichen
von Mitose an denselben, sondern nur Verbiegung oder Ein-
buchtung, sowie unverkennbare Theilung derselben und wech-
selnder Chromatingehalt ohne wesentliche Änderung der Kem-
structur. (II, 8, 9 ; IV, 3, 4, 6, 8.) Stellenweise fand sich eine
unzweifelhafte Betheiligung der an den Kernpolen liegenden
feinkörnigen Massen, die nicht selten sehr erheblich vermehrt
erschienen, an der Theilung. (IV, 4.)
Dieselben Veränderungen wie am grossen Brustmuskel,
fanden sich an der übrigen Skelettmusculatur und auch am
Herzen waren die Körner im Allgemeinen etwas spärlicher und
im Durchmesser ungleichartiger, als sonst, doch waren hier die
Veränderungen im Ganzen weit weniger schlagend. (II, 6.)
An in Alkohol oder Mülle rascher Flüssigkeit gehärteten
Präparaten war das Geäder zwischen den Muskelsäulchen an
den dünnen Fasern der Skelettmusculatur spärlicher und
unregelmässiger als normal, an den Herzmuskelfasern aber war
die durch den blätterigen Bau derselben bedingte radiäre Zeich-
nung des Querschnittes wohl erhalten. (II, 5.) Die fibrilläre
Zeichnung des Querschnittes der dicken Fasern war minder
scharf ausgeprägt als normal.
Im Ganzen erweisen sich also die zwischen den Muskel-
säulchen der trüben Fasern vertheilten körnigen Protoplasma-
massen infolge der Inanition auffallend vermindert, und ins-
besondere das sonst in ihnen enthaltene Fett, wie dies schon in
der unter 3 angeführten Abhandlung hervorgehoben wurde
(S. 44) geschwunden.
Dass die Fibrillen selbst dabei auch einschneidende Ver-
änderungen erfahren, geht schon aus dem Umstände hervor,
dass bei einem Grade der Säure- oder Alcali-Einwirkung, der die
Querstreifung der Fasern sonst intact lässt, diese an einem grossen
Theile der Muskelfasern der Hungertaube verschwindet.
Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 323
Ob dem nach der Inanition an vielen isolirten Muskel-
säulchen (in physiologischer Kochsalzlösung) zu findenden
Mangel der Querstreifung eine pathologische Bedeutung zu-
kömmt, muss unentschieden bleiben, da dies auch bei normalen
Haustauben nicht selten zu finden ist.
Eine sehr bemerkenswerthe Erscheinung ist es, dass die
an kömigem Protoplasma so viel ärmeren dicken Fasern der
Skelettmusculatur bei der Inanition im Ganzen stärker schwin-
den, als die dünnen, bei diesen aber wieder die fibrilläre Sub-
stanz im Allgemeinen weniger vermindert erscheint als die
interfibrilläre, Thatsachen, die unsere Kenntnisse von der
Bedeutung der letzteren für die Ernährung und Erhaltung der
ersteren nicht unwesentlich erweitern, da aus ihnen hervorgeht,
dass bei der Inanition das Protoplasma der Muskelfasern die
Fibrillen derselben bis zu einer gewissen Grenze von der ein-
wirkenden Schädlichkeit zu schützen vermag, dabei aber selbst
aufgebraucht wird.
Dass entweder selbst unter den Fasern einer Kategorie
nicht unwesentliche individuelle Unterschiede der Widerstands-
fähigkeit, oder aber örtliche, vielleicht mit der Blutgefäss-
vertheilung zusammenhängende Verschiedenheiten der Ernäh-
rungsbedingungen in einem und demselben Muskel bestehen
dürften, lehren die hervorgehobenen Verschiedenheiten an den
einzelnen Stellen der Präparate.
Die Wucherungsvorgänge an den Kernen der hellen Fasern
müssen wohl zu der von Flemming (5) geschilderten atrophi-
schen Kernwucherung an den Fettzellen in Parallele gebracht
werden. Dass diese Kernwucherung hier nur auf die proto-
plasmaarmen Fasern beschränkt ist (II, 8, 9), ist wohl als ein
weiteres Zeichen der hohen Bedeutung des Protoplasmagehaltes
für die Ernährung der ganzen Faser anzusehen.
Bemerkenswerth ist es auch, dass die Vermehrung der
Kerne, welche Gaglio schon in den Muskelfasern von hungern-
den Fröschen beobachtet hat (6), bei der Taube ohne ander-
weite wesentliche Änderung der Kernstructur amitotisch
erfolgt
Es sei auf diese, aus den Fig. 3, 4, 6, Taf. IV, hervorgehende
Thatsache hier nur verwiesen, da es nicht im Plane dieser
324 Ph. KnoU und A. Hauer,
Arbeit lag, die an den Kernen unter diesen Umständen statt-
findenden Vorgänge in allen Einzelheiten zu verfolgen.
Schliesslich ist noch anzuführen, dass Zeichen einer massi-
gen Emigration in der Skelettmusculatur der verhungerten
Tauben zu finden waren.
II. Veränderungen bei Phosphorvergiftung.
Die Phosphorvergiftung wurde an 10 Tauben durch Injec-
tion einiger Tropfen bis ^j\cin' Phosphoröl unter die Rückenhaut,
an 4 durch Injection von V/^ — ^,\cm' dieses Öls in den Rachen
erzeugt. In 3 Fällen ging das Versuchsthier nach der ersten
Injection von wenigen Tropfen unter Krämpfen zu Grunde, in
den anderen Fällen musste die Injection an zwei oder mehreren
( — 23) aufeinanderfolgenden Tagen wiederholt werden, um
tödtliche Vergiftung zu erzeugen.
In zehn von den letzteren und einem von den ersteren
Fällen war eine auffallende, blassgelbliche Färbung der Herz-
und Skelettmusculatur und an den frisch in physiologischer
Kochsalzlösung angefertigten Zupfpräparaten eine grosse Menge
von glänzenden, z. Th. sehr grossen Körnern, sowohl in der
Zusatzflüssigkeit, als. in den dünnen Fasern zu finden. Bei
längerer Einwirkung 1®/^ Osmiumsäure, allein oder in Verbin-
dung mit vorhergängiger Mazeration der Muskelstückchen in
verdünnter Essigsäure, erschien die Randpartie der meisten
dieser Körner geschwärzt und die Körner (richtiger wohl
Tropfen) von grossem Durchmesser waren im Ganzen braun
oder schwarz gefärbt.
Nach der Behandlung mit Chlorgold traten zwischen den
in lückenhaften Längszügen die Fasern durchsetzenden, von
Gold gefärbten Massen, zahlreiche ungefärbte, glänzende Tröpf-
chen hervor. Auf Querschnitten machte sich die Verarmung an
in Gold sich färbender Substanz an den dünnen Fasern sehr
bemerkbar. (I, 5.) Die Ausprägung dieser die Umsetzung eines
Theiles der interfibrillären Substanz in Fett anzeigenden, nach
Präparaten vom Herzen und vom grossen Brustmuskel beschrie-
benen Erscheinungen, war in den einzelnen Fällen verschieden,
ohne dass ein Zusammenhang zwischen der Zahl derinjectionen
Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 32o
und dem Grade der Erscheinungen zu finden gewesen wäre.
Die dicken Fasern des grossen Brustmuskels erwiesen sich
dabei immer fettfrei, und die dünnen Fasern hatten ein um so
kleineres Kaliber, je grössere Fetttropfen sie enthielten. Nicht
selten waren diese Tropfen so dicht beisammen stehend, dass
sie die Structur der betreffenden Faser ganz verdeckten, in
anderen dünnen Fasern wieder erschien die Granulation auf
einige wenige (eventuell geschwärzte) Körnchen, beziehungs-
weise Tröpfchen reducirt.
Sehr schön traten diese Verhältnisse an Schnittpräparaten
von in starkem Chrom-Osmium-Essigsäuregemisch gehärteten
Objecten hervor, da in diesen, wenigstens an den Randpartien
(2, S.656), die verfetteten Körnchen geschwärzt erschienen. Die
Fig. 1, 2, 6 — 9 auf Taf. III lassen die verschiedenen Grade der
Verfettung der Körnchen in den dünnen Fasern des grossen
Brustmuskels, das dichte Nebeneinanderliegen verfetteter und
nicht verfetteter Fasern, das Vorkommen von ganz und nur am
Rande geschwärzten Körnchen in einem und demselben Quer-
schnitte erkennen, und zeigen gleichzeitig, dass mit diesem
Processe eine ausgeprägte Verarmung der Fasern an inter-
fibrillärer Substanz einhergehen kann.
Fig. 3, 5 auf Taf. III zeigen, welch* hoher Grad von Ver-
fettung in den Herzmuskelfasem der Taube bei der Phosphor-
vergiftung Platz zu greifen vermag. Dabei kann aber die Quer-
streifung, welche auch an den meisten isolirten Muskelsäulchen
in Zupfpräparaten noch sichtbar war, immer noch wohl erhal-
ten sein.
Hervorzuheben ist weiter, dass Wülste an den dünnen
Fasern in den Schnittpräparaten auch bei hochgradiger Ver-
fettung der betreffenden Fasern in der Mitte nahezu homogen
erschienen, während die Fetttröpfchen sich an den Übergangs-
stellen zu dem nicht contrahirten Fasertheil angehäuft zeigten,
so dass der schon von G. R. Wagen er ausgesprochene (7)
Gedanke nahe liegt, dass bei Bildung jener Wülste die inter-
fibrilläre Substanz aus dem contrahirten Theile verdrängt wird.
(III, 1, 7.)
Das Freibleiben der dicken Fasern von der Verfettung trat
unter diesen Umständen sehr scharf hervor, doch fand sich
Sitzb. d. mathem.-naturw. CL; CI. Bd., Abth. III. 22
326 Ph. Knoll und A. Hauer,
ausgeprägte Kernwucherung an denselben (IV, 5), und zwar
selbst dort, wo anscheinend sich' eben eine Kemtheilung voll-
zog, ohne Mitose, wobei zu bemerken ist, dass die Mitosen
auch dann vermisst wurden, wenn die Objecte dem Versuchs-
thiere sofort nach dem Tode entnommen und in die Flem-
ming'sche Lösung geworfen wurden.
Bei der Phosphorvergiftung war übrigens Kemwucherung
mindestens ebenso ausgeprägt an den dünnen, wie an den
dicken Fasern zu beobachten (IV, 2); dabei waren die Kerne
an den ersteren, wie unter normalen Verhältnissen fast aus-
schliesslich randständig.
Auch hier waren Zeichen massiger Emigration, ausserdem
auch von Diapedese, vorhanden.
Aus den angeführten Beobachtungen geht hervor, dass bei
Phosphorvergiftung die wesentlichsten Veränderungen, zunächst
wenigstens, sich an den dünnen, protoplasmareichen Fasern
und hier wieder in der interfibrillären Substanz, dem proto-
plasmatischem Reste der ursprünglichen Bildungszellen, ab-
spielen. Letzteres ist von vornherein dadurch wahrscheinlich,
dass die Verfettung, zunächst wenigstens, auf die protoplasma-
reichen Fasern beschränkt erscheint, erhellt aber mit Bestimmt-
heit aus der Lage der Fetttropfen in der Muskelfaser und aus
den mannigfachen Übergängen zwischen den normalen, »inter-
stitiellen« Körnern und den Fetttropfen.
Eine Umwandlung von »blassen interstitiellen Körnern« in
»dunkle Fettkörnchen« hat KöUiker bereits im Jahre 1867 auf
Grund von Beobachtungen an der Froschmusculatur ange-
nommen (8), und betont, dass letztere zwischen und nicht in
den contractilen Fibrillen liegen. Auch verwies er darauf, dass
es sowohl wegen der Beziehung zu den mehr pathologischen
Fettmolekülen und der fettigen Entartung der Muskelfasern, als
auch der physiologischen Verhältnisse wegen von Interesse
wäre, wenn die chemische Beschaffenheit der normalen inter-
stitiellen Körnersubstanz sich genau bestimmen Hesse.
Im Jahre 1860 hat dann Steffan (9) angegeben, dass bei
der traumatischen Entzündung der Froschmuskeln das Fett
zwischen den Fibrillen auftritt und letztere secundär schwin-
den, während später Alexander Stuart behauptete, dass bei
Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 327
der Entzündung der Muskelfaser (durch Ätzen mit Nitr, argenti
erzeugt) zuerst albuminöse »Entartungskörner« zwischen den
Fibrillen auftreten, die aus letzteren hervorgehen und sich später
in Fetttröpfchen mit feinen durchsichtigen Albuminhäutchen
umbilden sollen. (10.)
G.R. Wagener aber betonte, dass in den Muskeln bei
Fettdegeneration vor dem Verschwinden der Fibrillen zuerst in
der interfibrillären Substanz kleine Fetttropfen erscheinen. (11.)
Um wie viel die letztere Ansicht wahrscheinlicher ist als
jene Stuarts, der anscheinend die bei den verschiedensten
Thieren normal vorkommenden »interstitiellen Körner« als erste
Folgeerscheinung des einwirkenden Entzündungsreizes aufge-
fasst hat, geht aus dem Umstände hervor, dass die dicken
Fasern in der Skelettmusculatur der Haustaube bei der Phos-
phorvergiftung intact bleiben.
Dass aber die Fettdegeneration im Protoplasma der Muskel-
faser für die fibrilläre Substanz derselben nicht ohne grosse
Bedeutung ist, erhellt aus der Atrophie, die an stark verfetteten
dünnen Fasern wahrnehmbar ist.
Umwandlung der normalen, in Fuchsin sich färbenden
Granula in der Flugmusculatur von Dyticus, in durch Osmium
geschwärzte, hat femer Alt mann abgebildet (12), der auch an
den Granulis der Froschleber die Umwandlung der einen in die
andere Körnerart durch eine Zwischenstufe verfolgte, in welcher
die Kömer am Rande durch Osmium geschwärzt und in der
Mitte durch Fuchsin gefärbt erscheinen. Er betont dabei, dass
die Schwärzung durch Osmium für Fett ebenso charakteristisch
sei, wie die Jodreaction für Amylum. (12, S. 76.)
Hiezu ist freilich zu bemerken, dass einerseits bekannt ist,
dass auch das Amyloid unter Umständen bei einfachem Jod-
zusatz Blaufärbung zeigt, und dass anderseits das Myelin,
welches Gad und Hey man s als Lecithin in freiem Zustande
oder in loser chemischer Bindung bezeichnen (13, S. 541),
durch Osmium geschwärzt wird, während das Lecithin in
anderen Gewebselementen als den Nervenfasern diese Reaction
nicht gibt.
Es wurden an anderer Stelle (2, S. 654, 55) die Gründe
erörtert, welche dafür sprechen, dass in den Körnern der
22*
328 Ph. Knoll und A. Hauer,
Zwischensubstanz der quergestreiften Musculatur der Haus-
taube normalerweise zwei Substanzen innig mit einander ver-
mengt vorkommen, die unter Umständen sich sondern und
muthmasslich einerseits Lecithin, anderseits ein Fett sind. Nach
den oben erwähnten Angaben von Gad und Heymans könnte
es sich allenfalls auch um zwei verschiedene Lecithine handeln,
von denen das eine dem Fett, wie es im Organismus im Fett-
gewebe vorkommt, noch näher steht, als das andere.
In Folge der Phosphorvergiftung nimmt aber das Fett,
oder jenes andere Lecithin relativ und absolut an Masse zu
und bedingt die Umwandlung der interstitiellen Körner in durch
Osmium sich schwärzende Tröpfchen. Die Angabe Heffter's,
der den Fettgehalt der Leber bei der Phosphorvergiftung
in demselben Maasse vermehrt fand, wie deren Lecithin-
gehalt vermindert war (17, S. 105), macht wohl die Annahme
wahrscheinlicher, dass es sich um eine wirkliche Verfettung
handelt. Gewiss ist es aber, dass die unter diesen Umständen
zwischen den Säulchen der Muskelfaser auftretenden Tröpfchen
in Bezug auf Glanz, Ungefärbtbleiben bei Chlorgold- und
Geschwärzt- werden bei Osmiumeinwirkung mit Fett überein-
stimmen, und in diesem Sinne sind die in den vorhergehenden
Auseinandersetzungen gebrauchten Bezeichnungen Fett und
Verfettung aufzufassen.
III. Veränderungen nach Resection des Plexus axillaris.
Dieser Eingriflf wurde an 8 Versuchsthieren in der Chloro-
formnarkose vollzogen. Das Operationsverfahren war im
Ganzen dasselbe, wie es Samuel (15) beschrieben, doch wurde
unter Benützung von Sublimatlösung aseptisch operirt und die
Wunde durch Nähte verschlossen. An der operirten Seite
wurden die Flügelfedern stark gestutzt, um mechanische
Schädigung an und durch den schlaff herabhängenden Flügel
zu verhüten.
Stets wurde ein möglichst grosses Stück der Nerven
herausgeschnitten und die bis zum Schluss des Versuches
andauernde, vollständige Lähmung festgestellt. Die Tödtung
Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 329
der Versuchsthiere erfolgte 5, 6, 8, 11, 13, 14, 18 und 35 Tage
nach der Operation.
Die Thiere wurden nach Feststellung der elektrischen
Reaction ihrer beiderseitigen Brustmusculatur, wo nichts anderes
bemerkt erscheint, durch Entblutung getödtet und dann, nach
vollständiger Entfederung, der Unterschied im Brustumfang der
beiden Seiten durch einen umgelegten Faden, oder die Ver-
schiedenheit in der Dicke des beiderseitigen grossen Brust-
muskels festgestellt.
Behufs Prüfung der elektrischen Reaction der grossen
Brustmuskeln wurden die Thiere schwach chloroformirt, die
Brusthaut entfedert und mit Kochsalzlösung angefeuchtet, die
eine Elektrode an einem indifferenten Punkte, die andere an
dem grossen Brustmuskel aufgesetzt und unter Verwendung
eines Du Bois-Reymond'schen Schlittenapparates, bezie-
hungsweise einer Stöhrer'schen Zink-Kohlenbatterie das Reiz-
minimum aufgesucht, bei dem eine deutliche Zuckung wahr-
nehmbar war.
Vergleichende Versuche an symmetrischen normalen
Muskeln ergaben, dass der Unterschied des Reizminimums auch
da 2 cm, beziehungsweise 2 El betragen kann. Massgebend für
die Beurtheilung des Reizerfolges bei vergleichender Unter-
suchung der gesunden und gelähmten Musculatur konnten
daher nur die Constanz der Ergebnisse und die über jenen
Werthen gelegenen Unterschiede sein.
Die Darstellung der Versuchsergebnisse wird hier zunächst
für jeden einzelnen Versuch abgesondert, nach der Versuchs-
zeit angeordnet, in möglichst gedrängter Weise erfolgen.
Bei Besprechung der mikroskopischen Untersuchungen
bedeutet Fr., Untersuchung des frischen Objectes an Zupf-
präparaten in physiologischer Kochsalzlösung; G. Untersuchung
an Goldpräparaten; F. an Schnittpräparaten aus starker Flem-
ming*scher Lösung; A. an Alkoholpräparaten; M. an Präpa-
raten aus Mülle rascher Flüssigkeit und P. an solchen aus
Pikrinschwefelsäure.
Bei Anführung der Ergebnisse der Untersuchung an den
einzelnen Muskeln bedeutet g. B. M. grosser, k. B. M. kleiner
330 Ph. Knoll und A. Hauer,
Brustmuskel und o. E. Musculatur der oberen Extremität, N. S.
normale, G. S. gelähmte Seite.
An den in F. fixirten Präparaten wurden in der Regel ver-
gleichende Messungen an den beiden Fasergattungen vorge-
nommen.
Diese vergleichende Messung erfolgte ausschliesslich an
Querschnitten durch die Fasern des grossen Brustmuskels.
Hiebei mussten folgende Umstände in Betracht gezogen werden.
1. Es finden sich normal an den dünnen Fasern einzelne
sehr kleine Querschnitte, die, nach Längsschnitten zu schliessen
Faserenden angehören dürften, und darum ganz ausser Betracht
gelassen wurden.
2. Ebenso sind die Randpartien der Präparate ganz ausser
Betracht zu lassen, da hier mancherlei durch das Härtungs-
verfahren bedingte Veränderungen der Musculatur auf den
Querschnitt Einfluss nehmen.
3. Die Durchmesser des Querschnittes sind insbesondere
an den dicken Fasern nicht alle untereinander gleich. Die
Messung wurde darum immer im kleinsten Durchmesser vor-
genommen.
Die Ergebnisse der zumeist sowohl am normalen, wie
gelähmten Muskel der einzelnen Versuchsthiere vorgenommenen
Messung können daher nur als annähernd richtige Werthe
erscheinen.
I. 5 Tage. Die elektrische Untersuchung ergibt einen Unterschied von 5 cm
und 4 El zu Ungunsten der g. S. Tod in der Narkose. Die Musculatur der g. S.
ist etwas dünner als an der n. S., bietet aber keine Verschiedenheit in der Con-
sistenz und Farbe dar. Fr. erscheinen die Kömchen in den dünnen Fasern des
g. B. M., g. S. etwas weniger dicht stehend und feiner als an der n. S. Letzteres
tritt noch klarer an Querschnitten aus F. hervor, an denen sich oft erhebliche
Lücken der Kömelung an der g. S. finden. Auffälliger noch als diese Erschei-
nung ist die Verringerung des Durchmessers der dicken Fasern, namentlich des
senkrecht auf die Peripherie des secundären Bündels stehenden (VIII, 5). Das
Verhältniss dieses Durchmessers an der g. S. gegenüber der n. S. beträgt
33/4 : 5, jenes der dünnen Fasern 21/2 : 3, d. h. also, es sind die dicken Fasern
an der g. S. stärker geschwunden als die dünnen.
An gefärbten Präparaten des g. B. M. g. S. F. finden sich in einzelnen
dicken Fasern langgestreckte, gebogene und anscheinend in Abschnürung
begriffene Kerne. Unter den dünnen Fasern treten Gruppen von schwach
gefärbten und wie etwas aufgequollenen Querschnitten hervor, in denen die
Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 331
Kömchen besonders spärlich stehen. An den in den Präparaten befindlichen
Nervenstämmchen-Durchschnitten erscheint die Markscheide nur an vereinzelten
Fasern erhalten. Die Venen sind an der g. S. strotzend mit Blut gefüllt, weit
stärker als an der n. S. ; Diapedese und massige Emigration.
0. E. g. S. F. Abnahme der Kömelung der Fasern und starke Ii^jection
der Venen.
IL 6 Tage. Q\ffCm. Unterschied im Rollenabstand zu Ungunsten der
g. S. Tödtung durch Chloroform. Brustumfang an der g. S. um 3 mm geringer,
Färbung der Musculatur derselben blasser, Consistenz gleich. Beim Einschneiden
zuckt der g. B. M., n. S. kräftig, g. S. nicht.
G. B. M., g. S. : G. : Die Kömchen sind spärlicher als sonst und zum
Theile ungefärbt. F. : Die auffälligste Erscheinung ist der hochgradige Zerfall
der meisten dicken Fasern an den Randpartien der Präparate (V, 2); die
daneben liegenden dünnen Fasern zeigen zumeist, beide Faserarten im Inneren
der Präparate durchwegs diesen Zerfall nicht. Die Körnelung der dünnen
Fasern ist lückenhafter, in vielen dieser Fasern sind die Kömchen geschwärzt,
stellenweise auch in grössere schwarze Tröpfchen verwandelt. An den erhal-
tenen dicken Fasern erscheinen stellenweise die Keme eigenthümlich verbogen,
wie in amöboider Bewegung begriffen, vereinzelt auch wesentlich verlängert
und eingeschnürt. Eine auffallende Kernvermehrung ist an ihnen nicht wahr-
nehmbar. Das Verhältniss der beiden Faserarten zu einander ist: n. S. 6Y2 • ^^Z-»*
g. S. 572 : 31/4. Injectiun der Venen, Emigration und Diapedese, doch minder
ausgeprägt als im Fall I. M. g. B. M. g. S. : Ausser hochgradigem Zerfall der
dicken Fasern an der Randpartie der Präparate (VI, 4) keine auffällige Erschei-
nung; ebenso bei A. (VI, 1 1).
O. E., g. S. F. : Auch hier finden sich in einzelnen Fasern geschwärzte
Körnchen und in den nicht gekömelten Fasern amöboid verzogene, vereinzelt
in Theilung begriffene Kerne.
K. B. M. F. ; Es ist hier keine Abweichung von der Norm nachweisbar
m. 8 Tage. Die elektrische Untersuchung ergibt einen Unterschied von
icm und 2 E. zu Ungunsten der g. S. Es ist kein deutlicher Unterschied im
Brustumfang der beiden Seiten wahrnehmbar, die Farbe ist an der g. S.
blasser, die Consistenz an beiden Seiten gleich.
G. B. M. g. S. Fr. : Der wesentlichste Unterschied gegenüber der n. S. ist
das Vorkommen zahlreicherer, glänzender Tröpfchen in den Fasern und der
Zusatzflüssigkeit F. : Die Erscheinungen sind im Ganzen dieselben wie bei II,
nur ist an den dicken Fasern der Zerfall weniger, die Kemtheilung stärker
and an den dünnen Fasern die Schwärzung der Kömchen weniger ausgeprägt
als dort Emigrationserscheinungen sind im höheren Grade zu finden. Die
Durchmesser der beiden Faserarten verhalten sich an der n. S. wie S'/j : 7 an
der g. S. wie 31/4 : 6. An A. treten, abgesehen von den Kömchen, dieselben
Erscheinungen zu Tage.
0. £., g. S. F. und A. : Es treten keine deutlichen Abweichungen von der
Norm hervor.
332 Ph. Knoll und A. Hauer,
IV. 1 1 Tage. Die elektrische Untersuchung ergibt einen Unterschied von
2cm zu Ungunsten der g. S. Brustumfang an der g. S. \, 2cm geringer. Mus-
culatur an der g. S. blasser, beim Einschneiden keine, an der n. S. deutliche
Zuckung.
G. B. M. g. S. G. : Die dünnen Fasern zeigen zumeist keine oder nur sehr
lückenhafte und feine rothe Körnelung, dagegen ziemlich zahlreiche kleinere
und grössere gelbliche Kömchen und Tröpfchen. An den Querschnitten kann
man alle Übergänge vom normalen Bilde zum theilweisen oder vollständigen
Verschwinden der roth gefärbten Kömer an den dünnen Fasern verfolgen. Die
dicken zeigen etwas reichlichere Kömelung als sonst, doch sind die Körnchen
sehr fein und ungefärbt. F. Eine der hervorstechendsten Erscheinungen sind die
zahlreichen ausgewanderten Rundzellen, die bald in der Umgebung etvwas
grösserer Venen haufenweise beisammenliegen (Emigrationsheerde), nicht selten
strahlenförmig zwischen die Muskelfasern der Umgebung vordringend, bald
wieder mannigfaltig amöboid verzogen längs der Wand von kleinsten Venen
oder Capillaren verstreut sind. Die Keme dieser Zellen unterscheiden sich von
den Muskelkemen, die hier zumeist ovoid, wie etwas gebläht sind und nur ein
oder zwei etwas grössere, schwach gefärbte Chromatinpunkte enthalten,
dadurch, dass sie eine grössere Zahl von Chromatinpunkten und intensivere
Färbung derselben, sowie dickere, deutlicher gefärbte Verbindungsfäden
erkennen lassen. An vielen Stellen sieht man diese Zellen von den Rändern her,
und zwar ausschliesslich an dicken Fasern in die Muskelfasern eindringen,
diese gewissermassen annagend (VII, 5, 6). Manche, nach Form und Lage, als
Durchschnitte des Sarcolemmas dicker Fasem erscheinende Querschnitte sind
theilweise erfüllt von diesen Zellen, an denen, wenn sie nicht zu dicht an-
einander liegen, noch ein reichliches, in amöboider Bewegung fixirtes fein-
körniges Protoplasma mit sehr starken Vergrösserungen erkennbar ist
An den dicken Fasern sind vielfach Vacuolen zu finden, in denen nicht
selten noch mit Protoplasma umgebene Wanderzellenkeme, oder letztere allein,
zuweilen aber auch nur feinere und gröbere Kömchen zu finden sind, die unge-
färbt oder nur ganz wenig gefärbt erscheinen, (VIII, 6). Einzelne dicke Fasem
sind von Vacuolen ganz durchsetzt, doch sind dann die dünnen Brücken von
Fasersubstanz zwischen den Vacuolen zuweilen noch ganz deutlich quer-
gestreift (VIII, 4). An anderen dicken Fasem findet sich eine ausgesprochene
Zerklüftung oft in ziemlich regelmässige, sich stark färbende Abschnitte ; in den
(ungefärbten) Zwischenräumen findet sich, wie bei den in indifferenten Flüssig-
keiten absterbenden Fasern ein feines Kömer- oder Fadenwerk.
An den dünnen Fasem, die nur seltener und weit weniger ausgeprägt
Zerklüftung und keinerlei Vacuolisirung erkennen lassen, fällt zunächst die
Verarmung an Kömchen im Ganzen, und die Schwärzung der Kömchen auf
(V, 1). In manchen Querschnitten derselben erscheinen die Kömchen fast ganz
verschwunden, in anderen auf eine kleinere Zahl unregelmässig stehender
feiner, meist geschwärzter Kömchen reducirt, in anderen dagegen finden sich
deutlich geschwärzte grössere Tropfen. Die Fasem erscheinen dabei oft auf-
fallend verdünnt, aber selbst in den dünnsten verfetteten Fasem erscheint öfter
Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 333
die Quer- und Längsstreifung noch deutlich ausgeprägt; selbst an Fasern mit
zahlreichen grösseren Fetttropfen kann man, wenigstens an fettfreien Stellen,
oft die Querstreifen noch erkennen (V, 4). Auch ist oft deutlich wahrzunehmen,
dass die Fetttröpfchen an den Kreuzungspunkten von Quer- und Längsstreifen
liegen (III, 4). An den der Norm gegenüber chromatinärmeren Muskelkemen
lässt sich an beiden Faserarten Vermehrung und Theilung doch nur in
massigem Grade erkennen. An unzweifelhaften Muskelkemen ist nirgends
Mitose zu finden. P. Der Befund ist im Ganzen derselbe. Sehr schön tritt hier
insbesondere die regelmässige Zerklüftung der dicken Fasern hervor (V, 6 a — c)
und zwar wie bei F. ausschliesslich an den Randpartien der Präparate. Minder
häufig und ausgeprägt ist die Faserusur, die Physalidenbildung in den Fasern,
und das Vordringen von Wanderzellen in die Fasersubstanz wahrzunehmen.
A. Von letzteren Erscheinungen ist hier gar nichts wahrzunehmen,
dagegen findet sich hier eine auffällige Schrumpfung der Querschnitte der
dicken Fasern, die ringsum oft von beträchtlichen Lücken umgeben sind,
während die dünnen Fasern ganz dicht beisammen liegen (VI, 10). Die Zer-
klüflungserscheinungen, Emigration und Kernvermehrung sind auch hier sehr
deutlich, die Querstreifung ist an beiden Faserarten gut erhalten, an den Quer-
schnitten derselben ist eine von spärlichem, ungefärbt bleibendem Geäder durch-
setzte fibrillenartige Punktirung zu finden. M. Das Bild unterscheidet sich hier
hauptsächlich dadurch von jenen der A.-Präparate, dass in vielen Querschnitten
von dünnen Fasern reichlichere,, wohl den in F. erkennbaren Fetttropfen ent-
sprechende, ungefärbt bleibende Zwischensubstanz zwischen den auffallend
verdünnten Muskelsäulchen zu finden ist (VI, 2), die Querschnittsschrumpfung
an den dicken Fasern dagegen fehlt. Die Querschnitte erscheinen sowohl an
den dünnen, wie an den erhaltenen dicken Fasern verkleinert, in F. ist das Ver-
hältniss der beiden Faserarten an der n. S. 7 : Sy^, an der g. S. 6 : 2V4, es
erscheinen also hier die dünnen Fasern etwas stärker geschrumpft als die dicken.
An der o. E. und dem k. B. M., g. S. F., finden sich im Wesentlichen die-
selben Erscheinungen wie am g. B. M., doch im Ganzen in minder ausge-
sprochenem Maasse. Die Muskelkeme sind hier noch lang gestreckt, und
lassen mancherlei Theilungserscheinungen, aber keine Mitosen erkennen (IV, 9).
Dagegen finden sich vereinzelt Mitosen, die nach ihrer Lage, sowie nach ihren
Grössenverhältnissen, einerseits zu den Muskel-, anderseits zu den Capillar-
kemen, auf die Kerne der Capillarwand, an welcher sie liegen, bezogen werden
müssen (V, 5), andere aber zwischen den Fasern, unter Zellen, die nach ihrer
Lage zu benachbarten Captllaren, sowie nach ihrem Chromatingehalt und ihrer
mannigfach verzogenen Gestalt als ausgewanderte farblose Blutzellen ange-
schen werden müssen (V, 7).
V. 13 Tage. Die elektrische Untersuchung ergibt einen Unterschied von
S'/jCiif zu Ungunsten der g. S., Brustumfang an derselben um \cm geringer.
Der g. B. M., g. S. ist weit blasser als normal und zuckt beim Einschneiden gar
nicht, während der normale lebhaft zuckt.
G. B. M., g. S. G. Die Verarmung der dünnen Fasern an in Gold sich
färbenden Kömchen ist hier noch weiter vorgeschritten und tritt namentlich an
334 Ph. Knoll und A. Hauer,
Querschnitten sehr deutlich hervor (1, 4). Viele dünne Fasern erscheinen nur als
im Ganzen schwach rosa gefärbte, structurlose Schläuche, die nur unregel-
mässig stehende, feine und gröbere nicht gefärbte Körnchen und zahlreiche
Kerne enthalten.
F. Die Erscheinungen sind im Ganzen dieselben wie bei IV, doch finden
sich in den Emtgrationsheerden sehr zahlreich, ja nicht selten überwiegend
rothe Blutkörperchen. Auch hier kommen an den Zellen des Zwischengewebes
vereinzelt Mitosen vor, während die Muskelkeme beider Faserarten wie leicht
gebläht aussehen, stark vermehrt sind und vielfach amitotische Theilung
erkennen lassen. Beide Faserarten haben im Ganzen wesentlich verringerte
Durchmesser, doch wechseln diese an den dicken Fasern sehr, so, dass diese
vielfach wesentlich stärker geschwunden erscheinen, als die dünnen, oft aber
auch verhältnissmässig noch recht gross erscheinen. Die Usur der Muskel-
faser unter dem Andringen von Wanderzellen, das Eindringen dieser in die
Fasern und ihre Anhäufung innerhalb des Sarcolemms tritt auch hier recht
deutlich hervor (VIII, 2). Auch die Präparate aus P., A. und M. stimmen im
Wesentlichen mit den analogen von IV überein; zu bemerken ist nur, dass die
Querschnittsschrumpfung an den dicken Fasern in den A.-Präparaten seltener
und geringer ist (VI, 7), und dass an den dünnen Fasern in denselben die Ver-
dünnung der Muskelsäulchen sehr deutlich ist (VI, 9), sowie dass an den M.-
Präparaten auch sehr auffällige Durchmesserverschiedenheiten an den dünnen
Fasern zu Tage treten.
An der o. E. und am k. B. M., g. S. F. finden sich im Wesentlichen die-
selben Erscheinungen, jedoch im Ganzen in geringerem Maasse, wie am g. B. M.
Sehr schön prägt sich am k. B. M. dieFaserusur durch andringende Wanderzellen
aus (VIII, 3). Hervorzuheben ist, dass die Kerne hier noch spindelförmig und
im Ganzen von normaler Structur, aber in beiden Faserarten erheblich ver-
mehrt sind und analoge Theilungsvorgänge erkennen lassen, wie bei Inanition
und Phosphorvergiftung. Die in den Schnitten vom k. B. M. zu findenden
Nervenstämmchen zeigen an allen Fasern Schwund der Markscheide.
VI. 14 Tage. Bei der Untersuchung mit dem Inductionsapparate ergibt
sich ein Unterschied von 3 cm zu Ungunsten, bei der Untersuchung mit dem
Constanten Strom ein Unterschied von 4 El zu Gunsten der g. S. Der Brust-
muskel erscheint an der g. S. stark eingesunken, bei Messung findet sich wohl
nur ein Unterschied des Brustumfanges von 1 cm, doch ist diese Messung, da
die Brust an der g. S. hier concav ist, nicht massgebend für die Beurtheilung
der Atrophie. Bei Vergleichung der Dicke der beiden g. B. M. erscheint diese
an der g. S. auf die Hälfte reduzirt Die Farbe desselben ist gelblich, seine
Consistenz wesentlich vermehrt.
G. B. M., g. S., Fr.; Es finden sich viele kleine, glänzende Tröpfchen in
den dünnen Fasern. F. Die Erscheinungen sind im Ganzen dieselben, wie bei
IV und V, doch ist die Verminderung der Durchmesser beider Faserarten
beträchtlicher und gleichmässiger. Das Verhältniss der beiden Faserarten
beträgt hier an der n. S. ö'/j : 31/4, an der g. S. : 41/4 : 2V4. Femer sind hier die
Emigrationsheerde massiger und wohl im Zusammenhange hiemit erscheinen
Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 335
die meist stark usurirten Fasern in deren Umgebung abgeplattet und concen-
trisch geschichtet (VII, 4). Auch die dünnen Fasern sind hier vielfach stark
usurirt. An den A.-Präparaten tritt die Verdünnung der Muskelsäulchen in den
dünnen Fasern noch deutlicher zu Tage, als bei V.
Vn. 18 Tage. N. S. zuckt bei Sem und 10 El, g. S. bei 6£/, während
selbst bei Rollenabstand o hier keine Zuckung erfolgt. Der Brustumfang ist an
derg. S. um \,ßcm geringer, doch ist die Brust auch hier stark concav. Beim
Einschneiden an der n. S. deutliche, an der g. S. keine Zuckung.
G. B. M., g. S., G. : Es finden sich an den dünnen Fasern fast gar keine
gefärbte Kömchen mehr; an den Querschnitten derselben sind zumeist innen-
ständige Kerne wahrnehmbar.
F. Die dicken Fasern bieten an den Randpartien der Präparate starke
Zerklüftungserscheinungen dar, der Durchmesser ihrer Querschnitte ist meistens
stärker vermindert, als jener der dünnen Fasern ; an der Peripherie mancher
secundärer Bündel fehlen sie ganz und scheinen durch nachrückende dünne
Fasern ersetzt zu sein. An einzelnen Stellen finden sich noch einige aufTallend
grosse, runde Querschnitte, die nach ihrer Lage und der grösseren Zahl von
Kernen in denselben den dicken Fasern zugerechnet werden müssen. Ein Theil
derselben wird durch Hämatoxylin sehr stark, ein anderer sehr schwach
gefärbt Die dünnen Fasern enthalten keine Kömchen mehr, die Querstreifung
tritt an denselben deutlich hervor (V, 8), zuweilen auch eine durch die Gliede-
ning in dünne Säulchen bedingte Längsstreifung. Partien, in welchen die Quer-
schnitte dieser Fasem kleiner sind und sich stärker färben, wechseln mit solchen
ab, in denen dieselben grösser und schwächer gefärbt, wie gebläht sind. Öfter
Hegen grössere Gruppen von beiderlei Querschnitten in einem secundären
Bündel beisammen, meistens findet sich aber innerhalb letzterer nur eine Art
derselben. In beiden Faserarten finden sich zahlreiche ovoide Keme, die im
Ganzen grösser und chromatinärmer sind, als die gewöhnlichen Muskelkeme
und wie gebläht aussehen. Sie enthalten gewöhnlich nur 1—3 sich nicht sehr
stark färbende nucleolenartige Chromatinklümpchen und ein sehr feines, sich
nicht oder wenigstens nicht deutlich färbendes Fadenwerk, das aber nur bei
starker Vergrösserung (Compensations-Ocular 6—8, Apochromat 2 mm) und
sehr scharfer Einstellung erkennbar ist, während sonst nur die Knotenpunkte
dieses Fadenwerkes wie feine Kömchen wahrnehmbar sind (IV, 10 b).
Aneinanderlagerung der Keme in längeren oder kürzeren Reihen, sowie Ein-
schnürung derselben an der Peripherie, lassen rege Vermehrung derselben
erkennen (IV, 1 b). Im Ganzen unterscheiden sich diese, nicht selten in Vacuolen
liegenden und auf dem Querschnitt der dünnen Fasem zumeist central stehenden
Keme, sehr deutlich von den kleineren, kugeligen, chromatinreichen Kemen in
den auch hier sehr zahlreichen und sehr massigen Emigrationsheerden, doch
finden sich an der Peripherie letzterer mancherlei Übergänge zwischen beiden
Kemarten, so dass genetische Beziehungen zwischen denselben nicht ganz
sicher auszuschliessen sind. Auf dem Querschnitt der dünnen Fasem erscheint
meist nur ein Kern, öfter finden sich aber auch 2 — 3 über denselben verstreut
Nicht selten stösst man auf kleine, glänzende Kömchen an den Fasem, die
336 Ph. Knoll und A. Hauer,
meist isolirt, zuweilen aber auch in kleinen, kemähnlichen Häufchen beisammen
liegen und, wo sie etwas grösser sind, einen gelbrothen Farbenton erkennen
lassen. Die Venen sind strotzend gefüllt, Hämorrhagien ziemlich häufig. An
Nervenstämmchen findet sich keine Spur der Markscheide mehr, nur einzelne
geschwärzte Tropfen kommen zwischen dem Faserwerke derselben vor.
A. Die dünnen Fasern erscheinen deutlich längs- und quergestreift, die
Längsstreifen sind sehr fein. Auf dem Querschnitte dieser Fasern erscheinen die
dünnen ßbrillenartigen Muskelsäulchen um den zumeist wie in einer V^acuole
liegenden Kern concentrisch gruppirt (VII, 2), und zwar oft in einer einzigen
ganz dünnen Reihe (VI, 3). Manchmal erscheint in letzterem Falle der Kern wie
geschrumpft und im Ganzen gefärbt. Im Allgemeinen heben sich auch hier die
schwächer gefärbten Muskelkeme von den dunkler gefärbten Kernen in den
Emigrationsheerden deutlich ab (VI, 1), doch ßnden sich die oben beschriebenen
Übergänge auch hier. Auf Längsschnitten ßnden sich die Kerne in den dünnen
Fasern nicht selten wie in einer Art Canal aneinandergereiht (VI, 8). Auch an
den dicken Fasern erscheinen die Kerne oft in Vacuolen und die Fibrillen weit
auseinanderstchend (VII, 2).
M. Die Verhältnisse sind im Ganzen dieselben, wie bei den A. -Präpa-
raten (VI, 6), insbesondere treten auch hier, die wie in einem Canal aneinander
gereihten Kerne in den dünnen Fasern sehr schön hervor. Die Übereinstimmung
des Farbentons zwischen den früher erwähnten glänzenden Körnchen und den
Blutkörperchen ist hier recht auffallend.
O. E und k. B. M., g. S. F.: Die Fasern sind verdünnt, und zwar die
dicken verhältnissmässig mehr als die dünnen, in welchen die Kömchen spär-
licher und feiner sind als sonst. Es finden sich Zeichen massiger Emigration
und kleine Blutungen, sowie in beiden Faserarten Kemwucherung.
VIII. 35 Tage. An der n. S. erfolgt Zuckung beim Rollenabstand von 9 cm
und SEL, an der g. S. selbst bei Rollenabstand o keine Zuckung, dagegen
Zuckung bei 4 El. Dicke des g. B. M. an der n. S. 1. 3 cm, an der stark concaven
g. S. Y2 ^^- Auffallende Blässe und Resistenz desselben an der g. S.
G. B. M., g. S. G. : Der Befund im Ganzen, wie bei VII, doch finden sich
hier vereinzelte, nicht gefärbte Kömchen (I, 8, 9), denen auf den Schnitten aus
F. vereinzelte, geschwärzte Kömchen entsprechen. Ebenso ist die Gesammtheit
der Erscheinungen an den F. -Präparaten dieselbe, wie bei VII, doch sind die
Emigration, die Blutungen und deren Derivate hier noch massenhafter, der
Schwund, namentlich der dicken Fasem und die Kemvermehrung in beiden
Faserarten noch hochgradiger. Das Vorkommen von 2 — 3 Kernen an den Quer-
schnitten der dünnen Fasern ist hier sehr häufig (V, 3). Überaus häufig finden
sich hier, wie bei VII, Kerne, an deren Oberfläche eine bogenförmige Furche
dahin zieht, und die an der Stelle, wo diese Furche liegt, häufig vorkommende
seitliche Einbuchtung des Kernes, die Vertheilung der nucleoienartigen Chro-
matinklümpchen auf die beiden durch die Furche geschiedenen Kerntheile,
wobei zuweilen noch ein gefärbter Faden zwei Chromatinklümpchen verbindet,
endlich die nahezu vollständige Sondemng der beiden Theile geben ein Bild
der hier bei der Vermehrung der Muskelkerne sich vollziehenden Vorgänge
Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 337
(IV, la). Auch die Präparate aus A. und M. stimmen im Wesentlichen mit den bei
VII beschriebenen überein (VI, 5, VII, 3). An den Längsschnitten treten die
iibrillenartige Feinheit der Muskelsäulchen und die Trennung derselben durch
erhebliche Zwischenräume, sowie die Kemreihen, an den Querschnitten starke
Schrumpfung der dicken Fasern, sowie Sonderung der dünnen Muskelsäulchen
deutlich hervor. In der Umgebung grösserer Gefässe findet sich oft reichliches
Fettgewebe.
0. E., g. S., Fl. Auch hier ist die Körnelung an den dünnen Fasern und
der Unterschied der beiden Faserarten an den meisten Stellen der Präparate
fast verschwunden. In vielen Fasern besteht ausgesprochene Kemvermehrung,
doch sind die Kerne langgestreckt und chromatinreicher als im g. B. M.
K. B. M., g. S. F. : Ausser denselben Erscheinungen, wie an der O. £. ist
hier noch beträchtliche Emigration, Usur der Fasern durch die vordringenden
Wanderzellen und Ansammlung dieser an Faserbruchstücken innerhalb des
Sarcolemms zu beobachten, während an den entfernteren intacten Partien der
betreffenden Fasern keine oder nur eine ganz geringe Kemvermehrung zu
finden ist (VII, l; VIII, 1).
Kurz zusammengefasst, stellen sich die Vorgänge an der
vom Plexus axillaris bei der Haustaube versorgten Musculatur
nach Resection desselben folgendermassen dar:
Elektrische Reaction: Zunächst tritt eine Abnahme der
Erregbarkeit gegenüber beiden Stromesarten am g. B. M. der
g. S. hervor. Am 17. Tage nach der Operation ist die Erregbar-
keit für den inducirten Strom hier vermindert, jene für den
galvanischen aber gesteigert. Am 18. und 26. Tage ist die Erreg-
barkeit für erstere Stromesart ganz erloschen, jene für die
letztere gesteigert. Dabei erweist sich die KS, wie hier hinzu-
zufügen ist, immer noch wirksamer als die A S.
Dicke, Farbe und Consistenz der Musculatur:
Innerhalb der ersten 8 Tage ist nur eine geringe Abnahme der
Dicke der Musculatur, und am 8. Tage ein deutliches Blass-
werden derselben zu bemerken. Vom 11. Tage an tritt beides
immer stärker hervor, und am 35. Tage ist die Blässe des
g. B. M., g. S. sehr auffallend, seine Dicke auf wenig mehr, als
% reducirt und seine Consistenz sehr vermehrt.
Reaction auf den mechanischen Reiz: Schon vom
6. Tage ab zuckte der g. B. M. beim Einschneiden an der g. S.
nicht mehr.
Die Nervenstämmchen in den Schnittpräparaten aus F.
Hessen eine, bis zum vollständigen Schwinden der Markscheide
338 Ph. Knoll und A. Hauer,
fortschreitende Degeneration erkennen, in Übereinstimmung mit
den Ergebnissen der Untersuchung der peripheren Nerven-
stümpfe in Osmium.
Die Venen in der gelähmten Musculatur sind schon vom
5. Tage ab strotzend mit Blut gefüllt und von da ab sind
Zeichen von Emigration (V, 7; VII, 1—6; VIII, 1, 3), und Dia-
pedese zu finden; vom 11. Tage ab sind in im Ganzen stetig
anwachsenden Maasse Haufen ausgewanderter farbloser Blut-
zellen (Emigrationsheerde, VI, 1; VII, 4) und Blutungen zu
finden. Die Kerne in den Emigrationsheerden und den
Wanderzellen überhaupt unterscheiden sich, wo sie nicht
amöboid verzogen sind, von den Muskelkernen durch kugelige
Form und stärkeren Chromatingehalt im Allgemeinen deutlich,
doch finden sich auch Übergangsformen, welche die Möglich-
keit, dass die Kerne von in Muskelfasern eingewanderten farb-
losen Blutzellen zu Muskelkernen werden, nicht mit aller
Sicherheit ausschliessen lassen.
Die Muskelkerne lassen in beiden Faserarten vom
5. Tage ab, Vermehrung und Theilungsvorgänge erkennen, doch
ist nirgends an unzweifelhaften Muskelkemen Mitose zu finden,
während solche an Zellen des Zwischengewebes vereinzelt
vorkommt (V, 5, 7). Die Muskelkerne zeigen dabei zunächst
noch im Ganzen die normale Form und Structur (IV, 9). Ob das
unter diesen Umständen häufig zu findende amöboide Ver-
zogensein der Kerne in Beziehung zur Kerntheilung steht, muss
dahingestellt bleiben, da diese Erscheinung sich zuweilen auch
an Muskelkernen der n. S. findet. Die Theilungsvorgänge sind
zunächst denen bei Phosphorvergiftung und Inanition analog,
und sind auch wie dort zunächst auf die dicken Fasern
beschränkt.
Vom 11. Tage ab haben die Muskelkerne im g. B. M.
zumeist eine ovoide Form, sind chromatinärmer, das Chromatin
derselben ist im Wesentlichen auf 1 — 3 nucleolenartige Klumpen
reduzirt, neben denen ein sehr feines, nicht deutlich gefärbtes
Fadenwerk zu finden ist (IV, 10, a, b). Furchung und Ein-
buchtung dieser Kerne, Vertheilung der nucleolenartigen
Chromatinklümpchen in die Kerntheile, Bildung kleiner Kem-
häufchen oder langer Kernreihen charakterisiren die Theilungs-
Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 339
Vorgänge an diesen, wie gebläht aussehenden Kernen (IV, 1 a,
\b). An den dünnen Muskelfasern, die sonst nur spärliche, fast
ausschliesslich randständige Kerne haben, erscheinen unter
diesen Umständen zahlreiche innenständige, oft central gela-
gerte Kerne (V, 3; VI, 1, 3, 6; VII, 2, 3). Die Frage, ob alle die
letzteren von den ersteren Kernen abstammen, und welche Vor-
gänge dann beim Wechsel der Kemlage stattfinden, muss offen
bleiben.
An den dicken Muskelfasern ist vom 6. Tage ab aus-
geprägter Zerfall zu beobachten, der aber auf die der mechani-
schen und chemischen Schädigung in erster Reihe ausgesetzten
Randpartien der Präparate beschränkt ist (V, 2; VI, 4). Die Zer-
fallserscheinungen sind im Ganzen dieselben, wie man sie beim
Absterben durch Zerzupfen in physiologischer Kochsalzlösung
isolirter Muskelfasern unter dem Mikroskop beobachten kann.
Nicht selten erscheinen dabei die Fasern im Zustande regel-
mässiger Zerklüftung in einzelne Abschnitte (V, 6a — c) und
die ganzen Erscheinungen des Absterbens derselben, insbe-
sondere bei Verwendung von Chrom-Osmium-Essigsäure-
gemisch sehr getreu flxirt. Der Querschnitt der erhaltener,
dicken Fasern erscheint dabei schon vom 5. Tage ab ver-
kleinert, und zwar erheblicher als jener der dünnen Fasern
(VIII, 5). Dieses Verhalten ist auch in der späteren Zeit in der
Regel festzustellen und am 35. Tage ist an den beiden Faser-
arten zumeist kein erheblicher Unterschied in der Dicke mehr
wahrzunehmen (V, 3). Die hinsichtlich dieses Punktes ange-
führten Ausnahmen dürften vielleicht auf einen erheblicheren
Wassergehalt der betreflFenden dicken Fasern zurückzuführen
sein, wofür auch die unter Umständen sehr beträchtliche
Schrumpfung derselben in Alkohol geltend gemacht werden
kann (VI, 7, 10; VII, 3). Vom 11. Tage ab ist ein Vordringen
von Wanderzellen gegen die dicken Fasern, sowie lacunäre
Usur, Vacuolisirung und Physalidenbildung an diesen zu
bemerken (VII, 1, 4—6; VIII, 1—3, 6). Da diese Vorgänge am
II. Tage mit Sicherheit nur an dicken Fasern zu verfolgen
sind (VII, 5, 6), hat es den Anschein, als wenn von diesen
chemotactische Wirkungen ausgingen, die zu einer Zerstörung
derselben durch farblose, aus dem Blute ausgewanderte Zellen
340 Ph. Knoll und A. Hauer,
führen, die sich dabei unter Umständen in grossen Massen
innerhalb des Sarcolemmas ansammeln, eine Art von Muskel-
zellenschläuchen bildend (VII, 1 6; VIII, 1, 2). Möglicherweise
hängt hiemit die auffallende Abnahme der Zahl der dicken
Fasern an der Peripherie der secundären Muskelbündel des
g. B. M. in der späteren Zeit nach der Nervendurchschneidung
zusammen.
An den dünnen Fasern ist von vornherein die auf-
fallendste Erscheinung der Schwund der interstitiellen Köm-
chen, der schon frisch in Kochsalzlösung untersucht, weit
schlagender aber noch nach der Goldbehandlung oder an
Schnittpräparaten von in F. oder P. gehärteten Präparaten her-
vortritt (I, 4, 8, 9; V, 1—4, 8). Sowohl Fv. als in G., weit deut-
licher, aber noch bei F. lässt sich erkennen, dass eine Umwand-
lung der Körnchen in Fett hiemit Hand in Hand geht oder
vielmehr wohl dem Verschwinden derselben vorhergeht. Die
Querstreifung der Fasern bleibt dabei erhalten, aber das Ver-
schwinden derselben bei ganz schwacher Säureeinwirkung,
wie hier hinzugefügt werden muss, lässt erkennen, dass die
fibrilläre Substanz selbst bei dem ganzen Vorgange nicht
unverändert bleibt Die Muskelsäulchen in diesen Fasern lassen
vom 11. Tage ab eine erhebliche Verdünnung erkennen (VI, 2, 3,
9) und erscheinen später, an Zahl sehr reduzirt, sowie die
Kerne dieser Fasern von einer hyalinen Masse umflossen (VI,
3, 8), welche, da sie sich in Chlorgold nicht stärker färbt, mit
der sonst in den Muskelfasern vorkommenden hyalinen inter-
fibrillären Substanz nicht identificirt werden kann.
Die histologischen Veränderungen an der o. E. und dem
k. B. M. sind im Wesentlichen dieselben, wie am g. B. M., doch
treten sie im Ganzen schwächer und später auf.
Wie bei der Inanition und der Phosphorvergiftung ergibt
sich nach dem Angeführten, auch nach der Nervenresection, ein
verschiedenes Verhalten der beiden Faserarten, und wenn
Grützner bei der Behauptung, dass unter diesen Umständen
die »trüben« Fasern später entarten als die »hellen«, bloss den
Faserschwund im Auge hatte, so liefern die angeführten Beob-
achtungen eine Bestätigung seiner Behauptung. Ob aber
hiemit, wie er anzunehmen geneigt war, die sogenannte Ent-
Muskelfasern utfter pathologischen Verhältnissen. 341
artungsreaction zusammenhängt, muss wohl dahingestellt
bleiben, da sich gleichzeitig auch die ausgeprägteste Verände-
rung an den die Hauptmasse des Muskels ausmachenden
dünnen (»trüben«) Fasern vollziehen. Überdies wurde ein
Kennzeichen der Entartungsreaction, das Überwiegen der
Anodenwirkung bei unseren Beobachtungen ganz vermisst
Es wäre aber immerhin noch eine dankenswerthe Aufgabe, in
parallelen Untersuchungen, namentlich an Muskeln, welche
bloss aus der einen Fasergattung bestehen, die Veränderungen
in der Structur und der elektrischen Erregbarkeit derMusculatur
weiter zu verfolgen.
Nach den beschriebenen, in Fig. 1, 6, Taf. VII und 1, 2,
Taf. VIII wiedergegebenen Erscheinungen, muss die Behaup-
tung, dass durch Einwanderung von farblosen Blutzellen in das
Sarcolemm Muskelzellenschläuche entstehen können, was übri-
gens Gussenbauer (16) und Erbkam (17) schon vor längerer
Zeit angegeben haben, aufrecht erhalten werden. Die Ent-
stehung dieser Gebilde vollzieht sich allem Anscheine nach
unter lacunärer Usur der Muskelfasern, wie sie wohl zuerst
von R. Volkmann beim Muskelkrebs (18), von Gussenbauer
später auch bei der traumatischen Entzündung gesehen worden
ist (16, S. 10, 33, 34, Fig. 1, 2).
Ob die Wanderzellen bei ihrem Vordringen in die Muskel-
faser das im natürlichen Zustande vielleicht weiche Sacrolemma
durchsetzen, oder ob dieses unter ihrer Thätigkeit selbst ein-
schmilzt, muss wohl dahingestellt bleiben.
Ebenso, ob es sich bei diesem Vorgange, der an die Sar-
kolyse im Froschlarvenschwanz und die Zerstörung der Gewebe
bei den Dipteren erinnert, nur um die Beseitigung von abster-
benden Muskelfasern handelt. Ganz unwahrscheinlich wird
letztere Vermuthung nicht erscheinen, wenn man erwägt, dass
jener Vorgang sich zunächst auf die dicken Fasern beschränkt,
welche auf den mit dem Härtungsverfahren verbundenen Ein-
griff hin, wie beschrieben wurde, so leicht zerfallen.
Die in der späteren Zeit in den dünnen Fasern zu findenden
Zellreihen dagegen, gehen wohl in der Hauptsache aus Kern-
theilungsvorgängen innerhalb der Faser hervor, wenn auch eine
Betheiligung von eingewanderten Zellen nicht mit Sicherheit
Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl. ; CI. Bd., Abth. III. 23
342 Ph. Knoll und A. Hkuer,
auszuschliessen ist, da zu dieser Zeit auch an den dünnen
Fasern lacunäre Usur und in den Emigrationsheerden Über-
gangsformen von den Wanderzellenkernen zu der chromatin-
armen, ovoiden Muskelkernart zu beobachten sind.
Die Lagerung dieser Kerne in der Faserachse und die
Gruppirung der isolirten, durch reichliche, hyaline Zwischen-
substanz von einander getrennten Muskelsäulchen um den
Kernstrang, welche Babinski bereits nach Nervendurch-
schneidung am Kaninchen beobachtet und als ein Analogen
des embryonalen Muskelfasertypus bezeichnet hat (19), bedingt
eine Annäherung an einen bei Mollusken und Hexapoden,
sowie bei den Selachiern sehr häufigen und in der Herz-
musculatur der Wirbelthiere regelmässig vorkommenden Faser-
typus (2, S. 693).
Die ausserordentlich rege amitotische Kerntheilung in den
Muskelfasern, die ein Schüler Flemming's (Robert) und Nau-
werck jüngst auch bei Muskelverletzungen beobachtet haben,
legt den Gedanken nahe, die Vorgänge bei dieser Art der Kern-
theilung genauer zu studiren, doch müsste hiezu wohl ein
passenderes Object, etwa die Salamandermusculatur gewählt
werden. An der Taube ist das Fadenwerk im Kerne so fein,
dass ein genauerer Aufschluss über seine etwaige Theilnahme
an den Theilungsvorgängen im Kerne ohne weitere besondere
Hilfsmittel nicht zu erwarten war.
Schlussbemerkungen.
Aus der Gesammtheit der in den vorhergehenden Abschnitten
mitgetheilten Beobachtungen geht die hohe Bedeutung des als
Rest der embryonalen Bildungszelle die Zwischenräume zwischen
den Fibrillen und dem Sarcolemma ausfüllenden Protoplasma
für die Fibrillen selbst hervor. Je ärmer die entwickelte Muskel-
faser an Protoplasma ist, desto rascher schwindet ihre fibrilläre
Substanz bei derlnanition, und es dürfte wohl hiemit zusammen-
hängen, dass der ausschliesslich aus sehr protoplasmareichen
Fasern bestehende Herzmuskel unter diesen Umständen
bekanntlich weniger an Gewicht verliert, als die Skelett-
musculatur.
Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 343
An den protoplasmareichen Muskelfasern aber sind hiebe!
die ersten auffälligeren Veränderungen an den im Protoplasma
derselben enthaltenen Kömchen bemerkbar, die eine Abnahme
im Ganzen und einen Schwund der in ihnen enthaltenen fettigen
Substanz erfahren.
Auch bei der Phosphorvergiftung und nach Nervenresection
sind die ersten deutlichen Veränderungen der Faserstructur an
diesen Körnchen wahrnehmbar, die in beiden Fällen verfetten,
in letzterem Falle später aber ganz schwinden.
In allen drei Versuchsreihen prägen sich also die ein-
tretenden Veränderungen im Stofifwechsel der Muskelfasern,
bauptsächlich in den Veränderungen der protoplasmatischen
Granula aus, womit aber durchaus nicht etwa gesagt sein soll,
dass diese als die einzigen Träger der Stoffwechselvorgänge in
den Muskelfasern anzusehen seien, wogegen ja schon das Vor-
kommen von Muskeln spricht, bei denen sie in allen Fasern
sehr spärlich sind. Es scheint vielmehr, als würden die im
gesummten Protoplasma sich vollziehenden Stoffwechselvor-
gänge an diesen Formelementen desselben, die bei den Amphi-
bien zu gewissen Jahreszeiten auch eine Neubildung erfahren
können (2, S. 686), nur sichtbar werden.
Die fibrilläre Substanz selbst aber erfährt dabei unter
Erhaltung ihrer Structur eine Reduction und wohl auch eine
chemische Veränderung, wie das Verschwinden der Quer-
streifen bei ganz schwacher Säureeinwirkung erkennen lässt.
Der Unterschied in den Lebenseigenschaften der beiden
Fasern spricht sich auch darin aus, dass bei mechanischer und
chemischer Schädigung nach der Nervenresection die proto-
plasmaarmen Fasern in viel ausgedehnterem Maasse zerfallen,
sowie dass die Kernwucherung und die Aufzehrung durch
Wanderzellen an ihnen früher statt hat, als an den protoplasma-
reichen Fasern, die in diesem Sinne wohl als widerstandsfähiger
bezeichnet werden können, während wieder ein an den Muskel-
fasern sehr häufiger degenerativer Vorgang, die Verfettung, auf
die protoplasmareichen Muskelfasern allein beschränkt bleibt,
oder wenigstens nur an diesen deutlich sichtbar wird. Das
starke Hervortreten der Herzverfettung bei zur Verfettung
führenden Allgemeinleiden mag hiemit zusammenhängen.
23-
344 Ph. KnoU und A. Hauer,
Noch sei bemerkt, dass es keineswegs in unserer Absicht
liegt, aus den mitgetheilten, an einer einzigen Species gemachten
Beobachtungen sichere Schlüsse auf die Vorgänge bei anderen
Thieren und beim Menschen unter sonst gleichen Umständen
zu ziehen. Es schien aber zweckmässig, diese Vorgänge
zunächst an einem passenden Objecte möglichst eingehend zu
Studiren. Eine Wiederholung dieser recht zeitraubenden Unter-
suchungen an einer grösseren Zahl verschiedenartiger Thiere
wird aber erst ergeben können, in wie weit eine Verallgemei-
nerung der aus unseren Beobachtungen gezogenen Schluss-
folgerungen zulässig ist. Ebenso muss das Verhalten der beiden
Faserarten bei der Muskelregeneration weiteren Untersuchungen
vorbehalten bleiben.
Verzeichniss der angeführten Abhandlungen.
1. Tageblatt der 62. Naturforscherversammlung zu Heidel-
berg. Heidelberg 1890. S. 322.
2. Ph. Knoll. Über protoplasmaarme und protopiasma-
reiche Musculatur. Denkschriften der mathematisch-naturwissen-
schaftlichen Classe der kais. Akademie der Wissenschaften.
Wien 1891. S. 633.
3. Ph. Knoll. Über Myocarditis und die übrigen Folgen
der Vagussection bei Tauben. Zeitschrift für Heilkunde. Bd. 1.
1880. S. 42—47.
4. Grützner. Zur Physiologie und Histologie der Skelett-
muskeln. Breslauer ärztliche Zeitschrift. 1883, S. 257.
5. Flemming. Weitere Mittheilungen zur Physiologie der
Fettzelle. Archiv für mikroskopische Anatomie. Bd. 7. S. 328.
6. Gaglio. Sülle alterazioni istologiche e funzionali dei
muscoli durante Tinanizione. Archivio per le scienze mediche.
Vol. VII. N. 20. 1884.
7. G, R. Wagener. Über die Entstehung der Querstreifen
auf den Muskeln und die davon abhängigen Erscheinungen.
Archiv für Anatomie und Physiologie. Anatomische Abtheilung.
1 880. S. 268.
Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen. 345
8. Kolli ker. Einige Bemerkungen über die Endigungen
der Hautnerven und den Bau der Muskeln. Zeitschrift für
wissenschaftliche Zoologie. Bd. VIII. S. 319. 1857.
9. Steffan. Die kernähnlichen Gebilde des Muskelprimitiv-
bündels J. D. Erlangen 1860.
10. Alexander Stuart. Experimentelle Untersuchungen
über die fettige Entartung des Muskelgewebes. Archiv für
mikroskopische Anatomie. Bd. I. 1865.
11. G. R. Wagener. Die Entstehung der Querstreifen auf
den Muskeln. Pflüger's Archiv. Bd. 30. S. 521.
12. Altmann. Die Elementarorganismen und ihre Bezie-
hungen zu den Zellen. Leipzig 1890. Taf. X.
13. Gad und Heymans. Das Myelin, die myelinhaltigen
und myelinlosen Nervenfasern. Du Bois-Reymond*s Archiv
1890. S. 530.
14. A. Heffter. Das Lecithin der Leber und sein Verhalten
bei der Phosphorvergiftung. Archiv für experimentielle Patho-
logie. Bd. 28. S. 97.
15. Samuel. Das Gewebswachsthum bei Störungen der
Innervation. Virchow's Archiv. Bd. 113. S. 288.
16. C. Gussenbauer. Über Veränderungen des quer-
gestreiften Muskelgewebes bei der traumatischen Entzündung.
Archiv für Chirurgie. Bd. XII. S. 1030 ff.
17. B. Erbkam. Beiträge zur Kenntniss der Degeneration
und Regeneration quergestreifter Musculatur nach Quetschung.
Virchow's Archiv. Bd. 79. S. 67fiF.
18. R. Volkmann. Zur Histologie des Muskelkrebses.
Ebenda. Bd. 50. S. 547.
19. J. Babinski. Des modifications que presentent les
muscles ä la suite de la section des nerfs qui s'y rendent.
Comptes rendus. T. 98. 1884. S. 51.
346 Ph. Knoll und A. Hauer,
Erklärung der Abbildungen.
Die römischen Ziffern zeigen die Tafeln, die arabischen die Figuren an.
Wo nichts Anderes bemerkt ist, stammen die sämmtlich von der Haustaube
gewonnenen Präparate vom grossen Brustmuskel her, sind in starkem Chrom-
Osmium-Essigsäuregemisch gehärtet und in mit gleichen Theilen Wasser ver-
dünntem Glycerin aufgehellt. Fig. 1 — 9 auf Taf. I, sind nach Goldpräparaten
gezeichnet.
A. bedeutet Härtung in Alkohol, M. in M ü 1 1 e r 'scher Flüssigkeit, P. in
Kleinenberg 's Pikrinschwefelsäure, Hä. Färbung in Grenacher'schem
Hämatoxylin, S. in Safranin, C. Aufhellung mit Origanumöl und Canadabalsam.
Die am Ende jeder Figurenerklärung angeführten Ziffern und Buchstaben zeigen
die angewendeten Oculare und Objectivlinsen von Zeiss an, wobei der Zusatz
Ap. Apochromate bedeutet. Die zu Beginn der Figurenerklärung stehenden
eingeklammerten Ziffern zeigen die Zahl, der seit dem Beginn der Nahrungs-
entziehung oder der Phosphorzufuhr, beziehungsweise seit der Nervendurch-
schneidung verstrichenen Tage an.
I.
1. Normal. Querschnitte dünner Fasern. 3, D. D.
2. (6) Inanition. Längsschnitte dünner Fasern. Ap. 8, 8.
3. (6) » Querschnitte. 3, D.
4. (13) Nervendurchschneidung. Querschnitte dünner Fasern. 2, E.
5. (2) Phosphorvergiftung. Querschnitte. 2, E.
6. Normal. Längsschnitte dünner Fasern. 3, DD.
7. (6) Inanition. Herz. Querschnitte. 2, 1/12.
8. (35) Nervendurchschneidung. Querschnitte. 3, DD.
9. (35) » Längsschnitt. 3, DD.
10. Normal. Ap. 12, Srnm.
11. » Ap. 12, Smm.
12. * A. Ap. 12, Smm.
13. > Ap. 12, 8f»m.
14. » A. Ap. 12, Smm.
15. » M. Ap. 12, Smm.
16. » A. Ap. 12, Smm.
17. » M. Ap. 12, Smm.
Muskelfasern unter pathologischen Verhältnissen.
347
II.
l.
Normal.
M.
Ha. C. Ap. 12,8«»«.
2.
>
A.
Ha. C. Ap. 12, Smm.
3.
(7) Inanition. 2, F.
4.
(7) ■
*
2, F.
5.
(8) .
»
Herz. A. Ha. C. 2, 1/12.
6.
(8) .
»
Herz, 2, 1/12
7.
(13) .
¥
2 F.
8.
(7) •
t
S. C. Kleiner Bnistmuskel. Ap. 4, 2 mm.
9.
(7) •
»
S. C. Ap. 4, 2 mm.
10.
(14) .
»
Ap. 8. Smm.
III.
Abgesehen von 4, stammen alle Figuren von mit Phosphor vergifteten
Tauben her.
1. (23), Ap. 12, Smm.
2. (17), 3, DD.
3. (17), Herz. Ap. 4, 2mm.
4. (11) Nervendurchschneidung. Ap. 6, 2 mm.
5. (17) Herz. 3, D.
6. (23), Ap. 12, Smm.
7. (23), Ap. 12, Smm.
8. (23), Ap. 12, Smm.
9. (2), Ap. \2,Smm
IV.
S. C. für sämmtliche Figuren giltig.
\a (35); \b (18), Nervendurchschneidung. Ap. 6, 2mm.
2. (10) Phosphorvergiftung. Ap. 6, 2 mm.
3. (7) Inanition. Ap. 6, 2 mm.
4. (7) » Ap. 6, 2 mm.
5. (23) Phosphorvergiftung. 2, 1/12.
6. (7) Inanition. Ap. 6, 2 mm.
7. Normal. Ap. 6, 2mm.
8. (7) Inanition. 2, 1/12.
9. (11) Nervendurchschneidung. Obere Extremität. Ap. 4, 2 mm.
10a (35); lOb (18) Nervendurchschneidung. Muskcikerne. Ap. 8, 2mm.
Die Figuren auf Taf. V — VIII wurden sämmtlich nach Nervendurch-
schneidung gewonnen.
348 Ph. Knoll und A. Hauer, Muskeif, unter patholog. Verhältn.
V.
1. (11) 2, F.
2. (6) 3, B.
3. (35) Ap. 12, SmtH.
4. (11) Ap. 12, Smm.
5. (11) Obere Extremität. S. C. Ap. 4, 2 mm.
6a,b,c (11) P. Hä. C. 2, D.
7. (11) Obere Extremität. S. C. Ap. 4, 2mm.
8. (18) Ap. 12, Smm.
VI.
1. (18) A. Hä. C. Ap. 4, Smm.
2. (11) M. Hä. C. Ap. 8, Smm.
3. (18) A. Hä. C. Ap. 4, 2 mm.
4. (6) M. Ap. 6, Smm.
5. (35) M. Hä. C. Ap. 12, Smm.
6. (18) M. Hä. C. Ap. 12, Smm.
7. (13) A. Hä. C. Ap. S,Smm.
8. (18) A. Hä. C. Ap. 12, Smm.
9. (13) A. Hä. C. Ap. 12, Smm.
10. (11) A. Hä. C. Ap. 6, Smm.
11. (6) A. Hä. C. Ap. 12, Smm.
VII.
1. (35) Kleiner Brustmuskel. S. C. Ap. 12, Smm.
2. (18) A. Hä. C. Ap. 12, Smm.
3. (35) A. Hä. C. Ap. 8, Smm.
4. (14) Hä. C. 2, 1/12.
5. 6. (11) S. C. 2. F.
VIII.
1. (35) Kleiner Brustmuskel. S. C. Ap. 4, 2mm.
2. (13) S. C. Ap. 4, 2mm.
3. (13) Kleiner Brustmuskcl. S. C. 2, F.
4. (11) S. C. Ap. 12, Smm.
5. (5) Ap. 8, Smm.
6. (11) S. C. 2, F.
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Sitzungsberichte d. kais. Akad. d. Wiss., math.-naturw.Classe, Bd.CI. Abth.III. 1892.
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Sitzungsberichte d. kais. Akad. d. Wiss., math.-naturw.Classe, Bd.CI. Abth.m. 1892.
349
XII. SITZUNG VOM 12. MAI 1892.
Der Vorsitzende, Herr Vicepräsident Hofrath Dr. J. Stefan,
gibt Nachricht von dem am 5. Mai d. J. erfolgten Ableben des
Ehrenmitgliedes dieser Classe im Auslande, Herrn geheimen
Regierungsrath und Director Dr. August Wilhelm Hof mann
in Berlin.
Die anwesenden Mitglieder geben ihrem Beileide durch
Erheben von den Sitzen Ausdruck.
Se. Excel lenz der k. u. k. Herr Feldmarschall-Lieutenant
und Obersthofmeister Se. k. u. k. Hoheit des durchlauchtigsten
Herrn Erzherzogs Rainer setzt die kaiserliche Akademie in
Kenntniss, dass Se. k. u. k. Hoheit als Cur ator der Akademie
die diesjährige feierliche Sitzung am 30. Mai mit einer
Ansprache zu eröffnen geruhen werde.
Der Secretär legt das erschienene Heft III (März 1892)
des 101. Bandes, Abtheilung II. b. der Sitzungsberichte vor.
Das w. M. Herr Regierungsrath Prof. E. Mach übersendet
eine Abhandlung von Dr. G. J au mann, Privatdocenten für
Experimentalphysik und physikalische Chemie an der k. k.
deutschen Universität in Prag, unter dem Titel: »Versuch
einer chemischen Theorie auf vergleichend-physi-
kalischer Grundlage«.
Das c. M. Prof. Franz Exner in Wien übersendet eine
Abhandlung, betitelt: »Elektrochemische Untersuchun-
gent II.
Herr Prof. Dr. Josef Finger in Wien übersendet eine
Abhandlung: Ȇber die gegenseitigen Beziehungen
gewisser in der Mechanik mitVorthei' anwendbaren
Sitzb. d. mathcm.-natunv. Cl.; CI. Bd., Abth. III. 24
350
Flächen zweiter Ordnung nebst Anwendungen auf
Probleme der Astatik«.
Der Secretär legt eine Abhandlung von Dr. Gustav Jäger
in Wien vor, betitelt: »Die Zustandsgieichung der Gase
in ihrer Beziehung zu den Lösungen«.
Ferner legt der Secretär ein versiegeltes Schreiben behufs
Wahrung der Priorität von Herrn Ch. H. A. Schellhorn, Ober-
Ingenieur a. D. in Wien, mit der Aufschrift: »Beitrag zur
Mechanik der Welt« vor.
Das w. M. Herr Prof. V. v. Ebner überreicht eine vorläufige
Mittheilung des Dr. Jos. Seh äff er, Assistenten am histologi-
schen Institute der k. k. Universität in Wien: »Über Sarko-
lyse beim Menschen«.
Das w. M. Herr Prof. J. Wiesner überreicht eine im
pflanzenphysiologischen Institute der k. k. Universität in Wien
ausgeführte Arbeit von Dr. Frid. Krasser: »Über die Structur
des ruhenden Zellkernes«.
Femer überreicht Herr Prof. Wiesner eine Abhandlung
des Assistenten am botanischen Universitätsinstitute zu Inns-
bruck, Herrn A. Wagner, betitelt: »Zur Kenntniss des
Blattbaues der Alpenpflanzen und dessen biologi-
scher Bedeutung«.
351
XIII. SITZUNG VOM 19. MAI 1892.
Das w. M. Herr Prof. E. Hering in Prag übersendet eine
für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung unter dem
Titel: »Zur Kenntniss der Alciopiden von Messina«.
Das w. M. Herr Prof. L. Pfaundler übersendet eine Arbeit
aus dem physikalischen Institute der k. k. Universität in Graz
von dem Privatdocenten Dr. Paul Czermak, ersten Assistenten
dieses Institutes: »Über oscillatorische Entladungen«.
Der Secretär legt eine eingesendete Abhandlung von
Herrn J. Sobotka in Zürich: »Über Krümmung und
Indicatricen der Helikoide« vor.
Das c. M. Herr Regierungsrath Prof Adolf Weiss in Prag
übersendet eine Arbeit von Dr. Wilhelm Sigmund, d. z. suppl.
Professor an der Staats-Oberrealschule in Pilsen, unter dem
Titel: »Beziehungen zwischen fettspaltenden und
glycosidspaltenden Fermenten«.
Herr Dr. Alfred Nalepa, Professor an der k. k. Lehrer-
bildungsanstalt in Linz, übersendet folgende vorläufige Mir
theilung über »Neue Gallmilben« (4. Fortsetzung).
DEC 8 1892
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WiSSENSCHAHER
MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CI. BAND. VI. HEFT.
ABTHEILUNG III.
«
ENTHALT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER ANATOMIE UND
PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER THIERE, SOWIE AUS JENEM DER
THEORETISCHEN MEDICIN.
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25
355
XIV. SITZUNG VOM 17. JUNI 1892.
Der Vorsitzende gibt Nachricht von dem am 31. Mai 1. J.
zu Klosterneuburg erfolgten Ableben des seitherigen inlän-
dischen correspondirenden Mitgliedes dieser Classe, des Herrn
Hofrathes Dr. Theodor Meynert, Professor der Psychiatrie an
der k. k. Universität in Wien.
Die anwesenden Mitglieder geben ihrem Beileide durch
Erheben von den Sitzen Ausdruck.
Der Secretär legt die erschienenen Hefte I — II (Jänner
und Februar 1892) des 101. Bandes der Abtheilungen I und III
der Si tzungsberi.chte, ferner das Heft IV (April 1892) des
13. Bandes der Monatshefte für Chemie vor.
Das k. k. Ministerium des Innern übermittelt die von
der niederösterreichischen Statthalterei vorgelegten Tabellen
über die in der Winterperiode 1891/92 am Donaustrome im
Gebiete des Kronlandes Niederösterreich und am Wiener Donau-
canale stattgehabten Eisverhältnisse.
Das Curatorium der Schwestern Fröhlich-Stiftung in
Wien übermittelt die diesjährige Kundmachung über die Ver-
leihung von Stipendien und Pensionen aus dieser Stiftung zur
Unterstützung bedürftiger und hervorragender Talente auf dem
Gebiete der Kunst, Literatur und Wissenschaft.
Herr Prof. Dr. Guido Goldschmiedt in Prag dankt für
die Zuerkennung des Ig. L. Lieben*schen Preises, und die
Herren Professoren Dr. Ig. Klemencic in Graz und Dr. Ernst
Lech er in Innsbruck danken für den ihnen zu gleichen Theilen
zuerkannten A. Freiherr v. ß aum gar tn er sehen Preis.
2.')*
356
Das w. M. Herr Hofrath Director F. SteindaChner über-
gibt eine für die Denkschriften bestimmte Abhandlung ichthyo-
logischen Inhaltes unter dem Titel: Ȇber einige neue und
seltene Fischarten in den Sammlungen des k. k. natur-
historischen Hofmuseums«.
Das c. M, Herr Prof. L. Gegenbauer in Innsbruck über-
sendet eine Abhandlung: »Über den grössten gemein-
schaftlichen Theiler«.
Das c.M. Herr Prof. H.Weidel in Wien übersendet folgende
zwei Arbeiten aus dem I. chemischen Laboratorium der k. k.
Universität in Wien:
1. »Studien über stickstofffreie aus den Pyridin-
carbonsäuren entstehende Säuren« (II. Mittheilung),
von Prof. H. Weidel und J. Hoff
2. ^Zur Kenntniss der Mesityl- und Mesitonsäure*,
von Prof. H. Weidel und Dr. E. Hoppe.
Das c. M. Herr Hofrath E. Ludwig übersendet eine Ab-
handlung des Herrn Prof. F. Emich in Graz: »Zum Ver-
halten des Stickoxydes in höherer Temperatur« (II. Mit-
theilung).
Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen
vor:
1. »Zur Elasticität der Gase«, von P. Carl Puschl, Stifts-
capitular in Seitenstetten.
2. "Die gegenseitigen Beziehungen der physik.i-
lischen und chemischen Eigenschaften der chemi-
schenElemente und Verbindungen«, von Prof. Herm.
Fritz am Polytechnicum in Zürich.
3. »Üb er adjungirte lineare Differentialgleichungen«,
von Prof. Dr. Georg Pick an der k. k. deutschen Universität
in Prag.
4. Ȇber ein einfaches Hydrodensimeter*, von Prof
Dr. Alois Handl an der k. k. Universität in Czernowitz.
Ferner überreicht der Secretär den von den Professoren
J. Luksch und J. Wolf an der k. und k. Marineakademie in
Fiume vorgelegten vollständigen Bericht über die an Bord S. M-
357
Schiff »Pola« in den Jahren 1890 und 1891 durchgeführten
physikalischen Untersuchungen im östlichenMittel-
meer.
Das w. M. Herr Prof. Friedrich Brauer bespricht die von
Macquart aufgestellte Tachinarien-Gattung Pachystylum und
weist nach, dass dieselbe wahrscheinlich identisch mit der von
ihm und Herrn J. v. Bergenstamm in den Denkschriften
beschriebenen Gattung Chaetomera sei.
Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht eine Abhandlung:
*Ober Darstellung von Crotonaldehyd«.
Ferner überreicht Herr Prof. Lieben folgende zwei Ab«
Handlungen:
1. Ȇber das Verhalten von Thiocarbonaten zu
Phenolen«, Arbeit aus dem chemischen Laboratorium
der k. k. Universität in Czemowitz von Prof Dr. R. P?ibram
und C. Glücksmann.
2. Ȇber die Darstellung von Aldol und Croton-
aldehyd«, von W. R. Orndorff und S. B. Newburg aus
Ithaka, U. S. of America.
Von Herrn Dr. C. Diener, welcher im Auftrage der
akademischen Boue-Commission eine geologische Forschungs-
reise nach dem centralen Himalaya angetreten hat, wird ein
Schreiben ddo. Almora (Kumaon), 23. Mai 1. J. vorgelegt.
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
Fletcher, L., The optical indicatrix and the transmission of
light in crystals. London, 1892, 8".
Haeckel, Ernst, Anthropogenie oder Entwickelungsgeschichte
des Menschen. Keimes- und Stammes-Geschichte. L Theil.
Keimesgeschichte oder Ontogenie; II. Theil. Stammes-
geschichte oder Phylogenie. (Mit 20 Tafeln, 440 Text-
figuren und 52 genetischen Tafeln.) Leipzig, 1891; 8".
Spezia, Georgio, Suirorigine del solfo nei giacimenti solfiferi
della Sicilia.
358
Siemens, Werner, Wissenschaftliche und technische Arbeiten.
I. Band. Wissenschaftliche Abhandlungen und Vorträge.
(Mit dem Bildnisse des \'erfassers und 41 Abbildungen im
Texte.) II. Band. Technische Arbeiten. (Mit 204 Text-
figuren.) Berlin, 1891; 8*^.
Preisaufgfabe
für den von A. Freiherm v. Baumgartner gestifteten
Preis.
(Ausgeschrieben am 30. Mai 1886 ; erneuert am 30. Mai 1 889 und am 30. Mai 1892.)
Die mathem.-naturw. Classe der kaiserlichen Akademie der
Wissenschaften hat in ihrer ausserordentlichen Sitzung vom
27. Mai 1892 beschlossen, für den A.Freiherr v. Baumgartner-
schen Preis folgende Aufgabe abermals zu erneuern.
Der Zusammenhang zwischen Li cht ab Sorption und
che misch er Constitution ist an ein er möglichst grossen
Reihe von Körpern in ähnlicher Weise zu untersuchen,
wie dies Landoldt in Bezug auf Refraction und chemi-
sche Constitution ausgeführt hat; hiebei ist wo mög-
lich nicht nur der unmittelbar sichtbare Theil des
Spectrums, sondern das ganze Spectrum zu berück-
sichtigen.
Der Einsendungstermin der Concurrenzschriften ist der
31. December 1895; die Zuerkennung des Preises von 1000 fl.
ö. W. findet eventuell in der feierlichen Sitzung des Jahres
1896 statt.
359
XV. SITZUNG VOM 23. JUNI 1892.
DerSecretär legt das erschienene Heft III (März 1892)
des 101. Bandes, Abtheilung II. a. der Sitzungsberichte vor.
Das k. und k, Reichs-Kriegs-Ministerium »Marine-Section«
theilt mit, dass den Wünschen der kaiserlichen Akademie hin-
sichtlich der während der diesjährigen Expedition S. M. Schiffes
>Pola« einzuhaltenden Route, der durchzuführenden Arbeiten
und des herzustellenden Einvernehmens zwischen dem Leiter
des wissenschaftlichen Stabes und dem Schiffs-Commando zu
ertheilenden Instruction Rechnung getragen werden wird, und
dass mit Hinblick auf die während der Campagne zu lösenden
Aufgaben, die Entfernung und Ausdehnung des Arbeitsfeldes
einerseits und auf die vorgeschrittene Jahreszeit anderseits,
die Maximaldauer der diesjährigen Expedition mit zehn Wochen
festgesetzt wurde.
Der Secretär legt eine eingesendete Abhandlung des
Dr. Gustav Jäger in Wien vor, betitelt: »Zur Theorie der
Flüssigkeiten«, mit dem Ersuchen des Verfassers um deren
Aufnahme in die Sitzungsberichte.
Femer legt der Secretär ein versiegeltes Schreiben behufs
Wahrung der Priorität von Herrn Max Müll er. in Wien vor,
welches angeblich folgende Manuscripte enthält:
1. »Project für Lenkbarmachung des Luftschiffes mit ver-
mindertem Kraftbedürfniss bis zu 907o» benannt »Bug-
spriet-Luftschiff*. <
360
2. »Zusammenstellung eines Flugapparates ohne Gasballon,
ebenfalls mit Kraftverminderung bis zu 80%.«
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
ArchiVes de Sciences Biologiques, publiees par Tlnstitut
Imp. de Medecine Experimentale ä St. Petersbourg. Tome I.
N° 1 et 2. St Petersbourg, 1892; 4^.
361
Neue Studien über die Assoeiationsbündel des
Himmantels
von
Theodor Meynert»
c. M. k. Akad.
(Mit 4 Tafeln.)
(Vorgelegt in der Sitzung am 5. Mai 1892.)
Wenngleich schon Svvammerdam Mitte des 17. Jahr-
hunderts in der grauen Substanz des Gehirns die Zellen al^
geformte Körperchen wahrnahm, die er als Drüsen auslegte,
so ging unter den Gehirnanatomen erst spät Friedrich Arnold
die Erkenntniss der centralen Bedeutung des Gehirngrau durch
seine Zusammensetzung aus Zellen auf. Weit mehr waren die
Markgebilde durch die unmittelbare Aufeinanderfolge so bahn-
brechender Anatomen wie R eil, Rosenthal, Burdach und
Arnold selbst einer verständnissvollen Würdigung zugeführt
worden. Der wichtigste Schritt geschah durch ReiTs Ent-
deckung des Stabkranzes in der Erkenntniss von Mark-
strahlungen, welche vom Hirnschenkel bis zur Hirnrinde
aufstiegen, welche Wahrnehmung eines in die Rindenhöhle
dringenden Projectionssystems sich durch RosenthaTs syste-
matische Untersuchungen des Himstammes ergänzte.
Es war vergessen, dass schon der geniale Varoli aus
den senkrechten Riefen des Hirnschenkels, sowie aus den
queren der Brücke das Dasein einer Hirnfaserung entziffert
und ihre wesentliche Richtung im Sinne eines Projections-
systems gleichsam vorhergesagt hatte. Doch war es Reil
schon klar, dass durch das Auseinanderfahren seiner radiären
362 Th. Meynert,
Stammfaserung dieselbe, je näher der Kinde, durch Divergenz
um so unzulänglicher zur Erfüllung der Höhlung der Hirn-
rinde werden müsse. Für die Bedeutung der radiären Projection
der Nerven fand sich im R eil' sehen Stammsystem noch das
beste Verständniss. Dann glaubte man noch die Commissuren
zwischen den Halbkugeln, den Balken und die von Eustachius
schon gezeichneten, von Haller »commissura anterior« ge-
nannten Bündel als verständliche Nothwendigkeiten des Gehirn-
baues für das Zusammenwirken beider Hälften zu erfassen.
Das übrige Gehirnmark erledigte Reil als intermediäres Mark,
Burdach als Belegungsmasse, Arnold als Ausfüllungsmasse,
Benennungen, welche die Baarheit der hier niedergelegten
morphologischen Kenntniss an physiologischen Gedanken
ausdrücken.
Vor Friedrich Arnold war die früher nur als Verbindung
der Streifenhügel betrachtete »commissura anterior« schon
als eine Mantelcommissur zu dem mächtigeren corpus callosum
gestellt. Der historisch umfassende Burdach belehrt uns,
dass die Eintheilung in Hirnkern und in Hirnmantel von
Rosenthal den Vorgängen beim Glockenguss entnommen war.
Huschke machte später darauf aufmerksam, dass der
Hirnmantel nicht einen Bogen darstelle, sondern eine Spirale,
indem die Basalfläche des Stirnendes von dem Schläfenende
bedeckt wird.
Die Form, welche der Durchschnitt des Stabkranzes als
Wurzel des Hirnmantels erhält, bestimmt Arnold weit früher,
ihn mit der Ohrmuschel zu vergleichen, während wieder
später Gratiolet ihn der überschlagenen Faden wegen eine
Düte (cornet) nennt. Schon ReiTs Abbildungen, dessen
fruchtbarer Geist der Entdecker fast sämmtlicher Formen der
Belegungsmasse ist, bieten mehrfach nicht die volle Treue
der Naturbilder dar, so die Tab. XII im XI. Bande von ReiTs
Archiv mit der Darstellung des Hakenbündels und des Bogen-
bündels. Auch Arnold's berühmte »Icones anatomicae«
zeigen noch den Irrthum gleich Reil, das etwa der Spindel-
windung entsprechende untere Längsbündel von einer Um-
beugung des Stabkranzes abzuleiten. Arnold gibt aber,
nach Burdach's Beispiel, später diesen Irrthum auf. Luj's, der
Associationsbündel des Hirnmantels. 363
in seinen Abbildungen vom Princip der Naturtreue eigentlich
gar nicht geleitet ist, bildete den fasciculus longitudinalis weit
richtiger ab (Recherches sur le systenie nerveux cerebrospinal,
tab. XXVIII, fig. 2, /.), doch bleibt es unrichtig, wenn er dieses
Längsbündel aus parallelen, gleich langen Fasern bestehen
lässt. Arnold ist für die richtige Auffassung durch die Benen-
nung »fibrae propriae corticis« massgebend, indem er diese als
Fasersysteme betrachtet, deren beide Enden sich in verschie-
denen Stellen der Rinde befinden; die kürzesten derselben ver-
binden je zwei Nachbarwindungen um ihre Furche herum
U-förmig. In arithmetischer Progression verlaufen längere
»fibrae propriae«, um die Distanz zwischen einer ersten und
dritten, ersten und vierten, zweiten und vierten Windung zu
durchlaufen. Längere Bündel bestehen nicht aus gleich langen
Fasern, sondern erwachsen nur durch Tangenten ungleich
langer Fasern. So besteht auch das untere Längsbündel
zwischen Hinterhauptspitze und Schläfenspitze keineswegs
aus gleich langen Fasern, wie Arnold' s Tab. X zu ergeben
scheint. (Meynert, Psychiatrie, p. 38, Fig. 18, L i.)
Es fordert uns nun gebieterisch auf, den Nervenzellen
der Rinde Erregungszustände zuzuschreiben, die ihnen von
der Aussenwelt durch die Projectionsbahnen mit einer Nach-
dauer zugeführt werden, weil die Projectionsfasern Nerven-
leitungen dieser Richtung sind. Das Mark der Fibrae propriae
der Rinde ist nun auch leitende Substanz, seine Leitung führt
aber nicht zur Aussenwelt, sondern von einer Rindenstelle
zur andern. Sowie sie nun anatomische Verbindungen der
Rindenstellen sind, werden an sie physiologische Beziehungen
derselben Rindenstellen geknüpft sein, und der Inhalt dieser
Beziehungen ist die Verknüpfung der von aussen an ver-
schiedene Rindenstellen übertragenen lebendigen Kraft in
Wahrnehmung und Gedächtniss. Dieses Axiom der beschei-
densten exacten Denkfähigkeit über den Gehirnbau knüpft den
functionellen Namen Associationssysteme an den anatomischen
»Fibrae propriae« corticis an. Auch die Mantelcommissuren
verdienen den Namen »Fibrae propriae« der Rinde.
Diese Mittheilungen sollen dem heutigen anatomischen
Standpunkt der Erkenntniss beider angehören.
364 Th. Meynert,
Zunächst verbinden die Associationssysteme differente
Stellen der Hirnrinde derselben Hirnhälfte wahrscheinlich so
reichhaltig, dass nicht zwei in der Quere, der Länge oder Höhe,
also in irgend einer Dimension zusammenstellbare Rinden-
punkte physiologisch unverbunden bleiben. Zur Anknüpfung
meiner Darstellung stelle ich unter Bereicherung durch früher
nicht betonte Thatsachen Fig. 19 meiner Psychiatrie als Fig. 1
heran.
An der äusseren Hemisphärenfläche liegt der hintere
Kand der basalen Stirnwindungen und der vordere Rand der
Schläfenspitze sich so nahe, dass sie durch hakenförmig
scharf gebogene Bündel (f. unc.) verbunden werden. (Haken-
bündel, Fasciculi uncinati). Dass die Oberfläche des Linsen-
kernes glatt erscheint, ist eine Nachfolge des ReiTschen
Irrthums, und aus Fig. 3 ist die Irrthümlichkeit leicht ersichtlich.
Diese scharf gekrümmten Bündel bilden, unter der Rinde des
Fusses der Insel hinweglaufend, nur den vorderen Rand eines
Systems von Fibrae propriae, welche gegenüberliegende Punkte
der oberen und der unteren Lippe der Sylvischen Spalte, des
Operculum und der oberen Schläfewindung unter der Insel-
rinde weg miteinander vereinen, f. unc. Die sogenannten
Fasciculi uncinati beschreiben, je weiter die vereinigten Punkte
auseinander rücken, das ist vom Fuss der Insel längs der
Sylvischen Spalte aufwärts, immer flachere, nach vorn unten
offene Bogen, welche, wenn Stirn- und Schläfenende zur
Ebene der Sylvischen Grube zusammenflössen, zu gerad-
linigen Fibrae propriae rectae Fig. 1 f. pr. r. werden. Es gibt
keinen nach oben convexen Fasciculus uncinatus mehr, sobald
seine Bündel nicht mehr am kürzesten Rande des Hemi-
sphärenbogens, sondern hinter demselben und nach Abblätte-
rung der Inselwindungen und ihres Markes in der Vormauer,
welche jetzt den Boden der Sylvischen Grube bildet, verlaufen.
Der Verlauf der Bündel wird nun stumpfwinkelig (Fig. 3) und
wendet den Hakenbündeln den Rücken, mit nach oben offenem
Winkel, während die Bogen jener nach vorne offen waren.
(Fig. 1 f. unc). Der tiefere Bogen der Sylvischen Grube, welchen
diese Fibrae propriae durchlaufen, die Vormauer zeigt sich
wellenförmig gekrümmt, den Fächer der darüber liegenden
Associationsbündel des Hirnmantels. 365
Inselwindungen nachahmend. Dieser Grund der Fossa Sylvii
^bleibt convex durch den äusseren Knoten des Linsenkernes,
von dem sich fortwährend Mark der äusseren Kapsel abheben
lässt, das offenbar aus zwei Lagen besteht. Die äussere lässt
noch winkelige Bänder des Associationssystemes erkennen,
die innere aber geht in das Putamen des Linsenkernes ein,
und es ist ein von Reil stammender Irrthum, die äussere
Kapsel sei vom Linsenkerne glatt abzuschälen. Seine Aussen-
fläche ist nur glatt, solange sich noch Blätter von der äusseren
Kapsel aus dem sogenannten Fasciculus uncinatus abspalten
lassen. Sucht man jedoch deren innerstes Blatt abzulösen,
so wird der Linsenkem rauh, weil durch die Verwachsung mit
diesem Blatte angebrochen. Figur 2 zeigt die Einstrahlung der
Kapsel in den Linsenkern ce^ in dessen Innerem sich die feinen
Eintrittsbündel oft an die lamina meduUaris externa stossen
(lam. med.), sie auch durchsetzen und Geflechte mit ihr bilden.
In Fig. 1 zeigt die Präpäration innerhalb der Stirnscheitel -
Wölbung der äusseren Halbkugelfläche die Windungsfurchen
durch Abschälen der Rinde von ihren Fibrae propriae als con-
centrisch gefaserte Halbrohre, und dazwischen liegen die Mark-
kämme der Windungskuppen aus Projections- und Balken-
bündelsystemen. Diese Windungsfurchen und Kämme ruhen
auf einem tieferen und breiteren Thalboden, um Schnopf-
hagen einen Ausdruck zu entlehnen, continuirlicher Quer-
bündel, welche aus den Windungen des medialen Hemi-
sphärenrandes sich auf dem kürzesten Wege als nach oben
flach concave Associationsbogen unter den Windungen der
Convexität weg zum äusseren Rande des Stirnscheitelhirnes
begeben.
Diese Bündel sind nicht Balkenbündel wegen ihrer queren
Lage, denn sie streben keiner gedachten Mitte ihrer Länge zu,
sondern fliessen von medialen Windungen nach aussen; sie
würden denNamen der queren Grundbündel verdienen und
ergänzen die langläufigen Associationssysteme der Geraden-
und der Höhenrichtung gleichsam in der dritten Dimension.
Durch den schon erwähnten Abbruch der Convexitäts-
windungen tritt der Fasciculus arcuatus ReiTs zu Tage,
von Burdach und Arnold das äussere Gegenstück des
366 Th. Meynert,
Fasciculus fornicatus genannt. Er zieht im Windungsbogen
auf weiterem Wege als die Fasciculi uncinati vom Stirnschenkel
bis zum Schläfenschenkel des Mantels (Fig. 1/. arc).
Er tritt aus dem hinteren Schenkel des Bogens der Cber-
gangswindung hervor (Fig. 1), weiter nach vorne reicht
er nicht und zieht dann die Sylvische Grube, welche durch
Entfernung der Inselrinde der oberen Rindenfläche der ersten
Schläfenwindung, sowie des Klappdeckels weit und tief
geworden ist, in nach vorne weit offenem Bogen, bis zur
Spitze des Schläfelappens. Sein Beginn im Marke der Über-
gangswindung ist noch dürftig, innerhalb seiner Scheitellänge
aber wächst er mächtig an (Fig. 3, Fig. 4/a), gibt aber viel
von seiner Masse in den Hinterhauptslappen ab (Fig. 4ao,
Fig. 6/ao) und erschöpft sich durch Markabgabe theils ziem-
lich queren Verlaufes (Fig. 6a0, theils langläufig in den ersten
beiden Schläfenwindungen (Fig. 1).
Ich habe diese Verhältnisse getreuer als die Vorgänger
in meiner Psychiatrie als Figur 19, S. 40, abbilden lassen, im
dortigen Texte aber einen noch weiter im Stimlappen durch-
führbaren Verfolg vorausgesetzt, welcher eine irrthümliche
Annahme wäre.
Wenn auch abgeneigt, in der Terminologie zu neuern,
scheint es mir dennoch angezeigt, die Associationssysteme
der Convexität des Hirnmantels durch das Schlagwort eines
Terminus anschaulicher zu machen. Wenn diese Hirnregion
in ihrer ersten Anlage durch Bildung der Sylvischen Grube in
ein inneres Gebiet dieses Namens und ein umgebendes Gebiet
des noch windungslosen Rindenbogens zerfällt, an dem sich
stirnwärts der Riechlappen vorbläht, so verdient der Fasciculus
arcuatus mit seinen Strahlungen die Benennung des Mark-
bogens, während der Name Hakenbündel nur ganz theil-
weise passt und durch den Namen Associationssystem
der Sylvischen Grube füglich ersetzt wird.
In Fig. 3 ergibt sich der Umstand, dass die Blätter des
Markbogens das System der Sylvischen Grube keineswegs
abgrenzen, sondern einerseits das innere Gebiet desselben
über dem Linsenkern und seinem Associationsmark frei lassen,
andererseits aber die darüber, dahinter und darunter liegenden
Associationsbündel des Hirnmantels. 367
Gebiete mit ihm theilen, welche doppelte Besetzung dieser
Gebiete durch eine Durchflechtung beider Associationssysteme
eraiöglicht wird, in welcher die beiderseitigen blattartigen
Bündel keineswegs sich mit der Regelmässigkeit von Schuss
und Einschlag eines Gewebes in einander flechten, sondern an
geeigneten Stellen sich oft gröber durchsetzen, um dickere
oder dünne Schichten nur den Markbündeln oder denen des
Systems der Sylvischen Grube zu überlassen, so dass die
feine, kunstgemässe Abschälung einem grossen Wechsel in
der Form des Flechtwerkes begegnet. Die Abbildung zeigt
nur ein vorderes Fragment des Markbogens (Fig. 3/a), dessen
hinterer Bruch blätterige Lockerheit darstellt und aus Windun-
gen der Scheitelrinde herabziehende lange zur Durchflechtung
sich eignende Blätter aufnimmt (Fig. 3 hf). Der hintere Rand
einzelner Blätterfascikel lenkt in die Flucht der hinteren
Schenkel h stumpfer Winkel eines blätterigen Markes ein,
welches Associationen zwischen jenen Scheitelwindungen
und Stirnwindungen, jedenfalls noch vorderhalb der Über-
gangswindung vermittelt Längere Strahlungen ziehen aus
dem Hinterhauptslappen nach vorne, (Fig. Zocc), andere
gehören dem Schläfelappen an. (Sa, Tp.) Die weitgreifenden
Sylvischen Bündel zerfallen in hintere {Sp\ nach unten convexe
zum Scheitellappen, in mittlere {Sm\ geradlinige, welche sich
stirnwärts und hinterhauptwärts entbündeln und in nach oben
convexe (Sa), auf kürzerem Wege aber nach rückwärts einer
tieferen Schicht angehörend, als die Markstrahlungen des
Fasciculus arcuatus, Stirnlappen und Schläfelappen ver-
bindend. Letztere beide Formen sind in der Mitte strangförmig
und diese Mitte wird von den Autoren nicht ganz glücklich
noch als Hakenbündel bezeichnet.
Es war in der Bildebene von Fig. 1 noch der Antheil
einer Mantelcommissur zu beachten, welcher sofort erschöpfend
gedacht wird.
Ganz im Anschluss an die hinteren Schenkel der stumpf-
winkeligen Antheile des Associationssystems der Sylvischen
Grube schliesst sich an ihren unteren Rand die Entbündelung
der vorderen Commissur, von welcher schon Rolando,
Malacarne, Carus, Schönlein und Luys meinten, dass
368 Th. Meynert,
sie mit Fasern gemischt sei, welche ihr als Mantelcommissur
nach vorne eine Commissur der Riechlappön anfügen.
Ich habe in meiner Arbeit »Über das Gehirn der Säuge-
thiere« in Stricke r*s Lehre von den Geweben 1870 und in
der »Psychiatrie« 1884 dieses Verhältniss der unteren Bündel
der vorderen Commissur an durchsichtigen carminisirten Ab-
schnitten an Menschen und Säugern klargestellt und gezeigt,
wie der Riechlappenantheil der Commissur beim Menschen
am schwächsten entwickelt, bei Hunden dagegen an Mächtig-
keit deren Mantelantheil übertreffe, parallel gehend der in
beiden Fällen so ungleichen Mächtigkeit der Riechlappen.
Meine Darstellung ist später von Ganser, es ist mir nicht
erinnerlich, mit welcher Abänderung im »Archiv für Psychiatrie
und Nervenkrankheiten« wiederholt worden. Bezüglich des
Mantelantheils, der für die meisten Autoren die ganze Com-
missur vorstellte, erkannte nur Burdach eine Hinterhaupt-
strahlung neben der Strahlung in den Schläfelappen an,
welchen Burd ach' sehen Zusammenhang mit der Hinter-
hauptsrinde ich an carminisirten Horizontalabschnitten durch
Affengehime sicherstellte. Doch gehörte auch mir die Schläfe-
lappenstrahlung, welche ein Irrthum ist, zu den zweifel-
losesten Thatsachen.
Da deckte 1886 im Laboratorium des bedeutendsten
Arbeiters unter den Psychiatern Deutschlands, des bahn-
brechenden Flechsig, ein Fund des Herrn Dr. Pop off an
einem ihm von seinem Lehrer übergebenen Präparate einen
neuen Gesichtspunkt für die Anatomie der vorderen Commissur
auf. Dies regte mich zu einer diesen Gesichtspunkt verfolgen-
den Präparation an, deren anatomisches Resultat in Fig. 4
naturgetreu dargestellt ist.
Das von Flechsig in Müll er' scher Flüssigkeit erhärtete
Gehirn zeigte an der Basis die beiden Zungenwindungen des
Hinterhauptlappens erweicht (siehe: Neurologisches Central-
blatt von Mendel, V. Jahrgang, Nr. 22).
Die Erweichung drang durch die Dicke der Hemisphäre
bis in das Hinterhorn ein und erstreckte sich seitlich noch
auf den hinteren Theil der Spindelwindung. Ursache der
Erweichung war atheromatöse Degeneration mit verstopfender
Associationsbündel des Hirnmantels. 369
Thrombose in den Hinterhauptslappen. Durch secundäre
Degeneration zeigte sich graue Entartung aller Fasern der
vorderen Mantelcommissur sammt ihrem Mittelstück.
Sonstige Erweichungsherde boten die hintere Fläche der
hinteren Kleinhimhälfte und das Pulvinar des Sehhügels, ohne
dass letzterer Herd auch nur in die Nähe des hinteren Schen-
kels der vorderen Commissur reichte. An den sonst von den
Autoren mit der Commissur in Verbindung gesetzten Mantel-
theilen, dem Schläfe- und Stammlappen, zeigte sich keine
Veränderung. Diesem Befunde glich noch ein zweiter, von
Flechsig untersuchter Fall, in welchem dieselben Hinter-
hauptswindungen halbseitig erweicht und die vordere Com-
misur halbseitig grau degenerirt waren.
Es lag nun kein Erweis nutritiver Abhängigkeit der
vorderen Commissur vom Schläfelappen, wohl aber ein solcher
zweimal für den Hinterhauptlappen vor. Ich untersuchte noch-
mals meine Abfaserungs- und meine frontalen durchsichtigen
Schnittpräparate über die vordere Commissur und musste
gestehen, dass die so klaren Verfolgungen derselben in den
Schläfelappen nirgends bis zur Rinde geführt waren, sondern
überall noch Bedeckung durch anderes Mark, das zwischen
Schläfe- und Hinterhauptlappen verlief, statthatte. In Fig. 4
zeigt sich das Mittelstück der vorderen Commissur aus der
basalen Masse des Linsenkernes glatt herausgeschält, geht
aus einer mittleren drehrunden Form in eine seitlichere
plattere (Fig. 4ca) über, welche sich im Schläfelappen zu
einer dreieckigen Bündelplatte verbreitert. Theilt man die
Bündel in obere a, mittlere b und untere c, so laufen die
oberen am geradesten der Hinterhauptspitze zu, die mittleren
steigen im Schläfelappen abwärts und biegen stumpfwinkelig
sich gegen die Occipitalspitze um, die unteren Bündel krümmen
sich aber zuerst der Spitze des Schläfelappens zu, dann nach
rückwärts und bilden eine untere Fläche der hinteren seitlichen
Arme der vorderen Commissur, so dass dieselbe, nachdem
sie vom mittleren drehrunden Strange sich zu einem platten
Mark verbreitert hatte, dem Hinterhaupte wieder als ein Strang,
der dreikantig erscheint (tet. Fig. 4) zustrebt, woraus zu
schliessen, dass sie sich dort in keiner sehr grossen Rinden-
Stizb. d. mathem.-naturvv. Cl.; CI.Bd., Abth. III. 26
370 Th. Mcynert,
fläche ausbreitet. Dies wäre vollkommen erklärlich, wenn
wirklich nur die beiden Zungenwindungen ihr angehörten,
wofür zweimal das Degenerationsergebniss als Beweis eintritt.
Gedenkt man weiterhin der Beschreibung, welche Bur-
dach von dem Mittelstücke der vorderen Commissur macht,
dass ihre Bündel sich strickartig übereinander
drehen, so ist sie keine Commissur in dem Sinne,
dass die Enden ihrer Faserbogen identische Stellen
symmetrischerRinden gebiete mit ein anderverbinden.
Soweit die Bündel der vorderen Commissur aus der
Rinde des Riechlappens in die Rinde des Hinterhaupt-
lappens wahrscheinlich gekreuzt verlaufen, und
daher Rinde mit Rinde durch ihre beiden Enden
geweblich verbinden, functionell aber nothwendig
deren Erregungszustände verknüpfen, so sind die
Fasern der vorderen Commissur, wenn auch nicht
ihrer ganzen Zahl nach, als Associationssystem zu
betrachten, welche, um einen Ausdruck Schnopfhagen's
über eine andere Mantelcommissur \-orweg zu nehmen, in
gekreuztem Verlaufe differente Rindenstellen beider
Hemisphären associiren. Die vordere Commissur enthält
aber ausserdem, und wohl überwiegend, Bündel, welche
Hinterhauptrinde mit Hinterhauptrinde und Riechlappen mit
Riechlappen verbinden. V^on diesen Antheilen derselben könnte
die bisherige Auffassung als Verbindungsfasern symmetrischer
Stellen insoferne auch weiterhin gelten, als keine andere
wahrscheinlicher erscheint.
Beim Menscheft" wären die Riechlappenbündel viel zu
wenige, um der Commissur gekreuzt für die Bündel im Hirn-
mantel auszureichen und bei Thieren, dem Hunde, noch mehr
dem Meerschweinchen reichten die vorderen Commissuren-
bündel für die schwachen Hemisphären durchaus nicht hin,
um den mächtigen Zuzug, den der Riechlappen zur Commissur
leistet, als gekreuzte Fortsetzung zu bestreiten.
Die gegebene Darstellung und Bedeutung der vorderen
Commissur als ein gekreuzter Antheil des Associationssj^stemes
führt das Interesse dieser Arbeit weiter zu einem Verständnis^
bringenden Parallelismus mit der grossen Mantelcommissur,
Associationsbündel des Hirnmantels. o/ 1
dem Balken. Ohne die ganze ziemlich reichhaltige neueste
Literatur über dieses verwickelte, vielfach strittige Marksystem
zu erschöpfen, finde ich eben vom Standpunkt einer Würdigung
der Assocationssysteme von fast erschöpfender Bedeutung die
eine hervorragende Arbeit, »die Entstehung der Windungen des
Grosshirnes« von Dr.F. Schnopfhagen, am nöthigsten hervor-
zuheben, dem forschungseifrigen Oberarzt der Irrenanstalt
Niedemhart, veröffentlicht in den Jahrbüchern für Psychia-
trie 1890.
Arnold zählt in seinen Bemerkungen über den Bau des
Hirnes und Rückenmarkes, sowie in seiner »Anatomie des Men-
schen« 2. Band, 2. Abtheilung, 1851 als besondere Anordnungen
oder Lagen, welche mit dem Knie, dem Körper und dem Wulst
des Balkens zusammenhängen, auf: 1. Die hintere oder grosse
Zange, 2. die Tapete, 3. den Bogen fascicuius arcuatus, 4. die
äussere Kapsel, und 5. die vordere oder kleine Zange und fügt
hinzu: »Der Zusammenhang von der ersten, zweiten und
fünften Formation mit dem Balkenstamm ist unverkennbar und
leicht nachzuweisen; der der dritten und vierten aber setzt der
Nachforschung viele Schwierigkeiten entgegen und wird erst
klar, wenn man von innen und aussen die Untersuchung vor-
nimmt.«
Ich möchte die mit dem Balkenkörper zusammenhängenden
Bündelformen noch um die durchflochtenen Bündel vermehren,
(Meynert: »Vom Gehirne der Säugethiere« in Strick er's Lehre
von den Geweben, p. 718), welche den Gyrus fornicatus mit einem
zweiten Projectionssystem ausstatten. Das eine Projections-
bündel der Bogenwindung geht vom Ammonshorn aus und stellt
das Gewölbe dar, welches nach seiner basalen Umbeugung im
Corpus mammillare als aufsteigender Gewölbsschenkel (den von
Gudden als Fund Vicq d'Azyr's hervorgehoben und anders
aufgefasst hat) in einem Ursprungsganglion der Haube des
Hirnschenkels, im Sehhügel, Fig. 2 7a, ca Tuberculum anterius,
crus adscendens endigt. Die durchflochtenen Bündel gehen aus
der Rinde des Cingulum reichlich das Knie durchsetzend, spar-
samer durch den eigentlichen Balkenkörper, abermals reichlich
in fontainenartigen Zügen durch das Splenium hindurch, um als
Mark desSeptum pellucidum zu verlaufen und sich convergirend
26*
372 Th. Meynert,
zum pedunculus septi als Projectionsbündel der Rinde des Cin-
gulum zu vereinigen, welches aber nicht wie das Ammonshorn
(durch den Thalamus) in die Haube, in die hintere Bahn des
Stammes verläuft, sondern in ein Ganglion der vorderen Bahn,
in den Kopf des geschweiften Kernes, in die Substanz über der
Lamina perforata anterior.
Aber diese beiden Formationen, das Ammonshorn und der
basale Theil des Streifenhügelkopfes, in welchem das Mark
des Trigonum olfactorium aufsteigt und endigt, aus welchem die
Riechlappen-Antheile der vorderen Commissur entspringen,
gehören dem Geruchssinne an.
Ich habe bisher eine Anschauung über den Balken fest-
gehalten, vermöge deren beide Enden jeder Balkenfaser
symmetrische Stellen der Hemisphärenrinde verknüpfen. Die ab-
weichenden Anschauungen von Foville schienen mir durch
seine Präparationsmethode nicht gestützt; er wollte die mit der
inneren Kapsel behaupteten Zusammenhänge und Kreuzungen
in der Mitte des Balkens an Auseinanderfaserung des Balken-
querdurchschnitts darlegen, welche Methode mir nur zu ganz
trüben Resultaten geeignet schien. Wegen Präparationsmängeln
konnte mir auch Gratiolet's ähnliche Anschauung über den
Balken (Tab. XXV, Fig. 7) nicht einleuchten. Schnopfhagen
verfolgt seine Untersuchung in gleich vollendeter Technik an
Abfaserungen und an durchsichtigen mit Goldchlorid und
Chlorpalladium behandelten Abschnitten.
Ich muss bemerken, dass ich durch A rn o 1 d ' s Bemerkungen
auf einen Lapsus meiner Leetüre Burdach's aufmerksam
wurde, der schon auf strickförmige Verdrehung von Balken-
bündeln aufmerksam macht, woraus ebenso, wie aus der strick-
förmigen Drehung am Körper der vorderen Commissur auf
Nicht-Identität der beiden Endigungsstellen einer Balkenfaser
angehörigen Rindentheile zu schliessen war. Schnopfhagen
zeigt mit höchster Klarheit an durchsichtigen Abschnitten des
Balkenkörpers, sowohl die strickförmige Drehung seiner Bündel
als die Lageveränderung anderer, welche links dorsal in den
Balken eintreten und rechts basal aus demselben austreten.
Weil die vortreffliche Arbeit des psychiatrischen Collegen im
Original gewürdigt werden muss, beschränke ich mich darauf.
Associationsbündel des Hirnmantels. 373
sein Resultat über den Balken im Wortlaut wiederzugeben,
„dass die Balkenfasern durchaus nicht, wie bisher
angenommen wurde, nur gleichnamige und gleich-
werthige St eil ender beiden Hemisphären miteinander
verbinden, sondern, dass durch sie die Verbindung
zwischen örtlich und functionell ganz verschiedenen
Abschnitten beider Hemisphären hergestellt wird."
Anderenorts sagt er: „ dass durch dieses mächtigste ge-
kreuzte Associationssystem des Gehirnes beide Hirn-
hälften erst zur vollendeten functionellen Einheit
gestaltet werden."
Die Analogie des Verlaufes und der Verbreitungsweise
der vorderen Commissur mit dem Balken gibt schon altern
genetischen Anschauungen Berechtigung, welche die vordere
Commissur nur als einen von der Balkenbildung losgelösten
Antheil auffassen (Tiedemann). Ich möchte nun über die
beiden schwierigen Antheile derBalkenbildung nicht unbetheiligt
hinweggehen, welche Arnold in dessen Zusammenhängen mit
dem Stammlappen, d. i. den Inselwindungen und der äusseren
Kapsel, sowie in der Auffassung des Fasciculus arcuatus als
Balkenantheile hervorhebt. Auch hierüber sucht Schnopf-
hagen's Arbeit die bisher vermisste Klarheit zu verbreiten.
Dieser Versuch tritt uns sehr berechtigt entgegen, indem er an
durchsichtigen, vergoldeten Abschnitten auch das Feinste des
Hemisphären-Markes entwirren will, in dessen Bau diese
Methode bisher weniger eingedrungen ist, gleichzeitig aber
diese für leichter verständliche Bilder so allgemeine Schnitt-
methode durch Abfaserungen des Markes ergänzt, welche für
weittragende Zusammenhänge beweisender ist. Was nun den
Zusammenhang des Balkens mit derSylvischen Grube anbelangt,
so geht das Balkenknie (Fig. 5 5) vor den Köpfen der ge-
schwänzten Kerne (Fig. 5 Nc) basalwärts und vom Knie aus
wird der Schnabel des Balkens R rückläufig und kommt vor
der Endplatte zwischen die Basis der geschwänzten Kerne zu
liegen. Besser gesagt, ruhen diese A^c auf queren Strahlungen
des Balkenschnabels von diesen überzogen (Fig.ofcc). Seit-
lich (bei /) ist das erste Glied des Linsenkernes mit dem Kopf
des Streifenhügels confluent. Es wäre als Gedankengang
374 Th. Meynert,
consequent, zu meinen: die basalen Balkenstrahlungen schlügen
sich gleich in Continuität vom Kopf des Streifenhügels auf
die Aussenfläche des Linsenkernes über und bildeten Burdach's
äussere Kapsel. Der Bau ist aber hier verwickelter, als die
Voraussetzung. Zwischen den Linsenkern und die Inselwin-
dungen drängt sich die Vormauer und das Associationsmark
der Sylvischen Grube ein, welches Figur 3 dargestellt hat, und
jenes Mark des Balkens setzt sich nicht über den Linsenkem
als äussere Kapsel fort, sondern betritt die Sylvische Grube als
Mark von Inselwindungen (Fig 5 /), was ich mit Sicherheit sah,
ohne daraufhin zu behaupten, das Mark der Insel wäre reicher
an Balkenfasern, als die Gehirnwindungen überhaupt. Dass die
so klar vorliegenden nach aussen zur Sylvischen Grube ge-
wendeten Balkenfasern mit den Hakenbündeln durchflochten
wären, kann ich Schnopfhagen nicht bestätigen, sondern die
Entbündelung des Hakenbündels im Boden der Sylvischen
Grube von Reil liegt um eine Schichte tiefer, durchsetzt die
Vormauer und bildet unter ihr noch eine Markschichte, welche
man vom Linsenkern anscheinend glatt abziehen kann. Es ist
aber Täuschung, in dieser abziehbaren Schichte die Oberfläche
des Linsenkernes zu sehen. Dieselbe ist von einer dünnen Mark-
lage noch bedeckt, die dem Associationssystem nicht angehört,
aus fächerförmig nach der Linsenkernbasis convergirenden
Bändern besteht (Fig. 6 Ce) und nur rauh wegen Anhaftens
von Ganglienmasse zu entfernen ist. Wenn der Autor, welcher
die äussere Kapsel vom Balken ableitet, Arnold es der
Schwierigkeit dieses Nachweises wegen, begreiflich findet,
dass Reil die äussere Kapsel vom Hakenbündel, Burdach
dieselbe von der Stammfasemng ableite, so wage ich es nicht,
Arnold ganz Unrecht zu geben und das Vorhandensein von
Balkenfasern schlechthin abzuweisen, jedenfalls aber hat Reil
und auch Burdach richtig gesehen, was auch Taf. XXIV,
Fig. 2, 1. c. Luys bestätigt, wenn er gleich schematisch im Insel-
mark verticale Balkenfasern annimmt Die äussere Kapsel ge-
hört zu den Associationssystemen der Sylvischen Grube, im
Sinne des Ersteren den Hakenbündeln zu; Fig. 6 f. f.S. Wie Fig. 2
zeigt, hat Burdach vollkommen recht, wenngleich nur bezüg-
lich der innersten Schichten derselben, dass sie sich in ein
Associationsbündel des Himmantels. 375
Blatt an der Oberfläche des Linsenkernes zusammenfinden,
welches im Sinne der Projectionssysteme sich mit dem Gan-
glion durch Einstrahlung feiner Bündel verbindet.
Was nun Schnopfhagen's durchsichtige Abschnitte
betrifft, so kommen für die Balkenverbindungen Fig. 14 — 17. in
Betracht, ohne volle Klarheit zu bringen. In Fig. 14 haben die
Balkenbündel sich mit den Stabkranzbündeln bereits vor dem
Zusammenhang mit der äussern Kapsel gekreuzt und alle
Autoren stimmen überein, wie schwer nach dieser Kreuzung
Stammbündel und Balkenbündel zu scheiden sind. Die äussere
Kapsel haftet aber in kurzbündeligem Eindringen, besonders
nach vorne, im Linsenkern, was der sicherste Charakter der
Stammbündelung ist.
In Fig. 15 ist der Lauf der Balkenfasern durch die von
formlosem Bindegewebe geblähte breite Vormauersubstanz aus-
einander gedrängt und was in die Inselrinde gelangt, zeigt
eine so lange Fasercontinuität vom Balken her in der dünnsten
Vertheilung, dass Täuschungen leicht zu Stande kommen, und
die Fasern sind so schütter im Vergleich zu dem radiären Mark-
einbruch in andere Windungen, dass die Unmittelbarkeit des
Bildes viel Zweifel zulässt. Man mu.«=s erwägen, dass hier die-
selben mehrfachen Fasern in Continuität Lager von so verschie-
denen Härten und Spannungen, wie Hemisphärenmark, Vor-
mauersubstanz und Rindengewebe durchmessen haben müssten.
Die Ungunst von durchsichtigen Abschnitten für Darstellung von
längeren Markbahnen liegt darin, dass allzumeist nicht längere
Verlaufstück e, sondern nur kurze Schrägabschnitte erscheinen.
Das Eindringen von Stammstrahlung in die Inselwindungen
ist auch von Arnold. so weit zugegeben worden, dass er nur
die Balkenbündel für überwiegender hält.
In Fig. 16 ist der Zusammenhang des Balkens mit der
äusseren Kapsel mitten durch das dichteste Fasergewirr, nur
durch wenige, ganz zweifelhaft den Balken erreichende Linien
dargestellt und auch Fig. 17 bringt die vermisste Klarheit nicht,
und ist sogar hier das Durchdringen der groben Bauverhältnissc,
wie bezüglich des Linsenkernes, schwierig, vielleicht zu
wenig interpretirt. Ich hebe hier Schwierigkeiten herx'or, welche
Schnopfhagen's Verdienst gar nicht schmälern.
376 Th. Mcynert,
Vielleicht habe ich aber Grund bezüglich des letzten
Balkenbestandtheiles, als welchen Arnold das Bogenbündel
anspricht, mich grösserer Klarheit zu erfreuen. Der Meinung
Arnold 's von dem Übergang einer groben Schichte des hintern
Balkenendes in die Formationen des Bogenbündels kann ich
zwar nicht beitreten, und Schnopfhagen spricht sich nicht
mit Entschiedenheit darüber aus, wenn er in den Abbildungen
der Abfaserungen Bestandtheile in seiner P'ig. 2 des Fasciculus
arcuatus, als wahrscheinlich aus dem Balken stammend,
bezeichnet. Die Art, wie Reil auf Tab. 12 und Arnold auf
Tab. 10 die Formation des Bogens verjüngt gegen den Balken
abklingen lässt, kann ich nur schematisch nennen. In meiner
Darstellung, Fig. 1, hört der Fasciculus arcuatus am hinteren
Ende des Stirnhirns im Marke des hinteren Schenkels der
Übergangswindung auf, wovon ich mich durch weitere Präpa-
rationen erst später als ganz sicher überzeugte. Wenn Arnold
die Schichten des Balkens in obere scheidet, welche sich nach
aufwärts biegen, dann in mittlere querlaufende und in untere,
welche in Querschnitte des Balkens nach abwärts biegen, um
zur Durchkreuzung mit dem Stabkranz zu gelangen, so zeigte
mir der Abbruch derMarkkämme, mitweichen dieWindungen auf
der Hemisphärenconvexität aufsitzen (Fig. 6 Ab), dass an das
Bogenbündel tiefe Lagen von Querbündeln des wie nach
aussen abgedachten Balkens angrenzen (Fig. 6 cc). Fig. 6 stellt
dar, wie bei Abblätterung von Schichten des Scheitelstückes
vom Bog3nbündel/a sich diese Querbündel (c) zwischen die
längsläufig abzublätternden Schichten des Bogenbündels a
nach aussen schieben und sich, gleichsam die Balkenstructur
aufgebend, in einen glatten Rand fa) von ein paar Linien Breite
vereinigen, welcher nun in der blätterigen Schichtung des
Bogens seinen Weiterlauf nimmt. Dieser feine Zusammenhang,
dieses Herx'^orgehen der Formation des Fasciculus arcuatus aus
queren Balkenbündeln ist noch vollkommen klar, wenngleich
an der Grenze der Feinheit makroskopischer Anschauung
stehend. Fig. 4 at und Fig. 6 a^ und a' zeigen, wie von der
untern Fläche, sowohl langläufig nach vorne, at, a- als rein
quer a' ziehende Blätter des Markbogens abgehen, wie es
scheint minder mächtig, als die von seiner obern Fläche sich in
Associationsbündel des Hirnmantels. 377
mannigfache Richtungen entblätternden Antheile. Die Windungen
des senkrechten Stirntheils zeigen nur kurze Fibrae arcuatae,
die Furchen zwischen Randwindung, mittlerer und unterer
Längswindung auskleidend, und von längeren Bündeln nur
quere, von der Rinde des Hemisphärenrandes unter den kurzen
Bogenbündeln hinziehende Systeme.
Den Inhalt der voranstehenden Mittheilung an die ana-
tomischen Arbeiter fasse ich in folgenden Sätzen zu-
sammen :
1. Die Fibrae arcuatae zwischen den Longitudinalwin-
dungen und Lappen der Convexität riihen auf einer queren
Unterlage längerer Associationsbündel, welche die mittlere
Masse der Convexität mindestens in der hinteren Stirnscheitel-
region wie in einer flachen quer zusammengefügten Mulde
umfasst.
2. Von den besonderen weitverbreiteten Formen des
Associationssystemes sind dieFasciculi uncinati nur der vordere
Rand einer sich vom Stirnende des Hirnmantels über die Sy\-
vische Grube weg in das Scheitelhinterhaupts- und Schläfe-
hirn verbreitenden, durch das Claustrum und unter deftiselben
als äussere Lagen der Capsula externa laufenden Schichtung
des Associationsmarkes, Associationssvstem der Sylvi-
sehen Grube.
3. Die Strahlungen des Fasciculus arcuatus sind eine ober-
flächlicher gelegene örtliche Wiederholung des genannten Asso-
ciationsmarkes, welche im Marke der Übergangswindung be-
ginnend in einer nach vorne offenen Curve die Sylvische Grube
umzieht, auf welchem Wege sie in den Scheitellappen, Hinter-
hauptlappen und in die Schläfewindungen bis zu deren Spitze
sich an ausgreifenden Verbindungen der Rinde durch fibrae
propriae betheiligt.
4. In dem Bau der vorderen Commissur ist eine gekreuzte
Association der Riechlappenrinde mit Windungen der Hinter-
hauptsrinde enthalten.
5. Die grosse Commissur des Balkens verbindet die durch
den Fasciculus arcuatus associirten Gebiete der Gehirnoberfläche
mit unbekannten Rindengebieten der anderen Hemisphäre,
•^^8 Th. Meyncrt,
und durch die Verbindung des Fasciculus arcuatus mit unteren
Lagen der Balkenquerbündel.
Die Anwesenheit des Associationssystemes der Sylvischen
Grube gleichörtlich mit den Ausbreitungen des Fasciculus arcu-
atus erklärt sich aus der zweifachen Rolle der Associations-
systeme, erstens als directe Verbindungen aller ungleichen
Stellen je einer Mantelhälfte und zweitens als im Balken ge-
kreuzte Verbindungen ungleicher Stellen der beiden Mantel-
hälften (Schnopfhagen). Dass es auch Balkenfasern im Sinne
der herrschenden bisherigen Auffassung zur Verbindung iden-
tischer Stellen beider Mantelhälften gebe, ist, so gewiss als es
für den Bau der vorderen Commissur ist, so wenig für den Bau
des Balkens auszuschliessen.
6. Die Frage der V^erbindung der Schichten der Sylvischen
Grube mit dem Balken lässt das Gelangen von Balkenfasern in
die Sylvische Grube in einer Form zweifellos erkennen, kann
aber noch nicht zu den in ihrem Umfang abgeklärten That-
sachen gerechnet werden. Nachdem die dichte Durchflechtung
vom Balken- und Projectionssystem oberhalb des oberen Randes
der Insel vor sich geht, ist das Eintreten von Balkenfasem
nach aussen von den Bündeln des Projectionssystemes in den
Linsenkern in der ganzen obern Länge der Insel keineswegs
abzuweisen, wenn auch kaum anschaulich zu machen. Ob sich
diese Balkenbündel tiefer als im Mark der Inselwindungen, etwa
in der Capsula externa finden, ist ganz unentschieden. In den
anhaftenden inneren Schichten, welche in den Linsenkern ein-
treten, sind weder einseitige Associationsbündel, noch Balken-
fasern zu suchen, da beide lediglich Fibrae propriae der Hirn-
rinde darstellen.
Ich erwähne noch, dass mindest wider eine ausschliessliche
Function symmetrischer Rindenerregung durch die Balkenfasem
zwei Thatsachen sprechen: 1. Die Hnksseitige Thätigkeit des
Hirnmantels bei der Sprache und der Schrift, falls durch
traditionelle Lehrmethode die linke Hemisphäre eingeübt wurde,
wesshalb vorzüglich die schulenlosen Wilden und die zur
schulmässigen Erziehung nicht gelangenden Kreise der socialen
Noth, denen die eigentliche Verbrecherwelt entstammt, die
meisten Linkshänder aufweisen. Im ersten Falle vermag die
Associationsbündel des Hirnmantels, 379
rechte Hirnhälfte die gleichen Bewegungsformen nicht zu
innerviren; 2. die Thatsache, dass bei den Körperbewegungen
beide Körperhälften in ungleichsinnigen Bewegungsformen mit-
einander wirken.
Tafel-Erklärungen.
Fig. 1. Funiculi uncinati und Einbruchsgebiet des Fasciculus
arcuatus. i** Stimspitze, T Schläfenspitze, or Hinterhauptende, nl. nucl.
lenticularis, er. Corona radiata, f. arc, fasciculus arcuatus, f. unc. fasci-
culi uncinati. f. pr. r. fibrae propriae rectae. Zwischen den an diesem
Präparate nur bis zum Linsenkem ersichtlich gemachten geradlinigen
Associationsbündeln und den untersten Stabkranzbündeln gehört ein
Dreieck, dessen Spitze nach vorne sieht, der Entbündelung der vor-
deren Commissur an. cc
Fig. 2. Äussere Kapsel des Linsenkernes aus dem Projections-
systeme an dessen Vor der fläche. F Richtungslose Markmasse
im Stirnlappen, Xc Kopf des Schweifkernes, nl äusseres Glied des
Linscnkemes, eine nur durch die Markeinzeichnung von cia des vor-
deren Abschnittes der inneren Kapsel getrennte Masse, lam. med.
senkrechte Markplatte, ca commissura anterior, ce Aus dem Mark,
gewirre des Stimlappens krümmen sich Bündel in eine Richtung zur
Oberfläche des Linsenkemes und sammeln sich an derselben zu einem
Überzüge, einem Markblatt, von welchem feine Fäden in das Innere des
Ganglions treten, so dass diese äussere Kapsel nicht ohne Läsion des
Ganglions abziehbar ist, cip hinterer Schenkel der inneren Kapsel,
Th, Sehhügel, Tub. a. vorderer Höcker desselben, ca aufsteigender
Gewölbschenkel.
Fig. 3. Verlauf des Associationssy stemes der Sylvischen Grube.
F Stirnspitze, T Schläfen.spitze, 0 Occipitalende der Mantclhälfte,
Sa nach hinten krumme, flache Bündel der Fasciculi uncinati, Sm gerad-
linige Bündel vom Stirn- zum Schläfelappcn, S p nach vorn winkelige
Bündel (Blätter) der Sylvischen Grube, a Vorderer Theil des Mark-
bogens, an seinem hintern Bruche ersichtlich blätterig, h hintere
Schenkel der Winkel (Bogen) Sp. der Sylvischen Grube, früher zu den
Fase, uncinatis gerechnet, theils unter Blättern des F*. arc. verschwindend,
von ihnen bedeckt, theils unter abgeblätterten Fragmenten solcher
eine Strecke weit in das Scheitelmark weiter ziehend W bis in die
Kuppe eines Gyrus verfolgbar, sich um eine Windungsfurche spaltend,
occ in den Hinterhauptlappen fortziehende Blätter des Associations-
systems der Sylvischen Grube, Tp in den Schläfelappen ziehende
Blätter.
380 Th. M e V n e r t , Associationsbündel des Himmantels.
Fig. 4. Verlauf der vorderen Commissur. F Stimende, Tp Schläfen-
ende, Occ Hinterhauptgegend. Trans rindenloses Gebiet der Über-
gangswindung,/aFasciculus arcuatus, ao dessen Hinterhauptstrahlung,
at dessen Strahlung in den Schläfelappen, nl nucleus lenticularis,
abgebrochen, um die in ihn eingebettete Commissura anterior zu
sehen. — a. obere Bündel der Commissura anterior geradlinig nach
dem Hinterhaupt verlaufend, b mittlere Bündel, zuerst stumpfwinklig
schläfenwärts, dann nach dem Hinterhaupt laufend, c untere Bündel,
zuerst spitzwinkelig schläfenwärts, dann umkehrend schläfenwärts
laufend, tet hinterer, dreikantig strangförmiger Theil der comm. ant.,
er Corona radiata.
Fig. 5. Zusammenhang des Balkenschnabels mit derSyl vischen
Grube (Inselwindungen). F Stirnende, Occ Hinterhauptspitze,
T Schläfenende des Mantels, Cm aufsteigender Ast des Sulcus calloso-
marginalis, So Hinterhauptfurche, C u Cuneus, Sc Sulcus calcarinus,
Cr Knie, cc Körper, Sp Wulst des Balkens, um welchen Zwingenbündel
bis zum erweiterten Ende des Sulcus occipitalis laufen. Xc Schweif-
kern, Th Sehhügel, Q Querschnitt durch das Mittelhim, Ci Aussen-
wand des Unterhornes, A Fragment des Mandelkernes vor demselben
R Rostrum, Balkenschnabel, 0' vordere Bündel des Rostrum nächst
dem Knie für den Gvrus rectus der Orbitalfläche, Ri Associationsmark.
im Sulcus rectus, /cc Balkenbündel über dem Kopf des Schweifkemes,
AV 1. perfor. ant. / vorderste Inselwindungen, /' Eindringen von
Balkenfasern des Schnabels in das Mark einer Inselwindung.
Fig. 6. Zusammenhang tiefer Schichten des Balkens mit dem
neben und aussen verlaufenden Fasciculus arcuatus.
F Stirnende, Irans Mark des Gyrus transitorius, das vordere Ende der
Bogenstrahlung enthaltend, cc Balkenquerbündel in der Scheitellänge
des Balkens, Qu Lobus quadratus, 5oi innere Hinterhauptfurche, C»
der Zwickel, cuneus, Soe äussere Hinterhauptfurche, Tp Schläfenspitze,
par abgeschnittene Parallelwindung begrenzt von der 2. Schläfe-
windung Gt. 2, Sp Parallelfurche, / Stimmark mit dem Associations-
system der Sylvischen Grube /./. 5. verbunden, a hintere Strahlungen
des Bogenbündels von der unteren Fläche des Fasciculus arcuatus lon-
gitudinal gegen T und in a' quer nach aussen in der Parallel Windung
verlaufend und in fa^ in das Mark der zweiten Schläfewindung, endlich
in fao in den Hinterlappen, c Übergang von Balkenbündeln in glatte
Schichten, welche sich in longitudinaler Richtung dem Fasciculus ar-
cuatus anschlicssen. ce äussere Kapsel aus dem Projectionssystem,
feine Bänder, basal gegen die Mitte des Linsenkemes convergirend.
f.f.S sind die abziehbaren, ce die anhaftenden Blätter der äusseren
Kapsel, äussere und innerste Schichten derselben. Ab Abbruch eines
Windungskiimmcs.
Meynert: Associationsbündel des Hirnmantels.
Taf.L
farr.
Figl.
^ Occ
f.arc.
Mg .3.
.Uilor drlin.
Lilh Aiisl vTh.Bannwarlh, Wim.
Sitzungsberichte d.kais. Akad. d.Wiss., math.-naturw.Classe, Bd.CI. Abth.m. 1892.
Meynsrt: Associationsbündet des Himmantels.
V :^
'.> I',
V^
Sitiungsberichted.kais.Alud. d.Wiu., math.-natuTw.Claue,Bd.CI. Abth.nt. 189S.
Meynert: Associationsbündel des Hiramantels.
A Fig.'f.
:Q4t^\:..
Fig. 6.
Sitiungsberichted.kais.Akad, d.Wiss,, math.-naturw.Classe,Bd.CI. Abth. in. IS92.
Meynert: Associadonsbündel des Himmantels.
Sitzungaberichle d.kais.Akad. d.Wiss., math.-naturw.ClaMC.Bd.CI. Abth. m. 1893.
381
Die Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumen-
muskeln
von
Dr. L. Röthi in Wien.
<Mit 2 Textfiguren.)
Aus dem physiologischen Institute der k. k. Universität in Wien.
^Vorgelegt in der Sitzung am 14. Juli 1892.)
In den nachstehenden Versuchen habe ich es unternommen,
die Nervenwurzeln der einzelnen Rachen- und Gaumenmuskeln,
namentlich also des M. stylo-pharyngeus, sämmtlicher Con-
strictoren des Rachens, ferner des M. levator und tensor veli
palatini und des M. palato-pharyngeus und palatoglossus auf
experimentellem Wege zu erforschen.
Die bisherigen, diesbezüglichen Versuche, insbesondere
von Volk mann und Hein, auf die ich weiter unten ausführlich
zu sprechen komme, wurden an todten, oder vielmehr an frisch
geschlachteten und geköpften Thieren gemacht, bei denen dann
die betreffenden Theile behufs Reizung, beziehungsweise Beob-
achtung freigelegt wurden. Ich habe die Versuche zumeist
an lebenden Thieren ausgeführt und diese während der Ver-
suchsdauer in der Narkose erhalten. In einzelnen Fällen wurden
aber die Versuche zum Theil auch noch fortgesetzt, während
die Thiere im Absterben begriffen waren, doch nur solange, als
noch schwache, elektrische Ströme zur Auslösung von deut-
lichen Muskelcontractionen genügten; mussten hiezu bereits
stärkere Ströme in Anwendung kommen, so wurden die Ver-
suche nur noch als Controle verwerthet und habe ich einzelne
Details bei den betreffenden Abschnitten näher ausgeführt. Die
Reizung war eine unipolare, d. h. eine Elektrode wurde mit dem
Maulkorbe des Versuchsthieres verbunden, während man mit
382 L. Rethi,
der anderen, in einen feinen Platindraht auslaufenden und
behufs Handhabung in ein Glasröhrchen eingelassenen Elektrode
die einzelnen Nervenfäden, sowie einzelne Stellen der grösseren
Nervenquerschnitte abtasten konnte.
Als Versuchsthiere dienten Kaninchen, Hunde und Katzen,
zusammen 35 an der Zahl.
Es sollen vorerst in der Reihenfolge die Versuche über die
Innervation der oben erwähnten Muskeln besprochen und dann
eine übersichtliche Darstellung der hier in Betracht kommenden
motorischen Functionen des N. trigeminus, facialis, glosso-
pharyngeus und vagus, beziehungsweise auch des N. acces-
sorius Willisii gegeben werden.
I. Die Nervenwurzeln des M. stylopharyngeus.
Der M. stylopharyngeus entspringt beim Menschen nach
Henle* »an der vorderen und medialen Fläche der Wurzel des
Grififelfortsatzes, geht nach ab-, median- und etwas vorwärts,
breitet sich zugleich in einzelne platte Bündel aus, welche
durch die Lücke zwischen Cephalo- und Hyopharyngeus, zum
Theil auch zwischen Abtheilungen des M. cephalo-pharyngeus
in die Tiefe dringen. Einzelne enden sogleich in der fibrösen
Haut des Pharynx, in der Gegend des Ursprungs des Arcus
palato-pharyngeus, die übrigen gehen an der Seitenwand des
Pharynx herab und befestigen sich die vordersten am Seiten-
rand der Epiglottis und am Lig. pharyngo-epiglotticum, die
folgenden zu einer dünnen, membranösen Schichte ausge-
breitet am Seitentheil des oberen Randes der Cart. thyreoidea*'.
In ähnlicher Weise zieht er beim Hunde nach Ellen-
berger und Baum* vom Processus styloideus gegen die
Rücken- und Seitenwand der Rachenhöhle herab, um sich
zwischen den Fasern des M. constrictor medius und denen des
pterygo-pharyngeus an der Rücken- und Seitenwand zu ver-
breiten und auch beim Kaninchen entspringt er nach Krause'
1 Henle, Handbuch der s\'stematischen Anatomie des Menschen. 1876.
2 Ellenberger und Baum, Systematische und topographische Ana-
tomie des Hundes. Pare\'. Berlin. 1891.
^ Krause, Die Anatomie des Kaninchens. Engelmann, Leipzig. 1884.
Nen'enwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 383
an dem beweglichen, dreikantigen, einige Millimeter langen
Processus styloideus und inserirt sich in der Höhe zwischen
Zungenbein und oberem Ringknorpelrande, indem er das
rückwärtige Drittel des Rachenumfanges in Form eines Mantels
umgreift.
Der M. stylo-pharyngeus wird vom R. stylo-pharyngeus
des N. glosso-pharyngeus versorgt, während jedoch eine Anzahl
von Forschem diese motorischen Fasern dem Glosso-pharvn-
geus-Stamme selbst zuschrieb, sprachen ihm andere Autoren
jede motorische Eigenschaft ab. So hat sich namentlich
Mayo* von der gemischten Natur des N. glosso-pharyngeus
überzeugt und nach J. Müller,* der die Details der Versuche
nicht weiter beschreibt — aus dem Zusammenhange mit dem
Übrigen muss jedoch angenommen werden, dass er central
gereizt hat — »erregte der N. glosso-pharyngeus, unmittelbar
mit beiden Polen der Säule in Verbindung gebracht, kleine
Zuckungen in dem Schlund, nachdem das Thier (Kaninchen)
schon todt war«.
Volkmann ^ gelang es, an frisch geschlachteten Kälbern,
deren Kopf er der Länge nach auseinandergesägt hat, durch
mechanische und galvanische Reizung der dünnen Wurzel den
M. stylo-pharyngeus zu erregen.
Hingegen hält R ei d,* der zuerst an lebenden oder noch
reizbaren Köpfen Versuche gemacht hat, den N. glosso-pharyn-
geus für einen sensorischen Nerven, ebenso auch Valentin:'*
dieser sagt: »Es ist mir oft vorgekommen, dass der herum-
schweifende und der Beinnerv die längste Zeit die lebhafteste
1 Mayo, Anatom, and physiolog. Comment. London 1823. III.
2 J. Müller, Bestätigung des Bell'schen Lehrsatzes, dass die doppelten
Wurzeln der Rückenmarksnerven verschiedene Functionen haben, durch neue
und entscheidende Experimente. Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heil-
kunde von Froriep, 30. Bd. 1831. S. 133.
3 Volkmann, Cber die motorischen Wirkungen der Kopf- und Hals-
nerven. Müller's Arch. 1840. S. 475.
"* Reid, On experimental investigation into the functions of the eighth
pair of nerves, or the glossophar. pneumogastric and spinal accessory. The
Edinb. med. and surg. J. 1838.
^ Valentin, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 1848. IL S. 391.
384 l. Rethi.
Schlundbevvegung anregten, während der unmittelbar nach der
Entfernung des v^erlängerten Markes angesprochene Zungen-
schlundkopfnerv keine Verkürzungen lieferte. Dem sei nun, wie
ihm wolle, so erhellt so viel, dass der grösste Theil der Fasern
des neunten Hirnnerven keine Bewegungsfasern von vorne-
herein einschliesst« und Longet * sah beim Pferde und Hunde
auf centrale Reizung des Glosso-pharyngeusstammes keinerlei
Contractionen im Rachen; er sagt: * »j'ai galvanise, dans le but
de provoquer des mouvements du pharynx etc., le nerf glosso-
pharygien avant son entree dans le trou dechire posterieur,
aucune contraction du pharynx ou des muscles qui l'avoisinent,
n'a ete vue ni par moi ni par les personnes dont j'etais assiste«.
Über die oben erwähnte Beobachtung Müller's macht er
folgende Bemerkung': *il est permis de penser qu il a egale-
ment agi au niveau du cou, c'est-ä-dire dans un point oü reelle-
ment le glosso-pharyngien est devenu mixte par Tadjonction de
filets empruntes au facial ou au spinal«. Er sowohl wie
Rüdinger* leiten die motorischen Fasern, die im N. stylo-
pharyngeus enthalten sind, vom R. communicans Nervi facialis
et glosso-pharyngei ab.
Auch nach Henle*' ist »wahrscheinlich der R. communi-
cans N. facialis et glossopharyngei dazu bestimmt, dem
N. glosso-pharyngeus motorische Fasern mitzutheilen«. Hyrtl**
sagt: »die motorischen Aste, welche er (nämlich der N. glosso-
pharyngeus) zu den Rachenmuskeln sendet, mögen ihm durch
Anastomosen mit dem Communicans und Vagus procurirt
werden«. Nach Langer^ gibt »der N. glosso-pharyngeus an
den M. stylopharyngeus . . .Aste ab; es ist jedoch nicht sicher-
gestellt, ob der Nerv diese Fasern von Haus aus mitnimmt oder
sie erst durch die Anastomosenkette zugeleitet bekommt, welche
1 Longe t, Recherches sur les Ibnctions des faisceaux de la moelle
epiniere. Arch. gen. de med. 1841.
2 Long et, Traite de Physiologie. 1869. p. 501.
3 L. c. S. 502.
•* Rüdin g er, Anatomie der Gehirnnerven.
•'» Henle, 1. c.
^ Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 1875.
" Langer, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 1865.
Xen'enwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 385
den Stamm mit dem Vagus und diesen mit dem Accessorius
verbindet. Die Ergebnisse der an Thieren gemachten Versuche
sind so vieldeutig, dass sich nicht einmal streng entscheiden
lässt, ob in diesem ganzen Gebiete wenigstens den functionell
geschiedenen Muskelgruppen besondere Nerven zugewiesen
sind oder ob nicht gar der den einzelnen Muskel innervirende
Faden seine Fasern aus mehreren Nerven beziehen kann». Und
Schwalbe * sagt: »Vollständig sichergestellt ist, dass der
Glossopharyngeusstamm motorische Fasern für den M. stylo-
pharyngeus führt; doch liegt immerhin die Möglichkeit vor,
dass sie ihm aus einer anderen Quelle zugeführt werden.
Der R. communicans N. faciei et glosso-pharyngei zweigt
sich gewöhnlich dicht unter dem Ganglion petrosum ab
und bildet mit einem Theile des für den M. digastricus
bestimmten Facialiszweiges eine nach unten convexe Schlinge,
aus der Fasern beider Nerven in peripherer Richtung aus-
strahlen können (Bisch off). Wahrscheinlich besteht aber
die Bedeutung dieser Verbindung vorzugsweise darin, dass
durch sie dem Glossophar^mgeus Fasern zugeführt werden,
w^elche ihn möglicherweise zum Theil schon in der Bahn
des N. stylo-pharyngeus verlassen.«
Die M. stylo-pharyngei heben den Rachen und erzeugen
an der hinteren Rachenwand beiderseits von der Mittellinie eine
Ausbuchtung nach hinten und aussen, so dass eine Erweiterung
des Rachens entsteht, welche nebst anderen Momenten dazu
dient, durch Druckabnahme ansaugend auf den Bissen zu
wirken, das Hineingelangen von Speisen in den Kehlkopf zu
verhüten und den Organismus vor den Gefahren des Ver-
schluckens zu schützen. *
Beim Aufsuchen der motorischen Wurzelfasern des M. stylo-
pharyngeus war die Versuchsanordnung mit geringen Ab-
weichungen fast immer folgende: das Thier wurde narkotisirt, in
der Rückenlage festgebunden, — nach vorgenommener Spaltung
1 Schwalbe, Lehrbuch der Neurologie. 1881.
- L. Rethi, Der Schlingact und seine Beziehungen zum Kehlkopfe.
Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wissensch. in Wien. Mathem.-naturwissensch.
Cl. Bd. C. Abth. m. Oct. 1891.
Sitzb. d. mathem.-naturw. CI.; CI. Bd., Abth. Ilf. 27
386 L. Rethi,
der Weichtheile des Vorderhalses in der Mittellinie — tracheo-
temirtund dieTracheotomiekanüle eingebunden; die Sublingual-
drüsen wurden abgebunden, die Membrana thyreohyoidea der
Quere und der Länge nach bis zum Zungenbein hinauf durch-
trennt und die Wundränder ligirt; dann wurde der Schild-
knorpei, ebenso auch der weiche Gaumen seiner ganzen Länge
nach in der Medianlinie gespalten und die Epiglottis abgetragen.
Im zweiten Tempo wurde das Thier in der Bauchlage fest-
gebunden und die Nervenwurzeln in der Weise freigelegt, wie
es Gross mann* bei seinen Versuchen gethan; der Kopf des
Thieres wurde stark brustwärts gebeugt, die Haut zwischen Pro-
tuberantiaoccipitalis externa und viertem Halswirbel durchtrennt,
die Muskeln beiderseits doppelt unterbunden und quer durch-
schnitten. Dann wurden die Muskeln von der Membrana
obturatoria abgelöst, letztere gespalten und an den Ansatz-
stellen mit einer feinen Scheere abgetragen, die Seitentheile der
Membran jedoch zur Vermeidung von grösseren Blutungen,
welche eine Fortsetzung des Versuches stets unmöglich machen
(A. vertebralis) , geschont. Schliesslich wurden nach Bloss-
legung der Medulla oblongata, um besseren Zugang zu ver-
schaffen, Theile des Os occipitis an der oberen, äusseren Um-
randung der gewonnenen Öffnung mit der Knochenzange
abgetragen, jedoch eine Entfernung von Knochen in der Mittel-
linie sowohl, als auch an der lateralen Begrenzung nach Mög-
lichkeit vermieden.
Wurde nun das Versuchsthier auf eine Seite gelegt, so
kamen die Wurzelbündel des N. glosso-pharyngeus, vagus und
accessorius Willisii, indem sich die Medulla oblongata in Folge
ihrer Schwere gegen die nach unten gekehrte Seitenwand
senkte, auf der entgegengesetzten Seite gut zum Vorschein, so
dass beim Kaninchen von einer Rotation der Medulla oblongata
und einer Entfernung von Kleinhirntheilen mittelst Saugvor-
richtung abgesehen werden konnte. Man sieht beim Kaninchen
die von innen oben nach aussen unten absteigenden Wurzel-
bündel (Fig. 1 bei 1), in einem kleinen Abstände von denselben
1 Grossmann, Das Respirationscentrum, insbesondere des Kehlkopfes
und die Wurzelfasern des Kehlkopfes. Sitzungsber. d. kais. Akad. d. Wissensch.
in Wien. B. XCVIII. Abth. III. 1889.
Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln.
387
die mehr oder weniger quer abgehenden mittleren Fasern (2)
und dann die von innen unten nach aussen oben aufsteigenden
Fäden (3), die sich in den ebenfalls deutlich sichtbaren Acces-
soriusstamm (A) einsenken. Dass es sich im Ganzen und
Grossen um ähnliche Befunde handelt, wie beim Menschen, ist
schon aus der Ähnlichkeit der Bilder zu ersehen (Fig. 2). •
Fig. 1.
Closso-pharyngeus -Vagus- und Accessoriuswurzeln beim Kaninchen
(nach Grossmann). 1. Oberes. 2. Mittleres. 3. Unteres Wurzelbündel. A.
N. accessorius, x und y Nervenwurzeln des M. stylo-pharyngeus, z Nerven-
wurzeln der drei Constrictoren des Rachens, des M. levator veli palatini
und des M. palato-pharyngeus und palato-glossus.
In der Seitenlage des Thieres war es möglich, die Wurzel-
fasern mittelst der feinen Platinelektrode zu reizen und die
einzelnen Fäden abzutasten, während ein Gehilfe bei aus-
einandergehaltenen Schildknorpelplatten die hintere Rachen-
wand beobachtete. Man sah bei massig starken Strömen, bei
einem Rollenabstande von etwa 4o cm auf Berührung des oberen
Bündels eine rinnenförmige Vertiefung auf der betreffenden Seite
27*
388
L. Rethi,
entstehen, eine Ausbuchtung der hinteren Rachenwand seitlich
von der Mittellinie nach hinten aussen, ein Zurückweichen der-
selben, und zwar vom Niveau des Zungenbeines angefangen
bis über die Spitzen der Arytaenoidknorpel hinaus, demnach
in der ganzen Höhe der Insertion des M. stylo-pharyngeus;
gleichzeitig wurde die Raphe nach der gereizten Seite hinüber-
N. abducens
N. trigeminus
Tensor veli palatini
N. facialis
X. acusticus.^
N. glosso-
pharyngeup
N. vagus
N. accessoriuä
.. M. st}io-phar>Tigcas
Constrictor pharyn-
gis supeiior,
medius et
inferior; Levator
veli palatini, M. pa-
lato-phaiyngeus et
ossus
Fig. 2.
XeiTenursprünge beim Menschen (nach Henle).
Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln.
gezogen, der Pharynx gehoben und oft erfolgte auch ein
Schlingact.
Wurden etwas schwächere Ströme angewendet, bei einem
Rollenabstand von 55 bis 60 cm — doch war die erforderliche
Stromstärke von den verschiedenen Thieren selbst und wegen
der Ermüdung und abnehmenden Erregbarkeit insbesondere
auch von der Dauer des Versuches abhängig — so konnte man
die unteren Fasern des oberen Bündels in ihrer Wirkung von den
oberen Fasern desselben differenziren : bei Reizung der oberen
Fasern dieses Bündels (x) entstand eine geringe rinnenförmige
Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 389
Vertiefung, hauptsächlich im oberen Abschnitte der sichtbaren
hinteren Rachenwand, in der Höhe des Zungenbeines und bei
Reizung der unteren Fasern (y) eine Excavation hauptsächlich
im Niveau der Spitzen der Arytaenoidknorpel, wie ich sie bei
Reizung des N. laryngeus medius gesehen habe. * Das mittlere
Wurzelbündel (2 Fig. 1) hatte auf den M. stylo'-pharyngeus
keinen Einfluss und ebenso konnte eine Abhängigkeit dieses
Muskels von den Accessorius-Wurzeln mit Bestimmtheit aus-
geschlossen werden.
Bei anderen ebenso präparirten Thieren wurde auch der
N. laryngeus medius auf einer Seite herauspräparirt und durch-
schnitten; Reizung der oberen Fasern des oberen Bündels ergab
unverändert ebenso, wie bei intactem N. laryngeus medius nebst
Hebung des Rachens und Verziehung der Raphe nach der
gereizten Seite hin eine geringe Vertiefung der hinteren Rachen-
wand in der Höhe des Zungenbeines, bei Reizung der unteren
Fasern des oberen Bündels hingegen entfiel auf der operirten
Seite die Excavation im Niveau der Giessbeckenknorpelspitzen,
während sie bei Reizung dieser Wurzelfasern auf der anderen
Seite, auf welcher der N. laryngeus medius erhalten war, deut-
lich auftrat.
Dann wurden auf dieser, nicht operirten Seite die unteren
Fasern des oberen Bündels (y Fig. 1) mit einem feinen Häkchen
durchgerissen und durch mechanische Berührung des Rachens
ein Schlingact ausgelöst. Die Ausbuchtung wurde nun auf
beiden Seiten vermisst, auf einer Seite, weil der N. larj^ngeus
medius durchschnitten war und auf der anderen, weil die
Wurzelfasern desselben durchtrennt waren. Auf Reizung der
peripheren Enden dieser durchrissenen Fasern des oberen
Bündels entstand die Excavation am Oesophagus- Eingang
wieder.
Diese Versuche wurden in derselben Anordnung oder mit
geringen Abweichungen in mehreren Fällen wiederholt und das
Resultat war stets dasselbe, nur kam es zu Ende der Versuche,
wenn die Thiere weniger erregbar geworden und stärkere
Ströme angewendet werden mussten, in Folge von Strom-
1 L. Rethi, 1. c.
^
390 L. Rethi,
schleifen, die auf die benachbarten, noch nicht ermüdeten
Fasern übersprangen, auch zu anderen Erscheinungen, insbe-
sondere zu Vorspringen der Arcus palato-pharyngei und Hebung
des Gaumensegels.
In den Versuchen, bei denen der Ursprung des N. facialis
und trigeminüs blossgelegt wurde und die weiter unten aus-
führlich besprochen werden sollen, konnte durch Reizung der
genannten Nervenstämme eine Contraction des M. stylo-pharyn-
geus niemals erzielt werden.
Demnach verlaufen die für den M. stylo-pharyn-
geus bestimmten motorischen Fasern im oberen
Wurzelbündel, insbesondere aber führen die unteren
Fasern desselben die durch den N. laryngeus medius
vermittelten motorischen Nerven.
2. Die Nervenwurzeln der Constrictoren des Rachens.
Man unterscheidet im Rachen beim Menschen sowohl als
auch bei unseren Versuchsthieren, drei Constrictoren. Beim
Menschen verhalten sie sich nach Hyrtl * folgendermassen ;
>'Der Constrictor pharyngis superior nimmt die oberste Partie
der hinteren Rachenwand ein, welche den Choanen gegenüber-
steht; er entspringt vom Hamulus pterygoideus, von dem
hinteren Ende der Linea mylo-hyoidea, vom Seitenrand der
Zunge und von der zwischen Ober- und Unterkiefer ausge-
spannten Partie der fascia bucco-pharyngea« ...» Der schwache
Constrictor medius kommt mit zwei Bündeln von dem grossen
und kleinen Hörn des Zungenbeines als Cerato- und Chondro-
pharyngeus; seine oberen Fasern streben in der hinteren Rachen-
wand nach aufwärts, seine unteren nach abwärts, während seine
mittleren horizontal bleiben. . . Die obere Spitze schiebt sich auf
den Constrictor superior hinauf, die untere wird von der«...
* Spitze der beiden Constrictores inferiores überdeckt « . . . » Der
Constrictor inferior entspringt vorzugsweise von der äusseren
Fläche des Schildknorpels und von der Aussenfläche des Ring-
knorpels. Auch seine Bündel vereinigen sich mit den entgegen-
gesetzten in der Raphe und schieben sich mit qiner nach oben
1 Hyrti, 1. c.
Xervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 391
gerichteten Spitze über den Constrictor medius hinauf. . . die
Schnürermuskeln bilden die Seitenwand und die hintere Wand
des Rachens, gegen deren Medianlinie sie von beiden Seiten her
zusammenstreben. «
In ähnlicher Weise verhalten sich die Rachenconstrictoren
auch beim Hunde und Kaninchen, doch sind bei Letzterem ein-
zelne Bündel dieser Muskeln schwer zu unterscheiden, wenn
auch der mittlere Constrictor relativ stark entwickelt ist. ^
Bezüglich der motorischen Innervation der Schlundschnürer
ist hervorzuheben, dass der N. glosso-pharyngeus, vagus,
accessorius und sympathicus ein Geflecht, den Plexus pharyn-
geus bilden und dass aus diesem Fäden zu den genannten
Muskeln treten, doch werden darüber, von welchem dieser
Nerven die für die Constrictoren bestimmten motorischen Fasern
herstammen, verschiedene Ansichten ausgesprochen.
Goerres,* Scarpa,^ Bischoff,* Arnold'' und Valen-
tin® hielten den Vagus für einen rein sensorischen Nerven und
sprachen ihm jedwede Betheiligung an der motorischen Inner-
vation des Rachens und der Constrictoren ab. Auch Longe t
ist geneigt, die motorischen Nerven des Rachens ausschliesslich
vom N. accessorius Willisii abzuleiten; er sagt:^ *>Le nerf
glosso-pharyngien, devenu mixte par l'adjonction d'un rameau
du facial et par son union avec le rameau pharyngien du
spinal, se distribue ä la muqueuse pharyngienne, ä celle des
piliers du volle du palais etc., tandis que les filets empruntes
au spinal se terminent dans les muscles constricteurs du
Pharynx«.
' Krause, 1. c.
- Goerres, Exposition der Physiologie. Coblenz 1805.
3 Scarpa, De gangliis ncrvorum deque origine et essentia nervi inter-
costalis. Mailand 1831.
* Bisch off. Nervi accessorii Willisii anatomia et physiologia. Heidel-
berg 1832.
^ Arnold, Bemerkungen über den Bau des Hirns und Rückenmarks.
Zürich 1838.
ß V^al entin, De functionibus nervorum cerebralium et ner\'i sympathici.
Bern 1839.
" Longet, Traite de Physiologie. 1869. III. S. 581.
392 L. Rethi,
Hingegen gibt Volk mann * an, bei frisch geschlachteten
Thieren durch Reizung des Glosso-pharyngeusstammes Con-
traction des Constrictor pharyngis medius und nach Exstirpation
des N. glossopharyngeus und accessorius Willisii durch
Reizung der Vaguswurzeln unter Anderem auch Bewegungen
im Constrictor faucium superior und inferior erzielt zu haben.
Bezüglich der Schlundschnürer gelangte auch Hein* zu den-
selben Resultaten, da er den Constrictor medius ebenfalls durch
Reizung des centralen Glosso-pharyngeusstammes erregen
konnte.
Henle^ leitet die motorische Innervation des Constrictor
superior von den motorischen Fasern der Vagusvvurzel des
Plexus pharyngeus ab und Luschka* sagt: »Die motorischen
Nerven des Rachens gehen aus dem Glosso-pharyngeus, welcher
. . . auch Fädchen an die Constrictoren abgibt und aus dem
Accessorius Willisii hervor, dessen innerer mit dem Vagus sich
verbindender Ast durch die Rami pharyngei des letzteren Nerven
den Constrictoren zahlreiche Elemente zuschickt«
Die Versuchsanordnung war dieselbe, wie bei der Eruirung
der motorischen Wurzel des M. stylo-pharyngeus und als Ver-
suchsthiere dienten auch hier Kaninchen, Hunde und Katzen;
erwähnt soll jedoch werden, dass fast jedes Thier in jedem Ver-
suche zur Erforschung des Wurzelgebietes mehrerer Muskeln
verwendet wurde. Das Thier wurde narkotisirt, in der Rücken-
lage festgebunden, tracheotomirt und der weiche Gaumen nach
Durchtrennung der Membrana thyreo-hyoidea der Länge nach
gespalten, damit die hintere Rachenwand im Bereiche des Con-
strictor pharyngis medius und inferior beobachtet werden
könne. In der oben beschriebenen Weise wurden dann die
Wurzelfasern des N. glosso-pharyngeus, vagus und accessorius
Willisii blossgelegt Mnd die einzelnen Fasern abgetastet.
Bei Reizung der oberen Fasern des mittleren Bündels
(P'ig.l z, S. 387) entstand auf der gereizten Seite eine Vorwölbung;
1 Volkmann, 1. c.
2 Hein, Über die Nerven des Gaumensei^cls. .Müll er 's .Archiv. 1844.
» Henle, 1. c.
•* Luschka, Die Anatomie des Menschen. 1860.
Nerv'envvurzeln der Rachen- und Gaumcnmuskeln. 393
die hintere und seitliche Rachenwand sprang einmal mehr im
Niveau des Zungenbeines ein anderesmal hingegen mehr in der '
Höhe der Arytaenoidknoipel vor, d. h. es contrahirte sich sowohl
der mittlere als auch der untere Schlundschnürer, doch war es
nicht möglich die feinen Nervenfäden derart zu isoliren, dass man
die Abhängigkeit jedes einzelnen dieser beiden Constrictoren von
bestimmten Fasern hätte nachweisen können und auch bei den
schwächsten Strömen waren stets auch Contractionen des be-
nachbarten Schlundschnürers wenigstens theilweise zu sehen.
Während der Durchschneidung der oberen Fasern des mittleren
Bündels contrahirten sich diese beiden Constrictoren ebenfalls
und ebenso entstand diese Contraction bei nachfolgender Reizung
der peripheren Enden der durchschnittenen Fasern. Reizung der
unteren Fasern des mittleren Bündels hatte keine Veränderung
im Rachen zur Folge, und dass Durchschneidung des N. laryn-
geus medius an der Contraction der Constrictoren nichts änderte,
braucht nach dem Vorhergehenden nicht ausdrücklich erwähnt
zu werden. Es soll hier auch vorweg genommen werden, dass
auch Reizung des Facialis- und Trigeminusstammes keine Con-
traction dieser beiden Constrictoren zur Folge hatte.
Der Constrictor pharyngis superior konnte durch diese
künstliche Öffnung nicht gut gesehen werden und statt einer
Beobachtung im Spiegel, die allerdings möglich war, zog ich es
vor, die hintere Rachenwand in ihrem oberen Abschnitte nach
Spaltung des Velum palatinum direct durch die Mundhöhle zu
beobachten. Zu diesem Zwecke wurde das narkotisirte Thier
mittelst eines eigens construirten Maulkorbes, der nur den Ober-
kiefer fixirte und dessen unteres Blatt sich an den harten
Gaumen stützte, während eine quere Spange hinter die oberen
Schneidezähne zu liegen kam, am Kaninchenhalter fixirt, der
Unterkiefer mittelst eines Fadens abducirt und beim Kaninchen,
dessen Kiefer sich durch grosse Länge und dessen Mundhöhle
sich durch bedeutende Tiefe auszeichnete, überdies, um mehr
Raum zu gewinnen, auch noch die Wange von den Mund-
winkeln aus nach doppelter Unterbindung etwa 2 cm weit nach
hinten durchtrennt; nun wurde der weiche Gaumen, nach-
dem andere die Innervation des Velum betreffende Versuche
vorausgegangen waren, in der Mittellinie vorsichtig der Länge
394 L. Rethi,
nach bis zum harten Gaumen gespalten und die hintere Rachen-
wand zur Ansicht gebracht.
Wurde die Stelle (z in Fig. 1), von der die motorische
Abhängigkeit des mittleren und unteren Schlundschnürers
nachgewiesen worden war, gereizt, so contrahirte sich auch der
Constrictor pharyngis superior, dabei konnte man aber von hier
aus zumeist auch die Contraction des mittleren und, wenn die
Zunge gut niedergedrückt wurde, auch noch des unteren
Schlundschnürers sehen. Auch die Erregung des oberen Con-
strictor konnte nicht isolirt werden: wurden schwächere Ströme
angewendet, so kam es überhaupt nicht mehr zu einem sicht-
baren Reizeffecte^ und wenn man bei allmähliger Steigerung der
Stromstärke eine Contraction wahrnehmen konnte, trat sie an
allen drei Constrictoren auf.
Demnach führt das mittlere Wurzelbündel in
seinen oberen Fasern die für die Constrictoren des
Rachens bestimmten motorischen Nerven und wird
der Constrictor pharyngis medius von demselben
Wurzelbündelchen versorgt wie der Constrictor
pharyngis superior und inferior.
3. Die Nervenwurzeln des M. levator veli palatini.
Die Anschauungen über die Innervation des M. levator veli
palatini sind einander so widersprechend, dass nach den anato-
mischen Untersuchungen, sowie den physiologischen und klini-
schen Beobachtungen ein abgeklärtes Urtheil über die motorische
Versorgung dieses Muskels bis nun nicht möglich war.
Es sollen vorerst die anatomischen Verhältnisse des
M. levator palati mollis, dann die wesentlichsten bisherigen
Beobachtungen und Untersuchungen berührt und schliesslich
unsere Versuche ausführlich besprochen werden. Nach Hyrtl *
entspringt »der Levator veli palatini s. petro-salpingo-staphylinus
vor dem Carotischen Kanal von der unteren Felsenbeinfläche,
sowie auch von dem Knorpel der Eustachischen Ohrtrompete
und verwebt seine Fasern im weichen Gaumen theils mit den
Fasern des Azygos uvulae, theils fliessen sie in einem nach
1 Hyrtl, 1. c.
Xervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 395
abwärts convexen Bogen mit jenem des gleichnamigen Muskels
der anderen Seite zusammen.« Beim Hunde entspringt er nach
Ellenberger und Baum ' »an dem Processus styliformis des
Tympanicum, liegt an der Seitenwand der Rachenhöhle und
breitet sich facherartig im Gaumensegel aus, indem seine
Fasern zwischen das Drüsengewebe eintreten. Lateral liegen
dem Muskel der Styloglossus und Pterygo-pharyngeus an,
medial grenzt er an den M. palato-pharyngeus ; mit letzteren
beiden kreuzt er sich. . . Der Levator endet im Gaumensegel.«
Beim Kaninchen entspringt er nach Krause* »an der unteren
Fläche der pars petrosa ossis temporum und Tuba Eustachi,
verläuft abwärts und nach vorne. Insertion: Velum palatinum.«
Was die motorische Innervation des M. levator veli palatini
betrifft, so gibt Valentin ^ an, dass derselbe vom N. trigeminus
und facialis versorgt wird; von letzterem Nerven sagt er:
*R. petrosi superficialis majoris fibrae plurimae semper a
N. faciali exeunt, aliae vero per eum a N. trigemino in N. facialem
intrant et partim N. acusticum per R. communicatorium infe-
riorem petunt. Itaque hoc nervo efficitur' ut fibrae quaedam
motoriae N. facialis ad R. vidianum decurrant. Quam vero
regionem postea petant, experimento erui non potuit nisi
experientia, ut ita dicam, negativa aut quidem incerta aliquid
probet. Ut enim viderem, num fibrae motoriae, quae in N.petroso
superficiali continentur, palati mollis musculos moveant, caput
animalis nunc necati ita dimidavi, ut facillime N. facialem
adtingerem. Tum ne ceterae ejus fibrae motoriae experimentum
turbarent, eum e foramine stylo-mastoideo egressum primo
dividi et deinde partem, quae in meatum auditorium internum
intrat, posteaque regionem decursus sub dura meninge recon-
diti R. petrosi superficialis majoris irritavi. Quam vis quinquies
hoc experimentum in equo, cane, feie et cuniculo instituissem,
tarnen semel tantummodo in cane palatum moUe peristaltica
quadam ratione aliquantum moveri vidi; quae vero res eo
1 Ellenberger und Baum, 1. c.
' Krause, 1. c.
3 Valentin, De functionibus nervorum cerebralium et nervi sympathici
libri qualuor. Bern 1839. S. 33.
396 u Rethi,
cautius adhibenda est, quo saepius motus ejus movi sponte
exoriuntur.«
Ebenso sah auch Debrou* auf galvanische Reizung des
Facialisstammes in der Schädelhöhle in fünf Experimenten nur
einmal deutliche Contractionen des Gaumens.
Nach Volkmann* rühren die motorischen Fasern des
Levator veli palatini vom N. vagus her. Er sagt: »Unzweideutige
Verkürzung zeigt — an frisch geschlachteten Thieren — bei .
Reizung der freigelegten Facialiswurzel der M. frontalis, buccalis,
orbicularis palpebrae, eine Muskelpartie, welche die Nase be-
wegte, eine dergleichen, welche den Mundwinkel verzog, zahl-
reiche Ohrmuskeln . . . ferner der hintere Bauch des Digastricus
maxillae, der Stylohyoideus. . ., aber der Facialis bewegt durch-
aus nicht die Zunge. . . . Auch der weiche Gaumen wird vom
Gesichtsnerven nicht bewegt. Im Levator palati entstanden
Bewegungen. . . .bei Reizung der Vaguswurzel.«
In demselben Sinne fielen die Versuche von Hein' aus,
der sie an geköpften Thieren, Schafen, Kälbern, Ziegen und
Hunden gemacht hat' indem er die Wirbelsäule im Atlasgelenk
vom Schädel trennte, den Oesophagus von hinten her auf-
schlitzte, das Gehirn entfernte und die durchschnittenen Ner\'en
mechanisch und galvanisch reizte. Auch er sah »auf Reizung
des Facialis keine Bewegungen im Gaumensegel, bei Reizung
des Vagus hingegen Contractionen des Levator. . . .«. Er sagt
weiter: »Dass der vidianische Nerv nicht aHein Fäden vom
fünften Paar zum siebenten sondern durch den oberflächlichen
grossen Felsenbeinnerven auch eine nicht kleine Zahl von Fäden
auf umgekehrtem Wege aus dem siebenten Paar zum fünften
führe, das ist längst ganz ausgemacht. Dass aber diese vom
siebenten Nerven herkommenden Fäden durch den Gaumen-
keilbeinknoten hiedurch ohne Unterbrechung m die Gaumen-
nerven verfolgt werden könnten, das ist wohl sehr unwahr-
scheinlich; mir ist es nicht geglückt.«
Diesen, einer Innervation des Levator veli palatini durch
den N. facialis ungünstigen Anschauungen und Versuchen
^ Debrou, These inaug. 1831. Citirt nach Long et, 1. c.
2 Volkinann, 1. c,
■^ Hein, 1. c.
Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 39/
gegenüber machten sich jedoch wichtige Beobachtungen und
Untersuchungen geltend, welche für eine direkte Betheiligung
des N. Facialis an der motorischen Innervation des Gaumen-
segels sprechen.
Nuhn' lässt motorische Fasern vom N. facialis zum
Gaumensegel gelangen, da er bei Thieren, vier Hunden und
einer Katze durch Reizung des Facialisstammes innerhalb der
Schädelhöhle Contractionen des Gaumensegels erzielte. Was
den vielfach citirten Fall von Nuhn betrifft*, so konnte er an
einem Enthaupteten bei Reizung des Facialisstammes deutliche
Bewegungen am weichen Gaumen bemerken: »obwohl ein
eigentliches Heben desselben, wie ich dies bei Experimenten
an Thieren sah, nicht wahrgenommen werden konnte, was
übrigens bei der im Allgemeinen schon ziemlich gesunkenen
Reizbarkeit der Muskeln auch kaum zu erwarten war.« Doch
fügt er weiter hinzu: » hierauf brachte ich die Leitungs-
drähte an den N. glossopharyngeus, vagus und accessorius
Willisii, wodurch jedesmal Contractionen im Schlundkopfe und
auch im Gaumensegel entstanden.« Er durchschnitt hier auch
den N. petrosus superficialis major und reizte dann den Facialis-
stamm, doch war die Reizbarkeit so gesunken, dass er die
schwacKen Vibrationen, die er wahrnahm, nicht zu verwerthen
wagte.
Longet^sagt: »Les resultats negatifsobtenusparDebrou
se sont aussi ofiFerts parfois ä mon Observation.« Trotzdem hält
er aber den Facialis für den motorischen Nerven des Levator
palati. »Quant aux filets nerveux qui venus du facial, se ren-
dent aux muscles elevateurs du voile du palais. . . .j'ai demon-
tre des 1838* qu* ils partent du premier coude de ce nerf et que
formant une notable partie du grand nerf petreux, ils abou-
tissent au ganglion sphenopalatin, duquel ils emergent bientot
1 Nuhn, Versuche über den Einfluss des N. facialis auf die Bewegungen
des Gaumensegels. Heidelberg 1 849.
2 Nuhn, Versuche an einem Enthaupteten nebst erläuternden Versuchen
an Thieren. Zeitschr. f. rat. med. N. F. III. Bd. S. 129.
s Longet, 1. c.
* Longet, Journ. des connaissances mcdico-chir. von Trousseau und
Libaudv.
398 L. Rethi,
pour se rendre ä leur destination II en resulte qua mes
yeux le nerf facial preside ä la contraction de tous ies muscles
du voile palatin, excepte le peristaphylin externe (Tensor palati).-
Nach Hyrtl* besteht der N. petrosus superficialis major
»theils aus Fasern, welche vom Ganglion sphenopalatinum zum
Communicans ziehen, um diesem senorische Fasern zuzuführen,
theils aus solchen, welche umgekehrt vom Communicans zum
Ganglion sphenopalatinum herüberkommen und es ermöglichen,
dass die. . . .Nervi palatini descendentes auch gewisse Gaumen-
muskeln (Levator palati mollis und Azygos uvulae) versorgen
können . . . ., wodurch bei einseitiger Lähmung des facialis, das
Zäpfchen eine Abweichung nach der gesunden Kopfseite zeigt ;
— nicht constant — «.
In ähnlicher Weise beschreibt ihn Langer*: »Der Zweig
isolirt sich bereits im Knie und geht durch den Sulcus petrosus
auf der oberen Pyramidenfläche zum N. vidianus, dessen weisse
Portion er bildet und gelangt endlich zum Ganglion spheno-
palatinum des zweiten Trigeminusastes .... er beherrscht den
Levator palati.«
S. Meyer sagt^: »Da die Gaumenfasem des Facialis aller
Wahrscheinlichkeit nach ihren Verlauf durch den N. petrosus
superficialis major nehmen, so gibt das Auftreten der (Läh-
mungs-) Erscheinungen am Gaumen einen Fingerzeig dafür,
den Sitz der Nervenläsion im Niveau des Ganglion geniculi
oder centralwärts zu vermuthen« und schliesslich erwähnen
wir Merkel*: »Schon sein (des N. facialis) im Schläfenbein
gelegenes Ganglion geniculatum sendet durch den N. petrosus
superficialis major Fasern nach dem Ganglion nasale, welche
endlich in den Gaumenmuskeln anlangen ; woher es sich erklärt,
dass bei centraler Lähmung des N. facialis auch Lähmung der
entsprechenden Gaumenseite mit Schiefstand des Zäpfchens
nach der gesunden Seite hin beobachtet wird.«
Nach anderen Forschern hingegen ist der N. facialis nicht
der alleinige Nerv, von dem der Levator veli palatini seine
1 Hyrtl, 1. c.
2 Langer, 1. c.
3 In L. H e r m a n n 's Handbuch der Physiologie 1 879. III. Bd. I. Th. S. 255.
** Merkel, Handbuch der topographischen Anatomie. 1890.
Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 399
motorischen Fasern erhält. Henle^ sagt: »Die schräge Stellung
der Uvula bei einseitiger Lähmung des Facialis, sofern die
Ursache der Lähmung im Centralorgan oder im Schläfenbein
liegt, spricht dafür, dass die Gaumenmuskeln ihre Nerven zum
Theil vom Facialis empfangen und weiter, da dies nur auf dem
Wege vom Knie des letztgenannten Nerven durch den N. petrosus
superficialis major, das Ganglion nasale und die Nn. palatini
möglich ist, dass der N. petrosus superficialis major motorische
Fasern führt, die vom Ganglion geniculatum zum Ganglion
sphenopalatinum ziehen«; doch fügt er hinzu: »der directe
experimentelle Beweis für diese Ansicht ist aber noch nicht mit
der wünschenswerthen Sicherheit geführt«. An anderer Stelle
sagt er dann: »Mit dem R. pharyngeus des Glossopharyngeus
und mit sympathischen Zweigen bilden sie (die vom Plexus
ganglioformis abgehenden Vagusfasern) den Plexus pharyn-
geus, der seine Aste strahlenförmig gegen Schlund und
Gaumen entsendet die terminalen Zweige des Plexus
pharyngeus sind wahrscheinlich gemischter Natur jeden-
falls fiele den motorischen Fasern der Vagusvvurzel des Plexus
pharyngeus die Innervation des M petro-staphylinus und
palato-staphylinus zu.«
Schwalbe* äussert sich hierüber folgendermassen :
»Physiologische und klinische Beobachtungen, sowie sorg-
fältige Zerfaserungen ergaben, dass er (der N. petrosus super-
ficialis major) jedenfalls motorische Fasern enthält, welche aus
der Bahn des Facialis stammen und vom centralen Theil des
Facialis am Ganglion geniculatum in den N. petrosus super-
ficialis major übertreten. Diese Fasern gehen vom Ganglion
sphenopalatinum aus mit den Nn. palatini zum Gaumensegel
undinnerviren denLevator veli palatini... Bei Facialislähmungen,
deren Ursache centralwärts vom Hiatus Fallopiae sich befindet,
wird deshalb Schiefstellung des Gaumensegels mit Abweichung
nach der gesunden Seite beobachtet .... überdies steht es fest,
dass ein Zweig des N. pharyngeus superior zum Levator veli
1 Henle, 1. c.
2 Schwalbe, 1. c.
400 L. Kethi,
palatini und Azygos uvulae geht, so dass diese beiden Muskeln
von zwei Seiten vom Facialis und Vagus innervirt werden.«
Auch nach Luschka* stammen die motorischen Nerven
des Levator palati moUis »aus dem Vagus, welcher durch Ver-
mittelung der Rami pharyngei Fasern an den M. azygos uvulae,
Levator veli und an den M. pharyngo-palatinus abgibt . . . und
. . . aus dem N. facialis« und Brücke * sagt: »Jetzt muss man
zugeben, dass die Ansicht die richtige ist » . . . <, indem ange-
geben wird, dass auf Reizung der Wurzel (N. glossopharyngeus)
Contractionen im M. stylopharyngeus, im Constrictor pharyngis
medius, im Levator palati mollis und im Azygos uvulae erzielt
worden seien. Wir sehen also eine zweite Quelle für die mo-
torische Innervation des weichen Gaumens; die erste haben
wir im N. facialis kennen gelernt.« ... »In neuerer Zeit ... hat
man durch Reizung des Vagus an der Wurzel desselben Muskel-
zusammenziehungen erhalten ... im Levator palati mollis.«
Was die klinischen Beobachtungen betrifft, so hat schon
im Jahre 1831 Montault'^ bei halbseitiger Facialislähmung
Paralyse des Zäpfchens und einer Hälfte des weichen Gaumens
beschrieben, gleich darauf folgten Mittheilungen hierüber von
Cruveilhier, Diday, Seguin etc., und jetzt werden von den
klinisch beobachteten Erscheinungen der Gaumenlähmung
wichtige Rückschlüsse auf vorhandene Veränderungen im Ver-
laufe des N. facialis gemacht. Ueber die Lähmungserscheinungen
im Gaumensegel sagt Erb:* »Trotz aller Untersuchungen und
Debatten über diese Erscheinungen sind dieselben noch nicht
bis in alle Details geklärt. Bekanntlich gehen vom Knie des
Facialis motorische Fasern durch den N. petrosus superficialis
major zum Ganglion spheno-palatinum und von diesem zum
Gaumensegel. Hier dienen sie der Innervation einzelner
Gaumensegelmuskeln (vorwiegend des Levator veli palatini).
Liegt nun die Lähmungsursache oberhalb des Ganglion geniculi,
1 Luschka, 1. c.
2 Brücke, Vorlesungen über Physiologie. 1875.
3 .VIontault, These inaug. 1831.
^ Erb, Im Handbuch der spccielien Pathologie und Therapie von
Zi ernste n.
Xervenwurzcin der Rachen- und Gaumenmuskeln. 401
SO werden die Gaumensegelfasern von derselben mitbetroffen
und gelähmt . . .
»Wir sind jetzt durch unsere bisherigen Erfahrungen in
den Stand gesetzt, sowohl in der peripheren Bahn des Facialis,
wie in seiner centralen mehrere Unterabtheilungen zu unter-
scheiden, die wir aus den vorhandenen Symptomen mit einiger
Sicherheit von einander trennen können. Die dazu dienlichen
Anhaltspunkte geben die von dem peripheren Facialis abgehen-
den Äste, der N. auricularis post., die Chorda tympani, der
N. stapedius, der Petrosus superficialis major . . Lähmung aller
äusseren Zweige. Störung des Geschmackes und Gaumen-
segelparese bedeutet Läsion in der Gegend des Ganglion
geniculatum, weil in diesem die Geschmacksfasern ein- und
die Gaumensegelfasern austreten.«
In ähnlicher Weise äussern sich die meisten Kliniker.
Eichhorst' fügt jedoch noch hiezu: »Wir müssen uns hier
mit den gegebenen klinischen Erscheinungen begnügen; zu
ihrer genaueren anatomischen Begründung reichen unsere
Kenntnisse noch nicht hin, sowohl inBezugauf die anatomische
Zergliederung dieser verwickelten Nervenbahnen, als auch auf
experimentelle und pathologische Erscheinungen«, und Valen-
tin* sagt: »Soviel ist gewiss, dass wahrscheinlich der Antlitz-
nerv längs des ganzen Felsenbeinnerven und bis zum Gehirn
angegriffen sein kann, ohne dass sich eine Schiefstellung des
weichen Gaumens nothwendig verräth.«
Erwähnt soll hier noch werden, dass Sanders,^ der an-
gibt, dass der grösste Theil der für den M. Levator veli palatini
bestimmten Nervenfasern aus dem N. facialis stammt und der
weiter betont, dass das wesentliche Merkmal der Gaumen-
lähmung in einer vertikalen Erschlaffung, einem Tieferhängen
des Velum und einer geringeren Wölbung des betreffenden
Gaumenbogens bestehe, in einem Falle bei Facialislähmung den
Levator palati moUis nur unvollkommen gelähmt fand, obgleich
auf der kranken Seite Taubheit eingetreten war, so dass man
^ ^ Eichhorst, Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie, 1885.
- Valentin, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 1848. II. S. 38Ö.
3 Sanders, Paralysis of the palate in fac. paral. Edinb med. Journ.
1865. August. S. 141. — Citirt nach L. Hermann, 1. c.
Sitzb. d. mathem.-naturw. CI. ; CI. Bd.. Ahth. III. 'i8
402 L. Rethi,
auf eine hoch oben liegende Ursache schliessen musste, und
schliesslich sei hier noch ein Fall von Eisenlohr' angeführt,
in welchem es sich um eine Hemibulbärparalyse handelte: un-
vollständige Anaesthesie des linken Trigeminus mit Ausnahme
der Mund- und Wangenschleimhaut, Anaesthesie der tiefer
stehenden, gelähmten linken Hälfte des Velum, erschwertes
Schlucken, Lähmung und Unempfindlichkeit der linken Kehl-
kopfhälfte. Die Section ergab: auf der linken Seite der MeduUa
oblongata einen alten myelitischen Herd, der vom unteren
Ende des Abducenskerns bis zur ersten Cervicalwurzel herab-
reichte; Erkrankung des Tuberculum Rolandi, der gelatinösen
Substanz des Hinterhorns, der Wurzeln des Accessorius und
Vagus, des ganzen Vaguskerns, zum Theil auch der aufstei-
genden Trigeminuswurzel, der innersten Abschnitte des Seiten-
strangkerns und des corpus restiforme und theilweise des
inneren Accessoriuskerns. Der bulbäre Theil des Accessorius-
kerns, der Hypoglossus und Facialis waren jedoch intact.
Zur Eruirung der motorischen Wurzelfasern des M.Levator
veli palatini habe ich ebenfalls Kaninchen, Hunde und Katzen
verwendet. Die Versuchsanordnung war beim Kaninchen
folgende: Das narkotisirte Thier wurde auf den Operationstisch
in der Rückenlage festgebunden, tracheotomirt, die Membrana
thyreo-hyoidea der ganzen Länge nach gespalten, ebenso auch
der Schildknorpel und die Epiglottis abgetragen, so dass der
freie Rand des weichen Gaumens und dieser selbst in einer
Höhe von etwa 15 cm beobachtet werden konnte. Dann wurde
das Thier in die Bauchlage gebracht und die Vaguswurzeln
nach Spaltung der Membrana obturatoria und Entfernung
schmaler Knochenleisten des Os occipitis blossgelegt
Reizung des oberen Bündels (1 in Fig. 1, S. 387) ergab
keinerlei Bewegung am Velum; auch Reizung des Accessorius-
stammes und seiner Wurzelfasem (3) hatte weder an den
Rachenwänden, noch am Gaumensegel irgend eine Bewegung
zur Folge, und bei Reizung der unteren Fasern des mittleren
1 Eisenlohr, Zur Pathologie der centralen Kehlkopflähroungen. Arch.
f. Physiologie. 1888.
Xervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 403
Bündels war ebenfalls nichts zu sehen; wurden jedoch die
oberen Fasern dieses Bündels (z) gereizt, so contrahirte sich
der Levator veli ganz deutlich, der weiche Gaumen wurde
asymmetrisch gehoben, er näherte sich auf der gereizten Seite
dem Kopfende des Thieres, die Concavität des freien Velum-
randes wurde stärker und die Schleimhaut an der vorderen
Fläche des Gaumensegels in der Ausdehnung von etwa 1*5 cm in
bogenförmige, dem freien Rande mehr oder weniger parallelle
Falten gelegt; überdies war ein Vorspringen der hinteren
Gaumenbögen und, soweit das intacte Gaumensegel einen
Einblick gestattete, Contraction der Schlundschnürer zu sehen.
Dann wurden vom Os occipitis grössere Stücke abge-
tragen, so dass ein Theil des Kleinhirns zur Seite geschoben
und der Facialis- und Trigeminusstamm blossgelegt werden
konnten. In den meisten Fällen athmete das Thier noch von
selbst und nun wurden nach Durchschneidung der genannten
Nerven die peripheren Enden derselben unipolar gereizt. Bei
Reizung des N. facialis sah man Contraction der Gesichts- und
Ohrmuskeln, am Gaumensegel war jedoch gar keine Bewegung
zu sehen; Reizung des N. trigeminus ergab Contraction der
Kaumuskeln und des M. mylo-hyoideus, aber auch da war am
Velum von der künstlichen Öffnung aus keine Veränderung
und jedenfalls keine Hebung desselben zu bemerken.
Sehr lehrreich waren einige Versuche, bei denen Folgendes
zu beobachten war: die Versuchsanordnung war im Wesen
dieselbe geblieben, nämlich Eröffnung des Rachens von der
Vorderseite des Halses, Blosslegung der Vaguswurzeln, Ent-
fernung von Theilen des Hinterhauptbeines und Freilegung
der Facialis- und Trigeminuswurzel. Bei schwachen Strömen
war das zu sehen, was soeben beschrieben wurde: Hebung
des Gaumensegels bei Reizung der oberen Fasern des mittleren
Bündels und vollständige Ruhe desselben bei Reizung der
unteren Fasern dieses Bündels, sowie des ganzen oberen
Bündels, des N. trigeminus und Facialis,
Da nun einige dieser Versuchsthiere verhältnissmässig
rasch zugrunde gingen, so dass auch von der inzwischen ein-
geleiteten künstlichen Athmung wegen Herzstillstandes Abstand
genommen wurde, so mussten die Ströme aUmälig verstärkt
28-
404 L. Rethi,
werden, um noch den Trigeminus- und Facialisstamm zu er-
regen und die Kaumuskeln und die Muskeln des Gesichtes
und der Ohrmuschel zur Contraction zu bringen, während zur
Erregung des mittleren Bündels sowie der Vagusvvurzeln über-
haupt, die sich stets viel erregbarer erwiesen, noch bedeutend
schwächere Ströme ausreichten. Bei stärkeren Strömen, die
eine deutliche Contraction der Gesichts- und Ohrmuskeln zur
Folge hatten, sah man nun auch bei Berührung der N. facialis
•
Hebung des weichen Gaumens, wurden sie jedoch etwas abge-
schwächt, so dass man keine Contraction der Gesichtsmuskeln
erzielen konnte, so verblieb auch das Velum in der Ruhelage.
Doch gelang es noch durch Berührung des zwischen Facialis-
und Vagusursprung befindlichen Theiles der Felsenbeinpyra-
mide, je näher zum Vagus, desto sicherer, Contraction des
Levator veli palatini zu erzielen und am ausgiebigsten war die
Contraction bei Berührung der Vaguswurzeln selbst. In dem
Masse, als die Erregbarkeit der Nerven sank, wurde auch die
Entfernung, in der man noch Contraction des Levator veli
palatini bekommen konnte, geringer und desto mehr concen-
trirte sich diese Stelle auf die Vaguswurzeln, bis schliesslich
die Contraction des Gaumenhebers wieder nur vom mittleren
Bündel erzielt werden konnte. Wurden nun wieder stärkere
Ströme angewendet, so wuchs auch der Radius um die Vagus-
wurzel herum, innerhalb dessen man eine Hebung des Gaumen-
segels auslösen konnte und bei noch stärkeren Strömen konnte
der Levator palati wieder durch Berührung des N. facialis oft
noch ganz gut erregt werden, wobei Stromschleifen auch auf
den N. trigeminus übersprangen.
Jedenfalls wäre es möglich, manche Angaben früherer
Autoren über die Abhängigkeit des M. levator veli palatini vom
N. facialis auch hierauf zurückzuführen, umsomehr, als sie ihre
Versuche nicht an lebenden, sondern an frisch getödteten und
enthaupteten Thieren machten, bei denen immerhin so starke
Ströme angewendet werden mochten, dass Stromschleifen auf
die leicht erregbaren Vagusvvurzeln übersprangen.
Es wäre aber auch möglich, dass, wie dies Volk mann'
einmal gesehen, bei Reizung des N. facialis der weiche Gaumen
^ V olkmann, 1. c.
Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 405
indirect durch die Zunge gehoben wird, so dass der Verdacht
entstehen könnte, die Hebung des Gaumensegels sei direct
vom N- facialis abhängig; doch könnte man sich in einem
solchen Falle Klarheit verschaffen, indem man die Muskeln,
welche hiebei thätig sind, den M. styloglossus und digastricus
maxillae, die vom N. facialis versorgt werden, durchschneidet
und ihre Wirkung ausschaltet.
Der weiche Gaumen des Kaninchens zeichnet sich durch
eine ausserordentliche Länge aus und man kann von der
künstlichen Öffnung aus nur Vg bis 7« desselben direct
beobachten; ich habe daher in den folgenden Versuchen, in
denen ich zum Theil auch bei der Blosslegung der Wurzeln
anders vorgegangen bin, den Gaumen von vorne durch den
Mund beobachtet Es wurde blos der Oberkiefer des Thieres
in der Weise wie bereits beschrieben fixirt, so dass der Unter-
kiefer abducirt werden konnte, die Wange von den Mund-
winkeln aus nach hinten durchtrennt, die Schädelhöhle durch
Trepanation und mehr oder weniger vollständige Entfernung
des Schädeldaches eröffnet, die Grosshirnhemisphären von der
Schädelbasis abgehoben, Theile derselben auch stumpf ent-
fernt und der Ursprung des N. facialis und trigeminus bloss-
gelegt. Die Blutung stand oft schon nach kurzer Zeit; dann
wurden — indem die Zunge des Thieres behufs besserer Be-
sichtigung des weichen Gaumens herausgezogen und an der
Wurzel stark niedergedrückt wurde — die Wurzeln der ge-
nannten zwei Nerven durchschnitten, wobei es zu Contraction
der Kau- und Gesichtsmuskeln, aber zu keinerlei Bewegung
am Gaumen kam und das periphere Ende der durchschnittenen
Nerven mit der Platinelektrode gereizt: diese wurde auch in
den Nerven eingestochen und eine Strecke weit in den Knochen-
kanal eingeführt; die Gesichtsmuskeln wurden wol erregt, aber
am Levator veli palatini war keinerlei Contraction zu sehen
und ebensowenig konnte durch Reizung der Trigeminuswurzel
eine Hebung des weichen Gaumens erzielt werden.
Lebte das Thier noch und war auch Herzschlag vorhanden,
so wurden die Vaguswurzeln rasch blossgelegt und mit sehr
schwachen Strömen, schwächeren, als bei Reizung des N. faci-
alis und trigeminus, gereizt. Bei Berührung des mittleren
406 L. Rethi,
Bündels — eine genaue Differenzirung der einzelnen Fasern
dieses Bündels war jetzt nicht möglich, weil die Spannung
fehlte — entstand ausgiebige Hebung des weichen Gaumens.
Während des Versuches mussten in dem Masse, als die Erreg-
barkeit der Nerven sank, stärkere Ströme angewendet werden,
um noch in den vom N. trigeminus und facialis abhängigen
Muskeln Contractionen zu erzielen und stets konnte man auch
hier mit diesen starken Strömen den Levator veli palatini von
dem zwischen Facialis- und Vagusaustritt liegenden Knochen
erregen, am ausgiebigsten allerdings von den Vaguswurzeln
selbst.
Noch besser konnte die Hebung des weichen Gaumens
an Katzen gesehen werden, bei denen die Beobachtung vom
Munde aus leichter, dagegen dieBlosslegung der Vaguswurzeln
— nach Spaltung der Membrana obturatoria — und die
Differenzirung der einzelnen Fasern des mittleren Bündels
schwieriger war. Es wurde daher vorgezogen, das Schädeldach
ebenso zu entfernen, wie in einigen Versuchen beim Kaninchen
und die Vaguswurzeln und zugleich auch den Facialis- und
Trigeminusstamm nach Entfernung des Gehirns blosszulegen.
Bei Durchschneidung des oberen Bündels war Contraction
des M. stylopharyngeus und bei Durchschneidung des mittleren
Bündels unter anderem auch Hebung des weichen Gaumens
zu sehen. Die Erregbarkeit ist bei der Katze ausserordentlich
anhaltend, so dass man mit den ursprünglichen Strömen fast
noch eine halbe Stunde nach eingetretenem Tode experimen-
tiren kann, ohne sie verstärken zu müssen. Bei Reizung des
oberen Bündels konnte die Contraction des M. stylopharyngeus
auf der gereizten Seite und bei Reizung des mittleren Bündels
Verengerung des unteren Rachenabschnittes (M. constrictor
pharyngis inferior und medius) und nebst Vorspringen der
Gaumenbögen, wovon weiter unten ausführlich gesprochen
werden soll, Hebung des weichen Gaumens auf der betreffenden
Seite constatirt werden.
Zur Erregung des Facialis- und Trigeminusstammes waren
auch hier stets etwas stärkere Ströme nothwendig und bei
Reizung dieser Nerven war von einer Hebung des Gaumen-
segels nichts zu sehen. Wurde bei derselben Stromstärke der
Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 407
Knochen zwischen den Austrittsöfifnungen dieser beiden Nerven,
vom N. facialis beginnend abgetastet, so kamen allmälig immer
deutlichere Contractionen des Levator veli palatini zum Vor-
schein, bis sie in der Nähe der Glossopharyngeo-vagus-Wurzel
und bei Reizung dieser selbst am ausgiebigsten wurden. Eine
Differenzirung der einzelnen Bündel, der oberen und mittleren
Fasern nach ihren Functionen wurde erst nach Abschwächung
des Stromes möglich.
Wir müssen demnach die motorische Wurzel des
Levator veli palatini in die oberen Fasern des mitt-
leren Bündels verlegen, und wenn es auch zuweilen vor-
kam, dass sich diese Wirkung auch bei möglichst schwachen
Strömen, für die es ja in dieser Richtung kein absolutes Mass
gibt, bei Berührung des oberen Bündels einstellte, so glaube ich
diese Wirkung nicht einmal auf individuelle Verschiedenheiten,
sondern auf Stromschleifen zurückführen zu müssen, denn
erstens war die Levatorwirkung bei Reizung der oberen Fasern
des mittleren Bündels bei genügender Stromstärke eine con-
stante, während sie bei Reizung des oberen Bündels mit den-
selben Strömen in der Regel ausblieb, und zweitens war in jenen
Fällen, in denen auch Reizung des oberen Bündels Contraction
des Gauntenhebers ergab, die Hebung des Gaumensegels immer
ausgiebiger, wenn sie durch Berührung der oberen Fasern des
mittleren Bündels ausgelöst wurde.
4. Nervenwurzeln des M. tensor palati mollis.
Mit grösseren Schwierigkeiten war wegen seiner tiefen und
versteckten Lage die Beobachtung des Tensor palati mollis ver-
bunden; es soll daher auch hier einer Beschreibung desselben,
insbesondere seiner Insertion und Ausbreitung beim Kaninchen
und Hunde und vergleichsweise auch beim Menschen voraus-
geschickt werden.
Nach Hyrtl* »liegt der Tensor palati s. circumflexus
s. spheno-salpingo-staphylinus als ein glatter und dünner
Muskel an der äusseren Seite des Levator zwischen ihm
und dem Ursprung des Pterygoideus internus. Er entspringt
1 Hyrtl, 1. c.
408 L. Reihi
an der Spina angularis des Keilbeins und an der knorpeligen
Ohrtrompete, umschlingt mit seinen beiden Endsehnen den
Haken der inneren Lamelle des Flügelfortsatzes und lässt
die Fasern dieser Sehne im weichen Gaumen ausstrahlen, wo
sie theils an den hinteren Rand des harten Gaumens sich
inseriren, theils mit jenen des gegenständigen Tensor ver-
schmelzend eine Aponeurose erzeugen, welche als die feste
Grundlage des weichen Gaumens angesehen werden mag.«
Beim Hunde beginnt er nach Ellenberger und Baum'
mit dem M. levator palati »gemeinsam am Processus styliformis
des Tympanicum und liegt anfangs lateral an demselben; dann
trennen sich beide Muskeln. Der Tensor geht an der Tuba,
respective seitlich an der Schädelbasis herab und gelangt, sich
verbreiternd, an die laterale Fläche des Pterygoideum, schlägt
sich, sehnig werdend, um den freien Rand desselben herum und
endet in der Fascie des Gaumensegels. Dabei bildet er noch
ein Fascienblatt, welches den Levator veli überzieht und bis
zum freien Rand des Segels herabreicht. Der Muskel liegt dem
M. pterygoideus dicht an.«
Krause* beschreibt diesen Muskel beim Kaninchen folgen-
dermassen: »Ursprung: laterale Fläche der Lamina medialis
des Processus pterygoideus ossis sphenoidalis. Insertion: Der
Muskel geht in eine glänzende platte Sehne über, welche
sich um den Hamulus pterygoideus herumschlägt und in trans-
versaler Richtung in das Velum palatinum ausstrahlt.«
Was die Innervation des M. tensor palati moUis betrifft,
so konnte Volkmann^ entgegen den Angaben früherer For-
scher über die Abhängigkeit desselben vom N. trigeminus, bei
seinen Versuchen an geköpften Thieren durch Reizung der
Trigeminuswurzel keinerlei Bewegung am weichen Gaumen
erzielen. »Bei einem frisch getödteten Kalbe wurde die kleine
Wurzel des Nerven (des N. trigeminus) galvanisch gereizt,
worauf so heftige Kaubewegungen entstanden, dass die Zähne
klappernd aneinanderschlugen; dasselbe Experiment gelang
^ F2l len berger und Haum , 1, c.
2 Krause, 1. c.
•* ^ olkmann, 1. c.
Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 409
auch bei anderen Thieren . . . Reizung der kleinen Wurzel
erregt in folgenden Muskeln deutliche Zusammenziehungen:
Mylohyoideus, vorderer Bauch desDigastricus maxillae, Tempo-
ralis, Massetericus und Pterygoideus internus. . . nie bewegte
sich bei Reizung des fünften Paares der Buccinator oder Mund-
winkel . . . ebensowenig der weiche Gaumen. . . . Ich glaube
behaupten zu dürfen, dass sich der motorische Einfluss des
Quintus auf die oben genannten Muskeln beschränkt, indem
die abweichenden Angaben meiner Vorgänger auf anatomischen
und pathologischen Beobachtungen zu beruhen scheinen, die
weniger Sicherheit bieten, als meine zahlreichen, immer mit
gleichem Erfolge angestellten Versuche.*
Hingegen hat Hein^ die Abhängigkeit des Tensor palati
moUis vom N. trigeminus nachweisen können; um den Muskel
zur Ansicht zu bringen, sägte er den Schädel der Länge nach
auseinander und erst nachdem der Bauch des hinter dem Haken
des Flügelfortsatzes versteckten Tensor frei zu Tage lag, konnte
er Contractionen desselben bei Reizung des N. trigeminus
sehen.
Die Ansicht, dass der N. trigeminus der motorische Nerv
des Tensor palati mollis ist, wird auch von den neueren Autoren
durchwegs vertreten. Nach Luschka* gibt der dritte Ast des
fünften Nerven vermittelst des N. pterygoideus internus ein
Fädchen an den M. tensor veli palatini ab, und Longe t'^ sagt:
». . .le nerf facial preside ä la contraction de tous les muscles
du voile palatin, excepte le peristaphylin externe (Tensor veli
palatini) qui est anime, comme on le savait, par la racine motrice
du trijumeau«.
Nach He nie* »entspringt aus der vorderen Spitze des
Ganglion oticum der Nervulus ad M. sphenostaphylinum und
geht schräg vor-, lateral- und abwärts zum hinteren Rand des
genannten Muskels. Auch dieser Nerv lässt sich zuweilen
innerhalb des Ganglions zu dem N. pterygoideus internus zu-
rückverfolgen*.
1 Hein, 1. c.
2 Luschka, 1. c.
3 Longet, 1. c.
* Henle, I. c.
410 L. Rethi
Die Versuche habe ich in der Weise ausgeführt, dass beim
narkotisirten Thier der Unterkiefer abducirt, der Mund weit
geöffnet und beim Kaninchen überdies auch die Wange von
den Mundwinkeln aus gespalten wurde. Dann wurde nach vor-
genommener Trepanation des Schädels so viel Raum geschaffen,
dass das Grosshirn von der Schädelbasis abgehoben — nach
Entfernung des knöchernen Tentorium cerebelli beim Hunde
und bei der Katze - der Trigeminusursprung blossgelegt und der
Stamm an seiner Austrittsstelle durchschnitten werden konnte.
Bei Reizung des peripheren Endes des durchschnittenen Nerven
konnte man nebst Contraction der Kaumuskeln und einer
energischen Adductionsbewegung des Unterkiefers am weichen
Gaumen auf der gereizten Seite eine Vorwölbung constatiren,
die in der Höhe des Hamulus pterygoideus, zwischen diesem
und der Medianlinie zuweilen ziemlich deutlich ausgesprochen
war, zum Theil aber, namentlich in markirteren Fällen auch
die Mittellinie überschritt, beim Kaninchen etwa 05 cm bis zum
hinteren Rand des harten Gaumens heranreichte und in verti-
caler Richtung in einer Ausdehnung von 15 cm bemerkbar
war; die Wölbung, welche der weiche Gaumen in der Ruhe-
lage an dieser Stelle aufweist, wurde geringer, so dass er
eine plane Fläche darstellte und in der Mitte sogar ein wenig
convex in die Mundhöhle vorsprang.
Man hätte vielleicht auch vermuthen können, dass es sich
nicht um eine Contraction des M. tensor veli palatini, sondern
anderer in der Nähe befindlicher Muskeln, insbesondere des
M. pterygoideus internus, der sich bei Reizung des M. trige-
minus ebenfalls contrahirt und somit um eine passive Bewegung
des weichen Gaumens handelt. Ich habe daher beim Hunde
und bei der Katze über der sich vorwölbenden Stelle die
Schleimhaut abgelöst, die senkrecht verlaufenden Levatorfasern
durchgeschnitten und die sehnige Ausbreitung des Tensor
palati moUis blossgelegt. Wurde nun der Trigeminusstamm
gereizt so zeigte sich nach aussen von der Medianlinie an
dieser Stelle hinter dem M. levator veli palatini ganz deutlich
eine Retraction der sehnigen Fasern, eine Bewegung derselben
nach aussen, eine Verziehung der Tensorsehne gegen den
Hamulus pterygoideus hin.
Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 411
Demnach liegen die motorischen Fasern des Ten-
sor palati moUis, wie von den meisten Autoren ange-
geben wurde, in der motorischen, kleinen Wurzel des
N. trigeminus.
5. Die Nerven wurzeln des M. palato-pharyngeus und palato-
glossus.
Die Beobachtung des M. palato-pharyngeus bereitet zwar
keine Schwierigkeiten, hingegen ist gegebenenfalls die Ent-
scheidung ob sich der M. palato-glossus contrahirt umso
schwieriger; daher mögen, wie in den vorhergehenden Ab-
schnitten, auch hier diese Muskeln beim Hunde und beim Kanin-
chen beschrieben und vergleichsweise auch ihr Verhalten beim
Menschen erwähnt werden. Diese beiden Muskeln liegen in
den gleichnamigen Schenkeln des weichen Gaumens einge-
schlossen; der M. palato-pharyngeus »hängt mit der Aponeurose
des Tensor palatinus zusammen, auf welcher auch die Fasern
der beiderseitigen Palato-pharyngei bogenförmig in einander
übergreifen .... er befestigt sich theils am hinteren Rand des
Schildknorpels, theils verliert er sich in decr hinteren Pharynx-
wand, deren Längsmuskelfasern er vorzugsweise zu liefern
scheint.«^ Den M. glosso-palatinus s. Constrictor isthmi pha-
ryngo-oralis beschreibt Luschka* in folgender Weise: »Auf
jeder Seite geht aus dem Seitenrand der Zungenwurzel ein
plattes dünnes Fleischbündel aus, welches theils von der
Schleimhaut der Zunge entspringt, theils eine Fortsetzung von
Fasern des M. stylo-glossus, theils mit den hintersten Fasern
des M. transversalis linguae continuirlich ist. Dasselbe bildet
den hauptsächlichen Inhalt des Arcus glosso-palatinus, steigt
schräg von der Mandel medianwärts empor, fliesst unter der
Schleimhaut und Drüsenschichte an der vorderen Seite des
weichen Gaumens mit dem der anderen Seite grösstentheils
bogenförmig zusammen.«
Beim Hunde bilden »die Arcus palato-glossi nach Ellen-
berger und Baum^ zwei sehr deutliche, ziemlich senkrecht
J Hyrti, 1. c.
2 Luschka, I. c.
3 Ellenberger und Baum, I. c.
412 L. Rethi,
gestellte und nur etwas oral verlaufende, zum Seitenrand der
Zunge ziehende Falten. Die Arcus palato-pharyngei » . . . * sind
stärker als die ersteren und spalten sich bald nach ihrem
Ursprung in zwei Schenkel ; der eine (kürzere) von diesen zieht
schräg zur lateralen und aboralen Wand des Pharynx, um sich
allmälig in der Schleimhaut zu verlieren, während der andere
(längere) Schenkel an der Seitenwand des Pharynx bis zum
Kehldeckel geht und sich mit dem der anderen Seite vereinigt,
indem er dabei gleichzeitig in die Pharynxschleimhaut aus-
strahlt.« . . . »Beim Hunde sind beide Muskeln (der M. palatinus
et palato-pharyngeus) miteinander verschmolzen; der gemein-
schaftliche Muskel entspringt mit einer dünnen Sehne platt
am freien Rande des Palatinum bis zum Hamulus ossis ptery-
goidei, woselbst er mit dem Pterygo-pharyngeus zusammen-
stösst, verlauft zum Theil direct aboral zum Arcus palatinus,
woselbst er endet, zum Theil seitlich zur Seitenwand der
Rachenhöhle, um sich an der Fascia pharyngea gegen die Raphe
hin zu inseriren; er hilft dadurch die orale und Seitenvvand
dieser Höhle bilden. Er liegt auf der Rachenhöhlenfascie und
einem Theile des Levator veli und wird zum Theil v^om Stylo-
glossus und Pterygoideus bedeckt. Der mediale Theil des
Muskels, der median am harten Gaumen« . . . »entspringt und
zur Mitte des aboralen Randes geht« . . . »stellt den eigentlichen
Palatinus dar. Wirkung: Heber, Verkürzer und Spanner des
Segels, Vorzieher des Schlundkopfes, Verkürzer des Rachen-
raumes.«
Beim Kaninchen liegen diese beiden Gaumenmuskeln eben-
falls in den gleichnamigen Gaumenbögen; während jedoch der
hintere Gaumenbogen beträchtlich entwickelt und deutlich
ausgesprochen ist, springt der Arcus palato-glossus nur
wenig vor.
Die motorische Innervation dieser Muskel betreffend, fand
Volkmann* bei frisch getödteten und geköpften Thieren auf
Reizung der Vaguswurzeln nach Exstirpation des N. glosso-
pharyngeus und accessorius Willisii »Bewegungen im M. con-
strictor faucium supremus, Constrictor infimus, Levator palati«
1 Volk mann, 1. c.
Xerv'enwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 413
..*und Arcus pharyngo-palatinus.« — Contractionen des
M. palato-glossus konnte er nicht bekonnmen.
In ähnlicher Weise fand Hein* bei Schafen, Ziegen und
Hunden auf Reizung des N. vagus Contractionen des M. palato-
pharyngeus. Die Beobachtung des M. palato-glossus hingegen
bereitete auch ihm grosse Schwierigkeiten; Contraction des-
selben konnte er, wie er meint, »wegen der Schwäche und Zart-
heit dieses Muskels« nicht constatiren. Weil er jedoch keine
anderen Nerven in diesen Muskel hinein verfolgen und ihn auch
von einem anderen Nerven nicht erregen konnte, so nimmt er
seine Abhängigkeit vom N. glosso-pharyngeus an.
So wie Hein leitet auch Luschka^ die motorischen
Fasern des M. pharyngo-palatinus vom N. vagus und diejenigen
des M. glosso-palatinus vom N. glosso-pharyngeus ab und
Henle*' sagt: ». . .jedenfalls fiele den motorischen Fasern der
V'aguswurzel die Innervation der« . . . »Palato-pharyngei zu.«
Nach J. Müller* »können diese Muskeln (Levator veli
palatini und M. palato-pharyngeus) auch vom Accessorius bewegt
werden.« Longet^ hingegen sagt: »Le nerf glossopharyngien
se distribue ä la muqueuse pharyngienne tandis que les filets
venus du facial s'arretent specialement, suivant moi, dans les
muscles des piliers, c*est-ä-dire les glosso-staphylins et pha-
ryngo-staphylins. «
Es wurde oben bereits erwähnt, dass Sanders** in einem
Falle bei Facialislähmung den Levator palati moUis nur unvoll-
kommen, und den M. palato-glossus und palato-pharyngeus
gar nicht gelähmt fand, obgleich auf der kranken Seite Taub-
heit eingetreten war, so dass man auf eine hoch oben liegende
Ursache schliessen musste, was jedenfalls gegen eine Abhängig-
keit der genannten Muskeln vom Facialisstamm sprechen würde.
Zur Eruirung der motorischen Wurzelfasern des M. palato-
pharyngeus wurde das narkotisirte Thier in einer Reihe
1 Hein, 1. c.
- Luschka, 1. c.
■^ He nie, 1. c.
■* J. Müller, Handbuch der Physiologie des Menschen. 1844.
•'* Longet , 1. c.
*' Sanders, 1. c.
414 L. Relhi,
von Versuchen in der Rückenlage auf den Operationstisch
festgebunden und nach vorgenommener Tracheotomie, sowie
Spaltung der Membrana thyreo- hyoidea und Cartilago thyreo-
idea der untere Theil des tief herabhängenden Gaumensegels
sammt seinen bogenförmigen Fortsetzungen und ihrem Über-
gang in die hintere, seitliche Rachenwand zur Ansicht gebracht.
Dann wurden in der Bauchlage des Thieres die Wurzelfasern
des N. glosso-pharyngeo-vagus und accessorius in der eben-
falls beschriebenen Weise nach Durchtrennung der Membrana
obturatoria zugänglich gemacht und die einzelnen Fasern mit
der Elektrode abgetastet.
Reizung des oberen Bündels ergab am Arcus palato-pha-
ryngeus keine Veränderung, weder bei Berührung der oberen
noch der unteren Fasern desselben, wurden jedoch die oberen
Fasern des mittleren Bündels gereizt (Fig. 1,2;. S. 387), und zwar
dieselben, von denen man den Levator veli palatini und die
Constrictoren des Rachens erregen konnte, so erfolgte nebst
einer Hebung des Gaumensegels seitlich von der Mittellinie
(Levator palati) und einer Verengerung des Rachens (Constrictor
pharyngis inferior und medius — der obere war von hier aus
nicht zu sehen) eine sehr ausgiebige Contraction des M, palato-
pharyngeus: starkes Vorspringen der hinteren Gaumenbögen
und ein V^orrücken derselben gegen die Mittellinie auf der
gereizten Seite. Von den unteren Fasern des mittleren Bündels
konnte keine Contraction dieses Muskels bewirkt werden und
ebenso wenig von den Accessoriuswurzeln.
Naturgemäss konnte auch hier nur die Wirkung der
schwächsten Ströme verwerthet werden, bei denen es überhaupt
noch zu einer Contraction kam, denn wurden die Ströme etwas
verstärkt, so konnte man namentlich auch durch Berührung
der unteren Fasern des oberen Bündels und schliesslich auch
von den Accessoriuswurzeln Contraction des M. palato-pharyn-
geus auslösen; man sah jedoch deutlich, dass es sich um
Stromschleifen handelte, denn es trat bei Reizung des oberen
Bündels gleichzeitig auch Stylo-pharyngeus-Wirkung und bei
Reizung des unteren Bündels auch kräftige Contraction der
Nackenmuskeln (N. accessorius) auf; — auch waren diese
genannten Bewegungen bei Reizung der oberen Fasern des
Nen'enwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 415
mittleren Bündels zu sehen; ferner war das Vorspringen der
hinteren Gaumenbögen bei Berührung dieser Fasern (c) am
deutlichsten ausgesprochen und dann deuteten sich diese
Bewegungen auch bei Berührung des Knochens in der Nähe
der Vagus-Wurzel an. Dass vom Facialis- und Trigeminusstamm
keine Contraction des M. palato-pharyngeus erzielt werden
kann, davon habe ich mich bei den zu anderen Zwecken
vorgenommenen Versuchen schon früher überzeugt.
Dieser Versuch wurde ebenso, wie die anderen, öfter
wiederholt, auch in der gleich unten zu besprechenden Modi-
fication ausgeführt und stets dasselbe Resultat erzielt.
Die Wurzelfasem, deren Reizung Contraction des ge-
nannten Muskels ergab, konnten von jenen, welche die motori-
schen Nerven des Levator veli palatini und der Constrictoren
des Rachens führen, nicht mit Sicherheit differenzirt werden;
alle diese Erregungen schienen durch dasselbe Nervenbündel-
chen nach der Peripherie geleitet zu werden. Die Erregbarkeit
des M. palato-pharyngeus war ungefähr die gleiche, wie die
des Levator palatinus und der Constrictoren.
Um den M. palato-glossus zur Ansicht zu bringen,
musste der Versuch modificirt werden. Beim Kaninchen w^urde
nach Fixirung des Oberkiefers die Mundspalte nach den Seiten
hin künstlich vergrössert, der Unterkiefer abducirt und der
Rachen von vorne durch den Mund beobachtet. Bei Reizung
des oberen Bündels war am Gaumen und den Gaumenbögen
nichts zu sehen, wurden hingegen die oberen Fasern des
mittleren Bündels gereizt (Fig. 1 z), so sah man beide Gaumen-
bögen, den Arcus palato-glossus sowohl, als auch den Arcus
palato-pharyngeus auf der gereizten Seite gegen die Mittel-
linie hin vorspringen, doch war erstens die Lageveränderung
des hinteren Gaumenbogens viel ausgiebiger, als die des
vorderen, und zweitens war dieses Vorspringen des Arcus
palato-glossus nicht immer, in der Regel sogar nur andeu-
tungsweise zu sehen; auch entzog sich die Contraction des
M. palato-glossus, wenn schwächere Ströme angewendet wur-
den, vielleicht wegen der grösseren Zartheit der Muskelbündel
früher dem Auge, als die des weitaus kräftigeren M. palato-
pharyngeus.
416 L. Rethi.
Auf den ersten Blick wäre auch eine Verwechslung der
Contraction des M. palato-glossus mit der Wirkung anderer
in der Nähe befindlicher Muskeln, insbesondere des Schlund-
schnürers, möglich; doch kann derselbe höchstens die untere
Partie des vorderen Gaumenbogens, nicht aber die Mitte des-
selben beeinflussen, während sich dieser zuweilen ganz gleich-
massig und am ausgiebigsten in seiner Mitte spannte. Überdies
habe ich beim Hunde und bei der Katze die Schleimhaut des
vorderen Gaumenbogens abpräparirt und die dürftigen Muskel-
bündel blossgelegt, so dass man dann gelegentlich bei Reizung
der oberen Fasern des mittleren Bündels die Contraction der
Muskelbündelchen direct beobachten konnte.
Demnach verlaufen die motorischen Nerven der
beiden Gaumenbogenmuskeln in den oberen Fasern
des mittleren Bündels.
Was die einzelnen, hier in Betracht kommenden Hirn-
nerven betrifft, deren Function wir nun überblicken wollen,
so finden sich die oben beschriebenen Versuche bezüglich
des N. trigeminus mit den bisherigen Angaben in Über-
einstimmung; er führt bei seinem Austritte aus dem Gehirn
in seinem Stamm (kleine Wurzel) nebst anderen, namentlich,
für die Kaumuskeln bestimmten Fäden die motorischen Fasern
für den M. tensor veli palatini.
Was den N. facialis betrifft, der vielfach mit der motori-
schen Innervation des Levator veli palatini und Azygos uvulae
in Verbindung gebracht wird, so muss die Wurzel derselben
nach diesen Versuchen von einer Betheiligung an der Inner-
vation der genannten Muskeln mit Bestimmtheit ausgeschlossen
werden. Bezüglich der Zerfaserungen des N. petrosus super-
ficialis major (Longet, Arnold, Valentin, Nuhn, Früh-
wald) soll hier nur bemerkt werden, dass sich die Fasern nicht
continuirlich von der Wurzel bis an ihr Endziel verfolgen lassen.
Hein* hat bei einigen Hunden den N. petrosus superficialis
J Hein. 1. c.
Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 417
major von der Schädelhöhle aus, zwischen dem fünften und
siebenten Nerven zerstört, um sich zu überzeugen, »ob viel-
leicht centrifugale Fäden des zehnten Nerven, die wohl füglich
durch den Ohrast zum Stamm des siebenten Nerven gelangen
könnten, aus diesem durch jene Verbindungsnerven zum
Gaumenkeilbeinknoten und so zu den Gaumenmuskeln geleitet
würden. Die Bewegungen dieser Muskeln erfolgten aber stets
auch nach Zerstörung der Felsenbeinnerven bei Reizung des
zehnten und eilften Nerven, wie sonst auch.«
Die klinischen Erfahrungen scheinen, wie oben aus-
einandergesetzt, der Annahme, dass der Levator veli palatini
vom N. facialis abhängig ist, allerdings günstig zu sein, doch
lassen sich einige Beobachtungen mit dieser Annahme nicht
in Einklang bringen und insbesondere haben wir gegenüber
zahlreichen, nicht näher angeführten positiven Angaben, auf
die durch einen ausführlichen Sectionsbefund belegte Beob-
achtung von Eisenlohr hingewiesen.
Was schliesslich die Experimente betrififl, so muss an-
gesichts der vorliegenden zahlreichen Versuche angenommen
werden, dass sich bei den positiven Ergebnissen der Versuche
anderer Autoren Fehler eingeschlichen haben, und insbesondere,
dass es sich bei denselben um Stromschleifen gehandelt haben
dürfte; die Versuche rühren nämlich zum Theil aus einer Zeit
her, in der man auf Fehlerquellen, die durch Stromschleifen
entstehen können, und auf Methoden, dieselben zu vermeiden,
weniger aufmerksam war.
Es kommt ganz besonders in Betracht, dass ich die Ver-
suche an lebenden Thieren ausgeführt, beziehungsweise an
solchen fortgesetzt habe, die noch während der Versuche
starben, und dass ich mit wenigen Ausnahmen nur jene Ver-
suche verwerthet habe, bei denen das Thier noch am Leben
war, wo also noch sehr schwache Ströme genügten, um Con-
tractionen auszulösen, und bei denen die Gefahr der Strom-
schleifen wegen der schwachen Ströme eine sehr geringe war.
Da sich die Gefahr der Stromschleifen aus physikalischen
Gründen principiell niemals vermeiden lässt, so verfuhr ich in
der Weise, dass ich bei massiger Stromstärke das Gebiet
zwischen zwei Nervenursprüngen mit der Elektrode abtastete
Sitzb. d. mathem.-naturw. Gl.; Gl. Bd., Abth. III. 29
418 L. Rethi.
und beobachtete, welcher der Nervenursprünge bei Annäherung
der Elektroden die betreffende Muskelaction auslöste.
Was den N. glosso-pharyngeus und vagus betrifft, so
haben wir gehört, dass der N. glossopharyngeus insbesondere
von Mayo und J. Müller für einen gemischten Nerven erklärt
und dass die motorischen Eigenschaften desselben durch die
Versuche von Volk mann und Hein sicher gestellt wurden, dass
ihm aber Reid, Valentin und Longet die motorischen Eigen-
schaften abgesprochen haben; ebenso wurde auch der X.
vagus von Goerres, Arnold, Scarpa, Bischoff, Valentin
und Longet für sensorisch gehalten, während andere Beob-
achter, Reid, Müller, Volkmann, u. s. w. nachgewiesen
haben» dass er gemischt ist.
Die Angaben über die motorischen Eigenschaften dieser
Wurzelfasern werden also durch die vorstehenden Versuche
bestätigt: Das obere Bündel führt die motorischen Fasern des
M. stylo-pharyngeus; die unteren Fasern des mittleren Bündels
hingegen, die ein anderes Aussehen haben, als die oberen,
indem sie dünner und zarter sind, enthalten keine motorischen
Nerven für die Rachenmuskeln, während die oberen Fasern
desselben alle drei Constrictoren des Rachens, den Levator
veli palatini, den M. palato-pharyngeus und palato-glossus
mit motorischen Nerven versorgen. Eine Isolirung der Fädchen,
welche die motorischen Elemente der einzelnen Muskeln ent-
halten, war bei der Feinheit der Objecte nicht möglich.
Durch diese Versuche wurde sicher gestellt, dass die
motorischen Nerven der genannten Muskeln in dem oberen
und mittleren Wurzelbündel verlaufen; in welcher Weise sich
jedoch aus diesen Wurzeln der sogenannte N. glossopharyngeus
und der sogenannte N. vagus formiren, und welche Fasern in
den Stamm des einen, und welche in den des anderen eintreten,
ist nicht bekannt. Es soll hier auch unerörtert bleiben, auf
welchen Bahnen die motorischen Nerven von den Wurzeln
zu ihrem Bestimmungsorte gelangen, insbesondere auch,
welchen Weg die für den Levator veli palatini bestimmten
Fasern einschlagen, doch geht aus diesen Versuchen hervor,
dass die für den M. stylo-pharyngeus bestimmten und in den
unteren Fasern des oberen Bündels enthaltenen motorischen
Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln. 419
Nerven ihrem Endziel durch den N. laryngeus medius zugeführt
werden.
Für die motorische Abhängigkeit des M. azygos uvulae
von dem mittleren Bündel will ich nicht eintreten, da bei
meinen Versuchsthieren die Uvula fehlt, doch ist es nach dem
anatomischen Verhalten der Muskeln sowie nach den Angaben
der Autoren, dass beide Muskeln, der Levator veli palatini und
Azygos uvulae von demselben Nerven versorgt werden, wahr-
scheinlich, dass bei Thieren, bei denen der letztere Muskel
vorhanden ist, derselbe seine motorischen Nerven ebenfalls
vom mittleren Bündel der Glosso-pharyngeo-vagus-Wurzel
empfängt.
Um schliesslich auch den N. accessorius zu berühren,
dessen Wurzelgebiet sich in unmittelbarer Nähe des N. vagus
befindet und auf welchen bei den Versuchen Stromschleifen
leicht überspringen können, so soll nur erwähnt werden, dass
ich bei Reizung seiner Wurzeln (3 in Fig. 1), oder vielmehr
jener Fäden, welche vom mittleren Bündel zumeist durch einen
kleinen Zwischenraum getrennt sind und dann in der Regel in
den sogenannten N. accessorius eintreten, niemals Contractionen
im Rachen oder am Weichen Gaumen gesehen habe. Es muss
nämlich auch hier bemerkt werden, dass man ebenso, wie die
Wurzeln des neunten und zehnten Hirnnerven, auch die des
eilften anatomisch nur in ganz conventioneller Weise trennen
kann, und wenn Volk mann* angibt, auf Reizung der
Accessoriuswurzel bei einer Katze Bewegungen des Gaumen-
segels gesehen zu haben, so kann das daher rühren, dass er
Fasern zum N. accessorius gerechnet hat, die höher oben liegen.
Dass bei starken Strömen auch vom unteren Bündel Contrac-
tionen im Levator veli palatini, M. palato pharyngeus, Constrictor
pharyngis etc. erzielt werden konnten, wurde oben hervor-
gehoben.
Auf Grund dieser Versuche können den, nach ihren Func-
tionen geschiedenen Rachenmuskeln verschiedene Nerven-
wurzeln zugewiesen werden: die Verengerer des Rachens,
oder vielmehr jene Muskeln, welche zur Verengerung und zum
Volkmann, 1. c.
420 L. Rethi, Nervenwurzeln der Rachen- und Gaumenmuskeln.
Abschiuss der Rachenhöhle gegen die benachbarten Räume
dienen, die Constrictoren einerseits und andererseits die Mm.
palato-pharyngei, palato-glossi und der Levator veli palatini,
welche den Abschiuss theilweise wenigstens gegen die Mund-
und Nasenhöhle zu besorgen haben, erhalten ihre motorischen
Nerven von den oberen Fasern des mittleren Bündels, während
die Erweiterer des Rachens, die Mm. stylo-pharyngei, vom
oberen Bündel versorgt werden.
Bei der stets offenen Frage, in wie weit Thierversuche
auf den Menschen übertragen werden dürfen, fällt hier der
Umstand ganz besonders in's Gewicht, dass die Ergebnisse
dieser Versuche auch bei verschiedenen Thieren stets dieselben
waren und dass beim Menschen und bei meinen Versuchs-
thieren nicht nur bezüglich der Nervenwurzeln, sondern auch
bezüglich der betreffenden Muskeln keine wesentlichen anato-
mischen Unterschiede bestehen. Demnach ist es sehr wahr-
scheinlich, dass beim Menschen ähnliche Verhältnisse obwalten
und dass die Rachen- und Gaumenmuskeln ihre motorischen
Nerven von den analogen Wurzelgebieten ableiten.
Wenn wir die an Kaninchen, Hunden und Katzen ge-
wonnenen Resultate nach dem anatomischen Verhalten auf
den Menschen übertragen, so können sie in der auf Fig. 2
(S. 388) angegebenen Weise anschaulich gemacht werden.
Inhalt.
1. Die Nervenwurzeln des M. stylo-pharyngeus 382
2. » > der Constrictoren des Rachens 390
3. » » des Levator veli palatini 394
4. » » des Tensor veli palatini 407
5. > » des M. palato-pharyngeus und palato-glossus .411
421
Versuche über die respiratorische Function
der Intercostalmuskeln.
I. Abhandlung.
Der Einfluss der Intercostalmuskeln auf die Capacität
des Thorax
von
J. Weidenfeld,
stud. med.
(Mit 2 Tafeln.)
Aus dem physiologischen Institute der k. k. Universität in Wien.
(Vorgelegt in der Sitzung vom 14. Juli 1892.)
I. Geschichtliche Vorbemerkungen.
Der Streit, der im vorigen Jahrhundert durch Hamberger
so heftig angeregt wurde, ist heute noch nicht beigelegt, denn
Jahr für Jahr erscheinen Arbeiten, die sich bald für, bald gegen
die Ansicht Hamberger's aussprechen, von denen aber noch
keine allgemeine Anerkennung gefunden hat.
Schon vor Hamberger hatte VesaP die bis damals unan-
gefochtene Ansicht Galen's,* dass die musculi intercostales
externi Exspiratoren, die Mm. intercostales intemi Inspirations-
muskeln wären, verworfen und sie beide für Expiratoren erklärt,
weil beide Muskeln durch ihre Contraction die Intercostalräume
nur verengern und damit das Volumen des Thorax verkleinern
können. Trotzdem blieb die Galen'sche Lehre in der Folge
noch bestehen.
1 V e s a l : De corporis humani fabrica. Über II, Cap. XXXV, p. 239.
Opera omnia. Herausgegeben von Boerhave, 1725.
'Galen: I, 3. De causis respirationis. Omnia opera, prima classis,
p. 225. Venetiis 1541.
422 J. Weidenfeld,
Auch Borelli* trat gegen die Galen 'sehe Lehre auf,
wenngleich sich auch seine Ansicht von der Vesal's wesent-
lich unterscheidet. Beide Muskelgruppen haben nach ihm eine
simultane hebende Wirkung. Der Zweck ihres verschiedenen
Verlaufes sei, jeden Rippenpunkt in genau perpendiculärer Rich-
tung nach, aufwärts zu ziehen, welche Richtung den Diagonalen
beider Muskelzüge entspräche. — Nach ihm trat Bajleus'
mit einer ganz anderen Ansicht hervor; die verschiedene Rich-
tung beider Muskeln sei auch Ausdruck einer verschiedenen
Wirkung. Die Mm. intercostales externi seien Heber der
Rippen, also Inspiratoren, die Mm. intercostales interni Senker
und Exspiratoren. Zur Erklärung führte er 'die mechanischen
Verhältnisse der Rippen und der Muskeln an. — In ganz ähn-
licher Weise behandelte später Hamberger^ den Gegenstand.
Das obere Ende einer jeden Faser der Mus. intercostales interni
ist von dem Gelenke der zugehörigen Rippe weiter entfernt, als
das untere Ende von dem der unteren Rippe. Die Rippen selbst
stellt sich Hamb erger als einarmige Hebel vor, welche sich
um einen Punkt drehen (um das Köpfchen der Rippe). Wenn
nun diese Muskeln sich zusammenziehen, so muss die obere
Rippe gegen die untere herabgezogen werden, weil für die
obere Rippe der Muskel einen günstigeren Angriffspunkt hat,
als für die untere. Das Herabziehen der Rippen verringert aber
das Volumen des Thorax, folglich sind die Mm. intercostales
interni Exspiratoren. Das umgekehrte Verhalten zeigen die
Mus. intercostales externi; diese sind deshalb Rippenheber
und Inspiratoren. Seine Erklärung stützt Hamberger auf eine
den natürlichen Verhältnissen der Rippen und ihrer Befesti-
gungen scheinbar entsprechende mechanische Vorrichtung.
Dieses »Schema« besteht aus einem in Chanieren beweglichen
aus Stäben gebildetem Parallelogramm. Ein Stab entspricht der
Wirbelsäule; der gegenüberliegende dem Sternum, die beiden
anderen zwei Rippen. Sie sind, der normalen Rippenstellung
' Borelli: De motu animalium II. Prop. 84.
- Bajleus: Institutiones phys. Tolosae 1700, tom III, tract. II, Art. V.
3 Hamberger: De respirationis mechanismo^et usu genuino una cum
scriptis. Jenae 1749.
Respiratorische Function der Intercostalmuskeln. 423
entsprechend, von der Wirbelsäule gegen das Sternum als
schief nach abwärts geneigt zu denken.
Wenn nun an den »Rippen« dieser Vorrichtung, ent-
sprechend den Mus. intercostales externi, Bänder gespannt
werden, welche einen Zug bewirken, so erweitem sich die
Intercostalräume, die Ansatzpunkte der' Mm. intercostales
interni entfernen sich, das »Sternum« und die »Rippen« heben
sich. Das Umgekehrte findet statt, wenn die Action der Mm.
intercostales interni nachgeahmt wird. Da nun ein Nähern der
Ansatzpunkte eines Muskels hier gleichbedeutend mit seiner
Contraction ist, so schloss Hamberger, dass die Hebung nur
durch die Mm. externi und die Senkung durch die Mm. interni
bewirkt werden könne.
Gegen diese Anschauung trat Haller* sehr entschieden
auf. Er führte Vivisectionen aus, welche ihm das Gegentheil
ergaben. Er sah die Intercostalräume sich inspiratorisch ver-
kleinem, die Intercostales interni wurden hiebei gleichzeitig
mit den Intercostales externi hart, woraus er schloss, dass so-
wohl die Mm. intercostales interni als auch die Mm. intercost.
externi Inspirationsmuskeln seien.
Die mechanische Betrachtung Hamberger's suchte er
durch eine andere zu entkräften. Die untere Rippe werde immer
leichter gehoben, als die obere gesenkt, und zwar im Verhältniss
von 8:1. Dadurch muss sowohl beim Wirken der Mm. externi
als auch der Mm. interni die untere Rippe gegen die obere
hinaufgezogen werden, weil doch immer das Bewegliche gegen
das weniger Bewegliche gezogen wird. Ausserdem ist die erste
Rippe fix, was hier schwer ins Gewicht fällt.
Das Schema Hamberger*s entspräche demnach nicht
der Wirklichkeit. An diesem zeigen die Rippen die gleiche
Beweglichkeit, und es darf daher nicht Wunder nehmen, wenn
beim Anziehen der den Mm. intercostales interni entsprechenden
Binden die Rippen nach abwärts gezogen werden.
Zwanzig Jahre währte der Kampf zwischen beiden
Forschern. Die Zeitgenossen entschieden sich meist für
Haller's Ansicht. In unserem Jahrhundert ist es anders
« Hall er: Elcmenta physiologiae. III, p. 36.
424 J. Weidenfeld,
geworden, indem sich die meisten Forscher Hamberger's
Ansicht zuneigen. Trotzdem gibt es nicht wenige, die diese
verwerfen.
Unter ihnen wäre Budge,* Duchenne* und in neuerer
Zeit Volkmann^ zu nennen. Budge und Volkmann zeigten
dieUnanwendbarkeit des Hamberger'schen Schemas auf den
menschlichen Thorax, da die Rippen sich nicht, wie Ham-
berger annahm, um einen Punkt bewegen, sondern um Axen,
welche nach Budge vom Capitulum costae zum vorderen
Rippenende, nach Volkmann durch das capitulum und tuber-
culum gehend zu denken sind. Auf Grund dieser neuen That-
sachen kamen beide Forscher zu dem Resultate, dass beide
Intercostalmuskeln gleichsinnig wirken.
Zu ähnlicher Anschauung gelangte Duchenne durch
seine Untersuchungen am lebenden Menschen.
Auch Helmholtz* nimmt nur eine inspiratorische Thätig-
keit beider Muskelarten an, indem die Exspiration keiner Muskel-
kraft bedürfe. Functionen unterscheiden sich beide Muskel-
gruppen nur insoferne, als die Mm. intercostales externi für die
respiratio thoracica, und die Mm. intercostales intemi für die
respiratio abdominalis in Verwendung kommen dürften.
Eine ganz eigenthümliche Stellung in dieser Frage
nehmen He nie-'* und Brücke^ ein. Beide Forscher betrachten
diese Muskeln überhaupt nicht als Respirationsmuskeln,
sondern als bestimmt zur Regulirung der Spannung in
den Intercostalräumen und zur Drehung des Thorax um eine
Längsaxe.
1 Budge: Über die Wirkung der Mm. intercostales. Archiv für physio-
logische Heilkunde. I. Band, N. F. Jahrgang 1857, S. 63.
2 Duchenne: Physiologie de mouvements. Paris 1867.
3 Volkmann: Zur Theorie der Intercostalmuskeln. Zeitschrift für
Anatomie und Entwicklungsgeschichte. II. Band 1877, S. 159.
•* Helmholtz: Über die Bewegungen des Brustkastens. Verhand-
lungen des naturhistorischen Vereines für Rheinlanden und Westphalen.
Jahrg. XIII. S. 70 — 71. Wieder abgedruckt in Helmholtz 's: Wissenschaft-
lichen Abhandlungen, II. Band, S. 953.
5 Henle: Handbuch der Anatomie des Menschen. I. 3. S. 106.
^' Brücke: Vorlesungen über Physiologie. S. 441. Wien, 1875.
Respiratorische Function der Intercostalmuskeln. 425
Im Gegensatze zu diesen Forschern vertritt wieder
Hutchinson* die Ansicht Hamberger's. Von den neueren
Forschem schreibt v. Ebner* den Mm. intercostales externi
eine hebende Wirkung zu; die Frage über die Wirkung der
Mm. intercostales intemi lässt er offen.
Landerer^ glaubt hingegen auf Grund seiner Unter-
suchungen, die er gleich V. Ebner am menschlichen Cadaver
angestellt hatte, den Intercostalmuskeln eine Wirkung nur per
accidens zuschreiben zu können, indem diese eine ihnen
übertragene Bewegung gleich Bändern fortzuleiten im Stande
wären. Während der Inspiration hätten demnach die gespannten
Muskeln den auf sie von den höheren Rippen übertragenen
Zug auf die tieferen fortzuleiten, während sie die Exspiration
durch Zurücktreten aus der Spannung in die Ruhelage bewirken
könnten. Hermann v. Meyer* nimmt hebende Wirkung beider
Muskelgruppen an.
Lukjanow^ untersuchte an Thieren die Veränderungen
der Intercostalräume und kam zum Schlüsse, dass die Inter-
costalmuskeln bei der Respiration nicht direct betheiligt sind,
dass sie wahrscheinlich nur die Function haben, die ihnen
Henle und Brücke zuschreiben.
Wenn Fick* sich in seiner Schrift gegen diese Ansicht
wendet und mit Entschiedenheit die Wirkung der Intercostal-
muskeln schon während der gewöhnlichen Respiration an-
1 Hutchinson: Todd: Encyclopädia of Anatomy and Physiolog.
Article Thorax, p. 1016.
2 V. Ebner: Versuche an der Leiche über die Wirkung der Zwischen-
rippenmuskeln und der Rippenheber. Arch. f. Anat. und Physiologie lanat.
Abtheilung) 1880, S. 185.
8 Landerer: Über die Athembewegungen des Thorax. Archiv für Anat.
und Physiologie fanat. Abtheilung;, 1881, S. 272.
•* Meyer: Der Mechanismus der Rippen mit besonderer Rücksicht auf
die Frage von den Intercostalmuskeln. Arch. für Anat. und Physiol. (anat.
Abtheilung), 188d.
^ Lukjanow: Über die Veränderungen der Intercostalräume bei der
Respiration, als Beitrag zur Lehre von der Function der Intercostalmuskeln.
Archiv für die gesammte Physiologie XXX. Band, 1 883, S. 82.
ß Fick: Einige Bemerkungen über den Mechanismus der Athmung ;
Festschrift des Vereines für Naturkunde zu Cassel 1 88(5. Separatabdruck.
426 J. Weidenfeld,
nimmt, so stützt er diese Annahme wesentlich auf subjective
Beobachtung, deren überzeugende Kraft doch nur für den, der
sie selbst angestellt hat, eine zwingende sein kann.
Wie die Ansichten über die Wirkung dieser Muskeln ver-
schiedenartig sind, sind es auch die Methoden, die zur Unter-
suchung derselben angewendet wurden.
Man kann im Wesentlichen vier Methoden unterscheiden.
Die erste Methode ist die theoretisch-mechanische, wie sie von
Bajle', später von Hamberger* und in neuerer Zeit von
Budge^ und Volkmann* geübt wurde. Sie besteht darin, dass
die mechanischen Gesetze nach Feststellung der Drehungsaxen
auf die Rippenbewegung angewendet und mit Berücksichtigung
dieser die Wirkungen der Intercostalmuskeln bestimmt werden.
Diese Methode vermag nach meiner Anschauung wegen des
noch nicht ganz aSifgeklärten Mechanismus des Thorax, was
Drehungsaxen, Befestigung und Biegsamkeit der Rippen be-
trifft, nur unsichere Resultate zu liefern.
Die zweite Methode ging darauf aus, Mittel zu finden, die
Consequenzen des Hamberger*schen Schemas am mensch-
lichen Thorax beweisen oder verwerfen zu können. Die meiste
«
Verbreitung fand sie in der von Sibson**^ und Hutchinson*
angewandten Form, den Thorax aufzublasen und so die
Inspirationsstellung zu erzeugen. Der Gedanke, der hierbei ver-
folgt wurde, ist folgender: Wenn durch Contraction der Mm.
intercostales externi eine Hebung stattfindet, so müssen sich
die Intercostalräume erweitern, die Ansatzpunkte der Intercost.
externi sich nähern, die der Intercost. interni von einander ent-
fernen, und ebenso müssten, wenn diese Muskeln Inspiratoren
sind, dieselben Erscheinungen eintreten, wenn der Thorax auf
irgend eine andere Weise in eine künstliche Inspirationsstellung
gebracht wird. Durch Messungen werden die Veränderungen
» Bajlu: 1. c.
- Ha mbcrgcr: 1. c.
'• Budgc- 1. c.
• Volkmann: 1. c.
'* Sibson: On the mechanism of rcspiration. PhilosophicalTransactionö^
Vol. H. IS4B, p. 501, ref. in Müller's Archiv 1847, S. 97.
'• Hutchinson: 1. c.
Respiratorische Function der Intercostalmuskeln. 427
ZU erkennen gesucht, v. Ebner' und v. Landerer* benützten
in neuerer Zeit diese Methode.
Bei einer dritten Methode versuchte man durch Beob-
achtung am lebenden Körper Einsicht in die Wirkung der
beiden Muskelgruppen zu gewinnen. Es dienten hierbei ent-
weder Thierexperimente, welche aber, abgesehen von der
Schwierigkeit der exacten Ausführung, noch den Nachtheil
haben, dass die gewonnenen Resultate nicht direct auf den
Menschen übertragen werden dürfen, oder Untersuchungen am
lebenden Menschen. Durch elektrische Reizung wurden die zu
untersuchenden Muskeln in Contraction versetzt und ihre
Wirkungbeobachtet, ein Verfahren, das vornehmlich Duchenne^
eingeführt hatte.
Endlich viertens kann man auch, ausgehend von dem
Gedanken, dass sich bei jeder Contraction doch nur die Muskel-
fasern zu verkürzen suchen und demnach einen Zug in der Rich-
tung ihres Verlaufes ausüben, diesen Muskelzug am Cadaver
nachahmen, und den Effect derselben direct beobachten. Diese
letzte Methode ist es auch, die ich auf Rath des Herrn Prof.
Exner, auf dessen Veranlassung hin ich überhaupt die Unter-
suchung dieses Gegenstandes in Angriff nahm, einschlug. Sie
wurde schon von Haller* und in neuerer Zeit von Ruther-
ford ^ geübt.
II. Eigene Untersuchungen.
Ich verfuhr demnach derart, dass, entsprechend den Inser-
tionspunkten einer Faser der Intercostalmuskeln, an den Rippen
Befestigungspunkte angebracht wurden, zwischen denen ein
Zug ausgeübt werden konnte, der die beiden Punkte einander
zu nähern suchte. Ich wählte zur Befestigung Schrauben von
1 V. Ebner: 1. c.
- V. Landerer: 1. c.
•* Duchenne: 1. c.
^ Haller: 1. c.
'' Rutherford: Noteon the action of the internal intercostal muscles.
Journal of Anatomy and Physiolog. X, 608 — 610, ref. in Jahresberichten über
Physiolog. 1876, S. 82.
428 J. Weidenfeld,
2 mm Dicke und 1 Vj — 2 cm Länge , die ich an einem Ende
zuspitzte, am andern abrundete, und anstatt der von anderen
Autoren gewählten elastischen Binden, wählte ich als Bänder
aus Zinkdraht gemachte Klammern. Sie bestehen aus je einem
Stück Drahtes, das an seinen Enden zu einem Ringelchen ein-
gebogen ist und haben den Vortheil, nach Belieben leicht ver-
längert oder verkürzt werden zu können (siehe Fig. 1). Die
Löcher für die Schrauben bohrte ich mit einem Bohrer, der
einen etwas geringeren Durchmesser hatte, als die Schrauben.
Für die zwei Intercostalmuskelgruppen wurden Schrauben
aus zwei verschiedenen Metallen angewendet, damit während
der Manipulationen keine Verwechselung eintreten kann. Die
Schrauben, die den Mm. intercost. externi entsprachen, waren
aus Eisendraht, die anderen aus gleich dickem Messingdraht.
Sie wurden genau nach der Richtung einer Faser angeordnet.
Damit aber doch eine grössere Anzahl von Fasern in ihrer
Thätigkeit nachgeahmt werde, wurden, entsprechend einem
Zwischenrippenraume, an zwei bis drei Stellen Klammem an-
gelegt, und dieses für alle Rippen des Thorax in der Ausdehnung,
in welcher die betreffenden Intercostalmuskeln überhaupt vor-
handen sind, ausgeführt. Bekanntlich fehlen ja die äusseren
Intercostalmuskeln in den vorderen, die inneren in den hinteren
Antheilen jedes Intercostalraumes.
Diese Versuche wurden an zwei Brustkörben angestellt;
der eine war der eines 20jährigen Mädchens, der andere
der eines 44jährigen Mannes. Die Brustkörbe waren aller
Weichtheile entblösst; der Kopf wurde im ersten Halswirbel-
gelenke abgenommen, die Wirbelsäule im Lendentheile durch-
trennt, die Muskulatur am Thorax abpräparirt, so dass die
hitercostalmuskeln frei dalagen.
Beide Brustkörbe erwiesen sich als für unsere Versuche
sehr geeignet; die Rippen waren leicht beweglich und die
Knorpeln nicht verknöchert, nur waren beide, ich will es hier
gleich bemerken, etwas scoliotisch nach rechts gekrümmt.
Ausserdem waren die unteren sechs Rippen an den beiden
Brustkörben nicht von gleicher Beschaffenheit. Am männlichen
Thorax waren die siebente, achte, neunte, zehnte Rippe amphi-
arthrotisch mit einander verbunden, am weiblichen war zwischen
Respiratorische Function der Intercostalmuskeln. 429
diesen Rippen keine Verbindung, vielmehr konnten sie sich an
einander verschieben. Die Schrauben wurden an beiden Brust-
körben an denselben Stellen angebracht. Die Conservirung der
Präparate geschah in 2^l^^l^\gQV Carbolsäure.
Für die Mm. intercost. extemi wurden in der Gegend ihres
vorderen Randes und am hinteren Rande 2 — 3 cm weit von der
Wirbelsäule entfernt (das obere Ende gerechnet), Schrauben an-
gebracht, für die Mm. interni hinten, wo sie endigen und vorne,
wo sie eben noch von den Mm. externi bedeckt werden. Die Mm.
intercost. externi mussten natürlich stellenweise aufpräparirt
werden, damit die Faserrichtung der Interni übersehen werden
konnte. Die eingedrehten Schrauben sassen fest genug, um
oftmals zum Anbringen der Klammern verwendet zu werden.
Wenn die Wirkung eines Muskels nachgeahmt werden
sollte, so wurden um die Schrauben die Klammern gelegt,
welche natürlich kürzer waren als der Abstand der zwei
Schrauben von einander. Die Verkürzung betrug in allen Ver-
suchen fast 2 mm und sie konnte annäherungsweise immer
gleich genommen werden.
Angelegt wurden die Klammern zuerst vorne, dann hinten,
wobei sich sogleich zeigte, dass beide Arten in demselben Sinne
die Stellung der Rippen beeinflussen. Durch das nachträgliche
Anlegen der hinteren Klammern wurden oftmals die vorderen
Schrauben genähert und die Klammern fielen herab und
mussten, um auch weiter einen Zug auszuüben, verkürzt
werden.
In der ersten Zeit der Versuche diente mir als ßefesti-
gungsapparat für den Thorax ein Brett, welches, am Tische
festgeschraubt, zwei Querhölzer trug, an welchen die Wirbel-
säule durch Klammern senkrecht fixirt wurde. Später, als ich
auch die Verschiebungen der Rippen in einer anderen Richtung
Studiren wollte, wurde der Thorax an einer hierzu construirten
Vorrichtung befestigt. Diese bestand aus einer dicken, wenig
federnden Eisenstange von circa 2 m Höhe, welche an ihrem
oberen Theile zwei in einem der Länge des Thorax ent-
sprechenden Abstände angebrachte Querhölzer trug, von denen
das obere weiter vorne stand, als das untere. Die Stange war
entsprechend der Krümmung der Wirbelsäule ausgebogen. Die
430 J. Weidenfeld,
Befestigung des Thorax geschah, indem sowohl an der Hals-
als auch an der Lendenwirbelsäule eine passend gebogene Eisen-
spange den Thorax an beiden Querhölzern festklemmte (siehe
Fig. 1). Die ganze Vorrichtung war um eine senkrechte Axe
drehbar, und zwar befand sich am Boden ein Lager, worin sich
das abgestumpfte Ende der Stange drehte und am Tische eine
Führung, welche aus zwei Theilstücken bestand, die einen
runden Canal begrenzten, worin sich die genau passende
Stange bewegte. So war die Drehung der Stange correct und
diese durch Schrauben, welche die beiden Theile der Führung
verbanden, in jeder Lage festzuhalten.
Für die uns interessirende Frage schien es in erster Linie
von Wichtigkeit zu entscheiden, wie verändert sich der Thorax
bei der Wirkung der einen Art und wie bei der Wirkung der
anderen Art von Intercostalmuskeln ? Ob sich die einzelnen
Rippen dabei einander nähern oder von einander sich entfernen,
worauf so viele Messungen früherer Autoren sich bezogen,
schien zunächst von untergeordneter Bedeutung. Dass die
Änderung des Thorax, soferne sie durch Intercostalmuskeln
bewirkt wird, wesentlich auf Hebung, Senkung und Drehung
der Rippen beruhen musste, ist selbstverständlich, und damit
diese Bewegungen in normaler Weise erfolgen, waren an
meinen Präparaten sämmtliche Gelenke vollkommen intact
gelassen.
Zur Beobachtung dieser Veränderungen am Thorax be-
diente ich mich eines Visirapparates. Er besteht aus zwei ganz
gleichen Holzrahmen von 50 cm Höhe und 40 cnt Breite,
welche hinter einander in einer Entfernung von 40 cm parallel
aufgestellt und durch Querleisten starr mit einander verbun-
den sind. In jedem dieser Rahmen sind in senkrechter und
horizontaler Richtung Fäden, und zwar in je einem Abstand von
1 cm gespannt. Zur besseren Orientirung wurden abwechselnd
rothe, weisse und grüne Fäden verwendet. Selbstverständlich
kamen auch die Fäden hintereinander und die gleich gefärbten
in derselben horizontalen, beziehungsweise verticalen Ebene
zu liegen. Die Fäden bildeten also in Form und Farbe con-
gruente Netze von quadratischen Maschen. Visirt man durch
zwei congruente Quadrate oder besser Kreuzungspunkte der
Respiratorische Function der Intercostalmuskeln. 431
Fäden, so steht die Visirlinie horizontal und sämmtliche Visir-
linien laufen parallel. Hinter diesem Doppelnetz ist der Thorax
aufgestellt, an dem einzelne Punkte (Marken) gekennzeichnet
wurden, um die Veränderungen seiner Gestalt durch die Lage-
änderung jener Marken zu bestimmen. Als solche dienten
Reissnägel, die in Rippen und Sternum eingestochen und deren
Mittelpunkte durch je einen kleinen farbigen Fleck kenntlich
gemacht waren.
Bei den Bestimmungen verfuhr ich in folgender Weise.
Nachdem der Thorax am oben beschriebenen Stativ befestigt
war, wurden die Lagen der Punkte an Rippen und Sternum
durch den Visirapparat bestimmt und auf einer Schablone ver-
zeichnet. Dieselbe bestand aus einem gezeichneten Netz ganz
derselben Art, wie das Netz des Visirapparates. Die markirten
Punkte des Thorax wurden dann in dieses Netz so einge-
zeichnet, wie es ihrer Lage im Visirapparat entsprach. Die
Marken befanden sich an den vorderen Enden und an der Mitte
einer jeden Rippe, also in einer Linie, welche ungefähr der
mittleren Axillarlinie entsprechen würde. Auch war am oberen
und unteren Ende des Sternums je eine Marke angebracht.
Bei jeder Beobachtung konnte natürlich nur die Ver-
schiebung der Rippen in zwei Raumrichtungen bestimmt
werden, und um die dritte Richtung zu bestimmen, musste der
Thorax um 90** gedreht werden, was an meiner Vorrichtung
leicht möglich war. Im letzteren Falle wurden die Stellungen
der in der Mitte der Rippen angebrachten Marken bestimmt.
Um auch die Lage des Sternums im Profil zu bestimmen,
mussten rechtwinkelig gebogene Nägel in dasselbe eingebohrt
werden, welche an ihrem Kopfe ebenfalls gefärbt waren, weil
die vorderen Marken von der Seite nicht gesehen werden
konnten.
Es waren also zur näheren Bestimmung der Lage einer
Rippe zwei Ablesungen nöthig, und zwar eine von vorne und
eine im Profil. Waren die Marken einzeln visirt und auf der
Schablone verzeichnet, so wurden dann alle einer Art von Inter-
costalmuskeln entsprechenden Klammem angelegt und aber-
mals durchvisirt. Oder ich machte zuerst die Ablesung bei
angelegten Klammern, und nachher die in der Ruhelage. Der
432 J. Weidenfeld,
Übersichtlichkeit der Resultate wegen verzeichnete ich beide
Ablesungen auf eine Schablone. Dabei war es nöthig, dass die
fixen Punkte des Thorax vor und nach der Manipulation mit
den Klammern wieder genau dieselbe Lage hatten. Dies war
leicht zu erreichen, indem zwei an Hals- und Lendenwirbel-
säule angebrachte Marken wieder genau in ihre ursprüngliche
Lage gegenüber dem Visirapparate gebracht wurden.
Die nachfolgenden Versuche sind aus einer Anzahl gleicher
Versuche herausgenommen und als Paradigmata aufgestellt.
Ich will nur noch bemerken, dass die Versuche zuerst am
Mädchen- und dann am Männerthorax angestellt wurden, dass
aber die Resultate an beiden so ähnlich sind, dass ich mir
erlaube, die vom Männerthorax allein zu verzeichnen. Dort,
wo sich doch Unterschiede finden, werde ich nicht unterlassen,
sie anzuführen.
I. Versuch. Der Thorax wird bei entsprechend den Mm.
intercost. interni angelegten Klammern durchvisirt. Die
Klammern werden hierauf entfernt und der Thorax jetzt in
dieser Stellung beobachtet.
Auf Fig. 1 ist der Thorax im Zustande der durch die
Musculi interni bewirkten Contraction in die Schablone hinein-
gezeichnet. Die späteren Figuren stellen nur die Schablone mit
den den Marken der Rippen und des Sternums entsprechenden
Punkten dar. Da alle Versuche (mitAusnahme des III. Versuches)
dieselbe Anordnung haben, so hatte ich auch für alle Figuren
dieselben Bezeichnungen für analoge Zustände gewählt. Es
bezeichnet überall (ausgenommen Fig. 5[']), die in die normale
Lage zurückgekehrte Marke nach Entfernung der Klammem;
durch A und B wurde die obere und untere Sternummarke
bezeichnet. Die Zahlen, die sich bei den Marken an allen
Schablonen (mit Ausnahme von Fig. 1 , wo sie mir über-
tlüssig erschienen) befinden, entsprechen den Nummern der
Rippen.
Fig. 2 gibt die Ansicht von der Seite wieder.
II. Versuch. Dieselbe Anordnung. Die Klammern werden
aber entsprechend den Mm. intercost. externi angelegt (siehe
Fig. 3 und 4). Fig. 3 gibt die Resultate von vorne, Fig. 4 von
der Seite gesehen wieder.
Respiratorische Function der Intercostalmuskeln. 433
Diese vier Figuren zeigen auf den ersten Blick, dass durch
Wirkung der Mm. intercost. interni eine Senkung, durch die
Wirkung der externi eine Hebung des ganzen Thorax zustande
kommt. Auch die erste Rippe wird gehoben und gesenkt.
Hall er* und seine Anhänger nahmen die erste Rippe als fix
an, wodurch Ersterer seiner Theorie eine unumstössliche Basis
zu geben glaubte.
Dieser Versuch beweist das Gegentheil. Wir werden aber
später an einem anderen Versuch sehen, dass die Verhältnisse,
wenn selbst die erste Rippe so gut als möglich fixirt ist, nicht
geändert werden. Ich will hier noch hinzufügen, dass am
Mädchenthorax für die oberen sieben Rippen gleiche Resultate
sich ergaben; für die unteren Rippen fand durch beide Inter-
costalmuskelarten eine Hebung statt. Das Sternum wurde aber
analog den obigen Versuchen in einem Falle gehoben, im
anderen gesenkt Es mag der Grund für diese Verschiedenheit
in dem Geschlechte zu suchen sein.*
Durch die Hebung der Rippen wird aber infolge ihrer
Gestalt und Befestigung, wie allgemein anerkannt, der Thorax-
raum erweitert, durch Senkung verkleinert.
Eine Verschiebung des Rippenpunktes nach vorne oder
nach hinten würde eine Vergrössenmg oder Verkleinerung des
Thorax im antero-posterioren Durchmesser ausdrücken; die
Verschiebung des Rippenpunktes nach aussen oder innen
würde eine Vergrösserung oder Verkleinerung des Thorax im
Durchmesser von rechts nach links ausdrücken.
Um die Veränderungen des Thorax im antero-posterioren
Durchmesser zu beobachten, musste der Thorax von der Seite
durchvisirt werden.
Die Versuche, die ich über diesen Punkt angestellt habe,
ergaben die erste Zeit hindurch höchst mangelhafte und oft
I Haller: 1. c.
- Obgleich Tschaussow (zur Frage über die Sternocostalgelenke und
den Respirationstypus. Anatomischer Anzeiger 1891, S. 512) fand, dass die
Entwickelung der Sternocostalgelenke und die Erscheinungen an den vorderen
Rippenenden in keiner Weise klar darauf hinweisen, dass irgend welcher
Unterschied im Respirationstypus für Männer oder Frauen existire, so zeigt
doch mein Fall oben er\vähnten nicht unwesentlichen Unterschied.
Sitzb. d. malhem.-naturw. Gl.; CI. Bd., Ahth. III 30
434 J. Weidenfeld,
widersprechende Resultate. Der Grund lag in einigen Unvoll-
kommenheiten der Methode selbst. Wenn nämlich die eine
Seite des Thorax mit Klammern versehen wurde, die etwas
stärker angezogen waren, als die der anderen Seite, so entstand
eine asj^mmetrische Verschiebung des Thorax, welche sich
natürlich an den Ortsänderungen der Sternal-Marken äussern
musste. Um diesem Umstände abzuhelfen, musste die Möglich-
keit einer Bewegung des Sternums nach rechts oder links
genommen werden. Dieses wurde durch folgende Vorrichtung
erzielt.
Zwei sehr dicke, nicht leicht biegsame Eisenstäbe wurden
(siehe Fig. 1) am oberen und unteren Ende des Sternums durch
Schrauben befestigt. Am unteren und oberen Querholz wurden
zwei Brettchen angebracht, welche einen Ausschnitt hatten
von der Breite des Durchmessers der Stäbe. In diesen Aus-
schnitt passten die Stäbe hinein, konnten dabei sich nach oben
und unten, nach vorne und rückwärts frei bewegen, von rechts
nach links war ihnen hierdurch die freie Beweglichkeit
genommen, somit auch dem Sternum.
Die genannten Figuren 1 — 4 sind bei derartiger Führung
des Sternums gewonnen.
Das Sternum wird durch Action der Externi (Fig. 4) nach
vorne gestossen, durch die der Interni (Fig. 2) nach rückwärts,
was den Bewegungen des Sternums beim normalen Athmen
entspricht. Hierbei wird das untere Ende des Sternums in der
Regel mehr vorgestossen als das obere, was gerade bei dem
Versuch dieser Tafel nicht der Fall war, in der Mehrzahl der
Messungen aber verzeichnet worden ist.
Was vom Sternum gilt, gilt auch von den Rippen. Die
Mm. intercost. interni bewegen wenigstens die oberen acht
Rippen nach rückwärts, und die Mm. intercost. externi alle
nach vorne (Fig. 2 und 4).
Gerade das Gegentheil behauptet H. v. Meyer.^ Übrigens
zeigt auch der Anblick des Thorax vor und nach dem Anlegen
der Klammern, dass die Mm. intercost. externi den Thoraxraum
von vorn nach hinten erweitern, also die Rippen nach vorne
1 M e V e r : 1. c.
Respiratorische Function der Intercostalmuükeln. 435
schieben, die Mm. intercost. interni den Thorax abflachen, also
die Rippen nach rückwärts schieben, wobei die anguli der
Rippen spitzer werden.
Über die Bewegung der Rippen nach aussen oder nach
innen geben die Figuren 1 und 3 Aufschluss. Es bewegen sich
die Rippen beim Heben, also beim Wirken der Externi nach
aussen und umgekehrt beim Senken nach innen, und zwar
werden die oberen Rippen weniger nach aussen oder innen
bewegt als die unteren.
In ganz ähnlicher Weise wie sich die Verhältnisse bei
dieser Versuchsanordnung gestalteten, wo die Wirbelsäule
befestigt wurde und das Sternum frei hing, gestalteten sie sich,
wenn man umgekehrt das Sternum fixirt und die Wirbelsäule
frei hängen Hess. Zu diesem Behufe wurde das Sternum an einer
Stange befestigt, welche am Stativ festgeschraubt werden
konnte. Die Wirbelsäule kam dabei senkrecht zu stehen. Durch
diese umgekehrte Anordnung machten sich auch die umge-
kehrten Wirkungen der Intercostalmuskeln geltend. Die Mm.
interni hoben nun sehr stark die Wirbelsäule und zogen sie
nach vorne; die Mm. externi senkten sie, wenn auch wenig,
und schoben sie nach rückwärts. Der geringere Effect beruht
offenbar darauf, dass das bedeutende Gewicht die Wirbelsäule
soweit gesenkt hatte, dass sie durch die Mm. externi nicht
mehr viel tiefer gesenkt werden konnte, denn wenn man die
Stange, die mit dem Sternum verbunden war, in horizontaler
Lage befestigte, so zeigte sich ein grösserer Ausschlag.
Wenn man einen Blick auf die gewonnenen Resultate
wirft, so wird man sich leicht von der vollständig antagonisti-
schen Wirkung beider Muskelgruppen überzeugen und
Meinungen, welche manche Autoren vertreten haben, fallen
lassen müssen.
Ludwig! glaubt auch eine Simultanwirkung leugnen zu
müssen, weil durch die Contraction beider Muskelgruppen keine
Wirkung zu Stande kommen könnte. Borelli,* H aller** u. A.
1 Ludwig: Lehrbuch der Physiologie. II. Hand. S. 4S2, 1S61
2 BoreUi: 1. c.
•T Haller: 1. c.
436 J. VVeidenfeld,
hingegen nehmen mit Beslimmtheit eine Simultanwirkung an.
Es war also der Versuch zu wagen, ob nicht doch bei Wir-
kung beider Muskelgruppen irgend eine combinirte Bewegung
resultirt.
Dieser Versuch wurde ausgeführt, und zwar in folgender
Weise :
Versuch III. Der Thorax des Mädchens wird in normalem
Zustande durchvisirt. Hierauf werden die den Mm. intercost.
interni entsprechenden Klammern angelegt und die Veränderung
durch Visirung bestimmt, worauf weiterhin die denMm. externi
entsprechenden Klammern angelegt werden.
Fig. 5 gibt die Resultate wieder. Hier zeigen die unbe-
zeichneten Punkte die Normalstellung an; die mit (') bezeich-
neten Punkte geben die Stellung der Rippen nach Anlegung
der Klammern im Sinne der Mm. interni, die mit ('0 bezeich-
neten Punkte die Stellung der Rippen nach Anlegen der
Klammern im Sinne der Mm. externi an. Die anderen Bezeich-
nungen blieben dieselben. Es ist hier nur die Vorderansicht
aufgenommen.
Ganz zweifellos tritt hier wieder der Antagonismus beider
Intercostalmuskelgruppen hervor.- Die durch die Mm. interni
gesenkten Rippen werden wieder durch die Mm. externi ge-
hoben, und zwar an einigen Rippen bis zur Norm, an anderen
bis unter die Norm oder etwas über dieselbe, je nachdem hier
die Klammern stärker spannten oder weniger. An den fünf
unteren Rippen zeigt sich eine gleichsinnige Wirkung, wie
nach der oben angeführten Eigenthümlichkeit dieses Thorax
zu erwarten war, indem an diesen auch die Mm. interni hebend
wirken. Wurden die Klammern in der umgekehrten Reihen-
folge angelegt, so erhielt ich dasselbe Ergebniss.
Daraus folgt, dass die Mm. interni und Mm. externi für die
oberen Rippen Antagonisten sind.
Versuch IV. Die Hai 1er 'sehe Theorie beruht auf der
Annahme der Fixation der ersten Rippe. Dieselbe soll durch
die Verbindung mit dem Sternum und durch die mit Bändern
und Muskeln unbeweglich sein. Da aber bei den bisherigen
Versuchsanordnungen die erste Rippe ohne derartige Befesti-
gung war, so musste sie zur Prüfung der Haller'schen
Respiratorische Function der Intercostalmuskeln. 43/
Ansicht fixirt werden. Aber nicht nur sie, sondern auch das
Manubrium sterni wurde fixirt, um die Wirkung der gespannten
Sternocleidomastoidei nachzuahmen. Es geschah auf folgende
Weise:
Ich glaubte die natürlichen Verhältnisse in übertriebenem
Masse dadurch herzustellen, dass ich vor der Wirbelsäule, in
der Höhe des Atlas eine sagittal gestellte starke Eisenstange
fixirte, von der aus theils Drähte, theils eiserne Kettchen in der
Richtung der Mm. sternocleidomastoidei und der musculi scaleni
zum Sternum und zu den Rippen verliefen. Dieselben wurden
kräftig angespannt. Da sie schief von oben nach vorne und
unten, sowie nach seitwärts und unten verliefen, so war eine
Senkung des Sternums oder der ersten Rippe nur möglich bei
einer Näherung derselben an die Wirbelsäule, also einer Ab-
flachung des Thorax.
Wenn nun die Action der Mm. interni nachgeahmt wurde,
so war in der That zu bemerken, dass ausser allen anderen
Rippen auch die erste Rippe und das Sternum gesenkt wurden
(Fig. 6 und 7). Bei mehrmaliger Untersuchung hatte ich das-
selbe Resultat zu verzeichnen.
Versuch V. Etwas anders gestalteten sich die Ver-
hältnisse bei der Action der Mm. externi. Die erste Rippe und das
Manubrium sterni blieb fast an ihrem Orte, weil sie offenbar
schon durch jene Zugvorrichtung ad maximum gehoben waren.
Fig. 8 und 9 zeigen die Ergebnisse dieser Versuche. Bei den-
selben findet sich ausser den schon oft gebrauchten Bezeich-
nungen auch je eine mit zwei Strichen versehene Marke. Die-
selbe bedeutet die Stellung nach Abkneipen der die oberste
Rippe und das Manubrium sterni feststellenden Drähte.
Darnach ist Haller 's Ansicht, dass diePixirung der ersten
Rippe einen bestimmenden Einfluss auf die Wirkung der
Musculi interni hat, als unstichhältig zu betrachten.
Trotz dieser Resultate könnte immer noch der directe
Nachweis wünschenswerth erscheinen, dass die Bewegungen
der Rippen, welche die Intercostalmuskeln bewirken, eine
Raumvergrösserung, also eine Inspiration, respective eine Ver-
engerung oder Exspiration erzeugen. Um diese Frage ent-
scheidend beantworten zu können, musste an einem Thorax,
438 J Weidenfeld,
an welchem die Lungen erhalten sind, durch ähnliche Nach-
ahmung des Muskelzuges direct eine Inspiration oder Exspira-
tion hervorgerufen werden können, d. h. es mussten die Lungen
Luft aspiriren, wenn die Mm. externi wirken und Luft exspiriren,
wenn die Mm. interni wirken. Gelänge es, dies zu zeigen, so
dürfte weiter kein Zweifel über die Wirkung der Intercostal-
muskeln sein. Dieser Versuch scheint in solcher Art bis jetzt
von Niemandem ausgeführt worden zu sein.
Ich ging also darauf aus, analoge Versuche wie die be-
schriebenen an einem Thorax mit erhaltenen Lungen durchzu-
führen. Es musste nur die Vorsicht gebraucht werden, die
Schrauben zwar fest, aber nicht so tief einzubohren, dass die
Pleura verletzt werde.
Auch hier wurden Schrauben von derselben Grösse ver-
wendet. Nur wurde für sie ein kaum 2 mm tiefes Loch gebohrt,
somit die Rippe nicht in ihrer ganzen Dicke durchlöchert. An
den Schrauben wurden von aussen her noch Muttern von
dünnem Messingblech angebracht. Diese gewährten den
doppelten Vortheil, die schon in den Rippen festsitzenden
Schrauben noch fester zu machen und als Merkmal für die
Länge des versenkten Schraubenendes zu dienen. Die Schrauben
hatten natürlich kein zugespitztes Ende.
Der Thorax, den ich für diese Versuche verwendete, war
der eines 58jährigen Mannes, der an Typhus gestorben war
und muthmasslich gesunde Lungen hatte. Er wurde, wie die
früher gebrauchten Brustkörbe, aus seiner Verbindung mit dem
Kopfe im Atlasgelenke und aus der mit dem Becken durch
Durchtrennung der Lendenwirbelsäule gelöst. Die Baucheinge-
weide wurden mit aller Schonung des Zwerchfells entfernt,
ebenso alle Muskulatur am Rumpfe bis auf die Intercostales.
Die Haut und die Weichtheile aber am Halse, ebenso am ersten
Intertfostalraum wurden, sowie auch die Clavicula, welche
natürlich von der Scapula losgelöst war, geschont. Um den
Thorax so viel als möglich vor Verwesung zu schützen, wurde
von der Vena cava aus durch ihn eine 5^/^^ige Carbolsäure-
lösung gespült. Im Übrigen ward so rasch präparirt, dass ich
am Tage nach dem Empfang der Leiche den nachstehenden
Versuch anstellen konnte.
Respiratorische Function der Intercostalmuskeln. 439
Trotz des Alters des Mannes erwies sich der Thorax zu
den Versuchen sehr geeignet. Die Rippen waren, obgleich
dünn, doch sehr beweglich. Der Thorax selbst war nicht ganz
symmetrisch gestaltet und kurz. Wegen des geringen Dicken-
durchmessers der Rippen wurden die Schrauben nur an der
2. — 11. (exl.) Rippe angebracht. Die Schrauben entsprachen
ungefähr den Fasern aus der Mitte eines Intercostalmuskels.
Die künstliche Verkürzung dieser Faser wurde ganz wie bei den
früheren Versuchen durch Zinkdrahtklammern bewerkstelligt.
Zuerst war aus Misstrauen gegen die Festigkeit der
Schrauben die Verkürzung nur äusserst gering gewählt; in
späteren Versuchen wurde sie etwas stärker genommen. Der
Thorax lag bei diesen Versuchen frei mit dem Rücken auf dem
Tisch und es wurde Vorsicht angewendet, ihn bei den Mani-
pulationen nicht aus der Ruhelage zu bringen, da Änderung
der Lage die Resultate hätte trüben können.
Als Messapparat diente mir ein Wassermanometer, welches
durch einen Schlauch mit der Trachea verbunden war. Wie in
den früheren Versuchen wurden auch hier zuerst die Klammern
angelegt und dann die Verbindung der Trachea mit dem Mano-
meter hergestellt, dasselbe abgelesen, und nun vorsichtig die
Klammern entfernt.
Versuch VI. Es wurden die Klammern für die Mm. interni
angelegt. Nach Verbindung mit dem Manometer wurde vor-
sichtig eine Klammer nach der andern gelöst, wobei sich eine
Druckerniedrigung im Sinne einer Aspiration zeigte, die nach
Abnahme der letzten Klammer 22 mtn Wasserdruck betrug.
In einem späteren Versuche, bei dem die Klammern
stärker angezogen wurden, zeigte das Manometer einen Aus-
schlag von 27 mm. Diese Resultate genügen, um die Richtig-
keit der an den früheren Brustkörben gefundenen Resultate
und die exspiratorische Wirkung der Mm. intercostales interni
zu erhärten.
Versuch VII. Die Klammern wurden im Sinne der Externi
angelegt. Nach Verbindung der Trachea mit dem Manometer
wurden die Klammem vorsichtig gelöst, wobei sich eine Druck-
erhöhung im Sinne einer Exspiration zeigte, die 16w;>« Wasser-
druck betrug. Hiernach sind die Mm. externi Inspiratoren
440 J. Wcidenfeld,
Der geringe Ausschlag darf nicht die Meinung veranlassen,
dass die Intercostalmuskeln nur eine geringe Wirkung auszu-
üben vermögen. Schon die Thatsache, dass in diesen Ver-
suchen nur an einer Stelle die Thätigkeit der Muskeln imitirt
wurde, lässt einen geringen Effect erwarten.
Übrigens ist die Kraft, mit der die Summe der angelegten
Spangen den Thorax in seiner Gestalt veränderte, gar nicht
gering. Um einen gleichen Ausschlag, wie ihn die Lösung der
Klammern für die Mm. externi erzeugte, hervorzurufen, musste
ein Gewicht von über 2 kg auf das Sternum gelegt werden.
Dabei war es nicht ganz gleichgiltig, wie die Gewichte auf dem
Sternum vertheilt waren.
Es war weiters interessant zu untersuchen, wie sich der
Ausschlag des Manometers, der durch die Nachahmung der
Contraction der Mm. intercostales gewonnen wird, zu dem Aus-
schlag verhält, welcher durch Zug des Sternums nach unten
oder nach oben gewonnen wird.
Zu diesem Zwecke befestigte ich den Thorax an dem oben
beschriebenen Stative, brachte am oberen und unteren Ende des
Sternums eine Schraube, an welcher ein Ring befestigt war, an, an
welchem dann Gewichte aufgehängt wurden. Diese sollten den
durch die Lösung der Klammern gewonnenen Ausschlag com-
pensiren. Um einen Zug nach oben durch Gewichte auszu-
führen, mussten diese an einerSchnur, welche von der Schraube
am oberen Ende des Sternums über eine Rolle ging, aufgehängt
werden
Versuch VI IL Thorax am Stativ befestigt. Es wurden
die Klammern im Sinne der Interni angelegt. Nach Verbindung
mit dem Manometer und nachträglicher Abnahme der Klammem
zeigte das Manometer analog den früheren Versuchen eine
Druckänderung im Sinne einer Aspiration von 28 mm Wasser-
druck. Es wurden nun am unteren Sternumende Gewichte auf-
gehängt, welche diesen Ausschlag compensiren sollten. 10^^
erwiesen sich als nöthig, um das Manometer auf den Nullpunkt
zurückzubringen.
Versuch IX. F!s wurde nun die Gegenprobe gemacht,
indem am oberen Sternumende, nachdem vorher das Nano-
meter auf den Nullpunkt gebracht wurde, Gewichte aufgeliängt,
Respiratorische Function der Intercostalmuskeln. 44 1
welche dieselbe Druckerniedrigung erzeugen sollten, wie sie
früher die gespannten Klammern erzeugten. Dasselbe Gewicht
(10 kg) war hierzu erforderlich.
Versuch X. Dieser Versuch wurde ähnlich wie der
frühere ausgeführt, nur dass hier die Klammern im Sinne der
Mm. externi angelegt waren. Um hier die sich am Manometer
zeigende Druckerhöhung von 12 mm Wasserdruck im Sinne
einer Exspiration zu compensiren, musste ein Zug am oberen
Sternumende von 4 kg ausgeübt werden. Um dieselbe Druck-
höhe an dem auf den Nullpunkt zurückgeführten Manometer
zu erzeugen, musste dasselbe Gewicht am unteren Sternum-
ende angebracht werden.
Alle diese Versuche ergaben also das Resultat, dass die
Mm. intercostales externi als Inspirationsmuskeln, die Inter-
costales interni als Exspirationsmuskeln wirken können. Dass
sie als solche thatsächlich wirken, wird kaum bezweifelt werden
können, wenn man bedenkt, dass wenigstens unter gewissen
Verhältnissen alle Muskeln des Thorax, deren anatomische
Anordnung es erlaubt, zu den Respirationsbewegungen heran-
gezogen werden.
Die Kraft, mit der sie wirken, darf mit Rücksicht auf ihren
grossen physiologischen Querschnitt, nicht unterschätzt werden;
anderseits wird man freilich nicht daran zweifeln können, dass
sie, wie alle bekannten Respirationsmuskeln, auch noch anderen
Functionen dienen, z. B. der Drehung des Thorax um eine ver-
ticale Axe und dergleichen. Es scheint auch durchaus nicht
ausgeschlossen, dass sie unter gewissen Verhältnissen gleich-
zeitig in Contraction gerathen, sei es zur Feststellung des
Thorax, sei es um der Pleura costalis oder um einem von
aussen wirkenden Zug oder Druck als feste Unterlage zu
dienen.
Wenn ich nun auch erwiesen zu haben glaube, dass die
Innervation der Mm. intercost. externi eine inspiratorische, die
der Mm. intercost. interni eine exspiratorische Thoraxbevvegung
erzeugen muss, so bleibt doch noch die Controverse über die
Frage bestehen, ob und unter welchen Verhältnissen diese
1
442 J. W e i d e n l'e 1 d , Respiratorische Function der Intercostalmuskeln.
Muskeln bei der Athmung wirklich innervirt werden. Es wäi
ja immerhin noch möglich, dass dieselben, wenn sie z. B. bi
gewissen Körperstellungen in Action treten, die Gestalt d(
Thorax verändern, und dieser nun während der ganzen Dau(
der neuen Stellung und unabhängig von dieser seine Athei
bewegungen fortsetzt.
Studien über die Frage, ob und unter welchen V(
hältnissen die Intercostalmuskeln bei der Athmung innervii
werden, sollen den Inhalt einer zweiten Abhandlung bilden.
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SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CI. BAND. VII. HEFT.
ABTHEILUNG 111.
ENTHALT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER ANATOMIE UND
PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER THIERE, SOWIE AUS JENEM DER
THEORETISCHEN MEDICIN.
^
445
XVI. SITZUNG VOM 7. JULI 1892.
Der Secretär legt das erschienene Heft V (Mai 1892)
des 13. Bandes der Monatshefte für Chemie vor.
Das w. M. Herr Hotrath L. K. Schmarda übersendet eine
Abhandlung des Dr. Alfred Nalepa, Professor an der k. k.
Lehrerbildungsanstalt in Linz, unter dem Titel: »Neue Arten
der Gattung Phytoptits Duj. und Cecidophyes Nal.«
Das w. M. Herr Oberbergrath E. v. Mojsisovics übergibt
ein Schreiben von Dr. C. Diener ddo. Munshiari (Kumaon)
4. Juni 1892, welches einen weiteren kurzen Bericht über dessen
geologische Forschungsreise nach dem centralen Himalaya
enthält.
Der Secretär legt ein versiegeltes Schreiben behufs
Wahrung der Priorität von Herrn I. E. Pfiel, Chemiker in Wien,
vor, welches angeblich die Beschreibung der Art und
Erzeugung eines neuen Düngmittels mit besonderer
Empfehlung desselben zur Anwendung gegen die
Reblaus enthält.
Das w. M. Herr Hofrath A. Kerner v. Marilaun über-
reicht eine Abhandlung von Dr. Karl Fritsch: Ȇber einige
südwestasiatische Prumis-Avien des Wiener botani-
schen Gartens«.
Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht eine in seinem
Laboratorium ausgeführte Arbeit von Dr. K. Natterer, betitelt:
»Chemische Untersuchungen im östlichen Mittelmeer«
(IL Abhandlung), als Ergebniss der im Sommer 1891 auf S. M.
Schiff »Pola« vorgenommenen zweiten Tietsee-Expedition in
der Umgebung von Kreta.
446
Herr Dr. Richard R. v. Wettstein, Privatdocent an der
k. k. Universität in Wien, überreicht eine Abhandlung mit dem
Titel: »Die fossile Flora der Höttinger Breccie«, in der
er die Resultate seiner in den letzten fünf Jahren, zunn Theii
mitSubventionirun^ der kaiserlichen Akademie, durchgeführten
Untersuchung dieser Ablagerung niederlegt.
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
Documents relatifs ä TUnification de THeure et ä la
legalisation du nouveau mode de mesurer le temps.
Imprimes par ordre du Parlement. Ottawa, 1891; 8".
Lepsius, R., Geologie von Deutschland und den angrenzenden
Gebieten. Handbücher zur deutschen Landes- und Volks-
kunde. Bd. I. (Mit 1 geolog. Karte, 1 Profil-Tafel und
130 Textfiguren). Stuttgart, 1892; 8®.
447
XVII. SITZUNG VOM 14. JULI 1892.
Der Secretär legt das erschienene Heft III und IV (März
und April 1892), Abtheilung I, ferner das Heft IV und V (April
und Mai 1892), Abtheilung II. b, des 101. Bandes der Sitzungs-
berichte vor.
Das Präsidium der k. böhmischen Kaiser Fr anzJosef-
Akademie der Wissenschaften, Literatur und Kunst
inPrag übermittelt die aus Anlass derGründung dieser Akademie
geprägte Gedenkmedaille.
Das w. M. Herr Prof. L. Pfaundler übersendet eine Arbeit
aus dem physikalischen Institute der k. k. Universität in Graz
von Prof. Dr. I. Klemencic und Dr. Paul Czermak, betitelt:
»Versuche über die Interferenz elektrischer Wellen
in der Luft«.
Das w. M. Herr Prof. J. Wiesner übergibt eine Abhandlung:
»Untersuchungen über den Einfluss der Lage auf
die Gestalt der Pflanzenorgane. Erste Abhandlung: Die
Anisomorphie der Pflanzen«.
Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht eine in
seinem Laboratorium ausgeführte Arbeit des Herrn Dr. Titus
Schindler: »Über die Einwirkung von Schwefelsäure
auf ß-Trimeth^Mäthylidenmilchsäure«.
Das w. M. Herr Prof. E. Weyr überreicht eine Abhandlung
des Prof. J. Tesar an der k. k. deutschen Staatsgewerbeschule
in Brunn: Ȇber ein Paar unicursaler Degenerirungs-
Curven dritter Ordnung des Normalen-Problems und
das Normalen-Problem einer confocalen Kegelschnitt-
schaar«.
448
Das w. M. Herr Prof. Sigmund Exner überreicht eine im
physiologischen Institute der k. k. Universität in Wien aus-
geführte Untersuchung von stud. med. J. Weidenfeld, betitelt;
'^Versuche über die respiratorische Function der
Intercostalmuskeln. I. Abhandlung. Der Einfluss der
fntercostalmuskeln auf die Capacität des Thorax*.
Herr Prof. Sigmund Exner überreicht ferner eine Abhand-
lung von Dr. L. Rerhi in VV'ien: *Über die Nervenwurzeln
der Rachen- und Gaumenmuskeln«.
Herr Dr. Jos. Schaffer, Privatdocent und Assistent am
Histologischen Institute der k. k. Universität in Wien, theilt kurz
als histologisches Novum das Vorkommen von Drüsen im
menschlichen Nebenhoden mit.
449
XVIII. SITZUNG VOM 21. JULI 1892.
Der Secretär legt das erschienene Heft III — V (März — Mai
1892) des 101. Bandes derAbtheilung III der Sitzungsberichte,
ferner das Heft VI (Juni 1892) des 13. Bandes der Monatshefte
für Chemie vor.
. Das w. M. Herr Prof. L. Pfaundler übersendet eine vor-
läufige Mittheilung aus dem physikalischen Institute der k. k.
Universität in Graz, in welcher Herr Dr. H. Luggin über Ver-
suche, welche sich auf das Potential von Metallen im
ersten Augenblick der Berührung mit einem Elektro-
lyten beziehen, berichtet
Das c. M. Herr Prof. L. Gegenbauer in Innsbruck über-
sendet eine Abhandlung: Ȇber die aus den vierten Ein-
heitswurzeln gebildeten primären ganzen complexen
Zahlen«.
Das c. M. Herr Prof. H. Weidel übersendet folgende zwei
Arbeiten aus dem I. chemischen Laboratorium der k. k. Uni-
versität in Wien:
1. >Über die Esterificirung der Opiansäure«, von
Dr. R. Wegscheider.
2. »Über die Zersetzung der Chinolinsäure durch
nascirenden Wasserstoff«, von A. Perlmutter.
Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen
vor:
1. »Über die Änderung der Capillaritätsconstanten
des Quecksilbers mit der Temperatur«, von Dr.
Gustav Jäger in Wien.
Sitzb. d. mathem.-naturw. CI.; CI. Bd., Abth. III. 31
450
2. »Vorläufiger Bericht über die Dendroiden des
böhmischen Silurs«, von Dr. A. J. Jahn, d. Z. in
Pardubitz (Böhmen).
Das w. M. Herr Oberbergrath E. v. Mojsisovics übergibt
ein Schreiben von Dr. C. L. Griesbach aus Milam, Camp
via Almora (Kumaon), vom 13. Juni 1892, welches weitere
Mittheilungen über dessen geologische Forschungsreise nach
dem centralen Himalaya berichtet.
Das w. M. Herr Hofrath Director F. Steindachner über-
reicht eine Abhandlung: Ȇber zwei noch unbeschriebene
Nototrema- Arten aus Ecuador und Bolivia«.
Herr Hofrath Steindachner legt ferner eine Abhandlung
des Herrn Karl Koelbel: »Ein neuer ostasiatischer Fluss-
krebs« vor.
Das w. M. Herr Director E. Weiss überreicht eine Ab-
handlung vom Herrn k. u. k. Oberstlieutenant H. Hartl:
»Bestimmung von Polhöhe und Azimuth auf der Stern-
warte in Athen«.
Herr Director E. Weiss überreicht ferner eine von ihm
ausgeführte Untersuchung über die systematischen Diffe-
renzen einiger südlicher Sternkataloge, deren gegen-
seitiges Verhalten noch nicht näher bekannt war.
Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht zwei Ab-
handlungen aus dem chemischen Institute der Universität Graz:
1. »Über Umwandlungen des Cinchonins«, von Dr.
Gustav Pum.
2. »Die Einwirkung von Jodwasserstoffsäure auf
Cinchonidin«, von Dr. Georg Neumann.
Ferner überreicht Herr Prof. Ad. Lieben folgende vier
von Prof. Dr. Guido Goldschmiedt eingesendete Abhand-
lungen aus dem chemischen Laboratorium der deutschen Uni-
versität in Prag:
1. »Über das Laudanin«, von Guido Goldschmiedt
2. »ZurKenntniss'der Papaverin säure«, von G. Gold-
schmiedt und F. Schranzhofer.
451
3. »Über das Mekoninmethylphenylketon«,von Franz
V. Hemmelmeyr.
4. »Eine neue Synthese der Isoäpfelsäure«, von
Dr. Karl Brunn er, Privatdocent an der k. k. deutschen
Universität.
Herr W. Mey erhoffer überreicht eine Arbeit aus dem
II. chennischen Laboratorium der k. k. Universität in Wien, be-
titelt: Ȇber ein neues Doppelsalz und seine Existenz-
bedingungen«.
31*
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äMLULh wi65tNMHAnLi\.
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RCANc laea. octobek oib decicmbhr.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFIEN.
MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CI. BAND. VIII. HEFT.
ABTHEILUNG III.
ENTHALT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER ANATOMIE UND
PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER THIERE, SOWIE AUS JENEM DER
THEORETISCHEN MEDICIN.
1
455
XIX. SITZUNG VOM 6. OCTOBER 1892.
Herr Vicepräsident Hofrath Dr. J. Stefan führt den
Vorsitz und begrüsst die Mitglieder der Classe bei Wieder-
aufnahme der akademischen Sitzungen.
Hierauf gedenkt der Vorsitzende des Verlustes, welchen
die Akademie und speciell diese Classe durch das am 30. August
1. J. erfolgte Ableben des wirklichen Mitgliedes Herrn Hofrath
und emerit. Professor Dr. Anton Win ekler erlitten hat.
Die anwesenden Mitglieder geben ihrem Beileide über
diesen Verlust durch Erheben von den Sitzen Ausdruck.
Der Secretär legt die im Laufe der Ferien erschienenen
akademischen Publicationen vor, und zwar:
Den 42. Jahrgang des A 1 m a n a c h der kaiserlichen
Akademie für das Jahr 1891 ; ferner von den
Sitzungsberichten der Classe, Jahrgang 1892, Bd. 101:
Abtheilung I, Heft V— VI (Mai— Juni); Abtheilung II. a, Heft
IV— V (April— Mai) und Heft VI (Juni); Abtheilung II. b, Heft
VI — VII (Juni— Juli); dann das Register zu den Bänden 97
bis 100 der Sitzungsberichte und die
Monatshefte für Chemie, Jahrgang 1892, Bd. 13:
Heft VII (Juli) und VIII (August); ferner den eben erschienenen
ersten Band (Jahrgang 1880) dieser Publication, von welcher
eine Neuauflage der ersten sechs Bände durch anastatisches
Verfahren bei der Buchhandlungsfirma Mayer & Müller in
Berlin veranstaltet wurde.
32*
456
Für die Wahl zu inländischen correspondirenden Mit-
gliedern sprechen ihren Dank aus die Herren Prof. Dr. Zd. H.
Skraup in Graz und Prof. Dr. Friedrich Becke in Prag.
Herr Prof. Dr. Ludwig v. Graf f in Graz dankt für die ihm
zu einer zoologischen Forschungsreise nach den Tropen
behufs Vollendung des II. Bandes seiner Monographie der
Turbellarien bewilligte Subvention.
Das k. k. Ackerbau- Ministerium übermittelt ein
Exemplar der im Auftrage desselben herausgegebenen Publi-
cation: »Montan-geologische Beschreibung des Pfi-
bramer Bergbau-Terrains und der Verhältnisse in
der Grube nach dem gegenwärtigen Stande des Auf-
schlusses in diesem Terrain«.
Das w. M. Herr Hofrath C. Claus überreicht die Fort-
setzung des von ihm herausgegebenen Werkes: »Arbeiten
aus dem zoologischen Institute der k. k. Universität
in Wien und der zoologischen Station in Triest«,
Bd. X, Heft I.
Das w. M. Herr Regierungsrath Prof. E. Mach in Prag
übersendet eine Abhandlung, betitelt: »Ergänzungen zu
den Mittheilungen über Projectile«.
Die Herren Oberlehrer J. Elster und H. Geitel vom
herzogl. braunschweigischen Gymnasium zu Wolfenbüttel
übersenden eine Abhandlung, betitelt: »Elmsfeuerbeobach-
tungen auf dem Sonnblick«.
DerSecretär legt folgende eingesendete Abhandlungen
vor:
1. »Über chemische Äquivalenz«, von P. C. Puschl,
Stiftscapitular in Seitenstetten.
2. »Das periodische Gesetz«, von Dr. G. C. Schmidt in
Eberswalde (Preussen).
Ferner legt der Secretär ein versiegeltes Schreiben behufs
Wahrung der Priorität von Dr. Fritz Obermayer in Wien vor,
457
welches die Aufschrift führt: »Chemische Studien über
Eiweiss«.
Herr Prof. Dr. L. Weinek, Director der k. k. Sternwarte
in Prag, übermittelt als Fortsetzung seiner photographischen
Mondarbeiten eine Copie der 20 fach vergrösserten Zeichnung
der Mondwallebene »Vendelinus*.
Herr Dr. Alfred Nalepa, Professor an der k. k. Lehrer-
bildungsanstalt in Linz, übersendet eine vorläufige Mittheilung
über »Neue Gallmilben« (5. Fortsetzung).
Der Secretär berichtet, dass die diesjährige wissenschaft-
liche Expedition S. M. Schiffes »Pola« am 16. August den
Centralhafen von Pola verlassen hat und bringt die bis jetzt
vom Commando des Expeditions-Schiffes im Wege der hohen
Marine-Section an die kaiserl. Akademie gelangten tele-
graphischen Mittheilungen zur Kenntniss.
Zugleich theilt der Secretär ein Schreiben des Leiters
der wissenschaftlichen Arbeiten der Expedition, Herrn Hofrath
Director F. Steindachner, ddo. Port Said; 6. September mit,
welches mit einem vorläufigen Bericht von dem Mitgliede des
wissenschaftlichen Stabes, Herrn Prof. J. Luksch, ddo. Alexan-
drien, 30. August eingelangt ist.
Weiter theilt der Secretär die ihm neuerlich zuge-
kommenen Berichte des Herrn Dr. C. Diener über die geolo-
gische Expedition in den Himalaya, sowie den Inhalt eines an
das w. M. Herrn Oberbergrath E. v. Mojsisovics gelangten
hierauf bezüglichen Schreibens des Dr. Diener im Auszuge mit.
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
K. k. Ackerbau - Ministerium, Montan - geologische Be-
schreibung des Pribramer Bergbau-Terrains und der Ver-
hältnisse in der Grube nach dem gegenwärtigen Stande
458
des Aufschlusses in diesem Terrain. Herausgegeben im
Auftrage dieses Ministeriums von der k. k. Bergdirection in
Pfibram. Redigirt vom k. k. Oberbergrathe Wilhelm Göbl.
{Mit 1 Karte und 9 Tafeln.) Wien, 1892; 4<».
Technische Hochschule in Karlsruhe, Festschrift zum
Jubiläum der vierzigjährigen Regierung Seiner königlichen
Hoheit des Grossherzogs Friedrich von Baden.
Karlsruhe, 1892; 4«.
459
XX. SITZUNG VOM 13. OCTOBER 1892.
Der Vorsitzende theilt mit, dass der Herr Secretär
verhindert ist in der heutigen Sitzung zu erscheinen und
begrüsst hierauf das neu eingetretene Mitglied Herrn Prof. Dr.
Gustav V. Escherich im Namen der Classe.
Die Herren Regierungsrath Prof. Dr. F. Mertens in Graz
und Prof. Dr. A. Weichselbaum in Wien danken für ihre
Wahl zu inländischen correspondirenden Mitgliedern.
Das w. M. Herr Oberbergrath Dr. E. v. Mojsisovics über-
sendet für die Sitzungsberichte eine Mittheilung über: »Die
Hallstätter Entwicklung der Trias«.
Das c. M. Herr Prof. Franz Exner in Wien übersendet
eine Abhandlung, betitelt: »Elektrochemische Unter-
suchungen«. (III. Mittheilung.)
Herr Prof. Dr. Ph. Knoll in Prag übersendet eine Abhand-
lung: »Zur Lehre von den doppelt schräg gestreiften
Muskelfasern«.
Vom Commando S. M. Schiffes »Pola« sind zwei weitere
Telegramme im Wege der h. Marine-Section des k. u. k. Reichs-
Kriegs-Ministeriums eingelangt, und zwar:
Nr. 8. Rhodus, 8. October: Morgen Abfahrt nach Syra
behufs Kohleneinschiffung.
Nr. 9. Syra, 10. October: Abfahrt Dienstag nach Corfu.
460
Der k. u. k. Oberst Herr Ludwig Roskiewicz, d. Z. in
Wien, übersendet eine versiegelte Rolle behufs Wahrung der
Priorität, mit der Aufschrift: »Studie über Bergwesen«.
(Mit 12 Special- und 2 Generalkarten-Blättern.)
Das w. M. Herr Prof. J. Wiesner überreicht eine Ab-
handlung des Herrn Prof. Dr. G. Haberlandt in Graz, betitelt:
»Anatomisch - physiologische Untersuchungen über
das tropische Laubblatt. I. Abhandlung: Über die
Transpiration einiger Tropenpflanzen«.
461
XXI. SITZUNG VOM 20. OCTOBER 1892.
Der Secretär legt das erschienene Heft VII (Juli 1892)
des 101. Bandes der Abtheilung I der Sitzungsberichte vor.
Der a. o. Gesandte und bevollmächtigte Minister der Schweiz
am k. u. k. Hofe in Wien, Herr A. O. Aepli, übermittelt im Auf-
trage seiner Regierung die von derselben herausgegebene
Publication: »Die Neuenburgischen Marine-Chronometer,
beobachtet und prämiirt auf der Neuenburger Sternwarte«.
Vom Commando S. M. Schiffes »Pola« ist eine tele-
graphische Nachricht ddo. Corfu 14. October eingelaufen, welche
lautet: Tiefseearbeiten beendet, Abfahrt Mittwoch.
Herr Prof. J. Luksch an der k. u. k. Marine-Akademie in
Fiume und Mitglied der Tiefsee -Expedition übersendet aus
Corfu einen vorläufigen Bericht über die Resultate der auf der
dritten Reise S. M. Schiffes »Pola« im Sommer 1892 im öst-
lichen Mittelmeere zwischen dem Meridian von Rhodus bis
zur syrischen Küste ausgeführten physikalisch-oceano-
graphischen Arbeiten.
Herr Dr. H. Malfatti, Privatdocent an der k. k. Universität
zu Innsbruck, übersendet eine im Laboratorium für angew.
medicin. Chemie an dieser Universität ausgeführte Arbeit, be-
titelt: »Einige Versuche über die Zersetzbarkeit von
Salzlösungen durch Capillarwirkung«.
Der Secretär legt eine von Herrn Johann Kämpf, Lehrer
in Werlsberg (bei Joachimsthal), eingesendete Abhandlung vor,
welche betitelt ist: »Einheit der Naturkraft oder Wärme
als alleinherrschende Macht im Weltall«.
462
Ferner theilt der Secretär ein ihm neuerlich zugekom-
menes Schreiben des Herrn Dr. C. Diener, ddo. Joshimath
(Gurwhal), 19. September 1892, über die geologische Expedition
in den Himalaya mit.
Das w. M. Herr Oberbergrath Dr. v. Mojsisovics theilt
ebenfalls ein Schreiben des Herrn Dr. Carl Diener vom selben
Tag und Ort mit.
Herr Dr. Gottlieb Adler, Privatdocent an der k. k. Uni-
versität in Wien, überreicht eine Abhandlung: »Über die an
Eisenkörpern im Magnetfelde wirksamen Oberflächen-
spannungen«.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEME DER WISSENSCHAfTEN.
MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CI. BAND. IX. HEFT.
ABTHEILUNG III.
ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER ANATOMIE UND
PHYSIOLOGIE DES MENSCHEN UND DER THIERE, SOWIE AUS JENEM DER
THEORETISCHEN MEDICIN.
mt-
465
XXII. SITZUNG VOM 3. NOVEMBER 1892.
Die Nachricht von dem am 24. October 1. J. erfolgten Ab-
leben des wirklichen Mitgliedes Herrn Prof. Dr. Anton Gindely
in Prag wurde in der Gesammtsitzung der kaiserl. Akademie
vom 27. October 1. J. zur Kenntniss genommen und das Beileid
über diesen Verlust von der Versammlung zum Ausdruck
gebracht.
Herr Prof. Dr. Ph. Knoll in Prag übersendet eine Abhand-
lung: »Zur Lehre von den Structur- und Zuckungs-
verschiedenheiten der Muskelfasern«.
Der Secretär legt eine im anatomischen Institute der
k. k. Universität in Graz von Herrn stud. med. Meinhard
Pfaundler ausgeführte Arbeit vor, betitelt: »Zur Anatomie
der Nebenniere«.
Ferner legt der Secretär eine Arbeit aus dem physika-
lischen Institute der k. k. Universität in Wien von dem Privat-
docenten Herrn Dr. Gustav Jäger: »Über die Art der Kräfte,
welche Gasmolekeln auf einander ausüben«, vor.
Herr Stefan Heinrich, Ingenieur in Wien, übermittelt
behufs Wahrung der Priorität ein versiegeltes Schreiben mit der
Aufschrift: »Kräfte im Räume«.
Das w. M. Herr Hofrath Prof. V. v. Lang überreicht eine
Abhandlung des Herrn Prof. Dr. J. M. Eder, Director der k. k.
Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie und Reproductions-
verfahren in Wien: Ȇber das sichtbare und ultraviolette
Emissions-Spectrum der Ammoniak-Oxygen-Flamme
(Ammoniak -Spectrum)«.
466
Herr Dr. Eduard Mahl er überreicht eine Abhandlung
unter dem Titel: »Der Kalender der Babylonier« (II. Mit-
theilung).
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
Bergbohm, J., Entwurf einer neuen Integralrechnung auf
Grund der Potential-, Logarithmal- und Numeralrechnung.
Die rationalen algebraischen und die goniometrischen
Integrale. Leipzig, 1892; 8".
Fl et eher, L., M. A., F. R. S., The Optica! Indicatrix and the
transmission of light in crystals. London, 1892; 8®.
Publicationen für internationale Erdmessung, astrono-
mische Arbeiten des k. k. Gradmessungs-Bureau, aus-
geführt unter Leitung des Hofrathes Theodor v. Oppolzer;
nach dessen Tode herausgegeben von Prof. Dr. Edmund
Weiss und Dr. Robert Schräm. IV. Band. Längen-
messungen. Wien, 1892; 4®.
Wilhelm Weber's Werke, herausgegeben von der königlichen
Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. L Band:
Akustik, Mechanik, Optik und Wärmelehre (mit dem Bild-
nisse Wilhelm Webers und 13 Tafeln), besorgt durch
Waldemar Voi gt. — II. Band: Magnetismus (mit 10 Tafeln),
besorgt durch Eduard Rietke. Berlin 1892; 8®.
467
XXIII. SITZUNG VOM 10. NOVEMBER 1892.
Der Secretär legt das erschienene Heft VI — VII (Juni und
Juli 1892) des 101. Bandes der Abtheilung III der Sitzungs-
berichte vor.
Die Naturforschende Gesellschaft in Danzig ladet
die kaiserliche Akademie zur Theilnahme an der Feier ihres
150jährigen Stiftungsfestes am 2. und 3. Jänner 1893 ein.
Der Secretär berichtet, dass die wissenschaftliche
Expedition S. M. Schiffes »Pola« von ihrer diesjährigen
III. Forschungsreise im östlichen Mittelmeere zurückgekehrt
und das Expeditionsschiff am 22. October, 7 Uhr früh im Central-
hafen von Pola eingelaufen ist.
Ferner legt der Secretär eine Abhandlung von Prof.
Dr. O. Tumlirz an der k. k. Universität in Czernowitz vor,
betitelt: »Die Dichte der Erde, berechnet aus der
Schwerebeschleunigung und der Abplattung«.
Das w. M. Herr Hofrath Prof. V. v. Lang überreicht eine
Mittheilung des Herrn Ingenieurs Victor Schumann in Leipzig
über eine neue ultraviolett empfindliche Platte und
die Photographie der Lichtstrahlen kleinster Wellen-
längen.
Herr stud. phil. Thaddäus Garbowski in Wien überreicht
eine Abhandlung, betitelt: »Materialien zu einer Lepido-
468
pterenfauna Galiziens, nebst systematischen und
biologischen Beiträgen«.
Herr Dr. A. Kr ei dl, Assistent am physiologischen Institut
der k. k. Universität in Wien, überreicht eine Abhandlung be-
titelt: »Weitere Beiträge zur Physiologie des Ohr-
labyrinthes« (I. Mittheilung).
^
4t)9
Weitere Beiträge zur Physiologie des Ohr-
labyrinthes
I. Mittheilung.)
Versuche an Fischen
von
Dr. Alois Kreidl,
--1. .s/.s/t/i/i« iini fhysioloiiischen Institute der k. k. Universität in Wien.
I. Einleitung.
WenigeMonate, nachdem ich* meine »Beiträge zur Physio-
logie des Ohrlabyrinthes auf Cirund von Versuchen an Taub-
stummen« veröffentlicht hatte, bot sich mir die Gelegenheit,
Dank der Unterstützung, die mir von Seite der hohen kais.
Akademie der Wissenschaften in Wien zu Theil wurde, dieses
Thema in vergleichend -physiologischem Sinne von Neuem,
diesmal an der zoologischen Station in Neapel, aufzunehmen.
Ich habe mich bei diesen Untersuchungen vorwiegend mit
der Frage von der physiologischen Function der Otolithen-
organe bei wirbellosen Thieren beschäftigt; da mir in der
zoologischen Station, bei dem reichen Material, das zur Ver-
fügung gestellt wird, die Möglichkeit geboten wurde, an Fischen
dasselbe Thema in Angriff zu nehmen, so habe ich diese in
den Rahmen meiner Untersuchungen mit einbezogen, umso-
mehr. als diese P>age noch immer Gegenstand einer Contro-
verse ist.
J A. Kreidl, Beiträge zur Physiologie des Ohrlabyrinthes auf (irund
v.n Versuchen an Taubstummen. (Pflüger's Archiv LI. Hd. S. 119.)
Sitzb. d. mathem.-naiiirw. Tl.: ci. ijj., Abth. III. '^^'^
470 A. Kreidl,
Die Veröffentlichung der von mir an Wirbellosen ausge-
führten Experimente hat sich jedoch (infolge der nöthig gewor-
denen genaueren histologischen Untersuchung der Versuchs-
objecte) in unfreiwilliger Weise verzögert, und ich sehe mich
daher veranlasst, vorläufig über jene Resultate zu berichten, die
ich an Haifischen gewonnen habe.
Ehe ich an die Besprechung dieser Untersuchungen gehe,
erfülle ich eine angenehme Pflicht, einer hohen kais. Akademie
der Wissenschaften, sowie den Herren der zoologischen Station
zu Neapel an dieser Stelle meinen wärmsten Dank zu sagen.
2. Zerstörung des Labyrinthes an Haifischen.
Es lag ziemlich nahe, die Fische überhaupt, die bekannt-
lich keine Schnecke, wohl aber, mit geringen Ausnahmen,
wohlausgebildete Bogengänge und Otolithenorgane besitzen,
zu Versuchen über die physiologische Function von Bogen-
gang- und Otolithenapparat heranzuziehen.
A. Tommaszewicz * berichtet bereits über einige ein-
schlägige Experimente an Knochenfischen, doch beschränkt
sich die Forscherin auf wenige Versuche: bezüglich der
passiven Rotation heisst es daselbst: »Der Ausführung dieser
Versuche setzten sich manche Schwierigkeiten entgegen, die
Jahreszeit war ungünstig, der Apparat wenig geeignet; sie sind
daher wenige an der Zahl, und ich möchte die Resultate nicht
besonders betonen, nur flüchtig erwähnt haben, dass ich eine
Reaction der Fische auf passive Drehung nicht beobachtet
habe.«
Auch die Exstirpation des Labyrinthes nahm A. Tomma-
szewicz nur in wenigen Fällen vor; es wurden im Ganzen
6 Fische operirt; von diesen ^blieben nur 2 so lange am Leben,
dass ihre Bewegungen beobachtet werden konnten; der erste
schwamm in den ersten Stunden nach der Operation ziemlich
lebhaft und bev^orzugte keine Richtung; am anderen Morgen
wurde er todt aufgefunden: der zweite lebte drei Tage, schien
J A. Tommaszewic z, Beitrage zur Physiologie des Ohrlabyrinthes.
Inaug. Diss. Zürich 1877.
Physiologie des Ohrlabyrinthes. 4 t 1
ziemlich munter und verhielt sich ganz normal beim
Schwimmen«.'
Die Verfasserin sagt wohl selbst, dass sie, da die Versuche
mit Labyrinthexstirpation viel zu wünschen übrig lassen, die-
selben in der Arbeit nicht erwähnt, spricht sich jedoch auf Grund
von Versuchen an Thieren anderer Classen gegen die nicht aku-
stische Function des Labyrinthes aus.
Kiesselbach* hat an Karpfen und Schleien operirt, und
war der Erfolg sämmtlicher Versuche sowohl nach einseitiger,
wie nach beiderseitiger Durchtrennung der halbzirkelförmigen
Canäle ein negativer.
Cyon^ hat an Neunaugen {Petromyzon) Zerstörungen von
Bogengängen vorgenommen und bei einseitiger Verletzung
Manegebewegungen und drehende Bewegung um die Längsaxe
beobachtet. Nach beiderseitiger Exstirpation der Bogengänge
bewegt sich das Thier im Kreise und wälzt sich um die Längs-
axe des Körpers. Cj^on sagt dann weiter: »Während dieser
Umwälzung ereignet es sich öfters, dass es auf dem Rücken
liegen bleibt; dann fährt es fort, sich in dieser Lage im Kreise
zu bewegen, und nur mit vieler Mühe gelingt es ihm, seine
normale Körperhaltung einzunehmen. Dieselbe Erscheinung
beobachtet man, wenn man es auf den Rücken umlegt; es
schwimmt alsdann während einiger Zeit in dieser Lage; macht
es Halt, so sucht es vermöge des dorsalen Theiles der Haft-
scheibe sich anzusaugen und nur nach mehrfachen fruchtlosen
Versuchen nimmt es seine normale Stellung wieder ein.*
9
Aus diesen Versuchen schliesst der Verfasser, dass bei
den Neunaugen » das sogenannte Gehörorgan wahrscheinlicher-
weise zu nichts anderem dient, als zur Orientirung im Räume.«
Sewall* hat an Haien und Rochen operirt und bei einigen
Thieren die Bogengänge, bei anderen die Otolithenapparate
zerstört und gefunden, dass bei Extraction der Bogengänge bei
1 L. c. S. 89-90.
2 Kiesselbach, Zur Function der halbzirkelförmigen Canäle. Archiv
für Ohrenheilkunde. XVIII. Bd. 1882.
^ E. V. Cyon, Gesammelte physiolog. Abhandl. Berlin, 1888. S. 337 -339.
* Sewall, Experiments upon the ears of fishes with reference to the
* function of Equilibrium. (Journ. of Phys. IV. p. 339).
33*
4/2 A. Kreidl,
Haifischen kaum nennenswerthe Bewegungsstörungen auf-
treten, vvolil aber bei Verletzungen der Otolithenapparate.
Sewall urtheilt jedoch, da Laesionen der Bogengänge und
Otolithen oft keine Störungen zur Folge haben, dass dieselben
nicht als Gleichgewichtsorgan angesehen werden können.
Steiner* hat ebenfalls seine Experimente an Haifischen
ausgeführt und gefunden, dass weder eine einseitige noch
doppelseitige Zerstörung sämmtlicher Bogengänge irgend eine
Störung in den Bewegungen des Thieres hervorruft.
In einer späteren Arbeit* hat derselbe Autor auch Zer-
störungen der Otolithenapparate bei Haitischen vorgenommen
und gefunden, dass, wenn man die Otolithen mit einer Pincette
herauszieht oder auch nur herauszuziehen versucht, Störungen
auftreten, welche gewöhnlich in Rollungen nach der operirten
Seite bestehen. Steiner führt diese Störungen nicht zurück
auf eine Läsion der Vorhofsgebilde, sondern auf eine Zerrung
des centralen Acusticusendes und in. weiterer Folge einer
Zerrung des Nackenmarkes, weil dieThiere bei derExstirpation
der Otolithen mit dem Auge zwinkern, was der Verfasser für
eine Schmerzensäusserung hält, hervorgerufen durch Zerrung
des sensiblen Facialis, welcher mit dem Acusticus enge ver-
bunden ist.
Loeb"* hat aber in letzter Zeit gefunden, dass Haifische,
denen man das Labyrinth beiderseits zerstört, desorientirt sind,
auf dem Rücken ebenso schwimmen wie auf dem Bauch, dass
die Drehungen der Bulbi bei dauernder Änderung der Orien-
tirung fehlen und dass eine beiderseitige Acusticusdurchschnei-
dung einer Zerstörung der Otolithenapparate gleichkommt.
Loeb schliesst sich auf Grund dieser Resultate wieder
der Breuer'schen Theorie an, nach welcher das Ohr-
labyrinth mit Ausnahme der Schnecke ein Sinnesorgan ist.
^ Steiner, Über das Centralnervensystem des Hairischcs und des
Ainyhiffxns lanccolatus und über die halbzirkelförmigen Canäle des Haifisches.
iSiizungsberichle der Berl. Akad. der Wissensch. XXVIII. Bd. ISSß-^i
- Derselbe, Die Functionen des Centralnervensystems und ihre Phyllo-
^enesc. 2. Ablh. P'ische. Vieweg, 1S8S.
•' L'»eb. l'ber Geotropismus bei Thieren. Pflüi2:er'*^ Archiv. XLIX. HJ.
S. 17.-).
Phv->ioloG;ie des Ohrlabvrinthes. 4/^^)
bestimmt zur Wahrnehmung von Bewegung und Lage des
Körpers.
Ich habe meine Versuche fast ausschliesslich an Haitischen
{Scyllium canicula und cattdus) ausgeführt, bloss zu einigen
Control-Rotationsversuchen habe ich lebhafte, kleine Knochen-
fische benützt. Ich operirte an Thieren verschiedener Grösse
(0*2^1 -Oiw), doch möchte ich hier gleich hinzufügen, dass
sich die grossen Thiere zu den Exstirpationsversuchen weniger
eignen, da sie in ihren Bewegungen weit träger sind und des-
halb weniger prägnante Resultate geben.
Ich habe bei mehr als 25 Thieren die beiderseitige Exstir-
pation der Otolilhen vorgenommen und die Thiere durch längere
Zeit, ein Exemplar durch fast zwei Monate, im Aquarium beob-
achtet. *
Die Exstirpation der Otolithen wurde in folgender Weise
vorgenommen: DasThier wurde mit Seewasser respirirt, indem
ihm mittels eines Schlauches Wasser durch den Mund geleitet
wurde: grosse Exemplare mussten gehalten werden, mittel-
grosse und kleine blieben während der Operation in der Regel
ruhig liegen. Die Kopfhaut wurde über dem Hinterhaupt nach
Steiner mit einem kreuzförmigen Schnitte in vier Lappen ge-
trennt, dieselben zurückgeschlagen, wobei alsbald die bläulich
durchschimmernden Gehörblasen sichtbar wurden. Mit einem
feinen Scalpell wurde die knorpelige Decke soweit abgetragen,
dass man mit einer Pincette, einer entsprechend dicken Glas-
pipette oder mit einem kleinen Löffelchen auf den weisslich
glänzenden Otolithen eingehen konnte. Derselbe wurde nun
mit der Pincette gefasst und herausgezogen, oder mit der
Pipette (Se wall) angesaugt; bei einiger Übung gelingt es, auf
einen Zug den Otolithen herauszubringen. Wenn dies geschehen
war, habe ich die Gehörblase mit Seewasser ausgespült, um
noch die etwaigen Reste zu entfernen. Hierauf wurde die
Wunde vernäht und ausserdem mit Tannin - Gelatine nach
Steiner gedeckt. Die Thiere wurden nun auf dem Operations-
1 Ein anderes E.xemplar Hess ich in der Xeapeler Station zurück und
erhielt die briefliche Nachricht, dass es nach einem weiteren .Monate noch die-
selben Erscheinungen bot. auf die ich gleich zu sprechen komme.
474 A. Kreidl,
f
lische bei fortgesetzter VVasserrespiration so lange liegen ge-
lassen, bis die Gelatine erhärtet war. Hierauf kamen die Thiere
in das Bassin zurück, wo sie sich alsbald von der Operation
erholten. Es geschah mitunter, dass ein oder der andere Bogen-
gang verletzt wurde. Die exstirpirten Otolithen wurden stets
mikroskopisch untersucht und selbstverständlich ein jedes
operirte Thier secirt und der Sectionsbefund nofirt.
Die Zerstörung eines oder mehrerer Bogengänge geschah
nach derselben vorbereitenden Operation; bei einigen Thieren
wurde das ganze Labyrinth zerstört.
Exstirpation der Otol ithen. Haifische, denen die Oto-
lithen beiderseits mit Schonung der Bogengänge exstirpirt
worden waren, zeigen alle ein ganz charakteristisches Verhalten-
Schön kurze Zeit nach der Operation kann man beobachten,
dass diese Thiere wieder schwimmen; dieses Schwimmen ist
aber kein normales. Man sieht ein solches Thier oft das ganze
circa 2 m lange Bassin auf dem Rücken durchschwimmen, dann
kehrt es wieder in die Bauchlage zurück. Es scheint dem
Thiere das Bewusstsein von seiner Lage im Räume zu fehlen.
Ganz besonders deutlich tritt dies hervor, wenn man die Thiere,
die oft, wie es in der Gewohnheit der Haifische liegt, stunden-
lang auf dem Boden des Aquariums liegen, mit der Hand zu
fassen sucht; dann schwimmen sie eilig davon und gerathen
dabei in ungeregelter Abwechslung in die Bauch- und Rücken-
lage, natürlich auch in die Seitenlage. Geht man vorsichtig
mit einem entsprechend gebogenen Glasstab unter den ruhig
liegenden Fisch ein, so gelingt es ausnahmslos das Thier aus
der Bauchlage in die Rückenlage zu bringen, in welcher es
dann längere Zeit verharrt; ich habe solche Thiere oft eine
halbe Stunde in der Rückenlage beobachten können.
Auch spontan trifft man die operirten Haie auf dem Rücken
liegend im Bassin an, und zwar liegen, wie dies die Thiere zu
thun pflegen, mehrere aufeinander, in unregelmässiger
Anordnung, wie ein Haufen zusammengeworfener todter Fische.
Die Lieblingsstellung der Haifische ist im Bassin die, dass
sie in irgend einer Ecke mit der hinteren Körperhälfte am
Boden, mit der vorderen rechtwinkelig nach aufwärts gebogen
an der Seitenwand gewissermassen lehnen, so dass sie dem
Physiologie des Ohrlabyrintes. 4^75
durch die senkrechte Wand blickenden Beschauer die Bauch-
seite zukehren; es ist nun ganz bezeichnend, dass beiderseits
otolithenlose Thiere ebenfalls diese Lage einnehmen, jedoch in
ganz charakteristischer Weise oft statt des Bauches den Rücken
dem Beobachter zukehren. Aus dieser Stellung ist es nun sehr
leicht, die Thiere mit einem Stabe vorsichtig umzuwerfen, wo-
bei die operirten Thiere -die Lage, in die man sie so gebracht
hat, stets beibehalten, während normale Thiere sofort die
Bauchlage einnehmen. Manchmal gehen die operirten Haifische
mit dem Kopfende gegen den Boden des Bassins, als ob sie
auf dem Kopfe stehen wollten, offenbar darüber desorientirt, wo
oben und unten ist. Bei normalen Fischen beobachtete ich ein
solches Benehmen niemals.
Ich kann es nicht unterlassen, an dieser Stelle darauf hin-
zuweisen, wie analog das Verhalten der operirten Fische ist
mit dem der nach Schrader operirten Frösche. Bei diesen
beschreibt Breuer,* dass sie, ins Wasser gebracht, über ihre
Lage vollständig desorientirt sind, auf dem Rücken ebenso
schwimmen wie auf dem Bauch, gelegentlich auch auf dem
Rücken liegend gefunden werden.
In der Regel zeigen otolithenlose Haifische keine Roll-
bewegungen, sondern nur dann, wenn ein oder der andere
Bogengang mit verletzt ist.
Exstirpation der Bogengänge. Thiere, denen ich die
Bogengänge zerstört habe, schwimmen im Kreise und rollen
sich öfters ein;* wenn sie sich beruhigt haben, liegen sie in
normalerweise auf dem Bauche; bei dem Versuche, sie auf
den Rücken zu legen, führen sie sofort Rollbewegungen,
Schwimmbewegungen im Kreise und mannigfaltige Combina-
tionen dieser aus, bleiben jedoch, wieder beruhigt, niemals
auf dem Rücken liegen. Auch ein Thier, dem die Bogen-
gänge zerstört, die Otolithen jedoch intact gelassen wurden
benahm sich, mit Ausnahme von Rollbewegungen, normal.
1 Breuer, Über die Function der Otolithenapparate. Pflüger's Archiv.
XLVIII. Bd. 1890.
2 Zwei normale Exemplare von Scyllium catulus rollten sich ebenfalls
sehr oft ein, wenn ich sie zu fassen suchte, derart, dass sie sich gelegentlich
in den Schwanz bissen.
476 A. Kreidl.
Bei normalen Thieren ist es mir niemals gelungen, sie aus
der Bauchlage herauszubringen. Da es immerhin denkbar wäre,
dass diese Erscheinungen von einer Reizung der Wunde,
z. B. durch das Seewasser, herrühren konnten, habe ich bei
einem Thiere zur Controle an derselben Stelle bloss eine Haut-
muskelwunde gesetzt; wiewohl das Thier an dieser Wunde
empfindlicher war, zeigte es jedoch stets ein ganz normales
Verhalten.
Grosse Exemplare ohne Otolithen — ich habe zwei 1 nt
grosse Thiere operirt — zeigen dieselben Eoßcheinungen,
lassen sich auf den Rücken legen, allein nicht so schön wie
kleine Thiere, vermuthlich deshalb, weil sie in ihren Bewe-
gungen viel träger sind und infolge ihres breiten Querdurch-
messers schwerer aus ihrer Gleichgewichtslage zu bringen sind.
Ich vermuthe auch, wenn ich nicht annehmen will, dass
Steiner falsch beobachtet hat, dass sich die abweichenden
Resultate dieses Forschers am ehesten dadurch erklären lassen,
dass derselbe bloss an grossen Exemplaren operirt und die-
selben im Aquarium beobachtet hat, ohne sie zu reizen.
Die an und für sich trägen Thiere liegen dann ruhig am
Boden des Aquariums und können den Eindruck normaler
Thiere hervorrufen.
Ich hatte Gelegenheit, meine operirten Thiere auch Nachts
zu beobachten, und konnte constatiren, dass die Erscheinungen
der Desorientirung weniger ausgeprägt sind, offenbar weil die
Thiere nur bei Nacht sehen.
Alle diese Erscheinungen, die die operirten Thiere zeigen,
lassen sich ungezwungen durch die Breuer-Mach'sche
Theorie erklären.
3. Rotationsversuche an normalen und operirten Fischen.
Die Drehversuche habe ich auf einem Centrifugalapparat
ausgeführt, an dem zu diesem Zwecke einige besondere Vor-
richtungen angebracht waren. Dieselben ermöglichten, ein
cvlindrisches Gefäss oder eine Schale rasch um ihre Axe zu
drehen; ersteres konnte auch horizontal gelegt und um einen
ungefähr durch seine Mitte gehenden Durchmesser seinem
Querschnittes gedreht werden. Die cvlindrischen Gefässe, die
Phvsioloyrie des Ührlabvrinthes. 4/ t
'n
ich verwendete, waren 30 — 40 cm hoch und die Lichtung
betrug 8 — \Ocm. Die verwendeten Schalen hatten einen Durch-
messer von circa 20 — 30 cm.
Ich habe zu diesen Rotationsversuchen keine grossen
Exemplare genommen und auch nicht nehmen können, da die
Drehscheibe nicht darnach eingerichtet war; der Durchmesser
der Scheibe betrug circa 30 cm, und da sowohl das cylindrische
Gefass als die Glasschale nicht über den Rand hinausragen
durften, so waren auch die Fische von dieser Grösse. Die ge-
drehten Thiere wurden nach der Rotation mit dem Inhalt des
Gefässes, in welchem sie gedreht worden waren, in das Bassin
geworfen und darin ihr ferneres Verhalten beobachtet. Die Hai-
fische eignen sich besonders gut zu diesen Rotationsversuchen,
da sie sehr widerstandsfähig sind und sehr lange Zeit ohne
Wasserwechsel aushalten können.
Die Rotationsversuche mit normalen Thieren wurden
ebenfalls an einer grösseren Anzahl vorgenommen und ent-
halten die Angaben über das Verhalten dieser Thiere während
und nach der Drehung selbstverständlich das von allen gemein-
sam gebotene Bild.
Ich habe auch an Knochenfischen der angegebenen Grösse
ähnliche Versuche ausgeführt, doch in so geringer Anzahl,
dass ich auf dieselben nicht näher eingehen möchte.
Die Rotationsgeschwindigkeit wurde in allen Versuchen
entsprechend variirt, ebenso die Dauer der Drehung; für
gewöhnlich wurden die Thiere V2 — ^ Minute mit mittlerer
(4 — 6 Umdrehungen in der Secunde) oder grosser Geschwindig-
keit (10 — 12 Umdrehungen in der Secunde) gedreht.
Die Haifische zeigen nun folgendes Verhalten: Wenn man
ein Thier in einem horizontal liegenden Cylinder durch längere
Zeit so im Sinne eines Uhrzeigers dreht, dass es um eine durch
seine Mitte gehende und auf der Wirbelsäule senkrecht stehende
Axe rotirt, so schwimmt es, rasch ins Wasser geworfen, in
einem Kreise herum, und zwar auch im Sinne des Zeigers
einer Uhr; wird das Thier im vertical stehenden Cylinder,
also um seine Längsaxe ziemlich lange gedreht, so führt
es, ins Wasser geworfen, einige Drehungen um dieselbe
Axe aus, wobei ich jedoch bemerken möchte, dass diese
478 A. Kreidl,
Drehbewegungen nicht so sicher eintreten wie die früher
genannten.
Bringt man einen Haifisch in eine flache Glasschale und
beginnt ihn langsam zu drehen, so schwimmt er gegen die
Drehrichtung, oder versucht es zum Mindesten; wenn man
die Drehrichtung umkehrt, so kehrt sich auch das Thier um,
um von Neuem gegen die Drehrichtung zu schwimmen; dabei
halten sich die Thiere gewöhnlich an die Peripherie des
Gefässes.'
Wird die Drehung allmälig schneller, so geben die Thiere
die Schwimmversuche auf, und wenn man nun in diesem Tempo
(10 — 12 Umdrehungen in der Secunde) längere Zeit fort rotirt,
und dann ein solches Thier rasch ins Bassin schüttet, so
schwimmt es ganz regelmässig im Kreise herum, und zwar in
demselben Sinne, wie die ursprüngliche Drehung war; auf-
fallender Weise treten diese nach der passiven Drehung im
Wasser activ fortgesetzten kreisförmigen Bewegungen sicherer
auf, wenn man das Thier mit dem Schwanzende voraus gedreht
hat; wird das Thier mit dem Kopfende voraus gedreht, so treten
diese Erscheinungen weniger prägnant auf; ganz besonders
sind es die kleinen Exemplare, welche auf diese Art in sehr
schöner Weise schwindlig zu machen sind. Die grösseren
Exemplare zeigen die ganze Reaction weniger auffallend;
möglicher Weise liegt dies daran, dass diese Thiere in höchst
unbequemer Weise zusammengerollt in den für sie zu kleinen
Gefässen sich befanden.
Während der Rotation zeigen die Thiere ausser der früher
erwähnten Erscheinung, dass sie immer gegen die Drehung zu
schwimmen versuchen, nichts Besonderes; ein einzigesmal
beobachtete ich, dass ein Haifisch während der länger dauern-
den Rotation die eben kurz vorher verschlungene Nahrung
erbrach! (Eine amüsante Analogie der Seekrankheit bei Hai-
tischen!)
^ Ich konnte ein gleiches Verhalten bei Petromyzon Plancri — von dem
ich zufällig einige Exemplare erhielt — sehr schön beobachten. Ein ähnliches
Verhalten beschreibt K. L. Schäfer (Über den Drehschwindel der Thiere,
Xaturw. Wochenschrift Nr. 25, 1891; von den Schnecken.
Physiologie des Ohrlabyrinthes. 479
Es war nicht möglich, Haifische, deren Labyrinth zerstört
war, in Betreff dieser Rotationsversuche mit normalen zu
vergleichen, denn erstere machten auch ohne vorhergehende
Drehung, jedesmal, wenn man sie in das Bassin schüttete, so
stürmische Rotationsbewegungen, dass von dem Erkennen
eines Mehr oder Weniger abgesehen werden musste.
4- Über den Einfluss der Centrifugalkraft auf normale und
otolithenlose Fische.
Um den Einfluss der Centrifugalkraft auf otolithenlose
Haifische zu studiren, habe ich vorerst an normalen solchen
Thieren und einigen kleinen Knochenfischen aus dem Golfe
von Neapel Versuche ausgeführt.
Diese Thiere wurden alle in einer flachen Glasschale mit
sehr grosser Geschwindigkeit — mehr als 15 Umdrehungen in
der Secunde — rotirt und während der Drehung in diesem
beobachtet. Sowohl alle Haifische — auch diesmal habe ich
nur die kleinen Thiere verwendet — wie auch die übrigen
kleinen Fische zeigen ein ganz typisches Verhalten, indem sie
sich in die Richtung der Resultirenden von Schwerkraft und
Centrifugalkraft einstellen, und zwar in der Weise, dass sie
sich stets mit dem Rücken gegen die Drehungsaxe hinneigen,
mit der Bauchseite nach aussen. Ganz besonders schön konnte
man dies bei den Haifischen beobachten; während der lang-
samen Rotation lagen die Thiere auf dem Bauche, wie jedoch
die Geschwindigkeit und damit die Centrifugalkraft zunahm,
neigte sich das Thier mit dem Rücken nach innen und wies die
glänzend weisse Bauchseite dem Beschauer. Diese Neigung
entspricht derjenigen des galoppirenden Pferdes im Circus.
Haifische, welchen beiderseits dieOtolithen entfernt wurden,
ändern nun unter dem Einfluss der Centrifugalkraft ihre Lage
in dem Gefässe nicht, zeigen also keine Schiefstellung; ja, sie
behalten auch bei der Rotation alle jene abnormen Stellungen
bei, die oben geschildert worden sind; es kommt sogar vor,
dass diese Thiere sich in dem Gefässe gelegentlich auf den
Rücken legen und die längste Zeit während einer sehr raschen
Drehung diese Lage beibehalten.
480 .\_ Kreidl, Physiologie des Ohrlabyrinthe>.
Kin ähnliches Verhalten habe ich bei normalen Thieren
niemals beobachtet. *
Ich habe diese Versuche, die ich gelegentlich an Knochen-
fischen noch fortzusetzen gedenke, in Kürze mitgetheilt und
mich darauf beschränkt, bloss die zu dem speciellen Thema in
Beziehung stehende Literatur zu erwähnen.
Auf die in jüngster Zeit erschienene reichhaltige Literatur
auf diesem Gebiete, sowie auf die Consequenzen, die sich aus
diesen Versuchen für die Theorie von der Function des Ohr-
labyrinthes ergeben, will ich im Zusammenhange mit meinen
an Wirbellosen gewonnenen Resultaten in einer nächsten Mit-
theilung ausführlich eingehen.
^ Zum Vergleiche mit dem Verhalten eines normalen Thieres diene
folgendes zufällige interessante Versuchsergebniss. Ich verfügte über zwei
ziemlich elende Exemplare von Haifischen, von denen dem einen die Otolithen
beiderseits entfernt worden waren, während das andere zwar normal, jedoch
dadurch, dass es durch einen Sprung aus dem Bassin auf den Boden de>
Zimmers gefallen und längere Zeit daselbst gelegen war, fast moribund war.
Während nun das operirte Thier während der Drehung seine Rückenlage bei-
behielt, stellte sich das normale Thier, obwohl es zu Beginn der Drehung eben-
falls auf dem Rücken lag, bei rascher Rotation in die Richtung der Resultirenden
von Schwerkraft und Centrifugalkraft.
481
Zur Lehre von den Struetur- und Zuekungs-
Verschiedenheiten der Muskelfasern
von
Ph. Knoll.
(Mit 3 Tafeln )
I. Zuckungscurven von Schliessmuskeln der Lamelli-
branchiaten.
Bei meinen Beobachtungen über die Structurverschieden-
heiten am Schliessmuskel der Lamellibranchiaten (Lit.-Verz. 1,
S. 659 bis 663, 2, S. 3 bis 13) drängte sich mir begreiflicher-
weise die Frage auf, ob und wie diese Verschiedenheiten auch
in der Zuckung des Schliessmuskels der einzelnen Lamelli-
branchiaten zum Ausdruck kommen.
Erörtert wurde diese Frage bereits von verschiedenen
Forschern, zunächst, soweit ich zu ermitteln vermochte, von
Schwalbe (3, S. 235), welcher im Anschluss an Mittheilungen
über das Vorkommen von längs- und von doppelt schräg-
gestreiften Muskelfasern bei der Auster, während im Schliess-
muskel der Miessmuschel nur längsgestreifte »fibrilläre« F'asern
vorkämen, ausführt, dass der Act des Schalenschliessens bei
der Auster auf Einwirkung äusserer Reize plötzlich und rasch
geschieht, bei Mytilus dagegen sehr langsam und allmälig,
wodurch er zu der Annahme veranlasst wird, >dass die
doppelt schräggestreiften Fasern der Auster mehr für plötzlich
und energisch auszuführende Bewegungen eingerichtet sind,
während die fibrillären Fasern vielleicht den festen Schluss
besorgen, der hier nur durch andauernde Contraction zu
erzielen ist«'.
482 Fh. Knoll.
Fast ein Jahrzehnt später hat H. v. Ihering (4, S. 15 — 18)
auf Grund von Versuchen, die er im Herbste 1876 an Pecteu
glaber und variiis angestellt hat, eine analoge Functions-
verschiedenheit für den gelblichen und weissen Antheil des
Schliessmuskels dieser Thiere aufgestellt, da er fand, dass
diese Muscheln nach isolirter Durchschneidung des ersteren
Antheiles ihre Schalen auf Reize nur sehr wenig und langsam
schliessen, dieselben aber dann in der gewonnenen Stellung
sehr fest halten, nach isolirter Durchschneidung des letzteren
Antheiles dagegen auf Reize die Schalen rasch, aber nur für
wenige Momente schliessen. Er folgert hieraus, dass die gelb-
lichgraue Portion die eigentlich >»musculöse«, die Rolle der
weissen mehr die einer dem Schlussbande der Schalen als
Antagonist entgegenwirkenden Sehne sei, und führt weiter aus.
dass der »musculöse« Theil des Schliessmuskels der Muscheln
>aus den bekannten glatten Faserzellen« bestehe, an denen
sich kein Zerfall in Fibrillen, unter Umständen aber, wie gerade
von Pecten bekannt sei, Querstreifung finde. Die Fasern des
>» sehnigen« Theiles des Schliessmuskels aber seien »fibrillär
gebaut, in so exquisiter Weise, dass man fast eine Ner\- enfaser
vorsieh zu haben wähnen könnte« und es fände sich nie Quer-
streifung an denselben.
Engelmann (5, S. 563) aber fand keinen merkbaren
Unterschied in der Geschwindigkeit der Zusammenziehung
zwischen den beiden verschieden gefärbten Antheilen des
Schliessmuskels von Anodonta und zwischen diesen und dem
Schliessmuskel von Cardinm und Mytiltts und ist geneigt, die
doppelt schräggestreiften Fasern wegen ihrer verhältnissmässig
trägen Contraction auch physiologisch nur als eine Abart der
glatten Muskeln zu betrachten.
Allen diesen Beobachtungen mangelte eine genauere Ver-
folgung und Darstellung der Zusammenziehung der betreffenden
Muskeln, beziehungsweise Muskelantheile auf graphischem
Wege, während wieder die mittels dieser Methode von Fick (6),
Pawlow (7) und Biedermann (8) vorgenommenen Beob-
achtungen an Auodouta sich theils nur auf die Verzeichnung
der Zuckungscurve des ganzen Muskels (6, 7), theils nur auf
jene des gelblichen Antheiles desselben beschränkten (8).
Structur und Zuckung der Muskelfasern. 483
Dieser Stand der Dinge veranlasste mich während eines
Aufenthaltes an der zoologischen Station in Triest im April
dieses Jahres selbst an die Beantwortung der eingangs auf-
geworfenen Frage zu schreiten. Da ich alle Hilfsmittel zur .
elektrischen Reizung der Muskeln und graphischen Beobachtung
ihrer Zusammenziehung selbst dahin mitbringen musste, war
ich genöthigt mich mit den einfachsten und compendiösesten
Apparaten zu begnügen, die der Untersuchung von vornherein
enge Schranken zogen. Weitere Schwierigkeiten verursachten
die nothwendigen kleinen Reparaturen an diesen Apparaten in
einer Stadt, wo keine Hochschulen und keine mit den Bedürf-
nissen dieser vertrauten Mechaniker zu finden sind. Dazu kam
noch vorwaltend ungünstiges Wetter, welches die Beschaffung
von geeignetem Material so erschwerte, dass ich beispielsweise
von Lima hians nur ein, von Lima sqiiamosa aber gar kein
Exemplar in dieser Zeit zu erhalten vermochte.
Diese Umstände mögen es rechtfertigen, dass meine Unter-
suchungen nicht die wünschensvverthe Ausdehnung erfuhren;
da dieselben aber einerseits doch mehrere bemerkenswerthe
Thatsachen ergeben haben und ich anderseits dieselben kaum
weiter werde führen können, sei es mir gestattet über dieselben
dennoch zu berichten.
Als Reizvorrichtung stand mir lediglich ein Du Bois-
Reymond'scher Schlittenapparat mit 5000 Windungen der
secundären Spirale zur Verfügung, der mit einem Leclanche-
Element verbunden wurde. Zur Stromschliessung diente ein
Quecksilberschlüssel, zur Stromzuleitung auf einem Stativ
angebrachte bewegliche Platinnadel -Elektroden, die an den
Muskel seitlich angelegt wurden. Die einzelnen Muscheln
wurden bis auf den zu prüfenden Muskel oder Muskelantheil
ausgeweidet, zumeist nach längerem oder kürzerem Trocken-
liegen derselben, was ein Klaffen der Schalen bewirkt, ohne die
Reizbarkeit des Muskels zu beeinträchtigen, die eine Schale
horizontal an einem Stativ mittels einer der gewöhnlichen
Muskelklemmen fixirt, die andere mittels Häkchen und Schnur
mit dem Schreibhebel in Verbindung gesetzt. Das Häkchen
steckte entweder in einer Bohröffnung der Schale oder war, bei
Muscheln mit dickerer oder spröderer Schale, an dieser mittels
4^;4 Ph. Knüll,
einer jener federleichten Neusilberklemmen befestigt, welche
zum Verschluss von Postsendungen gebraucht werden. Von
beiden Schalen war soviel abgetragen, dass sich die Elektroden
leicht an die eine (untere) Insertion des Muskels anlegen Hessen,
die Last, welche der Muskel bei seiner Zusammenziehung herab-
zuziehen hatte, möglichst gering, der Abstand zwischen den
freien Schalenrändern, aber dennoch möglichst gross war. Das
Schlossband wurde nach dem Vorgange Fick's stark gelockert,
jedoch stets nur soweit, dass die nicht fixirte Schale nach
mechanisch bewirktem Schalenschluss sich ganz jäh wieder
erhob. Der durch das Schlossband gegebene Widerstand für
die Zusammenziehung des Muskels war aber begreiflicherweise
bei den einzelnen Versuchen sehr wechselnd.
Die Schnur ging schräg ansteigend von der Schale über
eine Rolle zu dem wesentlich höher tixirten Srhreibhebel, als
welcher ein an jener Rolle aufgehängter einarmiger Hebel
diente, wie ich ihn zur Verzeichnung der Augenbewegungen
benützte (9). Dicht an dem nahe der Axe des Hebels befind-
lichen Angriffspunkt der Schnur war eine 5 Gramm schwere
Schale zur Aufnahme von Gewichten angebracht. Bei sehr
kleinen Muscheln wurde von einer weiteren Belastung meist
abgesehen, sonst wechselte dieselbe zwischen 5 und 30 Gramm,
je nachdem hiebei hinsichtlich der Curvenhöhe und der Schnellig-
keit der Erschlaffung das Optimum erreicht wurde.
Der fein einstellbare Schreibhebel verzeichnete seine Aus-
schläge auf Papier, das durch die zum Rothe'schen Poly-
graphen (10) gehörende Vorrichtung berusst, bewegt und in
Schellack getränkt wurde. Die Bewegung des Papiers erfolgte
mit der Geschwindigkeit von 37 Millimeter in der Secunde.
hidem ich nun an die Darstellung der an den einzelnen
Arten angestellten Beobachtungen schreite, sei vorweg bemerkt,
dass dieselben, abgesehen von Lima hians, immer an mehreren
Exemplaren jeder Art gemacht wurden. Am leichtesten gelang
die Herstellung eines geeigneten Präparates bei den Mono-
myariern Pcctcn und Lima. Bei Area erwies sich die ungemeine
Hrüchigkeit, bei Venus verrtieosa die Dicke der Schalen, bei
Scrobieiilaria piperata und Cardium ednle die Sprödigkeit der-
selben und die Kleinheit derThiere im (Ganzen recht hinderlich.
Siructur und Zuckung der Muskelfii«»ern. 48Ö
Pecten. Es wurden die Arten Jacobaens, glaher und
varins untersucht. Wird nach Blosslegung des aus zwei scharf
gesonderten Antheilen bestehenden Schliessmuskels, wobei das
Thier seine Schalen fest zusammenpresst, der weisse Antheil
des Muskels durchschnitten, so schnellen diese mit einem Ruck
weit auseinander, selbst bei einem ganz frischen auf Reize
lebhaft reagirenden Thiere, was erweist, dass hier, abweichend
von Anodonta, der gelblichgraue Antheil keinen höheren Tonus
besitzt. Im Gegensatz zu den von Fick und Biedermann an
Anodoitta gemachten Beobachtungen ist hier auch sofort eine
lebhafte Reaction auf den Inductionsreiz wahrzunehmen, selbst
einzelne Schliessungs- und Öffnungsschläge, die nach Bieder-
mann bei Anodonta nur »in günstigen Fällen«, »bisweilen eine
deutliche Contraction des Muskels« bewirken (8, S. 46), rufen
hier sofort deutliche Zuckungen hervor. An mehreren Thieren
trat schon bei RA (Rollenabstand) 13 — 14 cw JÖZ (Zuckung
bei Öffnung des Inductionsstromes) ein, in der Mehrzahl der
Fälle bei RA 8 — 10. In der Regel bedurfte es eines mehrere
Centimeter geringeren Rollenabstandes um JSZ (Zuckung bei
Schliessung des Inductionsstromes) und wieder einer ähnlichen
Verminderung des Rollenabstandes, um JSZ =: JÖZ hervor-
zurufen. Dreimal fand ich bei RA 2 — 3 JSZ >- JÖZ. Der Anstieg
der Curven war immer ganz jäh, bei Pecten varins in der Regel
auch der Abfall (I, 1). Bei einzelnen Exemplaren dieser Pecten-
Art und bei den vier Exemplaren von Pecten Jacobaens, sowie
acht Exemplaren von Pecten giaber, die ich untersuchte, war
der Curvenabfall zuerst auch sehr jäh, zuletzt aber gedehnter
(I, ■!)•
In den letzteren Fällen konnte bei rascher Folge von
Stromschluss und Öffnung allmälig anwachsende Dauer-
contraction, also gewissermassen eine Verstärkung des Tonus
des Muskels, wie dies Biedermann und Pavvlow bei ana-
loger Reizung des Schliessmuskels von Anodonta mittels Ketten-
strömen beobachteten, erzielt werden und sodann ein Ver-
harren in einem gewissen mittleren Contractionszustande,
• ff
während die durch die einzelnen Schliessungen und Offnungen
des Inductionsstromes bewirkten Zuckungen an Grösse allmälig
abnahmen oder bei gleichbleibender Reizfrequenz viel seltener
Stizb. d. mathem.-naturw. Cl.; CI. Bd., Abth. III. '34
48(3 IMi. K'noll,
wurden als. die Reizungen (I; 7, 8;. Ab und zu trat nach solchen
Reizungen eine sehr starke Erschlaffung des Muskels über das
ursprüngliche Mass hinaus auf, wie Pawlow es unter analogen
Verhältnissen bei Anodonta beobachtet und aus der Einwirkung
auf »besondere Theile im Innern der Muskelfasern« zu erklären
versucht hat (I, 8).
Tetanisirende Ströme riefen, wenn der Strom kräftig und
der Muskel nicht durch vorhergehende Reizungen bereits
erschöpft war, eine Dauercontraction hervor, die zur Ver-
zeichnung einer horizontalen Linie führte, von der die Cur\'e
anfangs jäher und dann mehr allmälig wieder abfiel (I, 9). Hielt
die Tetanisirung länger an, so erfolgte in der Regel das Absinken
noch während der Reizung, und zwar dann zumeist unter
zuckungsartigen Schwankungen (I, 1 1). Bei ermüdetem Muskel
konnten solche Schwankungen auch auf der Höhe der Curven
wahrgenommen werden (I, 10), oder es sank die Curve selbst bei
längerer Tetanisirung sofort nach erreichtem Gipfel unter
solchen Schwankungen ab. Sowohl bei Reizung mit Einzel-
schlägen, als namentlich bei tetanisirenden Reizen ermüdet der
Muskel sehr schnell (I, 11 — 13).
Wurde die Reizung am intacten Muskel, also bei Erhalten-
sein des weissen Antheiles vorgenommen, so war bei Anwendung
von Einzelschlägen eine Abänderung der Form der wegen des
geringen Klaffens der Schalen sehr niederen Curven nicht wahr-
nehmbar; bei längerem Tetanisiren aber war ein ungemein
langes Verharren in einem mittleren Contractionszustande (1, 5),
ja zuweilen selbst ein allmäliges Anwachsen desselben während
der Reizung wahrzunehmen (I, 3).
Dass dies auf der Miterregung des weissen Antheiles
beruhte, lehrte der Ausfall der Erscheinung nach Durch-
schneidung desselben (I, 6), sowie seine isolirte Reizung. Diese
blieb nämlich bei Verwendung von Einzelschlägen bei Pecten
ganz wirkungslos, während die Verwendung starker tetani-
sirender Ströme zu einer sehr trägen, aber auch sehr lange,
sogar über die Reizung hinaus anhaltenden und nur ganz all-
mälig nachlassenden Zusammenziehung des Muskels führte (1, 2).
So stellt sich also ein sehr ausgeprägter und den Angaben
I h e r i n g's im Ganzen entsprechender Unterschied in der
Structur und Zuckung der Muskelfasern. 487
Zusammenziehung der beiden Antheile des Schliessmuskels von
Pecteit heraus, ein Unterschied, der wohl ohne Zwang auf die
bei Erschlaffung und Zusammenziehung sich gleich bleibenden
Structurverschiedenheiten der beiden Antheile zurückzuführen
ist, deren einer quergestreift ist, während der andere nur
eine durch der Länge nach angereihte stärker lichtbrechende
Theilchen bedingte Längsstreifung erkennen lässt.
Allerdings sind nicht alle Fasern des gelblichgrauen An-
theiles quergestreift, es finden sich in demselben vielmehr in
der Regel auch homogene Fasern in wechselnder Zahl. Es mag
vielleicht von dem Verhältnisse der beiden Faserarten zueinander
abhängen, ob die Erschlaffung des gelblichgrauen Antheiles
nach Reizung mit einzelnen Inductionsschlägen sich blitzschnell
vollzieht, wie dies bei Pecten varitis in der sehr überwiegenden
Zahl von Fällen beobachtet wurde, oder anfangs jäher und dann
träger, wie es bei Pecten Jacobaeus und glaber zu sehen war.
Area Noae.V'on den beiden Schliessmuskeln dieser Muschel
wurde nur der hintere, aus zwei deutlich gesonderten Antheilen
bestehende benützt, der in seinem weissen Antheil längs-
gestreifte Fasern von derselben Beschaffenheit wie bei Pecteu,
im gelblichgrauen aber im contrahirten Zustande neben längs-
gestreiften und homogenen doppeltschräg- und stellenweise
auch quergestreifte Fasern in überwiegender Anzahl enthält
(2, S. 10, 11). Auch hier klaffen die Schalen beträchtlich, wenn
nach Abtrennung des vorderen der weisse Antheil des hinteren
Schliessmuskels durchschnitten wird. Zu den durch die Brüchig-
keit der Schale hier bedingten Schwierigkeiten der Präparation
gesellen sich solche, welche durch die Beschaffenheit des
Schlosses bedingt sind, das gezahnt ist und durch öfteres
mechanisches Auf- und Zuklappen der Schalen gelockert
werden muss, wobei der Schliessmuskel stark gedehnt wird
und leicht einreisst.
Im Ruhezustande, auch im Wasser, klaffen die Schalen
dieser Muschel etwas, schliessen sich aber auf Reize ziemlich
rasch und öffnen sich hienach viel träger wieder.
Bei Reizung des isolirten grauen Antheiles trat in mehreren
Fällen schon bei RA 8 rw JÖZ, bei einem um 8 — 4 cm geringeren
Rollenabstande JSZ ein, welche bei einer weiteren ähnlichen
34*
488 Ph. Knoll.
Verminderung des Kollenabstandes annähernd gleich stark wie
die JÜZ ausfiel (II, 1 — 3). Die Curven zeigten einen ziemlich
jähen, doch etwas minder steilen Anstieg als die vom gelblich-
grauen Antheil von Pecten gewonnenen, und einen sehr
gedehnten Abfall. Bei rascherer Folge der Reize trat auch hier
ein treppenförmiges Ansteigen der Curve unter Abnahme der
einzelnen Zuckungen {II, 6), bei Anwendung stärkerer tetani-
sirender Ströme ein jäherer Anstieg derselben (II, 8) und
während längerer Tetanisirung noch während der Reizung ein
allmäliges Absinken der Cur\'e ein (11,4). Wiederholte Reizungen
führten auch hier zu rascher Ermüdung. Reizung des isolirten
weissen Antheiles dieser Muschel ergab nur bei Ver-
wendung stärkerer tetanisirender Ströme Curven, und zwar
solche von ganz analoger Beschaffenheit wie die vom weissen
Antheil von Pecten gewonnenen (I, 15). In einem Falle folgte
einer derartigen Reizung regelmässig eine starke, das ursprüng-
liche Mass weit überschreitende Erschlaffung des Muskels
(I, 16).
Reizung des gesammten intacten hinteren Schliessmuskels
ergab bei Verwendung von Einzelschlägen analoge Curven wie
bei Reizung des isolirten grauen Antheiles, bei länger dauernder
Tetanisirung aber nach jäherem Anstieg der Curv^e eine lang
anhaltende allmälig anwachsende Zusammenziehung (I, 14).
So prägt sich also die typische Verschiedenheit in der
Structur der Fasern zwischen dem weissen und grauen Antheil
des Schliessmuskels von Pecten und Area und zwischen dem
grauen Antheil von Pecten einer- und Area anderseits in
typischen Verschiedenheiten der Zuckungscurven aus.
Venus verrucosa. Die Schalen dieser Muschel klafften
selbst nach sechs- bis siebenständigem Trockenliegen sehr
wenig. Die Präparation ist darum und wegen der Dicke und
Brüchigkeit der Schalen recht schwierig, und die beiden
Schliessmuskeln, die je aus zwei deutlich gesonderten Antheilen
bestehen, reissen dabei leicht ein. Nach Durchschneidung des
vorderen und des weissen Antheiles des hinteren Schliess-
muskels klaffen die Schalen etwas mehr, doch auch nicht in
dem Masse, wie dies bei den beiden vorher besprochenen
Muscheln der Fall ist, was begreiflicherweise die Gewinnung
Structur und Zuckung der Muskelfasern. 489
guter Curven sehr erschwert. Indessen gelang es mir doch fest-
zustellen, dass der graue Antheil des hinteren Schliessmuskels
dieser Muschel in allem Wesentlichen auf einzelne Inductions-
schläge (II, 5) und tetanisirende Reize in gleicher Weise reagirt
wie der analoge Muskelantheil von Ajxay mit dem er auch in
der Structur im Wesentlichen übereinstimmt.
Lima inflata. Ich habe an anderer Stelle (2, S. 3 bis 8) ein-
gehend dargethan, dass der Schliessmuskel dieses Thieres
wohl nicht aus zwei makroskopisch deutlich gesonderten
Antheilen besteht, aber in mehrfacher Lage an der Peripherie
und vereinzelt im Inneren die dem weissen Antheil von
Pecteti, Area u. s. vv. eigenthümlichen längsgestreiften dicken
sogenannten fibrillären Fasern neben an Zahl weitaus über-
wiegenden dünnen Fasern enthält, die im gedehnten Zustande
vorwaltend schräg, beziehungsweise doppelt schräggestreift
erscheinen, während sie im contrahirten Zustande zumeist aus-
geprägt quergestreift sind.
Ruhig im Seewasser gelassen klaffen die Schalen dieser
Muschel in der Regel nicht unerheblich. Von Zeit zu Zeit aber
klappen sie jäh zusammen, wodurch das Thier sich ähnlich
wie Pecten kräftig weiter zu schnellen vermag. Während aber
bei Pecten sich die Schalen rasch nach dem Schluss wieder
öffnen und nicht selten (auch bei der Präparation des Schliess-
muskels) Schluss und Öffnung rasch nacheinander sich zwei-
bis dreimal wiederholt, erfolgt das Öffnen der Schalen bei
Lima ziemlich trag.
Dem mechanischen Öffnen der Schalen setzt auch Lima
bedeutenden Widerstand entgegen; während aber bei Pecten
die Überwindung desselben leicht zum Zerreissen des Schliess-
muskels, namentlich seines weissen Antheiles führt, gelingt es
unschwer, den Muskel von Lima unverletzt beträchtlich zu
dehnen, wonach derselbe, wenn das Thier vorher ausgeweidet
wurde, in diesem gedehnten Zustande verharrt. Da hiebei der
Muskel vollständig reizbar bleibt, auch die leicht durchbohr-
baren Schalen so leicht sind, dass sie intact beim Curven-
zeichnen verwendet werden können, sind die Bedingungen für
das Gewinnen guter Curven bei dieser Muschel besonders
günstig. Bei RA 10 — 9 rm erhielt ich in der Regel schon deut-
490 Ph. Knoll,
liehe JÖZ, bei 3 - 4 an geringerem Rollenabstande JSZ und bei
weiterer ähnlicher Verminderung des Rollenabstandes wurden
JSZ und JÖZ gleich stark (II, 11 — 13j. Der aufsteigende Cur\*en-
Schenkel war dabei meistens nahezu ebenso steil wie bei
Pecteu, der Abfall der Curve erfolgte aber immer gedehnter.
Das stufenförmige Ansteigen der Curve bei rasch aufeinander
folgenden Reizungen und die hiebei eintretende Dauercontraction
prägten sich sehr schön aus (II; 7, 10). Auch hier kam es
nachträglich zuweilen zu einer Erschlaffung des Muskels über
das ursprüngliche Mass hinaus (II, 10). Bei länger dauernder
Tetanisirung kam es in der Regel zu einem allmäligen Absinken
der Curve noch während der Reizung, nachher aber zu einem
anfangs jäheren und dann sehr allmäligen Abfall (II, 9).
Wie der Vergleich der Curven lehrt, steht der Ablauf der
Einzelzuckungen hinsichtlich der Schnelligkeit bei Lima uiflata
gewissermassen auf einer Zwischenstufe zwischen jenem beim
gelblichgrauen Antheil von Pecien und beim gelblichgrauen
Antheil von Area und Venus. Und auch die histologische
Beschaffenheit der betreffenden Muskelfasern nimmt eine Art
Zwischenstellung ein, indem, wie ich an anderem Orte dar-
gethan (2), diese bei Lima inflata^ abweichend von Peeten^
nur in verkürztem Zustande quergestreift sind, bei Area
und Venus im verkürzten Zustande aber doppelt schräg-
gestreift und nur an besonders stark contrahirten Stellen quer-
gestreift sind.
Wie ersichtlich ist, lässt sich also am Schliessmuskel der
Bivalven hinsichtlich der Schnelligkeit der Contractionsvorgänge
eine Art Stufenleiter feststellen, auf welcher der graue Antheil
von Peeteii als der flinkste Muskel obenan steht, hierauf der
Schliessmuskel von Lima inflata, dann der graue Antheil von
Venus und Area folgt, und der weisse Antheil von Peeten und
Area (wahrscheinlich wohl auch jener von Venus) zu unterst
steht, eine Art Stufenleiter, der eine analoge hinsichtlich der
Streifung der Muskelfasern entspricht.
Mit Rücksicht auf den Umstand, dass der Schliessmuskel
von Lima hians im Übrigen gleich beschaffen ist wie jener von
Lima inflata^ sich von diesem aber dadurch unterscheidet, dass
er auch im erschlafften Zustande zahlreiche quergestreifte
Structur und Zuckung der Muskelfasern. 49 1
Fasern enthält (2, S. 8), wäre mir ein Vergleich der Zuckungs-
curven dieser beiden Muscheln begreiflicherweise von Werth
gewesen. Wie ich aber schon eingangs hervorgehoben habe,
vermochte ich während meines letzten Aufenthaltes in Triest
nur ein Exemplar von ersterer Art zu erhalten. Aus der Unter-
suchung dieser einen Muschel fühle ich mich aber umso
weniger zu einem Schluss berechtigt, als dieselbe, im Gegen-
satze zu den sonst zur Curvenaufnahme benützten Thieren
wenig reizbar war und nur sehr niedrige Curven ergab.
Zur Vervollständigung meiner Beobachtungen habe ich
auch Zuckungscurven von je mehreren Exemplaren von Cardium
edule und Scrobicularia piperata aufgenommen, welche ruhig
im Wasser gelassen ihre Schalen fest geschlossen hielten.
Weder am vorderen, noch hinteren Schliessmuskel ist hier eine
Sonderung in zwei Theile zu finden, wohl aber enthält der
hintere Schliessmuskel dieser Thiere, der zu den Versuchen
verwendet wurde, neben zahlreichen im verkürzten Zustande
doppelt schräggestreiften Fasern solche von der Beschaffenheit
der sogenannten fibrillären Fasern in sehr grosser Menge. Die
Curven bei Anwendung einzelner Inductionsschläge fielen hier
so niedrig aus, dass ich keinen weiteren Schluss daraus ziehen
kann, als dass durch dieselben auch bei diesen Muskeln
Zuckungen zu erzielen sind (II, 18). Bei Anwendung tetani-
sirender Reize kam es zu höheren Curven mit jäherem Anstieg
und sehr trägem Abfall, bei länger dauernder Tetanisirung auch
zu einer dem ersten Anstieg folgenden ganz allmäligen weiteren
Erhebung der Curven (II, 14). Es verhielt sich also dabei der
Muskel so, wie es bei gleichzeitiger länger währender Tetani-
sirung beider Antheile einer der früher genannten Muschelarten
zu beobachten war, was mit seiner histologischen Beschaffen-
heit in Übereinstimmung steht.
Aus allen angeführten Beobachtungen geht hervor, dass
meine Annahme, dass so grosse Verschiedenheiten, wie sie
sich mir im Bau der Fasern des Schliessmuskels der Lamelli-
branchiaten ergeben, nicht ohne Einfluss auf die Muskelthätig-
keit sein dürften (1, S. 661), begründet war. Besonderes Inter-
esse scheint mir dabei der Umstand zu verdienen, dass wir
hier in einem Muskel einer einzigen Thierclasse histologisch
492 Vh. Knoll.
und functionell den Übergang von der quergestreiften zur
glatten Musculatur zu verfolgen vermögen.
II. Zuckungscurven vom Mantel von Eledone.
Die Beobachtung, dass in der Musculatur der Cephalo-
poden zahlreiche doppelt schräggestreifte Fasern, beziehungs-
weise Faserstellen sich finden, der Bau der Fasern im Ganzen
dabei aber ein ausgeprägt blätteriger ist, Hess es mir wünschens-
werth erscheinen, die Eigenthümlichkeiten in der Zusammen-
ziehung der Musculatur auch hier festzustellen.
Bis zu einem gewissen Grade war dies schon durch die
Beobachtung der Athembewegungen des Mantels dieser Thiere
möglich, dessen freier Rand 23 — 25 mal in der Minute sich jäh
verengert. Behufs graphischer Verfolgung des Vorganges wurde
bei mehreren grossen und drei beiläufig einen Zoll grossen
Eledonen der Kopf derart vom Körper abgetrennt, dass die
spontanen Athembewegungen erloschen; das stumpfe Körper-
ende wurde mittels einer starken Präparirnadel auf der Wachs-
platte einer Präparirschale fixirt, das Muskelhäkchen in den
freien Rand des Mantels eingestochen und die mit demselben
verbundene Schnur schräg ansteigend zu dem (je nach der
Grösse des verwendeten Thieres) mit 10 — 40^ belasteten
Schreibhebel geführt. Zur Auslösung der Zusammenziehung
des Mantels diente in der Regel der Inductionsstrom, doch
wurden wiederholt auch mechanische und chemische Reize ver-
sucht. Da mit letzteren, selbst wenn sie streng local angewendet
wurden, dieselben den ganzen Mantel betreffenden Zusammen-
ziehungen herbeigeführt wurden, wie sie bei Anwendung von
Inductionsströmen auftraten, dürften wohl auch diese nur
reflectorischer Natur sein, ein Umstand, der aber für die Beur-
theilung der Art der Zusammenziehung wohl umso weniger in
Betracht kommt, als ich an dünnen, dem Frosch-Sartorius
ähnelnden, der Länge nach durchströmten Streifen, welche aus
der Mantelmusculatur herausgeschnitten wurden, ganz analoge
Zusammenziehungen zu beobachten vermochte wie am intacten
Mantel. Diese aber waren bei Anwendung einzelner Inductions-
schläge, die von 7 cm RA an wirksam waren, sowie bei einer
Serie solcher und bei Verwendung tetanisirender Ströme, wie
Structur und Zuckung der Muskelfasern. 493
Fi^. 15 — 17, 19 und 20 auf Taf. II erweisen, im Wesentlichen
ebenso beschaffen wie bei Lima iuflata, obwohl zwischen den
Muskelfasern hier und dort, abgesehen von der beiderseits
vorhandenen deutlichen Sonderung der einfach und doppelt
brechenden Elemente nicht unwesentliche Structurverschieden-
heiten bestehen.
III. Zuckungscurven der weissen und rothen Musculatur von
Cistudo europaea.
Ich habe an anderer Stelle (1, S. 686) auf den Unterschied
in der Färbung und Structur zwischen der Extremitäten-
musculatur und der Musculatur an der Wirbelsäule von Cistudo
europaea hingewiesen und angegeben, dass mich vergleichende
Reizversuche an diesen Muskeln lehrten, dass weiss und flink
und roth und trag durchaus nicht zusammenfallen müssen, und
dass ich nach weiterer Durchführung dieser Versuche über die-
selben besonders zu berichten gedenke.
Indem ich hiemit an die Einlösung dieses Versprechens
schreite, sei zuerst daran erinnert dass in der rothen Extremi-
tätenmusculatur von Cistudo Fasern von verschiedenstem
Kaliber durcheinander gemengt vorkommen, die dünneren der-
selben reich an ziemlich dicht stehenden feinen Körnchen und
die dicken verhältnissmässig arm an solchen sind, während die
langen, weissen, zum Zurückziehen des Kopfes dienenden
Muskeln an der Seite der Wirbelsäule fast ausschliesslich aus
an Körnchen armen Fasern zusammengesetzt sind (1, S. 686).
Letztere liegen je zu zweit an den Seiten der Wirbelsäule
und bilden wegen ihrer an den Froschsartorius erinnernden
Beschaffenheit ein günstiges Object für Reizversuche. Benützt
wurde hiebei lediglich der längere Muskel des Paares, der sich
ohne ausgeprägte Sehne am Becken und mit längerer flacher
Sehne an der Schädelbasis inserirt. Diese Muskeln wurden
nach Abtragen des Brustschildes durch Ausweiden des Thieres
blossgelegt, die Extremitäten abgetrennt, dann der feine von
der Wirbelsäule an die Mitte des Muskels gehende Nerv für
die Reizung vorbereitet, hierauf die lange Sehne des Muskels
abgetrennt und in der üblichen Weise mit dem Myographion
verbunden und sodann die Reizung vom Nerven aus vollzogen.
494 Ph. Knoll,
Da an den Extremitäten kein für die isolirte Reizung vom
Nerven aus geigneter Muskel aufzufinden war, wurden hier die
Beuger im Ellbogengelenk von einem dem Nerv, brachialis beim
Frosch analogen, dicken, an den Vorderarm ziehenden Nerven
aus gereizt. Die vordere Extremität wurde zu diesem Behufe
am Schulterblatt eingeklemmt, in der Haut der Vola manus
das Muskelhäkchen befestigt und die Extremität durch ent-
sprechende Belastung am Myographion gestreckt.
Es wurden Zuckungscurv^en von 1 1 Exemplaren von
Cisinäo europaea und einem Exemplar von Tesiudo graeca
aufgenommen, ausserdem noch an zwei Exemplaren von Cisitido
europaea, die anderweiten Vorlesungsversuchen dienten, durch
Betrachtung der Muskeln festgestellt, dass die Erschlaffung der
weissen Musculatur träger ablief als jene der rothen.
Mit Ausnahme eines einzigen Falles, in welchem die
Musculatur der Extremitäten auffallend blass war, verlief die
Zusammenziehung und Erschlaffung der rothen Beuger des
Vorderarms sehr rasch (III; l, 3). Die Zusammenziehung der
weissen Musculatur fiel sehr wechselnd aus, war manchmal
sehr trag, in einzelnen Fällen dagegen nahezu ebenso flink
als jene der rothen; stets aber erfolgte die Erschlaffung
derselben ungleich träger als jene der rothen Extremitäten-
musculatur (III; 2, 4). In zwei Fällen versagte sowohl die
Reizung vom Nerven aus als die directe Muskelreizung, selbst
bei Verwendung stärkerer tetanisirender Ströme gänzlich, in
zwei anderen Fällen mussten als Minimalreiz ungewöhnlich
starke Inductionsschläge in Anwendung gezogen werden, um
eine Zuckung auszulösen. In anderen Fällen wieder trat
schon bei einem Rollenabstand von 21, ja sogar von 33 rw
JÖZ auf.
Macht auch dieses wechselvolle Verhalten der weissen
Musculatur, das wohl auf pathologischen Verhältnissen der-
selben beruhen dürfte, sowie der Umstand, dass von der rothen
Musculatur nicht ein isolirter Muskel gereizt wurde, die Durch-
führung einer genaueren Vergleichung zwischen den beider-
seitigen Zuckungscurven unmöglich, so gestattet doch wohl
der regelmässig weit trägere Ablauf der Zuckungscurve der
weissen Musculatur das Eine zu sagen, dass hier ein Fall vor-
Slruclur und Zuckung der Muskelfasern. 4U5
liegt, auf welchen der Satz, dass die weisse Musculatur flinker
reagirt als die rothe, keine Anwendung finden kann.
Literaturverzeichniss.
1. Ph. Knoll, Über protoplasmaarme und protoplasma-
reiche Musculatur. Denkschriften der mathematisch - natur-
wissenschaftlichen Ciasse der kaiserl. Akademie der Wissen-
schaften. LVIII. Bd., S. 633 fif.
2. Derselbe, Zur Lehre von den doppelt schräggestreiften
Muskelfasern. Sitzungsber. der kaiserl. Akademie der Wissen-
schaften in Wien. Mathem.-naturw. Classe, Bd. CI, Abth. III,
October 1892.
3. G. Schwalbe, Über den feineren Bau der Muskelfasern
wirbelloser Thiere. Schultzens Archiv, Bd. V, S. 205 ff.
4. H. V. Ihering, Über Anomia, nebst Bemerkungen zur
vergleichenden Anatomie bei den Muscheln. Zeitschr. für
wissenschaftliche Zoologie, Bd. 30, Suppl. S. 13 (1878).
5. Th. W. Engel mann, Über den faserigen Bau der con-
tractilen Substanzen, mit besonderer Berücksichtigung der
glatten und doppelt schräggestreiften Muskelfasern. Pflüger's
Archiv, Bd. 25, S. 538 ff.
6. A. Pick, Beiträge zur vergl. Physiologie der irritablen
Substanzen. Braunschweig 1863.
7. Joh. Pawlow, Wie die Muschel ihre Schale öffnet.
Pflüger's Archiv, Bd. 37, S. 6 ff.
8. W. Biedermann, Über die elektrische Erregung des
Schliessmuskels von Anodottta. Sitzungsber. der kaiserl. Aka-
demie der Wissenschaften in Wien. XCI. Bd., III. Abth., S. 29 ff.
9. Ph. Knoll, Über die nach Verschluss der Hirnarterien
auftretenden Augenbewegungen. Ebenda, Bd. XCIV, S. 220 ff.
10. Derselbe, Über einen verbesserten Polygraphen. Präger
medicinische Wochenschrift, 1879, Nr. 21.
41.h;
Ph. Knüll,
Erklärung der Tafeln.
Sämmlliche Curven auf Taf. I und II wurden mittels des im Text
beschriebenen Verfahrens im Monat April in der zoologischen Station in Triest
gewonnen und geben, mit Ausnahme von 15 — 17, 19, 20 auf Taf. II, welche vom
Mantel von Ekdone herrühren, die Contractionsvorgänge am Schliessmuskei
von Bivalven bei Schliessung {s) und Öffnung (o) eines Inductionsstromes oder
Anwendung tetanisirender Inductionsströme (/) wieder. Die den Zeichen s, ö
und / beigefügten Ziffern zeigen den Abstand der secundären von der primären 1
Spirale in Centimetern an. Das Zeichen X markirt das Ende der Tetanisirung, , |
Jedoch nur beiläufig, da das Zeichen immer erst sofort nach beendigter Reizung '
auf dem berussten Papier angeschrieben werden konnte. Wo sich sü — ► ö ver-
zeichnet findet, wurde fortgesetzt in rascher und möglichst gleichmässiger
Folge der Strom geschlossen und geöffnet.
Die Curven 1 — 4 auf Taf. lll geben die Zuckungen von Schildkröten-
muskeln wieder; 1, 2 wurden mittels des im physiologischen Institute der
deutschen Universität in Prag gebräuchlichen Myographion, 3, 4 mittels der im
Text beschriebenen Vorrichtung auf dem berussten Papier am He ring 'sehen
Kymographion verzeichnet. Die Buchstaben s, ö und die beigesetzten Ziffem|^]
haben dieselbe Bedeutung wie auf Taf. I, II, die Abscissenstrecke zwischen je
zwei einfachen senkrechten Strichen hat den Zeitwerth einer Secunde. Sämmtliche
Curven sind von links nach rechts zu lesen.
Tafel I.
Fig. 1, 2, 9 wurden von Peclcn variits gewonnen, und zwar 1, 9 vom isolirten
gelblichgrauen, 2 vom isolirten weissen Antheil des Schliessmuskels.
Fig. 3—8 stammen von PecUn glaber her; 3, 5 bei Reizung beider Antheile,
6 bei Reizung des isolirten gelblichgrauen Antheiles derselben Muschel.
4, 7, 8 wurden ebenfalls vom isolirten gelblichgrauen Antheil gewonnen.
Bei Fig. 7, 8 wurde Schluss- und Öffnung des Stromes fortgesetzt in
möglichst gleichmässigem Tempo vorgenommen, wobei im weiteren
Verlaufe der Reizung die Zuckungen des Muskels weit seltener wurden
als die Reizungen.
Fig. 10 — 13 verzeichnet die Vorgänge bei einer in rascher Aufeinanderfolge
vorgenommenen Serie von Reizungen mit tetanisirenden Strömen am
isolirten grauen .\ntheil von Pectcn Jacobaeus.
Fig. 14 wurde durch gleichzeitige Tetanisirung beider .-\ntheile bei Area
gewonnen.
Fi«4. 1,'), 16. Reizung des isolirten weissen Antheiles von Area.
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Structur und Zuckung der Muskeliasern. 49/
Tafel II.
Fi|!c. 1 — 4, 6, 8. Reizung des isolirten gelblichgrauen Antheiles von Atra.
Fig. 5. Reizung des isolirten gelblichgrauen Antheiles von Venus.
Fig. 7, 9 — 13. Reizung des Schiiessmuskels von Lima inßala; 7, 10 bei gleich-
bleibender Frequenz der Reizungen.
Fig. 14, 18. Reizung des hinteren Schiiessmuskels von Scrobictilaria.
Fig. 15 — 17, 19, 20. Reizung des Mantels einer (ohne die Arme) beiläufig einen
Zoll langen EUdone.
Tafel III.
Fig. 1,3. Reizung der rothen, 2, 4 Reizung der weissen Musculatur von Cisludo
enropaea vom Nerven aus.
498
Zur Lehre von den doppelt schräggestreiften
Muskelfasern
von
Ph. Knoll.
^Mit 2 Tafeln.)
(Vorgeleg^t in der Sitzung am 13. October 1892.)
In einer im Vorjahre erschienenen Mittheilung (1) habe ich
die Frage nach der Structur der doppelt schräggestreiften
Muskelfasern kurz erörtert und indem ich mich hinsichtlich dieser
Fasern bei den Cephalopoden der von Schwalbe (2) für die
Hirudineen aufgestellten Ansicht anschloss, dass die die Faser
zusammensetzenden Muskelblätter in zwei spiraligen Systemen,
von denen das eine der dem Beobachter zugekehrten, das
andere der entgegengesetzten Seite der contractilen Rinde
angehört, um die Marksubstanz herumlaufen (1, S. 670), im
* •
Übrigen die Meinung ausgesprochen, dass nicht alles, was als
Doppeltschrägstreifung erscheint, nach einem und demselben
Schema erklärt werden kann, und dass es immer Sache
besonderer Untersuchung sei, zu ermitteln, worauf in diesem
oder jenem Falle dieses eigenthümliche Bild zurückzuführen
ist (l,S. 663).
Ein Aufenthalt an der zoologischen Station in Triest im
Herbst des vorigen und im Frühling dieses Jahres, bei welchem
ich dem Inspector derselben, Herrn Dr. Ed. Graeff e, für bereit-
willige Beschaffung von Material wieder zu Dank verpflichtet
wurde, regte mich zu weiterer Beschäftigung mit diesem Gegen-
stande an, der mich um seiner Bedeutung für die Fragen nach
der Entwickelung der quergestreiften Muskelfaser in der Thier-
reihe und nach den Vorgängen in den gestreiften Muskelfasern
bei der Zusammenziehung immer wieder anzog, wenn derselbe
auch ausserhalb meines eigentlichen Arbeitskreises liegt.
Doppelt schräggestreifte Muskelfasern. 499
Indem ich nun das Ergebniss langwieriger, mühevoller
Untersuchungen in diesen Blättern kurz darlege, bin ich mir
dabei wohl bewusst, nur einzelne Thatsachen, die für eine der-
einstige Lösung der Fragen, um die es sich hier handelt, heran-
gezogen werden können, beizubringen; da mir aber die eine
oder andere dieser Thatsachen, wie die Umordnung der stark
lichtbrechenden Theile in der Muskelfaser bei der Zusammen-
ziehung recht bemerkenswerth erscheint, und ich nicht weiss,
ob und wann ich den fraglichen Gegenstand weiter zu verfolgen
vermag, glaubte ich mit meiner Darlegung nicht zurückhalten
zu sollen.
Wie widersprechend die Ansichten der verschiedenen Beob-
achter über die Structur der von Schwalbe als doppelt schräg-
gestreift (2, S. 212) bezeichneten Muskelfasern sind, geht schon
zur Genüge aus meinen, sowie aus den ausführlicheren Mit-
theilungen von Ballowi tz (3) über die Literatur dieses Gegen-
standes hervor. Und nimmt man hinzu, dass jüngst Th. Eimer
(4) im Einklang mit einer älteren Mittheilung Margo's (5) angab,
am Schliessmuskel von Anodonta, der seit Engelmann*s (6)
bekannten Untersuchungen gewissermassen als classischer
Repräsentant der doppelt schräggestreiften Musculatur galt,
Querstreifung beobachtet zu haben (4, S. 80, 81), und ausführte,
die »schiefen, gekreuzten und Zickzacklinien würden dadurch
hervorgerufen, dass die Fibrillen aneinander verschoben sind»,
wie man ähnliche Bilder auf Grund derselben Ursache sehr
häufig auch bei den quergestreiften Muskeln der höheren Thiere
finde (S. 84, 85), so dürfte eine weitere Untersuchung dieses
Gegenstandes wohl als ein gerechtfertigtes Beginnen erscheinen.
Mich leitete hiebei zunächst der Gedanke, zu ermitteln,
welche Stellung innerhalb des Muskelgewebes die doppelt
schräggestreiften Muskelfasern einnehmen, ob wir in denselben
eine Abart der fibrillären glatten Muskelfasern vor uns haben,
wie Engelmann annimmt, oder eine durch schräge Anordnung
der doppelt brechenden Theilchen charakterisirte Abart der
gestreiften Muskelfasern, wie Schwalbe behauptete, eine Frage,
deren Beantwortung für unsere Kenntnisse der Entwickelung
der Muskelfaser innerhalb der Thierreihe von Wichtigkeit ist,
und mich in weiterer Folge zum Studium der Zuckungseigen-
1
ÖOO Ph. Knoll,
thümlichkeiten der längsgestreiften, doppelt schräggestreiften
und quergestreiften Muskelfasern der Mollusken veranlasste.
Ich habe mich dabei auf das Studium der Schliessmuskeln
der Lamellibranchiaten und die Musculatur des Mantels, der
Buccalmasse und der Arme der Cephalopoden beschränkt da
diese Objecte alle genannten Faserarten in vvohlausgeprägten
Typen enthalten und, abgesehen von der Buccalmasse der
Cephalopoden, gleichzeitig sich zu Reizversuchen eignen, über
deren Ergebnisse ich aber abgesondert berichten werde.
Die mikroskopische Untersuchung wurde an frischen und
an fixirten Objecten, an gefärbten und ungefärbten Zupf- und
Schnittpräparaten vorgenommen. Am geeignetsten erwies sich
die Untersuchung an, in einer Mischung von Wasser und
Glycerin zu gleichen Theilen liegenden ungefärbten und
gefärbten Zupfpräparaten von fixirten Objecten, namentlich von
in Flemming'scher Lösung (nach dem stärkeren Recept und
nach der von Cori angegebenen Modification) und in Pikrin-
schvvefelsäure fixirten Objecten. Einschluss in Balsam erwies
sich, abgesehen von Präparaten, die für die Untersuchung mit
dem Polarisationsmikroskop bestimmt waren, als unvortheilhaft.
Die Beobachtung erfolgte fast durchaus mittels Zeiss'scher
Öl-Immersionslinsen.
I. Die doppelt schräggestreiften Muskelfasern der Lamelli-
branchiaten.
Den Ausgangspunkt meiner diesbezüglichen Unter-
suchungen bildete der Schliessmuskel von Lima inßaia, in
welchem, wie ich bereits angegeben (1, S. 660), einfach und
doppelt schräg-, sowie quer- und längsgestreifte Fasern neben
einander vorkommen.
Lima inflata. Der Schliessmuskel dieses Thieres erscheint
in seinem ganzen Umfange weiss, sehnig glänzend, auf dem
Querschnitte aber gelblichgrau. Makroskopisch ist eine Son-
derung in zwei Antheile nicht vorhanden, mikroskopische
Schnitte durch die Dicke des ganzen Muskels lehren aber, dass
die dem sogenannten sehnigen Antheile des Schliessmuskels
anderer Muscheln eigenthümlichen dicken, ausgeprägt längs-
Doppell schräggestreifte Muskelfasern. öOl
gestreiften Fasern den Muskel an seinem ganzen Umfange in
mehrfacher Lage umsäumen, vereinzelt eingesprengt, aber auch
im Inneren desselben vorkommen.
Das Thier, dessen Schalen bei voller Ruhe stets etwas
klaffen, setzt dem gewaltsamen Öffnen derselben erheblichen
Widerstand entgegen, der aber ohne das bei anderen Muscheln
so leicht eintretende Zerreissen des Muskels überwunden
werden kann, so dass der Schliessmuskel desselben unversehrt
beträchtlich gedehnt werden kann, in welchem Zustande er
dann verharrt. Eine ähnliche Verlängerung erfährt der Muskel
beim Absterben des Thieres spontan.
Nach Abtrennung von einer Schale schrumpft der künst-
lich stark gedehnte Muskel unter Umständen bis auf den vierten
Theil der erreichten Länge zusammen. Viele Fasern zeigen
dann eine starke Kräuselung, was mir für eine Mitbetheiligung
elastischer Kräfte an der Verkürzung zu sprechen scheint.
Mit Rücksicht auf die Angabe Engelmann 's, dass bei
Anodottta alle Fasern des Schliessmuskels, auch wenn sie dem
gelben Theil entnommen sind, zwar deutlich fibrillär, aber nicht
deutlich oder doch nur unter sehr spitzem Winkel doppelt
schräggestreift erscheinen, wenn der Muskel im gedehnten
Zustande fixirt wurde, dagegen an allen Fasern und an nahezu
allen Stellen aller Fasern stark ausgesprochene doppelte Schräg-
streifung sichtbar ist, wenn der Muskel ad maximum, und end-
lich wohl an vielen Stellen aber an keiner Faser in ihrer ganzen
Länge Doppeltschrägstreifung zu finden ist, wenn er in
geringerem Maasse verkürzt fixirt wurde (6, S. 555 — 557), habe
ich die Untersuchung am Schliessmuskel von Lima inflata bei
verschiedenen Graden der Dehnung, beziehungsweise Ver-
kürzung desselben vorgenommen.
Im Ganzen wurde der Schliessmuskel von 21 sehr ver-
schieden grossen Exemplaren dieser Muschelart untersucht,
hievon acht im gedehnten, die übrigen im Zustande verschieden-
gradiger Verkürzung. Sechs hievon, durchwegs sehr kleine
Exemplare, gehörten nach Bestimmung des Prof. Dr. Boettger
in Frankfurt a. M. wahrscheinlich der var. hesperia an.
Zunächst ist hervorzuheben, dass sowohl in den gedehnt,
wie in den verkürzt, frisch in Seewasser oder in ein Drittel-
Sitzb. d. mathera.-naturvv. CK; CI. Bd., Abth. III. 35
502 Ph. Knüll,
beziehungsweise absolutem Alkohol, osmiumreicherer und
osmiumärmerer Flemming'scher Lösung (Modification von
Cori) und Pikrinschvvefelsäure fixirten Objecten doppelt schräg-
gestreifte Fasern zu finden waren, weit zahlreicher sogar in den
gedehnten Muskeln als in den verkürzten, in welchen letzteren
die quergestreiften Fasern überwogen. Wenn ich den Unter-
schied des Schliessmuskels von Lima inflata im verkürzten
und gedehnten Zustande mit Schlagworten kennzeichnen sollte,
müsste ich den Muskel im ersten Falle als quergestreift, im
letzteren als doppelt schräggestreift bezeichnen. Dabei fanden
sich aber in beiden Fällen zahlreiche Fasern, die in der Structur
von der Hauptmasse der Fasern in verschiedener Weise ab-
wichen, was das Zusammenfassen der Befunde von einem ein-
heitlichen Gesichtspunkte aus sehr erschwert.
Die Durchmusterung einer überaus grossen Zahl von
ungefärbten oder in Hämatoxylin gefärbten Zupf- und Schnitt-
präparaten von den in 50 zu 70 und 907o ansteigendem Alkohol
nachgehärteten Objecten lehrte, dass im gedehnten wie im ver-
kürzten Muskel die Fasern, abgesehen von einer wechselnden
Zahl von homogenen, in der schwach lichtbrechenden, in
Hämatoxylin nicht oder doch nur schwächer sich färbenden
Grundsubstanz stärker lichtbrechende und in Hämatoxylin sich
stärker färbende Theilchen von in den einzelnen Fasern sehr
wechselnder Anordnung enthielten.
In den gedehnten Muskeln überwogen weitaus die Fasern,
in welchen diese Theilchen entweder regellos verstreut, oder in
Längsreihen (Taf. I, Fig. 1 ; Taf. II, Fig. 1) oder in von der Faser-
axe mehr oder weniger abweichenden Schrägreihen (Taf. II,
Fig. 2 — 4; Taf. II, Fig. 4 — 6) angeordnet waren. Oft machten
diese Schrägreihen den Eindruck fein gekörnelter Fibrillen, an
denen eine leichte wellige Biegung wahrzunehmen war (Taf. II
Fig. 5). Bei wechselnder Einstellung trat dann zumeist, so auch
bei der eben bezeichneten Faser, ein System entgegengesetzt
verlaufender solcher Streifen hervor. War die wellige Biegung
stärker, so entstand der Eindruck einer eigenthümlichen zopf-
artigen Durchflechtung jener fibrillenartigen Züge (Taf. I,Fig. 2,3),
wobei sich die einzelnen fibrillenartigen Reihen stärker licht-
brechende»- und stärker sich färbender Theilchen, oft linienartig
Doppelt schräggestreifte Muskelfasern. 503
mit einander verschmolzen, immer nur auf kürzere Strecken im
ununterbrochenen Zusammenhange verfolgen Hessen.
Nicht selten aber auch erschienen die Schrägreihen stärker
lichtbrechender Theilchen bandartig verbreitert und letztere
zuweilen durch helle Zwischenräume weiter von einander
gesondert (Taf. I, Fig. 19), wodurch ein Bild entstehen kann, das
der von Schwalbe (2, Taf. XIV, F'ig. 4) gegebenen Abbildung
einer doppelt schräggestreiften Faser sehr ähnelte. In der Regel
konnte ich mich aber dann durch vorsichtig wechselnde Einstel-
lung davon überzeugen, dass dieses Bild durch die Kreuzung
zweier in verschiedenem Niveau liegender und verschieden
gerichteter Systeme von hellen und dunklen Bändern bedingt
war. In anderen Fällen aber konnte ich auch bei wechselnder
Einstellung nur ein System solcher Streifen wahrnehmen, das
aber unter Umständen seine Richtung innerhalb einer und
derselben Faser wechselte (Taf. II, Fig. 4, 6; Taf. I, Fig. 4).
In dem stark verkürzt fixirten Muskel fanden sich neben
den vorwaltenden quergestreiften Fasern stets theils vereinzelt,
theils in Gruppen, Fasern von derselben Beschaffenheit wie im
gedehnten Muskel, während anderseits in diesem wieder an ein-
zelnen Fasern an gewissen Stellen eine nur einen Theil der
F'aserbreite durchsetzende Querstreifung zu sehen war (Taf. II,
Fig. 1), wie Vosseier (7) sie jüngst von Anthropodenmuskeln
abgebildet hat, an Faserwülsten wohl auch eine über die ganze
Faserbreite sich erstreckende Querstreifung fand.
Die mannigfaltige Erscheinungsform der Querst'reifung,
der Wechsel zwischen Quer- und Schrägstreifung und einer
regellosen Vertheilung der stark lichtbrechenden Theilchen, das
Vorkommen dachsparrenartiger Zeichnung und der Übergang
von dieser in die Querstreifung an einer und derselben Faser,
sowie die gleichzeitige, an Alkoholpräparaten oft sehr aus-
geprägte fibrilläre Längsstrichelung der Fräsern ergibt sich
genügend aus den Fig. 5 auf Taf. I, und 3, 10. 11, 12, 14, 16 auf
Taf. II. Aus allen diesen Beobachtungen aber wird sich meines
Erachtens kaum ein anderer Schluss ziehen lassen als der, dass
die stärker lichtbrechenden und stärker sich färbenden Theilchen,
welche die Zeichnung der Fasern des Schliessmuskels von Lima
inflata bedingen, überaus labil sind, bald linienartig mit einander
504 Ph. Knoll,
verschmelzen, bald wieder zu gröberen, weiter von einander
gesonderten Partikeln zusammentreten und unter dem Einfluss
richtender Kräfte aus der Längs- in die Schräg- und Queranord-
nung übergeführt werden.
Dass unter diesen richtenden Kräften die bei der Zusammen-
ziehung der Faser thätigen wohl in erster Reihe stehen, scheint
mir nicht bloss aus dem Unterschiede zwischen den verkürzt
und erschlafft fixirten Objecten, sondern insbesondere daraus
hervorzugehen, dass man an Fasern, an denen sich ein Wulst
findet, zuweilen den Übergang aus der Längs- durch die Schräg-
stellung in die innerhalb des Wulstes herrschende Querstellung
beobachten kann (Taf. II, Fig. 13), wobei aber bemerkt werden
muss, dass die Querstreifung an Faserwülsten oft nur an
einer Stelle deutlich ist, ja, dass diese sehr häufig im Ganzen
nur unregelmässig granulirt oder homogen und glänzend
erscheinen.
Ob wir in der spiraligen Biegung der fibrillenartigen Reihen
stärker lichtbrechender Theilchen, welche so häufig zu finden
ist, den Beginn der zur Anordnung dieser Theilchen in Quer-
reihen führenden Bewegung zu suchen haben, lässt sich nach
Erscheinungen, wie sie auf Fig. 13, Taf. II dargestellt sind, nicht
geradezu verneinen, doch finde ich auch keine ausreichenden
Anhaltspunkte dafür, dies geradezu zu behaupten.
Ebenso zurückhaltend muss ich mich hinsichtlich der
Frage aussprechen, ob die auf Fig. 1, Taf. II abgebildete
partielle Querstreifung auf Entwickelungsvorgänge oder auf
stellenweise Faserthätigkeit zu beziehen ist.
Dass die stärker lichtbrechenden und stärker sich färbenden
Theilchen Disdiaklasten-Gruppen sind, ist nicht nur nach ihrer
stärkeren Lichtbrechung und Färbung, sondern insbesondere
dadurch wahrscheinlich, dass breitere, stärker lichtbrechende
Streifen an diesen Muskelfasern an in Glycerin liegenden
Alkoholobjecten bei gekreuzten Nicols auf Gyps, Roth erster
Ordnung, blau erscheinen.
Bei Zuleitung schwacher Essig- oder Ameisensäure unter
dem Deckglase werden selbst breite Quer- oder Schrägstreifen
an diesen Fasern rasch auf eine feine Linie reducirt, die bald
darauf auch verschwindet.
Doppelt schräggestreifte Muskelfasern. oOo
Im Zusammenhange hiemit findet man an dem Goldver-
fahren unterzogenen Fasern in der Regel keine Structur-
Zeichnung oder nur feine, an eingekerbten Faserstellen liegende
rothe Linien. Bei der Vergoldung sehr schwach angesäuerter
Objecte aber oder von Alkoholpräparaten, kann man auch breite,
rothe Streifen zur Darstellung bringen, die in letzterem Falle
wohl auch noch eine fibrilläre Strichelung erkennen lassen
(Taf. I, Fig. 20).
Inwieweit der Umstand, dass man bei Lima inflata die
Umordnung der in der erschlafften Faser in Längsreihen ange-
ordneten Disdiaklasten-Gruppen zu Querreihen bei der Con-
traction beobachten kann, als Stütze der von Eimer (4) ent-
wickelten Ansicht zu dienen vermag, dass die Querstreifung
der Muskelfasern nur Product ihrer Thätigkeit ist und bei den
höheren Thieren gewissermassen nur infolge ihrer anhaltenden
Thätigkeit stabilisirt erscheint, muss ich ganz dahingestellt sein
lassen. Der Umstand aber, dass man bei den sofort anzuführen-
den nahe verwandten Arten, bei denen, soweit ich dies zu er-
mitteln vermochte, eine wesentliche Verschiedenheit der Lebens-
weise nicht besteht, die Fasern wenigstens in gewissen Ab-
schnitten des Schliessmuskels dauernd quergestreift findet,
scheint mir nicht sehr für diese Ansicht zu sprechen.
Lima hians (2 Exemplare) und squamosa (4 Exemplare^,
Pecten Jacobaeus (5 Exemplare), varius (2 Exemplare) und
glaber (2 Exemplare). Bei allen diesen Lamellibranchiaten finden
sich am gedehnten, wie am verkürzten Schliessmuskel aus-
geprägt quergestreifte oder solche Fasern, bei denen die Streifen
nur ganz wenig von der Querlage abweichen in grosser Zahl,
die bei dem makroskopisch mit jenem von Lima irtßafa ganz
analogen Schliessmuskel von Lima hians, abgesehen von der
Peripherie, die Hauptmasse des Muskels ausmachen, bei Lima
squamosa, wo wenigstens an grösseren Exemplaren eine deut-
lichere Sonderung in einen weissen und gelblichgrauen Antheil
vorhanden ist, sowie bei den Pecten-Arten, bei denen beide
Antheile scharf gesondert erscheinen, nur in dem letzteren, und
zwar in der Regel vermengt mit homogenen Fasern vorkommen.
Wohl finden sich auch hier dachsparrenartig gezeichnete F'aser-
stellen, oder solche, wo die Streifen stärker schräg liegen, ver-
'")0G Ph. Knoll,
einzelt, sehr selten auch solche, wo die Schrägstreifen innerhalb
einer Faser nach verschiedener Richtung laufen. Ab und zu
stösst man auch auf eine Faser mit partieller Querstreifung
(Taf. I, Fig. 6). Im Ganzen aber beherrscht, und zwar sowohl
im gedehnten, wie im verkürzten Zustande des Muskels eine
durch verhältnissmässig breite, meist ausgeprägt fibrilläre und
oft in der Mitte aufgehellte Streifen bedingte Querstreifung das
Bild vollständig (Taf. I, Fig. 7 — 10, 16). Es ist gewissermassen
als ob sich hier bereits eine Stabilisirung der bei Lima inflata
noch sehr labilen, stärker lichtbrechenden Theilchen in Quer-
reihen und damit der Übergang zur eigentlichen quergestreiften
Muskelfaser vollzogen hätte.
Die Doppelbiechung der stärker lichtbrechenden Streifen
ist bei diesen Pectiniden noch ausgeprägter als bei Lima
inflata^ das Verhalten gegen Säuren und Chlorgold das Gleiche.
Bei allen Pectiniden fand ich an Schnitt- und Zupfpräparaten
an einer Anzahl von Fasern kolbige Enden, die oft noch,
wenigstens an dem der übrigen Faser zugekehrten Theile, eine
sehr feine Querstreifung erkennen Hessen, sonst aber nur un-
regelmässig granulirt oder homogen erschienen. Ich muss es
dahin gestellt sein lassen, ob es sich dabei immer um Contractions-
wülste handelte, da nicht selten auch den von Margo bei
Aiiodonta und den Cephalopoden beschriebenen Sarkoplasten
(5, Fig. 6, 7) ähnelnde, an beiden Enden kolbig abgerundete sehr
kurze Fasern von gleicher Structur wie jene kolbigen Faser-
enden vorkamen.
Ebenso wie Schwalbe, der letztere Gebilde im Schliess-
muskel von Mytihts bobachtet hat (2, S. 237), habe ich Kerne
an denselben vermisst, und kann gleich diesem ȟber die
Bedeutung derselben kein sicheres Urtheil fällen«.
Der Umstand, dass die Structur dieser Gebilde mit jener
von unzweifelhaften Contractionswülsten übereinstimmt und
dass dieselben sich auch bei erwachsenen Thieren zahlreich
finden, lässt es meines Erachtens nicht ausschliessen, dass man
in denselben oder wenigstens in einem Theile derselben voll-
ständig contrahirte Fasern vor sich hat, wobei es freilich immer
noch zu erklären bliebe, wie es kommt, dass hiebei der aussen-
ständige Kern unsichtbar wird.
Doppelt schräggestreifte Muskelfasern. oO/
Endlich habe ich noch 7U bemerken, dass ich mich diesmal
im Gegensatze zu meiner ersten Beobachtung über diesen Punkt
(1, S. 660) davon überzeugt habe, dass die zuerst von
Wagener (8), bei Lima »spec». beobachtete dachsparrenartige
Zeichnung bei den Pectiniden auch an Fasern vorkömmt, die
bei keinerlei Einstellung Doppeltschrägstreifung zeigen (Taf. 1,
Fig. 4, 5, 9; Taf. II, Fig. 11, 12).
Area (5 Exemplare), Venus verrucosa (3 Exemplare), Ano-
donta (8 Exemplare), Unio pictorum (6 Exemplare), Scrobi-
cularia piperata (4 Exemplare), Cardium edule (2 Exemplare).
Während die früher erwähnten Lamellibranchiaten Mono-
m^^arier sind, gehören die eben angeführten zu den Dimyariern.
In der Regel wurde hier nur der hintere Schliessmuskel der
Untersuchung unterzogen, der bei den ersten vier angeführten
Arten eine ausgeprägte Sonderung in einem »sehnigen« (weissen)
und »glasigen« (gelblich grauen) Antheil erkennen lässt,
während dies bei Scrobicularia und Carditim nicht der Fall ist.
Der Vergleich zwischen gedehntem und verkürztem Muske
wurde hier nur bei Auodonta und ('nio vorgenommen. In Über-
einstimmung mit den Angaben Engelmann's erwiesen sich
die Fasern hier auch im »glasigen« Antheile im gedehnten
Zustande in der Hauptmasse längsgestreift, im verkürzten
Zustande dagegen zumeist doppelt schräggestreift, wobei in der
Regel nachzuweisen war, dass die beiden sich kreuzenden
Streifensysteme in verschiedenem Niveau liegen. Doch muss
ich hervorheben, dass an Muskeln, welche stark gedehnt durch
24 Stunden in osmiumreicherer Flemming*scher Lösung fixirt
und dann von den Schalen abgelöst in derselben Flüssigkeit
und hierauf in Alkohol von steigender Dichte nachgehärtet
worden waren, neben einer erheblichen Zahl homogener oder
unregelmässig granulirter Fasern und neben sarkoplastenartigen
ausgeprägt quergestreiften Gebilden (Taf. I, Fig. 18) auch nicht
wenige Fasern zu finden waren, die an verdickten Stellen un-
zweifelhafte in Hämatoxylin sich färbende Querstreifen zeigten
(Taf. I, Fig. 21), und dass vereinzelt Fasern vorkamen, welche
Übergang aus der Längs- in die Doppeltschrägstreifung,
beziehungsweise in die einfache Schräg- und Querstreifung
erkennen liessen (Taf II, Fig. 2).
508 Ph. Knoll,
Anderseils fand sich auch im ad maximum verkürzt fixirten
'»glasigen« (gelben) Antheil von Anodonta und Unio, wie in dem-
selben Antheile von Area und Venus und bei Scrobictdaria und
Cardium, die alle nur in stark verkürztem Zustande untersucht
wurden, stets eine Anzahl von Fasern, die wenigstens stellen-
weise Längsstreifung erkennen Hessen (Taf. I, Fig. 12). Längs-,
Schräg- und Querstreifen erwiesen sich in der Regel bei Ver-
wendung eines apochrom. Systems von Zeiss 2-0 mm, Com-
pensat. Ocul. 4 — 6 aus einzelnen stärker lichtbrechenden
Theilchen zusammengesetzt, welche oft noch durch eine etwas
schwächer lichtbrechende und schwächer sich färbende Sub-
stanz verbunden erschienen (Taf. I, Fig. 12 — 15, 17,21,22).
Nicht selten aber, namentlich an Alkoholpräparaten waren die
Streifen linienhaft.
Am klarsten trat die Zusammensetzung der stärker licht-
brechenden Streifen (in dem »glasigen« Antheil der genannten
Lamellibranchiaten) aus einzelnen kleinen Theilchen
gewöhnlich an den auch hier nicht seltenen Übergangsstellen
von der Längs- und Schräg- zur Querstreifung hervor (Taf. I,
Fig. 17; Taf. II, Fig. 2, 7). Doch konnte ich mir dieselbe auch an
im Ganzen doppelt schräggestreiften Fasern in der Regel dadurch
zur Anschauung bringen, dass ich möglichst scharf nur auf das
dem Beobachter zugekehrte Streifensystem einstellte (Taf. I,
Fig. 11, 13, 15, 22), wobei dann auch der Eindruck einer Art
von Doppeltschrägstreifung entstand. Weniger deutlich war
dies aus naheliegenden Gründen an dem bei tieferer Ein-
stellung hervortretenden zweiten, gekreuzt verlaufendem
Streifensystem.
Recht schlagend, namentlich an den in osmiumreicherer
Flemming'scher Lösung fixirten Objecten, trat in der Regel
die Zusammensetzung aus einzelnen und zwar hier meist etwas
gröberen Theilchen, an den stärker lichtbrechenden Streifen
der Fasern des »sehnigen« Antheiles aller angeführten Lamelli-
branchiaten hervor, bei denen ein solcher deutlich gesondert
sich findet. Die Anordnung derselben aber war hier im gedehnten
wie im ad maximum verkürzten Zustande stets von der Längs-
axe nicht oder nur ganz wenig abweichend; die den Fasern des
glasigen Antheiles eigenthümliche Labilität dieser Theilchen
Doppelt schräggestreifte Muskelfasern. 509
fehlte also hier. Möglicherweise hängt hiemit die Verschiedenheit
in der Zusammenziehung dieser beiden Antheile, über die ich
besonders berichten werde, zusammen.
Alles zusammengenommen, muss ich mit Engelmann die
Doppeltschrägstreifung in den Fasern des Lameilibran-
c h i a t e n - Schliessmuskels auf einen Contractionsvorgang
zurückführen. Aus zahlreichen Beobachtungen muss ich ferner
schliessen, dass die stärker lichtbrechenden Theilchen dabei
in den Fällen, wo die Richtung der Streifen mit der Einstellung
w'echselt, in der That in Spiralen um die Faseraxe angeordnet
sind, und da man nicht selten die Kreuzung der in verschiedenem
Niveau liegenden Streifen bis an die Spitze der Fasern verfolgen
kann, vermag ich mich auch nicht der von Fol aufgestellten (9)
und später auch von Ballowitz (3, S. 320) vertretenen Ansicht
anzuschliessen, dass es sich nur um Anordnung in einem Spiral-
system handelt, dessen dem Beobachter zu- und abgewendete
Hälften sich kreuzen, sondern muss mit Engelmann Anreihung
in zwei verschieden gewundenen Spiralsystemen annehmen.
Zweifelhaft muss ich es lassen, ob eine Anordnung der
stärker lichtbrechenden Theilchen in Spiralen auch an voll-
ständig erschlafften Fasern oder Faserstellen besteht. Es müsste
sich dann um einen so gedehnten Verlauf der Spirale handeln,
dass ich die Abweichung von der Längsaxe nicht mehr aufzu-
fassen vermochte.
Worin ich mich aber von der Ansicht Engelmann 's ent-
fernen und jener Schwalbe's nähern muss, der die Doppelt-
schrägstreifung durchwegs auf schräggestellte Reihen doppelt
lichtbrechender Theilchen zurückführt (2, S. 213), das ist, dass
ich die Streifen der doppelt schräggestreiften Fasern nicht als
homogene Fibrillen, sondern als Reihen von fibrillenartig ange-
ordneten Disdiaklastengruppen von grosser Labilität ansehen
muss. Wohl besitzen die Fasern eine gewisse Neigung zur
Spaltung in der Richtung jener Reihen (^Taf I, Fig. 11, 14, 22);
anderseits aber konnte ich auch nicht selten, insbesondere an
Alkoholpräparaten, und hier wieder namentlich bei Lima inflata
(Taf II, Fig. 3, 6, 10), aber auch bei Area und Venus eine Zer-
r)lO Ph. Knoll,
theilung der Faser in feine, die Richtung der stark lichtbrechen-
den Streifen kreuzende Fibrillen beobachten.
Ich kann danach auch die Fasern, um die es sich hier
handelt, nicht lediglich als glatte Muskelfasern mit besonderem
\'erlaufe der Fibrillen betrachten, sondern erblicke in denselben
eine Übergangsform zu den bei einer Anzahl von Pectiniden
bereits in wohl ausgeprägten Typen vorkommenden quer-
gestreiften Fasern.
II. Die doppelt schräggestreiften Muskelfasern der Cephalo-
poden.
In meiner eingangs erwähnten Monographie habe ich
bereits eine mit Abbildungen versehene Beschreibung dieser
Fasern gegeben, aus der ich folgerte, dass die Deutung nahe
liegt, dass die Doppeltschrägstreifung hier dadurch zu Stande
kommt, »dass die die Faser zusammensetzenden Muskelblätter
in zwei spiraligen Systemen, von denen das eine der dem Beob-
achter zugekehrten, das andere der entgegengesetzten Seite der
contractilen Rinde angehört, um die Marksubstanz herum-
laufen«.
Seitdem hat Ballowitz (3), ohne von meiner ja erst kurz
vorher erschienenen und in einer grösseren Monographie ein-
geschachtelten Darstellung Kenntniss zu besitzen, eine ein-
gehendere, im Wesentlichen mit der meinen übereinstimmende
Beschreibung dieser Fasern veröffentlicht.
Drei Punkte sind es aber, in denen unsere Deutung der
Befunde von einander abweicht. Während Ballowitz die in
Gold sich färbenden Streifen der Rinde mit den schwach licht-
brechenden Streifen der ungefärbten Präparate identificirt, habe
ich dieselben als aus den stark lichtbrechenden Streifen hervor-
gehend angesehen. Und da für meine Auffassung der Umstand
spricht, dass die stark lichtbrechenden und die in Gold gefärbten
Streifen feiner sind als die anderen und häufig eine körnige
Beschaffenheit zeigen, die anderen aber nicht, muss ich auch
heute noch an derselben festhalten.
Ballowitz betrachtet ferner die stark lichtbrechenden,
blätterigen Streifen als fibrilläre, die schwach lichtbrechenden
als interfibrilläre Substanz. Ich musste früher diese Frage un-
Doppelt schräggestreifte Muskelfasern. 511
beantwortet lassen, und glaube nun, da ich in Übereinstimmung
mit einer älteren Angabe Margo's (5, S. 570) die ersteren
Streifen unter Verwendung von Gypsblättchen doppelt, die
letzteren einfach brechend fand, dass es sich hier überhaupt
nicht um einen Wechsel von fibrillärer und interfibrillärer Sub-
stanz im gewöhnlichen Sinne, sondern um eine Schichtung von
einfach und doppelt brechender Substanz handelt, deren ersterer
man eine Betheiligung am Contractionsvorgange schon aus dem
Grunde kaum wird absprechen können, weil es bei den Cephalo-
poden zahlreiche, nur aus schwach lichtbrechender Substanz
bestehende Muskelfasern gibt.
Ballowitz führt ferner mit Fol die Doppeltschrägstreifung
auf Kreuzung der beiden Hälften eines einzigen Systems von
Spiralfasern zurück (3, S. 320).
Ich muss dem gegenüber bemerken, dass man auch an
den Cephalopodenmuskelfasern häufig die Doppeltschräg-
streifung bis an das Faserende verfolgen kann, habe aber ausser-
dem zu Gunsten meiner Ansicht Fig. 23 auf Taf. I beizubringen,
welche das Rissende einer doppelt schräggestreiften Faser aus
der Buccalmasse von Eledone, und zwar bei hoher (a),
mittlerer {b) und tiefer {c) Einstellung wiedergibt.
Ich habe in meiner eingangs erwähnten Monographie
darauf aufmerksam gemacht, dass bei den Cephalopoden neben
den ausgeprägt doppelt schräggestreiften Fasern, welche zu-
gleich dicker sind und eine verhältnissmässig breitere Rinden-
substanz besitzen, Fasern vorkommen, die scharf ausgeprägte
Längsstreifung mit nahezu, aber nicht vollständig parallelem
Verlauf dieser Streifen zur Faseraxe besitzen (1, S. 669).
Ich habe dabei die Frage aufgeworfen, ob etwa genetische
Beziehungen zwischen diesen beiden Faserkategorien bestehen,
es aber als sehr unwahrscheinlich bezeichnet, dass die erste
dieser Faserkategorien etwa nur einen Contractionszustand der
zweiten darstellt.
Ich habe diese Beziehungen in neuerlichen Untersuchungen
verfolgt und ein Übergehen der einen in die andere Faserart
nicht selten nachweisen können (Taf. II, Fig. 8, 9, 15). Nach
den im ersten Capitel angeführten Beobachtungen und Er-
wägungen aber und nach Bildern, wie sie die eben angeführten
512 Ph. Knoll,
Figuren wiedergeben, scheint mir die Ansicht, dass die erste
Faserart nur einen Contractionszustand der zweiten darstellt,
durchaus nicht abzuweisen.
Ich muss auch hier anführen, dass ich bei einigen zoll-
grossen Eledonen, die ich im Frühjahre in Triest zu untersuchen
Gelegenheit hatte, durchaus nicht auffallend mehr »Sarco-
plasten« fand, als bei erwachsenen Thieren. Anderseits aber
führte auch die Untersuchung an Mantelmusculatur, die in stark
contrahirtem Zustande durch Injection von Osmiumsäure ins
Gewebe jfixirt worden war, zu keinem schlagenden Ergebnisse.
Möglicherweise könnten Beobachtungen an ganz schlaffer,
nicht mehr erregbarer Musculatur zum Ziele führen.
Jedenfalls scheint mir die Frage nach der Natur der »Sarco-
plasten« weiterer Verfolgung, auch auf dem Wege entwicklungs-
geschichtlicher Untersuchung werth.
Verzeichniss der angeführten Literatur.
1. Ph. Knoll, Über protoplasmaarme und protoplasma-
reiche Musculatur. Denkschriften der mathem.-naturw. Classe
der kaiserl. Akad. in Wien, Bd. LVIII, S. 633 ff.
2. G. Schwalbe, Über den feineren Bau der Muskel-
fasern wirbelloser Thiere. Schultze's Arch., Bd. V, S. 205 ff.
3. E. Ballowitz, Über den feineren Bau der Muskel-
substanzen. Ebenda, Bd. XXXIX, S. 291 ff.
4. Th. Eimer, Die Entstehung und Ausbildung des
Muskelgewebes. Zeitschr. für wiss. Zool., Bd. LIII, Suppl. S. 67 ff.
5. Margo, Über die Muskelfasern der Mollusken. Sitzungs-
ber. der Wiener Akad., mathem,-naturu'. Cl., Bd. XXXIX, S. 559 ff.
6. Th. ?Zn gel mann. Über den faserigen Bau der con-
tractilen Substanzen, mit besonderer Berücksichtigung der
glatten und doppelt schräggestreiften Muskelfasern. Pflügers
Arch., Bd. XXV, S. 551.
7. Vosseier, Untersuchungen über glatte und unvoll-
kommen quergestreifte Muskeln der Arthropoden.Tübingen, 189 1 .
8. G. R. Wagen er, Über die Muskelfaser der Evertebraten.
Arch. von Reichert und Du Bois-Re\^mond, 1863, S. 211.
9. Fol, Sur la structure microscopique des muscles des
mollusques. Compt. rend., T. 106, p. 300.
Doppelt schräggestreitte Muskelfasern. ol3
Erklärung der Abbildungen.
Sämmtliche Figuren, mit Ausnahme von Taf. I, 23 und Taf. II, 8, 9, 15,
stammen vom Schliessmuskel von Lamellibranchiaten her und sind mit Ver-
wendung von Zeiss'schen Systemen gezeichnet. Nur bei Taf. I, Fig. 1 1 wurde
eine Reichert'sche Öl-Immersion V20 verwendet. Mit Ausnahme der auf Taf. I,
Fig. 2, 3 und 23 gezeichneten, die in Canadabalsam lagen, waren sämmtliche
Präparate in einer Mischung von Glycerin und Wasser zu gleichen Theilen
eingeschlossen.
A. bedeutet Fixation in absolutem, AV3 in Drittelalkohol, F in osmium-
reicherer Flemming'scher Lösung, FC in der osmiumärmeren Cori'schen
Modification derselben, P in Kleinenberg'scher Pikrinschwefelsäure, H
Färbung in Grenach er'schem oder Böhme r'schem Hämatoxylin. Die Ziffern
und Buchstaben am Ende jeder Figurenerklärung zeigen die verwendeten
Systeme an, wobei Ap. »Apochromat« bedeutet.
Tafel I.
1—4. Lima inflata, gedehnt. A ^A,. H. 1—3: Ap. 6; 2 mm; 4:2; 1/12.
5. Lima inflala, verkürzt. A. H. Ap. 6; 2 mm,
6. Lima squamosa, verkürzt. FC. H. Ap. 4; 2 mm.
7. Pecten Jacobactts, gedehnt. FC. H. Ap. 4; 2 mm.
8. Pecten varius, verkürzt. FC. H, Ap. 4; 2 mm.
9. Lima squamosa, verkürzt. FE. H. Ap. 4; 2 mm.
10. Pecten JacobaenSy gedehnt. FC H. Ap. 4; 2 mm.
11. Venus verrucosa f xerküTZi. P. H. Reichert, 2; '/.»o Öl-Imm.
12. Anodonia^ verkürzt. .\ V3. H. Ap. 6; 2 mm.
13. Anodontaj gedehnt. A Va- H. Ap. 6; 2 mm.
14. Anodontay verkürzt. A Vs- H. 6: 2 mm.
15. Venus verrucosa, vertcürzt. P. H. 6; 2 mm.
16. Lima squamosa, verkürzt. FC. H. Ap. 4; 2 mm.
17. Area, verkürzt. P. H. Ap, 4; 2 mm.
18. Anodonta, gedehnt. F. 2; 1/12.
19. Lima inflata, gedehnt. A Va- Ap. 4; 2 mm.
20. Dasselbe. Anwendung des Löwit'schen Goldverfahrens auf das in 50 bis
90% Alkohol nachgehärtete Object. Ap. 4; 2 mm.
21. Anodonta, gedehnt. F. H. 2; 1/12.
22. Venus verrucosa, verkürzt. P. H. Ap. 6; 2 mm.
23. Eledone, Bucc&lmasse.FC. H. 2; 1/13. aj bei oberflächlicher, b) bei mittlerer,
cj bei tiefer Einstellung gezeichnet.
«>14 Ph. KnoU. Doppelt schrüj^gestrcifte Muskelfasern.
Tafel IL
1. Litna tnjlala, gedehnt. FC. Ap. 4; 2 ;/////.
2. Anodonta, gedehnt. F. 2; 1/12.
3. Lima inflata^ verkürzt. FC. Ap. 4; 2 mm.
4. Dasselbe. A J/g. 2; 1/12.
5. Dasselbe. F. Ap. 6;2fifw.
6. Dasselbe, verkürzt. A 1/3. 2; 112.
7. Arcüy verkürzt. A. 2; 1 12.
8. 9. EUdottCj Buccalmasse. FC. Ap. 4; 2 mm.
10 — 13. Lima inflata, verkürzt. FC. 10: 2; 1/12, 11 — 13: Ap. 4; 2 mm.
14. Dasselbe. A ^'3. Ap. 4; 2 mm.
15. EledonCy Buccalmasse. FC. Ap. 4; 2 mm.
16. Lima inßata, verkürzt. F. 2; 1/12.
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515
Zur Anatomie der Nebenniere
von
Meinhard Pfaundler,
stud. med.
Aus dem anatomischen Institute der k. k. Universität in Graz.
(Mit 2 Tafeln.)
Das Ergebniss der vielen und eingehenden, von verschie-
denen Forschern vorgenommenen Untersuchungen über den
Bau der Säugernebennieren ist keineswegs derartig, dass man
sagen könnte, die Kenntniss von der Anatomie dieser Organe
sei zu einem befriedigenden Abschlüsse gebracht.
Bei Durchsicht der Literatur findet man widersprechende
Angaben und noch viele der Lösung harrende Fragen. Besonders
auffallend erscheint es, dass die Beschreibungen der Neben-
nierenstructur für manche sonst nahe verwandte Säugerarten
sehr beträchtliche Abweichungen bieten, so dass man zur
Meinung gelangen muss, es liege dem Bau der Nebennieren
kein einheitliches, aligemeines Gesetz zu Grunde. Alexander
Dostoiewsky* äussert geradezu, dass die Rindensubstanz
der Nebenniere durchaus nicht bei allen Thieren denselben Bau
besitze, wesshalb auch die Darstellung der Structurverhältnisse
nicht »in einem Rahmen« geschehen könne.
Die vorliegende Abhandlung versucht es, zu unseren
Kenntnissen über die descriptive Anatomie der Nebennieren
einiger Säuger einen kleinen Beitrag zu liefern; es sei gleich
1 Alexander Dos toiewsky, Materiale zur mikroskopischen Anatomie
der Nebennieren. Dissertation, Petersburg 1884.
'>16 M. Pfaundler,
im Vorhinein die Bemerkung gestattet, dass sich dieselbe in
einem eng begrenzten Felde bewegt, und daher manche
während der Untersuchung sich aufdrängende Fragen, deren
Studium entwicklungsgeschichtliche und weit ausgedehnte ver-
gleichend-anatomische Untersuchung erfordert hätte, nicht ein-
gehender berücksichtigt wurden.
Am meisten machte die Erforschung des Baues der Rinden-
substanz zu schaffen, da diese im Anfange der Untersuchung
bei verschiedenen Säugern in der That wesentlich abweichende
Befunde ergab; erst im weiteren Verlaufe zeigte sich, dass die
richtige Erkenntniss des Rindenbaues in hohem Grade von der
Behandlung der Objecte und insbesondere von der Orientirung
der Schnitte abhängig sei. Nicht entsprechend behandelte und
in schlechter Orientirung geschnittene Objecte können leicht
zu irrthümlichen Anschauungen Veranlassung geben und
darin ist vielfach die Ursache der sich wiedersprechenden
Literaturangaben zu finden. In dieser Hinsicht sei erwähnt,
dass sich z. B. die auffallend differenten Beobachtungen der
Autoren über das Fehlen oder Vorhandensein und über die
Breitenverhältnisse gewisser Rindenzonen nur durch Befunde
an mannigfach schräg geführten Schnitten erklären lassen.
Es scheint nicht nothwendig, der Arbeit eine ausführliche
Literaturübersicht vorauszuschicken, da frühere Forscher,
namentlich Räuber,* Dostoiewsky* und in jüngster Zeit
Alexander' eine solche in erschöpfender Weise geboten
haben.
Zur Untersuchung wurden herangezogen die Nebennieren
des Menschen und der folgenden Säuger: Affe; Katze, Hund;
Maulwurf, Igel; Fledermaus; Maus, Ratte, Meerschweinchen,
Kaninchen; Rind, Ziege; Pferd und Schwein.
1 Huso Räuber, Zur feineren Structur der Nebennieren. Inaugural-
Dissertation. Berlin, 1881.
- Alex. Dostoiewsk y, Ein Beitrag zur mikroskopischen Anatomie der
Nebennieren bei Säugethieren. 1886. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 37, S. 272.
'* Carl Alexander, Untersuchungen über die Nebenniere und ihre
Beziehungen zum Nervensystem. Ziegler's Beitr. d. path. .Anat. u. allg. Path.
Band XI, Heft 1, 1S91. S. 14.')- 197.
Anatomie der Nebenniere. 517
Die Organe stammten von Thieren verschiedenen Alters
und Geschlechtes; sie wurden lebenswarm entnommen,
unter möglichster Schonung in Stücke zerlegt und der weiteren
Behandlung zugeführt.
Da ich beobachtet hatte, dass verschiedene Fixirungs- und
Färbungsreagentien sehr verschieden auf die Elemente der
Nebenniere einwirken, versuchte ich bei allen Thieren möglichst
viele Methoden der Behandlung.
Zur Fixirung und Färbung dienten:
Absoluter Alkohol, der sich als sehr brauchbar erwies;
Essigsäure -Sublimat, Chromsäure P/o» Kaliumbichromat 57o»
Erlyki'sche und Müller'sche Flüssigkeit (im Brütofen 8 — 10
Tage), Pikrinschwefelsäure nach Kleinenberg, ^I^^^/q Platin-
chlorid, Flemming'sche, Hermann'scheFlüssigkeit, Osmium-
säure lo/o und Sublimat-Pikrinsäure nach Rabl. Ferner wurde
die durch Ramon y Cajal modificirte Golgi'sche Osmium-
silbermethode verwendet.
Zur Färbung dienten: Alauncarmin, Pikrocarmin, Alaun-
cochenille, Boraxcarmin, die Hämatoxylinlösungen von Böh-
mer, Kleinenberg, Ehrlich, Friedländer, ferner Safifranin
und andere Anilinfarben, sowie verschiedene Vergoldungs-
methoden.
Die gehärteten Objecte wurden mit Toluol und Paraffin
behandelt und meist in Schnittserien zerlegt. Zur Isolirung der
Gewebselemente eignete sich Drittelalkohol und 107o Koch-
salzlösung.
Injectionen wurden mittelst Dr. Grübler's Leiminjec-
tionsmasse oder dessen wasserlöslichen Berlinerblau vorge-
nommen. Es empfiehlt sich venös — bei klemen Thieren
durch das rechte Herz in die Vena cava inf., bei grösseren
durch die Vena suprarenalis oder eine Vena phrenica — und
zwar bei unterbundenen Leber- und Nierengefässen einzu-
spritzen. Arterielle Injectionen ergaben nie ein völlig befriedi-
gendes Resultat; überhaupt bieten die Ausspritzungen derNeben-
nierengefässe ziemliche Schwierigkeiten.
Der Bau der Nebennierenrinde ist durchaus radiär und
dies macht es erklärlich, dass eine richtige Auffassung und
körperliche Anschauung ihrerStaicturverhältnisse am sichersten
Sitzb. d. mathem.-n.iturw. CK; CI. Bd. Abth. III. '^0
518 M. Pfaundler,
durch die Combination der Bilder von streng radiären und
darauf senkrecht geführten, Oberflächen -parallelen Schnitten
erreicht werden könne. Schräge Schnitte werden nur dann
verstanden und richtig gedeutet, wenn Beobachtung der in
der angegebenen Weise genau orientirten Schnitte vorausge-
gangen ist.
Am klarsten unter allen untersuchten Säugethieren stellt
sich dieStructur der Nebenniere beim Pferde dar, deren Studium
aus diesem Grunde bereits durch v. Brunn* empfohlen wurde.
Ich lege meiner Beschreibung die der Pferdenebenniere zu
Grunde und werde an geeigneter Stelle Beobachtungen über
die gleichen Organe anderer Thiere anführen.
Anlangend die makroskopischen Verhältnisse der
Pferdenebenniere, so ergab sich zunächst als auffallender
Befund eine Asymmetrie der rechten und linken Nebenniere,
welche in allen acht untersuchten Fällen (an 6 männlichen und
2 weiblichen gesunden Pferden im Alter von 8 — 20 Jahren)
beobachtet wurde.
Die rechte Nebenniere ist flach und oval mit Durchmessern
von 272» 4 und 6 cm; die linke lang gestreckt, walzenförmig,
am unteren Ende medialwärts hakig umgebogen, 8 an lang, je
2 cm breit und dick. Der Querschnitt zeigt die starke binde-
gewebige Kapsel, die dunkle Rindenzone um das helle Mark.
An die innere Oberfläche der Kapsel grenzt der äussere Theil
der Rindensubstanz als schmaler, braunrother Saum; ihm folgt
eine breite innere Zone, welche im peripheren Theil gelbrosa,
gegen innen allmälig dunkler und endlich graubraun gefärbt ist
und sich mittelst eines hellgelben Streifens scharf gegen das Mark
absetzt. Feinere und stärkere radiäre Bindgewebsbalken durch-
ziehen, von der Kapsel ausgehend, die Rinde und bedingen
deren radiären Bruch. Die derbe, ziemlich widerstandsfähige
Rindensubstanz umgibt dasgleichmässigweisslichgrau gefärbte
Mark, welches von weicher, breiiger Consistenz ist
i A. V. Brunn, Ein Beitrag zur Kenntniss des feineren Baues und der
Entwicklungsgeschichte der Nebennieren. Arch. f. mikr. Anat 1872. VIII. Bd.,
S. 620.
Anatomie der Nebenniere. 519
Die Rindenmarkgrenze ist am frischen Organe sehr scharf
-erkenntlich, stellenweise nach innen oder aussen buchtig er-
weitert; das Massenverhältniss von Rinde und Mark wechselt
zwischen weiten Grenzen und ist im Durchschnitte etwa 4:1.
0
Die makroskopische Anatomie der Organe anderer Thiere
betreffend, wäre den Literaturangaben beizufügen, dass bei
Hunden und Katzen die Nebenniere meist beiderseits in zwei
Lappen getheilt ist, welche sich nur durch eine schmale, mark-
lose Brücke miteinander verbinden und sich eng an die
zwischenliegende Vene anschliessen.
Beim Affen, bei der Ziege, beim Meerschweinchen und
Igel ist die Nebenniere oval bis nierenförmig; bei der Ratte,
Maus, Kaninchen und Fledermaus besitzt sie ungefähr die
Gestalt einer dreiseitigen Pyramide, deren Basis der Niere
aufliegt.
Bei allen Thieren steht die rechte Nebenniere topographisch
in unmittelbarer Beziehung zur Vena cava inf. und liegt meist
ganz v^on der Leber bedeckt. Bei den Nagern und anderen
ist die Nebenniere beiderseits von einem eigenthümlichen
fettähnlichen Gewebe umschlossen. Die Farbe der durch die
Kapsel schimmernden Rindensubstanz ist beim Ochsen,
Schweine und der Ziege braunroth, bei allen anderen Thieren
weiss bis gelb.
A. Bau der Rinde.
I. Die Anordnung des Bindegewebes und der «Rinden-
stränge«.
Die Rindensubstanz besteht bei allen untersuchten Thieren
aus Fortsätzen der sie einhüllenden bindegewebigen Kapsel,
aus Blut- und Lymphgefässen, Nerven und specifischen zelligen
Elementen: den Rindenzellen.
Alle erwähnten Theile zeigen eine durchaus radiäre
Anordnung; und zwar die Rindenzellen, insoferne sie zu
radiären Zellreihen (»Rindensträngen« , »Zellsäulen«,
» Rindencylindern «) zusammentreten , die Bindewebsbalken,
Gefässe und Nerven, indem sie von der Kapsel direct gegen
die Rindenmarkgrenze verlaufen.
36*
r)2() M. IM'aundler,
Nicht bei allen Thieren tritt der strahlige Bau der Kinde
SU deutlich hervor, wie etwa beim Pferde, beim Hunde und
Kaninchen; er ist kaum erkenntlich beim Schweine und der
Ziege. Es hängt dies mit der mehr oder minder mächtigen
Entwicklung der von der Kapsel abgehenden Bindegewebs-
balken zusammen. Je stärker und zahlreicher diese sind und je
mehr sie in die Tiefe dringen, umso klarer tritt die radiäre An-
ordnung der Rindenstränge zu Tage und umso deutlicher wird
ihre Individualisirung.
1. Kapsel und deren Fortsätze in die Rinde. Die
bindegewebige Kapsel stellt beim Pferde eine 80 — 120|i
starke Membran dar, welche in den äusseren Schichten fast
durchwegs aus dicht verfilzten, elastischen Fasern, in den
inneren Schichten aus fibrillärem Bindegewebe mit stäbchen-
förmigen bis ovalen oder runden Kernen und spärlichen elasti-
schen, selten contractilen Elementen besteht.
Die Kapsel (Taf. I, Fig. 1, k) entsendet starke, lamellen-
artige Dissepimente centralwärts , welche am radiären
Schnitte als breite, in Abständen von etwa 160|x entspringende
Fortsätze (im) erscheinen. Die Lamellen lassen sich bis unge-
fähr V:, ^^^ gesammten Rindenbreite verfolgen, lösen sich hier
in feine, radiäre Fasern auf, die sich mitunter noch bis an
die Markgrenze hinziehen.
Das Gewebe der Lamellen besteht aus bindegewebigen»
elastischen Fasern und spärlichen Muskelzellen.
In den Lamellen verläuft ein Theil der Rindenge fasse;
es sind dies feine Arterien, welche durch die Kapsel eingetreten
sind, längs ihres ganzen Verlaufes nach allen Seiten kurze
Äste abgeben und sich noch vor der Rindenmarkgrenze ver-
lieren.
Auf dem Tangentialschnitt erscheinen die Lamellen zu
einem Netze verbunden, wie es Kölliker's* Zeichnung
(Fig. 374) und Fig. 2, Im auf Taf. I, zeigen, aus welch' letzterer
auch ersichtlich ist, dass die Kapselfortsätze keine cylindri-
schen, baumartig sich verzweigenden und den Gefässwandungen
^ A. V. Külliker, Handbuch der Oewebelehre des Menschen. Füntie
Auflage, 1867, S. 514 ff.
Anatomie der Nebenniere. o2 1
adventitiell aufgelagerten Bindegewebszüge sind, wie dies
neuere Autoren annahmen, sondern in der That breite, zu-
sammenhängende, die Rindenstränge umschliessende Scheiden
darstellen.
Neben diesen Lamellen finden sich beim Pferde, Hunde
und anderen Säugern noch makroskopisch sichtbare, ungemein
mächtig entwickelte Balken vor, welche die ganze Rinde durch-
setzen und starke Gefässe in das Mark eintreten lassen. Diese
Balken sind weniger zahlreich und entsenden gleich der Kapsel
nach allen Seiten hin Lamellen vom oben beschriebenen Bau,
welche in diesem Falle als secundäre Äste aufzufassen sind.
Diese mächtigen Balken sind nichts anderes, als Ein-
ziehungen der bindegewebigen Kapsel in das Rindeninnere,
die durch den Eintritt starker Arterien ins Mark bedingt werden.
Relativ fast ebenso stark wie beim Pferde sind dieBinde-
gevvebslamellen und die Balken beim Hunde und Kaninchen
entwickelt; viel schwächer sind sie beim Affen, der Fledermaus,
Katze, Maus, Ratte, Meerschweinchen, Ziege, Rind, sehr zart
beim Schweine und bei allen jungen Thieren. BeimKaninchen
herrschen die elastischen Fasern in den Lamellen so stark
vor, dass diese meist einen welligen Verlauf nehmen, welches
Verhalten charakteristisch ist.
Von grossem Werthe für die Darstellung des binde-
gewebigen Rindenstromas sind die Fixirungsmethoden mit
Osmiumsäure.
2. Rindenstränge. Durch die radiär gestellten Fächer,
welche die Fortsätze der Kapsel erzeugen, ist die radiäre An-
ordnung der Rindenzellen bedingt. Die Verhältnisse an den
Rindensträngen, namentlich deren Beziehungen zu den lamellen-
artigen Fortsätzen erscheinen ziemlich verwickelt und, so viel
über dieselben schon angegeben wurde, gelangt man doch zu
keiner richtigen Vorstellung vom Sachverhalte beim Vergleiche
der verschiedenen Beschreibungen. Von der weitaus grössten
Bedeutung sind in dieser Hinsicht die folgenden Mittheilungen
KöUiker's:* »Auf senkrechten Schnitten erkennt man zier-
liehe strangförmige Bildungen, welche in den äusseren Theilen
J L. c. S. 51H.
522 M. Pfaundler,
der Rinde aus lang gestreckten, schmalen, quergelagerten
Zellen bestehen, die aufs täuschendste gewissen Cylinder-
epithelialzellen gleichen, weiter nach innen kürzere, mehr
rundliche und rundlich- eckige Zellen zeigen. Von diesen
Cylindern hängen in der Regel je zwei an der Oberfläche bogen-
förmig zusammen und zwischen denselben liegt eine an Blut-
gefässen reiche, faserige Bindesubstanz mit Bindegewebs-
körperchen, die zum Theile in der Gestalt von Scheidewänden
zwischen den Rindensträngen erscheint und von der äusseren
Hülle aus zwischen dieselben sich erstreckt, zum Theile
zwischen je zwei verschmolzenen Rindencylindern ihre Lage
hat. Genauere Aufschlüsse über diese Bildungen gewähren
erst Flächenschnitte der Rinde, welche zeigen, dass die ver-
meintlichen Rindencvlinder selten wirklich solche sind, sondern
meist bandartige, oft der Fläche nach gewundene Stränge dar-
stellen, ja selbst als geschlossene Ringe erscheinen, so dass sie
schlauchförmigen Drüsen gleichen. Es gehören som.it häufig"
zwei scheinbar selbständige Cylinder des Längsschnitts zu-
sammen, und sind die bogenförmigen Anastomosen derselben,
die auch He nie erwähnt und als solche deutet, nicht wirklich
solche, sondern nur die Enden eines und desselben bandartigen
Rindenstranges, der hier canalartig geschlossen zu denken ist,
während er weiter einwärts in einen erst fast geschlossenen^
und dann nach und nach sich öffnenden Halbcanal umwandelt.
Weiter nach innen, wo die Rindenstränge kleinere Zellen ent-
halten, beginnen dieselben alle, auch die, welche vorher nicht
schon rinnenförmig ausgehöhlt waren, verschiedentlich in der
Fläche sich zu krümmen und ergeben Flächenschnitte dieser
Gegend mannigfach gewundene und in einander greifende
Zellenstränge (die Querschnitte der Rindenstränge), während
auf senkrechten Schnitten scheinbar schmale parallele Cylinder
zum Vorschein kommen. Hier beginnen dann auch, wie es
scheint, die einzelnen Rindenstränge untereinander zusammen-
zuhängen und schliesslich ein Netz zu bilden, dessen Lücken
von den Blutgefässen eingenommen sind.««
In der ganzen Nebennieren-Literatur von 1867 an finden
sich nur an zwei Stellen Angaben, welche je einen Theil
dieser wichtigen Beobachtungen Kölliker's bestätigen.
F
Anatomie der Nebenniere. OS,o
V. Brunn* betont, dass sich die Zellen der äusseren Rinden-
schichte (Kolli ker's »langgestreckte, quergelagerte«) all-
mäligund innerhalb der Ze listränge in die Zellen der
mittleren Rindenschichte verwandeln; er leitet aus
diesem Verhalten die gleiche, gemeinsame Herkunft beider
Zellformen ab.
Creighton^ bestätigt einige andere Angaben Kolli ker's,
nämlich die, welche den Querschnitt der Stränge betreffen,
schliesst sich aber der Ansicht dieses Autors von dem Zustande-
kommen der bogenförmigen Anastomosen nicht an, und stellt den
directen Übergang der Cylinderzellen in die inneren Rinden-
zellen und die Fortsetzung der Stränge in die innere Rinden-
schichte ausdrücklich in Abrede.- Über v. Brunnes diesbe-
zügliche, oben erwähnte und ganz richtig gedeutete Beob-
achtung spricht er sich folgendermassen aus: »The attempt of
V. Brunn to show that these structures are really continuous
at their lover ends with the tissue internal to them, and that
there is essentially nothing to separate the one kind of structure
from the other, can only be regarded as an effort of perverse
ingenuity setting aside the common sense view ofthecase.«
An keiner Stelle gehen die genannten Autoren näher auf
Kölliker's Untersuchungen ein und andere neue Arbeiten
lassen dieselben ganz unberücksichtigt: es scheint demnach
angezeigt auf sie zurückzukommen und die vorliegenden Be-
funde mit denen Kölliker's zu vergleichen.
Was zunächst den Radiärschnitt betrifft (Taf. I, Fig. 1), so
zeigen sich hier die Räume zwischen den Lamellen als arkaden-
artige Fächer, in welchen die Rindenstränge (Taf. I, Fig. 1 p)
enthalten sind. In der Mehrzahl der Fälle liegen je zwei
Stränge in einem Fache; sie schliessen sich dann einerseits
dicht an das Gewebe der Kapselfortsätze an, anderseits be-
grenzen sie einen centralen Spalt (Taf. I, Fig. 1 g), um dessen
peripheres, kolbenartig erweitertes Ende sie unter Bildung
eines äusserenBogens (Taf. I, Fig. a^^) ineinander übergehen.
In anderen Fächern liegt keine solche »Rindenschleife«,
1 L. c. s. 623.
'- C. Creighton, A theory of the homology of the suprarenals, bascd
on Obsen'ations. Journal of .A-nat. and Phys. Vol. XIII.
»">-4 M. Pfaundler.
sondern ein einfacher Strang, der in gestrecktem Verlaufe die
Kapsel erreicht und den Raum zwischen den Fortsätzen ganz
erfüllt.
Man kann sich in diesem Falle leicht vorstellen, dass auch
dieser Strang einer Rindenschleife angehört, deren Beugungs-
ebene jedoch zur Schnittebene senkrecht stand und deren
zweite Hälfte dementsprechend in den nächst höheren oder
tieferen Schnitten enthalten sei, worauf mitunter auch das
Aussehen des Stranges an der Kapsel hinweist.
Diese Vermuthung Hess sich manchmal an Serien be-
stätigen; anderemale aber zeigte sich, dass der Strang sich
nicht weiter fortsetzte, dass also in der That manche Fächer
keine Rindenschleifen, sondern einfache Rindenstränge (ein-
fache Zellsäulen) enthalten.
Sowohl die beiden Schenkel der Rindenschleifen, als die
einfachen Stränge, die in gleicher Weise aus cylindrischen,
aneinander gereihten Zellen bestehen, gehen, ohne von ihrer
Richtungslinie gegen das Mark abzuweichen, in einer be-
stimmten Entfernung von der inneren Kapseloberfläche in etwas
schmälere Säulen aus kubischen (»rundlich-eckigen« Kölliker)
Zellen über; diese dringen, dicht an die Kapselfortsätze sich
haltend, in radiärem Verlaufe tief in das Rindeninnere ein.
Es ist sehr schwer, die Säulen hier weiter zu verfolgen,
doch gelingt dies an manchen günstigen Stellen und es zeigt
sich dann: In der Mehrzahl der Fälle gehen die beiden,
einem gemeinsamen Bindegewebszuge anliegenden,
also aus benachbarten Fächern stammenden Zell-
stränge um das centrale Ende des Balkens in einem
nach aussen concaven Bogen (innerer Bogen) in-
einander über (Taf. I, Fig. 1 ibg); niemals konnte beobachtet
werden, dass die beiden aus demselben Fache stammenden
Stränge in irgendwelche Beziehungen treten, vielmehr setzt
sich der zwischen ihnen betindliche, oben erwähnte Spalt noch
(Taf. I, Fig. 1 g) weiter fort und zieht — beide Stränge trennend
— bis an die Rindenmarkgrenze.
Dieser Spalt ist nichts anderes, als ein Gefäss, dessen
Wandung aus einer kernreichen Intima besteht, und welches
von der concaven Seite der Strangbeuge an die ganze Rinde
Anatomie der Nebenniere. 525
durchzieht, um mit den Bluträumen im Mark zu communi-
ciren.
Manchmal lagern sich um die Wandung dieser Gefässe
zarte Bindegewebszüge, wodurch sie sich dann in ihrem Bau
wenig von den in den Lamellen laufenden Gefässen unter-
scheiden. Kölliker^ fasst beide Arten von Geweben als
»•gefässreiche, faserige Bindesubstanz« zusammen.
Wie Arnold* erwiesen hat, sind die »Rindenschläuche«
der älteren Autoren' nichts anderes als jene Zellsäulen und die
»Membrana propria« derselben ist die Wandung des eben
erwähnten Gefässes.
Von den Bindegewebszügen der Kapsellamellen ziehen
seitliche Aste gegen das centrale Gefäss, und zwar finden
sich diese im Bereiche der cylindrischen Zellen in Form
senkrecht abzweigender, den Strang leicht gewölbt über-
brückender Fasern, im Bereiche der »rundlich-eckigen» Zellen
als stärkere Faserzüge (Taf. I, Fig. 1 h), die sich in kurzem,
schief nach innen gerichteten Verlaufe noch weiter verästeln.
Die letzteren schienen auch Gefässästchen zu enthalten; sie
senden ihre feinsten Ausläufer um die Zellen und bilden
dadurch die durch v. Brunn* erwähnten »korbartigen« Um-
hüllungen derselben.
1 L. c. s. 516.
- J. Arnold, Ein Beitrag zu der feineren Structur und dem Chemismus
der Nebennieren. Virchow's Arch. f. path. Anat. u. Phys. Band 35. 1866.
^ AI. Ecker, Der feinere Bau der Nebennieren. Braunschweig 1846. —
G r a n d r j' , Memoire sur la structure de la capsule surrenale etc. R o b i n s, Journal
de TAnat. et de la Phys. 1867. — Frey, Suprarenal capsules. Cyclopaed.
Vol. 4, pag. 827. — G erlach. Gewebelehre, 2. Aufl. S. 258. — Hassel,
Mikroskopische Anatomie, 1849. 11. und 12. L S. 370. — Luschka, Ana-
tomie d. Menschen, Bauch. S. 372. — Henle, Zeitschrift f. rat. Med. Bd. XXIV.
H. 1 u. Handbuch der systero. Anat. d. Menschen. 1866. II. Bd. S. 561. ff.
•* L. c. S. 620. Die gleiche Beobachtung machten G. J Osten. Der feinere
Bau der Nebenniere. Arch. f. Heilkunde. Heft 2. Räuber, (S. 16) und Arnold.
L. c. 1864. S. 97 ff. — Mors, Über den feineren Bau d. Nebenniere. Virch.
Arch. Bd. XXIX. S. 357; im Gegensatze zu Leydig, Lehrbuch der Histologie,
Frankfurt, 1857. und Werner, De capsul. suprarenal. Diss. Dorpat 1857,
welche grössere Rindenzellcomple.xe in gemeinsamen Bindegewebsmaschen
angaben.
Ö26 M. Pfaundler,
Das bindegewebige Stroma ist in dem äusseren Theile der
inneren Rindenschichte stärker entwickelt, als weiter central-
wärts.
Wenn man den inneren Bogen (Taf. I, Fig. 1 ibg) ins Auge
fasst, so zeigt sich häufig, dass sich dieser mittelst einer
schmalen Zellsäule fortsetzt, die — von seiner convexen Seite
entspringend — in gewundenem Verlaufe gegen das Mark zieht
(Taf. I, Fig. \f). Diese Endstücke der Rindenstränge pflegen
miteinander zu anastomosiren (Taf. I, Fig. 1 an), sich zu theilen,
oder zu verschmelzen und können auf diese Weise das Netz
bilden, welches von den meisten Autoren ' angegeben woirde,
und in Taf. I, Fig. 3, Querschnitt durch den inneren Rinden-
antheil (nahe dem Marke), dargestellt ist.
In manchen Fällen theilen oder vereinen sich auch die
Rindenstränge in den peripheren Abschnitten in mannigfacher
Art, namentlich an der Cbergangszone der cylindrischen Zellen
(Fig. 1 c) in die rundlich-eckigen (Fig. 1 /?), sowie weiter central-
wärts (Taf. I, Fig. 1 /).
An einem Oberflächen-parallelen Schnitt durch den
äussersten Rindenantheil unmittelbar unter der Kapsel (Taf. I,
Fig. 2) bilden die querdurchschnittenen Rindenstränge meist
ringförmige Complexe (Fig. 2 A), welche das dünnwandige
centrale Gefäss (Taf. I, Fig. 2 g) umschliessen. Die Hauptaxen
der Cylinderzellen stehen im Ringe radiär. Häufig ist auch (wie
auf Taf. I, Fig. 2 B zu ersehen) der Ring an einer Stelle durch-
brochen. Selten finden sich massive Strangquerschnitte (Taf. I,
Fig. 2 Q.
Die ring- und die halbringförmigen Querschnitte gehören
solchen Strangformen an, die sich am radiären Schnitte
als Strangpaare mit bogenförmigen Anastomosen (Rinden-
schleifen) darstellten; die massiven Querschnitte entsprechen
den erwähnten soliden Säulen.
Man gewinnt hieraus eine körperliche Vorstellung.
In den jetzt körperlich gedachten, durch breite Lamellen
gebildeten F'ächern, die einerseits durch die Kapsel verschlossen
^ M. Güttschau, Structiir und embryonale E)ntwicklung der Neben-
nieren bei Säugethieren. Arch. f. Anat. und Entwicklungsgeschichte 1883.
S. 412. ff. — V. Brunn, Kölliker 1. c.
Anatomie der Nebenniere. o2 /
sind, anderseits gegen das Mark sich öffnen, liegen folgende,
durch Rindenzellen aufgebaute Formen:
1. An der Kapsel kuppenförmig geschlossene Hohl-
cylinder (Taf. I, Fig. l abg, Fig 2 D).
2. durch Halbkuppen abgegrenzte Rinnen (Taf. I, Fig 2 B) und
3. massive, bandartige Stränge (Fig. 2 C)
Im Lumen des Hohlcylinders und der Rinne verläuft
jedesmal das erwähnte dünnwandige Gefäss.
Am Radiärschnitte ist zu ersehen, dass der einem Kapselfort-
satz anliegende Zellstrang (Taf. I, Fig. 1 a) nicht nur mittelst eines
äusseren Bogens (Taf. I, Fig. 1 abgebildet) an der inneren
Kapseloberfläche mit dem anderen Zellstrang desselben Faches
in Verbindung tritt, sondern auch am centralen Ende des
Kapselfortsatzes mittelst eines inneren Bogens (Taf. I, Fig. 1
abgebildet) mit dem benachbarten Zellstrang (Taf. I, Fig. 1) des
angrenzenden Faches zusammenhängt. In Erwägung dessen,
drängt sich der Gedanke auf, dass die ganze Anordnung
des Rindenbaues auf eine ursprünglich mit einer
einfachen Zellage bekleideten, zu vielen ver-
schiedengestalteten Falten centralwärts einge-
zogenen bindegewebigen Kapsel zurückzuführen sei.
Die gefässhaltigen Lamellen würden den beiden ver-
wachsenen Blättern der eingezogenen Kapsel entsprechen; die
in Kapselfächern gelegenen einfachen Zellstränge wären als
solide, die Einfaltung vertretende Wucherungen der Zellage
anzusehen.
Eine Sicherstellung der Annahme, dass die Rinde der
Nebenniere durch einen Einfaltungsvorgang entstanden sei, ist
freilich nur durch entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zu
gewinnen, doch können einige Befunde angeführt werden,
welche für die Richtigkeit derselben zu sprechen scheinen.
An einem radiären Schnitt durch die Nebennierenrinde
eines wenige Tage alten Hundes(Taf.I, Fig. 4) findet man das
Bindegewebe sehr schwach entwickelt; die Lamellen erscheinen
als kurze zapfenartige F'ortsätze. Die äussersten cylindrischen
Rindenzellen (Fig. 4 c) bilden eine epithelartige Lage an der
Kapsel, welche durch die Fortsätze derselben leicht eingestülpt
o28 M. Pfaundler,
wird. Es entstehen dadurch an der Kapsel nach innen, an der
Spitze der Bälkchen nach aussen concave Bögen, die den
Bogenformen beim Pferde offenbar entsprechen, aber den
Charakter der Einstülpung noch deutlich an sich tragen.
Ferner wurden auch beim erwachsenen Thier (namentlich
beim Hunde, Kaninchen und der Fledermaus) gar nicht selten
gewisse Abweichungen von dem normalen Verhalten beob-
achtet, die für diese Frage von Bedeutung sind. Taf. I, Fig. 5,
zeigt kurze Kapselfortsätze vom erwachsenen Hunde, an
welchen der bogenförmige Übergang im centralen Theile noch
im Bereiche der Cylinderzellen, nicht, wie dies Regel ist,
im Bereiche der »rundlich-eckigen« Zellen stattfindet. In diesem
Falle erinnert das Bild des Längsschnittes einerseits auffallend
an die Beobachtung beim neugeborenen Thiere, anderseits
an die Darstellung der beim Pferde obwaltenden Verhältnisse.
Endlich wäre für diese Anschauung von der Bildung der
Rinde auf die Angabe der Autoren zu verweisen, dass sich an
der Aussenseite der Kapsel bei neugeborenen und erwachsenen
Thieren eine feine Kerbung bemerklich macht, wie ich sie
ebenfalls beobachtete (Hund).
Der geschilderte Grundzug des Baues der Pferdeneben-
nierenrinde konnte auch bei anderen Thieren, nämlich beim
Hunde, bei der Fledermaus (Taf. II, Fig. 6), der Katze, dem
Igel, Maulwurf, der Maus und dem Kaninchen, (also
Vertretern der meisten Säugethierclassen) deutlich wieder-
erkannt werden. Weniger gut gelang dies beim Affen, der
Ratte, dem Meerschweinchen, der Ziege und dem Rinde, sowie
bei der menschlichen Nebenniere. Die Ursache der leichteren oder
schwierigeren Erkenntnis des Rindenbaues bei verschiedenen
Thieren, ist hauptsächlich die verschiedene Entwicklung der
Bindegewebsbalken und die wechselnde Form der Rinden-
strangzellen.
Beim Pferde sind die Balken ungemein zahlreich und
mächtig, und ist die Form der äusseren Rindenzellen insoferne
günstig, als man aus der Lage der nach den drei Dimensionen
so ungleich ausgedehnten Elemente auf die Orientirung des
Stranges schliessen kann.
Anatomie der Nebenniere. 529
II. Die Zellen der Rinde.
1. Pferd und Hund.
Der Form nach lassen sich beim Pferde und Hunde die
Zellen der Rindencylinder in zwei Gruppen bringen: in »cylin-
drische« und »rundlich-eckige« (Kölliker).
Die »cylindrischen« Zellen bauen die früher als äussere
Bögen (Taf. I, Fig. 1 abg) bezeichneten Theile der Rinden-
stränge, somit den äusseren Rindenantheil auf, während die
rundlich-eckigen Elemente von diesen äusseren Bogenstücken
an bis zum Mark reichen (Taf. I, Fig. 1 p).
Dem entsprechend könnte man die Rindenstränge in zwei
Abschnitte trennen, in einen äusseren aus »cylindrischen«,
und einen inneren aus »rundlich-eckigen« Zellen bestehenden.
a) Zellen des äusseren Rindenantheils.
Der äussere Theil der Rindenstränge besteht beim Pferde
aus bald cylindrischen, bald kegelförmigen, manchmal an beiden
Enden verschmälerten, durch gegenseitigen Druck in ihrer
Form beeinflussten, aber stets sehr langgestreckten Zellen, die
einen deutlichen Epithelcharakter aufweisen. Um an Schnitt-
präparaten die Form dieser Zellen bestimmen zu können,
bedarf es äusserst feiner Schnitte, die nur eine einfache Zell-
lage enthalten.
Ein genauer Untersucher, v. Brunn,* erklärt die in Rede
stehenden Elemente für Spindelzellen: »Wenn man aus dem
völlig frischen Organe des Pferdes Schnitte fertigt und aus den-
selben durch Schütteln mit Kochsalzlösung einen Theil der
Zellen entfernt, dann sieht man, dass die Zellen einen spindel-
förmigen Leib und einen bis zwei lange Ausläufer haben
Mittelst dieser Ausläufer hängen sie mit dem Bindegewebe der
Umgebung zusammen.« v. Brunn gibt an, diese Zellen seien
bindegewebiger Natur und nichts anderes als modificirte, den
Gefässen zugehörige Adventitia-Zellen.
Obwohl, wie ich glaube, unsere heutigen Kenntnisse von
der Entwicklungsgeschichte der Nebenniere gtgQn diese
Annahme V. Brunn's sprechen, mussten dessen Beobachtungen
* L. c.
530 M. Pfaundler,
doch mit denen an Isolationspräparaten, die ich nach seiner
Methode herstellte, verglichen werden. Die Zellen zeigten
cylindrische oder kegelförmige Gestalt (wie sie auch v. Brunn
in Fig. 2 abbildet) oder sie waren an beiden Enden etwas ver-
schmälert; niemals aber gewahrte ich einen solchen Bau der
Zellen, dass ich sie als Spindelzellen im eigentlichen
Sinn des Wortes hätte ansehen können. Wurde auf das Deck-
gläschen ein leichter Druck ausgeübt, dann floss mehr oder
weniger vom Inhalte des Zellleibes aus, der Rest des Proto-
plasmas sank zusammen und stellte fadenartige Ausläufer der
Zelle dar, welche mitunter Spindelzellen vortäuschen konnten.
Dass die intacten cylindrischen Zellen an ihren basalen
Enden, mittelst welcher sie sich an die Unterlage anheften,
fadenförmige Ausläufer besitzen, ist gewiss, doch ändert dies
an ihrem Cylinderzellencharakter nichts, da ja solche Fortsätze
den Cylinderzellen überhaupt zukommen.
Die meisten von Brunn abgebildeten Zellen (Fig. 2) sind
wohl nicht als Spindelzellen anzusehen und dürften auch nicht
ganz unversehrt sein, sondern ihre Fortsätze durch Auslaufen
des Zellinhaltes erworben haben. Ich darf nicht unterlassen an-
zugeben, dass, wenn ich kleine Stückchen der frischen Neben-
nierenrinde durch 24 Stunden mit 10"/oiger Kochsalzlösung
behandelte und dann auf dem mit Kochsalzlösung v^ersehenen
Objectträger aufschwemmte, Zellen mit Ausläufern und aus-
gesprochener Spindelform, wie sie zum Theil v. Brunn ab-
bildet, zum Vorschein kamen. Ein Vergleich dieses Befundes
mit dem an frisch untersuchten Stücken lässt mich vermuthen,
dass es sich hier um eine Macerationserscheinung handle und
die Formveränderung wieder auf den Austritt von Zellinhalt
zurückzuführen sei.
Die fraglichen Zellen sind äusserst zarter Natur; der
Isolirungsvorgang und die Behandlung mit den verschiedenen
Reagentien sind offenbar von bedeutendem Einflüsse auf ihre
Gestalt. Indem ich nun weder einerseits an den frischen Präpa-
raten (Methode v. Brunn), noch anderseits an den nach zahl-
reichen Methoden hergestellten Schnitten durch die äusseren
Rindenantheile Spindelzellen im eigentlichen Sinn des Wortes
beobachten konnte, so möchte ich mich der Meinung derer
Anatomie der Nebenniere. Oö 1
>
anschliessen, welche für diese Schichte der Pferdenebenniere
cylindrische Zellen angeben.
Die Messung der Zellen an Schnittpräparaten ergab eine
Länge von 40 — 60 |x, eine Breite von 4 — 10 ja; für die Kerne
eine Länge von 8 — 12 |x, eine Breite von 5 — 6 (x.
Das Protoplasma der Cylinderzellen ist feinkörnig; es
nimmt bei Carmintinctionen eine ganz hellrosa, bei Hämat-
oxylinbehandlung eine graue Färbung an; durch Osmiumsäure
wird es gelbgrau. Es enthält eine grössere oder geringere
Menge von gelben, stark lichtbrechenden Körnchen,
welche meist in Gruppen neben dem Kern beisammen liegen,
aber auch zerstreut durch die ganze Zelle sowie ausserhalb
derselben vorkommen können.
Die Körnchen sind rund, ihr Durchmesser beträgt kaum
mehr als 1 (i im Maximum, meistens aber weniger bis herab zu
einer unmessbaren Grösse. Bei der frischen Präparation treten
sie häufig aus den Zellen und vereinigen sich dann oft zu
grösseren Tropfen. Mineralische und organische Säuren greifen
sie auch bei Concentration nicht an, ebensowenig andere ver-
wendete Reagentien, wie Alkohol, Äther, Chloroform, Terpentin,
Chlorwasser, Wasserstoffsuperoxyd u. s. w.
In den meisten Tinctionsmitteln verändern sie ihr Aus-
sehen nicht; concentrirte Säurefuchsinlösung schien sie schwach
zu färben. Durch Osmiumsäure P/o schwärzen sie sich intensiv,
doch erst nach längerer Einwirkung.* Sie vertragen eine
^ Anders als die frischen Körnchen verhalten sich diese in osmirtem
Zustande verschiedenen Reagentien gegenüber; es wurden in Osmiumsäure
erhärtete Stücke in feine Schnitte zerlegt und diese mit verschiedenen Reagentien
behandelt. In Wasserstoffsuperoxyd verschwanden die Körnchen in 15 bis
25 Minuten, in 10% Chromsäure in vier Stunden; in Chlorwasser ebenfalls in
kürzerer Zeit. Dagegen blieben sie in Terpentin und terpentinigen Lacken, Toluol
und Xylol wenigstens durch mehrere Stunden unverändert. Dadurch unter-
schied ich sie auch von den bei älteren Thieren, namentlich in der äusseren
Rindenschichte, manchmal vorgefundenen Fetttröpfchen, welche sich nach
Einwirkung von Osmiumsäure und den eben erwähnten Reagentien s e h r b a I d
lösten. Vergl. darüber Dekhuyzen (Centralblatt für Phys. 1889, Nr. 21).
Flemming (Zeitschr. f. wissensch. Mikr. u. mikr. Technik VI. Bd., S. 39 und
178) und H. Rabl (Arch. f. mikr. Anat. Bd. 38. Entwicklung und Structur der
Nebennieren bei Vögeln,*S. 513).
'>''52 M. Pfaundler,
Temperatur von öO — 60° C. durch mehrere Stunden, nachdem
sie sich an Schnitten von Paraftinstücken ebenso finden, wie
in frischen Zellen.
Ihre Zahl ist bei verschiedenen Individuen verschieden;
am reichlichsten fand ich sie bei einem schlecht genährt aus-
sehenden 12jährigem Hengst; bei älteren Thieren sind sie im
Allgemeinen seltener; bei einem 20jährigen Thiere fand ich
nur in einzelnen Zellen Körner.
Der Kern der Cylinderzellen ist sehr scharf contourirt,
immer von ovaler Gestalt; er lässt sich mit allen gebräuch-
lichen Farbstoffen sehr gut imprägniren. Er enthält 1 — 3 runde
Chromatinbrocken (Kernkörperchen ?) von etwa 2 {jl Durchmesser
und ausserdem feine, stark tingirte Körnchen (Kernnetz?). Die
Längsaxe des Kernes ist stets mit der Längenrichtung
der Zelle parallel; er füllt meist die ganze Breite der Zelle
aus und macht häufig Biegungen der Zelle mit. In den Kegel-
zellen steht er immer basal, in den Cylinderzellen dagegen
central;^ desshalb trifft man auch an Längsschnitten durch die
Stränge sehr selten nur eine Keinreihe, meistens deren zwei
oder drei.
Frische Präparate und dünne Schnitte lehren, dass die
Cylinderzellen nicht dicht aneinander schliessen, sondern einen
capillaren Spaltraum umgrenzen, den ich an einem meiner
Injectionspräparate durchwegs von der eingespritzten Masse
erfüllt sah.
Die Verbindung der Zellen mit dem sie stützenden Ge-
webe geschieht nach v. Brunn* durch die basalen Ausläufer.
Dabei kommt aber noch eine Beobachtung in Betracht, die von
Räuber* an der Pferdenebenniere gemacht wurde, und über
welche dieser Autor schreibt: '> Während der grösste Theil des
die Hohlräume bildenden Bindegewebes (unsere Lamellen)
Kerne besitzt und die Gefässe enthält, erkennt man nach dem
1 Vergl. J. Guarnieri et J. .Magini. Ktudes sur la fine structure des
capsules surrenales. Archives Italiennes de Biologie, Tome X, 1888, pag. 380.
(Rendicunti della R. Acc. d. L. Vol. IV, 1881, pp. 844-848).
•-' L. c. S. 622, 623.
•'• L. c. S. 15.
Anatomie der Nebenniere. 533
Inneren des Lumens zu jedesmal eine kernlose, feingranulirte,
etwa 3 — 4 »x dicke Schicht«, und später: »Man bekommt durch
das Schütteln solcher Schnitte (mit Methylmischung behandelt)
Bilder, in welchen die Zellen mit ihrem einen Ende frei flottiren,
während sie mit dem anderen an der Wand festsitzen. Es
gelang nicht, das genaue Verhalten des festsitzenden Fort-
satzes nachzuweisen. Derselbe Hess sich nicht durch die
structurlose Schicht verfolgen, daher konnte eine Verfilzung
mit dem Bindegewebe, wie sie v. Brunn angibt, nicht con-
statirt werden.«
Ich untersuchte zunächst das Verhalten der Zellen und
deren Ausläufer an ihren den Kapsellamellen anliegenden Enden
und glaube hier — namentlich nach dem Befunde an frischen
Zerzupfungspräparaten — die Angaben v. Brunn's bestätigen
zu können.
Das andere Ende der Zellen ist gegen das centrale, mit
einfacher Intima versehene Gefäss gerichtet. Zwischen den
Zellenden und der Gefässintima liegt ein äusserst feiner Faser-
filz, ' der an die Fasermassen um den centralen Zottenraum
erinnert. Ob dieser Faserfilz ein Product der Zellen ist, oder
eine besondere Bildung darstellt, vermag ich nicht zu ent-
scheiden. Wenn derselbe von Ausläufern der Cylinderzellen
gebildet wird, so hätten dann die Cylinderzellen zwei faden-
artige Ausläufer, ihre Anordnung und Verbindung wäre dann
eine solche, wie sie v. Brunn beschreibt. Die im obigen Citate
von Räuber erwähnte feingranulirte, 3 — 4 (jl dicke Schicht ist
offenbar mit der centralen Gefässwand identisch.
Ich habe oben angeführt, dass ältere Autoren die Wandung
des centralen Gefässes für die Membrana propria der Zell-
schläuche gehalten haben und Ecker* gibt zur Darstellung
derselben die Behandlung mit Kalilauge an. Davon unabhängig,
bemerkt Räuber,^ dass sich die von ihm beobachtete Schichte
unter anderem auch besonders nach Zusatz von Kalilauge
deutlich zeige.
J »Grenzschicht der bindegewebigen Septa«. Kolli ker, 1. c.
2 L. c.
•^ L. c. S. 15.
Sitzb. d. mathem.-naturw. (*1.; CI. Bd., Abth. IIl. 37
534 M. Pfaundler,
Kölliker hat die Beobachtung der besprochenen, so ver-
schieden gedeuteten Zone ebenfalls gemacht, und »die scharfe
Linie, welche die die Stränge enthaltenden Fächer häufig zu
innerst zeigen* nicht als besondere Hülle (Membr. propria),
sondern als »Grenzschicht der bindegeweblichen Septa« an-
gesehen.
Der Cylinderzellenschicht des Pferdes ist die des Hundes
sehr ähnlich.
Die Cylinderzellen sind hier von etwas plumperem Bau,
(v. Brunn), zeigen aber sonst keine wesentlichen Unterschiede.
Der Einschluss von gelben, stark lichtbrechenden Körnchen
wurde in gleicher Weise wie beim Pferde bei allen zwölf unter-
suchten Hunden beobachtet.
Bei einigen Individuen waren die Zellen höchst auffallend
verändert, und zwar in ganz ähnlicher Weise, wie dies
Dostoiewsky* für die innere Rindenschicht des Pferdes be-
schrieben, und als »regressiv metamorphosirt« bezeichnet hat.
Dostoiewsky gibt an: »Die Zellen werden kleiner und in
ihrem Protoplasma zeigen sich von allen Seiten Einkerbungen,
so dass die Zellen eine sternförmige Gestalt annehmen; eine
geringe Menge Protoplasma bleibt nur um den Kern herum,
die Zellen grenzen sich nicht deutlich von einander ab und
scheinen mit ihren Fortsätzen zu verschmelzen, so dass die
Rindensubstanz auf Schnitten dieser Stellen gleichsam ein
feinstes Gespinnst darbietet«.
Ausserdem zeigten sich auch die Kerne an meinen Präpa-
raten vom Hunde geschrumpft, mit zackigen Rändern versehen,
und gleichmässig dunkel gefärbt. Das Gebiet der metamor-
phosirten Zellen erstreckte sich in manchen Fällen über die
ganze äussere Rindenschichte.
h) Zellen des inneren Rindenantheils.
Die Cylinderzellen der. Pferdenebenniere gehen in einem
Abstände von etwa Od mm von der inneren Kapseloberfläche
allmälig in die Zellen der inneren Schichte, in Kölliker's
*rundlich-eckigec' Zellen über. (Taf. I, Fig. \ p.)
1 L. c. S. 279.
Anatomie der Nebenniere. o35
Die Form dieser Elemente ist eine sehr wechselnde; sie
erscheinen an Längs- und Querschnitten meist polygonal, oval
oder quadratisch, häufig aber auch niedrig cjdindrisch und in
dem letzteren Falle ist die Anordnung immer wieder die der
äusseren Rindenzellen. Nach dem Aussehen des Zellleibes und
Zellkerns unterschied ich:
a) Zellen mit dunklem, fein reticulirtem Protoplasma und
rundem, glattrandigen Kern. (Taf. II, Fig. 7 a)
b) Zellen mit hellem, von lockerem Maschenwerk erfüllten
Leib und einem Kern wie bei a). (Taf. II, Fig. 7 b)
c) Zellen, deren Protoplasma in ein sehr lockeres Netz von
feinen Fäden verwandelt schien, deren Kern geschrumpft
und zackig war. (Taf. II, Fig. 7 c)
Diese verschiedenen Zellformen zeigten in der angegebenen
Reihenfolge mannigfache Übergänge, und es scheint mir höchst
wahrscheinlich, dass ihr differentes Aussehen auf verschiedene
physiologische Zustände zurückzuführen sei.
Es Hess sich nicht feststellen, dass bestimmte Formen
dieser Zellen in bestimmten Zonen der Rinde besonders auf-
fallend vorherrschen; dagegen ist es ein häufiges Vorkommniss,
dass innerhalb der einzelnen Stränge z. B. nur dunkle, oder nur
helle Zellen liegen. Oft sah ich Stränge, die aus einer Art von
Zellen ausschliesslich bestanden, zwischen anderen verlaufen
und dadurch besonders markirt erscheinen.
Alle genannten Zellformen enthalten wie die Cylinderzellen
stellenweise eine gelbe Körnung, die auch hier an Osmiumpräpa-
raten schwarz gefärbt ist und sich insbesonders in den innersten
Rindenpartien anhäuft. Hier erreichen die einzelnen Körnchen
eine Grösse bis zu 3 ;jl und ballen sich zu Haufen zusammen,
welche die ganze Zelle einnehmen, den Kern allein freilassen.
Dostoiewsky* beobachtete dieselbe Erscheinung beim
Pferde und anderen Thieren und bezeichnete solche Zellen als
»fettig infiltrirte«.
Die Grösse der Durchmesser der Zellen in dieser Schichte
ist beim Pferde etwa 20 — 30 |x, der des Kernes etwa 6|jl. Gegen
die Markgrenze nimmt die Grösse der Zellen etwas ab.
1 L. c. S. 282.
37*
5:^ü M. Pfaundler,
Beim Hunde sind die Verhältnisse dieselben, nur tritt oft
die »regressiveMetamorphose«, welche Dostoiewsky erwähnt,
auch in dieser Schichte ein, wodurch das Gewebe das Aus-
sehen eines Netzwerkes mit blasigen Maschen erhält.
Auf einen Befund an den Kernen der inneren Kindenzellen
des Pferdes glaube ich noch insbesondere aufmerksam machen
zu sollen.
Es zeigte sich, dass die Kerne der erwähnten Zellformen
uj und hj neben dem Kernkörperchen in den Maschen des
Kerngerüstes, sowie insbesonders an der Kernwand kleine,
rundliche chromatische Brocken enthalten (Taf. II, Fig. 8). In
anderen Kernen lagen dicht an der Kernwand 2-3 chromatische
Klumpen von der Grösse der Kernkörperchen, die aber nicht
ganzrandig und rund, sondern aus einigen (3 — 4) chromatischen
Kugeln zusammengesetzt schienen. In sehr zahlreichen Fällen
beobachtete ich nun, dass solche chromatische Kugeln oder
Kugelcomplexe theilweise oder ganz ausserhalb der Kernwand
im Zellleibe lagen (Taf. II, Fig. 8).
Es scheint demnach in den Zellen der inneren Rinden-
schicht der Pferdenebenniere ein Auswandern von chroma-
tischer Substanz aus dem Kerne in Form von kleinen
Kugeln oder höckerigen Kugelcomplexen stattzufinden.
Dieser Vorgang hat Ähnlichkeit mit dem erst im ver-
gangenen Jahre von Holl* an der menschlichen Eizelle und
von Jarisch* an Oberhautpigmentzellen der Froschlarve beob-
achteten Austritt von Kernsubstanzen in den Zellleib.
Manche Kerne waren an einer Stelle durch die austretenden
chromatischen Brocken in einen spitzen Fortsatz ausgezogen.
(Fig. 8 a). An den ausgewanderten, grösseren Klumpen bemerkt
man deutlich, dass sie aus einzelnen kleineren Antheilen
zusammengesetzt sind, und es ist deren Zusammenhang in
manchen Fällen ein sehr lockerer.
^ M. Ho 11, Über die menschliche Eizelle. Vorläufige Mittheilung. Ana-
tomischer .Anzeiger 1891. Nr. 19.
- J arisch, Über die Bildung des Pigmentes in den Oberhautzellen.
Arch. für Dermal, u. Syph. 1189.
Anatomie der Nebenniere. 537
2. Die übrigen untersuchten Thiere.
Von den übrigen Thieren lassen sich die Nager (Maus,
Ratte, Kaninchen, Meerschweinchen) mit den Insecten-
fressern (Maulwurf, Igel) und den llandflüglern (Fleder-
maus) in eine Gruppe zusammenfassen. Bei den genannten
Thieren findet man im äusseren Theil der Rinde Zellen, welche
an die beim Pferde beschriebenen erinnern, mit ihnen verwandt
zu sein scheinen, und es fällt meist nicht schwer, die früher
beim Pferde unter a) b) und cj beschriebenen Zellformen wieder
zu erkennen, oder wenigstens eine oder zwei derselben ver-
treten zu finden. Die Gestalt der Zellen ist mannigfachen
Abweichungen unterlegen.
Beim Kaninchen besteht die ganze Rinde mit Ausnahme
der innersten Partien (der Zona reticularis Arnold 's und
Gottschau*s) aus Zellen mit lockerem, protoplasmatischen
Netzwerk und rundem Kern; die Zellen nahe der Kapsel sind
halbmondförmig oder rechteckig mit schwacher Krümmung,
oder haben die Form eines gebogenen Keils. Ihre Concavität
ist stets nach aussen gerichtet; sie sind kleiner als die in den
inneren Partien gelegenen Elemente und die dicht stehenden
Kerne bedingen die dunkle Färbung der äussersten Rindenzone
(Gottschau).
Es erinnern die sichel- und keilförmigen Elemente an die
hochcylindrischen Zellen beim Pferde und Hunde, und es bietet
überhaupt die Nebennierenrinde des Kaninchens am meisten
Annäherung zu der jener Thiere.
Wie Gottschau bemerkt, trift't man zwischen je zwei Zellen
häufig sichelförmige, helle Räume, die er als Schrumpfungs-
erscheinungen deutet. Ich fand dieselben an vielen und ver-
schieden behandelten Präparaten regelmässig wieder.
Weiter centralwärts liegen grössere Zellen von kubischer und
polygonaler Gestalt, die gegen die Markgrenze hin in platte, lang-
gestreckte Formen mit dunklem, fein reticulirten Protoplasma
übergehen. Ich vermuthe, dass diese häufig eine körnige Einlage-
rung enthaltende Zellen es sind, welche Gottschau' für das
Kaninchen und andere Thiere als »braune Zellen« anführt.
» L. c, s. 482.
538 M. Pfaundler,
Beim Meerschweinchen sind die Verhältnisse ganz
ähnliche. Die hellen, halbmondförmigen Zellen sind etwas
plumper, die Keilformen herrschen vor. In der innersten Schichte
ist der Zellleib sehr stark tingirbarund die Zellgrenzen scheinen
oft verwischt. Eine körnige Infiltration förbt manche Zellen gelb.
Bei der Maus und der Ratte lässt sich (namentlich an
Osmiumpräparaten) erkennen, dass sich eine äussere, hellere,
von einer inneren, dunkleren Rindenschichte scheidet. Jene
besteht aus den hellen Zellen mit weitmaschigem Protoplasma-
netz, diese aus fein reticulirten Elementen. Halbmondförmige,
stark gekrümmte Zellen mit zwischenliegenden ähnlich gestal-
teten Lücken reichen von der Kapsel bis zum Mark.
Die Rattennebenniere zeigt in der Nähe der Kapsel auch
die erwähnten, mit geschrumpften Kernen versehenen Zellen.
Einen Radiärschnitt durch die Rinde der Fledermaus-
nebenniere stellt Taf. II, Fig. 6 dar. Nächst der Kapsel liegen
helle, centralwärts dunkle Zellen, welch' letztere bei der
Behandlung mit Müll er'scher Flüssigkeit und Hämatoxylin-
färbung einen eigenthümlichen grauen, weichen Ton annehmen,
wie er ähnlich auch bei den Cylinderzellen des Pferdes beob-
achtet wurde.
Die Form der Zellen ist — wie ersichtlich — grössten-
theils cylindrisch (Fig. 6 zi)y doch trifft man auch auf sichel-
förmige Gebilde, wie bei den Nagern. (Taf. II, Fig. 6 s.)
Beim Maulwurf und Igel unterscheiden sich die Rinden-
zellen in den einzelnen Schichten nur durch ihre Grösse und
ihren Körnchengehalt.
An der Kapsel und an der Rindenmarkgrenze fand ich
stets durch ihre Osmiumsäurereaction sehr leicht ersichtlich
zu machende Körnchen in grosser Zahl, während die mittleren
Rindenpartien nur wenige solche aufwiesen. Die centralen
Zellen sind bedeutend kleiner als die peripheren.
Über das Rind liegen ausführliche Untersuchungen von
Stilling,* Räuber* und Dostoiew'sky' vor, deren Resultate
^ H. Stilling, Zur .A.natomie der Nebennieren. Virch. Arch. f. path.
Anat. u. Phys. 1887, Bd. 109, S. 324.
-* L. c.
•"• L. c.
Anatomie der Nebenniere. o39
zum grossten Theile mit denen meiner Beobachtungen über-
einstimmen. In der äussersten Rindenzone fand ich schmale,
cylindrische Zellen mit rundem, oder ovalen centralen Kern,
wie sie Stilling* beschreibt; dagegen konnte ich die Pigment-
zellen mit verästelten Fortsätzen Stillings — auch an den
Organen scheckiger Thiere — weder in der Kapsel noch im
Innern des Organs antreffen.
Während die erwähnten äusseren Rindenzellen ein glasiges
Ansehen haben, liegen in der ganzen, sehr weit ausgebreiteten
inneren Rindenpartie wieder die dunkeln, fein reticulirten poly-
gonalen Zellen,
Von ähnlicher Beschaffenheit sind die Rindenzellen beim
Schwein und der Ziege. Bei einer neugeborenen Ziege
fand ich die Zellen der äussersten Zone hochcylindrisch wie
beim Pferde.
Die Rinde der Katzennebenniere weist drei sehr diffe-
rent aussehende Arten von Zellen auf, wovon zwei bereits
von Dostoiewsky* beschrieben wurden. Man unterscheidet
Zellen mit sehr hellem, feinkörnigen Protoplasma, ausge-
randetem, dunklen Kern; femer Zellen mit sehr grobreti-
culirtem (bei oberflächlicher Betrachtung grobkörnig aus-
sehendem) Protoplasma und rundem oder wenig ge-
schrumpftem Kerne; beide Arten zeigen sehr scharfe Zell-
grenzen und erinnern mich an die in menschlichen Haar-
balgdrüsen beobachteten zwei Secretionszellformen; endlich
Zellen mit dunklem, stark färbbarem Leib und blasigem Kern
mit deutlichem Kernkörperchen. Die letzteren Zellen sind
wenig scharf contourirt und kleiner als die vorerwähnten;
sie finden sich in den inneren Rindenpartien bis ans Mark
und haben in Form, Structur und Anordnung auffallende
Ähnlichkeit mit den Leberzellen der Säuger. Die grobreticulirten
und feinkörnigen Zellen bilden die äussere Rindenschichte,
und zwar herrschen die erstgenannten vor. Von den hellen
bis zu den dunkeln Zellen finden sich zahlreiche Zwischen-
formen.
1 L. c. S. 325, 327.
-* L. c. S. 280.
540 M. Pfaundler.
Die Erforschung des Baues der menschlichen Neben-
niere ist ungemein schwierig; es gelang nicht über die Ver-
hältnisse vollständig ins Klare zu kommen. Die Form und
Structur ist hier eine sehr mannigfaltige. Manche Zellen der
peripheren Zone haben Ähnlichkeit mit den glasigen Zellen
des Rindes, die centralen Rindenzellen mit den dunkeln fein-
reticulirten desselben Thieres.
An der Rindenmarkgrenze liegen kleine Zellen mit ein-
gelagerten gelben Körnchen. In den drei mir zu Gebote
stehenden — Justificirten 3 Stunden post mortem entnommenen,
und mit RabTs Sublimatpikrinsäure vorzüglich conser\^irten
Organen — suchte ich vergeblich nach einem »körnigen,
braunen Pigment«, wie es Räuber^ fand.
Stellenweise zeigten sich ganz verstreut kleine Kern-
häufchen von wenig Protoplasma umgeben, wie sie von
Dagonet* beim Menschen beschrieben und als lymphoides
Gewebe gedeutet wurden.
Aus den hiemit dargelegten Beobachtungen über die
Anordnung, die Structur und sonstigen Eigenschaften der die
Nebennierenrinde verschiedener Säuger zusammensetzenden
Elemente ist ersichtlich, dass dem Bau der Rindensubstanz ein
allgemein durchgreifendes Gesetz zu Grunde liegt, dass es aber
trotzdem nicht angeht, eine Scheidung von einzelnen concen-
trischen Rindenzonen bei den verschiedenen Säugern in einem
bestimmten Sinne durchzuführen, und dabei ein Eintheilungs-
princip, das sich bei einzelnen der untersuchten Thiere bewährt
hat, auch auf die Nebennierenrinde aller anderen Thiere zu
übertragen, wie dies von manchen älteren Autoren versucht
wurde; es würde z. B. nicht gelingen, die beiden beim Pferde
als »Schicht der cvlindrischen« und »Schicht der rundlich-
eckigen Zellen- bezeichneten Antheile der Rindensubstanz bei
anderen Säugern wiederzufinden, da Zellen vom Charakter der
Cvlinderzellen des Pferdes nur noch beim Hunde ans^etroffen
werden.
i L. c. s. 2:3.
- L. c. S. 18.
Anatomie der Nebenniere. o4l
Arnold* theilte die Rindensubstanz der Nebenniere in
eine Zona glomerulosa, eine Zona fascicularis (s. fasciculata)
und eine Zona reticularis. Schon Kölliker* und andere
Autoren' haben sich dieser Trennung der Rindenschichten
nicht angeschlossen und aus den ungemein abweichenden An-
gaben jener späteren Autoren, welche sich der Arnold'schen
Eintheilung bedienten, ist zu ersehen, dass die Abgrenzung der
einzelnen Zonen nach derselben durchaus keine präcise und
unzweideutige ist. So z. B. nimmt beim Hunde Eberth* drei
Schichten an, die den Arnold'schen entsprechen, v. Brunn''
und Gottschau® bemerken ausdrücklich, dass eine Zona
glomerulosa fehle, Räuber^ beschreibt eine Zona glomerulosa,
Grandry*^ beschreibt zwei Schichten, die sich mit der Z
fascicularis und Z. reticularis Arnold 's decken, Creighton*
nimmt wieder eine Glomerulosa an, während Dostoiewsky
sich über die Zonenvertheilung beim Hunde gar nicht aus-
spricht und Arnold selbst über einzelneThiere nichts Specielles
angibt.
Zur allgemeinen Verwirrung trug allerdings noch der
Umstand bei, dass fast alle Autoren das Eintheilungsprincip
Arnold's verkannten. Während Arnold nämlich den Gefäss-
verlauf seiner Eintheilung zu Grunde legte, bemühten sich
spätere Autoren eine »haufenweise«, »bündelweise« und »netz-
artige« Zellenanordnung in den Rindenschichten der ver-
schiedenen Thiere aufzufinden und darnach die Zonen
Arnold 's abzugrenzen.
Man traf in der That bei allen Thieren an der Kapsel
rundliche Zellhaufen und an der Markgrenze eine breite
Schichte mit netzartiger Zellanordnung. Die ersteren waren
1 L. c.
■J L. c.
^ Eberth, in Stricker's Handbuch der Gewebelehre. 1871, I. Bd.
»Die Nebennieren«. Dostoiewsky u. a. S. 508 — 516.
* L. c. S. 510.
ß L. c. S. 425.
L^m W* O« 1 *tf •
» L. c. S. 229 u. 2:34.
^ L. c. S. 62.
r)4*2 M. Pfaundler,
schräg durchschnittene Zellstränge, aus denen die vermeint-
liche Zona glomerulosa bestand; die Zona reticularis täuschten
wenig orientirte Schnitte durch die innere Rindenschichte vor.
Arnold * gibt an: *Die zu der Oberfläche der Nebenniere
tretenden und unter deren Kapsel in Form beschränkter Gefass-
bezirke angeordneten, arteriellen Gefasse bilden in der Zona
glomerulosa Knäuel. Aus diesen gehen ziemlich weite Gefäss-
schläuche hervor, welche die Zona fasciculata in radiärer Rich-
tung durchsetzen und in gleichmässigen Abständen verlaufen.
Durch vielfache Theilung und Verbindung dieser Gefässe wird
in der Zona reticularis ein sehr enges Gefässnetz gebildet.«
Bezüglich der Gefässknäuel (»Glomeruli«) in der Glome-
rulosa, welche von keinem der späteren Autoren gefunden
wurden,* schliesse ich mich der Ansicht Räuber's' an, welcher
meint, Arnold verstehe unter den Knäueln »die Bildung von
Capillarschlingen, welche dadurch zu Stande kommen, dass die
Gefässchen die äussersten Zellhaufen umspinnen und auch ins
Innere dieser Haufen treten.« Damit verträgt sich denn auch
unsere Anschauung, nach welcher der Querschnitt eines Strang-
complexes an der Kapsel von dem in den Lamellen liegenden
Gefässnetz umgeben und mit einem centralen Gefasse ver-
sehen erscheint.
An einem genau radiären Schnitte lässt sich jedoch —
wie die Abbildung Taf. I, Fig. 1 zeigt — die Arnold'sche Ein-
theilung in keiner Weise rechtfertigen.
Eine andere Eintheilung der Nebennierenrinde schlägt
Creighton* vor. Dieser Autor untersuchte accessorische
Xebennieiwn vom Pferde und geht von diesen aus. Er fand
darin in Übereinstimmung mit anderen Forschern nur zwei
Schichten, die er auch in einer Weise abbildet, "* wie es dem
Sachverhalte an einem meiner Präparate hierüber genau ent-
spricht. Die äussere Schichte ist auf den ersten Blick erkennt-
lich als die Schichte der Cylinderzellen — die ganze centrale
' L. c. S. 91.
-' Siehe Kölliker. S. 520.
■' L. c. S. 31.
* L. c. 4. The limits of the Suprarenal Cortex and MeduUa etc.
b V\,T S
Anatomie der Nebenniere. o4o
Schichte besteht aus Elementen, die sich in keiner Weise von
den inneren Rindenzellen des Organs unterscheiden. Mark — im
Sinne der sämmtlichen Autoren — findet sich in accessorischen
Organen niemals vor. *
Diese Anordnung entsprichtauch der nach Dagonet's*
Angaben zweifach möglichen Entstehungsweise der accessori-
schen Nebennieren: durch Propulsion oder Segmentation.
Creighton hebt noch besonders herx'or, dass die innere
Zone durchaus gleichmässig sei und sagt: »The central part is
uniform throughout; there being no region of brown coloration,
and there is only one way, in which the body can be sub-
divided into cortex and medulla«. Der einzige Weg sei der, die
Cylinderzellenschichte für sich als »Rinde«, die innere Zone
und dementsprechend alles, was sich beim Hauptorgan inner-
halb dieser »Rinde« befindet, als »Mark« zu bezeichnen.
Creighton trennt dadurch Theile der Rinde, die sich nur
beim Pferde und Hunde deutlich, dagegen bei allen anderen
Thieren nur unwesentlich unterscheiden, die ineinander über-
gehen und in Gemeinschaft miteinander dieStructuren der Rinde
aufbauen, anderseits fasst er zusammen, was anerkanntermassen
verschiedenen Ursprungs ist, sehr typisch verschiedene Reac-
tionen zeigt und von allen bisherigen Untersuchern in ganz
übereinstimmender Weise auseinander gehalten wurde.
B. Der Bau der Marksubstanz.
I. Die Anordnung des Stromas und der Zellreihen.
Schnitte durch die Marksubstanz der in gleicher Weise
behandelten Nebennieren verschiedener Thiere zeigen unter-
einander so grosse Ähnlichkeit, dass die Darlegung der Befunde
für alle untersuchten Säuger gemeinschaftlich vorgenommen
werden kann.
Die Gefässe des Marks sind sehr zahlreich und, wie es
scheint, grösstentheils venöser Natur. Die feinsten Verzwei-
^ Vergl. Marc h and, über accessorische Nebennieren im Ligamentum
iatum. Virch. Arch. f. path. Anat. u. Phys. Bd. 92, S. 14.
- J. Dago n et, Beitr. z. path. Anat. d. Nebennieren d. Menschen. Zeit-
schrift für Heilkunde. Bd. VI, 1885, S. 1.
544 M. Pfaundler,
gungen, die mit den Markzellen in enge Beziehungen treten,
haben den Charakter von Capillaren und besitzen als Wandung
nur eine dünne Intima. Durch Vereinigung der kleinen Äste
entstehen immer stärkere Gefässe, die endlich in die V^ena cen-
tralis münden. Diese verlässt das Organ am Hilus und ergiesst
als Vena suprarenalis ihr Blut in die Vena cava inf.
Das bindegewebige Stroma und die zelligen Elemente der
Marksubstanz ordnen sich in bestimmter Weise um die
Gefässe.
Ein Querschnitt durch ein kleineres Gefäss des Marks
(Taf. I, Fig. 1 ge) zeigt eine von wenigen zarten Adventitia-
fasern umsponnene Wandung, von welcher stellenweise feinste,
radiär gerichtete Bindegewebsfibrillenzüge abgehen; diese
treten zwischen die um das Gefass radiär gestellten Mark-
zellen, um sich mit einem diese Zellen umfassenden Ring von
Bindegewebsfasern zu verbinden.
Der Längsschnitt durch ein ungefähr gleich starkes Gefäss
(Fig. 1 /) zeigt in entsprechender Weise in einiger Entfernung
beiderseits neben der Wandung, dieser parallel ziehende
Fasern, welche mit dem Bindegewebe an der Intima durch
quere Anastomosen in Verbindung stehen.
Demnach hätte man sich das bindegewebige Stroma des
Markes vorzustellen als ein System von Lamellen, welche die
Gefässe in der Form von Cylindermänteln rings umgeben und
mit den bindegewebigen Antheilen der Gefässwände durch
radiäre Septen zusammenhängen. An Schnitten durch das
periphere Mark trifft man nirgends Theile des Bindegewebs-
netzes, die nicht mit einem der umliegenden Gefäss-, Quer-
oder Längsschnitte in der angegebenen Beziehung stehen.
Etwas anders scheinen die Verhältnisse in dem centralen,
um die stärksten Gefässstämme liegenden Markantheile zu
sein, in welchem Bereiche sich das Gewebe so dicht zusammen-
drängt, dass eine Entwirrung des Maschenwerks ungemein
schwierig ist. Dieser centrale Marktheil fehlt übrigens bei den
kleineren Säugethieren in allen Fällen und stellenweise auch
bei Pferd und Rind.
Die Anordnung der Markzellen ist, wie bereits erwähnt,
eine mit dem Längsdurchmesser zum Gefässlumen radiäre.
Anatomie der Nebenniere. o4o
Am Querschnitt entstehen durch diese Anordnung die»S t r a h 1 e n-
k ranze« (Räuber), am Längsschnitte breite Säume von Zell-
reihen, die von den Autoren mit Cylinderepithelien verglichen
wurden. Sehr auffallend ist die streng basale Lagerung der
Zellkerne, welche auch eine reihige Anordnung derselben
bedingt. Nachdem die Kerne überall an dem, vom Gefässlumen
entfernten, äussersten Ende der Zelle liegen, kommt es dazu,
dass bei parallelem und nachbarlichem Verlaufe zweier Gefässe
die Kerne beider Zellstränge eine gemeinsame breite Reihe
bilden (Taf. I, Fig. 1 r). Dostoiewsky * deutet diesen Befund
wohl irrthümlich beim Schafe, Schweine und Rind in der Weise,
dass er neben basal stehenden auch central stehende Kerne
annimmt.
In den durch die radiären Septen gebildeten Fächern liegen
stets einige, 2 — 3 Markzellen gemeinsam.
II. Die Zellen des Marks
sind bei allen untersuchten Thieren cylindrisch, und zwar beim
Pferd, Rind und Schwein sehr hoch-, bei den niederen,
namentlich den kleineren Thieren mehr breit-cylindrisch. Das
Protoplasma ist sehr feinkörnig, der Kern rund und scharf
begrenzt mit 1 — 2 Kernkörperchen. Die Farbe des Zellleibes
ist bei Carmintinctionen hellrosa, bei Hämatoxylinfärbung hell
graublau.
Eine Zellmembran ist nicht nachweisbar, die Zellgrenzen
sind selten sehr scharf zu erkennen und wenn das Organ nicht
lebenswarm eingelegt wurde, meist nicht mehr ersichtlich.
Die durch v. Brunn* erwähnten kurzen Ausläufer der
Markzellen fand ich an Schnitten nirgends und auch an Isola-
tionspräparaten, an welchen es übrigens sehr selten gelingt,
die ausserordentlich zarten Elemente des Marks unverletzt
zu erhalten, konnte ich mich von deren Vorhandensein nicht
überzeugen. Die Zellen liegen mit ihren Längsseiten dicht
aneinander, mit ihren Schmalseiten einerseits an der dünnen
Gefässwand, anderseits an den beschriebenen Bindegewebs-
zügen.
» L. c. S. 285.
2 L. c. S. 624.
546 M. Pfaundler,
Sehr eigenthümlich ist die von Henle entdeckte Reaction
der Markzellen auf Chromsäure und deren Salze. Die Braun-
färbung erstreckt sich, wie Dostoiewsky im Gegensatze zu
V. Brunn's Angabe bemerkt, manchmal auch auf die Zellkerne,
sowie bei längerer Einwirkung auch auf die Rindenzellen.
Demnach scheint, dass jener Stoff, welchen Dostoiewsky'
als die Ursache der P'ärbung annimmt, und welcher höchst
wahrscheinlich in Beziehung zur physiologischen Leistung der
Organe steht, sowohl in der Rinde als im Mark enthalten ist.
Das Aussehen der einzelnen Alarkzellen nach der Behand-
lung mit Müller's Fl. ist häufig ein verschiedenes; man unter-
scheidet deutlich gleichmässig gelb gefärbte, von mehr grau
gefärbten, körnigen Zellen, welch' erstere an den Wandungen
der grösseren, welch* letztere an den kleinen Gefässen vor-
herrschen.
Schon bei Sublimat- und Alkohol-Fixationen lässt sich
eine solche Unterscheidung treffen. Grössere Gefässlumina
sind von Zellen umgeben, deren Protoplasma sich ziemlich
dunkel färbt, deren Zellgrenzen an der Längsseite kaum mehr
erkenntlich sind und deren Kerne nicht mehr das bläschen-
förmige Ansehen der anderen Markzellkerne haben, sondern
geschrumpft unregelmässig geformt und sehr stark tingirt
erscheinen (Pferd).
Eine andere Beobachtung machte ich — noch unabhängig
von Dostoiewsky's Mittheilungen — am Mark der Pferde -
nebenniere. Dostoiewsky* schreibt: »Studirt man diese
Reihen (der Markzellen) genauer, so findet man, dass nicht alle
Zellen gleich sind zwischen den eben beschriebenen cylindri-
schen Zellen, die in Chromsäure und ihren Salzen eine braune
Färbung annehmen, liegen runde oder ovale bläschenförmige
Zellen mit je einem kleinen excentrisch angeordneten Kern, die
sich sehr schwach in Müller's Fl. färben. Mitunter ist die
Gestalt solcher Zellen eine becherförmige Diese Zellen
sind sehr vergänglicher Natur und gehen leicht zu Grunde: in
solchem Falle sieht man auf Schnitten zwischen den cylin-
1 L. c. S. 286.
2 L. c. S. 285.
Anatomie der Nebenniere. o47
drischen Zellen scharf begrenzte leere Räume, deren Form der
zu Grund gegangenen Zelle entspricht.«
Auch bei anderer Behandlung (Sublimat; Borax-Carmin),
sowie insbesonders bei Härtung und Tinction nach Ramon
y CajaTs Methode erhielt ich die becherförmigen Zellen und
ovalen Räume Dostoiewsk y's sehr deutlich. Der Vergleich
der differenten Zellformen im Marke lässt vermuthen, dass es
sich auch hier nur um verschiedene phvsiologische Zustände
einer und derselben Art von Zellen handle.
Viele der Markzellen (vom Pferd, Rind, Hund, Igel etc.)
enthalten ebensolche Körnchen, wie sie für die Rindenzellen
beschrieben wurden, nur in weit geringerer Anzahl.
Von manchen Autoren wurden neben den eigentlichen
Markzellen noch andere Elemente des Markes erwähnt, welche
nach Holm's* Zeichnungen auch mit dessen »zweifelhaft
nervösen Zellen« identisch sein dürften. Schon Holm sagt,
dass diese Zellen völlig den Charakter von Rindenzellen an
sich tragen und es lässt sich auch an seinen Abbildungen
(5^ und 6 c) kein Unterschied zwischen den »zweifelhaft
nervösen« und den Parenchymzellen der Rinde erkennen.
Räuber* bezeichnet diese, meist durch Nerven- oder
Gefässstämme von der Rinde ins Mark eingezogenen Zellen,
zuerst als Rindenzellen und Dostoiewsk}^, '^ der eine Ähn-
lichkeit dieser Elemente mit echten Nervenzellen gleich mir
nicht erkannte, lieferte den Nachweis, dass sie in der That
nichts anderes als Rindenzellen sind.
Nerven, sowie echte Ganglienzellen* fand ich im Mark
aller grösseren Thiere (Pferd, Rind u. a.) in ziemlich grosser
Anzahl.
Wenn man die Rinden-Markgrenze verfolgt, wie sich dies
bei kleineren Thieren leicht unter dem Mikroskope, bei grösseren
1 F.Holm. Über die nervösen Elemente in den Nebennieren. Wiener
Akad. Ber. Bd. Uli. 1866. S. 314.
"^ *-i L. c. S. 28.
3 L. c. S. 288 fT.
* Über Ganglienzellen d. Nebenniere vergl. auch: Pförtner, Unter-
suchungen über das Gangl. intercarot. und d. Nebenniere. Zeitschr. f. rat.
Med. Bd. XXXIII.
•'>48 M. Pfaundler,
mit freiem Auge ausführen lässt, dann trifft man es sehr häutig,
dass dieselbe kein geschlossenes Oval bildet, sondern zuweilen
zipfartige Fortsätze in die Rinde entsendet, und sich manchmal
sogar bis an die Oberfläche des Organes erstreckt.
Die Marksubstanz liegt in letzterem Falle nur theilweise
von der Rinde umgeben — an einer Stelle frei nach aussen,
wie dies beim Kaninchen von Mitsukuri^ beobachtet
wurde. Mitsukuri beschreibt beim erwachsenen Thiere
sogar einen zweiseitigen, solchen '»Markaustritt«, wobei sich
das Mark an der Oberfläche des Organs ausgebreitet habe und
in Beziehungen getreten sei zu Haufen von Zellen, die den
Markzellen geglichen und dieselbe Chromreaction gezeigt
hätten. Diese Zellhaufen selbst standen wieder in Verbindung
mitComplexen von ähnlichen, aber deutlicher abgegrenzten und
mit grösserem Kern versehenen Elementen, die Mitsukuri für
Nervenzellen hält. Diese Ganglienzellenstränge schienen ihm
in Nervenfaserbündel überzugehen und Ausbreitungen von
Nervenstämmen zu enthalten.
Meine Beobachtungen an Stellen solcher -Markaustritte <
stimmen genau mit denen Mitsukuri's überein, namentlich
konnte ich mich von dem allmäligen Übergange der an der
Oberfläche des Organs liegenden Markzellen in wirkliche
Ganglienzellen überzeugen (Katze). Bei Hund, Katze, sowie
bei Kaninchen, Ratte, Maulwurf und Fledermaus scheint das
Vorkommen einer solchen Ausbreitung des Marks, und zwar
meist längs der stärkeren Venen (Gott schau) sehr häutii^
zu sein.
Physiologische Bemerkung. Wie schon Stilling^
erwähnt, finden sich die seit langer Zeit bekannten feinen
Körnchen der Nebennieren nicht nur innerhalb der Rinden- und
Markzellen, sondern auch zwischen diesen in Lücken des
Gewebes und sie wurden von mir auch in den Blutgefäss-
räumen angetroffen. Dies gab mir die Veranlassung, den
Inhalt der Nebennierenvene (Kaninchen) zu untersuchen. Nach-
^ Mitsukuri, On the Development of tiie suprarenal Bodies in Maramalia
Journal of microscopical Science. London. New Series. Xr. 85.
••2 L. c. S. 327.
Anatomie der Nebenniere. 549
dem ich dieselbe mit grösster Sorgfalt und unter Vermeidung
jeden Druckes auf das Organ, doppelt unterbunden,
herausgenommen hatte, wurde der Inhalt frisch, sowie nach
vorhergegangener Härtung der Vene an Schnittpräparaten
untersucht. Ich fand darin dieselben Körnchen wie innerhalb
des Organes in auffallend grosser Zahl. Sehr häufig waren
sie auch noch in dem der Einmündungsstelle der Vena
suprarenalis nächstgelegenen Theile der Vena cava.
Die Körnchen finden sich im Blute dieser Venen einzeln
oder in kleine Conglomerate vereinigt und unterscheiden sich
nicht von dem im ganzen Körperblute der Säuger vorgefundenen
Körnchen fraglicher Herkunft.
Der Vergleich des Nebennierenvenenblutes mit dem Blute
der vorderen Extremität und des linken Herzens vom näm-
lichen Thiere ergab, dass die Körnchen in dem ersteren in der
40-fachen relativen Zahl zu den rothen Blutkörperchen vor-
handen waren.
Die Beobachtung von Körnchen in dem durch die Vene
aus der Nebenniere herausgepressten Safte wurde bereits von
Gottschau* gemacht.
Das Blut, welches durch die Nebenniere wegen der Weite
der in ihr enthaltenen Blutgefässe in langsamem Strome fliesst,
kommt mit den Zellen, von denen es nur durch eine zarte
Intima getrennt ist, in innigste Beziehung (v. Brunn).
Da nun, wie oben bemerkt, die Körnchen theils in den
Zellen liegend, theils in dem Inneren derGefässe, sowie endlich
in der Vena suprarenalis angetroffen werden, so liegt die
Vermuthung nahe, dass die in den Zellen gebildeten
Körnchen in den Blutstrom der Nebenniere gelangen
und durch die Nebennierenvene dem Körperkreis-
lauf zugeführt werden. Die Nebennieren wären dem-
nach als Organe anzusehen, deren Elemente eigen-
thümliche Stoffe* in Form feinster Körnchen aus-
1 L. c. s. 437.
'-i Was die chemische Zusammensetzung dieses den Nebennieren eigen-
thümlichen Stoffes betrifft, so scheint es sich nach den in neuester Zeit von
Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; CI. Bd. Abth. III. 38
550 M. Pfaundler,
scheiden und deren Gefässe die ausgeschiedenen
Körnchen aufnehmen und abführen. Die im Blute
der Säuger vorhandenen bekannten Körnchen würden
demnach — wenigstens zum grossen Theile — aus
den Nebennieren stammen.
V. Brunn's* Hypothese über die physiologische Bedeutung
der Nebenniere geht dahin, dass die Zellen »aus dem Blute
irgend einen Bestandtheil aufnehmen, ihn in irgend einer
Weise verändern und dem Blute zurückgeben«. Im Vorher-
gehenden wurde gezeigt, dass von den Zellen der Nebenniere
Stoffe in Form von feinsten Kömern gebildet, ausgeschieden
und in die Blutbahn überführt werden. Der Annahme, dass
diese Kömer von Bestandtheilen des Blutes stammen, welche
von den Nebennierenelementen aufgenommen und verändert
wurden, steht, in Anbetracht der innigen Beziehungen der
Zellen der Nebennieren zu dem in ihr kreisenden Blute nichts
im Wege; jedenfalls ist aber auf die specifische Fähigkeit der
Zellen der Nebenniere, der Production von eigenthümlichen
Körnern, die Aufmerksamkeit zu richten.
Nach dem Gesagten schliesse ich mich der Anschauung
St i Hing's,* welcher seinen Untersuchungen über die Lymph-
gefässe der Nebenniere zufolge, diese als die Abführungs-
wege eines Secrets ansah, nicht an. Auch der heute in
Geltung stehenden Ansicht Still ing*s, dass die Nebenniere
im gesunden Körper zur Pigmentbildung in Beziehung
trete, kann ich nicht beipflichten, und zwar hauptsächlich auf
Grund des, wie mir scheint, wichtigen Befundes, dass
Alexander (1. c.) ausgeführten Untersuchungen um Cholesterin und
Lecithin (»einen der wichtigsten Stoffe für das Nervensystem«) zu handein.
Über die Chemie der Nebennieren vergl. ferner: J. G. Zellweger^ Unter-
suchungen über die Nebennieren. Frauenfeld, 1858. — Virchow, in dessen
Archiv. Bd. XII, S. 481-483. - Vulpian, Gaz. med. 1856, 1857, Gaz.
hebdom. 1857. — Seligsohn, Virchow's Archiv Bd. XYIll. S. 355 ff. -
Arnold, 1. c. S. 104 ff.
1 L. c.
2 L. c. vergl. auch Kulmus inHaller's Elementa physiologiae 1575.
Vlil, S. 65.
Anatomie der Nebenniere. OD 1
sich im Aussehen der Nebennierenelemente bei sehr stark
pigmentirten und bei albinotischen Thieren . derselben Art
(Kaninchen, Maus, Katze, Taube) kein, wenn auch noch so
geringer, wesentlicher Unterschied erkennen Hess.
Am Schlüsse dieser Arbeit sei es mir gestattet, meinem
hochverehrten Lehrer, Herrn Professor H oll, für die Anregung
zu derselben und die mir zu Theil gewordene vielfache Unter-
stützung meinen besten Dank auszusprechen.
38 •
552 M. Pfaundler,
Erklärung der Abbildungen.^
Fig. 1. Aus einem Radiärschnitt durch die Nebenniere eines 15jährigen Pferdes.
Sublimatbehandlung, Friedländer 's Hämatoxylin. K Bindegewebige
Kapsel, Im deren Fortsätze in das Innere, b Zweige derselben, /w^Gefass
in den Fortsätzen der Kapsel, c, p, a, ß Rindenstränge, c äussere
Schichte der Rinde mit Cylinderzellen, p innere Schichte derselben mit
polygonalen (rundlich-eckigen) Zellen, abg äusserer Bogen zweier in
demselben Fache liegender , ibg innerer Bogen zweier aus benachbarten
Fächern stammender Rindenstränge, / zellige Fortsätze der Rinden-
stränge, an Anastomose der Rindenstränge, t Zweige der Rinden-
stränge, g Gefäss zwischen zwei Rindensträngen, mz Markzellen,
ge quergeschnittenes, / längs geschnittenes Gefäss im Mark, r die
basalen Kerne zweier Markzellenreihen (doppelte Kemreihe s. Text).
Fig. 2. Aus einem Oberflächen -parallelen Schnitt unmittelbar unter der
Kapsel einer Pferdenebenniere. Sublimat, Friedländer's Hämatoxylin,
Zeiss, Apoch. 16*0 mm Oc. 12. Im quergeschnittene lamellenartige
Fortsätze der bindegewebigen Kapsel. A geschlossener, B nicht ge-
schlossener Zellring (Querschnitt eines Hohlcylinders), C solider Zell-
strang, D Querschnitt der Kuppe eines Cylinders (Fig. 1 äbg)^ g Gefäss
im Hohlcylinder (Fig. 1 g), c Cylinderzellen, Img Geföss im binde-
gewebigen Fortsatz der Kapsel.
Fig. 3. Querschnitt der inneren Rindenschichte einer Pferdenebenniere, nahe
der Markgrenze. Absol. Alk., Böhmer*s Hämatoxylin, Zeiss, Apoch.
16 mm Oc. 8. p polygonale Zellen (Fig. \ p). ^ Gefasse.
Fig. 4. Aus einem Radiärschnitte durch die Nebennierenrinde eines fünf Tage
alten Hundes. Sublimat, Grenacher's Hämatoxylin, Zeiss. Apoch.
16 '0mm Oc. 12. K Kapsel, Im bindegewebiger F'ortsatz derselben,
c Cylinderzellen.
Fig. 5. Aus einem Radiärschnitt durch die Nebennierenrinde eines erwachsenen
Hundes. Sublimat, Gre nach er's Hämatoxylin. Zeiss Apoch. 16' 0mm,
Oc. 6. K Kapsel, Im deren bindegewebige Fortsätze, ihg innere
Bögen der Rindenstränge, abg äussere Bögen der Rindenstränge c cylin-
drische, p polygonale Zellen.
Fig. 6. Aus einem Radiärschnitt durch die Nebennierenrinde einer Fleder-
maus. M Uli er'sche Flüssigkeit. Friedländer's Hämatoxylin, Zeiss
1 Die Zellen in den Abbildungen 1 und 6 wurden, um die Zeich-
nungen einfacher zu gestalten, nach der Natur etwas schematisirt.
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Sitzungsberichte d.kais. Akad. d.Wiss., math.-naturw.Classe, Bd.CI. Abth.IH. 1892.
Anatomie der Nebenniere. 553
Apoch. S'Omm, Oc. 8. K Kapsel, Im deren Fortsätze, za helle,
zi dunkle Zellen der Rinde, s sichelförmige Zellen, ibg innerer Bogen
der Rindenstränge, abg, äusserer Bogen der Rindenstränge / Fortsetzung
der Rindenstränge gegen das Mark, g Gefass zwischen zwei Rinden-
strängen.
Fig. 7. Zellen aus einem Schnitt durch die Nebennierenrinde des Pferdes.
Hermann 's Flüssigkeit. Zeiss Apoch. 4*0 mm, Oc. 18. a Zelle
mit feinreticulirtem Protoplasma, b Zelle mit lockerem protoplasma-
tischen Netzwerk, c Zelle mit sehr weitem Maschenwerk und ge-
schrumpftem Kerne (siehe Text S. 535).
Fig. 8. Zellen aus der inneren Rindenschichte der Pferdenebenniere. Absol.
Alk. Friedländer 's Hämatoxylin. Zeiss Apoch. 4' 0 mm, Oc. 18
(siehe Text S. 536).
554
XXIV. SITZUNG VOM 17. NOVEMBER 1892.
Der Secretär legt das erschienene Heft VII (Juli 1892)
des 101. Bandes der Abtheilung H.a. der Sitzungsberichte»
femer das Heft IX (November 1892) des 13. Bandes der
Monatshefte für Chemie vor.
Femer legt der Secretär folgende eingesendete Ab-
handlungen vor:
1. »Gesetzmässiger Vorgang beim Factorenzer-
legen eines Polynoms«, von Herrn k. und k. Hauptmann
Josef Baschny, Lehrer an der Infanterie-Cadettenschule zu
Karlstadt in Croatien.
2. »Luftelektricitätsmessungen im Luftballon«,
von Dr. Josef Tuma, Assistent am physikal.-chemischen In-
stitute der k. k. Universität in Wien.
Das w. M. Herr Prof. Emil Weyr in Wien überreicht eine
Abhandlung: »Über algebraische Jn-\ auf Trägern vom
Geschlechte Eins«.
Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht eine in seinem
Laboratorium ausgeführte Arbeit des Herrn Emerich Selch:
Ȇber das Diresor ein und die Einwirk ungderSchwe fei-
säure auf dasselbe«.
Herr Dr. Jos. Finger, Professor an der k. k. technischen
Hochschule in Wien, überreicht eine Abhandlung: »Über jenes
Massenmoment eines materiellen Punktsystems,
welches aus dem Trägheitsmomente und dem Devia-
tion smomente in Bezug auf irgend eine Axe resultirt«.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEM DER WISSENSCHAFTEN.
MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CI. BAND. X. HEFT.
ABTHEILUNG I.
ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE,
KRYSTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE.
PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN.
557
XXV. SITZUNG VOM 1. DECEMBER 1892.
Die American Philosophical Society ia Phil-
adelphia ladet die kaiserliche Akademie zur Theilnahme
an der Feier ihres 150jährigen GründungsfestTes in den Tagen
vom 22. bis 26. März 1893 ein.
Herr Dr. V. Hilber in Graz übersendet eine Abhandlung,
betitelt: »Fauna der Pereiraia-Schichten von Bartelmae
in Unter-Krain«.
Herr Gejza v. Bukowski übersendet eine vorläufige
Notiz über die Molluskenfauna der levantinischen
Bildungen der Insel Rhodus.
Der Secretär legt eine Abhandlung von Dr. Gustav Jäger,
Privatdocent an der k. k. Universität in Wien, betitelt: »Über
die Temperaturfunction der Zustandsgieichung der
Gase«, vor.
Femer legt der Secretär ein von dem k. k. Bezirks-
hauptmann i. R. Herrn Emanuel Puch berger in Wien behufs
Wahrung der Priorität eingesendetes versiegeltes Manuscript
vor, mit der Aufschrift: »Lösung eines mathematischen
Problems«.
Das w. M. Herr Director E. Weiss berichtet über die
Kometenentdeckungen der letzten Zeit, und zwar über jene,
welche Holmes am 6. November und über jene, welche
Brooks am 20. November 1. J. gelang.
Das w. M. Herr Hofrath Prof V. v. Lang überreicht eine
Mittheilung der Herren Director Dr. J. M. Eder und E. Valenta
558
in Wien über einige neue Linien im brechbarsten,
ultravioletten Emissionsspectrum des metallischen
Calciums.
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
Le Prince Albert I®^ Prince de Monaco, Resultats de Cam-
pagnes Scientiflques accomplies sur Son Yacht »THiron-
delle«. Fascicule II. Contribution ä Tetude des Spongiaires
de r Atiantique Nord par E.Topsent. (Avec onze Planches.)
Publies sous Sa direction avec le concours deM. LeBaron
Jules de Guerne, Charge des Travaux zoologiques
ä bord. Imprimerie de Monaco, 1892; 4*
Adamkiewicz A., Untersuchungen über den Krebs und das
Princip seiner Behandlung. (Experimentell und klinisch.)
(Mit 8 Tafeln.) Wien, 1893; S^.
Festschrift für die Mitglieder der XXVI. Wanderversammlung
ungarischer Arzte und Naturforscher: Beiträge zu einer
Monographie der königl. freien Stadt Kronstadt
Herausgegeben auf Kosten der Festgemeinde. Kronstadt,
1892; 8^
5Ö0
XX VL SITZUNG VOM 9. DECEMBER 1892.
Herr Geheimrath Prof. Dr. Albert von Koelliker in Würz-
burg dankt für seine Wahl zum ausländischen Ehrenmitgliede
der nnathematisch-naturwissenschaftlichen Classe.
Das c. M. Herr Regierungsrath Prof. Dr. F. Mertens in
Graz übersendet eine Abhandlung: »Ober einen algebrai-
schen Satz«.
Das w. M. Herr Hofrath Dr. C. Claus überreicht die Fort-
setzung des von ihm herausgegebenen Werkes: »Arbeiten
aus dem zoologischen Institute der k. k. Universität
in Wien und der zoologischen Station in Tri est«. Bd. X,
Heft II. 1892.
Ferner überreicht Herr Hofrath Claus eine Abhandlung
unter dem Titel »Die Anatomie der Pontelliden und das
Gestaltungsgesetz der männlichen Greifantenne«.
560
XXVII. SITZUNG VOM 15. DECEMBER 1892-
Der Secretär legt den 59. Band (Jahrgang 1892) der
Denkschriften und die aus demselben veranstaltete CoUectiv-
Ausgabe der Berichte der Commission für Erforschung
des östlichen Mittelmeeres (Erste Reise), ferner das
erschienene Heft VIII (October 1892) des 101. Bandes der
Abtheilung II. a. der Sitzungsberichte vor.
Das w. M. Herr Regierungsrath Prof. E. Mäch in Prag
übersendet eine Abhandlung: »Zur Geschichte und Kritik
des Carnot'schen Wärmegesetzes«.
Ferner übersendet Prof. Mach eine vorläufige Mittheilung
des Herrn Med. Cand. W. Pascheies: Ȇber ein elek-
Irisches Mass der Circulation und Resorption in der
menschlichen Haut«.
Das w. M. Herr Prof. J. Wiesner überreicht eine von
A. Zoebl und C. Mikosch in Brunn ausgeführte Arbeit, betitelt:
»Die Function der Grannen der Gerstenähre«.
Das w. M. Herr Prof. E. Weyr überreicht eine für die
Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: Ȇber Vervoll-
ständigung von Involutionen auf Trägern vom
Geschlechte Eins und über Steiner'sche Polygone«
(II. Mittheilung).
Das w. M. Herr Hofrath Director J. Hann überreicht eine
Abhandlung von Prof. Karl Kolbenheyer unter dem Titel:
»Untersuchungen über die Veränderlichkeit der
Tageste mperatur«.
Das w. M. Herr Prof. Ad. Lieben überreicht eine in seinem
Laboratorium ausgeführte Arbeit von Dr. C. Pomeranz:
»Über das Bergapten« II.
561
Das w. M. Herr Hofrath Prof. V. v. Lang überreicht eine
Abhandlung von Director Dr. J. M. Eder in Wien: Ȇber die
Verwendbarkeit der Funkenspectren verschiedener
Metalle zur Bestimmung der Wellenlänge im Ultra-
violetten, mit Bezug auf das Spectrum des Sonnen-
lichtes, Drummond'schen,Magnesium-und elektrischen
Bogenlichtes«.
Der Vorsitzende Herr Hofrath Prof. J. Stefan überreicht
eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung: »Über
das Gleichgewicht der Elektricität auf einer Scheibe
und einem Ellipsoide«.
Herr J. Liznar, Adjunct der k. k. Centralanstalt für
Meteorologie und Erdmagnetismus, überreicht einen IV. vor-
läufigen ßerichtüber: »Eine neue magnetische Aufnahme
Österreichs*.
Herr Dr. H. Strache, Privatdocent an der k.k. technischen
Hochschule in Wien, überreicht eine von ihm in Gemeinschaft
mit Herrn S. Iritzer ausgeführte Arbeit: »Über die Oxyda-
tion der Säurehydrazide durch Fehling'sche Lösung«.
Herr Dr. Josef Schaff er, Privatdocent und Assistent am
histologischen Institute der k. k. Universität in Wien, über-
reicht eine Arbeit, betitelt: »Beiträge zur Histologie und
Histogenese der quergestreiften Muskelfasern des
Menschen und einiger Wirbelthiere«.
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
Otto Herman, J. S. v. Petenyi, der Begründer der wissen-
schaftlichen Ornithologie in Ungarn 1799 — 1855. Ein
Lebensbild. Schriften des ungarischen wissenschaftlichen
Comites für den II. internationalen ornithologischen Con-
gress. (Mit Titelbild.) Budapest, 1891; 4«.
Weinek J., Astronomische Beobachtungen an der k. k. Stern-
warte zu Prag in den Jahren 1 888 — 1891, nebst Zeichnungen
und Studien des Mondes. Appendix zu den Jahrgängen
49—52. Prag 1893; 4«.
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