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HARVARD UNIVERSITY.
LIBRARY
OP THE
MUSEUM OP COMPARATIVB ZOÖLOGY.
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SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
MATHEMATISCH-NATURWfSSENSCHAnUCHECUSSE.
HUNDERTFÜNFTER BAND.
■ 8 ^»^ Ol
WIEN, 1896.
AUS DER KAISERLICH- KÖNIGLICHEN HOF- UND STAATSDRUCKEREI.
IN COMMISSION BEI CARL GEROLD'S SOHN,
BUCHHÄNOLBR DRR KAISEKLICHSN AKADRMIK DER WISSBNSCH APTRN.
SITZUNGSBERICHTE
DER
MATHEMATISCH-MTÖRWISSENSCHAFTLICHENCLASSE
DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
CV. BAND. ABTHEILUNG I.
Jahrgang 1896. — Heft 1 bis X.
(MIT 26 TAFELN, 4 KARTENSKIZZEN UND 35 TEXTFIGUREN.)
"'^WIEN, 1896.
AUS DER KAISERLICH -KÖNIGLICHEN HOF- UND STAATSDRUCKEKEL
IN COMMISSION BEI CARL GEROLD'S SOHN,
BUCHHÄNOLBR DBR KAISKKLICHBN AKADBMIB OBK WISSBNSCHAPTBN.
C'r
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Ilu7
INHALT.
Seite
I. Sitzung vom 0. Jänner 1896: Übersicht 3
II. Sitzung vom 16. Jänner 1896: Obersicht 71
III. Sitzung vom 23. Jänner 1896: Übersicht 72
IV. Sitzung vom 6. Februar 1896: Übersicht 77
V. Sitzung vom 13. Februar 1896: Obersicht 79
VI. Sitzung vom 20. Februar 1896: Obersicht 81
VII. Sitzung vom 5. März 1896: Übersicht 193
vm. Sitzung vom 12. März 1896: Obersicht 195
IX. Sitzung vom 19. März 1896: Obersicht 196
X. Sitzung vom 16. April 1896: Übersicht 267
XI. Sitzung vom 23. April 1896: Obersicht 353
XII. Sitzung vom 7. Mai 1896: Übersicht 357
XIII. Sitzung vom 15. Mai 1896: Übersicht 359
XJV. Sitzung vom 21. Mai 1896: Übersicht 393
XV. Sitzung vom 11. Juni 1896: Übersicht 397
XVI. Sitzung vom 18. Juni 1896: Übersicht 433
XVn. Sitzung vom 2. Juli 1896: Übersicht 467
XVin. Sitzung vom 9. Juli 1896: Übersicht 469
XIX. Sitzung vom 8. October 1896: Übersicht 601
XX. Sitzung vom 15. October 1896: Übersicht 649
XXI. Sitzung vom 22. October 1896: Übersicht 650
XXII. Sitzung vom 5. November 1896: Übersicht 741
XXin. Sitzung vom 12. November 1896: Übersicht 743
XXIV. Sitzung vom 19. November 1896: Übersicht 744
XXV. Sitzung vom 3. December 1896: Übersicht 747
XXVI. Sitzung vom 10. December 1896: Übersicht 749
XXVn. Sitzung vom 17. December 1896: Übersicht 750
Adensamer Tk., Über Ascodipterou phyllorhiftae (n. gen., n. sp.),
eine eigenthümliche Pupiparenform. (Mit 2 Tafeln.) [Preis:
40 kr. = 80 Pfg.] 400
Burgerstein A., Weitere Untersuchungen über den histologischen
Bau des Holzes der Pomaceen, nebst Bemerkungen über
das Holz der Amygdaleen. [Preis : 30 kr. = 60 Pfg.] ... 552
V'l
Seile
Fuchs Tk., Vorläufige Mittheilung über einige Versuche, ver-
schiedene, in das Gebiet der Hieroglyphen gehörige pro-
blematische Fossilien auf mechanischem Wege herzustellen.
[Preis: 20 kr. = 40 Pfg.] 417
EUingskausen C, Freih. v.. Über neue Pflanzenfossilien in der
Radoboj-Sammlung der Universität Lüttich. (Mit 5 Tafeln
und 4 Textfiguren.) [Preis: 80 kr. = 1 Mk. 60 Pfg.l ... 473
Ginzherger i4.. Über einige Lathyrus-htien aus der Section Eula-
ihyrus und ihre geographische Verbreitung. (Mit 1 Tafel,
2 Kartenskizzen und 1 Textfigur.) Preis: 1 fl. =2 Mk.] . . 281
Gjokid G., Zur .Anatomie der Frucht und des Samens von Viscnm.
(Mit 1 Tafel.) [Preis : 30 kr. = 60 Pfg.] 447
Heberdey PK Krystallmessungen IL (Mil 28 Textfiguren.) [Preis:
55 kr. = 1 Mk. 10 Pfg.] 96
Hilber V., Geologische Reise in Nord-Griechenland und Türkisch-
Epirus 1895. (Vorläufiger Bericht.) [Preis: 20 kr. = 40 Pfg.| 501
Klapälck Fr., Über die Geschlechtstheile der Plecopteren, mit be-
sonderer Rücksicht auf die Morphologie der Genitalanhänge.
(Mit 5 Tafeln.) [Preis: 1 fl. 40 kr. = 2 Mk. 80 Pfg.] ... 683
Luksch /., Vorläufiger Bericht über die physikalisch -oceano-
graphischen Untersuchungen im Rothen Meere. October
1895 bis Mai 1896. (Mit 2 Kartenskizzen.) [Preis: 60 kr. =
IMk. 20 Pfg.] 361
Maly G. W.^ Untersuchungen über Verwachsungen und Spaltungen
von Blumenblättern. (Mit 2 Tafeln.) [Preis: 45 kr. =
90 Pfg.] 269
Mojsisovics E. v.. Über den chronologischen Umfang des Dachstein-
kalkes. [Preis: 40 kr. = 80 Pfg.] 5
Molisch H.. Das Erfrieren von Pflanzen bei Temperaturen über
dem Eispunkte. [Preis: 20 kr. = 40 Pfg.] 82
— Die Ernährung der Algen (Süsswasseralgen, IL Abhand-
lung). [Preis; 20 kr. = 40 Pfg.] 633
Nesller A., Untersuchungen über die Ausscheidung von Wasser-
tropfen an den Blättern. (Mit 2 Tafeln.) [Preis: 50 kr. =--
1 Mk.] 521
Pintner Th., Studien über Tetrarhynchen nebst Beobachtungen an
anderen Bandwürmern. (IL Mittheilung.) (Mit 4 Tafeln.)
[Preis: 90 kr. = 1 Mk. 80 Pfg.] 652
Richter E., Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen.
(Mit 2 Tafeln und 2 Textfiguren.) [Preis: 45 kr. = 90 Pfg.] 147
Sleindachner F., Vorläufiger Bericht über die zoologischen Ar-
beiten im nördlichen Theile des Rothen Meeres während
der Expedition Sr. Majestät Schiff »Polac in den Jahren
1895—1896. (October 1895 bis Ende April 1896.) [Preis:
20 kr. = 40 Pfg.] 583
VII
Seite
Steiner /., Beitrag zur Flechtenflora Südpersiens. [Preis : 1 5 kr. =
30Pfg.] 436
Stoklasa /., Über die Verbreitung und physiologische Bedeutung
des Lecithins in der Pflanze. [Preis: 30 kr. = 60 Pfg.] . . 604
Tschermak E., Über die Bahnen von Farbstoff- und Salzlösungen
in dicotylen Kraut- und Holzgewächsen. [Preis: 30 kr?=
60 Pfg.] 41
Werner F., Über die Schuppenbekleidung des regenerirten
Schwanzes bei Eidechsen. (Mit 2 Tafeln.) [Preis: 45 kr. =
90 Pfg.] 123
Zukal H.t Morphologische und biologische Untersuchungen über
die Flechten. (III. Abhandlung.) [Preis: 75 kr. = 1 Mk. 50 Pfg.] 197
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SITZUNGSBERICHTE
' OJ^ DER KAISERLICHEN
AKADEMIE DEH WISSENSCHAFTEN.
MATHEMATISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CV. BAND. I. UND II. HEFT.
JAHRGANG 1896. — JÄNNER UND FEBRUAR.
ABTHEILUNG L
ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE,
KRYSTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE,
PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN.
■ MIT^4 TAl-KLN UND ?y) TEXTFIOURKV.)
\VIP:N, 1896.
AUS DER KAISKRLICH-KÖNMGLirilKN HOF- UND STAATSD R UC K FREI.
IN COMMISSION BEI CARL GEROLDS SOHN,
PL'CHH\NMEK PER K Al^RRI.ir HKN AKADEMIE UF.K \V J>-s b NSC H A T rfcX
INHALT
des 1. und 2. Heftes Jänner und Februar 1896 des CV. Bandes, Ab-
theilung I der Sitzungsberiohte der mathem.-naturw. Classe.
Seite
I. Sitzung vom 9. Jänner 1896: Übersicht 3
Mojsisovics E. v.. Über den chronologischen Umfang des Dachstein-
kalkes. [Preis : 40 kr. = 80 Pfg.] 5
Tschennak E., Über die Bahnen von Farbstoff- und Salzlösungen
in dicotylen Kraut- und Holzgewächsen. [Preis: 30 kr. =
60 Pfg.] 41
11. Sitzung vom 16. Jänner 1896: Übersicht 71
III. Sitzung^ vom 23. Jänner 1896: Übersicht '. . . . 72
IV. Sitzung vom 6. Februar 1 896 : Übersicht 77
V. Sitzung vom 13. Februar 1896: Übersicht 79
VI. Sitzung vom 20. Februar 1896: Übersicht 81
Molisch H.» Das Erfrieren von Pflanzen bei Temperaturen über
dem Eispunkte. [Preis: 20 kr. = 40 Pfg.] 82
Heberdey Ph., Krystallmessungen II. (Mit 28 Textfiguren.) [Preis:
55 kr. = 1 Mk. 10 Pfg.] 96
Werner F., Über die Schuppenbekleidung des regenerirten
Schwanzes bei Eidechsen. (Mit 2 Tafeln.) [Preis: 45 kr. =
90 Pfg.] 123
Richter E., Geomorphologische Beobachtungen aus Nom'egen.
(Mit 2 Tafeln und 2 Textfiguren.) [Preis: 45 kr. = 90 Pfg.] 147
Preis des ganzen Heftes; 1 fl. 85 kr. = 3 Mk. 70 Pfg. ,
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CV. BAND. I. HEFT.
ABTHEILUNG I.
ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE,
KRYSTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE,
PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN.
L
I. SITZUNG VOM 9. JÄNNER 1896.
Das Curatorium der Schwestern Fröhlich-Stiftung
in Wien übermittelt die diesjährige Kundmachung über die
Verleihung von Stipendien und Pensionen aus dieser Stiftung
zur Unterstützung bedürftiger und hervorragender schaffender
Talente auf dem Gebiete der Kunst, Literatur und Wissenschaft.
Die geographische Gesellschaft in Lissabon ladet
zur Theilnahme an der am 8. Juli 1897 stattfindenden Feier
der vor vier Jahrhunderten unternommenen Expedition des
Vasco de Gama ein.
Der Secretär macht Mittheilung von dem vom k. u. k.
Reichs-Kriegs-Ministerium, Marine-Section, zur Einsicht zuge-
schickten Missionsberichte S. M. Schiffes »Pola« für den
Monat November 1895.
Das w. M. Herr Hofrath Prof. J. Wiesner überreicht eine
von Herrn Erich Tschermak im botanischen Institute der
Universität Halle a. S. ausgeführte Arbeit: »Über die Bahnen
von Farbstoff- und Salzlösungen in dicotylen Kraut-
und Holzgewächsen«.
Das w. M. Herr Oberbergrath Dr. Edm. v. Mojsisovics
überreicht eine für die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung:
Ȇber den chronologischen Umfang des Dachstein-
kalkes«.
Das w. M. Herr Prof A. Schrauf überreicht eine im
mineralogischen Museum der k. k. Universität in Wien aus-
geführte Arbeit des Herrn Dr. Philipp Heberdey, unter dem
Titel: »Krystallmessungen« (II).
1*
Herr Prof. Dr. Franz Toula von der k. k. technischen
Hochschule in Wien erstattet einen vorläufigen Bericht über
seine mit Subvention von Seite des h. k. k. Ministeriums für
Cultus und Unterricht im Sommer 1895 ausgeführte Reise an
den Bosporus und an die Südküste des Marmara-
meeres.
Herr Prof. Dr. Josef Schaffer in Wien überreicht eine
Mittheilung: Ȇber einen neuen Befund von Centro-
somen in Ganglien- und Knorpelzellen«.
über den ehronologisehen Umfang des
Daehsteinkalkes
Dr. Edmund v. Mojsisovics,
w. M. k. Akad.
Zwei, häufig zu grosser Mächtigkeit anwachsende Kalk-
und Dolomitmassen spielen die hervorragendste Rolle in der
Zusammensetzung des ostalpinen Triasgebirges. Die ältere
derselben ist der Wettersteinkalk (Schierndolomit, Esinokalk)
die jüngere der Dachsteinkalk (Hauptdolomit, Dolomia media).
Eine mergelig-kalkige Zwischenlage (Raibler Schichten) trennt
in der Regel diese beiden Hauptmassen des thonarmen Trias-
kalkes.
Wo keine heteropischen Einlagerungen die Einheit des
Wetterstein- und Dachsteinkalkes unterbrechen und eine Gliede-
rung zulassen, bilden die genannten Kalkcomplexe untrennbare,
einer detailirten Gliederung unzugängliche Körper. Wo jedoch,
wie dies namentlich in den südosttirolischen Triasdistricten der
Fall ist, heteropische Regionen das Kalk- und Dolomitgebiet
unterbrechen und häufige Wechsellagerungen an den Grenzen
der Faciesbezirke eintreten, da konnte der stratigraphische
Inhalt und der Umfang des thonarmen Triaskalkes schärfer
bestimmt und nachgewiesen werden, dass der Schierndolomit
(Wettersteinkalk) einer Mehrheit von paläontologischen Zonen
ganz oder theilweise entspricht.^ Es steht heute fest, dass diese
Riffkalk-Facies stellenweise von den Raibler Schichten abwärts
bis zu den Werfener Schichten reicht, sonach nicht nur die
1 Man vergl. Dolomitriffe von Südtirol und Venetien.
Ö E. V. Mojsisov CS,
tieferen Glieder der tirolischen ^ Serie, sondern auch noch die
dinarische Serie umfasst. Weitaus häufiger ist aber der Fall,
dass die dinarische Serie heteropisch ausgebildet ist, so dass
bloss die drei älteren Unterstufen der tirolischen Serie in der
Riff kalk - Facies vertreten sind. Unter den im Allgemeinen
seltenen Fossilien, welche der Riff-Facies und ihren verschieden-
artigen heteropischen Äquivalenten gemeinsam sind, stehen die
Cephalopoden in erster Reihe. Trotzdem dieselben in den Riff-
kalken nur local beschränkt, nesterförmig auftreten und daher
keineswegs gleichmässig verbreitet sind, wurde durch dieselben
doch der wünschenswerthe paläontologische Nachweis für die
Vertretung wenigstens einiger der durch den Riffkalk ver-
tretenen faunistischen Einheiten (Zonen) ermöglicht.
In der oberen Kalkmasse, dem an der Basis durch die
Raibler Schichten, im Hangenden durch den unteren Lias be-
grenzten Dachsteinkalk unterschied ich bis zum Jahre 1892
bloss zwei Zonen. Es waren dies die Zone der Avicula con-
torta (Rhätische Stufe), welche die geringer mächtigen obersten
Partien des isopisch entwickelten Dachsteinkalkes umfasst,
und die Zone der Avicula exiliSy welcher die Hauptmasse des
Dachsteinkalkes zugerechnet wurde. Dazu muss jedoch bemerkt
werden, dass in den Regionen der typischen Dachsteinkalk-
Entwicklung eine scharfe Grenze zwischen den genannten
beiden Zonen nicht gezogen werden konnte. Auch wurde
wiederholt betont, dass eine scharfe Grenze gegen unten, d. i.
gegen die Raibler Schichten, gleichfalls nicht existirt, und dass
ein gewisser, nicht genauer zu fixirender Theil der untersten
Partien des Dachsteinkalkes höchst wahrscheinlich noch der
Zone des Trachyceras Äonoides (Raibler Schichten) zuzuzählen
sein dürfte.
Die Bezeichnung Zone der Avicula exilis und des Turbo
solitariuSy welche ich der damals noch zur Karnischen Stufe
gezählten Hauptmasse gegeben hatte, war ein Verlegenheits-
name, welchen die etwas reichere Local fauna des südwest-
1 E. V. Mojsisovics, W. Waagen und C. Diener, Entwurf einer
Gliederung der pelagischen Sedimente des Triassystems. Diese Sitzungsber.,
Hd. CIV, Abth. I, S. 1271 — 1302.
Chronologischer Umfang des Dachsteinkalkes. 7
lirolischen und lombardischen Dachsteinkalkes (Dolomia media)
dargeboten hatte. Ich betonte aber bereits im Jahre 1878,
dass es nicht möglich sei, *den genauen historischen Werth
des Kamischen Dachsteinkalkes zu ermitteln«, und »dass nicht
übersehen werden dürfe, dass anderwärts ein mehrfacher
Wechsel der Fauna eingetreten sein könnte, ohne bei der Fort-
dauer der gleichen physikalischen Verhältnisse in den Alpen
wahrnehmbare oder mit jenen Änderungen correspondirende
Spuren zurückgelassen zu haben«. ^
Durch die in neuester Zeit gewonnene Erkenntniss, dass
die Hallstätter Kalke des Salzkammergutes eine ganz eigen-
thümliche, aus der dinarischen Serie ununterbrochen bis an
die untere Liasgrenze reichende Triasentwicklung darstellen,^
bieten sich auch für die Frage nach dem stratigraphischen
Inhalte des Dachsteinkalkes neue Gesichtspunkte dar. Ich habe
zwar bereits in dem der Abhandlung über »Die Hallstätter Ent-
wicklung der Trias« beigegebenen Schema der wichtigsten
Fasciesgebilde der ostalpinen Trias ganz klar meine Meinung
in dem Sinne zum Ausdrucke gebracht, dass der vorher als
Karnischer Dachsteinkalk bezeichnete Complex nunmehr als
ein Zeitäquivalent der oberkarnischen Zone des Tropites
subbullalus und der neu aufgestellten juvavischen Stufe zu
betrachten ist. Diese Parallelisirung steht aber nicht nur mit
althergebrachten Anschauungen im schärfsten Gegensatze,
sondern stellt auch Ablagerungen neben einander, welche
nach Gesteinscharakter, Mächtigkeit und Fossilführung von
einander total abweichen. Ich wundere mich daher auch nicht
im geringsten, wenn Zweifel an der Richtigkeit der Gleich-
stellung ausgesprochen werden, und aus diesem Grunde sehe
ich mich veranlasst, mich etwas eingehender mit der Begründung
derselben zu befassen.
Die Hallstätter Entwicklung der Trias, welche auf die
nördlichen Kalkalpen zwischen Berchtesgaden im Westen und
Bernstein im Osten beschränkt ist, nimmt innerhalb dieses
enge begrenzten Gebietes selbst wieder nur sehr untergeordnete,
1 Dolomitriffe von Südtirol und Venetien, S. 70.
- Diese Sitzungsber., Bd. CI, Abth. I, S. 769.
14 E. V. Mojsisovics,
als der Opponitzer Dolomit sein sollte, festgehalten, wie die
Farbenlegende zu seiner geologischen Karte der Umgebung
von Wien (1891) beweist.
Nachdem ich bereits in den Jahren 1869^ und 187P den
Nachweis geführt hatte, dass der nordtirolische Hauptdolomit im
Salzburgischen seinen Charakter ändert und in den Dachstein-
kalk übergeht, beide Bildungen sonach nur stellvertretende
Facies sind, zeigte ich im Jahre 1874, dass die Kalke des
Ewigen Schneeberges als die »Korallenriff-Facies des Haupt-
dolomites« zu betrachten sind. »In der Richtung gegen Norden
nimmt der Korallenkalk rasch an Mächtigkeit ab, und an seine
Stelle tritt die wohlbekannte Facies des Dachsteinkalkes, welche
jedoch auch zahlreiche Korallenkalkbänke (sogenannten Litho-
dendronkalk), alternirend mit Megalodusbänken und dolomiti-
schen Kalken enthält«^
»In diesem an Korallenresten ungemein reichen Kalke
finden sich stellenweise, ohne fortlaufende Schichten zu bilden,
Einlagerungen eines rothen knolligen Kalkes, ähnlich gewissen
rothgefärbten Zwischenlagen des Dachsteinkalkes. Ausser
Korallen sind mir aus diesem Kalke grosse Gasteropoden, ver-
schieden von den Arten des Wettersteinkalkes und von einer
Stelle am Südgehänge des Hochkönigs (Ewiger Schneeberg)
auch, der Art nach zwar der Erhaltung wegen nicht bestimm-
bare, aber jedenfalls von allen mir bekannten Fornen der Hall-
stätter Kalke abweichende Reste von Arcestes und Pinacoceras
(aus der Gruppe des Pinacoceras platyphylhtm) bekannt ge-
worden.»"*
Diese Ammonitenreste gehören den Mayerhofer* sehen
Funden an. Sie sind identisch mit den Ammoniten, welche
von Foetterle, Fr. v. Hauer und Stur angeführt und ihrer
schlechten Erhaltungsweise wegen nicht sicher bestimmbar
erklärt wurden.
Eine Reihe von weiteren Funden wurden in den Jahren
1883 — 1884 bei den Revisionsarbeiten in den Salzburger Hoch-
1 Verh. Geol. R. A., S. 278.
-' Jahrb. Geol. R. A., S. 205, 206.
3 Jahrb. Geol. R. A. 1874, S. 11 ö.
•4 Jahrb. Geol. R. A. 1874, S. 113.
Chronologischer Umfang des Dachsteinkalkes. 1 5
kalkalpen von Dr. Alexander Bittner gemacht. Die meisten
derselben stammen aus dem Gebirgsstocke des Ewigen Schnee-
berges und des Hagengebirges. Wichtige Funde lieferte aber
auch der Korallen-Riffkalk des Hohen Göll und die isolirte
Kuppe der Pailwand (bei Abtenau). Den ausführlichen Mit-
theilungen, welche Bittner publicirte, ist zu entnehmen, dass
die Salzburgischen Riffkalke des Dachsteinkalkes stellenweise
reich an Halobien, Halorellen und leiostraken Ammoniten vom
Typus der Hallstätter Vorkommnisse sind.^ Bittner folgerte
daraus, dass diese Riffkalke mit Einlagerungen von Hallstätter
Facies »einem Theile der echten Hallstätter Schichten ent-
sprechen könnten«. In dem resumirenden Schlüsse seiner
zweiten citirten Abhandlung fasst Bittner die Ergebnisse seiner
Untersuchungen in folgender Weise zusammen: »Die bisher
bekannte Fauna der Schichten von Hallstätter Facies im Salz-
burger Hochgebirgs-Korallenkalk umfasst demnach heute schon
(die Vorkommnisse an der Pailwand inbegriffen) Vertreter der
Ammonitengenera Megaphyllites, Monophyllites, Phylloceras
(Rhacophyllites), Arcestes, Pinacoceras und Tropites, nebst etwa
zwölf Arten von Halobien und einer beträchtlichen Anzahl von
Brachiopoden, darunter wieder mehrere, welche Arten aus der
bekanntlich ganz eigenthümlichen Brachiopodenfauna der Hall-
stätter Kalke äusserst nahe stehen«.
Wenn nach den in neuester Zeit gemachten Erfahrungen
über die Stellung und Gliederung der echten Hallstätter Kalke die
Anschauung, dass ein Theil der Hallstätter Kalke (welcher?) der
Rifffacies des Dachsteinkalkes äquivalent sei, sich als berechtigt
herausstellt, so schien mir dagegen nach dem damaligen
Stande der Kenntnisse die Auffassung, dass Hallstätter Typen
sich noch in das Niveau des Hauptdolomits aufwärts fort-
setzen, als die angemessenere Deutung. Insolange nämlich die
Zlambach-Schichten als die Unterlage der gesammten Hallstätter
Kalke angesehen wurden, mussten die den Raibler Schichten
gleichstehenden Aonoides-Schichten als das hängendste Glied
der Hallstätter Serie betrachtet und mussten daher entweder
die im Hangenden der Raibler Schichten auftretenden Hallstätter
1 Verh. Geol. R. A. 1884, S. 105-113, ferner S. 858-367.
16 E. V. Mojsisovics,
Typen als die Nachkommenschaft ähnlicher oder verwandter
Hallstätter Arten angesehen werden, oder aber es mussten bei
der Annahme, dass hier thatsächlich Hallstätter Kalk vorliege,
die im Liegenden dieses Kalkes auftretenden Cardita-Schichten
als sogenannte »untere Cardita-Schichten« betrachtet und den
Zlambach-Schichten äquivalent angesehen werden. Da aber
diese Alternative völlig ausgeschlossen erschien, nachdem ich
bereits im Jahre 1874 gezeigt hatte, dass »untere» und »obere«
Cardita-Schichten ein und dasselbe Niveau seien,^ so musste
die Anschauung, dass die Fossilien des Salzburgischen Riff-
kalkes die mit den Hallstätter Faunen verwandte Fauna des
Hauptdolomits repräsentiren, als die berechtigte betrachtet
werden, wie auch v. Gümbel noch in seinem neuesten Werke
betonte.^
Auch wenn die Frage vom ausschliesslich paläontologi-
schen Standpunkte betrachtet wurde, lag keine zwingende
oder -überzeugende Thatsache für die Gleichstellung der Riff-
fauna mit der Hallstätter Fauna vor. Von den Halorellen war
es längst bekannt, dass sie sowohl im Dachstein-, wie auch
im Hallstätter Kalk vorkommen, ohne dass Jemand daraus auf
die Gleichzeitigkeit der beiden Bildungen geschlossen hätte.
Dass Halobien in den Dachsteinkalk aufsteigen, konnte gleich-
falls nicht überraschend erscheinen. Was endlich die Cephalo-
poden betrifft, so konnte vorausgesetzt werden, dass eine
Cephalopodenfauna des Hauptdolomits vorwiegend aus triadi-
schen Typen bestehen werde, da ja auch die spärliche Cephalo-
podenfauna der rhätischen Stufe ein ausgesprochen triadisches
Gepräge aufweist.
Einer derartigen Voraussetzung entsprachen denn auch
die aus dem Salzburgischen Riffkalke bekannt gewordenen
Cephalopoden. Unter den vorliegenden Gattungen finden sich
einige, wie Entomoceras und Paratropites, welche bisher nur
aus karnischen Ablagerungen bekannt sind, die meisten sind
der karnischen und juvavischen Stufe gemeinsam, und keine
einzige unter ihnen ist für die juvavische Abtheilung der Hall-
1 Jahrb. Geol. R. A. 1874, S. 106.
- Geologie von Bayern. II. Bd., 1892, S. 221.
Chronologischer Umfang des Dachsteinkalkes. 1 7
Stätter Kalke charakteristisch.^ Die weitaus grössere Mehrheit
gehört leiostraken Typen an, welche bekanntlich für scharfe
Niveaubestimmungea eine geringere Eignung besitzen als die
trachyostraken Formen, da sie häufig durch eine Reihe von
Zonen hindurchreichen oder in verschiedenen Horizonten in
nahezu übereinstimmender Form wiederkehren. Trotz manchmal
ausgezeichneter Erhaltung konnten die meisten leiostraken
Schalen nur annähernd bestimmt werden, da entweder das
Material zu unvollständig war, oder gewisse Abweichungen
von den nächststehenden bekannten Arten zu constatiren sind.
Bloss unter den trachyostraken Resten fanden sich bestimmbare
charakteristische Arten, welche aber mit karnischen Formen
übereinstimmten.
Der paläontologische Befund ^ stand daher im vollkommen-
sten Einklänge mit der Annahme, dass hier die Andeutung
einer neuen Cephalopodenfauna, und zwar jener des Hauptdolo-
mites, vorliege, welche durch einige wenige gemeinsame Arten
mit den unterlagernden karnischen Horizonten verbunden sei.
Erst die im Jahre 1892 gewonnene Erkenntniss über die
wahre Stellung der Zlambach-Schichten im Complexe der Hall-
stätter Kalke ermöglicht nun eine veränderte Deutung der
Fauna des Riffkalkes.
I. Aus dem grossen südlichen Korallenriffe des Ewigen
Schneeberges (Pongauer Riff) liegen Funde zweierlei Art von
der Südseite der Wetterwand bei Mühlbach nächst Bischofs-
hofen vor. Ein sehr charakteristisches Gestein, ein grauer,
etwas dolomitischer, krystallinisch flimmernder Kalk, welcher
stellenweise von einer sehr kleinen Posidonomya erfüllt ist.
i Die Gattung StenarcesUs, welche allerdings in den juvavischen Hall-
stätter Kalken sehr häufig auftritt, ist mir in einer noch unbeschriebenen Art
seit 15 Jahren auch aus den julischen Schichten mit Lobites ellipticus des
Rötheistein bekannt. - Ceph. d. Hallst. K. II. Bd., S. 824.
2 Bloss die weiter unten besprochene Localität Demo in Ungarn um-
schliesst eine bestimmt horizontirbare juvavische Cephalopodenfauna. Da
dieselbe aber, soweit die vorliegenden Nachrichten ein Urtheil gestatten, unter
Lagerungsverhältnissen auftritt, welche über die stratigraphische Stellung
keinen ausreichenden Aufschluss geben, so konnte sie um so weniger zur
Horizontirung des Dachsteinkalkes herangezogen werden, als ihr höheres Alter
nicht nur möglich, sondern höchst wahrscheinlich erschien.
Sitzb. d. mathcm.-naturw. Gl.; CV. Bd., Abth. I. 2
18 E. V. Mojsisovics,
lieferte die folgenden, von Herrn Bergverwalter Pirchl ge-
sanimelten Arten :
1. Eutomoceras Theron Dtm., fünf, zum Theile vortrefflich
erhaltene Exemplare.
2. Juvavites (Anatomites) alterniplicatus Hau.?, ein Frag-
ment, welches nach Gestalt und Sculptur gut mit der genannten
Art übereinstimmt.
3. Arcestes ind. Mehrere unbestimmbare Lobenkerne von
einer oder mehreren Arten aus der Gruppe der »Arcestes coloni^.
Aus petrographisch verschiedenem Gestein, einem dichten,
stellenweise riesenoolithischen Kalk liegen vor:
1. Nautilus ind. Ein Durchschnitt.
2. Stenarcestes^ f. ind. Ein Lobenkern.
3. Placites^ cf. oxyphyllus Mojs. Zehn Exemplare und
einige Gesteinsstücke, welche ganz von der hier gesellig auf-
tretenden Form erfüllt sind.
Von diesen beiden Vorkommnissen ist das an erster Stelle
genannte, nach seiner Fossilführung unzweifelhaft der Zone des
Tropites subbullatus zuzuzählen. Die Fossilien der zweiten
Fundgruppe lassen mit Wahrscheinlichkeit auf juvavisches
Alter schliessen. Eine schärfere Horizontirung ist aber nicht
durchführbar.
Aus demselben Riffe liegen unter der Bezeichnung »Tristl-
wand« 60 Exemplare einer dem Arcestes decipiens Mojs. in
den Dimensionen und der Gestalt ähnlichen, aber etwas
schmäleren Form vor, deren Mundrand und Loben aber leider
nicht bekannt geworden sind.
Eine kleine, specifisch gleichfalls nicht bestimmbare Art
(die grössten Stücke zeigen einen Durchmesser von 23 ww),
wie es scheint aus der Gruppe der Arcestes coloni, stammt von
den östlichen Hochgeschirrwänden im Hagengebirge (22 Exem-
plare).
1 Der Gattungsname Stenarccstes für die Gruppe der »Subumbilicati«
wurde in der Notiz über neucaledonische Triascephalopoden (Comptes rendus
des seances de l'Academie des Sciences. Paris, 18. Novembre 1895) vor-
geschlagen.
2 Diese Bezeichnung wird für die Gruppe des Pinacoceras platyphyllum
angewendet.
Chronologischer Umfang des Dachsteinkalkes. 19
Eine präcisere Niveaubestimmung ist auf Grund der beiden
zuletzt angeführten Vorkommnisse nicht möglich. Da die Gattung
Arcestes auf die karnische und juvavische Stufe beschränkt
ist, so lassen die beiden Funde Spielraum innerhalb der an-
gegebenen Grenzen.
Vom Gipfel der Pailwand bei Abtenau, einem von der
Hauptmasse des Tehnengebirges losgelösten nordöstlichen
Ausläufer dieses Gebirges, liegt eine kleine von Dr. Bittner
gesammelte Suite von Cephalopoden vor, welche die folgenden
Formen umfasst:
1. Jtivavites (Anatomites) ittd. aus der Gruppe der Inter-
mittenies. Das schmale hochmündige Wohnkammerexemplar
ist nahezu glatt. Bloss auf der schmalen abgerundeten Extern -
Seite sind nach vorne geschlossene Bögen von schwachen
Streifen und Paulostomfurchen wahrnehmbar. Ein Exemplar.
2. Paratropites tnd. Ein Fragment der Wohnkammer.
3. Mojsvdrites (Monophyllites) eugyrus. Ein Exemplar.
4. Arcestes ind. aus der Gruppe der Coloni. Ein Exemplar.
5. Arcestes ind, aus der Gruppe der Coloni. Ein Exemplar.
Diese wenigen unansehnlichen Reste genügen, um das
karnische Alter derselben festzustellen. Zweifelhaft könnte es
dagegen erscheinen, ob wir es mit einer julischen oder tuvali-
schen Lagerstätte zu thun haben. Da jedoch julische Bildungen
(Raibler Schichten) im Liegenden des hier nur in einem Denu-
dationsrest von geringer Mächtigkeit auftretenden Riffkalkes
nachgewiesen sind, so dürften aller Wahrscheinlichkeit nach
die auf dem Gipfel vorgefundenen Fossilien der Zone des
Tropites subbullatus angehören. Zu Gunsten dieser Annahme
spricht auch der Umstand, dass keine für die julischen Bildungen
ausschliesslich bezeichnende Form in der kleinen Faunula ver-
treten ist.
Das Fragment des Paratropiten scheint überdies auf eine
der für die Subbullatus -Zone charakteristischen Arten hin-
zudeuten.
IL Aus dem räumlich nicht ausgedehnten Korallen-
riffe des Hohen Göll bei Golling liegt mir aus Blöcken,
welche von der Südseite dieses Riffes nächst dem Torenner
Joche stammen, eine Reihe ziemlich gut erhaltener Cephalo-
20 E. V. Mojsisovics,
poden vor.^ Die vorherrschende, aus einer Reihe von Blöcken
gewonnene Artist:
(1.) Stenarcestes cf. sttbumbüicains Bronn, von welcher
nicht weniger als 18 Exemplare vorhanden sind. Es ist sehr
bemerkenswerth, dass nicht bloss die grösseren Stücke, welche
einen Durchmesser von 102 mm erreichen, mit der Wohn-
kammer versehen sind, sondern dass auch die kleineren Exem-
plare bis zu 34 mm Durchmesser die Wohnkammer besitzen.
Die für vollständig ausgewachsene Individuen charakteristische
rinnenartige Längseintiefung, welche sich hinter dem Mund-
rande im unteren Theile der Flanken einzustellen pflegt, wurde
an keinem Exemplare beobachtet. Es könnte dies darin be-
gründet sein, dass die vorliegenden Exemplare noch nicht aus-
gewachsen sind und das Stadium der individuellen Maturität
noch nicht erreicht haben. Wahrscheinlicher ist aber die
Deutung, dass man es hier mit einer neuen, durch das an-
gegebene Merkmal von Stenarcestes stihumbilicatus sich unter-
scheidenden Art zu thun hat.
Ein vereinzelter Block, welcher beim Jochalm -Brunnen
gefunden wurde, enthielt:
(2.) Megaphyllites insectus Mojs. in drei Exemplaren
(darunter ein ausgezeichnet erhaltenes Lobenstück) und
(3.) Placites cf. oxyphyllus Mojs. in zwei Exemplaren.
Die verglichenen oder angeführten Formen sind juvavische
Typen. Eine schärfere Horizontirung wäre nur dann zulässig,
wenn angenommen werden dürfte, dass die als Stenarcestes
cf. subumbilicatus angeführte -Form wirklich zu dieser ober-
juvavischen Art gestellt werden könnte.
III. Aus dem weissen Riffkalk des Untersberges konnte
ich die nachstehend angeführten, im Salzburger Museum auf-
bewahrten und mir durch das freundliche Entgegenkommen
des Herrn Prof. Eberhard Fugger zur Untersuchung zugesen-
deten Vorkommnisse constatiren:
1. Stenarcestes sp. inä., Fragmente von Lobenkernen. Ein
Exemplar aus schwarzgeflecktem Breccienkalk vom Salzburger
^ Die meisten derselben wurden durch Sprengungen gewonnen, welche
ich durch den bekannten, seither verstorbenen Sammler A. Panzner aus
St. Wolfgang ausführen Hess.
Chronologischer Umfang des Dachsteinkalkes. 2 1
Hochthron. Ein Exemplar aus weissem oolithischen Kalk von
den Besuchwänden.
2. Atractifes ind. Breviconer Phragmokon aus weissem
dichten Kalk von den Besuchwänden.
3. Nautilus ind. Durchschnitt einer weitgenabelten Form,
welche mit iV. obtusus oder N. heterophyllus verglichen werden
könnte. Aus gelblichweissem Kalk vom Abfalter.
Zu einer Zeit, als die Controverse über das Alter der
Plateaukalke des Untersberges ^ noch nicht entschieden war,
lieferten die angeführten Reste den Nachweis, dass ein Theil
der isopisch entwickelten und aus diesem Grunde untrennbar
erscheinenden Masse des Untersberg-Plateau jedenfalls triadi-
schen Alters sein und von dem nördlichen Theile dieses
Plateaus, welcher zahlreiche tithonische Fossilien enthält,
unterschieden werden müsste.^
Die specifisch leider unbestimmbaren Fragmente lassen
zwar eine schärfere Niveaubestimmung nicht zu. Doch deutet
das Vorkommen von Stenarcesten, welche, wie in vorliegender
Arbeit gezeigt wird, zu den häufigsten Cephalopoden- Vorkomm-
nissen des Dachsteinkalkes gehören, auf die juvavische Stufe hin.
Aus diesen weissen juvavischen Riffkalken gelangt man,
nachdem eine Region, in welcher einige Vorkommnisse von
Hierlatz-Kalk auftreten, passirt worden ist, in nördlicher Rich-
tung fortschreitend, ohne dass irgend eine petrographische
Grenze wahrnehmbar wäre, in das Gebiet der tithonischen
Versteinerungen. Fast drängt sich sonach die Vermuthung auf,
dass die Bildung des weissen Riffkalkes hier, bloss durch die
locale Einschaltung einiger heteropischer Hierlatz-Taschen und
Lagen (Grosses Brunnthal) unterbrochen, sich aus der baju-
varischen Zeit durch den ganzen Jura bis an dessen obere
Grenze fortgesetzt habe.
J Vergl. E. Fugger, Verh.G.R.A., 1882. S. 157; Fugger und Kastner,
1. c. S. 279; Bittner, Verh. Geol. R. A., 1883, S. 200, 1. c. 1885, S. 280, 366.
2 Der Untersbergkalk liefert einen eclatanten Beweis, mit welchen un-
geahnten Schwierigkeiten die Erkennung der wahren Altersverhältnisse in den
.Alpen häufig zu kämpfen hat. In dem vorliegenden Falle verschleierte die
isopische Entwicklung die bloss mit Hilfe von charakteristischen Fossilien
nachweisbare Unterscheidung von triadischen und jurassischen Riffkalken,
22 E. V. Mojsisovics,
IV. Im Osten des grossen Pongauer Korallenriffes erhebt
sich das wahrscheinlich bloss durch Denudation von dem-
selben getrennte Korallenriff des Dachstein, welches vom
Gosauer Stein entlang der Südabdachung des Dachstein-
Massivs zu verfolgen ist und mit seinen Ausläufern bis in die
Gegend von Lietzen im Osten reicht.^ Ich habe in dieser Riff-
masse wiederholt, insbesondere unterhalb der Südwand des
Hohen Dachstein, Blöcke mit Cephalopodendurchschnitten an-
getroffen, war jedoch nicht im Stande, bestimmbare Reste von
denselben zu gewinnen. Dagegen habe ich aus dem dem Riff-
kalke im Norden theils an-, theils aufgelagerten Megalodonten-
kalk des Dachstein-Plateaus einige Cephalopodenfragmente
erhalten. Ein lichtgelblicher, feinkörniger Kolk lieferte bei den
Felssprengungen zur Herstellung des Kaiser Franz Joseph -
Reitweges unterhalb der Simony-Hütte einen gekammerten
Kern von
Stenarcestes cf. snbnmbilicatus Br.,
sowie zwei Durchschnitte, welche sich auf
Cladiscites multilobatns B r.
beziehen lassen.
Ein von mir selbst in einer Moräne nächst der Simony-
Hütte aufgelesener Block zeigt ausser einigen unbestimmbaren
Gasteropoden einen Arcesten- Durchschnitt, welcher sich mit
grosser Wahrscheinlichkeit auf eine Form aus der Gruppe der
Arcestes galeati
beziehen lässt.
Beide Funde lassen auf juvavisches Alter schliessen. Die
Vertretung der rhätischen Stufe innerhalb der Megalodonten-
Facies des Dachsteinkalkes ist eine längst bekannte und
allgemein anerkannte Thatsache, mit welcher wir uns hier nicht
zu beschäftigen brauchen.
1 Vortreffliche Charakterbilder aus dem Dachsteingebirge, insbesondere
solche des Riffkalkes, enthält Fried. Simon y 's grosses Bilderwerk »Das Dach-
steingebiet«, Wien, 1895.
Chrpnologis^cher Umfang des Dachsteinkalkes. 23
Ausser der bajuvarischen Serie umfasst aber der Dach-
steinkalk des Dachstein-Massivs an einigen Stellen auöh noch
jurassische Horizonte.
Es gebührt Wähn er ^ der Verdienst, zuerst, und zwar
in der Gebirgsgruppe des Rofan (Sonnwendjoch) im unteren
Innthale gezeigt zu haben, dass der vorher in seiner Gesammt-
heit als rhätisch angenommene Riffkalk, welcher die Kössener
Schichten in der Gipfelmasse dieses Gebirgsstockes überlagert,
noch in den Lias hinaufreicht. Wähn er wies nicht nur nach,
dass in den oberen Partien des weissen Riffkalkes liasische
Brachiopoden vorkommen, sondern er beobachtete auch, dass
rothgefarbte Kalke wechsellagernd auftreten oder allmälig in
den weissen Kalk übergehen, und fand auch in diesen blass-
röthlichen Übergangskalken die liasischen Versteinerungen.
»Daneben gibt es«, wie mir Herr Dr. Wähner freundlichst
mittheilt, »auch von rothem Crinoidenkalk erfüllte Spalten,
welche den weissen Riffkalk durchsetzen, aber niemals in ältere
Gesteine eingreifen. In mehreren Fällen konnte ich auch an
den Wänden solcher Spalten einen allmäligen petrographischen
Übergang aus dem weissen Riffkalk in den rothen Liaskalk
beobachten. Eine längere Erörterung würde die Frage der
Bildung gewisser Breccien erfordern, von denen sich auf Grund
mikroskopischer Untersuchung und der Beobachtung an Ort
und Stelle nachweisen lässt, dass sie gleichzeitig mit den
höheren * weissen Kalken entstanden sind, aus welchen sie sich
allmälig entwickeln und welche auch nichts anderes sind als
solche breccienähnliche Gesteine, denen aber das rothe Binde-
mittel fehlt.«
Im Dachsteingebirge ist es nicht der Riffkalk, sondern der
typische Megalodontenkalk, welcher in ähnlicher Weise in den
Lias hinaufreicht. Wenn man aus dem Echernthal bei Hallstatt
längs der Steilabstürze der Mitterwand auf dem neugebauten
Kaiser Franz Josephs -Reitweg zum »Alten Herd« aufsteigt
i Verh. Geol. R. A. 1886, S. 195. Zeitschrift des Deutsch, u. österr. Alpen-
vereines, 1891. S. 117 — 124. — Die ersten Nachrichten über die Unmöglichkeit,
auf dem Sonnenwendjoche den rhätischen Dachsteinkalk vom »weissen
Lias€ eu trennen, gab 1884 H. Lech leitner (Verh. Geol. R. A., S. 204).
* D. h. liasischen.
24 E. V. Mojsisovics,
oder auf der entgegengesetzten Thalseite auf dem »Gangsteige«
über die Wände dem Hallstätter Salzberge zustrebt, so nimmt
man an zahlreichen Stellen Schmitzen und Streifen von rothem
oder röthlichem Crinoidenkalk wahr, welche den treppenartig
vorspringenden Schichtflächen des trefflich gebankten weissen
Dachsteinkalkes gleichsam angeschweisst erscheinen. Bei
einiger Aufmerksamkeit gewahrt man bald, dass man es nicht
mit den Denudationsresten von oberflächlich einem älteren,
bereits vorhandenen Relief angelagerten Gesteinen, sondern
mit den Dachsteinkalk-Bänken gleichzeitigen und in dieselben
eindringenden Bildungen zu thun hat. Auch treten Breccien-
kalke auf, deren Bindemittel local aus Crinoidenkalk besteht.
Die Crinoidenkalke der Schmitzen und Breccien stimmen petro-
graphisch vollkommen mit den in derselben Gegend taschen-
förmig in Spalten auftretenden unterliasischen Crinoidenkalken
(Hierlatzkalken) überein. Erst kürzlich hat G. Geyer^ eine
unterhalb des »Alten Herdes« gesammelte Suite wohl er-
haltener Cephalopoden und Brachiopoden bestimmt und der
Zone des Oxyttoticeras oxynotum angehörig erkannt.
Es gestatten die mitgetheilten Beobachtungen keinen
anderen Schluss, als dass die von den rothen Crinoiden-
kalk - Schmitzen und Nestern durchschwärmten
obersten Partien des Dachsteinkalkes thatsächlich
dem unteren Lias angehören.*
Mit dieser Feststellung steht das vielfach constatirte
taschenförmige Auftreten* des Hierlatzkalkes keineswegs in
Widerspruch. Bloss die Annahme, dass zwischen der Bildung
1 Verh. Geol. R. A. 1894, S. 156.
3 Wenn M. V. Lipoid bereits im Jahre 1852 (Jahrb. Geol. R. A., 4. Heft,
S. 90 und fg.) gleichfalls zu dem Schlüsse gelangte, dass die Hieriatzkalke
Einlagerungen in dem Dachsteinkalke bilden, so zeigte E. Suess (Jahrb. Geol.
R. A. 1853, S. 752 und diese Sitzungsberichte, Bd. XXV, S. 307), dass Lipoid
die zahlreichen Verwerfungen übersehen habe, welche die verschiedene Höhen-
lage derHierlatzkalke auf den Dachsteinkalk-Plateaubergen herbeigeführt hatten.
3 Die ersten Beobachtungen habe ich im Jahre 1868 (Verh. Geol. R. A.,
S. 298) publicirt. Später haben sich Diener (Jahrb. Geol. R. A. 1885, S. 27—36)
und Geyer mit der Verfolgung dieser interessanten Erscheinungen befasst.
Geyer insbesondere veröffentlichte im Jahrb. Geol. R. A. 1886, S. 215 — 294
eine sehr vollständige Übersicht.
Chronologischer Umfang des Dachsteinkalkes. 25
der Dachsteinkalk-Bänke, in welche die Hierlatztaschen ein-
dringen und diesen selbst ein längerer Zeitraum verstrichen sei,
während welcher die Oberfläche des Dachsteinkalkes theilweise
abgetragen und karrenartig ausgefurcht worden sei, bedarf
einer Modification. Nach der meisterhaften Darstellung, welche
E. Suess^ von der Bildungsweise der Bänke des Dachstein-
kalkes gegeben hat, dürfte es kaum zweifelhaft sein, dass
dieselben in geringen Tiefen riffartig als feste Kalke gebildet
und dass nach dem Aufbau einzelner Bänke temporäre
Unterbrechungen stattfanden, denen wieder die Bildung riff-
artiger Kalkbänke folgte. Die sogenannten »schwimmenden
rothen Scherben« (scharf begrenzte Einschlüsse von dünn-
geschichteten grellrothen Bänderkalken), welche den oberen
Theilen des Dachsteinkalkes eigenthümlich sind, die Über-
sinterung blockartiger fremder Gesteinskörper, die Art der
Scheidung der Bänke und die Beschaffenheit der Zwischen-
mittel,* nicht minder aber auch das häufige Auftreten der
grossen dickschaligen Conchodonten und der Korallen — alle
diese Erscheinungen sprechen für die geringe Tiefe, in welcher
die Bildung der einzelnen Bänke stattfand. Sehr lehrreich sind
in dieser Beziehung die Fälle, in denen die Innenräume der
Conchodonten durch Bänderkalke ^ ausgefüllt sind, während
die Schale aussen von dem gewöhnlichen weissen massigen
Dachsteinkalk umgeben ist. Ein hieher gehöriges Beispiel
wurde kürzlich von v. Tausch* abgebildet. Man muss sich
vorstellen, dass das oben geöffnete leere Gehäuse an seiner
Basis auf felsigem Grunde fixirt war und dann successive von
oben durch feinsten Kalkschlamm ausgefüllt wurde. Ich habe
bereits vor Jahren ^ auf die grossen Analogien hingewiesen,
welche das Auftreten der grossen dickschaligen Dachstein-
bivalven mit den in der Jetztwelt an der Aussenseite von
Korallenriffen lebenden grossen Tridacna-Formen darbietet.
1 Antlitz der Erde, II. Bd., S. 332—339.
2 Zugmayer im Jahrb. Geol. R. A., 1875, S. 79.
* Eine Abbildung eines solchen Bänderkalkes findet man in F. Simony,
Dachsteingebiet, S. 106.
* Abh. Geol. R. A., Bd. XVII, 1. Heft, S. 7.
* Dolomitriffe von Südtirol, S. 70.
26 E. V. Mojsisovics,
Joh. Walther hat diese Beziehungen eingehender erörtert.*
Er gelangte zu dem Schlüsse, dass der weisse Dachsteinkalk,
welcher die grossen Conchodonten führt, schon während seiner
Entstehung ein hartes Gestein war und dass die in demselben
eingeschlossenen Bänderkalke nur als die Ausfüllungen ur-
sprünglicher Höhlungen durch heteropisches Schlammsediment
.aufgefasst werden können. Die Bildungsweise der schwim-
.menden Scherben des rothen Bänderkalkes ist aber offenbar
derjenigen der Hierlatztaschen sehr nahe verwandt. Man kann
Sichi ähnlich wie sich Th. Fuchs* die Bildung der Nester
der sogenannten Starhemberger Schichten vorstellt, die Ent-
-stehung der Hohlformen des Bänderkalkes und der Hierlatz-
schmitzen und Nester nach Art der beim Aufbau von Riffen
sich bildenden Lücken, die Entstehung der sackförmigen und
gangförmigen. Hohlformen der Hierlatztaschen insbesondere
nach Art der sogenannten Riffbrunnen und Riffspalten denken,
welche sich in die Oberfläche der Riffe einsenken.^
Wo sich über solchen Hierlatztaschen regelmässig ge-
schichtete Cephalopodenkalke aufbauen, da kann es keinem
Zweifel unterliegen,, dass die Bildung der Dachsteinkalk-Bänke
unterhalb derHierlatzfüllung ihr Ende erreicht hat. Wo dies aber
nicht der Fall ist, kann ein solcher Schluss mit Sicherheit nicht
gezogen werden. Die prächtigen Profilschnitte im Echernthale
lehren vielmehr, dass wiederholt Einschaltungen von Hierlatz-
Crinoidenkalk innerhalb einer Reihenfolge von Megalodus-
bänken stattgefunden haben können.
Es ist zu vermuthen, dass, sobald einmal die Forschung
sich diesem Gegenstande zugewendet haben wird, noch an
manchen Punkten der nördlichen Kalkalpen der Lias sowohl in
der Riff-, als auch in der Megalodonten-Facies des Dachstein-
kalkes nachgewiesen werden wird.
Nachdem das unterliasische Alter für einen Theil des
Dachsteinkalkes nachgewiesen ist, entsteht die Frage, ob nicht
1 Zeitschr. der Deutschen Geol. Gesellsch., 1885, S. 350 flf.
2 Verh. Geol. R. A., 1882, S. 67.
^ Man vergleiche die anschaulichen Schilderungen, welche J. Walther
in seiner »Einleitung in die Geologie«, S. 910 — 926, nach Klunzinger
reproducirt.
Chronologischer Umfang des Dachsteinkalkes. 27
local auch höhere Jura-Etagen in der Riff- oder Megalodonten-
Facies des Dachsteinkalkes vertreten sein könnten. Was die
RifflFacies betrifft, so möchte man im Hinblick auf die Verhält-
nisse auf dem Untersberge (vergl. oben S. 21) geneigt sein, diese
Frage zu bejahen. Für die Megalodonten-Facies könnten jene
Fälle in Betracht gezogen werden, in welchen, wie bei den
Klaus-Schichten und den Macrocephalitenkalken bisher eine
transgressive Auflagerung auf dem Dachsteinkalk angenommen
worden war.^ Ich wage es nicht, heute schon hierüber eine
Meinung auszusprechen, doch steht es ausser Zweifel, dass
eine unconforme Lagerung nicht nachgewiesen werden kann.
Auch muss erwähnt werden, dass der verstorbene Sammler
Joseph Rastl (vulgo Kappler), ein sehr verlässlicher Mann,
dessen Angaben anzuzweifeln ich keinen Grund habe, mich
auf das Bestimmteste versichert hat, ein Exemplar eines Macro-
cephalites fnacrocephalus in dem Dachsteinkalk-Steinbruch in
der Vorder-Gosau gefunden zu haben. In diesem Steinbruche,
welcher zur Schottergewinnung betrieben wird, kommen Con-
chodonten von sehr bedeutenden Dimensionen vor. Das Gestein
unterscheidet sich nicht von dem gewöhnlichen Aussehen der
obersten Partien des Dachsteinkalkes und müsste angenommen
werden, dass der Macrocephalites in einer Tasche (nach Art
der Hierl^tztaschen) gefunden worden sei.
V. Der Vollständigkeit wegen soll hier erwähnt werden,
dass auch aus dem Korallenriff kalke des Hochschwab das
Vorkommen von Cephalopoden, Halobien und Halorellen an-
gegeben wird.* Mir selbst sind diese Fossilien nie zu Gesichte
gekommen. Eine ältere Angabe von Stur ^ bezieht sich auf das
Auftreten des *Ammonites sttbtimbilicatus*. Es scheint daher
* Trotz der bedeutenden Lücken, welche die Sedimente des Saizkammer-
gutes zeigen, folgen nach meiner heutigen Auffassung der Verhältnisse die
Sedimente von den Werfener Schichten bis zu den neocomen Rossfelder
Schichten in concordanter Reihenfolge. Erst die Gosaukreide tritt in entschieden
transgressiver Lagerung als Einlagerung in fjordartigen Buchten und Canälen
auf, deren Bildung in den Zeitraum zwischen dem Neocom und der Gosau-
kreide fällt.
2 Verh. Geol. R. A., 1887, S. 93.
3 Geologie der Steiermark, S. 346.
28 E. V. Mojsisovics,
auch hier die allenthalben in den Dachstein-Riffkalken consla-
tirte Gattung Stenarcestes vertreten zu sein.
Von Interesse ist auch die Angabe Bittner's über das Vor-
kommen schwarzer, kieseliger Kalke mit Halorellapedata an der
Innenseite (Südseite) des Riffes und die gegen Norden eintretende
heteropische Ersetzung dieser Kieselkalke durch Riffkalke.^
VI. Aus der Gruppe des Hochschwab setzen die Riff kalke
in das Gebiet der Mürzthaler Kalkalpen und des Wiener
Schneeberges fort. In diesen, von Georg Geyer in seiner
bekannten Arbeit ^ geschilderten Gegenden folgt nördlich der
Riffzone unmittelbar die Zone der Hallstätter Entwicklung,
während in den westlichen Districten, im Salzburgischen und
im Salzkammergute, zwischen diese Zonen sich die Zone der
Megalodontenkalk-Facies (Dachsteinkalk s. s.) einschiebt. An
der heteropischen Grenze zwischen der Riff- und der Hallstätter
Facies ist nun an einigen Punkten, wie z. B. im Thalgebiete
von Nasswald, dann im Höllgraben bei Mürzsteg das gegen-
seitige Ineinandergreifen dieser beiden Facies nachgewiesen
worden. Das sevatische Alter beider Bildungen wird durch die
in der Geyer'schen Arbeit namhaft gemachten Cephalopoden,
sowie auch durch das Vorkommen echter Zlambach-Schichten
an der Basis der Hallstätter Kalke der Proleswand erwiesen.
Die Grenze zwischen Riff- und Hallstätter Kalk ist überdies
eine so undeutlich verschwommene, dass auf den Aufnahms-
blättern die beiden Bildungen mit derselben Farbe zusammen-
gefasst werden mussten. Im Gegensatze zu den westlichen
korallenreichen Riffkalken spielen in den Riffkalken des Rax-
und Schneeberg-Districtes Gyroporellen die leitende Rolle.
Da auf der Nordseite des Kuhschneeberges ^ und auf der
Hohen Wand bei Wiener -Neustadt* in neuerer Zeit durch
Bittner im Liegenden des Riflfkalkes auch fossilführende
Cardita-Schichten nachgewiesen wurden, so dürften in diesen
Gebieten die Riffkalke regional auch tieferen, als den seva-
tischen Bildungen entsprechen.
1 Verh. Geol. R. A., 1888, S. 248.
2 Jahrb. Geol. R. A., 1889, S. 497, fg.
3 Verh. Geol. R. A., 1892, S. 74.
^ Verh. Geol. R. A., 1893, S. 321.
Chronologischer Umfang des Dachsteinkalkes. 29
VII. Im Dachsteinkalke der Südalpen gehören Cephalo-
poden zu den allergrössten Seltenheiten. Ich kenne bis jetzt
bloss zwei, aus dem Dachsteinkalke der Ampezzaner Alpen
stammende Reste.
In einer Lagerstätte zahlreicher, bisher noch unbeschrie-
bener Gasteropoden, welche einem sehr tiefen Niveau des
Dachsteinkalkes in geringer Höhe über den Raibler Schichten
anzugehören scheint, entdeckte Rud. Hoernes^ in Val Oten
auf der Nordseite des Anteiao ein Fragment eines weitgenabelten,
mit kräftigen Flankenrippen versehenen Ammonitiden, welcher
der Gattung
Buchites
anzugehören scheint. Das vorliegende Bruchstück stimmt mit
keiner der bekannten Bnchites-Formen überein, ist aber zu
einer Artbeschreibung viel zu unvollständig. Unter den be-
schriebenen Arten könnte Buchites Czediki verglichen werden.
In dem Dachsteinkalk- Schutt der Croda grande im Anziei-
Thal bei Auronzo fand Herr Dr. Loretz ein Fragment eines
Arcesten, für dessen freundliche geschenkweise Überlassung
ich dem genannten Herrn zu Danke verpflichtet bin. Obwohl
der Art nach unbestimmbar, gestattet das wohl erhaltene Bruch-
stück zu erkennen, dass wir es mit einem typischen Arcesten
mit abändernder und den Nabel verschliessender Wohnkammer
aus der Gruppe der
Arcestes intuslahiati
zu thun haben. Der innere Kern zeigt eine grosse Ähnlichkeit
mit Arcestes intuslabiatns selbst.
Zu schärferen Horizontirungen ist leider keiner dieser
Funde ausreichend, pie Arcestes intuslahiati, welche vereinzelt
allerdings bereits in Karnischen Schichten auftreten, gehören
zu den bezeichnendsten Vorkommnissen der juvavischen Stufe.
VIII. Auf der Südwest-Seite des Somhegy bei Der n 6 im
Gömörer Comitat (Ungarn) entdeckte Jos. Stürzenbaum an
der Basis einer als Dachsteinkalk zu bezeichnenden und bis
1 Verhandl. der k. k. Geolog. Reichs- Anstalt, 1876, S. 185. — Man ver-
gleiche übrigens auch die Angaben von Johannes Böhm (Zeitschrift der
Deutschen geolog. Gesellschaft, 1892, S. 826), welcher das fragliche Fossillager,
allerdings mit Resen'e, der rhäti sehen Stufe zuzuweisen geneigt ist.
30 E. V. Mojsisovics,
zum Gipfel des genannten Berges reichenden Kalkmasse einen
etwa 6 — 7 m mächtigen grauen Crinoidenkalk, welcher eine
sehr reiche Mollusken-Fauna umschliesst^
Die Fauna, welche insbesondere von Pelecypoden und
Brachiopoden zahlreiche Exemplare aufweist, wurde wegen
der Übereinstimmung einiger Brachiopoden und des vermutheten
Vorkommens des Choristoceras Marshi von dem Entdecker
den Kössener Schichten zugeschrieben. Im Jahre 1890 wies
aber A. Bittner^ aus der Untersuchung der Brachiopoden nach,
dass hier höchstwahrscheinlich ein etwas tieferer Horizont
vorliegen dürfte, in welchem neben einigen Kössener Arten
auch eine Anzahl von Formen des salzburgischen Dachstein-
Riff kalkes sowie weiters auch einige der Localität eigenthümliche
Arten auftreten. Im Jahre 1892 gedachte dann auch ich' dieser
Fauna und erwähnte, dass in derselben juvavische Cephalopoden-
typen vorhanden seien. Die Untersuchung derselben, welche mir
der Director des königl. ungar. geologischen Institutes, Herr
Sectionsrath Boeckh in liebenswürdigster Weise ermöglichte,
zeigte, dass die Lagerstätte von Demo der oberjuvavischen
(sevatischen) Zone des Pinacoceras Metternichi angehört.
Ich konnte die folgenden Formen nachweisen:
1. Megapkyllites insectus}Ao']S, — 78 Exemplare, meistens
gekammerte Stücke. Bei einigen grösseren Exemplaren ist die
mit grossen Crinoidenstielen erfüllte Wohnkammer mehr oder
weniger verdrückt.
2. Placites oxyphyllus Mojs. — 40, meistens gekammerte
Exemplare. Bei einigen Stücken ist der charakteristische regel-
mässige Verlauf der Runzelstriche, welche einen weit vor-
springenden Externlappen bilden, sehr deutlich zu beobachten.
3. Stenarcestes subumbilicatus Bronn. — Zwei Loben-
kerne, der grössere besitzt einen Durchmesser von 36 mm.
3. Stenarcestes ex äff, plant M oj s. — Zwei Lobenkeme (der
grössere mit einem Durchmesser von 38 mm) einer mit Stenar-
^ Kössener Schichten bei Demo. Földtani Közlöny, 1879, S. 287.
2 Brachiopoden der alpinen Trias. Abhandl. Geolog. Reichs-Anst, XIV.
Band, 1890, S. 285.
» Die Hallstätter Entwicklung der Trias. Diese Sitzber., Bd. CI, Abth. I,
S. 778.
Chronologischer Umfang des Dachsteinkalkes. 3 1
cestes planus nahe verwandten, auch im grauen sevatischen
Hallstätter Marmor auftretenden Form. Varices und Runzel-
striche beobachtet.
5. Arcestes ind. aus der Gruppe der Intuslabiati. —
23 innere, kleine Kerne, wahrscheinlich mehr als blos einer Art
angehörig.
6. Cladiscites tornatus Bronn. — 20 Exemplare, durch-
wegs innere Kerne, von welchen der grösste 2^ mm Durch-
messer besitzt. Einige Stücke weichen durch etwas schmälere,
comprimirtere Umgänge ab und erinnern an Oadiscites neorhis
Mojs.
7. Phylloceras cf. occultum Mojs. — Drei innere Kerne
einer schmalen weit umfassenden Form. Das grösste Exemplar
zeigt folgende Dimensionen :
Durchmesser 18 mm
Höhe ( des letzten ) 8 mm
Breite ) Umganges ( 6 mm
Nabelweite 3*2 mm.
Die ersten drei Sättel sind diphyllisch, die dreiAuxiliarsättel
monophyllisch.
8. Mojsvdrites (MoHophyllites) Clio Mojs. — Drei Exem-
plare.
9. Celtites Arduint Mo\s, — Ein Exemplar von 20 mm
Durchmesser.
10. Celtites ind. ex äff. C. annnlati. — Zwei kleine Exem-
plare.
11. Celtites nov. f. aus der Gruppe der annnlati. — Ein
Exemplar.
12. Peripleurites Stürzenbaumi Mojs. — Ein Exemplar.
13. Peripleurites Boeckhi Mojs. — Sieben Exemplare.
14. Atractites alveolaris Quenstedt. — Zwei Fragmente.
15. Atractites ind. — Ein Rostrum, ähnlich A. depressus.
Hau., mit dütenförmig in einander steckenden Schalenlagen.
16. Orthoceras ind. — Sieben Fragmente einer kleinen
schlanken Form.
17. Nautilus nov. f. ex äff, mesodici Quenst. — Ein ge-
kammertes Exemplar von 54 mm Durchmesser.
32 E. V. Mojsisovics,
18. Nautilus nov.f. ind. — Zwei Exemplare einer kleinen
nahezu evoluten Art mit gerundetem gekammerten Theile und
rechteckig sich gestaltender Wohnkammer. Loben sehr einfach.
Schwach geschwungener Laterallobus und kaum angedeuteter
Externlobus. Spindellobus vorhanden. Der Sipho steht oberhalb
der Mitte des Umganges.
Rückblick. Wie die vorstehenden Mittheilungen ent-
nehmen lassen, sind in der Hauptmasse des Dachsteinkalkes,
welche unterhalb des rhätischen Antheiles dieser Facies liegt,
an einer immerhin nicht unbeträchtlichen Anzahl von Punkten
Cephalopoden-Reste nachgewiesen worden, welche zur Hori-
zontirung dieser gewaltigen Kalkmasse geeignet sind.
Es sind hauptsächlich, wenn von vereinzelten Funden
neuer oder unbestimmbarer Formen abgesehen wird, zweierlei
Kategorien von Funden, welche in Betracht kommen. Die eine
derselben — es gehören hierher ein Theil der Funde von der
Wetterwand am Hochkönig und die Suite vom Gipfel der Pail-
wand bei Abtenau — lehrt uns, dass ein aliquoter Theil der
isopischen Riffmasse der Zone des Tropites subbullatus zuzu-
rechnen ist. Es steht im Einklänge mit der stratigraphischen
Position dieser noch zur karnischen Stufe gehörigen Zone,
dass das Fossillager auf der Pailwand in geringer Höhe über
den Raibler Schichten liegt, mithin dem unteren Theile der
Riffmasse angehört.
Die zweite Kategorie, welche durch eine grössere Anzahl
von Funden repräsentirt ist, gestattet keine so scharfe Niveau-
bestimmung. Die Zahl der Arten ist eine geringe und sind es
ausschliesslich Leiostraca, unter denen sich dem Steftarcestes
subumbilicattis nahestehende Stenarcesten durch relativ häu-
figes Auftreten bemerkbar machen. Genaue Artbestimmungen
sind nur in den seltensten Fällen und dies wieder nur bei
Formen, welche durch eine Reihe von Horizonten hindurch-
reichen, zulässig. Der Charakter der Fauna ist ein juvavischer,
doch ist es nicht möglich zu bestimmen, welchen Zonen oder
Unterstufen die meistens ganz isolirten Funde angehören. Es
kann aber, da der Dachsteinkalk sowohl in seiner Riff- als auch
in seiner Megalodonten-Facies eine continuirliche untrennbare
Masse darstellt, welche die Annahme einer auch nur episo-
Chronologischer Umfang des Dachsteinkalkes. 33
dischen Unterbrechung gänzlich ausschliesst, keinem Zweifel
unterliegen, dass die ganze juvavische Stufe in der Masse
vertreten ist, und bleibt es späteren Untersuchungen vorbe-
halten, die einzelnen juvavischen Zonen im Detail nachzu-
weisen. Vorläufig ist auch der Nachweis, dass überhaupt
juvavische Typen in der Masse vorhanden sind, von Bedeutung,
da die liegenden Partien als tuvalische, die hangenden aber als
rhätische bestimmt werden können.
Bloss die in dem grauen Crinoidenkalk von Demo nach-
gewiesene Cephalopoden-Fauna hat eine schärfere Fixirung
des Niveau zugelassen und konnte der Zone des Pinacoceras
Metternichi zugewiesen werden.
Noch möge darauf hingewiesen werden, dass im Salz-
kammergute an einigen Stellen die Korallenriff-Facies in das
Gebiet der echten Hallstätter Entwicklung eingreift und als
Hangendes der lacischen Zone des Cladiscites ruber erscheint.
In diesem Falle vicarirt die Riff-Facies selbstverständlich bloss
für die alaunischen und sevatischen Hallstätter Zonen. Auch
verdient erwähnt zu Werden, dass die geographische Verbreitung
der Riff-Facies in den Nordalpen nahezu mit jener der Hall-
stätter Entwicklung zusammenfällt. Die Rifif-Facies beginnt im
Westen bei Saalfelden,^ die Hallstätter Entwicklung in der
Gegend von Berchtesgaden. Im Osten finden beide in der
Gegend von Hernstein ihr Ende.
1 Da sich gerade eine passende Gelegenheit darbietet, so sollen hier die
(Verh. Geol. R. A. 1895, S. 252) von Dr. Böse erhobenen Zweifel über die
Existenz der Cardita-Schichten im Profile des Brändelhoms bei Saalfeldcn
(Vergl. Jahrb. Geol. R. A. 1874, S. 113) richtig gestellt werden. Herr
Dr. Böse erwähnt, dass er wohl zahlreiche Blöcke von Cardita-Gesteinen
gesehen, anstehende Cardita-Schichten aber nicht angetroffen habe, weshalb
er die Frage aufwirft, ob man es hier nicht etwa bloss mit erratischen Vor-
kommnissen zu thun haben könnte ? Die Annahme einer erratischen Gesteins-
verfrachtung ist nun allerdings ein bequemes Auskunftsmittel, sie hat aber in
manchen Fällen auch ihre Bedenken. Im vorliegenden Falle sollte schon die
Häufigkeit des Vorkommens Misstrauen erwecken, da die Cardita -Oolithe
bekanntlich nur sehr gering mächtige, oft schwer auffindbare Lagen bilden,
wesshalb ihr erratisches Auftreten nur als seltener Ausnahmsfall gedacht
werden kann. Ihr häufiges Zusammenvorkommen mit krystallinischen Findlingen
müsste desshalb zu der Annahme führen, dass sie aus einem heute nicht mehr
Sitzb. d. mathcm.-naturw. Gl.; CV. Bd., Abth. I. 3
34 E. V. Mojsisovics.
Aus der bajuvarischen Epoche reicht, wie gezeigt worden
ist, local die Dachsteinkalk- Entwicklung auch noch in den
Lias hinauf, dessen tiefere Zonen bis einschliesslich der Zone
des Ox}'9ioiiceras oxynoiunt theils in der Riff-, theils in der
Megalodontenkalk-Facies vertreten sein können.* Dabei bleibt
es ausserdem noch eine offene Frage, ob nicht auch jüngere
jurassische Zonen local durch den Dachsteinkalk repräsentirt
sind.
Die Periode des Dachsteinkalkes erweist sich
sonach, gemessen an den während derselben unter
günstigeren Faciesverhältnissen existirenden
Faunen, als ein Zeitraum, welcner mindestens der
Zeitdauer von dreizehn palaeontologischen Zonen
gleichkommt, von denen sieben der Trias und sechs
dem Lias angehören.
Da übrigens auch die Raibler Schichten, wie bereits
Eingangs erwähnt wurde, keineswegs scharf vom Dachstein-
kalke getrennt sind, und nicht nur Wechsellagerungen mit den
v.)rhandenen Gebirge im Süden der heutigen Kalkalpen, wo sie einstens
mächtige Massen bildeten, herrühren.
Wir können aber, ohne zu solchen H>T>othesen greifen zu müssen, das
Auslangen finden, da ich in der Lage bin zu constatiren, dass es auf den
Gehängen des Brändelhoms zwar thaisächlich \iel Glacialschutt krystalliniscber
Felsarten gibt, dass aber die Cardita-Schichten unzweifelhaft etwas nördlich
von der Stoissen-Alm im Graben, welcher zur Saale hinabführt, in deutlicher
Entblössung anstehen. Ich besuchte die Stelle, aufmerksam gemacht durch die
Angabe von Peters (Jahrb. Geol. R. A. 1854. S. 123\ dass Lipoid bei
der Besteigung des Brändelhomes > einen schwarzgrauen kalkigen Schiefer,
welcher Haiobia Lommli Wissm. und einen nicht bestimmbaren Ammoniten
enthält« zwischen dem Dolomit und dem Dachsteinkalk »regelmässig einge-
lagert« gefunden habe, am 7. Juli 1872 und traf in dem erwähnten Graben
schwarze Schieferthone mit Haiobia rufjsj, Gimites ßorrJtts, Sj^eceras
Haidingeri, Trackvctras sp. tnd. nebst typischen Cardita Oolithen, welche
ausser Cardita crenata und Spirif. gregaria noch zahlreiche Reste von anderen
Zweischalem enthielten. Unmittelbar darüber erheben sich geschichtete dunkle
Dolomite, die Platte bildend, auf welcher die Brändelalm steht.
* Nur nebenher soll hier auch noch jener südtirohschen Districte gedacht
werden, wo die sogenannten »Grauen Kalke« ohne scharfe G-enze dem Dach-
steinkalk folgen und wo keine Einschaltungen von unterliasischen Crinoiden-
kalken Anhaltspunkte zur Trennung darbieten.
Chronologischer Umfang des Dachsteinkalkes. 35
tiefsten Theilen des Dachsteinkalkes zeigen, sondern auch in
einigen Gegenden, in welchen die mergelige Ausbildung der
Raibler Schichten nicht vorhanden ist, durch Dachsteinkalke
vertreten zu sein scheinen, so könnte auch die Zone des
Trachyceras Aonoides in die Periode des Dachsteinkalkes ein-
bezogen werden, welche unter dieser Voraussetzung dann
im Ganzen dem Zeiträume von acht triadischen und sechs
jurassischen Zonen gleichzusetzen wäre.
In diesem weitesten Sinne zeigt der triadische Abschnitt
der Dachsteinkalkperiode in den Ostalpen, sowohl an seinem
Beginne (Zone des Trachyceras Aonoides) als auch am Ende der
Triaszeit (Zone der Avicula contortä) sehr häufig eine Reihe ver-
schiedenartiger thonreicher Faciesgebilde, welche die Stelle der
Dachsteinkalk Facies vertreten oder mit derselben altemiren
können. In beiden Fällen sind die erscheinenden verschieden-
artigen lithologischen und biologischen Facies bereits hinlänglich
bekannt, so dass von deren Besprechung hier füglich Umgang
genommen werden kann. Dagegen erscheint es zweckmässig,
die innerhalb dieser Endglieder auftretenden triadischen Facies-
gebilde kurz aufzuzählen.
1. Die Korallenriff-Facies.^ Die ungeschichtete Kalk-
masse, welche in den Salzburger Kalkhochalpen und auf der
Südseite des Dachsteins eine Mächtigkeit von 1000 m und
darüber erreicht, besteht aus korallenreichem Riffstein, welcher
untergeordnet auch Cephalopoden, Halobien, Brachiopoden
{insbesondere Halorellen) und grosse Gasteropoden enthält
Es verdient betont zu werden, dass nicht nur die meisten
Halobien und Brachiopoden, sondern auch ein grosser Theil
der Cephalopoden (insbesonders Arcesten, Stenarcesten und
Placiten) in dieser Facies gesellig in Nestern auftreten. Die
geographische Verbreitung in den Nordalpen wurde bereits
1 Es sind in der letzten Zeit einige Einwendungen gegen die Richtigkeit
«der Korall riff-Theorie für die älteren südtiroler Riffe erhoben worden. Ich
behalte mir vor, auf dieselben bei einer späteren Gelegenheit näher einzugehen
und sie einer sachgemässen Kritik zu unterziehen. Hier will ich nur kurz con-
statiren, dass ich die Korallenrifftheorie auch heute noch für diejenige halte,
welche in objectiver Weise all den zahlreichen in Betracht kommenden Er-
scheinungen gerecht wird und diese in ungezwungenster Weise erklärt'.
3*
36 E. V. Mojsisovics,
oben besprochen. In den östlichen Rififmassen des Mürzgebietes
und des Wiener Schneeberges spielen, wie es scheint, Gyro-
porellen eine grössere Rolle als die Korallen.
In den Südalpen wurde diese Facies bisher bloss in den
julischen Alpen, südlich des oberen Save - Laufes, durch
C. Diener nachgewiesen.^
2. Die Megalodonten-Facies (Dachsteinkalk im
engeren Sinne). Ohne scharfe Grenze lehnt sich an die Nord-
seite der Korallenriffe des Salzburgischen und des Salzkammer-
gutes die wohlgeschichtete Megalodontenkalk - Facies in der
Weise an, dass die höheren Bänke weiter gegen Süden auf die
nach Norden abdachende Riflfböschung zurückgreifen, als die
tieferen Bänke. In der Nähe der Riffgrenze dringen zahlreiche
Bänke von Korallenkalk in die Masse der Megalodontenkalke
ein. Im Salzkammergute sind ausser den Megalodonten lagen-
weise vertheilte kleine Gastropoden, sowie gesellig auftretende
Halorellen häufig. Nicht selten sind auch vereinzelt vor-
kommende grosse Gasteropoden. Cephalopoden gehören zu
den grössten Seltenheiten.
In den Südalpen zeichnet sich die Megalodonten-Facies
durch eine eigenthümlicheLocalfauna aus, welche insbesondere
in dem Gebiete westlich vom Garda-See sehr verbreitet ist.
Das Gestein besitzt meistens eine stark dolomitische Beschaffen-
heit (Dolomia media). Die häufigsten Fossilien sind ausser den
Megalodonten Avicula exilis und Turbo soliiarius. Gyroporellen
sind sehr verbreitet.
3. Die Cephalopodenkalk-Facies. Diese auf die Nord-
alpen östlich von Berchtesgaden beschränkte Facies wird durch
die oberkamischen und juvavischen Hallstätter Kalke reprä-
sentirt. Nach ihrer topographischen Verbreitung ist dieselbe
an die Regionen der Korallenriff- und der Megalodonten-Facies
gebunden. Nördlich reicht die Hallstätter Entwicklung an
einigen Punkten bis hart an die Südgrenze der Verbreitung
des Hauptdolomites.
4. Die Mergel-Facies. Ausser in den Raibler und
Kössener Schichten, welche hier nicht weiter in Betracht
1 Jahrbuch der k. k. Geologischen Reichsanstalt 1884. S. 685.
Chronologischer Umfang des Dachsteinkalkes. 37
kommen, ist aus der triadischen Dachsteinkalk-Periode bloss
die oberjuvavische Zone des Pinacoceras Metternichi stellen-
weise in einer Mergelfacies entwickelt. Es sind dies die
Zlambach Schichten, welche selbst wieder in mehrere litho-
logische und biologische Facies zerfallen. Man unterscheidet
die Hornsteinkalk- und Schiefer-Facies mit Halorella pedata,
die Fleckenmergel-Facies mit Choristoceras Haueri und die
Korallen- Facies. Die Zlambach Schichten sind auf die Regionen
der typischen Hallstätter Entwicklung beschränkt, in welchen
sie als locale unregelmässige heteropische Einschaltungen von
sehr wechselnder Mächtigkeit auftreten.
5. Die Hauptdolomit- Facies. Vom Salzkammergute
an ostwärts folgt der Megalodontenkalk-Facies im Norden bis
an den Aussenrand der Kalkalpen die Zone der Hauptdolomit-
entwickelung. Im grossen Gegensatze zu den anderen gleich-
zeitigen Faciesgebilden herrscht in der Hauptmasse dieser
Facies eine trostlose Fossilarmuth, welche bloss in den obersten,
mehr kalkigen Lagen, den sogenannten »Plattenkalken«, einer
einförmigen, meistens aus kleinen Gasteropoden bestehenden
Fauna weicht, die auf einige Zwischenlagen der stärkeren Kalk-
platten beschränkt ist.^
Die Hauptdolomit-Facies reicht nirgends in die darüber-
liegenden Kössener Schichten hinauf. Dagegen greift die Riff-
und Megalodontenkalk-Entwicklung regional in die dem Haupt-
dolomit aufgelagerten Kössener Schichten ein (sogenannter
»oberer Dachsteinkalk«). Dies ist sowohl am Aussenrande der
Kalkalpen in Oberösterreich (im Flussgebiete der Steyer), als
auch in den bayerischen Alpen und den angrenzenden tirolischen
Districten der Fall.
In Nordtirol, Vorarlberg und dem nördlich anschliessenden
bayerischen Gebiete reicht die Hauptdolomit-Facies durch die
ganze Breite der Kalkalpen. Eine Eigenthümlichkeit dieser
Region bilden die bituminösen Stinkdolomite, welche in den
Asphaltgruben der Gegend von Seefeld die bekannte Fisch-
fauna geliefert haben.
1 L. V. Ammon, Die Gastropoden des Hauptdolomits und Plattenkalkes
der Alpen. Abhandl. des zool.-mineral. Vereines zu Regensburg. 1878.
^■^
38 E. V. Mojsisovics,
Anhang.
Über juvavische Cephalopoden aus der Bukowina und aus
Kleinasien.
I. Bukowina. Bereits vor einiger Zeit war ich in der Lage
auf Grund von Aufsammlungen von Paul und Walter die
norische und die kamische Stufe in der Hallstätter Entwicklung
von rothen Cephalopoden -Kalken aus der Bukowina nach-
weisen zu können. Die norische Stufe ist durch die Zone der
Protrachyceras Archelaus, die karnische durch die Zone des
Trachyceras Aon vertreten.
In neuerer Zeit übergab mir Prof. Dr. Uhlig einige
Cephalopoden-Reste, welche von einer neu entdeckten Locali-
tät herrühren und welche nun auch das Auftreten einer juva-
vischen Cephalopoden-Fauna in Hallstätter Entwicklung in der
Bukowina ausser Zweifel stellen. Über den Fundort, welcher
sich im obersten Theile des Vale Mestakan bei Kimpolung
befindet, verdanke ich Herrn Prof. Uhlig die folgende Notiz:
»Die rothen Hallstätter Cephalopoden stammen aus einer
kleinen Kalkklippe von circa 8 — lOw Umfang, welche offenbar
nur einen grossen Block vorstellt, eingeschlossen in jüngere
Bildungen. In der Nähe stehen Schiefer des Unterdogger und
Schieferthone der Kreide an. Eine von beiden Bildungen, wahr-
scheinlich der Jura, enthält den Kalkblock.«
Von Fossilien liegen mehrere innere Kerne verschiedener
Arten von Arcesten aus der Gruppe der Intuslabiaten und ein
vollständiges, mit dem Mundrande versehenes Wohnkammer-
Exemplar einer neuen Art aus der gleichen Gruppe vor. Ausser
diesen Arcesten sind noch zwei Fragmente von Phylloceras
äespectum, sowie ein Bruchstück von Megaphyllites insectus
vorhanden.
Diese Reste weisen auf die juvavische Stufe hin. Da
Phylloceras despectum bisher bloss aus lacischen Bildungen
bekannt ist, so ist es wahrscheinlich, dass die Blockklippe von
Vale Mestakan einem der beiden lacischen Horizonte angehört.
Geographisch schliessen sich an dieses Vorkommen zu-
nächst die rothen Hallstätter Kalke des östlichen Siebenbürgen
Chronologischer Umfang des Dachsteinkalkes. 39
an, welche theils der karnischen Stufe (die Funde von Jovites
dacus von Kovacs-Patak^ bei Balan) theils der alaunischen
Abtheilung der juvavischen Stufe (Zone des Cyrtopleurites
bicrenatus^) zufallen.^
II. Kleinasien (Mysien). Aus der, wie es scheint ziemlich
isolirten Triasablagerung von Balia-Maaden im nordwestlichen
Kleinasien (Mysien), über welche bereits Mittheilungen von
Neumayr,» Bittner* und v. Bukowski^ vorliegen, besitzt
die Geologische Reichsanstalt als Geschenk des Herrn Berg-
werkdirectors N. Manzavinos einige in dunkeln Kalkmergeln
und Schiefern eingeschlossene Cephalopoden, welche nach
freundlicher Mittheilung des Herrn v. Bukowski sämmtlich
aus dem Schiefercomplexe mit Halobia Neumayri herrühren.
Die Suite besteht aus:
1. Orthoceras ind. Ein Exemplar aus dem Kalkmergel.
2. Clydonautilus cf. securis Dtm. Die Externseite ist etwas
breiter als wie bei den Exemplaren des Hallstätter Kalkes. Der
Sipho liegt etwas oberhalb der halben Mündungshöhe. Drei
Exemplare aus dem Kalkmergel, von welchen das besterhaltene
am Beginne der Wohnkammer einen Durchmesser von 138 mm
besitzt.
3. Clydonautilus nov. f. ind. Eine dem Clydonautilus
Quenstedti ähnliche, aber viel kleinere Form, welche bei einem
Durchmesser von 74 mm bereits die Wohnkammer besitzt.
Zwei verdrückte Exemplare aus dem Schiefer.
1 Verhandlungen der k. k. Geolog. Reichsanst. 1875. S. 143. Die ziemlich
reiche Fauna enthält: Orth. lateseptatum, Phyll. neojurense, Pinac. poslparma,
Placitcs subs^'mmdricus, CladiscUcs moniicola, Cl. cf. Juvavicns, ArccsUs div.
f. aus der Gruppe der Intuslabiati, DistichiUs celticus, DistichiUs Wulfeni?,
Ectolciies cf. pseudoaricSf Parathisbites scaphitiformis, Halorites cf. superbus,
Hai. cf. macer, Hai. cf. suavis.
* Kürzlich lernte ich durch Herrn Prof. Greg. Stefanescu aus Bukarest
auch rothe Cephalopoden-Kalke der Hallstätter Entwicklung aus der Dobrudscha
kennen, welche, soweit ich bei einer flüchtigen Besichtigung zu beurtheilen im
Stande war, hauptsächlich der longobardischen Zone des Proirachyceras
Archelaus angehören dürften.
3 Anzeiger der kais. Akad. der Wiss., 1887, S. 242.
4 Jahrbuch der k. k. Geolog. Reichsanstalt, 1891, S. 97; 1892, S. 77.
^ Diese Sitzungsberichte, Bd. CI, Abth. I, 1892. S. 214.
\
40 E. V. Mojsisovics, Chronolog. Umfang des Dachsteinkalkes.
4. Atr acutes cf, alveolaris Qu. Ein Fragment eines Phrag-
mokons aus dem Kalkmergel.
5. Placitesf. ind. aus der Gruppe des Placües platyphyllus.
Ein Exemplar aus dem Kalkmergel.
6. Stenarcestesf. ind., vergleichbar mit Stenarcestes planus.
Ein stark verdrücktes Exemplar mit sehr zarter Runzelschicht.
Aus dem Kalkmergel.
7. Arcestes cf. oligosarcus E. v. Mojs. Ein Wohnkammer-
exemplar mit vollständigem Mundrande, etwas verdrückt. Aus
dem Kalkmergel.
8. Arcestes div. f, ind. aus der Gruppe der Intuslabiati.
Ausser 20 ziemlich gut erhaltenen Lobenkernen liegen aus dem
Kalkmergel noch fünf und aus dem Schiefer zwei Wohnkammer-
exemplare vor, welche mehreren, wie es scheint neuen Arten
zufallen dürften.
Die aufgezählte Fauna trägt einen ausgesprochen juvavi-
•schen Charakter an sich. Zu einer schärferen Horizontirung
scheinen aber noch keine völlig ausreichenden Anhaltspunkte
gegeben zu sein. Denn wenn auch Clydonautilus securis und
Arcestes oligosarcus sevatische Formen sind, so dürfte es doch
bedenklich erscheinen, nachdem die Übereinstimmung der Arten
nicht völlig sichergestellt werden konnte, sich heute schon mit
Bestimmtheit darüber zu äussern, ob wir es wirklich, wie es
den Anschein hat, mit sevatischen oder mit etwas tieferen
Bildungen zu thun haben.
41
Über die Bahnen von Farbstoff- und Salz-
lösungen in dieotylen Kraut- und Holz-
gewäehsen
Erich Tschermak.
Es ist eine allbekannte Thatsache, dass im Stamme der
monocotylen Pflanzen die Gefässbündel isolirt verlaufen,
während dieselben bei den Dieotylen zu einem soliden Holz-
körper vereinigt sind.
Wenn es sich um die Leitung des Wassers und der Salze
aus dem Boden durch den Stamm handelt, wird wohl Niemand
daran zweifeln, dass bei den Monocotylen die einzelnen iso-
lirten Gefässbündel die Leitung besorgen; wie es sich dagegen
bei den dieotylen Bäumen verhält, ist nicht so selbstverständlich,
und im Grunde genommen hat bisher eigentlich Niemand
diese Frage gestellt oder untersucht. Wohl ist sicher, dass
bei der Leitung des Wassers und der Salze wesentlich der
Splint, weniger das Kernholz in Frage kommt, dagegen ist noch
völlig unbeantwortet, ob im Splint oder in einem einzelnen
Jahresring ganz bestimmte Partien — etwa bestimmte Längs-
streifen — thätig sind, mögen diese nun nur aus Gelassen
oder aus allen Holzelementen bestehen. Auf die Betrachtung
dieser Frage, ob es bei Dieotylen trotz ihrer verschmolzenen
Gefässbündel doch nur gewisse strangförmige Theile seien,
welche leiten, wurde Prof. Kraus hingelenkt durch eine
Anfrage von Prof. K. E. F. Schmidt (Halle), welcher bei seinen
Untersuchungen über den Lauf der Blitzschläge an Bäumen
die Thatsache feststellte, dass die Blitzspuren immer in be-
stimmten Längsstreifen am Holzkörper herablaufen. Unter
42 E. Tschermak,
Hinweis darauf, dass in jener Richtung einige verwerthbare
Beobachtungen von S ach s^ und von Theodor H artig ^ existiren,
hat Prof. Kraus im Winter und Frühling 1893 eine Anzahl
von Versuchen angestellt, sowohl an abgeschnittenen jungen
Zweigen, deren untere Enden verschiedenartig zugespitzt waren,
als an jungen Bäumen von Ahorn und Rosskastanien, be-
ziehungsweise an deren Wurzeln ©der mittelst Einsetzen von
Trichtern in die Stämme. Als Versuchsflüssigkeiten dienten
ausschliesslich indigschwefelsaures Natron und Eisenchlorid.
Es stellte sich die überraschende Thatsache heraus, dass Farb-
stoff und Eisenchlorid rasch in einem senkrechten Längsstreifen
an dem Stamm emporsteigen und in überliegende Äste ein-
treten oder in schwachem Bogen um dieselben herumlaufen.
Schlüsse wurden aus diesen Versuchen nicht weiter gezogen.
Prof. Schmidt, der diese Versuche kennen lernte, wieder-
holte dieselben an Waldbäumen und zog daraus Schlüsse
für seine Untersuchungen über die Spuren, die der Blitz an
getroffenen Bäumen hinterlässt; auch wurden an dieselben
Betrachtungen über den Saftverlauf in der Pflanze geknüpft.
(Beziehungen zwischen Blitzspur und Saftstrom bei Bäumen.
Abhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft zu Halle,
Bd. XIX, S. 83—86, mit einer Tafel und Holzschnitten, 1893.)
Für den Botaniker lag es a priori ferne, aus Versuchen
mit Farbstoffen Schlüsse über den Saftlauf zu ziehen, da aus
den verschiedensten Versuchen, insbesondere aus denen von
Sachs, die Eigenthümlichkeiten von Farbstoff lösungen be-
kannt sind.
Es war aber von grösstem Interesse, dieses von Prof.
Schmidt angeregte Problem zu einer brauchbaren Antwort zu
führen, und mir wurde von Prof. Kraus die Aufgabe gestellt,
in dieser Richtung die Frage zu bearbeiten. Letzterer überliess
mir zu diesem Behufe in der liebenswürdigsten Weise eine
stattliche Anzahl von Bäumen, wie sie wohl nur ein so alter
botanischer Garten, wie der in Halle, für solche Versuche zu
bieten vermag.
1 Vorlesungen über Pflanzenphysiologie, II. Aufl., Leipzig 1887, S. 267.
2 Bot. Ztg., 1853, Sp. 313.
Farbstoff- und Salzlösungen in Kraut- und Holzgewächsen. A3
Versuchsmethode.
Zu den Versuchen wurden einerseits in Wasser gelöste
Farbstoffe verwendet, und zwar: indigschwefelsaures Natron,
Fuchsin, Safranin, Gentianviolett und Eosin, unter welchen
sich das erste als ganz besonders geeignet erwies, anderseits
folgende in destillirtem Wasser gelöste Salze: Chlorlithium,
Chlorbaryum, salpetersaures Strontium, salpetersaures Calcium,
Chlornatrium, endlich Eisenchlorid, unter welchen wieder das
Lithiumsalz zu den besten Resultaten verhalf. Bei meinen Ver-
suchen, welche sich nur auf dicotyle Kraut- und Holzgewächse
erstreckten, handelte es sich natürlich in erster Linie darum,
ganz beschränkte Stellen zu schaffen, von welchen aus die zur
Aufnahme gebotenen Lösungen aufgesogen und ihre Wege
verfolgt werden konnten. Eng begrenzte, zum Aufsaugen
geeignete Stellen an dicotylen älteren Bäumen herzustellen,
gelang auf zweierlei Weise. Einerseits wurden die Wurzeln
blossgelegt und von diesen eine nicht zu starke, unverzweigte,
schön an der Peripherie des Stammes ansitzende gewählt,
welche, um bequem in ein mit der Lösung gefülltes Gefäss
tauchen zu können, eine Neigung nach abwärts haben musste.
Dieselbe Hess ich, nachdem sie rein abgewaschen und je nach
ihrem Neigungsverhältniss 30 — 60 cm weit vom Ansatz an dem
Stamm abgesägt worden war, 10 — 20 cm tief in das mit der
betreffenden Lösung gefüllte Gefäss tauchen. Als zweiter Weg,
um jenen Zweck zu erreichen, wurde folgender gewählt. In
den Stamm ward, wenn derselbe unverzweigt blieb, in einer
Höhe von 100— 150 cw über dem Boden, wenn derselbe sich
vergabelte, mehrere Decimeter senkrecht unter einem der Gabel-
äste ein 5 — 9 mm breites, 2 — 4 cm tiefes Loch gebohrt und in
dasselbe ein passender Trichter mit gebogenem Rohr eingeführt.
Der Ansatz des Trichters wurde, um ein Ausfliessen der Lösung
zu verhindern, ringsherum mit Baumwachs tüchtig verschmiert
und hierauf der Trichter gefüllt.
Die jungen Bäumchen, eine grosse Anzahl zwei- bis
dreijähriger Eichen, wurden unter möglichster Schonung ihrer
zarteren Wurzeln ausgegraben, der Wurzelstock rein ab-
gewaschen und alle Wurzeln bis auf die zum Versuche brauch-
44 E. Tschermak,
baren knapp am Stämmchen abgeschnitten. Bei einigen Ver-
suchen wurden stärkere Wurzelverzweigungen, bei den meisten
aber nur die zarten, dünnen Saugwurzeln verwendet, die, wenn
zu lang, einige Centimeter vor ihrer Einmündung in den Stamm
abgeschnitten wurden. Die Bäumchen befestigte ich an Stativen
mittelst Klemmschrauben in solcher Höhe, dass die Wurzeln in
die mit der Lösung gefüFlten Reagenzgläser einige Centimeter
tief eintauchten, während die Hauptwurzel, einige Centimeter
unter den Nebenwurzel -Ansatzstellen abgeschnitten, in ein
Gefäss voll Wasser ragte. Diese Anwendung traf ich, um
einerseits dem Einwände zu begegnen, die Pflanze hätte die
Lösung nur in Ermangelung des Wassers aufgenommen, ander-
seits um dieselbe länger frisch zu erhalten und so den Versuch
tagelang fortsetzen zu können.
Bei Ästen, respective Zweigen gelang es durch Zuspitzen
nur von begrenzten Partien des Holzes die Lösungen aufsaugen
zu lassen. Ich Hess den Ast in einen oder zwei zinkenartige
Fortsätze auslaufen, die 2 — 4 cm lang und einige Millimeter
breit geschnitzt wurden. Dieselben waren, um nur mit ihrer
Basis die Lösungen aufnehmen zu können, mit Ausnahme der
letzteren mit Vaselin eingerieben oder mit Wachs überzogen
und tauchten 1 — 2 cm tief in die Flüssigkeit ein.
Die Aufsaugungsbahn der Farbstofflösungen war durch
blosses Entrinden der Stämme, respective der Aste nachzu-
weisen. Einige Stunden nach Anstellung der Versuche wurde
bei den Bäumen senkrecht ober der Abgangsstelle der Wurzel,
bei Ästen senkrecht oberhalb der künstlich hergestellten Zinke,
die Rinde in verschiedener Höhe in Klappenform aufgehoben,
um zu sehen, ob überhaupt, wie hoch und in welcher Breite
der Farbstoff aufgestiegen war. Konnte man denselben in
beträchtlicher Höhe wahrnehmen, dann wurde der Stamm,
respective der Ast entsprechend dem zum Vorschein kommenden
Farbenstreifen entrindet.
Die Bahnen der Salzlösungen wurden in der über-
wiegenden Mehrzahl der Versuche durch spectroskopische
Prüfung des Holzkörpers ermittelt. Zu diesem Zwecke wurden
bei Bäumen nach mehrstündiger bis mehrtägiger Versuchsdauer
senkrecht über der Wurzeleinmündungsstelle oder senkrecht
Farbstoff- und Salzlösungen in Kraut- und Holzgewächsen. 45
Über dem Bohrloche kleine, circa 1 —2cm hohe und 2 -Acm breite
Holzstücke herausgestemmt. Ich bestimmte jedesmal genau ihre
Breite mit dem aufgelegten Centimetermass und übertrug die ge-
fundene Strecke auf eine Gerade, die auf einem Papierbogen ge-
zogen war. War das Holzstück faserig, so wurde von dessen
Aussenfläche, auf einer Seite beginnend, Faser nach Faser abge-
zogen, war es spröde, Lamelle nach Lamelle durch die ganze Tiefe
des Holzstückes abgeschnitten. Die so gewonnenen Theilchen
spiesste ich auf eine ausgeglühte Nadel und verbrannte dieselben
in der Flamme eines Bunsenbrenners. Das Flammenspectrum
wurde mittelst eines Handspectroskopes untersucht. War die
aufgesogene Lösung in den in der Flamme veraschten Fasern,
respective Lamellen enthalten, so erzeugten die glühenden
Metalldämpfe die charakteristischen Linien im Spectrum. Die
Ausdehnung, in welcher die Salze in dem ausgestemmten Holz-
stücke verbreitet waren, ergab sich einfach aus dem Abstand
derjenigen Partien, welche die Flammenreaction eben nicht
mehr zeigten. Die Lage dieser Grenzpunkte konnte genau be-
stimmt werden durch den Vergleich der auf Papier verzeichneten
ursprünglichen Ausdehnung des Stückes mit der jeweiligen
Breite des durch Ablösung von Fasern oder durch Zertheilung
in Lamellen noch nicht geprüften Restes. Erwies sich das Holz-
stück bis an eine oder gar bis an beide Grenzflächen von dem
betreffenden Salze durchtränkt, so wurden am Stamme nach
der betreffenden, beziehungsweise nach beiden Seiten hin von
der durch das Herausstemmen entstandenen Vertiefung aus
neue Holzstücke entnommen, in der oben beschriebenen Weise
fortschreitend abgefasert oder zerlegt und jedes Theilchen
geprüft. Auf diese Weise wurde die Untersuchung fortgesetzt,
bis endlich beim Verbrennen einer Holzfaser oder Lamelle die
charakteristische Linie im Spectrum nicht mehr erschien. Die
Verbreitung des Salzes im Umfange des Stammes wurde nun
auf ganz analoge Weise ermittelt wie im vorerwähnten Falle,
nämlich aus dem Abstände derjenigen Partien, welche die
Flammenreaction eben nicht mehr ergaben. War einmal starke
seitliche Verbreitung in einer Holzart nachgewiesen, so konnte
man sich jene mühevolle Procedur dadurch etwas erleichtern,
dass man dann gleich in weiterer seitlicher Entfernung von
46 E. Tschermak,
den zuerst herausgestemmten Holzstücken neue entnahm und
auf ihren Salzgehalt analysirte.
An stärkeren Ästen löste ich, senkrecht über der zu-
geschnittenen Spitze beginnend, Faser nach Faser vom Umfang
ab und stellte durch deren spectralanalytische Prüfung die Ver-
breitung der Salze längs des Umfanges des Astes fest.
An Zweigen wurde die Verbreitung der Salze aus der an
den Blattstielen vorgenommenen Flammenprobe erschlossen.
Zuerst wurden die senkrecht über der künstlich geschaffenen
Zinke, welche in die Lösung tauchte, aufsitzenden Blattstiele
geprüft, dann fortschreitend die seitlich entfernteren.
In einigen Fällen verwendete ich hingegen Stoffe, deren
Verbreitung nicht spectralanalytisch festgestellt wurde, sondern
durch chemische Farbenreactionen direct wahrnehmbar war.
So benützte ich Eisenchlorid, welches seinen Weg in gerbstoff-
haltigem Gewebe durch die eintretende Blau- oder Grünförbung
selbst anzeigt. Wiederholt wurde diese Reaction durch Be-
feuchten des Stammes mit Ferrocyankalium controlirt. (Ver-
stärkung der bereits durch Eisenchlorid erzeugten Blaufärbung
in Folge des Entstehens von Berlinerblau.)
An einer grösseren Zahl von krautigenPflanzen hatten
Vorversuche, in denen dieselben entweder mit der Wurzel oder
mit der Stengelschnittfläche in Farbstofflösungen getaucht
waren, das Resultat ergeben, dass die letzteren nur in den
Gefässbündelsträngen aufsteigen. Es wurden daher zu den
weiteren Experimenten zwei Pflanzenarten gewählt, bei denen
der Verlauf der Gefässbündel leicht zu verfolgen ist, und die
mir in grosser Anzahl zur Verfügung standen, nämlich
Anthriscus silvestris und Impatiens Roylei. Bei der ersteren
Pflanze treten die Fibrovasalstränge schon äusserlich als starke
Rippen hervor, bei den letzteren sind sie im durchscheinenden
Stengel leicht wahrzunehmen.
Bei mit der Wurzel ausgehobenen Exemplaren wurde die
Absicht, nur von beschränkten Theilen der Pflanze Lösungen
aufsaugen zu lassen, dadurch erreicht, dass nur zarte Wurzeln
zum Versuche verwendet wurden, die entweder in die Haupt-
wurzel oder schon in die Peripherie des Stengels mündeten. Ich
befestigte die Pflanzen mittelst Klemmschrauben an Stativen
Farbstoff- und Salzlösungen in Kraut- und Holzgewächsen. 47
in solcher Höhe, dass die zum Versuche gewählten Wurzeln
in mit Lösung gefüllte Reagenzgläser, die Hauptwurzel oder
di6 anderen Seitenwurzeln in Gefässe mit Wasser tauchten.
An abgeschnittenen Exemplaren Hess ich, um die Auf-
nahme der Lösungen nur von bestimmten Punkten aus zu
gestatten, am Stengelende ein oder zwei Fibrovasalstränge
isolirt vorragen, während ich alle anderen etwa 2 cm darüber
abschnitt. Die vorragenden Gefässbündel wurden mit Ausnahme
ihrer Basis mit Vaselin eingerieben, um nur von dieser aus die
Lösungen aufnehmen zu können, und tauchten etwaO'öcw
tief in die Farbstofflösungen.
Eine andere Methode, Lösungen nur durch beschränkte
Partien des Querschnittes aufsteigen zu lassen, bestand in der
Unterbrechung einzelner Fibrovasalstränge, während die ganze
Stengelbasis in die Lösung tauchte. Die Unterbrechungen der
Gefässbündel, welche Dank den erwähnten Eigenschaften der
zwei Versuchspflanzen einzeln herausgeschnitten werden
konnten, geschahen durch Einkerbungen mittelst eines Scalpells
innerhalb eines Internodiums oder im Knoten.
Das Aufsteigen der Farbstofflösungen in den Gefäss-
bündelsträngen war entweder schon äusserlich oder nach
Wegschaben der Epidermis leicht zu verfolgen.
Dieselbe Versuchsanordnung kam in Anwendung für das
Aufsaugenlassen von Salzlösungen, sowohl durch die
Wurzeln, als durch den Stengelquerschnitt (zwei Methoden).
Die Bahn derselben wurde wieder durch spectralanalytische
Prüfung ausgeschnittener Stengeltheilchen verfolgt. Zunächst
wurde ein Stückchen aus der Fortsetzung desjenigen Gefäss-
bündels entnommen, welches nach der ersteren der zwei
Versuchsmethoden, die ich bei abgeschnittenen Exemplaren
anwendete, allein in die Salzlösung eintauchte. Weiter schnitt
ich Partikeln aus dem Stengelwebe zu beiden Seiten dieses
Gefässbündels. Bei Benützung der zweiten Versuchsmethode
wurden zuerst denjenigen Fibrovasalsträngen Stückchen ent-
nommen, welche durch die Kerbung nicht unterbrochen waren.
Hierauf wurde die oberhalb der Unterbrechungsstelle gelegene
Stengelpartie geprüft, in welche eine Salzzufuhr seitens der
durchziehenden Gefässbündel nicht mehr stattfinden konnte.
48 E. Tschermak,
Bahn der Farbstoff lösungen im dicotylen Holzkörper.
Versuche über die Bahn derFarbstofiflösungen im dicotylen
Holzkörper wurden in den Monaten Mai bis August an älteren
Exemplaren folgender Holzarten im botanischer Garten zu
Halle a. S. angestellt:
Acer platanoides (4 Exemplare, 9, 11, 12, 13 w hoch).
Populus italica (1).
Samhucus nigra (1).
Betula alba (2).
Qitercus imbricaria (1).
Fraxinus excelsior (1).
Syringa vulgaris (4).
Syringa chinensis (3).
Ulntus montana (2).
Acer platanoides. Der Wurzelstock von vier Exemplaren
wurde blossgelegt und je eine deutlich an der Peripherie des
Stammes ansitzende Wurzel einige Decimeter von ihrem
Ursprung durchgesägt und der Stumpf in ein Gefäss mit einer
Lösung von indigschwefelsaurem Natron getaucht. Zwei dieser
Versuche mögen näher beschrieben werden. Im ersten Falle be-
trug derUmfang der eintauchenden Wurzel an der Einmündungs-
stelle in den Stamm 23 cm, an der Sägefläche 17 '5 cm. Nach
achtstündiger Versuchsdauer wurde der Stamm senkrecht ober
dem Wurzelansatz in verschiedener Höhe entrindet, um zu
sehen, ob die Lösung bereits aufgestiegen. Ein schmaler blauer
Streif war nach Verlauf dieser Zeit senkrecht über der Wurzel-
einmündungsstelle 5 m hoch zu verfolgen. Nach 25 Stunden
wurde der Versuch unterbrochen, der Stamm längs des blauen
Streifens entrindet und nun Messungen vorgenommen. Die
Wurzel war knapp vor ihrem Ansätze an dem Stamm fast in
ihrem vollen Umfange gefärbt, erst von da ab stieg der Farbstoff
in schmalem Streif aufwärts, anfangs in einer Breite von 3*4 cm,
sich nach 7 cm auf 2 cm verengend, und verlief nun in dieser
Breite bis zu einer Höhe von 32 m, von da allmälig breiter
werdend, bis er in einer Höhe von 4*82 w, unterhalb des ersten
Seitenastpaares, eine Breite von 3 cm erlangte. Die Seitenäste
Sassen so an, dass ihre Fussstücke in den gebläuten Faser-
Farbstoff- und Salzlösungen in Kraut- und Holzgewächsen. 49
verlauf zu stehen kamen, weshalb sich der Farbstoff in beide
Äste vertheilte. Im rechten Seitenast konnte er 4 cm breit, 70 cm
hoch verfolgt werden, im linken 7 cm breit, 50 — 60 cm hoch.
Am Stamme selbst setzte sich der Streif in einer Breite von
Zcm fort, bis er in einer Höhe von 5 '88 m in einen senkrecht
ober der Wurzeleinmündung liegenden Ast ablenkte, am Rücken
desselben 3-5 — 3' 7 cm breit verlaufend. Der Stammumfang
betrug nach dem Wurzelansatze 71 cw, der Baum war 10 m
hoch. Ein aus dem Stamme gestemmtes Stück zeigte, dass
sich die Blaufärbung nur sehr wenig nach innen, kaum 3 cm
verbreitet hatte.
Bei einem zweiten Exemplar hatte der 46 Stunden in eine
Lösung von indigschwefelsaurem Natron eintauchende Wurzel-
stumpf einen Umfang von 26 cm. Von dem Wurzelansatz stieg
ein schmaler, O'bcm breiter Streif auf, der sich nach 1 m zu
0*8 cw, nach 2 m zw \ cm, nach 2*9 w, vor der Gabelung des
Stammes in zwei starke Äste, bis zu ]'5cm verbreiterte. Der
Streif setzte sich mit derselben Breite im linken Gabelaste fort,
bis er, in den 50 cm ober der Gabelung abgehenden Seitenast
einbiegend, daselbst eine Breite von 2 cm annahm. Der Stamm-
umfang betrug nach der Wurzeleinmündung 49 cm. Der Ver-
such wurde noch 14 Tage an dem entrindeten Stamme fort-
gesetzt, ohne dass eine merkliche Verbreiterung des Streifens
erfolgt wäre.
Populus italica. Zwei dünne Wurzeln tauchten in eine
Lösung von indigschwefelsaurem Natron. Der nach eintägiger
V'ersuchsdauer entrindete Stamm zeigte keine blauen Streifen,
der Querschnitt des abgesägten Stammes wies indess zwei
nicht weit von der Stammperipherie gelegene blaue Flecke auf.
Sambucus nigra. Eine schwache Wurzel tauchte zwei
Tage lang in eine Lösung von indigschwefelsaurem Natron.
Der entrindete Stamm zeigte keine Bläuung, doch wurde nach
Abstemmen von etwa 0*5 cw dicken Holzstücken ein 0*6 cm
breiter Streif sichtbar.
Betula alba* Zwei am Stamme gegenüber ansitzende
Wurzeln wurden zum Versuche gewählt. Die eine tauchte in
ein mit einer Lösung von indigschwefelsaurem Natron gefülltes
Gefäss, die andere in ein solches mit Eisenchloridlösung. Nach
Sitzb. d. raathem.-naturw. Gl.; CV. Bd., Abth. I. 4
50 E. Tschermak,
30 Stunden wurde der ganze Stamm entrindet Von der Ein-
mündungsstelle der in den Indigo tauchenden Wurzel, deren
Sägefläche einen Umfang von 7 cm aufwies, verlief der blaue
Streif anfangs 2 cm breit, sich rasch auf 1 cm verengend, 2 • 7 m
hoch, die längs des gefärbten Faser\'erlaufes entspringenden
Zweige färbend. Der Querschnitt durch den Stamm zeigte, dass
die Lösung nur O'öcm tief in den Stamm eingedrungen war.
Der Stammumfang betrug knapp über dem Wurzelansatz 25 cm.
Die Bahn des Eisenchlorides wird erst in dem Abschnitt »Bahn
der Salzlösungen im dicotylen Holzkörper« beschrieben werden.
Quercus imbricaria. Der Stamm gabelte sich 3fw hoch
über dem Boden in zwei starke Äste. 88 cm unterhalb der
Gabelung wurde senkrecht unter jedem der beiden Äste ein
Loch gebohrt, in dasselbe ein Trichter eingesetzt, der eine
mit einer Lösung von indigschwefelsaurem Natron, der andere
mit Chlorlithiumlösung gefüllt Die Farbstofiflösung wurde
langsam aufgesogen, aber doch immerhin rascher als die
Lithiumlösung. Der Versuch blieb 12 Tage in Gang, dann
wurde der Stamm theilweise entrindet. Der Indigostreif war
anfangs {'2 cm breit, verengte sich bald auf 1 cm und verlief
in dieser Breite bis zur Gabelung. In dem Gabelast setzte er
\b cm breit fort, bis er 56 cm ober der Gabelung in einen
Seitenast mit 2 cm Breite einbog. Der Umfang des Stammes
betrug bei dem Bohrloch 52 cm. Die Bahn der Lithiumlösung
soll im folgenden Abschnitte besprochen werden.
Fraxinus excelsior. Einige Decimeter unterhalb eines
Seitenastes wurde ein Loch gebohrt, ein Trichter eingesetzt
und mit einer Lösung von indigschwefelsaurem Natron gefüllt.
Dieselbe stieg in schmalem Streif nur in den betreffenden
Ast auf.
Syringa vulgaris. Das dünne Ende der in eine Lösung
von indigschwefelsaurem Natron tauchenden Wurzel hatte
einen Umfang von 4 cm. Das betreffende Stämmchen, in welches
die Wurzel zu münden schien, wurde nach zwei Tagen theil-
weise entrindet und zeigte an seinem Umfange, der sich ober
dem Wurzelansatz auf 24 cm belief, einen 09 cm breiten blauen
Streif, der sich 1 m höher auf 0*7 cm verengte. Der Versuch
blieb dann noch 1 1 Tage in Gang. Der Streif war nur um einige
Farbstoff- und Salzlösungen in Kraut- und Holzgewächsen. 51
Millimeter breiter geworden und bis in die äussersten Ast-
spitzen zu verfolgen.
S}^inga vulgaris, Syringa chinensis, Ulmus montana.
An mehreren Exemplaren dieser Species wurden Trichter-
versuche mit einer Lösung von indigschwefelsaurem Natron
(Einführung des Trichters in den Stamm an beliebigen Stellen)
gemacht, welche alle dasselbe Resultat ergaben: Die Lösung
stieg in schmalem Streif mit Rectascension aufwärts. Der
Flieder war unter allen Holzgewächsen dasjenige, welches die
Lösung von indigschwefelsaurem Natron am raschesten aufsog.
Bei den angeführten Versuchen wurden ausschliesslich
Lösungen von indigschwefelsaurem Natron verwendet, weil
Vorversuche mit anderen Farbstofiflösungen, wie mit wässerigen
Lösungen von Gentianviolett und Fuchsin, zwar das gleiche
Resultat, aber undeutlich und nach viel längerer Zeit ergeben
hatten.
Zur Untersuchung der Bahn der Farbstofflösungen in
jungen Bäumen verwendete ich eine grössere Anzahl von
2 — 3jähriger Quercus pedunculata. Von denselben wurden
vorerst solche benützt, welche stärkere Wurzelverzweigungen
hatten. Eine der dickeren tauchte in eine Lösung von indig-
schwefelsaurem Natron, während die anderen in ein Gefäss
mit Wasser ragten. Nach 1 — 2 Tagen wurden die Versuche
unterbrochen und die Stämmchen entrindet. Die in die Farb-
stofflösung tauchende Wurzel war anfangs im vollen Umfange
gefärbt, von der Einmündungsstelle in den Stamm verlief ein
schmaler blauer Streif senkrecht nach aufwärts in einzelne
Zweige bis in die Blattrippen und das Adernetz ihrer Blätter,
welche dadurch blaugrün erschienen. Der Durchschnitt der im
vollen Umfange gefärbten eintauchenden Wurzel zeigte, dass
nur die Gefässe und ihre nächste Umgebung vom Farbstoffe
gebläut waren, während z. B. die Markstrahlen ungefärbt
blieben. Bei der Mehrzahl der Versuche an den jungen Eichen
tauchten nur ganz dünne Saugwurzeln in die Farbstofflösung,
während der Stumpf der Hauptwurzel in Wasser gesenkt war.
Nach 1 — 3 Tagen wurden die Stämmchen entrindet. Je nach-
dem sich die Wurzel bereits an der Oberfläche oder erst in
bestimmter Tiefe in das Gewebe des Stammes verlor, war
OZ E. Tschermak,
äusserlich ein schmaler Streif wahrnehmbar, oder es trat erst
beim Spalten des Stämmchens in der Längsrichtung ein solcher
zu Tage. Die mikroskopische Untersuchung eines Querschnittes
der Wurzel oder des Stämmchens ergab, dass das indig-
schwefelsaure Natron nur Gefässe und ihre nächste Umgebung
tingirt hatte. Das Mikroskop lehrte ferner, dass die primären
Gefässbündel der Saugwurzeln in die secundären des Stammes
mündeten, und so dessen Färbung vermittelten. Einige dieser
Versuche blieben 10 Tage in Gang. Die Bäumchen waren nach
dieser Zeit noch frisch, der Querschnitt zeigte auch hier nur
die betreffenden Gefässe, nicht auch das Nachbargewebe
gefärbt Einige mit wässeriger Lösung von Fuchsin und
Gentianviolett angestellte Versuche ergaben dasselbe Resultat
wie die Experimente mit der Lösung von indigschwefelsaurem
Natron.
Zur Untersuchung der Wege, welche die Farbstofflösungen
in Zweigen nehmen, die mit ihrem zu ein oder zwei Zinken
zugeschnitzten Ende in die Lösungen tauchten, wählte ich
solche von Querctts pedunculata und Syringa vulgaris. Letztere
eignen sich wegen ihrer zumeist regelmässig dichotomen
Verzweigungen, wie die folgenden Versuche lehren, ganz
besonders dazu die Rectascension der Farbstoff lösungen in
schmalen Streifen zu veranschaulichen.
Quercus pedunculata. Das zugekerbte 3 — 4 cm lange,
mit Ausnahme der Basis mit Baumwachs verschmierte Ende
tauchte 1 — 2 Tage in eine Lösung von indigschwefelsaurem
Natron. Der entrindete Zweig zeigte einen blauen Streif, der
sich in der Breite des eintauchenden Zinkenendes bis in die
äusserste Spitze verfolgen Hess und die Adern sämmtlicher
Blätter, deren Stiele an dem betreffenden Faserverlauf ansassen,
färbte.
Syringa vulgaris. Die Zweige liess ich 10— 20 cm unter
der Gabelung in eine oder zwei schmale Zinken auslaufen, die
gerade unterhalb der Gabeläste zu stehen kamen. Bei diesen
Versuchen wurden alle bei der Besprechung der Versuchs-
methode angeführten Farbstofflösungen angewendet. Die
2 cm langen und einige Millimeter breiten Zinken tauchten mit
ihrer wachsfreien Endfläche circa Ob cm in die Farbstoff-
Farbstoflf- und Salzlösungen in Kraut- und Holzgewächsen. 53
lösungen. Wurde der Versuch bereits nach einigen Stunden
unterbrochen, oder blieb er Tage lang in Gang, immer zeigte
der entrindete Zweig einen schmalen Streif, der höchstens
2 — 3 mm breiter als die Zinken war und am Rücken des einen
Gabelastes verlief. Bei weiterer Vergabelung stieg der Streif in
den Zweig auf, dessen Fussstück in den gefärbten Faserverlauf
zu stehen kam. Um die verschiedene Aufstiegsgeschwindigkeit
der einzelnen Farbstofiflösungen ungefähr zu bestimmen,
schlug ich folgendes Verfahren ein. Ich wählte möglichst
gleich stark gewachsene Fliederzweige, die sich regelmässig
dichotom vergabelten, und schnitt 6 cm unter der Gabelung
eine 3 cm lange und 2 mm breite Zinke zu, welche je 1 cm
tief in die Farbstofflösungen tauchte. Derselbe Versuch wurde
zweimal angestellt und blieb das erstemal 17, das zweitemal
19 Stunden in Gang. In beiden Fällen war das indigschwefel-
saure Natron am höchsten gestiegen, dann folgten mit ab-
nehmender Aufstiegsgeschwindigkeit Fuchsin, Gentianviolett,
Safranin und Eosin. Während nach 17 Stunden das indig-
schwefelsaure Natron bis in die äusserste Spitze des 35 cm
langen Gabelastes gestiegen war, konnte Fuchsin bis zu
einer Höhe von 16 cm, Gentianviolett 9 cm, Safranin Q cm,
Eosin nur 5 cm hoch verfolgt werden. Bei dem zweiten Ver-
such war die Reihenfolge der Aufsaugungsgeschwindigkeiten
dieselbe.
Bahn der Salzlösungen im dicotylen Holzkörpen
In derselben Zeitperiode, in welcher die Versuche mit
Farbstofflösungen an Holzgewächsen angestellt wurden, ver-
folgte ich die Bahnen der Salzlösungen im dicotylen Holz-
körper an älteren Exemplaren folgender Holzarten des
botanischen Gartens.
Acer platanoides (4).
Syringa vulgaris (6).
Ouerctis imhricaria (1).
Quercus pedunculata (3).
Fraxinus excelsior (1).
Ulmtts montana (3).
54 E. Tschermak,
Bettila alba (4).
Pintis silvestris (1).
Tsiiga canadensis (1).
Acer platanoides. In einem Falle hatte der in die Lithium-
lösung tauchende Wurzelstumpf einen Umfang von 30 cm. Nach
80 Stunden wurde der Versuch unterbrochen, senkrecht ober-
halb des Wurzelansatzes in verschiedener Höhe Holzstücke
herausgestemmt und nach der beschriebenen Methode mittelst
des Spectroskopes auf ihren Salzgehalt geprüft. Das Lithium
war in schmalem, 3'd cm breiten Streif, l'5m hoch gestiegen.
Der Stammumfang betrug an dieser Stelle 45 cm. Von hier nahm
der Streif allmählich an Breite zu, bis er 1 • 6 m höher, unter
der Gabelung des Stammes in 2 starke Seitenäste, zu 4-8rw
anwuchs. Der Stamm war hier 42 cm breit. Der Streif setzte
sich in denjenigen Gabelast, welcher senkrecht über der ein-
tauchenden Wurzel abgieng, in einer Breite von 5 cm fort. 1 m
über der Gabelung gab dieser Ast 2 Seitenäste ab. Der linke
zeigte in seinem ganzen Umfange (IS'o cm) Lithium, in den
rechten, der einen Umfang von l\'5cm aufwies, war das Salz in
einer Breite von 2*9 cm aufgestiegen. An zwei weiteren Exem-
plaren wurden in den Stamm Trichter eingesetzt und mit Chlor-
lithiumlösung gefüllt. Dieselbe wurde nur sehr langsam aufge-
sogen. Auch hier stieg das Lithium anfangs in schmalem Streif
auf, begann sich aber allmählich am Stammumfang zu verbreiten,
bis endlich in dem einen Falle nach 7, im anderen nach 10
Tagen an der ganzen Stammesperipherie sowohl knapp über
dem Bohrloche, wie auch 2 m höher Lithium nachgewiesen
werden konnte. Bei einem weiteren Exemplare wurde der in
den Stamm eingesetzte Trichter mit einer Chlorbaryumlösung
gefüllt, von welcher auch nach mehreren Tagen nur sehr wenig
aufgesogen worden war. Die Bahn des Baryums konnte nur
einige cm weit als schmaler Streif verfolgt werden.
Syringa vulgaris. Ein in 2 Gabeläste auslaufender Flieder-
stamm wurde 20 cm unterhalb der Gabelung senkrecht unter
dem einen Gabelast angebohrt. In das Bohrloch setzte ich
einen Trichter ein und füllte denselben mit Chlorlithiumlösung.
Nach 18 stündiger Versuchsdauer begann ich die Gabeläste
auf Lithium zu untersuchen. Auch hier war es in schmalem
Farbstoff- und Salzlösungen in Kraut- und Holzgewächsen. 55
Streif nur in dem einen derselben aufgestiegen und unterhalb
der Gabelung, sowie im Gabelast in einer Breite von 18 cm
nachzuweisen. Der Umfang des Astes betrug 9 cm^
Eine dünne, an der Peripherie des Stammes ansitzende
Wurzel eines baumartigen Fliederstrauches, dessen starker
Stamm sich bald in viele Äste vergabelte, tauchte 34 Stunden in
Chlorlithiumlösung. Nach Verlauf dieser Zeit war das Lithium
am ganzen Stammumfang, sowie in sämmtlichen Asten nach-
zuweisen.
In einige Stämmchen wurden Trichter eingesetzt und mit
Eisenchloridlösung gefüllt. Die Flüssigkeit wurde sehr langsam
aufgesogen. Die nach 4 — 6 Tagen entrindeten Stämmchen
zeigten nur einen schmalen blauen Streif (Gerbstoffreaction),
der durch Befeuchten mit einer Lösung von gelbem Blutlaugen-
salz in Folge der eintretenden Berlinerblaureaction deutlicher
gemacht wurde. — In zwei Fällen wurden die in den Stamm
eingesetzten Trichter mit einer Lösung von essigsaurem Uran
gefüllt. Die nach zwei Tagen entrindeten Stämmchen wurden
mit Ferrocyankalium benetzt, worauf ein 2 — 3 cm breiter,
brauner Streif erschien, der sich bald verengte (Ferrocyanuran).
Quercus imbricaria. In den Stamm wurden 88 cm unter-
halb seiner Vergabelung in zwei starke Aste senkrecht unter
jedem derselben Trichter eingesetzt, der eine mit einer Lösung
von indigschwefelsaurem Natron (vergl. oben), der andere mit
Chlorlithiumlösung gefüllt Nach 12 Tagen wurde der Versuch
unterbrochen. Es war nur wenig von der Salzlösung aufgesogen
worden. Die spectralanalytische Untersuchung ergab eine an-
fängliche Verbreitung des Lithiums von 3-8 cm bei einem
Stammumfang von 52 cm. Dieselbe nahm bis zur Vergabelung
bis 5*6 cm zu. Im Gabelast betrug die Verbreitung 4 cm,
Quercus pedunculata. In den Stamm eines jüngeren
Baumes wurde ein Trichter eingesetzt und mit Chlorlithium-
lösung gefüllt. Der Stammumfang betrug beim Bohrloche 1 1 cm.
Nach sechs Tagen wurde damit begonnen, Holzstückchen aus
dem Stamme zu schlagen, um dieselben auf ihren Salzgehalt
zu prüfen. Das Lithium war nach Verlauf dieser Zeit in 3 cm
breitem Streif senkrecht aufgestiegen. Nach 14 Tagen konnte
indess am ganzen Stammumfang Lithium nachgewiesen werden.
56 E. Tschermak,
Bei einem anderen Exemplare tauchte eine kräftige, an der
Peripherie des Stammes ansitzende Wurzel mit ihrem abge-
sägten Ende (Umfang \8cm) 63 Stunden in Eisenchloridlösung.
Der entrindete Stamm zeigte einen blaugrauen Streif (Gerb-
stoffreaction), der über 4 m hoch zu verfolgen war. Derselbe
hatte anfangs eine Breite von 5 cm bei einem Stammumfang
von 70 cm; nach Im verengte er sich auf 3*4 rw, nach Sm
auf 1 -8 cm, nach 4 m war er nur mehr einige Millimeter breit.
Das nachträgliche Tingiren mit einer Lösung von gelbem Blut-
laugensalz machte in Folge der eintretenden Berlinerblaureaction
den Streif noch deutlicher sichtbar, auch wurde er um einige
Millimeter breiter. Nach innen war die Reaction nur einige
Millimeter tief zu verfolgen.
Fraxinus excelsior. Einige Centimeter unter den Fuss-
punkten von vier Ästen wurden Löcher gebohrt, in dieselben
Trichter eingesetzt und der Reihe nach mit Lösungen von
indigschwefelsaurem Natron (vergl. oben), Chlorlithium, sal-
petersaurem Strontium und Chlorbaryum gefüllt. Nach zwei
Tagen war das Chlorlithium in 4 cm breitem Streif nur in dem
betreffenden Aste nachzuweisen. Nach vier Tagen jedoch hatte
sich das Lithium nicht nur in dem ganzen Ast, unter welchen
der Trichter angebracht war, verbreitet, sondern auch über den
ganzen Umfang des Stammes, welcher an der Stelle, wo der
Ast ansass, 56 cm betrug. Die Bahn des Chlorbaryums, sowie
des salpetersauren Strontiums konnte auch nach mehreren
Tagen nur einige Centimeter weit als schmaler Streif verfolgt
werden.
Ulmus montana. 1 m über dem Boden wurde in den Stamm
eines Exemplares ein Trichter eingesetzt, welcher gerade unter-
halb eines starken Gabelastes zu stehen kam. Zur Füllung
wurde Chlorlithium verwendet. Der Stammumfang betrug in
der Höhe des Bohrloches 68 cm. Ich begann mit der spectral-
analytischen Untersuchung bereits nach 8 Stunden, weil die
Lösung auffallend rasch aufgesogen wurde. Ich konnte auf der
Vorder- und Rückseite des starken Gabelastes, sowie in allen
Verzweigungen Lithium nachweisen. Vermuthlich hatte sich das
Lithium auch schon in dem anderen Gabelast verbreitet, doch
konnte die Untersuchung der hereinbrechenden Nacht wegen
\
Farbstoff- und Salzlösungen in Kraut- und Holzgewächsen. 57
erst am folgenden Morgen fortgesetzt werden. Sie ergab nun
vollständige Verbreitung des Lithiums im ganzen Umfange des
Baumes; auch 80cm unter dem Bohrloche konnte an der
ganzen Peripherie Lithium nachgewiesen werden.
Bei einem anderen Exemplare tauchte eine Wurzel, deren
Sägefläche einen Umfang von 10 cm aufwies, 42 Stunden in
Chlorlithiumlösung, und schon zeigte sich der Stamm, von
welchem Holzstücke bis zu einer Höhe von 2m behufs spectral-
analytischer Untersuchung herausgestemmt wurden, in seinem
ganzen Umfang von Lithium durchtränkt.
Bei einem dritten Exemplare wurde der in den Stamm ein-
gesetzte Trichter mit Chlorbaryumlösung gefüllt. Obgleich die-
selbe rasch aufgesogen und der Trichter wiederholt gefüllt
wurde, gelang es mir nicht, in den herausgeschlagenen Holz-
stücken Baryum nachzuweisen.
Betula alba. In mehrere Stämme wurden Trichter ein-
gesetzt und mit Chlorlithiumlösung gefüllt. Nach 4—5 Tagen
enthielt die dem Bohrloche gegenüberliegende Seite des Baumes
Lithium.
Die dünne Wurzel eines anderen Exemplares musste sieben
Tage lang in Chlorlithiumlösung belassen werden, bis sich das-
selbe im ganzen Stamme (Umfang ober dem Wurzelansatze
50 cm) verbreitet hatte.
Oben wurde ein Versuch bereits erwähnt, bei welchem die
eine von zwei am Stamm gegenüber ansitzenden Wurzeln in
eine Lösung von indigschwefelsaurem Natron, die andere in
Eisenchloridlösung tauchte. Der nach 30 Stunden entrindete
Stamm zeigte auf der einen Seite den Indigostreif (vergl. oben),
auf der anderen ein blaugraues, 2 cm breites Band (Gerbstoff-
reaction), das sich bald auf 1 cm verengte und nur \'bm hoch
zu verfolgen war. Durch Tingiren mit Ferrocyankalium wurde
der Streif in Folge der Berlinerblaureaction deutlicher und
etwas breiter. In der Höhe von l'7ßm zeigten indess einige
Aststumpfe, welche 4—5 cm seitlich von der senkrechten Fort-
setzung des 26 cm tiefer endigenden Streifens ansassen, auf
ihren Sägeflächen deutliche Gerbstoffreaction. Es war demnach
auch hier eine beträchtliche seitliche Verbreitung des Salzes
eingetreten.
58 E. Tschermak,
An mehreren Exemplaren wurden in die Stämme Trichter
eingesetzt und mit Eisenchloridlösung gefüllt. Nach drei- bis
fünftägiger Versuchsdauer entrindete ich den Stamm. Stets war
ein 3 — 5 cm breiter Streif einige Meter hoch zu verfolgen. Der
Querschnitt des Stammes zeigte nur 1—2 cm tief die Gerbstoff-
reaction.
Pinus silvestris. Eine 66 cm lange Wurzel tauchte mit
ihrem abgesägten Ende (Umfang 16 cm) in Chlorlithiumlösung.
Nach zwei Tagen ergab die Untersuchung, dass die Lösung in
schmalem, 3 — 4 cm breiten Streif aufgestiegen war. Nach fünf
Tagen war die Stammperipherie von Lithium imprägnirt Der
Stammumfang betrug oberhalb des Wurzelansatzes 77 cm.
Tsuga canadensis. Ein Trichter wurde l'om über dem
Boden in den Stamm, der an dieser Stelle einen Umfang von
40 cm hatte, eingesetzt und mit Chlorlithiumlösung gefüllt. Das
Aufsaugen ging sehr rasch vor sich, wesshalb bereits nach
9 Stunden mit der Untersuchung begonnen, der Versuch aber
noch in Gang belassen wurde. Ich konnte nach Verlauf dieser
Zeit bereits eine starke seitliche Verbreitung des Lithium nach-
weisen. Nach 24 Stunden hatte sich das Lithium im ganzen
Stamm verbreitet. Holzstücke, welche 3 m über dem Bohrloch,
und zwar auf der demselben gegenüberliegenden Seite heraus-
geschlagen und untersucht wurden, waren bereits vom Lithium
durchtränkt.
Zur Verfolgung der Bahn der Salzlösungen in jungen
Bäumchen verwendete ich wieder die 2— 3jährigen Stieleichen.
Bei den meisten dieser Versuche Hess ich nur ganz schwache
Saugwürzelchen in die betreffenden Salzlösungen tauchen.
Ragte eine der Wurzeln in Chlorlithiumlösung, so war bereits
nach einigen Stunden starke seitliche Verbreitung des Lithiums
im Stämmchen nachzuweisen, nach einem Tag hatte es sich
meist schon über den ganzen Umfang verbreitet. Auch Lösungen
von Chlorbaryum und salpetersaurem Strontium wurden ein-
zelnen Saugwurzeln zur Aufnahme geboten. Baryum konnte
ich nach 1 — 2 Tagen, Strontium erst nach 3 — 5 Tagen längs
der Peripherie des Stämmchens nachweisen. Eisenchlorid stieg
selbst nach zehntägiger Versuchsdauer nur in schmalem Streif
auf. Tauchte indess eine stärkere Wurzelverzweigung in die
Farbstoff- und Salzlösungen in Kraut- und Holzgewächsen. 59
Lösung, so war nach drei Tagen fast am ganzen Umfang des
Stämmchens Gerbstoffreaction eingetreten.
Zur Verfolgung der Bahn der Salzlösungen in Zweigen,
die nur mit ihrem zugespitzten Ende in die Lösungen tauchten,
benützte ich solche von Querctis pedunculata, Ulmus moniana,
Fraxinus excehior und Syringa vulgaris. Letztere eigneten sich,
wie die folgenden Versuche lehren, ganz besonders dazu, die
allmälig seitliche Verbreitung der Salzlösungen im Holzkörper
zu verfolgen.
Quercus pedunculata. Das zinkenartig zugeschnitzte, mit
Ausnahme der Basis mit Baumwachs verschmierte Zweigende
tauchte in eine Lösung von Chlorlithium, salpetersaurem Stron-
tium, Chlorbaryum und Eisenchlorid. Das Lithium war nach
einem Tage, nach 2 — 3 Tagen auch Baryum und Strontium,
längs des ganzen Zweigumfanges nachzuweisen. Eisenchlorid
schoss in schmalem Streif senkrecht aufwärts, doch trat auch
hier nach 2 — 3 Tagen am ganzen Umfang Gerbstoffreaction ein.
Ulmus montana, Fraxinus excelsior. Stärkere Zweige, in
gleicher Weise wie dies bei Quercus pedunculata erwähnt, zu-
gerichtet und in Chlorlithiumlösung tauchend, zeigten nach
1—2 Tagen starke seitliche Verbreitung der Salzlösung.
Syringa vulgaris. Die Versuche wurden nur mit regel-
mässig dichotom sich vergabelnden Zweigen angestellt, deren
Ende ich \0— 20 cm unter ihrer Gabelung in eine Zinke aus-
laufen und 0*5 rw tief in Lösungen von Chlorlithium, Chlor-
baryum, salpetersaurem Strontium, salpetersaurem Calcium,
Chlornatrium und Eisenchlorid, tauchen Hess. Der Nachweis
der vier erstgenannten Salze geschah wieder auf spectral-
analytischem Wege, die Anwesenheit des Eisenchlorids wurde
durch Tingiren mit einer Lösung von gelbem Blutlaugensalz
constatirt. Die Prüfung auf Na geschah durch Flammenreaction.
Da das Holz und die Blätter des Flieders in Folge ihres starken
Kaligehaltes in der Flamme des Bunsenbrenners verbrannt
Violettfärbung erzeugen, konnte beim Gelbwerden der Flamme
auf den Natriumgehalt dieser Pflanzentheile geschlossen werden.
In allen Fällen fand auch hier vorerst ein rasches, senkrechtes
Aufsteigen der Lösungen in schmalem Streif statt, dann ver-
breiteten sich die verschiedenen Salze mit verschiedener
60 E. Tschermak,
Geschwindigkeit zuerst auf der Rückenseite, dann auf der Innen-
seite desjenigen Gabelastes, welcher senkrecht über der ein-
tauchenden Zinke abging; später konnten dieselben auch auf
der Innenseite des gegenüberstehenden Gabelastes, endlich
auch auf dessen Aussenseite nachgewiesen werden.
Als Beispiele dieser allmäligen Verbreitung der Salze seien
folgende angeführt. In einem Falle war nach 23 stündiger Ver-
suchsdauer Strontium an der Aussenseite desjenigen Gabel-
astes, der senkrecht über der eintauchenden Zinke stand, bis
zu einer Höhe von \6 cm über der Gabelung nachweisbar,
während es an der Innenseite nur 9 cm hoch gestiegen war
und im gegenüberstehenden Gabelaste fehlte. In einem anderen
Falle war nach 20 Stunden die Baryumlösung an der Aussen-
seite des ersten Gabelastes 32 cm, an der Innenseite 25 cm, an
der Innenseite des anderen Gabelastes 15 cm, an dessen Aussen-
seite 9 cm hoch gestiegen. Um wenigstens annähernd einen
Begriff von der verschiedenen Aufsaugungsgeschwindigkeit der
einzelnen Salzlösungen zu bekommen, wurde ganz dieselbe
Methode wie beim Vergleich der Aufstiegsgeschwindigkeit der
einzelnen Farbstofflösungen angewendet. Am raschesten ver-
breiteten sich Natrium, Lithium, Calcium und Baryum, weniger
rasch Eisenchlorid, am langsamsten Strontium.
Bahn der Farbstofflösungen in dicotylen krautigen Pflanzen.
In dem Abschnitt über die Versuchsmethoden wurden
bereits die Gründe dargelegt, welche mich veranlassten, bei der
Aufgabe, die Wege der Farbstoff- und Salzlösungen in krautigen
Pflanzen zu studiren, mit den zwei Pflanzenarten Anthriscus
silvestris und Impatiens Roylei zu operiren.
Anthriscus silvestris. Bei den mit der Wurzel ausge-
hobenen Exemplaren tauchte die unverzweigte Pfahlwurzel
einige Centimeter tief in eine Lösung von indigschwefelsaurem
Natron. Die rasch aufgesogene Flüssigkeit hatte nach eintägiger
Versuchsdauer anfangs den ganzen axilen Strang der Wurzel
gefärbt, im weiteren Verlaufe blieben aber die aus den nicht
mehr eintauchenden Nebenwurzeln eingetretenen Fibrovasal-
stränge ungefärbt, wesshalb auch beim Übergang der Wurzel
in den Stengel nicht alle Gefässbündelstränge gebläut
Farbstoff- und Salzlösungen in Kraut- und Holzgewächsen. 6 1
erschienen. Bei längerem Belassen der Wurzel in der Lösung
(50—60 Stunden) zeigte sich indess in den meisten Fällen der
ganze Gefössbündelkreis gefärbt.
Um nun wieder die Verbreitung der Farbstofflösungen im
Pflanzenkörper zu studiren, wenn dieselben bloss einzelnen
begrenzten Partien der Pflanze zum Aufsaugen geboten werden,
wählte ich einmal Exemplare mit gabelig verzweigter Haupt-
wurzel und Hess einen dieser Wurzeläste in die Lösung, den
anderen in Wasser tauchen. Oder ich wählte Exemplare mit
unverzweigter Hauptwurzel und tauchte dann bloss eine kleine,
aus der Hauptwurzel entspringende Saugwurzel in die Indigo-
lösung, während der Stumpf der ersteren in Wasser ragte. In
beiden Fällen zeigten sich, ob nun der Versuch bloss einen
Tag oder mehrere Tage in Gang blieb, nur die aus den betref-
fenden Wurzeln in den axilen Strang der Hauptwurzel sich
einreihenden Fibrovasalstränge gebläut, während der andere
Theil des axilen Stranges ungefärbt blieb. Im Stengel waren
dann stets nur die senkrecht über der Wurzeleinmündungs-
stelle verlaufenden Gefässbündelstränge gefärbt.
Bei abgeschnittenen Exemplaren wendete ich, wie schon
bei der Besprechung der Versuchsmethode erwähnt, zwei
Verfahren an, um die Aufnahme der Lösungen nur von be-
grenzten Stengelpartien zu erzielen. Den Pflanzen wurden
folgende Farbstoffe, in Wasser gelöst, zum Aufsaugen geboten:
indigschwefelsaures Natron, Fuchsin, Safranin und Gentian-
violett. Bei den Versuchen nach der ersten Methode waren die
Lösungen, wenn nach einigen Stunden der Versuch unter-
brochen wurde, nur in den in die Flüssigkeit vorragenden ein
oder zwei Gefässbündelsträngen aufgestiegen, von einer Ver-
breitung in das Nachbargewebe war nichts zu bemerken.
Blieben indess die Pflanzen über einen Tag in den Lösungen
stehen, so zeigten sich auch die meisten benachbarten Gefäss-
bündel des ersten sowie die Mehrzahl des folgenden Internodium
gefärbt. Wurde indessen der in die Farbstofflösung tauchende
Fibrovasalstrang durch eine Einkerbung im ersten Internodium
oder durch einen im Knoten ausgeführten Ausschnitt unter-
brochen, so stieg die Farbstofflösung nur in diesem Gefässbündel-
strangbis zur Unterbrechungsstelle aufwärts, die Nachbarstränge
62 E. Tschermak,
blieben dann auch nach mehrtägiger Versuchsdauer ungefärbt.
Damit war die Annahme einer Färbung derselben im ersteren
Falle durch Diffusion im Gewebe ausgeschlossen, ihre Färbung
musste daher durch einen directen Zusammenhang mit den ein-
tauchenden Gefässbündelsträngen erfolgt sein. Dieser Vorgang
erklärte sich leicht, als durch Biossiegen der Gefässbündel im
Knoten durch vorsichtiges Abschaben der Epidermis die gürtel-
förmige Verbindung der meisten, in manchen Fällen auch aller
Gefässbündel untereinander constatirt wurde, wodurch einerseits
die Farbstofflösung, wenn auch nur von einem Fibrovasalstrang
in den Knoten geleitet, in alle Stränge des zweiten Internodium
aufsteigen konnte, andererseits der Rücklauf in die Gefäss-
bündel des ersten Internodium ermöglicht war. Bei recht-
zeitiger Entnahme der Pflanzen aus der Lösung konnte
auch der Rücklauf in die benachbarten Gefässbündelstränge
in verschieden vorgeschrittenen Stadien beobachtet werden.
Derselbe erstreckte sich nur in manchen Fällen auf sämmt-
liche Gefässbündel des Stengelumfanges, meistens blieb er
in einem oder in einigen wenigen aus, je nachdem die Blatt-
spur der schraubenständigen Blätter den ganzen Stengel-
umfang einnahm oder kleiner als derselbe war. Die gürtel-
förmige Verbindung der Gefässbündelstränge findet nämlich
bei Anthriscus silvestris nur unter denjenigen Gefässbündeln
statt, welche an der Blattspur Zweige in die Blattscheide
entsenden. Die anderen, an der Gefässbündelversorgung des
Blattes unbetheiligten Fibrovasalstränge — meist ist es nur
einer — verlaufen isolirt durch zwei Internodien. Tauchte dem-
nach nur ein solcher isolirt verlaufender Strang in die Farb-
stofflösung, dann blieben alle anderen Gefässbündel des ersten
und des zweiten Internodium ungefärbt. Infolge der schrauben-
ständigen Anordnung der Blätter ist allerdings vom zweiten
Knoten herab Rücklauf in die bisher ungefärbten Fibrovasal-
stränge ermöglicht, und es konnte auch der Beginn desselben
bei einzelnen Exemplaren nachgewiesen werden, die meisten
waren jedoch, da dieses Resultat erst nach drei Tagen eintrat,
zu welk geworden und sogen daher nicht mehr.
Nach der zweiten Methode wurden folgende Versuche
angestellt. Innerhalb eines Internodium des Stengels machte
Farbstoff- und Salzlösungen in Kraut- und Holzgewächsen. 63
ich vorerst in verschiedenen Höhen verschieden grosse Ein-
kerbungen. Bei den so präparirten Pflanzen stieg die Lösung
nur in den Gefässbündeln, die nicht durch eine Einkerbung
durchschnitten waren, bis in den Knoten auf, die Fortsetzung
der durch einen Einschnitt unterbrochenen Fibrovasalstränge
zeigte sich, wenn die Pflanze nach einigen Stunden der Lösung
entnommen war, ungefärbt. Nach längerem Stehen in der Lösung
trat auch hier in Folge des Anastomosirens der Gefässbündel
im Knoten Rücklauf der Lösung in die durch die Einkerbung
abgetrennten Gefössbündelstrecken (vom Knoten herab) ein.
Unterbrach ich durch zwei in einem Internodium einige Centi-
meter übereinander ausgeführte Einkerbungen dieselben Gefäss-
bündelstränge, so stieg die Farbstofflösung nur in den unver-
sehrten bis zum Knoten auf, in den unterbrochenen nur bis zur
ersten Einkerbung. Ungefärbt blieben demnach das zwischen
beiden Einkerbungen liegende Stengelstück und zunächst auch
die Gefassbündelstrecken oberhalb der zweiten Einkerbung. Bei
längerem Stehen in der Lösung wurden die letzteren durch Rück-
lauf gefärbt,die zwischen beiden Einkerbungen liegenden Gefass-
bündelstrecken blieben jedoch auch nach tagelanger Versuchs-
dau6r ungefärbt. Ein Beweis, dass der Farbstoff nicht im Gewebe
zu diffundiren und so die abgeschnittenen Gefassbündelstrecken
zu imprägniren vermochte. Der Rücklauf konnte natürlich bei
den angeführten Versuchen durch Einkerbungen im Knoten
selbst, senkrecht ober den Unterbrechungsstellen, abgesperrt
werden. Die Bahn der Farbstofflösung war nach Wegschaben
der Epidermis an den Stengelrippen leicht zu verfolgen. Zwei
mit einem Höhenunterschiede von mehreren Centimetem aus-
geführte Einkerbungen, die zusammen den ganzen Stengel-
umfang umfassten, demnach alle Gelassbündel des Stengels
unterbrachen, verhinderten das Aufsteigen der Farbstofflösung
in den Knoten überhaupt, weshalb auch kein Rücklauf statt-
finden konnte, wieder ein Beweis, dass nur die Gefässbündel
die Leitung des Farbstoffes besorgten, und dass ihre Gefäss-
wände für denselben impermeabel waren.
Impatiens Roylei. Von den mit der Wurzel ausgehobenen
Exemplaren Hess ich nur einzelne deutlich an der Stengel-
peripherie ansitzende Würzelchen in die Farbstofflösungen
64 E. Tschermak,
tauchen. Nach einigen Stunden färbten sich nur diejenigen
Gefässbündel, in welche die Wurzeln direct mündeten. Nach
längerer Versuchsdauer trat auch hier Rücklauf vom Knoten
herab in den Nachbargefassbündeln ein, der sich hier in Folge
Anastomose sämmtlicher Gefässbündel auf alle Fibrovasal-
stränge des Stengels erstrecken konnte, meistens aber welkte
die Pflanze schon, bevor er in allen Strängen eingetreten war.
Bei abgeschnittenen Exemplaren kamen dieselben zwei
Versuchsmethoden mit den gleichen Farbstofflösungen in An -
Wendung. Das Resultat war auch hier, dass die Farbstoff-
lösungen nur von den Fibrovasalsträngen aufgenommen wurden,
deren Wände die Farbstoffe nicht diffundiren Hessen. Es roag
nur noch erwähnt werden, dass die Exemplare von Impatiats
Roylei in der Lösung von indigschwefelsaurem Natron viel
rascher schlaff wurden als in den anderen genannten Farbstoff-
lösungen, während bei Anthrisctis silvestris das indigschwefel-
saure Natron vorzuziehen war.
Bahn der Salzlösungen in dicotylen krautigen Pflanzen.
Zur Verfolgung der Bahn der Salzlösungen in krautigen
Pflanzen operirte ich mit denselben zwei Pflanzenarten, welche
zum Studium der Wege des Farbstoffs gedient hatten.
Anthriscus silvestris. Bei bewurzelten Exemplaren Hess
ich eine an der Hauptwurzel ansitzende zarte Nebenwurzel
einige Stunden in eine Chlorlithiumlösung eintauchen. Senk-
recht oberhalb der Wurzeleinmündungsstelle wurde im ersten
Internodium des Stengels ein mehrere Gefässbündel unter-
brechender Einschnitt gemacht. Nach 3—6 Stunden wurden
Stücke von den senkrecht oberhalb des Wurzelansatzes ver-
laufenden Gefässbündelsträngen unterhalb der Einkerbung
herausgeschnitten und spectralanalytisch untersucht. Dieselben
enthielten alle bereits Lithium. In den seitlich gelegenen
Gefässbündeln, sowie in den ober der Einkerbung ver-
laufenden konnte Lithium nicht nachgewiesen werden. Nach
20 — 30stündiger Versuchsdauer vermochte ich indess sowohl
in den seitlich gelegenen, als auch in den über der Einkerbung
verlaufenden Gefässbündeln Lithium nachzuweisen.
Farbstoff- und Salzlösungen in Kraut- und Holzgewächsen. 65
Dieselben zwei Versuchsmethoden, welche an abge-
schnittenen Exemplaren von Anthriscus zur Verfolgung der
Bahn der Farbstoff lösungen dienten, kamen bei der Unter-
suchung der Wege der Salzlösungen in Anwendung. Zum
Aufsaugen bot ich den Pflanzen Chlorlithium, Chlorbaryum,
salpetersaures Strontium und salpetersaures Calcium. Die
spectralanalytische Untersuchung ergab bei Anwendung der
ersten Methode nach einigen Stunden nur eine Verbreitung
der Salze in dem in die Lösung tauchenden Gefassbündel-
strang. Nach 1 — 2 Tagen konnten indess in allen Fibrovasal-
strängen des Stengelumfanges jene Salze nachgewiesen
werden. Diese Erscheinung war im ersten Augenblicke nicht
so frappant, weil, wenn auch nur die Gefässbündel die Salze
geleitet hätten, sich in Folge des bekannten Rücklaufes die
Lösung in alle nicht eintauchenden Stränge hätte verbreiten
können. Es enthielten jedoch nach Verlauf dieser Zeit die
Nachbargefässbündel auch dann die betreffenden Salze, wenn
der Rücklauf der Lösungen durch eine Einkerbung im Knoten
selbst verhindert war. Standen die Pflanzen mit ihrer ganzen
Stengelschnittfläche in den Salzlösungen und waren durch
zwei Einkerbungen innerhalb des ersten Internodium dieselben
Gefässbündelstränge unterbrochen, so zeigte die spectral-
analytische Untersuchung der zwischen beiden Einkerbungen
liegenden Stengelpartie nach * Verlauf von nur wenigen
Stunden die für die betreffenden Salze charakteristischen
Linien nicht Nach 2—3 Tagen dagegen konnte ich auch
daselbst die Salze nachweisen. Waren durch zwei innerhalb
eines Intemodium ausgeführte Einkerbungen sämmtliche Ge-
fässbündelstränge unterbrochen, so konnten doch nach Ver-
lauf von 2 — 3 Tagen in den ober der zweiten Einkerbung
gelegenen Pflanzentheilen die Salze nachgewiesen werden; der
sicherste Beweis dafür, dass auch das Parenchym die Leitung
der Salze besorgte.
Impatiens RoyleL Die den vorstehenden Versuchen ganz
analogen Experimente an bewurzelten Exemplaren, sowie an
abgeschnittenen, die nach den besprochenen zwei Versuchs-
methoden präparirt in die Salzlösungen tauchten, ergaben ein
vollkommen übereinstimmendes Resultat: auch in denjenigen
Sitzb. d. mathera.-natunv. Gl. ; CV. Bd., Abth. I. 5
66 . E. Tschermak,
Stengeltheilen, nach welchen ein Transport der Salzlösungen
durch die Gefassbündel künstlich ausgeschlossen war, konnten
die Salze mittelst Spectralanalyse nachgewiesen werden.
Resultate.
Als Gesammtresultat der im vorstehenden beschriebenen
Versuche ergibt sich Folgendes:
In den von mir untersuchten krautigen Dicotylen erwiesen
sich die Gefassbündel als die ausschliesslichen Leiter der
angewendeten Farbstofflösungen, und soweit die betreffende
Farbflüssigkeit nicht durch Anastomosen auch in die benach-
barten Fibrovasalstränge (eventuell durch Rücklauf) gelangte,
blieb die Verbreitung jener Farbstoffe auch bei längerer Ver-
suchsdauer auf die aufsaugenden Gefassbündel und auf
deren Endverzweigungen beschränkt. Von einer circum-
Scripten Wurzel- oder Querschnittstelle aus wurde also durch
die benützten färbenden Substanzen nur ein bestimmtes Terri-
torium des Gefasssystems entsprechend der Rectascension
tingirt, dieselben stiegen nur in den Gefassbündeln auf, ohne
in das Nachbargewebe zu diffundiren.
Im dicotylen Holzkörper stiegen die einer circumscripten
Partie der Wurzel oder des Stammesquerschnittes gebotenen
Farbstofflösungen stets in einem relativ schmalen Streif senk-
recht (in Rectascension) entsprechend dem Faserverlaufe auf
und verbreiteten sich auch bei längerer Versuchsdauer niemals
in die weitere Nachbarschaft dieser Bahn, geschwefge durch
den ganzen Querschnitt. Für die Aufnahme der von mir
angewendeten Farbstofflösungen gilt demnach der Satz, dass
bestimmten Astpartien, beziehungsweise bestimmten Partien
des Pflanzenkörpers überhaupt, ganz bestimmte Wurzeln ent-
sprechen.
Ein von meinen Beobachtungen zum Theil abweichendes
Verhalten aufsteigender Farbstoff lösungen constatirte Goppel s-
roeder, ^ welcher an 36 Pflanzenarten mit 43 organischen
Farbstoffen Versuche anstellte. Er Hess dabei die Pflanzen
1 Über Capillaranalyse. Mittheilungen der Section für chemische Gewerbe
des k. k. Technologischen Gewerbe-Museums. Wien, 1889.
Farbstoff- und Salzlösungen in Kraut- und Holzgewächsen. 67
entweder mit der ganzen Wurzel oder mit der ganzen Schnitt-
fläche in die wässerigen Lösungen tauchen. Die geprüften
Farbstoffe verhielten sich in der Geschwindigkeit des Auf-
steigens sehr verschieden; indigschwefelsaures Natron wurde
nicht verwendet. Auch Goppels roeder beobachtete, dass die
Lösungen besonders in den Gefässen emporstiegen; doch
traten manche Farbstoffe, wie die gleichzeitige Tinction des
Markes, mitunter auch der Epidermis und des Parenchyms
zwischen den Blattadem bewies, in das Nachbärgewebe über.
Ein von jenen Farbstoflfflüssigkeiten verschiedenes Ver-
halten zeigten die zu den Versuchen benützten Salzlösungen
(im engeren Sinne), wenn man sie durch eine circumscripte
Partie der Wurzel oder des Stammes, beziehungsweise des
Stengels aufsteigen Hess.
In den krautigen Dicotylen stiegen die Lösungen von
Chlorlithium, Chlorbaryum, salpetersaurem Strontium und
salpetersaurem Calcium zunächst in Rectascension durch den-
jenigen Stengelsector auf, dessen Gefässbündel in die Flüssig-
keit tauchten. Nach längerer Versuchsdauer jedoch verbreiteten
sich die Salze durch Diffusion im ganzen Umfange des Stengels
und im Pflanzenkörper durchwegs. Die Salze gelangten daher
nicht bloss in die Gefässbündel, sondern auch in das intravas-
culäre Parenchym.
Im dicotylen Holzkörper stiegen die einer beschränkten
Partie der Wurzel oder des Stammquerschnittes gebotenen
Lösungen von Chlorlithium zunächst in einem relativ schmalen
Streif in Rectascension bis in die senkrecht überliegenden Aste
und Zweige empor. Chlorbaryum und salpetersaures Strontium
wurden von älteren Bäumen sehr wenig aufgesogen, während
sie an jungen Eichen nach mehreren Tagen längs der ganzen
Peripherie nachweisbar waren. An Zweigen mehrerer Baum-
arten zeigten die genannten Salze ebenso wie salpetersaures
Calcium und Chlomatrium anfangs Aufsteigen im Streif, später
allmälige Verbreitung im ganzen Umfange. Anfangs bestand
demnach dasselbe Verhalten wie seitens der Farbstoff lösungen.
Nach einiger Zeit, deren Ausmass nach Art und Individuum von
8 Stunden bis zu 14 Tagen wechselte, verbreiteten sich aber
jene Salzlösungen successive in das Nachbargewebe, längs des
5*
68 E. Tschermak,
ganzen Umfangs und in den Pflanzenkörper durchaus. Eisen-
chlorid verbreitete sich im gerbstoffhaltigen Gewebe von
älteren Bäumen auch nach mehreren Tagen meist nur in
schmalem Streif rectascendirend. Für junge Eichen galt dasselbe,
wenn die Zufuhr des Salzes durch eine schwache Saugwurzel
geschah; von einer stärkeren Wurzelverzweigung aus ver-
breitete sich aber Eisenchlorid in einiger Zeit fast im ganzen
Umfange. In Zweigen stieg dasselbe anfangs in schmalem Streif
von der eintauchenden Zinke auf, verbreitete sich aber dann in
der ganzen Peripherie.
Die von mir angewendeten Salzlösungen zeigten
demnach beim Aufsteigen im Pflanzenkörper ein
anderes Verhalten, als die benützten Farbstoffe.
Während diese in linearen Bahnen festgehalten
wurden (permanente Rectascension), stiegen die
Salze zwar anfangs im Streif empor (transitorische
Rectascension), diffundirten aber nach einiger Zeit
mit verschiedener Geschwindigkeit in den ganzen
Pflanzenkörper. Nach den Beobachtungen von Goppels-
roeder verhalten sich übrigens manche Farbstoffe ähnlich; es
differiren also die als Farbstoffe bezeichneten Substanzen im
allgemeinen nur graduell von den unter Salzen im engeren
Sinne verstandenen Körpern.
Will man aus meinen Versuchen Schlüsse ziehen auf den
Lauf der Nährstoffe im Holzkörper, so ist vor allem festzuhalten,
dass die Erfahrungen mit Farbstoffen ausgeschlossen werden
müssen, und dass meine Versuche mit Salzen gemacht sind,
die als Nährstoffe im engeren Sinne nicht bezeichnet werden
können. Es wird aber erlaubt sein, aus dem Verhalten dieser
Salze auf das wirklicher Nährsalze zu schliessen. Ist dies der
Fall, dann ergibt sich für die Ernährung der Pflanze vom Boden
aus Folgendes: Von jeder Wurzel führt eine anatomische
Bahn nach bestimmten Astpartien, beziehungsweise bestimmten
Partien des Pflanzenkörpers. Dieselbe bildet den prädisponirten
Weg für die aufsteigende Lösung, in ihm bewegt sich die
Salzlösung in erster Linie. Die Nährsalze werden aber nicht
in diesen Bahnen festgehalten, sondern gehen in den ganzen
Querschnitt des Stammes, respective des Stengels über. Eine
Farbstoff- und Salzlösungen in Kraut- und Holzgewächsen. 69
bestimmte Astpartie, ein bestimmter Theil des Pflan-
zenkörpers ist in Folge dessen in seiner Ernährung
keineswegs ausschliesslich auf die Function der
anatomisch zugehörigen Wurzelpartie angewiesen;
jeder Ast kann vielmehr seine Nahrung aus dem allen
gemeinsamen Salzreservoir des Stammes schöpfen,
dessen gleichmässige Füllung durch die Resorption
seitens der einzelnen Wurzeln und durch die Diffu-
sion der aufgesaugten Nährsalze bewerkstelligt wird.
Eine Art Beweis für die Richtigkeit dieser Auffassung
erblicke ich in der allgemein bekannten Erfahrung, dass das
Abschneiden bestimmter Wurzelpartien nicht zum Absterben
der anatomisch zugehörigen Astpartien führt. Ich selbst kann
eine Beobachtung hierfür beibringen. Von zwei Ahornbäumen
Hess ich je eine starke Wurzel durchsägen und acht Tage
hindurch in eine Lösung von indigschwefelsaurem Natron
tauchen. Die Bäume blieben, nachdem constatirt war, dass in
beiden Fällen der Farbstoff von der Wurzel in schmalem Streif
nur in einen Ast senkrecht emporgestiegen und in der ganzen
Richtung des blauen Streifes die Rinde entfernt, das Holz also
entblösst war, drei Monate stehen. Obwohl also die dem Aste
anatomisch zugehörige Wurzel, weil frei herausragend, keine
Nährstoffe aus dem Boden aufnehmen konnte und die Rinde
über dem gefärbten Faserverlauf entfernt war, zeigte der Ast
durchaus normales Verhalten der Blätter und ganz normales
Wachsthum seiner Zweige, ein Ergebniss, wejches mit der
Annahme einer isolirt linearen Nährsalzzufuhr schlechterdings
unvereinbar ist. Es lässt sich demnach der von Prof. Schmidt
gefolgerte Schluss: »Bestimmten Astpartien entsprechen ganz
bestimmte Wurzeln, aus denen sie ihre Nährstoffe au'f linearem
Leitungswege zugeführt erhalten«, nicht aufrecht halten.
Einem Einwände, den man etwa aus dem bekannten Ex-
perimente von Sachs^ — derselbe gibt bei der Besprechung
der Heilung der Chlorose einen Versuch an chlorotischen
Kugelakazien an, bei welchem es ihm durch Zuführung von
Eisenchlorid gelang, nur die über den Einlassstellen befindlichen
1 L. c.
70 E.Tschermak, FarbstofT- u. Salzlös. in Kraut- u. Holzgewächsen.
Aste von der Krankheit zu heilen, während die übrigen Äste
chlorotisch blieben — gegen die oben entwickelte Anschauung
geltend machen könnte, ist entgegenzuhalten, dass das Eisen-
chlorid nach meinen Beobachtungen ein ausnahmsweise ge-
ringes Diffusionsvermögen zeigt. Zur Verbreitung des Salzes
im ganzen Stamme und zum consecutiven Ergrünen sämmt-
licher Aste kam es vielleicht auch deshalb nicht, weil — selbst
längere Versuchsdauer angenommen — doch nur eine be-
schränkte Menge Eisenchlorid zugeführt wurde.
71
II. SITZUNG VOM 16. JÄNNER 1896.
Erschienen: Sitzungsberichte, Bd. 104, Abth. III, Heft VI -VII (Juni bis
Juli 1895).
Der Secretär legt vor das von dem k. u. k. gemeinsamen
Finanzministerium zugeschickte Exemplar des von der bosnisch-
hercegovinischen Landesregierung herausgegebenen Werkes:
»Ergebnisse der meteorologischen Beobachtungen
der Landesstationen in Bosnien-Hercegovina im
Jahre 1894.«
Das c. M. Herr Prof. Guido Goldschmiedt übersendet
zwei im chemischen Laboratorium der k. k. deutschen Univer-
sität in Prag ausgeführte Arbeiten von Dr. Berthold J eitel es:
1. Ȇber die Destillation von o-Kresol mit Blei-
oxyd.«
2. »Notiz über das Verhalten von phenylsalicyl-
saurem Calcium bei der trockenen Destillation.«
Das w. M. Herr Hofrath Prof. Ludwig Boltzmann über-
reicht eine Abhandlung des Assistenten am k. k. physikalischen
Institute in Wien Herrn Dr. Gustav Jäger: »Über den Ein-
fluss des Molecularvolumens auf die mittlere Weg-
länge der Gasmoleküle«.
Das w. M. Herr Director E. Weiss überreicht eine Ab-
handlung von Regierungsrath Prof. G. von Niessei in Brunn,
welche die Bahnbestimmung von vier grossen, am 16.
und 25. Jänner 1895 erschienenen Meteoren enthält.
Herr Prof. Dr. Ed. Li pp mann in Wien überreicht eine
Arbeit von Dr. Paul Co hn: »Über o-Benzoylphenol«.
III. SITZUNG VOM 23. JÄNNER 1896.
Die kaiserl. Russische Geographische Gesellschaft in
St. Petersburg zeigt die Feier ihres 50jährigen Bestandes am
2. Februar (21. Januar) 1896 an.
Das w. M. Herr Prof. Dr. Leopold Pfaundler in Graz
übersendet eine Mittheilung: »Beitrag zur Kenntniss und
Anwendung der Röntgen'schen Strahlen«, mit einer
photographischen Abbildung.
Das c. M. Herr Prof. Franz Exner übersendet eine in
seinem Laboratorium ausgeführte Arbeit des Herrn St. Meyer:
Ȇber den Sitz der Potentialdifferenzen in Tropf-
elektroden und im Capillarelektrometer«.
Das c.M. Herr Prof. F. Beck e in Prag übersendet folgende
vorläufige Mittheilung über Beziehungen zwischen
Dynamometamorphose und Molecularvolumen.
Das w. M. Herr Hofrath Prof. Ad. Lieben legt vor: Ȇber
die durch Einwirkung von alkoholischem Kali auf
Aldehyde entstehenden zweiwerthigen Alkoholate«.
Ferner legt Herr Hofrath Prof. Ad. Lieben folgende zwei
aus dem II. chemischen Laboratorium der Wiener Universität
hervorgegangene Arbeiten vor:
I. »Einwirkung von alkoholischem Kali auf ein Ge-
menge von Formaldehyd und Isobutyraldehyd-^,
von Alexander Just.
II. Ȇber das aus dem Isobutyraldehyd entstehende
Glycol und dessen Derivate«, von Adolf Franke.
73
Das w. M. Herr Prof. L. Boltzmann überreicht eine Ab-
handlung von Herrn Dr. Gustav Jäger, Assistenten am k. k.
physikalischen Institute der Universität Wien, betitelt: »Die
Gasdruckformel mit Berücksichtigung des Molecular-
volumens«.
Das w. M. Herr Hofrath G. Tschermak legt im Namen der
Commission für die petrographische Erforschung der Central-
kette der Ostalpen den Bericht des c. M. Herrn Prof. F. Becke
in Prag über den Fortgang der Arbeiten im Jahre 1895 vor.
Das w. M. Herr Director E. Weiss überreicht eine Notiz
von Prof. Dr. E. Freiherr v. Härdtl in Innsbruck: »Über die
Säcularacceleration des Mondes«.
Der Secretär überreicht eine Abhandlung von Prof.
J. Pernter in Innsbruck, betitelt: »Die allgemeine Luft-
druckvertheilung und die Gradienten bei Föhn«.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CV. BAND. II. HEFT.
ABTHEILUNG I.
ENTHALT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE,
KRYSTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE,
PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN.
77
IV. SITZUNG VOM 6. FEBRUAR 1896.
Erschienen: Sitzungsberichte, Bd. 104(1895): Abth. II. a, Heft Vlll(October);
Abth. III, Heft VIII— X (October— December).
Das k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht über-
mittelt den V. Band des im Wege des k. u. k. Ministeriums des
Äussern eingelangten Werkes »Galileo Galilei«.
Herr Prof. J. Puluj an der deutschen technischen Hoch-
schule in Prag übersendet acht Stück photographische
Reproductionen von kathodischen Aufnahmen.
Herr Prof. Dr. Franz S t r e i n t z übersendet aus dem
physikalischen Institute der k. k. Universität in Graz einen vor-
läufigen Bericht: »Über eine elektrochemische Wirkung
der Röntgen-Strahlen auf Bromsilber«.
Herr Dr. Eduard Richter, Professor an der k. k. Universität
in Graz, übersendet die Abhandlung: »Geomorphologische
Beobachtungen aus Norwegen« als wissenschaftliche
Ergebnisse seiner mit Akademie-Subvention unternommenen
Reise.
Herr Dr. Otto Biermann, Professor an der k. k. technischen
Hochschule in Brunn, übersendet eine Abhandlung, betitelt:
»Eine Methode zur Herstellung nicht-analytischer
Functionen einer complexen Variablen«.
Das w. M. Herr Hofrath Prof. L. Boltzmann überreicht
eine im mathematisch-physikalischen Seminare der k. k. Univer-
sität in Wien ausgeführte Arbeit von Herrn Oscar Singer:
78
*Über die wechselseitige Induction zweier auf eine
Kugel gleichmässig gewickelter Windungslagen».
Das w. M. Herr Prof. H. Weidel überreicht eine Arbeit
aus dem I. chemischen Universitätslaboratorium in Wien:
»Über das Verhalten der Opiansäure und ihrer Ester
gegen einige Aldehydreactionen«, von Dr. Rud. Weg-
scheider.
79
V. SITZUNG VOM 13. FEBRUAR 1896.
Erschienen: Monatshefte für Chemie, Bd. 16 (1895), Heft X (December).
Herr Regierungsrath Dr. J. M. Eder, Director der k. k.
Lehranstalt für Photographie und Reproductiönsverfahren in
Wien, dankt für die ihm zur Beschaffung von Hilfsmitteln zu
seinen Untersuchungen der verschiedenen Spectren des Argons
bewilligte Subvention.
Herr Prof. Dr. L. Weinek, Director der k. k. Sternwarte in
Prag, übermittelt als weitere Fortsetzung seiner photogra-
phischen Mondvergrösserungen nach Original-Negativen des
Lick-Observatoriums und der Pariser Sternwarte (von Loewy
undPuiseux) 10 Mondlandschaften.
Herr Prof Dr. J. Puluj übersendet zu den bereits vor-
gelegten photographischen Reproductionen von katho-
dischen Aufnahmen eine weitere unter seiner Leitung im
physikalischen Cabinet der k. k. deutschen technischen Hoch-
schule in Prag bewerkstelligte Aufnahme, und zwar die Photo-
graphie eines todten Kindes von neun Tagen.
Ferner übersendet Herr Prof Puluj eine Abhandlung:
»Über die Entstehung der Röntgen*schen Strahlen und
ihre photographische Wirkung«.
Der Secretär legt eine eingesendete Abhandlung von
Dr. Emanuel Pochmann in Linz a. D. vor: Ȇber zwei
neue physikalische Eigenschaften der atmosphäri-
schen Luft und deren Bedeutung für die Wärme-
mechanik wie für die gesammte Energetik«.
Das w. M. Herr Prof. K. Grobben überreicht eine im
II. zoologischen Institute der k. k. Universität in Wien von dem
80
Assistenten dieses Institutes Dr. F'ranz Werner ausgeführte
Arbeit: ȆberdieSchu ppenbekleidung des rege nerirten
Schwanzes bei Eidechsen«.
Das w.M. Herr Hofrath Director A. Kerner von Marilaun
berichtet über das Vorkommen der Manna-Flechte (Leca-
nora esculenta) in Griechenland.
Das w. M. Herr Hofrath V. v. Ebner überreicht eine für
die Sitzungsberichte bestimmte Abhandlung, betitelt: »Weitere
Versuche über die Umkehrung der Doppelbrechung
leimgebender Gewebe durch Reagentien«.
Das w. M. Herr Hofrath Prof. Ad. Lieben überreicht eine
aus seinem Laboratorium hervorgegangene Arbeit: Ȇber die
Einwirkung des alkoholischen Kalis auf den Iso-
valeraldehyd«, von Leopold Kohn.
Das w. M. Herr Prof. H. Weidel überreicht eine von Herrn
A. Reich im I. chemischen Laboratorium der k. k. Universität
in Wien ausgeführte Untersuchung, betitelt: »Synthetische
Versuche in der Topasreihe«.
81
VI. SITZUNG VOM 20. FEBRUAR 1896.
Das c. M. Herr Prof. R. v. Wettstein in Prag dankt für
die ihm behufs einer monographischen Bearbeitung der Gattung
SentperviviifH von der kaiserl. Akademie gewährte Subvention.
Das c. M. Herr Prof. H. Molisch in Prag übersendet eine
Abhandlung unter dem Titel: »Das Erfrieren der Pflanzen
bei Temperaturen über dem Eispunkt«.
Das w. M. Herr Director E. Weiss überreicht eine Ab-
handlung von Prof. Dr. J. v. Hepperger in Graz: Ȇber den
Binfluss der relativen Absorption auf die Extinction
des Lichtes in der Atmosphäre«.
Femer theilt das w. M. Herr Director E. Weiss mit, dass
er für den neuen, wahrscheinlich in den Morgenstunden des
H.Februar von Herrft Perrine, Astronomen der Lickstern-
warte, entdeckten Kometen, ein Elementarsystem berechnet
habe, welches in einem Circulare der kais. Akademie, und
zwar unter Nr. LXXVIII bekannt gemacht wurde.
Sitzb. d. mathem.-naturw. OL; CV. Bd., Abth. I.
82
Das Erfrieren von Pflanzen bei Temperaturen
über dem Eispimkt
von
Hans Molisch,
c. M. k. Akad.
Aus dem pflanzenphysiologischen Institute der k. k. deutschen Universität
in Prag.
I.
Sachs ^ hat zuerst die interessante Thatsache festgestellt,
dass Pflanzen aus südlicher Heimat, wie Tabak, Kürbis, Fisole,
falls ihre Wurzeln auf eine knapp über dem Nullpunkt liegende
Temperatur abgekühlt werden, während die Blätter noch reich-
lich transpiriren, zu welken beginnen und bei genügend langer
Dauer der Abkühlung schliesslich durch Vertrocknen absterben.
Die Wurzeln der genannten Pflanzen verlieren nämlich nach
Sachs bei niederen Temperaturen die Fähigkeit, Wasser in
genügender Menge aufzunehmen und vermögen daher das von
den relativ noch reichlich transpirirenden Blättern abgegebene
Wasser nicht zu ersetzen. Durch Erwärmung des die Wurzeln
umgebenden Bodens werden die Wurzeln wieder leistungs-
fähiger, sie nehmen wieder genügend Wasser auf und die
Blätter werden alsbald turgescent. Von der Richtigkeit dieser
durch Sachs bekannt gewordenen Thatsachen habe ich mich
zu wiederholten Malen überzeugt und ich begnüge mich daher
mit dem vorangehenden Hinweis auf dieselben.
Bei den Sachs'schen Versuchen handelt es sich um ein
Erfrieren von Pflanzen über Null in Folge von Verwelken.
1 J. Sachs, Landwirthschaftl. Versuchsstationen, 1865, Heft 5, $.195,
ferner dessen »Gesammelte Abhandlungen«, I. Bd., S. 47.
Erfrieren von Pflanzen. 83
Davon soll in dieser Abhandlung nicht die Rede sein, hier soll
vielmehr die Frage einer experimentellen Prüfung
unterzogen werden, ob es nicht auch Pflanzen gibt,
die bereits bei niederen, über dem Eispunkt liegenden
Temperaturen absterben, jedoch unabhängig von der
Transpiration.
Diese Frage ist schon einige Male aufgeworfen, mehrmals
bejaht und mehrmals verneint, aber wegen mangelhaft durch-
geführter Versuche bisher für keine einzige Pflanze entschieden
worden.
Zu den ältesten einschlägigen Angaben gehören die von
CI. Bierkander.^ Nach diesem Autor werden Cucumis sativus,
Cucumis Melo, Cucurbita Pepo, Impatiens Balsamina, Mira-
bilis longiflora, Ocimum basilicum, Portulaca oleracea und
Solanum tuberosum bei 1 — 2* über dem Eispunkt getödtet.
Ferner hat Goeppert,^ als er 28 verschiedene, wärmeren
Gegenden angehörige Gewächse an einem windstillen Ort vom
9.— 14. December in Luft, deren Temperatur zwischen l — 3°
schwankte, aufstellte, einzelne schwarze Flecken an den
Blättern mit darauffolgendem Zusammenrollen und Abfallen
derselben bemerkt. Es war dies der Fall bei Gloxinia maculata,
Heliotropium peruvianum, Thunbergia capensis und einigen
anderen. Goeppert war jedoch kritisch und einsichtsvoll
genug, um aus diesem Versuch bestimmte Schlüsse zu ziehen,
weshalb er auch ausdrücklich bemerkt: »Jedoch ist die Zahl
dieser Versuche noch viel zu gering, als dass sich aus ihnen
ein entscheidendes Resultat entnehmen Hesse«.
Hardy.® hatte 1844 56 tropische, im freien Lande stehende
Holzgewächse auch während des Herbstes weiterhin im Freien
belassen und die Wärmeausstrahlung durch Bedecken mit
1 Cl. Bierkander, Bemerkungen über einige Gewächse und Bäume, die
bei grösserer oder geringerer Kälte um Abo beschädigt oder getödtet werden;
in den königl. schwedischen akad. Abhandl. für das Jahr 1778, übersetzt von
Kastner, 40. Bd., 1783, S. 55 — 58. Citirt nach Goeppert's Wärmeentwick-
lung, S. 124.
2 H- R. Goeppert, Über die Wärmeentwicklung in den Pflanzen etc.
Breslau 1830, S. 42—43.
3 Im Auszuge mitgetheilt in der Botan. Zeitung. 1854, S. 202—203.
6*
84 H. Molisch,
Schilfdecken zu hemmen gesucht. Unter diesen Verhältnissen
sollen mehrere {Hymenaea Conrbaril, Crescettiia Cnjete, Bau-
hinia anatomica, Desmodium umbellatum etc.) bei -^-ö"*, zahl-
reiche bei 3** {Acacia stipularis, Bixa Orellana, Adenanthera
pavonia etc.) abgestorben sein, während 31 Arten (Dracaena
Draco, Euphorbia splendens, Caesalpinia Sappan) auch -h 1 *
(wahrscheinlich des lOOtheiligen Thermometers) ausgehalten
haben.
Zu wiederholten Malen wurde mit vollem Rechte darauf
hingewiesen/ dass die erwähnten Versuche Bierkanders,
Goeppert's und Hardy's leider nicht beweiskräftig seien, da
man auf die Transpiration, auf die Wärmeausstrahlung und
die Ablesung der Temperatur zu wenig Rücksicht genommen
hat. Maximum- und Minimumthermometer scheint man nicht
verwendet zu haben, was doch bei so langer Versuchsdauer
durchaus nothwendig gewesen wäre, da namentlich während
der Nacht die Temperatur erheblich gesunken sein dürfte. Auch
ist darauf Gewicht zu legen, dass die Thermometerkugeln zum
Mindesten die Blätter berühren, um die Temperatur der doch
fort und fort Wärme ausstrahlenden Blätter möglichst annähernd
zu bestimmen. Aber selbst zugegeben, es wären die angedeu-
teten Fehler nicht vorhanden gewesen, so ist es immerhin
möglich, dass hier ein Absterben aus denselben Gründen statt-
gefunden hat, wie in den am Beginne dieser Arbeit erwähnten
Experimenten von Sachs: Es konnten nämlich die Pflanzen,
da für Ausschluss der Transpiration nicht gesorgt war, die
Wurzeln aber bei vielen Pflanzen in Folge niederer Temperatur
zu wenig Wasser aufnehmen, verwelkt sein. Dies wird sogar
für manche dieser Pflanzen gewiss, weil Sachs gerade bei
einigen dieser Gewächse das Absterben bei niederen, über
0* liegenden Temperaturen auf ein Verwelken zurückführen
konnte.
Am meisten Beachtung verdienen noch die Versuche von
Kunisch^ mit einer Cb/^«5 -Varietät. Dieser stellte drei junge,
1 Vergl. insbesonders Sachs J., Experimentalphysiologie, S. 57 — 58,
femer Pfeffer W., Pflanzenphysiologie, II, S.439.
2 H. Kunisch, Über die tödtliche Einwirkung niederer Temperaturen
auf die Pflanzen. Inaugural-Dissertation, Breslau 1880, S. 14 — 16.
Erfrieren von Pflanzen. 85
gut bewurzelte Pflanzen in einem gemauerten, mit einem Holz-
deckel verschliessbaren Wasserbehälter derart auf, dass sie
auf umgestürzten Blumentöpfen, welche 3 cm über die 32 cm
tiefe Wasserschichte emporragten, standen. Die Temperatur
betrug im Durchschnitt 4*2° R. und schwankte zwischen
2 und 7* R. Der Feuchtigkeitsgehalt der Luft variirte zwischen
76*5 und 807 7o- Unter diesen Umständen zeigten bereits nach
24 Stunden die Pflanzen an den Rändern und Spitzen der
Blätter eine merkliche Braunfärbung und zwei Tage darauf
war die Verfärbung noch weiter vorgeschritten, die Blätter
begannen sich einzurollen und nahmen in Folge dessen ein
muldenförmiges Ausfehen an.
Kunisch glaubt nun aus diesem Versuch, sowie aus
einem analogen mit einem Co/^«5-Zweig bestimmt schliessen
zu dürfen, dass hier ein Absterben in Folge directer Ein-
wirkung niedriger Temperatur und nicht eine Transpirations-
erscheinung im Sinne von Sachs vorliegt. Auch ich bin geneigt,
das Absterben des Coletis in der Weise wie Kunisch zu
deuten, aber eine bestimmte Schlussfolge lässt sein Experiment
nicht zu, da die Luft des Versuchsraumes weit davon entfernt
war, mit Wasserdampf gesättigt zu sein (*76*5— 80'77o-) und
weil er es verabsäumt hatte, Controlpflanzen bei höherer Tempe-
ratur im finsteren Räume unter annähernd gleichen Feuchtig-
keitsverhältnissen der Luft aufzustellen.^
Aus dem historischen Abriss geht hervor, dass vorläufig
kein einziger beweisender Versuch über unsere Frage vorliegt.
Dies betont auch Pfeffer, indem er sagt, es sei nicht unmöglich,
>dass empfindliche Pflanzen schon durch eine den Nullpunkt
nicht erreichende Erniedrigung der Temperatur geschädigt
werden können. Entscheidende Versuche gibt es aber
nicht. . . .*
IL
Wenn es kälteempfindliche Pflanzen gibt, die bereits ober
Null bei Ausschluss der Transpiration erfrieren, dann ist es von
1 Vergl. auch die kritische Beurtheilung bei Sorauer, Handbuch der
Pnanzenkrankheiten, II. Aufl., I. Th., S. 314.
■J Pfeffer W., Pflanzenphysiologie, IL Bd., S. 437.
86 H. Molisch,
vorneherein wahrscheinlich, dass diese unter den tropischen
oder allgemeiner gesagt wärmeren Klimaten angehörigen Ge-
wächsen am ehesten zu finden sein dürften, da diese Pflanzen
im Laufe der Zeit keine Gelegenheit fanden, sich niederen
Temperaturen anzupassen.
Wer mit aufmerksamem Blick durch die mit tropischen
Pflanzen reich gefüllten Gewächshäuser gewöhnlicher und
botanischer Gärten wandert, dem wird nicht entgehen, dass
gewisse Gewächse bei ungenügend hoher Temperatur alsbald
zu kränkeln anfangen und schliesslich theilweise oder vollends
absterben. Indem ich solche mir als verdächtig erscheinende
Pflanzen genauen Versuchen unterwarf, igelang es mir, einige
Gattungen ausfindig zu machen, über deren Erfrieren über
Null, und zwar bei Ausschluss jeder Transpiration, kein Zweifel
obwalten kann. Ich beginne die Schilderung meiner Versuche
mit einer gegen niedere Temperaturen ausserordentlich empfind-
lichen Pflanze, und zwar mit
Episcia bicolor Hook. Physodeira bicolor. (Gesneriacee.)
Erster Versuch. 12. December 1895. Die Versuchs
pflanzen, etwa 80 an Zahl, wurden in einem Warmhause
bei 15 — 20** C. (im Winter) gezogen und befanden sich hier
sehr wohl.
10 Stück Topfpflanzen, von denen jede 5 — 10 Blätter im
Durchschnitt hatte, wurden auf glasirte Thonschalen gestellt,
mit grossen, innen mit nassem Filtrirpapier ausgekleideten
Glasglocken bedeckt und mit Wasser abgesperrt. Damit die
Blumentöpfe nicht in die Sperrflüssigkeit tauchen, stellte ich
die Töpfe nicht direct auf die Thonschale, sondern zunächst
auf kleine Thonuntertassen.
Unter zwei Glocken kam je ein Maximum- und Minimum-
thermometer, und zwar so, dass die Thermometerröhre die
Blätter unmittelbar berührte. Überdies hingen Normalthermo-
meter auch zwischen den Glocken.
Der Versuch fand in einem mit Gewächsen der ver-
schiedensten Art voll gefüllten Gewächshause statt, dessen
Temperatur zwischen 2*5'* C. und 4*4"* C. schwankte und
zumeist eine Durchschnittstemperatur von S"* C. hatte. Hinzu-
Erfrieren von Pflanzen. 87
gefügt sei noch, dass die Versuchspflanzen in einer gut aus-
gewärmten, vollkommen verschliessbaren Holzkiste stets bei
Temperaturen ober Null aus dem Warmhaus in das Kalthaus,
beziehungsweise in das Zimmer übertragen wurden, wobei
selbstverständlich sehr dafür gesorgt wurde, dass sie beim
Transport keinerlei Schaden erlitten. Die Pflanzen standen im
starken diffusen Licht.
Zum Vergleiche standen ebenso viele Controlexemplare
an einem Zimmerfenster unter sonst gleichen Verhältnissen,
jedoch bei einer Temperatur von 13 — 18-5** C.
Der Effect war im höchsten Grade überraschend. Während
die warm stehenden Pflanzen während der ganzen Versuchs-
dauer, also durch eine Woche und, wie ich hinzufügen kann,
auch weiterhin vollständig gesund blieben, waren alle kalt
stehenden Pflanzen schon nach 24 Stunden, einzelne schon
nach 12 Stunden angegriffen: die meisten Blätter hatten zahl-
reiche, meist hellergrosse braune Flecken, viele Blätter waren
zur Hälfte, 1 1 Blätter bereits ganz braun.
Nach 48 Stunden hatte die Verfärbung der Blätter weitere
Fortschritte gemacht und vier Tage nach Beginn des Versuches
hatten die Blattspreiten ihre ursprüngliche grüne Farbe nahezu
ganz eingebüsst, sie waren nunmehr, abgesehen von einzelnen
kleinen Stellen, ganz braun.
Auffallend war mir anfangs, dass die braungewordenen
Blätter am Ende des Versuches anscheinend noch turgescent
waren. Die Sache klärte sich jedoch bei der mikroskopischen
Untersuchung bald auf, denn es zeigte sich, dass zwar die
meisten Zellen, wie sich aus ihrem Aussehen, aus der Ver-
färbung, aus dem Ausbleiben der Plasmolyse und aus der
raschen Farbstoffspeicherung durch das Plasma ergab, ab-
gestorben, die Blattrippen und der Blattstiel aber lebendig
geblieben waren. Es war also die todte Oberhaut und das todte
Mesophyll zwischen den steifen lebenden Blattrippen aus-
gespannt, und dieser Umstand verleiht dem erfrorenen Blatt
noch den Charakter eines turgescenten.
Das Blatt von Episcia besteht aus einer meist einschich-
tigen Oberhaut, einem einschichtigen Palissaden- und einem
vielschichtigen Schwammparenchym. Die grünen Palissaden-
88 H. Molisch,
Zellen nehmen ganz besonders tiefbraune Färbung an und
verratben dadurch das Absterben der Blätter schon frühzeitig
dem {freien Auge. Etwas länger erhalten sich am Leben diß
grossen, langen, kegelartigen Haare, während die kurzstieligen
Köpfchenhaare viel früher absterben.
Grosse Resistenz bekunden auch die Schliesszeüen der
Spaltöffnungen.^ Während die gewöhnlichen Epidermiszellen
schon längst dem Tode anheimgefallen sind, erhält sich die
Mehrzahl der Schliesszeüen lange Zeit lebendig. Trotz der
relativ lange intact bleibenden Haare, Schliesszeüen und des
sich lebend erhaltenden Blattstieles ist ein einmal braun
gewordenes Physodeira -Blatt begreiflicherweise nicht mehr
functionsfähig und geht schliesslich völlig zu Grunde.
Zweiter Versuch. 20. December 1895. Dasselbe Experi-
ment wie vorher, doch kamen über die Glasglocken noch
schwarze Dunkelstürze aus Pappe, so dass der Versuch nicht
nur bei völliger. Ausschliessung der Transpiration, sondern
überdies noch bei Ausschluss von Licht und möglichster Be-
hinderung* der Wärmeausstrahlung ablief. Obwohl die Tempe-
ratur laut Angabe der die Blätter berührenden Thermometer in
dem vorhergehenden Versuche während der ganzen Zeit nicht
unter -h2° C. sank, gebrauchte ich hier überdies noch die
Vorsicht, die Wärmeausstrahlung der Pflanze auf ein Minimum
zu reduciren, um jedem Einwand von vorneherein zu begegnen.
Die Temperatur schwankte zwischen -h3 bis -h5° C. und bei
den im Zimmer warm stehenden Pflanzen zwischen -+-13 bis
-*- 18° C. Das Resultat war im Wesentlichen so wie bei Versuch 1.
Schon nach 24 Stunden waren namentlich die jüngeren
Blätter braunfleckig, viele, besonders von den ältesten, noch
unversehrt. Nach fünf Tagen waren nahezu alle Blätter der der
niederen Temperatur ausgesetzten Pflanzen braun, nur einzelne
hatten noch grüne gesunde Stellen, während die bei Zimmer-
> Über die relativ grosse Widerstandsfähigkeit der Schliesszellen ver-
schiedener Pflanzenarten gegen Kälte werde ich eingehend an einem anderen
Orte berichten.
- In manchen dieser Versuche verwendete ich sogar zwei übereinander
gestülpte Pappstürze, deren handbreiter Zwischenraum überdies noch mit
Watte ausgestopft war.
Erfrieren von Pflanzen. 89
temperatur (15*2 bis IS"* C.) unter sonst vollkommen gleichen
Bedingungen befindlichen Controlpflanzen vollständig gesund
blieben.
Dritter Versuch. Versuchsbedingungen genau wie bei
dem eben geschilderten Experiment, doch wurde anstatt mit
Topfpflanzen mit frisch gepflückten Blättern experimentirt. Je
20 Blätter wurden mit ihren Stielen in mit Leitungswasser
gefüllte Gläser gestellt und wie im vorigen Versuch gegen
Transpiration und Wärmeausstrahlung geschützt. Nach einem
Tage waren die meisten der kalt stehenden Blätter mehr minder
fleckig, nach drei Tagen, mit Ausnahme von zwei sehr alten,
ganz braun. Die Controlpflanzen besassen noch nach acht
Tagen ihre ursprüngliche grüne Farbe.
Vierter Versuch. Um zu eruiren, wie sich Blätter bei 0"*
oder sehr nahe über 0** verhalten, wurden Blätter in Eiswasser
gelegt. In einem mit Wasser und Schnee gefüllten, vor Ver-
dampfung und Wärmeausstrahlung geschützten Glasgefäss
wurden 10 Episcia-Blättev untergetaucht. Das Glasgefäss war
in Schnee vollständig eingesenkt. Da das Ganze im Kalthause
bei einer Temperatur von 2 bis 5"* C. aufgestellt blieb, so
schmolz der Schnee nur äusserst langsam und es konnte die
Temperatur des die Blätter umgebenden Wassers mit Leichtig-
keit tagelang auf 0 bis -4- 1 ** C. erhalten werden. In ein anderes
Wassergefäss kamen ebenfalls 10 Blätter, doch war die Tem-
peratur des Wassers hier 15 bis 18*2** C. Während diese durch
acht Tage vollkommen frisch und grün blieben, bekamen
einzelne Episcia-EVätter im Schmelzwasser schon nach drei
Stunden braune Flecke, nach 24 Stunden waren alle grossen-
theils oder vollständig verfärbt.
Nach dem Gesagten kann es wohl keinem Zweifel unter-
liegen, dass JE/7/5aa bei einer Temperatur von Null und
bei 1 bis 5° C. über Null alsbald zu Grunde geht, auch
wenndieTranspiration vollständig ausgeschlossen ist.
Ich brauche wohl nicht erst im Besonderen darauf ein-
zugehen, dass das Absterben der Episcia bei niederen Tempera-
turen auch dann eintritt, wenn die Transpiration nicht voll-
ständig ausgeschlossen ist. In dem Kalthause mit den früher
angegebenen Temperaturen verfärbten sich z. B. Blätter in
90 H. Molisch,
1 — 3 Tagen, wenn die Pflanzen nicht unter Glasglocken, sondern
bei einer Luftfeuchtigkeit von 93 — 997o S^"^ frei standen.
Ist die Temperatur höher als 6** C, dann ist Episcia schon
ziemlich resistent, man kann dann 1 — 2 Wochen und noch
länger die Blätter grün und frisch erhalten.^
^ Es schien mir, da es sich beim Absterben von Zellen in Folge niederer,
doch über 0** liegenden Temperaturen wahrscheinlich um Störungen im Stoff-
wechsel handelt, der Prüfung werth, ob nicht vielleicht bei Ausschluss von
Sauerstoff die Schädigung trotz der niederen Temperatur unterbleibt. Obwohl
die Versuche, die ich zu diesem Zwecke anstellte, keine Antwort auf die eben
gestellte Frage zulassen, so theile ich doch das Wichtigste über diese Versuche
mit, weil sie in anderer Beziehung lehrreich sind, nämlich in eclatanter Weise
die relativ grosse Empfindlichkeit der Blätter gegen vollständigen Sauerstoff-
abschluss bekunden.
Zwei Glasröhren, jede von 20 cm Höhe und 3*3 cw innerer Weite wurden
mit Leitungswasser gefüllt, mit je vier gleich alten, frisch gepflückten Episcia-
Blättern beschickt und schliesslich mit dem offenen Ende unter Quecksilber,
auf welchem sich noch eine Wasserschichte befand, getaucht. Sodann wurde
das Wasser des einen Cylinders durch feuchte atmosphärische Luft, das des
anderen durch feuchten reinen Wasserstoff verdrängt, welcher aus arsenfreiem
Zink dargestellt und durch eine mit verdünnter Kalilauge gefüllte Waschflasche
aus einem Kipp'schen Apparat zugeleitet wurde. Die mit Wasser, beziehungs-
weise Quecksilber abgesperrten Glasröhren wurden bei einer Temperatur von
H-3'5 bis H-4'5° C. finster aufgestellt. Ganz derselbe Versuch lief gleichzeitig
bei einer Temperatur von 15 bis 18** C. ab. Nach 24 Stunden zeigten, wie
zu erwarten war, die »Luftblätter« im kalten Zimmer zahlreiche braune
Flecken, welche sich später immer mehr und mehr vergrösserten, alle anderen
Blätter zeigten sich scheinbar unversehrt. Ich war bereits geneigt, meine
geäusserte Vermuthung als richtig zu betrachten, doch wurde ich bei
Beendigung meines Experimentes bald eines Besseren belehrt. Als ich
nämlich nach dreitägiger Versuchsdauer die noch scheinbar intacten »Wasser-
stoffblätter« aus den Röhren herausnahm, fiel mir auf, dass sie, obwohl im
dunstgesättigten Räume befindlich, ziemlich schlaff waren, und dass sie
sich in der Lufl zusehends verfärbten. Binnen fünf Minuten hatten sich die
Blätter braun gefärbt, und bei mikroskopischer Untersuchung ergab sich,
dass ihre Zellen bräunlich gefärbt waren, ihr Inhalt desorganisirt und abge-
storben erschien.
Weitere Versuche lehrten, dass schon 24 stündiges Verweilen in Wasser-
stoff die Blätter tödtet, und zwar sowohl bei höherer (16 — 18® C), als auch
bei niederer Temperatur (-h3 bis -|-5** C). Daraus folgt, dass bereits ein
eintägiger Sauerstoffabschluss die Blätter von Episcia vernichtet.
Bei Sanchezia nohilis sah ich nach 48 Stunden in Wasserstoff das Absterben
eintreten.
Erfrieren von Pflanzen. 91
Versuche mit Sanchezia nobilis Hook, und einigen anderen
Pflanzen.
Diese in Südamerika in der Nähe des Äquators und zwar
in Ecuador heimische Acanthacee gehört nach meinen Beobach-
tungen ebenfalls zu den sehr kälteempfindlichen. Wenn auch
nicht von jener Empfindlichkeit wie Episcia, sterben doch
die Blätter von Sanchezia binnen wenigen Tagen theil-
vveise oder vollends bei niederen, knapp über Null
liegenden Temperaturen.
Ich stellte am 5. Jänner fünf kräftige Topfexemplare, die
bisher im Warmhause bei einer Temperatur von 15 — 19* C.
cultivirt -wurden, in derselben Weise wie die Episcia im Ver-
such 1, und zwar geschützt gegen jedwede Transpiration und
gegen Wärmeausstrahlung im Kalthause auf, wo während der
Versuchszeit die Temperatur nicht über 4-2** C stieg und
nicht unter 1*5° C. sank. Nach 24 Stunden waren bereits an
den meisten Blättern zahlreiche braune Flecken zu bemerken,
die sich allmälig vergrösserten, so dass nach 4 — 6 Tagen der
grösste Theil der Blattflächen braun und abgestorben war. Die
Controlpflanzen hingegen blieben vollständig intact.
Die Versuche mit Sanchezia wurden ähnlich wie bei Episcia
mannigfaltig variirt und gaben ganz übereinstimmende Resul-
tate, weshalb ich von einer ausführlichen Wiedergabe meines
Versuchsprotokolles absehe. Nur sei hervorgehoben, dass die
Verfärbung der Blätter in der Regel etwas länger auf sich
warten Hess als bei Episcia, doch waren die Blätter in Eis-
was^r nach 48 Stunden gleichfalls schon abgestorben.^ Bleibt
i Beim .absterben der Sanchczia-liVBXitT fiel mir namentlich an der Unter-
seite eine eigenartige blaue Verfärbung auf. Bereits A. G. Weiss (diese Sitzb.,
XC. Bd, Abth. I, 1884, S. 84, S. 6 des Separatabdr. : Über ein eigenthümliches
Vorkommen von Kalkoxalatmassen etc.) erwähnt, wie ich nachträglich las,
dass die grossen Cystolithen unserer Acanthacee oft durch einen intensiv
blaugrünen Farbstoff gefärbt sind. Weiss war offenbar der Meinung, dass
dieser Farbstoff schon in der unversehrten Pflanze präexistirt, dies ist jedoch,
wie man sich leicht überzeugen kann, nicht der Fall. Wenn man die Unter-
seite eines frischen Blattes mit einer Nadel ganz leicht ritzt und die geritzte
Stelle mit der Lupe im starken durchfallenden Lichte betrachtet, so erscheint
sie etwas durchscheinend und hellgrün. Kurze Zeit darauf färben sich, man
92 H. Molisch,
die Sanchezia durch 2—4 Wochen und darüber der niederen
Temperatur ausgesetzt, so geht auch der Stamm und schliess-
lich die ganze Pflanze zu Grunde.
Im Laufe des heurigen Winters konnte ich noch einige
andere Pflanzen ausfindig machen, die sich niederen,
über Null liegenden Temperaturen gegenüber so ver-
halten, wie Episcia und Sanchezia. Nur tritt das Absterben
zumeist etwas später ein. Es gehören hieher: Eranthefnufn
/r/co/or Ni Chol s., E. Couperi Hook., E. ignettm Linden und
Anoectochilus setaceus Blume.
Blieben diese Gewächse bei vollständiger Unterdrückung
der Transpiration im Kalthause diffusem Licht und einer
zwischen 2 — 5** C. schwankenden Temperatur ausgesetzt, so
gingen sie im Gegensatze zu den warm stehenden Control-
pflanzen nach und nach vollständig zu Grunde, Eranthemttnt
tricolor schon nach fünf Tagen, E. Couperi nach zwei Wochen,
E. ignettm nach einer Woche. Bei jE. Couperi starben, ohne
sich abzulösen, zuerst die jüngsten, noch in Entwicklung
begriff"enen Blätter ab, und zwar bereits nach sechs Tagen,
dann kamen die älteren daran und nach zwei Wochen war
auch der Stengel, soweit er noch nicht von Kork umhüllt war,
schlaff und todt. Am resistentesten von den angeführten Pflanzen
war noch Anoectochilus setaceus. Dessen Blätter zeigten zwar
manchmal schon nach vier Tagen grössere Flecken, allein
kann dies leicht mit der Lupe verfolgen, einzelne kleine Pünktchen blau und
nach wenigen Minuten erscheint die früher hellgrüne geritzte Stelle nahezu
ganz dunkelblau.
Unter dem Mikroskop lässt sich leicht eruiren, dass es die farblosen
Cystolithen sind, welche sich nach der Verletzung des Blattes an ihrer Ober-
fläche blaugrün färben. Sanchezia -^XeiiiQT enthalten demnach in den
Cystolithenzellen ein Chromogen, welches beim Erfrieren oder
bei mechanischer Verletzung der betreffenden Zellen einen
blauen Farbstoff liefert. Dieser ist ausserordentlich labil, er verfärbt sich
innerhalb der Zellen sehr rasch bei Einwirkung von verdünnten Säuren (HCl,
SO4H2, HNOg) und verschiedener verdünnter Alkalien und alkalischen Erden
(KOH, NH3, Kalkwasser etc.), weicht also schon durch dieses Verhalten von
Indigblau wesentlich ab. Der Farbstoff verfärbt sich alsbald auch spontan in
der Zelle, relativ lange erhält er sich noch, wenn die Blätter im Wasser von
2 — 4° C. absterben und darin weiter belassen werden.
Erfrieren von Pflanzen. 93
es dauert oft 3 — 4 Wochen, bevor der beblätterte Spross ganz
abstirbt. Alle die hier besprochenen, niederen Temperaturen
so wenig widerstandsfähigen Pflanzen haben ihre Heimat im
Tropengürtel. Episcia und Anoectochilus in Java, Sanchezia
in Ecuador, Eranthemum tricolor in Polynesien, E. Couperi in
Neu-Caledonien und E. igneum in Peru.
Höchstwahrscheinlich dürften noch andere Pflanzenarten
gefunden werden, welche sich in demselben Sinne wie unsere
Versuchspflanzen als kälteempfindlich erweisen. Unter den
tropischen Gewächsen wird man wohl am erfolgreichsten
darnach suchen, doch ist nicht ausgeschlossen, dass sich der-
artige Pflanzen auch unter unseren einheimischen einjährigen
Phanerogamen, ja vielleicht sogar unter den hohe Temperaturen
liebenden Kryptogamen befinden.
hiteressant ist, dass eine grosse Anzahl vonPflanzen,
welche gleichfalls warmen Gebieten angehören, ohne
Schädigung monatelang Temperaturen von 2 biso** C.
mit einer Durchschnittstemperatur von etwa -*-3*5**C.
widerstehen. Das Gewächshaus, in welchem ich die Ver-
suche mit Episcia und den anderen früher angeführten Pflanzen
anstellte, wurde von Mitte October 1895 bis 31. December 1895,
also durch 2^1^ Monate nicht geheizt. Da die Temperatur im
Freien ziemlich gleichmässig war, nämlich in enger Amplitude
um 0** herum schwankte, und da das Gewächshaus seiner
Lage wegen directes Sonnenlicht nicht erhielt, so war die
Temperatur im Inneren desselben ziemlich beständig; sie
schwankte laut der Anzeige der Maximum- und Minimum-
thermometer stets zwischen +2 und -4-5"* C. Während dieser
Zeit wurden die Pflanzen nur spärlich begossen, und zwar nur
so viel, um sie vor dem Welken zu bewahren. Die Luftfeuchtig-
keit war, da das Gewächshaus mit Pflanzen der verschiedensten
Art vollgefüllt war und nicht geheizt wurde, sehr gross, sie
schwankte zwischen 93 und 997o ^"^ ^^^^ durchschnittlich
zumeist 98 7o-
Unter diesen Verhältnissen blieben folgende Topfpflanzen
durch 2Y2 Monate gesund: Nicotiana iabacum, Curculigo
recurvatUy Begonia metallica, Abutilon sp., Dracaena rubra,
histicia sp., Cineraria rugosa, Philodendron pertusmn,
94 H. Molisch,
Tradescantia gnianensis, Goldfussia iso- und anisophylla^
Asplenium Belangeri, Selaginella Lttdoviciana und einige
andere Species dieser Gattung, endlich Latania honrbonica.
III.
Ist nun nach den vorhergehenden Versuchen nicht mehr
an der Thatsache zu zweifeln, dass es Pflanzen gibt, welche
ganz unabhängig von ihrer Transpiration über Null erfrieren,'
so bleibt noch die Frage zu erörtern, in welcher Weise
die niedere Temperatur schädigt. Dieselbe könnte physi-
kalische oder chemische Störungen im Protoplasten hervor-
rufen oder beide zugleich.
Dass durch die Abnahme der Temperatur bis auf Null
störende Contractionen der lebenden Substanz eintreten sollten,
welche einer normalen Function des Plasmas entgegenarbeiten,
erscheint wohl von vorneherein nicht wahrscheinlich. Eher
wäre noch daran zu denken, dass die osmotischen Eigen-
schaften der verschiedenen Zellorgane Änderungen erfahren
oder dass Fällungen im Zellsaft eintreten, da ja bekanntlich
zumeist mit fallender Temperatur auch die Löslichkeit für
gewisse Stoffe abnimmt. Von solchen Fällungen war bei den
Versuchspflanzen nichts zu bemerken.
Mir erscheint es viel wahrscheinlicher, dass die niedere
Temperatur Störungen im Stoffwechsel hervorruft. Bekanntlich
verlaufen gewisse chemische Reactionen nur innerhalb be-
stimmter Temperaturgrenzen. Die Entstehung des Chlorophylls,
des Etiolins, die Athmung, die Kohlensäureassimilation und
andere chemische Processe sind an eine gewisse Wärmemenge
gebunden. Es ist ferner sicher, dass mit sinkender Temperatur
bis knapp über den Nullpunkt in der Pflanze manche chemische
Processe gehemmt oder vollends sistirt werden, während andere
noch mit ziemlicher Intensität fortlaufen, wodurch eine Störung
1 Ob es auch Thiere gibt, welche sich ähnlich wie unsere Versuchs-
pflanzen verhalten, d. h. über Null erfrieren, darüber konnte ich trotz genauer
Umschau in der Literatur keine Auskunft erhalten. Ich fand nur eine einzige
der kritischen Nachprüfung werthe Angabe von Raoul Pictet vor, nach welcher
in der Entwicklung sehr weit vorgeschrittene Ameisenpuppen bereits bei mehr-
stündiger Abkühlung auf -h5° absterben. Biolog. Centralblatt, 1894. S. 303.
Erfrieren von Pflanzen. 95
in dem harmonischen Zusammenwirken der in der Zelle sich
abspielenden Einzelprocesse eintreten könnte. Zur Begründung
des Gesagten will ich nur an die interessante Beobachtung^
Hermann Müller's-Thurgau erinnern, welcher fand, dass
KartofTelknollen, welche längere Zeit bei niederen, knapp über
Null liegenden Temperaturen gehalten werden, ihren Zucker-
gehalt bedeutend vermehren und in Folge dessen süss werden.
Nach Müller finden in der Kartoffel zwei Vorgänge neben
einander statt: die Entstehung des Zuckers aus Stärke durch
ein Ferment und die Verathmung dieses Zuckers. Beide Vor-
gänge werden ihrer Natur entsprechend von niederer Tempe-
ratur verschieden stark beeinflusst, der Fermentationsprocess
viel w^eniger als die Verathmung. Daher die Zuckeranhäufung.
Wir haben also hier einen auffallenden Fall von der Beein-
flussung des Stoffwechsels durch niedere Temperatur vor uns.
Bei der Kartoffel wird nun allerdings ein Stoff angehäuft,
welcher das Leben der Zelle nicht schädigt. Es steht aber der
Vorstellung nichts im Wege, dass namentlich bei tropischen
Pflanzen, welche nie Gelegenheit hatten, sich niederen Tempe-
raturen anzupassen, unter der Einwirkung dieser, ein schäd-
liches Stoffwechselproduct oder schädliche Producte desselben
entstehen, welche bei gewöhnlicher Temperatur verbraucht
werden, bei niederer aber sich ansammeln und eben deshalb
das Protoplasma schädigen.
Wenn es nach dem Gesagten wohl sehr wahrscheinlich
wird, dass das Erfrieren über Null (unabhängig von der
Transpiration) auf durch niedere Temperatur hervor-
gerufene Störungen im chemischen Getriebe der
lebenden Substanz zurückzuführen ist, so bin ich vor-
läufig doch ausser Stande, etwas Bestimmtes über die Art
dieser Störungen auszusagen und muss dies vielmehr künf-
tigen Untersuchungen überlassen.
1 H. Müller, Thurg au. Ein Beitrag zur Kenntniss des Stoffwechsels
in stärkehaltigen Pflanzenorganen. Botan. Centralblatt, 1892, S. 198.
96
Krystallmessungen II.
Dr. Philipp Heberdey,
Assistenten am mineralogischen Museum der k. k. Universität in Wien.
(Mit 28Te.\ifiguren.)
(Vorgelegt in der Sitzung am 9. Jänner 1896.)
In der nachstehenden Arbeit ist die Krystailbestimmung
von 14 chemischen Substanzen enthalten, welche mir zur Unter-
suchung von den Herren Prof. Weidel, Prof. Zeisel und Prof.
Lippmann anvertraut wurden. Die chemischen Formeln sind
nach den schriftlichen Angaben der Autoren hier angeführt;
wo die genaue Constitutionsformel und der Titel mangelt,
wird dieselbe erst durch die bevorstehenden Publicationen
des chemischen Verhaltens der Substanzen von den Herren
Autoren bekannt gegeben werden.
I. ß-Hemipinäthylestersäure
COGH
CH3O— C ^\ C— COOC5H5
CHoO-c' JcH
CH
Die Substanz wurde dargestellt von Herrn Dr. Weg-
scheider im Laboratorium Prof. Weidel's, und zwar wurden
die Krystalle gewonnen durch Verdunstung einer ätherischen
Lösung; sie sind wasserfrei, ihr Schmelzpunkt liegt zwischen
147— 149^
Kry Stallsystem: asymmetrisch.
Axenverhältniss : a\h:c = 0' 4972 : 1 : 0 • 3699.
Krystallmessungen. 97
Yi = 117*54'
i= 93 25
C = 89 20
Die Krystalle sind farblos, vollkommen durchsichtig, von
säulenförmigem Habitus; sie sind an beiden Enden wohl ent-
wickelt, die einzelnen Flächen geben gute Signale, bloss eine
einzige Fläche OTO war gekrümrrit.
Fig. 2.
Die beobachteten Formen sind;
c(001), ^(010), w(llO), |i(llO), p(in\ ic(TTl).
Die Ergebnisse der Messungen und Rechnung stellen sich,
wie folgt. Die Rechnung stützt sich auf die mit * bezeichneten
Winkelwerthe.^
Buchstaben
Indices
Gemessen
Gerechnet
001 : 100
62*» 6'
V-
001 : ITO
66*» 1'
66 1*
c:il'
001 :T10
113 59
113 59
cm*
001:110
116 36
116 36 .
c: m
001 : 110
63 24
63 24*
c'.b
001:010
86 29
86 35
c:b'
001 :0T0
93 31
93 25
C'.p
001 :Tll
46 48
46 53
c: K
001 :TTl
49 0
49 0*
•
100: 110
23 46
1 Auch in den folgenden Tabellen sind immer die der Rechnung zu
Gninde gelegten Winkelwerthe mit * bezeichnet.
Sitzb. d. mathcm.-naturw. Gl. ; CV. Bd., Abth. I. 7
98
P. Heberdey,
Buchstaben
Indices
100 HO
TOO
Tll
m:ii
110
ITO
m : b
110
010
l.:b'
HO
OTO
p:b
Tll
010 '
P'V-'
In
TlO
pii:
Tu
TTl
K'.li.
TTl
ITO
TZ : m'
TTl
TTO
tc:^'
TTl
TlO
Tc:^
TTl
OTO
Gemessen
47*'58'
64 57
67 3
68 0
67 18
39 28
97 58
67 36
82 22
72 30
Gerechnet
24*» 14'
74 37
48 0
64 57*
67 3*
68 4
67 6
39 9
98 22
67 36
81 42
72 47
Die Auslöschung ist auf der Fläche 010 fast parallel zur
Kante 010 : 1 10. Auf 010 tritt eine der beiden Axen aus, welche
aber unter dem Mikroskop nur sehr undeutlich zu sehen ist,
und sehr excentrisch liegt.
n. a-Hemipinäthylestersäure.
COOHCgHj
I
c
0— c/^Nc— COOH
CH
CHg
CH3O— C
CH
Die Substanz wurde ebenfalls von Dr. Wegscheider dar-
gestellt und erhielt er die Krystalle durch Verdunstung einer
ätherischen Lösung; sie sind wasserfrei, ihr Schmelzpunkt liegt
zwischen 144 — 148**.
Krystallsystem: monosymmetrisch.
Axenverhältniss: a : ^ : c = 1-461 : 1 : 1122.
•/jzziori?'.
Die Krystalle sind farblos, vollständig wasserhell, auf-
gewachsen, an dem freien Ende wohl entwickelt; sie sind nach
der Queraxe gestreckt; die einzelnen Flächen sind manchmal
gekrümmt und gaben selten einheitliche Signale.
Krystallmessungen.
Die beobachteten Formen sind :
<;(001), a(lOO), 7;(122).
99
Fig. 4.'
Fig. 3.
Die Ergebnisse von Messungen und Rechnung sind in
folgender Tabelle zusammengestellt; die mit * bezeichneten
Winkelwerthe sind der Rechnung zu Grunde gelegt.
Buchstaben
Indices
Gemessen
Gerechnet
c'.a
c',a'
c:p
a:p
a:p'
P'P'
001 : 100
001 :T00
001 : 122
001 : 125
001 : 102
100: 102
100: 122-
100: 122
010: 122
122 •: 122
122: 102
78*'43'
101 17
49 43
130 17
68 24
111 36
87 36
78*43' *
lai 17
49 43 *
130 17
20 54
57 49
68 22'
111 38
43 48
87 36 ♦
46 12
Auf 001 ist unter dem Mikroskop, der Austritt beider Axeh,
aber nur sehr undeutlich zu sehen, wahrscheinlich wegen der
Krümmung der Flächen,
Die Auslöschung auf 001 ist parallel zur Kante 001 : 100.
Nur bei einem Krystall konnte ich mit den B ert ran d 'sehen
Platten eine Auslöschungsschiefe von 1**, bezogen auf die
Kante 001: 100, beobachten.
7*
100 P. Heberdey,
Bemerkenswerth sind die Ätzgrübchen und Subindividuen,
welche unter dem Mikroskop auf 001 sichtbar sind. Die Ätz-
eindrücke haben die Form von Dreiecken, deren Grundlinie
kurz ist und parallel zur Kante 001 : 100 verläuft. Die beiden
anderen Schenkel sind ungefähr gleich lang und parallel den
Kanten 001 : 122 und 001 : 122. Die Ätzgrübchen bestehen wie
die Subindividuen Im Wesentlichen aus vier Flächen, von denen
die tiefste, respective die oberste parallel 001 ist.
Da sich die a- und ß-Hemipinäthylestersäure nur durch
die verschiedene Stellung des Atomcomplexes COOC^Hg von
einander unterscheiden, so lag die Vermuthung nahe, dass dies
Verhältniss auch in krystallographischer Hinsicht zum Aus-
druck gelangen würde. In der That ergibt sich bei beiden Sub-
stanzen als Verhältniss:
a:c •=: 1: 0*735 (ß-Hemipinäthylestersäure)
a : c = 1 : 0-769 (a-Hemipinäthylestersäure),
so dass durch die Umstellung des Atomcomplexes eine wesent-
liche Einwirkung erfolgt in Bezug auf die ^-Axe, dagegen das
Verhältniss von a : c fast ungeändert erscheint.
Eine ähnliche Erscheinung findet sich auch bei anderen
isomeren Verbindungen und hat auf dieselbe Helge Bäck-
ström ^ bei seinen krystallographischen Untersuchungen über
a- und ß-Amyrilen hingewiesen. Beide Substanzen krystalli-
siren rhombisch, zeigen dieselbe Dispersion, Doppelbrechung;
bei beiden ist die Axenebene 001 und verhält sich bei
a-Amyrilen a : c z= 1 : 1- 6482
ß-Amyrilen a:c = \\V 6963,
so dass wie oben das Verhältniss a : c wenig geändert erscheint
MatsWeibuU^ beschreibt die Krystallform des a- und
ß^Platoäthylsulfinchlorid PtClg, 2S(C2H5) und gibt als Axen-
verhältniss an:
1 H. Bäckström, Krystallogr. Untersuchungen über a- und ß-Amyrilerw
Groth's Zeitschr. für Krystallogr. XIV, S. 545.
2 M. Weib Uli, Über die Platinverbindung^ der Alkylsulfid'e. Grüth's
Zeitschr. tur Krystallogr. XIV, 121.
KrystaUmessungen. 101
a-Platoäthylsulfinchlorid 1-5876:1: 1-2610, ß = 86" 4'
ß-Platoäthylsulfinchlorid 1-5567 : 1 : 1-2961, ß = 82''44',
wo die Änderung der Stellung eine sehr geringe krystallo-
graphische Verschiedenheit hervorruft; es verhält sich:
o:c = 1:0-7946 « I ^i » -fu i i« u, -a
a:c= 1:0-8324 ß ! P'atoathylsulfinchlond.
Als weiterer Beleg möge noch genannt werden das a- und
ß-PicoUnplatinchlorid (CgH^NHCOgPtCl^, von denen das erstere
monosymmetrisch :
a\b:c—i' 272 : 1 : 0-953, ß rz 7 r 2 1',
das letztere asymmetrisch krystallisirt:
a:^:(;=:0-90331:4:0-7082.
Beide wurden krystallographisch bestimmt von Sander^
und ergibt sich:
a:c=: 1:0-7494 a. ) ^. ,. , ^. ,, .,
a:.:zz 1:0-7840 ß j P^cohnplatmchlond.
Die Übereinstimmung in dem Verhältniss a : c tritt noch
deutlicher hervor, wenn man das von Fock^ für das ß-Chlorid
berechnete Axenverhältniss annimmt:
a:fe:c:z= 0-8973: 1:0-6627
a:cz=: 1:0-7385.
Es dürfte sich mithin als Gesetz ableiten lassen, dass der
Obergang eines Atomcomplexes aus der a- in die ß-Stellung
das Verhältniss von a : c nur wenig ändert, wenn auch die
andereti krystallographischen und optischen eonstanten eine
bedeutende Verschiebung erleiden können. Doch scheint diese
Annahme nur für den Übergang aus der a- in die ß-Stellung
zu gelten, indem z. B. das ß- und y - Platosulfinchlorid ^
1 Groth's Zeitschr. für Krystallogr. XX, 242.
2 Ebenda, XX, 342.
3 Ebenda, XIV, 126.
102 P. Heberdey,
PtCIg, 2S(C4Hg)2 eine bedeutende Verschiedenheit des Verhält-
nisses a : c zeigen:
a:^:^ = 1-4425: 1:0-9989 t
a:fe:c=z 1-3733: 1:0-6910 ß
I Platopropylsulfinchlorid.
Zugleich mit den a- und ß-Hemipinäthylestersäure-Kry-
stallen übergab mir Dr. Wegscheider noch eine Suite von
Krystallen, welche angeblich der a-Hemipinäthylestersäure
angehören sollten; er erhielt sie durch Verdunsten aus einer
Benzollösung; sie sind wasserfrei, ihr Schmelzpunkt liegt
zwischen 14472** und 145*.
Sie sind monosymmetrisch nach der Axe b gestreckt und
weisen dieselben krystallographischen Verhältnisse auf, wie
jene sind, welche Hofrath v. Lang^ bei den Krystallen des
sauren Hemipinäthyläthers C^^H^Jd^-^-X^/^ H^O gefunden.
V. Lang
Formen:
(100) (110) (101) (TOI)
Autor
Formen :
(100) (HO) (101) (TOI) (001)
Indices
Gemessen
Gerechnet
Gemessen
100: 110
110:110
100: 101
TOT : TOO
001 : 101
001 :T01
101 :TOT
110:T10
110: lOT
53*»40'
76 26
66 40
67 41
72 20
77 2
53*»40'
76 46
66 40
67 41
23 20
22 34
45 38
72 40
77 0
53«30'
76 36
66 35
67 41
23 20
22 34
Das Axenverhältniss ist nach v. Lang:
a\b:c = 1-3596: 1:0-5723
Y] = 90**36:
Der optische Charakter ist bei beiden ident, die positive
Mittellinie senkrecht auf 100.
Diese Sitzungsberichte, CIL Bd., Abth. II. a, S. 873.
Krystallmessungen. 1 03
Vergleicht man diese Krystalle mit denen der a-Hemipin-
äthylestersäure, so sieht man,'dass beide sowohl im Axenver-
hältniss, als auch den Winkelwerthen nach so stark diflferiren,
dass es nicht möglich ist, beide unter einer Krystallform zu
vereinigen. Ob aber hier Dimorphie vorliegt oder vielleicht doch
die eine Suite der Krystalle wasserhaltend ist, die andere aber
nicht, ist mir nicht möglich zu entscheiden.
III. Trimethylcolchidimethinsäure
/OCH3
/ OCH3
\ ^ < CH3
COOH
Unter diesem Namen übergab mir Prof. Zeisel eine Suite
von Krystallen, welche er alle erhielt durch Auskrystallisiren
der Substanz aus einer Methylalkohollösung. Schon a priori
musste ich zur Vermuthung kommen, dass die Krystalle nicht
derselben, sondern zwei chemisch verschiedenen Substanzen
angehören dürften. Denn einerseits zeigte ein Theil der Kry-
stalle einen tafelförmigen Habitus, während die anderen säulen-
förmig entwickelt waren; anderseits wurden die tafelförmigen
Krystalle schon nach 1 — 2 Stunden opac und undurchsichtig,
während die säulenförmigen lange Zeit hindurch vollkommen
klar und durchsichtig blieben; eiftige derselben bekamen wohl
nach längerem Liegen eine mehr braune Färbung, erwiesen
sich aber krystallographisch mit den durchsichtigen ident.
aj Säulenförmige Krystalle.
Dieselben sind an beiden Enden wohl entwickelt, durch-
sichtig, schwach gelblich gefärbt. Dichroismus ist nicht bemerk-
bar. Die einzelnen Flächen sind gut ausgebildet, selten die eine
oder andere gekrümmt; doch geben die meisten Flächen zwei
Signale, die in der Regel bis gegen 30' von einander abweichen.
Bei den goniometrischen Messungen wurde der Horizontalfaden
intermediär eingestellt.
Krystallsystem: trimetrisch.
Axenverhältniss: a:b:c = 0-556212 : 1 : 0-349869.
104
P. Hebcrdey,
Beobachtete Formen: c(001),a(100),^(010),w(n0),«(Ol 1).
Die Ergebhisse von Messungen und Rechnung stellen sich
wie folgt:
Buchstaben
Indices
c : H
a : m
b : m
bin
n : n'
n : tn
n : m'
m : m'
001 :0ll
100: 110
010: 1!0
010:011
Oll .011
011 : 110
011 : lIO
HO: HO
Gemessen
19^25'
28 55
66 55
70 43
38 50
80 46
99 14
57 50
Gerechnet
19'17'
29 5
66 55
70 43
38 34
80 48
99 12
58 10
f^
-y
Fig. 5.
Fig. 6.
Auf 110 tritt eine der Ifeiden Axen sehr excentrisch aus
die Prüfung mit dem Quarzkeil erlaubt kein sicheres Urtheil
über den optischen Charakter; doch scheinen die Ringe vom
Centrum hinaus sich zu bewegen, also der Krystall optisch
negativ zu sein. Bei Anwendung des Babinet'schen Com-
pensators zeigt sich deutlich der optisch negative Charakter,
indem der schwarze Streifen stark nach links verschoben wird
in derselben Richtung, wie der negative Glimmer verschiebt.
Die Hyperbel ist gegen das Centrum zu blau, auf der con-
vexen Seite einheitlich roth gefärbt, die Dispersion gleich der
des Arragonites disymmetrisch: p<ßX.
Die Bertrand'schen Quarzplatten lassen auf 110 eine
Auslöschungsschiefe von circa 1** erkennen, bezogen auf die
Kanten der Prismenzone.
Krystallmessungen.
105
b) Tafelförmige Krystalle.
Diese sind anfangs durchsichtig, schwach gelblich grün
gefärbt, erhalten aber im verwitterten Zustande eine deutlich
gelbe Farbe. Die Flächen bleiben während des Undurchsichtig-
werdens gut erhalten. Die Krystalle selbst sind nach allen
Seiten bin vollkommen ausgebildet; ihr quadratischer Habitus
ist ähnlich dem der Krystalle des Jodmethylates derselben
Säure.
Krystallsystem: monosymmetrisch.
Axenverhältniss : a : fe : t: = 1 • 078 : 1 : 1 • 297.
7irz95*'25'.
Fig. 8.
Beobachtete Formen: a(100),w(110),J(101),/(T01),e(503).
Buchstaben
Indices
Gemessen
Gerechnet
a : m
a\d
a : g
a':/
m : m'
tn : e
d'.c
d'.f
m : d
100: 111
100:110
100: 101
_100 : 503
100:J,01
110: HO
110:503
110: 111
110;
001;
001 ;
001
111 ;
111
101 ;
101
101 ;
010;
001
111
lül
100
010
101
503
101
110
110
46**50'
41 56
27 46
37 20
86 17
52 37
14 10
100 44
59 35
55*^22'
46 50 *
41 56 *
27 46
37 30
86 20
52 37
30 22
93 42
63 20
53 29
95 25
49 6
40 47
14 10
100 34
59 35 *
43 10
106
P. Heberdey,
Die optischen Verhältnisse konnten wegen Mangel an
durchsichtigem Materiale nicht bestimmt werden.
rv. Phenylnaphtylketon
C,oH,-CO~CeH,.
Die Substanz wurde im chemischen Laboratorium des
Herrn Prof. Li pp mann dargestellt. Die Krystalle sind durch-
sichtig, wasserhell, theils einzeln, theils zu zweien mit einander
verklebt; sie sind tafelförmig nach der Axe a und b entwickelt,
nach der Axe c ausserordentlich verkürzt. Die einzelnen Flächen
sind gut ausgebildet, die Signale einfach und deutlich.
Krystallsystem : monosymmetrisch.
Axenverhältniss : a:b: c = 2'7\2'A:2- 267.
Y] = 99^*44'.
Fig. 10.
Die beobachteten Formen sind: c(OOl), w(llO), ^(TOl).
Die Ergebnisse von Messungen und Rechnung stellen sich
wie folgt:
Buchstaben
c : ftt
c : m'
cd
Indices
001
001
001
001
001
100
TOO
010
HO
TlO
lOl
Tu
100
110
TlO
110
Gemessen
86^30'
93 30
43 51
Gerechnet
86 30
93 30
43 51
70 12
80 16
69 25
74 48
20 39
Krystallmessungen.
107
Buchstaben
Indices
Gemessen
Gerechnet
010
Tu
28*» 0'
m':ä
TlO
TOI
78^0'
78 40 *
TlO
TU
23 18
m' : m
TlO
HO
41 15
41 10
m' : 'm'
TlO
TTO
138 45
138 50
TOI
TOO
56 1
TOI
TU
62 0
Die Substanz Ist stark doppelbrechend; auf 001 die Aus-
löschung entsprechend dem Krystallsystem parallel zu den
Kanten 001:101.
Ein Axenaustritt ist auf 001 nicht sichtbar.
V. C,H,(C2H30)N,0,.
Die Substanz wurde im chemischen Laboratorium des
Herrn Prof. Weidel dargestellt, sowie auch alle anderen, die noch
folgen, dem Laboratorium des Herrn Prof. Weidel entstammen.
Die Krystalle wurden gewonnen durch Verdunsten einer alko-
holischen Lösung; sie sind gut ausgebildet, aufgewachsen,
säulenförmig, wasserhell durchsichtig, nach der Axe b in die
Länge gestreckt; parallel 010 sind sie ausgezeichnet spaltbar.
M
la
1
N
/ ^^ '
' "'s '
Fig. 12.
Krystallsystem: monosymmetrisch.
Axenverhältniss: a : ^ : c; = 11113 : 1 : 11 132.
7] - 97*35'.
Beobachtete Formen: a(lOO), ^(001), p(l 1 1), ^(010) (Spalt-
fläche).
108 P. Hebcrdey,
Di« Ergebnisse von Messung und Rechnung sind:
Buchstaben
Indices
Gemessen
Gerechnet
c'.b
001 :010
90* V
90*» 0'
c:a
001 : 100
97 35
97 35
c\ a'
001 :T00
82 25
82 25 *
C'.p
001 : 111
60 23
60 23 *
001 : 101
49 20
a:b
100:010
89 58
90 0
a.p
100: 111
59 40
59 40 *
100:101
48 15
010: 111
49 40
111 : 101
40 20
Die Auslöschung ist auf den Flächen 001 und 100 ent-
sprechend dem Krystallsystem parallel zur Kante 001 : 100.
Auf der Spaltfläche (010) tritt eine der beiden Axen sehr
excentrisch aus.
VI. p-Amidopropionsäure.
CH3-NH3
I
CH^
I
COOH
Die Krystalle dieser Substanz, die von Prof. Weide l dar-
gestellt wurde, erhielt er aus einer wässerigen Lösung, die,
einige Tage über Alkohol gestellt, Krystalle ausscheidet. Die
Substanz selbst ist ein Derivat von der vorhergehenden, ent-
standen durch Abspalten von Kohlensäure und Ammon.
Die Krystalle zeigen theils tafelförmigen, theils säulen-
förmigen Habitus. Die ersteren gestatteten überhaupt keine
krystallographische Bestimmung, indem die sehr starke Con-
vexität der Flächen, verbunden mit einer weitgehenden Cor-
rosion, die Messungen unmöglich machte.
Die säulenförmigen Krystalle sind beiderseits entwickelt,
durchsichtig, wasserhell, die Pyramiden und Pinakoidflächen
sind etwas besser, die Prismenflächen sehr schlecht ausgebildet;
Krystallmessungen.
109
sie sind gekrümmt, oft sehr stark, und geben immer zahlreiche
Signale. Von diesen wurde immer auf das hellste oder, wenn
sie gleich stark waren, auf das mittlere eingestellt, und erhielt
ich folgende krystallographische Constanten:
Krystallsystem: trimetrisch.
Axenverhältniss: a:b:c = l' 3638 : 1 : 0 • 5941 .
r
h
<
\m
^
l 'N.
— -^^^
Fig. 13. Fig. 14.
Die beobachteten Formen sind: a(lOO), fw(l 10), p(l 1 1).
Buchstaben
a: m
a:p
m ', p
p:p'
P'-'P
Indices
100: HO
100: 111
HO: 111
110:010
111 :010
111: lll
111 :TH
111 :TTl
Gemessen Gerechnet
53°30'
69 29
53 1
57 5
41 3
72 12
53*»30'*
69 29 *
53 33
36 30
61 28
57 4
41 2
72 54
Auf 100 ist gerade Auslöschung parallel den Kanten
100:110 und treten durch 100 beide Axen aus. Die Axen-
ebene ist senkrecht auf die Kanten der Zone 100:110. Die
Dispersion ist sehr gering und ist ihre Art nicht sicher zu
stellen. Es scheint p>ßX zu sein. Der Axenwinkel in Luft
beträgt gegen 70**.
Mit dem Quarzkeil geprüft, bewegen sich die Ringe deut-
lich vom Centrum weg, daher die Substanz opUsch negativ.
Die erste Bissectrix ist a und senkrecht auf 100, die zweite auf
010; das optische Schema daher (g: c : b).
110
P. Heberdey.
VII. Salzsaures Salz der ß-Amido-Y-Pyridincarbonsäure
COOH
C.H.NJ^°°".HC,
Die Krystalle, mir anvertraut von Prof. Weidel, wurden
erhalten durch sehr langsames Abdunsten einer verdünnten
salzsauren Lösung; sie sind aufgewachsen, säulenförmig, von
grüngelber Farbe und werden bei längerem Liegen an der Luft
opac. Die Flächen der Prismenzone sind gut, die 001- und
TOl-Flächen schlecht entwickelt; parallel 001 und 101 sind
die Krystalle gut spaltbar.
Krystallsystem: monosymmetrisch.
Axenverhältniss: a:b:c = 0*6859 : 1 : 0-8366.
7i = 83*'20^
\l
^
Fig. 16.
Die beobachteten Formen sind:
c(OOl), ^(010), /(lOl), w(llO), m(210).
Die Ergebnisse von Messungen und Rechnung sind in
folgender Tabelle zusammengestellt:
Buchstaben
c:b
c : m
b : m
b.n
Indices
001
001
001
001
001
010
010
010
010
100
TOI
Tu
110
110
210
TU
Gemessen
Gerechnet
90° 1'
84 30
55 44
70 38
90*» 0'
83 20
54 41
59 40
84 30 *
55 44 *
70 40
60 46
Krystallmessungen.
111
Buchstaben
Indices
m : tn
m : n
tn : n'
m' \i
n : n'
n'it
100: 110
100:210
TOO : TOI
110:TlO
110:210
110:2T0
TlO:T01
TlO:Tll
210:2T0
210:101
Tu :T01
Gemessen
111«28'
14 58
53 20
52 2
38 26
45 28
Gerechnet
34« 16'
19 20
41 59
111 28
14 56
53 36
52 7
35 50
38 40
45 28 *
29 14
Herr Prof. Weidel übergab mir noch zwei Suiten von
Krystallen, bei denen die Flächen (110) schlecht oder gar nicht
ausgebildet, dagegen (210) gut entwickelt waren. Aus nach-
stehender Tabelle ergibt sich die krystallographische Identität
dieser Krystalle mit den früheren.
Krystalle der I. Suite
Krystalle der 11.
und III. Suite
Indices
Winkelwerthe
Winkelwerthe
TOI :010
TOI :210
210:010
210:2T0
110:010
110:210
90«
45 28'
70 40
38 40
55 44
14 56
90«
44 54'
71 10
38 40
55 44
15 25
Auf 010 beträgt die Auslöschungsschiefe, bezogen auf die
Kanten 010: 1 10 = 48*'30'. Ein Axenaustritt konnte nicht beob-
achtet werden.
Vin. Goldsalz der ß-Amido-Y-Pyridincarbonsäure
qHßNg-hHCl+AuClg.
Unter diesem Namen erhielt ich dunkelrothe Krystalle; sie
sind aufgewachsen, säulenförmig und sind nur die Prismen-
flächen entwickelt; ungefähr senkrecht auf die Kanten der
Prismenzone verläuft eine Spaltbarkeit; jedoch sind die Spalt-
112
P. Heberdey,
flächen so unvollkommen, dass von einer Messung abgesehen
werden musste. Da die Auslöschung parallel den Längskanten
eine gerade ist, so dürfte ein rhombisches Prisma vorliegen,
und zwar ooP =. 88**30^ Die Krystalle zeigen Absorptions-
dichroismus. Schwingungen senkrecht zur Kante der Prismen-
zone werden fast vollständig absorbirt, der Krystall erscheint
schwarz. Sind die Schwingungen parallel zur Kante ooP, so
erscheint der Krystall lichtroth gefärbt. Ein Axenaustritt konnte
nicht beobachtet werden.
IX. Chloroplatinat der ß-Amido-Y-Pyridincarbonsäure
2[c5HsN!^H^"4-HClj|+PtCl,
Die Krystalle, welche mir Herr Prof. Weidel übergab,
wurden gewonnen durch langsames Verdunsten aus einer
verdünnten (1 : 2) Salzsäurelösung; sie sind säulenförmig, auf-
gewachsen, einige beiderseits entwickelt. Die Prismenzone ist
gut ausgebildet, dagegen sind die Pyramidenflächen sehr stark
convex. Sie sind nach 001 ziemlich gut spaltbar.
Fig. 17. Fig. 18.
Die Krystalle sind rothbraun gefärbt und geben einige
derselben sehr schöne Totalreflexe, welche als braun gefärbte
Signale im Fernrohr erscheinen und von den wirklichen Flächen-
signalen der Pinakoide nur ganz wenig seitlich verschoben
erscheinen.
Krystallsystem : asymmetrisch.
Y) = 74M1'.
5 = 81 43
C =: 90 43
Krystallmessungen. 113
Axenverhältniss: a:b:c: 1-8372 : 1 : 1-1258.
Die beobachteten Formen sind:
a(lOO), ^(010), c(001),/?(!ll), ic(TTl).
Die Ergebnisse von Messungen und Rechnung stellen sich
wie folgt:
Buchstaben
Indices
Messung
c : a
c:b
a'
h':-
001
001
001
001
001
100
100
100
TOO
loo
010
010
OlO
OTO
:100
:010
:TOl
:01l
: HO
: 110
:010
:TOl
: Tu
:TTl
:Tll
: 110
: HO
: llT
74°2Ö'
81 15
87 2
80 16
73 15
40 40
46 29
Rechnung
74°25' *
81 15 *
35 26
42 40
74 25
59 4
87 2 *
70 9
79 25
73 15 ♦
40 8
27 58
30 21
46 29 *
Die Krystalle zeigen keinen merkbaren Dichroismus. Auf
100 beträgt die Auslöschungsschiefe 13** 21', bezogen auf die
Kante 100:010.
Auf 001 tritt eine der beiden Axen aus, sehr excentrisch
und nur sehr schwer sichtbar.
Die Krystalle dieser Substanz erhielt Prof. Weidel aus
einer Ligroinlösung. Sie sind durchsichtig, wasserhell, auf-
gewachsen. Die Flächen (111) und (011) sind gut entwickelt,
dagegen (010) und (110) stark gekrümmt, ja bei einigen Kry-
stallen ist die Krümmung so stark, dass sie sich bogenförmig
nach oben hin verjüngen. Die Signale sind undeutlich, immer
zahlreich.
Die Krystalle scheinen zwar der Flächenentwicklung nach
triclin zu sein, jedoch unter dieser Annahme können sie nicht
Sitzb. d. mathem.-natunv. Gl.; CV. Bd., Abth. I. 8
114
P. Heberdey,
gerechnet werden. Es wurde daher monosymmetrisches System,
und zwar eine hemiedrische Ausbildung angenommen.^ Diese
Annahme findet dadurch eine Stütze, dass die Auslöschung
auf 100 eine gerade ist, also eine optische Symmetrie vor-
zuliegen scheint. Alle Krystalle waren gleich entwickelt und
konnten holoedrische Formen nicht aufgefunden werden.
Krystallsystem: monosymmetrisch (hemiedrisch).
Axenverhältniss: a : ^^ : c = 0-6171 : 1: 0-5319.
7] = 85** 28'.
n^^
Fig. 19. Fig. 20.
Die beobachteten Formen sind:
a(lOO), w(llO), /(011),p(Tll).
Buchstaben
Indices
a : m
a:t
a':p
m: t
m : p
100:
100:
100:
100:
010:
010:
010:
HO
001
011
Tu
110
011
Tu
Oül :011
110:011
UOrTll
Gemessen
52°30'
86 0
55 14
66 2
92 48
Gerechnet
52*»30' *
85 28
86 0 *
55 15
37 30
62 4
67 18
27 56
66 2 *
92 20
1 Über hemiedrische Formen des monoklinen Systems cf. Liebisch,
phys. Krystall. 1891, S. 49. Ferner Groth's Zeitschr. für Krystallogr. XIX.
S. 237.
Krystallmessungen.
115
Die Auslöschung ist auf 100 parallel den Kanten 100 : 1 10.
Ein Axenaustritt konnte nicht beobachtet werden.
XI. C,3H,,N30.
Die Krystalle, welche ich vom Herrn Prof. Weidel erhielt,
und die aus einer alkoholischen Lösung erhalten wurden, sind
aufgewachsen, farblos, durchsichtig; die einzelnen Flächen sind
nicht gut entwickelt, die Pyramiden und Domenflächen sind klein
und oft corrodirt. Namentlich war es unmöglich, die Lage der
mit höheren Indices zu bezeichnenden Flächen sicher festzu-
stellen, da sie überhaupt nur an einzelnen Krystallen und sehr
schlecht ausgebildet vorkommen; es lässt sich nur constatiren,
dass sie in der Nähe der angegebenen Pyramiden liegen. Ob sie
Vicinalflächen sind oder die Ungenauigkeit der Messung die
bedeutende Differenz zwischen Rechnung und Beobachtung'
herbeiführt, lässt sich nicht entscheiden.
Krystallsystem : asymmetrisch.
S = 90^10'
r^ = 78 16
C = 88 49
Axenverhältniss: a\b',c = M295 : 1 : 0*91 13.
Fig. 21.
Die vorhandenen Formen sind:
Fig.
a(lOO), tw(llO), w(340), /(Oll), /'(011),;?(111),;;'<I11),';7(111\
V'(TlT), ^(322), r(533), s(599), i;(255).
8*
116 P. Heberdey.
Die Beobachtungen stellen sich zur Rechnung wie folgt:
Buchstaben
Indices
Messung
Rechnung
001 : 100
78*»16'
001 :010
89 25
001 : 111
50 50
a : n
100:340
60 21
59 50 1
a : m
100: HO
52 30
52 30 *
a : m'
100: rio
50 55
50 55 *
100:010
91 17 '
100:011
99 42 ,
100:011
82 6
a.p
100: 111
71 30
70 52
a:'p
100: iTl
70 4
68 29
a:q
100:322
60 10
58 58
a : r
100 : 533
51 54
53 4
a:s
100:599
80 54
81 4 1
a'.p'
100:111
55 26
55 34
a' : y
TOO: TU
56 4
56 4 *
a' : V
i
TOO : 2o5
010: 110
010:T10
010:011
70 20
70 34
38 47
37 48
49 8 •
1
010: 111
51 11 '
m : m'
110:TlO
76 25
76 35
m : n
110:340
110:011
7 20
7 51
65 33
m : p
110: 111
46 30
46 1
'm' : /
TT0:011
114 58
114 27
'm' : /'
TlO:OTl
53 10
52 18
'm'.'p'
TTO "iTl
38 30
38 30 *
1 'm' : V
lT0:2o5
45 58
45 1
'm' : s
TTO : 599
65 45
65 52
\ p-y
1 1 1 : Tl 1
95 0
95 29
! p-i
111 :011
27 46
28 49
p'-f
111 :011
25 30
24 53
y : /'
TTl :0I1
26 2
26 2 *
•p:t'
iTl :OTl
28 50
29 25
r : 5
533 : 599
28 57
28 0
/:/'
011 :OTl
81 32
1
82 22
Auf 100 ist die Auslöschung fast parallel zu den Kanten
100 :1 10. Ein Axenaustritt konnte nicht beobachtet werden.
Kry Stallmessungen .
117
Xn. CgHgNOjj.
Die Krystalle dieser Substanz, mir übergeben vom Herrn
Prof. Weidel, waren erhältlich sowohl aus Ligroin, als auch
aus Alkohol. Sie sind farblos, durchsichtig, frei nach allen Seiten
entwickelt; die Flächen sind schlecht ausgebildet, die Signale
undeutlich.
Kry Stallsystem: monosymmetrisch.
Axenverhältniss: a\b:c = 0-4679 : 1 : 0-4824.
Y]=:82**2^
Fig. 23.
Fig. 24.
Die beobachteten Formen sind:
^(010), w(llO), /(011),;7(T21).
Die Ergebnisse von Messung und Rechnung stellen sich
wie folgt:
Buchstaben
b'.t
b : m
i.'m
t'.m
Indices
Messung
010:011
010: 121
010: 111
010: 110
100:001
100:
001 :
011 :
011 :
011 :
011 :
110
TOI
001
TlO
HO
ITO
64°58'
65 15
86 15
73 10
93 45
Rechnung
65*»18'
54 54
70 17
65 15 ^
82 2
24 45
49 59
24 45
86 28
73 10 ^
93 32
118
P. Heberdey,
Buchstaben
Indices
Messung
Rechnung
/ : 'm'
011 :ITO
106*»50'
106*»50'
t:p
011 :T21
43 48
43 44
t:i'
Oll :OTl
49 30
49 30
121 :Tll
15 23
p:'m
T21:TlO
43 2
42 34
m : m'
110: ITO
49 30
49 30 *
TlOiTll
44 43
In :T01
19 43
Ein Axenaustritt konnte nicht beobachtet werden.
xm.
CjjHjjNO = NH.
Die Krystalle, erhalten vom Herrn Prof. Weide l, sind
allseits entwickelt, durchsichtig, schwach gelbgrün gefärbt und
zeichnen sich aus durch prachtvolle Totalreflexe. Im auffallenden
Licht erscheinen einzelne Flächen blau gefärbt. Die Flächen sind
gut entwickelt; bei den meisten Individuen ist je ein Paar der
Prismenflächen ähnlich den sanduhrförmigen Augiten gebaut.
Fig. 25.
Fig. 26.
Die Entwicklung der Krystalle ist vorherrschend nach
(HO), die Pinakoide 100 und 010 sind schmal und schlecht,
dagegen 001 immer gut ausgebildet.
Krystallsystem: monosymmetrisch.
Axenverhältniss: a\b:c = 0*7004 : 1 : 0-9785.
Y] = 7r54'.
KrystaUmessungen.
Die beobachteten Formen sind:
a(lOO), c(OOl), ^(010), w(llO), «(210), i{On\p(\\\).
Rechnung und Beobachtung stellen sich wie folgt:
119
Buchstaben
Indices
Gemessen
c:t
c.p
001
c\ m
001
a : u
100
a : m
100
100
a:b
100
100
b.c
010
h:t
010
b:m
010
010
m : n
110
m : /
110
110
011
011
t:m'
011
p:m'
TU
001 : 100
001 :011
001 : 111
:Tll
: HO
:210
: 110
: 111
:010
:Oll
:001
:011
: HO
: 111
:210
:011
: 111
: 111
:Tll
:T10
:T10
34^31'
51 56
76 54
25 21
42 56
89 58
90 1
56 21
47 4
18 0
55 29
78 18
51 10
Gerechnet
71°54'
33 44
37 56
52 23
76 54 '
24 57
42 56
48 30
90 0
75
90
56
47
6
8
4
64 27
17 59
55 29
38 58
26 36
35 9
78 15
50 43
Auf 001 ist die Auslöschung parallel den Kanten 001: 100.
Dabei zeigt sich ein eigenthümliches Phänomen. Laufen die
Schvvingungsrichtungen im Krystall parallel zu denen der
gekreuzten Nicol, so erscheint die Platte dunkelviolblau; wird
der Krystall dann gedreht, so verschwindet die blaue Farbe
und in der 45**-Stellung ist die Farbe hellgelb; bei weiterer
Drehung dunkelt die gelbe Farbe immer mehr ab, und in der
OO^'-Stellung ist die Farbe wieder dunkelviolblau.
Auf 001 tritt eine der beiden Axen nahezu centrisch aus,
doch so undeutlich, dass eine genaue Feststellung des optischen
Charakters nicht möglich war. Bei Anwendung des Babine ti-
schen Compensators scheint sich der schwarze Streifen nach
t
120
P. Heberdey,
entgegengesetzter Richtung hin zu verschieben, als der nega-
tive Glimmer dies bewirkt, also die Substanz optisch positiv
zu sein.
Dichroismus ist nicht bemerkbar.
XIV. C5H7N3SO.
Die Krystalle dieser Substanz, welche Prof. Weidel mir
übergab, entstammen zwei Lösungen, die einen aus einer
unreinen, die anderen aus einer reinen Lösung. Erstere sind
theilweise undurchsichtig und braun gefärbt, letztere voll-
kommen klar und durchsichtig, aber ausserordentlich klein;
krystallographisch sind beide ident. Die einzelnen Flächen
sind häufig gekrümmt und haben einzelne Krystalle eine Con-
figuration, welche den Anschein erweckt, als ob sie Theile
einer Kugel wären. Die Fläche 100 gibt immer eine Reihe von
Signalen.
Krystallsystem: monosymmetrisch.
Axenverhältniss: a:b :c z= 2'783:\ : 1-278.
7] = 69^22'.
Fig. 27. Fig. 28.
Die beobachteten Formen sind:
a(lOO), fw(llO), /(013).
Messungen und Rechnung sind in folgender Tabelle zu-
sammengestellt :
Krystallmessungen.
Buchstaben
Indices
Messung
Rechnung
001 :013
001 :011
16°26'
41 30
001 : 100
69 22
001 : HO
82 44
a:t
100.013
100:011
70*14'
70 14 *
74 42
100:111
61 47
a : m
100: HO
68 58
68 58 *
a' :i
100:013
109 46
109 46
!
010:011
48 30
1
010:013
73 34
010: 111
52 46
010: 110
21 2
100: 111
42 43
1 ,
m . m
110:110
42 4
42 4 *
1
011 :013
25 4
011 : Hl
12 25
m : /'
110:011
97 30
98 2
121
Die Krystalle sind gut spaltbar nach (110), (100), (013)
und sind an jedem Individuum die Spaltrisse unter dqm Mikro-
skop sichtbar.
Die Substanz ist stark doppelbrechend, auf 100 die Aus-
löschung parallel zur Kante 100: HO. Ein Axenaustritt konnte
nicht beobachtet werden.
Die Krystalle sind dichroitisch, und zwar ist es ein blosser
Absorptionsdichroismus, indem die Farbe wechselt von licht-
grün bis dunkelgrün. Verlaufen die Schwingungen parallel zur
Kante 100:110, so ist die Farbe dunkelgrün, gehen sie senk-
recht zur Kante, so erscheint der Krystall fast farblos.
Diese krystallographischen Untersuchungen wurden im
mineralogischen Museum der k. k. Wiener Universität aus-
geführt und sage ich hiemit dem Herrn Prof. Seh rauf ge-
ziemend Dank für seine gütige Unterstützung.
122 P. Heberdey, Krystallmessungen.
Inhaltsverzeichniss.
Seite
I. ß-Hemipinäthylestersäure 96
II. a-Hemipinäthyleslersäure 98
III. Trimethylcolchidimethinsäure 1 03
IV. Phenylnaphtylketon 106
V. C4H5(C2H30)N20, 107
VI. ß- Amidopropionsäure 1 08
VII. Salzsaures Salz der ß-Amido-Y-Pyridincarbonsäure 110
VIII. Goldsalz derselben Säure 111
IX. Chloroplalinat derselben Säure 112
X. C19H15N3 113
XI. C13H10N2O 115
XII. C9H9NO2 117
XIII. C9H9NO = NH 118
XIV. C5H7N3SO 1 20
123
Ober die Sehuppenbekleidung des regene-
rirten Schwanzes bei Eidechsen
Dr. Franz Werner,
Assistent am IL zoologischen Institute der k. k. Universität in Wien.
(Mit 2 Tafeln.)
Im Jahre 1888 erschienen zwei bemerkenswerthe Mit-
theilungen über die Schuppen regenerirter Saurierschwänze,
welche die Anregung zu vorliegender Arbeit gegeben haben,
da die darin niedergelegten Beobachtungen einer weiteren und
eingehenderen Untersuchung wohl werth sind.
Beide Arbeiten behandeln die früher zwar nicht selten
verzeichnete, aber auf ihre Bedeutung nicht weiter untersuchte
Erscheinung, dass bei gewissen Eidechsen die Schuppen des
nachgewachsenen Schwanzes von denen des ursprünglichen
mehr weniger auffällig verschieden sind. So berichtet Lydekker
(12), dass bei dem fossilen Ophisaurus -moguntinus Bttgr. aus
dem Ober-Oligocän von Rott der regenerirte Schwanz glatte
Schuppen nach Art derjenigen von Anguis besitzt, während
der ursprüngliche Schwanz von gekielten Wirtelschuppen
bedeckt wird. Wichtiger ist die zweite Mittheilung, welche
von Boulenger (1) herrührt, da in derselben zum ersten-
male auf die Bedeutung der veränderten Schwanzbeschuppung
hingewiesen wird. Die beiden von Boulenger eingehender
besprochenen Fälle beziehen sich auf den in die Familie der
Tejiden gehörigen Gymnophthalmus quadrilineatus und auf
eine recente Ophisaurus- hvi (O.gracilis), welche beide auf dem
regenerirten Schwanz eine Schuppenbekleidung besitzen, die
von jener des primären Schwanzes auffallend verschieden ist.
124 F. Werner,
Boulenger hat nun darauf hingewiesen, dass die Beschuppuni^
des regenerirten Schwanzes in beiden Fällen mit der normalen
und ursprünglichen, in den entsprechenden Familien vor-
kommenden Schwanzbeschuppung übereinstimmt und dass
dieses auffallende Verhalten durch Atavismus zu erklären ist.
Ich selbst hatte Gelegenheit, eine grosse Zahl von Eidechsen
mit regenerirten Schwänzen zu untersuchen und sollen in der
Folge die von mir erhaltenen Resultate aufgeführt werden.
Zuvor aber erachte ich es als meine Pflicht, meinem hoch-
verehrten Chef, Herrn Prof. K. Grobben, für die vielfache
Anregung und Unterstützung bei der Abfassung vorliegender
Arbeit meinen aufrichtigsten Dank abzustatten.
Reptilien, welche den Schwanz nicht zu regeneriren
vermögen.
Es ist seit längerer Zeit bekannt, dass die Reproductions-
fähigkeit des Schwanzes nicht allen Reptilien zukommt. So
erwähnt schon Gachet (9), dass sie den Krokodilen und
Chamaeleonten fehlt, und Fraisse (7) führt in seinem be-
kannten Werke über Regeneration auch die Chelonier und
Ophidier unter denjenigen Reptilien an, welche das Vermögen
der Schwanzregeneration nicht besitzen. Der Schwanz heilt
bei allen diesen Reptilien, mag der Verlust auf was immer für
eine Art entstanden sein, gleichviel, ob die Trennungsebene
durch einen Wirbel oder zwischen zwei Wirbeln hindurchgeht,
in eine stumpfkegelförmige, häufig schwarz pigmentirte Spitze
aus; oder die Narbe kann flach, beziehungsweise schwach con-
vex sein und dann spurlos verschwinden, indem sie von den
sie umgebenden Schuppen überwachsen wird. Ersteres ist bei
den Schlangen der Fall, von denen die Dipsadinen-Gattungen
Chrysopelea und Psammophis am leichtesten die Schwänze
durch Abreissen verlieren. Bei ihnen ist die kegelförmige Narbe
nur mit sehr wenigen, grossen Schuppen bekleidet. Letzteres
findet sich dagegen bei Schildkröten, Chamaeleonten und bei den
später zu besprechenden Varaniden; bei diesen Formen erhält
derjenige Theil der Narbe, welcher von den sich zusammen-
neigenden Schuppen nicht bedeckt wird, eine Bedeckung mit
Schuppenbekleidung des regenerirten Eidechsenschwanzes. 1 25
zahlreichen kleinen Schuppen. Bei Krokodilen scheint ein Ver-
lust des Schwanzes überaus selten zu sein; ich selbst habe
niemals ein schwanzloses Exemplar gesehen.
Ausser den bereits genannten Chamaeleonten fehlt noch
einer Anzahl anderer Eidechsenfamilien das Regenerationsver-
mögen des Schwanzes, während die grössere Zahl der Eid-
echsen den Schwanz zu reproduciren im Stande ist. Ein ähn-
iiches Verhältniss finden wir auch bei Urodelen, von denen
eine kleine Anzahl, wie Triton marmoratus und Proteus angtii-
nens nach Schreiber (16) und Fraisse (7), sowie Siren lacer-
tina nach Weismann (18) im Gegensatze zu allen übrigen
F'ormen regenerationsunfähig sind.
Unter den Eidechsen fehlt die Reproductionsfähigkeit des
Schwanzes vollständig den Varaniden, Helodermatiden und
Amphisbaenen. Dies mag mit der besonderen Difterenzirung
des Schwanzes dieser Eidechsen zusammenhängen, da der-
selbe bei den zwei letzteren Familien kurz, dick und wie der
ganze Körper mit einer dicken, zähen Haut bedeckt ist, wodurch
der Verlust des Schwanzes hintangehalten wird. Ausserdem
fehlen, wie schon Hyrtl (9a) nachgewiesen hat, den Amphis-
baenen präformirte Bruchstellen der Schwanzwirbel, was wohl
auch bei Heloderma der Fall sein wird; doch ist mir hierüber
nichts bekannt. Auch bei den Varaniden und Chamaeleonten
fehlt nach Hyrtl eine derartige Quertheilung der Schwanz-
wirbel, was im Zusammenhange mit der Ausbildung des
Schwanzes dieser Eidechsen als Waffe zur Austheilung wuch-
tiger Schläge (Varaniden) oder als Greiforgan (Chamaeleonten),
wobei continuirlich den Schwanz durchlaufende Muskeln
und Sehnen auftreten, ebenfalls den Verlust des Schwanzes
verhindert. Alle mit Greifschwänzen versehenen Eidechsen, von
denen ausser den Chamaeleonten und vielen Amphisbaenen
auch noch Stenodactylus gnttatus und wahrscheinlich auch
Agantura persica^ ferner Cophotis, Phrynocephahis mystacens
u. A., Xiphocercus und Corucia zehrata zu nennen wären, ver-
lieren den Schwanz nur bei grosser Gewaltanwendung und
regeneriren ihn wohl niemals.
126 F.Werner,
Eidechsen mit unveränderter Beschuppung des
regenerirten Schwanzes.
Mit den genannten Ausnahmen kommen in den übrigen
Eidechsenfamilien, welche ich untersuchte, Formen mit Regene-
rationsvermögen des Schwanzes vor, und zwar in manchen
häufiger, in anderen wieder seltener. In einer Anzahl von
Familien tritt nun am regenerirten Schwanz dieselbe Beschup-
pung auf wie am ursprünglichen; es trifft dies zum grössten
Theile für solche Formen zu, bei denen die Schuppen des
Schwanzes in Wirtein angeordnet sind und diese Stellung der
Schwanzschuppen eine für die betreffende Familie ursprüng-
liche ist. Hieher gehören die Familien der Lacertiden, die ihnen
nahestehenden Gerrhosauriden und Tejiden, wahrscheinlich
auch die Zonuriden, ferner die Uroplatiden und Annielliden.
Schliesslich ist hier auch Sphenodon (Hatteria) punctatus
anzuführen, bei welcher die Regenerationskraft eine besonders
grosse ist, indem dieses Thier den Schwanz mit allen seinen
grossen Tuberkelschuppen zu regeneriren vermag, was mit
wenigen individuellen Ausnahmen bei keiner echten Eidechse
der Fall ist.
Wenn auch bei allen diesen Formen bei der Regenera-
tion geringfügige Abweichungen von der Schuppenform des
primären Schwanzes vorkommen können, so sind dieselben
auf Störungen in dem normalen Wachsthum des regenerirten
Schw^anzes zurückzuführen. Normalerweise ist die Beschup-
pung des regenerirten Schwanzes bei den erwähnten Sauriern
vollkommen mit jener des primären Schwanzes in Überein-
stimmung.
Eidechsen, bei denen veränderte Beschuppung des
regenerirten Schwanzes auftritt.
In den nun zu besprechenden Familien kommen neben
Formen mit unveränderter Beschuppung des neugebildeten
Schwanzes auch in geringerer Zahl solche vor, bei welchen
sich derselbe durch veränderte Schuppenbildung vom primären
unterscheiden lässt. Es w'wd sich im Laufe dieser Unter-
Schuppenbekleidung des regenerirten Eidechsenschwanzes. 127
suchungen herausstellen, dass es die höher differenzirten, phylo-
genetisch jüngeren Formen sind, bei denen diese Erscheinung
zu beobachten ist, während die älteren, primitiveren Formen den
Schwanz mit unveränderter Schuppenbekleidung neubilden.
Es sollen nun die hier in Betracht kommenden Eidechsen-
familien der Reihe nach vorgeführt werden.
I. Geckonidae.
In dieser grossen Familie, aus der nur wenigen Arten kein
Regenerationsvermögen des Schwanzes zukommt, kommen
ausser Formen mit vollkommen gleichmässiger Beschuppung
der Oberseite, bestehend aus kleinen, sogenannten Körner-
schuppen (vergl. Fig. 4) auch solche vor, bei denen wenigstens
auf der Oberseite des Schwanzes grössere, meist gekielte oder
sogar stachlig zugespitzte, seltener glatte sogenannte Tuberkel-
schuppen auftreten, welche zwischen den Körnerschuppen in
deutlichen Querreihen oder nur auf der Ventralseite offenen
Ringen angeordnet sind (vergl. Fig. 2). Diese Querreihen von
Tuberkelschuppen stehen in gleichen Abständen, der Körper-
segm'entirung entsprechend, hintereinander.
Gegen das Ende des Schwanzes werden diese Tuberkel-
schuppen allmälig kleiner und verschwinden an der Schwanz-
spitze vollständig (vergl. Fig. 2 a). Nur bei solchen Arten, bei
welchen sie besonders mächtig ausgebildet sind, fehlen sie
auch an der Spitze nicht, sind aber dann schwach entwickelt.
Hinter jeder Tuberkelquerreihe mit Ausnahme der prä-
analen, und zwar in einem bei jeglicher Art bestimmten Ab-
stände findet sich eine vorgebildete Bruchstelle der Haut, welche
als eine feine, mehr weniger deutliche Querfurche (in Fig. 2
und 4 durch Pfeile hervorgehoben) äusserlich erkennbar ist.
Diese auch äusserlich erkennbaren Hautrissstellen finden sich
nicht nur auf dem Schwänze von Geckoniden mit Tuberkel-
schuppen, sondern auch mitunter bei solchen mit gleichartiger
Schwanzbeschuppung (vergl. Fig. 4). Anderseits können bei
manchen tuberkelschuppigen Arten, welche solche Bruchstellen
besitzen, diese äusserlich nicht erkennbar sein.
Ausser den Geckoniden besitzen auch noch alle Lacertiden
und Gerrhosauriden, die wirtelschuppigen Tejiden, die Zonu-
128 F.Werner,
riden und manche andere mit wirtelschuppigen Schwänzen
ausgestattete Eidechsen, sowie Hatteria, äusserlich sichtbare
präformirte Bruchstellen der Haut, denen wohl stets solche der
Schwanzwirbel entsprechen; sie sind aber bei denjenigen Eid-
echsen, bei welchen die Schuppen in schiefen Reihen ange-
ordnet sind, äusserlich nicht sichtbar (Scincoiden).
Es ist nicht möglich, den Schwanz einer Eidechse mit prä-
formirten Hautrissstellert an einer anderen Stelle zum Abreissen
oder Abbrechen zu bringen. Ausser mit dem Vorhandensein der
bereits erwähnten Quertheilung der Wirbel, welche von Hyrtl
(8a) und Leydig (11) bei vielen Eidechsen aus den Familien
der Lacertiden, Tejiden, Scincoiden, Anguiden, Iguaniden und
bei Pygopns gefunden wurden und in Bronn's Classen und
Ordnungen des Thierreiches (Reptilien, S. 476) auch von Hatte-
ria erwähnt ist, hängt dies auch mit der Zähigkeit der Haut
zwischen den Rissstellen zusammen.
Jedes dieser Hautsegmente eines Geckonidenschwanzes
trägt äusserlich eine Tuberkelschuppen - Querreihe und um-
schliesst die hintere Hälfte eines Wirbels (von der präformirten
Bruchstelle an) und die vordere Hälfte des darauffolgenden
Wirbels (bis zur Bruchstelle). Dasselbe finden wir bei Haiteria,
bei welcher aber auf jedem Hautsegment statt einer Tuberkel-
querreihe eine grosse, seitlich comprimirte Tuberkelschuppe in
der Medianlinie des Schwanzrückens sich befindet. Auch ein
Wirtel des Schwanzes von Zonurns entspricht einem solchen
Hautsegment des Geckonidenschwanzes.
Dagegen umschliessen am Schwänze des dem Zonurns
nahestehenden Pseudocordylns zwei Schuppenwirtel die beiden
aneinanderstossenden Hälften benachbarter Wirbel, und das-
selbe ist auch bei allen Lacertiden (vergl. Fig. 13), Gerrhosau-
riden und Tejiden der Fall. Jedes zusammengehörige Schuppen-
wirtelpaar bildet ein Doppelsegment, innerhalb welches eine
Bruchstelle nicht präformirt ist; daher erhält man beim Zer-
reissen eines solchen Schwanzes stets nur Wirtelpaare, nie-
mals aber eine ungerade Zahl von zusammenhängenden Wirtein
als letzte Theilproducte. Während die Haut also zwischen zwei
Rissstellen sehr zähe ist, trennt sie sich an der Rissstelle selbst
meist wie mit einem scharfen Messer geschnitten.
Schuppenbekleidung des regenerirten Eidechsenschwanzes. 1 29
Diese Bildung von Wirtelpaaren ist eine secundäre Er-
scheinung, welche auf der Ventralseite zuerst entsteht,
wie z. B. bei Halieria, Uromastix und verschiedenen anderen
wirtelschwänzigen Formen bemerkbar ist; eine weitere Diffe-
renzirung tritt dann insofern ein, als bei stachelschwänzigen
Formen der hintere Wirtcl des Paares die Stacheln trägt,
während der vordere unverändert bleibt (Pseuäocordylus, Stellio
u. a.) und schliesslich der vordere Wirtel des Wirtelpaares sich
rückbildet (Uromastix, Zonurus).
Die Präanalregion besitzt ebensowenig präformirte Bruch-
stellen der Wirbel als Rissstellen der Haut; es verbleiben daher,
falls alle abtrennbaren Schwanzsegmente abgerissen werden,
am Körper noch eine Anzahl von Schwanzwirbeln zurück, und
zwar 5 — 7 bei Lacertiden und Anguiden, 4—6 bei Geckoniden
und 3. — 5 bei Scincoiden.
Die Beschuppung des regenerirten Schwanzes der mit
Tuberkelschuppen ausgestatteten Geckoniden unterscheidet
sich von jener des primären durch den vollständigen Mangel
von Tuberkelschuppen (vergl. Fig. 2); der neugebildete Schwanz
erscheint in solchem Falle ausschliesslich mit kleinen, gleich-
artigen Schuppen bedeckt, die zwar bei den verschiedenen
Formen geringe Differenzen aufweisen können, immer aber
deutlich als Körnerschuppen erkennbar sind.
Es bietet uns also bei den Geckoniden das Schuppenkleid
des regenerirten Schwanzes, welchem präformirte Bruchstellen
der Haut vollständig abgehen, dasselbe Bild dar, wie das Ende
des normalen Schwanzes. Dieselbe Erscheinung beobachten wir
bei Embryonen, welche bis zu einem gewissen Alter gleichfalls
noch keine Tuberkelschuppen erkennen lassen. Die Überein-
stimmung der Beschuppung des regenerirten Schwanzes mit
jener des normalen Schwanzendes und der Schwanzbeschup-
pung der Embryonen scheint eine beachtenswerthe Thatsache
zu sein, der wir auch bei anderen Eidechsen begegnen werden.
Der Verlust des bereits regenerirten Schwanzes ist bei
den Geckoniden wie bei den meisten anderen Eidechsen (viel-
leicht mit Ausnahme der Scincoiden) selten. Ursache davon ist
das Fehlen präformirter Bruchstellen in der Haut. Weniger in
Betracht kommt der Ersatzstrang der Wirbelsäule; denn dieser
Sitzb. d. mathero.-naturw. Cl.; CV. Bd., Abth. I. 9
130 F.Werner,
bricht bei starkem Umbiegen des regenerirten Schwanzes an
jeder beliebigen Stelle, kann also ein Abbrechen desselben nicht
verhüten.
In den beiden beobachteten Fällen von Verlust des regen e-
rirten Schwanzes bei Geckoniden (bei einem Phyllodactylus
galapagensis, dessen Schwanz ich in Fig. 3 abgebildet habe,
und einem Gecko vittatus) habe ich abermalige Regeneration
constatiren können. Dieses Exemplar von Gecko vittatus^ sowie
eines von Phyllodactylus Stumpffii waren dadurch merkwürdig,
dass bei der ersten Regeneration auch die Tuberkeln reprodu-
cirt wurden, was sonst nur bei Hatteria der Fall ist, wenn
auch die Tuberkeln des regenerirten Schwanzes häufig in der
ursprünglichen regelmässigen Weise angeordnet erscheinen.
Wie wir bereits gesehen haben, findet sich die gleich-
massige Beschuppung mit Körnerschuppen, gleich wie wir sie
am regenerirten Schwänze der Geckoniden antreffen, am Ende
des normalen Schwanzes und bei Embryonen bis zu einem
gewissen Alter. Ausserdem tragen aber noch eine grosse Zahl
von Geckoniden, und zwar namentlich primitive Formen, zeit-
lebens diese gleichmässige Körnerbeschuppung, während bei
den am höchsten differenzirten und phylogenetisch jüngsten
Formen, welche vollständig verbreiterte Zehen besitzen (wäh-
rend die primitiveren Formen eine ähnliche Zehenbildung wie
die übrigen Eidechsen aufweisen), der Procentsatz an Arten
mit Tuberkelschuppen ein weit grösserer ist.
Sieht man von der aberranten, eine cycloide Beschuppung
nach Art derjenigen der Scincoiden tragenden Gattung Terato-
scincus ab, so finden wir unter den Formen, welche weder ver-
breiterte, noch geknickte Zehen besitzen, und unter welchen
wir die ursprünglichsten Geckoniden zu suchen haben, nicht
weniger als fünf Genera, in denen Tuberkelschuppen nicht
vorkommen. Ein sechstes Genus dieser Gruppe (Stenodactylus)
enthält eine einzige Art mit Tuberkelschuppen, welche jedoch
bloss am Rumpf, nicht aber am Schwanz sich vorfinden; nur
das siebente Genus, Alsophylax (inclusive Bunopus) umfasst
ausschliesslich Arten mit Tuberkelschuppen. Auch unter den
übrigen Geckoniden ist die Zahl der mit Tuberkelschuppen ver-
sehenen Formen ungefähr um die Hälfte geringer als die Zahl
Schuppenbekleidung des regenerirten Eidechsenschwanzes. 131
derjenigen, welche bloss Körnerschuppen tragen. Im Besonderen
soll hervorgehoben werden, dass alle grossen Gattungen mehr
weniger zahlreiche Arten mit gleichartiger Körnerbeschuppung
enthalten, etwa 25 Gattungen ausschliesslich aus solchen Arten
bestehen, während in relativ wenigen (etwa zehn) Gattungen
sämmtlicher Arten Tuberkelschuppen vorkommen; diesen
Gattungen, wie z. B. der grössten von ihnen, Tarentola, gehören
bereits höher differenzirte phylogenetisch jüngere Formen an.
Es ist demnach sehr wahrscheinlich, dass die homogene
Schuppenbekleidung der Oberseite, welche wir gerade bei den
phylogenetisch ältesten Geckoniden finden und auch in den
meisten übrigen Gattungen auftreten sehen, die ursprüngliche
der Familie ist und dass überall dort, wo Tuberkelschuppen
auftreten, dieselben gesondert in jeder Gattung, beziehungs-
weise in jedem grösseren Formenkreis aus Körnerschuppen
sich dififerenzirt haben, wie dies auch bei der ontogenetischen
Entwicklung der Fall ist.
Da wir also annehmen dürfen, dass die gleichmässige
Körnerbeschuppung die ursprüngliche der Geckonidenfamilie
ist, wir ferner bei den regenerirten Schwänzen auch der-
jenigen Geckoniden, in deren primärer ßeschuppung Tuberkel-
schuppen auftreten, eine gleichartige Körnerbeschuppung con-
stant wiederkehren sehen, überdies in dieser Beziehung eine
grosse Übereinstimmung bei den verschiedenen Formen besteht,
so gelangen wir zu der Annahme, dass die einfache, in der
ganzen Familie der Geckoniden vorkommende Beschuppung
des regenerirten Schwanzes eine Wiederholung der ursprüng-
lichen Schwanzbeschuppung der Familie vorstellt und ihr Auf-
treten als Rückschlag aufzufassen ist.
Damit steht im Einklänge, dass die Beschuppung der
Embryonen anfangs bioss aus Körnerschuppen besteht, sowie
die weitere Thatsache, dass auch bei den Geckoniden mit
Tuberkelschuppen die Schwanzspitze die primitive Beschup-
pung zeitlebens zu bewahren pflegt, worauf bereits an früherer
Stelle hingewiesen wurde.
Zum Schlüsse möchte ich noch auf den interessanten
Faltengecko (Ptychozoon homalocephahim) hinweisen, dessen
Schwanz, wenn intact, bis nahe zur Spitze mit seitlichen Haut-
9*
132 F.Werner,
läppen, jederseits einen an jedem Schwanzsegment, versehen
ist. Am regenerirten Schwanz (vergl. Fig. 1) ist diese äussere
Segmentirung vollständig verschwunden, es ist ein^ontinuir-
licher Hautlappen, um das neugebildete Organ herum ent-
wickelt, ähnlich wie er bei dem primären Schwänze von Uro-
plates auftritt. Bei manchen Geckoniden tritt bei der Regenera-
tion auch eine Verdickung des neuen Schwanzes an der Basis
ein, am stärksten bei Gehyra mutilata^ aber auch bei Gecko-
Arten (siehe Fig. 1) noch merklich. Sie findet sich auch bei
anderen Eidechsen (Lacerta^ Pygopus) und bei Hatteria.
II. Eublepharidae.
Diese kleine, der Geckonidenfamilie sehr nahestehende
Familie enthält Formen mit und ohne Tuberkelschuppen;
letztere Formen sind auch hier wieder als die ursprünglicheren
zu betrachten. Bei der einzigen Art, welche ich gesehen habe
fEuhlepharis macnlaritis) und welche mit Tuberkelschuppen
ausgestattet ist, fehlen dieselben am regenerirten Schwanz,
welcher demnach dasselbe Verhalten zeigt wie der primäre
Schwanz der phylogenetisch älteren amerikanischen Euble-
pharlS'Avten, E. variegatus und £. fasciatus^ die überhaupt
keine Tuberkelschuppen besitzen. Auch in diesem Falle er-
kennen wir deutlich die Rückkehr der secundären Beschuppung
zur ursprünglichen Beschuppung der Familie.
III. Pygopodidae.
Diese kleine, rein australische Familie besteht aus glatt-
und gekieltschuppigen Formen, von denen die ersteren, wie
überhaupt bei sämmtlichen Eidechsen, als die ursprünglicheren
anzusehen sind. Bei allen ist der Schwanz regenerationsfähig.
Von den beiden Gattungen mit gekielte» Schuppen habe ich
Pletholax nicht gesehen. Die Gattung Pygopti^y v^eXch^ wie
Pleiholax rhombische, gekielte Schuppen besitzt, trägt (vergl.
Fig. 5) auf dem regenerirten Schwänze glatte Cycloidschuppen,
wie solche bei den übrigen Gattungen Lialis, Delma^ Crypio-
delma und Aprasia auf Rumpf und Schwanz auftreten. Bei
diesen Gattungen ist die ursprüngliche Beschuppung der
Familie zu finden, damit im Zusammenhange die Beschuppung
Schuppenbekleidung des regenerirten Eidechsenschwanzes. 1 33
des regenerirten Schwanzes von jener des primären kaum
unterscheidbar und erstere nur an dem Mangel jeglicher Zeich-
nung zu erkennen. Es kommt also auch bei Pygopus die
ursprüngliche Schuppenform der Familie^ die wir in den vor-
erwähnten vier Gattungen erhalten sehen, am regenerirten
Schwänze zum Vorschein.
IV. Agamidae.
Aus dieser grossen Familie ist mir nur Agama stellio
(Stellio vulgaris) aus eigener Anschauung als eine den Schwanz
regenerirende Art bekannt. H. Müller (14) erwähnt zwar auch
Draco unter den Formen mit Schwanzreproduction; ich selbst
habe jedoch unter zahlreichen Exemplaren von D. lineatus,
volans u. A. niemals eines mit regenerirtem Schwänze gesehen.
Agama stellio ist eine der wenigen Agama -Arien, bei
denen die Schuppen des Schwanzes in Wirtein gestellt sind;
die Kiele der Schuppen erscheinen in eine scharfe Spitze
ausgezogen, wodurch der Schwanz wie bei vielen anderen
Eidechsen aus verschiedenen Familien {Urocentrum, Zonurus,
Lacerta echinata, Varanus acanihurtis, Egernia Stokesii u. a.)
als Waffe geeignet wird.
Die ursprüngliche Beschuppung des Schwanzes der Aga-
miden ist dies gewiss nicht, denn die weitaus grösste Zahl
aller Agama-Arien und Agamiden überhaupt trägt Schuppen
von etwa rhombischer Gestalt, welche in schiefen Reihen ange-
ordnet sind. Diese für die Familie der Agamiden ursprüngliche
Form der Beschuppung ist sogar am Schwanzende von Stellio
an manchen Exemplaren in geringer Ausdehnung nachweisbar.
Wirtelschuppige Schwänze kommen bei den Agamiden
nur in relativ wenigen Formen vor, und zwar vornehmlich
1. wenn der Schwanz, wie vorhin erwähnt, als Waffe dient,
wobei die Kiele der Schwanzschuppen in einen mehr weniger
starken Dorn auslaufen (Uromastix, Aporoscelis, Agama stellio,
microlepis, caucasica);
2. wenn der Schwanz stark seitlich comprimirt ist, in
welchem Falle die wirtelige Anordnung der Schuppen starke
seitliche Krümmungen am ehesten ermöglicht (Lophura, Gonyo-
cephaluS'Arten),
134 F.Werner,
In den zwei beobachteten, die Regeneration des Schwanzes
von Agama stellio betreffenden Fällen war der kurze, am Ende
abgerundete, neugebildete Schwanz (vergl. Fig. 6) mit den
ursprünglichen, in schiefen Reihen angeordneten, ungefähr
rhombischen Agamidenschuppen bedeckt. Es ist also auch in
dieser Gruppe eine vollständige Rückkehr zur ursprünglichen
Schwanzbeschuppung bei der Regeneration zu constatiren.
Durch eine briefliche Mittheilung von Herrn G. A. Bou-
1 enger in London, dem ich hiefür und für mancherlei andere
Aufschlüsse über in den Sammlungen des British Museum
befindliche Saurier zu grossem Danke verpflichtet bin, erfuhr
ich, dass auch Agama colonorum und actileata ihren Schwanz
regeneriren können. Nach Ansicht genannten Forschers besitzen
alle Agamiden das Vermögen der Regeneration, doch reisst der
Schwanz bei ihnen nur selten ab. Auch scheint nach meinen
Erfahrungen bis zum Eintritt des Regenerationsprocesses eine
weit längere Zeit nach dem Verluste des Schwanzes zu ver-
streichen, als dies sonst bei Eidechsen der Fall ist
V. Iguanidae.
Bei den Iguaniden ist die Regeneration des Schwanzes
weit verbreitet und tritt anscheinend viel schneller und voll-
ständiger ein als in der vorhergehenden Familie.
Auch hier ist wieder die Thatsache zu verzeichnen, dass
bei den verschiedenartigsten Formen und auch bei solchen,
bei denen die Form der Schwanzschuppen eine überaus ab-
weichende ist (wie z. B. bei dem mit stachligen Wirtelschuppen
bekleideten Schwanz von Ctenosanra pectinata), der regene-
rirte Schwanz durchwegs eine, wenn auch dem ursprünglichen
gegenüber oft veränderte, überall aber in derselben Form auf-
tretende Beschuppung erkennen lässt. Stets wird dieselbe aus
gekielten Schuppen von ungefähr rhombischer Gestalt gebildet,
welche in schiefen Reihen angeordnet sind und deren Kiele in
der Längsrichtung des Schwanzes verlaufen, was besonders
solchen Formen deutlich her\'ortritt, bei denen die Schuppen-
kiele des primären Schwanzes schief nach aufwärts gerichtet
sind, wie z. B. bei Liocephaltts Gueutheri (vergl. Fig. 8).
Schuppenbekleidung des regenerirten Eidechsenschwanzes. 13o
Etwa am primären Schwänze vorhandene Schuppenkämme
werden niemals regenerirt.
Die Beschuppung des regenerirten Schwanzes ist sehr
wenig, ja oft gar nicht verschieden von derjenigen, wie sie
der primäre Schwanz der erdbewohnenden kleinen Iguaniden,
namentlich der typisch lacertiformen Liolaemus-Arten, welche
wohl mit Recht als die phylogenetisch ältesten und am wenig-
sten differenzirten Iguaniden betrachtet werden dürfen, auf-
weist Damit im Zusammenhange ist auch die Thatsache zu
verstehen, dass bei diesen Iguaniden die Beschuppung des
secundären Schwanzes mit der des primären übereinstimmt
und ersterer äusserlich nur an dem Fehlen oder der Reduction
der Zeichnung erkannt werden kann.
Mit Recht können wir daher auf Grund der vorstehenden
Thatsachen die Vermuthung aufstellen, diese durchwegs ähn-
liche Schuppenbildung des regenerirten Schwanzes der Igua-
niden sei eine Wiederholung der ursprünglichen und ältesten
Schwanzbeschuppung der Familie.
In gleicher Weise dürfte auch das Fehlen eines supra-
caudalen Schuppenkammes auf dem regenerirten Schwänze
derjenigen Iguaniden, welche auf dem primären Schwänze
einen solchen besassen, zu erklären sein, mit Rücksicht darauf,
dass die ursprünglichen Formen der Familie keinen Kamm
besessen haben.
Bei baumlebenden Iguaniden scheint Regeneration seltener
vorzukommen als bei den Erdbewohnern. Nichtsdestoweniger
erwähnen sowohl Gachet (9), als H. Müller (14) und neuer-
dings auch Boulenger(3) Regeneration des Schwanzes bei
Iguana, was J. v. Fischer an seinem gefangen gehaltenen
Exemplar allerdings nicht constatiren konnte. Von dem Leguan
der Fidji-Inseln, Brachylophus fasciatus, habe ich den in Rege-
neration befindlichen Schwanz eines Exemplares in Fig. 7 abge-
bildet, und von Anolis erwähnt Gachet (9) das Vorkommen
von Regeneration, was ich für A, trosstilus bestätigen kann.
VI. Anguidae.
Von dieser Familie wurden früher einige Gattungen (Anguis,
OphibdeSy Diploglosstts) zu den äusserlich allerdings sehr ahn-
136 F. Werner,
liehen Scincoiden gestellt, zwei andere {Gerrhonotus und Ophi-
sattrns) dagegen mit den Zonuriden und Gerrhosauriden, sowie
einem Theil der Tejiden als Wirtelechsen oder Chalcidier zu-
sammengefasst. Wie Recht aber Cope und Boulenger hatten,
als sie die Anguidenfamilie in ihrem jetzigen Umfange auf-
stellten, das beweisen die Verhältnisse, die wir bei der Rege-
neration des Schwanzes in dieser Familie finden.
Von den Anguidengattungen, welche mir zur Untersuchung
vorlagen, regenerirt der scincoiden ahn liehe Diploglossus die
Schwanzbeschuppung vollkommen unverändert, da die cycloi-
den, glatten Schuppen, wie sie die phylogenetisch älteste
Gattung der Anguiden, Diploglossus, am deutlichsten zeigt,
die ursprünglichste Beschuppung dieser Familie bilden.
In der GMwng Ophisaurus dagegen, welche eine ganz
abweichende Art der Beschuppung zeigt, liegen die Verhält-
nisse wesentlich anders. Das Genus zählt derzeit fünf lebende
Arten, von denen zwei palaearktisch (O. apus in Osteuropa
und Westasien, O. Koellikeri in Marokko), eine (O. gracilis)
nordindisch und zwei (O. ventralis und attenttatus) nearktisch
sind. Die letztere kenne ich nicht aus eigener Anschauung.
Während die beiden palaearktischen Arten keine Spur eines
Regenerationsvermögens zeigen (wie denn auch der Schwanz
bei beiden Arten nicht ohne bedeutende Gewaltsanwendung
abgebrochen oder ausgerissen werden kann), ist die Regenera-
tionsfähigkeit wohl ausgebildet bei O. gracilis, dessen Schwanz
weniger resistenzfähig ist, und noch mehr bei O. ventralis,
welches Thier der grossen Geschicklichkeit seines Schwanzes
den Vulgärnamen »Glasschlange« verdankt.
Der primäre Schwanz von O. gracilis ist wie der übrige
Körper mit stark gekielten Wirtelschuppen bedeckt. Auf dem
regenerirten Schwänze dagegen treten, wie Boulenger (1)
angibt, glatte Cycloidschuppen auf. Dasselbe Verhältniss finden
wir bei O. ventralis (vergl. Fig. 9, wo in gleicher Weise statt
der primären Beschuppung glatte, wenn auch nicht so typische
Cycloidschuppen auf dem regenerirten Schwänze auftreten,
welche, wie bereits Burnett (4) berichtet, am basalen Theiie
unregelmässiger angeordnet sind, als dies bei O. gracilis nach
Boulenger's Abbildung der Fall zu sein scheint.
Schuppenbekleidung des regenerirten Eidechsenschwanzes. 1 37
Wir kennen noch einen dritten Fall von Regeneration bei
Ophisaurus, welcher mit den beiden vorerwähnten vollständig
übereinstimmt, und zwar bei einer bereits ausgestorbenen Art,
dem fossilen O. moguntinus Bttgr., welcher von Lydekker
(12) beschrieben wurde; auch hier treten am neugebildeten
Schwänze Cycloidschuppen wie bei Anguis auf.
Es ist also bei allen den Schwanz regenerirenden Ophi-
sattr«s-Arten die Beschuppung des regenerirten Schwanzes
gleichartig und mit der primären Beschuppung der phylo-
genetisch ältesten Formen der Familie, der scincoidenähn-
lichen Diploglossus- Arten, übereinstimmend.
Diese Thatsachen leiten auch hier wieder zu der Auf-
fassung, dass in dem Erscheinen der glatten Cycloidschuppen
am regenerirten Schwänze von Ophisaurns ein Rückschlag,
und zwar zu der Diploglossinenbeschuppung, zu erkennen
ist Die Ableitung der gekielten Wirtelschuppen aus glatten
Cycloidschuppen ergibt sich aus der Vergleichung der Formen-
reihe Diploglossus — Anguis (Seitenschuppen) — Ophisaurns
ventralis (Seitenschuppen) — Ophisaurus gracilis.
Unter den Anguiden macht die Gattung Gerrhonoius eine
Ausnahme, indem die gekielten Wirtelschuppen des primären
Schwanzes auch auf dem regenerirten Schwänze wieder auf-
treten. Wir können daraus schliessen, dass diese Gattung oder
deren Stammform, welche in dem Besitze von vier wohlent-
wickelten Extremitäten ursprünglichere Verhältnisse darbietet
als Ophisaurus, diesen fusslosen Seitenzweig zu einer Zeit
abgegeben haben muss, als bei ihr selbst die Regeneration des
Schwanzes noch mit cycloider Beschuppung vor sich ging.
Zur besseren Erläuterung der verwandtschaftlichen Be-
ziehungen der Anguiden füge ich nachfolgendes Schema bei.
In der einzigen Gattung der kleinen, den Anguiden nahe-
stehenden Familie der Annielliden wird der Schwanz, wie ich
bei Anniella pulchra gesehen habe, unverändert, mit glatten
Cycloidschuppen wie bei Anguis regenerirt.
Ferner mag noch hervorgehoben werden, dass, während
Ophiodes (aus welcher Gattung ich durch die Liebenswürdigkeit
vom Herrn Prof. O. Boettger Exemplare von O. striatus und
O.intermedius aus dem Senkenbergischen Museum zur Ansicht
138
F. Werner,
erhielt) den Schwanz in wenig verringerter Länge und unver-
änderter Form reproducirt, die Blindschleiche (Anguis fragilis)
in Nieder- und Oberösterreich, auf den istrianischen und
jonischen Inseln, wo sie überall häufig ist, den Schwanz nur
bis zu einer Länge von höchstens 1 cm Länge zu regeneriren
im Stande ist, was ich an Hunderten von Exemplaren zu
Gerrhonotus-ahnWcht Stammform des
wirtelschuppigen Anguidenzweiges
Diploglossus-öhnWcht
Stammform
constatiren im Stande war. Die Beschuppungsverhältnisse bei
Anguis und Ophiodes erinnern sehr an die von Ophisaunis
ventralis; es finden sich, allerdings glatte, Wirtelschuppen
an den Seiten des primären, Cycloidschuppen auf dem regene-
rirten Schwanz; doch ist der Unterschied hier nicht mehr so
scharf als bei Ophisaurus, da diese Gattungen der Stammform
noch viel näher stehen. Der neugebildete Schwanz der Blind-
schleichen bildet einen stumpf kegelförmigen Zapfen, welcher
auf der Unterseite schwarz pigmentirt ist. Ich füge noch hinzu,
dass Renkin (15) die Zahl der Schuppen rund um den Schwanz
beim regenerirten Organ grösser fand als beim primären; so
einmal 20 am nachgewachsenen, 10 am ursprünglichen, ein
anderesmal 18 an ersterem, 12 am letzteren.
Schuppenbekleidung des regenerirten Eidechsenschwanzes. 1 39
VII. Tejidae.
Die meisten Arten dieser Gattung besitzen Schwänze mit
Wirtelschuppen wie unsere Lacertiden; sowohl die echten
Tejiden, als auch die Cercosaurinen, welche in ihren extremsten
Formen schon an die Amphisbaenen erinnern. Nur eine kleine
Zahl von Formen trägt wie die Scincoiden glatte Cycloid-
schuppen auf Rumpf, Schwanz und Extremitäten, und diese
Formen wurden früher auch in der That als Scincoiden ange-
sehen, ja der bedeutende russische Herpetolog Alexander
Strauch vertrat diese Ansicht auch dann noch, als Cope und
nach ihm Bou lenger bereits festgestellt hatten, dass man es
hier mit Tejiden zu thun habe, die bloss durch Convergenz, wie
so manche Geckoniden (Teratoscincus, Teratolepis, GeckolepisJ
das vollständige Aussehen von Scincoiden erhalten haben. Die
Richtigkeit dieser Einreihung wurde später in überraschender
Weise dadurch bestätigt, dass Boulenger auf dem nach-
gewachsenen Schwänze von Gymnophthalmus qttadrilineatus
(vergl. Fig. 12), einer dieser cycloidschuppigen Tejiden, regu-
läre Wirtelschuppen constatiren konnte, wie sie die Tejiden,
besonders die Cercosaurinen, normalerweise besitzen. Dieser
Fall, der zweite von Boulenger (1) beschriebene und abge-
bildete, ist also wieder als Rückschlag zu der allgemein vor-
kommenden und zweifellos ursprünglichen Tejidenbeschup-
pung zu betrachten, wie schon Boulenger selbst hervorhob.
Es ist zu erwarten, dass wie bei Gymnophthalmus auch
bei dem gleichfalls cycloidschuppigen Tretioscincus bifasciatus
am regenerirten Schwänze die Cercosaurinen -Beschuppung
wieder auftritt.
Alle wirtelschuppigen Tejiden dagegen regeneriren den
Schwanz mit der ursprünglichen Wirtelbeschuppung, also ohne
Veränderung, geradeso wie die Lacertiden und Gerrhosauriden.
Vin. Scincoidae.
Wir kommen nun zur letzten Gruppe von Eidechsen, bei
denen der regenerirte Schwanz in seiner Schuppenbekleidung
vom ursprünglichen verschieden ist, nämlich zu der grossen
140 F.Werner,
Familie der Scincoiden. In derselben kommt Regeneration wohl
fast durchgehends vor, und nur die kurz- und dickschwänzigen
Arten der Gattungen Tiliqua und Trachysaurtis, sowie die mit
einem Greifschwanz ausgestattete Corneia zehrata der Salo-
mons-Inseln machen vielleicht eine Ausnahme.
Die gewöhnliche und allgemein verbreitete Beschuppung
der Scincoiden besteht aus glatten oder mit zwei oder mehr
(bis 9) Kielen versehenen Cycloidschuppen. Die Kiele fehlen
den Embryonen, wie ich bei Mahuia- Arten gesehen habe,
ungefähr bis zu dem Alter, in welchem Färbung und Zeichnung
erkennbar werden. Die Unterseite des Schwanzes besteht stets
aus glatten Cycloidschuppen, die gegen die hintere Schwanz-
hälfte häufig in breite schilderähnliche, in einer Längsreihe
stehende Schuppen übergehen.
Der Schwanz wird nun bei den Scincoiden in der Weise .
regenerirt, dass 1. die Schuppenkiele der Oberseite, wenn solche
auf dem ursprünglichen Schwänze vorhanden waren, bei der
Regeneration nicht mehr auftreten (vergl. Fig. \0a) und dass
2. nicht nur auf der ganzen Ventral-, sondern auch auf der
Dorsalseite des neugebildeten Schwanzes je eine Längsreihe
grosser, quer verbreiterter, ungefähr sechseckiger Schuppen
mit convexem Hinterrande erscheinen (Fig. \0b und IIa).
Derartige Supracaudalschilder sind mir nur noch von einem
scincoidschuppigen Gecko, Teratoscinctis scincus, bekannt, wo
sie aber auf dem primären Schwänze vorkommen und mit Rück-
sicht auf das ganz isolirte Auftreten in dieser Familie als selb-
ständige Bildungen angesehen werden müssen. Dagegen fehlen
sie meines Wissens durchaus bei den scincoidschuppigen Re-
präsentanten aller übrigen Eidechsenfamilien. Diese Regel ist
so allgemein giltig, dass sich der Satz aufstellen lässt: Jede
scincoidschuppige Eidechse mit Supracaudalschildern auf dem
regenerirten Schwanz gehört der Scincoidenfamilie an.
Diese Supracaudalschilder kommen aber bei einigen Scin-
coiden, nämlich bei Lygosoma cyanurum, Sein ais- Arien, schon
am primären Schwänze vor, und zwar soll noch hervorgehoben
werden, dass es auch hier wieder das Schwanzende ist, welches
die mit jener des regenerirten Schwanzes übereinstimmende
Beschuppung aufweist.
Schuppenbekleidung des regenerirten Eidechsenschwanzes. 141
Diese beiden Thatsachen, nämlich das Vorkommen von
Supracaudalschildern am primären Schwanz einer Anzahl von
Scincoidenarten und das Erscheinen derselben Beschuppung
am regenerirten Schwänze anderer, nahestehender Formen führt
auch hier wieder zur Anschauung, dass diese Beschuppung
mit breiten Supracaudalschildern für die Familie der Scincoiden
eine ursprüngliche ist und weist umgekehrt darauf hin, dass es
sich bei dem regenerirten Schwänze um Rückschlag handelt.
Dasselbe wie von den Supracaudalschildern gilt auch von den
subcaudalen, die aber am primären Schwanzende weit häufiger
sind als jene.
Eine zweimalige Regeneration des Schwanzes habe ich
bei Lygosoma cyanurum beobachtet und in Fig. 1 \a abgebildet;
sie dürfte aber auch bei anderen Scincoiden nicht allzu selten
sein, ist jedoch bei vollständiger Ausbildung beider regenerirter
Schwanzstücke kaum mehr nachweisbar.
Sehlussbemerkungen und Zusammenfassung der
Ergebnisse vorliegender Arbeit.
Es erübrigt noch, auf einige Punkte hinzuweisen, welche
einer Aufklärung bedürftig wären, um ein vollständiges Bild von
den Beschuppungsverhältnissen des regenerirten Eidechsen-
schwanzes zu erhalten. So ist mir z. B. über die Reproduction
des Schwanzes bei den Zonuriden nicht mehr bekannt, als mir
durch Herrn Boulenger freundlichst mitgetheilt wurde, näm-
lich ihr Vorkommen bei Chamaesaura und Psetidocordylus.
Von speciellem Interesse wäre die Art der Beschuppung
des regenerirten Schwanzes bei allen jenen Eidechsen, die
eine Beschuppung des primären Schwanzes aufweisen, welche
von der für die betreffende Familie typischen abweicht. Solche
Eidechsen mit von der normalen relativ stark verschiedenen
Schuppenbekleidung des primären Schwanzes wären die Lacer-
tidengattung Holaspis und die Lacerta echinata^ die Tejiden-
gattungen Dracaena und Tretioscincus, die Scincoiden Tribolo-
nottts und die stachelschwänzigen Arten der Gattung Egernia,
die Geckonidengattungen Teratoscincus und Nephrurus nebst
den breitschwänzigen Gymnodactylus- AvtQn G. platyitrus und
milinsii u. A.
142 F.Werner,
Auch die kleinen Familien der Dibamiden, Anelytropiden,
Xanthusiiden und Xenosauriden, über welche mir bezüglich der
Regenerationsverhältnisse nichts bekannt geworden ist, wären
diesbezüglich zu untersuchen.
Die Ergebnisse meiner Untersuchungen lassen sich in
folgenden Sätzen zusammenfassen:
1. Die Schuppen des regenerirten Schwanzes derjenigen
Saurier, welche denselben mit veränderter Beschuppung rege-
neriren, sind stets so beschaffen wie am primären Schwänze
bei den ursprünglicheren, phylogenetisch ältesten Formen der
betreffenden Familien; daher werden alle neu erworbenen, eine
weitergehende Differenzirung gegenüber den ursprünglicheren
Formen bekundenden Bildungen, wieTuberkelschuppen, Kämme,
Dornen und Schuppenkiele nicht reproducirt.
2. Bei der Regeneration des Schwanzes aller denselben mit
veränderter Schuppenform neubildender Saurier geht die etwa
vorhandene äussere Segmentirung der Beschuppung, sowie die
Entwicklung präformirter Bruchstellen der Haut zugleich mit
der Differenzirung einer Wirbelsäule verloren.
3. In denjenigen Fällen, in denen die Beschuppung des
primären Schwanzendes eine von der des übrigen Schwanzes
abweichende ist, stimmt der secundäre Schwanz mit dem nor-
malen Schwanzende überein, welches sich somit in dieser Hin-
sicht als in einem ursprünglichen Zustande befindlich erweist.
4. Differenzirungen des Schuppenkleides, welche am rege-
nerirten Schwänze der Eidechsen fehlen, wie Tuberkelschuppen,
Schuppenkiele u. dergl., sind auch bei Embryonen derselben
Arten bis zu einem gewissen Alter nicht nachweisbar.
5. Die Regeneration des Schwanzes fällt meist aus oder
ist wenigstens beschränkt, wenn derselbe eine specielle Diffe-
renzirung als Waffe oder Greiforgan erfahren hat.
6. Bei zweimaliger Regeneration stimmt der tertiäre Schwanz
mit dem secundären vollständig in der Beschuppung überein.
7. Innerhalb derselben Familie stimmen die regenerirten
Schwänze aller Formen in der Regel miteinander bezüglich der
Beschuppung überein.
Schuppenbekleidung des regenerirten Eidechsenschwanzes. 143
Verzeichniss der benützten Literatur.
(1) Boul enger, On the Scaling of the reproduced tail in Lizards
(Proc. Zool. Soc. London, 1888, p. 351).
(2) — Catalogue of Lizards in the Collection of the British
Museum, London 1885—1887.
(3) -- Über Iguana tuberculata (Proc. Zool. Soc. London,
1891, p. 466).
(4) Burnett, Über Ophisaurus ventralis (Proc. Boston Soc. IV,
p. 229 (1853).
(5) Darwin, Variiren der Thiere und Pflanzen etc. II. Bd.
3. Aufl., 1878, S. 313 (übers, von Carus).
(6) Fischer, J. v., Der Leguan (Iguana tuberculata Lau r.) in
Gefangenschaft (Zoolog. Garten, 1882, S. 237).
(7) Frais se. Die Regeneration von Geweben und Organen bei
den Wirbelthieren, besonders Amphibien und Reptilien.
Cassel und Berlin, 1885.
(8) — Neue Beobachtungen über Regeneration (Biolog. Cen-
tralblatt, 15/2 1883, Nr. 20, S. 625).
(9) Gachet, Memoire sur la reproduction de la queue des
reptiles sauriens (Actes de la Societe Linneenne de Bor-
deaux Nr. 36, 25 juillet 1834).
(9a) Hyrtl, Über normale Quertheilung der Saurierwirbel
(Sitzungsber. der Akad. der Wissensch. Wien, Bd. 4, 1853,
S. 185).
(10) Kerbert, Über die Haut der Reptilien und anderer Wirbel-
thiere (Archiv für mikroskop. Anatomie, Bd. XIII, S. 205,
1876).
(11) Leydig, Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier.
Tübingen, 1872.
(12) Lydekker, Cat. Foss. Rept. a. Batr. Brit. Mus. (Nat. Hist.)
Bd. I, p. 278.
(13) Müller Fritz, Haeckel's biogenet. Grundgesetz bei der
Neubildung verlorener Glieder (Kosmos, Bd. VIII, S. 388).
144
F. Werner,
(14) Müller H., Über Regeneration der Wirbelsäule und des
Rückenmarkes bei Tritonen und Eidechsen (Gratulations-
schrift der phys.-med. Gesellsch. in Würzburg zu der
Jubelfeier der Senkenberg. Gesellsch. in Frankfurt a. M.,
1864).
(15) Renkin, On the structure and habits of the slow-worms
(Anguis fragilis Linn.) (Edinburgh new Philosophical Jour-
nal, Vol. V, new Series, 1857).
(16) Schreiber, Über den Rippenmolch, Pleurodeles Waltlii
Michals. (Zool. Garten, 1878, S. 325, Anm.).
(17) — Herpetologia Europaea, Braunschweig, 1875.
(18) Weismann, Das Keimplasma, eine Theorie der Ver-
erbung. Jena 1892.
Verzeichniss der untersuchten Arten.
(Nur regenerirende sind hier aufgeführt.)
Rhynchocephalia.
Sphenodon ( Hatten a) punctatns Gray
Sauria.
I. Geckonidae.
Gymnodactyltis rtissowii Strauch
» pulchellus Gray
» Kotschyi S t d c h r.
Gonatodes marmoratus Bedd.
» africanus Werner
Phyllodactylus clisae Werner
» stumpffii Bttgr.
» galapagcnsis
DiplodactyUts strophurus D. ß.
> vittattis Gray
Ptyodttciyltis lohatus G e o f f r.
Hemidaciyltts Jrenattis DB.
* fasciatiis Gray
» ittrcicus L.
» brookii Gray
Hemidactylus ghaäowii M u r r a y
persictis And.
maculatus DB.
triedrus Daud.
leschenauUii DB.
giganlcns Stoi.
coctaei DB.
sinaitus Blngr.
bowringii Gray
platyurus Sehn.
Thecadaclylns rapicaudns Houtl.
Gehyra mtitilala Wie gm.
> oceanica Less.
Lepidodactylus cyclunis Gthr.
Hoplodactylus pacificHS Gray
» granulatus Gray
Gecko verlicillatus Säur.
» inonarchus DB.
» vittatus Houtt.
Ptychozoon homalocephalttm Crev.
Geckolcpis mactilaia Ptrs.
Tarentola maitritanica L.
Schuppenbekleidung des regenerirten Eidechsenschwanzes. 14o
Tareniola annularis G e o ffr.
> delaJandii DB.
» gigas Boc.
n. Eublepharidae.
Eublepharis macularius B 1 y t h
m. Uroplatidae.
Uroplatcs fimbriatus Sohn.
IV. Pygopodidae.
Pygopus lepidopus Lac.
Lialis burtoni Gray
V. Agamidae.
Agama siellio L.
VI. Iguanidae.
Änolis trossulus Cope
Liolaemus nitidus W i e g m.
» chilensis Less.
» lemniscatus Gravh.
> cyanogasUr DB.
» fitzingeri DB.
» /<;«tt/5 DB.
Liocephalus Guentheri B 1 n g r.
Tropidurus pcruvianus Less.
» iorquatus W i e d .
» hispidus S p i X
Uraniscodon unibra L.
Brachylophus fasciatus B r o n g n.
Cienosaura acanthura Shaw.
Dtpsosaurus dorsalis BG.
SceUporus scalaris W i e g m.
Sceleporus nndulatus Dand.
» acanthin W5 B o c o u r t
VII. Anguidae.
Gerrhonoius coendeus W i e g m.
Diplodactylus striatus Gray
Ophisäurtts ventralis L.
Opkiodes striatus S p i x
» intermedius Bttgr.
Anguis fragilis L.
VUI. Anniellidae.
Anniella pulchra Gray
IX. Lacertidae, X. Tejidae und
XI. Gerrhosauridae.
Zahlreiche Arten aus zusammen
20 Gattungen untersucht.
XII. Scincoidae.
Mabuia perroteii DB.
» carinata Sehn.
> multifasciata Kühl etc.
Lygosoma cyanurum Less. u. v. a.
Ckalcidcs ocellatus Forsk.
» sepoides And.
• tridactylus Leiur,
» mionccton Bttgr. etc.
Eumeces Schneideri Daud.
» marginatus Hall.
Scincus fasciatus Ptrs.
» officinalis Laur.
» muscatensis Murray
Ablepharus pannonicus Fitz.
Tafel-Erklärung.
Tafel I.
Fig. 1. Schwanz von Ptychozoon homalocephalum (Java) zur Hälfte regenerirt
(von oben).
» 2. Schwanz von Gecko verticillatus (Java) grösstentheils regenerirt (von
oben).
Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl. ; CV. Bd., Abth. L 1 0
146 F. Werner, Schuppenbekleid. des regen. Eidechsenschwanzes.
Fig. 2 a. Primäres Schwanzende derselben Art.
» 3. Schwanz von Phyllodactylus galapagensis zweimal regenerirt (von
oben).
» 4. Schwanz von Hemidaciyttis platyurus (Cambodja) zur Hälfte regene-
rirt. Man sieht die präformirten Bruchstellen am primären Schwanz
(von oben).
» 5. Schwanz von Pygopus' Upidopus (Australien) regenerirt (von oben).
»6. » » Agama stdlio (Griechenland) > » »
> 7. * » Brachylophiis fasciatus (Fidji-Inseln) regenerirt (von der
Seite).
Tafel II.
Fig. 8. Schwanz von Liocephalus Guenthcri (Ecuador) regenerirt (von der
Seite).
» 9. Schwanz von Ophisaurus ventraJis (Nordamerika) regenerirt (von der
Seite).
» 10/?. Schwanz von Mabuia multifasciata (Java) regenerirt (von oben).
> \0b, » » » » > » (von unten).
»10c. Normales Schwanzende von Mabuia mnlU/asciata (Java) (von oben).
> lOd. » » » » » » (von unten).
» 1 \a. Schwanz von Lygosoma cyanitrum (Amboina) zweimal regenerirt (von
oben).
* Wh, Normale hintere Schwanzhälfte von Lygosoma cyanurum (Amboina)
(von oben).
» 12. Schwanz von Gymnophthalmus quadrilineatus regenerirt (nach der
Abbildung von Boulenger).
» 13. Doppelter Schuppenwirtel des Schwanzes von Lacerta viridis (Seg-
ment, enthaltend die hintere Hälfte eines Wirbels, von der präformirten
Bruchstelle an und die vordere Hälfte des darauffolgenden Wirbels bis
zur präformirten Bruchstelle. Bs präformirte Bruchstelle der Wirbel,
M Muskelzapfen, 5 die zu zwei Muskeln gehörige Sehne.
B bedeutet bei allen Figuren die Bruchstelle des Schwanzes, woran sich
der regenerirte Schwanz ansetzt.
F. Werner . Schuppenbekldg. d.re|eiier. Eidechsen Schwanzes . T«f. L
-iB.
'. 2B
\ kaXDtiäi LiOi Allst r.TKB«ini«rmrfli.vr\fn
Sitzungsberichte d.kais. Akad. d. Wiss., matb.-naturw.Qasse^Bd.CV. Abth.I. 1896.
F.Wemer : SchuppenbeWdg. d.regener. Eidechsen Schwanzes . Taf n.
8 lltf 9
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10.
B
' 12.
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Sitzungsberichte d.kais. Akad. d.Wiss., math.-naturw.Clas8e,Bd.CV. Abth.1. 1896.
147
Geomorphologisehe Beobachtungen aus
Norwegen
Dr. Eduard Richter,
o. ö. Professor der Geographie an der k. k. Universität in Graz.
(Mit 2 Tafeln und 2 Textfiguren.)
Die gegenwärtige Landoberfläche Skandinaviens hat mit
der ursprünglichen Begrenzungsfläche der gefalteten und ge-
hobenen Massen, aus denen das Land aufgebaut ist, nichts
mehr gemeinsam. Ungeheure Mengen festen Materiales sind
durch die denudirenden Kräfte entfernt worden. Selbst die
Gesteine der höchsten Gipfel des Landes zeigen Spuren einer
Druckmetamorphose, welche auf das Vorhandensein mächtiger,
einst überlagernder Schichtfolgen schliessen lassen; Brögger
hält es nicht für unmöglich, dass eine 5000 — 10.000 w dicke
Gesteinsschicht entfernt worden ist; ^ sicherlich ist der jetzige
Gebirgskörper nur ein Rest einstiger weit mächtigerer Massen.
Die heutige Landoberfläche ist also eine Denudations-
Oäche; die Formen, denen wir begegnen, sind Erzeugnisse der
abtragenden Kräfte. Die tektonischen Vorgänge einer längst
verflossenen Zeit sind für sie nur insofern massgebend, als
bestimmte Gesteinsfolgen dadurch an bestimmte Örtlichkeiten
gebracht worden sind. Für die relative Höhe der einzelnen
Theile der Oberfläche und für die darnach sich ergebenden
Formen ist vor Allem die verschiedene Härte und Wider-
standskraft der verschiedenen Gesteine massgebend gewesen.
Tektonische Vorgänge haben die Gesteine in bestimmte Lagen
1 W, C. Brögger, Lagfölgen paa Hardangervidda. Kristiania, 1893,
S. 118.
10*
148 E.Richter,
gebracht; da der Widerstand dieser Gesteine gegenüber dem
über sie hingehenden Hobel der Denudation nicht der gleiche
war und das Werkzeug selbst nicht überall in gleicher Weise
wirkte, so ist die abgehobelte Fläche nicht ganz eben, und
insofern kommt die Tektonik zu einer gewissen Bedeutung.
Will man eine einzelne Form, den Bau einer Örtlichkeit
erklären, so wird man die Untersuchung der Tektonik nicht
entbehren können. Man kann aber die Sache auch anders
anfassen. Die verschiedenen denudirenden Kräfte lassen ver-
schiedene ihrer Eigenart entsprechende Spuren zurück; die
Wirkungen der fliessenden Gewässer, der Gletscher, der Ver-
witterung sind als solche ziemlich genau erkennbar und ver-
ständlich. Diese Spuren werden von dem Materiale, in das sie
eingegraben sind, nicht allzu sehr beeinflusst; sie behalten
gewisse Züge unter allen Umständen bei. Besonders die kry-
stallinischen Gesteine, seien sie plutonisch oder jüngere um-
gewandelte Schichtfolgen oder welchen Ursprungs immer,
bewahren stets ein gleichmässiges Verhalten gegenüber der
Denudation. Ihnen stehen die kalkigen, meist geschichteten
Gesteine ohne Rücksicht auf ihr geologisches Alter als Erzeuger
einer zweiten Formengruppe gegenüber, die in wesentlichen
Zügen von der ersten abweicht.
In Norwegen sind nur die krystallinischen Gesteine für
die Physiognomie des Landes massgebend. Deshalb wieder-
holen sich auch im ganzen Lande mit Ausnahme des Lofoten-
gebietes die Formen der Oberfläche in einer sehr auffallenden
Weise; das Land hat einen durchaus einheitlichen Charakter.
Daher die Landschaft von dem Einen monoton, von dem Andern
als stylvoll empfunden wird.
Dem Studium dieser allgemein herrschenden, sich so oft
wiederholenden Formen der Denudation in den norwegischen
Gebirgen war eine Reise gewidmet, die ich mit Unterstützung
der kaiserl. Akademie der Wissenschaften — der ich hiemit
meinen ergebensten Dank ausspreche — unternehmen
konnte. Sie führte mich durch die Gegenden am Hardanger-,
Sogne- und Nordfjord, durch Jotunheim und das Fjeldgebiet
an der oberen Otta nach Trondheim und bis zu der gross-
artigen Inselreihe der Lofoten.
.^.j
Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen. 1 49
Es soll im Folgenden versucht werden, einige Beobach-
tungen über die Bedeutung und die Aufeinanderfolge der herr-
schenden Denudationsformen darzulegen. Auf die bekannten
Thatsachen der norwegischen Geologie und die älteren Dis-
cussionen, an denen sie so reich ist, einzugehen, habe ich keine
Veranlassung.
Der auffallendste Zug im landschaftlichen Charakter Nor-
wegens ist der schroffe Gegensatz zwischen Fjord- und Fjeld-
landschaft. Dort die energischesten Erosionsformen, die man
sehen kann, tiefe Thalspalten, hohe und steile Wände, sehr
grosse Neigungswinkel; hier eine flachwellige Berg- oder Hügel-
landschaft von ganz entgegengesetztem Styl, breite Thäler, noch
breitere Rücken, alles ruhig, langgedehnt und einförmig.
Die Fjeldthäler,
Thal und Berg tragen auf der norwegischen Hochfläche
in gleicher Weise die Spuren einer überaus machtvollen Eis-
wirkung an sich. Sind die Berge gerundet, so sind die Thäler
muldenartig ausgeschliffen und ihres regelmässigen Gefälles
beraubt; zahlreiche langgestreckte Thalseen folgen fast ununter-
brochen auf einander, durch Kaskaden mit einander verbunden.
Je höher die Lage des betreffenden Thalstückes ist und je näher
der Wasserscheide es liegt, desto ausgesprochener sind diese
Züge. Fertige Flussstücke von normaler, den hydrographischen
Gesetzen entsprechender Beschaffenheit findet man auf der
Höhe des Fjeldes so gut als gar nicht. Sie treten erst viel
weiter thalabwärts auf. Dafür sind blinde Thäler und Thal-
wasserscheiden häufig.
Hier ist die wahre Glaciallandschaft; hier kann man sehen,
was das Eis vermag und wie es wirkt. Darnach kann man
die weniger sicheren oder ganz zweifelhaften Eiswirkungen in
anderen Theilen Europas, besonders in den Alpen beurtheilen
und kritisiren. Hier ist die Eiswirkung so deutlich, dass nur der
Umstand fraglich bleibt, was von den jetzt erkennbaren Formen
noch präglacial ist. Dass die glaciale Abnützung gross genug
war, um die Oberfläche wesentlich umzugestalten, scheint nicht
zu bezweifeln. Dafür ist der zwingendste Beweis der Bestand
der zahllosen tiefen. Felsbecken, in denen sich jetzt Seen
150 E.Richter,
befinden. Wenn man auch mit Drygalski^ und Fugger
annimmt, dass der Gletscher nur dort Seebecken auszuschleifen
vermag, wo die Verwitterung entsprechend vorgearbeitet hat,
so bleibt doch auch bei solcher Auffassung noch die Vor-
stellung einer ungeheuren Wucht und Macht der eiszeitlichen
Firnbewegung und einer Wirkung auf den Untergrund bestehen,
die alles weit hinter sich lässt, was die heutigen und auch die
eiszeitlichen Alpengletscher vermochten. Die Seebecken der
Fjeldlandschaft wird man nur der Eisarbeit zuschreiben
können.
Denkt man sich einen Untergrund von local ungleicher
Härte und Widerstandskraft durch lange Zeit der Einwirkung
einer sich bewegenden Eislast ausgesetzt, so wird das Ergab-
niss ein Relief sein, welches ausschliesslich dem Entgegen-
wirken dieser zwei Factoren, der Gesteinshärte und der Eis-
bewegung entspricht: die härteren Partien des Gesteines aus den
weicheren herausgeschält; sich treffende und wieder trennende
breite thalähnliche Mulden und Vertiefungen um die härteren
Bodenpartien, die als Hügel emporragen, sich herumschlingend;
das Ganze geneigt in der Richtung des allgemeinen Eisabflusses.
Nach Verschwinden des Eises müsste ein solches Oberflächen-
stück zu einem sehr grossen Theile seiner Fläche mit Binnen-
seen bedeckt sein; das System der Entwässerung wäre unge-
mein complicirt, die Wasserscheiden wären höchst verwickelt,
Gabelungen und Wasserfälle häufig.
Ohne Zweifel entsprechen gewisse enger umschriebene
Partien des norwegischen Fjeldes ziemlich genau diesem
speculativ abgeleiteten Bilde der echten Gletscherboden-Land-
schaft; so z. B. das Sogne- oder Dölefjord in der Umgebung
des Praestesteinvand, in gewissem Grade wahrscheinlich auch
Hardangervidden; leider konnte der Verfasser diesen inter-
essanten Landstrich wegen andauernden schlechten Wetters
nicht besuchen.
Im Ganzen und Grossen wäre es aber doch unrichtig, die
Oberfläche des ganzen norwegischen Fjeldes nur als glaciale
1 Ein typisches Fjordthal. Richthofen-Festschrift.
2 Die Entstehung der Gebirgsseen. Mitth. der Wiener Geogr. Ges., 1896.
Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen. 151
Denudations- oder Abarasionsplatte aufzufassen. Ein prägla-
ciales Thalsystem, das in der Hauptsache mit dem heutigen
zusammenfallt, ist unverkennbar. Das sieht man z. B. im Fluss-
gebiet der oberen Otta ganz deutlich. Die Thäler tragen zwar
noch heute den glacialen Charakter in hohem Grade an sich;
sie sind aber doch präglacial, und zwar deshalb, weil sie nach
hydrographischen Gesetzen angeordnet sind. Zeichnet man das
Flussnetz jenes Gebietes ohne Terrain, so sieht man ein ganz
reguläres hydrographisches Netz, an dem keine Störung durch
eine fremde, unhydrographisch wirkende Kraft zu bemerken
ist. Verrathen doch sonst sofort die blossen Linien der Fluss-
läufe derartige Störungen, wie die geknickten Flussthäler im
Faltensystem des Jura oder die rücklaufenden Bäche in den
Centraldepressionen der eiszeitlichen Gletscher auf dem Alpen-
vorlande. Postglacial kann dieses Thalsystem nicht sein, denn
die Thäler sind glacial verwandelt, das frühere Gefälle ist
durch Aufdämmungen und Auskolkung gestört; es kann aber
auch nicht rein glacial sein, weil es dann gar keine Ähnlichkeit
mit einem regulären Flussnetz besässe. Ein solches ist aber als
Grundriss des jetzigen Entwässerungssystems durchwegs vor-
handen.
Auch die allgemeine Abdachung steht mit der Flussrichtung
des Eises in Widerspruch. Es ist wohl nicht zweifelhaft, dass die
Eisscheide östlich von der jetzigen Wasserscheide gelegen hat,
dass also die Eismassen auf dem Räume zwischen den beiden
Scheiden sich nach Westen bewegt haben, während die Ent-
wässerung gegenwärtig in der Richtung nach Osten und* Süd-
osten erfolgt. Die Thäler dieses Landstriches sind also prä-
glacial und haben sich gegen die Stossrichtung des Eises
erhalten.
Veränderungen des präglacialen Thalsystems durch die
Eisüberlagerung haben ohne Zweifel in nicht geringer Zahl
stattgefunden. Dafür zeugen Doppelthäler, wasserlose Thal-
stücke und ähnliche Erscheinungen, von welchen Härtung^
einige zusammengestellt hat. Deutliche Spuren grossartiger
Aufdämmungen glaube ich im östlichen Theile von Jotunheim
1 Berliner Zeitschr. für Erdkunde, XIII.
152 E.Richter,
wahrgenommen zu haben; im Ganzen und Grossen folgen aber
die norwegischen Flüsse doch den Spuren ihrer präglacialen
Vorgänger.
Gegenwärtig arbeiten die Bäche und Flüsse an der Zer-
störung des glacialen Charakters der Landschaft. Wenn man
aber bemerkt, wie wenig loses Material hier zur Ausfüllung der
Seen und Ausschleifung der Thalriegel zur Verfügung steht,
wie die Bäche und Flüsse krystallhell über die Gneissplatten
hinschiessen, die von eherner Glätte und Festigkeit zu sein
scheinen, so begreift man, weshalb die Eisspuren hier noch so
frisch erscheinen.
Auch die Thalgehänge zeigen ein ganz anderes Aussehen
als in solchen Gebirgen, die vorwiegend vom fliessenden Wasser
modellirt sind. Während dort die Thalwände grösserer Thäier
eigentlich nur aus den coulissenartig vorspringenden Berg-
körpern bestehen, die die Seitenthäler nächst niedrigerer Ord-
nung von einander trennen, sind hier die Wände der glacialen
Trogthäler auf Stunden hin ganz ungegliedert und ungefurcht;
die Thäier sind flache Halbcylinder ohne Einmündung von
Seitenbächen; die Bäche des hohen Fjeldes gleiten, ohne bisher
merkliche Furchen eingegraben zu haben, das Gehänge herab.
Kahre (oder Botner) der Fjeldlandschaft.
An diesen Thalwänden fehlen auch die Kahre, oder was
an sie erinnern könnte, gänzlich.
Kahre oder Botner treten erst um eine Stufe höher auf: an
den Rücken und Kuppen, die aus der Fläche des hohen Fjeldes
hervorragen; oberhalb der Vegetationsgrenze, nahe der Schnee-
grenze oder ober ihr.
Von der bekannten Skys-Station Grotlid, an der oberen
Otta, wo sich die Wege zum Stryinsee und zum Geirangerfjord
theilen, hoch in ödem, weitem Fjeldthal gelegen, hat man gerade
im Süden vor sich den befirnten Rücken der Skridulaupe. Der
höchste Rücken ist mit Firn bedeckt, zu ihm steigt das Gehänge
vom Ottathale aus mit sehr geringer Neigung und schwach aus-
geprägten Stufen an. Nur die letzte Stufe ist schärfer markirt;
hier liegt eine Reihe kleiner Kahre neben einander. Bei dem
ersten dieser Kahre ist eine dunkle Felswand von ziemlicher
Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen.
153
Steilheit sichtbar. Sie bildet eine Nische in dem abgerundeten
Bergkörper; links und rechts von ihr fliesst der Firn über das
weniger steile Gehänge herab; am Boden der Nische liegt ein
kleiner Gletscher; Moränen ziehen sich zangenförmig von den
äusseren Ecken der Nische um den Gletscher herum. Oben am
Rande der Felswand bricht der Firn stellenweise steil ab; gerade
dort, wo die Wand am höchsten ist, aber liegt überhaupt kein
Firn; er ist offenbar weggeblasen; eine vereinzelte Schneewehe
hängt über die steile Kahrwand. Diese ist ganz frisch im Bruch;
sie trägt keine Spur von Eisschliff, was in diesem Lande eine
ebenso seltene, als auffallende Erscheinung ist (Fig. 1).
Fig. 1. Botn an der Skridulaupe.
So sehen die Kahre oder Botner an der Skridulaupe aus,
deren mehrere neben einander liegen; die Beschreibung passt
aber auf zahlreiche andere auf allen diesen Bergen, z. B. am
Fanaraaken, am Snehättan und vielen anderen.
Am schönsten entwickelt sind die zwei Kahre des Gald-
höpig (2560 m)y der nördliche und südliche Kjedel (Kessel).
Der Zug des Galdhöpig ist ein Fjeldstück, das westlich durch
das Leiradal, östlich durch das Visdal begrenzt ist. Die beiden
Thäler vereinigen sich im Norden bei Rödsheim in einer Meeres-
höhe von 549 m, im Süden sind sie durch eine Thalwasser-
scheide, die ungefähr 1500 m hoch liegt, verbunden, so dass
eigentlich eine Thalfurche um den ganzen Stock herumführt.
Trotzdem hier die höchste Erhebung von Skandinavien vor-
liegt, hat der Galdhöpigzug doch vollkommen den Charakter
eines Fjeldstückes, wie sie sonst in jenem Theile des Landes
vorherrschen. Er ist nur wegen seiner grösseren Höhe in
154 E.Richter,
höherem Grade von Kahren angeschnitten, so dass sich die
Gipfel als mehr oder wenig schmale Rücken' darstellen, die
zwischen den Kahren stehen geblieben sind. Nirgends aber —
etwa mit Ausnahme der Tverbottenhömer ganz im Süden der
Gruppe — ist die Zerstörung so weit gediehen, dass es zur
Bildung wirklicher scharfkantiger Grate gekommen wäre. Auch
der Galdhöpig selbst ist ein gerundetes Fjeldstück, das einst so
gut wie seine Umgebung unter dem Eise begraben war. Gegen
Norden hin trägt der Zug ausgedehnte, gerundete Fjeldflächen
von fast völliger Ebenheit, die sogenannte Galdhö. Hier liegt
der nördliche Kjedel. Ein runder, flach ansteigender Kopf erhebt
sich auf einer Basis von etwa 1920 tw bis 2226 w. An seiner
Ostseite ist aus ihm ein steilwandiges halbes Felsamphitheater,
eine grosse Nische ausgebrochen. Es ist ein fast vollständiger
Halbkreis, dessen Radius ungefähr 500 m betragen wird. Die
Höhe der Wand misst dort, wo diese am höchsten ist, also im
Hintergrund der Nische, etwa 200 m. Gegen beide Seiten wird
die Wand niedriger, denn der Mittelpunkt des Halbkreises liegt
ziemlich genau in der Peripherie der angeschnittenen Fels-
calotte. Wo die Wand aufhört, schliessen sich Moränenwälle
an und umfangen einen kleinen Gletscher, der den Nischen-
boden bedeckt und aus ihm noch etwas hervortritt. Sein Ende
liegt in einem See, dem Juvvand; hier bricht das Eis ab.* Der
oberste Rand des Amphitheaters ist nicht von Firn überlagert;
auf den Gehängen, welche sich links und rechts neben ihm
herabziehen, liegt Firn, der aber nur an einer Stelle im Süden
über die Wand hinab abbricht.
Der See, in dem der Gletscher (Vetlejuvbrae ist sein Name)
endigt, hat keinen sichtbaren Abfluss. Keine Abflussrinne, nicht
die geringste Furche ist zu sehen; der Kjedel ist auch nicht
für die kleinste Rille im Thalgehänge ein Wurzelpunkt; seiner
Öffnung liegt eine fast ebene Fläche vor, die sich erst einen
Kilometer weiter östlich allmälig zum Visdal absenkt.
Daraus ergeben sich die wichtigsten Folgerungen für die
Entstehung dieser merkwürdigen Bildung. Auf Wirkung des
1 Siehe Fig. 2, ferner Querschnitt und Karte in Oyen, Isbraestudier i
Jotunheimen, Nyt Magazin, 1892. Besser ist aber die Situation auf dem Blatt
Galdhöpig der Rektangelkarte ersichtlich.
Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen. 1 5d
fliessenden Gewässers kann sie nicht zurückgeführt werden.
In dieser Höhe gibt es überhaupt kein regelmässig fliessendes
Wasser mehr, es gibt ja auch keine Bachgerinhe. Wasser-
wirkung ist hier bei mehr als 2000 m Höhe ausgeschlossen.
Dafür ist das ebene Vorland ohne jede Wasserfurche ein
schlagender Beweis»
Aber auch Gletscherwirkung in dem gewöhnlichen Sinne
der Ausschleifung ist hier ausgeschlossen. Selbst wenn man
geneigt ist, dem fliessenden Eise grosse Wirkungen zuzu-
schreiben, wird man doch die Ausbildung der Hinterwand
eines solchen Kahres nicht dieser Kraft zuschreiben können.
Denn hier ist gegenwärtig gar kein Eis wirksam; oberhalb
der Kahrwand befindet sich ja schneefreier Boden. Der kleine
Gletscher, der jetzt im Kahrboden liegt, kann nur auf seinen
Grund erodirend wirken; eine directe Bearbeitung der Rück-
wand ist schon dadurch ausgeschlossen, dass er durch einen
Bergschrund von ihr getrennt ist, und dass er sich seiner
Bewegungsrichtung zufolge von ihr entfernt.
Selbst wenn oberhalb der Nische ein Firnlager vorhanden
wäre, was nicht der Fall ist, und Eislawinen herabstürzten, so
wäre die Abnützung der Wand nicht bedeutend. Man sieht das
am Supphellebrae und an zahlreichen anderen Stellen in Nor-
wegen sehr deutlich. Stürzendes Eis hinterlässt keine Schliff-
spuren am Felsen; dieser ist ganz frisch und scharf im Bruche.
Diejenigen, die sich die Entstehung eines solchen Botn
durch Gletscherausschleifung erklären, werden annehmen, dass
vor seiner Ausbildung hier ein Gehänge war wie nebenan. Das
Gehänge war mit Eis bedeckt; durch die Eisbewegung wurde
nun der Boden so angegriffen, dass er sich allmälig immer
tiefer senkte, so weit, bis die Nische fertig war. Ausser der
gewöhnlichen Abschleifung wird in solchem Falle auch an die
Absprengung einzelner Felstrümmer gedacht. Dagegen lässt
sich einwenden: es sei nicht einzusehen, weshalb gerade
hier die Eiswirkung so stark und unmittelbar nebenan gleich
Null war. Wollte man aber selbst dieses Bedenken mit der
ungleichen Widerstandskraft des Gesteines erklärt halten, so
bleibt das zweite: Weshalb ist die Wand nicht geschliffen?
Herr öyen, der von der glacialen Bildung der Botner über-
156 E.Richter,
zeugt ist, ist selbst der unverdächtigste Zeuge dafür, dass
die Wand nicht geschliffen ist (siehe die vorige Anmerkung).
Auch ist nicht anzunehmen, dass die Schleifung durch nach-
trägliche Verwitterung verschwunden sei. In diesem Lande, wo
Alles vom Eis geschliffen und gerundet ist, von der äussersten
Felsklippe weit im Meere bis hinauf zu den höchsten Berg-
rücken, wo die steilsten Wände an den Fjorden ihre glaciale
Rundung und Schleifung bewahrt haben, kann sie nicht dort
verschwunden sein, wo das Eis seine erstaunlichste Leistung
vollbracht hätte. Man sieht genug glaciale Muldenformen auch
in Norwegen; der Verfasser sah eine ganze Reihe stufenförmig
über einander liegen am Ostabhange des Grovebrae auf dem
Wege über Lundeskaret; diese sehen aber ganz anders aus, sie
sind eben geschliffen und gerundet.
Die Wände einer gewissen Gruppe von Botner sind, ausser
einigen postglacialen Wasserrissen und Klammen, die einzigen
Felsen in Norwegen, die durchwegs nicht geschliffen sind.
Daraus ergibt sich für den Verfasser der Schluss, dass sie eben
auch nicht glacialen Ursprungs sind. Und da auch die Wasser-
wirkung ausgeschlossen ist, wie gerade das Beispiel des Kjedel
beweist, so bleibt nur noch eine Erklärung: Die Botner dieser
Art sind der Hauptsache nach eine Verwitterungserscheinung.
Aus irgend einem Grunde befand sich hier am Gehänge eine
Stelle geringerer Widerstandskraft des Gesteines; eine Nische
brach aus. Damit war der Ausgangspunkt für die weitere Aus-
bildung des Botn gegeben. Die Verwitterung schritt von der
anfänglichen kleinen Nische centripetal nach rückwärts und
erweiterte sie zu einem Circus. Das ist der Hauptvorgang. Für
die weitere Entwicklung der Dinge wird nun die Höhenlage
massgebend.
Liegt die Ausbruchsnische weit unterhalb der Schnee-
grenze, in der Zone der regelmässig laufenden Gewässer, so
wird sie vom Regen und den Regenrinnen zum Trichter aus-
gebildet; in die tiefste Stelle schneidet sich das Hauptrinnsal
ein; die Nischenwände werden von den Verzweigungen ange-
schnitten, Gräben und Rippen herausgearbeitet.
Liegt die Ausbruchsnische oberhalb des Höhengürtels der
regelmässig laufenden Gewässer, also in der Schneeregion oder
Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen. 157
ihr sehr nahe, so wird sich ein Schneefeld oder ein kleiner
Gletscher in sie einlagern. Dadurch wird die Ausgestaltung
wesentlich beeinflusst. Da das fliessende Wasser nicht wirken
kann, so wird der Nischenboden nicht angeschnitten. Durch
die bekannte glaciale Ausschleifung und Abnützung wird sich
vielmehr ein gerundeter Kahrboden entwickeln. Das von der
Verwitterung losgelöste Material wird vom Gletscher wegtrans-
portirt oder gleitet über das Firnfeld ab, es bilden sich entweder
wirkliche Moränen oder doch Firnmoränen. Die Wände können
sich nicht in ihre Trümmer einhüllen und bieten immer wieder
frische Angriffsflächen dar. Endlich wirkt die Abnützung des
Kahrbodens durch den Gletscher dazu mit, die Kahrwände
steiler zu erhalten und das Nachstürzen zu erleichtern. Dieses
kann man sich in folgender Weise denken. Die Wand des
Kahres bröckelt oberhalb der eingelagerten Schneemasse ab.
Die Trümmer stürzen entweder in den Bergschrund oder auf
die Schneeoberfläche. Im zweiten Falle werden sie im Schnee
eingebacken forttransportirt und gelangen in die Seiten- und
Stirnmoränen. Im ersten Falle kommen sie in die Grund-
moräne und werden wohl meist zerrieben. Da man die Zer-
störung der freien Wand dem absoluten Betrage nach höher
anschlagen kann als die Abnutzung des firnbedeckten Bodens
— auf dieser Voraussetzung beruht ja die ganze vorliegende
Ableitung — so wird die Kahrerweiterung schneller vor sich
gehen als die Kahrvertiefung. Wäre die glaciale Abnützung gar
nicht vorhanden, so müsste sich in der Höhe der Schneeober-
fläche eine Denudationsebene im Fels herausbilden, ober der
das Zurückweichen der Wände erfolgt. Da aber diese Denuda-
tionsebene sofort auch wieder vom Schnee bedeckt und abge-
nützt wird, so wird sie, und besonders ihre innere Kante, gegen
das Kahr zu erniedrigt und in den Kahrboden mit einbezogen.
Auf diese Weise entsteht eine charakteristische beckenartige
Rundung, welche das Nachstürzen neuer Felspartien wesent-
lich begünstigt.^
Wenn hier von Verwitterung die Rede ist, so ist damit
mechanische Verwitterung gemeint, der Zerfall des Gesteines
i Es ist beabsichtigt, diese Vorgänge in einer eigenen Veröffentlichung
ausfuhrlicher zu behandeln.
158 E.Richter,
an seinen natürlichen Trennungsflächen in Folge von Spalten-
frost und scharfen Temperaturwechseln (engl, desintegration).
Die chemische Verwitterung, die Zersetzung des Gesteines
(engl, decay) spielt bekanntlich in hohen Breiten oder den
ihnen entsprechenden klimatischen Höhengürteln des Gebirges
eine geringe Rolle.
Als Ausgangspunkt der Kahrbildung kann ebensogut wie
die vorausgesetzte Ausbruchsnische ein Wasserriss dienen;
besonders die Stelle, wo die obersten Verzweigungen eines
solchen sich treffen. Dies setzt aber voraus, dass jene Stelle
durch eine Klimaschwankung vom Wärmeren zum Kälteren
aus dem Bereich der rinnenden Gewässer in das des Schnees
versetzt worden ist. Diese Voraussetzung wird aber für den
Kjedel des Galdhöpig nicht zutreffen. Dieser ist durch eine
Klimaschwankung vom Kälteren zum Wärmeren aus der Ver-
hüllung durch Inlandeis in die Region der Localvergletscherung
versetzt worden. Daher bleibt als Erklärung nur die Ausbruchs-
nische an einem vom Inlandeis stehen gelassenen, etwas steil-
wandigen Felsbuckel. Dass solche Buckel seit der grossen Ver-
eisung durch Bergstürze schwer angegriffen wurden, sieht man
in Norwegen überaus häufig. Während also in den Alpen, die
nach wärmeren Interglacialzeiten in Eisperioden von verschie-
dener Intensität gelangten, die Kahre sich meist aus Wasser-
furchen entwickelt haben, wird dieser Vorgang in Norwegen
sehr selten sein und die Verwitterungsnische als gewöhnlicher
Ausgangspunkt des Kahres gelten können.
Wo also aus irgend einem Grunde oberhalb der Vegeta-
tionsgrenze, die zugleich die Grenze der regelmässigen Wasser-
läufe ist, und nahe der Schneegrenze freie Wände vorhanden
sind, dort ist die Möglichkeit zur Botnerbildung gegeben.
Dass Botner der besprochenen Art nur in einer bestimmten
Höhe auftreten, hat auch A. Heiland festgestellt.^ In Norwegen
ist diese Höhe ganz den heutigen klimatischen Verhältnissen
angemessen; in den Alpen gibt es auch Botner, die anderen
1 Über die Vergletscherung der Faröer. Zeitschr. der deutschen geolog.
Gesellsch. 31. Bd., S. 732 und Om indsöerne i Italien etc. Archiv f. Mat. og
Naturvid. II, 389.
Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen. 1 59
klimatischen Bedingungen entsprechen. In Norwegen findet
nnan keinen Botn innerhalb der Vegetationsgrenze, im Gebiete
der zusammenhängenden Pflanzendecke. Diese Grenze befindet
sich im mittleren Norwegen etwa bei 1500 w; es ist ein-
leuchtend, dass die Abweichungen sehr bedeutend sind. Nicht
alle Botner liegen wirklich oberhalb der klimatischen Schnee-
grenze; sollte aber der Kahrboden auch unter sie hinabreichen,
so werden doch die Kahrwände hineinragen und der Kahr-
gletscher wird unter ausgiebiger klimatischer Begünstigung
sich erhalten.
Dadurch erklärt sich auch die Häufigkeit der Kahre mit
nördlicher oder doch östlicher und westlicher Exposition. Volle
Besonnung ist der Erhaltung des Gletschers ungünstig. Doch
gibt es auch eine Anzahl nach Süden schauender Kahre.
Dass die Botner in Norwegen durchaus an bestimmte
Höhengrenzen gebunden sind, kann man bei der Nordlands-
fahrt längs der Küste sehr genau beobachten. Das Küstenstück
von Trondheim bis zum Eingang des VelQordes (etwa 65*^30'
N. B.) ist bedeutend niedriger als die übrigen Theile der nor-
wegischen Westküste. Hier sieht man nirgends ein Kahr; auch
nicht die Spur davon. Sobald aber Berge auftreten, die so hoch
sind, dass sie die Vegetationsgrenze überschreiten, beginnen die
Kahre; das erste ist sichtbar an den Höiholmstindern nördlich
vom VelQord. Sie dürften etwa 800— 1000 fw hoch liegen. Wenig
nördlich, an den bekannten Sieben Schwestern auf Alstenoe,
treten grossartige Kahrbildungen schon in weit niedrigerer Lage
auf, und so senkt sich die Kahrgrenze allmälig immer mehr, je
mehr man nach Norden kommt.^
Diese Abhängigkeit der Botner von der Meereshöhe ist
übrigens auch ein Beweis dafür, dass sie nicht ein Ergebniss
der allgemeinen Vereisung sind. Denn vereist war das ganze
Land, die niedrigen Berge so gut als die hohen.
Die Botner am Galdhöpig, wie sie oben beschrieben sind,
stellen die einfachste, typische Form der Erscheinung dar.
Die Hohlform des Kahres erfährt aber unter den wechselnden
Bedingungen, unter denen sie auftritt, viele Abänderungen; sie
Vergl. auch Heiland, 1. c.
160 E.Richter,
geht häufig mit anderen Formen, die anderen Kräften ihren
Ursprung verdanken, Verbindungen ein. Dadurch wird die
Erklärung erschwert, denn man hat eine ganze Entwicklungs-
reihe vor sich. Eine Erklärung, die für eine Form an einem
Ende der Reihe gilt, ist unzureichend für die Form, die am
entgegengesetzten Ende sich befindet. Durch das alimälige Ein-
treten anderer Kräfte wird eben die Abwandlung der Formen-
reihe bewirkt. Nur auf diese Weise ist es geschehen, dass so
viele Erklärungen für eine so einfache Sache versucht worden
sind. Jede Erklärung passt vielleicht für den einzelnen Fall,
den der Autor im Auge hatte, aber nicht für den weiten Begriff,
den der Terminus »Kahr oder Botn« deckt und der die ganze
Reihe umfasst.
Wenn Bonney den Cirque de Gavarnie oder ähnliche
gewaltige Thalabschlüsse zu den Kahren rechnet, so wird
man ihm freilich die Wirkung des fliessenden Wassers als
wichtigsten Factor bei der Entstehung nicht bestreiten können.
Bei den Kjedeln des Galdhöpig ist ebensogut als bei der
Schneegrube im Riesengebirge oder beim Wildsee in den See-
thaleralpen die Wasserwirkung vollkommen ausgeschlossen.
Wir haben also hier die zwei Endpunkte einer Entwicklungs-
reihe; hier Kahre, die vorwiegend der Verwitterung, hier solche,
die der Wasserwirkung ihre Entstehung verdanken.
Es ist sehr wichtig, sich das vor Augen zu halten; nur auf
diese Weise werden sich die Widersprüche der Erscheinungen
und der Erklärungen versöhnen lassen.
Man kann in Jotunheim die einfache Kahrform, wie sie in
den Kjedeln auftritt, noch weiter zurück in ihre Anfange ver-
folgen. An mehr als einer Stelle sind die Gletscher des Gald-
höpigmassivs von steilen, schwarzen Felswänden umgrenzt,
die sich zu kahrartigen Amphitheatern zusammenschliessen.
Es sind das die bekannten »Krater«, von denen auch ernst-
hafte Autoren sprechen; der Berg sehe aus wie blasig auf-
getrieben und dann eingestürzt. Es sind ausgedehnte Ver-
witterungswände, Anschnitte des Bergkörpers, die bei der
starken Zerstörung des Gesteines rasch zurückschreiten und
bei diesem Zurückschreiten nothvvendig Bogen- und Circus-
formen annehmen müssen. Da nicht vorauszusetzen ist, dass
Geomorphologische Baobachtungen aus Norwegen. 161
die Widerstandskraft des Gesteines überall die gleiche sein
wird, so werden also, selbst vorausgesetzt, dass die Felswand
jemals einen geradlinigen Verlauf gehabt hat, einzelne Partien
rascher zurückweichen als andere, und da diese verschiedenen
Stellen durch Übergänge mit einander verbunden werden, so
entstehen halbkreisartige Einbiegungen. Beispiele sind die Firn-
fekler des Styggebrae, des Storjuvbrae und des Sveljenaasbrae.
Vielleicht noch auffallender ist der Botn an der Heilstuguhöh
gegen Heilstugubrae, für welchen sich Aarbog Tun For. 1875,
S. 1 1 1 die Bezeichnung Horse-shoe-glacier findet Das Plateau
der Heilstuguhöh fällt steilwandig gegen Osten ab, wo der
Heilstugugletscher vorbeifliesst. In der Steilwand findet sich
plötzlich eine tiefe, sehr ausgesprochen hufeisenförmige Ein-
biegung, tiefer als breit und mit verengtem Eingang. Der Boden
ist nicht steil geneigt und ist von einem Zufluss des Heilstugu-
gletschers erfüllt. Der obere Rand ist zum Theil mit Firn über-
lagert, von dem aber keine Abbruche erfolgen, da das Plateau
nach Westen geneigt ist, der Firn also die Tendenz hat, sich
von dem östlichen Plateaurand zu entfernen, nicht etwa über
ihn sich hinabzuschieben. Von Schliffspuren ist an der sehr
steilen Kahrwand nichts zu bemerken; ebensowenig besteht
ein Wasserlauf Die Meereshöhe beträgt etwa 2000 — 2200 fw.
Über den Charakter dieses Botn als Verwitterungserschei-
nung ist wohl kein Zweifel möglich.
Ähnliche Formen treten auch gesellig auf In der schönen
und durch ungewöhnlich kühne Formen ausgezeichneten Kette,
welche zwischen Gjendin und Bygdin sich hinzieht, befindet
sich eine Reihe grosser, steilwandiger Kahre, deren Wände
reihenweise neben einander liegend eine grössere Anzahl mehr
oder weniger entwickelter oder nur angedeuteter Botner vom
Typus des Horse shoe zeigen.
Wenn man von der Galdhö östlich schaut, hat man die
stattliche Spitze des Glittertind gerade gegenüber und blickt
in die Öffnung eines gewaltigen schneeerfüllten Kahres hinein.
Es ist viel grösser als die bisher besprochenen und viel weniger
einfach gebaut; mancherlei Vorsprünge und Rippen gliedern
die Kahrwände. Moränen schliessen auch hier die. offene Seite,
aber ihnen entströmt ein stattlicher Bach: dieses Kahr ist die
Sitzb. d. malhem.-naturw. CK; CV. Bd., Abth. I. 1 1
162 E.Richter,
Wurzel eines nicht unbedeutenden Gerinnes. Hier liegt ein
Beispiel vor für das nächste Glied der Entwicklungsreihe; das
Kahr ist nicht mehr allein Verwitterungserscheinung, sondern
zu seiner Ausbildung zur jetzigen Gestalt haben auch die
Wirkungen des fliessenden Wassers beigetragen. Als ursprüng-
liche Veranlassung wird aber immer die Verwitterungsnische
festzuhalten sein. Der Kahrboden liegt 1800— 2000 w hoch,
die Umrahmung 2200 — 2500 w. In solcher Höhe kann zwar
ein Sommerbächlein entspringen, aber kann nimmer fliessendes
Wasser wirken. Doch wird eine charakteristische Ausbildung
des Kahrmundes nicht ausbleiben, wodurch der Gesammt-
charakter gegenüber den Kjedeln des Galdhöpig merklich ver-
ändert wird.
Noch einen Schritt weiter in der Reihe liegen die grossen
Botner der oben erwähnten Kette zwischen Gjendin und Bygdin,
wie Knutshullet, Tjernhullet u. s. f. Hier kann man zweifelhaft
sein, ob man es mit Thälern oder mit Botner zu thun habe.
Bedeutende Gletscher sind eingelagert, an deren Grund kräftige
Bäche strömen, ansehnliche Kaskaden schneiden sich in den
Kahrboden ein, der nur 1300 — 1800w hoch liegt. Doch ist
diese Meereshöhe noch immer ausreichend, um den Gedanken
an eine Entstehung nur durch Erosion des fliessenden Wassers
auszuschliessen. Die Kahrwände sind Verwitterungswände mit
Botnern zweiter Ordnung des ersten Typus; nirgends ist. eine
S|>ur von Wasser- oder Eiswirkung zu sehen. Ursprüngliche
Entstehung und Weiterbildung in den oberen Theilen sind also
die eines Botn; die Tieferlegung des Grundes, der schliesslich
in eine Klamm, einen engen Schlund, übergeht, eine Aus-
streckung der ganzen Hohlform in die Länge, da immer tiefere
und daher breitere Schichten des Bergkörpers angeschnitten
werden: das ist das Werk der Wassererosion.
Zum gleichen Typus gehören die Kahre in der Gruppe
der Horunger, Skagastölsbotn, Ringsbotn u. s. w. Sie haben
mit denen der Gjendinkette den Zug gemeinsam, dass die
Kämme und Grate, die sie scheiden, sehr scharfkantig und
wild gezackt sind. Der Process ist eben schon weiter fort-
geschritten als am Galdhöpig, wo die zwischen den Kahren
stehen gebliebenen Stücke noch viel mächtiger sind.
Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen. 163
Es Hesse sich die Reihe der Botnertypen mit allmäliger
Hinüberleitung zu den Thalfurchen fortführen, bis man zu den
Regenrissen gelangt, die ein Wolkenbruch verursacht und die
nichts mehr mit einem Botn gemein haben; es muss aber hier
Halt gemacht werden, um die Wirkungen zu bedenken, die
die zahllosen Botner der bisher besprochenen Arten im Hoch-
gebirge von Skandinavien und insbesondere in Jotunheim her-
vorbringen müssen.
Wir sehen in einer bestimmten Höhenzone, von 1500 oder
ISOOfM aufwärts, oberhalb der Vegetationsgrenze, nahe der
Schneegrenze eine grosse Anzahl nischenartiger Einbrüche in
den Gebirgskörper, die sich zum Theil schon zu mächtigen
Amphitheatern ausgeweitet haben. Unablässig arbeitet der
Spaltenfrost an der Zerstörung der Wände, welche diese Hohl-
formen umgrenzen, und bewirkt, dass sie rasch zurückweichen.
Das Abfallmaterial wird von den Gletschern entfernt, als
Moränen abgelagert oder am Gletschergrunde zerrieben und
fortgespült. Hie und da stehen noch ziemlich massige Stöcke
des alten, vom Inlandeis geschliffenen Fjeldmassivs zwischen
den Kahren — so die Skridulaupe, der Fanaraaken und viele
andere — oder doch noch kennbare Fjeldstreifen — am Gald-
höpig, der Heilstuguhöh, am Sletmarkspiggen; anderswo sind
nur mehr Grate und Zacken übrig geblieben; in den Horungern,
am Knutshultind. (Siehe Fig. 3).
Die Zerstörung des Gebirges geht also oberhalb jener
Höhengrenze in einer anderen Art und Richtung vor sich als
unterhalb. Unterhalb derselben arbeitet das fliessende Wasser
im verticalen Sinne, oberhalb die Wandverwitterung im hori-
zontalen.
Daraus folgt, dass sich in dieser Höhe ein hori-
zontales Denudationsniveau herausbilden muss. Alle
Hervorragungen über dasselbe werden von der Verwitterung
rasch zerstört, und zwar im Wege der Ausweitung der Botner.
Hier ist eine zweifellose rückschreitende Erosion, die Botner
nähern sich rasch einander, die trennenden Grate werden
immer schmäler und niedriger, lösen sich endlich in einzelne
Zacken und Gratstücke auf; die Fimfelder der Kahrgletscher
greifen über die Lücken der trennenden Kämme über und ver-
11*
164 E.Richter,
schmelzen mitsammen; endlich bleiben nur einzelne isolirte
Spitzen und Kuppen übrig, die aus einem Firnmantel heraus -
ragen, der sie von allen Seiten umfliesst; auch sie verschwinden
endlich. Das Ergebniss ist ein »Calottengletscher«, ein runder,
flacher, fimbedeclcter Fjeldrücken.
Jeder Reisende, der Jotunheim besucht hat, wird unschwer
erkennen, wie reich dieses Gebiet an Beispielen für alle Stadien
des angedeuteten Processes ist. Ein prächtiges Beispiel, wie
eine grosse Firnfläche nach und nach alle Unebenheiten demo-
lirt und verschlingt, die aus ihr herausragen, ist Jostedalsbrae
und die Lodalskaupe, der einzige harte Gneissbuckel, der ihr
noch entragt. Unablässig stürzen die Steine von dem einsamen
Felsthurm und verschwinden im Firn. Bald wird nichts mehr
übrig sein.
Ein etwas weniger weit entwickeltes Stadium zeigen
Smörstabbrae mit den Smörstabtindern. Hier hat der polster-
artig gewölbte Firn seinen Rand noch nicht ganz verschlungen;
eine Reihe Zacken ist noch übrig; aber sie stehen wie ver-
lorene Posten inmitten der weiten Firnfläche, die sie allseitig
umgibt.
Noch ist ein wichtiger Punkt zu berühren. Man hat sich
gewöhnt, das Auftreten von Botner als einen sicheren Beweis
alter Vergletscherung anzusehen; man schliesst ohne weiteres
aus ihrer Existenz in der Sierra de Gredos oder im Rhodope-
gebirge auf einstige Vereisung, und es scheint thatsächlich,
dass ihr Auftreten ebenso an diese gebunden ist wie das der
Fjorde und Seen.
Der Zusammenhang ist auch nach dem Gesagten ziemlich
verständlich. Er ist ein doppelter. Einmal beweist das Auftreten
von Kahren an Gebirgen wie der Böhmerwald oder das Riesen-
gebirge, welche jetzt die Waldgrenze kaum überschreiten, dass
hier einstens ein kälteres Klima geherrscht und das Gebirge
über die Vegetationsgrenze erheblich hinausgeragt hat. Zweitens
ist die Mitwirkung der Gletschereinlagerung bei der Ausbildung
der Kahre eine ganz wesentliche. Man wird also aus dem Auf-
treten der Kahre z. B. in den Gebirgen Mittel- und Südeuropas
mit Recht auf eine Klimaschwankung urKi eine einstige Local-
vergletscherung schliessen dürfen.
Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen. 1 65
Jotunheim.
Der Unterschied zwischen dem norwegischen Hochgebirgs-
gau Jotunheim, dem angeblich alpinsten Theil des Landes, und
einem beliebigen Theil der Gneissalpen ist ausserordentlich
gross. Nicht in den Gipfelformen liegt die Verschiedenheit. Eine
von der Verwitterung modellirte Masse krystallinischen Gesteines
bewahrt unter allen Umständen gewisse Züge, die überall
wiederkehren. Die Horunger oder den Knutshulstind oder die
Raudalstinder u. s. w. könnte man sich auch am Ende in die
Centralalpen versetzt denken, ohne dass sie dort allzu »styl-
widrig« erschienen. Der Unterschied liegt viehnehr in der An-
ordnung der Thäler oder, genauer gesagt, der die Berge und
Berggruppen trennenden Hohlformen, und damit auch in der
Anordnung der Berge selbst zu Gruppen oder Zügen. Auf
den bekannten orographischen Bau alpiner Ketten mit ihren
parallelen Querthälern und Querketten mehrfacher Ordnung
braucht nicht eingegangen zu werden. In Jotunheim ist von
regelmässigen Gebirgsketten und Kämmen ebensowenig etwas
zu sehen als von regelmässigen Thälern. Thäler fehlen aller-
dings nicht Im Norden schneiden drei Nebenthäler der Otta
ein, das Bävra, Leira und Visdal. Es sind präglaciale Fjeldthäler,
der Hauptsache nach gewöhnliche Wassererosionsthäler, ver-
hältnissmässig weniger glacial umgestaltet als andere. Sie haben
noch am meisten alpinen Charakter. Ähnlich scheint auch das
Thal von Vetti (Utla-Elv), das in den AardalsQord mündet,
beschaffen zu sein; ich habe es leider nicht selbst gesehen.
Aber auch diese Thäler verändern in ihren obersten Verzwei-
gungen ihren Charakter in auffallender Weise. Sie werden
flacher und weiter und verschmelzen über relativ niedrige
Thalwasserscheiden hinweg in der mannigfaltigsten Weise mit
ähnlich gebauten Nachbarthälern. So besteht das Innere von
Jotunheim aus einem ganzen Netz allseitig mit einander in Ver-
bindung stehender weiter, seenerfüllter Hochthäler, zwischen
welchen sich eine grössere Anzahl isolirter Bergmassive ohne
Ordnung und Zusammenhang erhebt. Viele dieser Bergmassive
haben steile, pyramidenförmige Gipfel von mehr als 2000 1»
Höhe. Auch kurze Kämme sind nicht selten, theils einfache,
166 E.Richter.
wie Raudalstinder, theils strahlenförmig auslaufende wie die
Horunger. Daneben gibt es aber auch viel niedrigere Rücken
und Plateaustücke von 1300 — 1600 w, wie Skineggen, Memu-
rutunge, das breite »Band« zwischen den westlichen Enden
von Gjendin und Bygdin u. v. a.
Durch diese Plateaubildungen in Verbindung mit den etwa
gleich hohen Thälem wird die Vorstellung einer ganz Jotun-
heim durchziehenden Hochebene erzeugt, auf welcher die
Bergkuppen regellos aufgesetzt sind. Betrachtet man eines der
photographischen Panoramen aus Jotunheim, von der Beshö,
Memurutungen oder Skineggen, so wird das Bild dieser durch-
gehenden Hochebene mit zwingender Deutlichkeit sichtbar.
Freilich sieht man hier auch, dass diese Hochebene
ihrerseits wieder von einigen, einem noch tieferen Niveau
angehörigen grossen Thalfurchen gegliedert ist. Es sind das
die Thäler des Gjendesees, des Tyin- und Bygdinsees. Die
beiden letzteren, stattliche Seen von I4V2 ^^^ 28 km Länge,
an die sich schon ausserhalb des eigentlichen Jotunheim der
16 km lange Winsterensee schliesst, bilden die Hauptader; sie
streift das Hochgebirge mehr, als es dasselbe durchschneidet.
Der 18 km lange Gjendin liegt hingegen im Herzen des Hoch-
gebirges und bildet eine 500 — 800 m tiefe Furche in die
genannte ideale Hochebene. 100 — 150 m dieser Furche sind
mit Wasser erfüllt, das übrige klafft als steilwandiges Thal, in
welches die Seitenthäler meist hoch oben am Gehänge aus-
münden; nur wenige, Storaadalen, Vesleaadalen und Memuru-
dalen, haben sich schon bis zum jetzigen Seespiegel ein-
geschnitten.
Bevor wir aber eine einheitliche Erklärung dieser Erschei-
nungen versuchen, müssen wir noch die Frage erörtern, ob die
Jotunheimer Bergwelt in den Perioden der grossen Eiszeiten
vom Inlandeise bedeckt war oder nicht. Sie wird zu bejahen
sein. Einmal aus dem allgemeinen Grunde, dass ein Inland-
eis, das sich bis an das Riesengebirge und nach Schottland
erstreckt hat, eine Mächtigkeit besessen haben muss, die alle
vorhandenen Höhenunterschiede im Kerngebiete seiner Ent-
stehung, und wären sie auch so gross gewesen als sie gegen-
wärtig sind, völlig ausgeglichen hat. Der Höhenunterschied
Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen. 167
zwischen der mehrerwähnten idealen Hochebene von Jotun-
heim und den höchsten gegenwärtigen Gipfehi erreicht kaum
lOOOm. Das Binneneis oder dessen Centralfirn muss hier bei
weitem mächtiger gewesen sein. Aber auch der Anblick des
Galdhöpig und mancher anderen Spitze beweist die Eisabrun-
dung in deutlicher Weise. Gletscherschrammen und erratisches
Geschiebe wird man freilich auf Gipfeln, an denen eine solche
Verwitterung arbeitet, vergeblich suchen. Aber die Rundung
und Abplattung so vieler hoher Punkte kann nur daher kommen,
dass sie einstens vom Eise niedergehobelt worden sind.
Es ist also ein altes gemeinsames Niveau von etwa 2500 m
Höhe vorauszusetzen, das ich das Denudationsniveau der Gipfel
nennen möchte. Die Rundschau vom Galdhöpig lässt es mit
einer ganz anderen Deutlichkeit in seinen Resten erkennen als
die Aussicht von irgend einem Alpengipfel das einstige gemein-
same Gipfelniveau erkennen lässt, obwohl man auch hier durch
die verhältnissmässige Höhengleichheit der Kämme und Gipfel
überrascht wird.
Bekanntlich haben wir nicht eine, sondern mehrere Eis-
zeiten von abnehmender Intensität anzunehmen. In den inter-
glacialen Perioden wurden Thalsysteme nicht immer an der
gleichen Stelle eingeschnitten; besonders in den oberen Ver-
zweigungen wechselten die Linien, während die tieferen Furchen
leichter wieder eingeschlagen wurden. Den älteren interglacialen
Perioden gehören die Thäler an, welche beiläufig im Niveau der
Hochebene liegen; einer der letzten das neue tiefe Thalsystem
der grossen Seen. Interglacial ist auch dieses, denn es trägt
überall die auffallendsten Eisspuren.
Als sich die klimatischen Verhältnisse der Gegenwart ein-
stellten, trat für den grössten Theil des Gebietes an Stelle der
Eiswirkung Wasserwirkung und Verwitterung; nur ein geringer
Theil davon blieb unter Eis. Auch das Wirkungsgebiet des
fliessenden Wassers war verhältnissmässig beschränkt; nur die
tieferen Theile der präglacialen Thäler haben regelmässige und
starke Flussläufe, die an der Ausgleichung des Thalgefalles
und der Ausfüllung der Seen arbeiten. Der grösste Theil des
Landes fiel in jene Höhenregion zwischen Vegetations- und
Schneegrenze, welche weder durch die zähe Haut der Pflanzen-
168 E. Richter.
decke, noch durch den Schneemante! vor der zerstörenden
Wirkung der Atmosphärilien geschützt ist Denn die Vegetation
schützt die Gesteinsmassive zwar nicht davor, von Wasserrinnen
zerschnitten und gegliedert zu werden, sie schützt sie aber vor
der Verwitterung und Zerstörung im Ganzen. Ebenso schleifen
Schnee und Eis zwar die Oberfläche ab, aber die Zertheilung
des Gebirges durch Thalfurchen verhindern sie.
Der grösste Theil des Gebirges von Jotunheim liegt also
gegenwärtig gerade im Höhengürtel der lebhaftesten Zerstörung.
Darum ist Jotunheim das bevorzugte Gebiet der Botner, neben-
bei auch das der Ure, d. i. Blockfelder und Geröllhalden. Die
präglacialen Thäler erweitern sich, die Bergmassive schrumpfen
ein, manche mögen schon ganz verschwunden sein — die ideale
Hochebene erweitert sich fortwährend auf Kosten der Gebirgs-
stöcke. Man wird an die Beschreibung innerasiatischer Hoch-
gebirge erinnert, die in ihrem Schutte ersticken, wenn man
z. B. Uladalen oder ähnliche Thäler durchwandert; alles Geröll,
Schutt und Zerstörung, aber keine Thalschluchten wie in den
Alpen, sondern weite Mulden.
Die ideale Hochebene von Jotunheim ist das
Denudationsniveau, das dem gegenwärtigen Klima
entspricht.
Denkt man sich die Arbeit, deren Fortgang man jetzt so
deutlich erkennen kann, zu Ende gethan, so wird Jotunheim ein
welliges Fjeld von 1500 — 1800w Höhe darstellen mit einzelnen
verfirnten Rücken von 2000 m, mit einem deutlich abgesetzten,
aber wenig verzweigten Thalsystem.
Dann wird es sich in nichts mehr von den südlich, östlich
und nördlich angrenzenden Theilen des norwegischen Fjeldes
unterscheiden. Es ist wohl gestattet, daraus die Folgerung
abzuleiten, dass auch diese Gebiete eine ähnliche Vergangenheit
hinter sich haben. Sie sind mit ihrer Geschichte bereits zu Ende
gekommen, d. h. sie sind bis zur Vegetationsgrenze und bis
unter die Schneegrenze denudirt. Die charakteristische Botner-
denudation, die Denudation der abbrechenden und zurück-
weichenden Wände kann ihnen im Allgemeinen nicht viel mehr
anhaben. Sie sind jetzt nur mehr der Wirkung des fliessenden
Wassers ausgesetzt, das freilich hier nur langsame Arbeit zu
Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen. 169
schaffen vermag. Weshalb gerade Jotunheim verspätet ist in
dem allgemeinen Process, der sonst überall schon um soviel
weiter gediehen ist, dafür ist die Erklärung ziemlich naheliegend.
Jotunheim gehört dem Gebiete der grossen Oberschiebung an,
die in der neueren geologischen norwegischen Literatur so viel
besprochen worden ist. Nach Törnebohm's Ansicht^ ist die
Folge der krystallinischen Schiefer durch eine colossale Über-
schiebung von 80-— 90*w in der Bewegungsrichtung hier dem
Grundgebirge, dem auch der eruptive Gabbro von Jotunheim
angehöre, aufgeschoben worden; nach Brögger's Ansicht* sei
sie ursprünglich aufgelagert; da sie aber wahrscheinlich ober-
silurisch, aber aufs stärkste umgewandelt ist, sei eine colos-
sale Auflagerung jetzt denudirter Gesteine vorauszusetzen. Der
Jotunheimer Gabbro ist ein jüngeres Durchbruchgestein. Sicher
ist also, dass man es hier im Westen mit Gebifgsmassen zu
thun hat, die in einer nicht gar zu fernen Zeit noch bedeutend
dislocirt wurden, Processe, die sich in Jotunheim durch das
Auftreten mächtiger Eruptivmassen complicirten. Man kann
fast sagen, so weit Gabbro reicht, so weit reicht der Jotunheimer
Hochgebirgscharakter; am Südufer des Bygdin steht schon der
Höifeldskvarzit (krystallinische Schiefer und Gneisse) an.
Jotunheims Gebirge waren also jedenfalls höher gehoben
als die Umgebung. Für widerstandsfähiger kann ich sie kaum
halten; denn unzweideutige Spuren beweisen das Gegentheil.
Das Grundgebirge, das den Stock des Jostefjeldes aufbaut, ist
viel härter. An den Verzweigungen des Nordfjords oder am
Ufer des Fjärlandfjords sieht man nur wenige Bergsturzspuren;
die Gletscher haben fast keine Moränen; alle Wände sehen
wie polirt aus. Sobald man aber z. B. bei Fortun das Gebiet
der krystallinischen Schiefer und bald darauf das des Gabbro
betritt, ändert sich sofort das Bild; ausgedehrvte Trümmerhalden
von Bergstürzen erfüllen die Thäler; das blanke Gewand der
einstigen Eisglättung ist an vielen Stellen zerrissen und nur an
wenigen unverletzt erhalten. Zwischen Bävertun und Rödsheim
im Lejrathal trifft man ein besonders hübsches Beispiel eines
1 Geol. Foren, i Stockholm Förhandl. 1891 und 1892.
^ Lagfölgen paa Hardangervidda, S. 136.
170 E.Richter,
prallen, rund geschliffenen Felshöckers im Thal, der sich durch
postglaciale Verwitterung ganz in seine Trümmer aufgelöst hat,
aber doch noch so weit zusammenhält, dass die ursprüngliche
Form erkennbar ist. Die Gletscher Jotunheims, besonders die
der Horunger, haben ausserordentlich viel mehr Moränen als
Jostedalsbrae oder Folgefond.
Trotzdem ist aber die .Arbeit der Denudation in Jotunheim
noch nicht so weit fortgeschritten als ringsum. Das nöthigt zur
Annahme, dass hier die Gebirgshebung energischer oder später
erfolgt ist; wahrscheinlich beides, obwohl auf das »später«
mehr Gewicht zu legen sein wird. Offenbar ist der Gabbro
härter als die ihn umschliessenden Schiefer. Er wurde zuerst
aus diesen herauspräparirt, jetzt geht es ihm selbst zu Leibe.
Ob manche der räthselhaft verschlungenen Thalfurchen Jotun-
heims nicht auf den Wechsel von Schiefergesteinen und Gabbro
zurückzuführen sind, dies zu beurtheilen, reicht das Material
nicht aus, das mir an eigenen oder fremden Beobachtungen zur
Verfügung steht.
Versuchen wir uns vorzustellen, welche Wirkung das
Wiedereintreten einer Eisperiode auf ein Gebiet wie Jotunheim
ausüben würde. Im ersten Stadium, während der allmäligen
Einschheiung werden zunächst die zerstörenden Kräfte mit
einer Ausnahme lahm gelegt; es wird sich kein Bach mehr ein-
schneiden und kein Stein von der unter Firn begrabenen Wand
fallen. Gerade dort, wo jetzt die Zerstörung am lebhaftesten
ist, einerseits in der Tiefe der Thäler und Schluchten, ander-
seits an den Gipfeln, wird Ruhe eintreten. Hingegen werden die
durch die Thäler ziehenden Eisströme eine erodirende Kraft
entwickeln, der die Gegenwart nichts an die Seite stellen kann;
es werden weite U-förmige Mulden, vielleicht auch Wannen
auf flachen Thalstücken ausgegraben werden. Sollte es aber
bei weiterem Fortschreiten der Eiszeit geschehen, dass sich
ein Gesammtgefälle des Binneneises nach einer bestimmten
Richtung entwickelte, dass etwa östlich von Jotunheim sich eine
»Eisscheide« bildete^ von der der Firn in westlicher Richtung
über unser Gebiet abströmte, wie es ja wohl einst gewesen ist,
so werden auch die Vorragungen der Gipfelregion hart mit-
Geomorphoiogische Beobachtungen aus Norwegen.
171
genommen werden, und zwar umsomehr, je aufgelöster und
trümmerhafter sie schon gewesen sind.
Stolze Gipfelgrate und Thürme wie die Horunger werden
sich in abgerundete Rücken verwandeln und höchstens an
einigen Resten ihrer Steilhänge noch den ehemaligen Charakter
erkennen lassen.
Schwindet das Eis wieder hinweg, so ist die Landschaft
mannigfach verändert; Alles, was bei Beginn der Eiszeit nicht
ganz niet- und nagelfest war, ist ausgescheuert, zerrieben und
fortgeschafft, alle Vorragungen sind abgeschliffen und gerundet;
Fig. 3. Die Skagastölstinder (Horunger).
die Schutt- und Geröllmassen, die sich auf und unter dem Eise
befanden, als es verging, sind regellos über das Land zerstreut.
Was nun weiter geschieht, hängt davon ab, in welche Höhe
sich die neuen klimatischen Zonen verlegen. Wird das Land
so warm, dass es ganz unter Vegetation kommt, so wird es
nur vom fliessenden Wasser weiter bearbeitet; liegt es dabei hoch,
so können durch Einschneiden eines Thalsystems die energi-
schesten Veränderungen hervorgerufen werden; liegt es niedrig,
so werden die Veränderungen weniger bedeutend sein. Ragt
es zum Theil über die Vegetationsgrenze hinauf, so wird
der Streifen zwischen Vegetations- und Schneegrenze am lebhaf-
testen angegriffen. Wo Felsflanken von genügender Steilheit
172 E. Richter,
Übrig geblieben sind, wird die charakteristische Botnerbildung
eintreten.
Diese wird daran arbeiten, aus den runden Höckern, die
das Eis zurückgelassen hat, wieder scharfkantige Grate und
Schneiden zu machen, wie sie vordem gewesen. Freilich werden
diese neuen »Horunger« um ein gutes Stück niedriger und
schmächtiger ausfallen als die alten waren.
Es ist klar, wie sehr das Eintreten einer Eiszeit die Denu-
dation fordern muss, vorausgesetzt, dass die klimatischen Gürtel
davor und darnach in gleicher Höhe liegen.
Bleibt ein Theil des Landes nach der Eiszeit verfirnt, so
werden diese Stücke aus der Denudation ausgeschaltet. Denn so
sehr grosse, bewegte Eismassen die Landoberfläche angreifen,
ein kleiner Firn hat schwache Kräfte. Man hat oft gesagt, man
solle die Eiszeitwirkungen nicht nach den Leistungen der
heutigen Gletscher beurtheilen. Das ist ganz richtig, und gerade
Norwegen lehrt die Richtigkeit des Satzes. Man möge aber die
Folgerung auch umkehren, und den heutigen Gletschern nicht
Wirkungen zuschreiben, die nur den alten zukommen. Ich
denke dabei an die Ausgrabung der Botner durch die winzigen
Firnlappen, die ihnen eingelagert sind. Auch ein kleiner Firn
greift seinen Boden an, indem er ihn abschleift. Wäre dieselbe
Erdstelle aber dem Temperaturwechsel der Aussenluft, dem
Wechsel von Regen und Schnee, Sonnenschein und Frost,
den Lawinen, Gewittergüssen und Stürmen, den sprengenden
Wurzeln der Pflanzen ausgesetzt, so wäre die Zerstörung
weit stärker und viel tiefer gehend. Firnbedeckung ist also
ein relativer Schutz. Während nebenan das fliessende Wasser
Thäler ausfurcht und die Botner ein neues Denudationsniveau
schaffen, haben die gletschertragenden Stöcke die Tendenz,
sich isolirt herauszuheben und zu erhalten. Dabei arbeiten frei-
lich beide Arten von Denudation zerstörend an ihren Flanken,
die dadurch immer steiler werden.
Aus dem bisher Entwickelten ergeben sich folgende Sätze:
1. In der Region zwischen Vegetations- und Schneegrenze
herrscht — wie längst bekannt ist — die stärkste Zerstörung,
In Folge dessen bildet sich hier in allen Gebirgen
der Erde ein Denudationsniveau aus, an welchem
Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen. 173
die Abrasion der Gebirge stattfindet. Daher findet
sich auch überall gerade in dieser Höhe eine Gefälls-
knickung; der Neigungswinkel nimmt hier plötzlich ab und
steigert sich erst wieder da, wo die Denudation gerade an der
Arbeit ist, das ist im Hintergrund der Botner.
2. Die Botner sind also nicht Ergebnisse der Inland eis-
bedeckung, sondern in erster Linie Verwitterungsformen,
deren Ausbildung durch die Localvergletscherung beein-
flusst ist; in Norwegen sind die gegenwärtigen Botner post-
glacial und arbeiten kräftig an der Zerstörung der grossen
glacialen Formen.
Die Sackthäler.
Es kann als eine regelmässige Erscheinung angesehen
werden, dass am Ursprung eines Thaies die einzelnen Quell-
bäche radial zusammenlaufen. Auch in Gebirgen, an deren
Ausbildung ausschliesslich nur das fliessende Wasser thätig
war, entwickelt sich hieraus leicht eine halbkreisförmige,
amphitheatralische Erweiterung; an anderen Stellen bleiben die
trennenden Rippen so scharf, dass nur ein Stern von einzelnen
getrennten Schluchten, die sich in der Mitte treffen, zu erkennen
ist War das Gebirge vergletschert, so hat jene amphithea-
tralische Erweiterung zu einem Thalcircus jedenfalls stattge-
funden, und zwar deshalb, weil die trennenden Rippen abge-
schliffen wurden, die Erosion der einzelnen Quellbäche aufhörte
und endlich die allgemeine glaciale Abscheuerung des Bodens
nur einen runden Trog oder Halbkessel erzeugen konnte.
Wir begegnen in den Alpen an gar vielen Stellen diesen
glacial umgestalteten Thalwurzeln, manchmal mit, häufiger wohl
ohne Seen, Die einzelnen Wasserrinnen, die jetzt wieder dem
Mittelpunkt zustreben, sind vorläufig nur erst schwach in das
Gehänge eingeschnitten, die Rücken und bastionartig vorsprin-
genden Felsbuckel, die sie trennen, zeigen glaciale Rundung,
die Formen sind weich und echt glacial. Solche Thalanfänge
sind auch in Norwegen überaus zahlreich, man trifft sie auf
Schritt und Tritt, und zwar in den verschiedensten Höhenstufen.
Ihre Entstehung erscheint verständlich.
174 E.Richter,
Es gibt aber in den Alpen, in Norwegen und den Pyrenäen
auch noch einen anderen Typus. Das sind die steilwandigen
Zirken vom Typus desCirque de Gavarnie. Sie sind am schönsten
entwickelt in den nördlichen Kalkalpen, wo das grosse und
kleine Höllenthal und das Reissthal an der Raxalpe, die Thäler
des Hallstädter- und Königssees, der Ring am Hochschwab
Beispiele bieten. Noch grossartiger sind vielleicht die Trenta
und das Wocheinerthal in den Julischen Alpen. Doch da sie
alle in geschichteten Gesteinen liegen, sollen sie hier bei Seite
bleiben.
In den östlichen Centralalpen mit ihren meist weichen
Gesteinen ist mir aber kein Beispiel bekannt, für welches nicht
die früher gegebene Erklärung ausreichte. Wohl aber gibt es
in Norwegen Sackthäler im krystallinischen Gestein, die genau
so steilwandig und wild sind, als die der Kalkalpen. Steil und
unnahbar erheben sich die dunklen Wände links und rechts
und schliessen sich rückwärts im Halbkreis zusammen.
Das grossartigste Beispiel, das ich in Norwegen gesehen,
ist der Thalschluss bei Lunde in Jölster, am Abhänge des
Jostedalsbrae. In geringer Meereshöhe liegt der Thalboden, die
Wände dürften theilweise wohl lOOOw hoch sein; Kaskaden
schwingen sich über sie herab; es ist ein schauerlicher Schlund,
dem gegenüber alpine Thalzirken von der Art des Gasteiner-
Nassfeldes oder der Ferleite eine überaus freundliche, offene
Landschaft scheinen.
Doch wird auch diese Form nach dem früher Entwickelten
nicht ganz unverständlich sein.
Gegenwärtig besitzt der Kessel von Lunde keinen Gletscher,
das heisst gerade dort, wo der Zirkus sich entwickelt hat, ist
kein Gletscher; ein solcher hängt gerade ihm gegenüber vom
Jostedalsbrae als schmale zerrissene Eiszunge herab. Der obere
Zirkusrand ist jetzt eisfrei. Der Grund liegt darin, dass er in
eine etwas niedrigere, jetzt eisfreie Stufe des Plateaus ein-
geschnitten ist. In der Eiszeit — auch in den letzten Stadien -
muss aber auch hier eine Eiszunge vorhanden gewesen sein;
es brauchte gegenwärtig nur eines etwas stärkeren Gletscher-
vorstosses, um wieder eine hinzubringen. Trotzdem sind
die Steilwände nicht geschliffen, sondern frische
Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen. 1 75
Bruchwände. Siesind also postglacial und noch gegenwärtig
in Weiterbildung begriffen. Die einstige Eiszunge, die sich hier
hinabschwang, hatte ihr Bett doch sicher geglättet und trog-
artig abgerundet.
Wie es hier zur Zeit eines grösseren Gletscherstandes aus
gesehen hat, können wir uns leicht vorstellen, wenn wir in eines
der benachbarten Thäler, in das des Boiumgletschers oder
nach Olden uns begeben, wo der Brixdals-, Melkevoids-,
Aabraekke- Gletscher sich über steile Stufen bis in noch
tiefere Thäler herabschwingen. Denken wir uns diese Eisströme
verschwunden, so würden wir aber ein anderes Bild sehen,
als uns das Sackthal von Lunde jetzt darbietet. Ein blank-
gescheuertes Gletscherbett zöge sich ohne besonders starke
Gefällsbrüche vom firnbedeckten Plateau in einem Neigungs-
winkel zu Thal, der bei aller Steilheit doch weit kleiner wäre,
als der der Hinterwand jenes Sackthaies.
Es gibt nur eine Kraft, welche nach Verschwinden der Eis-
zunge ein solches Gletscheroett in einen tiefen, noch viel steil-
wandigeren Schlund umgestalten kann. Dies ist der Gletscher-
bach, der dem Plateaufirn schon als gesammelte Wasserader
am oberen Thalbeginn entströmt, und in das alte Gletscherbett
sich rasch einschneidet, während oben die Firnbedeckung das
Plateau schützt und ein weiteres Rückwärtsschneiden verhindert.
Wäre oben kein Firn, sondern liefe das alte Gletscherthal an
einer Bergschneide aus, wie das in den Alpen der Fall wäre, so
hätten die einzelnen kleinen Wasserfäden nicht die Kraft das
Gletscherbett so rasch umzugestalten, und auch, da sie getrennt
wirken, nicht die Tendenz zur Ausbildung eines so schmalen
Sackthaies, als z. B. das von Lunde ist. Wo also der Firn auf-
hört, wird die Erosion beginnen und dort jener gewaltige Gefalls-
bruch sich entwickeln, mit dem der Übergang vom Plateau zum
Sackthal sich vollzieht.
Es scheint also, dass auch hier der Firnschutz auf der
Plateaufläche, während die Flanken des Gebirges den Angriffen
der Gletscherbäche ausgesetzt waren, zur Erklärung ausreicht,
so wie er in allgemeinerer Fassung das Auftreten der Fjorde
erklären soll. Die Sackthäler sind ja auch nichts anderes als
ein Glied der Formenreihe der Fjorde, und unterscheiden sich
176 E. Richter,
durchaus von den recenten Verwitterungsnischen der Hoch-
region, den eigentlichen Botnern vom Typus des Kjedel am
Galdhöpig.
Wenn einmal das fliessende Wasser den Anschnitt des
Gesteines besorgt hat, wird die Verwitterung das Nachbrechen
und Zurückweichen der Wände bewirken, und dazu helfen,
die durch einen Wassersturz geschaffene und rückwärts
geschlossene Schlucht halbkreisförmig zu erweitem. Freilich
wird die Entfernung des Materials nur durch den Bach, und
daher nicht so umfassend, als durch einen Gletscher besorgt;
grosse Sturzkegel sind daher in den Sackthäiern Regel.
Eine andere Art Sackthäler ist dann gegeben, wenn der
Ursprung eines Wasserlaufes in einem Botn liegt; eine Er-
scheinung, die dadurch möglich wird, dass viele Botner unter
die Schneegrenze hinabgreifen. Es ist auf diese Übergangs-
formen schon hingewiesen worden. Eine solche ist auch das
interessante Sackthal, in welchem der Bessevand (Jotunheim)
liegt.1
Die Fjordlandschaft.
Über Wesen und Charakter der norwegischen Fjorde sich
ausführlich auszusprechsn, scheint bei der Ausdehnung der
Literatur und dem allgemeinen Interesse, das seit O. Peschel
für die Fjordfrage rege geblieben ist, überflüssig.
Man wird im Allgemeinen die Fjorde als erosiv ansehen
können; als Thäler, die mit bestimmten Charakterzügen aus-
gestattet sind. Freilich scheint es, dass bei den grösseren der
norwegischen Fjorde ein Zusammenhang mit der Tektonik
nicht von der Hand zu weisen ist. Brögger hat es überzeugend
zu beweisen vermocht, dass der Umriss des Kristiania- Fjordes
von den Beziehungen des Silur zum Grundgebirge abhängig
ist. Bei den noch weit grösseren Fjorden der Westküste ist
etwas derartiges noch nicht nachgewiesen. Die ausserordent-
liche Ausdehnung und der überaus verwickelte Umriss, z. B.
des Hardanger-Fjordes macht es aber unmöglich eine solche
Erscheinung einfach unter die Bezeichnung »Erosionsthal« zu
1 Heiland, geolog. Undersölgelse, XIV, S. 99.
Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen. 177
subsummiren. Das kann bei den Verzweigungen der Fjorde
gelten, wie Närö- oder Oeiranger-, Lyster- oder Fjärland-Fjord
u. s. w., aber nicht bei Thälern, die an Ausdehnung nur mit den
grossen alpinen Längsthälern, wie Rhone-, Inn- oder Drauthal
vergleichbar sind. Auch diese haben ja einen viel verwickeiteren
im Gebirgsbau vorgezeichneten Ursprung, als dieThäler zweiter
und dritter Ordnung, wenn sie auch ihre jetzige Gestalt der
Erosion verdanken.
Voii diesen Fragen soll aber hier abgesehen werden. Die
inneren Theile der grossen Fjorde tragen durchaus und aus-
schliesslich den Charakter von Erosionsthälern. In welchem
Grade das Eis bei ihrer Ausarbeitung dem Wasser geholfen hat,
kann vorläufig unerörtert bleiben; sie ausschliesslich für Eis-
wirküng zu halten, ist unseres Wissens gegenwärtig wohl
niemand geneigt. Jedenfalls haben wir ein glacial beeinflusstes,
der Hauptsache nach aber wohl dem fliessenden Wasser zu
dankendes Thälsystem vor uns. •
Vergleichen wir dieses Thalsystem mit dem alpinen, so
fallen uns sofort zwei Unterschiede auf:
1. Die Fjordthäler sind im Durchschnitt viel steilwandiger
und nähern sich viel mehr der U-Form, gegenüber der in den
.^Ipen vorherrschenden V-Form.
Die Erklärung wird in der stärkeren Eiswirkung leicht
gefunden werden können.
2. Die Fjordthäler sind viel ärmer an Verzweigungen als
die Alpenthäler. Das hydrographische System ist unentwickelt,
es ist nicht bis zu seinen äussersten Consequenzen durch-
geführt wie anderswo. Eine Anzahl von Hauptrinnen ist mit
ausserordentlicher Wucht und Kraft ausgearbeitet; die Zufluss-
rinnen aber sind um so schwächer entwickelt. Neben dem
tiefen Fjord steht unmittelbar das unzerschnittene massive
Fjeld; während der eine Bach, der in den Fjord mündet, sich
bis auf den Meeresspiegel durchgeschnitten hat — es ist dies
allerdings gewöhnlich der Hauptbach — , läuft ein anderer,
kaum schwächerer, erst träge in einem flachen Fjeldthal, um
dann plötzlich in hoher Kaskade über die Fjordwand hinab-
zustürzen. Zahlreiche Seitenthäler münden hoch oben in die
Fjorde aus; sie sind durch die steile Fjordwand so plötzlich
Sitxb. d. mathem.-naturw. GL; CV. Bd., Abth I. 12
178 E.Richter,
unterbrochen, als wenn der Boden mit dem Messer abgeschnitten
wäre. Es sind meist weite glaciale Trogthäler, wie sie für das
Fjeld charakteristisch sind; der Gegensatz, den ihre sanften
Formen zu den furchtbaren steilwandigen Schlünden eines
Närö- oder Geiranger-Fjordes und so vieler anderer bilden, kann
nicht schärfer gedacht werden. Man sieht auch in den Alpen-
thälern ungleiche Entwicklungsstadien verschiedener Glieder
eines und desselben Flusssystems, höher gelegene Seitenthal-
mündungen u. dergl.; doch sind diese Erscheinungen ziemlich
unbedeutend gegenüber der Grossartigkeit und Regelmässigkeit,
mit der sie in Norwegen auftreten (Siehe Fig. 4). Es ist leicht
verständlich, dass die Mündung eines Seitenthaies zurückverlegt
wird und in eine relativ höhere Lage zum Hauptthal gelangt,
wenn dieses aus einem fluviatilen V-Thal in ein glaciales U-
Thal verwandelt wird. Das unterste, ohnedies gewöhnlich ziem-
lich steile Stück des Seitenthaies wird wegrasirt und dieses
gewissermassen angeschnitten. Auch diese Erscheinung sieht
man an den norwegischen Fjorden nicht selten. Aber das ist
doch etwas anderes als die hochliegenden, wenig ausgeprägten
Fjeldthäler. Für diese reicht die hier gegebene Erklärung
nicht aus.
Suess hat »Antlitz«, 11,426, den charakteristischen Fjord-
querschnitt abgebildet und den oberen scharfen Rand eines
U- Thaies mit der terrassenartig sanfter geneigten Fläche
dahinter Schulter genannt. Auch die Zerstörung der Schulter
durch die postglacialen Seitenbäche ist an derselben Stelle
besprochen und bildlich wiedergegeben. Man sieht die Ansätze
dieser Art überall, doch staunt man nicht selten über den
geringen Erfolg, den das fliessende Wasser in der postglacialen
Zeit erzielt hat.
In der Regel stehen die Schultern beiderseits scharf und
trotzig da. Erreicht man die Höhe des Fjeldes, so verräth kein
Anzeichen die Nähe der tiefen Fjordschlucht.
In das flach und schwächlich entwickelte, glacial stark
umgestaltete Thalsystem des Fjeldes schneidet das Sj'-stem
der steilwandigen, schluchtartigen, um 1000 — 2000 w tieferen
Fjordthäler sich ein; ohne jeden Übergang, ganz rücksichtslos
könnte man sagen (Siehe Fig. 4).
Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen. 179
Es ist das einer der merkwürdigsten Züge der Fjord-
landschaft. Zunächst ist die Sache auch verwunderlich genug.
Wenn der Fluss, der in dem jetzigen Fjordthal lief, kräftig
genug war, sich so einzuschneiden, dass diese enormen und in
den Alpen unerreichten Schluchtwände entstanden, weshalb
war sein Tributär, der vielleicht nicht viel schwächer ist, nicht
stark genug, auch nur die geringste Rinne auszugraben und
zerflattert als »Fos« an der hohen Felswand? Weshalb ist die
Erosion im Hauptthal der im Seitenthal so unverhältnissmässig
vorausgeeilt, dass dieses mitten durchgeschnitten erscheint,
so scharf, dass nicht einmal die Schnittkanten noch ab-
gerundet sind?
Es muss eine Zeit gegeben haben, wo die thalbildenden
Kräfte auf den Linien der heutigen Fjorde und ihrer Haiipt-
zuflussthäler mit grösstem Erfolge wirken konnten, während
sie auf den benachbarten höher gelegenen Gebirgstheilen und
in den Seitenverzweigungen niederer Ordnung ausser Action
gesetzt waren.
Das kann nicht eine Zeit gewesen sein, in der das ganze
Land gleichmässig den Wirkungen des abfliessenden Regens,
also der gewöhnlichen Flusserosion ausgesetzt war; dann
müsste das hydrographische Netz consequent durchgeführt sein ;
es hätte nicht eine Platte mit tiefen Rinnen, sondern ein regel-
mässig geböschtes und abgedachtes Gebirge entstehen müssen.
Ebensowenig konnten diese Formen unter einer allgemeinen
Eisdecke entstanden sein. Die wilden steilen Fjordwände sind,
trotzdem sie meist geschliffen sind, nicht glacialen Charakters.
Das Eis schafft runde weiche Formen, aber nicht Canons.
Es scheint, dass die obige Bedingung: energische Erosion
auf den Hauptfurchen, Stillstand der Erosion auf der Höhe des
Gebirgsmassivs nur durch die Annahme erfüllt werden kann:
Wassercirculation oder schnellbewegte Eisströme in
schon vorgezeichneten Tiefenrinnen; Firneinhüllung
der höheren Gebirgspartien.
Diese Annahme trifft heute noch zu für den Stock des
Jostedalsbrae. Das Plateau ist mit Firn bedeckt; Eisströme
reichen an vielen Stellen bis gegen das Meer. Die mächtigen
Gletscherbäche und die Eisströme selbst erodiren kraftvoll.
12*
180 E.Richter,
Kaum in einem anderen Theil von Norwegen ist aber auch der
oben geschilderte Contrast so scharf als hier; das steilwandige
unzertheilte Fjeld und der tiefe Fjord. E>er Loen-See und der
Olden-See sind von allen norwegischen Bildern die norwegi-
schesten.
Zur Zeit als die Fjorde auf ihre jetzige Form gebracht
wurden, muss die Schneegrenze tiefer gelegen haben und Eis-
ströme müssen die Fjorde zum Theile erfüllt haben. Die deut-
liche U-Form der Gehänge und die Barren am Ausgang der
Fjorde nöthigen zu dieser Annahme. Das Thalsystem selbst ist
aber ebenso sicher nicht glacialen Ursprunges, sondern stammt
aus einer eisfreien Zeit; denn es ist in den Hauptzügen hydro-
graphisch angeordnet, wie es Eis niemals schaffen könnte.
Wir kommen somit zur Annahme, dass die entscheidende
Periode für die Entstehung der Fjorde und insbesondere für
die Herausbildung ihrer charakteristischen Züge, der Steil-
wandigkeit der Furchen und der Unberührtheit der trennenden
Stöcke, die Zwischenperioden der Eiszeit, oder deren geringere
Stadien gewesen sind.
Gleichzeitig mit der Austiefung der Fjorde in den älteren
Interglacialperioden und der jüngeren Eiszeit erfolgte die
glaciale Denudation des Fjeldes, einerseits durch Abschleifung,
anderseits, und wie wir annehmen wirkungsvoller, durch die
oben besprochene Botnerbildung, die Zerstörung der Grate und
Gebirgskämme. In der ungefähren Höhe der Schneegrenze
wurden sie abgenommen, und heute sehen wir das Ergebniss
dieser Arbeit eben.so in der welligen Oberfläche des schnee-
freien Fjeldes, als besonders deutlich in den grossen Plateau-
gletschern von Jostefjeld und Folgefond vor uns. Die Gebirgs-
kämme, welche vorauszusetzen sind, als vor der ersten Eiszeit
hier ein regelmässiges, hydrographisch gegliedertes Gebirge
aufragte, sind bis auf die letzte Spur verschwunden, und die
Gletscher, welche die Arbeit verrichtet haben, ragen nur ganz
wenig über die Schneegrenze empor. Sie werden noch vor-
handen sein, wenn die stolzen Zinnen von Jotunheim, die
wilden Horunger und der plumpe Galdhöpig längst verwittert
und ihre Strünke unter sanft gewölbten Schneehauben ver-
schwunden sein werden.
Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen. 1 8 1
So erklärt sich die Fjordbildung in ungezwungener Weise.
Die Schneegrenze mag in den verschiedenen Perioden, die wir
als günstig für die Ausarbeitung des Gegensatzes zwischen
Fjord und Fjeld angenommen haben, nicht immer ganz gleich
hoch gelegen haben; der Unterschied war aber sicherlich nicht
sehr gross. Immer wird man annehmen können, dass gleich-
zeitig Flüsse oder Eisströme die .Thäler vertieften und ihre
Wände steiler machten, während in der Höhe die Gipfel ver-
schwanden und eine Denudationsebene geschaffen wurde. Der
Gefallsbruch an der Stelle, wo sich diese Ebene mit den Fjord-
schluchten verschneidet, die Schulter, musste immer schärfer
werden und schliesslich sich so sehr einem rechten Winkel
nähern, wie wir das jetzt sehen.
Auf diese Weise sind zwei Haupteigenschaften der norwe-
gischen Fjorde erklärt: die Steilwandigkeit und die unvollstän-
dige Durchführung des hydrographischen Systems. Es wird
zwar auch aus der neusten Zusammenstellung von Dinse*
nicht ganz klar, ob für alle Fjordgebiete der Erde jener Gefälls-
bruch so charakteristisch ist wie für die norwegischen Fjorde;
ob überall der Gegensatz zwischen der steilwandigen Fjord-
schlucht und dem ebenen Fjeld so lebhaft ist als hier. Sicher
ist, dass Riasküsten und solche von dalmatinischem Typus
und Steilküsten wie die ligurische sich schon durch den
Mangel jenes Gefallsbruches ganz auffallend von dem norwe-
gischen Typus entfernen, sollte der Grundriss ihrer Einbuch-
tungen auch einmal fjordähnlich aussehen.
Während die Steilwandigkeit der Fjorde oft hervorgehoben
worden ist, hat man die andere, daraus hervorgehende Eigen-
schaft, die unvollständige Ausbildung des hydrographischen
Systems, weniger beachtet. Doch ist sie nicht weniger charak-
teristisch, und es wird nicht zu bezweifeln sein, dass eine
Vergletscherung, welche nicht eine völlige Einhüllung in Eis
ist, der einseitigen Ausbildung gewisser schon vorhandener
Hauptthalgerinne, die unter die Schneelinie zu liegen kommen,
auf Kosten anderer, die oberhalb der Schneegrenze bleiben,
günstig sein muss; denn unter Firn ruht die Erosion von
1 Zeitschr. der Berl. Ges. für Erdkunde, 1895/1.
182 E.Richter,
Furchen um dort umso kräftiger zu erwachen, wo der Gletscher-
bach hervortritt oder wo ein rascher Eisstrom fliesst.
Nach J. Geikie^ haben wir für Skandinavien eine vier-
malige gänzliche Vereisung und darnach noch zwei schwächere
Vorstossperioden der Gletscher anzunehmen; nach Hansen
zwei grosse und zwei kleinere Eiszeiten.* Der Unterschied
beruht darin, dass Hansen Geikie*s erste und dritte Eis-
zeit, für die thatsächlich in Skandinavien wenig Zeugnisse
vorhanden sind, nicht kennt. Für unsere Betrachtung ist es
von untergeordneter Bedeutung, ob wir eine oder zwei Unter-
brechungen der Eiszeit mehr anzunehmen haben oder nicht;
das Entscheidende ist der mehrmalige Wechsel von Wasser-
und Eisstromarbeit in den Thälern, und darüber ist wohl kaum
mehr ein Zweifel gestattet. Welches Klima vor der ersten Eiszeit
herrschte, wissen wir nicht. Man weiss, dass die Tertiärperiode
wärmer war als die Gegenwart und allmälige Abkühlung ein-
trat. Da in Skandinavien kein marines Tertiär gefunden wird,
wird man annehmen müssen, dass das Land wie heute hoch
über die See emporragte. Freilich findet man auch keine Süss-
wasserablagerungen. Man wird voraussetzen können, dass sie
der mehrmaligen glacialen Denudation zum Opfer gefallen sind.
Aus dieser Zeit stammen wohl die Grundzüge des heutigen
Fjordnetzes, das präglaciale Thalsystem des Westabhanges der
Halbinsel; wir denken es uns viel weniger tief eingeschnitten
als jetzt, ein regelmässiges hydrographisches System, ohne die
charakteristischen Gefällsbrüche und Steilwände der Gegen-
wart.
Es kam nun die erste Eiszeit, Geikie's Scanian; wir
wissen wenig von ihr. Von Geikie wird sie ungefähr als
gleichwerthig mit der vierten (dem Mecklenburgian) geschätzt.
Darnach müsste man eine vollkommene Firnbedeckung der
höheren Theile der Halbinsel und Eisströme in den Thälem
voraussetzen, die bis zum heutigen Küstensaum reichen. Damals
wird die glaciale Ausweitung und Ausrundung aller Thäler
begonnen haben.
1 Great Ice Age, III. AuOage, 1894.
3 Glacial Succession in Norway. Journ. of Geology, 1894, p. 144.
Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen. 1 83
Zwischen der ersten und zweiten Eiszeit, im Norfolkian,
herrschte nach den Fossilienfunden ein Klima, welches un-
gefähr dem heutigen vergleichbar ist. Das Land stand höher.^
Unter solchen Umständen waren die vorausgesetzten Bedin-
gungen für die Ausbildung der Fjorde in einem vollkommenen
Grade gegeben. Die höheren Theile des Fjeldes waren verfirnt,
die präglacialen Fjordthäler, deren Grund noch über der See lag,
eisfrei; das Fjeld selbst war ebenfalls höher, auch deshalb, weil
es noch weniger denudirt war. Es herrschten also Verhältnisse,
wie heute in der Umgebung von Folgefond oder Jostedalsbrae.
Es folgt die zweite Eiszeit, Geikie's Saxonian, die grösste
von allen; sie entspricht Hanse n*s proteroglacialer Periode.
Sie war es, die die skandinavischen Findlinge an den Fuss des
Riesengebirges, nach Holland und England brachte und die
äusseren Moränen des Alpenvorlandes schuf. Damals muss
ganz Norwegen mit einer so grossen Eislast bedeckt gewesen
sein, dass kaum irgend ein Stück des Bodens sichtbar war.
In dieser Zeit ist die Abschleifung eine allgemeine und gleich-
massige gewesen; die Ausbildung gegensätzlicher Formen, wie
Fjeld und Fjord, kann keine Fortschritte, sondern nur Rück-
schritte gemacht haben.
Es folgte abermals eine Interglacialzeit, das Helvetian, mit
gemässigtem, aber wohl kühlerem Klima als die frühere, daher
abermals Vergletscherung der Höhen; Eisfreiheit der Thäler,
Weiterbildung des Gegensatzes.
Die nächste Eiszeit wäre das Polandian, die Periode der
inneren Moränen des Alpenvorlandes; sie war für die Alpen
bis in die neuere Zeit die eigentliche Eiszeit, von der man
überhaupt sprach und wusste. Sie brachte für Skandinavien
eine fast ebenso starke Vereisung als die erste. Es ist also
abermals Stillstand in der Fjordbildung anzunehmen.
Die nächste Interglacialzeit (Geikie's Neudeckian) zeigt
wieder weniger warmes Klima als die vorhergegangene, doch
ist die Fauna »sicher nicht arktisch«.
^ Geikie, S. 781 : The fjordvalleys of Norway and Scotland have been
excavaled by running water at a time, when the land stood some 2000 to
3000 feet higher than now. And the same may be said of the fjordvalleys of
North America and Greenland.
184 E.Richter,
In der vierten Eiszeit, dem Mecklenburgian, als die
mecklenburgischen und südnorwegischen Erdmoränen auf-
geschüttet wurden — Hansen's deuteroglaciale Epoche — ,
reichten die norwegischen Eisströme nur mehr bis zum Aus-
gang der Fjorde. Dieser Periode wird man den letzten glacialen
Schliff der Fjordlandschaft, insbesondere die Vertiefung der
Fjordgründe und die Aufschüttung der Fjordbarren zuschreiben
dürfen. Da das Fjeld auch in seinen niedrigen Partien mit
Firn bedeckt war, wird diese Periode für die Verschärfung
der Gegensätze besonders wirksam, vielleicht entscheidend
gewesen sein.
Die zwei noch folgenden Vorstossperioden (Hansen's
»epiglaciale« und »subglaciale« Periode) brachten die Eis-
zungen nur bis zu den rückwärtigen Endungen der Fjorde;
ihnen werden die Abdämmungen einiger Fjordwinkel zu
Binnenseen (Eidsvand bei Skjolden in Lyster und " ähnliche
Erscheinungen) zuzuschreiben sein.
Es ist noch die Frage zu erörtern: weshalb sind alle
Fjordküsten jetzt zum Theil überschwemmt; weshalb sind die
Thäler, welche zwischen den firnbedeckten Massiven so eigen-
thümlich erodirt wurden, gegenwärtig zum grösseren Theile
Meeresbuchten?
Dafür gibt es zwei Erklärungen. Einmal ist zu beachten,
dass eine Erosion durch Eisströme nicht wie die des fliessenden
Wassers streng auf die Gebiete oberhalb des Meeresniveaus
gebunden ist. Eine Meeresbucht, die von einem Eisstrome
erfüllt ist, der nicht schwimmt, kann durch diesen tiefer
gemacht und ein Thal, dessen Sohle nicht all' zu hoch über
dem Meeresspiegel liegt, von einem starken Eisstrom auch
unter diesen vertieft werden.
Da aber solche Vorgänge gewiss nicht ausreichen würden,
um eine so grossartige und weitverbreitete Erscheinung zu
erklären, so bleibt nur eine andere, ebenfalls allgemeine Ursache
anzunehmen übrig: die Erdoberfläche befindet sich
gegenwärtig im Zeitalter einer Transgression.
Für diese Annahme sprechen ausser der Existenz der
Fjorde, die ja unter allen Umständen, auch wenn man die hier
aufgestellte Theorie nicht billigt, als inundirte Thäler auf-
Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen. 1 85
zufassen sein werden, noch zwei Gründe: erstens die Korallen-
inseln, sobald man die jetzt wieder zu Ehren kommende
Darwin'sche Erklärung annimmt, und zweitens der Umstand,
dass fast überall auf der Erde die Küsten den Umriss inun-
dirter Festlandspartien, nicht den erhobener Theile des
Meeresbodens zeigen.
Mit den beiden Annahmen: Vergletscherung prägla-
cialer Thäler und Transgression scheint aber überhaupt das
Fjordphänomen in allen seinen Eigenschaften ausreichend
erklärt.
Die charakteristischen Eigenschaften der Fjorde sind:
a) Steilwandigkeit, b) ungleichmässiges Gefälle des Grundes
oder Beckenbildung, c) trogartige Ausschleifung der Wände,
d) geselliges Auftreten ausschliesslich im Seeklima der kühleren
Hälfte der gemässigten Zonen.
Alle diese Eigenschaften erklären sich durch die Ver-
gletscherung.
Weitere Eigenschaften sind: e) Eine Anordnung hydro-
graphischer Natur, d. h. reihenweises geselliges Auftreten
neben einander, Verzweigung ins Innere, ähnlich Flussläufen,
obwohl sie jetzt nicht Stätten fliessender Gewässer sind,
y? unterseeische Fortsetzungen durch seichte Meere bis in tiefere
Meeresgebiete.
"Diese Eigenschaften, also überhaupt die Existenz der
Fjorde als Meeresbuchten, erklärt sich durch präglaciale Bil-
dung und Meerestransgression oder positive Strandverschiebung.
Zwei weitere Eigenschaften, g) die Auflösung der Fjord-
küsten durch Fjordstrassen, also die Existenz grösserer vor-
liegender Inseln, dann h) der vorliegende Schärenhof bedürfen
einiger Worte mehr, und zwar müssen die genannten beiden
Erscheinungen strenge von einander geschieden werden.
Die Entstehung von Fjordstrassen ist aufzufassen als Er-
gebniss der Durchkreuzung und Verschmelzung ursprünglich
unabhängiger Thalsysteme. Die Sache erscheint dort, wo der
natürliche Zusammenhang der einzelnen Gebirgskörper durch
einen Wasserspiegel verschleiert ist, meist viel wunderbarer
als sie wirklich ist. Würde man eine Fjordküste um einige
100 m aus dem Wasser heben können, so käme eine Anzahl jetzt
186 E. Richter.
unterseeischer Verbindungsrücken(»Eide»),gemeinsamer Sockel
u. dergl. zum Vorschein, welche einen verständlichen oro-
graphischen Zusammenhang herstellten. Wir würden dann eine
sehr auffallende Ähnlichkeit mit den Randpartien anderer Ge-
birgsländer in allen Theilen der Erde wahrnehmen. Die Zahl
isolirter Stöcke und Gruppen, die nur mittelst niedriger Rücken
oder Thalwasserscheiden mit der Hauptmasse des Gebirges
zusammenhängen, ist sowohl am Süd- als am Nordrand der
Alpen überaus gross. Solche Abtrennungen sind also keine
nur für Fjordküsten charakteristische Erscheinung, sondern
ein ganz allgemeines Phänomen der Gebirgsbildung, weiches
nur an inundirten Gebirgsrändern in auffallenderer Weise
sichtbar wird. Man denke z. B. an die dalmatinische Küste,
welche gewiss keine Fjordküste ist, sondern durch eine Reihe
höchst charakteristischer Eigenschaften von einer solchen sich
unterscheidet; eines hat sie aber doch mit ihr gemeinsam, das
sind die Abtrennungen einzelner Stücke des Festlandes. Es
werden solche in Gebirgen überall dort eintreten, wo zwei Systeme
von Tiefenfurchen für den orographischen Bau massgebend
gewesen sind; in Dalmatien sind es die Längsfalten des Ge-
birgsbaues und die darauf und zur Küste ungefähr senkrecht
stehenden Erosionsfurchen, deren Verlauf vielfach wieder durch
Brüche und Absenkungen bestimmt sein wird. Ähnlich ist es
in den nördlichen Kalkalpen, wo die Längsfalten des Gebirges
und die zonale Aufeinanderfolge verschiedener Gesteine von
den Querthalfurchen ungefähr senkrecht geschnitten werden.
Durch die leichtere und raschere Zerstörung gewisser Gesteins-
partien und durch die gewöhnliche Wassererosion ist so ein
netzartiger Verlauf der Tiefenfurchen hervorgebracht, der im
Falle derTransgressionAnlass zu zahlreichen Fjordstrassengäbe.
Es wird sich daher auch bei den wirklichen jetzt bestehen-
den Fjordküsten empfehlen, bei Erklärung der Fjordstrassen
zunächst nach der Tektonik zu fragen. Dass sie hier an
bestimmten Stellen dieselbe Rolle spielt wie in den Alpen, dafür
ist ein von mir besuchter, sehr bekannter Platz in Norwegen,
die Gegend nördlich von Bergen, der deutlichste Beweis. Dort
laufen die Falten des silurischen Gesteins von NW nach SO,
während die Richtung des Öster-Fjordes im Allgemeinen NO
Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen. 187
bis SW, des Sör-Fjordes S — N, dann O — W ist. Durch die
Gletscherwirkung und gewöhnliche Oberflächendenudation sind
die Falten als zahllose nebeneinander laufende niedrige Rücken
an der Oberfläche zum Ausdruck gekommen, zwischen sich
Thäler, Fjorde und Binnenseen offen lassend. Das Blatt der
norwegischen Rektangelkarte, welches dieses Gebiet dar-
stellt, zeigt ganz deutlich, wie Fjordstrassen und Inseln durch
die Kreuzung dieser zwei Richtungen entstehen.
Zahlreiche Veranlassungen zur Kreuzung von Thalfurchen
bot die Vergletscherung dar. Auch im Innern Norwegens sind
niedrige Thalwasserscheiden, isolirtes Hervortreten einzelner
Stöcke, unklares Verschmelzen von Thalfurchen, scheinbare
Gabelungen überaus häufig; man könnte mit ihrer Aufzählung
ein Buch füllen. Auch an offenbaren Beispielen rückschnei-
dender Erosion, die zur Anzapfung von Thälern führte, fehlt es
nicht. Ein sehr auffallendes ist Stardal-Jölster. Ein breites, wohl
ausgebildetes Thal führt vom Fuss des Jostedalsbrae, wo es mit
dem gewaltigen Amphitheater von Aamot schliesst, hinaus zum
Jölstervand. Es ist aber von Norden her zweimal »angezapft«
worden, wie die nebenstehende Kartenskizze lehrt (Fig. 5). Man
wird die Erklärung nicht bloss darin finden, dass im Norden der
durchschnittenen Gebirgskette der Meeresspiegel näher liegt,
als im Süden, sondern auch darin, dass das angezapfte Thal
mit einem grossen Eisstrom angefüllt war, der Seitenäste über
die vorhandenen Wasserscheiden nach Norden sendete. Deren
Abflüsse schnitten sich rasch in die Nordseite der Wasser-
scheiden ein, während die Südseiten unter ihrer Eisbedeckung
vor dem fliessenden Wasser geschützt waren; vielleicht auch
durch die Eisbewegung in der Richtung gegen die Wasser-
scheide erniedrigt wurden. Ohne Intervention eines über die
Wasserscheide, also gegen die Richtung des einen Flusses
hin wirkenden Gletschers, ist die gänzliche Zerstörung einer
Wasserscheide schwer denkbar, weil zwischen den beiden
nach verschiedenen Seiten hin wirkenden Gewässern immer
ein todter Punkt oder, wenn der Ausdruck gestattet ist, eine
todte Linie bleiben muss.
Wäre jenes Gebiet um 200—300 m versenkt, so hätte man
zwei Fjordstrassen von erstaunlicher Enge vor sich.
188 E.Richter,
Die Erscheinung der Fjordstrassen ist also im Allgemeinen
durch positive Strandverschiebung und Vereisung genügend
erklärt, da ihre Voraussetzungen an allen Rändern complicirter
gebauter Gebirge gegeben sind und sie durch wiederholte Ver-
eisungen mächtig gefördert wird.
Das Auftreten des Schärenhofes an der norwegischen
Küste ist durch Reusch in vollkommen befriedigender Weise
erklärt worden.^ Man hat eine »Strandebene« vor sich, die
durch Brandungswirkung entstanden ist.
Da sie interglacial ist, wurde sie geschliffen, und da das
Meer seit ihrer Bildung mehrmals seinen Stand, wenn auch
nicht beträchtlich änderte, ist sie zum Theil überschwemmt,
zum Theil wasserfrei. Sie hat zunächst mit der Fjordbildung
nichts zu thun, sondern ist eine Sache für sich.
Jede aus hartem Gestein bestehende, durch eine Eiszeit
modellirte Ebene bildet, wenn sie zum Theil unter Wasser
gesetzt wird, eine Schärenküste. Diese ist nichts Anderes
als die typische Uferform glacial bearbeiter Platten; daher findet
sie sich ebenso in Schweden und Finnland als an den nord-
amerikanischen Seen.2 Die schwach entwickelten Fjordküsten,
wie die von Maine, bilden eine Übergangsform zwischen
der Schären- und Fjordküste.
Betrachten wir schliesslich eine Steilküste ausserhalb des
Fjordgebietes, z. B. die ligurische Küste am Mittelmeer, um
über die charakteristischen Unterschiede gegenüber den Fjord-
küsten und ihre Ursachen vollends ins Klare zu kommen.
Die ligurische Küste hat zwar Querthäler, aber sie sind
nicht inundirt. Es hat also entweder keine Transgression statt-
gefunden, oder wenn eine solche sich einmal eingestellt hat, so
hat die Ausfüllung der Thäler mit der Senkung Schritt gehalten.
Diess ist bei den Fjorden niemals der Fall gewesen, weil die
Eiserfüllung die Schuttfüllung ausschloss.
Daraus ergibt sich für Fjordküsten die Folgerung,
dass die Transgression zur Eiszeit stattgefunden
haben muss.
1 Geologiske Undersölgelse, XI V^ 1.
2 Ratzel in Peterm. Mitth. 1880.
Geomorphologische Beobachtungen aus Norwegen. 189
Die Thäler der ligurischen Küste haben an ihren Hängen
keinen Gefällsbruch, die Seitengräben sind nicht durch hohe
Stufen abgeschnitten; die Bergkämme sind nicht zu Plateau-
stöcken abgeflacht; die Thäler sind nicht trogartig ausgerundet;
sie haben keine Becken: alles weil sie nie vergletschert waren.
Die Küste hat keinen Schärenhof vor sich, weil die
schwache Brandung des Mittelmeeres keine Abrasionsfläche
schaffen konnte.
Die gebirgigen Küsten wärmerer Zonen ausserhalb der
Vergletscherung haben also keine Fjorde; aber auch die flachen
Küsten der Arktis, wie die nordasiatischen, haben weder Fjorde
noch Schären, weil sie nicht vergletschert waren.
Damit scheint also die Beschränkung der Fjorde auf das
Gebiet der alten Vereisung hinreichend erklärt. Es war natür-
lich, dass man auf den Gedanken verfiel, die Fjorde müssten
von den Gletschern erodirt sein, sobald man darüber ins Reine
gekommen war, dass sie ausserhalb jenes Gebietes nicht vor-
kommen. Genauere Beobachtungen haben gezeigt, dass der
Zusammenhang zwar nicht so einfach, aber nicht weniger
zwingend ist.
1
E. Richter: Geomorpholog. Beobachtungen aus Norwegen.
Taf. I.
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Sitzungsberichte d. kais. Akad. d. Wiss., math.-naturw. Classe, Bd. CV. Abth. I. 1896.
E. Richter: Geomorpholog. Beobachtungen aus Norwegen.
Taf. II.
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/
Motiv aus dem Näröfjord.
Fig. 5. Stardal in Jölster.
Sitzungsberichte d. kais. Akad. d. Wiss., math.-naturw. Classe, Bd. CV. Abth. I. 1896.
Die Sitzungsberichte der mathem.-naturvv. Classe
erscheinen vom Jahre 1888 (Band XCVII) an in folgenden vier
gesonderten Abtheüungen, welche auch einzeln bezogen
werden können:
Abtheilung L Enthält die Abhandlungen aus dem Gebiete der
Mineralogie, Krystallographie, Botanik, Physio-
logie der Pflanzen, Zoologie, Paläontologie, Geo-
logie, Physischen Geographie und Reisen.
Abtheilung II. a. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der
Mathematik, Astronomie, Physik, Meteorologie
und Mechanik.
Abt Heilung II. b. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der
Chemie.
Abtheilung III. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der
Anatomie und Physiologie des Menschen und der
Thiere, sowie aus jenem der theoretischen Medicin.
Dem Berichte über jede Sitzung geht eine Übersicht aller
in derselben vorgelegten Manuscripte voran.
Von jenen in den Sitzungsberichten enthaltenen Abhand-
lungen, zu deren Titel im Inhaltsverzeichniss ein Preis beigesetzt
ist, kommen Separatabdrücke in den Buchhandel und können
durch die akademische Buchhandlung Carl Gerold's Sohn
(Wien, I., Barbaragasse 2) zu dem angegebenen Preise bezogen
werden.
Die dem Gebiete der Chemie und verwandter Theile anderer
Wissenschaften angehörigen Abhandlungen werden auch in be-
sonderen Heften unter dem Titel >Monatshefte für Chemie
und verwandte Theile anderer Wissenschaften« heraus-
gegeben. Der Pränumerationspreis für einen Jahrgang dieser
Monatshefte beträgt 5 fl. oder 10 Mark.
Der akademische Anzeiger, welcher nur Original-Auszüge
oder, wo diese fehlen, die Titel der vorgelegten Abhandlungen
enthält, wird, wie bisher, acht Tage nach jeder Sitzung aus-
gegeben. Der Preis des Jahrganges ist 1 tl. 50 kr. oder 3 Mark.
SITZIJNGSBERICHTI
/
3-2^
DER KAISERLICHEN
ADEMIE DER WISSENS!
TÄATHE M ATI S CH - NATURWISSEN SCHAFTLICI
CZ-\^. BAND. III. UND IV. HEF
JA
laG 1896. — MÄRZ und
ABTHEILUNG I.
j^g. ^a^B HANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DI
rf-*^'^^'^ <^R>Vl*mE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFL.
^'tr«'«'^^'''^*^ , ^--^TF^ OEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPI
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'3 T-A-FELN,' 2 KARTENSKIZZEN UND 1 TEXTl
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• WIEN, 1896.
IC H-KÖNIGLICHEN HOF- VND STA
ji^tW^ISSlON BEI CARL GEROLD'S S
^^ DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER Wl^SE.^■b
KNHALT
des 3. und 4. Heftes März und April 1896 des CV. Bandes, Abthoilung" I
der Sitzungsberichte der mathem.-naturw. Classe.
Seite
Vn. Sitzung vom 5. März 1896: Übersicht . 193
Vin. Sitzung vom 12. März 1896: Übersicht 195
IX. Sitzung vom 19. März 1896: Übersicht 196
Zukal H., Morphologische und biologische Untersuchungen über
die Flechten. (III. Abhandlung.) [Preis : 75 kr. = 1 Mk. 50 Pfg.] 1 97
^ X. Sitzung vom 16. April 1896: Obersicht 267
Maly G, W., Untersuchungen über Verwachsungen und Spaltungen
von Blumenblättern. (Mit 2 Tafeln.) [Preis: 45 kr. =90 Pfg.] 269
Ginzberger A., Über einige Lathyrus -Arien aus der Section Eula-
thyrtis und ihre geographische Verbreitung. (Mit 1 Tafel,
2 Kartenskizzen und 1 Textfigur.) Preis: 1 fl. = 2 Mk.] . . 281
XI. Sitzung vom 23. April 1896: Übersicht 353
Preis des ganzen Heftes: 1 fl. 75 kr. = 3 Mk.50 Pfg.
l^u'I
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAHEN.
MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CV. BAND. III. HEFT.
ABTHEILUNG I.
ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE,
KRYSTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE,
PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN.
13
193
VII. SITZUNG VOM 5. MÄRZ 1896.
Erschienen: Sitzungsberichte, Bd. 104. Abth. I, Heft IX (November 1895),
femer das Heft I (Jänner 1896) des 17. Bandes der Monatshefte für
Chemie.
Herr Prof. Dr. J. Puluj in Prag übersendet einen Nach-
trag zu seiner in der Sitzung vom 13. Februar 1. J. vorgelegten
Abhandlung: »Über die Entstehung der Röntgen'schen
Strahlen und ihre photographische Wirkung«.
Herr Dr. Alfred Naiepa, Professor- am k. k. Elisabeth-
Gymnasium im V. Bezirke in Wien, übersendet eine vorläufige
Mittheilung: » Paraphytoptns, eine neue Phytoptiden-
Gattung.« •
Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen
vor:
1. Ȇber die analytische Form der concreten stati-
stischen Massenerscheinungen«, von Dr. Ernst
Blaschke, Privatdocent an der k. k. Universität in Wien.
2. »Berechnung des Umfanges der Ellipse«, von Herrn
Theodor Schmidt, Ingenieur in Wien.
Das vv. M. Herr Prof. Friedrich Brauer überreicht einen
Bericht von Dr. Rudolf Sturany über die Mollusken I
(Prosobranchier und Opisthobranchier; Scaphopoden;
Lamellibranchier), welche anlässlich der österreichischen
Tiefsee-Expeditionen S. M. Schiffes »Pola« 1890 — 1894 ge-
dredscht wurden.
194
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nich^
zugekommene Periodica sind eingelangt:
Wettstein R. v., Monographie der Gattung Euphrasia.
Arbeiten des botanischen Institutes der k. k. deutschen
Universität in Prag. (Mit 14 Tafeln, 4 Karten und 7 Text-
figuren.) Mit einem De Candolle- Preis ausgezeichnete
Arbeit. Herausgegeben mit Unterstützung der Gesellschaft
zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur
in Böhmen. Leipzig, 1896; 4^^.
195
VIII. SITZUNG VOM 12. MÄRZ 1896.
Das c. M. Herr Prof. G. Goldschmiedt übersendet eine
im chemischen Laboratorium der k. k. deutschen Universität in
Prag ausgeführte Arbeit von Prof. Dr. Karl Brunner, betitelt:
»Eine Indoliumbase und ihr Indolinon«.
Herr Hugo Zukal in Wien übersendet eine III. Abhandlung
(Schluss) seiner Arbeit: »Morphologische und biologische
Untersuchungen über die Flechten«.
Der Secretär bringt den wesentlichen Inhalt einer brief-
lichen Mittheilung zur Kenntniss, welche von dem wissen-
schaftlichen Leiter der Expedition S. M. Schiffes «►Pola« im
Rothen Meere, Herrn Hofrath Director F. Steindachner, w. M.,
aus Suez eingelangt ist.
IW
IX. SITZUNG VOM 19. MÄRZ 1896.
Erschienen: Sitzungsberichte, Bd. 104, Abth. I, Heft X (December 1 895).
Herr Prof. Dr. L. Weine k, Director der k. k. Sternwarte
in Prag, übermittelt als Fortsetzung seiner Mondarbeiten
zehn weitere photographische Mondvergrösserungen nach
den neuesten Aufnahmen der Lick-Stemwarte.
Das c. M. Herr Prof. Franz Exner in Wien übersendet eine
in Gemeinschaft mit Herrn stud. phil. E. Hasch ek ausgeführte
Arbeit: Ȇber die ultravioletten Funkenspectren der
Elemente« (II. Mittheilung).
Das c. M. Herr Prof. Zd. H. Skraup übersendet eine Arbeit
aus dem chemischen Institut der k. k. Universität in Graz von
Prof. Dr. Hugo Schrötter: »Beiträge zur Kenntniss der
.Albumosen» (III. Mittheilung).
Herr Prof. Dr. Ph. KnoU übersendet eine Abhandlung:
*Über die Blutkörperchen bei Wechsel warmen Wirbel-
thieren«.
Das w. M. Herr Hofrath Prof. Ad. Lieben überreicht eine
Arbeit aus seinem Laboratorium von Herrn Ludwig Braun:
*Über dieEin Wirkung von Isobutyraldehyd auf xMalon-
und Cyanessigsäure«.
Das w. M. Herr Prof. H. Weide 1 überreicht zwei Arbeiten
aus dem I. chemischen Laboratorium der k. k. Universität in
Wien.
1. »Über eine Isomerie beim Acetylaurin«, von Dr.
J. Herzig.
2. »Über den Abbau einiger Säureamide«, von
H. Weidel und E. Roithner.
Herr Adalbert Prey, stud. philos. in Wien, überreicht eine
Abhandlung: Ȇber Gestalt und Lage der Milchstrassc
197
Morphologische und biologische Unter-
suchungen über die Flechten
(III. Abhandlung)
von
H. Zukal.
I. Die Flechten als lichtbedürftige Organismen.
Wer unbefangen von wissenschaftlichen Theorien in der
freien Natur sein Auge prüfend auf den verschiedenen Flechten-
formen ruhen lässt, der erhält den Eindruck, dass die Flechten
ein verbindendes Mittelglied zwischen den Pilzen und Moosen
darstellen. Viele Krustenflechten, z. B. aus den Gattungen Leci-
Jea, Calycium, Graphis und Baeomyces besitzen noch ganz
die ursprüngliche Pilzform. Die frischgrünen Thallusrosetten
mancher Arten von Peltigera und Solorma dagegen ahmen,
besonders in ihren Jugendformen, so täuschend gewisse Leber-
moose (Aneura, Pellia, Blasia, Marchantia) nach, dass auf
einige Entfernung durch sie sogar das Auge eines Fachmannes
getäuscht werden kann. Gewisse Formen von Claäonia endlich,
wie z. B. die gemeine Cladonia furcata var. erecta^ polyphylla,
erinnern an die niederen Formen der beblätterten Junger-
mannien, während wieder andere Arten, wie z. B. die Rennthier-
flechte, kleinen, blattlosen Sträuchern, wie z. B. Spartium,
Psilotum, nicht unähnlich sind. Es ist geradeso, als ob die
Natur einst den Versuch gemacht hätte, aus Pilzen grüne
Moose zu formen, und als ob die Flechten von diesen mehr
oder weniger gelungenen Versuchen noch gegenwärtig Zeug-
niss ablegten. Für diese stumme und doch so beredte Sprache
der Flechten haben seit jeher die mit einem hochentwickelten.
198 H. Zukal,
feinen Formensinn begabten Systematiker ein besonderes Vei-
ständniss gezeigt, und es darf uns daher nicht wundernehmen,
wenn auch noch heutzutage ein grosser Theil der Lichenologen
der Schwendener'schen Theorie ein ungläubiges Lächeln ent-
gegensetzt. So sehr aber auch der Augenschein dafür spricht,
dass die Flechten selbständige Pflanzen seien, welche die
Pilze mit den übrigen grünen Gewächsen, namentlich mit den
Moosen, verbinden, so sehr täuscht eben dieser Augenschein.
Woher kommt aber die handgreifliche Ähnlichkeit zwi-
schen einer 5/^5/a-Rosette und dem jungen Thallus von Solo-
rina oder Peltigera'i Die Sache verhält sich so: In allen
Classen des Pflanzenreiches, wo chlorophyllhältige
Zellen vorkommen, herrscht das Bestreben vor, die
grünen Flächen zu vergrössern. Dieses Streben nach Ver-
breiterung der grünen Flächen ist ohne weiters verständlich,
wenn wir bedenken, dass die chlorophyllführenden Flächen
zugleich die assimilirenden sind und dass es jedem Organis-
mus nur Vortheil bringen kann, wenn er sein Assimilations-
organ vergrössert Der sich vergrössernde grüne Theil bildet bei
den Pflanzen entweder die obere Schichte eines flächenförmig
ausgebreiteten Organs oder die Mantelfläche eines ursprüng-
lich cylindrischen oder kugelförmigen Körpers. So sehen wir
z. B. bei den Algen im Verlaufe der phylogenetischen Ent-
wicklung das fast mikroskopische Scheibchen einer Proto-
derma zu den respectablen Flächen der grossen Ulvaceen
oder die kleinen Kügelchen eines Botrydinm zu den grossen
Körpern der höheren Siphoneen anschwellen. Ein Gleiches
bemerken wir bei den Moosen, wo wir die winzigen Scheib-
chen der Riccien sich zu den stattlichen Formen der Marchan-
tien erheben sehen. Die übrigen Archegoniaten, sowie die
Phanerogamen bieten ähnliche Beispiele in Fülle. Ganz das-
selbe Streben nach Vergrösserung der assimilirenden Fläche
treffen wir nun auch bei den Flechten. Denn in physiologischer
Beziehung ist es ganz gleichgiltig, ob die assimilirenden Zellen
mit den übrigen Geweben im genetischen Zusammenhange
stehen odqr ob sie als fremde Einschlüsse betrachtet werden
müssen. Dieses Streben nach Vergrösserung der
assimilirenden Fläche bildet den Haupthebel für die
Untersuchungen über die Flechten. 1 99
Entstehung des Flechtenthallus überhaupt und der
grossen Laub- und Strauchflechten insbesondere.
Zeigt nämlich das Mycel einer Flechte, in Folge von Ver-
erbung aus der Pilzzeit her, die Tendenz, sich in der Form
eines mehr oder minder dicht gewebten Mycelhäutchens in
einer Fläche kreisförmig auszubreiten, so entsteht durch den
Einschluss der Algen zuerst eine Kruste und im Laufe der
phylogenetischen Entwicklung der grosse Thallus einer Laub-
flechte mit dorsiventralem Bau und plagiotroper Stellung. Zeigt
aber das Mycel einer Flechte schon a priori das Bestreben, in
band- oder strangförmigen Formen zu wachsen, dann ent-
stehen nach dem Einschluss der Algen etwas stärkere Bänder,
Stränge oder Stiele (bei Cladonia)^ die sich dann unter dem
Einfluss des Strebens nach Vergrösserung der assimilirenden
Fläche nach und nach verlängern und verzweigen und zuletzt
die imposanten Formen unserer grossen Strauchflechten bilden.^
So lange diese band- oder strangartigen Thallusgebilde
mehr oder minder dicht an der Unterlage angeschmiegt blieben,
so lange entwickelte sich die assimilirende Fläche, d. i. die
Gonidienschichte, nur auf der Oberseite (Lichtseite). Als aber
nach und nach die Stränge aufgerichtet wurden oder bei den
Hängeformen sich von der Unterlage ablösten, um unter dem
Einfluss des positiven Geotropismus nach abwärts zu wachsen
(z. B. bei Usnea auf horizontalen Zweigen), dann entwickelte
sich in Folge des nahezu gleichen Lichtreizes auf beiden
Thallusseiten auch auf der früheren Unterseite (Schattenseite)
des Thallus eine Gonidienschichte, indem sich von beiden
Seiten die Gonidien so lange ausbreiteten, bis die ganze
Mantelfläche des Stranges von ihnen überzogen war.
Noch heute vollzieht sich diese Umwandlung der bilate-
ralen Thallusform mit der einseitigen Gonidienschichte auf der
Lichtseite in die mit allseitigem Gonidienmantel versehenen
Strauchform bei vielen Arten der Gattungen Cetraria, Evernia^
^ Bei Cladonia können wir sogar die ganze Entwicklung vom Anfangs-
bis zum Endgliede mit einem Blick überschauen und brauchen zu diesem Ende
bloss den winzigen Apothecienstiel eines Baeomyces mit der grossen Assimila-
tionsfläche einer Cladonia raugifcriua oder einer Cl. verlicillala zu vergleichen
'^00 H. Zukal,
Physcia, Parmelia, Tornabenia etc. vor den Augen des Beob-
achters.
Nun haben zahlreiche Beobachtungen ergeben, dass schon
eine sehr dünne Schichte chlorophyllhältigen Gewebes alle
diejenigen Lichtstrahlen fast vollkommen ausnützt, welche die
Assimilation bewirken. Deshalb treffen wir auch nirgends im
ganzen Pflanzenreiche dicke Schichten assimilirenden Gewebes,
sondern das grüne Gewebe ist überall 0*2 — 0-4 mm dick;
dickere grüne Schichten könnten nicht ausgenützt werden und
ihre Production verstiesse gegen das Princip der Ökonomie des
Wachsthums. Bei den exogenen Flechten steigt die Dicke der
Gonidienschichte selten über 20 |x, kann aber bei manchen
tropischen Lichtflechten bis unter 5 (jl sinken. Es ergibt sich
also die Thatsache, dass die grüne, assimilirende Lamelle der
Flechten durchschnittlich lOmal dünner ist, als bei der grossen
Mehrzahl der meisten übrigen grünen Gewächse.
Diese Thatsache ist auffallend genug. Die nähere Unter-
suchung^ hat mich aber belehrt, dass die Flechten-
rinde durchschnittlich auch lOmal mehr Licht absor-
birt als die Oberhaut der höheren Gewächse. Wir sehen
1 Bei dieser Untersuchung bediente ich mich folgender Methode: Es
wurden nacheinander 1 — 2 cm' grosse Stückchen Oberhaut verschiedener
Phanerogamen in den Wassertropfen eines Objectträgers gebracht und dort
sorgfältig ausgebreitet Auf diese Oberhautstückchen wurde dann das untere
offene Ende der Tubusröhre eines Mikroskops, von welchem Objectivsystem
und Ocularrohr entfernt worden war, so fest aufgesetzt, dass von der Seite her
kein Licht in den Tubus gelangen konnte. Sodann wurde das auf dem Object-
träger liegende Oberhäutchen durch den Spiegel gut beleuchtet und auf die
obere Tubusöffnung ein lichtempfindliches Papier gebracht und daselbst eine
Minute lang liegen gelassen. Das Licht drang durch den Objectträger und das
Hautfragment in den Tubus und erzeugte auf dem lichtempfindlichen Papier
einen braunen Fleck, welcher auf die gewöhnliche Weise fixirt wurde. Auf
ähnliche Weise verfuhr ich mit der Rinde der Flechten. Hier musste aber das
lichtempfindliche Papier gewöhnlich 10 — 12 mal länger exponirt werden als
bei den Phanerogamenhäutchen, um denselben Farbenton des Fleckes zu
erhalten. Nun bin ich mir wohl bewusst, dass diese Methode keine absolut
richtigen Resultate geben kann, allein sie gibt uns immerhin einen approxima-
tiven Massstab, und dieser genügt, wenn wir nur ganz im Allgemeinen die
Transparenz der Phanerogamenoberhaut mit jener der Flechtenrinden ver-
gleichen wollen.
Untersuchungen über die Flechten. 201
daher, dass dieselbe Kraft (nämlich das Licht), welche das
Maximum der Dicke der assimilirenden grünen Lamelle in den
verschiedensten Abtheilungen des Pflanzenreiches bestimmt,
genau in demselben Sinne auch bei den Flechten wirksam
ist Die Analogie zwischen den grünen Gewebeschichten der
höheren Pflanzen mit der Gonidienschichte der Flechten geht
aber noch weiter. In allen grossen Abtheilungen des Pflanzen-
reiches (mit Ausnahme der Pilze), also bei den Algen, Arche-
goniaten, Gymnospermen, Monocotyledonen und Dicotyledonen
kommt es nämlich nicht nur zur Ausbildung dünner grüner
Stränge und Flächen, sondern es zeigen dann diese Flächen in
all' den genannten Abtheilungen das Bestreben, sich möglichst
rechtwinkelig zum einfallenden Tageslicht zu stellen. Letzteres
Bestreben führt mit Hilfe leicht verständlicher Correlationen des
Wachsthums zur DifTerenzirung des ursprünglichen Thalloms
in Träger und von dem letzteren abstehende Sprosse. Diese
Sprosse bilden dann auf einer höheren Entwicklungsstufe her-
vortretende, dünne Gewebslamellen, welche sich in bestimmter
Weise an den Träger anheften und so weit von einander ent-
fernt halten, dass sie sich gegenseitig nicht im Lichte stehen.
Dadurch erst werden die dünnen, grünen Lamellen zu Blättern
und ihre Träger zu Axen. Diese Blattwerdung unter dem Ein-
fluss des Lichtes, welche unabhängig von jeder Vererbung in
den verschiedenen grossen Abtheilungen des Pflanzenreiches
selbständig erfolgte, hat Sachs ^ nicht nur zuerst erkannt,
sondern auch in der überzeugendsten Weise begründet. Es
kann nun die Frage aufgeworfen werden: Kommt es auch bei
den Flechten zur Entwicklung von Axen und Blättern? Wenn
nun auch diese Frage verneint werden muss, so ist doch
anderseits hervorzuheben, dass bei den beblätterten Cladonien-
Podetien jedenfalls ein Träger entwickelt wird, an dem sich in
zweckmässiger Entfernung von einander hervortretende grüne
Thallusläppchen entwickeln, die sich möglichst rechtwinkelig
auf das stärkste Licht ihres Standortes einstellen.
J Sachs, Vorlesungen über Pnanzenphj'siologie, 2. Thcil.
Derselbe, Physiologische Notizen, VIII. Mechanomorphosen und Phylo-
genesis. Flora, 1894, 78. Bd., S. 215.
202 H. Zukal,
Aus dem Gesagten erhellt, dass die Flechten ihre
im V^ergleiche zu den übrigen Ascomyceten höchst
auffallende Thallusentwicklung hauptsächlich den
eingeschlossenen Algen, beziehungsweise dem Lichte
verdanken. Denn die algenlosen Ascomyceten entwickeln
meistens nur ihre Fruchtkörper im Lichte; ihr zartes Mycel
verstecken sie entweder im Inneren des Substrates oder sie
bilden höchstens ein wenig differenzirtes Stroma.
Was nun die Beziehungen des Lichtes zu den übrigen
Lebenserscheinungen der Flechten betrifft, so hat Jumelle
den Einfluss des Lichtes auf Assimilation, Respiration und
Transpiration näher untersucht. Da aber die Resultate dieser
Untersuchung in den früheren Capiteln schon wiederholt ein-
gehend besprochen worden sind, so soll hier nur auf das bereits
Gesagte verwiesen werden.
hl jüngster Zeit hat Wiesner ^ seine bahnbrechenden,
photometrischen Untersuchungen auf pflanzenphysiologischem
Gebiete veröffentlicht, und in seiner letzten Arbeit, nämlich
in den »Untersuchungen über den Lichtgenuss der Pflanzen«,
S. 40, theilt er uns auch einige interessante Beobachtungen
über die Flechten mit. Ich wiederhole dieselben hier auszugs-
weise: »Die Flechten der Tundra geniessen fast das ganze
Licht des nordischen Tages, für sie ist also der »specifische
Lichtgenuss« (L) nahezu 1,^ für Verrncaria calciseda 1 — Vs'
für Physcia tenella 1 — Ys» ^^^ Endocarpon miniaium 1 — V24
J J. Wiesner, Photometrische Untersuchungen auf pflanzenphysio-
logischem Gebiete. I. Abhandlung: Orientirende Versuche über den Einfluss
der sogenannten chemischen Lichtintensität auf den Gestaltungsprocess der
Phanerogamen. Diese Sitzungsberichte, 102. Bd., 1893.
Derselbe, Pflanzenphysiologische Mittheilungen aus Buitenzorg. Diese
Sitzungsberichte, 103. Bd., I. Abth. (Jänner 1894).
Derselbe, Untersuchungen über den Lichtgenuss der Pflanzen mit Rück-
sicht auf die Vegetation von Wien, Cairo und Buitenzorg (Java). (Photo-
metrische Untersuchungen auf pflanzenphysiologischem Gebiete. IL Abhand-
lung.) Diese Sitzungsberichte, 104. Bd., Abth. I, Juli 1895.
2 Den Begriff des specifischen Lichtgenusses und die Methode seiner
Berechnung entwickelt Wiesner in seiner IL Abhandlung der Photometrischen
Untersuchungen, die Lichtmessungsmethode dagegen in der L, S. 8 des Separal-
abdruckes.
Untersuchungen über die Flechten. 203
und bei Xanthoria parietina 1 — Vso (^^^ letzterem Licht-
genusse verkümmert sie aber). Zu den Flechten mit starkem
Lichtgenusse gehören auch noch Parmelia caperata, P, con-
spcrsa und P. prolixa. Diesen Lichtflechten stehen anderseits
Schattenflechten gegenüber. So schwankt z. B. der specifische
Lichtgenuss von Parmelia saxatilis und Pertusaria amara
zwischen Yg — Vse- Erstere schien aber am besten zwischen
Vg— Vi7> letztere zwischen Y^^ — Y21 ^^ gedeihen. In den
tropischen Wäldern leben jedoch noch Flechten an den Luft-
wurzeln im tiefsten Schatten der Waringinbäume bei einem
speciflschen Lichtgenusse von Ysso*-
Die allgemein verbreitete Ansicht, dass die Flechten am
besten an der Nordseite der Stämme gedeihen, kann Wiesner
nicht bestätigen.^ In Wirklichkeit entwickeln sie sich an der
herrschenden Wetterseite, weil sie aus dieser Richtung die
meiste Feuchtigkeit erhalten und weil von dorther die reich-
lichste Aussaat von Sporen und Soredien erfolgt. Der Stamm
empfängt aber von allen Seiten her Keime, die sich dort ent-
wickeln, wo sie die besten Lebensbedingungen finden. Die
lichtsuchenden Flechten werden sicl^ an den hellsten, die licht-
scheuen an den dunkelsten Stammseiten am reichlichsten ent-
wickeln. Diese Orientirung nach der Helligkeit ist aber nur bei
freistehenden Bäumen von den Weltgegenden abhängig, sonst
nicht.
Am Südrande eines Waldes gedeihen vorzüglich die licht-
suchenden Flechten, am Nordrande die schattenliebenden.
Ich selbst habe mir die Wiesner'sche Lichtmessungs-
methode ebenfalls angeeignet und bin mit Hilfe derselben,
sowie allgemeinen Erwägungen zu folgenden Schlüssen ge-
kommen:
1. An Orten, wie in Bergwerken, tiefen Kellern, Höhlen,
trotten etc., wo der Lichtgenuss der dort eventuell lebenden
' Von der Richtigkeit der bezüglichen Angaben Wiesner 's kann sich
jeder überzeugen, der sich die Mühe nimmt, in der freien Natur mit der Bous-
^ole in der Hand die Flechtenvegetation an Bäumen und Felsen zu studiren.
Er wird dann z. B. häufig finden, dass an Alleebäumen die Flechten gerade an
^er Südseite entwickelt werden, wenn nämlich die Nordseite der Stämme durch
^as allzu nahe Herantreten dichten Gebüsches tief beschattet wird.
204 H. Zukal,
Pflanzen gleich 0 sein würde, können selbstverständlich keine
Flechten existiren.
2. Steigt in unserem Klima der specifische Lichtgenuss
auf circa Viso» ^^^ ^- ß- *" Klammen, tiefen Schluchten etc.
so bilden sich höchstens sorediale Anflüge und endogene
Flechten, wie z. B. Collema, niemals aber eine exogene Thallus-
form. Diese Erscheinung ist auch leicht zu verstehen. An den
genannten Orten reicht nämlich die Lichtintensität gerade noch
hin, um den dort vegetirenden Algen die Assimilation zu ermög-
lichen. Diese Möglichkeit würde aber für die genannten Algen
nicht mehr existiren, wenn sie unter der Hyphenrinde einer
exogenen Flechte wachsen sollten, weil diese Rinde, so dünn
sie auch immer sein mag, stets etwas Licht absorbirt. Das
Minimum des specifischen Lichtgenusses, welches einer exo-
genen Flechte in unseren Gegenden die Existenz ermöglicht
ist noch nicht bekannt. Doch möchte ich auf Grund meiner
Messungen in der Steinwandklamm in Niederösterreich und in
der Drachenhöhle im Rötheistein bei Mixnitz in Steiermark die
Vermuthung aussprechen, dass dieses Minimum bei uns nahe
t>ei Vioo liegt.i
3. Steigt der specifische Lichtgenuss bis Vso» wie z. B. in
den geschlossenen Beständen unserer Wälder, so treffen wir
schon auf eine ziemlich reiche Flora von Schattenflechten, z.B.
Graphis scripta, Pyrenula nitida, Opegrapha varia, O. atra,
Pertnsaria communis, P. amara, Lecidella enterolenca, Bia-
torina prasina, Cyphelinm chrysocephalnm, Lecanora pallida,
L. snhßisca, Icmadophila aeruginosa, Bacidea incompia, Gallo-
pisma ferrugineum, Physcia ciliaris, Parmelia saxatilis, Sticta
pulmonaria, Getraria glauca, G, pinastri und einigen Arten
von Gollema und Pannaria.
4. Die grosse Masse unserer Flechten dürfte am besten
bei dem specifischen Lichtgenusse von Vio — V20 gedeihen.
^ In der Steinwandklamm fand ich noch eine wohlentwickelte, gross-
blätterige Collema, aber ohne Früchte, bei einem specifischen Lichtgenusse von
Vi5G. In der Drachenhühle war das Gestein etwa fünf Schritte links vom Ein-
gange stellenweise noch von einer Treniepohlia überzogen, auf welcher nester-
förmig die Ascusform von Opegrapha rnpestris v. dolomitica aufsass, und zwar
bei einem specifischen Lichtgenusse von Vv^p^.
Untersuchungen über die Flechten. 205
5. Ausgesprochene Lichtflechten,' d. h. solche, welche auch
dann noch gut vegetiren, wenn der specifische Lichtgenuss
auf 1 steigt, sind: Cladonia rangiferitta, Cl. uncialis, Cl. alici-
corttis, Cl. endiviaefoUa, Stereocatiloii coudensatum, St. coral-
loides, Cetraria islandica, C cucnllata, C nivalis, Parmelia
encansta, P, stygia, P, Fahlunensis, P. olivacea, P. aspidota,
P. caperata, P. coiispersa, P. prolixa, Umbilicaria pnstnlata,
Gyrophora anthracina, G. arctica, G. cylindrica, G. hyper-
horea, G. polyphylla, Endocarpon miniatnm, die meisten Arten
von Endopyreninm und Catopyrenimn, Xanthoria parietina,
Gasparrinia elegans, G. mnrornm, Placodium crassum, PL
^ypsaceum, PL fnlgens, PL Lagascae, Lecanora atra, Haema-
tomma ventostim, Thalloedenta candidum, Urceolaria scrti-
posa, Rhizocarpon geographicnm, Verrucaria rttpestris, V. Hoff-
mannii, V. manra, V. calciseda, Psora Ittcida, P. decipiens,
Manzonia Cantiana, Heppia virescens und zahlreiche Arten von
Lecidea, Collema, Synalissa und Omphalaria. Diese Flechten
scheinen am besten bei einem specifischen Lichtgenusse von
1 — Vio zu gedeihen; manche derselben trifft man jedoch an
Standorten, wo der Lichtgenuss unter V50 sinken muss.^
1 Viele Flechten zeichnen sich geradezu durch ein grosses Anpassungs-
vermögen an sehr verschiedene Lichtintensitäten aus, insbesondere gehören
hierher die Flechten mit blaugrünen Gonidien, wie z. B. Collema, Heppia,
Synalissa, Omphalaria etc. Bei endogenen Flechten ist dies umso auffallender,
weil sie der schützenden Hyphenrinde entbehren. Hier treten aber die gemein-
samen, zusammengeflossenen Hüllmembranen der bezüglichen Cyanophyceen
an die Stelle der Hyphenrinde. Im intensiven Lichte bräunen sich diese Gallert-
häute und schützen auch die weiter nach innen gelegenen .Algen so nachdrück-
lich vor allzu starker Verdunstung, dass sie selbst im grössten Sonnenbrande
der Wüste niemals ganz austrocknen. Für das Leben im Dämmerlicht macht
sie aber wahrscheinlich die Fluorescenz des Phycocyans besonders geeignet.
Mit wie wenig Licht die Cyanophyceen auskommen können, erhellt aus dem
Umstände, dass z. B. iV(9s/oc-C olonien unter dem Thallus einer Soloriua am
Leben bleiben und von unten her in den Thallus eindringen, um sich hier mit
den normalen Gonidien zu mischen.
Um nicht missverstanden zu werden, muss ich hier ausdrücklich hervor-
heben, dass ich keineswegs der Meinung bin, das Vorkommen einer Flechtcn-
art an einem bestimmten Orte hange ausschliesslich von Lichtintensitiit ab.
denn es ist klar, dass hiebei auch noch die Feuchtigkeit, Substrat und die
übrige Pflanzen- und Thierwelt eine sehr bedeutsame Rolle spielen. Durch die
206 H. Zukal,
Von diesem Detail, welches beweist, wie sehr das Gedeihen
und Vorkommen der Flechten von den verschiedenen Graden
der Lichtintensität beeinflusst wird, wenden wir nun unseren
Blick der grossen Allgemeinheit zu. Da scheinen mir denn
die Flechten, als relativ einfach gebaute Thallusgewächse,
ganz besonders dazu geeignet, die Richtigkeit gewisser Funda-
mentalsätze zu beweisen, zu denen Wiesner durch seine
Untersuchungen über den factischen Lichtgenuss der Pflanzen
gelangt ist.
Wenn wir die Wohnstätten der Flechten in den ver-
schiedenen Zonen ins Auge fassen, so muss es auffallen, dass
in dem heissen Erdgürtel, vom Hochlande abgesehen, der
grösste Theil der Flechten Wald- oder wenigstens Baum-
bewohner sind. In den baumlosen Ebenen der Tropen, in den
Wüsten, Steppen und Savannen fehlen die Flechten entweder
ganz oder sie bilden nur einen sehr kleinen Bruchtheil der
bezüglichen Flora. Letzterer ist dann meistens durch eine
sehr verdickte und wenig transparente Rinde ausgezeichnet.
Auch in der gemässigten Zone, soweit die Ebene und das
Mittelgebirge in Betracht kommt, herrschen im Allgemeinen die
rindenbewohnenden Flechten vor, doch gesellen sich zu diesen
schon eine stattliche Anzahl von Erd- und Steinflechten. Am
freiesten exponirt leben die Flechten in den Polargegenden
beider Hemisphären. Hier überziehen sie nicht nur alle Felsen
und Steine, sondern auch auf ungemessene Entfernungen die
Ebene. Da auf der trockenen Tundra fast nur Flechten gedeihen,
so befinden sich die daselbst lebenden Individuen im vollen
Besitze des gesammten Tageslichtes, das ihnen weder durch
den Schatten von Sträuchern, noch den von Gräsern und
Kräutern verkümmert wird. Die alpine Region der heissen und
gemässigten Länder zeigt in Bezug auf den Standort und
das Vorkommen der Flechten eine grosse Ähnlichkeit mit den
Polargebieten. Denn auch hier überziehen die Flechten die
trockenen Hochebenen, die Felsen und Steine und erfreuen
obige Auseinandersetzung soll nun klargestellt werden, dass bei der Ver-
iheilung der verschiedenen Flechtenarten auf die verschiedenen Standorte
einer Gegend das Licht als ein wichtiger und vielleicht der wichtigste Factor
beiheiligt ist.
Untersuchungen über die Flechten. 207
sich ebenfalls fast des ganzen Tageslichtes. Aus dieser
Betrachtung folgt, dass die Flechten im Allgemeinen
umsomehr das Licht suchen, je kälter ihr Wohnort
ist. Dieses Verhalten der Flechten steht aber im vollsten Ein-
klänge mit dem Wiesner'schen Satze: »Mit zunehmender geo-
graphischer Breite und Seehöhe wächst das Lichtbedürfniss der
Pflanze und mit der Abnahme der Temperatur der Medien, in
welcher die Pflanze sich ausbreitet, steigt ihr Lichtbedürfniss*.
In den Polarregionen der Erde zeigen aber die Flechten
nicht nur das grösste Lichtbedürfniss, sondern sie gelangen
auch hier sowohl in qualitativer, als auch in quantitativer Hin-
sicht zur üppigsten Entfaltung. Dies ist in hohem Grade merk-
würdig, denn man sollte doch meinen, dass die feuchte Wärme
der tropischen Urwälder ganz besonders dazu geeignet wäre,
diese Kryptogamen (Ascomyceten) zur höchsten Formentwick-
lung zu bringen. In den tropischen Urwäldern herrscht aber
das ganze Jahr hindurch ein mystisches Dämmerlicht, und nur
ein Theil der Flechten hat sich den hier vorhandenen Lebens-
bedingungen angepasst und besteht mit Erfolg den Kampf ums
Dasein mit den zahllosen Mitbewerbern. Die grosse Masse der
Flechten entfaltet sich aber dort am üppigsten, wo ihnen der
grösste Lichtgenuss zutheil wird, also in den Polarländern. Die
Thatsache, dass die höchste Entwicklung der Flechten nicht in
den Ländern der grössten Lichtintensität erfolgt, sondern dort,
wo die Strahlen der Sonne am schiefsten aufifallen, bestätigt
einen zweiten Satz der schon wiederholt erwähnten Unter-
suchung Wiesner's. Dieser lautet: »Je grösser die herr-
schende Lichtintensität ist, desto kleiner ist in der
Regel der Antheil, der vom Gesammtlich te den
Pflanzen zugeführt wird«.^
^ Dies gilt auch mutatis mutandis für die Moose und für die Algen. Man
könnte zwar einwenden, diese Kryptogamen gedeihen in den Polarländern
nicht deshalb so gut, weil sie hier das Licht besser ausnützen können als in
den wärmeren Gegenden, sondern deshalb, weil sie im Kampfe um das Dasein
von den anderen Gewächsen nach den ödesten und sterilsten Plätzen der Erde
gedrängt worden sind, genau so wie die Eskimo. Dieser Einwurf hätte eine
gewisse Berechtigung, wenn die Algen, Moose und Flechten in den Polar-
regionen ebenso verkümmert wären wie der genannte Volksstamm. Ich erinnere
Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; CV. Bd., Abth. I. 14
208 H. Zukal,
Aber auch noch ein dritter Satz Wiesner's wird durch
das Verhalten der Flechten in das hellste Licht gesetzt, der
Satz nämlich, »dass das directe Sonnenlicht im grossen
Ganzen für die Pflanzen nur eine untergeordnete
Bedeutung hat.. Die Richtigkeit dieses Satzes beweisen die
Flechten erstens dadurch, dass sie Einrichtungen besitzen,
welche die Wirkungen des intensiven Sonnenlichtes abschwä-
chen, zweitens dadurch, dass ein grosser Theil der Flechten
seine Apothecien nicht senkrecht auf das Sonnenlicht, sondern
senkrecht auf das stärkste diffuse Licht des Standortes orientirt.
Was den ersten Punkt anbelangt, so können die Flechten
dadurch, dass sie ihre Rinde stark verdicken, die Membranen
cuticularisiren und bräunen und allerhand Excrete in den-
selben anhäufen, also so wenig transparent als nur möglich
machen, einen grossen Theil der Wirkungen des directen
Sonnenlichtes paralysiren. Von diesem Mittel machen auch
die Flechten einen umso reichlicheren Gebrauch, je freier
exponirt sie vegetiren und je intensiver das Sonnenlicht ist,
dem sie ausgesetzt sind. Bei den tropischen Lichtflecken,
deren Zahl allerdings nicht sehr gross ist, geht die Unweg-
samkeit der Rinde für das Licht oft so weit, dass die Gonidien-
schicht auf das äusserste reducirt erscheint, ja es kommen
Fälle vor, dass die Gonidien unter der allzu stark verdickten
Rinde verkümmern.
aber nur an die prachtvolle Laminaria -Vegetation des nördlichen Eismeeres
und an die gewaltigen, oft 300 m langen Macrocystis- Arten des südlichen Eis-
meeres, an die grossen Polyirichum-Formen und die schönen Splachnaceen, an
Nephrotna arcticum^ mit Apothecien von der Grösse eines Silberguldens, der
arktischen und die erstaunlich grossen Cladonia- und Slereocaulon- Arten der
antarktischen Gebiete; sind das Eskimo?
Beim Aufbau der grossen Flechtenmassen der trockenen nordischen
Tundra wird offenbar viel Kraft verbraucht. Da nun die Oxydationswärme für
die Pflanzen als Kraftquelle von nur untergeordneter Bedeutung ist, so bleibt
keine andere Kraftquelle zur Verfügung als das Licht. Da dieses aber in den
Polarländern nur eine geringe Intensität besitzt, so muss es eben so viel als
nur möglich ausgenützt werden. Bei der Ausnützung des Lichtes werden die
Polarpflanzen allerdings durch den langen Polartag unterstützt — allein man
darf nicht vergessen, dass dieser lange Tag durch eine ebenso lange Nacht
nahezu compensirt wird.
Untersuchungen über die FleclWen. 209
Solche Fälle konnte ich bei Chlorangium Jttssuffii, Cla-
douia miniata, Parmelia Hottentotta^ Ramalina dccipiens und
mehreren tropischen Arten von Roccella^ Sticta und Usnea
constatiren. Auch die hochalpinen Flechten, machen selbst in
feuchter Lage ihre Rinde für das Licht weniger durchlässig,
weil auch sie einer w-eit grösseren Lichtintensität ausgesetzt
sind als die Flechten der Ebene und des Mittelgebirges.^ Wenn
die Flechten an sehr sonnigen Standorten ihre Rinde verdicken
und die Transparenz derselben vermindern, so zeigen dieselben
Species im tiefen Schatten gerade die umgekehrte Tendenz,
d. h. sie verdünnen ihre Rinde, und ihre Farben werden auf-
fallend blass. In nicht seltenen Fällen unterbleibt die Rinden-
bildung im tiefsten Schatten ganz. Solche Flechten zeigen
dann einen staubigen Thallus, entwickeln aber noch normale
Apothecien. Ich beobachtete diese Unterdrückung der Rinden-
^ Ich verweise auf Dufourca madreporiformiSj Thamttolia vermicuJariSy
Clckionia amaurocraea, Evernia vnlpinia, Cornicularia iristiSy Parmelia stygia,
P, cHcanstj und die alpinen Formen von Gyrophora und Sphacrophortts.,
Man könnte auch der Meinung sein, dass die Verdickung und Ver-
dichtung der Rinde nicht durch das Schutzbedürfniss gegen zu starke Licht-
intensität, sondern gegen zu starke Transpiration hervorgerufen werde. Die
Transpiration mag immerhin an der Verdickung der Rinde ursächlich mit-
bethciligt sein, allein sie ist nicht der ausschlaggebende Factor. Ich schliesse
dies namentlich aus dem Verhalten der hydrophilen Flechten: Endocarpon
flHviatiky E. rivulorutft, Verrucaria elaeina v. chlorolica, Lithoicea hydrcla etc.
Wenn nämlich die Rinde in erster Linie als Schutzmittel wider die allzu starke
Transpiration wirksam wäre, so müsste man annehmen, dass bei den hydro-
philen Arten die Rinde gar nicht ausgebildet oder wenigstens sehr reducirt
entwickelt werde, wie z. B. bei den oben erwähnten Schattenflechten. Dies
geschieht aber nicht, sondern es zeigt die Rinde der hydrophilen Arten keine
erheblichen Unterschiede im Vergleiche mit den gewöhnlichen Formen. Ich bin
auch der Ansicht, dass die Flechtenrinde überhaupt, wenn sie nur die Trans-
spiration hemmen sollte, mit der Zeit einen ähnlichen Bau erlangt hätte wie
die Cuticula und die Oberhaut der Phanerogamen, d. h. sie wäre zwar dick,
aber zugleich in einem hohen Grade transparent geworden.
Anhangsweise möchte ich hier, darauf aufmerksam machen, dass eine
dichte Behaarung der Oberfläche, unbeschadet anderer Functionen, jedenfalls
auch zur Abschwächung der Lichtintensität beitragen muss. Solche dichte,
haarige Überzüge treffen wir nun z. B. bei Stereocaulon alpinum und St.
tomentosum und in einer extremen Weise bei manchen exotischen Phyf^cien
{?. comosa, P. villosa etc.).
14*
210 • H. Zukal,
entwicklung im tiefsten Schatten bei Biatora Iticida, Pannaria
lanuginosa, Parmelia caperata (bei letzterer ohne Apothecien)
und Bacidea ntuscorum.
Was nun den zweiten Punkt betrifft, so ist es gewiss eine
interessante, aber meines Wissens bisher noch von Niemandem
hervorgehobene Thatsache, dass bei einem grossen Theile der
Flechten die Apothecien senkrecht auf das stärkste diffuse
Tageslicht ihres Standortes orientirt sind. Am auffallendsten
zeigen dies die grossen Apothecien von Usnea harhata v. flo-
rida,^ Cornicularia aculeata, C, tristiSy Evernia furfuracea^
E. vulpina, E, prunastri, Tornahenia chrysophthalma, Physcia
ciliaris etc. Die Einstellung der Apothecien gegen das diffuse
Tageslicht wird bei den Strauchflechten in den meisten Fällen
durch die Krümmung jenes Thallusastes bewirkt, welcher dem
Apothecium als Träger dient Bei manchen Arten von Rama-
Iffta bilden sich die Apothecien mit Vorliebe an den beiden
Seitenrändern des bandförmigen Thallus auf kurzen Stielchen,
in welche in der Regel ein Hauptstrang des Gewebes hinein-
führt. Da sich bei diesen Arten die Lamina der Apothecien
ebenfalls senkrecht zum diffusen Tageslichte stellt, der ganze
Thallus aber so wächst, dass er von beiden Seiten belichtet
wird, so würde durch die dichtgedrängte, doppelte Längsreihe
der Apothecien fast der ganze Thallus beschattet werden. Um
letzteres zu vermeiden, biegt in solchen Fällen knapp hinter
dem Apothecium der Thallus von seiner bisherigen Längs-
richtung unter einqm Winkel scharf ab und bringt sich dadurch
selbst zum Lichte in eine günstigere Position. Da sich dieser
Vorgang, wenn auch nicht bei allen Apothecien, so doch bei
einigen, mehrmals wiederholt, so bekommt der Thallus dieser
Ramalina-Arten ein eigenthümliches, zickzackförmiges Aus-
sehen.
Bei Cetraria vergrössert sich gewöhnlich der fructificirende
Thalluslappen bedeutend und krümmt sich schliesslich so, dass
die Lamina der Apothecien senkrecht zum diffusen Tageslichte
eingestellt wird.
1 Bei dieser Species ist die fixe Lichtlage der Apothecien auch dem
Herrn Hofrathe Wiesner aufgefallen, und er hat die grosse Freundlichkeit
gehabt, mich auf dieselbe aufmerksam zu machen.
Untersuchungen über die Flechten. 211
Auch bei Peltigera zeigen die Apothecien eine plagiotrope
Stellung zum diffusen Lichte, was besonders deutlich bei den
Schattenformen zu Tage tritt, wie z. B. bei P, polydactyla, wo
die Apothecien deutlich nach allen Seiten orientirt sind. Bei
anderen Peltigera-Artenj z. B. bei P, horizontalis, P. aphtosa
und P, venosa haben die Apothecien keine fixe Lichtlage. Im
directen Sonnenlicht aber nimmt der ursprünglich horizontale
Thallus eine schalenartige Form an. Dabei werden die Apo-
thecien so gekrümmt, dass sie der Sonne ihre hintere Seite
zukehren. Im diffusen Tageslichte biegen sich die Thallus-
ränder wieder zurück, und jetzt erscheinen die Apothecien mit
ihrer vorderen Seite senkrecht zum Licht gewendet.
Bei den grossen Arten von Parmelia, Xanthoria und
Physcia bildet der Thallus unter dem Apothecium eigenthüm^
liehe, kurze, hohle Stiele oder Träger aus, welche augen-
scheinlich den Zweck haben, den Apothecien eine Krümmung
gegen das Licht hin zu ermöglichen, welche Krümmung der
Thallus selbst nicht bewirken kann, da er durch eigene
Rhizinen an die Unterlage fixirt ist.
Sehr interessant liegen die Dinge bei den Gattungen
Nephroma und Nephromium. Hier werden die Apothecien
gegen alle Regel auf der Unterseite des Thallus gebildet, und
zwar immer am Rande des letzteren. Sobald sich aber diese
Apothecien ihrer Reife nähern, schlägt sich der untere Thallus-
rand krämpenartig nach oben, und durch diese Thalluskrüm-
mung werden die Apothecien wieder quer gegen das ein-
fallende Tageslicht orientirt.
Diese Beispiele werden genügen, um zu zeigen, dass auch
für die Flechten das diffuse Tageslicht von grösserer Wichtig-
keit ist als das directe Sonnenlicht und dass auch die Flechten
Vorrichtungen besitzen, um die Wirkungen des intensiven
Sonnenlichtes abzuschwächen.
In jüngster Zeit hat GoebeP den Nachweis geliefert, dass
die sogenannte Heterophyllie der Phanerogamen zur Licht-
1 K. Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. II (1893). Science
progress, vol. I, No. 21. Flora, 80. Bd (1895).
Ober den Einfluss des Lichtes auf die Gestaltung der Kakteen und
anderer Pflanzen. II. Die Abhängigkeit der Blattform von Campanula roUindi-
212 H. Zukal.
Intensität in einer directen Beziehung steht. Ein Analogen zu
der Heterophyllie treffen wir auch bei den Flechten. Ich meine
jene Erscheinung, nach welcher ein und dieselbe Flechten-
species in zwei ganz unähnlichen Thallusformen vorkommen
kann. Ich schlage für diesen Dimorphismus den Namen Hetero-
thallie vor. Eine solche Heterothallie treffen wir z. B. bei Par-
melia slygia, wo die typische Form ein blattartiger, dorsiven-
traler Bau, die Varietät lanata einen strauchartigen Habitus
mit stielrunden Ästen besitzt. Ich habe nun die strauchartige
Form stets auf sehr exponirten Felsblöcken irrt hellsten Lichte
gefunden, während die blattartige Form mehr beschattete Orte
aufsucht. Ich weiss aber nicht, ob in diesem Fall und anderen
Fällen die Heterothallie die Lichtintensität als alleinige gestal-
tende Kraft auftritt oder ob sich hiebei noch andere, äussere
Factoren betheiligen.
Wir wollen uns jetzt einem anderen Problem zuwenden,
welches augenscheinlich mit dem Lichte in einer directen
Beziehung steht, nämlich den Farben der Flechten. Wenn
wir eine grössere Collection getrockneter Flechten mit Rück-
sicht auf ihre Färbung betrachten, so finden wir, dass die
rothen oder orangerothen, die gelben, bläulichen, braunen,
rothbraunen und schwarzbraunen Farbentöne vorherrschen.
Sie erinnern in dieser Beziehung theils an die Roth- und
Schwarztange, theils an die Cyanophyceen. Nun hat aber
K erner^ die Theorie begründet, dass das Phycoerythrin^ der
Florideen hauptsächlich den^Zweck habe, den in grösseren
Meerestiefen lebenden Algen dieser Gruppe die Assimilation
zu ermöglichen. Das Meerwasser absorbirt nämlich schon in
se inen oberen Schichten die rothen und gelben Strahlen des
folia von der Lichtintensität und Bemerkungen über die Abhängigkeit der
H eterophyllie anderer Pflanzen von äusseren Factoren. Flora. 82. Bd. (1896),
• 1. Heft.
1 V. Kern er, Pflanzenleben. I. Bd. Das Chlorophyll und die Chloro-
phyllkörper. S. 361.
2 In neuester ZeiL ist das Phycoerythrin von Moli seh als ein krystalli-
sirbarer Eiweisskörper erkannt worden. Siehe:
H. Moli seh, Das Phycoerythrin, seine Krystallisirbarkeit und chemische
Natur. Botanische Zeitung, 52. Jahrgang, 1894, Heft X, 5.177.
Untersuchungen über die Flechten. 213
Lichtes und lässt nur die blauen und violetten Strahlen in die
grösseren Tiefen. Nun sind aber gerade die rothen und gelben
Strahlen für die Assimilation besonders wichtig. In Folge dessen
könnten in den grösseren Meerestiefen keine grünen Pflanzen
mehr existiren, wenn nicht das Phycoerythrin die Eigenschaft
hätte, die blauen, indigofarbenen und violetten Strahlen in die
assimilatorisch wirksameren zu verwandeln, also zu fluores-
ciren. Ich selbst glaube, dass auch das Phycocyan^ der
Cyanophyceen eine ähnliche Wirkung besitzt. Ich habe nun
zu erforschen gesucht, ob den Flechtenfarbstoffen, wegen des
grossen Absorptionsvermögens der Flechtenrinde in Bezug auf
das Licht, nicht eine ähnliche Aufgabe zufalle wie dem Phyco-
erythrin und dem Phycocyan. Zwar wurde schon in einem
früheren Capitel eingehend die Thatsache erörtert, dass die
Flechtenfarbstoffe ein sehr wichtiges Schutzmittel wider den
Thierfrass abgeben, indem sie die Flechten fast ungeniessbar
machen. Allein diese Aufgabe könnte auch irgend ein farb-
loses, beziehungsweise weisses Excret genau in derselben
Weise erfüllen. Wenn sich nun die Flechten in den buntesten
Farben kleiden, wenn wir diese Farben an sonnigen Stand-
orten sich sättigen, im Schatten dagegen verbleichen sehen, so
muss dies doch ein anderes Bewandtniss haben!
Zuerst suchte ich die Beschaffenheit des Lichtes fest-
zustellen, welches bis zu den Gonidien hinabdringt, und zwar
im durchfeuchteten Thallus, dann im trockenen Thallus. Dabei
bediente ich mich der auf S. 200, Note 1 geschilderten Methode,
nur mit dem Unterschiede, dass ich auf die obere Öffnung des
Tubus statt des lichtempfindlichen Papieres ein gewöhnliches
Ocular Nr. 1 setzte. Auf diese Weise konnte ich constatiren,
dass sich im trockenen Thallus fast sämmtliche Farbstoffe
gleich verhielten, d. h. sie wirken wie undurchsichtige Körper
und absorbiren umsomehr Licht, je dichter sie aufgetragen
* Auch das Phycocyan wurde von Moli seh als Eivveisskörper erkannt,
und es glückte ihm auch, denselben rein, in der Form schön blauer Krystalle
darzustellen. Siehe:
Molisch, Das Phycocyan im krystallisirbaren Eiweisskörper. Botanische
Zeitung, 1885, Heft 6, S. 131.
214 H.Zukal.
sind. Im durchfeuchteten Zustande jedoch verhalten sich die
farbigen Rinden anders, doch lassen sie im Allgemeinen nur
das Licht jener Farbe durch, in welcher sie erscheinen. Eine
rothe Rinde wird daher rothes, eine gelbe Rinde gelbes Licht
durchlassen u. s. w. Die Intensität des durchgelassenen farbigen
Lichtes ist allerdings sehr verschieden und nicht immer der
Dicke der Rinde proportional. Sodann legte ich mir die Frage
vor, welches Licht das Gedeihen der eingeschlossenen Algen
am meisten fördere, das zusammengesetzte weisse Licht oder
das farbige, und welches farbige? Die Untersuchung ergab, dass
das orangerothe und gelbe Licht die Gonidien am günstigsten
beeinflusst. Untersucht wurden: Gasparinnea elegans, G. niuro-
mm, Xanthoria parietina, Tornahenia chrysophthalma, Giale-
chia aurea, Cetraria pinastri, Evernia vulpina, Alectoria ochro-
leuca, Placodium ftilgens, Rhizocarpon geographicum, Candela-
ria concolor, Catolechia ptilchella, Xanthocarpia ochracea. Bei
air den genannten Arten war nicht nur die Gonidienschichte
relativ breit, sondern es waren auch die Gonidienhäufchen üppig
entwickelt und die Gonidien ungewöhnlich zahlreich, kurz, man
sah den Algen auf den ersten Blick ihr gutes Gedeihen an. Selbst
die von einem gelben Farbstoff beschützten Soredienanflüge von
Placodium circinatum, Biatora lucida und Calycinm. chlorinnm
zeigten eine üppige Gonidienvegetation. Nächst den orange-
rothen und gelben Farbstoffen begünstigen am meisten noch
die lichtbraunen und bläulichen Farbentöne die Entwicklung
der Gonidien, d. h. wenn die Dicke der Rinde eine gewisse
Grenze nicht überschreitet; letzteres scheint bei manchen Arten
von Sphaerophorus der Fall zu sein.
Am meisten Licht absorbiren die dunkel gefärbten Rinden
von horniger Beschaffenheit, wie z. B. die von Cornicularia
tristis und C. aculeata, Alectoria nigricans, Oropogon Loxensis.
Parmelia stygia v. lanata, P. Fahlunensis, Gyrophora anthra-
cina etc. Bei diesen Flechten kostet es, besonders in den
älteren Thallustheilen, oft Mühe, die Gonidien überhaupt zu
finden. Oft zeigen die Apothecien eine andere Färbung als
der Thallus; dadurch entstehen zweifarbige Flechten, wie z.B.
Lecanora chrysoleuca, Sticta anrata, Solorina crocea, Diplo-
tomnia alboatrnm und die zweifarbigen Catocarpus, Rhizo-
Untersuchungen über die Flechten. 2 1 5
carpon, Biatora- und Lecidea- Arien. Der Umstand, dass die
Apothecien und der Thallus durch verschiedene Farbstofife
geschützt werden, scheint darauf hinzudeuten, dass die Be-
ziehungen der Apothecien zum Lichte nicht dieselben sind wie
die des Thallus. So plausibel dies klingt, so treffen wir gerade
hier auf räthselhafte Erscheinungen. Ich meine die Thatsache,
dass die Apothecien zuweilen durch einen Farbstoff geschützt
erscheinen, welcher die Entwicklung normaler Sporen ver-
hindert Man findet wenigstens in den scharlachrothen Apo-
thecien gewisser Cladonien, wie z. B. bei Cladonia coccifera,
C. hellidiflora, C. digitata, C. macilenta, C. Floerkeana nur sehr
selten wohl ausgebildete Sporen. Sollte der rothe Farbstoff die
Sporenbildung wirklich behindern, warum wird er dann über-
haupt entwickelt, und wie ist es möglich, dass eine so unzweck-
mässige Einrichtung durch die Vererbung fixirt, ja bis zu einem
gewissen Extrem gesteigert werden konnte? Wir stehen da vor
einem vorderhand unlösbaren Räthsel.^ Nicht minder räthsel-
haft ist der Umstand, dass mitunter nicht nur die Rinde,
sondern fast sämmtliche Hyphen der ganzen Flechte, also
auch das Mark, in einer höchst auffallenden Weise mit Farb-
stoffen imprägnirt sind. Dies ist z. B. bei unserer Haema-
tomma venlosnm, Solorina crocea und insbesondere bei vielen
tropischen und subtropischen Sticta- und Ricasolia-Avien und
Cladonia miniata der Fall. Wenn man auch mit Recht an-
nehmen muss, dass durch die Anhäufung so vieler Farbstoffe
aus der Gruppe der Flechtensäuren und Harze etc. der Thallus
für die meisten Thiere durch und durch ungeniessbar gemacht
wird, was an sehr sterilen Orten für grössere Flechten von
einer nicht zu unterschätzenden Wichtigkeit sein mag, so
bleibt noch immer die Frage offen, warum sind diese Schutz-
1 Es wäre allerdings auch möglich, dass das leuchtende Roth der Apo-
thecien als ein Anlockungsmittel dazu dient, Thiere heranzuziehen, welche
sich vielleicht an dem Safte der hervorquellenden Conidien (Spermatien) güt-
lich thun und dann durch die an ihren Mundtheilen hängenbleibenden Conidien
zur Verbreitung der Art beitragen. Wem das zu phantastisch klingt, den mache
ich darauf aufmerksam, dass auch die Pycniden mancher Rostpilze Anlockungs-
mittel in der Form stark riechender Körper besitzen, wie schon Rathay nach-
gewiesen hat (Diese Sitzungsberichte, 86. Bd., I. Abth., 1882).
216 K. Zukal,
mittel so auftallend gefärbt, so leuchtend roth, so gesättigt
gelb? Ich glaube, dass manche Farbstoffe der echten Pilze uns
bei der Beantwortung dieser Frage auf die rechte Spur leiten
können. Wenn wir nämlich fragen, warum ist diese Peziza roth,
jene blaugrün, die dritte dort hochgelb gefärbt, so lässt sich
antworten, diese Farbstoffe sind eben die Schutzmittel der
weichen Pilze, und diese Schutzmittel besitzen als selbständige,
chemische Individuen eben bestimmte Farben, wie z. B. das
Kupfersulfat oder das Eisenoxyd. Diese Antwort ist aber aus
dem Grunde nicht erschöpfend, weil erstens alle diese Pezizen
nicht immer gleich gefärbt sind und eine Abhängigkeit vom
Licht zu Tage liegt und weil zweitens diese Farbentöne bei
den betreffenden Species nicht plötzlich auftreten, sondern bei
den nächstverwandten anderen Formen alle möglichen Über-
gänge bis zum Weiss zeigen, so dass man den Eindruck erhält,
dass die gesättigten rothen, blauen und gelben Tinten erst
langsam herangezüchtet werden mussten. Deshalb halte ich es
auch für wahrscheinlicher, dass die gefärbten Excrete, neben
ihrer Bedeutung als chemische Schutzmittel, noch eine andere
Mission zu erfüllen haben und dass diese Mission mit dem
Lichte in einer directen Beziehung steht. Bei einer Peziza liegt
es aber auf der Hand, dass diese Beziehung mit der Assimila-
tion nichts zu thun haben kann. Es gibt aber in einem lebenden
Organismus ausser der Assimilation noch andere complicirte
chemische Processe, und ich halte es nicht für ausgeschlossen,
dass ein bestimmtes farbiges Licht z. B. Vorgänge bei der
Synthese beeinflussen könnte. In dieser Richtung mag viel-
leicht die Antwort nach dem Zweck der farbigen Markhyphen
bei den exotischen Sticta- und Cladonia - Arten zu suchen
sein.
Leider kann ich auch keine befriedigende Antwort auf die
Frage geben, ob gewisse Farbstoffe der Flechtenrinde in einer
ähnlichen Weise wirken wie das Phycoerythrin bei den Flori-
deen. Da ich zu wenig Chemiker bin, um die Frage nach
der Fluorescenzwirkung der einzelnen Flechtenfarbstoffe selb-
ständig lösen zu können, so wandte ich mich an mehrere, mit
diesen Stoffen wohlvertraute Fachmänner mit der Bitte um
Auskunft über den fraglichen Gegenstand. Ich erhielt aber
Untersuchungen über die Flechten. 2 1 7
theils verneinende, theils unsichere und ausweichende Ant-
worten, muss also zu meinem Bedauern diesen wichtigen
Punkt in suspenso lassen. Dafür habe ich meine Aufmerk-
samkeit auf einen anderen Gegenstand concentrirt, nämlich
auf die Variabilität der Färbung ein und derselben Flechten-
species und auf die Ursachen, welche diese Variabilität hervor-
rufen. Ich habe sogar über diesen Punkt mehrere Jahre hin-
durch einen besonderen Vormerk geführt und in demselben
alle Eigenthümlichkeiten des Standortes jedes auffallend oder
abnorm gefärbten Individuums sorgfältig notirt. Was nun die
Ursachen anbelangt, welche die Lebhaftigkeit der Flechten-
farben beeinflussen, so kommt in erster Linie die Lichtintensität
und in zweiter Linie die relative Luftfeuchtigkeit in Betracht:
Diese Thatsache war schon den älteren Lichenologen, wie
Meyer und Wallroth wohlbekannt. Im Übrigen liegen
diese Dinge nicht so einfach, wie diese älteren Beobachter
geglaubt haben. Ich selbst will alle meine diesbezüglichen
Erfahrungen im folgenden Satz zusammenfassen : Jede
Species ist für eine bestimmte Lichtintensität und
Mischung der farbigen Strahlen gewissermassen
abgestimmt. Ändern sich die äusseren Umstände
in Bezug auf das Licht, so ändert sich nicht die
Lichtstimmung der Flechte, denn diese ist ein
Speciescharakter; was sich ändert, ist die Dicke und
das Gefüge der Rinde, die Menge und Beschaffen-
heit der farbigen Secrete, die Behaarung, der Epi-
thallus u. s. w. Nach meiner Auffassung besitzen also die
Flechten die Fähigkeit, sich innerhalb gewisser Grenzen selbst
jene Lichtmischung zu bereiten, die ihrer Lichtstimmung am
besten entspricht. Die Lichtstimmung ist aber durchaus nichts
Mystisches, Unklares, sondern das Ergebniss eines Compro-
misses zwischen den Lichtbedürfnissen der verschiedenen
Flechtentheile. Denn höchst wahrscheinlich besitzen die Nähr-
algen bezüglich der Assimilation ein anderes Lichtoptimum als
die reifenden Apothecien, diese wieder ein anderes als die
Anlagen der Apothecien, um von den verschiedenen synthe-
tischen und Gestaltungsprocessen gar nicht zu reden. Wenn
aber auch die meisten Flechten im Stande sind, den ihnen
218 H. Zukal,
durch den Standort gebotenen Lichtgenuss entweder stark
auszunützen oder beträchtlich zu vermindern, so reicht die
Macht ihrer Mittel doch nur bis zu gewissen Grenzen; werden
letztere dauernd nach oben oder unten hin überschritten, so
kann sich die Flechte nicht weiter behaupten, und es tritt der
Tod ein.
Hier ist auch der Ort, wo die biologische Bedeutung
desEpithallus^ einer näheren Erörterung unterzogen werden
muss. Was hat es zu bedeuten, wenn sich z. B. die Hyphen
des äussersten Thallusrandes einer Lecanora, Lecidea, Spora-
statia oder Opegrapha etc. so färben und verdicken, dass ein
schwarzer Saum entsteht, der sich auf der Kruste wie die
verwaschene Grenzlinie einer Landkarte ausnimmt? Warum
werden die jüngsten Thallusspitzen vieler Cladonien-, Evernia-
und Ramalina- Arten dunkelbraun bis schwärzlich oder wie bei
Neuropogon und Ramalina carpathica blau gefärbt, während
der übrige Thallus dieser Flechten eine ganz andere Färbung
zeigt? Ich glaube diese Fragen am besten zu beantworten,
wenn ich darauf hinweise, dass in dem grenzartigen Saume
oder in den heterogen gefärbten Thallusspitzen die jüngsten
Gonidien verborgen liegen, welche von den fortwachsenden
Hyphen aus den älteren Thallustheilen mitgezogen wurden.
Diese oft noch sehr blassen Gonidien werden aber nur durch
einen sehr dünnen Hyphenmantel beschützt, der nichts weniger
als lückenlos ist. Nun zeigt sich aber das Chlorophyll junger
Chromatophoren sehr empfindlich, namentlich gegen das
directe Sonnenlicht, und die höheren Pflanzen besitzen eine
ganze Reihe von Einrichtungen, welche die Zersetzung des
Chlorophylls durch das directe Sonnenlicht verhindern.* Dürfen
» Über den »Epithallus« siehe das dritte Capitel der ersten Abhandlung.
Der Flechtenthallus und Tafel I, 1, 3 und 5.
2 Wiesner, Die natürlichen Einrichtungen zum Schutze des Chloro-
phylls der lebenden Pflanze. Festschrift zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens
der k. k. zool.-botan. Gesellschaft in Wien, 1876.
Derselbe, Pflanzenphysiologische Mittheilungen aus Buitenzorg. Diese
Sitzungsberichte. Bd. 103, I. Abth., 1894, S. 15.
Ferner: v. Kern er, Pflanzenleben, 2. Bd. Über das Anthokyan als Schutz-
mittel gegen die Zerstörung des Chlorophylls durch allzu grosse Lichtintensität
S. 504.
Untersuchungen über die Flechten. 219
wir uns darüber wundem, wenn wir ähnliche Schutzmittel
auch bei den Flechten finden?
Auch bei den Laubflechten treffen wir auf Erscheinungen,
die man, meiner Ansicht nach, nur vom Standpunkt der Schutz-
bedürftigkeit der jüngsten Gonidien vor dem directen Sonnen-
licht befriedigend erklären kann. Es gibt nämlich Laubflechten,
deren obere Rinde sich an gewissen Stellen des Randes
dunkel bis schwärzlich färbt. Da auch ihre untere Rinde die-
selbe Färbung besitzt, so macht es den Eindruck, als ob sich
an diesen Stellen die untere Rinde über den Thallusrand hin-
weg kappenartig nach oben schlagen würde. Am häufigsten
zeigen diese Eigenthümlichkeit Menegazzia pertusa, Parmelia
physodes^ P. encausta, Cetraria glduca etc. Durch dieselbe
werden die jüngsten Gonidien des Thallusrandes, wo das leb-
hafteste radiale Wachsthum herrscht, unter eine schwärzliche
Rinde gebracht, und ich sehe in dieser Rindenverfärbung aber-
mals eine Einrichtung, welche in erster Linie den Schutz des
zarten Thallusrandes vor den Wirkungen des directen Sonnen-
lichtes bezweckt. Zu Gunsten meiner Ansicht spricht noch der
Umstand, dass die eben erwähnten Eigenthümlichkeiten (die
heterogene Färbung der Thallusspitzen bei vielen Strauch-
flechten, die landkartenartigen Säume der Krustenflechten, die
Kappenbildung vieler Laubflechten) bei den durch sie charak-
terisirten Species durchaus nicht immer in demselben Grade
der Deutlichkeit entwickelt werden. Im Gegentheil, es lässt
sich vielmehr leicht constatiren, dass diese Form des
Epithallus nur an Orten zur schönsten Entwicklung
gelangt, die durch eine grosse Lichtintensität aus-
gezeichnet sind.
Zu den Chlorophyllschutzmitteln rechne ich auch die
schwarzen, rothen oder dunkelblauen Flecke oder Striche,
welche an Orten entstehen, wo der Thallus Risse bekommen
hat oder sonstwie verletzt worden ist. Denn auch in das
Narbengewebe der verletzten Stellen werden die Gonidien
nach und nach hineingezogen, vermehren sich daselbst oft leb-
haft und bedürfen dann ebenfalls eines besonderen Schutzes.
Zu diesen gefärbten Narbenbildungen liefern viele Arten der
Gattungen Cetraria, Parmelia, Lecanora und insbesondere
220 H. Zukal,
auch die Kruslenflechten mit dickem, rissigen Thallus zahl-
reiche Belege.
Sehr lehrreich liegen die Dinge bei jenen Flechten, welche
sozusagen eine doppelte Rinde besitzen, nämlich ihre noitnale
und noch eine zweite, weiche von Fall zu Fall ausgebildet wird
und gewöhnlich aus einem lockeren, lebhaft gefärbten Hyphen-
netz besteht, das die eigentliche Rinde in einer ähnlichen Weise
überzieht wie das grüne Gitter die Scheiben eines Glashauses.
Als besonders instructive Beispiele nenne ich Verrucaria pur-
purascens und Manzonia Cantiana (I. Abh. Taf. I, 1, 3, 5).
Ursprünglich schützt die eben erwähnte, farbige Deck-
hyphe nur den fortwachsenden Thallussaum und die Thallus-
risse. Wenn aber diese Flechten an Orten grosser Licht-
intensität wachsen, dann verbreitet sich die farbige
Deckhyphe netzförmig über den ganzen Thallus und
macht im Allgemeinen die Maschen des Netzes umso
kleiner oder enger, je grösser die Lichtintensität ist.
An zufällig verletzten Stellen der eigentlichen Rinde oder
dort, wo die Ascusbehälter und Pykniden durchbrechen, also
gewissermassen die Rinde ebenfalls verletzen, zieht die Deck-
hyphe ihre Maschen ebenfalls sehr eng zusammen.
Gelangt aber die Flechte im Verlauf ihres Wachsthums an
einen Ort, der dauernd beschattet ist, in eine lochartige Ver-
tiefung des Felsens oder unter einen überhängenden Felsen,
dann wird das Netz der Deckhyphe immer lockerer, ihre
Färbung immer undeutlicher, und an den im eigentlichen
Schatten vegetirenden Exemplaren fehlt sie ganz, obwohl
auch dort noch Thallus und Ascusbehälter vollkommen normal
zur Entwicklung gelangen.^
Wie lässt sich nun diese Form des Epithallus, nämlich die
>Deckhyphenbildung« erklären? Meiner Meinung nach nur
durch die Annahme, dass die ursprünglich nur als Chloro-
phyllschutzmittel der Randzone functionirende Deckhyphe nach
und nach zum Schutz des ganzen Thallus vor allzu greller
1 Von diesen Verhältnissen habe ich mich an den natürlichen Stand-
orten der Flechten wiederholt überzeugt, wie ich überhaupt alle Flechten,
welche Erscheinungen des Epithallus darbieten, auf meinen Excursionen stets
im Auge behielt.
Untersuchungen über die Flechten. 221
Beleuchtung herangezogen wurde. Dass es sich aber dabei
nicht bloss um eine einfache Abdämpfung des Lichtes, sondern
auch um einen Farbeneffect handelt, darauf scheint die oft sehr
ausgesprochene Färbung der Deckhyphe hinzudeuten.
Anhangsweise möchte ich hier noch auf die Färbung der
Hyphen des Hypothalius und der hypothallinischen Anhangs-
organe hinweisen. Bei diesen, auf eine lange Functionsdauer
berechneten Hyphen gibt es kein Chlorophyll, das geschützt
werden müsste. Hier bedeuten die farbigen Substanzen wohl
in erster Liiiie nur chemische Schutzmittel gegen die Angrifie
der Thiere. Anderseits ist es aber auch bekannt, dass gewöhn-
liche (weisse) Mycelhyphen der Pilze im directen Sonnenlichte
binnen wenigen Stunden zu Grunde gehen. Sollten die farbigen
Substanzen, welche die Hyphen des Hypothalius und der hypo-
thallischen Anhangsorgane bedecken, neben dem Schutze vor
dem Thierfrass nicht zugleich auch etwas zu dem Schutze
vor dem directen Sonnenlicht oder zur Förderung gewisser
chemischer Processe im lebendigen Leib des Protoplasten bei-
tragen ?
Eine ähnliche Meinung habe ich mir auch bezüglich des
Zweckes der Färbung mancher Flechtensporen und Conidien
gebildet.
II. Das reproductive System.
Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf einige sehr niedrig
stehende Ascomyceten richten, z. B. auf den in den Frucht-
körpern des Hallimasch parasitisch lebenden Endotnyces deci-
piefts Rees,^ so kommen wir zu der Erkenntniss, dass der
sogenannte Ascus morphologisch gleichwerthig ist mit den seit-
lich gebildeten Chlamydosporen. Beide sind nichts Anderes als
apicale Anschwellungen der Seitenzweige, also besonders ver-
grösserte Mycelzellen, welche zu Propagationszwecken dienen,
gleichwie die an anderen Zweigen desselben Mycels gebildeten
Oidien.
Allerdings entstehen in den Sporenschläuchen die Sporen
durch endogene Zellbildung, während im anderen Falle die
1 Über den feineren Bau von Endomyces decipiens siehe Brefeid, Unter-
suchungen aus dem Gesammtgebiete der Mykologie. IX. Heft, 1891.
222 H. Zukal.
Mycelzellen in toto zu Chlamydosporen oder Oidien werden.
Allein die vergleichende Morphologie hat ergeben, dass alle
drei Formen in einander übergehen können (Schliesssporen,
Sporangiolen von Chaetocladium — Conidien von Peronospora
und Cystopus). Mit anderen Worten: Conidien, Chlamydosporen,
Sporangien und Asci sind verwandte Gebilde, beziehungsweise
metamorphosirte Mycelzellen. Dass die Sporenbildung in den
einem Falle exogen, in dem anderen endogen ist, involvirt nichts
Mystisches. Denn beide Vermehrungsformen finden wir schon
bei den niedrigsten Verwandten der Pilze, nämlich bei den
Myxomyceten (Ceratium und Guttulina), Sie beruhen in letzter
Instanz auf der Fähigkeit der Theilung und Incystirung des
Protoplasmas. Endogene Zellbildung ist Plasmatheilung inner-
halb der Cystenhaut.
Die erwähnten Propagationsorgane, nämlich Chlamydo-
sporen, Sporangien, Conidien und Asci bilden sich nur äusserst
selten gleichzeitig an ein und demselben Mycel. So werden z. B.
bei unseren Endomyces die Asci in den untersten und tiefsten
Partien des Mycels, z. B. an den Lamellen des Hallimasch, die
Oidien in den obersten Theilen desselben (auf dem Hute)
gebildet. Noch häufiger tritt die zeitliche Scheidung in der
Weise ein, dass zuerst die Conidien und später die Asci hervor-
gebracht werden. Wenn sie aber entstehen, so treten sie in der
Regel massenhaft auf. Gewöhnlich findet man daher Mycelien,
die nur Conidien oder nur Sporenschläuche produciren. Nicht
selten zeigen auch diese productiven Mycelbezirke deutlich die
Tendenz zur Absonderung, Begrenzung und Individualisirung.
So entstehen Conidienbüschel und Ascushaufen. Wenn die
Conidien- oder Ascusbildung durch längere Zeit andauert, dann
entwickeln sich für diese Propagationsorgane leicht besondere
Ernährungs-, UmhüUungs- und Schutzorgane, d. h. das Mycel
baut dann für seine Conidien- und Ascushaufen besondere
Gehäuse. Dass diese letzteren nichts Anderes sind als besonders
modificirte und besonderen Zwecken angepasste Myceltheile,
wurde schon im ersten Capitel des Näheren auseinander-
gesetzt.
Da die Flechten, insoweit sie Ascomyceten sind, zu der
Gruppe der Hymenoasci gehören, so können wir gleich mit
Untersuchungen über die Flechten. 223
der Frage beginnen, wie der Asciisbehälter bei dieser Gruppe
entsteht.
Die erste Anlage desselben besitzt bekanntlich die Form
eines Hyphenknäuels. Bei der Entstehung des Letzteren kann
ein besonderes Initialorgan vorhanden sein oder auch nicht.
Da ein grosser Theil der Forscher die Ascusbehälter für echte
Früchte hielt, so wurde lange Zeit hindurch mit grosser Aus-
dauer nach dem Sexualapparat gesucht. Als dann durch de
Bary,^ Schwendener,^ Fuisting^ und Andere festgestellt
wurde, dass sich in jedem Ascusbehälter zwei ganz ver-
schiedene Gewebe unterscheiden lassen, nämlich der Ascus-
apparat und der Hüllapparat, und dass ersterer in mehreren
F'ällen aus einem besonderen Initialorgan entspringe, so glaubte
man allgemein in dem letzteren und in einzelnen, das Initial-
organ umschlingenden Hyphen, die lang gesuchten Sexual-
organe gefunden zu haben.
Diese Auffassung wurde aber sofort von van Tieghem,^
Brefeld^ und Anderen bekämpft, und da schliesslich auch die
.Anhänger der Befruchtungstheorie nicht in der Lage waren, den
thatsächlichen Beweis ihrer Annahme zu erbringen, so musste
^ De Bary, Vergleichende Morphologie und Biologie der Pilze. Leipzig,
l!^4. Hier auch genaue Angaben über seine Specialarbeiten.
- Sch wendener, Über die Entwicklung der Apothecien von Coeno-
s'jninm. Flora, 1862, 224.
Derselbe, Über die Apothecia primus aperta und die Entwicklung der
Apothecien im Allgemeinen. Flora, 1864, S. 320.
^ Fuisting, De nonullis Apothecii Lichenum evolvendi rationibus. Diss.
maugur. Berol. 1865.
Derselbe, Zur Entwicklungsgeschichte derPyrenomyceten. Botan. Zeitung,
1.^67, 1868.
Derselbe. Zur Entwicklungsgeschichte der Lichenen. Ibidem, 1868.
^ VanTieghem, Botan. Zeitung, 1876, S. 165.
Derselbe, Nouvelles obs. sur le develloppement du perithece des Chae-
lomium. Bull. Soc. Bot. de France, t. 23, 1876.
Derselbe, Sur le developpement de quelques Ascomycetes (.Aspergillus).
Ibidem, t. 24, 1877.
•'• Brefeld, Untersuchungen über die Schimmelpilze. IV. Heft. — Auch
Butan. Zeitung, 1876, S. 57.
Derselbe, Untersuchungen aus dem Gesammtgebiete der Mykologie.
L\. Heft.
Sitzh. d. mathem.-naturw. (Jl.; CV. Bd., Abth. 1. 15
224 H. Zukal,
dieselbe fallen gelassen werden.* Gegenwärtig sind wir an dem
Ende einer mehr als dreissigjährigen Forschungsperiode zu
der Erkenntniss gekommen, dass die Ascusbehälter der Asco-
myceten und Flechten in einer rein vegetativen Weise entstehen.
Nach dieser Abschweifung wollen wir wieder zu unserem
eigentlichen Thema zurückkehren.
Es wurde oben gesagt, dass die Anlage der meisten Ascus-
behälter die Form eines Hyphenknäuels besitzt. Dieses Pri-
mordium wächst durch Einschiebung neuer Hyphenzweige,
sowie durch Fächerung und Streckung beträchtlich heran. In
seinem basalen Theile, seltener in seiner Mitt^, findet man in
der Regel sehr verschiedenartig gewundene oder gekrümmte
Hyphe, die theils durch ihre Dicke, theils durch ihren Gehaltan
plastischen Stofifen und Fett auffällt. Bald früher, bald später
entsteht dann in der jungen Ascusbehälteranlage eine centrale
Höhlung. In diese letztere wachsen von der Basis oder von den
Seitenwänden her die ersten Paraphysen hinein und füllen sie
bald wieder vollständig aus.
Bald darauf regt sich auch die vorerwähnte mit plastischen
Stoffen erfüllte Hyphe (oder — wo ein solches vorhanden ist —
das Initialorgan). Sie spriesst nämlich aus und bildet ein selb-
ständiges, ebenfalls noch mit Protoplasma und Reservestoffen
erfülltes Zvveigsystem, das sich hauptsächlich unter der Para-
physenschichte ausbreitet; nämlich das ascogone Hyphen-
system. Aus letzterem gehen die Asci als Ausstülpungen
unmittelbar hervor. Indem die Sporenschläuche in die Höhe
wachsen, müssen sie nothwendiger Weise die Paraphysen
auseinander drängen. Letztere bilden dann sammt den Sporen-
schläuchen das Hymenium, während das ganze Gewebe unter-
halb des Hymeniums Subhymenium, wohl auch Hypothecium
genannt wird.
Inzwischen hat sich auch die äussere Seite des jungen
Ascusbehälters verwandelt. Aus dem Hyphengeflecht ist nämlich
ein gewöhnlich mehrschichtiges Pseudoparenchym geworden.
1 Über diesen Punkt siehe auch das 5. Capitel meiner Entwicklung>-
geschichtiichen Untersuchungen aus dem Gebiete der Ascomyceten: »Zur
Frage über die Sexualität der Ascomyceten«, S. 68 des Separatabdruckes
Diese Sitzungsberichte, 98. Bd., 1889.
Untersuchungen über die Flechten. 225
welches nun die Gehäusewand, das Excipulum, bildet. Letzteres
kann dünn oder dick, weich oder hart, behaart oder unbehaart
sein, kurz die mannigfaltigsten Veränderungen erleiden. Für
die fernere Entwicklung des Ascusbehälters und namentlich füi*
seinen späteren Habitus sind ganz besonders der Zeitpunkt und
der Modus des Öffnens wichtig. Öffnet sich nämlich die Behälter-
anlage sehr frühe, z. B. kurz nach dem Entstehen der ersten
Paraphysen, dann bekommt in der Regel das Hymenium bald
eine tassenförmige, schüssel- oder scheibenförmige Gestalt
(Discomyceten). Bleibt aber das Excipulum lang geschlossen
und erfolgt die Sporenejaculation zuletzt durch eine ganz
bestimmte Öffnung (ostiolum), so erhält das Hymenium eine
krugförmige Gestalt (Pyrenomyceten). Es kann auch der Fall
eintreten, dass sich das Excipulum gar nicht in einer bestimmten
Weise öffnet, und dass die Sporen erst frei werden, wenn die
Bchälterwand verrottet (Cleistomyceten). Zu erwähnen ist noch,
dass sich die Sporenschläuche meist als sehr lichtempfindliche,
und zwar positive heliotropische Organe erweisen. Dieser Um-
stand erklärt auch die Thatsache, dass sich die Ascusbehälter
in den weitaus meisten Fällen auf der Lichtseite des Substrates
entwickeln. Die Sporen selbst entstehen in den Sporenschläuchen
durch endogene Zellbildung. In dem ursprünglich körnigen und
daher ziemlich undurchsichtigen Plasma des Sporenschlauches
wird nämlich bald ein Zellkern sichtbar, der nachher so viele
Zweitheilungen erfährt, als für die Sporenanzahl erforderlich
ist. Die Kerne letzter Ordnung umgeben sich mit Protoplasma-
hüllen und letztere mit festen Cellulosehäuten. Die so gebildeten
Sporen sind ursprünglich einzellige Körper. Sie werden zur Zeit
der Reife in der Regel mit grosser Kraft hinausgeschleudert.
Dabei wird der Scheitel des Ascus entweder in verschiedener
Weise aufgerissen ^ oder ganz abgesprengt. Nur in seltenen
Fällen werden die Sporen nicht ejaculirt und verbleiben bis
zur Verschleimung der Ascuswand im Schlauche. Dies ist in
grossen Zügen die durchschnittliche Entwicklungsgeschichte
der Ascusbehälter bei den echten Ascomyceten.
^ Über den Spritzmechanismus siehe Zopf, Anatomische Anpassuni;
der Schlauchfrüchte an die Function der SporenenUeerung. Halle, 1884.
lö*
226 H. Zukal,
Sehen wir nun zu, inwieferne die Entstehung der Flechten-
ascomata von diesem Bilde abweicht. Da müssen wir vor allem
fragen: wird auch bei den Flechten der Ascusbehälter immer in
der Form eines Hyphenknäuels angelegt? Diese Frage kann
nach dem gegenwärtigen Stand unseres Wissens unter der
Bedingung bejaht werden, dass man die Podetien der Cladonien
als metamorphosirte Ascusbehälter betrachtet. Das primordiale
Hyphenknäuel kann aber exogen angelegt werden oder endogen»
d. h. im Innern des Flechtenthallus oder aussen auf demselben.
Die exogene Anlage kommt bei einigen Cladonien, Buellien und
Calycien vor. Ich fand sie aber auch bei Biatora lucida und
Bacidea mtiscorum (Sn.) Arn. Beide Flechten besitzen zuweilen
einen Thallus pulverulentus, welcher sich in keiner Weise über
das Soredienstadium erhebt. Trotzdem ist dieser myceliare
Thallus oft mit Ascusbehältern übersäet. Die Primordien der
Apothecien sitzen entweder den Soredien auf oder sie bilden
sich auch zwischen denselben, vollkommen isolirt. Im letzteren
Falle sind sie bis zu einem gewissen Grade den soredialen
Knäueln ähnlich, weil sie ebenfalls häufig Gonidien enthalten,
wenn auch in geringerer Menge. Exogen wird das Primordium
ausserdem noch in allen jenen Fällen angelegt, wo sich der
Ascusbehälter direct auf dem Hypothallus bildet und nicht auf
den Thallusschüppchen. Dies kommt bekanntlich bei mehreren
Arten von Buellia, Rhizocarpon und Catocarpns vor. Es sind
dies meistens Flechten, deren Hypothallus zugleich ein echter
Prothallus ist, welcher die Fähigkeit besitzt, sich in ähnlicher
Weise saprophytisch zu ernähren, wie der Prothallus der
(Iraphideen. Bei diesen Flechten scheint die Anpassung an das
Zusammenleben mit einer gewissen Alge noch nicht hinreichend
befestigt und die Befähigung zu einer saprophytischen Lebens-
weise noch bis zu einem gewissen Grade erhalten zu sein.
Darauf deutet ausser dem ausdauernden Prothallus noch der
Umstand hin, dass gerade bei diesen Formen noch hie und da
auch sogenannte formae saprophytae vorkommen. Es darf uns
deshalb auch nicht wundern, dass der Ascusbehälter nicht auf
den Thallusschuppen, sondern auf dem Prothallus entsteht.
Bei Lecidella sabnletormn Schreb. v. enterolenca Fr.
konnte ich übrigens die interessante Thatsache constatiren, dass
Untersuchungen über die Flechten. 227
die Ascusbehälter theils auf dem blauen Hypothallus, theils auf
der gonidienführenden Kruste gebildet werden. Ausser in den
erwähnten Fällen treffen wir noch bei Sphyridmm, bei den
Calycien und Graphideen exogene Ascusbehälteranlagen.
Bei dem Gros der Flechten entsteht jedoch diese Anlage
endogen, und zwar entweder in der Gonidienschichte oder hart
unterhalb derselben. Dass gerade dieser Ort bevorzugt wird, ist
begreiflich. Denn hier sind die Hyphen verhältnissmässig noch
am wenigsten differenzirt; auch gewährt die Stelle dem Pri-
mordium den Schutz der Lage und eine möglichst ausgiebige
Ernährung. Wenn sich das Primordium später vergrössert,
durchbricht es gewöhnlich die Rinde. Bei den pyrenocarpen
Flechten dehnt sich jedoch das Perithecium gewöhnlich mehr
nach unten aus, als nach oben und kann selbst bis zu dem
Hypothallus vordringen, wo ein solcher vorhanden ist. Wenn
sich dann noch der basale Theil des Excipulums verfärbt und
mit Hyphen bedeckt, die denen des Hypothallus ähnlich sehen,
so entsteht der Schein, als ob die Perithecien ursprünglich aus
dem Hypothallus hervorgegangen wären und später den goni-
dienführenden Thallus durchwachsen hätten. Solche Perithecien
findet man z. B. bei Catopyrenitim cinerenm Pers. und Verrti-
carria nigrescens Pers. und V.fusco atra Wallr. etc.
Die Initialorgane der Primordien sind bei den Flechten
ziemlich spät aufgefunden worden, nämlich 1877 von Stahl.^
und zwar in der Form eines schraubig gewundenen Archicarps
mit dem Trichogyn bei den Collemaceen (Fr.).
Später fand Lindau^ ähnliche Organe bei Anaptychia
ciliarisS,, Ramalina fraxinea L., Parmelia tiliacea Hoffm.,
Xanthoria parietina L., Lecanora saxicola Poll., Lecanora
siibfusca L., Lecidea goniophila Fl. f. enteroleuca, Wainio bei
PyrenopsisS^ecxes, Usnea laevis (Gschw.), Sphaerophoropsis
siereacatüoides Wainio, Coccocarpia pellita Ach., ferner bei
einigen Arten von Cladonia und Psendopyrennla. Ich selbst sah
' Stahl, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Flechten. 1. Heft,
tber die geschlechtliche Fortpflanzung der Callomaceen. Leipzig, 1877.
2 G. Lindau, Über die Anlage und Entwicklung einiger Flechtenapt>-
thecien. 1888.
228 H. Zukal,
sie sammt Trichogyn bei Acarospora cineracea Ny 1 f. pycniäi'
fera * und ohne Trychogyn in den Primordien von Tkamnolia
vermicularis Sw.*
Lange Zeit hindurch hielt man nach Stahl das Carpogon
mit dem Trichogyn für ein sexuelles Organ und stellte sich den
Befruchtungsprocess in ähnlicher Weise vor, wie bei den Flori-
deen, nämlich als eine Copulation der »Spermatien« mit der
Spitze des Trichogyns. Da aber von Cornu,* Möller,* und
Brefeld* nachgewiesen wurde, dass die vermeintlichen Sper-
matien echte Conidien sind, aus denen sich in einer geeigneten
Nährlösung ein ganzer Thallus züchten lasse, so musste die
obige Befruchtungstheorie fallen gelassen werden. Ich selbst
halte, wie schon in einem anderen Capitel auseinander gesetzt
worden ist, das schraubige Carpogon für eine Sammel- und
Leithyphe für Protoplasma- und Nährstoffe, das Trichogyn aber
für einen Bohrer, der den Zweck hat, die Decke über der Leit-
hyphe zu durchstechen und der Luft zum Carpogon und später
zum Primordium directen Zutritt zu sichern. Der Gedanke, dass
das Trichogyn vielleicht ein Durchlüftungsapparat sein könnte,
wurde zuerst von van Tieghem^ ausgesprochen. Ich habe
mich aber überzeugt, dass dies wirklich so ist und zugleich die
^ Auf die besonders schöne Entwicklung des Carpogons bei Acarospora
cineracea wurde ich durch Herrn Dr. Zahlbruckner aufmerksam gemacht.
Derselbe hatte auch die grosse Güte, mir sein Herbarexemplar zur Unter-
suchung zu überlassen.
- Das Carpogon von Tkamnolia hat die Form einer Woronin'schen
Hyphe und scheint erst ziemlich spät zu entstehen, nachdem die Primordien
bereits ein parenchymatisches Aussehen gewonnen haben.
^ Cornu, Sur les Spermatics des Ascomycetes, leur nature, leur role
physiologique. Comptes rendus de l'acad. des sciences. 1876.
Derselbe, Reproduction des Ascomycetes. Stylospores et spermatics etc.
Annales des sciences nat. 1876.
* A. Möller, Über die Cultur flechtenbildender Ascomyceten ohne .Algen.
Münster, 1887.
•"' Brefeld, Untersuchungen aus dem Gesammtgebiet der Mykologie.
IX. Heft.
*'* Van Tieghem, Neue Beobachtungen über die Fruchtentwicklung und
die vermeintliche Sexualit.ät der Ba^^idiomyceten und Ascomyceten. Botan.
Zeitung, 1876.
Untersuchungen über die Flechten. 229
Methode abgegeben, durch welche sich jedermann von der
Richtigkeit der obigen Ansicht selbst überzeugen kann.^
Nicht immer zeigt die Leithyphe die Form eines schraubig
gewundenen Carpogons, zuweilen ist sie nämlich ganz gerade,
wie z. B. nach Krabbe in den stark verzweigten Podetien der
Cladonien oder sie nimmt auch blasen- bis wurstförmige Formen
an, so z. B. nach Fünfstück^ bei Peltigera, Peliidea und
Nephroma. Man braucht übrigens kein Prophet zu sein, um
vorauszusehen, dass über kurz oder lang solche ascogone Leit-
hjqphen für die Ascomata aller Gattungen werden aufgefunden
werden.
Die Existenz von ascogonen Hyphen in der Subhymenial-«
schichte (Hypothecium) ist eigentlich selbstverständlich, es
fragt sich nur, ob diese ascogonen Hyphen von einer einzigen
Hyphe (Zelle) abstammen oder nicht.
Was das Öffnen oder Aufplatzen der ursprünglich kugeligen
und ringsum geschlossenen Ascusbehälteranlagen betrifft, so
kann dasselbe entweder sehr früh erfolgen, d. h. kurz nach dem
Auftreten des ersten Paraphysenbündels oder um Vieles oder
Weniges später, oft erst nach vollständiger Ausbildung der
Lamina. Im ersteren Falle entsteht gewöhnlich der Schein eines
apothecium primus apertum, wie z. B. bei vielen Leeideen, im
zweiten Falle kann sich das Excipulum so spät öffnen, dass ein
Theil der hierher gehörigen Apothecien lange Zeit hindurch für
angiocarpe Ascusbehälter gehalten worden sind, wie z. B. bep
Sphaerophorns, Manzonia^ Pertusaria etc.
Das Gehäuse (Excipulum proprium) unterliegt bei den
Flechten ähnlichen Structurveränderungen wie bei den Asco-
myceten.
Bei Phialopsis, Petractis, Gyalecia, Thelofrema etc. ist es
sehr dick und reisst oft in einer ganz chamkteristischen Weise
auf. Bei vielen Arten von Biatora, Bacidea etc. ist es dagegen
sehr dünn. In anderen Fällen wieder v\nrd es sammt dem Hypo-
thecium korkartig zähe, oder hornartig bis kohlig, hart, bei
^ Siehe das Capitel: Die Durchlüftung des Flechtenthallus dieser Ab-
handlung.
- Fünfstück, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Lichenen. Berlin,
1SS4.
230 H. Zukal,
anderen wieder endlich bleibt es weich und kann sogar eine
gallertige Consistenz zeigen. Dass die Ascusbehälter ausser-
dem noch durch Flechtensäuren und andere Farbstoffe in der
mannigfaltigsten Weise tingirt und geschützt sind, wurde schon
in einem früheren Capitel ausführlicher besprochen.
Nach dem Gesagten könnte es den Anschein gewinnen,
dass bei den Flechten das Ascushymenium immer im Sinne
eines ringsum geschlossenen Primordiums angelegt werde. Dem
ist aber nicht so. Bei den Cladonien z. B entsteht das Hymenium,
wie Krabbe festgestellt hat, rein exogen, d. h. es entstehen auf
den Podetien zuerst die Paraphysen, und zwar durch Ver-
zweigung der gewöhnlichen vegetativen Hyphen, und später
werden die Spornschläuche nachgeschoben. Letztere gehen aus
den V^erzweigungen der Eiweiss leitenden Hyphe hervor. Ein
Excipulum wird natürlich in diesem Falle nicht gebidet. Das
sind also die wahren apothecia primus aperta. Bei Stereocanlon
verhält sich die Sache ganz anders. Hier gehen die Pseudo-
podetien, wie ich mich bei 5/. namim Ach. überzeugt habe,
nicht aus einem Primordium hervor, wie bei Cladonia, sondern
es legen sich einzelne Hyphen des primären Thallus parallel
an einander, so dass ein Hyphenstrang entsteht, der sich später
bogenförmig aufrichtet. Damit ist die erste Anlage des Pseudo-
podetiums gegeben. Auf diesen Pseudopodetien entwickeln sich
aber die Apothecien ganz wie bei den übrigen Flechten aus
kuglig geschlossenen Primordien, in deren Inneren dann das
Hymenium angelegt wird. Wenn sich später das Primordium
öffnet, so entsteht aus der Primordiumwand wieder ganz wie
bei den meisten übrigen Flechten ein Excipulum proprium, ja
bei einer bestimmten Gruppe sogar ein Excipulum thallodes.
Auf den aus einem Primordium hervorgegangenen Podetium
von Cladonia entstehen also die Apothecien ohne Primordium,
also rein exogen, bei den ohne Primordium entstehenden Pseudo-
podetien von StereocattJon dagegen entwickeln sich die Apo-
thecien aus einer anfangs geschlossenen Anlage und das
Hymenium ^ entsteht endogen. Diese Parallele scheint mir eben-
so interessant wie lehrreich zu sein.
J Die Anlage des Hymeniums ist nicht zu verwechseln mit der Anlage
des ganzen Apotheciums. Letztere kann auch bei Stcrcocaiilon exogen, d. h-
Untersuchungen über die Flechten. 231
Indem wir nun den Faden unserer Erörterung wieder aut-
nehmen, muss betont werden, dass auch bei den Flechten,
gleichwie bei den echten Ascomyceten in den weitaus meisten
Fällen die Paraphysen durch Aussprossung der gewöhnlichen
vegetativen Hyphen entstehen. Doch zeigen sie bei den Flechten
in Bezug auf Gliederung, Verzweigung, Consistenz, Verwach-
sung, Vergallertung und Färbung eine sehr grosse Mannig-
faltigkeit. In vielen Fällen bilden die Paraphysen über den jungen
Sporenschläuchen eine schützende Decke, die oft sehr fest
werden kann, wie z. B. bei manchen Graphideen und Leeideen.
Dann sind sie in der Regel durch Verdickung und Cuticulari-
sirung ihrer Zellwände oder durch Gallerthüllen, Flechtensäuren
etc. auch selbst geschützt und zu einer längeren Functions-
dauer befähigt. Wenn aber die Asci durch andere Mittel beschützt
werden, wie z. B. durch Thalluswarzen (Pertusarien) oder durch
ein festes, nach oben zu fast geschlossenes Gehäuse (pyreno-
carpe Flechten), dann werden die Paraphysen in der Regel
schon frühzeitig zur Ernährung des Asci verwendet und ver-
schleimen.
Mit den Paraphysen morphologisch verwandt sind die
Periphysen, jene Trichome, welche gewöhnlich den Mündungs-
canal der Perithecien auskleiden und verengen. Da sie sehr
elastisch sind, glaubt man, dass sie den Spritzmechanismus
der Sporenschläuche durch einen von oben nach unten zu
wachsenden Gegendruck verstärken. Für den Systematiker
sind sie insoferne wichtig, weil er aus ihrem Vorhandensein
jederzeit sicher auf den angiocarpen Charakter des Ascus-
behälters schliessen darf
In Bezug auf die Entwicklung der Sporenschläuche aus den
ascogonen Hyphen und die Entstehung der Sporen im Innern
der Asci, sowie in Bezug auf den Spritzmechanismus unter-
scheiden sich die Flechten kaum von den verwandten echten
Ascomyceten. Nur bei den Coniocarpeen (Meyer) Wainio
werden die Sporen nicht herausgeschleudert, sondern sie werden
oberflächlich auf dem Thallus entstehen, z. B. bei St. plicatnm .-Vch. Das
Hymenium aber bildet sich auch in diesem Falle endogen, d. h. im Inneren
des kugelig geschlossenen Primordiums und wird erst später durch Zerreissunt;
der Hülle freigelegt.
232 H. Zukal,
erst dann frei, nachdem die zarte Ascuswand zu Grunde
gegangen ist.
Die reifen Sporen dieser Flechtengruppe haben keine
Adhäsion zu einander, sondern bilden lose, staubartige Massen,
welche von dem Winde in einer ähnlichen Weise ausgesäet
werden, wie die PoUenkömer der anemophilen Blüten.^ Da die
Ausstreuung der Sporen nur bei trockenem Wetter erfolgen
kann (denn bei nassem kleben die Sporen an einander und an
die Apothecienwand), ihre Auskeimung dagegen nur bei nassem,
so müssen sie dazu befähigt sein, die Zeit der Trockenheit
ohne Nachtheil zu überstehen. Das ist auch in der That der
Fall, denn die meisten der hierher gehörigen Sporen besitzen
dicke, cuticularisirte und meist dunkel gefärbte Membranen
und bewahren ihre Keimungsfähigkeit durch lange Zeit.
Die normale Zahl der Sporen in einem Ascus ist auch bei
den Flechten 8. Doch haben z. B. Phlyctis argena (Ach.) Kbr,
Myxodictyon chrysosticta Mass., Umbilicaria pusiulata Hoffm.,
Megalospora sanguinaria (L.) Mass. und mehrere Periusaria-
Arten nur eine, andere Pertusaria-Specles, sowie einige Stigma-
tomma und Dermatocarpon typisch zwei, Perhisaria coronata
(Ach.) Nyl. und P. sulphurella 4, Biaiorella geophana 16, bei
Lecanora cateilea (Ach.) Nyl. 12 — 16, bei Synalissa rantnlosa
(Schrad.) Kbr, 16 — 32, bei Acarospora glaiicocarpaV^SiMhg,,
Epigloea bactrospora Zuk. und TJieiocarpon Laureri (Fw.) Nyl.
zahlreiche Sporen. Ob die 1 — 4 sporigen Schläuche dadurch
entstehen, dass die Theilung des Zellkernes nur so weit vor-
schreitet, oder auf dem Fehlschlagen einiger bereits gebildeter
Zellkerne beruht, ist noch nicht untersucht.
Ursprünglich sind alle Sporen einzellig, die mehrzelligen
Sporen, und zwar sowohl die quergetheilten, als auch die
mauerförmigen werden von Tavel* als sehr frühzeitig auf-
tretende Keimungserscheinungen gedeutet.
Die meisten Sporen enthalten ausser dem Keimplasma
auch noch Reservestoffe, letztere gewöhnlich in der Form eines
fetten Öles. Von den Reservestoffen besitzen die grossen Sporen
I Über diesen Punkt siehe Kern er, Pflanzenleben, 2. Theil, S. 103.
- Tavel, Vergleichende Morphologie der Pilze, 1892, S. 51.
Untersuchungen über die Flechten. 233
natürlich auch einen grösseren Vorrath, als kleinen. Deshalb
entwickeln auch letztere gewöhnlich nur 1 — 2 Keimschläuche
und ein kleines Mycel, erstere zahlreiche Keimschläuche und
ein grosses MyceL
Da die grossen Sporen offenbar mehr Chancen besitzen
bis zur Thallusbildung vorzuschreiten als die kleinen, so
herrscht bei mehreren alten und offenbar sehr gut angepassten
Flechtengattungen die Tendenz vor, die Sporenzahl zu ver-
mindern, die Sporengrösse dagegen zu steigern {Stigmatomma,
Dermatocarpon, Pertnsaria, Umbüicaria etc.).
Viele Flechtensporen besitzen auch eine derbe, cuticulari-
sirte Membrane, eine mehr oder minder dicke Gallerthülle und
sind überdies durch Flechtensäuren und durch andere FarbstofPe
tingirt. Die dicken Häute, die Gallerthüllen und die Farbstoffe
dürften wohl, unbeschadet anderer Functionen, vorzüglich als
Schutzmittel gegen die Angriffe kleiner Thiere dienen. Die
grünliche, oder bläulich grünliche Färbung mancher Flechten-
sporen hat zu verschiedenen Missdeutungen Anlass gegeben;
es hat sich jedoch herausgestellt, dass keine einzige Flechten-
spore Chlorophyll oder einen physiologisch gleichwerthigen
Farbstoff enthält.
Am weitesten entfernen sich viele Flechtenapothecien von
den gleichwerthigen Ascusbehältern der echten Ascomyceten
durch die Entwicklung eines Excipulum thallodes. Die Aus-
bildung des letzteren hängt wahrscheinlich einerseits mit der
langen Lebens- und Functionsdauer der betreffenden Apo-
thecien, anderseits mit einer gewissen üppigen Entwicklung
des gonidienführenden Thallus zusammen. Solche langlebige
und periodenweise Sporen producirende Apothecien bedürfen
nämlich nicht nur ausreichender Schutzmittel, sondern auch
einer ausgiebigen Ernährung, welche eben durch den thallo-
dischen Mantel bewirkt wird. Für die Richtigkeit dieser
Ansicht spricht auch der Umstand, dass die angiocarpen
Ascusbehälter nur äusserst selten ein Excipulum thallodes
entwickeln. Die Ursache dieser Erscheinung liegt offenbar
darin, dass die Perithecien ohnehin gewöhnlich ganz oder
theihveise in den gonidienführenden Thallus versenkt und
dadurch in Bezug auf ihre Ernährung günstig situirt sind.
234 H. Zukal,
Die scheinbaren Ausnahmen — nämlich Sporodictyon und
Segestrella — bestätigen nur die Regel. Denn bei den eben
genannten zwei Gattungen ist die Kruste so dünn, dass ein
ausgiebiges Versenken des Peritheciums in dieselbe nicht gut
möglich ist. Deshalb ziehen die grossen, weit aus der Kruste
hervortretenden Perithecien einen Theil des Thallus mit in die
Höhe, um sich mit dessen Hilfe besser ernähren zu können.
Man könnte mir zwar einwenden, dass unter den Leeideen auch
viele ausdauernde Apothecien vorkommen, die sich ohne Exci-
pulum proprium behelfen. Das ist allerdings richtig, allein gerade
die Leeideen und Graphideen sind höchstwahrscheinlich, phylo-
genetisch genommen, sehr junge Flechtenfamilien, bei denen
die Fähigkeit zu einer theilweisen saprophytischen Ernährung
noch nicht ganz erloschen ist. Darauf deutet neben dem hier
oft auftretenden exogenen Primordium der schwach entwickelte,
zuweilen sogar rudimentäre Thallus, sowie das gelegentliche
Vorkommen der Formae saprophytae.
Was übrigens das Excipulum thallodes anbelangt, so ist
noch nachzutragen, dass es neben der Ernährung des Ascus-
behälters, auch noch durch Ausscheidung von Flechtensäuren,
durch Wallbildungen und Sprossungen, nicht selten dazu bei-
trägt, die Schutzmittel der Apothecien zu verstärken.
Nicht immer erzeugt die ganze Lamina der Flechtenapo-
thecien Sporenschläuche. Bei Pertnsaria z. B. kann sich das
Hymenium durch Bildung eines sterilen Zwischengewebes
theilen, wodurch isolirte Theilapothecien zu Stande kommen.
Bei Gyrophora bilden sich auf der Lamina des Apotheciums
ringfömige Zonen, in denen sich die Asci entwickeln. Diese
Zonen werden durch je einen schmalen Streifen eines festen
sterilen Gewebes von einander getrennt. Der Zweck dieser
Rillenbildung ist nicht klar. Doch möchte ich darauf aufmerksam
machen, dass die Asci in den ringförmigen Zonen zwischen je
zwei Wänden sterilen Gewebes, jedenfalls unter anderen Druck-
verhältnissen stehen als in einem gewöhnlichen Hymenium. Ich
glaube daher, dass die Rillenbildung mit dem Spritzmechanis-
mus in Beziehung steht, rmhilicaria ist überhaupt eine sehr
Untersuchungen über die Flechten. 235
vorgeschrittene Flechtengattung, bei der namentlich die obere und
untere Thallusrinde, der Durchlüftungsapparat, die Sporen etc.
eine sehr weitgehende Differenzirung erfahren haben. Es darf
uns daher nicht wundem, wenn auch behufs Ausschleuderung
der schweren und grossen Sporen eine besondere Verstärkung
des gewöhnlichen Spritzapparates platzgreift.
Manche Flechtenapothecien besitzen die Fähigkeit der
Sprossung. Angedeutet ist letztere schon in den Apothecien
von Micarea prasina Fr., indem bei dieser Flechte die Asci
in rundlichen Gruppen auf der Lamina des Apotheciums er-
scheinen. Bei Lecidea Pelati und Cladonia Papillaria führen
diese Sprossungen zu einem mannigfach gelappten Hymenium.
BeiP^r/«5ar/<3f gehen jedoch diese Sprossungen nicht vom Hyme-
nium, sondern vom Excipulum und bei Phlyctis vom Hypo-
thecium aus. Die biologische Bedeutung dieser Sprossungen
liegt offenbar in der Verlängerung der Lebens- und Functions-
dauer des Ascusapparates. Den höchsten Grad der Spross-
fähigkeit treffen wir bei den Ascusbehälterträgern von Cladonia,
Die letzteren sind auch noch wegen ihrer Fähigkeit zur selb-
ständigen Ernährung, durch Schaffung eines assimilirenden
Mantels, besonders merkwürdig. Man kann sich auch eine
Vorstellung von den Factoren machen, welche im Laufe der
phylogenetischen Entwicklung die Entstehung der so mannig-
fach gestalteten Podetien bewirkten. Zu diesem Ende muss
man sich daran erinnern, dass bei den Ascomyceten das
ursprüngliche Mycel sehr häufig verschwindet, sobald die
Ascusbehälter einen gewissen Grad der Ausbildung erlangt
haben. Etwas Ähnliches treffen wir auch bei den Flechten
und insbesondere bei den Leeideen, wo bekanntlich die
Kruste nach Entwicklung der Apothecien oft ganz ver-
schwindet. Zu den Leeideen gehört aber (nach Wainio) auch
die Gattung Cladonia. Gegenwärtig können wir in Bezug auf
die Entwicklung von Thallus und Podetium zwei Extreme
unterscheiden, nämlich Formen mit schwach entwickelten und
vergänglichen Thallus und sehr verzweigten und hoch differen-
zirten Podetien, wie Cl. rangiferina, Cl. nncialis, Cl. gracilis,
Cl verticillata, Cl, retipora, Cl. amanrocraea etc. und Formen
f^it nur angedeuteten Podetien, aber dafür mit kräftigem, blatt-
236 ' H. Zukal,
artigen Thallus, wie z. B. C7. endivaefoUa, CL alcicornis und
C/. miniata v. sanguinea etc. Diese Extreme nun scheinen mir
die Richtung anzudeuten, in welcher sich die phylogenetische
Entwicklung der Podetien bewegt hat Denken wir uns zu
diesem Zwecke als Urform eine Qadonia, die etwa dem
heutigen Baeomyces roseus ähnelte, nämlich einen krustigen
Thallus und ein gestieltes Apothecium besessen hat. Denken
wir uns ferner, dass die Kruste rudimentär wurde oder ganz
verschwand, ehe noch das Hymenium angelegt worden war.
Wird in diesem Falle der Apothecienstiel nicht das Streben
geäussert haben, sich trotz des Verschwindens der er-
nährenden Kruste am Leben zu erhalten? Wenn dies zuge-
standen wird, dann kann es anderseits nicht mehr Wunder
nehmen, dass dieser Apothecienstiel sich theils saprophytisch
ernährte, theils zufällig aufliegende Gonidien oder Soredien sich
zunutze machte. Letztere Gewohnheit (sit venia verbo) wurde
später, weil sie sich in einem hohen Grade nützlich erwies, fixirt.
Dann trat als ein weiterer Factor der Gestaltung die Knospung
hinzu, nach welcher jeder Spross bestrebt ist, wieder einen
neuen, ihm ähnlichen Spross zu erzeugen. Den weiteren Aus-
bau der Podetien besorgten schliesslich die physiologischen
Factoren. Dort aber, wo der ursprüngliche Thallus nicht nur
nicht verschwand, sondern sich im Laufe der Vegetationszeit
noch verstärkte und verbreitete, wurden auch die Apothecien-
anlagen gut ernährt, und es fehlte daher jeder Anstoss zur
Podetienbildung. In diesen Fällen wurden sogar die Apothecien-
stiele nicht mehr weiter entwickelt, denn ein sich verlängernder
Ascusbehälterstiel involvirt immer ein Streben nach besserer
Situirung in Bezug auf Licht, Luft — kurz auf Ernährung.
Auch bei Stereocaulon zeigt der ursprünglich vorhandene
Thallus die Tendenz, nach Aufrichtung der Pseudopodetien zu
verschwinden. Da die letzteren aber nur aufgerichtete Bündel der
ursprünglichen Thallushyphen sind, so liegt für sie die Frage der
Ernährung ganz anders, wie bei Cladonia, weil sie einfach die
Symbiose, welche sie in liegender Lage angefangen haben, in
aufrechter Stellung nur fortzusetzen brauchen. Die Apothecien-
stiele von Cladonia mussten dagegen, ehe sie zur Anlage goni-
dienführender Mantelschüppchen gelangten, fortwährend alle
Untersuchungen über die Flechten. 237
jene Tendenzen und Anlagen bekämpfen, welche sie zur end-
giltigen Entwicklung des Apotheciums hindrängten.
Übrigens ist die Fähigkeit zur Tballusschüppchenbildung
auch bei anderen Apothecien, wenigstens in nuce vorhanden.
Ich verweise nur auf die von Fünfstück ^ näher untersuchte
Tballusschüppchenbildung an den Apothecien von Peltidea
aphtosa. Wie weit und ob die einzelnen Apothecien bei der
Entwicklung des Excipulum thallodes selbstthätig betheiligt
sind, muss erst für die Mehrzahl der Fälle näher untersucht
werden.
Die biologisch interessanteste Anpassung der Flechten-
ascusbehälter ist jedenfalls die Entwicklung und Ausstreuung
der Hymenialgonidien.^ Die grosse biologische Wichtigkeit der
gleichzeitigen Ausstreuung von Sporen und Gonidien liegt so
auf der Hand, dass ich mir hier jede weitere Erläuterung
ersparen kann.
Man muss nur fragen, warum diese offenbar äusserst vor-
theilhafte Anpassung bei den Flechten so selten vorkommt?
Darauf möchte ich antworten, dass die sogenannten Anpas-
sungen sich nur im Rahmen der gegebenen morphologischen
Bedingungen und in steter Concurrenz mit anderen Diffe-
renzirungen entwickeln können. Die Ausstreung der Hyme-
nialgonidien setzt einen sehr entwickelten Spritzmechanismus
voraus. Letzterer ist eigentlich nur bei den angiocarpen Ascus-
behältern vorhanden, wo die enge Ejaculationsöffnung, im Ver-
ein mit den Periphysen und einer beuteiförmig geschlossenen
Perithecienwand die Schleuderkraft der Asci wesentlich ver-
stärken. Nun besitzt aber der grösste Theil der Flechten g^^'mno-
carpe Ascusbehälter, welche diesen verstärkten Spritzmechanis-
mus eben entbehren müssen. Die Entwicklung von Hymenial-
gonidien würde daher bei dieser Gruppe zwecklos sein, weil die
eventuell entwickelten Gonidien doch nicht herausgeschleudert
werden könnten. Sie würde überdies gegen das Princip der
' Fünfstück, Thallusbildung an den Apothecien von Peltidea aphtosa.
Berichte der deutschen botan. Gesellschaft, 2. Bd., 1884, S. 447.
2 Stahl, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Flechten. 2. Heft.
Über die Bedeutung der Hymenialgonidien. Leipzig, 1877.
238 H. Zukal,
Ökonomie Verstössen, was nicht leicht vorkommt. Aber auch
bei den angiocarpen Flechten sind die Hymenialgonidien selten.
Dies lässt sich vielleicht dadurch erklären, dass die Bedin-
gungen, welche es den Gonidien ermöglichen, zwischen den
Paraphysen trotz des dort herrschenden grossen Druckes lebend
und vermehrungsfähig zu bleiben, nur selten gegeben sind.
Neben den Ascussporen sind als die weitverbreitetsten
Propagationsorgane der Flechten die Conidien der Pykniden
zu nennen. Es fällt auf, dass die Flechten ihre Conidien nie-
mals ausserhalb eines Behälters offen auf einzelnen Trägem
entwickeln, wie dies doch bei den echten Ascomyceten so oft
der Fall ist. Wenn man aber näher zusieht, so verliert sich
das Auffallende dieser Erscheinung. Denn weitaus die meisten
Flechten besitzen einen Thallus corticatus. Die obersten Zellen
der Thallusrinde sind aber entweder leblos oder so specialisirt,
dass an ein Aussprossen derselben zu Conidienträgern gar
nicht zu denken ist. Nur für den Thallus myceliformis wäre
die Möglichkeit einer Conidienproduction gegeben, und an
diesen ist in der That in jüngster Zeit von Neubner eine
Oidienbildung beobachtet worden. Bei näherer Durchforschung
der Thalli leprosi und pulverulenti dürften sich übrigens
noch ähnliche Bildungen constatiren lassen.' Bei den übrigen
Thallusarten war die Conidienproduction wegen der grossen
Specialisirung der Rinde schon a priori auf bestimmte, im
Innern des Thallus vorgebildete Mycelbezirke angewiesen.
Die spätere Individualisirung der ursprünglich nur lose be-
grenzten Conidienlager, die Ausbildung einer pseudoparen-
chymatischen Hülle mit Ausführungscanal und Schutzmitteln
erfolgte offenbar in langsamer Anpassung an die allgemeinen
Lebensbedingungen jeder einzelnen Flechte. Die Pykniden
werden bekanntlich nicht ejaculirt, sondern quellen in der
Form eines schleimigen oder gallertigen Tropfens aus der
Pyknidenöffnung heraus. Während die Ascussporen mit
1 So habe ich z. B. bei Coniocyles fnrfnracea beobachtet, dass die Hyphen
am Scheitel der Apothecienanlagen zuweilen (besonders an feuchten Standorten
winzige Zellchen abschnüren.
Untersuchungen über die Flechten. 239
solcher Kraft herausgeschleudert werden, dass sie meistens ganz
ausserhalb des Thallus zu liegen kommen, bleiben dagegen die
Pyknosporen in der Regel auf dem Thallus kleben. Da aber aller-
hand kleine Thiere, wie Insecten, Spinnen, Kruster, Schnecken,
Würmer etc. häufig genug über die Flechten kriechen, so ist es
wahrscheinlich, dass in vielen Fällen die schleimig-kleberigen
Pyknoconidien an verschiedenen Körpertheilen dieser Thiere
hängen bleiben und durch letztere eine grössere Verbreitung
finden dürften. Ob die Flechten aber bis zur Ausbildung be-
stimmter Anlockungsmittel oder sonstiger auf die Sporen-
verbreitung hinzielender Anpassungen an bestimmte Thiere
gelangt sind, lässt sich derzeit nicht entscheiden. Wenn wir
aber an die so auffallend roth gefärbten Ascus- und Pyk-
nidenbehälter mancher Cladonien denken, so drängt sich uns
unwillkürlich die Vermuthung auf, dass das leuchtende Roth
neben der Function als chemisches vSchutzmittel auch noch
eine andere Bedeutung — etwa als Anlockungsmittel — haben
könnte.
Wie weit der Regen, die Traufe und die Spülwässer des
Schnees zur Verbreitung der Pyknoconidien beitragen, ist eben-
falls noch nicht erforscht.
Wenn man die Pyknoconidien der Flechten mit denen der
echten Ascomyceten vergleicht, so findet man, dass bei den
Flechten die Tendenz vorherrscht, die Grösse der Conidien zu
reduciren, dafür aber ihre Zahl zu vermehren. Bei den Ascus-
^poren kann man im Grossen und Ganzen das Umgekehrte
constatiren. Bei den letzteren scheint nämlich die Naturwahl
darauf hinzuarbeiten, möglichst vielzellige, grosse Sporen-
körper zu züchten, in denen eine möglichst grosse Menge von
Protoplasma und Reservestoffen zur Aufstapelung gelangen, um
da noch überdies durch dicke Häute und Farbstoff'e besonders
geschützt zu werden — aber auf Kosten ihrer Zahl.
Die P'lechten produciren also zwei ganz verschiedene
Sporenarten. Die einen, nämlich die Ascussporen, sind aus-
dauernd, gross, mit Reservestoffen und Schutzmitteln versehen
und werden durch einen besonderen Schleuderapparat weit-
hin fortgeschnellt. Die anderen sind winzig klein, von kurzer
Lebensdauer und fast schutzlos und werden nicht ejaculirt.
'^itzb. d. mathem.-naturw. CL; CV. Bd., Abth. I. 10
240 H. Zukal,
Was die einen durch tüchtige Ausrüstung, sollen die anderen
durch ihre grosse Zahl erreichen.
Viele Flechten verfügen übrigens noch über ein bei weitem
wirksameres Propagationsmittel, als Ascus und Pyknosporen
sind, nämlich über die Soredien. Wie sicher die letzteren
die Verbreitung und Vermehrung einer Flechtenspecies unter
Umständen bewirken können, zeigen bei uns z. B. Bryopogon
juhatmn und Parmelia caperata. Diese Flechten sind nämlich
in unseren Gegenden überall gemein, trotzdem sie fast nie oder
nur äusserst selten Apothecien erzeugen. Sie vermehren sich
eben hauptsächlich durch die Soredien, denn wie weit bei
dieser Vermehrung die Pyknosporen in Betracht kommen, dies
zu beurtheilen, fehlt uns vorläufig jeder Massstab.
Wenn aber auch die Soredienbildung bei den Flechten
eine häufige Erscheinung ist und als ein normaler Vorgang
aufgefasst wird, so darf man doch nicht vergessen, dass die
Soredienbildung eigentlich auf einer Störung der Wachsthums-
harmonie beruht. Denn wenn diese nicht gestört ist, so bleibt
im Allgemeinen die Continuität der Rindenschicht erhalten,
weil letztere die Fähigkeit besitzt, durch interculare Theilungen
und Streckungen dem peripherischen Wachsthum zu folgen
und gefährliche Spannungen und Zerreissungen zu vermeiden.
In vielen Fällen stirbt auch die Rinde allmälig in der
Richtung von aussen nach Innen ab, wird aber in demselben
Verhältniss, als sie von obenher abstirbt, von den Hyphen der
Gonidienschichte aus immer wieder reconstruirt, wobei häufig
eine Anzahl von Gonidien in dem lückenlosen Rindengewebe
eingeschlossen wird und zu Grunde geht. Die Continuität der
Rinde ist überhaupt eine Eigenschaft, zu deren Ausbildung die
Flechten oft complicirte Mittel anwenden. Jeder Unterbrechung
dieser Continuität liegt in den meisten Fällen ein krankhafter
Process zu Grunde. Umso merkwürdiger ist es, dass ein
ursprünglich krankhafter Process in einen normalen Propaga-
tionsact verwandelt wird. Eine weitgehende Anpassung hat dies
erreicht, indem sie bei gewissen Flechten in der allgemeinen
Rinde verdünnte Stellen hervorbrachte, welche in einem etwas
Untersuchungen über die Flechten. 24 1
vorgeschritteneren Entwicklungsstadium aufreissen und den
äusseren Agentien einen directen Zutritt zu den entblössten
Gonidienhäufchen gestatten mussten. Solche verdünnte Haut-
stellen treffen wir ausser den bereits erwähnten Bryopogon
jubaium und Parmelia caperata auch noch bei P. perlata,
F. saxatilis etc. In den genannten Fällen haben wir es mit
einer ganz besonderen, die Soredienausstreuung bezweckenden
Anpassung zu thun, welche nicht nur eigens präformirte Durch-
bruchsstellen, sondern auch eine bestimmte Verknäuelung von
Hyphen und Gonidien, sowie auch einen bestimmten Tren-
nungsmodus der gebildeten Soredien voraussetzt Dazu treten
noch besondere Schutzmittel für die fertigen Soredien, wie
Flechtensäuren und andere Farbstoffe. In vielen anderen, viel-
leicht noch zahlreicheren Fällen brechen dagegen die Soredien
nicht an bestimmten Hautstellen, sondern offenbar an den
Stellen des geringsten Widerstandes, wie z. ß. am Thallusrande
hervor. Hier scheinen wir es nicht mehr mit einer festen, zum
Speciescharakter gewordenen Anpassung, sondern mit einem
Zustand zu thun zu haben, der sich nur unter besonderen
Lebens- und Vegetationsbedingungen (wie z. B. bei grosser
Feuchtigkeit bei gleichzeitiger geringer Lichtintensität) ent-
wickelt (formae sorediatae). Letztere Fälle gehen ganz allmälig
in solche über, bei denen der krankhafte Charakter der Sore-
dienbildung ganz offenbar wird und die gewöhnlich mit dem
Tode des soredienbildenden Individuums enden {Pertusaria
communis, Cetraria pinastri, Sticta aurata etc.).
Der Ruin des Individuums kann entweder durch voll-
ständige Verstäubung der Gonidienschichte bei gar zu üppiger
Soredienbildung oder auch durch Aufblätterung der Rinde bei
randständiger Soredienbildung erfolgen.
Bei den Flechten mit endogenem Thallus kann es eben-
falls zu einer Soredienproduction kommen, insoferne sich der
Thallus mit kleinen, rundlichen Prolificationen oder Knötchen
bedeckt, welche leicht abfallen. Streng genommen stellen diese
Prolificationen, wie solche z. B. häufig bei Collenta auftreten,
kleine Algencolonien dar, die aber bereits von einzelnen Hyphen
des Flechtenpilzes durchzogen werden. Da diese Algencolonien
beide Componenten des Flechtenthallus in einer ähnlichen
10*
240 H. ZukaK
Was die einen durch tüchtige Ausrüstung, sollen die anderen
durch ihre grosse Zahl erreichen.
Viele Flechten verfügen übrigens noch über ein bei weitem
wirksameres Propagationsmittel, als Ascus und Pyknosporen
sind, nämlich über die Soredien. Wie sicher die letzteren
die Verbreitung und Vermehrung einer Flechtenspecies unter
Umständen bewirken können, zeigen bei uns z. B. Bryopogou
juhatnm und Parmelia caperata. Diese Flechten sind nämlich
in unseren Gegenden überall gemein, trotzdem sie fast nie oder
nur äusserst selten Apothecien erzeugen. Sie vermehren sich
eben hauptsächlich durch die Soredien, denn wie weit bei
dieser Vermehrung die Pyknosporen in Betracht kommen, dies
zu beurtheilen, fehlt uns vorläufig jeder Massstab.
Wenn aber auch die Soredienbildung bei den Flechten
eine häufige Erscheinung ist und als ein normaler Vorgang
aufgefasst wird, so darf man doch nicht vergessen, dass die
Soredienbildung eigentlich auf einer Störung der Wachsthums-
harmonie beruht. Denn wenn diese nicht gestört ist, so bleibt
im Allgemeinen die Continuität der Rindenschicht erhalten,
weil letztere die Fähigkeit besitzt, durch interculare Theilungen
und Streckungen dem peripherischen Wachsthum zu folgen
und gefährliche Spannungen und Zerreissungen zu vermeiden.
In vielen Fällen stirbt auch die Rinde allmälig in der
Richtung von aussen nach hmen ab, wird aber in demselben
Verhältniss, als sie von obenher abstirbt, von den Hyphen der
Gonidienschichte aus immer wieder reconstruirt, wobei häufig
eine Anzahl von Gonidien in dem lückenlosen Rindengewebe
eingeschlossen wird und zu Grunde geht. Die Continuität der
Rinde ist überhaupt eine Eigenschaft, zu deren Ausbildung die
Flechten oft complicirte Mittel anwenden. Jeder Unterbrechung
dieser Continuität liegt in den meisten Fällen ein krankhafter
Process zu Grunde. Umso merkwürdiger ist es, dass ein
ursprünglich krankhafter Process in einen normalen Propaga-
tionsact verwandelt wird. Eine weitgehende Anpassung hat dies
erreicht, indem sie bei gewissen Flechten in der allgemeinen
Rinde verdünnte Stellen hervorbrachte, welche in einem etwas
Untersuchungen über die Flechten. 24 1
vorgeschritteneren Entwicklungsstadium aufreissen und den
äusseren Agentien einen directen Zutritt zu den entblössten
Gonidienhäufchen gestatten mussten. Solche verdünnte Haut-
stellen treffen wir ausser den bereits erwähnten Bryopogon
jtibaium und Parmelia caperata auch noch bei P. perlata,
P. saxatilis etc. In den genannten Fällen haben wir es mit
einer ganz besonderen, die Soredienausstreuung bezweckenden
Anpassung zu thun, welche nicht nur eigens präformirte Durch-
bruchsstellen, sondern auch eine bestimmte Verknäuelung von
Hyphen und Gonidien, sowie auch einen bestimmten Tren-
nungsmodus der gebildeten Soredien voraussetzt. Dazu treten
noch besondere Schutzmittel für die fertigen Soredien, wie
Flechtensäuren und andere Farbstoffe. In vielen anderen, viel-
leicht noch zahlreicheren Fällen brechen dagegen die Soredien
nicht an bestimmten Hautstellen, sondern offenbar an den
Stellen des geringsten Widerstandes, wie z. ß. am Thallusrande
hervor. Hier scheinen wir es nicht mehr mit einer festen, zum
Speciescharakter gewordenen Anpassung, sondern mit einem
Zustand zu thun zu haben, der sich nur unter besonderen
Lebens- und Vegetationsbedingungen (wie z. ß. bei grosser
Feuchtigkeit bei gleichzeitiger geringer Lichtintensität) ent-
wickelt (formae sorediatae). Letztere Fälle gehen ganz allmälig
in solche über, bei denen der krankhafte Charakter der Sore-
dienbildung ganz offenbar wird und die gewöhnlich mit dem
Tode des soredienbildenden Individuums enden {Pertusaria
communis, Cetraria pinastri, Sticta aurata etc.).
Der Ruin des Individuums kann entweder durch voll-
ständige Verstäubung der Gonidienschichte bei gar zu üppiger
Soredienbildung oder auch durch Aufblätterung der Rinde bei
randständiger Soredienbildung erfolgen.
Bei den Flechten mit endogenem Thallus kann es eben-
falls zu einer Soredienproduction kommen, insoferne sich der
Thallus mit kleinen, rundlichen Prolificationen oder Knötchen
bedeckt, welche leicht abfallen. Streng genommen stellen diese
Prolificationen, wie solche z. B. häufig bei Collema auftreten,
kleine Algencolonien dar, die aber bereits von einzelnen Hyphen
des Flechtenpilzes durchzogen werden. Da diese Algencolonien
beide Componenten des Flechtenthallus in einer ähnlichen
10*
240 H. ZukaU
Was die einen durch tüchtige Ausrüstung, sollen die anderen
durch ihre grosse Zahl erreichen.
Viele Flechten verfügen übrigens noch über ein bei weitem
wirksameres Propagationsmittel, als Ascus und Pyknosporen
sind, nämlich über die Soredien. Wie sicher die letzteren
die Verbreitung und Vermehrung einer Flechtenspecies unter
Umständen bewirken können, zeigen bei uns z. B. Bryopogon
jtihattim und Parmelia caperata. Diese Flechten sind nämlich
in unseren Gegenden überall gemein, trotzdem sie fast nie oder
nur äusserst selten Apothecien erzeugen. Sie vermehren sich
eben hauptsächlich durch die Soredien, denn wie weit bei
dieser Vermehrung die Pyknosporen in Betracht kommen, dies
zu beurtheilen, fehlt uns vorläufig jeder Massstab.
Wenn aber auch die Soredienbildung bei den Flechten
eine häufige Erscheinung ist und als ein normaler Vorgang
aufgefasst wird, so darf man doch nicht vergessen, dass die
Soredienbildung eigentlich auf einer Störung der Wachsthums-
harmonie beruht. Denn wenn diese nicht gestört ist, so bleibt
im Allgemeinen die Continuität der Rindenschicht erhalten,
weil letztere die Fähigkeit besitzt, durch interculare Theilungen
und Streckungen dem peripherischen Wachsthum zu folgen
und gefährliche Spannungen und Zerreissungen zu vermeiden.
hl vielen Fällen stirbt auch die Rinde allmälig in der
Richtung von aussen nach Innen ab, wird aber in demselben
Verhältniss, als sie von obenher abstirbt, von den Hyphen der
Gonidienschichte aus immer wieder reconstruirt, wobei häufig
eine Anzahl von Gonidien in dem lückenlosen Rindengevvebe
eingeschlossen wird und zu Grunde geht. Die Continuität der
Rinde ist überhaupt eine Eigenschaft, zu deren Ausbildung die
Flechten oft complicirte Mittel anwenden. Jeder Unterbrechung
dieser Continuität liegt in den meisten Fällen ein krankhafter
Process zu Grunde. Umso merkwürdiger ist es, dass ein
ursprünglich krankhafter Process in einen normalen Propaga-
tionsact verwandelt wird. Eine weitgehende Anpassung hat dies
erreicht, indem sie bei gewissen Flechten in der allgemeinen
Rinde verdünnte Stellen hervorbrachte, welche in einem etwas
Untersuchungen über die Flechten. 24 1
vorgeschritteneren Entwicklungsstadium aufreissen und den
äusseren Agentien einen directen Zutritt zu den entblössten
Gonidienhäufchen gestatten mussten. Solche verdünnte Haut-
stellen treffen wir ausser den bereits erwähnten Bryopogon
jtibatum und Parmelia caperata auch noch bei P. perlata,
P. saxatilis etc. In den genannten Fällen haben wir es mit
einer ganz besonderen, die Soredienausstreuung bezweckenden
Anpassung zu thun, welche nicht nur eigens präformirte Durch -
bruchsstellen, sondern auch eine bestimmte Verknäuelung von
Hyphen und Gonidien, sowie auch einen bestimmten Tren-
nungsmodus der gebildeten Soredien voraussetzt. Dazu treten
noch besondere Schutzmittel für die fertigen Soredien, wie
Flechtensäuren und andere Farbstoffe. In vielen anderen, viel-
leicht noch zahlreicheren Fällen brechen dagegen die Soredien
nicht an bestimmten Hautstellen, sondern offenbar an den
Stellen des geringsten Widerstandes, wie z. ß. am Thallusrande
hervor. Hier scheinen wir es nicht mehr mit einer festen, zum
Speciescharakter gewordenen Anpassung, sondern mit einem
Zustand zu thun zu haben, der sich nur unter besonderen
Lebens- und Vegetationsbedingungen (wie z. B. bei grosser
Feuchtigkeit bei gleichzeitiger geringer Lichtintensität) ent-
wickelt (formae sorediatae). Letztere Fälle gehen ganz allmälig
in solche über, bei denen der krankhafte Charakter der Sore-
dienbildung ganz offenbar wird und die gewöhnlich mit dem
Tode des soredienbildenden Individuums enden {Pertusaria
communis, Cetraria pinastri, Sticta aurata etc.).
Der Ruin des Individuums kann entweder durch voll-
ständige Verstäubung der Gonidienschichte bei gar zu üppiger
Soredienbildung oder auch durch Aufblätterung der Rinde bei
randständiger Soredienbildung erfolgen.
Bei den Flechten mit endogenem Thallus kann es eben-
falls zu einer Soredienproduction kommen, insoferne sich der
Thallus mit kleinen, rundlichen Prolificationen oder Knötchen
bedeckt, welche leicht abfallen. Streng genommen stellen diese
Prolificationen, wie solche z. ß. häufig bei Collema auftreten,
kleine Algencolonien dar, die aber bereits von einzelnen Hyphen
des Flechtenpilzes durchzogen werden. Da diese Algencolonien
beide Componenten des Flechtenthallus in einer ähnlichen
16*
240 H. Zukal,
Was die einen durch tüchtige Ausrüstung, sollen die anderen
durch ihre grosse Zahl erreichen.
Viele Flechten verfügen übrigens noch über ein bei weitem
wirksameres Propagationsmittel, als Ascus und Pyknosporen
sind, nämlich über die Soredien. Wie sicher die letzteren
die Verbreitung und Vermehrung einer Flechtenspecies unter
Umständen bewirken können, zeigen bei uns z. B. Bryopogon
juhatum und Parmelia caperata. Diese Flechten sind nämlich
in unseren Gegenden überall gemein, trotzdem sie fast nie oder
nur äusserst selten Apothecien erzeugen. Sie vermehren sich
eben hauptsächlich durch die Soredien, denn wie weit bei
dieser Vermehrung die Pyknosporen in Betracht kommen, dies
zu beurtheilen, fehlt uns vorläufig jeder Massstab.
Wenn aber auch die Soredienbildung bei den Flechten
eine häufige Erscheinung ist und als ein normaler Vorgang
aufgefasst wird, so darf man doch nicht vergessen, dass die
Soredienbildung eigentlich auf einer Störung der Wachsthums-
harmonie beruht. Denn wenn diese nicht gestört ist, so bleibt
im Allgemeinen die Continuität der Rindenschicht erhalten,
weil letztere die Fähigkeit besitzt, durch interculare Theilungen
und Streckungen dem peripherischen Wachsthum zu folgen
und gefährliche Spannungen und Zerreissungen zu vermeiden.
In vielen Fällen stirbt auch die Rinde allmälig in der
Richtung von aussen nach Innen ab, wird aber in demselben
V^erhältniss, als sie von obenher abstirbt, von den Hyphen der
Gonidienschichte aus immer wieder reconstruirt, wobei häufig
eine Anzahl von Gonidien in dem lückenlosen Rindengewebe
eingeschlossen wird und zu Grunde geht. Die Continuität der
Rinde ist überhaupt eine Eigenschaft, zu deren Ausbildung die
Flechten oft complicirte Mittel anwenden. Jeder Unterbrechung
dieser Continuität liegt in den meisten Fällen ein krankhafter
Process zu Grunde. Umso merkwürdiger ist es, dass ein
ursprünglich krankhafter Process in einen normalen Propaga-
tionsact verwandelt wird. Eine weitgehende Anpassung hat dies
erreicht, indem sie bei gewissen Flechten in der allgemeinen
Rinde verdünnte Stellen hervorbrachte, welche in einem etwas
Untersuchungen über die Flechten. 24 1
vorgeschritteneren Entwicklungsstadium aufreissen und den
äusseren Agentien einen directen Zutritt zu den entblössten
Gonidienhäufchen gestatten mussten. Solche verdünnte Haut-
stellen treffen wir ausser den bereits erwähnten Bryopogon
jubatum und Parmelia caperata auch noch bei P. perlata,
P. saxatilis etc. In den genannten Fällen haben wir es mit
einer ganz besonderen, die Soredienausstreuung bezweckenden
Anpassung zu thun, welche nicht nur eigens präformirte Durch-
bruchsstellen, sondern auch eine bestimmte Verknäuelung von
Hyphen und Gonidien, sowie auch einen bestimmten Tren-
nungsmodus der gebildeten Soredien voraussetzt. Dazu treten
noch besondere Schutzmittel für die fertigen Soredien, wie
Flechtensäuren und andere Farbstoffe. In vielen anderen, viel-
leicht noch zahlreicheren Fällen brechen dagegen die Soredien
nicht an bestimmten Hautstellen, sondern offenbar an den
Stellen des geringsten Widerstandes, wie z. ß. am Thallusrande
hervor. Hier scheinen wir es nicht mehr mit einer festen, zum
Speciescharakter gewordenen Anpassung, sondern mit einem
Zustand zu thun zu haben, der sich nur unter besonderen
Lebens- und Vegetationsbedingungen (wie z. B. bei grosser
Feuchtigkeit bei gleichzeitiger geringer Lichtintensität) ent-
wickelt (formae sorediatae). Letztere Fälle gehen ganz allmälig
in solche über, bei denen der krankhafte Charakter der Sore-
dienbildung ganz offenbar wird und die gewöhnlich mit dem
Tode des soredienbildenden Individuums enden (Pertusaria
communis, Cetraria pinastri, Sticta atirata etc.).
Der Ruin des Individuums kann entweder durch voll-
ständige Verstäubung der Gonidienschichte bei gar zu üppiger
Soredienbildung oder auch durch Aufblätterung der Rinde bei
randständiger Soredienbildung erfolgen.
Bei den Flechten mit endogenem Thallus kann es eben-
falls zu einer Soredienproduction kommen, insoferne sich der
Thallus mit kleinen, rundlichen Prolificationen oder Knötchen
bedeckt, welche leicht abfallen. Streng genommen stellen diese
Prolificationen, wie solche z. B. häufig bei Collema auftreten,
kleine Algencolonien dar, die aber bereits von einzelnen Hyphen
des Flechtenpilzes durchzogen werden. Da diese Algencolonien
beide Componenten des Flechtenthallus in einer ähnlichen
16*
240 H. Zukal,
Was die einen durch tüchtige Ausrüstung, sollen die anderen
durch ihre grosse Zahl erreichen.
Viele Flechten verfügen übrigens noch über ein bei weitem
wirksameres Propagationsmittel, als Ascus und Pyknosporen
sind, nämlich über die Soredien. Wie sicher die letzteren
die Verbreitung und Vermehrung einer Flechtenspecies unter
Umständen bewirken können, zeigen bei uns z. B. Btyopogon
jubaium und Parmelia caperaia. Diese Flechten sind nämlich
in unseren Gegenden überall gemein, trotzdem sie fast nie oder
nur äusserst selten Apothecien erzeugen. Sie vermehren sich
eben hauptsächlich durch die Soredien, denn wie weit bei
dieser Vermehrung die Pyknosporen in Betracht kommen, dies
zu beurtheilen, fehlt uns vorläufig jeder Massstab.
Wenn aber auch die Soredienbildung bei den Flechten
eine häufige Erscheinung ist und als ein normaler Vorgang
aufgefasst wird, so darf man doch nicht vergessen, dass die
Soredienbildung eigentlich auf einer Störung der Wachsthums-
harmonie beruht. Denn wenn diese nicht gestört ist, so bleibt
im Allgemeinen die Continuität der Rindenschicht erhalten,
weil letztere die Fähigkeit besitzt, durch interculare Theilungen
und Streckungen dem peripherischen Wachsthum zu folgen
und gefährliche Spannungen und Zerreissungen zu vermeiden.
hl vielen Fällen stirbt auch die Rinde allmälig in der
Richtung von aussen nach Innen ab, wird aber in demselben
V^erhältniss, als sie von obenher abstirbt, von den Hyphen der
Gonidienschichte aus immer wieder reconstruirt, wobei häufig
eine Anzahl von Gonidien in dem lückenlosen Rindengewebe
eingeschlossen wird und zu Grunde geht. Die Continuität der
Rinde ist überhaupt eine Eigenschaft, zu deren Ausbildung die
Flechten oft complicirte Mittel anwenden. Jeder Unterbrechung
dieser Continuität liegt in den meisten Fällen ein krankhafter
Process zu Grunde. Umso merkwürdiger ist es, dass ein
ursprünglich krankhafter Process in einen normalen Propaga-
tionsact verwandelt wird. Eine weitgehende Anpassung hat dies
erreicht, indem sie bei gewissen Flechten in der allgemeinen
Rinde verdünnte Stellen hervorbrachte, w^elche in einem etwas
Untersuchungen über die Flechten. 24 1
vorgeschritteneren Entwicklungsstadium aufreissen und den
äusseren Agentien einen directen Zutritt zu den entblössten
Gonidienhäufchen gestatten mussten. Solche verdünnte Haut-
stellen treffen wir ausser den bereits erwähnten Bryopogon
jubaium und Parmelia caperata auch noch bei P. perlata,
P. saxatilis etc. In den genannten Fällen haben wir es mit
einer ganz besonderen, die Soredienausstreuung bezweckenden
Anpassung zu thun, welche nicht nur eigens präformirte Durch-
bruchsstellen, sondern auch eine bestimmte Verknäuelung von
Hyphen und Gonidien, sowie auch einen bestimmten Tren-
nungsmodus der gebildeten Soredien voraussetzt. Dazu treten
noch besondere Schutzmittel für die fertigen Soredien, wie
Flechtensäuren und andere Farbstoffe. In vielen anderen, viel-
leicht noch zahlreicheren Fällen brechen dagegen die Soredien
nicht an bestimmten Hautstellen, sondern offenbar an den
Stellen des geringsten Widerstandes, wie z. ß. am Thallusrande
hervor. Hier scheinen wir es nicht mehr mit einer festen, zum
Speciescharakter gewordenen Anpassung, sondern mit einem
Zustand zu thun zu haben, der sich nur unter besonderen
Lebens- und Vegetationsbedingungen (wie z. B. bei grosser
Feuchtigkeit bei gleichzeitiger geringer Lichtintensität) ent-
wickelt (formae sorediatae). Letztere Fälle gehen ganz allmälig
in solche über, bei denen der krankhafte Charakter der Sore-
dienbildung ganz offenbar wird und die gewöhnlich mit dem
Tode des soredienbildenden Individuums enden {Pertusaria
communis, Cetraria pinastri, Sticta atirata etc.).
Der Ruin des Individuums kann entweder durch voll-
ständige Verstäubung der Gonidienschichte bei gar zu üppiger
Soredienbildung oder auch durch Aufblätterung der Rinde bei
randständiger Soredienbildung erfolgen.
Bei den Flechten mit endogenem Thallus kann es eben-
falls zu einer Soredienproduction kommen, insoferne sich der
Thallus mit kleinen, rundlichen Prolificationen oder Knötchen
bedeckt, welche leicht abfallen. Streng genommen stellen diese
Prolificationen, wie solche z. B. häufig bei Collema auftreten,
kleine Algencolonien dar, die aber bereits von einzelnen Hyphen
des Flechtenpilzes durchzogen werden. Da diese Algencolonien
beide Componenten des Flechtenthallus in einer ähnlichen
16*
242 H. Zukal,
Weise enthalten wie die Soredien, so können sie auch in einer
ähnlichen Weise biologisch wirksam werden, nämlich als Pro-
pagationsorgane der Hechte.
Manche Flechten, die im trockenen Zustande sehr fragil
sind und dabei in ausgedehnten Beständen wachsen, wie z. B.
viele Cladonien, Cetrarien und SiereocauloU' Arien, vermehren
sich auch durch Thallusfragmente. Es hat daher nicht viel zu
bedeuten, wenn z. B. grosse Thiere, wie Rinder, Pferde, Renn-
thiere und Alke, weidend über die Flechtenwiesen schreiten
und dabei zahlreiche Thallusbestände zerbröckeln. Die ein-
zelnen Thallusstücke bleiben lebend und werden vom Winde
weithin zerstreut, um an anderen Stellen der Hochebene oder
der Tundra neue Individuen zu bilden. So können gewisse
Eingriffe der Aussenwelt, welche andere, höhere Pflanzen mit
der Vernichtung bedrohen würden, für viele Flechten zur
Quelle der Verbreitung werden.
Aus dem Gesagten erhellt, dass für die Fortpflanzung und
Vermehrung der Lichenen auf das reichlichste vorgesorgt ist,
und zwar durch Ascussporen, Conidien, Soredien und Thallus-
fragmente.
Allerdings hängt die Entstehung eines Flechtenthallus,
wenn man nur die beiden erstgenannten Propagationsmittel ins
Auge fasst, von dem zufälligen Zusammentreffen der Flechten-
pilzhyphen und Nähralgen ab. Manche Forscher sind deshalb
auch geneigt, die Soredien für die Hauptfortpflanzungsorgane
der Flechten zu halten. Wenn aber diese Ansicht richtig wäre,
so könnte man nicht verstehen, warum bei den meisten Flechten
so viel Bildungsmaterial und so viele Schutzmittel auf die
Erzeugung zahlreicher Ascusbehälter verwendet werden. Eine
derartige Verschwendung von Material und Kraft, oder mit
anderen Worten, einen derartiger Verstoss gegen die Öko-
nomie des Wachsthums dürfen wir wohl kaum voraussetzen.
Damit soll jedoch keineswegs geleugnet werden, dass in ein-
zelnen Fällen die Fortpflanzung und Verbreitung hauptsäch-
lich durch die Soredien geschieht. Allein in diesen Fällen sind
entweder die Ascusbehälter sehr selten oder die Ascussporen
tragen deutliche Kennzeichen der beginnenden Rückbildung.
Ich glaube auch, dass die Wahrscheinlichkeit für die Auf-
Untersuchungen über die Flechten. 243
findung der passenden Nähralgen durch die Hypothallusgebilde
im weitesten Sinne nicht ganz so gering ist, wie gewöhnlich
angenommen wird. Ich schliesse dies aus verschiedenen Beob-
achtungen. Als ich mich nämlich mit dem Eindringen der
blaugrünen Gonidien in den Thallus von Solorina saccata
beschäftigte, konnte ich nur sehr schwer einen genügend
jungen Thallus auffinden, in welchen von untenher der Nostoc
noch nicht eingedrungen war. Wenn also schon auf das Ein-
treffen einer zweiten, für das Leben der betreffenden Flechte
gar nicht unentbehrlichen Gonidienart fast mit mathematischer
Sicherheit gerechnet werden kann, warum sollte man eine
geringere Wahrscheinlichkeit für die Erlangung der normalen
Gonidien annehmen? Ausserdem besitzen die aus den Sporen
oder Conidien hervorgegangenen Mycelien vieler Flechten, wie
schon wiederholt betont worden ist, die Fähigkeit zu einer
längeren saprophytischen Lebensweise und dürften überdies
auch noch durch einen gewissen Chemotropismus zu den
Nähralgen hingeleitet werden.
Wer übrigens dazu geneigt ist, auf die Vermehrung durch
die Soredien ein allzu grosses Gewicht zu legen, möge doch
bedenken, dass es sehr viele und noch dazu allgemein ver-
breitete Krustenflechten gibt, die nie Soredien erzeugen.^
' Dieses Capitel ist vor etwa VL^ Jahren beendigt worden. Seit dieser Zeit
sind einige Arbeiten, namentlich von Dangeard* und Harper** erschienen,
welche auf Zellkemstudien fussen, die nach den neuesten Methoden und mit
allen Mitteln der modernen Mikrotechnik durchgeführt wurden. In Folge dieser
Arbeiten hat die Frage nach der Sexualität der Ascomyceten eine erhöhte
Actualität gewonnen. Diese neuesten Untersuchungen scheinen nämlich zu
dem Schlüsse zu führen, dass der einzelne Ascus, als eine Art von Oogonium
aufgefasst werden muss. Wenn sich aber auch letztere Behauptung als richtig
erweisen sollte, so dürfte dies die im obigen Capitel gegebenen Ansichten
über die Entstehung der Apothecien, Perithecien und Pykniden durch locale
Anhäufung der Asci und Conidienträger und nachträgliche Ausbildung des
HQllapparates durch .Anpassung an die äusseren Lebensbedingungen kaum
wesentlich alteriren.
* La Reproduction sexuelle des Ascomycetes. Le Botaniste, 1894,
S. 21. Comptes rendus de l'Acad. No. 19, 1894.
** Die Entwicklung des Peritheciums bei Sphaerotheca Caslagnei.
Deutsche botan. Gesellsch. 1895, 10. Heft, S. 475.
244 H. Zukal,
III. Über den Einfluss des Klimas und des Substrates. —
Flechtenkrankheiten.
Wir haben bis jetzt diejenigen Anpassungen des Flechten-
thallus verfolgt, welche sich auf das Licht und die Feuchtig-
keit, auf das Schutz-, Athmungs- und Transpirationsbedürf-
niss, sowie auf mechanische Rücksichten beziehen. Ausserden
genannten Factoren werden aber die Flechten auch noch von
der Wärme, dem Substrate, den Winden, von dem Luftdruck,
kurz von dem gesammten Klima, sowie von den mit ihnen
auf demselben Boden vorkommenden Thier- und Pflanzen-
genossenschaften mächtig beeinflusst. Bezüglich des ersten
Punktes, nämlich der Wärme, besitzen die Flechten eine ausser-
ordentliche Anpassungsfähigkeit,^ welche sie befähigt, die
grössten Extreme der Temperatur zu ertragen. In den Polar-
ländern und auf den höchsten Spitzen der Gebirge sind die
Flechten nämlich nicht selten einer Kälte von — 40 "* C. und in
manchen felsigen Bezirken der Sahara* dagegen einer Hitze
von -1-60'' C. ausgesetzt, ohne durch diese Extreme in ihrem
Bestand gefährdet zu werden. Interessant ist es, dass sich
sowohl die Flechten der Regio alpina, als auch die Polar- und
Wüstenflechten durch ein und dasselbe Mittel schützen, näm-
lich durch eine mächtige Verdickung und Verdichtung ihrer
Oberfläche (Rindenschichte). Dies mag auf den ersten Blick
sonderbar erscheinen, wir finden indessen bei vielen Phanero-
gamen ein ähnliches Verhalten. So zeigt z. B. das eingerollte
»>Kälteblatt« ' eine ähnlich verdickte Cuticula wie die xero-
philen Succulenten.
1 Über die Beziehungen zwischen Wärme und Lichtintensilät und die
Ausnützung der letzteren durch die Pflanzen siehe das Capitel: Die Flechten
als lichtbedürftige Organismen.
2 Die Flechtenflora der Sahara ist allerdings sehr arm und besteht ausser
dem bekannten Chlorangium Jusuffii noch aus Ramalina arabum und einigen
Arten von Heppia^ Lecanora, Endocarpon^ Ltcideay Collcma und SyncUissa. In
neuester Zeit hat zu den durch Hue (Addenda nova) angeführten Arten noch
Steiner einige Formen hinzugefügt. Steiner, Ein Beitrag zur Flechtenflora
der Sahara. Diese Sitzungsberichte, 104. Bd., l. Abth., S. 383 (1895).
■* Siehe Junger, Klima und Blatt in der Regio alpina. Flora, 1894, S. 219.
Untersuchungen über die Flechten. 245
Obgleich die Flechtenpilze durch ihr Convivium mit den
Algen eine grosse Unabhängigkeit von dem Substrate erlangt
haben, so finden wir doch anderseits thatsächiich viele Flechten-
arten nur auf ganz bestimmten Substraten, und die Licheno-
logen unterscheiden mit Recht zwischen Kalk-, Urgebirgs-,
Sandstein-, Erd- und Rindenflechten. Die Bevorzugung eines
bestimmten Substrates ist übrigens ohne weiteres verständlich,
wenn wir bedenken, dass die verschiedenen Substrate sich
nicht nur chemisch, sondern auch physikalisch von einander
unterscheiden. Oft lässt das Schutzbedürfniss einer Flechte ein
bestimmtes Substrat aufsuchen (hypophlöodische und calci -
sede Flechten).
Der Haushalt mancher Krustenflechten scheint sich übri-
gens nur theiiweise auf die Alge zu stützen, und mitunter
sind sie im Stande eine rein saprophytische Lebensweise zu
führen (formae saprophilae).^ Übrigens sind auch die Flechten
ein und desselben Substrates gegenüber den übrigen äusseren
Factoren sehr empfindlich. Ein schönes Beispiel hiefür liefert
die von Kerner* beschriebene achtseitige Marmorsäule in
Tirol, welche reichlich mit Flechten bewachsen ist. »Aber auf
jeder Seite herrschen bestimmte Arten vor, und einzelne Species
sind ausschliesslich nur auf eine der acht Seiten beschränkt.«
Dass auch das Klima einen grossen Einfluss auf die
Flechtenwelt ausüben muss, ist selbstverständlich. Vor Allem
wird es eine Auslese unter denjenigen Arten und Formen
treffen, welche sich für einen gegebenen Klimatypus am besten
eignen. Wenn aber die Klimafactoren sehr scharf ausgeprägt
sind, wie z. B. in der Tundra oder in der tropischen Steppe, dann
werden sie in der Regel auch der Flechtenflora einen gemein-
samen Stempel aufdrücken. Dieser gemeinsame Charakter
dürfte sich auf die Dicke und Durchlässigkeit der Rinde, auf
die Mächtigkeit des Transpirationssystems, auf die Schnellig-
keit der Wasseraufnahme durch den Thallus, auf die Behaarung
' Eine solche saprophytische Form ist z. B. bei Bucllia parasema häufig
und wird als/. Äi;^opÄ/7<j beschrieben. Sonst findet man solche saprophytische
Formen noch bei Acolium ligillare und mehreren Arten von Arthontay Lecidea
und Calycium.
- V. Kerner, Pllanzenleben, 1. Bd., S. 228.
246 H. ZuUal,
und, Bezahnung^ beziehen. Weil also ein sehr ausgeprägtes
KHma seinen, den verschiedensten Familien angehorigen
Flechten gewisse gemeinsame Eigenschaften verleiht, so
kann man mit Recht von Schnee-, Thau-, Träufel- und
VVindflechten, sowie von xerophilen und hydrophilen,
von Alpen-, Heide- und Waldflechten^ sprechen. Die
Schneeflechten z. B., welche während des grössten Theiles des
Jahres unter dem Schnee verborgen liegen, werden sich durch
ein sehr entwickeltes Transpirationssystem, aber durch ein
nur geringes Wasserleitungsvermögen auszeichnen (Cetraria
' Bei den Flechten stehen die Zähne und Thallusspitzen in erster Linie
im Dienste der Wasseraufnahme, wie man sich durch den Versuch direct über-
zeugen kann. In zweiter Linie dienen sie auch der Transpiration. Bei den auf-
recht wachsenden Flechten nämlich, wie z. B. bei den meisten Cladonien und
Cetrarien werden die Zähne und Spitzen des nassen Thallus zuerst trocken,
während die unleren Thalluspartien noch lange feucht bleiben. Beim Trocknen
aber tritt in vielen Fällen an die Stelle des zwischen den Hyphen verdunstenden
Wassers Luft. Auch für die angehefteten, grösseren Blatt- und Gallertflechten
gilt mutatis mutandis das Gleiche. Von diesem Gesichtspunkt aus werden uns
auch die Zähne und Protuberanzen des Excipulum thallodes um Vieles ver-
ständlicher. Wenn aber auch die Zähne, Spitzen und Ausstülpungen haupt-
sächlich den Zwecken der Wasseraufnahme und Transpiration dienen, so
schliesst diese Function eine gelegentliche Wirkung als Schutzmittel gegen
ankriechende, weiche Thiere durchaus nicht aus.
Auch die Behaarung der PMechten steht, wie schon in dem Capitel über
die Wasseraufnahme des Näheren auseinandergesetzt wurde, in erster Linie im
Dienste der Wasseraufnahme. Man darf auch nicht vergessen, dass aus den
Spitzen, Zähnen und Haaren während der Nacht eine grosse Menge Wärme-
strahlen ausgesendet werden und dass in Folge dessen diese Theile leicht zu
Mittelpunkten der Thaubildung werden. Eine dichte Behaarung schützt über-
dies die Flechte vor der Wirkung des direclen Sonnenlichtes.
- In jüngster Zeit hat Lindau ebenso gründliche, wie interessante bio-
logische Untersuchungen über eine grössere Anzahl von Rindenllechten vei-
ölTentlicht.
Lindau, Lichenologische Untersuchungen. Dresden, 1895, Heft 1. Da
mein Manuscript jedoch zur Zeit des Erscheinens dieser Arbeit bereits abge-
schlossen war, konnte ich leider auf den Inhalt derselben nicht näher ein-
gehen Dasselbe gilt für die ausgebreiteten Untersuchungen Reinke's, welche
besonders für die systematische Gruppirung der Flechten wichtig sind und in
letzterer Hinsicht für lange Zeit anregend und befruchtend wirken dürften.
Siehe Reinke, Abhandlungen über Flechten, 1 — 4. Jahresbücher für
wissensch. Botanik. 27. u. 28. Bd.
Untersuchungen über die Flechten. 24 1
islandicUy Cladonia rangiferina)} Ähnlich werden sich die
hydrophilen^ Flechten verhalten. Die Thauflechten dagegen,
weiche fast nie ein Regen erfrischt, sowie die Xerophilen,
werden umgekehrt das Wasser mit grosser Schnelligkeit auf-
nehmen und zu diesem Zwecke verschiedene Anpassunngen
und Einrichtungen zeigen.^ Die Xerophilen beschränken über-
dies gleich den Succulenten die Transpiration in jeder nur
möglichen Weise (Clilorangium esculenttim). Bei den Träufel-
flechten, wozu ich viele Arten von Usnea, Bryopogon, Euernia
und Ramalina rechne, bedingen der ganze Habitus, die Schlaff-
heit des Thallus, die Art der Verzweigung, sowie gewisse
incrustirende Substanzen ■* das rasche Ablaufen des Regens/*
^ Hängt man den getrockneten Thallus dieser Flechten an einem Faden
in senkrechter Lage über eine Eosinlösung so auf, dass die ältesten Thallus-
theile etwa ^j^cm tief in die Eosinlösung tauchen, so vergehen 24 Stunden und
mehr, ehe der ganze Thallus durchfeuchtet wird.
2 Hydrophile Flechten sind z. B. Porocyphus cataractarum Kbr., Collema
caiaclysium Kbr., Endocarpon aquaticum Weiss, E. rivulorum Arn. y Lithoicea
kydrcla (A c h.) Mas s., L. viridula (S c h r a d.) M a s s., L. aquatilis (M u d d.) A rn.
3 Auf die Schnelligkeit, mit der die Eosinlösung von Chlorangium Jusujfn
und von den behaarten xerophilen Physcien aufgenommen und fortgeleitet wird,
habe ich schon in dem Capitel über die Wasserleitung im Flechtenthallus auf-
merksam gemacht.
•* Die Flechtensäuren werden durch keinen noch so starken Regen weg-
gespült oder gelöst. Dieses Verhalten deutet wieder auf den grossen bio-
logischen Werth der genannten Säuren als Schutzmittel wider den Thierfrass.
Der Erste, welcher die Flechtensäuren im letzteren Sinne deutete, war
Bach mann, und zwar in seiner schönen Arbeit: »Über nichtkrystallisirte
Flechtenfarbstoffe, S. 17 des Separ.-Abdr. Pringsheim's Jahresbücher für
wissensch. Botanik, 21. Bd., L Heft.
^ Die Träufelflechten leiten im Allgemeinen das Wasser in basipetaler
Richtung ziemlich rasch. Dieser Umstand bewirkt, dass der im trockenen
Zustande spröde und brüchige Thallus schon nach den ersten Regentropfen
weich und elastisch wird. In diesem Zustande können die hängenden Träufel-
flechten den stärksten Tropenregen * und sehr bedeutende Hagelschauer ohne
geringste Beschädigung ihrer feinsten Zweige überdauern. Nach vollkommener
Sättigung des Thallus mit Wasser legen sich die untersten Zweige dicht an
einander und bilden dann eine sehr wirksame Träufelspitze, aus welcher das
* Über die Gewalt des tropischen Regens hat man sich bisher
ganz irrigen Vorstellungen hingegeben, welche erst durch die jüngsten
Untersuchungen Wiesner's berichtigt worden sind (siehe Wiesner.
248 H. Zukal,
Ausser durch das Klima werden die Flechten auch durch
die thierischen und pflanzlichen Mitbewohner beeinflusst. Das
Wasser wie aus einer Rinne beständig abfliesst, so lange der Regen dauert
Hört aber der Regen auf, dann werden die Träufelflechten — insbesondere
Usnea und Bryopogon — erstaunlich schnell wieder trocken, und zwar sind es
die äussersten Zweigspitzen der oberen, peripherisch gelegenen Thalluspariien,
die zuerst trocknen. Etwas später trocknet die Träufelspitze, während die mehr
central gelegenen Thallustheile am längsten feucht bleiben. Dabei kann man
sich überzeugen, dass die Schnelligkeit des Trocknens zu der Zahl der feinsten,
freien Zweigspitzen in einem geraden Verhältniss steht, oder mit anderen
Worten, dass die Transpiration in demselben Masse erhöht wird, als die Zahl
der* freien Spitzen zunimmt. In der That finden wir auch diejenigen Arten und
Varietäten von Usnea, welche sich durch einen besonders dünnen Thallus mit
reichster Zweigbildung auszeichnen, wie z. B. U. longissinta und U. barbata
V. hirta an sehr feuchten Standorten, wo das Transpirationsbedürfniss sehr
gross ist, während umgekehrt an trockenen Localitäten, wo die Transpiration
beschränkt werden muss, sehr zweigarme Formen vegetiren, wie z. B. die
Formen articulata oder intestinifortnis.
Das Gesagte gilt selbstverständlich nicht bloss für die Träufelflechten,
-sondern mit gewissen Einschränkungen überhaupt für alle Flechten, so dass
man für die Flechten den Satz aufstellen kann: Je zerschnittener, je fein-
ästiger, je spitzenreicher der Thallus ist, desto grösser ist die
Transpiration und umgekehrt. Man findet deshalb an sehr trockenen
Standorten meistens Flechten mit wenig figurirtem, ergossenen Thallus, wie
z. B. rundliche Collemen, Lecanoren, Heppia- und Sticia- Arten , während an
feuchten Orten die fein figurirten Leptigium-f Cetraria- und Oadonia-ATien
vorherrschen.
Die letzteren, nämlich die Cladonien, sind ganz besonders instructiv, denn
diejenigen Arten, welche den am wenigsten differenzirten Thallus besitzen, wie
z. B. Cl. alcicornis, Cl. endiviaefolia, Cl. Papillaria und C/. miniata bewohnen
Beiträge zur Kenntniss des tropischen Regens. Diese Sitzungsberichte,
104. Bd., Abth. I, December 1895).
Nach demselben liefert z. B. eine gewöhnliche Brause in einer
bestimmten Zeiteinheit fast 100 mal mehr Wasser als ein tropischer
Durchschnittsregen.
Die grössten Regentropfen, die überhaupt entstehen können, haben
höchstens ein Gewicht von 0'2.g.
Die meisten Tropfen kommen auf der Erde mit einer Endgeschwin-
digkeit von 7 m an, weil die Acceleration schon bei einer Fallhöhe von
20 m durch den Luftwiderstand fast aufgehoben wird. Die grössten. that-
sächlich beobachteten Regentropfen langen mit einer lebendigen Kraft
von 0*0004 wÄ^, die kleineren natürlich mit einer noch geringeren Kraft
auf dem Boden an. Anders ist es natürlich mit dem Hagel.
Untersuchungen über die Flechten. 249
Verhältniss der Flechten zu den Thieren ist bereits in einem
anderen Capitel erörtert worden. Die pflanzlichen Mitgenossen
der Flechten sind aber eigentlich Concurrenten. Treffen nämlich
die Flechten auf einen solchen Boden mit höheren Pflanzen
zusammen, auf welchem auch die letzteren gedeihen können,
so unterliegen in der Regel die Flechten. Die höheren Pflanzen
wachsen nämlich rascher empor und verkümmern den Flechten-
anlagen hauptsächlich das Licht (vom Räume ganz abgesehen).
Wir können dies deutlich auf unseren Wiesen, aber auch auf
durchaus Orte, wo die Transpiration beschränkt werden muss, während die
reichverzweigten und differenzirten Formen, wie z. B. Cl. rangiferina, Cl. verii-
cillaris und Cl, rctipora nur an feuchten Standorten gedeihen. Bei manchen
Arten kann die Art und Weise der Beschuppung bis zu einem gewissen Grade
die Verzweigung und Differenzirung des Podetiums ersetzen. So bewohnt z. B.
die hornige, fast schuppenlose Form der Cl.furcata steile und trockene Plätze,
während die mit secundären Thallusblättchen reich besetzte Varietät ^poly-
phylla* an feuchten Orten gefunden wird. Die Becherform der Podetien steht
zu der Transpiration in keiner directen Beziehung, sie ist vielmehr das Product
zweier Factoren, nämlich erstens des Strebens des ursprünglich cylindrischen
Podetiums nach Vergrösserung der Assimilationsfläche und zweitens des
Spitzenwachsthums der im Kreise liegenden Randhyphen. Der erste Factor
allein würde auf der Spitze des cylindrischen Podetiums eine hutförmige, rund-
liche Assimilationsfläche erzeugen. Durch den zweiten Factor aber wird die
Peripherie dieser Fläche gleichmässig in die Höhe gezogen, also becherförmig.
Wenn aber diese Becher wieder in Zweige und Spitzen aussprossten,
was häufig genug geschieht, dann wird das Bedürfniss nach Wasseraufnahme
und Transpiration der treibende Factor sein.
Mitunter treffen wir aber auch an sehr trockenen Orten reich verzweigte
Flechten, wie z. B. die Cornicularia aculeata und gewisse SUreocaulon- und
Spkaerophorus- Arien. Aber gerade diese Formen sprechen für die Richtigkeit
der oben gegebenen Regel. Diese Flechten oder ihre phylogenetischen Vor-
fahren waren nämlich ursprünglich höchst wahrscheinlich Bewohner feuchter
Standorte, die sich nach und nach erst verändert haben. Aus dieser Periode
stammt ihr Anpassungscharakter an das lebhafte Transpirationsbedürfniss,
nämlich ihre reichliche Verzweigung. Als dann später ihre Standorte immer
trockener wurden, suchten sie die Transpiration zu beschränken, und zwar
durch die Entwicklung einer ganz eigenthümlichen, homartigen Rinde.
Aus dem Gesagten erhellt, dass wir die äussere Form einer Flechte schon
jetzt bis zu einem gewissen Grade verstehen können, wenn wir sie zuerst mit
der ursprünglichen Wuchsweise des Mycels, dann mit dem Licht, der Wärme
dem Transpiralions-, Athmungs- und Schutzbedürfniss, mit dem Substrat und
den übrigen Factoren des Klimas in einen mehr oder minder directen Causal-
nexus bringen.
250 H. Zukal.
den schmalen Gesimsen unserer Gebirge beobachten Vei-
schlechter! sich aber der Boden zur Heide, oder wird durch
das Wasser die letzte Spur der Dammerde von einem Fels-
gesimse gewaschen, dann erst treten bei einem gewissen
Feuchtigkeitsgrad Flechten auf. Allerdings schaffen die Bäutne
und Sträucher eine neue Unterlage für viele epiphytische
Flechten. Allein auch hier müssen die Flechten mit Moosen
und Farren und anderen Epiphyten einen harten Kampf ums
Dasein führen. Es lässt sich übrigens nicht leugnen, dass die
Flechten für diesen Kampf in einer ähnlichen Weise gut aus-
gerüstet sind, wie gegenüber den Unbilden des Klimas oder
den Angriffen der Thiere.
So widerstandsfähig sich übrigens die Flechten gegen die
Unbilden der Witterung zeigen, so wirksam sie auch gegen den
Thierfrass geschützt sind, so unterliegen sie trotzdem zahl-
reichen Veränderungen und Wachsthumsstörungen, welche für
den Fall, dass dabei gewisse Grenzen überschritten werden,
als Krankheiten bezeichnet werden müssen. Hierher gehören
die Aufblähung gewisser Thallustheile, die Rissbildung, die
Durchlöcherung, die Auf- und Abblätterung der Rinde, die
übermässige Verdickung der Rinde, der frühzeitige Thallus-
schwund, die abnormen Thallussprossungen (Warzenbildung,
Isidienbildung und korallinische Sprossung), die abnorme
Thallusbildung, die Hypertrophie der Trichome, der Allelo-
sitismus und endlich alle jene Störungen und Deformationen,
welche durch parasitische Pilze verursacht werden.
»Die Metamorphose zur Aufblähung», um mit Wallroth
zu reden, finden wir am häufigsten bei einigen schmallappigen
Parmelien {Menegazzia pertusa, Parmelia physodes, P. encausta
etc.), ferner bei mehreren Arten von Physcia, Xanthoria und
Usnea. Bei den Parmelien äussert sie sich gewöhnlich an den
äusseren Enden der Läppchen. Die Ursache dieser Erscheinung
scheint in dem rascheren Wachsthum der unteren Rinde
gegenüber der oberen zu liegen. Bei diesen Parmelien greift
nämlich die untere nicht selten kappenförmig über den Thallus-
rand herüber. Es geschieht dies besonders an sonnigen Stand-
orten, und der ganze Vorgang bezweckt, wie ich schon in einem
früheren Capitel auseinandergesetzt habe, einen ausgiebigen
Untersuchungen über die Flechten. 25 1
Schutz des Chorophylls der jüngsten Gonidien vor dem directen
Sonnenlicht. Bei diesem Vorgange geschieht es nun nicht selten,
dass das centrifugale Wachsthum der unteren Rinde so sehr
das der oberen Rinde übertrifft, dass es anfangs zu Auf-
treibungen der Thallusenden, später zur Loslösung der unteren
Rinde von der Markschichte und endlich zum Bersten und
Zerreissen der blasig aufgetriebenen unteren Thallusbedeckung
kommt. Bei den Arten der Gattungen Parmelia, Xanthoria
und Physcia, mit rosettenförmigem Thallus, erschienen die
älteren, ventral gelegenen Thalluslappen ebenfalls oft blasen-
oder wulstförmig aufgetrieben. Es beruht dies, wie schon
Schwendener^ hervorgehoben hat, auf dem Überwiegen des
radialen, intercalaren Wachsthums, über das marginale Wachs-
thum. Wenn sich nämlich der Thallus in Folge des sehr über-
wiegenden intercalaren Wachsthums in der Fläche auszudehnen
sucht, an dieser Ausdehnung aber durch die rhizinae solidae
gehindert wird, so muss er nach oben zu blasenartige Auf-
treibungen und Faltungen erleiden. In extremen Fällen kann
durch diese Wuchsweise der ganze Habitus der Flechte bis zur
Unkenntlichkeit verändert werden. Bei Umbilicaria beruht die
bekannte Blasenbildung ebenfalls auf dem Überwiegen des
intercalaren Wachsthums gewisser circumscripter Thallus-
stellen über dasselbe Wachsthum der benachbarten Thallus-
theile. Letztere werden besonders durch die mächtig ent-
wickelte untere Rinde daran gehindert, sich in gleicher Weise
auszudehnen wie die dünn berindeten Stellen. Bei Umbilicaria
ist diese Blasenbildung allerdings ein normaler Vorgang, der
sogar zu einer Art von Schutzvorrichtung für die verdünnten
Hautstellen der unteren Rinde ausgebildet wurde; aber schon
bei der nächst verwandten Gattung Gyrophora treten die
blasigen Auftreibungen nur unregelmässig auf und nehmen
dann nicht selten einen krankhaften Charakter an. Auch bei
l^s^tea kommen blasige Thallusauftreibungen nicht selten vor
und haben sogar zur Aufstellung der formae articulatae ge-
führt. Diese Aufblähungen erfolgen gewöhnlich in bestimmten
Abständen und geben dem f75«^a-Thallus ein Aussehen, das
J Schwendener, Untersuchungen über den Flechtenthallus. 2.TheiI, S.
252 H. Zukal,
entfernt an einen Ganglienstrang erinnert. Sie werden wahr-
scheinlich durch ringförmige Risse verursacht, welche senk-
recht zur Achse orientirt sind und gewöhnlich bis zu dem
soliden Markstrang reichen.
Eine ursprünglich pathologische Erscheinung ist die Riss-
bildung. Sie kann aber unter gewissen Umständen, namentlich
bei gewissen Krustenflechten mit einem Thallus »defracto
areolatus« so regelmässig auftreten, dass sie fast den Charakter
eines normalen Processes annimmt. Wir treffen sie übrigens
auch bei den Strauch- und Laubflechten. Bei den Gattungen
Usnea, Neuropogon und Evernia sind diese Risse ungewöhnlich
häufig und beruhen höchst wahrscheinlich auf einer mangel-
haften Anpassung der Rinde an die biegenden, knickenden und
scherenden Kräfte des Windes. Bei Cladonia treten sie haupt-
sächlich in den Podetien auf (wenn man von Cl. endiviaefolia
und CL alciformis absieht), und zwar besonders häufig bei be-
stimmten Arten, wie z.B. CL degenerans, CL decorticata und Cl
cariosa etc. Über diesen Punkt sagt Krabbe:^ »Von morpho-
logischer Wichtigkeit sind auch die mannigfachen Gewebe-
spannungen, die theils auf ursprünglichem Wachsthum, theils auf
Austrocknung und Durchfeuchtung, theils auf Verwachsungen
beruhen. Sie führen zu mannigfaltigen Zerreissungen des Frucht-
körpers, z. B. des Trichters von CL cariosa^ zur Bildung von
Löchern bei den verzweigten Formen, namentlich aber zur Zer-
reissung des Randes der Trichter. Bei Cladonia cariosa scheint
die Zerreissung erblich zu sein.« Bei den Laubflechten bilden
sich die Risse theils auf der Oberfläche, wie z. B. bei Parmelia
saxatilis und Cetraria glattca, theils auf der Unterseite, wie
bei den meisten Arten von Parmelia mit schwärzlicher unterer
Rinde und einigen Physcien. Die letzteren Rissbildungen können
oft so weit gehen, dass die untere Rinde oft in fetzenartige
Fragmente getheilt und streckenweise ganz abgestossen wird.
Letzteres kommt namentlich bei Menegazzia pertusa, Parmelia
revoluta, P. saxatilis, P. physodes, P, conspera, P. caperata und
einigen grösseren Physcien vor.
1 Krabbe, Entwicklungsgeschichte und Morphologie der Flechtengattung
Cladonia. Leipzig, 1891,
Untersuchungen über die Flechten. 253
Es macht überhaupt den Eindruck, dass der unteren Rinde
bei vielen Gliedern der artenreichen Familie der Parmeliaceen
nur in der Jugendzeit eine grössere, biologische Bedeutung
zukomme, dass sie später aber überflüssig werde. Tiefe Risse
zerklüften häufig auch die Thallusoberfläche der Peltideen,
Lecanoreen und zahlreicher Krustenflechten. In den meisten
Fällen scheinen sehr energische Contractionen der Oberfläche,
wie solche z. B. bei rascher Austrocknung nach längerer Durch-
feuchtung erfolgen, die Ursache der Rissbildung zu sein.
Mit der Rissbildung ist nicht zu verwechseln die Durch-
löcherung, obgleich beide Processe zuweilen Hand in Hand
gehen oder einander folgen. Die Durchlöcherung beruht darauf,
dass an einer bestimmt umschriebenen Thallusstelle länger an-
dauernde oder sich oft wiederholende Sprossungen entstehen, die
schliesslich zur Degeneration und Abstossung der Rinden- und
Gonidienschichte oder sämmtlicherSchichten führen. Das erstere
kommt bei Menegazzia pertusa constant, bei Parmelia stygia,
P. olivarcea v. aspidota und Corniculata trisHs sporadisch vor.
Es wurde schon in einem früheren Capitel erwähnt, dass die bis
zum Marke reichenden Löcher, unbeschadet eventueller anderer
Leistungen, auf jeden Fall zur Durchlüftung des Thallus
beitragen müssen. In anderen Fällen werden sämmtliche
Thallusschichten durchbrochen, und der Thallus wird daher
im buchstäblichen Sinne durchlöchert. Bei Cladonia retipora,
Gyrophora erosa und Ramalina retictilata scheint die Durch-
löcherung erblich zu sein und äusserst häufig vorzukommen,
bei anderen Formen dagegen, wie z. B. bei Umbilicaria probos-
cideUj Gyrophora hyperborea^ G. deusta^ Ramalina fraxinea
und R, genicnlata Tayl. (Neuseeland), ist sie entschieden
pathologischer Natur. In neuester Zeit ist Ramalina reticnlata
von Lutz^ bezüglich der Löcherbildung näher untersucht
worden, und zwar mit dem Resultate, das die Löcherbildung
nicht durch die Wuchsweise bedingt werde, sondern haupt-
sächlich in Folge von Spannungen, die durch wiederholte
* Lutz, über die sogenannte Netzbildung bei Ramalina rcticnhila
Krpihbr. Berichte der deutschen botan. Gesellschaft, 1894, Bd. XII, Heft 7.
S. 208.
'^54 H. Zukal,
Anfeuchtung und Austrocknung entstehen. Dies wird woh!
richtig sein. Indessen ist damit nur die nächste und unmittel-
barste Ursache gegeben. Die entferntere Ursache liegt offenbar
in dem Vorhandensein von Gewebspartien, die sich ange-
feuchtet unregelmässig ausdehnen und beim Trocknen ver-
schieden stark zusammenziehen. Solche auf denselben Ein-
tluss verschieden reagirende Gewebe finden wir z. B. bei
Umbilicaria in den Blasen und den sie einschliessenden
Thallustheilen, vor Allem aber überall dort, wo feste, strang-
förmige Bildungen mit gewöhnlichen Thallusgeweben abwech-
seln, wie z. B. bei Ramalina reticnlata und Cladonia reti-
pora etc. Da aber die Strangbildungen mit der Wuchsweise
auf das innigste zusammenhängen, so sind es schliesslich doch
die Wachsthumsverhältnisse, welche die Vorbedingungen zu
den Spannungen und daher auch für die Löcherbildung schaffen.
Zu den Durchlöcherungen muss auch die Durchbohrung
der Apothecien gerechnet werden. Diese kommt insbesondere
im höheren Alter bei Parmelia perlata vor, und Nylander
hat auf dieses Merkmal hin eine neue Species gegründet, näm-
lich die P. perforata (L.) Nyl. Da aber diese Durchbohrung
als eine senile Erscheinung, kurz als ein pathologischer Pro-
cess gedeutet werden muss, so kann sie selbstredend nicht aN
Speciescharakter in Verwendung genommen werden.
Zu den pathologischen Erscheinungen gehört auch die
Auf- und Abblätterung der Rinde. Erstere kommt bei einigen
grossen Laubflechten aus den Gattungen Cetraria, Sticia und
Ricasolia vor, wenn eine sehr lebhafte Soredienbildung vom
Thallusrande aus beginnt, bei gleichzeitiger Lockerung der
Verbindung von Rinde und Gonidienschichte. In extremen
Fällen hebt sich die ganze obere Rinde vom Thallus ab und
rollt sich vom Rande aus so einwärts, dass die Gonidien-
schichte vollkommen entblösst wird. Letztere wandelt sich
dann gewöhnlich in Soredien um, die vom Winde nach und
nach entführt werden. Zuletzt deuten nur noch einige häutige
oder papierartige Fetzen die Stelle an, wo vor Kurzem noch
der Thallus einer Laubflechte gesessen war.
Die stückelweise Abblätterung der Rinde hängt gleich-
falls mit der Soredienbildung zusammen und kommt dann zu
Untersuchungen über die Flechten. 255
Stande, wenn die Soredien gleichzeitig an sehr vielen Stellen
durchbrechen. Dann werden gewöhnlich auch noch die intact
gebliebenen Rindenpartien in die Höhe gehoben, bröckeln
schollenweise ab und verschwinden zuletzt. Der rindenlose
Thallus verfallt dann demselben Schicksal, als ob sich die
ganze Rinde auf einmal losgelöst hätte.
Manche Flechten, wie z. B. Pertusaria communis, leiden
nicht selten an einer Krankheit, die man zweckmässig Pachy-
dermie (Dickhäutigkeit) nennen könnte. Aus einer nicht be-
kannten Ursache verdickt sich nämlich die Rinde auf eine
so exorbitante Weise, dass weder Pykniden, noch Soredien,
noch Ascusbehälter durchzubrechen vermögen. Diese Krank-
heit hat daher immer Sterilität im Gefolge. Schliesslich reisst in
Folge von ungleichen Spannungen die Rinde an vielen Stellen
auf, und der ganze Process endigt zuletzt, nach schollen-
förmiger Abstossung der Rinde, in einer allgemeinen Soredien-
bildung.
Bei vielen Krustenflechten, namentlich bei den felsen-
bewohnenden Leeideen, erhält sich der gonidienführende Thal-
lus nur in der Jugendzeit und scheint nur da zu sein, um die
Anlage und Ausbildung der Apothecien zu ermöglichen; sind
letztere vollkommen entwickelt, so verschwindet zuweilen der
Thallus durch allmälige »Verkrümelung«, während die Apo-
thecien noch viele Jahre fortleben und zahlreiche Sporen-
schläuche erzeugen können. Es ist aber zweifelhaft, ob wir es
hier mit einem pathologischen Process oder mit' einem nor-
malen Vorgange zu thun haben. Letztere Annahme hat für zahl-
reiche Fälle die grössere Wahrscheinlichkeit für sich.
Ebenso zweifelhafter Natur sind die diversen Thallusaus-
stülpungen, die man je nach ihrer Grösse und Form als Körner-
und Warzenbildung, als korallinische Sprossung und als Isidien-
bildung bezeichnet. Diese Ausstülpungen kommen in allen Ord-
nungen vor, und man trifft sie ebenso häufig bei den Usneen,
wie bei den Parmelien und Krustenflechten. In einzelnen Fällen,
wiez. B. bei Lecothecinm und bei Pertusaria corallina, scheinen
sie vollkommen normaler Natur zu sein und zum Species-
charakter zu gehören. In anderen Fällen dagegen treten sie
in Folge der Reizwirkung schmarotzender Pilze auf. Da die
Sitzb. d. mathcm.-naturw. Gl.; CV. Bd., Abth. I. 17
256 H. Zukal,
meisten dieser Thallusprolificationen nur sehr dünn berindet
sind, so werden sie gegebenenfalls zur Durchlüftung desThallus
das ihrige beitragen.
Mit den eben besprochenen Sprossungen sind die Cepha-
lodien nicht zu vei-wechseln, welche oft eine den korallinischen
Sprossungen ganz ähnliche Form annehmen können, wie z. B.
bei Lahoria amplissima (Scop.). Dieser Fall führt uns zu den
Cephalodien überhaupt. Da diese Gebilde aber bereits in einem
der vorhergehenden Capitel näher besprochen worden sind, so
wäre hier allenfalls noch die Frage zu ventiliren, ob der Cepha-
lodienbildung ein krankhafter Process zu Grunde liegt oder
nicht. Dass die Cephalodien keine normalen Sprosse oder
Gonotrophien im Sinne von Minks^ sind, steht fest; denn sie
entstehen in Folge eines Reizes einer fremden Alge aus den
Gattungen Nostoc, Sirosiphon, Scytonema, Chroococcus und
Oscillaria auf die Thallushyphen. Sie bilden also eine Art von
Gallen oder von Geschwülsten. Es ist aber allgemein bekannt,
dass solche Geschwülste und heterogene Gewebewucherungen
ihren Trägern oft in einem hohen Grade gefährlich werden
können. Umso interessanter wäre es, wenn Gallen- oder
Geschwulstbildungen aufgefunden würden, welche den sie
bildenden Organismen nicht schaden, sondern nützen. Dies
scheint nun in der That bei den Cephalodien der Fall zu sein,
denn wir sehen in den weitaus meisten Fällen die cephalodien-
tragenden Flechten auf das beste gedeihen. Worin der Vortheil
besteht, welcher den Flechten aus den Cephalodien erwächst,
ist noch nicht hinreichend aufgeklärt. Ich speciell bin der An-
sicht, dass es sich weniger um Stoffwechselproducte, sondern
lediglich um das Wasser handle. Die cephalodienbildenden
Algen gehören nämlich immer zu den Cyanophyceen. Von
diesen Algen ist aber festgestellt worden, dass sie nur sehr
schwer ganz austrocknen und auf jeden Fall das Wasser mit
viel grösserer Kraft festhalten als der gewöhnliche Flechten-
thallus. Wenn also eine Pflanze kleine Colonien von Cyano-
phyceen in ihr Gewebe einschliesst, so besitzt sie an diesen
Algen gevvissermassen feuchte Schwämmchen, die in den
1 Minks, Das Mikrogonidium. Basel, 1879.
Untersuchungen über die Flechten. 257
Zeiten der grössten Wassernoth ihren Wasservorrath mit der
Wohnungsgeberin theilen. Viele Krustenflechten überziehen
sich auch mit einer Decke aus angeflogenen Cyanophyceen,
insbesondere häufig mit Chrooccocaceen. Dieser Überzug ist
oft so dicht, dass dadurch die Farbe der ganzen Flechte ver-
ändert wird, ein Umstand, der schon öfters verschiedene Irr-
thümer in den Diagnosen verursacht hat. Die angeflogenen
Chroococcen werden nur in seltenen Fällen von den Hyphen
umsponnen, aber sie werden von den Hyphen festgehalten,
indem fast in jede einzelne der kleinen Chroococcus- oder
Glaeocapsa-FdimW^n einige Hyphen eindringen, ohne sich aber
daselbst zu verzweigen. Ausser den Cyanophyceen werden
selbstverständlich auch Chlorophyceen angeweht; da die letz-
teren aber nicht von den Hyphen festgehalten werden, so ver-
schwinden sie in der Regel bald spurlos. Dieses Verhalten
der Rindenhyphen vieler Krustenflechten gegenüber den ange-
flogenen Cyanophyceen erkläre ich mir ebenfalls aus dem
Bedürfniss nach innigem Contact mit lange fruchtbleibenden
Körpern.
Sehr merkwürdig verhalten sich auch gegen die Flechten
die Arten einer anderen Algengattung, nämlich der Trentepohlia
(Chroolepus), Dieselben sind nämlich, vermöge ihres lebhaften
Spitzenwachsthums und ihres Chemismus, im Stande, einen
fremden Flechtenthallus mit derselben Leichtigkeit zu durch-
wachsen, wie etwa viele Flechtenhyphen den Kalk. Ich habe
dieses Verhalten der Trentepohlia nicht nur bei Rindenflechten,
sondern auch bei Kalkflechten wiederholt beobachtet, ins-
besondere häufig bei Verrucaria rupestris. Letztere Flechte
erhält oft durch das Eindringen der Trentepohlia eine ziegel-
rothe Färbung, wie z. B. auf den Dolomitfelsen der Mödlinger
Klause bei Wien. Es scheint aber nicht, dass die Flechte durch
das Eindringen der fremden Alge in ihren Lebensfunctionen
besonders gestört wird, denn die durch die eingedrungene
Trentepohlia roth gefärbten Exemplare fructificiren wo mög-
lich noch üppiger als die normalen Individuen.
Das Eindringen der Trentepohlia führt uns zu den Ge-
fahren, denen die Flechten durch das Eindringen anderer
Organismen, insbesondere der Schmarotzerpilze, ausgesetzt
17*
258 H. Zukal,
sind.^ Viele der letzteren wurden bekanntlich von den älteren
Lichenologen als parasitische Flechten behandelt. Ein genaues
Studium derselben hat aber ergeben, dass der grösste Theil
derselben als gewöhnliche Ascomyceten, d. h. als echte Pilze
aufgefasst werden müssen. Trotzdem darf die Möglichkeit der
Existenz parasitischer Flechten nicht so ohne weiteres von
der Hand gewiesen werden. So habe ich selbst z. B. auf den
jungen Apothecien einer Bacidea eine kleine Krustenflechte
beobachtet, deren Perithecien sammt den dazu gehörigen goni-
dienführenden Thalluswarzen in das 5/7/f»^/a-Apothecium ein-
gedrungen waren und in dasselbe tiefe Löcher eingefressen
hatten, welche den Umrissen der schmarotzenden Flechte genau
entsprachen.*
1 Diese Schmarotzer werden in der Regel nur dann beschrieben, wenn
sie Fructificationsorgane erzeugen, sei es in der Form von Conidien oder von
Ascussporen. Es ist dies jedoch nicht immer der FaU. Oft erzeugt ein in die
Flechte eingedrungenes fremdes Mycel starke habitueUe Veränderungen, ohne
selbst Propagationsorgane auszubilden. So fand ich z. B. auf den Radstädter
Tauern eine Parmclia encausta mit ganz abnorm schmalen und krausen Thallus-
lappen. Die nähere Untersuchung ergab, dass diese Metaphasis des Lagers
zur verfehlten Gestaltung, wie sich Wallroth ausdrücken würde, durch ein
fremdes, bräunliches, kurzzelliges Mycel verursacht worden war. Ein anderes-
mal fand ich auf einer Physcia villosa aus Lima, die durch exorbitant ent-
wickelte Thallusprolificationen beinahe unkenntlich erschien, ebenfalls ein
fremdes, steriles Mycel.
Damit soll jedoch nicht behauptet werden, dass alle Missbildungen,
Abnormitäten und Hypertrophien des Flechtenlagers auf Schmarotzer zurück-
geführt werden müssen. Wer z. B. die Flechten solcher Länder studirt, in denen
nur selten ein Regen fällt, wie z. B. in gewissen Strichen Chiles, Australiens
und Afrikas, wird finden, dass alle diese Formen eine gewisse Neigung zu Defor-
mationen und Hypertrophien gewisser Theile, z. B. der Rinde, der Rhizoiden
und Thallusprolificationen zeigen, zum Beweis, dass nicht nur Schmarotzer-
pilze, sondern auch extreme äussere Lebensbedingungen den fixtrten Habitus
der Flechten stark beeinflussen.
2 Die schmarotzende Flechte gehört zu einer Form, die der Gattung
Fhacidea sehr nahe steht, aber wegen der nicht ganz reifen Sporen leider nicht
mit Sicherheit bestimmt werden konnte. Die winzigen Thalluswärzchen führten
Cys/o^Oira« ähnliche Gonidien. An einigen Apothecien der befallenen
BacUea waren merkwürdigerweise einige Perithecien des Schma-
rotzers ohne gonidienführenden Thallus entwickelt worden.
Ausserhalb der Bacidea, aber in nächster Nähe, fand sich ebenfalls der Pha-
cidia ähnliche Pilz auf dem Substrat (einem halb vermoderten Moose) vor.
Untersuchungen über die Flechten. 259
In anderen Fällen wieder scheinen die aus Flechtenpilz-
sporen hervorgegangenen Hyphen in den Thallus anderer
Flechten einzudringen und hier eine schmarotzende Lebens-
weise zu führen. Dabei kann der Thallus der befallenen Flechte,
d. h. also Hyphen sammt Gonidien, ganz zu Grunde gehen,
oder es wird nur das Hyphensystem des Wirthes vernichtet,
während die Gonidien von dem Schmarotzer als Ernährungs-
organe adoptirt werden. Das erstere Verhalten zeigt das Mycel
der Urceolaria scruposa v. parasitica, wenn es die Thallus-
schuppen der Cladonia tnrgida und anderer Cladonienarten
befallt, das letztere befolgen die Hyphen von Arthrorhaphis
flavovirescens (Bors.) Th. Fr., wenn sie sich auf dem Thallus
von Sphyridium hyssoides festsetzen. Norman hat diese eigen-
thümliche Metamorphose eines Flechtenthallus »Allelositis-
mus« genannt. Derselbe mag häufiger^ vorkommen als man
bis jetzt glaubte, ob er aber jenen grossen Umfang besitzt, wie
in jüngster Zeit von Minks^ behauptet worden ist, werden
erst nähere Untersuchungen aufzuklären haben.
Viele Flechten, namentlich Krustenflechten, leiden auch
durch den Umstand, dass sie von anderen Flechten überwuchert
und verdrängt werden. Diesem Schicksal verfallen häufig die
steinbewohnenden Krustenflechten, wenn dieselbe Unterlage von
grösseren Laub- und Strauchflechten besiedelt wird. Aber auch
viele Krustenflechten siedeln sich mit Vorliebe auf anderen
Krustenflechten an. So fand ich z. B. die Biatora rupestris so
häufig auf dem Thallus von Verrucaria rupestris und V. calci-
seda, dass ich die Biatora beinahe als Parasit verdächtigen
aber immer mit gonidienführenden Thalluswarzen. Hier scheint ein Beispiel
vorzuliegen, wie leicht eine Flechte ihren gonidienführenden Thallus verlieren
kann, wenn sie die saprophytische Lebensweise mit einer schmarotzenden ver-
tauscht.
1 Dieselbe soll sich nach Th. Fries bei Buellia scabrosa und nach
B. Stein bei Lahmia Fuistingii Krb. und mehreren Arthonien wiederholen.
Siehe Fries, Lichenographia scandinavica, p. 343.
B.Stein, Kryptogamenflora von Schlesien. Flechten. S. 181.
3 Minks, Beiträge zur Kenntniss des Baues und Lebens der Flechten,
n. Die Syntrophie, eine neue Lebensgemeinschaft in ihren merkwürdigen
Erscheinungen. Verhandl der k. k. zool.-botan. Gesellsch. Wien, Bd. XLll.
1892, S. 377.
260 H. Zukal,
möchte. Dieser Verdacht wird ausserdem noch durch den
Umstand verstärkt, dass die genannte Biatora, so bald sie sich
auf dem Verrucaria -ThaWus entwickelt hat, eigenthümliche
Rhizoiden ausbildet und senkrecht in den unter ihr liegenden
fremden Thallus binabsendet.
Sehr interessant sind auch jene Fälle, wo auf einen
Flechtenthallus neben den typischen Apothecien noch die
Ascusbehälter eines zweiten Ascomyceten entwickelt werden,
ohne dass die geringsten Anzeichen eines Parasitismus oder
Allelositismus vorliegen. Denn es erscheinen sowohl die Apo-
thecien, sowie der Thallus und die Gonidien der Nährflechte
vollkommen normal entwickelt, und man kann selbst durch
die scrupuloseste Untersuchung nichts entdecken, was als
eine Schädigung oder Wachsthumsstörung der Wirthpflanze
ausgelegt werden könnte. Da aber auch die Ascusbehälter des
fremden Ascomyceten ein vollkommen gesundes Aussehen
zeigen und ganz normale Sporen entwickeln, so bleibt meiner
Ansicht nach nichts anderes übrig, als anzunehmen, dass auch
der zweite Ascomycet mit der Nähralge der Wirthflechte in
derselben mutualistischen Symbiose lebe, wie der Flechtenpilz.
Einen hierher gehörigen Fall habe ich im Jahre 1887 auf-
gefunden. Er betrifft eine Pleospora,^ welche mit dem Flechten-
pilz von Physnia compactnm in bester Eintracht mit ein und
derselben Alge (nämlich Nostoc) zusammenlebt.
Wenn nun auch, wie wir gesehen haben, mancherlei
Gefahren und Krankheiten die Flechten bedrohen, so sind
trotzdem ihre Individuen als Artenanzahl erstaunlich gross.
Man kann die gegenwärtig beschriebenen Flechtenarten und
Varietäten auf etwa 20.000 schätzen.^ Die Zahl der Individuen
muss ungeheuer gross sein, wenn man bedenkt, dass weite
Länderstrecken, wie z. B. gewisse Theile der nordischen Tundra,
fast nur mit Flechten bedeckt sind.
J Es ist dies die Pleospora Collcmatum Zuk. Siehe Zukal, Über einige
neue Ascomyceten. Verhandl. der k. k. zool.-botan. Gesellsch. 1887, S. 39.
3 Diese Schätzung beruht auf dem Zettelkatalog des Herrn Dr. Zahi-
b ruckner in Wien, den sich derselbe anlässlich der Vorarbeiten zu einer
Sylloge Lichenum angelegt hat.
Untersuchungen über die Flechten. 261
Die Flechten verdanken diese grosse Verbreitung theils
ihrer Anpassung an solche Lebensbedingungen, unter welchen
die Phanerogamen nicht mehr gedeihen können, theils ihren
mannigfachen Schutzmitteln wider die Angriffe der Thiere und
pflanzlicher Parasiten, So vollkommen übrigens auch immer
die Anpassung der Flechten an die Aussenwelt sein mag, es
kommt doch auch für jedes Flechtenindividuum ein Zeitpunkt,
in dem sein Leben erlischt.
Die durchschnittliche Lebensdauer einer Art hängt be-
kanntlich von sehr verwickelten Ursachen ab, im Allgemeinen
wird jedoch Langlebigkeit oder Kurzlebigkeit in derselben
Weise vererbt, wie irgend eine andere Eigenschaft. Zu den
kurzlebigsten Flechten dürften jene gehören, die wie viele
Leeideen nur einen sehr kümmerlichen Thallus entwickeln,
der überdies noch bald nach der Entwicklung der Apothecien
verschwindet. Bei diesen Flechten erlischt das Leben, nachdem
der letzte Ascus seine Sporen entleert hat. Zu den langlebigsten
Flechten gehören dagegen die höheren Formen der Strauch- und
Laubflechten, insbesondere die der Cladonien. Da sich manche
Arten der letzteren auch durch Thallusfragmente^ fortpflanzen
können und eine solche Fortpflanzung eigentlich nur eine Art
von Wachsthum ist, so lässt es sich in vielen Fällen schwer
bestimmen, wann eigentlich der Tod des Individuums ein-
getreten ist. Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich bei der
Abschätzung des Lebensalters solcher Flechten, die einen
echten Thallus areolatus besitzen.
Wenn man aber auch von dergleichen Bedenken absehen
wollte, so kann man doch zu keinen genauen Angaben
über das Alter höherer Flechten gelangen, weil die exacten
Beobachtungen fehlen. Jedenfalls erstreckt sich das Leben
vieler Flechten auf Jahrhunderte. Diese lange Lebensdauer
muss um so auffallender erscheinen, als sich die übrigen
Ascomyceten gerade nicht durch eine lange Lebensdauer aus-
zeichnen. Die Vortheile, welche den Plechtenpilzen durch die
' Nach Crombie (Journal of Botany) geschieht dasselbe auch bei Par-
melia omphalodes f. pannifonnis, und Lotsy vermuthet Ahnliches von den
Ablegern von Slicta pulmonaria. Siehe Lotsy, Beiträge zur Biologie der
Flechtenflora des Hainberges bei Güttingen. S. 46.
262 H. Zukal,
Symbiose mit den Algen erwachsen, müssen daher sehr hoch
angeschlagen werden. Denn nur die Symbiose und der mit ihr
in Zusammenhang stehende Transport der Gonidien nach den
jüngsten Thallustheilen befähigt die Flechten zu einem fast
unbegrenzten Spitzen- und Marginalwachsthum, während die
älteren Thallustheile ganz allmälig der Zerstörung anheimfallen.
Wie aber endlich doch dem Leben des Individuums theils
durch innere, theils durch äussere Ursachen ein Ziel gesetzt
ist, so ergeht es ähnlich auch der Art. Bei den Flechten
kommen nämlich, ganz wie bei den übrigen Gewächsen, neben
gemeinen und kosmopolitischen Formen auch solche vor, die
nur an wenigen Orten noch gefunden werden und auch da in
einer relativ geringen Individuenzahl gedeihen. Solche seltene
Arten können selbstverständlich durch sehr geringfügige Ver-
änderungen ihres Wohnungsgebietes zum gänzlichen Aus-
sterben gebracht werden. Grössere Veränderungen der äusseren
Lebensbedingungen, wie z. B. das Hereinbrechen einer Eiszeit
oder eines Steppenklimas, werden natürlich einer viel grösseren
Anzahl von Arten zum Verderben gereichen. Doch wird jede
Lücke, die etwa durch das Aussterben einzelner Arten entsteht,
durch neue Anpassungen oder die Einwanderung bereits vor-
handener Formen aus den Nachbargebieten alsbald wieder aus-
gefüllt. Hier ist wohl der Ort, um die Frage aufzuwerfen, ob
auch noch in der Gegenwart neue Flechtenarten entstehen.'
Diese Frage muss unbedingt im bejahenden Sinne beantwortet
werden. Die Entwicklung neuer Flechtenarten kann sogar auf
mehreren Wegen erfolgen. Denn sie entstehen durch die fort-
währende Ausbreitung der Flechten in horizontaler und verti-
caler Richtung und durch die niemals unterbrochenen An-
passungsversuche an fremdartige Substrate und ungewohnte
Lebensbedingungen fortwährend neue Rassen .oder Varietäten,
die unter günstigen Umständen zu Arten werden können. Eine
zweite Quelle der Artenbildung liegt aber in der Möglichkeit,
dass die Mycelien der Flechtenpilze, für den Fall der Nicht-
auffindung der eigenen Gonidien, mit den nächstverwandten
Algenarten eine neue Symbiose begründen können. Eine solche
neue Verbindung würde aber höchst wahrscheinlich den ganzen
morphologischen Aufbau der Flechte beeinflussen und auf diese
Untersuchungen über die Flechten. 263
Weise ebenfalls neue Formen verursachen. Vielleicht sind in
der angedeuteten Weise die Arten der Gattungen Lobaria, Pelti-
deor^ NephrornUy Psoroma und Solorinina aus den Flechten-
pilzen der Gattungen SHcta, Peltigera, Nephromium, Pannaria
und Solorina entstanden.
Endlich können auch noch auf eine dritte Art neue Flechten
entstehen, wenn nämlich einzelne echte Ascomyceten gelegent-
lich mit Algen in symbiotische Beziehungen treten. Solche Ver-
hältnisse scheinen nicht selten vorzukommen, aber nur selten
zu einer dauernden, erblichen Symbiose, also zur Flechten-
bildung zu führen. Denn gewöhnlich bilden einzelne Ascomyceten
mit den ihnen zusagenden, zufällig vorhandenen Algen aus-
gesprochene Thalluswärzchen, in denen sogar alle drei Thallus-
schichten ausgebildet werden, aber gleichzeitig kommt derselbe
Pilz auf anderen Substraten vor, wo er eine rein saprophytische
Lebensweise führt. Auch besitzen die Sporen der mit den Algen
in transitorischer Symbiose lebenden Individuen, respective das
aus solchen Sporen hervorgehende Mycel, ebenfalls die Be-
fähigung zur saprophytischen Lebensweise, und zwar, wie es
scheint, in ungeschwächter Kraft. Ich habe im Laufe der letzten
zehn Jahre mehrere solche zeitweilige Flechtenbildungen auf-
gefunden und theils in den »Flechtenstudien«, theils in den
»Halbflechten« beschrieben.^ Interessant ist dabei die Leichtig-
keit, mit der bei einzelnen Halbflechten ein k'rustenartiger Thal-
lus entsteht. So zeigte z. B. meine Lichenopeziza bryophila und
Gloeopeziza Rehmii vollkommen berindete Thalluswärzchen,
und die Nectria phycophila bildeten mit ihren Algen {Scytomma
und Hypheothrix) eine veritable, fest zusammenhängende Kruste.
Wenn auch die meisten Halbflechten höchst wahrscheinlich nur
vorübergehende Symbiosen darstellen, so dürften einzelne der-
selben unter günstigen Umständen, namentlich durch öftere
Wiederholung derselben Symbiose, doch zu echten Flechten
werden. Ein solcher Fall liegt in Epigloea bactrospora Zuk.'-^
^ Zukal, Flechtenstudien. Denkschriften der k. Akad. der Wissensch.
Wien, XLVIII. Bd., 1884.
Derselbe, Halbflechten. Flora 1891, Heft 1.
- Zukal, Epigloea bactrospora^ eine neue Gallertflechte mit chlorophyll-
hältigen Gonidien. Ost. bot. 1890, Nr. 9.
264 H. Zukal, Untersuchungen über die Flechten.
vor. Zum erstenmale wurde diese sonderbare Flechte von mir
1889 zu Haslach in Oberösterreich aufgefunden. Ein Jahr später
fand sie bei Radstadt im Salzburgischen Heimerl, und wieder
zwei Jahre später fand ich selbst sie noch einmal in der Nähe
des »Blauen Tumpfes« im Maltathal (Kärnten). Diese Flechte
hat einen so primitiven Bau, dass nicht einmal ihre Peripherie
in dem Algenmagma abgegrenzt erscheint. Da sie aber bereits
auf drei weit auseinander liegenden Standorten aufgefunden
worden ist, so scheint es sich nicht mehr um eine vorüber-
gehende Symbiose, sondern thatsächlich um eine neue, aber
morphologisch noch nicht vollkommen entwickelte Flechte zu
handeln. Wir sehen also, dass auch noch in der Gegenwart
jene Kräfte wirksam sind, welche in der grauen Vorzeit die
fast unübersehbare Fülle der Flechtenwelt in ihrer eigenartigen,
mystischen Schönheit geschaffen haben.
Schlussbemerkung. Es wird auffallen, dass in diesen drei Abhand-
lungen weder die feineren Structuren der Zellen, noch die Zellkerne und ihr
Theilungsmodus erwähnt werden, und man könnte daraus den Schluss ziehen,
dass ich mich mit diesem Theil der Flechtenanatomie nicht befasst habe. Dem
ist aber nicht so. Ich habe jedoch gefunden, dass diese Fragen nicht gut isolirt,
d. h. losgelöst von den Pilzen, behandelt werden können und halte es für
zweckmässig, das ganze Thema zu vertagen. Ich hege ja ohnehin den Wunsch,
in einer nicht zu fernen Zeit eine Morphologie und Biologie der Pilze zu ver-
öffentlichen und hoffe dort auch dasjenige nachtragen zu können, was über die
feinere Structur der Flechtenzellen und ihrer Kerne etwa speciell ausgesagt
werden kann.
Inhalt.
Seite
I. Die Flechten als lichtbedürftige Organismen .s 197
II. Das reproductivc System 221
III. Über den Einfluss des Klimas und des Substrates. — Flechten-
krankheiten 244
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN,
MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CV. BAND. IV. HEFT.
ABTHEILUNG I.
ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE,
KRYSTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE,
PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN.
267
X. SITZUNG VOM 16. APRIL 1896.
Erschienen: Sitzungsberichte, Bd. 104, Abth. II. a, Heft IX— X (November
bis December 1895) und Abth. II. b, Heft IX — X (November — December
1895), womit nun der Druck dieses Bandes in allen Abtheilungen voll-
endet ist. Ferner ist erschienen: Bd. 105, Abth. I — II (Jänner — Februar
1896).
Das Comite für die Stiftung einer Erinnerungs-Medaille zur
siebzigsten Geburtstagsfeier Julius Thomsen*s in Kopen-
hagen übermittelt der kaiserlichen Akademie ein Exemplar
dieser Medaille in Bronze.
Herr Prof. Dr. L. Weinek, Director der k. k. Sternwarte in
Prag, dankt für die ihm zum Abschlüsse seines Unternehmens,
auf Grund der Negative von Mondphotographien der Lick-
Sternwarte einen Mondatlas herzustellen, von der kaiserlichen
Akademie gewährte Subvention.
Das w. M. Herr Prof. F. Lippich in Prag übersendet eine
Abhandlung unter dem Titel: »Dreitheiliger Halbschatten-
Polarisator«.
Das c. M. Prof. Dr. R. v. Wettstein übersendet eine im
botanischen Institute der k. k. deutschen Universität in Prag
ausgeführte Arbeit von stud. med. G. W. Maly: »Unter-
suchungen über Verwachsungen und Spaltungen von
Blumenblättern«.
Der Secretär legt eine Abhandlung des Herrn J. Sobotka,
Supplent an der k. k. Staatsrealschule im IV. Bezirke Wien,
vor, betitelt: »Einige Constructionen der Schnittcurven
von Umdrehungsflächen mit Ebenen*.
Herr Dr. Alfred Nalepa, Prof. am k. k. Elisabeth-Gym-
nasium im V. Bezirke in Wien, übersendet eine vorläufige
Mittheilung über »Neue Gallmilben« (13. Fortsetzung).
268
Herr Prof. Max Rosen fei d an der k. k. Staatsrealschule
in Teschen übersendet folgende Mittheilung: »Über die Ab-
kürzung der Expositionszeit bei der Erzeugung von
Photographien mit Röntgen-Strahlen«.
Der Secretär legt ein versiegeltes Schreiben behufs
Wahrung der Priorität von Herrn Julius A. Reich, Chemiker in
Wien, vor, welches die Aufschrift führt: »Beschreibung der
Darstellung einer Reihe neuer Verbindungen nach
einem neuen Verfahren«.
Das w. M. Herr Hofrath Director A. Kerner v. Marilaun
überreicht eine Abhandlung vom stud. phil. August Ginz-
berger in Wien: Ȇber einige Laihyrus -Arten aus der
Section Etilathyrus und ihre geographische Ver-
breitung«.
Das w. M. Herr Hofrath Prof. V. v. Lang legt eine Ab-
handlung des Prof. Müller-Erzbach in Bremen vor, mit dem
Titel: »Neue Versuche über die Fernwirkung der Ad-
sorptionskraft und ihre Abnahme bei zunehmender
Dicke der adsorbirten Schichten«.
Herr Hofrath v. Lang übergibt femer eine für die Sitzungs-
berichte bestimmte Fortsetzung seiner »Versuche über
Interferenz elektrischer Wellen«.
Das w. M. Herr Prof. H. Weidel überreicht eine im
I. chemischen Universitätslaboratorium in Wien von Herrn
Johann Heilpern ausgeführte Arbeit: »Über das soge-
nannte Carbothiacetonin«. j
Das w. M. Herr Hofrath Prof. Ad. Lieben überreich/ eine
Arbeit von Herrn Georg Gregor aus dem Universitätslabora-
torium in Czernowitz: »Zur Constitution der Monoäthyl-
ß-Resorcylsäure«.
Herr Dr. Hans Meyer, Assistent bei der Lehrkanzel für
analytische Chemie an der k. k. technischen Hochschule in
Wien überreicht eine Arbeit :»ÜberAnemonin«(I. Mittheilung).
269
Untersuchungen über Verwachsungen und
Spaltungen von Blumenblättern
von
Günther Walther Maly,
stnd. med.
Aus dem botanischen Institute der k. k. deutschen Universität in Prag.
(Mit 2 Tafeln.)
Bekanntlich hat die Untersuchung und die daraus sich
ergebende Deutung des morphologischen Baues angiospermer
Blüthen stets eine grosse Rolle in der Systematik und bei dem
Streben, den phylogenetischen Zusammenhang der Pflanzen-
familien zu erforschen, gespielt.
Erst in den letzten Jahren wurde hiebei von einigen
Forschern die sogenannte »anatomische Methode«, die
hauptsächlich in der Untersuchung des Verlaufes der Gefäss-
bündel in den einzelnen Organen besteht, benutzt^ Dieselbe
sollte Aufschluss geben über den morphologischen Bau der
Blüthe, nämlich über die Dignität der einzelnen Organe und
über die im Laufe der Phylogenie entstandenen Veränderungen
derselben. Dieser Richtung gehört J. Kleines Abhandlung »Der
Bau der Cruciferenblüthe auf anatomischer Grundlage« ^ an.
Diese Arbeit brachte in jüngster Zeit eine mit allen Thatsachen
gut in Einklang stehende Theorie über die viel umstrittene
Entstehung der Cruciferenblüthe und stützte sich bezüglich
1 Vergl. insbesondere: VanTieghem, Recherches sur la structur du
pisül et sur l'anatomie comparee de la fleur. Paris, 1871.
2 Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft, Bd. XII, 1894, S. 18
bis 24; 1. Taf.
270 G. W. Maly,
der Anwendbarkeit der Methode auf eine andere frühere Ab-
handlung des Verfassers: »Untersuchungen über Bildungs-
abweichungen an Blättern«.^
Die Anwendung der anatomischen Methode beruht im
Wesentlichen auf der Überlegung, dass es wahrscheinlich ist,
dass in dem Falle, wenn ein Organ durch Verwachsen der An-
lage zweier entsteht, die schon bei der Anlage vorhandenen
oder vorgebildeten Zuleitungsbahnen, d. i. die Gefässbündel,
erhalten bleiben und so im fertigen Zustande die Verwachsung
andeuten. Anderseits ist es a priori wahrscheinlich, dass bei
vorkommenden Spaltungen die secundären Organe durch pri-
märe ihre Nahrung erhalten, dass also auch hier der Ursprung
der Gefässbündel auf den der Organe hindeutet. Durch Unter-
suchung von individuell auftretenden Verwachsungen oder
Spaltungen muss es sich zeigen, wie die Gefässbündel sich
hiebei verhalten; nur dann, wenn die Verhältnisse den vor-
stehenden Voraussetzungen entsprechen, kann angenommen
werden, dass auch in der Phylogenie vor sich gegangene Ver-
änderungen durch den Gefässbündelverlauf sich erklären und
nachweisen lassen.
J. Klein hat bei seinen bereits citirten Untersuchungen
über Bildungsabweichungen an Blättern, welche einen Beitrag
zur Beantwortung derselben Frage liefern sollten, nur Laub-
blätter in den Gang seiner Untersuchung gezogen. Die in Hin-
blick auf die hier in Betracht kommende Frage wichtigsten
Resultate hat er in folgenden Satz zusammengestellt (I.e. S.61):
»Man findet Blätter, die an einem Stiele eine mehr oder weniger
stark in zwei Theile — jeder mit entsprechendem Mittelnerv —
gesonderte Spreite tragen und findet, dass in diese Blätter
doppelt so viele oder doch mehr Gefässbündel eintreten, als in
die gewöhnlichen; es sind dies also wirkliche Doppelblätter,
die aus der Vereinigung zweier Blätter hervorgegangen sind.
Daneben kommen dann äusserlich ähnlich aussehende Blätter
vor, die oft bis in den Stiel in zwei Theile getrennt sein können,
in welche aber dennoch nur die den gewöhnlichen Blättern
1 Pringsheim, Jahrbücher für wissenschaftliche Botanik, Bd. XXIV,
Heft 3 (1892).
Verwachsungen und Spaltungen von Blumenblättern. 27 1
entsprechende Anzahl von Gefassbündeln eintritt und die daher
nur als getheilte Blätter aufgefasst werden können«.
Aus den Untersuchungen von Laubblättern scheint sich
daher zu ergeben, dass die Voraussetzungen, von denen die
anatomische Methode ausgeht, berechtigt sind. Da diese Methode
auch nach den Untersuchungen Klein's nicht ohne Widerspruch
blieb,^ dürfte es nicht überflüssig sein, durch weitere Unter-
suchungen in dieser Richtung die Richtigkeit dieser entwickelten
Ansicht und Methode zu prüfen. Über derartige Untersuchungen,
zu denen ich durch Prof. Dr. Richard R. v. Wettstein angeregt
und darin auf jede Weise unterstützt wurde, soll im Folgenden
berichtet werden. Zugleich bringen die folgenden Zeilen einen
Nachtrag zu den Untersuchungen Klein's, da sie sich auf
Blüthenblätter im weiteren Sinne des Wortes beziehen.
Als ich die im Vorstehenden präcisirte Aufgabe auf mich
nahm, handelte es sich vor Allem um die Beschaffung eines
diesbezüglichen brauchbaren Materials. Ich begann meine
Untersuchungen mit Blüthen von Primula-Avten, die sich
gewiss in mancher Beziehung als recht brauchbar erwiesen
haben würden, wenn nicht die Spärlichkeit des Materiales das
Gewinnen allgemeinerer Resultate verhindert hätte. Die weiter-
hin untersuchten Blüthen von Syringa setzten wegen der Com-
plicirtheit des Gefässbündelverlaufs und der undeutlichen An-
ordnung der einzelnen Bündel im Kelch, dem Studium ein zu
grosses Hinderniss entgegen. Endlich fand ich in Weigelia
rosea ein Material, das den meisten Anforderungen vollkommen
entsprach. Man findet relativ häufig bei dieser Pflanze eine
grosse Zahl der verschiedensten Abnormitäten besonders in
Bezug auf die Zahl der Blattorgane; diese mögen wohl grössten-
theils dadurch bedingt sein, dass die Blüthen sowohl penta-
als auch tetramer angelegt werden ^ (natürlich letzteres weit
seltener). Diejenigen Fälle, welche also eine Vermehrung oder
Verminderung der Blattorgane zeigten und so auf eine vor sich
gegangene Spaltung oder Verwachsung schliessen Hessen,
gaben bei unseren Untersuchungen das geeignete Material ab.
^ Vergl. z.B. Celakovsky L. in Sitzungsber. der k. böhm. Gesellsch.
der Wissensch. 1894, Nr. III, S. 85.
2 Vergl. auch Eichler, Blüthendiagramme, I, S. 266 (1875).
Siub. d. mathem.-naturw. Gl.; CV. Bd., Abth I. 18
272 G. W. Maly,
Die Methode der Untersuchung erstreckte sich einerseits
auf die mehr makroskopischen Verhältnisse der Blüthe und
Zeichnung derselben mittelst Zeis'schen Zeichenapparates;
ferner auf die Herstellung von Serienschnitten von dem unteren
Theil der CoroUenröhre und des Kelches durch den langen
unterständigen Fruchtknoten bis zum Anfang des eigentlichen
Blüthenstiels. Die Schnitte wurden in einigen Fällen aus freier
Hand, in anderen mittelst Mikrotom nach vorangegangener
Paraffineinbettung, hergestellt Bei letzterer bediente ich mich
des von Koch eingehend beschriebenen Verfahrens.^
Der anatomische Bau der normalen Blüthe von Weigelia
rosea (Taf. I, Fig. 1 A, B) ist im Allgemeinen sehr einfach; Kelch
und Corolle bestehen je aus 5 Blättern, in welche je ein Gefass-
bündel eintritt; zwischen den Corollenblättern regelmässig inter-
polirt stehen 5 Stamina. Die Blumenkronröhre ist ziemlich lang,
sie geht nach unten in den sehr Hangen, stielähnlichen, unter-
ständigen Fruchtknoten über. Die Gefässbündel des Kelches
und der Stamina (Fig. \A;S,K) entspringen aus denselben
Strängen (Fig. 1 B; K-hS); diese bilden mit denen der Corolle
(Fig. 1 A, B; Co) 10 regelmässig in einen Kreis angeordnete Ge-
fässbündelstränge. Diese 10 Bündel sind allein an der Basis der
Kronenröhre zu finden. Das Gynoeceum ist zweiblätterig; die
zuführenden Gefässbündel verlaufen getrennt von den anderen.
Die anscheinend regelmässige Blüthe bildet einen Übergang
von der actinomorphen zur zygomorphen Blüthe. Zu erkennen
ist die Zygomorphie an einem meist etwas grösser entwickelten
Blatte. In dieses Blatt treten in der Regel accessorische Gefäss-
bündel, die sich, im Vergleiche mit den anderen seitlichen
Nebengefässbündeln der CoroUenblätter, ziemlich tief abzweigen
und seitlich einstrahlen.
Ich will nun im Folgenden die Beschreibung einer Anzahl
abnormer Blüthen, die ich über ihren Gefässbündelverlauf unter-
sucht habe, folgen lassen und darzulegen versuchen, inwieweit
ein Zusammenhang zwischen dem Gefässbündelverlauf und der
1 Vergl. Koch L. : Die Paraffineinbettung und ihre Verwendung in der
Pflanzenanatomie. Pringsheim's Jahrb. für wissenschaftl. Botanik, XXI, Heft
Nr. 3, 1890.
Verwachsungen und Spaltungen von Blumenblättern. 273
Art der Abnormität besteht. Bei den bezüglichen Beobachtungen
haben sich zwei Gruppen von Fällen ergeben; in die eine sind
die Fälle zu stellen, welche sich ohne weiteres, d. h. ohne Zu-
hilfenahme von mehr oder weniger gewagten Annahmen er-
klären lassen, die dabei in unserem Falle die wichtigsten sind.
In die zweite Gruppe sind dann die Fälle gebracht, welche, an
und für sich unklar, sich auf Grund der in der Gruppe ge-
wonnenen thatsächlichen Erfahrungen erklären lassen. Sie sind
also nur insoferne als Belege für den Werth der anatomischen
Methode zu nehmen, als sie zeigen, dass dieselbe oft eine Er-
klärung für scheinbar unverständliche Fälle abgibt.
Erste Gruppe.
Blüthe I (Taf. I, Fig. 2 A,B. Q D). Kelch und Corolle vier-
blätterig, 5 Stamina; Kelch wie Corolle besitzen je 5 Gefäss-
bündel. Das Blatt der Corolle, in das zwei Geiassbündel ein-
strahlen (Fig. 2 A, a, b), ist deutlich gekerbt. Die Stamina da-
zwischen regelmässig interpölirt; in der Corollenröhre 10 Bündel
(Fig. 2 B)\ der fünfeckige Kelchquerschnitt zeigt die nahezu
regelmässige Anordnung der (inclusive Kelch) 15 Bündel
(Fig. 2 C), die durch Vereinigung des Kelches und der Stamina
weiter unten auf 10 sich reduciren (Fig. 2 D) und so auch
getrennt nach abwärts verlaufen. Die aus dem Gesammtaus-
sehen zu entnehmende Zurückführbarkeit der tetrameren
Corolle auf die Verwachsung zweier CoroUenblätter findet im
Gefässbündel verlauf ihre Bestätigung; mit Verminderung
der Zahl der Organe ist keine Verminderung in der
Zahl der Gefässbündel verbunden.
Blüthe II (Fig. 3 A, B, Q D, E). Dreiblätterige Corolle mit
5 Hauptgefässbündeln (Fig. 3 A)\ 5 regelmässig interpolirte
Stamina; der dreiblätterige Kelch mit einem vierten zarten,
kleinen Zipfel enthält vier Gefässbündel (Fig. 3 E). Anordnung
der Bündel im Kelchquerschnitt regelmässig und normal bis
auf das fehlende des Kelches (Fig. 3 C); weiter unten die nor-
male Zahl von 10 Bündeln (Fig. 3 D). Die Form des Quer-
schnittes trotz der dreiblätterigen Corolle annähernd fünfeckig.
Dieser Fall ist dem ersten sehr ähnlich und bildet nur einen
höheren Grad der Verwachsung von Corollenblättern. Auch in
18*
274 G. W. Maly,
diesem Falle hat das Verwachsen von Blättern keinen
Einfluss auf die Zahl der Gefässbündel, welche die ur-
sprüngliche Zahl der Blüthentheile noch anzeigen.
Blü the III (Fig. 4 A, B, C, A E, F, G). Vierblätterige Corolle,
fünfspaltiger Kelch, 5 Stamina; jeder dieser drei Kreise von
Blattorganen erhält 5 Gefässbündel in regelmässiger Anordnung
(Fig. 4 A, B). Die Verwachsung von zwei Corollenblättern zu
einem ist wegen der starken Kerbung leicht zu erkennen. Der
Querschnitt durch die Kronenröhre zeigt vollständig regel-
mässigen Bau; 10 Gefässbündel im Kreise geordnet (Fig. 4 B).
Gegen den unteren Theil der Kronenröhre und weiter im Frucht-
knoten nähern sich zwei Bündel (Fig. 4 D, E, b, c) so sehr, dass
sie zu einem grösseren verschmelzen (Fig. A F,G{b c]). Die
bedeutendere Querschnittsfläche dieses Bündels berechtigt zu
der Annahme, dass es sich hier nicht um eine Spaltung des
Bündels, sondern um den anfänglich vereinten Verlauf zweier
Bündel handelt. Mit dieser wohl richtigen Annahme haben wir
wieder einen der Blüthe I analogen Fall, bei dem ohne Ände-
rung in Zahl und Anordnung der Gefässbündel eine
Verwachsung zweier Corollenblätter eintritt.
Die besprochenen drei Fälle sind Beispiele von Ver-
wachsung von Blattorganen, die aus der blossen Beobachtung
der Thatsachen deutlich zu ersehen ist. In allen Fällen zeigte
es sich, dass die Zahl der Gefässbündel der regel-
mässigen CoroUe entsprach, dass mithin die Ver-
wachsung auf die erblich festgehaltene Anordnung
der Gefässbündel keinen Einfluss hat.
Reine Spaltungen von Blüthentheilen, die sich natürlich
nur an mehr als fünfgliedrigen Blüthen, also meist an sechs-
blätterigen (siebenblätterige sehr selten schon und von com-
plicirterem Verhalten) Blüthen beobachten lassen, kommen
nicht häufig vor. Vielfach zeigen diese Spaltungsfälle mehr oder
weniger unregelmässige Verhältnisse, die sich nur unter Zu-
grundelegung verschiedener Annahmen erklären lassen und
die ich daher in der schon erwähnten zweiten Gruppe theil-
weise anführe.
Blüthe IV (F^ig. 5 A, B, C, D,E). Sechsgliedrige Blüthe;
die einzelnen Glieder der drei äusseren Blattkreise annähernd
Verwachsungen und Spaltungen von Blumenblättern. 275
gleich; jeder Blattkreis erhält sechs Hauptgefässbündel(Fig.5>B).
Am Kelch sind zwei Blätter etwas länger miteinander ver-
wachsen. An der Blüthe sind zwei Stamina von ihrem An-
heftungspunkt an der CoroUe aneinander etwas genähert, so
dass das Gefässbündel zwischen diesen zum entsprechenden
Blatt verlaufend, gedeckt wird, hier aber noch nicht zur Ver-
einigung kommt (vergl. Fig. 5 -4, die Gefässbündel a, b, c). An
den obersten Schnitten sind in der Corollenröhre 12 Gefäss-
bündel enthalten in (bis auf die zwei genäherten Bündel) regel-
mässiger Anordnung (Fig. 5 B).
Ein wenig tiefer, aber noch bevor die Bündel des Kelches
sich mit denen der Stamina vereinigen, treten die zwei ge-
näherten zu einem zusammen, wodurch eine Reduction auf 1 1
stattfindet (Fig. 5 C, D, a^b). Erst ziemlich tief unten im Faicht-
knoten findet eine abermalige Vereinigung zweier Bündel statt
(Fig. 5 D, E, d, e). Somit ist man auf die normale Zahl von 10
gekommen; dies findet doch noch oberhalb der Stelle statt, an
der sich die gesammten Bündel zu einem Fibrovasalring ver-
einigen. Aus der Untersuchung dieses Falles geht also klar
hervor, dass das Entstehen einer sechsgliedrigen Blüthe
aus einer pentamer angelegten, durch Spaltung einzelner
Glieder sich im Gefässbündelverlauf deutlich aus-
drückt.
Blüthe V (Fig. 6 A, B, C, D, E, F, G), Sechsspaltiger Kelch;
sechsblätterige Corolle; sechs Staubgefässe, von denen drei mit
dem Griffel eng zu einem Bündel verwachsen sind, an welches
sich auch die anderen Stamina weiter unten theilweise an-
schliessen (vergl. Fig. 6 A, und B ein Schnitt durch den unteren
Theil der Corolle). Die ganze Blüthe ist ziemlich klein und
macht den Eindruck vollständiger Unregelmässigkeit, die sich
aber löst bei Untersuchung von Schnitten durch Kelch und
Fruchtknoten. Bei Fig. 6 C ist schon annähernd, bei Fig. 6 D
schon vollständige Ordnung in der Anordnung der Gefässbündel
eingetreten; wir finden hier 12 Hauptgefässbündel, nur haben
sich an drei Ecken des sechseckigen Querschnittes die Bündel
der Stamina und des Kelches noch nicht vollständig vereinigt.
Weiter unten in Fig. 6 E findet eine zur Vereinigung führende
Näherung der Bündel c und d statt; endlich vereinigt sich nicht
276 G. W. Maly,
viel oberhalb des Zusammentretens sämmtlicher Bündel zum
Fibrovasalring (Fig. 6 F, G) das Bündel a mit dem kleineren b.
Dieser dem vorhergehenden ähnliche Fall zeigt wieder, dass
aus einer fünfgliedrigen Anlage einer Blüthe durch Spaltung
eine sechsgliedrige entstehen kann und sich dies im Gefäss-
bündelverlauf deutlich zu erkennen gibt. Interessant ist
hier auch der Befund, dass auch, wie aus den Querschnitten
des Gynoeceums hervorgeht, dieses weiter oben aus 3 CarpeJI-
blättern (Fig. 6 F) besteht, während unten die zwei normalen
sich vorfinden (Fig. 6 G). Dies spricht dafür, dass in diesem
Falle auch die Fruchtblätter eine Spaltung aufweisen.
Blüthe VI (P^ig. 7 A, 5, C A E, F, G, H, I). Dieser F^all, ein
Beispiel einer multiplen Spaltung, gehört eigentlich schon in die
zweite Gruppe nicht so klar übersehbarer Fälle; er wurde nur
mit Berücksichtigung des Gefässbündelverlaufs im oberen
Theil der Blüthe und im Fruchtknoten hierhergestellt. Kelch
fünfspaltig, von den Zipfeln zwei länger miteinander verwachsen,
erhält aber sechs Hauptgefässbündel nebst einigen acces-
sorischen, die sich nach unten bald vereinigen. Corolle rein
sechsblätterig mit sechs regelmässig interpolirten Staubgefässen
(Fig. 7 A), Ein Schnitt durch den oberen Theil des Kelches
zeigt in diesem und der Corollenröhre das Bild einer regel-
mässigen sechsgliedrigen Blüthe (Fig. 7 B). Weiter unten, wenn
wir die Schnitte von oben nach unten vorschreitend ansehen,
erfolgt eine mannigfaltige Vereinigung von den 18 letztgebildeten
Bündeln. Diese Vereinigung findet nicht in der einfachen Weise
statt wie bei den beiden früher besprochenen Fällen, sondern
es treten Verschiebungen auf, welche eine leichte Übersicht
schwer machen. Eine eingehende Schilderung dieser Vorgänge
dürfte aber überflüssig sein, da das Wesentliche leicht aus
einem Vergleiche der Querschnitte zu entnehmen ist (Fig. 7 C,
D, E, F, G, H), Die Bündel, die aus der Spaltung eines ent-
standen sind, wurden mit punktirten Linien umzogen, um die
Übersicht zu erleichtern. In Fig. 7 / endlich, einen Schnitt
durch den Fruchtknoten, zeigen sich 8 Gefässbündel (abge-
sehen von denjenigen zweien, welche zu den Carpellblättern
gehen), welche acht sich durch den ganzen Fruchtknoten herab
bis zum Beginne des Stiels verfolgen lassen. Es liegt also hier,
Venvachsungen und Spaltungen von Blumenblättern. 277
wenn man (nur) das Anfangs- und Endresultat der Unter-
suchung berücksichtigt, ein Beispiel complicirter Spaltungsvor-
^änge vor, durch welche aus einer viergliedrigen Anlage eine
sechsblätterige Blüthe sich entwickelt. Trotz der Complication
ist aber der Gesammtbau aus einer Betrachtung des Gefäss-
bündelverlaufes im untersten und obersten Theil der Blüthe
leicht zu enträthseln.
Diese angeführten Fälle zeigen, dass früh eintretende
Spaltungen und damit Vermehrung von Blüthentheilen,
nicht zur Anlage einer entsprechenden vermehrten
Zahl getrennter primärer Gefässbündel führen, son-
dern dass auch in diesen Fällen die der betreffenden
Blüthe zukommende Zahl von Gefässbündeln fest-
gehalten wird. Eine Vermehrung in der Zahl von Blatt-
organen wird nur durch Spaltung primärer, wenn auch kurz
nach der ersten Anlage, herbeigeführt.
Im Anschluss an die im Vorstehenden besprochenen Bei-
spiele von Verwachsung und Spaltung, die schon bei oberfläch-
licher Betrachtung der Blüthe ganz offenbar waren und daher
zur Prüfung der hier behandelten Frage von Werth waren,
möchte ich noch einige Fälle anführen, bei welchen die vor-
kommenden Abnormitäten nicht an und für sich leicht ver-
ständlich wären, für die aber mit Zugrundelegung der im Vor-
stehenden gewonnenen Resultate und Erfahrungen eine Er-
klärung versucht werden soll, da die Möglichkeit des Auffindens
einer befriedigenden Erklärung immerhin auch als Beweis für
die Verwendbarkeit der Methode angesehen werden kann.
Z^veite Gruppe.
Blüthe VII {Fig. 8 A, B, Q D), Kelch und Corolle vier-
blätterig; 4 Stamina regelmässig den CoroUenblättern interpolirt
(Fig. 8-4). Wenn wir die Querschnitte durch die Corolle unter-
suchen, so finden wir zwei getrennte, den übrigen annähernd
gleich grosse Gefässbündel a, b für das eine Staubgefäss
(Fig. 8 B), die in dieses einstrahlen und auch an der Blüthe mit
einfacher Lupenvergrösserung sichtbar sind. Die übrigen Ge-
fässbündel sind gemäss der Tetramerie regelmässig angeordnet
und die Form des Querschnittes viereckig (Fig. 8 C). Die beiden
278 G. W.Mal y.
erwähnten Gefässbündel a und b vereinigen sich weiter unten,
so dass wir im Fruchtknoten 8 regelmässig vertheilte Bündet
haben (Fig. 8 D.)
Was für einen Schluss kann man daraus ziehen? Die
Blüthe war tetramer angelegt; das Androeceum aber behielt die
erblich festgehaltene Pentamerie, was in der Weise zum Aus-
druck kam, dass sich ein fünftes Gefässbündel des inneren
Kreises abspaltete, das dazugehörige Blattorgan sich aber
wegen Platzmangel nicht ausbilden konnte und so mit dem
ersteren innig verwuchs.
Blüthe VIII (Fig. 9^5, QD,E). Kelch und Corolle vier-
blätterig; 5 Stamina, von welchen zwei ein längeres Stück des
freien Theils verwachsen sind; das dazugehörige Corollenblalt
besitzt zwei Hauptgefässbündel und ist am Aussenrand ein
wenig gekerbt (Fig. 9 A). Wie aus den Querschnitten (Fig. 9 Ä
C, D, E) zu ersehen ist, entspringen durch Spaltung die zwei
Bündel des Corollenblattes a und b, ferner auch das des
zwischen ihnen befindlichen Stamens c aus einem gemein-
schaftlichen Bündel e (Fig. 9 £; a+^-t-^ = e). Auf diese Weise
lässt sich die ganze Anlage auf eine tetramere zurückführen,
mit welcher auch die Vierseitigkeit des letzten Querschnittes
übereinstimmt. Dieser Fall ist dem vorher beschriebenen einiger-
massen analog; es hat sich hier das erbliche Festhalten an der
Pentamerie auch auf die Corolle erstreckt und weiter ausge-
bildet (der Kelch ist jedoch vierspaltig geblieben) und die
wegen Raummangel folgende Verwachsung ist nicht so innig
geworden wie im vorangehenden Fall.
Blüthe IX (Fig. 10^,5, QD,E,F), Corolle vierblätterig:
Kelch fünfzipfelig; vier Staubgefässe. In das eine Corollenblatt,
das am Rande deutlich gekerbt ist, laufen zwei Gefässbündel
getrennt ein. Das dazwischengehörige Stamen fehlt (Fig. 10 A,B).
An den Kelchschnitten mangelt dementsprechend das Gefäss-
bündel für dieses; wohl aber ist das correspondirende Kelch-
bündel (Fig. 10 C, r) an seinem Platze und zu beiden Seiten die
zwei des Corollenblattes a, b. Die Anordnung der anderen
Bündel ist regelmässig; weiter unten die normalen 10 Bündel
(Fig. 10£), von denen das eine (c), nur dem Kelchblatt ent-
sprechend, bedeutend schwächer ist. Es kam also hier wahr-
Verwachsungen und Spaltungen von Blumenblättern. 279
scheinlich zur Verwachsung der zwei Corollenblätter in Folge
des Ausfalles eines Stamens sammt Gefässbündel und in Folge
des dadurch bedingten Aneinanderrücken der ersten Anlagen
dieser Corollenblätter.
Versuche ich es nun, die Resultate der im Vorstehenden
tnitgeth eilten Untersuchungen zu präcisiren, so lauten sie:
1. Der Gefässbündelverlauf ist in der normalen
Blüthe von Weigelia rosea ein ganz regelmässiger und
gleichbleibender. Es treten in die Blüthe so viele
Gefässbündel ei n, dassjedes Glied des Kelch-CoroUen-
Staubblattkreises je ein Hauptgefässbündel erhält;
die Staminal- und Kelchbündel verlaufen eine grosse
Strecke vereinigt.
2. Dieser normale Gefässbündel verlauf bleibt auch
in solchen Blüthene rh al te n, indenen durch Spaltungen
oder Verwachsungen Abweichungen in der Zahl der
Blüthentheile zu Stande kommen, so dass derselbe
Anhaltspunkte zur Beurtheilung der stattgehabten
Veränderungen abgibt.
280 G.W. Maly, Verwachs, und Spalt, von Blumenblättern.
Figuren-Erklärung.
Die mit A bezeichneten Figuren stellen an einer Seite aufgeschlitzte
Corollen von Weigelia rosea dar. Dieselben wurden bei siebenfacher Vergrösse-
rung nach Behandlung mit Kalilauge mittelst des Zeiss'schen Zeichen-
apparates gezeichnet und hierauf auf eine Vergrösserung von l^!^ reducirt
Durch ununterbrochene rothe Linien wurden die in die Staubblätter verlaufenden
Gefässbündel gekennzeichnet, unterbrochene rothe Linien deuten den Gefass-
bündelverlauf in den Corollenblättern an.
Die Figuren B — I zeigen Querschnitte durch basale TheUe der Blüthe
der mit denselben Nummern versehenen Corollen in absteigender Folge. Es
wurden aus den Querschnittserien nur einzelne markante Schnitte zur Darstel-
lung ausgewählt. — K bedeutet in allen Fällen: in ein Kelchblatt verlaufendes
Gefässbündel; Co = Gefässbündel eines Corollenblattes ; 5 = Gefässbündel
eines Staubblattes.
G.W.Haly : VerwadisuiigBRU.Spaltaiigen von Blumenblätteni
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Sitzungsberichte d. kais. Akad. d. Wiss., math.-naturw.Qasse, Bd.CV. Abth.1. 1896.
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Sitzungsberichte d.kais. Akad. d. Wiss., math.-naturw.Classe, Bd.CV. Abth I. 1H96.
281
Ober einige Lathyrus -Arten aus der Seetion
Eulathyrus und ihre geographische Ver-
breitung
von
stud. phil. August Ginzberger.
(Mit 1 Tafel, 2 Kartenskizzen und 1 Textfigur.)
Die Artengruppe des Lathyrus silvestris L. wurde von
jeher als die typische Seetion der Gattung Lathyrus betrachtet
und demgemäss von allen Autoren, die überhaupt den Sections-
namen Eulathyrus acceptirt haben, dieser Gruppe beigezählt,
obwohl im Übrigen der Umfang der mit dem Namen Eulathyrus
bezeichneten Artengruppe bei verschiedenen Botanikern ein
sehr verschiedener ist. Der Name Eulathyrus findet sich zum
erstenmale in De Candolle*s* Prodromus. Seringe, der
Autor des Namens, gibt für seinen Eulathyrus folgende Merk-
male an: Vexillum basi edentatum; foliola opposita vel abortu
nuUa; petiolus anguste alatus. In diesem Sinne umfasst Eula-
thyrus eine sehr grosse Anzahl von Arten; es sei hier nur
erwähnt, dass darunter nicht nur ausdauernde, sondern auch
einjährige Arten vorkommen.
Viel weniger umfangreich ist Alefeld's* Eulathyrus, doch
umfasst auch dieser einige einjährige Arten (z. B. Lathyrus
annuus). Nyman^ dagegen versteht unter Eulathyri nur aus-
dauernde Arten mit folgenden Merkmalen: Stylus tortus arcua-
tusque, inferne tubulosus; flores magni vel majusculi. Ungefähr
J Pars II (1825), p. 369.
- Ȇber Vicieen< in Bonplandia, IX (1861), S. 150.
3 Conspectus flor. Europ., p. 201.
282 A. Ginzberger,
dieselben Merkmale gibt Boissier^ für Eulathyrus an; er fügt
aber noch hinzu: vexillum basi non callosum, petioli
omnes foliiferi. Taubert gibt in seiner Bearbeitiyig der Legu-
minosen in »Engler und Prantl, Natürliche Pflanzenfamilien ^-
für Eulathyrus dieselben Merkmale an.
Die amerikanischen Arten der Section Eulathyrus im Sinne
Nymans, Boissier's und Taubert*s, welche alle von den
europäisch-orientalischen erheblich abweichen, habe ich von
vornherein ausgeschlossen; keine der letzteren kommt zugleich
in Amerika vor.
Von den europäisch-orientalischen Arten blieben zunächst
zwei unberücksichtigt, bei denen der Blattstiel nicht in eine
Wickelranke, sondern in eine oft etwas gekrümmte Stachel -
spitze endigt; es sind Lathyrus roseus Steven und Lathyrus
nervosus Boissier. Auch die übrigen Arten mit ungeflügelten,
respective sehr schmal geflügelten Stengeln {Lathyrus tube-
rosus L., Lathyrus grandißorus Sibth. und Sm.) wurden aus-
geschlossen.
Die sonach verbleibenden Arten der Section Eulathyrus
(im Sinne Nyman's, Boi ssiers und Taubert's) gehören zur
näheren Verwandtschaft des Lathyrus sylvestris L.; sie allein
sind Gegenstand der vorliegenden Arbeit.^ Es sind perennirende
Pflanzen mit einem vierkantigen bis rundlich - vierkantigen
Stengel, der eine mehr oder minder stark zickzackförmige
Gestalt erkennen lässt; derselbe ist namentlich im unteren
Theile der Länge nach gerillt. Er ist bei den meisten Arten
niederliegend und klettert vermittelst seiner Ranken, nur bei
Lathyrus pulcher Gay ist er aufrecht. Seine Verästelung ist
wenigstens im oberen und mittleren Theile gering. An zwei
gegenüberliegenden Kanten des Stengels, und zwar jenen, an
welchen keine Blätter entspringen, verläuft je ein blattartiger
Flügel, welcher gegen den unteren Theil des Stengels immer
schmäler wird und ganz unten verschwindet. Die Stengel-
1 Flora Orient., tom. II, p. 600.
^ L. c. III, 3, p. 354.
3 Man könnte diese Arlengruppe mit dem Gesammtnamen PUrygocladi
bezeichnen.
LaihyntS' Arten aus der Section Enlathynis. 283
tlügel sind übrigens bei den verschiedenen Arten von sehr
verschiedener Breite, fehlen aber niemals ganz. Ihr Rand ist
entweder glatt oder mit vereinzelten bis sehr dicht stehenden
Zähnchen besetzt, auf deren Spitze man bisweilen ein feines
Haar bemerkt.
Die Blätter sind wechselständig. Der Blattstiel ist von
seinem Insertionspunkt am Stengel an bis zum ersten Blättchen-
paar jederseits mit einem blattartigen Flügel besetzt, welcher
sich im übrigen so wie der Stengelflügel verhält. Er liegt stets
in der Ebene der Blättchen. Der über dem letzten Blättchen-
paare liegende Theil des Blattstieles ist bei den untersten
Blättern in eine kurze Spitze verwandelt, welche bei den
nächst höheren in eine einfache Ranke übergeht. Die mittleren
und oberen Blätter tragen an der Hauptranke meist 1 — 2,
seltener 3 Paare von Nebenranken, welche als modificirte
Blättchen zu betrachten sind. Wie die Nebenranken sind auch
die Blättchen, welche übrigens an allen Blattstielen vor-
kommen, meist gegenständig. Normalerweise stehen an einem
Blattstiel bei den meisten Arten nur je zwei stets ungestielte
oder sehr kurz gestielte Blättchen, nur Lathyrns heterophyllus
L. \xnd Lathyrus cirrhosns Set Inge machen davon eine Aus-
nahme. Die Blättchen an den Seitenästen sind meist erheblich
kleiner als die des Hauptstammes, pie Gestalt der Blättchen
ist ausserordentlich verschieden; alle Formen von lineal bis
fast kreisrund sind vertreten. Ein Stachelspitzchen ist stets
vorhanden. Der Rand der Blättchen zeigt niemals irgendwelche
Einschnitte. Sehr charakteristisch ist die Nervatur (siehe Tafel,
Fig. 1 — 7). Bei allen Arten mit Ausnahme von Lathyrns rotundi-
folins Willd. und zum Theile auch Lathyrns cirrhosns
Seringe sind die Blättchen wenigstens dreinervig (Fig. 1—3),
d. h. von den am Grunde des Blättchens entspringenden Nerven
sind wenigstens die zwei dem Mittelnerv benachbarten so stark
als dieser und laufen, ohne Schlingen zu bilden, also ohne von
ihrer Richtung abzuweichen, bis zur Spitze des Blättchens, in
welcher sie endigen; nur ganz nahe der Spitze bilden sie öfter
eine oder zwei schwache Schlingen. Im ganzen laufen 5 bis
9 Nerven der Länge nach durch das Blättchen, aber nur die
drei mittleren haben die eben erwähnten Eigenschaften; nament-
284 A. Ginzberger,
lieh gilt letzteres für breite Blättchen (Fig. 3), während in
schmalen Blättchen auch die übrigen Nerven ohne Schlingen-
bildung die Spitze erreichen (Fig. 1, 2). Zwischen den Läng^s-
nerven ist ein ziemlich dichtes Adernetz ausgebreitet. Mit
Rücksicht auf das etwas abweichende Verhalten der beiden
oben genannten Arten Lathyrus roiundifolius Willd. und
cirrhosus S e r i n g e muss hier kurz auf die Nervatur der
Blättchen des Lathyrus tuberosus L. und grandiflorus Sibth.
et Smith eingegangen werden (Fig. 4, 5). Dieselben sind im
Gegensatze zu jenen der übrigen Arten entschieden als ein-
nervig zu bezeichnen. Die zwei ersten Seitennerven ent-
springen zwar auch fast immer am Grunde des Blättchens,
sind aber nie .so stark wie der Mittelnerv und bilden überdies
schon im ersten Drittel oder in der ersten Hälfte des Blättchens
grosse Schlingen. Lathyrus rotundifolius Willd. nun nimmt
bezüglich der Nervatur eine intermediäre Stellung ein (Fig. 6).
Bei dieser Art nähern sich die Seitennerven bezüglich ihrer
Stärke dem Mittelnerv zwar mehr, als dies bei Lathyrus tube-
rosus L. und grandiflorus Sibth. et Smith der Fall ist, zeigen
aber in der zweiten Hälfte des Blättchens deutliche Schlingen-
bildung; daher erscheinen die Blättchen grösstentheils ein-
nervig. Minder ausgesprochen und nicht immer findet man
dieses intermediäre Verhalten bei Lathyrus cirrhosus Se ringe
(Fig. 7).
Die Nebenblätter sind stets vorhanden und immer halb-
pfeilförmig. Beide Theile des Nebenblattes sind zugespitzt,
übrigens von sehr verschiedener Gestalt; an ihrer Grenze, der
Insertionsstelle gegenüber steht oft ein kurzer Zahn. Der nach
vorne (oben) gerichtete Theil des Nebenblattes ist stets länger
und breiter als der andere.
Bei allen Arten sah ich bei Betrachtung mit der Lupe die
Blättchen, namentlich an der Oberseite, bei einigen auch die
anderen blattartig entwickelten Organe (Flügel, Nebenblätter)
dicht besäet mit helleren, fast weisslichen Punkten, eine Er-
scheinung, die auf die sehr lockere, grosslückige Beschaffenheit
des Mesophylls zurückzuführen ist.
Die Blüthen stehen in einseitswendigen, blattwinkelstän-
digen Trauben, welche sich vornehmlich am Hauptstamme
Laihy ms -Arten aus der Section Eulathynts. 285
finden. Die Blüthenstiele sind rund und fein gerillt. Mindestens
die untere Hälfte jedes Blüthenstiels ist frei von Blüthen. Die
Blüthenstielchen sind durch schmal-lanzettliche bis borstliche
Bracteen gestützt, welche zuweilen sehr kurz sind. Die Blüthen
stehen oft zu zweien dicht neben einander. Die Zahl der an
einem Blüthenstiele stehenden Blüthen ist niemals kleiner als
zwei; die grösste beobachtete Blüthenzahl war 16.
Die Kelchzähne sind stets mehr oder weniger ungleich;
die oberen sind am kürzesten, der untere am längsten.
Die Farbe der Blumenkrone ist nie gelb o'der gelblich,
sondern enthält verschiedene Nuancen von Roth, bei manchen
.Arten mit starker Beimengung von Grün. Übrigens ist aus den
Herbarexemplaren bezüglich der Blüthenfarbe kaum etwas
zu erkennen.
Der Griffel ist stets stärker oder schwächer gekrümmt, und
zwar einfach, seltener S-förmig. Auf der flachen Oberseite der
Spitze ist er gebartet (Fig. 8); da er jedoch um seine Axe
gedreht ist, so ist die gehärtete Seite, wenn man die in ihrer
natürlichen Lage befindliche Blüthe von vorne betrachtet, nach
links gewendet. Der Griffel bleibt auch noch nach dem Ver-
blühen stehen und fehlt erst an reifen Hülsen in den meisten
Fällen. Dabei ändert er seine Lage zu den Hülsen in auffälliger
Weise. Denn während er an noch jungen Früchten nach auf-
wärts gerichtet ist und mit der Axe derselben beiläufig einen
rechten Winkel einschUesst, ist er an mittelgrossen gerade
vorgestreckt, bei erwachsenen nach abwärts gerichtet.
Die reifen Hülsen sind länglich, mehrmals länger als breit
und haben entweder gerade und parallele Ränder oder sind
nach vorne verbreitert. Auch können die Ränder etwas ge-
schwungen sein. Die Hülsen sind mehr oder weniger stark
seitlich zusammengedrückt, stets vollkommen kahl und stärker
oder schwächer erhaben netzaderig. Am Grunde sind sie
bleibend vom Kelche umschlossen, am Ende aber von einer
etwas gekrümmten Spitze, dem Reste des abgefallenen Griffels,
gekrönt. Längs der Rückennath verläuft zwischen zwei Längs-
nerven eine ziemUch hohe, am Rande oft schwach wellig ge-
zähnte Längsleiste. Beim Aufspringen dreht sich jede der
beiden Hälften der Hülse schraubig zusammen.
286 A. Ginzberger,
Die Samen sind Von verschiedener Grösse. Die Gestalt ist
kugelig, walziich oder seitlich zusammengedrückt, die Farbe
braun bis schwarz. Die Oberfläche ist von gröberen oder
feineren, bisweilen mit freiem Auge nur undeutlich sichtbaren,
stumpfen Wülsten dicht bedeckt. Der Samennabel ist lineal,
von weisser Farbe und im Verhältniss zum Umfang des Samens
von verschiedener Grösse.
Sämmtliche hier behandelte Arten machen auf den ersten
Blick den Eindruck ganz kahler Pflanzen; erst bei näherer
Betrachtung* bemerkt man an verschiedenen Organen, vor-
nehmlich an den Spitzen der noch unentwickelten Blüthen-
stiele kurze einzellige Haare. Auch der Saum des Kelches ist
meistens flaumig bis kurzwimperig. Ausser den Haaren findet
man noch bei einem Theil der Arten an verschiedenen Organen,
namentlich Blättchen und Fruchtknoten, sehr kleine braune
Drüsen, die ohne Lupe selten zu sehen sind (Fig. 9 — 11). Sie
erzeugen eine feine, mehr oder minder dichte, hellbraune bis
fast schwarze Punktirung des Organes, welches sie trägt. Bei
Betrachtung unter dem Mikroskop erweisen sich diese Drüsen
als keulenförmige Trichome, die aus einer kurzen, farblosen
Stielzelle und zwei umfangreicheren, mit einem hell- bis
dunkelbraunen Inhalt — häufig zerfällt derselbe in einen
helleren und einen dunklen Theil — erfüllten Zellen bestehen.
Trichome von ähnlicher Beschaffenheit hat Fritsch^ bei
einigen gelbblühenden Orobus-Arten nachgewiesen; dieselben
haben also möglicherweise unter den Vicieen eine weitere
Verbreitung.
Bevor ich zur Schilderung der einzelnen Arten übergehe,
möchte ich einige von mir beobachtete Fälle von Bildungs-
abweichungen anführen. Die meisten derselben beziehen sich
auf die Umwandlung von Blättchen in Ranken und umgekehrt.
Pen zig 2 erwähnt diese Erscheinung nur von L. silvestris; ich
konnte dieselbe bei anderen Arten constatiren. In einigen
Fällen (L. pulcher, heterophyllus, cirrhosus) ist an Stelle eines
1 ȟber einige Orobus-Kvien und ihre geographische V^erbreitung. Ser. I.
Lutei.« Diese Sitzungsberichte, Bd. CIV, Abth. I, Mai 1895, S. 493.
2 Ptlanzen-Teratologie, Bd. I, S. 399.
Lathyrus- Arien aus der Section Eulathyrtts. 287
Blättchens hie und da eine Ranke ausgebildet, und zwar ent-
weder in der Weise, dass die beiden zu einem Paare gehörigen
Blättchen in Ranken verwandelt sind (L, heterophylhis var. tmi-
jiigns) oder nur eines derselben (L, heterophylhis, pnlcher,
cirrhosiis). In letzterem Falle steht also einem Blättchen eine
Ranke gegenüber, und die Zahl der Blättchen ist eine ungerade.
Ebenso kann bei Arten, die gewöhnlich nur zwei Blättchen
haben, eine oder zwei Seitenranken in Blättchen verwandelt
sein (L. megalanthtis vom äar-Dagh, L. pulcher, angustifolius).
Zwischen den normal entwickelten Ranken einer- und den
Blättchen anderseits gibt es verschiedene Übergänge. Zuweilen
endigt der über die Spitze eines sonst normalen Blättchens
verlängerte Mittelnerv in eine kurze, spiralig eingerollte Ranke
(L. silvestris, L, cirrhosus, L. pulcher, L. megalanthus vom
Sar-Dagh [Fig. 12]); bei einem Exemplar von L. heterophyllus
var. unijugus (Klädesholm) fand ich eine Ranke, welche auf
der einen Seite eine halbe Blattspreite trug (Fig. 13). über-
zählige Blättchen sind meist sehr schmal (L. heterophyllus)^
bei L, cirrhosus fand ich sie ziemlich stark gekrümmt. Ab-
weichungen von der gegenständigen Stellung der Blättchen
und Seitenranken traf ich bei L. heterophyllus an; auch fehlte
hier von den zwei Seitenranken eines Paares die eine bisweilen
gänzlich.
Bei dem schon mehrfach erwähnten L. megalanthus vom
Sar-Dagh fand ich ein Blatt, dessen eines Nebenblatt viel
kleiner war als die übrigen, auch eine andere Gestalt hatte
(Fig. 14). Ein anderes Blatt desselben Exemplares hatte zwei
solcher kleinerer Nebenblätter. Bei einem Exemplar von L.
pnrpureus (Auch; hb. Keck) ist der nach rückwärts gerichtete
Theil bei mehreren Nebenblättern in zwei, bei einem sogar in
drei spitze, schmale Zipfel gespalten, bei einem anderen der-
selben Art (Lyon, hb. Z.) der vordere Theil in einen grösseren
und einen kleineren Zipfel getheilt. Den Zahn an der Grenze
des vorderen und hinteren Theiles des Nebenblattes fand ich
an einem Exemplar von L. heterophyllus (Cortina, hb. K.) statt
einfach doppelt.
Sitzb. d. maüiem.-naturw. Gl.; CV. Bd., Abth. I. 19
288 A. Ginzberger,
Lathyrus silvestris Linne, sp.pl., ed. I (1753), tom. II, p. 733:
non Desfontaines, Fl. Atlantica (1800). tom. II, p. 161;
non Moris, FI. Sardoa (1837), tom. I, p. 679;
non Gussone, Fl. Siculae prodr. (1843), tom. 11, p. 415;
non Munby, Flore d'Algerie, ed. II (1847), p. 78;
non Visiani, Fl. Dalmat. (1852), vol. III, p. 329;
non Tornabene, FL Sicula (1887), p. 220.
Sy n. L. variegaiusGiXihtvi, Exercitia phytolog., vol. I, plant. Lithuan. (1792),
p. 260.
non Host, Fl. Austr. (1827), tom. II, p. 327;
non Grenier et Godron, Flore de France (1848), tom. I, p. 485.
L. silvestris var. ß) oblongus Seringe, in DeCandolle, Prodr., pars II
(1825), p. 369.
L. silvestris var. a) angustifolius Reichenbach, Fl. Germ. exe. (1830
bis 1832), p.535; Neilreich, Fl. v. Niederösterreich (1859), p. 967.
L. silvestris a) genuinus Grenier et Godron, Flore de France (1848),
tom. I, p. 483.
L. silvestris und var. 1. vulgaris und 2. ensifolins A.\t{t\d in Bonplandia,
IX (1861), p. 153.
L. silvestris var. a) typicus Beck, Fl. v. Niederösterreich (1892), 2,1,
p. 884.
Icones. Flor. Danica, Heft6 (1767), tab. 325. — English botany, vol. III
(1864), tab. 402.
Varietäten.
a) L. silvestris var. platyphyllus Retzius, Flor. Scandin. prodr., ed. II
(1795), p. 170; sine descriptione;
non L. platyphyllus Gouault in Revue horticode, scr. IV, tom. III (1854),
p. 321.
Syn. L. silvestris var. angustifolius Schkuhr, Botan. Handbuch (1796), II,
S. 355;
L. silvestris var. ß) latifoUus Grenier et Godron, Flore de France,
(1848), tom. I, p. 483.
X. silvestris var. ß) intermedius La motte, Prodr. de la flore du plateau
central de la France (1877), tom. I, p. 224.
Icones. Rivinus. Introd. in rem herb. (1690), 2. Theil, Tab. 39; als L. syl-
vaiicus.
Flor. Danica, Heft 14 (1780), Tab. 785.
b) L. silvestris var. tiroliensis mihi.i
1 Hieher gehört wohl auch Lathyrus silvestris var. ensifolius Buek, nach
Prof. Aschersons schriftlicher Mittheilung ein Herbamame, der durch
G a r c k e s Flora von Nord- und Mitteldeutschland in die Öffentlichkeit
gelangte und sich schon in der 4. Auflage (1858) des genannten Werkes,
vielleicht aber auch schon in einer früheren findet.
Laihyrtts -Arien s^us der Section Eulathyrus. 289
S y n . L, silvestris a) cnsifolius Seringe in De Candolle, Prodr., vol. II
(1825), p. 369; excl. synon.
L. ^iwi/o/iM5 Reiche nbach, Fl. German. excurs. (1830—1832), p. 535;
z. Th.;
non Badarö.
Flügel des Stengels^ jederseits IV2 — 4 {ß,d>y mm
breit, die der Blattstiele^ 2— 3mal schmäler, V2—IV2
(2, 3)^ ntm breit; die Zähnchen an denselben meist spärlich
und entfernt, seltener dicht stehend oder ganz fehlend.
Blättchen^ lanzettlich bis lineal-lanzettlich, (48)^
60—130 (140) wm lang, (Sy^) 5—22 (45) mm breit, (3) 6 bis
IBmal länger als breit, zwischen dem ersten Drittel und der
Mitte am breitesten; von da nach der Spitze zu entweder so
verschmälert, dass das Blättchen an der Spitze nicht zu-
sammengezogen ist und das Stachelspitzchen nicht
abgesetzt erscheint, oder so, dass das Blättchen
vorne etwas zusammengezogen und das Spitzchen
deutlich abgesetzt ist. Die erstgenannte Blattform findet
sich mehr bei den breiteren, die zweite mehr bei den schmäleren
Blättchen; bisweilen trifflt man beide Blattformen an einem
Exemplar an. Farbe oben grasgrün, unten blasser bis bläu-
lichgrün.
Der vordere Theil der Nebenblätter^ schmal lanzett-
lich, 7—20 (24) wf» lang, 1 — 2V2 {Sy^)mm breit, vielmal
schmäler als der Stengel sammt den Flügeln; der zu-
gehörige Blattstiel^ V/^—4^/^mei\ so lang, selten ebensolang.
Blüthenstiele^ meist etwas kürzer, so lang oder
wenig länger (nur manchmal bis über zweimal so lang) als
der zugehörige Blattstiel sammt Blättchen,* 4 — 10-
blüthig.
1 Die Masse der Flügel, Blättchen und Nebenblätter beziehen sich stets
auf den mittleren Theil des Stengels, etwa in der Gegend der untersten Blüthen-
stiele und etwas tiefer.
^ Eingeklammerte Zahlen bedeuten (meist vereinzelte) Masse, die von
den für die überwiegende Mehrzahl der Fälle geltenden Massen erheblich
abweichen, also in die Grenzen einbezogen ein falsches Bild der Grösse des
Organs ergeben würden.
5 Selbstverständlich stets ohne die Ranke.
■* Gemessen, wenn alle oder die meisten Blüthen aufgeblüht sind.
^ So gemessen, dass das Blättchen die Verlängerung des Blattstiels bildet.
19*
290 A. Ginzberger,
Bracteen sehr kurz bis fast so lang als das Blüthen-
stielchen.
Blüthen 14 — 18 w/fH lang.^
Kelchzähne (Fig. 15) durch runde breite Buchten
von einander getrennt, die beiden oberen kurz dreieckig,
mit öfter gekrümmten Spitzen; die übrigen Kelchzähne
pfriemlich; die beiden mittleren circa IVgnial so lang
als die oberen, kaum länger bis über IVs^^al so lang als
breit; der untere Zahn etwas länger als die mittleren
und meist etwas kürzer, seltener etwas länger als
die Kelchröhre.2'*
Griffel stark gebogen, an der Spitze kaum erweitert.
Reife Hülsen 55 — 60mm lang und 8 — 10 mm hoch.
Samen fast kugelig, ellipsoidisch oder walzlich, ziemlich
fein bis ziemlich grob g'erunzelt, braun bis braunschwarz,
4 — 5V2WW1 lang. Nabel die Ober- und einen grossen
Theil der Hinter-, bisweilen auch ein kleines Stück
der Vorderseite des Samens, also circa V2 ^^^ ^^'
fanges desselben einnehrhend.*
^^r^Th"''"-!!?"''" Kelchzahns.
c = Breite des mittleren ^
1 Stets wurden vollkommen aufgeblühte Blüthen gemessen, und zwar
die Dimension vom Grunde des Kelches bis zum Mittelpunkt der vorderen
Rundung der dachförmig zusammengelegten Fahne.
2 Die Art, wie die Theile des Kelches gemessen wurden, ergibt sich aus
nebenstehender schematischer Figur.
a = Länge des oberen \
d = Länge des unteren )
e = Länge der Kelchröhre.
Besonders zu beachten ist, dass a stets vom
Grunde der Bucht zwischen den beiden oberen
Kelchzähnen gemessen wurde ; dieser liegt nämlich
höher als derjenige der Bucht zwischen den oberen
und mittleren Zähnen. Femer wurde unter Breite
eines Kelchzahnes die Entfernung der tiefsten
Punkte der beiden ihn begrenzenden Buchten verstanden.
3 Bei dem Exemplar von Strömstad, welches sich durch ausserordent-
liche Üppigkeit auszeichnet, ist der untere Kelchzahn {"^j^—Vj^vmX so lang
als die Röhre.
•* Der Ausdruck > Oberseite« bedarf keiner Erklärung. Mit Vorder-, respec-
tive Hinterseite bezeichne ich mit Alefeld jene Seite des Samens, welche
der Spitze, respective dem Grunde der Hülse zugekehrt ist.
Lathynts -Arten aus der Section Eulathyrus. 291
Über die Behaarung siehe unter Lathyrus pyrenaicus
Jord (S.25).
Verbreitungsgebiet. ^
Europa von West-Frankreich und England bis nach Sieben-
bürgen und zur oberen Wolga, und vom mittleren Schweden
und der Newa bis ins südliche Serbien, nach Triest und dem
Nordwesten Spaniens.
Standortsverzeichniss.2
I. Spanien. Cangas de Tineo, in sepibus et dumetis.
(Durieu, Plant, select. Hispan. — Lusitan., sect. I [1835],
Asturicae, No. 364; als L. silvestris L. var. pancißora; hb. B.). —
:< Ad vias inter Salos(?) et Cangas de Tineo (hb. B.). — X Pyre
naeae occidentales (Bentham; hb. B.).
II. Frankreich. Basses -Pyrenees: Dunes d'Anglet, pres
de la Barre de TAdour (Blanchet in Magnier, Flor, select.
exsicc, No 240; hb. H., hb. M., hb. U.). — Blanquefort, Gironde;
ad aggeres paludum (Delbos; hb. Z.). — Vendee (ex herb.
Delaunay; hb. M.). — f S. Efflam; Cotes du Nord, Bretagne
(Miciol; hb. H.). — X Loire, bei Veauche (Basson; hb. H.). —
t Marmagne, dep. Cher; bois (hb. B.; Bore au, hb. K.); terrains
tertiaires, argiles ä silex (Deseglise in Billot, Fl. exsicc. Call,
et Germ., No 1466; hb. B.). — f Bois d'Holnon, dep. Aisne
(Magnier, Plant. Gall. et Belg.; hb. U.). — Environs de Cha-
mounix (hb. Keck^).
III. Schweiz. Genthod am Genfer See (hb. B). — Bovernier,
Wallis (Chevenard; hb. H.).
IV. England. Bei Oxford (ex herb. Oxon., No 402; hb. U.).
- Insel Wight (Salter; hb. M.).
1 Nur nach den von mir selbst gesehenen Exemplaren zusammengestellt.
2 Abkürzungen: hb. B. = Herbar Boissier (Genf); hb. H. = Herbar
Halacsy (Wien); hb. K. = Herbar Kerner (Wien); hb. M. = Herbar des
k. k. naturhistorischen Hofmuseums (Wien) ; hb. P. = Herbar des botanischen
Institutes der deutschen k. k. Universität (Prag) ; hb. S. = Herbar des bosni-
schen Landesmuseums (Sarajevo); hb. Tr. = Herbat des civico museo (Triest);
hb. U. = Herbar des botanischen Museums der k.k. Universität (Wien); hb. Z.
= Herbare der k. k. zoologisch-botanischen Gesellschaft (Wien).
3 In Wien befindlich.
292 A. Ginzberger,
V. Scandinavien und Ostee -Inseln. Helsingör (Stern-
berg; hb. M.). — t Scania (Lind; hb. Z.); Kuttaberg, montes
(Lidforss in coli. fl. Suecic. der »Linnaea«; hb. H. — Vestro-
gothia, Scania (Andersson; hb. M.). — f Göteborg, St\Ts6
(VVinslow; hb. M.). — f Strömstad (Neumann; hb. H.). —
f Salem.s soeben: pä Kuggelbode holme, Mälaren (Wertberg;
hb. M.). — Uplandia (Andersson; hb. K.).
VI. Deutsches Reich und Sudetenländer, f Rhein-
land, Thiergarten bei Blankenheim (Arspissen; hb. H.)- —
Bonn, Wälder (hb. M.). — Wetterau (hb. Z.). — München, in
umbrosis (Zuccarini; hb. Keck). — In saxosis möntosis, inter
frutices versus Maling et Tegrheim (hb. M.). — Rosenthal bei
Jena (Bogenhard; hb. M.). — Fliegenthal bei Wiche (Oertel,
Flor.Thuring., hb. M.). — f 2. Th.^ Leipzig (Binder; hb. M.). —
Flora von Chemnitz: f Göhren an der Mulde; f Schlossberg-
bei Sachsenburg (Weicker; hb. M.). — f Tharand (hb. M.)- —
Flora von Dresden: f Schiott witz und Gipfel des Präbenden-
berges. Gross- Cottaer Spitzberg, Hengstberg, Rodeberger Haide
(hb. M.). — t Hartensteiner Wald, Erzgebirge (Wanckel; hb.
M.). — + Karlsbad (hb. P.). — Aussig, Buschberge (hb. M.).- —
Tetschen (Malnicky; hb. Z.). — Prag: X Wälder um Bechovic
(Polak; hb. H.); Eisenbahndamm im Fiederholz (A. Reuss;
hb. M.); Scharka (hb. P.). — In silvis ad Aupam fluvium prope
Ratebofice (Fleischer; hb. M.). — f Trockene Stellen in
Waldungen um den Hohenstein bei Simmersdorf, Bezirk Polna,
Böhmen (hb. H.). — f Rollberg in Böhmen (Lorinser; hb.Z.). —
t Holzschläge am Hohenstein bei Iglau (Reichardt; hb.2-)- —
Namiest bei Brunn, Waldränder (Roemer; hb. M.). — Olmütz
(Hayne; hb M.). — Karlshöhe bei Gross-UUersdorf in Mähren
(Oborny; hb. U.). — Wälder um Waltersdorf (Oborny; hb. H.).
— Troppau (Novotny; hb. Keck). — Wiesen am Buchberg
bei Görbersdorf in Schlesien (Firle; hb. H.). — Bögleberge bei
Schweidnitz, circa 1000' (U echtritz; hb. K., als forma ensifolius
Buek). — Striegauer Kreuzberg (hb. M.). — Jauer, breiter Berg
bei Poischwitz (Scholz in Gallier, Fl. Siles. exsicc, No 23;
1 »z. Th.« nach den Zeichen f, X "• s. f. bedeutet, dass von mehreren
vom selben Standort und aus demselben Herbar stammenden Exemplaren
nur ein Theil die durch das Zeichen angedeutete Eigenschaft besitzt.
Lathyrus 'Arien aus der Section Eulathyrns. 293
hb. U.). — Frankfurt a. d. Oder (Buek; hb. U.). — Hinter-
pommern; Chausseegraben zwischen Rigenwalde und Carzin
iLüttichwagen; hb. Z.). — t B^i Königsberg häufig (Patze;
hb. M.).
VII. Österreichische Alpenländer (auch ganz Nieder-
und Ober- Österreich). Bozen (Hausmann; hb. M.). ~ hins-
bruck (Hofmann, hb. S.; f Kerner, hb. H.); * Mühlau
(Kern er; hb. K.); * beim Bahnhofe Patsch häufig (Hofmann;
hb. S.). — * Grödnerthal, 300(y (Kerner; hb. U., hb. K.). —
T Tirol. Orient. In declivibus petrosis supra Sexten versus
montem »Helm«; 1000 w (Schoenach in Fl. exs. Austr.-Hung.,
No 406; hb. M., hb. U., hb. H.). — * Oberhalb Brentonico am
Wege zum Monte Baldo (Schönach; hb. K.). — X Buschige
Berghänge bei Pranzo unfern Riva (hb. U.). — f In feuchten
Wäldern bei Mauterndorf, Lungau; circa 1200 w (Keller; hb.
Keller, Wien). — Stiria superior; ad margines silvarum prope
Seckau, circa 820 f»; raro (Pernhoffer; hb. U.). — Kasak bei
Marburg (Dietl; hb. M.). — X Gleichenberg (hb. Tr.). —
*z.Th. X z.Th. Flitsch (Tommasini; hb.Tr.). —Ad silvarum
oras prope Aistersheim (hb. Keck; Keck, hb. U.). — Wels,
Waldwiesen (Braunstingel; hb. M.); Oberthann (J. Kerner
hb. K.). — Schwertberg (Keck; hb. Keck). — Kloster Wald
hausen im Mühlviertel (Kern er; hb. K.). — Zwettl (Zelenka
hb. Z.). — In Gebüschen am Ufer der Thaya bei Raabs (Kren
berger; hb. H.). — f X z.Th. Rossatz a. d. Donau (Kerner
hb. K.). — Langenlois (Kalbrunner; hb. M.). — Am Manharts-
berge (Kalbrunner; hb. Z.). — Waldränder bei Mauerbach
(hb. Z.). — Wegränder im Halter-Thal bei Hütteldorf (H eimerl;
hb. Z.). — Sophien -Alpe und Hohe Wand bei Neuwaldegg
(tz.Th. J.Kern er, hb. K.; Halacsy, hb. H.; Boss, hb. Z.). —
Im Gehölz auf dem Eichberg bei Gloggnitz (Witting; hb.Z.). —
Strasse bei Schmidsdorf nächst Payerbach (Richter; hb. H.).
VIII. Karpathenländer und Kroatien. Pressburg
(Schmetter; hb. Z.). — f Donau-Inseln bei Gran, häufig
(Feichtinger; hb. Z.). — St. Georgen, kleine Karpathen (hb.
M.). -~ Comitat Gömör, Murany-Vereskö, an Wegen (Fabry;
hb. K.). — Matra, Comitat Heves, in Hecken (Vrabelyi; hb.
K.). — -Bei Oravica an Zäunen (Mierlitz, als var. angnstifolins
294 A. Ginzberger.
Schk.; hb, M.). — Agram (Hofmann; hb. S.). — In lapidosis
inter frutices montis »Rebro« (ex herb. Vukotinovic; hb. M.V
IX. Karstländer.Idria: xMayerhof (Tommasini; hb.Tr.);
Kinnwerk (Feriantschitsch; hb. M., hb. Tr.). — Laibacher
Schlossberg (hb. M.). — - Adelsberg, f Prewald, Pieris, Recca-
Thal (Tommasini; hb. Tr.). — Hecken bei Ranziano, unweit
Görz, X z. Th. Cormons (Tommasini; hb. Z., hb. Tr.). —
X An Hecken im Recca-Thale, auch anderwärts, doch nicht
in der Küstenregion (Tommas in i; hb. K.). — * Aufstieg nach
dem Matajur (Send tn er; hb. Tr.).
X.Balkan-Halbinsel, f Südserbien: Pozsega(Ilic; hb.
U.); Rudare(Ilic;hb. S.).
XI. Galizien und Bukowina. Poturzyca (Rehmann;
hb. Z.). — Lemberg: Winniki und Bednoröwka, zwischen
Sträuchern; Lesienice (Nowicki; hb. Z.). — Terescheny
(Zipser; hb. Z.).
XII. Russland. In sandigen Holzschlägen um Niankovv,
Bezirk Nowogrodek in Litthauen (Dybowski, Flor. Polon.
exsicc, hb. M., hb. U., hb. H.). — Ingermannland: In silvis et
fruticetis regionis elevatae (hb. M.); um Petersburg (Herder;
hb. M.). — In pratis, collibus, ad margines silvarum prope
Jaroslaw (Petrowsky; hb. H.).
Zur Synonymie.
Den La/Ä)/r«5 5//i;^5/r/5Desfontaines' kann ich nicht für
identisch mit Linne's Pflanze halten, und zwar einerseits mit
Rücksicht auf Desfontaines* Angabe »stipulae magnae*,
anderseits weil unter allen aus Algerien stammenden Lathyrns-
Exemplaren unserer Gruppe, die ich sah, nicht ein Lathyrns
silvestris L. sich befand; alle gehörten vielmehr theils zu
Lathyrns algericus mihi, theils zu Lathyrns pnrpnrens Gili-
bert. Derselbe Grund bewog mich, Munby's La/Äyr«5 silve-
stris^ für verschieden von Linne's Pflanze zu halten, was ich
auch von Moris' Lathyrns silvestris mit ziemlicher Sicherheit
behaupten zu können glaube. Ich habe zwar keinen Lathyrns
von Sardinien gesehen, aber auf dem benachbarten Corsica
Siehe unter Lathyrns algericus mihi.
LaihyruS' Arien aus der Section Eulaihyrus. 295
kommt Lathyrus silvestris L. meines Wissens nicht vor; auch
das von Moris angegebene Merkmal »stipulae petiolo
aequales paulove breviores« stimmt für Lathyrus silvestris L.
nicht. Die genannten Autoren führen auch ausser Lathyrus
silvestris L. keine andere Lathyrus-Art aus unserer Gruppe an,
was gleichfalls für meine Ansicht spricht. Für Tornabene's
Lathyrus silvestris gilt dasselbe; er meint damit Lathyrus
ntembranaceus Presl. Gussone's Pflanze gehört gleichfalls
zu Lathyrus ntembranaceus Presl. Doch führt Gussone
ausserdem noch einen Lathyrus latifolius an. Visiani's La-
thyrus silvestris \x\x\idiS>si Lathyrus megalanthus Sie udel und
Lathyrus memhranaceus Presl.
Den Namen Lathyrus silvestris var. platyphyllus hat
Retzius ohne Beschreibung publicirt, aber dazu die Abbildung
in Flora Danica, tab. 785 citirt. Diese zeigt uns nun keineswegs
diejenige Pflanze, die gewöhnlich als Lathyrus platyphyllus
bezeichnet wird und deren richtiger Name Lathyrus angusti-
folius [Roth] ist, sondern einen ziemlich breitblätterigen La-
thyrns silvestris L., der sich durch dieses Merkmal freilich dem
Lathyrus angustifolius [Roth] nähert, von ihm aber durch die
Beschaffenheit der Blättchenspitze unterscheidet.
Gouault's Lathyrus platyphyllus ist, wie aus der bei-
gegebenen ziemlich schlechten Abbildung hervorgeht, Lathyrus
megalanthus Steudel.
Grenier und Godron citiren als Autor ihres Lathyrus
silvestris var. ß) latifolius: Peter mann, Fl. Lipsiensis excurs.,
p. 545. Ob diese Pflanze die breitblätterige Varietät des Lathyrus
silvestris L. oder der Lathyrus angustifolius [Roth] ist, weiss
ich nicht.
Lathyrus silvestris L. zeigt bezüglich der relativen Breite
seiner Blättchen eine ziemlich grosse Variabilität; auch die
Form derselben ist, wie schon aus der Beschreibung hervor-
geht, nicht constant. Die darnach unterscheidbaren Formen
können wohl nicht als selbständige Arten angesehen werden,
da scharfe Grenzen nicht auffindbar sind; sie scheinen aber
zum Theil für bestimmte Gebiete charakteristisch zu sein. So
findet man häufig aus West-Europa (Frankreich) stammende
Exemplare mit ziemlich breiten Blättchen (95 — \2bntm lang.
296 A. Ginzberger,
10 — 22 mm breit), die sich auch dadurch auszeichnen, dass
ihre breiteste Stelle stark gegen den Grund des Blättchens
verschoben ist und dass sie in die Spitze fast gerade und
gleichmässig verlaufen; die Stachelspitze ist kaum oder gar
nicht abgesetzt. Gleichfalls relativ breitblätterige, den erwähnten
französischen sehr ähnliche Exemplare sah ich aber auch aus
Schweden, Deutschland, Tirol, Salzburg, Ober- und Nieder-
österreich u. s. f., nur ist bei diesen die allmälige und fast
gerade Verschmälerung gegen die Spitze zu minder aus-
geprägt; die Blättchen sind vielmehr öfter in der Mitte am
breitesten und beiderseits krummlinig begrenzt; das Stachel-
spitzchen ist meist deutlich abgesetzt. Durch die erwähnten
Merkmale nähern sich die zuletzt genannten Exemplare oft
gewissen minder ausgesprochenen Formen des Lathyrus an-
gnstifoliiis [Roth] (s. d.). P'ür die bis jetzt besprochenen
Formen kann der Name Lathyrus silvestris var. platyphylUis
Retzius vollkommen passend gebraucht werden. Im Standorts-
verzeichniss sind die zu dieser Varietät gehörigen Exemplare
mit t bezeichnet.
Anderseits fand ich Exemplare, welche mir durch ver-
hältnissmässig kurze und schmale Blättchen (40 — 80 mtn lang,
3*5 — 6 mm breit) auffielen. Die hieher gehörigen Exemplare, die
grossentheils aus dem österreichischen Küstenlande stammen
sind im Standortsverzeichniss mit X bezeichnet.^
Viel ausgesprochener und, wie es scheint, für bestimmte
Gebiete charakteristisch ist eine andere gleichfalls schmal-
blätterige Form, welche zwar in der Literatur mehrfach erwähnt,
aber immer mit bereits anderweitig verwendeten Namen be-
zeichnet wird, weshalb ich für dieselbe den Namen Lathyrus
silvestris var. tiroliensis vorschlagen möchte. Die in Rede
stehende Form zeichnet sich durch geringe Breite aller blatt-
artigen Organe aus (Stengelflügel 1 V2 ^^x, Blattstielflügel V2
bis ^4 wwi, Nebenblätter bis 1 mm breit). Die Blättchen sind
75 — 95 mm lang, 3 — b^/^ mm breit, 17 — 30mal so lang als breit.
Die Hülsen sind bisweilen auffallend klein (44 ww lang, 7 mm
breit). Unsere Pflanze scheint auf Tirol und das nördliche
1 Über die Exemplare aus Spanien vergl. unter Lathyrus pyrenaictis
Jordan.
Laihyrus -Arien aus der Section Eulathyrns. 297
Küstenland beschränkt zu sein. Die hieher gehörigen Exem-
plare sind im Standortsverzeichnis mit * bezeichnet.
Lathyrus angustifolius [Roth, tent. flor. Germ. (1793),
tom. II, pars II, p. 178, pro var. Laihyri laiifolii] mihi.
Syn. L, latifqlius Linne, Fl. Suec, ed. II (1755), p. 252; excl. Citate (bis auf
Fl. Suec, 1139);
Schkuhr, Botan. Handbuch (1796). II, p. 355 (z. Th.);
Sprengel, Fl. Halensis, ed. I (1806), p. 203.
L. intermeditts Wall rot h, Sched. crit. (1822), p. 386.
L. silvestris var. ß) /»/^rw^^itt^ Sprengel, Fl. Halensis, ed. II (1832),
sect I, p. 321.
L. platyphyllus Koch, Syn. 11. Germ., ed. II (1843), p. 443;
Alefeld in Bonplandia, IX (1861), p. 153 (z. Th.).
L. silvestris ß) latifolitts Neil reich, Fl. von Niederösterreich (1859),
p. 967.
L. silvestris und var. ß) latifolitts Boissier, Fl. Orient. (1872), vol. II,
p. 611, excl. Citat.
Flügel des Stengels jederseits IV2 — omm breit, die
der Blattstiele fast so breit bis halb so breit, 1— 2V2 ^^^
breit, die Zähnchen an den Blattstielflügeln meist fehlend
oder spärlich, an den Stengelflügeln oft ziemlich dicht.
Blättchen länglich-lanzettlich bis elliptisch, 65
bis 100 (130) wfM lang, \2—40mm breit, 3— 7 mal (selten
weniger, bis kaum zweimaPj länger als breit, in der Mitte am
breitesten und gegen die beiden Enden allmälig verschmälert
oder fast der ganzen Länge nach nahezu gleich breit und an
den Enden rasch an Breite abnehmend; stets an der Spitze
abgerundet, abgestutzt oder sogar ausgerandet, mit
einem scharf abgesetzten Spitzchen. Farbe oben gras-,
unten grau- oder bläulichgrün.
Der vordere Theil der Nebenblätter lanzettlich, 9—20
(29) mm lang, 2—4 (6) mm breit, zwei- bis mehrmal
schmäler als der Stengel sammt den Flügeln; der zu-
gehörige Blattstiel IVg— 2mal so lang.
Blüthenstiele wenig länger bis 2V2rnal so lang
als der zugehörige Blattstiel sammt Blättchen, 5 — 15-
blüthig.
^ Dies ist bei dem Exemplar von Barby, sowie zum Theil bei denen
aus Persien der Fall.
298 A. Ginzberger,
Bracteen meist Vg bis 72 ^^^ Länge des Blüthen-
stielchens.
Blüthen lo — 18 mm lang.
Kelchzähne (Fig. 16) durch runde, breite Buchten
von einander getrennt, die beiden oberen kurz dreieckig,
mit gekrümmten Spitzen; die übrigen pfriemlich, die
beiden mittleren 172" bis fast 2 mal so lang als die
oberen, wenig länger bis 172"^^! so lang als breit; der
untere Zahn so lang bis etwas länger als die mittleren
und etwas kürzer bis etwas länger als die Kelchröhre.
Griffel ziemlich stark, und zwar am Grunde am stärksten
gekrümmt, an der Spitze wenig verbreitert.
Reife Hülsen 52 — 70mm lang, \0 — 12mm hoch.
Samen meist fast kugelig, seltener seitlich comprimirt,
sehr fein gerunzelt, S^/^—5 mm lang, dunkelbraun; Nabel
die Ober- und Hinterseite, oft auch einen kleinenTheil
der Vorderseite, d.i. circa die Hälfte des Umfanges
des Samens einnehmend.
Über die Behaarung siehe unter Lathyrus pyrenaicus
Jordan (S. 304).
Verbreitungsgebiet.
Südschweden; von Mittel -Deutschland östlich der Saale
und Elbe bis nach Ost-Galizien und Bessarabien; von Ungarn
östlich von Pest bis nach Siebenbürgen einer-, Macedonien
anderseits; Transkaukasien; Nord-Persien.
Standortsverzeichniss.
I. Schweden. Hall, boreal., Klädesholm (Steurin; hb. B.
als Lathyrus latifolios L. Suec.!, non spec. pl.).^
II. Provinzen Sachsen und Brandenburg. Barby,
Wälder an der Elbe (hb. M.). — Burgliebenau (Hofmeister;
hb. M.). — Frankfurt a. d. Oder (Buek; hb. B., hb. H., hb. M,
hb. Tr., hb. Z.).
in. Preussisch-Schlesien. Breslau: Pirscham (Kionke
in Gallier, Flor. Siles. exsicc, Nr. 189; hb. U.); nur an einer
1 Die Etiquette trägt weiters die Bemerkung: Hie, Lath^TUs silvesiris et
Lathyrus häerophyllns apud nos omnino confluere apparent.
Laihyrus- Arten aus der Section Eulathyrus, 299
Stelle am buschigen Ufer der Ohlau in der Oderniederung
oberhalb Pirscham (Uechtritz, hb. K., hb. Keck; Fritze, hb.
Keck).
IV. Galizien und Bukowina. In den Wäldern von
Poturzyce (Rehmann; hb. K.). — Im Walde bei Kamena; auch
im Gebüsche bei Derelui und gegen Franzthal; Terescheni;
Bukowina (Herbich; hb. Z.).
V. Russland. Bessarabien; Kartala(Zelenetzny; hb.M.).
VI. Karpathenländer. Insula Csepel (Kerner; hb. K.);
e fruticetis prope Ujfalu (Tauscher; hb. H., hb. K., hb. Z.). —
P. Peszer bei Also Dabas (Kerner; hb. K., hb. H.). — Banat:
Perjämos (Wolfner; hb. Z.); Oravica (hb. H.). — Transilvania:
In dumetis et silvis montosis (Schur; hb. H.); in pratis ferti-
libus prope Hermannstadt (Schur; hb. M.); in pratis et dumetis
prope Giersau (Fuss; hb. K.); in dumetis prope Langenthai
(Barth; hb. U.).
VII. Balkan-Halbinsel. Süd-Serbien (Ilic; hb. U.). —
Bulgarien, Lovca (Urumoff in Fl. Bulgar., Nr. 100; hb. U.,
hb. H.). — Macedonien, mons Pangaeus, Pournur-Dagh, 1900 m
(Charrel; hb. H.).
VIII. Transkaukasien. In fruticosis montanis ditionis
Elisabethpol Georgiae Caucasicae (Hohenacker in unio
itiner. 1834; hb. Keck; als Lathyrus rotundifolius Willd.). —
Prope Helenendorf Georg. Cauc. (Hohenacker in unio itiner.
1838; hb. B., hb. M.;i als Lathyrus latifolius L.).
IX. Persien. Persia borealis (Szovits; ex herb. hört. bot.
Petrop.; hb. M., hb. U., hb. B.).
Zur Synonymie.
Der Name Lathyrus angustifolius kommt, soviel ich in
Erfahrung bringen konnte, zum erstenmale* in Medikus, Bota-
1 Die Exemplare in hb. M. sind von Alefeld eigenhändig a4s var. helenen-
dorfensis bezeichnet und mit der Bemerkung: »Abweichend durch gedrehte
Griffel und sehr kurze KcIchzipfeU versehen.
2 Als binärer Name. Der Name »angustifolius* kommt als Varietätenname
in Haller, enum. plant hört. reg. et agr. Gotting. (1753), p. 290 und in Zinn,
catal. plant, hört, academ. et agr. Gotting. (1757), p. 354 vor. In keinem der
beiden Werke ist die binäre Nomenclatur eingeführt, weshalb ich diese Namen
nicht weiter berücksichtigte.
300 A. Ginzberger,
nische Beobachtungen (1783), S. 220 vor.^ Die daselbst gegebene
Beschreibung ist jedoch höchst unzulänglich. Medikus be-
schreibt überhaupt nur die Blüthe^ und sagt von der »Blumen-
decke« (=: Kelch), dass sie »mit jener des Lathyrus Cicera
vollkommen übereinkomme«. Nun gleicht aber La/Äyn^s Cicera
in Bezug auf die Bildung seines Kelches, von der Medikus
eine recht gute Beschreibung gibt, keiner der Arten unserer
Gruppe, nur die Kelchform von Lathyrus undulatus Boissier
und Lathyrus pnlcher Gay zeigt einige Ähnlichkeit mit der von
Lathyrus Cicera. Da über sonstige Merkmale kein Wort gesagt
ist, überdies kein Citat angeführt wird, so fehlt jeder Anhalts-
punkt, was Medikus mit seinem Lathyrus angustifolius ge-
mimt hat.
Aus den erwähnten Gründen kann erst der nächste Autor,
der den Namen Lathyrus angustifolius verwendet, nämlich
Roth, berücksichtigt werden. Er hat den Namen ganz unab-
hängig von Medikus aufgestellt. Seine Diagnose passt gut
auf unsere Pflanze, nur die Angabe »flores coeruleo-purpurei«
ist bedenklich.
Der Name Lathyrus latifolius Linne flor. Suec. wurde,
obwohl älter, nicht angewendet, da derselbe in spec. plant,
zwei Jahre früher gebrauchte Name ganz unklar und vieldeutig
ist, wie später bei Lathyrus megalanthus Steudel auseinander-
gesetzt werden wird. Die Citate bei Linne's Namen sind aus-
zuschliessen, weil sie theils unklar sind, theils sich Q,\ii Lathyrus
megalanthus Steudel und seine Verwandten beziehen.
Lathyrus latifolius Schkuhr ist namentlich mit Rücksicht
auf die von ihm angegebenen Standorte (Schlesien, Barby)
hieher zu rechnen.
Die Diagnose für Lathyrus intermediusW eiUroth passt
bis auf die Angabe »foliolis concoloribus« auf unsere Pflanze.^
Meine Ansicht, dass Boissier's Lathyrus silvestris hieher
zu ziehen ist, gründet sich vornehmlich darauf, dass er ein
1 An der vom Index Kewensis citirten Stelle: Vorles. d. churpfälz.
physik.-öconom. Gesellsch., t. II (1787), p. 358, findet sich nur der Name mit
dem Hinweis auf die oben citirte Stelle.
2 Das Werk ist kein systematisches, sondern ein rein morphologisches.
3 Siehe auch unter Lathyrus heteropkyllus L. (S. 310).
Lathy ms 'Arten aus der Section Eulathyrus. 301
Exemplar von Hohenacker aus Georgia Caucasica mit ! citirt.
Alle Exemplare nun, die ich aus diesem Gebiete sah, stammten
von Hohenacker und gehören sicher hieher. Die var. ß)
gehört schon wegen der Angabe »folia latiora, obtusiora« zu
Laihyms angusiifolins [Roth]. Lathyrus angustifolius [Roth]
ist von breitblättrigen Formen des Lathyrus silvestris L. (var.
platyphyllus Retz.) nicht immer vollkommen scharf zu unter-
scheiden. Trotzdem habe ich mit Rücksicht auf die typischen
Exemplare, die an der Beschaffenheit der Blättchenspitze stets
erkannt werden können, Lathyrus angustifolius [Roth] als
selbständige Art aufgeführt; auch bewohnen die beiden Arten
Verbreitungsgebiete, die nur theilweise zusammenfallen.
Recht üppige, mit grossen Nebenblättern versehene Exem-
plare des Lathyrus angustifolius [Roth] sind bisweilen dem
Lathyrus heterophyllus var. unijugus Koch sehr ähnlich; doch
entscheidet in diesem Falle die Beschaffenheit der Kelchzipfel
mit Sicherheit.
Lathyrus pyrenaicus Jordan, Cat. du jard. de Dijon (1848),
p. 27, sec. Walpers, Annal. botan. system., t II (1851 — 1852),
p. 403 '.1
Syn. L. sUvcsiris» laiifolius, heierophyllu$ Lapeyrouse, Hist. abr. plant. Pyr.
(1813), p. 416.
L. silvestris Zetterstedt, Plantes vasculaires des Pyrenees principales
(1857), p. 75; z. Th.
L. pyrenaetis Lange, Pugill. plant., I— IV (1860—1865), p. 382.
Varietät.
Z. pyrenaicus var. minor mihi.
Flügel des Stengels jederseits P/e — 2^l^mtn breit, die
der Blattstiele halb so breit, seltener Vs derselben,
1 — l^/^mm breit; Zähnchen an denselben fehlend bis ziem-
lich dicht.
Blättchen elliptisch bis länglich lanzettlich, 48
bis 80 ww lang, \0—2o mm breit, 3 — 6mal so lang als breit;
vorne abgerundet oder zusammengezogen, oft mit auf-
fallendem Fett- bis Glasglanz, namentlich an der Unter-
^ Ich sah ein cultivirtes Exemplar (vergl. die Erläuterungen).
302 A. Ginzberger,
Seite. Farbe oben gras-, unten graugrün. Vorderer Theil der
Nebenblätter schmal lanzettlich, 10 — 14(18)fww lang, 1*/^
bis 2V2 ^ww breit, wenigstens dreimal so schmal als der
Stengel sammt den Flügeln; der zugehörige Blattstiel
2 — 3 mal so lang.
Blüthenstiele meist fast so lang bis etwas länger als
der zugehörige Blattstiel sammt Blättchen, seltener circa 2 mal
so lang, 3—4-, selten öblüthig.
Bracteen Vs ^^^ Blüthenstielchen bis fast so lang als
dieselben.
Blüthen 16 — 19mm lang.
Kelchzähne (Fig. 17) durch runde breite Buchten
von einander getrennt, die beiden oberen kurz drei-
eckig, etwas breiter als lang, die mittleren dreieckig, etwas
breiter als lang bis fast l'^rn^l so lang als breit, der untere
Zahn etwas länger und schmäler als die mittleren, kürzer
als die Kelchröhre.
Griffel ziemlich stark gekrümmt, an der Spitze kaum
verbreitert.
Reife Hülse 52 mm lang, 9 mm hoch.^
Samen* kugelig oder seitlich oder von vorne nach hinten
abgeplattet, mit stumpfen Runzeln, schwarzbraun, 3 — 4'5fnm
lang; Nabel auf die Oberseite beschränkt oder ausser-
dem noch einen Theil der Hinterseite, also Va t>is fast
V2 dös Samenumfanges einnehmend.
Über Behaarung siehe die Erläuterungen (S. 303 f.).
Verbreitungsgebiet.
Central-Pyrenäen.
Standortsverzeichniss.
Pyrenees (Juste, f Bordere, f Godron; hb. B.). — f In
subalpinis Pyrenaeorum, Bareges (Dupuy; hb. U.). — Dep.
Hautes-Pyrenees, Gedre (Bordere, hb. B., hb. Z., hb. K., hb. M.;
ex herb. Deseglise, hb. K.; Lagger [?], hb. Keck; f z. Th. ex
herb. Mouillefarine; hb. Z.); 1000 w (Bordere in Baenitz,
J An einem cultivirten Exemplar 38 — 42 mm lang, 7 mm hoch.
2 Nur von cultivirten Exemplaren.
Laihynts -Arten aus der Section Eulathyrus. 303
Herb. Europ., hb. K., hb. H.); Taillis granitiques de Morere; alt.
1000 w (Bordere et Billiet in Magnier, Fl. exsicc, No 1656;
hb. M., hb. H.). — f Gorge de Luz (Huguenin; hb. U.). —
f Cauterets, Pyr. centr. (de Jouffroy; hb. Keck). — f Basses-
Pyrenees, Eaux bonnes (Ripart; hb. K.).
Zur Synonymie.
Die kurze, von Willdenow übernommene Diagnose des
Lathyrus heterophyllus bei Lapeyrouse passt zwar auf La-
thyrus heterophyllus L.; dennoch dürfte mit Rücksicht auf die
angeführten Standorte, von denen wenigstens der eine (St. Beat,
der übrigens von Lapeyrouse auch für seinen Lathyrus
silvestris und Lathyrus latifolius angegeben wird) in den
Central-Pyrenäen liegt, wo meines Wissens nur Lathyrus
pyrenaicus iovdQ.n vorkommt, nicht Linnens Pflanze gemeint
sein, sondern Lathyrus pyrenaicus Jordan.
Dass Zetterstedt, der die drei Lapeyrouse'schen Arten
in eine zusammenzieht, mit dieser, seinem Lathyrus silvestris^
auch unsere Pflanze gemeint hat, geht schon daraus hervor,
dass er ausserdem keinen anderen Lathyrus aus der vor-
liegenden Gruppe anführt. Ferner gibt er Standorte an, von
denen ich Lathyrus pyrenaicus Jordan selbst gesehen habe.
Endlich erwähnt er, dass die Pyrenäen pflanze durch »feuilles
courtes« von der schwedischen abweiche.
In den Pyrenäen findet man mehrere Formen aus der
Verwandtschaft des Lathyrus silvestris L. Unter diesen scheint
mit Rücksicht auf die Angabe »foliis oblongis« Jordan vor-
nehmlich diejenige verstanden zu haben, deren Merkmale in
der obigen Beschreibung enthalten sind. Von mir untersuchte
Exemplare (hb. Tr.), welche aus von Jordan gesammelten
Samen cultivirt und von ihm selbst als Lathyrus pyrenaicus
bezeichnet sind (also Originalexemplare), zeigen Blätter, die
5— 6 mal so lang als breit sind.
Die in Rede stehende Pflanze ist auch durch ihren Reich-
thum an Drüsen vor allen in dieser Arbeit behandelten Arten
ausgezeichnet. Diese Drüsen, deren morphologische Verhält-
nisse bereits in der allgemeinen Einleitung besprochen wurden,
kommen an fast allen Organen mehr oder minder dicht und
Sitzb. d. mathem.-natunv. Cl.: CV. Bd., Alnh. I. 20
304 A. Ginzberger,
zahlreich vor. Ich fand sie an Stengeln, Ranken, Blatt- und
Blüthenstielen, Flügeln der Stengel und Blattstiele, Kelchen,
Hülsen, besonders zahlreich aber an beiden Seiten der Blättchen,
vornehmlich der jüngeren.
Ausser durch die drüsige Bedeckung ist Lathyrus pyre-
naicus Jordan auch durch das verhältnissmässig ausgedehnte
Vorkommen gewöhnlicher einzelliger, meist unter die Drüsen
gemischter Haare ausgezeichnet.^ Dieselben bedecken zerstreut
Dis ziemlich dicht nicht nur, wie dies auch bei anderen Arten
der Gruppe vorkommt, die noch wenig entfalteten Spitzen der
Sprosse, sondern auch junge, ja sogar ältere Blättchen. Auch
am Rande der Flügel, welche Stengel und Blattstiele einsäumen,
trifft man bisweilen ziemlich dicht stehende Haare. Die Zahl
der Drüsen ist stets viel grösser als die der Haare; oft kommt
es auch vor, dass ein Blättchen oder ein anderes Organ zwar
mit Drüsen bedeckt ist, aber der Haare ganz entbehrt.
Von der nächstverwandten Art, dem Lathyrus angnsti-
folins [Roth], ist Lathyrus pyrenaicus Jordan durch die
schmäleren Stengel- und Blattstielflügel, die schmäleren Neben-
blätter und kleineren Blättchen, die armblütigen Trauben und
die drüsige Bedeckung verschieden. Bei Lathyrus angustifolius
[Roth] fehlen nämlich die Drüsen fast immer, nur bei wenigen
Exemplaren habe ich sie an den Blättchen vereinzelt vor-
gefunden. Auch die Behaarung ist bei Lathyrus angustifolius
[Roth] viel spärlicher, indem selbst die noch wenig entfalteten
Spitzen der Triebe meist kahl sind, und nur hie und da
Behaarung aufweisen.
In der Cultur erhält Lathyrus pyrenaicus } ov dein alle Merk-
male, nur die drüsige Bedeckung und die Behaarung waren bei
einem der cultivirten Exemplare, die ich sah, relativ stark reducirt.
Ausser dem Lathyrus pyrenaicus Jordan findet sich in
den Pyrenäen noch eine sehr nahe verwandte, von jener nicht
scharf geschiedene Form, die ich aber doch verschiedener
Eigenthümlichkeiten wegen als var. minor besonders anführen
möchte. Die dieser Form angehörenden Exemplare sind im
Standortsverzeichnis mit f bezeichnet.
1 Vergleiche die Einleitung, S. 286.
Lathy ms -Arten aus der Section Eulalhyrus. 305
Dieselbe unterscheidet sich vor allem durch schmälere
Blättchen (30— 65 iMW lang, 4— 8w/w breit, [5-], 6V2 — lOmal
so lang als breit); dieselben sind lanzettlich, vorn stumpf,
seltener allmälig in die Spitze verschmälert. Nebenblätter
kleiner (der vordere Theil 8 — lOmm lang, 1 — P/e^^w* breit).
Blüthenstiele 2—5-, meist 3blüthig. Blüthen kleiner
(12 — lo mm lang); Hülsen 60 — 65 mm lang, \0 mm breit.
Bezüglich der drüsigen Bedeckung, sowie der Behaarung
ist zu erwähnen, dass dieselbe bei der var. minor stets in
geringerem Masse auftritt als beim typischen Lathyrus pyre-
naicns Jordan.
Wie vom typischen Lathyrus pyrenaicns 3 ordarij so ist
unsere Pflanze auch von Formen des Lathyrus silvestris L. mit
kleinen Blättchen nicht immer vollkommen scharf zu trennen.
Von den typischen Exemplaren des Lathyrus silvestris L.
unterscheidet sie sich durch kleinere Blättchen, sowie auch
durch die Form derselben, ferner durch die klein- und arm-
blüthigen Blüthenstiele. Dagegen sind in der Bedeckung mit
Drüsen sowde in der Behaarung kaum Unterschiede gegenüber
Lathyrus silvestris L. zu beobachten. Manche Exemplare der
letztgenannten Pflanze (so alle der var. tiroliensis m. angehörigen
aus Tirol) scheinen zwar der Drüsen ganz zu entbehren, bei
den meisten Exemplaren aber findet man wenigstens eine
spärliche, bei einigen sogar eine recht reichliche Bedeckung
mit Drüsen. Dieselben kommen hauptsächlich an der Unter-
seite der Blättchen, der jungen wie der erwachsenen vor, doch
beobachtete ich sie auch an Blüthenstielen. Behaarung trifft
man bei Lathyrus silvestris L. oft an den Spitzen der unent-
wickelten Triebe, vereinzelt auch an der Unterseite der Blättchen,
sowie an Blüthenstielen.
Zur näheren Beleuchtung der Beziehungen des Lathyrus
pyrenaicus var. minor m. sei noch einiges über die Beschaffen-
heit der von mir gesehenen Exemplare des Lathyrus silvestris L.
aus benachbarten Gegenden angeführt.
Die nord- und mittelfranzösischen Exemplare des Lathyrus
silvestris L. sind durch die in den Erläuterungen zu dieser
Pflanze oben (S. 295f.) beschriebene Beschaffenheit ihrer Blätt-
chen ausgezeichnet. Spärliche Drüsen fand ich nur an einigen
20
306 A. Ginzberger,
Blältchen. Diese Exemplare sind der var. minor m. sehr
unähnlich.
Viel ähnlicher sind die Exemplare des Lathyrtis silvestris L.
aus dem Departement Basses-Pyrenees durch ihre kleinen
Blättchen (55 — 65 mm lang); sie unterscheiden sich aber von
der var. minor durch die lang zugespitzte Gestalt der Blättchen
und durch 5 — 7blüthige Blüthenstiele. Ich stellte sie deshalb
zu Lathyrus silvestris L.
Aus dem cantabrischen Gebirge sah ich Exemplare des
Lathyrus silvestris L., welche in der Gestalt und Grösse der
Blättchen mit den typischen Exemplaren dieser Species ziemlich
übereinstimmen, die 3 — 4blüthigen Blüthenstiele aber mit der
var. minor m. des Lathyrus pyrenaicus Jordan gemeinsam
haben. Drüsen spärlich. Blüthen 14 — 15 mm lang. Diese Exem-
plare gehören zu den Mittelformen zwischen Lathyrus sil-
vestris L. und Lathyrus pyrenaicus var. minor m. Ich führe sie
im Standortsverzeichnisse des ersteren an.^
Es gibt in den Pyrenäen und im cantabrischen Gebirge
auch recht schmalblättrige Exemplare des Lathyrus silvestris L.
(Blättchen circa 12 — 15 mal so lang als breit). Die beiden
Exemplare, die ich sah,^ zeigen grosse Ähnlichkeit mit den
übrigen klein- und schmalblättrigen Exemplaren des Lathyrus
silvestris L.,^ haben aber meist nur 3 — 4, bei einem Exemplare
jedoch an zwei Blüthenstielen je 6 Blüthen. Drüsen konnte ich
nicht finden.
Lathyrus heterophyllus Linne, spec. pl., ed. I (1753),
tom. II, p. 733;
Alefeld in Bonplandia, IX (1861), p. 151;
non Lapeyrouse, Hist. abr. plant. Pyren. (1813), p. 416.
Syn. L. latifolius var. a) Reichenbach, Fl. Germ. exe. (1830—1832),
p. 535; z. Th.
Va r i e t ä t.
L. heterophyllus var. ß) unijngns Koch, Syn. fl. Germ., ed. II (1843),
p. 224.
^ Siehe I.), Spanien, 1. Exemplar (S. 291).
- Siehe unter L. silvestris L. I.), Spanien, 2. und 3. Exemplar (S. 291).
3 Im Standortsverzeichnisse mit X bezeichnet.
Lathyrus- Arten aus der Section Eulathyrns. 307
Flügel des Stengels jederseits 2 — 2^^l^mm breit; die
Blattstielflügel sind nur am ersten Gliede des Blatt-
stieles (d. h. vom Grunde desselben bis zum Insertionspunkte
des ersten Blättchenpaares) wohl ausgebildet, hier jederseits
2 — bmm breit und daselbst ungefähr so breit bis fast
zweimal so breit als die Stengelflügel; an den übrigen
Gliedern des Blattstieles (d.h. zwischen den einzelnen Blättchen-
paaren) ersetzt eine schmale Leiste die blattartigen Flügel.
Die einzelnen Blattstielglieder sind g^gen einander unter sehr
stumpfen Winkeln knieförmig abgeknickt. Die Zähnchen an
den Flügeln meist ziemlich dicht, seltener ganz fehlend.
Untere Blätter meist mit nur zwei, die übrigen meist
mit vier, seltener sechs Blättchen, von denen die zwei
obersten manchmal sehr schmal und wenig entwickelt sind.^
Blättchen oval bis lanzettlich, die des ersten
Paares stets relativ breiter als die des zweiten, erstere
45— lOo^wm lang, 8 — S4 mm breit, 2^/^ — 8mal so lang als
breit, letztere 35 — 85 mm lang, 6—22 mm breit, (272") 4 — 9mal
so lang als breit; entweder von der Mitte nach beiden Enden
allmälig verschmälert oder fast überall nahezu gleich breit und
erst an den Enden sich rasch verschmälernd, stets an der
Spitze stumpf oder abgerundet. Farbe oben gras-, unten bläu-
lichgrün.
Der vordere Theil der Nebenblätter lanzettlich bis
eilanzettlich, 19 — 29 (37) mm lang und 4^2 — 15 mm breit,
2— 5mal so lang als breit, ^/^—\^/^ma\ so breit als der
Stengel sammt den Flügeln; das erste Glied des zu-
gehörigen Blattstieles etwas kürzer bis 1^4 mal so lang.
Blüthenstiele ungefähr so lang bis 2- (3V3-)mal so lang
als der zugehörige Blattstiel sammt einem Blättchen des ersten
Paares (als gerade Fortsetzung gemessen),, 5 — I2blüthig.
Bracteen sehr kurz bis ^4 ^^^ Länge des Blüthen-
stielchens.
Blüthen 15 — 21 mm lang.
Kelchzähne (Fig. 18) durch schmale stumpfe
Buchten von einander getrennt, die beiden oberen fast
• Vergl. auch die Einleitunt? (S. 287).
308 A. Ginzberger,
viereckig, mit kurzer Stachelspitze, die mittleren drei-
eckig,^fast dreimal so lang als die oberen und IV2 t>is
2V4mal so lang als breit; der untere Zahn meist schief
abstehend, schmäler als die mittleren, circa l^/^—l^/^ma\
so lang als diese und (IV2") f^^t 2 — 2V2nial so lang als
die Kelchröhre.
Griffel (Fig. 8) ziemlich stark, und zwar hauptsächlich
am Grunde gebogen, bisweilen schwach S-förmig gekrümmt,
vorne kaum erweitert.
Reife Hülsen 67—75 mm lang, 9V2 — 1 1 wtw hoch.
Samen kugelig oder seitlich mehr oder weniger zu-
sammengedrückt oder fast walzlich, ziemlich grob- und stumpf-
oder feinrunzelig, 4—6 mm lang, hellbraun bis schwarz; Nabe 1
auf die Oberseite des Samens beschränkt, seltener
ausserdem einen kleinen Theil der Hinterseite(?) desselben,
d. i. circa Yg des Samenumfanges einnehmend.
Drüsen fand ich einmal auf jungen Hülsen zahlreich.
Im übrigen ist die Pflanze ganz kahl, bis auf kurze Härchen
am Kelchrand, ferner zerstreute Härchen an den noch unent-
wickelten Spitzen der Blüthenstiele; einmal fand ich an der
Unterseite eines Blättchens auf dem Mittelnerv einige Haare.
Verbreitungsgebiet.
Süd -Schweden; West-Alpen bis nach Wallis; Central-
und Süd -Tirol; ganzer Jura; Harz, Thüringen; Nord-Böhmen;
Preussisch Schlesien; Siebenbürgen.
Standortsverzeichniss.
I. Schweden. E Westro Gothia (Wikström; hb. M.). —
X Hall, boreal., Klädesholm (Steurin; hb. M}). — Jett äker-
garde norr om Öglanda pä Billingen (Lagerheim; hb. M.). —
Smäland, Krigsdala (Arrhenius; hb. M., hb. B.). — Scania
(Andersson; hb. M.).
IL West-Alpen, a) Schweiz. Bex (Thomas; hb. Tr.;
* z. Th., t z. Th. hb. M.; hb. B.); Lautennay (Reichenbach fil.;
1 Siehe das E.xemplar vom gleichen Standorte unter Lathyrus angnsli-
folins [Roth](S. 298).
Laihyr US -Arten aus der Section Eulatkyrus. 309
hb. \I.). — Frenieres sur Bex; prairie, 800 m (ex herb. M ort hier;
hb. H.). — . Pres Gryon (hb. B., hb. Tr.). — Vallee de Ferret
(Reuter; hb. B.). — Valais; Liddes, bords des champs (hb. M.).
— Wallis; Bourg-St. Pierre, Böschungen an der Strasse (Des-
eglise; hb. K.). — Dans les moissons de St. Pierre en montant
au Gr. S. Bernhard (ex herb. Leresche; hb. Tr.). — Hauderes,
vallee d'Herens, Leuker-Bad (Rion; hb. M.). — * Entre Sierre
et Loeche (Churin[?]; hb. B.).
bj Frankreich. Saint-Ange pres de Grenoble (Verlot;
hb. H.). — Lautare t, Villard -d'Arene, Hautes -Alpes; amas de
pierres dans les champs; alt. 1900 w (Arvet-T. abb. Cha-
boisseau, abb. Faure in Societe dauphinoise, 1882, No 3256;
hb. B.).
c) Italien. Piemont: f Vinadio (Reichenbach fil; hb.
M.); Alpes Vinadii (Reuter; hb. B.).
III. Französisch-schweizerischer Jura. * Pres boises
ä Levier; dep. Doubs (Garnier in Billot, Fl. Gall. et German.
exsicc, No 965; hb. B.). — * Pontarlier; dep. Doubs (Garnier;
hb. U.). — La Cornee; in pascuis montanis, 3600^ (Lerch;
hb. U., hb. H., hb. Z.). — An Felsen, im Gerolle, in Gebüschen
der Lägern; Ct. Zürich, Jura-Formation (Jäggi; hb. K.).
IV. Tirol, t z. Th. Bergwiesen westlich von Steinach
(Kern er; hb. K., hb. H.). — Livina Longo (= Buchenstein)
(hb. M.). — Tirol, austr.-orient.; Ampezzo, in pratis pinguibus
montanis, supra Cortina, solo calcar.; 4000^ (Huter; hb. K.);
* Sexten Pustariae med., in declivibus apricis silvaticis, solo
schistaceo; 4400—4600' (Hut er; hb. M.). — Tirol, meridion.-
orient.; Pustaria; in declivibus sterilibus apricis ad Innervill-
graten; solo schistaceo, 1500— 1600 fw (Gander in Flor. exs.
Austr.-Hung., No 1604, I; hb. U., hb. H., hb. M., hb. Z.). —
Pusterthal (Gander; hb. Z.). — X Val Vestino: zwischen
Turano und Moerna, in Kastanienhainen und an Buschwerk;
Kalk, 3000^ (Huter; hb.M.); aufwiesen, 900 m (Porta; hb. Z.).
— X Val di Tendo (Reichenbach fil., hb.M.).
V. Canton Schaffhausen und Süd-Deutschland.
Clairieres du Längenberg, sur l'ancien chemin de Schaff hausen
ä Merishausen; 550 m (Tripet; hb. H.). — * Donaueschingen
(Bauer[?]; hb.M.). — X Balingen in Württemberg (v. Entress-
310 A. Ginzberger,
Fürsteneck; hb. Z.). — * Schalksburg bei Balingen (Fischer;
hb. M.). — f An einem Ackerrain bei Lautlingen nächst Balingen
(v. Entress-Fürsteneck; hb. M.). — Donnstetten; schwäbi-
sche Alb; auf Bergwiesen (Kemmler; hb. Keck, hb. Z., hb. H.,
hb.M.). — In montibus calcareis prope Ratisbonam (Ruf; hb.B.).
VI. Harz und Thüringen. X Harz (hb. M.). — X In
nemoribus montis Hercyniae; solo calcareo (hb.M.). — X Hag
am Unterharz (hb. M.). — An Zäunen und Hecken am Frauen-
berge bei Sondershausen (Ekart; hb. M.). — * Eremitage bei
Arnstadt (hb. M.). — * Ritterstein bei Arnstadt (Jung; hb. M.).
-— Jena (Bogenhard; hb. M.). — In der Wöllmiss(?) bei Jena
(Wilms, hb. K.; X Bogenhard, hb. M.).
VII. Böhmen. Inter frutices in monte Hrusina prope
Waltsch (Öelakovsky in Fl. exs. Austr.-Hung., No 1604, II;
hb. U., hb. M., hb. H.). — In lichten Berggehölzen am Göltsch-
berge bei Auscha (Mayer; hb. Z.).
VIII. Preussisch Schlesien. Geiersberg (Schumann;
hb. M.). — * Geiersberg bei Schweidnitz (Reichenbach fil.,
hb. M.). — Elsenberge bei Zobten (hb. M.).
IX. Siebenbürgen (Schur; hb. Keck).
Zur Synonymie.
Warum Lathyrus heterophyllus Goüan, Hort. Monspel.
(1762), p. 370 nicht identisch mit Lathyrus heterophyllus L.
sein soll, wie der Index Kewensis angibt, sondern mit »Lathyrus
latifolius L.«, ist nach der Diagnose nicht einzusehen. Die als
Standorte angegebenen Orte habe ich nicht finden können.
Manche Autoren (Alefeld, Grenier et Godron) citiren
zu Lathyrus heterophyllus L. als Synonym Lathyrus inter-
medius Wallroth, Sched. crit. (1822), tom. I, p. 386. Dazu
dürfte wohl die Angabe »foliola bijuga«, die sich in den
Erläuterungen zur Diagnose findet, bewogen haben, obwohl
diese selbst ausdrücklich von »cirrhi diphylli« spricht.
Doch ist zu bedenken, dass Lathyrus heterophyllus L. in der
Umgebung von Halle, aufweiche sich Wallroth's Schedulae
beziehen, kaum vorkommen dürfte. Ferner passt die Angabe
Wallroth 's »stipulae lineares .... angustissimae« sehr selten
auf Lathyrus heterophyllus L.
Laihyrits -Arten aus der Section Eulalhyrns. 311
Lathyrus heterophyllus L. zeigt einige beachtenswerthe
Formen. Zunächst sei eine Form erwähnt, welche sich von den
typischen Exemplaren durch die geringe Grösse ihrer Blättchen
(erstes Paar 45 — 65 mm lang, 7 — 12 mm breit, zweites Paar
35 — 46 mm. lang, 5 — 7 mm breit) auszeichnet. Diese Form
scheint nicht im ganzen Verbreitungsgebiete der Art vorzu-
kommen; am ausgesprochensten ist das erwähnte Verhältniss
bei den Exemplaren aus den Westalpen und dem Jura. Die zu
dieser Form gehörigen Exemplare sind im Standortsverzeichniss
mit * bezeichnet.
Eine zweite Form zeichnet sich durch auffallend schmale,
denen des Lathyrus silvestris L. ähnliche Blättchen aus (circa
8 — lOmal so lang als breit). Die hieher gehörigen Exemplare
sind mit f bezeichnet. Keine der beiden Formen ist vom Typus
scharf zu trennen.
Auch di^ Zahl der Blättchen unterliegt, wie bereits erwähnt,
manchen Schwankungen. Meist sind deren zwei Paare an einem
Blatte vorhanden, doch findet man auch Exemplare, an denen
alle oder die meisten Blätter ein Paar (var. unijngus Koch) oder
drei Paare von Blättchen tragen. Die zu ersterer Form zu
rechnenden Exemplare sind im Standortsverzeichniss mit X
bezeichnet, zu letzterer gehört ein Theil der Exemplare von
Hauderes, Canton Zürich, Steinach (Tirol) und das Exemplar
aus dem Vallee de Ferret.
Besonders bemerkenswerth ist die Varietät unijugus Koch,
da sich dieselbe durch den Mangel des zweiten Blattpaares
anderen Arten der Gruppe nähert, vor allem dem Lathyrus
angnstifolius [Roth], von welchem sie sich jedoch durch
die grösseren Nebenblätter und die stark ungleichen Kelch-
zipfel unterscheidet. Von den Exemplaren des Lathyrus megal-
anthus Steudel mit schmäleren Blättchen ist die var.
unijugus Koch durch die an der- Spitze meist mehr abgerundeten
Blättchen mit schwächer hervortretender Nervatur, die schmä-
leren Stengelflügel, das Verhältniss der Länge des unteren
Kelchzahnes zu derjenigen der Kelchröhre, sowie auch durch
den Habitus zu unterscheiden. Lathyrus heterophyllus var.
nnijugus Koch scheint für gewisse Gebiete charakteristisch
zu sein, so für Südtirol und den Harz; in letzterem Gebirge
312 A. Ginzberger,
kommt nach meinen Erfahrungen überhaupt nur diese Va-
rietät vor.
Lathyrus Cirrhosus Seringe in De CandoUe, Prodr.,
pars II (1825), p. 374.
Flügel des Stengels jede rs ei ts 1 — 2ntm breit; Blatt-
stielflügel nur am ersten Gliede^ des Blattstieles
wohl ausgebildet und hier jederseits bis Intm breit, schmäler
bis höchstens so breit als die des Stengels; das zweite und
die folgenden Glieder^ des Blattstieles haben statt
der Flügel nur schmale Leisten. Zähnchen an denselben
meist fehlend, selten einige sehr entfernt stehende vorhanden.
Unterste Blätter bisweilen nur mit zwei, die übrigen
mit meist sechs, doch auch vier oder acht Blättchen.
Blättchen elliptisch, in der Mitte am breitesten, an der
Spitze stumpf oder abgerundet, mit meist deutlich abgesetztem
Stachelspitzchen ; Blättchen des nämlichen Blattes nach der Spitze
desselben an Grösse abnehmend, also das erste Blättchen-
paar am grössten, 21 — 48 mm lang, 8 — 16 ww breit, 2V4-
bis 4Varnal so lang als breit. Farbe oben grasgrün, unten
blasser bis graugrün. Über die Nervatur siehe Einleitung (S. 284).
Vorderer Theil der Nebenblätter lanzettlich bis lineal-
lanzettlich, 5 — 11 mm lang, 1 — 2V2 ^^^ breit, 2 — 3 mal
schmäler als der Stengel sammt den Flügeln; das
erste Glied des zugehörigen Blattstieles l^/^ — 3 mal so lang.
Blüthenstiele ungefähr zweimal so lang als der zu-
gehörige Blattstiel sammt einem Blättchen des ersten Paares,^
4—8 blüthig.
Bracteen sehr kurz bis V2 ^^^ Länge des Blüthen-
stielchens.
Blüthen 16 — 17 wm lang.
Kelchzähne (Fig. 19) durch breite gerundete Buchten
von einander getrennt; die beiden oberen kurz dreieckig,
die mittleren circa 2mal so lang, dreieckig-pfriemlich,
fast 2 mal bis etwas über 2 mal so lang als breit; der untere
^ Vergleiche hierüber das bei Lathynis hcterophyllus L. (S. 307) Gesagte.
I
Laihyrus 'Arien aus der Section Eulathyrtts. 313
circa Vg länger als die mittleren und circa P^nial so lang
als die Kelchröhre.
Griffel ziemlich stark gekrümmt, an der Spitze nicht
verbreitert.
Reife Hülsen 42 — AT mm lang, 7 '5 mm hoch.
Samen kugelig bis kurzwalzlich (cult.^), oder seitlich
comprimirt (wild 2), auffallend grob- und stumpf runzelig (cult.^)
oder ziemlich fein gerunzelt (wild ^), hellbraun, 3V2 — 4V2 ^w/
lang; Nabel nur die Oberseite, und zwar zum grössten
Theile einnehmend, d. i. circa V4 ^^s Sameoumfanges.
Drüsen fand ich an jungen Blüthenknospen; sonst ist die
Pflanze bis auf den meist flaumigen Kelchsaum ganz kahl.
Verbreitungsgebiet.
Departement Pyrenees-orientales.
Standortsverzeichniss.
Pyrenees orientales (Aunier; hb. M.). — Bords de la Tet,
pres de Mont-Louis (Companyo in assoc. vogeso-rhenane;
hb. U.). — Entre Mont-Louis et Olette (Huet du Pavillon;
hb. B., hb. M.). — Font pedronie pres Olette (Cosson[?]; hb.
Keck). — Prades (ex hb. Jordan; hb. B., hb. Tr., hb. Z.).
Lathyrns cirrhosus Str'xngQ unterscheidet sich von allen
anderen Arten der Gruppe durch seine meist dreipaarig ge-
fiederten Blätter und die Nervatur der Blättchen. Durch das
erstgenannte Merkmal nähert er sich gewissen, nicht hieher
gehörigen Lathyrtts -ArteUj z. B. Lathyrus palustris L., von
denen er sich aber durch den gekrümmten und gedrehten
Griffel scharf unterscheidet.
Lathyrus undulatus Boissier, Diagn. plant. Orient, nov..
ser. II, fasc. 2 (1856), p. 41.
Syn. L. /^///o//«s Sibthorp und Smith, Flor. Graec. prodr. (1813), vol. 11,
p. 69.
L. latifoUus und ß) clongaltts Grisebach, Spicileg. flor. Rumel. et
Bithyn. (1843), vol. I, p. 70.
1 Von einem cultivirten Exemplar.
2 Von einem wilden Exemplar (nur einen Samen gesehen).
•^14 A. Ginzberger,
L. Xoüanus Alcfeld in Bonplandia, IX (1861), p. 152.
L. Sibthorpii Baker in the gardeners chronicle, III. ser., vol. VII (Jan.
to Jun. 1890), p. 704.
Flügel des Stengels jederseits 1 — 2 mm breit; die
der Blattstiele bis 1 mm breit, meist jedoch durch eine
schmale Leiste .ersetzt; Zähnchen an denselben fehlen.
untere Blätter in eine Vs — ^^U^^^ lange, vorne etwas
blattartig verbreiterte, spitze Granne, die übrigen in eine
meist einfache, seltener 2- oder 3- (einmal 4-) spaltige
Ranke endigend.
Blättchen elliptisch bis breit lanzettlich, die
unteren manchmal verkehrt eiförmig, 38—65 (71) mm lang,
13—32 (41 — 48) ww breit, V/^—a^/^meil so lang als breit,
gegen den Grund stets verschmälert, an der Spitze aber spitz,
stumpf oder abgerundet, seltener etwas ausgerandet; Rand
der Blättchen kleinwellig gekräuselt, seltener fast un-
gekräuselt und nur hie und da mit einör kleinen Biegung.
Farbe oben grasgrün, unten graugrün.
Vorderer Theil der Nebenblätter lanzettlich, 9 — 21
(26) mm lang, P/s — 4V2 ^^w breit, 3V3— 8 mal so lang als breit,
kaum halb so breit bis so breit als der Stengel sammt
den Flügeln; der zugehörige Blattstiel kürzer bis zweimal
so lang.
Blüthenstiele 2 — 372^^1 so lang als der zugehörige
Blattstiel sammt Blättchen, 5 — lOblüthig.
Bracteen pfriemlich, manchmal nur schuppenförmig, kurz
dreieckig; stets viel mal kürzer als das Blüthenstielchen.
Blüthen (18) 21 — 23 mm lang.
Kelch Zipfel (Fig. 20) durch spitze oder etwas rundliche,
stets aber schmale Buchten von einander getrennt; die
beiden oberen kurz dreieckig, mit feiner Spitze, die
mittleren dreieckig, circa Y3 länger als die oberen,
zweimal so lang als breit; der untere Zahn wenig länger,
aber schmäler als die mittleren, ungefähr so lang oder
etwas kürzer als die Kelchröhre.
Griffel (Fig. 21) sehr schwach gekrümmt, gegen
die Spitze stark verbreitert, geflügelt, vorne ab-
gestutzt oder etwas ausgerandet.
Laihvnts -Arien aus der Section Eulalkyrns. 315
Reife Hülse 60 mm lang, 7 mm hoch (cultivirtes Exem-
plar), 75 mm lang, \\ mm breit (wildes Exemplar); erstere
vorne stark aufwärts gebogen, letztere von gewöhnlicher Form.
Samen ^ walzlich, vorn und hinten etwas abgerundet,
feinrunzelig, schwarz, 6V2 — 7 f«w lang, 4V2 *wm dick; Nabel
nur die vordere Hälfte der Oberseite einnehmend.
Behaarung. Drüsen fand ich an einem Exemplar an der
Unterseite einiger Blättchen, ferner häufig auf den Neben-
blättern. Diese, sowie die Blattstiele am Rande oft mit
Wimpern besetzt, welche bei letzteren gegen den Grund
des Blattstieles zu am dichtesten stehen. Sonst ist die
Pflanze kahl, auch der Kelchsaum und die Spitzen der noch
unentwickelten Blüthenstiele.
Verbreitungsgebiet.
Umgebung von Constantinopel.
Standortsverzeichniss.
Turquie d'Europe (Thirke; hb. B. als Lathyrus latifolhis).
— Constantinopel (Fontenay, hb. B.; Noe; hb. B.; Aucher,
hb. M.). — Bujuk-Dere (Nemetz; hb. U.). -— In silvis ad
Bosporum prope Bujuk-Dere (Pichler, PI. exsicc. flor. Rumel.
et Bithyn.; hb. K., hb. H.). — Therapia; Hügel, Gebüsch (Mer-
genthaler; hb. Z.). — In silvarum marginibus prope Jeni Keui
Bospori Rumelici (Murmang[?]; hb. B.). — In agro Byzanthino,
in silvis Belgradensibus (Degen, It. Orient. 1890; hb. M.).
Zur Synonymie.
Lathyrus latifolhts Sibthorp und Smith wird schon von
Boissier als Synonym zu seinem Lathyrus undulatus citirt,
was mit Rücksicht auf die Standortsangabe »ad ripas Bosphori*
wohl richtig ist; denn daselbst kommt ausser Lathyrus undu-
latus Boissier kaum eine andere Art vor. Aufweiche Pflanze
sich der zweite in Sibthorp und Smith 1. c. für Lathyrus
latifolins angegebene Standort »in Laconia« bezieht, vermag
ich nicht zu sagen.
' Nur vier Stück bei einem cultivirten Exemplar gesehen.
316 A. Ginzberger,
Auch Grisebach's Exemplare aus Bithynien werden von
Boissier mit ! zxxLathyrtiS undulatus citirt; die var. elongafns
Grisebach ist nur eine üppige, reichblüthige Form.
Mit Rüci<sicht auf das Gebiet, aus welchem der Lathyrus
Noeanus Ale fe\d stammen soll (Georgien, Kurdistan), kommen
zwei Arten in Betracht: Lathyrus angtistifolins [Roth] und
Lathyrus rotundifolius WiWdenow. Von den Meri<malen, die
Alefeld angibt, passen aber fast alle auf eine dritte, in dem
genannten Gebiete nicht nachgewiesene Art, nämlich auf
Lathyrus undulatus Boissier; ein Merkmal (»Stengel nur
ganz oben mit einer Spur von Flügeln«) passt auf keine Art
aus unserer Gruppe, ein anderes (»Blattstiel ungeflügelt«) auf
Lathyrus rotuudifolius Willdenow und Lathyrus undulatus
Boissier nur dann, wenn man eine schmale Leiste nicht als
»Flügel« bezeichnen will. Das Merkmal »foliola 2— 3 mal so
lang als petiolus« passt am besten auf Lathyrus angustifolins
[Roth], trifft aber auch bei den beiden anderen hie und da zu.
Aus den erwähnten Gründen stehe ich nicht an, Lathyrus
Noeanus Alefeld hieher zu ziehen; besonders bestimmt mich
hiezu die Beschreibung des Griffels, durch den sich Lathyrus
undulatus Boissier in geradezu auffallender Weise von allen
anderen Arten der Gruppe unterscheidet.
Gänzlich im Widerspruch zu meiner Ansicht steht freilich
der Umstand, dass Alefeld zwei Exemplare aus Helenendorf
(Georgia Caucasica), von H o h e n a c k e r als Lathyrus lati-
folius L. bestimmt, zu seinem Lathyrus Noeanus citirt. Ich sah
selbst solche Exemplare; diese gehörten aber zu Lathyrus
angustifolius [Roth], auf den jedoch die Diagnose absolut
nicht passt.^ Diesen Widerspruch vermag ich nicht zu lösen.
Die Originalbeschreibung des Lathyrus Sibthorpii Baker
passt bis auf die Angabe »caulibus late alatis« ganz auf
Lathyrus undulatus Boissier. Die Angabe für die Blütenfarbe
»mauve-red, fading to violett* dürfte sogar nur für Lathyrus
undulatus Boissier zutreffen. Auch die Bemerkung, dass
1 Diese Exemplare mögen Boissier auch wohl veranlasst haben, in Fl.
Orient., II, p. 611 Lathyrus Noeanus Alefeld zu semQm Lathyrus silvesiris
zu ziehen.
Z,ij///vr//.'» -Arten aus der Section Enlathynts. 317
Lathyrtis Sibthorpii Baker im Garten ungefähr einen Monat
früher blüht als Lathyrtis rotuudifolius Willdenow, spricht
für die Identität des ersteren mit Lathyrtis tmdtilattis Boissier,
der übrigens auch in Freiheit viel früher blüht als Lathyrtis
rottind if oliiis WWldenow. Baker führt femer an, dass Sib-
thorp, nach welchem die Pflanze benannt wurde, wahrschein-
lich derjenige war, der die Samen derselben nach England
gebracht hat. Nun citirt Boissier, auf den sich Baker bezieht,
in seiner »Flora Orientalis« den Namen Sibthorp nur im Stand-
ortsverzeichniss des Lathyrtis tmdtilattis^ nicht aber in dem des
Lathyrtis rottmdifolitis Willdenow. Endlich führt Baker zwei
vonAucher »vor 50 Jahren« bei Constantinopel gesammelte
Exemplare an, die mit seinem Lathyrtis Sibthorpii überein-
stimmen sollen. Im hb. M. sah ich nun drei solche Exemplare
welche ganz sicher zu Lathyrtis tmdtilattis Boissier gehören.
Lathyrtis undtilattis Boissier weicht durch die Beschaffen-
heit des Randes seiner Blättchen und den Bau seines Griffels
von allen Arten unserer Gruppe sehr stark ab. In der Beschaffen-
heit des Griffels zeigt die folgende Art einige Ähnlichkeit.
Lathyrus rotundifolius Willdenow, Spec. plant. (1800),
tom. III, pars II, p. 1088.
Syn. L, pcdttncularis Poiret, Encycl. method., suppl. (1811), II. p. 775.
L. roinndtfolius var. 1) genuinus .Alefeld in Bonplandia, IX (1861),
p. 151.
Icones. M. a Bieberstein, Centur. plant, rar. Ross. merid. (1810), pars I,
tab. 22.
Varietät.
L. rotundifolius var. ellipUcus Seringe in De Cand. Prodr., tom.
(1825), p. 370.
Alel'eld in Bonplandia, IX (1861), p. 151.
L. rotundifolius var. M. a Bieberstein, Flor. Taur.-Caucas. (1819)
tom. III, suppl., p. 466 (Beschreibung ohne Namen).
L. miniatns M. a Bieberstein in Steven, Verzeichniss der taur
Pflanzen in Bullet, de la soc. imper. des naturalistes de Moscou,
tom. XXIX (1856), No III, p. 161; Sep. (1857), p. 140.1
Icones. Curtis, Botanical magazine, Ille ser., vol. XXXVI (1880), tab. 6522.
1 Gartennamen: Lathyrus rotundifolius ß) sanguineus hört. Prag, und
Lathyrus rotuudifolius ß) ovalifolius Fenzl hört. Vindob.
318 A. Ginzberger,
Flügel des Stengels jederseits 1 — 3 mm breit, die der
Blattstiele erheblich schmäler, entweder einen V2 ^^^
V/^mm breiten Flügel oder nur eine schmale Leiste
darstellend. Zähnchen fehlen.
Blättchen meist elliptisch, nach beiden Enden gleich-
massig verschmälert, seltener fast kreisrund oder verkehrt ei-
förmig, 32—52 (65) wm lang, (13) 20—32 (46) mm breit, 17^-
bis 2V3 (3-) mal so lang als breit. Obere Blättchen relativ-
schmäler oder breiter als die mittleren, die untersten manchmal
fast lanzettlich (4 [6-] mal so lang als breit). Farbe oben gras-,
unten blaugrün. Rand der Blättchen hie und da etwas ge-
kräuselt.^ Vorderer Theil der Nebenblätter lanzettlich bis
breitlanzettlich, fein zugespitzt, 15 — 2\ mm lang, 4 — 9 innt
breit, 27» — 4 mal so lang als breit, etwas schmäler bis so breit
als der Stengel sammt den Flügeln; der zugehörige Blattstiel
etwas kürzer bis 2 mal so lang.
Blüthenstiele wenig länger bis 2mal so lang als
der zugehörige Blattstiel sammt Blättchen, 5 — 12-
blüthig.
Bracteen pfriemlich, meist Vs" Vs ^^s Blüthenstielchens.
Blüthen \7—23mm lang.
Kelchzähne (Fig.22) durch rund liehe, meist schmale
Buchten von einander getrennt,^ die beiden oberen fast
viereckig bis kurz dreieckig, breiter als lang bis fast
2mal so breit als lang, die mittleren dreieckig, IV2" t>is
fast 2 mal so lang als die oberen und V/^rnsii so breit
als lang bis 172"^^! so lang als breit; der untere Zahn
etwas schmäler und 174- t>is über P/sirial länger als die
mittleren, so lang oder etwas kürzer bis fast nur 7^
so lang als die Kelchröhre.
Griffel (Fig. 23) selten S-förmig gekrümmt, meist fast
gerade, an derSpitze etwas gekrümmt, daselbst etwas
bis löffeiförmig verbreitert und nur sehr spärlich
behaart.
Reife Hülsen 50— 68 wm lang,. 7 — 9 mm hoch, nach
vorne manchmal verbreitert.
1 Über die Nervatur der Blättchen vergl. die Einleitung (S. 284).
-' Nur die Bucht zwischen den oberen und mittleren Zähnen ist oft breit.
Lathyrus 'Arten aus der Section Eulathyrus. 319
Samen fast würfelförmig, mit abgerundeten Kanten und
Flächen, oder seitlich comprimirt, dunkelbraun, 3V2 — ^Vs ^«*
lang, ziemlich fein gerunzelt; Nabel nur die Oberseite des
Samens, d. i. circa 74 des Umfanges einnehmend.
Behaarung. Drüsen sehr zerstreut, an jungen und er-
wachsenen Ranken und Nebenblättern, an Stengel- und Blatt-
stielflügeln hie und da. Kelchsaum kurzvvimperig, sonst alles
kahl (auch die Spitzen der noch unentwickelten Blüthenstiele).
Verbreitungsgebiet.
Von dem Gebirge der Krim durch den Kaukasus bis in
den westlichen Eiburs, ins nördliche Armenien und nordöst-
liche Kleinasien.*
Standortsverzeichniss.
I.Halbinsel Krim. Tauria (Steven; hb. M.). — Simferopol,
Berge bei Neusatz (Gallier in Herb. Rossicum, No 37; hb. U.,
hb. H., hb. M.).
II. Kaukasus (X hb. P.; Steven, Trinius, hb. M.). —
X Beschtau (ex hb. Dr. v. Hoefft; hb. M.).
III. Transkaukasien und Armenien. In fruticosis mon-
tanis ditionis Elisabethpol Georgiae Caucasicae (Hohenacker
in un. itinerar., 1834; hb. P., X hb. B., X z. Th. hb. M.). — .
Iberia Caucasica (ex hb. Jacquin, hb. M.; Hohenacker, hb
B.). — X Armenien (Huet du Pavillon; hb. B.). — Armenia
Rossica (Szovits; hb. Keck, hb. H., hb. M.). — Armenia
Turcica: Szandschak Gümüschkhane, Kirkpauli (Sintenis, it.
Orient., 1894, No 5958; hb.M., hb.U.); X Montes inter Gümüsch-
khane et Baibons (Bourgeau; hb. B.). — Lazistan, vallee de
Djimil, vers 2000 metres d'altitude; moissons (Balansa, Plantes
d'Orient, 1866; hb.M., X hb. B.). — Ersemm (Calwert; hb.B.).
— .armenia Turcica; Sipikor: in silvaticis prope Siaret (Sin-
tenis, it. Orient., 1 890, No 30 1 5 ; hb. U., hb. M.). - Zazolorhane (?) ;
Armenien (Huet du Pavillon; hb. B.).
1 Wird von Boissier in Flora Oriental. (mit !) auch für Constantinopel
angegeben; für die Richtigkeit dieser Angabe mangelt mir jeder Beweis. Viel-
leicht beruht dieselbe auf einer Verwechslung mit breitblättrigen Exemplaren
dQs Lathyrus undulattis Boissier, da Boissier ein wichtiges Merkmal des
Lalhyrus unäulaltis, den Bau des Griffels, nicht gekannt hat.
Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; CV. Bd., Abth. I. 21
320 A. Ginzberger,
IV. Nordpersien. In agris cultis pagi Assadbar parte
occidentali montium Eiburs (Kotschy, pl. Pers. bor., No 452;
hb. B., hb. M,).
V. X Betchenag ^ (Buhse; hb. B.).
Zur Synonymie.
Im hb. M. liegen zwei Exemplare von Lathyms roseus
Steven, von Hohenacker 1834 gesammelt. Die beigegebene
gedruckte Etiquette enthält in Klammern die Bemerkung
»Lathyms rotunäifolius Will d, sec. Steven litt, ad Hohen-
acker«. Es ist jedoch nicht einzusehen, warum Willdeno w
mit seinem Lathyms rotnndifolius die dort vorliegende Pflanze
gemeint haben soll, auf welche das Merkmal »internodia
membranacea« gar nicht passt.
Was Poiret unter Lathyms pedtmcularis verstanden hat,
ist mir nicht ganz klar geworden. Auch Steven* bezeichnet
Lathyms pedtmcularis als »planta dubia«. Die Beschreibung
passt bis auf die Angabe »pedunculis longissimis» so ziemlich
auf Lathyms rottindifolhis Willdenow. Auch die von Poiret
angegebene Heimat (Taurien) spricht für die Identität der
Pflanze mit Lathyms rotmidifolius Willdenow, da nach
Steven daselbst kein anderer Vertreter unserer Artengruppe
vorkommt. — Marschall v. Bieberstein gibt zwar* auch
Lathyms latifolitts L. an, citirt jedoch dazu Rivin's Ab-
bildung,* welche eine sehr schmalblättrige Pflanze darstellt,
auf die Poiret's Beschreibung nicht passt. Steven sagt, er
habe Lathyms latifolins L. aus der Krim nicht gesehen.
Zu Lathyms rotnndifolius Willdenow ist vielleicht auch
der in the gardeners chronicle, new series, vol. VI (Jul. — Dec.
1876), p. 16, ohne Beschreibung publicirte Name LatJtyms
Drummondii zu ziehen; denn Baker, der die Pflanze sah,
sagt l. c, III. series, vol. VII (Jan.— Jun. 1890), p. 704, dass er
Lathyms Drummondii von Lathyms rotundifolins Wi 1 1 d, nicht
unterscheiden könne.
1 Die Lage dieses Ortes konnte ich nicht finden.
2 Vergl. Verzeichniss der Sjnonyma (S. 317).
« Flor. Taur.-Caucas. (1808), II, p. 157.
•* Introd. gener. in rem herbar., pars II (1691), tab. 40.
Lathyrus 'Arien aus der Section Eulathyrus. 32 1
Viele Exemplare des Lathyrus rofnndifolins Willd. sind
durch breitere Flügel und Nebenblätter von den taurischen, die
nebst anderen den Typus repräsentiren, verschieden. Sie
entsprechen der var. elliptica Seringe, welche sich nach
dessen Beschreibung überdies durch den Mangel kreisrunder
und das ausschliessliche Vorkommen elliptischer Blättchen
auszeichnet (siehe auch M. a. Bieberstein, 1. c). Die hieher
gehörigen Exemplare, die hauptsächlich dem Kaukasus und
Armenien angehören, sind im Standortsverzeichniss mit X
bezeichnet. — Ich fand jedoch auch Exemplare, die Merkmale
der Stammform mit solchen der Varietät combinirten. Die einen
hatten zwar schmale Flügel und kleine Nebenblätter, aber
elliptische Blättchen,^ die anderen breitere Flügel und grosse
Nebenblätter, aber rundliche, stumpfe Blättchen.^
Anmerkung. Im hb. U. befindet sich ein dem Lathyrus
rotundifolius Willdenow nahestehendes Exemplar, das aller-
dings in der Form der Blättchen sehr von der genannten Art
abweicht. Die Blättchen sind elliptisch, bisweilen etwas eiförmig,
18 — 27 mm lang, 7 — 10mm breit, circa 2V2iT)al so lang als
breit, vorne stumpf. Auffallend sind ferner die (vielleicht ab-
normen) Samen. Dieselben sind in der Gestalt von denen aller
übrigen hier behandelten Arten verschieden, mehr bohnen-
förmig, 7 mm lang, 3 Va — 4 mm breit, matt, aber nicht gerunzelt.
Der Nabel nimmt ungefähr Vs ^^^ Oberseite ein.
Die Pflanze ist als ^Lathyrus rotundifolius M. B. var.
ellipticus = Lathyrus giganteus Steindachner« bezeichnet,
wurde im Wiener botanischen Garten im Jahre 1868 cultivirt,
und zwar aus Samen, welche Steindachner nach einer
mündlichen Mittheilung im Jahre 1865 im .botanischen Garten
zu Orotava (Tenerife) kaufte. In den Samenkatalogen des
Wiener botanischen Gartens aus den Jahren 1866, 1869, 1871
publicirt, gelangten die Samen unter Anderem an Boissier, in
dessen Herbar ein »sous le nom de giganteus« cultivirtes
Exemplar liegt, welches von dem in hb. U. befindlichen sehr
1 Z. B. die Exemplare von Simferopol (hb. M.), Kaukasus (Trinius,
hb. M.), Elisabethpol (hb. P.), Iberia(hb.M.).ArmeniaRossica(hb. Keck, hb.M.).
- Z. B. die Exemplare von Kaukasus (Steven; hb. M.), Armenia Turcica
<hb. M.), Sipikor (hb. U.), Zazolorhane (hb. B.), Nord-Persien (hb. B., hb. M.).
21*
322 A. Ginzberger,
abweicht und in der Form der Blättchen, sowie im übrigen
ganz dem typischen Lathyrus rotundifolius Willdenow
gleicht; nur die geringe Grösse seiner Nebenblätter ist auffällig.
Mehr konnte ich üh^v Lathyrus giganteus Siexn^eLChner ^
der übrigens im Index Kewensis fehlt, nicht erfahren; da der
Ort, von welchem die Samen nach Orotava kamen, unbekannt
ist, so habe ich die betreffenden Exemplare nicht weiter
berücksichtigt.
Lathyrus megalanthus Steudel, Nomencl. botan., ed. I
(1841), pars II, p. 14 (ohne Beschreibung).
Syn. L. latifolius [Linne. Spec. pl., ed. I (1753), tom. II, p. 733] autor. mu 1 1.
L. grandiflorus Läng, Syll. Ratisbon., I (1S24), p. 182!;
non Sibthorp et Smith, Fl. Graec. prodr. (1813), vol. II, p. 67.
L. latifolius var. ß) et f) rotundifolius, L. silvestris var. y) grandißonts
Reichenbach, Fl. Germ, excurs. (1830 — 1832), p. 535.
L. silvestris var. y) latifolius V i s i a n i , Flor. Dalmat. ( 1 852), vol. III, p. 329 .
L. rotundifolius Janka, adnotationes, in Linnaea, XXX (1859— 1860).
p. 565 ;
non Willdenow, Spec. plant. (1800), tom. IIl, pars II, p. 1088.
X. brachyteruSj L, latifolius var. 2) genuinus z. Th. .Alefeld in Bon-
plandia, IX (1861), p. 151!, resp. 152.
L. brachyphyllus Schur in österr. botan. Zeitschr., XI (1861). S. S.') ;
Beschreibung in Enum. plant. Transsilv. (1866), p. 176.
L. grandifolius Schur, Enum. plant. Transsilv. (1866), p. 176.
Icones. Bauhinus, Hist. (1651), II, p. 303.
Morison, Hist. (1715), pars II, sect. II, tab. II, Fig. 3.
Miller, Illustrat. System, sexual. Linn., ed. II (1792), tab. 62.1
Revue horticole, ser. IV, tom. III (1854), tab. bei p. 321.
Engl, botany, vol. III (1864), tab. 403.
Varietät.
L. [latifolius] megalanthus var. ß) lanceolatus Freyn in Verh. der zool.-
bot. Gesellsch., tom. XXVII (1878), S. 326.
Flügel des Stengels jederseits 2^/^ — Q mm breit, die
der Blattstiele so breit bis nahezu doppelt so breit
als die des Stengels, jederseits 3 — ^mm breit; Zähnchen
meistens vorhanden und mehr oder weniger dicht
stehend.
1 Bei dieser Abbildung sind die Blüthen auffallend gro^s.
Lathy ms 'Arien aus der Section Eulathyrns. 323
Blättchen elliptisch bis länglich, entweder nach
beiden Enden sich allmälig verschmälemd oder vorne stumpf,
zugerundet oder sogar ausgerandet, 38—90 {\00) mm lang,
14 -48ww breit, IV3— öVs^^al so lang als breit. Farbe
oben grasgrün, unten bläulich bereift. Rand der Blättchen bis-
weilen mit Zähnchen besetzt.
Vorderer Theil der Nebenblätter meist breitlanzett-
lich, selten eiförmig, stets fein zugespitzt, (15 — 17) 25 — 42
(55) mm lang, (4) 6—22 mm breit, (1 V3-2-) "^V^-^^U (6-)mal
so lang als breit, Y3 <ier Breite des Stengels sammt den Flügeln
bis etwas breiter als derselbe; der zugehörige Blattstiel
etwas kürzer bis V3 länger, selten doppelt so lang.
Blüthenstiele 2—^^l^mei\ so lang als dei zugehö-
rige Blattstiel sammt Blättchen, (6-) 8 — Hblüthig.
Bracteen pfriemlich, vielmal kürzer als die Blüthen-
stielchen bis Vg derselben; seltener bis fast so lang als die
Blüthenstielchen.
Blüthen 16 — 19 (20— 21) ww lang.
Kelchzähne (Fig. 24) durch ziemlich schmale, rund-
liche Buchten von einander getrennt, die beiden oberen
kurz dreieckig bis fast trapezförmig, die mittleren
gleichschenkelig dreieckig, 2^/^ — 3 mal so lang als die
oberen, V/^ — 2 mal so lang als breit; der untere Zahn
etwas schmälerund IV4 — 1 V2 ^^^ länger als die mittleren,
meist IY2 — ly^mal so lang als die Kelchröhre, selten
nur wenig länger als dieselbe.
Griffel am Grunde ziemlich stark gebogen, an der
Spitze etwas erweitert.
Reife Hülsen 62— 75 wm lang, 9 — lOmw hoch, 6—8-
mal so lang als hoch.
Samen 4 — 5V2 ^^^^^^ Jang, kugelig oder kurzwalzlich, sehr
grob gerunzelt, hell- bis dunkelbraun; Nabel auf die Ober-
seite beschränkt, circa Vg des Samenumfanges ein-
nehmend.
Behaarung. Drüsen an unreifen Hülsen regelmässig und
zahlreich. Kelchsaum meist flaumig oder kurzwimperig; an den
Spitzen noch unentwickelter Sprosse selten einige Härchen;
sonst alles kahl.
324 A. Ginzberger,
Verbreitungsgebiet
Vom nördlichen Mahren durch das östliche Niederöster-
reich und das Küstenland bis ans tyrrhenische Meer; Theile
Italiens; Westhälfte der Balkanhalbinsel, mit Ausschluss von
Serbien und Griechenland; jonische Inseln; Theile von Ungarn
und Siebenbürgen.^
Standortsverzeichniss.
I. Italien. Piemonte; ne siti declivi tra Viagi(?) e Tubbine;
Monferrato (Moris; hb.B.). — Castelluccio; Appennino centrale
(Batelli;hb.M., hb. H.).
II. Süd-Tirol. Zwischen Ala und Brentonico am F'usse
des M. Baldo (Kern er; hb. K.).
III. Krain und Litorale, sammt Inseln. X Idria
(Freyer; hb. M.). ~ * Karst bei St. Peter (Haläcsy; hb. H.). —
Auf Waldwiesen im Litorale häufig (Tommasini; hb. U.). —
t Auf bewaldeten Wiesen vom Küstensaume bis 1 SOC/ (T o m m a-
sini; hb.K.). — tGoritia (ex hb. Wulfen; hb.M.). — t In Hecken
bei Görz (Jabornegg; hb. M.). — X Sta. Croce— Nabresina
(ex hb. Heufler; hb. Z.). — Im Ferdinands-Walde bei Triest
(Tommasini; hb. Z.). — Trebic, X z. Th. Zaule, X Dolina
(Tommasini; hb. Tr.). ~ Pola (Weiss, hb. Tr.; f Wavvra,
hb. M.). — Pola: X in valle Lovina (Tommasini; hb. Tr.);
* Wiesen am Pra grande (Witting; hb. M.); f Monte Serbo
(Kerner; hb. K.); f Macchien beim Bradamante; Kalk, 15 w
(Freyn; hb. K.). — Fiume (hb. U.; f Noe, hb. M.; f A. M. Smith,
hb. M.). — f In collibus silvaticis prope Fiume (A. M. Smith;
hb. K.). — Sandinsel Sansego (Tommasini; X hb. Tr.,
* hb. M.).
IV. Nieder-Österreich (südöstlicher Theil). Kahlen-
berg (ex hb. Portenschlag; hb. M.). — In marginibus silvarum
montis Kahlenberg (Braun; hb. Z.). — Leopoldsberg (X z. Th.
1 Die Pflanze wird von Garcke auch für den Harz als wildwachsend
angegeben. Doch erscheint mir diese Angabe sehr zweifelhaft, da alle von mir
gesehenen Exemplare aus dem Harz, die man allenfalls hieher rechnen könnte,
zu Lathyrus hetcrophyllns L. var. nnijttgus Koch gehören (v. p. 311 f.). — Ein
Exemplar des Lathyrus megalanthtts Steudel von Schade aus Karlshof bei
Wrietzen (Brandenburg, hb. Tr.) kann nach einer schriftlichen Mittheilung von
Prof. Ascherson nur ein Gartenexemplar sein.
Lalhynts -Arten aus der Section Ettlathyrns. 325
ex hb. de Kremer, hb. Z.; Juratzka, hb. Tr). — Rohrerhütte
bei Dornbach (hb. Z.). — Neuwaldegg bei Wien (J. Kerner;
hb. K.). — Steinige buschige Hügel, auf dem Schafberg bei
Neuwaldegg (Kronfeld, hb. AI.; Halacsy, hb. H.). — In
dumetis prope Hütteldorf (ex hb. Zahlbruckner; hb. P.). —
X Halter -Thal (Spreitzenhofer; hb. Z.). — Simmeringer
Wäldchen (hb. M.). — Zwischen Hecken im Laaer Wäldchen
(hb. Z.). — Mauer bei Wien (Wiesbaur; hb.M.). — X Kalksburg
bei Wien; auf sonnigen Hügeln an Ackerrändem (Halacsy
hb. M.); auf Bergwiesen, Kalk (Wiesbaur; hb. M.). — An
Gebüschen bei Perchtoldsdorf (Juratzka; hb. Z.). — X Giess-
hübel bei Perchtoldsdorf (Keck; hb. Keck). — Bei Velm, an
der Bahn (Halacsy; hb. H.). — Gumpoldskirchen (ex hb.
Richter; hb. H.). — Baden bei Wien (ex hb. Zahlbruckner;
hb.M.). — Gaden gegen Siegenfeld (Aichinger; hb.M.). —
Zvveierwiese bei Fischau (So n klar; hb. Tr., X z. Th. hb. U.). —
Kleine Gahnswiese, 1000 w (ex hb. Richter; hb. H.).
V. Mähren. Bei Auspitz; auf einer Hügelwiese zwischen
Kreppic und Gardau (Ansorge; hb. M.). — Grasiger Abhang
bei Zalc nächst Wischau (Spitzner; hb. U.).
VI. Ungarn. X Eisenstadt (Winkler; hb. Keck). —
X Pressburg (Schneller; hb. Z.). — X Prata montana vallis
Bosacensis in comitatu Trencin (Holuby; hb. M.). — Auf Vor-
bergen bei Gran (ex hb. Krzisch; hb. Keck). — Auf Bergwiesen
zu Helemba nächst Gran (Grund 1; hb. M.). — X In Holz-
schlägen um Ofen, Waizen, Erlau (Lang; hb.M.; spec. origin.
Lathyri grandiflori Lang). — Ofen (Henter[?], hb. P.; ex
hb. Lang, hb. U., spec. origin. Lathyri grandiflori Lang).
— Ofen: X in silvis (ex hb. Lang, hb. P., spec. origin. La-
thyri grandiflori Lang); X ad saepes inter vineas (ex hb.
Läng; hb. M.; spec. origin. Lathyri grandiflori Läng);
Auwinkel, Normabaum (Kerner; hb. K., hb. H.); Schwabenberg
(Kerner; hb. K.); Schwabenberg, Kalk, 200m (Bohatsch in
Baenitz, Herb. Europ., No 3364; hb. K, hb.M., hb. H.); sonnige
Stellen des Wolfsthaies (Stein itz, hb. M.; ex herb. Schiffer
hb.M.); X bei der »schönen Schäferin« (Kerner; hb. K). —
Särhegy bei Gyöngyös (Janka; hb. B.). — Holzschläge bei
Grosswardein (Krzisch; hb.M.). — Banat,Perjamos (Wolfner;
326 A. Ginzberger,
hb. Z.). — X Karpathen (Krzisch; hb. M.). — X Farkasvölgy-
Janoshegy (Filarsky und Schilbersky; hb. U.).
VII. Siebenbürgen. Comitat Kolos; Bergwiesen bei Boos;
tertiärer Tegel, 420 w (Freyn; hb.Z.). — In dumetis ad silvarum
margines Transilvaniae; Hammersdorf (Schur; hb. M.).
VIII. Slavonien. Zv^ecovo bei Pozega (hb. Z.).
IX. Dalmatien. X Dalmatia (ex hb. Kosteletzky; hb.
R). — t Litoral-Pflanze; in Weingärten, an Hecken, um Spalato,
Salona (Fetter in Flor. Dalmat. exs., No 220; hb. M., hb. Z.). —
Ragusa (f Adamovic, hb. M.; X Rubricius, hb. Tr.).
X. Bosnien. * Bosnie (Sendtner, No 1036; hb. B.). —
X Koprivnica (Sostaric; hb. U.). — Zenica (Breindl; hb. M.).
— X In valle r. Buca prope Serajevo (B e c k ; hb. U.). — Buschige
Anhöhen nördlich von DolnjaTuzla; Kalk (Wettstein; hb. U.).
— Ost-Bosnien; Berg Udrc bei Drinjaca; Kalk (Wettstein;
hb. U.).
XI. Hercegovina und Montenegro, f In dumetis et
cultis ad vicum Radesic prope castellum Konjsko; distr. Tre-
binje (Vandaz; hb. M.). — X z. Th., * z. Th. In dumetis pagi
Orahovo (Szyszylowicz, iter Montenegr., 1886; hb. M.). —
* In incultis pagi Niegus (Szyszylowicz, iter Montenegr.,
1886; hb. M.). — Montenegro (hb. Tr.).
XII. Albanien und Macedonien. Albania: Scardus, in
pratis ad vicum Vaica, circa 1200 w (Dörfler, iter Türe, 1890;
hb. U., t hb. H.). — Macedonien; Cozlik (Friedrichsthal: hb.
M.; spec. origin. Lathyri brachyteri Alefeld).
XIII. Jonische Inseln. X In silvaticis Corcyrae et Leu-
cadiae (Mazziari; hb. M.).
Zur Synonymie.
Lathyrus inegalanthns Steudel heisst bei den Autoren
ganz allgemein Lathyrus latifoUns L., Sp. pl., non Flor. Suec*
Doch hat Linne schon in der ersten Ausgabe der »Species
plantarum« unter Lathyrus latifoUns sicher mehrere verschie-
dene Arten zusammengefasst. In der Diagnose kann die Angabe
»foliolis lanceolatis<^ zum wenigsten nicht auf die breitblättrigen
Exemplare, wie sie sich in Ungarn, Bosnien u. s. w. finden,
1 Lathyrus LitifoUus L., Flor. Suec. = Lalhvrus atti^tistifoUus [Roth] (s. d.).
Laihyrtts -Arten aus der Section Eulathyrus. 327
bezogen werden. Diese Angabe könnte höchstens auf Lathyrus
angttstifolitis [Roth] passen, was auch dadurch bestätigt wird,
dass Linne Lathyrus latifolius auch in der Flora Suecica^ an-
führt; in Schweden kommt aber ausser Lathyrus silvestris L.
und Lathyrus heterophyllus L. nur Lathyrus angustifolius [Roth]
vor. Auf ihn bezieht sich auch die Angabe: ^ »Differt a Lathyro
Fl. Suec, 598.' Folia enim ovato — lanceolata nee linearia. . . .
Petioli margine laeves nee ita scabri«. Die zweite Pflanze, die
Linne unter Lathyrus latifolius meinte, ist Lathyrus membra-
naceus Presl. Denn Linne citirt^ als Abbildung zu seinem
Lathyrus latifolius das Bild in Garidel, Hist. des plantes de
la Prov. (1715), tab. 108. Ferner begreift Linne auch den Lathy-
rus latifolius aut unter dem erwähnten Namen. Auf diese
Pflanze beziehen sich nämlich die von Linne citirten Abbil-
dungen^ Bauh. hist., II, p. 303 und Morison, Hist., pars II,
sect. II, tab. II, fig. 3. Später hat Linne auch einen Theil der
Exemplare des Lathyrus heterophyllus L., und zwar die breit-
blättrigen, unter dem Namen Lathyrus latifolius begriffen. Er
sagt nämlich in Flora Suecica, ed. II, p. 252 bei Lathyrus lati-
folius: »Variat foliolis in petiolo quaternis«; dies könnte sich
zwar allenfalls auch auf Lathyrus angustifolius [Roth] be-
ziehen, wogegen jedoch die ebenda befindliche Angabe: »stipu-
lae etiam caule latiores« spricht. Auch nennt er an derselben
Stelle die Blättchen des Lathyrus heterophyllus L. »caule paulo
latiora, ensiformia«, die des Lathyrus latifolius dagegen »ellip-
tica, caule multoties latiora«. Schliesslich findet sich bei Lathy-
rus latifolius in Iter Scan., p. 251^ auch eine Angabe: »foliola
lanceolata. . . .caule angustiora; margines caulis et petiolorum
scabri «, die sich am ehesten auf Lathyrus silvestris L.
beziehen lässt.
Da also, wie sich aus dem Gesagten ergibt, der Name
Lathyrus latifolius L. schon in der ersten Ausgabe der »Spec.
J ed. 11 (1755), p. 252.
2 hart. Upsal., p. 217, No 7.
•* Es ist damit Lathyrus silvestris gemeint.
* In Sp. pl., 1. c.
•'• Citirt in Sp. pi., 1. c, rcspect. hört. Clifton., I. c.
<5 Citirt in Sp. pl., 1. c.
328 A. Ginzberger,
plant.« vieldeutig ist, so habe ich denselben ganz vermieden
und dafür den Namen Lathyrus megalanthus Steudel gewählt.
Steudel hat diesen Namen ohne Beschreibung veröffent-
licht, jedoch als Synomym dazu Lathyrus grandiflorns Läng
citirt, welcher Name auf Etiquetten ungarischer Exemplare
sehr häufig zu lesen ist. Nun stimmt diese Pflanze, von der ich
auch Original exemplare sah, mit Lathyrus latifolius autor. voll-
kommen überein; daher kann der Name Lathyrus megalanthus
Steudel für Lathyrus latifolius autor. angewendet werden.
In der Beschreibung des Lathyrus grandiflorus Läng ist
die Angabe, dass die Pflanze drei Blättchen an einem Blattstiel
tragen soll, sehr befremdend, da diese Eigenschaft geradezu
als Charakter der Art hingestellt wird. An einer anderen Stelle
der Beschreibung sind die Blattstiele wieder zweiblätterig
genannt; letzteres war auch bei den von mir gesehenen Ori-
ginalexemplaren der Fall.
Ob sich Janka's Angabe über das Vorkommen des Lathy-
rus fotundifolius Willdenow in Siebenbürgen wirklich auf
diese Pflanze oder auf einen Lathyrus megalanthus Steudel
bezieht, ist mir zweifelhaft geblieben. Im ersteren P'alle könnte
nur eine verwilderte Pflanze gemeint sein, da für das Vor-
kommen des Lathyrus rotundifolius Willdenow in Sieben-
bürgen keinerlei sonstige Belege vorliegen. Schur* citirt
Janka*s Angabe ohne weitere Bemerkung; Fuss^ fügt eine Be-
schreibung bei, die auf den echten Lathyrus rotundifolius VsJ WV
denow passt; durch den Zusatz »non novi« aber wird dieselbe
für den vorliegenden Fall ganz werthlos. Simonkai ^ citirt
Janka's Pflanze als Synonym zu seinem Lathyrus latifolius^
womit er natürlich Lathyrus megalanthus Steudel meint.
MW. Lathyrus brachyterus hat Alefeld, wie aus den von
mir in hb. M. gesehenen Originalexemplaren zu erkennen war,
nichts anderes als Exemplare des Lathyrus megalanthus
Steudel mit ziemlich breiten (iVa bis etwas über zweimal so
langen als breiten) Blättchen gemeint. Dieselben sind aber im
übrigen von Lathyrus megalanthus Steudel nicht zu unter-
1 Enum. plant. Transilv., p. 176.
- Flor. Transilv. excurs., p. 182.
•* Enum. flor. Transilv., p. 197.
Laihynts 'Arien aus der Section Enlathyrtts, 329
scheiden; auch hat Alefeld später seine Art eingezogen und
nur mehr als Varietät des Laihyrns latifoUus autor. (=: megal-
anthus SitnditX) behauptet; eine Publication darüber scheint
zwar nicht zu existiren, aber auf den Etiquetten aller von mir
gesehenen Originalexemplare findet sich die Bemerkung: »La-
thyrus latifoUus L. var. brachyterus Alefeld später ~ Lathyrus
brachytertis Alefeld früher«.
Die Beschreibung des Laihyrns brachyphyllus S chxxv ^diSsi
(bis auf das Merkmal »foliola subemarginata*, das übrigens
bei anderen Exemplaren, z. B. aus Bosnien gelegentlich zu-
trifft) ganz auf die Exemplare des Laihyrns megalanihus
Steudel aus der Umgebung von Wien, wo Schur seinen
Laihyrns brachyphyllus gefunden hat. Die Exemplare aus
Wien unterscheiden sich aber nicht von denen aus Ungarn, auf
welche sich, wie oben ausgeführt wurde, der Name Laihyrns
megalanihns Steudel bezieht.
Der Name Laihyrns grandifo lins Schur ist nur durch
einen Schreibfehler aus Laihyrns grandiflorns entstanden;
denn Schur citirt Lang, Syll. Ratisbon., I, p. 182, wo von einem
Laihyrns grandif Ol ins gar nicht die Rede ist.
Als Herbarnamen für Laihyrns megalanihns Steudel
wären Laihyrns Langii Kosteletzky herb, instit. bot. univ.
Germ. Prag, femer Laihyrns orbicnlaris Sändor und Laihyrns
deftiicnlains Kitaibel herb. hört. bot. Budap. zu nennen. Im
herb. M. sind die Exemplare vom Kahlenberg, Simmeringer
Wäldchen, »sonnige Stellen des Wolfsthaies« und »ad vineas
Budae« von Alefeld eigenhändig als Laihyrns laiifolins var.
medins bezeichnet.
Laihyrns megalanihns St ende \ variirt sehr stark in der
relativen Breite seiner Blättchen.^ Um überhaupt eine Scheidung
in Formen zu ermöglichen, habe ich jene Exemplare, deren
mittlere Blättchen mehr als dreimal so lang als breit sind, als
zu einer schmälerblättrigen Form gehörig betrachtet und im
Standortsverzeichniss mit X bezeichnet. Die angenommene
Grenze ist willkürlich; die relative Breite der Blättchen liegt bei
1 .Man muss überall die mittleren Blättchen betrachten, da die oberen
und unteren an demselben Exemplar relativ schmäler sind.
330 A. Ginz berger,
vielen Exemplaren gerade in der nächsten Nähe von 3. Deshalb,
sowie weil die betreffenden Exemplare gelegentlich überall
vorkommen und nicht für bestimmte Gebiete charakteristisch
sind, halte ich die Einführung eines Namens für überflüssig.
Die schmälerblättrigen Exemplare sind übrigens auch dadurch
ausgezeichnet, dass ihre Blättchen häufiger nach beiden Seiten
verschmälert als vorne stumpf oder abgerundet sind.
Stärker als die schmälerblättrigen Exemplare weicht eine
Form ab, die ich nur von der istrianischen Insel Sansego sah.
Dieselbe macht wegen ihrer lanzettlichen Blättchen (72 — 90 mm
lang, 11 — \7 mm breit,5— 7mal so lang als breit) und ihrer
schmalen (circa 10 mal so langen als breiten) Nebenblätter den
Eindruck eines Lathyrus silvestris L., hat aber die Blüthen
eines echten Lathyrus megalanihus Steudel; auch sind die
Stengelflügel wenig breiter als die der Blattstiele.
Neben der Form mit schmäleren konnte ich auch eine
solche mit relativ kleinen Blättchen unterscheiden. Ich rechnete
hieher jene Exemplare mit breiten (d. h. weniger als 3 mal so
langen als breiten) Blättchen, deren Länge 40 mm, sowie jene
Exemplare mit schmalen (d. h. mehr als 3 mal so langen als
breiten) Blättchen, deren Länge 50 mm nicht übersteigt. Diese
Abgrenzung ist zwar an sich ganz künstlich, hat aber doch
den Vortheil, dass auf die angegebene Weise eine Form ab-
getrennt wird, welche für die ganze Ostküste der Adria von
Görz bis Montenegro sehr charakteristisch ist, und neben der
die gewöhnliche Form mit grossen Blättchen nur spärlich
vorkommt. Die Merkmale unserer Form, die in der Haupt-
beschreibung nicht berücksichtigt wurde, sind folgende:
Stengel- und Blattstielflügel ungefähr gleich breit,
1 — 2^l^mm breit; Blättchen 15 — 50mm lang, ob -—IT mm
breit, 2V4 — 572niaP so lang als breit, die schmäleren
Blättchen meist nach beiden Seiten gleichmässig verschmälert,
die breiteren vorne stumpf oder abgerundet.
Vorderer Theil der Nebenblätter, 5 — 20mm lang,
IV2 — \4mm breit. Blüthenstiele 3 — 4mal so lang als der
zugehörige Blattstiel sammt Blättchen.
1 Selten weniger denn 2 mal so lan;? als breit.
Lnihynis -Arten aus der Section Eulathynis. 331
Blüthen 14—16 mm lang. Hülsen 52 — 62 mm lang,
6V2 — 7V2 w/w/ hoch. Samen wie beim Typus, bei einem
Exemplar 6 mm lang und seitlich comprimirt. Die Grösse
mancher besonders kleiner Exemplare unserer Form beträgt
nicht über 20 cm.
Frey n hat in seiner »Flora von Südistrien« die vorliegende
Form mit dem Namen var. laticeolatus belegt, der auch an-
standslos beibehalten werden kann. Die hieher gehörigen
Exemplare sind im Standortsverzeichniss besonders bezeichnet,
und zwar die breitblätterigen mitf, die schmalblätterigen mit*.
Im südwestlichen Europa und nordwestlichen Afrika finden
sich mehrere Formen aus der nächsten Verwandtschaft des
Lathyrus megalanihns Steudel; manche der aus dem erwähnten
Gebiete stammenden Exemplare (so ein Theil derjenigen von
der Pyrenäen-Halbinsel) sind von den osteuropäischen kaum
sicher zu unterscheiden; der grössere Theil der Exemplare
dagegen gehört zu zwei Formen, die sich zwar bisweilen auch
an die osteuropäischen Formen anschliessen, in typischen
Exemplaren jedoch von diesen recht auffallend verschieden
sind. Ich werde dieselben hier beschreiben und ihre Ver-
breitung erläutern, wage es jedoch nicht, ihre Artberechtigung
mit Sicherheit zu behaupten.
Die eine dieser Formen kann mit dem Namen Lathyrus
purpnretis Gilibert bezeichnet werden.
Lathyrus purpureus Gilibert, Exercitia phytologica, vol. I,
Plant. Lithuan. (1792), p. 260;
non Desfontaines in Annal. du miiseum d'hist. natur., XII (1808),
p. 56; ic. tab. VII;
non Presl, del. Prag. (1822), vol. I, p. 39.
Syn. L. silvestris Desfontaines, Fl. Atlant. (1800), tom. II, p. 161.
L. neglcctns Puel, Catal. des plantes du Lot (1845 — 1852), p. 179.
L. latifolius aut. Gall.
L. latifoUns a) gennimis Grenier etGodron, Flore de France (1848),
tom. I, p. 484.
L. platyphylliis z. Th. und L. latifolius z. Th. Alefeld in Bonplandia,
IX (1861), p. 153, resp. 152.
L. latifolius Gremli, Excursionsfl. der Schweiz (1878), p. 132.
L. latifolius rj)^ ^), i) z. Th.. 1) z. Th.(?), Willkomm et Lange, Prodr.
n. Hisp. (1880), vol. III, p. 316.
332 A. Ginzberger,
L. latifolins var. angustatus Gremli, Neue Beiträge zur Flora der
Schweiz, lU (1883), p. 7.
L. latifolins var. pallidiflortts Lange in Willkomm, Suppl. prodr. flor.
Hisp. (1893), p. 240.
Icones. Rivinus, Introd. gener. in rem herb., pars II (1691), tab. 40 (stellt
ein sehr schmalblättriges Exemplar dar).
Stengelflügel \^l^'-2^^l^ mm breit, die der Blatt-
stiele etwas schmäler bis etwas breiter, 2 — 'i^j^mm
breit; Zähnchen meist entfernt stehend oder ganz
fehlend, seltener ziemlich dicht.
Blättchen lanzettlich bis breitlanzettlich, meist
spitzlich, (33—45) 50—85 (94, 108) mm lang, 11 — 26 mm breit,
3— 6(8— 9) mal so lang als breit.
Vorderer Theil der Nebenblätter lanzettlich bis ei-
lanzettlich, lang zugespitzt, (13) 18— 35ww lang, (178)4 bis
I3V2 w^^ breit, 2—6 (9-) mal so lang als breit, meist etwas
schmäler (bis Vs) ^Is der Stengel sammt den Flügeln, aber auch
gleichbreit oder erheblich breiter; der zugehörige Blatt-
stiel meist P/g — iV^nnal so lang, seltener gleichlang oder
2 mal so lang.
Blüthenstiele (IV2-) 2— 278mal so lang als der zu-
gehörige Blattstiel sammtBlättchen; 8 — 14(16-)blüthig.
Bracteen mehrmals kürzer bis fast so lang als die
Blüthenstielchen.
Blüthen 20— 26 ww lang.
Kelchzähne (Fig. 25) durch schmale, stumpfe bis
spitzliche Buchten von einander getrennt, die beiden
oberen kurz dreieckig bis fast trapezförmig, die mitt-
leren dreieckig, lang zugespitzt, circa 2 mal so lang als
die oberen, 173—2 mal so lang als breit; der untere Zahn
174 — l^l^vaeil so lang als die mittleren, IVg- bis fast
2mal so lang als die Kelchröhre.^
Griffel am Grunde ziemlich stark gebogen, an der
Spitze wenig verbreitert.
1 Das Exemplar von Pamplona (hb. B.) hat relativ sehr kurze Kelchzipfel
mit ziemlich breiten, runden Buchten; der untere Zahn ist nur so lang als die
Kelchröhre (Fig. 26). Ähnlich verhält sich das Exemplar von Alais (hb. Z.)
und das von der Sierra de Ronda (hb. H.).
Lathvrus 'Arien aus der Section Enlathyrus. 333
Reife Hülsen 78— 95 (108)fww lang, 8 — lOww hoch,
8 — lOY^mal so lang als hoch.
Samen bmm lang, kugelig bis etwas walzlich, braun,
stark- und stumpfrunzelig. Nabel die Oberseite des Samens
fast ganz einnehmend, d. i. circa Vg des Umfanges.
Behaarung. Drüsen an jungen Hülsen zahlreich, ver-
einzelt am Stengel, an seinen Knoten und den Nebenblättern.
Härchen hie und da auf der Spitze der Zähnchen der Stengel-
und ßlattstielflügel. Kelchsaum kurzwimperig. Sonst alles
kahl.
Verbreitungsgebiet.
Westlichste Schweiz und Frankreich von der Loire-Mün-
dung und dem Genfer-See bis zum Mittelmeer und den Pyrenäen;
nordöstliches Spanien; Umgebungen von Lissabon, Ronda
(Andalusien), Palermo, Algier und Constantine.
Standortsverzeichniss.
I. West-Schweiz. Valleyres(?) bei Orbe (hb. B.).
II. Frankreich. Albertville (Huguenin; hb. K.). — Montes
Nicaeenses (Fontan; hb. B.). — A'nnot, le bois (Reverchon;
hb. B.). — Le Lue, depart. Var (hb. M.). — Vigues ä Tain; depart.
Drome (Miciol; hb. H.). — Lyon (ex hb. Jordan; hb. Z.). —
Lyon, ä la Pape (ex hb. Jordan; hb. B., X hb. Tr.). — Bois ä
Couzon, depart. Rhone (C. Martin, PI. des environs de Lyon,
1851; hb. M.). — Couzon, Lyon (Bourgeaux; hb. B.). — Gieu;
Loire (Delastre; hb. M.). — Clermont-Ferrand, haies ä Chau-
turgues; argiles, 500 w (Gautier in Gautier-Lacroze, Fl.
Arvern. exs,; hb. H.). -— Lozere, les haies, les taillis (Prost;
hb. M.). — Alais, depart. Gard (ex hb. Jordan; hb.Z.). — Collines
calcaires dans les broussailles au Vigan, depart. Gard (Tucz-
kiewick in de Billot, Fl. Gall. et Germ, exs., No 3366; hb.
B.). — Foret de St. Gemme, Vendee (Pontarlier; hb. M.). —
t Bordeaux (hb. M.). — Agen; depart. Lot-et-Garonne; in dumetis
(hb. Z.). — Les Mazes, pres Layrac; depart. Lot-et-Garonne;
haies, broussailles (Arnaud in Soc.dauphinoise,1884, No 4083,
SilsLathyrus latifolms var. angtistifolius Grenier et Godron.)
— In Sil vis prope Auch et ad ora fluvii le Gers (D u p u y ; hb. K e c k.
334 A. Ginzberger,
hb. M.). — t A Pech-David (Cauvet, PI. Tolosan et Pyrenaeor.;
hb. M.).
III. Pyrenäen-Halbinsel. Pamplona (ex hb. Fauche;
hb. B.). — Barcinone, in dumosis ad sepes regionis inferioris
usque ad montanam; 50 — 500 w (Mapö; hb. H.). — Sierra de
Ronda, lieux ombrages et calcaires (Reverchon, Plantes de
TAndalousie, 1889; als Lathyrtis latifolius var. pallidiflorus
Lange; hb. H., hb. U.). — f Arredores de Lisboa: de Carca-
vellos a Oeiras (Dave au in Fl. Lusitan. exsicc, No 1290; als
LathyrtiS silvestris L. ; hb. U.).
IV. Sicilien. Palermo: in dumetis (Todaro; hb. Z.): ad
sepes (Todaro, Fl. Sicul. exs., No 1563; als Lathyrus silvestris:
hb. H.); sotto Monreale, ad sepes (Todaro, Fl. Sicul. exs.,
No 338; als Lathyrus latifolius; hb. H.).
V. Algerien, f Alger (Monard; hb. B.). — Buissons dans
les atterissements de la riviere des Chiens, pres de Constantine
(Choulette in Fragm. flor. Alger. exs., II. serie, No 131; hb. B.).
Zur Synonymie.
Unter dem Namen Lathyrus purpureus wollte Gilibert
nicht etwa eine neue Art b'eschreiben, sondern gemäss seinem
Principe, die Arten in Localfloren nach recht charakteristischen
Merkmalen zu benennen, nur einen neuen Namen einführen.
Die dem Namen beigesetzte Beschreibung passt recht gut auf
die in Rede stehende Pflanze Süd- und Mittelfrankreichs, nach
der die Diagnose auch wohl angefertigt ist. (Gilibert ver-
gleicht nämlich die Pflanzen Litthauens mit denen Südfrank-
reichs.) Dass die Pflanze Litthauens von Gilibert für identisch
mit derjenigen der Dauphinee gehalten wurde, beweist der am
Ende der Beschreibung stehende Zusatz: Delphinalis.
Dass, wie ich eine Zeitlang glaubte, Gilibert unter seinem
Lathyrus purpureus den Lathyrus megalanthus Steudel ge-
meint hat, ist nicht gut denkbar; denn dieser kommt in Frank-
reich sicher nicht vor; auch aus Russland sah ich ihn nicht;
manche Autoren (Ledebour^) geben zwar einen Lathyrus lati-
folius für Russland an, andere jedoch ziehen die für letzteren
1 Flor. Ross., I, p. 684.
Laihyrus 'Arten aus der Section Eulathynts. 335
angegebenen Standorte und Citate ganz oder zum Theile zu
Lathyrus silvestris oder einer Varietät desselben. Ruprecht^
zieht den Lathyrus latifolius aut. Flor. Petrop. zu seiner var.
* Lathyrus silvestris latifolius in Lathyrus latifolius L. Flor.
Suec, non sp. pl.«, welche er vom Typus nur durch die breiteren
Blättchen unterscheidet. Aber auch Ledebour meint 1. c, dass
ein Tbeil der von ihm zu Lathyrus latifolius gezogenen Syno-
nyma zu einer Varietät des Lathyrus silvestris gehöre. Traut-
vetter ^ zählt den Lathyrus latifolius nur für Abchasien auf;
Lehmann ^ citirt alle früheren Angaben von Lathyrus latifolius
zu Lathyrus silvestris L.
Aus dem Gesagten dürfte hervorgehen, dass, da für das
Vorkommen des Lathyrus megalanthus Steudel in Russland
keine sicheren Angaben vorliegen, die Pflanze Litthauens
welche Gilibert mit derjenigen der Dauphinee verglich, ent-
weder eine breitblätterige Varietät des Lathyrus silvestris L.
(var, platyphyllus Reiz.) oder vielleicht ein Lathyrus angusti-
folius [Roth] war. Da jedoch die Beschreibung auf diese
Formen gar nicht passt, so glaube ich, den Namen Lathyrus
purpureus Gilibert für die in Rede stehende Pflanze Frank-
reichs in Anspruch nehmen zu dürfen.
Lathyrus silvestris Desfontaines dürfte namentlich mit
Rücksicht auf die Angabe »stipulae magnae« hieher gehören.
Die Originaldiagnose von Lathyrus neglectus Puel war
mir nicht zugänglich. Doch fand ich in Boreau, Flore du centre
de la France, ed. III (1857), tom. IV, p. 178 eine Angabe, nach
der sich Laihyrus neglectus von Lathyrus latifolius durch
schlankere Proportionen, schmälere Flügel und Blättchen,
kleinere Nebenblätter und Blüthen, welch letztere aber gleich-
falls schön rosenroth sind, unterscheidet.
Gremli gibt Lathyrus latifolius in seiner »Excursions-
flora« nur für Waadt und Neuenburg an. Aus dem ersteren
Lande sah ich Exemplare. Ich glaube mit Rücksicht auf diese
die Varietät angustatus hieher ziehen zu dürfen.
1 Flor. Ingr., p. 284.
3 Catalog. Viciearum Rossic. in act. hört. Petropol., tom III (1875), p. 62
3 Flora von Polnisch Livland, p. 428.
Sitzb. d. mathem.-naturw. Ol.; CV. Bd., Abth. I. 22
336 A. Ginzberger,
Anmerkung. Der Index Kewensis^ führt einen Lathyrus
magmßortis Miller, Gardeners dictionary, ed. VIII (1768), n. 14
an. Ein solcher Name existirt nicht, wohl aber findet sich an
der genannten Stelle ein »Lathyrus (magno flore) pedunculis
multifloris, cirrhis diphyllis, foliolis ovato-lanceolatis, internodiis
membranaceis«. Derselbe dürfte hieher gehören.
Als Herbarname wäre Lathyrus latifolius var. megalanthus
Alefeld in herb. M. zu nennen.
Diese Form, durch die schmalen Blättchen, grossen Blüthen
und die (im Vergleich zum Blattstiel) verhältnissmässig kurzen
Nebenblätter von dem Lathyrus megalanthus Steudel Ost-
europas verschieden, findet sich nach meinen Erfahrungen
in ihrer typischen Ausbildung nur im westlichsten Theile der
Schweiz (Canton Waadt) und im südlichen und mittleren
Frankreich bis an die Loire. Ein ziemlich ähnliches Exemplar
sah ich aus Algerien (Constantine), doch waren bei diesem die
Nebenblätter wenig kürzer bis so lang als der Blattstiel. Freilich
findet man unter den Exemplaren aus Frankreich und der
westlichen Schweiz ab und zu auch solche, die durch breite
(weniger als 3 mal so lange als breite) Blättchen ^ oder kleine
(unter 20 mm) Blüthen ^ eine Annäherung an Lathyrus megal-
anthus Steudel zeigen. Dennoch ist das genannte Gebiet
durch die beschriebene Form gut charakterisirt.
Aus der Umgebung von Palermo in Sicilien sah ich Exem-
plare, die wir auch zu Lathyrus purpureus Gilibevt rechnen
können, wenngleich sie den Typus nicht so gut repräsentiren
wie viele der französischen Exemplare. Blüthen 20 — 22 mm
lang. Blättchen z. Th. auffallend lang (108 mm), bei 2 Exem-
plaren vorne so stumpf wie die des Lathyrus angustifolius
[Roth].
Eine grosse Mannigfaltigkeit der Formen herrscht auf der
Pyrenäenhalbinsel. Einige Exemplare sind durch abweichende
Bildung des Kelches ausgezeichnet (s. Beschr. S. 332, Anm. l)."*
1 Fase. III, p. 38.
2 Im Standortsverzeichniss mit X bezeichnet.
3 Im Standortsverzeichniss mit f bezeichnet.
^ = Lathyrus latifolius 8) Willkomm et Lange, Flor. Hisp. prodr.,
vol. III, p. 316.
LathymS'Arien aus der Section Eulathyrus. 337
Ein Theil (Pamplona, Barcinone) schliesst sich im ganzen
an die französisciien Exemplare an, erreicht aber nicht die
Grösse der Blüthen jener; jedoch sind dieselben über 20 mm
lang. Bei anderen bleibt die Grösse der Blüthen selbst hinter dieser
Zahl zurück (Coimbra, Lisboa). Ist dies schon eine Annäherung
an Laihyrns megalanthus Steudely so finden wir eine andere
Form derselben darin ausgesprochen, dass bei einigen Exem-
plaren (Coimbra, hb. U.; Marbella) die Blättchen weniger als
3 mal so lang als breit, also auffällig breit sind. Das Exemplar
von Marbella zeigt überdies die oben erwähnte abweichende
Beschaffenheit der Kelchzipfel in ausgezeichneter Weise. Einige
Exemplare (Sierra de Ronda, hb. H.; Coimbra, hb. H.) erinnern
durch kleine Blättchen (29 — 45 mm lang, 6V2 — 9 ^ww breit) an
entsprechende Formen des Lathyrus megalanthus Steudel. —
Die andere bemerkenswerthe Form ist bisher nicht unter-
schieden worden. Willkomm und Lange führen sie unter
Lathyrus latifoliuso) auf*; auch Mwnhy' s Lathyrus silvestris^
dürfte hieher gehören. Ich schlage für die Pflanze den Namen
Lathyrus algericus vor. Ihre Merkmale sind folgende:
Stengelflügel P/a — X^l^mmbvQit, die der Blattstiele
ebenso breit oder etwas schmäler, 1 — 174 mm breit.
Zähnchen meist fehlend, selten sehr entfernt.
Blättchen lanzettlich, vorne wenig zusammengezogen,
32—50 (75) mm lang, 5—11 Vg mm breit, 473-6 (ZV^- 9) mal
so lang als breit.
VordererTheilderNebenblätterlanzettlich, Q— 25w/w
lang, 1 V2—3V2 ^«^w breit, 6 — 8mal so lang als breit, Ve^Vs
so breit als der Stengel sammt den Flügeln; der zugehörige
Blattstiel P/g — 2 mal so lang.
Blüthenstiele 2— 3mal so lang als der zugehörige Blatt-
stiel sammt Blättchen, 5 — 7blüthig.
Bracteen sehr kurz.
Blüthen (15) 17—19 mm lang.
Kelchzähne durch rundliche, nicht sehr schmale
Buchten von einander getrennt, die oberen kurz drei-
1 Prodr. n. Hispan. (1880), vol. III, p. 316.
2 Flore de l'Algerie, ed. II (1847), p. 78.
22*
338 A. Ginzberger,
eckig, die mittleren gleichschenklig dreieckig, IV2 — 272 mal
so lang als die oberen, iVs — l^/s^^^ so lang als breil; der
untere Zahn circa IVs^^Q^l so lang als die mittleren,
iVt — 2V8mal so lang als die Kelchröhre.
Reife Hülsen 72 — 75 mm lang, S—^S^/^mm hoch.
Samen^ flach gedrückt, sehr schwach gerunzelt, b tfint
lang, röthlichbraun.
Behaarung. Drüsen hie und da an den nicht grünen
Stellen der Stengelknoten und Blättchengelenke. Noch unent-
wickelte Spitzen der Sprosse etwas behaart; Kelchsaum meist
flaumig, sonst alles kahl.
Verbreitungsgebiet.
Sierra Nevada; Provinz Alger (Algerien).
Standortsverzeichniss.
I. Spanien. Sierra Nevada (hb. B.; Willkomm, hb. M.).
II. Algerien. Province d*Alger (Lefebvre; hb. M.). —
Broussailles pres la Maison-carree; Alger (Gugon; hb. M.). —
Bords des chemins de Chaiba et de Teftschoun; province
d 'Alger (Lefebvre; hb. M.).
Unsere Pflanze ist dem klein- und schmalblättiigen
Lathyrns megalanthus Steudel aus Istrien, Montenegro sehr
ähnlich. Über die Unterschiede lässt sich kein allgemein
giltiges Bild entwerfen. Die Exemplare der istrisch-montenegri-
nischen Pflanze haben z. Th. grössere und breitere Neben-
blätter, die auch so lang sein können als der Blattstiel, femer
oft reicherblüthige Trauben. Auch sind bei ihnen die Stengel-
und Blattstielflügel meist mehr oder weniger dicht gezähnt
Von relativ kleinblättrigen Exemplaren des Lathyrns
pnrpurens Gilibert (Annot, hb. B.; Alais, hb. Z.; Clermont,
hb. H.) ist Lathyrns algericus m. durch die schmalen Neben-
blätter, oder, wenn dieses Merkmal nicht genug ausgeprägt
ist, durch die kleineren Blüthen zu unterscheiden; auch die
Breite der Stengel- und Blattstielflügel ist ein ziemlich gutes
Merkmal. —
1 Nur von einem Exemplar, und da vielleicht unreif oder verkümmert.
Lathy ms -Arien aus der Scction Eulathyrus. 339
Wir sehen also, dass aus der Fülle der Formen, die das süd-
westliche Europa und nordwestliche Afrika bewohnen, nur zwei
so charakteristisch sind, dass wir sie mit grösserer Sicherheit
unterscheiden können. Sie sind es auch allein, die ich in
grösserer Individuenzahl in den Herbarien auffand. Von den
übrigen nur in einzelnen Individuen vorgefundenen Formen
habe ich das, was mir interessant erschien, angegeben, wage
es aber nicht, einzelne Formen zu unterscheiden oder gar zu
benennen. Vielleicht hat Willkomm das Richtige getroffen,
wenn er alle Lathyrtis Spaniens, die in die Nähe der in Rede
stehenden Arten gehören, unter einem Namen (Lathyrus lati-
folius) zusammenfasst und nach den Verschiedenheiten im
Kelch und in den Blättchen eine Anzahl von Varietäten unter-
scheidet, ohne sie jedoch zu benennen. Dass er auch Lathyrus
membranaceus Presl und Lathyrus pulcher Gay einbezogen
hat, kann ich freilich nicht billigen.
Jene Exemplare von der Pyrenäenhalbinsel, welche ich
weder zu Lathyrus purpureus Gilibert, noch zu Lathyrus
algericus m. rechnen kann, will ich in einem besonderen
Verzeichniss aufführen.
I. Spanien. X^ Marbella, regnum Granatense (hb. B.).
IL Portugal. Coimbra: Balea(Moller in fl.Lusitan.exsicc,
No 335, als Lathyrus latifolius; X^ hb. U., f^ hb. H.).
Lathyrus membranaceus Presl, del. Prag. (1822), p. 40.
Syn. L. ensifolius Badarö, Mem. in diar. phys.-chem. Ticin. bim. V (1824),
n. 13; ex Moretti, Botanico italiano, I (1826), p. 38;
Reichenbach, Fl. Germ, excurs. (1830 — 1832), p. 535; 2. Th.;
nori Gay, Ann. d. seienc. nat., ser. IV, VIII (1857), p. 313.
L. longifolius Tenore^ Ind. sem. hört Neapol. (1825), p. 12.
L. silvestris &) cnsifolius Seringe in De Cand. prodr., pars II (1825),
p. 369.
L. silvestris Gussone, Fl. Siculae prodr. (1828X tom. II, p. 413;
Tornabene, Fl. Sicula (1887), p. 220.
L. latifolius var. a) Reichenbach, Fl. Germ, excurs. (1830—1832).
p. 535; z. Th.2
1 Bedeutung der Zeichen wie in dem Standortsverzeichniss des Lathyrus
purpureus Gilibert.
2 Hieher vielleicht das üppige breitblättrige Exemplar aus Pola. Siehe
die Erläuterungen (S. 343 f.).
340 A. Ginzberger,
L. silvestris und var. angustifolins Moris, Fl. Sardoa (1837), tom. I,
p. 579;
L. silvestris var. g) Bertoloni, Flor. Ital. (1847), vol. VII, p. 465.
L. latijolius ß) angusiifolius Koch, Syn. fl. Germ., ed. II (1843), p. 224;
Grenier etGodron, Flore de France (1848), tom. I, p. 484.
L. silvestris var. a) Doäonaei^ und ß) ensifolius Visiani, Flor. DalmaL
(1852), vol. III, p. 329.
L. latifolius var. ß) z. Th., y), C)! Willkomm et Lange, Prodr. fl. Hisp.
(1880), vol. III, p. 316.
L. monspeliensis Delile (in herb.) in Loret et Barrandon, Flore de
Montpellier, ed. II (1886), p. 147.
Icones. Garidel, Hist. des plantes d'Aix et de la Provence (1715), tab. 108.
(Stellt ein sehr breitblättriges Exemplar dar.)
Flügel des Stengels jederseits ^U—^^l^ntm breit, die
der Blattstiele etwas schmäler bis etwas breiter, 1 — 3V2 ^^^
breit; Zähnchen fehlend bis ziemlich dicht.
Blättchen lineal -lanzettlich bis lineal,inder Mitte
oder im ersten Drittel am breitesten, entweder allmälig
in die Spitze verlaufend oder vor derselben zusammengezogen,
(53) 70— 120(145 — 150) f«fw lang, 2 — lOVg (13V2) ^^w t>reit,
(9V2-) 11 — 40mal so lang als breit. Farbe oben grasgrün,
unter blässer bis graugrün.
Vorderer Theil der Nebenblätter lanzettlich, fein
zugespitzt, lV2~3mal so lang als der hintere; ersterer
1172 — 41 fwm lang, l^/^^S {\\)mm breit, fast 3 — 11 mal so
lang als breit, halb so breit bis ebenso breit als der Stengel
sammt den Flügeln; der zugehörige Blattstiel selten kürzer als
der vordere Theil der Nebenblätter (V^ desselben), meist länger
bis etwa 2 V4 mal so lang als derselbe.
Blüthenstiele so lang bis 2 mal so lang als der
zugehörige Blattstiel sammt Blättchen, 5 — 14blüthig.
Bracteen sehr kurz bis V2 ^^^ Blüthenstielchens, selten
länger.
Blüthen 16—24 (meist 18— 22) fum lang.
Kelchzähne durch ziemlich schmale, rundliche
Buchten von einander getrennt, die beiden oberen kurz
dreieckig bis fast trapezförmig, ungefähr ebenso lang
1 Hieher vielleicht das üppige breitblättrige Exemplar aus Pola. Siehe
die Eriäuterungen (S. 343 f.).
Latkyrus 'Arien aus der Section Eulathyriis. 341
als breit, die mittleren gleichschenklig dreieckig, spitz,
lV2—2V2nial so lang als breit und 174—278"^^^ so lang
als die oberen; der untere Zahn IV3 — IVs"^^' ^^ lang
als die mittleren, spitz, wenig länger bis 174^^1 so
lang als die Röhre.
Griffel besonders am Grunde ziemlich stark gekrümmt,
an der Spitze kaum erweitert.
Reife Hülsen (60) 77— 86 mw, lang, 6-5—11 mm hoch,
8 — 10 mal so lang als hoch.
Samen 4—5 mm lang, walzlich oder seitlich stark zu-
sammengedrückt, dunkelbraun bis schwarz, selten blassbraun;
stark- und stumpfrunzelig; Runzeln manchmal ziemlich un*
zusammenhängend; Nabel die Oberseite des Samens ein-
nehmend, bisweilen etwas auf die Hinterseite übergreifend,
V3 des Samenumfanges umfassend.
Behaarung. Drüsen an jungen Hülsen. Saum des Kelches
meist kurzwimperig; sonst alles kahl.
Verbreitungsgebiet.
Umgebung von Lissabon; nordöstliches Spanien; Süd-
Frankreich bis zur Vendee; Corsica, Sicilien, Italien; Süd-Istrien
und die istrianischen Inseln.
Standortsverzeichniss.
I. Portugal, t In vineis Estremadurae prope Belem agri
Olisiponensis (hb. B.). — f Arredores de Lisboa: de Carcavellos
a Oeiras (Dave au in Flor. Lusit. exsicc, No 1290, als Lathyrns
silvestris; hb. H.).
II. Spanien. In sepibus prope Olave in Navarra raro, in
montibus inter fluvios Aragon et Gallego in Aragonia copiose
(Willkomm, It. Hispan. sec, 1850, No 231; hb. M., f hb. B.,
t hb. Keck; spec. origin. Lathyri latifolii C) Willkomm
et Lange). — f Aragonia superior (Willkomm, it. Hispan»
sec, 1850, No 231; hb. M.). — fCorba (Bordere; hb. K.).
III. Frankreich. Broussailles des rochers calcaires ä
Chaille-les-Marais; Vendee (Letourneux in Billot, Fl. Gall.
et Germ, exsicc, No 3365; hb. B.). — Alais, depart. Gard (ex
hb. Jordan; hb. Z.). — Bouches du Rhone: La Couronne pres
342 A. Ginzberger,
de Martigues, dans les haies (Autheman, hb. H., als Lathyrus
silvestris); S. Marcel (Miciol; hb. H.). — Montpellier (ex hb.
Jordan, hb. Tr.; t Martius, hb. K.). — Ad vias inter San Martine
di Lentosca et Lucerame (hb. B.).
IV. Corsica. Bastia (Sieber; f z. Th. hb. M., X hb. P.). —
Sommet du Pigno ä Bastia (Mabille, herb. Corsic, No 71, als
Lathyrus latifolins var. angtistifolius GrenieretGodron; hb.
B., hb. M.). — X In summo monte Pigno (hb. U.). — Bastia;
paturages sur les pentes du Pigno (Debeaux, PI. de Corse;
hb. M.). — Porto, buissons (Reverchon, PI. de Corse, 1885,
No 444; hb.M., hb.H.). — Ajaccio (Requieu; hb.B.). — f Ajaccio,
dans les champs (Thiriaux; hb. B.).
V. Sicilien. In silvaticis prope Palermo (hb. Z.). — In
collibus calcareis ditionis inferioris Madoniarum prope Isnello
(Strobl, Flora Nebrodensis; hb.M., hb. B., f hb. K.). — In
dumetis prope Randazzo (Huet du Pavillon, PI. Siculae;
hb. B.).
VI. Italien, f Flora Picena (ex hb. Orsini; hb. B.). —
Subasio, Umbria (Batelli; hb.H.). — Broussailles pres Solmona,
Abbruzzen (Boissier; hb. B.). — Basilicata; inter sepes ad
rupes et muros prope Lauria; solo calcareo, 400 — 500 w (Hute r,
Porta, Rigo, ex itin. III. Ital., No 808; hb. K.).
VII. Küstenland. X Istria; X in Istria australi (Tomma-
sini; hb. B.). — f Pola, Inseln (Wawra, Flor, mediterr., No 212;
hb. M.). — Cherso (Tommasini; hb. Z.). — X Beilei auf
Cherso (Sendtner; hb. Tr.). — Sansego (Sendtner, hb. Tr,
t Tommasini, hb. Tr.).
Zur Synonymie.
In der Diagnose des Lathyrus membranaceus Presl findet
sich die Angabe »foliola 2— 3-pollicaria«. Mit Rücksicht
darauf dürften Presl ziemlich kurzblättrige Exemplare vor-
gelegen sein. Unter den von mir gesehenen Exemplaren ent-
spricht das von Solmona (Abbruzzen) dieser Angabe am besten.
Zu Lathyrus eusifolhts fand ich einmal das Citat: Brotero,
Phytographia Lusitan. selectior (1816). In dem genannten
Werk ist jedoch von einem Lathyrus eusifolius gar nicht die
Rede. Auch der Name Lathyrus membranaceus^ der im Prager
Z^/Ävr«s -Arten aus der Section Eulathyrus. 343
Herbar mit dem Automamen Brotero vorkommt, findet sich
weder in dem genannten Werke noch in »Flora Lusitanica«.
Lathyrus silvestrisa) ensifolius Seringe gehört mit Rück-
sicht auf das Synonym Lathyrus ensifolius Badarö möglicher-
weise zum Theile hieher. (Vergl. auch die Synonymie von
Lathyrus silvestris var. tiroliensis m. [p. 288].)
ijhev Lathyrus silvestris Gussoney Tornabene, Moris
vergleiche das in den Erläuterungen zur Synonymie des La-
thyrus silvestris L. Gesagte (p. 294 f.).
Ob Willkomm*s Lathyrus latifolius C) hieher zu rechnen
ist, ist mir nicht ganz klar; die Beschreibung stimmt nicht
ganz für Lathyrus membranaceus Presl; das von Willkomm
zu seiner var. C) citirte Exemplar »Willkomm, exs. 1850,
n. 231« gehört jedoch sicher hieher.
Eine Beschreibung des Lathyrus fnonspeliensis [Delile in
herb.] Loret et Barrandon fand ich nicht; dass ich den
Namen hieher ziehe, hat seinen Grund nur darin, dass Loret
und Barrandon ihn 1. c. als Synonym zu Lathyrus ensifolius
citiren. Grenier und Godron ziehen ihn als Synon^'m zu
ihrem Lathyrus latifolius ß) angustifolius.
Lathyrus membranaceus Presl variirt stark in der Breite
der Blättchen, sowie in der Länge und Breite der Nebenblätter;
Exemplare, welche relativ breite (1 1 — 18 mal so lang als breit)
Blättchen mit grossen Nebenblättern vereinigen, sind im Stand-
ortsverzeichniss mit f bezeichnet. Diese Form ist von der ge-
wöhnlichen, schmälerblättrigen nicht scharf zu unterscheiden;
es gibt z. B. sehr schmalblättrige Exemplare mit recht grossen
Nebenblättern (Chaille-les-Marais); auch die Verbreitungsge-
biete der beiden Formen sind nicht getrennt. Sehr breitblättrige
Exemplare (Blättchen circa 9 mal so lang als breit) sind von
sehr schmalblättrigen des Lathyrus purpureus Gilibert vor
allem dadurch zu unterscheiden, dass bei ersteren die breiteste
Stelle des Blättchens meist im ersten Drittel, bei letzteren
dagegen stets in der Mitte desselben liegt.
Durch die ausserordentlich üppige Entwicklung aller blatt-
artigen Theile zeichnet sich das Exemplar von »Pola, Inseln
(Wawra; hb. M.)« aus. Flügel des Stengels 4^1^, die der
Blattstiele Q> mm breit; vorderer Theil der Nebenblätter
344 A. Ginzberger,
48 mm lang, 21 mm breit; Blättchen 100 — 108 mm lang,
19 — 22 wiw breit, 4V2 — 573 mal so lang als breit, breiteste
Stelle im ersten Drittel gelegen; nach vorne ganz allmälig ver-
schmälert. Hauptsächlich wegen dieser Gestalt der Blättchen
und, da die Blüthenstiele nur ebensolang bis IVgmal so lang
als der zugehörige Blattstiel sammt Blättchen sind, was bei
Lathyrns megalanthns Steudel niemals vorkommt, rechnete
ich dieses Exemplar, dessen Massverhältnisse als nach jeder
Richtung ungewöhnlich zu bezeichnen sind, zu Lathyrus mem-
branaceus Presl.
Sehr auffallend ist auch eine Form unserer Pflanze, die
sich durch zwerghafte Entwicklung aller Theile auszeichnet.
Die Höhe mancher Exemplare beträgt nicht mehr als 25 cm,
Stengelflügel \ — \^l^mm, die des Blattstieles circa \ mm
breit; vorderer Theil der Nebenblätter 9 — \2 mm lang,
iVs — 2 mm breit; Blättchen lineal, 25 — 50 (60) mm lang,
2 — S'bmm breit, 10 — 17mal so lang als breit; Blüthenstiele
5 — 6blüthig; Blüthen 19 — 21 mm lang. Ich sah auch Über-
gangsformen von gewöhnlichen zu Zwergexemplaren.
Die meisten der Zwergexemplare stammen aus der Um-
gebung von Bastia (Corsica), und zwar meist vom Gipfel des
Berges Pigno, andere aus Istrien und von der Insel Cherso.
Im Standortsverzeichniss sind alle Zwergexemplare mit X be-
zeichnet
Lathyrus puicher Gay in Annal. d. sciences natur., ser. IV,
VIII(1857), p. 311!;
non Salisbury, Prodr. stirp. in hört, ad Chapel Allerton vigentium
(1796), p. 338; sec. Index Kewens., fasc. III., p. 38.
Syn. L. Jatifolins ß) z. Th., t) z. Th.! Willkomm et Lange,' Prodr. flor.
Hisp. (1880), vol. III, p. 316.
L. ehgans Porta, et Rigo in Porta, vegetabilia in itin. Tberic. lecta,
p. 23; separat ex attf dell'I. R. accademia degli agiati, IX (1891)!;
non Vogel in Linnaea, XIII (1839), p. 30.
L. tremolsianus Pau in rev. de botanique, X (1892), p. 693.
L. Jatifolins ß) angnstifolius Willkomm, Suppl. prodr. fl. Hisp. (1893),
p. 240; z. Th.;i
non Grenier et Godron, Flore de France (1848), tom. I, p. 484.
^ Hiezu citirt Willkomm das von mir gesehene Exemplar von Pueg
Campana.
Laihyrus -Arien aus der Section Eulathyrus. 345
Flügel des Stengels jederseits ^4 — 2 wm breit, die
der Blattstiele meist schmäler (bis halb so breit), selten
ebenso breit, V2 — ^ ^*** breit; Zähnchen an den Flügeln
fehlend.
Ranken einfach oder dreitheilig.
Blättchen lanzettlich-lineal,^ meist im ersten Drittel
am breitesten und nach vorne allmälig in die nicht abgesetzte
Stachelspitze verlaufend; selten vorn stumpf und mit ab-
gesetzter Stachelspitze; 57 — \Q0 mm lang, 2 — 4 (o^/^) mm
breit, (14-) 21 — 46mal so lang als breit. Farbe oben gras-
grün, unten gleichfarbig oder etwas blässer.
Hinterer Theil der Nebenblätter sehr kurz, viel-
mal kürzer als der vordere; dieser 13 — 25(30) wm lang,
1 — 3 (5) mm breit, 5—12 mal so lang als breit, etwas schmäler
bis halb so breit als der Stengel sammt den Flügeln; der zu-
gehörige Blattstiel so lang bis IV^nial so lang.
Blüthenstiele P/s — 2V2 (378) "^^^ so lang als der zu-
gehörige Blattstiel sammt Blättchen, meist drei-, selten
zwei- oder vierblüthig. Der oberste der sehr kräftigen
Blüthenstiele drängt öfters den über seinem Insertionspunkt
befindlichen Theil des Stengels* zur Seite und ist dann schein-
bar endständig.
Bracteen sehr kurz, vielmal kürzer als die Blüthen-
stielchen, selten circa Vg derselben.
Blüthen 23 — 28mm lang.
Kelchzipfel (Fig. 27 und 28) durch schmale, rund-
liche bis spitzliche Buchten von einander getrennt, alle
dreieckig, fein zugespitzt; die oberen IV2- t)is über
2mal so lang als breit, die mittleren wenig länger bis
IVsrnal so lang als die oberen, über IV2- bis fast 2 mal
so lang als breit; der untere Zahn wenig länger bis
P^n^al so lang als die mittleren, P/s — ^Vs"^^^ so lang
als die Kelchröhre.
Griffel nur am Grunde oder S-förmig gekrümmt, an der
Spitze etwas verbreitert.
Untere Blättchen oft lanzettlich.
Bezüglich der Gestalt des Stengels vergl. Einleitung (S. 282).
34(3 A. Ginzberger,
Erwachsene Hülse 70 mm lang, 8 mm hoch.
Samen ?
Behaarung. Drüsen an verschiedenen Organen zerstreut,
am zahlreichsten und regelmässig an den nicht grünen Stellen
der Stengelknoten und Insertionspunkten der Blättchen am
Blattstiel. Saum des Kelches manchmal flaumig bis kurz-
wimperig; sonst alles kahl.
Verbreitungsgebiet.
Spanien, Provinzen Valencia und Murcia.
Standortsverzeichniss.
I. Valencia. Sierra de Segorbe ä Montemalo; lieux om-
brages et herbeux, sur le calcaire, 500 w; rare (Reverchon,
PI. d'Espagne, 1892, No 679; hb. Keck, hb. H., hb. U.). —
Segorbe, 500 fw (Reverchon in Baenitz, Herb. Europ.; hb.
H., hb. M.). — Chiva (Boissier, hb. B.; Willkomm, hb. M.,
hb. P.). — Sierra de Chiva, in fruticetis vallis Barranco de
Andijas (Willkomm; hb. M.). — In coUibus apricis Sierrae de
Ayora et prope Bocairente; solo calcareo, 700 — 800 w (Porta
et Rigo, Iter III. Hispan., 1891, No 733 [163]; hb. H., hb. U.;
specim. origin. Lathyri elegantis Porta et Rigo). —
In collibus apricis circa pagum Boccariente;^ solo calcareo,
400 — lOOOw (Porta et Rigo, Iter II. Hispan., No 431, als
*Lathyrus Hngitanns ß) uniflorus Seringe ap. D. C. prodr.,
t. III, p. 314«^). — t Prov. Alicantina; ad radices septentrionales
montis Pueg Campana (Hegelmaier; hb. Keck). — Sierra de
Segobia; in locis graminosis, umbrosis; solo calcareo, 500 f«
(Reverchon in Dörfler, hb. norm., No 3024; hb.U., hb.M.), —
Sierra de la Cueva santa; lieux ombrages (Reverchon; hb.
Keck); dans les mäquis herbeux, dans le calcaire marneux:
700 fw, rare (R e v e r c h o n , PI. d'Espagne, 1 89 1 ; prov. de Valence,
No 679; hb. H.).
IL Murcia. Padron de Bien Servida pres Riopar (Gay in
Bourgeau, PI. dTspagne, 1850, No 980; hb.B.; spec. origin.
Lathyri pulchri Gay).
1 Wohl = Bocairente.
2 Das richtige Citat lautet tom II, p. 374.
Laihy ms -Arten aus der Section Eulathyrns. 347
Zur Synonymie.
Die Originaldiagnose des Lathyrtis pulcher Salisbury
war mir nicht zugänglich. Nach dem Index Kewensis soll
Lathyrus pulcher Salisbury = Lathyrtis Hngitantis L. sein.
Da nun Salisbury's Name, soviel ich weiss, nie von einem
anderen Autor gebraucht worden ist, so scheint er wirklich nur
ein Synonym zu sein; daher möchte ich vorschlagen, den
Namen Lathyrus pulcher Gay, der mit einer sehr guten Dia-
gnose versehen ist, beizubehalten.
Dass Lathyrus latifolius ß) Willkomm und Lange unter
anderem auch unsere Pflanze umfasst, schien mir besonders
aus der Angabe »stipulis minoribus, auricula saepe abbreviata«
hervorzugehen.
Ob Lathyrus tremolsianus Pau hieher gehört oder, wie
Willkomm^ will, zu Orobus canescens L. fil. zu ziehen ist,
ist nicht sicher. Pau sagt, 1. c, dass sich seine Pflanze von
Lathyrus silvestris L., mit dem er sie früher verwechselt hatte,
durch ihre zweiblüthigen, sehr verlängerten Blüthenstiele, ihre
Schmallinealen Blättchen und die Nebenblätter, welche so lang
als der Blattstiel sind, unterscheide; alles dies, auch der von
Pau angegebene Standort (Segorbe), passt ei\xi Lathyrus pulcher
Gay. Dagegen weist die Angabe Pau's, dass die Pflanze mit
Orobus canescens var. ^«5//b//«5 Colmeiro* gut übereinstimmt,
auf einen Orobus hin, da das von Colmeiro citirte Bild^ einen
Orobus darstellt.
Das im Standortsverzeichniss mit f bezeichnete Exemplar
ist durch seine zwerghafte Entwicklung ausgezeichnet. Höhe
der Pflanze circa 35 cm\ Blättchen 40 — 70 mm lang, 2V2 bis
3 wfw breit; Blüthen (schlecht präparirt) circa 20— 21 mmlang.
Diese Pflanze hat im Habitus grosse Ähnlichkeit mit der Zwerg-
form des Lathyrus membranaceus Presl; wegen der arm-
blüthigen Blüthenstiele und der Beschaffenheit des Kelches,
sowie mit Rücksicht auf den Fundort gehört sie jedoch hieher.
1 Suppl. prodr. flor. Hispan., p. 241.
8 Enumeracion y revision (1886), tom. IL, p. 283.
3 Mem. du mus. d'hist. natur., II. (1815), tab. 12.
348 A. Ginzberger,
Schlussbemerkungen.
Fassen wir das Wichtigste von dem, was über die einzelnen
Arten, besonders bezüglich der Verbreitung derselben gesagt
wurde, zusammen, so kommen wir zu folgenden Ergebnissen :
Lathyrus silvestris L. (1)^ hat von allen Arten das weiteste
Verbreitungsgebiet. Seine Ostgrenze dürfte in Wirklichkeit viel
östlicher liegen, als dies auf der Karte ersichtlich ist Die Pflanze
fehlt der Mediterranregion gänzlich; die Angaben, welche über
das Vorkommen des Lathyrus silvestris L. (1) in Sicilien,
Algerien u. s. w. vorliegen, beziehen sich meist auf Lathyrus
mcmbranaceus Presl (11) oder Lathyrus purpureus Gili-
bert(9).
Das Gebiet der nächstverwandten Art, Lathyrus angusti-
folius [Roth] (2) fällt zum grössten Theile mit dem des Lathyrus
silvestris L. (1) zusammen, reicht aber im Südosten weiter als
dieses. Abgetrennte Verbreitungsbezirke sind Süd-Schweden,
Transkaukasien und Nord-Persien.
Ausser dieser Art dürfte sich von Lathyrus silvestris L. (1)
auch Lathyrus pyrenaicus Jordan (3) abgezweigt haben, eine
Gebirgspflanze der Central-Pyrenäen, der die Lathyrus silvestris-
Exemplare der Nachbargebiete oft recht ähnlich sind.
Etwas vereinzelt steht Lathyrus heterophyllus (4) da, der
mit seinen mehr als einpaarig gefiederten Blättern wohl einen
älteren Typus darstellt. Er gleicht in mancher Hinsicht dem
Lathyrus megalanthus Steudel (8). Er bewohnt die mittel-
europäischen Gebirge; getrennte Bezirke seiner Verbreitung
sind Tirol und das südliche Schweden, wo er mit Lathyrus
angustifolius [Roth] (2) und Lathyrus silvestris L. (1) zu-
sammen vorkommt.
Noch isolirter steht der im Vorlande der Ostpyrenäen
endemische Lathyrus cirrhosus Seringe (5), der in mancher
Hinsicht sehr an Lathyrus pyrenaicus Jordan (3) erinnert und
durch mehr als zweipaarige Blätter ein höheres Alter zu
beweisen scheint.
1 Die eingeklammerte Zahl hinter dem Namen bedeutet die Nummer der
betreffenden Art auf den Karten.
Lafh^THS -Arien aus der Section Eitlathyrtts. 349
Der im Gebiete von Constantinopel endemische Latkyrus
undulatus Boissier (6) zeigt zwar manche Anklänge an
Lathyrus megalanthus Steudel (8), mit dem er unter dem
Namen Lathyrus latifolius L. öfter verwechselt wurde, steht
aber, namentlich was die äusserst auffallende Bildung seines
Griflfels anbelangt, eher dem Lathyrus rotundifolius Willd. (7)
nahe, einer Pflanze, welche die Gebirgsgegenden der Kaukasus-
länder und der Krim bewohnt und in der Nervatur ihrer
Blättchen zur Gruppe der Arten mit einnervigen Blättchen
hinüberleitet. (Vergl. die Einleitung, S. 284.)
Der sehr v\Q\gesiQ\i\gQ Lathyrus megalanthus SiewdeX (8)
der Lathyrus latifolius der Autoren Mitteleuropas, ist eine
Pflanze der pontischen und mediterranen Gebiete. In die Gebirge
geht er nur selten; im Nordwesten und Westen reicht sein
Gebiet nicht über die Alpen hinaus.
Mit ihm steht in naher Beziehung der sich nach Westen
zu anschliessende Lathyrus purpureus Gilibert (9), der
Lathyrus latifolius mancher Autoren, namentlich derjenigen
Frankreichs. In diesem Lande findet man auch die typischesten
Exemplare. Ausserdem bewohnt die Art Sicilien und Algerien.
Auf der Pyrenäenhalbinsel herrscht eine grosse Mannigfaltigkeit
von Formen, die theilweise auch an Formen des Lathyrus
megalanthus Steudel (8) erinnern.
Einer solchen ist auch der Lathyrus alger icus m. (10) der
Sierra Nevada und Algeriens ähnlich.
Sowohl im Verbreitungsgebiet des Lathyrus megalanthus
Steudel (8), als auch des Lathyrus purpureus Gilibert (9)
Hegen die Standorte des Lathyrus membranaceus Fr es\ (11),
der durch seine sehr schmalen Blättchen ausgezeichnet ist.
Er dürfte von beiden Arten oder einer Stammform derselben
abzuleiten sein. Er ist eine entschiedene Mediterranpflanze, die
auch Gebiete bewohnt, in denen die zwei genannten Arten
fehlen.
Ihm in manchen Exemplaren habituell sehr ähnlich und
oft mit ihm verwechselt, aber durch scharfe Merkmale unter-
schieden und geographisch getrennt, bewohnt Lathyrus pulcher
Gay (12) die Provinzen Valencia und Murcia; durch ver-
schiedene Merkmale steht er ziemlich isolirt da.
15' .
25' . »
25' .
35' . »
35' »
45' » .
45' .
55' » .
55' »
65' » »
65' »
75' . >
östlich von
75' . .
350 A. Ginzberger,
Betrachten wir nun die Vertheilung der Arten in west-
östlicher Richtung, so finden wir Folgendes:
Zwischen 5** und 15** ö. L. von Ferro gibt es 4 Arten
» • » S *
» » » o »
» » » 4 *
» » » 4 *
» » » 3 *
» » » 2 »
» j» » 0 »
Man sieht also, dass, abgesehen von der Westhälfte
Spaniens, wo die Zahl der Arten relativ klein ist, die Mannig-
faltigkeit der Formen nach Osten hin stetig abnimmt, östlich
vom 75. Meridian ö. L. von Ferro fand ich überhaupt keine Art
dieser Gruppe mehr vor. Wir haben es also hier mit einem
Formenkreise zu thun, der im Südwesten Europas seine grösste
Mannigfaltigkeit entwickelt. Dies deutet darauf hin, dass die
Urheimat dieser Gruppe nicht, wie es sonst so oft der Fall ist,
im Osten Europas, sondern im Westen dieses Erdtheiles,
respective auf der hypothetischen »Atlantis« Unger's^ gelegen
ist. Dort dürften manche der Arten, die sich jetzt nur an
vereinzelten Punkten finden, einst eine grössere Verbreitung
gehabt haben.
Unger, »Die versunkene Insel Atlantis« (Vortrag). Wien, 1860.
Laihy ms -Arien aus der Section Enlathynts,
351
Erläuterung zu den beigegebenen Karten.
Die Verbreitungsbezirke der einzelnen Arten sind nur nach den von mir
selbst gesehenen Exemplaren gezeichnet, und zwar in der Weise, dass die
äussersten Standorte miteinander verbunden wurden. Sehr wenig ausgedehnte
oder in ihren Grenzen ganz unsichere Verbreitungsbezirke ^ wurden einfach
mit einem Ring umgeben. Die äussersten Standorte, von denen ich Exem-
plare sah, sind durch Ziffern, die meist in die Grenzen der Verbreitungsbezirke
eingeschaltet wurden,^ bezeichet, und zwar bedeutet:
1
Laihy ms silvestris L., \
2
» angu st ifoliii s \Roi\\], >
Karte I.
3
» pyrenaicus Jordan, )
4
..... » heterophyllus L., (
Nebenkarte
5
» c/rr/i05«5 Seringe, f
auf Karte II.
6
» ««^«/di///s Boissier, \
7
» rotundifolius W i 1 1 d e n o w, j
8
» ntegalanthus S\.Q\idQ\, f
9
> pttrpurcus Q'\\\h tri, ' >
Karte II.
10
» alger iciis m., l
11
» mcmhranaceus Presl, i
12
> pulcher G&y. J
1 Zu ersteren gehören : 3, 5, 6, sowie abgetrennte Gebiete von 2 (Schwe-
den), 9 (Lissabon, Südspanien, Sicilien), 1 1 (Lissabon^, zu letzteren : 2 (Nord-
persien), 4 (Siebenbürgen).
2 Eine Ausnahme hievon wurde gemacht und die Ziffer in die Mitte des
Verbreitungsgebietes geschrieben: a) in den sub Anmerkung 1 genannten
Fällen, b) bei 12, wo der Verbreitungsbezirk nicht willkürlich (durch einen
Ring) umgrenzt wurde, aber zu klein war, um die Ziffern an den Stellen der
äussersten Standorte einzutragen.
Sitzb. d. maihem.-natiirw. Cl.; CV. Bd. Abth. I.
23
352 A. Ginzberger, La/ hvnis -Arien aus der Section Eulathyrus.
Erklärung zur Tafel.
Fig. 1. Lathyrus silvestris L.; Blättchen.
»2. » ang-usUfolitiS [Roth]; BVäitchen.
> 3. » megalanthus Steudel; Blättchen.
»4. » ttiberosus L.; Blättchen.
»5. > ' grandiflorus S i b t h. et Smith; Blättchen.
»6. » rotttftdifoUns W i II d. ; Blättchen.
> 7. » c/rrÄ05r/s Seringe; Blättchen.
»8. > heterophylltts L.\ Griffel.
»9. » pyrenaicus Jordan; Stück der Oberhaut des Blättchens mit
einem gewöhnlichen Haar (a) und einer Drüse {b).
► pyrenaicus Jordan; einzelne Drüse.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
23.
24.
25.
26.
27.
28.
megalanthus Steudel; Blättchen, dessen Spitze in eine
Ranke endigt.
heterophyllus L. var. unijugits Koch; Stück des Blatt-
stieles (a) mit 2 Seitenranken (bj, deren eine einseitig mit
Blattsubstanz besetzt ist.
megalanthus Steudel; Blattgelenk mit zwei ungleichen
Nebenblättern.
silvestris L. ; Kelch.
angusti/olius [Roth]] Kelch.
pyrenaicus Jordan; Kelch.
heterophyllus L.; Kelch.
arrÄos//s Seringe; Kelch.
undulatus B o i s s i e r ; Kelch.
» » ; Griffel.
rotundifolius Willd.; Kelch.
> » ; Griffel.
megalanthus Sit\x<it\\ Kelch.
purpureus Gilibert; Kelch.
> » ; Kelch mit ausnahmsweise kurzen
Zähnen.
pulcher Gay; Kelch von der Seite.
» > » » oben.
Fig. 8 und 23 zweimal, Fig. 20 und 21 etwas vergrössert; Fig. 9—11:
Reichert Obj. 7a, Ocul. 2, eingezogen (V'ergr. 255). Alle anderen Figuren in
natürlicher Grösse.
II
A, Ginzberger: Geographische Verbreitung einiger Laihyru^
7 I
4 '
^^ ^^ £f i^ SwJm^ gtf^JtftTT^ i& ts t^ SM
Sitzungsterichte d. Iwais^ Alwd. d^
IS der Section Eulathyrus.
Karte I
1
»ath,-nnturw. Classe, Bd. CV, Abth. \, lg96.
A. Ginzberger: Geographische Verbreitung einiger Lathyrus -Arten a
£{f jf£ lü Svtintr Atti^Tvl iü JS tO r^
& w.Ltatye>Oa.l.v.FmriM S
Sitzungsberichte d. kais. Akad. d. Wiss., m
s der Section Eulathyrus.
Karte II.
ith.-naturw. Classe, Bd. CV, Abth. I, 1896.
A .Giiiz))erger : L athyrus -.Arteii aus der Secüon Eulathynis .
Mm
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^
23.
A.StM*r(i-r)«c
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Lith AnM V Th BannwarÜiWisn .
r^ tzungsberichte d.kais.Akad. d.Wiss., math.-naturw. Ciasse, Bd. CV, Abth.1, 1896.
353
XI. SITZUNG VOM 23. APRIL 1896.
Erschienen: Sitzungsberichte, Bd. 105, Abth. II. a, Heft I (Jänner 1896).
Das w. M. Herr Regierungsrath Prof. E. Mach überreicht
eine Abhandlung von Prof. Dr. G. Jaumann an der k. k.
deutschen Universität in Prag unter dem Titel: »Elektro-
statische Ablenkung der Kathodenstrahlen«.
Das w. M. Herr Prof. H. Weidel überreicht eine Arbeit aus
dem I. chemischen Universitätslaboratorium in Wien: »Über
das Phenylhydrazon und Oxim des Protocatechu-
aldehyds«, von Dr. Rud. Wegscheider.
Die Sitzungsberichte der mathem.-naturw. Classe
erscheinen vom Jahre 1888 (Band XCVII) an in folgenden vier
gesonderten Abtheilungen, welche auch einzeln bezogen
werden können:
Abtheilungl. Enthält die Abhandlungen aus dem Gebiete der
Mineralogie, Krystallographie, Botanik, Physio-
logie der Pflanzen, Zoologie, Paläontologie, Geo-
logie, Physischen Geographie und Reisen. .
Abtheilung II. a. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der
Mathematik, Astronomie, Physik, Meteorologie
und Mechanik.
Abtheilung II. b. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der
Chemie.
Abtheilung III. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der
Anatomie und Physiologie des Menschen und der
Thiere, Sowie aus jenem der theoretischen Medicin.
Dem Berichte über jede Sitzung geht eine Übersicht aller
in derselben vorgelegten Manuscripte voran.
Von jenen in den Sitzungsberichten enthaltenen Abhand-
lungen, zu deren Titel im Inhaltsverzeichniss ein Preis beigesetzt
ist, kommen Separatabdrücke in den Buchhandel und können
durch die akademische Buchhandlung Carl Gerold*s Sohn
(Wien, I., Barbaragasse 2) zu dem angegebenen Preise bezogen
werden.
-Die dem Gebiete der Chemie und verwandter Theile anderer
Wissenschaften angehörigen Abhandlungen werden auch in be-
sonderen Heften unter dem Titel »Monatshefte fürChemie
und verwandte Theile anderer Wissenschaften« heraus-
gegeben. Der Pränumerationspreis für einen Jahrgang dieser
Monatshefte beträgt 5 fl. oder 10 Mark.
Der akademische Anzeiger, welcher nur Original-Auszüge
oder, wo diese fehlen, die Titel der vorgelegten Abhandlungen
enthält, wird, wie bisher, acht Tage nach jeder Sitzung aus-
gegeben. Der Preis des Jahrganges ist 1 tl. 50 kr. oder 3 Mark.
INHALT
des 5. bis 7. Heftes Mai bis Juli 1896 des CT. Bandes, Abtheilung- I
der Sitzungsberichte der mathem.-naturw. Classe.
Seite
XII. Sitzung vom 7. Mai 1896: Übersicht 357
XUI. Sitzung vom 15. Mai 1896: Übersicht 359
Luksch J., Vorläufiger Bericht über die physikalisch -oceano-
graphischen Untersuchungen im Rothen Meere. October
1895 bis Mai 1896. (Mit 2 Kartenskizzen.) [Preis: 60 kr. =
1 Mk. 20 Pfg.] 36 1
XIV. Sitzung vom 21. Mai 1896: Übersicht 393
XV. Sitzung vom 11. Juni 1896: Übersicht ^397
Adensamer Th.^ Über Ascodipterou phyllorhinae (n. gen., n. sp.),
eine eigenthümliche Pupiparenform. (Mit 2 Tafeln.) [Preis:
40 kr. = 80 Pfg.] . . • 400
Fuchs Th., Vorläufige Mittheilung über einige Versuche, ver-
schiedene, in das Gebiet der Hieroglyphen gehörige pro-
blematische Fossilien auf mechanischem Wege herzustellen.
[Preis: 20 kr. = 40 Pfg.] 417
XVI. Sitzung vom 18. Juni 1896: Übersicht 433
Steiner J., Beitrag zur Flechtenflora Südpei-siens. [Preis: 15kr. =
30 Pfg.] 436
Gjokic G., Zur Anatomie der Frucht und des Samens von Viscum.
(Mit 1 Tafel.) [Preis : 30 kr. = 60 Pfg.] . . ..... 447
XVII. Sitzung vom 2. Juli 1896: Übersicht . 467
XVIII. Sitzung vom 9. Juli 1896: Übersicht . . 469
Eitittgshausen C, Freih. v., Über neue Pflanzenfossilien in der
Radoboj-Sammlung der Universität Lüttieh. (Mit 5 Tafeln
und 4 Text-figuren.) [Preis: 80 kr. = i \^i^ «q p- , ^ 473
Hilber V„ Geologische Reise in Nord-Griechenland und Türkisch-
Epirus 1895. (Vorläufiger Bericht.) [Preis: 20 kr. = 40 Pfg-l ^^^
Nestler A., Untersuchungen über die Ausscheidu«.^
'S Von vVassc^*
tropfen an den Blättern. (Mit 2 Tafeln. > rp- • . - _
1 Mk.
521
i lüi^/
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CV. BAND. V. HEFT.
ABTHEILUNG I.
ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE,
KRYSTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE,
PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN.
24
357
XII. SITZUNG VOM 7. MAI 1896.
Erschienen: Monatshefte für Chemie, Heft II (Februar 1896).
Das k. u. k. Reichs-Kriegs-Ministerium (Marine-
Section) übermittelt ein vom Commando S. M. Schiff »Pola<
eingelangtes Telegramm, laut welchem dieses Schiff nach Ab-
schluss der wissenschaftlichen Expedition im nördlichen Theile
des Rothen Meeres am 29. v. M. im Golfe von Suez eingelaufen
ist und nach sechstägigem Aufenthalt daselbst die Rückreise
nach dem Hafen von Pola antreten wird.
Se. Excellenz der Herr Minister für Cultus und Unter-
richt übermittelt ein Exemplar der Regierungsvorlage des
Staatsvoranschlages für das Jahr 1896, Capitel IX »Ministerium
für Cultus und Unterricht -4, B, C«, sowie des Finanzgesetzes
vom 28. März 1 896, mit dem Beifügen, dass die ordentlichen
Ausgaben der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien
mit 64.0000. und die ausserordentlichen mit 1 8.000 fl. genehmigt
worden sind.
Herr Prof. Dr. L. Weinek, Director der k. k. Sternwarte
in Prag, übermittelt als Fortsetzung seiner Moridarbeiten acht-
zehn weitere photographische Mondvergrösserungen nach den
neuesten Aufnahmen der Li ck-Stern warte mit hierauf bezüg-
lichen Erläuterungen.
Herr Franz Rechnowski, Ingenieur in Lemberg, über-
sendet einen Bericht über seine Entdeckung eines neuen Grund-
stoffes, welchen derselbe »Electroid« nennt.
Herr Albin Belar, Assistent für Chemie an der k. u. k.
Marine-Akademie inFiume, übermittelt ein versiegeltes Schreiben
358
behufs Wahrung der Priorität mit der Aufschrift: »Unter-
suchungen des Lichtes phosphorescirender Körper«.
Das w. M. Herr Oberbergrath Dr. E. v. Mojsisovics
überreicht eine für die Denkschriften bestimmte Abhandlung:
»Beiträge zur Kenntniss der obe rt riadischen Cephalo-
podenfaunen des Himalaya«.
Das w. M. Herr Regierungsrath Prof. F. Mertens über-
reicht eine Abhandlung von Dr. Konrad Zindler, Docent an
der k. k. technischen Hochschule in Wien, betitelt: »Eine
Methode, aus gegebenen Configurationen and e re
abzuleiten«.
Das w. M. Herr Hofrath Prof. V. v. Ebner überreicht eine
Abhandlung: Ȇb^r die Wirbel der Knochenfische und
die Chorda dorsalis der Fische und Amphibien«.
Das w. M. Herr Regierungsrath Prof. E. Mach überreicht
eine Abhandlung des Herrn E. Oekinghaus, Lehrer an der
königl. Baugewerbeschule in Königsberg: »Über die Schall-
geschwindigkeit beim scharfen Schuss«.
Das w. M. Herr Hofrath Prof. V. v. Lang übergibt eine
für die Sitzungsberichte bestimmte Mittheilung: »Über die
Symmetrieverhältnisse der Krystalle«.
Das w. M. Herr Hofrath Prof. Ad. Lieben überreicht eine
Abhandlung von Dr. Victor Kulis ch in Wien: »Zur Kennt-
niss des Lophins und der Glyoxaline«.
359
XIII. SITZUNG VOM 15. MAI 1896.
Se. Excellenz der Herr Curator-Stellvertreter theilt
mit, dass Seine k. u. k. Hoheit der durchlauchtigste Curator der
kaiserl. Akademie der Wissenschaften, Herr Erzherzog Rainer,
gnädigst bekanntgegeben habe, dass Höchstderselbe bei der
am 3. Juni abzuhaltenden diesjährigen feierlichen Sitzung der
kaiserl. Akademie weg^n Abwesenheit in Dienstesangelegen-
heiten zu erscheinen verhindert sei.
Das c. M. Hofrath Prof. A. Bauer übersendet eine im
Laboratorium für analytische Chemie an der k. k. technischen
Hochschule in Wien ausgeführte Arbeit von Dr. Julius Zellner,
betitelt: »Zur Kenntniss der Rapinsäure«.
Der Commandant S. M. Schifif »Pola« Herr k. u. k. Linien-
schififs-Capitän Paul Edler v. Pott übermittelt aus Suez ddo.
5. Mai 1. J. einen Thätigkeitsbericht über die Missions-
reise S. M. Schiff »Pola« im Rothen Meer während der
Campagne 1895—1896.
Herr Regierungsrath Prof. J. Luksch, Mitglied der wissen-
schaftlichen Expedition S. M. Schiff »Pola«, übersendet aus
Port Tewfik (Suez), ddo. I.Mail. J., einen vorläufigen Bericht
über die physikalisch - oceanographischen Unter-
suchungen im Rothen Meere vom October 1895 bis
Mai 1896.
Schliesslich theilt der Vorsitzende einige briefliche
Nachrichten mit, welche ihm von dem Leiter der wissenschaft-
lichen Arbeiten der Expedition im Rothen Meere, Herrn Hof-
rath Director Steindachner, über den Erfolg und Abschluss
dieser Expedition zugekommen sind.
361
Vorläufiger Berieht
über die physikalisch-oeeanogfraphischen
Untersuchungen im Rothen Meere.
October 1895 bis Mai 1896
von
Josef Luksch,
*. k. Rcgierungsrath und Marineakademieprofessor i. R.
(Mit 2 Kartenskizzen.)
Der nachfolgende Bericht beabsichtigt in gedrängter Weise
eine Darstellung der während der Untersuchungsfahrten im
Rothen Meere vorgenommenen Arbeiten auf physikalisch-
oceanographischem Gebiete, sowie des hiebei gewonnenen
Materials zu geben. Da das letztere erst einer vollständigen
Sichtung und Bearbeitung unterzogen werden muss, wäre es
verfrüht, schon jetzt endgiltige Schlüsse ziehen zu wollen
und bleibt dies einer späteren Schrift vorbehalten. In diesem
Sinne sind auch die aus dem Gesammtmaterial da und dort
eingestreuten Daten und Zahlen aufzufassen, welche nur
bezwecken sollen, das in den einzelnen Abschnitten Gesagte
vorläufig zu erläutern.
Das von der k. u. k. Marine-Section im Vereine mit der
kaiserl. Akademie der Wissenschaften gewählte Untersuchungs-
gebiet umfasst denjenigen Theil des Rothen Meeres, welcher
sich vom Breitenparallel Dschiddas* (2r29'0'' N.) bis zu
jenem von Suez (29° b&O") erstreckt. Es bildet dieser Abschnitt
1 Im Texte sind die örtlichkeiten im Sinne der Aussprache der Indigenen
gegeben, auf der Skizze jedoch — da die englische Admiralitätskarte derselben
zur Unterlage diente — ist die englische Transcription beibehalten und die
deutsche in Klammern beigefügt.
36 2 J. Luksch,
die nördliche Hälfte des gedachten Meeres einschliesslich der
beiden Golfe von Suez und von Akaba. Gleichwie auf den
früheren Forschungsfahrten im Mittelmeere — 1890 bis 1893 —
sollten sowohl zoologische, als auch physikalisch -oceaxio-
graphische und chemische Untersuchu ngen gepflogen, dann
aber auch auf einer erheblichen Anzahl von Landstationen
sowohl an der arabischen, wie auch an der ägyptisch-nubischen
Gegenküs te relative Schwerebestimmungen, erdmagnetische
Messungen, sowie astronomische Ortsbestimmungen, weiter
meteorologische Beobachtungen und , wo es Zeit und Ver-
hältnisse gestatteten, geodätische Aufnahmen vorgenommen
werden. Zur Bewältigung dieses reichen Arbeitsprogrammes
wurde ein Zeitraum von 7 bis 8 Monaten in Aussicht genommen
und in Anbetracht des Klimas und der ungünstigen sommer-
lichen Sanitäts- und Navigationsverhältnisse die Herbst-, Winter-
und Frühjahrszeit für die Durchführung der Arbeiten gewählt.
Die Fahrt wurde mit S. M. Schiff »Pola«, welches Schiff
mit allen nöthigen Hilfsmitteln versehen, sowie mit Instru-
menten und Vorrichtungen auf das Befriedigendste ausgerüstet
war, am 6. October 1895 Abends von dem Centralhafen Pola
aus angetreten und endeten die Arbeiten am 29. April 1896, an
welchem Tage das Expeditionsschiff in Suez eintraf, um die
Rückfahrt nach Europa anzutreten.^
In der beifolgenden Skizze I, für welche ich als Unterlage
die Generalkarte des Rothen Meeres, herausgegeben von der
englischen Admiralität (Red Sea), benützte, wurden alle jene
Momente, welche zur Orientirung über den Verlauf der Fahrt
und über die Wahl der Beobachtungsstationen zur See und zu
Lande dienlich sein können, eingezeichnet. Überdies ist in
dieser Skizze eine vorläufige Darstellung des Seebodenreliefs
durch Isobathen gegeben, wie solche sich auf Grund des neu-
gewonnenen Sondenmaterials combinirt mit jenem, welches in
der früher genannten englischen Karte bereits verzeichnet war,
1 Der Verlauf der Reise, sowie die hiebei genommenen Routen wurden in
diesem Berichte nicht aufgenommen, da ein diesen Gegenstand behandelnder
Specialbencht durch das k. u. k. Schiffs-Commando an die kaiserl. Akademie
der Wissenschaften gelangen wird. Die Routen sind überdies aus den bei-
gegebenen Skizzen zu ersehen.
Physikal.-oceanograph. Untersuchungen im Rothen Meere. 363
herausstellten. Die Bezeichnung der Beobachtungsstationen zu
Lande, sowie die besondere Hervorhebung der Küstenriffe
sollen deren Einfluss auf die Wahl der genommenen Routen
markiren, die beigegebene Zeichenerklärung und Anmerkung
aber eine schnellere Orientirung ermöglichen.
Die horizontale Gestaltung des Untersuchungsgebietes.
Eingeschlossen von den Gestadelandschaften Ägyptens im
Westen und Arabiens im Osten, bildet das Untersuchungs-
gebiet ein im Allgemeinen von Nordwest nach Südost orien-
tirtes Meeresbecken von etwa 600 Seemeilen Axenlänge und
180 solcher Meilen Maximalbreite, Etwa unter dem 28. Breiten-
parallel, wo die eigentliche Hochsee des Rothen Meeres ab-
schliesst, zweigen sich von derselben zwei, durch die Halb-
insel Sinai getrennte Golfe, der von Suez im Westen und jener
von Akaba im Osten, ab. Ersterer besitzt etwa 180 Seemeilen
Länge und 20 Meilen Breite (im Maximum), letzterer ist kürzer
und schmäler und dringt bei einer grössten Breite von etwa
15 Meilen nur 90 Meilen in das Festland vor. Die Festlands-
küsten des in Rede stehenden Meeres haben vorwiegend eine
flache und schmale Strandregion, während dem Inneren zu im
leichten Übergang durch Korallen- und Sandhügel sich Gruppen
von kahlen Bergkuppen aufbauen, deren Aufzüge häufig den
Hochgebirgscharakter annehmen. Die Küsten sind durchwegs
öde, ohne alle perenne Süsswasserzuflüsse, arm an Vegetation
und an Thieren und, vereinzelte Örtlichkeiten ausgenommen,
nahezu menschenleer.
Der von uns befahrene Theil des Rothen Meeres besitzt
nur wenige brauchbare Häfen und Ankerplätze. Die den Ufern
bis über 25 Seemeilen hinaus vorgelagerten Korallenriffe er-
schweren überdies den Zugang zur Küste in hohem Masse,
schliessen nicht nur das Ein- und Auslaufen bei Nacht voll-
kommen aus, sondern gestatten dies auch bei Tage nur dann,
wenn sich die Sonne im Rücken des ein-, respective aus-
laufenden Schiffes befindet, weil nur unter dieser Beleuchtung
die vorliegenden Riffe erkennbar werden. Die Navigation in den
in Besprechung stehenden Gewässern ist in Folge der vorge-
führten Umstände, dann des Mangels an Leuchtfeuern (im
364 J. Luksch,
ganzen Gebiete der Hochsee von Dschiddah nordwärts finden
sich nur zwei Leuchtthürme, und zwar jener von Brothers
Island und jener von Dädalus) bei den häufig wehenden
schweren Winden aus dem ersten und vierten Quadranten,
welche einen zwar kurzen, aber relativ hohen Seegang erzeugen,
eine höchst schwierige und bedingt selbst bei Verwendung
eines erfahrenen einheimischen Piloten ausserordentlicher Um-
sicht und Aufmerksamkeit.
Das Seebodenrelief.
Die Seekarten der englischen Admiralität gestatteten schon
vor Antritt der Expedition eine allgemeine Vorstellung über die
Tiefenverhältnisse, speciell in der Axe der Hochsee, wie auch
im Golfe von Suez. In der Hochsee fanden sich bereits drei
Lothungslinien, entsprechend dem Verlauf der unterseeisch
führenden Telegraphenkabel, vor. Die einzelnen Sonden liegen
etwa in Abständen von 15 Seemeilen eine von der anderen ab.
Eine Reihe von weiteren Tiefenangaben fanden sich im süd-
lichen Theil des Untersuchungsgebietes, zwischen dem 22.
und 23. Breitengrade, sowie im nördlichen Theil seewärts der
Halbinsel Sinai verzeichnet. Der Golf von Suez war vor Beginn
der Expedition bereits so reich mit Tiefenangaben versehen,
dass eine Vermehrung derselben kaum mehr nöthig erschien,
dagegen entbehrte der Golf von Akaba — wenige vereinzeinte
Küstenlothungen ausgenommen — aller Tiefenangaben und
fanden sich weitere bedeutende Lücken 20 bis 25 Seemeilen
seewärts von der arabischen und ägyptischen Küste vor. Es
gehörte daher zu den Aufgaben der Expedition, die angedeu-
teten sondenarmen Räume in der Hochsee, sowie den aller
Tiefenangaben fast haaren Golf von Akaba mit einer ent-
sprechenden Anzahl von Sonden zu versehen.
Von den durch S. M. Schiff »Pola« ausgeführten 103
Lothungen entfallen auf die Hochsee 57, auf den Golf von
Suez 7 und auf den Golf von Akaba 39, die Hafenlothungen
selbstverständlich ausgeschlossen, und sind diese Lothungen
in dem beifolgenden Verzeichniss unter Angabe ihrer geo-
graphischen Lage aufgenommen. Die Beschaffenheit des Meeres-
grundes erscheint mit einigen, ihre Art und Farbe beschreiben-
Physikal.-oceanograph. Untersuchungen im Rotlien Meere. 36o
den Worten ch«irakterisirt, während die Grundproben selbst
zur seinerzeitigen wissenschaftlichen Untersuchung aufbewahrt
wurden.
Die durch das Expeditionsschiff neugewonnenen Sonden,
combinirt mit jenen, welche bereits vorhanden waren, dürften
nun ziemlich ausreichen, um mittels der in den beifolgenden
Skizzen verzeichneten Isobathen^ von 200, 500, 1000, 1500
und 2000 fw die Gestalt des Seebodens zum Ausdrucke zu
bringen.
In der Hauptsache gibt ein Blick auf die Kartenskizze eine
Vorstellung über die Seebodengestalt des in Rede stehenden
Untersuchungsgebietes und dürften daher wenige erläuternde
Worte genügen.
Die Hochsee.
Von Ras Mohammed (Südspitze der Sinai-Halbinsel) bis
zur geographischen Breite von Dschidda lassen sich zwei
Depressionsgebiete über 1000 m Tiefe unterscheiden, welche
durch eine unterseeische Bodenschwelle von 585 m höchster
Erhebung unter dem Meeresspiegel — etwa in der geographi-
schen Breite von 25° 30' Nord — getrennt sind. Im Norden
dringt diese über lOOOfw betragende Senkung einerseits bis nahe
zur Einfahrt nach dem Golf von Akaba, anderseits bis zu jener
von Suez vor. Während man jedoch im Golf von Akaba gleich-
falls Tiefen über 1000 m vorfindet und die Depression der
Hochsee von jener des genannten Golfes durch eine unter-
seeische Erhebung von 128 m getrennt ist, steigt der Seeboden
im Golf von Suez fast unvermittelt von etwa 500 m der Hoch-
see bis zu 79 m der Golftiefe an. Das nördliche der früher
erwähnten zwei Depressionsgebiete von lOOOfw misst in der
Längenaxe etwa 160 Seemeilen, ist zwischen 20 und 40 Meilen
breit und hat als tiefste Stelle 1168w unter 26 ''S' Nord-
breite und 25** 27' Ostlänge n. Gr. (gemessen von S. M. Schiff
»Polac am 13. Jänner 1896). Das südliche Gebiet besitzt eine
J Die zur Herstellung der Isobathen erforderlichen Interpolationen ge-
schahen nicht mittels Rechnung, sondern mittelst Curven, welche als Vertical-
profile des Meeresbodens aufzufassen sind.
360 J. Luksch,
wechselnde Breite von 20 bis 60 Meilen und erstreckt sich
von Nordwest gegen Südost über die geographische Breite
von Dschidda, also über das von der »Pola« untersuchte See-
gehtet, hinaus. In diesem Gebiete findet man drei an Umfang
kleinere und eine an solchem grössere Senkung von 1500««
lind innerhalb der letzteren noch eine weitere Depression von
über 2000 m mit der in diesem Theile gemessenen tiefsten
Stelle von 2190 w unter 22**7' Nordbreite und 38^0' Ostlänge
fgclothet von S. M. Schiff »Pola« am 6. December 1895).
Die Isobathen von 500 und 200 m Tiefe verlaufen in der
Hochsee des Rothen Meeres relativ nahe den Küsten, mitunter
nur wenige Seemeilen von den vorgelagerten Korallenriffen
entfernt. Es möge hier bemerkt werden, dass Lothungen
dicht unter diesen Riffen ziemlich selten sind und man auf
Grund der von dem Expeditionsschiffe da und dort constatirten
raschen Abstürze der See zu geneigt ist, anzunehmen, dass
die früher genannten Linien von 200 und 500 m wohl noch
näher dem Lande liegen mögen, als dies die Interpolation ergab.
Was die Tiefen innerhalb der Korallenwelt — in den sich
hier häufig vorfindenden Canälen — anbelangt, so sind dieselben
mitunter ganz erhebliche, bis zu 100 w und darüber, doch
konnte es nicht Aufgabe der Expedition sein, die zur ein-
gehenden Erkenntniss dieser Verhältnisse nöthigen zahlreichen
Lothungen vorzunehmen, welche auszuführen eigenen Küsten-
vermessungsschiffen vorbehalten bleibt, da hiefür ein weitaus
längerer. Zeitraum beansprucht wird, als der Expedition zu-
ü^emessen war.
Die Golfe von Suez und von Akaba.
Im Früheren wurde bereits erwähnt, dass von der Hoch-
see des Rothen Meeres aus der Seeboden nach dem Golfe von
Suez fast unvermittelt von Tiefen bis 500 w zu solchen bis
79 m (in der Jubal-Strasse) aufsteigt. Von der Jubal-Strasse
nordwärts bis Suez flacht sich der gedachte Golf allmälig ab,
überschreitet nirgends eine Tiefe von 82 w und liegt die Tiefen-
RXCj soferne von einer solchen gesprochen werden kann, etwa
gleichweit von beiden Ufern entfernt. In der geographischen
Brcit<3 von Tor wird diese Axe durch eine Bank — jene
I
L
Physikal.-oceanograph. Untersuchungen im Rothen Meere. 367
von Tor — unterbrochen, welche im Maximum bis auf 7 m
vom Wasserspiegel aufsteigt und den Golf in ein nördliches
und in ein südliches Tiefenbecken, ersteres 72, letzteres 82 m
im Maximum tief, scheidet. Auch im Golfe von Suez sind die
Abfälle von den Ufern und Korallenbänken der See zu vor-
wiegend steil und unvermittelt.
Golf von Akaba.i
Wesentlich verschieden stellen sich die Tiefenverhältnisse
des zweitgenannten Golfes — jenes von Akaba — dar. Ist der
erstere auffallend seicht, so kann der letztere, angesichts der
geringeren Längen- und Breitenausdehnung, auffallend tief
genannt werden. Da, wie eingangs erwähnt, bis nun ausser
vereinzelten Küstenlothungen, nichts über die Gestaltung des
Bodenreliefs bekannt war und keine der von dem englischen
Schiffe »Palinurus*< 2 vorgenommene Sonden bis zum Meeres-
grunde ausgeführt wurde, fiel es S. M. Schiff »Pola« zu, diese
Lücke nach Thunlichkeit auszufüllen. Im Laufe des Monates
April wurden nun zu diesem Zwecke 39 Tiefseelothungen vor-
genommen und ergaben dieselben Folgendes.
Der Golf von Akaba ist durch eine unterseeische Boden-
schwelle von 128 m unter dem Meeresspiegel in der Zugangs-
strasse von Tiran und durch eine zweite Barriere, welche
bis auf 36 m zur Meeresoberfläche reicht und zwischen dem
arabischen Festlande und der Insel Tiran liegt, von der Hoch-
see des Rothen Meeres abgeschieden. Die Isobathen von 200
und 500 w liegen fast ausnahmslos dicht unter den Küsten, oft
nur 1 — 2 Seemeilen von denselben entfernt und schmiegen
sich in ihrem Verlaufe den Ufercontouren an. Im mittleren
und südlichen Theile des Golfes fällt der Seeboden auf der
arabischen Seite (Ostküste) schon 2 Seemeilen von derselben
bis über 1000 m ab, während die Gewässer der Sinai-Seite
(Westküste) massigere Tiefen aufweisen. Die Tiefenaxe liegt
1 Vergl. die beigegebene Skizze II.
2 Vergl. Red Sea and Gulf of Aden Pilot, fourth Edition, 1892, S. 260,
wo Capitän Moresby die Verhältnisse in diesem berüchtigten Golfe, welchen
er im Jahre 1833 untersucht hatte, in Kürze darlegt.
368 J. Luksch,
also dem arabischen Ufer näher als jenem der Sinai-Halb-
insel. Bis auf 10 Seemeilen vor dem nördlichen Abschlüsse
des Golfes — bei dem Orte Akaba — trifft man noch immer
über 800 fw. Das von der lOOOw-Linie umschlossene Gebiet
füllt den mittleren und südlichen Theil des Golfes in einer
Längenausdehnung von etwa 50 und einer Maximalbreite von
etwa 10 Seemeilen aus. Die gelothete tiefste Stelle im genannten
Golf ergab \2S7m in 34M2-2' östl. Länge v. Gr. und 28** 39 -2'
Nordbreite, etwa in der Mitte der Längenausdehnung desselben
und ziemlich gleichweit von beiden Ufern abstehend. Bemerkens-
werth erscheint es, dass man grosse Tiefen häufig unter flachen
Ufern, geringere Tiefen aber unter Steilufern zu messen Gelegen-
heit hatte. An dieser Stelle sei auch noch hervorgehoben, dass
der Golf von Akaba, im Gegensatze zu den sonst aus-
gesprochenen Ansichten, an seinen Küsten mit Riff-
korallen mehrfach besetzt ist, was zu constatiren das
Expeditionsschiff mehrfach, so bei Dahab, Nawibi, Akaba,
Bir al Mashiya und Scherm Mujawan etc. die Gelegenheit
hatte.
Die Seetemperatur, das speciflsche Gewicht und der Salz-
gehalt im Rothen Meere.
Die Temperaturverhältnisse, sowie jene des specifischen
Gewichtes und des Salzgehaltes im Rothen Meere waren bis zu
Beginn der Expedition noch wenig erforscht. Wohl lagen die
Resultate der werth vollen Untersuchungen von Pullen (engl.
Schiff »Cyclop«) 1858, Shortland (engl. Schiff »Hydra«) 1868,
Kropp (österr. Schiff »Narenta«) 1872,^ Makaroff (russ. Schiff
»Vitiaz«) 1889,* so wie der vom Londoner Meteorologischen
Amte 1895 herausgegebene Atlas des rothen Meeres, in
welchem die von den Dampfern seit 1869 gesammelten Daten
zusammengestellt und bearbeitet erscheinen, vor, doch be-
^ Vergl. Beiträge zu den Segelanweisungen und zur physikalischen Geo-
graphie des Rothen Meeres. Mit 4 Hafenplänen und 12 meteorologischen
Tabellen. Von Wilhelm Kropp, k. k. Corvettencapitän. Wien, 1872. 31 Seiten.
- Vergl. Reise der k. russischen Corvette »Vitiaz«, 1889 etc. (franz. und
russisch).
Physikal.-oceanograph. Untersuchungen im Rothen Meere. 369
ziehen sich diese Ergebnisse der Mehrzahl nach nur auf die
Curslinien der Schiffe in der Hauptaxe des rothen Meeres
und auf die obersten Wasserschichten desselben. Es oblag
sonach der Pola-Expedition, nach dieser Richtung hin ein-
gehendere Untersuchungen zu pflegen, und dürften die auf den
beigegebenen Skizzen verzeichneten Beobachtungsstationen in
See ihrer Anzahl, sowie ihrer Venheilung nach Anhaltspunkte
bieten, wie man der vorgesteckten Aufgabe gerecht zu werden
versuchte.
Es wurden auf den Hauptstationen — wo gleichzeitig
Lothungen stattfanden — sowie an jenen Örtlichkeiten, wo
man vor Anker lag, die Temperaturen und die specifischen
Gewichte des Seewassers, sowohl der Oberfläche, als auch des
Grundes und der Zwischentiefen untersucht, auf den zur Her-
stellung der Continuität in den Beobachtungen (vorwiegend
während der Nachtfahrten) eingeschalteten Nebenstationen aber
wurden diese Untersuchungen auf das Oberflächenwasser be-
schränkt.
Bei Besprechung der auf diesen Stationen gewonnenen
Daten wird es sich empfehlen, die einzelnen Gebiete des
Rothen Meeres — die Hochsee, den Golf von Suez und jenen
von Akaba — - gesondert zu behandeln, weil die bezüglichen
Untersuchungen zu verschiedenen Jahreszeiten vorgenommen
wurden und die Daten daher nur theilweise zu einander in
Beziehung gebracht werden können. Selbst die Hochsee für
sich bedarf dieser Trennung, und zwar in einem südlichen und
einem nördlichen Abschnitte, da von ersterem nur Beobach-
tungen aus den Monaten November und December (1895), also
dem diesen Breiten entsprechenden Herbste, für letzteren jedoch
nur solche aus den Monaten Jänner und Februar (1896), sohin
aus der Winterzeit vorliegen.
Seetemperatur. Abschnitt von der geographischen Breite Dschiddas bis
zu jener von Jambo (November und December 1895).
a) Die Seetemperatur in diesem Meeresgebiete zeigte eine
Abnahme von der Oberfläche dem Grunde zu, jedoch nur bis
zurTi^fe von 700 w. Von da ab war eine Temperaturänderung
nicht mehr nachweisbar und das Thermometer hielt sich unver-
370 J. Luksch,
ändert auf 21*5*' C. Der Betrag der Abnahme von der Ober-
fläche bis zu 700 m Tiefe belief sich im Maximum auf 8, im
Minimum auf 5° C.
h) Sowohl in den Gewässern an der arabischen, wie auch
in jenen an der ägyptischen Küste fand eine Abnahme der
Temperatur in allen Wasserschichten —jene des homothermen
Gebietes ausgenommen — mit dem Vorschreiten gegen Norden
hin statt, eine Erscheinung, welche auch in der Hochsee nach-
weisbar war.
c) Die Gewässer an der arabischen Küste zeigten im All-
gemeinen unter gleichen Breitenparallelen eine höhere Durch-
wärmung als jene an der ägyptischen Gegenküste, die Gewässer
der Hochsee hielten in dieser Erscheinung die Mitte.
d) Der tägliche Gang der Temperatur von der Oberfläche
dem Grunde zu machte sich bis zur Tiefe von 100 w und
darüber, doch nicht in grossen Beträgen, erkennbar.
e) Als Maximaltemperaturen wurden in der eingangs ange-
führten Beobachtungszeit gemessen:
An der arabischen Küste:
Seestation 47, am 14. November 1895, 2^ 10'" p. m.
In 0 w. . .29-5° C. \0m. . .29-0° C. 70 w 27 o' C.
1 ...29-5 20 ...290 100 25-6
2 ...29-5 ' 40 ...28-8 590 Grund 21 «6
An der ägyptischen Küste:
Seestation 44, am 13. November 1895, 2''p. m.
In0w.,.28-5°C. 10fw...28-r C. 70 w 27*0^ C.
1 ...28-5 20 ...27-5 100 24'1
2 ...28-5 40 ...27-3 300 23-3
690 Grund 21-6
f) Als Minimaltemperaturen dagegen:
An der arabischen Küste:
Seestation 95, am 21. December 1895, 8*40" a. m.
In Om.. .26-5°C. 10 w. . .26-4° C. 10 m 25-6'' C.
1 ...26-5 20 ...26-4 100 25-4
2 ...26-5 40 ...26-2 611 Grund 21-6
Physikal.-oceanograph. Untersuchungen im Rothen Meere. 37 1
An der ägyptischen Küste:
Seestation 73, am 30. November 1896, 2^ 12- p. m.
In 0 w. . .26-4' C. 10 w. . .26-3' C. 70m 26*0° C.
1 ...26-4 20 ...26-2 100 25-4
2 ...26-3 40 ...26-1 820 21-5
Abschnitt von der geographischen Breite von Jambo bis zum Ras
Mohammed (Südspitze der Sinai -Halbinsel). Jänner und Februar 1896.
a) Eine Abnahme der Seetemperatur von der Oberfläche
dem Grunde zu zeigte sich zwar auch in diesem Meeres-
abschnitte während der Monate Jänner und Februar 1896,
doch in so geringem Masse, dass man die ganze Wasser-
masse als nahezu gleichmässig durchwärmt hinstellen kann.
b) Ebenso fand eine Abnahme der Temperatur aller
Wasserschichten — die homotherme Schichte ausgenommen,
welche auch in diesem Meeresabschnitte für alle Tiefen von
700 w abwärts 21*5'' C. betrug — mit dem Vorschreiten von
Süden nach Norden statt.
c) Die für den früher erwähnten Meeresabschnitt hervor-
gehobene Erscheinung einer grösseren Durchwärmung der
Küstengewässer an den arabischen Gestaden gegenüber jenen
von Ägypten ist auch in dem in Rede stehenden Gebiete für
die Zeit von Jänner und Februar ausgeprägt.
d) Ein täglicher Gang der Temperatur von der Oberfläche
dem Grunde zu ist zwar — jedoch in einem kaum nennens-
werthen Betrage — nachzuweisen.
e) Als Maximaltemperaturen wurden in den Monaten
Jänner und Februar 1896 gemessen:
An der arabischen Küste:
Seestation 120, am 8. Jänner 1896, 3^7'" p. m.
In 0 w. . .25-9° C. \0m. . .25-9*' C. 70m 25-6" C.
1 ...25-9 20 ...25-6 100 25*1
2 ...26-0 40 ...25-6 828 Grund 21-5
An der ägyptischen Küste:
Seestation 136, am 19. Jänner 1896, S«" 20'" p.m.
In0m...23-5**C. 10m.. .23-4** C. 70m 23- rc
1 ...23-5 20 ...23-4 100 23-0
2 ...23-5 40 ...23-4 600 21-6
1135 Grund 21-5
Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; CV. Bd., Abth. I. 25
o ^^
372 J. Luksch,
f) Als Minimaltemperaturen dagegen:
An der arabischen Küste:
Seestation 151, am 5. Februar 1896, 6" 34* a. m.
InOw...22-8'C. 10w...23-r C. 70 w 22-9*C.
1 ...22-9 20 ...23-1 100 22-9
2 ..^S-O 40 ...23-1 400 21-6
764 Grund 21-5
An der ägyptischen Küste:
Seestation 166, am 17. Februar 1896, 3M0" p.m.
In 0 m. . .22-2" C. lOw. . .22-3'^ C. 70 w 22-2^ C.
1 ...22-4 20 ...22-3 100 22-2
2 ...22-6 40 ...22-1 564 Grund 21-6
Die Seetemperaturen im Golfe von Suez und von Akaba.
In beiden Golfen wurden im Verlaufe der Untersuchungs-
fahrt eine grössere Anzahl von Seetemperaturen in den ver-
schiedensten geographischen Örtlichkeiten und Tiefen beob-
achtet. Da Suez als Ausgangspunkt für die dritte, vierte und
fünfte Kreuzung diente, so wurde der Golf gleichen Namens
mehrfach durchfahren und liegen für denselben vereinzeinte
Beobachtungen aus den Monaten October, Jänner, Februar,
April und Mai, eingehendere jedoch für den Monat März,
in welchem dieser Golf Gegenstand specieller Untersuchung
war, vor. Aus diesen Beobachtungen lässt sich entnehmen,
dass
a) die Temperatur des Seewassers im gedachten Golfe
eine relativ sehr niedere ist,
h) von Süden nach Norden rasch abnimmt und
c) die Differenzen in der Wärme von der Oberfläche dem
Grunde zu in jenen Jahreszeiten, in welchen von S. M. Schiff
»Pola« Beobachtungen vorgenommen wurden,^ sehr geringe
sind.
In der Station Suez wurden während des mehrmaligen
Aufenthaltes, so oft dies anging, Untersuchungen der Tem-
i In den Monaten Juni, Juli, August, September, dann November und
December wurde im Golf von Suez nicht beobachtet.
Physikal.-oceanograph. Untersuchungen im Rothen Meere.
373
peratur und des specifischen Gewichtes vorgenommen, und es
stellte sich die erstere für die verschiedenen Monate und für die
oberen Meeresschichten wie folgt:
October
Jänner
Februar
März
Mai
1895
1896
1896
1896
1806
InOfM.
. .23-2'' C.
14-7» C.
15-8* C.
17-4" C.
21-5' C
1 .
. .23-2
14-8
15-7
17-4
21-5
2 .
. .23-2
14-9
15-7
17-4
21-5
5 .
..23-3
14-9
15-4
17-2
20-8
Grund 8 .
..233
14 9
150
16-9
20-8
Im Monate März, wo, wie früher bemerkt, der Golf von
Suez Gegenstand specieller Untersuchungen war, fand man als
Maximaltemperaturen :
Am südlich
gange des
en Aus-
Golfes
In der
Mitte
A
Er
m nördlichen
ide des Golfes
Station 188,
am 12. März
e'SS-a. m.
Station 197,
am 19. März
5' 20- p. m.
Station 178
am 4. März
10' 50- a. m.
In Om.
20-9'
c.
17 •9» C.
17-r C.
1 .
20-9
17-9
17-0
2 .
20-9
17-9
16-9
10
20-8
17-2
16-9
20
20-8
17-1
16-8
30
20-7
17-1
16-8
Grund 58
20-6
Gr. 58 '
m 16-8 Gr. 45w 16-8
Der Golf von Akaba.
Der Golf von Akaba, wie mehrfach angedeutet, bis nun
noch gar nicht physikalisch durchforscht, wurde während des
Monates April einer speciellen Untersuchung — nach allen
Richtungen hin — unterworfen. Dem im Anfange guten Wetter,
welches — bei dem üblen Rufe, in welchem dieser Golf steht —
nach Kräften ausgenützt wurde, ist es zu danken, dass die
Ergebnisse sehr befriedigend genannt werden können. Man
lothete und beobachtete auf 39 Seestationen — die Anker-
plätze nicht eingerechnet, welche, weil zumeist ungeschützt
und mit der offenen See in directer Verbindung, gleichfalls
374 J. Luksch,
werthvolle Angaben lieferten. Allerdings beziehen sich diese
Untersuchungen nicht wie in den anderen Gebieten des Rothen
Meeres auf längere Zeiträume, sondern, wie bereits angeführt,
nur auf die im Monate April 1896 obwaltenden Verhältnisse.
Aus den gewonnenen Temperaturreihen lässt sich vorder-
hand Folgendes entnehmen:
a) Die Seetemperatur im Monate April war eine in allen
Wasserschichten und im ganzen Gebiete des Golfes ziemlich
gleichförmige, indem auf allen Stationen in See als Maximum
23*2** C, und zwar dies nur einmal für die Oberfläche, als
Minimum aber 21*2* C. gemessen wurde.
b) Eine Abnahme der Temperatur von der Oberfläche dem
Grunde zu prägte sich indess immerhin noch aus. Desgleichen
lässt sich aus den Daten erkennen, dass das Wasser unter den
arabischen Ufern höhere Temperaturen aufweist als unter den
Gestaden der Sinai-Halbinsel.
Die nachfolgenden, aus dem gesammelten Materiale heraus-
gegriffenen Temperaturreihen mögen das Vorgenannte enveisen.
Arabische Gewässer:
Seesttttion 215, am 3. April 1896 um 1^45- p.m.
Om...22-7'C. 40f« 21-8'C.
1 ...22-7 70 21-5
2 ...22-7 100 21-4
10 ...22-4 685 Grund 21-2
20 ...22-3
Sinai-Gewässer:
Seestation 212, am 3. April 1896 um SMS- a. m.
Owf. . .22-4**C. 40 w 21 -7** C.
1 ...22-1 70 21-6
2 ...22-2 100 21-3
10 ...21-8 392 Grund 21-3
20 ...21-7
c) Von Süden nach Norden vorschreitend nimmt die Tem-
peratur des Seewassers im Golfe von Akaba ab, und zwar
zeigte sich dies trotz des Umstandes, dass die Beobachtungen
Physikal.-oceanograph. Untersuchungen im Rothen Meere. 375
mit dem Vorschreiten in die wärmere Jahreszeit vorgenommen
wurden. Die folgenden Daten mögen für das eben Gesagte als
Beleg dienen.
Im Süden des Golfes
Seestation 208, am 2. April 1896 um 11 "30- a. m.
0w...22-8*C. 20m 22- TC.
1 ...22-5 40 22-0
2 ...22-5 70 22-0
10 ...22-2 100 21-5
534 Grund 21-2
Mitte des Golfes
Seestation 220, am 7. April 1896 um IMO" p. m.
Om.
.21-8'
C.
20 »M. ..
...21-9°C
1 .
.220
40 ...
...21-9
2 .
.22-0
70 ...
...21-8
10 .,
.22-0
100 ...
500 ...
...21-4
...21-2
1287 Grund 21-2
Im Norden des Golfes
Seestation 243, am 15. April 1896 um 10" 35- a. m.
Ow...21-5''C. 20 w 21-6^0.
1 ...21-5 40 21-6
2 ...21-5 70 21-4
10 ...21-6 100 21-3
509 Grund 21-2
d) Die homotherme Schichte beginnt im Golfe von Akaba
bereits bei 500 w, von welcher Tiefe ab dem Grunde zu das
Wasser die Temperatur von 21* 2"* C., also etwa um 0*3 weniger
als dies in der Hochsee für die unveränderliche Temperatur
von 700 m ab der Fall ist, beibehält. Die höhere geographische
Lage des Golfes, sowie der Umstand, dass derselbe — wie ein-
gangs bereits hervorgehoben — durch eine bis auf 128fw zum
Meeresspiegel reichende unterseeische Bodenschwelle von den
376 J. Luksch,
Gewässern der Hochsee getrennt ist, erklären die bemeldete
Erscheinung zur Genüge.
So fand man
auf Station 212 in 392 w noch 21-3** C,
212 » 500 schon 21*2
243 » 500 21-2
» 215 » 685 21-2
220 » 500 21-2
220 »1287 21-2 u.s.w.
auch auf allen übrigen Seestationen, auf welchen Tempera-
turen in Tiefen über 500 m gemessen wurden.^
Speciflsches Gewicht und Salzgehalt.
Untersuchungen des specifischen Gewichtes wurden auf
allen gewonnenen Stationen in See für das Wasser der Ober-
fläche, der Zwischentiefen und des Grundes vorgenommen und
17*5* C
nach Reduction auf ' der Salzgehalt abgeleitet*
Für die Beurtheilung der in Rede stehenden Verhältnisse
liegen für das gesammte Untersuchungsgebiet 691 Daten vor.
Zur möglichsten Sicherstellung der Werthe wurde jede Wasser-
probe zwei- bis dreimal auf ihr specifisches Gewicht, und zwar
sowohl mit den bereits im Mittelmeere verwendeten Aräo-
metern (mittlerer Satz — 4 Dec.-Stellen), als auch mit jener des
grossen Satzes (5 Dec.-Stellen), endlich auch mit dem »Doppel-
bild-Refractometer« untersucht, und lässt sich schon dermalen
aussprechen, dass bei den weitaus meisten Fällen volle Überein-
stimmung innerhalb der erlaubten Fehlergrenze erzielt werden
konnte.
1 Es mag an dieser Stelle bemerkt werden, dass man zur vollen Sicher-
stellung der Grundtemperaturen nicht nur im Golfe von Akaba, sondern auch
in den übrigen Theilen des Rothen Meeres stets zwei, mitunter auch drei
Tiefseethermometer verschiedenen Systems auf den Grund versenkte.
2 Es wird Gegenstand seinerzeitiger Untersuchungen sein, ob der für die
Adria und für das östliche Mittelmeer verwendete Umrechnungscoefficient 131
auch für die Gewässer des Rothen Meeres aufrecht erhalten werden kann. Die
in diesem Berichte gebrachten Salzgehalte dürften sodann eventuell eine, wenn
auch wahrscheinlich sehr geringe Änderung erfahren.
I
Physikal.-oceanograph. Untersuchungen im Rothen Meere. 377
Zu den Ergebnissen übergehend, sei vorausgeschickt, dass
von einer Theilung der Hochsee in ein südliches und ein nörd-
liches Gebiet, wie dies bei Besprechung der Seetemperatur
geschehen, bei dem Umstände, als die Salzgehaltverhältnisse
stabilere sind als jene der Temperatur, abgesehen wurde.
Die Hochsee des Rothen Meeres.
a) Das specifische Gewicht des Seewassers im Rothen
Meefe ist relativ zu jenem in anderen Meeren ein sehr hohes.
h) Dasselbe nimmt von Norden nach Süden an Höhe ab,
1 7 • 5 ° C.
erreicht im Norden der Hochsee das Maximum S —^ r o a> —
17-5 C.
1- 03 125, im Süden, in der geographischen Breite von Dschidda
17.50 (^
das Minimum S~ o ^ = 1*02980, einem Salzgehalte von
4-09Vo> beziehungsweise 3*907o entsprechend.
c) Das specifische Gewicht, beziehungsweise der Salz-
gehalt nehmen von der Oberfläche nach dem Grunde hin zu.
d) Das Wasser unter der arabischen Küste ist weniger
versalzen als jenes unter der ägyptischen; das Wasser in der
Mitte der Hochsee bildet den Übergang. So findet man an der
ägyptischen Küste im südlichen Abschnitte der Hochsee schon
an der Oberfläche 4-00% Salz, den gleichen Betrag aber in
der Mitte der Hochsee erst in 100 und an der arabischen
Küste erst in 500 m Tiefe. Im nördlichen Abschnitte trifft man
an der Oberfläche schon über 4 -0270 an der ägyptischen Küste,
während der gleiche Salzgehalt in der Mitte der Hochsee und
an der arabischen Küste erst in 100 w Tiefe angetroffen wurde.
Einige diesbezügliche Daten mögen hier ihren Platz finden.
Speci
ifisches Gew
icht und Salzgehalt.
Im südlichen Theile der Hochsee
In 0«....Sj^.5.
C.
c.
= 1 02985 entsp
,3-91»/o
Salz
» 10
, , , »
= 1-02985 .
3-91
«
»100
• • • »
= 103030 .
3-97
>»
am
Grunde 512
. • • »
= 103082 .
4-04
»
378
In Om,,.S
J. Luksch,
Im nördlichen Theile der Hochsee
17-5** C.
* 10
»100
am Grunde 986
In Ow.
am Grunde
10
100
2
In Om
• 10
> 100
» 1200
am Grunde 1804
In Om.
^ 10 .
* 100 .
am Grunde 820
17-5" C.
1- 03083 entsp. 4-04VoSalz
= 103090 » 4-05
=1 1-03092 » 4-05
= 1-03096 » 4-06
Arabisches Küstenwasser
. S 41-^^ = 1 • 02978 entsp. 3 • 907o.Salz
17-5'' C.
= 1 02978
= 1 02980
= 1- 03080
90
90
03
Hochseewasser
5 1^'^, ^' = 1 • 03025 entsp. 3 • 967o Salz
=: 1-03035 » 3-97
= 103055 » 4-00
= 103055 » 4-00
= 103090 » 4-05
Ägyptisches Küstenwasser
• • -^ \l% % = 1 ■ 0305 1 entsp. 4 • OO»/« Salz
1 / ' O V-/.
= 1 03055
» 4-00
= 1 03085
. 4-04
= 1-03088
. 4-05
Der Golf von Suez.
aj Im Golfe von Suez fand man die absolut höchsten
specifischen Gewichte im ganzen Bereiche des Untersuchungs-
gebietes ^ und erreichten dieselben im Norden des Golfes
1 Es mag hier bemerkt werden, dass der Canal von Suez als Ver-
bindungsglied des Rothen und des Mittelmeeres nicht einbezogen erscheint.
Derselbe wurde beim Passiren nach dem Rothen Meere gleichfalls untersucht
und sind bei der Durchfahrt nach dem Mittclmeere neuerdings Beobachtungen
in Aussicht genommen. Man wird nicht unterlassen, seinerzeit über die
gewonnenen Ergebnisse entsprechend Mittheilung zu machen.
Physikal.-oceanograph. Untersuchungen im Rothen Meere.
379
17*5** C
S ' = 1-03263, entsprechend 4 -2770 Salz, im Süden des
17-5** C
Golfes noch immer S .^,^0 ^^ — 1031 18, entsprechend 4*08%
1 7 * D O.
Salz am Grunde. Die Erscheinung einer Abnahme der Salinität
von Norden nach Süden ist somit auch hier, gleichwie in der
Hochsee, ausgeprägt.
b) Wie in der Hochsee nimmt auch hier das specifische
Gewicht und der aus demselben abgeleitete Salzgehalt von
der Oberfläche dem Grunde hin zu, doch wurde diese Zu-
nahme nur auf einzelnen Stationen stärker ausgesprochen
wahrgenommen.
c) Höhere specifische Gewichte in den ägyptischen Küsten-
gewässern gegenüber von jenen an der Sinai-Halbinsel findet
man — analog wie in der Hochsee — auch im Golfe von
Suez.
Die nachfolgenden Daten mögen das Gesagte erläutern:
In Om.
> 10 .
»100 ,
am Grunde 564 .
Südgolf (Ausgang)
• -5 !!!^«^' = 1'03082 entsp. 4 • 03»/o Salz
1 / * D v-/.
= 1-03081
= 1-03085
= 1-03085
4-03
403
4-04
In Om...S
am Grunde
10
20
50
Mitte des Golfes
17-5° C.
17-5' C.
= 1 • 03 1 24 entsp. 4 - OQ»/« Salz
= 1-03127
= 1-03127
= 1-03132
4-10
4-10
4-10
In Om.
am Grunde
10
40
48
Nordgolf
, , s\\'^,,^ = 1 03246 entsp. 4 • 25Vo Salz
1 / * o o.
= 103240
= 1 03245
= 1- 03263
4-24
4-25
4-27
380
J. Luksch,
Der Golf von Akaba.^
a) Der Golf von Akaba zeigte zwar für April, in welchem
Monate beobachtet wurde, hohe Salzgehalte, jedoch bei einer
weitaus gleichmässigeren Vertheilung als dies für den Golf von
Suez der Fall ist.
b) Das niederst bezifferte specifische Gewicht war
17.5» r
S-^-^r^-= 103075 entsp. einem Salzgehalte von 4-047o»
^^ 17 5"C
das höchste S ' = 103125 entsp. 4-097o Salz.
1 7 ' O O.
c) Eine Zunahme des specifischen Gewichtes von Süden
gegen Norden ist nicht ausgesprochen, desgleichen keine Ver-
schiedenheit der Durchsalzung an den beiden Küsten, wie dies
in der Hochsee und im Golfe von Suez wahrzunehmen ist.
ä) Von der Oberfläche dem Grunde zu nimmt das speci-
fische Gewicht, wenn auch zumeist in massigem Grade, zu.
Es folgen hier einige Daten.
Südgolf
In 0 w ... 5 !!'?. ^' = 1 03092 entsp. 4 * 05 Vo Salz
17-5" C.
* 10 .
» 100 .
am Grunde 534 .
In Om,
» 10 .
» 100 .
am Grunde 671
In Om.
. 10 .
> 100 .
am Grunde 509
= 103100
=1103110
z=:l-03113
4-06
4-07
4-08
Mitte des Golfes
. S !!'?'£- = 1 • 03085 entsp. 4 • 047„ Salz
17-5'"C.
=: 1 03081
= 1- 03095
= 1 03098
404
4-05
4-06
Nordgolf
. 5 !!'?„^" = 1 03098 entsp. 4 • 06Vo Salz
17 5''C.
= 103106
= 103101
= 1-03104
407
4-06
4-07
1 Über die Erscheinung von angesüsstem Küstenwasser bei Akaba wird
seinerzeit berichtet werden.
Physikal.-oceanograph. Untersuchungen im Rothen Meere. 381
Untersuchungen über die Durchsichtigkeit und Farbe des
Seewassers. Wellenbeobachtungen. Meteorologische Auf-
zeichnungen.
Die Durchsichtigkeit des Seewassers.
Untersuchungen über die Transparenz des Wassers wurden
auf allen Hauptstationen bei entsprechendem Wetter gepflogen
und liegen hiefür 98 Beobachtungen vor. In Bezug auf den
V^organg hielt man sich an die während den Expeditionen im
östlichen Mittelmeere erprobte Methode, da gewichtige Gründe
zur Änderung nicht vorlagen. Die Zeit der Beobachtung, der
Sonnenstand, die meteorologischen Verhältnisse, ferner das
specifische Gewicht und die Temperatur, sowie die Farbe des
Seewassers wurden festgestellt und notirt. Man versenkte die
Scheiben sowohl in den verschiedensten geographischen ört-
lichkeiten, als auch zu verschiedenen Tagesstunden und unter
verschiedenen Beleuchtungs- und Wetterverhältnissen. Wenn
nun auch erst die genauere Analyse der gewonnenen Daten
abzuwarten ist, so kann doch schon jetzt mit einiger Sicher-
heit ausgesprochen werden, dass die Transparenz des See-
wassers im Rothen Meere jene des östlichen Mittelmeer-
wassers, speciell der Syrischen See, nicht zu erreichen scheint.
So findet sich unter sämmtlichen gewonnenen Sichttiefen
nur eine einzige, welche 50 w überschreitet (bei 35"* 49'
Sonnenhöhe 51 m), dagegen solche bei ähnlichem Sonnen-
stande von nur 10 bis Mm (unter Land). Aus einer bei der
Insel St. John am 21. November 1895 vorgenommenen Unter-
suchung, bei welcher die Scheibe während eines ganzen Tages
von Stunde zu Stunde zur Versenkung gelangte, ging hervor,
dass die höchste Sichtlichkeitstiefe um Mittag, also beim höch-
sten Sonnenstande, nur 35 m betrug und die Schwankung in
derselben sich innerhalb der Grenze von \0m bewegte. Der
Einfluss der Wellenbewegung, der Bewölkung und des Sonnen-
standes, im Besonderen aber der Farbe des Wassers konnte
gleich wie im Mittelmeere nachgewiesen werden.
Die Farbe des Seewassers.
Ergaben die Untersuchungen über die Transparenz des
Seewassers im Rothen Meere geringere Sichttiefen wie jene.
382 J. Luksch,
welche im Mittelmeere gefunden wurden, so lieferten die
zahlreichen Bestimmungen der Meeresfarbe das Ergebniss,
dass dieselbe weitaus nicht jenes schöne und intensive Blau
zeigt, wie dies im letztgenannten Meere der Fall ist. Während
im Mittelmeere die Nummern 1, 2 und 3 (1, 2 und 3 Theile
gelb zu 99, 98 und 07 Theilen blau) der Forel'schen Scala ^ —
sehr wenige Fälle ausgenommen — vorherrschen, kamen im
Rothen Meere die Nummern 1, 2 und 3 nur 21mal, dagegen 4
und 5 (4 und 5 Theile gelb, 96 und 95 blau)« 170mal in der
Hochsee zum Vergleiche. Im Golfe von Suez ergaben 24 Beob-
achtungen nur die Nummern 4 und 5, in jenem von Akaba
wurde die Meeresfarbe nur 7mal mit der Nummer 2, dagegen
32 mal mit 4 und 5 classificirt. Die Farbe des Seewassers im
Rothen Meere neigt sonach schon in der Hochsee in etwas
zum Grün, in den Küstengewässern und in den beiden Golfen
von Suez und Akaba schon merklicher — in den von Korallen-
riffen besetzten Gebieten aber ganz ausgesprochen zu der
erwähnten Farbe. Die geringe Transparenz scheint sonach mit
der Färbung des Wassers in Beziehung zu stehen.
Beobachtungen über den Seegang.
Obwohl das Wetter im Verlaufe der Zeit, in welcher S. M.
Schiff »Pola« in .See stand, ein im Allgemeinen günstiges
genannt werden konnte, so ergab sich doch zeitweise — bei
erhöhtem Seegang — die Gelegenheit, die Elemente der Wellen-
bewegung zu messen. Man beobachtete sowohl dann, wenn
sich das Schiff in Fahrt, als auch dann, wenn sich dasselbe
in hoher See, gelegentlich vorzunehmender anderer Beob-
achtungen still liegend, befand. Es wurde ausnahmslos nur
dann beobachtet, wenn sich ein ziemlich ausgebildeter See-
gang ergab und das Schiff senkrecht auf den Kammlinien der
Wellen stand, letzteres, um die Einbeziehung der Winkel,
welche sonst die Wellen mit der Kielrichtung einschliessen, aus
1 In etwas modificirt, vergl. darüber die Berichte über die Mittelmeer-
Expeditionen für 1892 und 1893.
2 In den Korallengebieten kamen häufig noch höhere Nummern zum
Vergleiche.
Physikal.-oceanograph. Untersuchungen im Rothen Meere. 383
dem Calcul eliminiren zu können. Selbstverständlich notirte man
während dieser Untersuchungen die nöthigen meteorologischen
Daten und wenn das Schiff in Fahrt, dessen Fahrgeschwindig-
keit etc. Im Allgemeinen kann dermalen nur bemerkt werden,
dass der Seegang im Rothen Meere das Charakteristische an
sich hat, sich sehr rasch auszubilden und ebenso rasch sich
zu legen, dass die einzelnen Wellen relativ hoch und sehr
steil geböscht sind und massige Längen. bei kurzen Perioden
besitzen.
Strömungen.
Schon die Segelhandbücher gedenken der Mannigfaltig-
keit der Strömungen nach Richtung, Stärke und Dauer im
Bereiche des Rothen Meeres. In der That zeigten dieselben
ein schwer zu entwirrendes Bild, welches übrigens in der
eigenthümlichen Gestaltung der Küsten und der denselben
— wie eingangs gesagt — häufig bis 25 Seemeilen und darüber
vorgelagerten Korallenriffe eine theilweise Erklärung findet.
Abgesehen von den Gezeitenströmungen, welche speciell im
Golfe von Suez und in jenem von Akaba eine grosse Regel-
mässigkeit aufweisen und scharf zu erkennen sind, spielen die
herrschenden nördlichen Winde, endlich aber auch der Wasser-
austausch, vorwiegend zwischen dem Indischen Ocean und
dem Rothen Meere, bei den Wasserbewegungen eine ent-
scheidende Rolle. Man unterliess es daher nicht, der gedachten
Erscheinung ein besonderes Augenmerk zu schenken und war
bemüht, die zahlreich eingetretenen Stromversetzungen, wie
solche sich sowohl während der Fahrt, als auch während des
längeren Stillliegens auf den Beobachtungsstationen in See
zu erkennen gaben, zu verzeichnen. Es wird sich dann wohl
wieder die Möglichkeit ergeben, durch die sachliche Verbindung
der beobachteten Stromversetzungen mit dem gewonnenen
reichlichen Material über die Seetemperatur und den Salz-
gehalt auf die dauernden Wasserverschiebungen zu schliessen.
Dass man auch diesmal auf directe Strommessungen ver-
zichtete, weil, wie schon a. a. O. gesagt,^ die Ergebnisse dieser
1 Vergl. die Vorberichte an die kaiseii. Akademie der Wissenschaften für
die Mittelmeer-Expeditionen, speciell jenen für die Fahrt 1893 im Agäischen
Meere, Sitzungsbericht, vorgelegt am 12. October 1893.
384 J. Luksch,
Beobachtungen in hoher See, ohne Land in Sicht und nicht
verankert, schwankend sind; innerhalb der Korallenwelt aber,
wo eine Verankerung zuweilen möglich war, in Folge der
veränderlichen Einflüsse des Windes und des sich mitunter
mannigfaltig gestalteten Fluthphänomens, endlich der ver-
wickelten Canalbildung, sich das Strömungsbild sehr wechsel-
voll und unbeständig gestaltet und sohin vereinzeinte Beob-
achtungen wenig oder gar nichts auszusagen vermögen, sei
hier nochmals hervorgehoben.
Meteorologische Beobachtungen.
Da die Vornahme meteorologischer Beobachtungen zur See
und die Installirung von Landstationen zu diesem Zwecke in
die Hände eines der Herren des Schiffsstabes gelegt waren, so
konnte ich mich darauf beschränken, auf den gewonnenen
Stationen in See — daher fallweise — jene Aufzeichnungen vor-
zunehmen, welche geeignet waren, die Witterungsverhältnisse
während der vorgenommenen physikalischen Untersuchungen
zu charakterisiren, und es wurden hiebei notirt: Temperatur
der Luft nach Schleuderthermometer, der Barometerstand,
der Wind nach Richtung und Stärke, die Bewölkung und end-
lich der Seegang.
Instrumente und Vorrichtungen.
Dass S. M. Schiff »Pola« bei der Abfahrt zur Expedition
mit allen den Zwecken derselben dienenden Instrumenten und
Vorrichtungen bestens versehen war, wurde bereits eingangs
betont. Dieselben bewährten sich gleich wie auf den früheren
Forschungsfahrten auch diesmal vorzüglich. Die grosse Loth-
maschine — System Le Blanc — functionirte stets tadellos,
doch glaubt man mit Rücksicht auf die mehrjährige Ver-
wendung derselben einrathen zu sollen, diese Maschine durch
eine kundige Hand auf ihre weitere Widerstandsfähigkeit
prüfen zu lassen, um eventuellen Schäden rechtzeitig vor-
beugen zu können.
Der Lothdraht bewährte sich gleichfalls ausgezeichnet.
Das einmalige Reissen desselben, während der ganzen Expedi-
Physikal.-oceanograph. Untersuchungen im Rothen Meere. 385
tionsdauer, kann nur auf eine schadhaft gewesene Stelle zurück-
geführt werden.
Die sonst verwendeten anderen histrumente, wie Tiefsee-
thermometer verschiedenen Systems, Aräometer, Tiefsee-Schöpf-
apparate, sowie der Refractometer zur Bestimmung des speci-
fischen Gewichtes des Seewassers etc. Hessen bei ihrem Ge-
brauche nur wenig zu wünschen übrig und war überdies ein
so reicher Vorrath vorhanden, dass bei eingetretener fraglicher
Functionirung eines der Instrumente sofort Ersatz geschaffen
werden konnte.
Die Instandhaltung des Instrumentenparks ist eine voll-
kommen zufriedenstellende gewesen und danke ich dies dem
mir, gleich wie auf den früheren Expeditionen, auch diesmal
zugetheilten Steuermannsmaat Franz Vidulich, welcher mich
überdies auch unermüdlich bei den vorzunehmenden Beobach-
tungen unterstützte.
Mit Rücksicht auf die lange Dauer der Expedition und das
zeitweise weniger günstige Wetter — mitunter höherer See-
gang etc. — ist der Verlust an Instrumenten und Vorrichtungen
ein sehr massiger zu nennen und bewegt sich in demselben
Rahmen wie während der früheren Untersuchungsfahrten.
Verloren gingen: 1 Belknap-Loth und 1 Umkehr-Tief-
seethermometer (System Zambra-Negretti) gelegentlich des
Reissens des Drahtes, sowie 1 Sigsbec-Schöpfapparat.
Unbrauchbar wurden: 1 Tiefseethermometer (System
Zambra-Negretti), 2 Minimum- und Maximum -Tiefseethermo-
meter (System Miller-Casella), 1 gewöhnliches Thermometer
zum Messen von Oberflächenwasser, weiters 2 Aräometer und
endlich 1 Schleuderthermometer.
An Lothdraht wurden 420 m eingebüsst und 200 weitere
Meter der Sicherheit halber von der Bruchstelle ab aus-
geschaltet.
Die von Seite der kaiserl. Akademie der Wissenschaften
nach Suez dirigirten 2 Stück Aräometer sammt Thermometer
zeigten sich bei der commissionellen Eröffnung als zerschlagen
und wurden von mir dem Herrn Hofrath Dr. Franz Stein-
dachner übergeben, welcher diese Instrumente nach Wien
zurücksendete.
386 J. Luksch,
Die Ursache, dass dieselben in gebrochenem Zustande
ankamen, dürfte in der mangelhaftenVerpackung zu suchen sein.
Übersicht des gewonnenen Beobachtungsmateriales.
Anzahl der Hauptstationen in See 184
» » Nebenstationen » > 80
Lothungen im tiefen Wasser 103
Seetemperaturen in allen Wasserschichten und am
Grunde 1243
Specifische Gewichte von Wasserproben 691
Beobachtungen über die Durchsichtigkeit des See-
wassers 98
Beobachtungen über die Farbe des Seewassers 254
Wellenmessungen 22
endlich meteorologische Beobachtungen auf sämmtlichen
264 Seestationen.
Indem ich meinen Bericht schliesse, sei es mir gestattet,
dem Commandanten S. M. Schiffes »Pola«, Herrn k. u. k.
Linienschiffscapitän Paul Edlen v. Pott für die vielfache Unter-
stützung, welche mir bei meinen Arbeiten zu Theil wurde,
den verbindlichsten Dank zu sagen und weiters erlaubt aus-
zusprechen, dass, wenn das gesammelte physikalisch-oceano-
graphische Materiale ein ergiebiges genannt werden darf, ich
dies in nicht zum geringen Theile dem grossen Interesse zu
danken habe, welches den bezüglichen Untersuchungen von
Seite des k. u. k. Schiffscommandos und der Herren des Stabes
S. M. Schiffes »»Pola« entgegengebracht wurde.
Port Tewfik bei Suez, am 1. Mai 1896.
Physika!. -oceanograph. Untersuchungen im Rothen Meere.
387
Lothdaten,.
gewofine^n während ^ der Expedition' Sj Mi Schiffes'f»Pola« 1895 auf 1896 im
I Rothen Meere.
1 o
Geogra
Posi
>hische
tion
N.- Breite
C c
'Grundprobe
Anmerkung
5 c
1-
Laufci
Zah
Ö.-Länge
V. Gr.
1
32*^29'
29''37'
48
Sand und Muscheln
12
1
1 2
34 2
27 24-5
547
Sand und Muscheln
18
3
34 50-5
26 10-8
G5
Sand und Muscheln
Dicht unter der
Insel Brothers,
i/i Kabel vom Land
21
4
34 50-5
26 10-8
92
Sand und Muscheln
7n der gleichen
Position, nur
ungeschwait
22
1
5
34 35
25 58
620
Lichtgelber zäher
Schlamm
27'
1 '
36 15
24 25
io'ö
. .
Lothung nicht bis
zum Grund aus-
geführt
30
. 7
37 37
23 21
791
Sand und Schlamm
33
8
37 22
21 27
700
Sand und Schlamm
42
i 9
37 5
21 39
690
Sand und Schlamm
44
' 10
38 19
22 6
870
Sandiger Schlamm
46
1 11
36 45
22 26
845
Gelber Schlamm
mit Sand
55
12
36 20
23 16
780
Graugelber Schlamm
mit Sand
57
13
1
36 9-7
23 35-8
105
Sand und Schlamm
3 Kabel südlich
der Insel St. Johns
58
!4
36 9-7
23 35-8
73
Sand und Schlamm
In der gleichen
Position, nur
ungeschwait
59
15
35 54
23 46
900
Schlamm und Sand
67
' 16
37 3
23 4
725
Schlamm und Sand
69
17
37 23
23 41
747
Schlamm und Sajid
70
18
37 9
23 6
1150
Schlamm und Sand
72
19
36 28
22 59
820
Schlamm und Sand
73
20
37 48
22 35
1804
Dunkelbrauner
Schlamm, Sand und
Muscheln
75
Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl. ; CV. Bd., Abth. I.
26
388
J. Lukscli,
■5
3N
Geographische
Position
ö. -Länge
V. Gr.
N.- Breite
.s e
Grundprobe
Anmerkung
o 0
iii
21
22
23
24
25
26
I 27
I 28
I
! 29
1
I ''
I 3^
!
I 32
i 33
35
i
' 36
, 37
38
39
40
38« 19'
38 29
38 0
38 0
38 33
38 9
37 45
36 18
35 37
35 25
34 55
35 41
36 10
36 35
36 51
36 8
35 27
34 49
34 27
34 41-5
23«12*
22 42
22 4
22 7
21 36
23 40-5
24 5
24 8
24 15
24 47- 1
25 23
25 22
25 43
24 55
24 35
26 19
26 8
26 16-7
26 28
26 48
600
512
2160
2190
902
611
700
1200
562
535
582
910
780
990
828
880
1168
806
760
1135
Gelber Schlamm
und Sand
Gelber Schlamm
mit Sand
Rothbrauner
Schlamm, Sand
Rothbrauner
Schlamm, Sand
Sand und Schlamm
Gelber Schlamm
und Sand
Lichtgelber
Schlamm und Sand
Gelber Schlamm
und Sand
Gelber Schlamm
und Sand
Gelber Schlamm
und Sand
Gelber Schlamm
und Sand
Gelber Schlamm
mit Sand
Gelber Schlamm
mit Sand
Lichtgelber 1
Schlamm mit Sand |
Lichtgelber
Schlamm mit Sand 1
Lichtgelber |
Schlamm mit Sand |
Lichtgelber \
Schlamm und Sand 1
Grauer Schlamm, '
viel Sand I
Lichtgelber ,
Schlamm und Sand 1
Gelber Schlamm j
und Sand '
Tiefgelothete Stelle
im Rothen Meer
I
76
79
85
86
88
95
99
I
101 ,
I
102 '
104 I
110 I
113 !
114
I
119 !
120 '
125
128
!
129 '
J
131 !
i
136 I
Physikal.-oceanograph. Untersuchungen im Rothen Meere. 389
s
1«^
Geographische
Position
Grundprobe
Anmerkung
•a o
a «
*
ö. -Länge
V. Gr.
N.- Breite
41
32»43'5
29*»24»2
62
Grauer Schlamm
145
42
34 30
27 25
1082
Gelber zäher
Schlamm und Sand
149
1
43
35 17
27 24
764
Gelber Schlamm
und Sand
151
!
44
34 47
27 43
900
Gelber Schlamm
und Sand
153
45
35 17-5
26 53
740
Gelber Schlamm
und Sand
155
46
34 54
27 11
986
Gelber zäher
Schlamm, Sand und
Muscheln
156
47
35 34
26 34
825
Gelber Schlamm
und Sand
160
48
34 10
27 4
1012
Gelber Schlamm
und Sand
165
49
34 2
27 25
564
Gelber Schlamm
und Sand
166
50
32 35-6
29 43-7
45
Grauer Schlamm,
wenig Sand
178
51
32 56
29 7-6
50
Grauer Schlamm,
wenig Sand
179
52
33 6-4
28 44-5
50
Grauer Schlamm,
wenig Sand
183
53
33 35-3
28 9-3
58
Grauer Schlamm,
wenig Sand
188
54
33 20-6
28 9-1
72
Lichtgrauer
Schlamm, wenig
Sand
189
55
32 34-3
29 28-5
58
Zäher grauer 1
Schlamm, ohne Sand'
197
56
33 43
27 50
73
Wenig lichtgelber
Schlamm und Sand
202
57
34 3
27 37
878
Etwas Sand
203
58
34 31
28 11
1077
Gelber Schlamm
und Sand |
207
59
34 27-2
28 14-4
534
Gelber Schlamm, ' |208 j
wenig Sand
26*
388
3N
Geographische
Position
Ö.-Länge
V. Gr.
N.- Breite
J. Lukscil,
Grundprobe
Anmerkung
■5g
i S
21
22
23
24
25
26
I
I 27
[ 28
I
t 29
30
31
32
i
I 33
I
' 34
I
' 35
! 36
; 37
I
38
t
39
40
38« 19'
38 29
38 0
38 0
38 33
38 9
37 45
36 18
35 37
35 25
34 55
35 41
36 10
36 35
36 51
36 8
35 27
34 49
34 27
34 41-5
23*»12'
22 42
22 4
22 7
21 36
23 40-5
24 5
24 8
24 15
24 47- 1
25 23
25 22
25 43
24 55
24 35
26 19
26 8
26 16-7
26 28
26 48
600
512
2160
2190
902
611
700
1200
562
535
582
910
780
990
828
880
1168
806
760
1 1 35
Gelber Schlamm
und Sand
Gelber Schlamm
mit Sand
Rothbrauner
Schlamm, Sand
Roth brauner
Schlamm, Sand
Sand und Schlamm
Gelber Schlamm
und Sand
Lichtgelber
Schlamm und Sand
Gelber Schlamm
und Sand
Gelber Schlamm
und Sand
Gelber Schlamm
und Sand
Gelber Schlamm
und Sand
Gelber Schlamm
mit Sand
Gelber Schlamm
mit Sand
Lichtgeiber
Schlamm mit Sand
Lichtgelber
Schlamm mit Sand
Lichtgelber
Schlamm mit Sand
Lichtgelber
Schlamm und Sand
Grauer Schlamm,
viel Sand
Lichtgelber
Schlamm und Sand I
Gelber Schlamm j
und Sand
Tiefgelothete Stelle
im Rothen Meer
76 '
I
79,
85 I
I
86 I
88 I
95 I
I
99 ,
101
102 '
104 j
I
110 I
I
113
114
119 ,
120 j
I
125
128 I
i
129 I
131 I
136 I
Physikal.-oceanograph. Untersuchungen im Rothen Meere. 389
Geographische
Position
•se
PS
Grundprobe
Anmerkung
•a 0
Ö.-Länge
V. Gr.
N.- Breite
41
32«43'5
29^24^2
62
Grauer Schlamm
1
145 1
42
34 30
27 25
1082
Gelber zäher
Schlamm und Sand
149
43
35 17
27 24
764
Gelber Schlamm
und Sand
151
44
34 47
27 43
900
Gelber Schlamm
und Sand
153
45
35 17-5
26 53
740
Gelber Schlamm
und Sand
155
46
34 54
27 11
986
Gelber zäher
Schlamm, Sand und
Muscheln
156
47
35 34
26 34
825
Gelber Schlamm
und Sand
160
48
34 10
27 4
1012
Gelber Schlamm
und Sand
165
49
34 2
27 25
564
Gelber Schlamm
und Sand
166
50
32 35-6
29 43-7
45
Grauer Schlamm,
wenig Sand
178
51
32 56
29 7-6
50
Grauer Schlamm,
wenig Sand
179
52
33 6-4
28 44-5
50
Grauer Schlamm,
wenig Sand
183
53
33 35-3
28 9-3
58
Grauer Schlamm,
wenig Sand
188
54
33 20-6
28 9M
72
Lichtgrauer
Schlamm, wenig
Sand
189
55
32 34-3
29 28-5
58
Zäher grauer
Schlamm, ohne Sand
197
56
33 43
27 50
73
Wenig lichtgelber
Schlamm und Sand
202
57
34 3
27 37
878
Etwas Sand
1203
58
34 31
28 11
1077
Gelber Schlamm
und Sand |
207
59
34 27-2
28 14-4
534
Gelber Schlamm,
wenig Sand
208 1
26*
>90
CS'
Geographische
Position
Ö.-Länge i
V. Gr. i
N.-Breite
J. Luksch,
Grundprobe
Anmerkung
i-S g!
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
34*»29'
34 34-5
34 31
34 33-4
34 39
34 41-8
34 45-2
34 48
34 37-4
34 42-8
34 48-6
34 44-5
34 42
34 46-5
34 50-5
34 43-4
34 46
34 49-5
28''20'2
28 21-2
28 25
28 30-2
28 30-2
28 23-5
28 30-8
28 37-2
28 37-7
28 39-2
28 44-5
792
978
725
392
1175
1150
1090
685
917
1287
582
1090
28 49-2
I
28 5r8J 521
28 53-6 940
29 3
29 0-8
28 58-5
29 7-5
910
545
671
920
Gelber Schlamm,
wenig Sand
Gelber Schlamm,
Sand und Muscheln
Gelber Schlamm
mit Sand
Hellgelber Schlamm,
wenig Sand
Gelber Schlamm
mit Sand
Gelber Schlamm
mit Sand
Gelber Schlamip
mit Sand
Gelber Schlamm
mit Sand
Braungelber
Schlamm mit Sand
Braungelber
Schlamm, wenig
Sand
Gelbbrauner
Schlamm, wenig
Sand
Gelbbrauner
Schlamm und Sand
Gelbbrauner
Schlamm und Sand
Gelbbrauner
Schlamm und Sand
Gelbbrauner
Schlamm und Sand
Gelber Schlamm
und Sand
Gelber Schlamm
mit Sand
Gelber Schlamm,
wenig Sand 1
f
[209
|210
I
211 ,
i I
.212 I
213 j
1 I
Tiefste Stelle im
Golfe von Akaba
'214 I
I
^215
i
216
I
219
I
'220
I
'221
I
222
1
225
1 I
226 I
'227 I
'228
1 i
229
! i
230 '
• Physikal.-oceanograph. Umersuchungen im Rothen Meere. 391
I Geographische -
« ! Position
1 5§ iÖ.-Länge
; , V. Gr.
N.-Breite
Grundprobe
/r- *LÜ
Anmerkung
i-si
'78
79
80
81
82
83
• 84
85
86
88
89
90
91
92
93
94
95
34°44'6
34 43-7
34 54-5
34 47-7
34 49-5
34 52-8
34 56 9
34 57-5
34 47-8
34 48-8
34 39-3
o4 38
34 38-5
34 30
34 26-2
34 22
34 22
34 28-8
29*^ 4' 4
28 58-6
29 ,11:8
29 12-7
29 18-2
29 18-1
29 17-8
29 22
29 13-5
28 48-8
28 44-3
28 18
28 13
28 2-5
27 51-2
27 50 2
27 44-3
27 44-6
792
314
558
168
508
874
600
842
350
821
826
1198
1180
958
1100
877
1042
1022
Gelber Schlamm
' und Sand
Gelber Schlamm
und Sand
Gelbbrauner
Schlamm, wenig
Sand
Muscheln und Sand
Gelber Schlamm
•und Sand
Gelber Schlamm
und Sand
Gelbbrauner
Schlamm und Sand
• Gelbbrauner
Schlamm, wenig
Sand
• Gelbbrauner
Schlamm und Sand
Gelbbrauner
Schlamm, wenig
Sand
Gelber Schlamm
und Sand
Gelber Schlamm,
etwas Sand
Schlamm und Sand
Schlamm, etwas
Sand
Wenig Sand, gelber
zäher Schlamm
Zäher gelber
Schlamm, wenig
Sand
Gelber Schlamm,
wenig Sand
Gelber Schlamm,
wenig Sand
231
232
233
2ä4
235
236
237
238
244
247
248
249
250
252
255
256
258
259
392 J. Luksch, Physik.-oceanogr. Untersuchungen im Rothen Meere.
JS
Ö.-Länge
V. Gr.
Geographische
Position
N.-Breite
Grundprobe
Anmerkung *
«>
B
B
9d
97
98
99
100
101
102
103
34^25 '2
34 28-3
34 28-3
34 28-2
38 32-5
34 55-4
34 56-5
34 58-7
27»39'4
27 57-7
27 57-5
27 57*3
22 26-5
29 23-5
29 25-4
29 27-7
990| Zäher gelber
I Schlamm, wenig
Sand
170 Gelber Schlamm
und Sand
141 Gelber Schlamm
und Sand
250 Gelber Schlamm
und Sand
590 Schlamm und Sand
652 Braungelber
Schlamm, wenig
Sand
668 Braungelber
Schlamm, wenig
Sand
509 Braungelber
Schlamm, wenig
Sand
260
1 In der Strasse
f von Tiran (Akaba-
iGolQ, mit
Thomson-Loth
gemessen
Station 47 gehört
zwischen die
laufenden
Nummern 10 und 1 1
\
Einzureihen
zwischen den
laufenden
Nummern 85
und 86
47
241
242
243
1 Hafenlothungen sind in diesem Verzeichnisse nicht aufgenommen.
J.Lukscli:Ph)raf
32*o.v.G.
W
2S»--
»»--
27»--
3=n=T
SUEZli
194,19S
1
393
XIV. SITZUNG VOM 21. MAI 1896.
Der Vicepräsident der Akademie Herr Prof. E. Suess
führt den Vorsitz.
Der Vorsitzende gibt der tiefen Trauer Aus-
druck über das am 19. Mai erfolgte Ableben des
Ehrenmitgliedes der kaiserlichen Akademie der
Wissenschaften
Seiner kaiserlichen und königlichen Hoheit
des durchlauchtigsten Herrn
ERZHERZOGS KARL LUDWIG.
Die Mitglieder nehmen stehend diese Trauer-
kundgebung entgegen.
394
Erschienen: Sitzungsberichte, Bd. 105, Abth. I, Heft I— II (Jänner und
Februar 1896).
Das k. u. k. Reichs-Kriegs-Ministerium (Marine-
Section) übermittelt ein vom Commando S. M. Schiff »Pola*
eingelangtes Telegramm, laut welchem die Expedition aus
dem Rothen Meer am 9. Mai 6*" 45™ v. M. glücklich nach dem
Hafen von Pola zurückgekehrt ist.
Der Commandant S. M. Schiff »Pola« Herr k. und k.
Linienschiffs-Capitän Paul Edler v. Pott übersendete aus Suez
ddo. 5. Mai 1. J. einen kurzgefassten Reise- beziehungsweise
Thätigfkeitsbericlit der wissenschaftlichen Expedi-
tion S. M. Schiff »Pola» in das RotheMeer im Jahre 1895
bis 1896.
Das w- M. Herr Hofrath Prof. J. Wies n er überreicht eine
im pflanzenphysiologischen Institute der k. k. Wiener Univer-
sität von Herrn G. Gjokic ausgeführte Arbeit, betitelt: »Zur
Aa^tomiÄ -cier Frucht und des Samens von Viscum^.
1 Das w. M. Herr Hofrath Prof. Ad. Lieben legt eine Ab-?
handlung von Herrn R. Segalle aus dem Czernowitzer Uni-*
versitätslaboratorium »Über einige Halogensubstitution?-f
producte. des Res^cetophenons und seines DiäthyN'
äthers« vor.
^ ' ' ' ' '
Das w. M. Herr Prpf. H. WeideL überreicht eine im
t Laboratorium der k^ k. Universität in Wien ausgeführte Arbeit
Yxjn Herrn Friedrich Hirsch: »Über den Chininsäureestdr
Und dessen Überführung in /7-Oxykynurin«.
Herr Prof. Dr. J. -Latschenberger in Wien überreicht
eine Arbeit, betitelt: »Das physiologische Schicksal Jdöi^
FJlutkörperchen d^s Hämoglobinblutes«.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTER
MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CV. BAND. VI. HEFT.
ABTHEILUNG I.
ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE,
KRYSTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE,
PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN.
y \
397
XV. SITZUNG VOM 11. JUNI 1896.
Erschienen: Monatshefte für Chemie, Bd. 17, Heft III (März 1896).
Der Vorsitzende gibt Nachricht von dem am 28. Mai 1. J.
erfolgten Ableben des ausländischen correspondirenden Mit-
gliedes dieser Classe Herrn Gabriel Auguste Daubree in
Paris.
Die anwesenden Mitglieder erheben sich zum Zeichen des
Beileides von ihren Sitzen.
Der Secretär legt das im Auftrage Sr. k. u. k. Hoheit des
durchlauchtigsten Herrn Erzherzogs Ludwig Salvator,
Ehrenmitgliedes der kaiserl. Akademie, durch die Buchdruckerei
Heinrich Mercy in Prag übersendete Druckwerk: »Die Lipari-
schen Inseln. VI. Alicuri« vor.
Das w. M. Herr Hofrath Prof. Claus übersendet eine Ab-
handlung von Dr. Tad. Garbowski in Wien unter dem
Titel: »Hyperienartige Amphypoden des Mittel-
meeres«. Monographisch bearbeitet auf Grund des während
der fünf Expeditionen S. M. Schiffes »Pola« gesammelten
Materiales (1890— 1894). I. Theil. »Die Sciniden.«
Das c. M. Prof. Franz Exner übersendet eine in seinem
Institute ausgeführte Arbeit des Herrn F. Hasenöhrl: »Über
den Temperaturcoefficienten der Dielektricitätscon-
stante in Flüssigkeiten und die Mosotti-Clausius'sche
KormeN.
Herr Dr. K. A. Pen ecke, Privatdocent an der k. k. Uni-
versität in Graz übersendet eine Abhandlung, betitelt: »Marine
Tertiärfossilien aus Nord-Griechenland und dessen
türkischen Grenzländern«.
398
. Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen
vor:
1. »Die Gravitations-Constante, die Masse und mitt-
lere Dichte der Erde, nach einer neuen experi-
mentellen Bestimmung«, von P. Dr. C. Braun, S. J.
in Mariaschein (Böhmen).
2. Ȇber die Condensation des Benzaldehyds mit
Acetessigester mittelst aromatischer Amine<', von
Prof. Dr. Br. Lachowicz in Lemberg.
3. »Über zwei trigonometrische Reihen für Sonnen-
flecken, Kometen und Klimaschwankungeo«. Vor-
läufige Mittheilung von Herrn J. Unterweger, Landes-
. bürgerschullehrer in Judenburg.
Ferner legt der Secretär ein versiegeltes Schreiben
behufs Wahrung der Priorität von Herrn Theodor Scheim-
pflug, k. u. k. Linienschiffs-Fähnrich in Wien, vor, welches die
Aufschrift führt: »Eine Methode, das Licht zur Zimmer-
Arbeit bei der Photogrammetrie zu verwenden«.
Das w. M, Herr Prof. C. Grobben überreicht eine Arbeit aus
dem zoologische!? Institute der k. k. Universität in Wien von
Dr. Theodor Adensamer: Ȇber Ascodipteron phyllorhinae
(nov. gen., nov., spec), eine eigenthümliche Pupiparen-
form«.
Das w. M. Herr Prof. Friedrich Brauer überreicht eine
vorläufige Mittheilung des c. M. Herrn Directors Th. Fuchs:
Über einige Versuche, verschiedene, in das Gebiet
der Hieroglyphen gehörige problematische Fossilien
auf mechanischem Wege herzustellen.
Ferner überreicht Herr Prof. Brauer eine Arbeit von
Dr. Rudolf Sturany in Wien, betitelt: »Brachiopoden«,
gesammelt auf den Expeditionen S. M. Schiffes »Pola«
1890-1894.
Das w. M. Herr Prof. Sigm. Exner legt eine Abhandlung
von Prof. L. Schenk vor: Ȇber Anomalien an Eiern von
Echinodermen nach der Befruchtung«.
-399
Herr Hofrath Prof. Dr. v. Lang legt eine Abhandlung der
Herren Regierungsrath Dr. J. M. Eder und E. Valenta über
»Spectralanalytische Untersuchung des Argons« vor,
worin dieselben genaue Wellenlängenbestimmungen der drei
verschiedenen Spectren des Argons und von Übergangsformen
derselben geben.
Herr Prof. Dr. Ed. L i p p m a n n überreicht eine ipi
III. chemischen Laboratorium der k. k. Universität in .Wien
von Dr. P. Cohn und F:- Fl eiss her ausgeführte Arbeit:. »Über
die Trennung des Palladiums von Platin«.
Herr Dr. Ign. Schütz in Göttingen übersendete eine
Mittheilung: »Über das Verhältniss des Princips der
geradesten Bahn zum Princip der kleinsten Wirkung*.
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
Erzherzog Ludwig Salvator, Die Liparischen Inseln.
VI.Alicuri. Präg, 1896.
400
Über Aseodipteron phyllorhinae (n. gen., n. sp.),
eine eigenthümliche Pupiparenform
von
Dr. Theodor Adensamer in Wien.
(Mit 2 Tafeln.)
Beim Bestimmen der Fledeimäuse, die ich aus Holländisch-
Indien mitgebracht habe, machte mich Herr Dr. L. v. Lorenz,
Custos am naturhistorischen Hofmuseum in Wien, auf einen
Parasiten einer Phyllorhina aus Java aufmerksam, deren Species
mit den hiesigen Hilfsmitteln nicht genauer bestimmt werden
konnte. Dieser Parasit war fast vollständig in die dorsale Flug-
haut seines Wirthes eingebohrt, nur ein knopfartiger Theil des
Körpers ragte frei hervor. Bei näherer Untersuchung erwies
sich derselbe als eigenthümliche neue Pupiparenform, welche
ich Aseodipteron phyllorhinae (nov. gen., nov. spec.) benennen
will, da es vorläufig nicht gelang, diese Form in eine bestehende
Gattung einzureihen. Leider war es mir bis jetzt nicht möglich,
ein zweites Exemplar zu erlangen, so dass ich bei meinen Beob-
achtungen auf ein einziges Individuum beschränkt war.
Bevor ich zum eigentlichen Thema übergehe, drängt es
mich, denjenigen Herren einige Dankesworte zu widmen, welche
mich bei meinen Untersuchungen unterstützten: Vor Allem den
Herren Professoren Dr. C. Grobben, in dessen Institute die
Arbeit ausgeführt wurde, und Dr. Fr. Brauer, die mir durch ihre
Rathschläge und Mittheilungen in so vielfacher Weise geholfen
haben; ferner dem Herrn Custos Dr. L. v. Lorenz, der mir
gestattete, alle in Alkohol conservirten Fledermäuse des natur-
historischen Hofmuseums auf Parasiten zu untersuchen, ebenso
Ascoäipteran phyllorhinae, 40 1
wie Herrn Prof. L. v. Graff, welcher mir dieselbe Erlaubniss
für das zoologische Institut an der Grazer Universität gab. All*
den Herren meinen wärmsten Dank !
Die äussere Gestalt.
Der Körper von Ascodipteron phyllorhinae ist bilateral-
symmetrisch, flaschenförmig und zeigt keine Segmentirung
(Fig. 1 und 2). Der aufgetriebene Abschnitt desselben erscheint
ventral stärker gewölbt, der halsartig verengte geht in eine
knopfartige Erweiterung über, welche allein aus der Phyllorhina-
Haut hervorragte, während der Körper sonst in der Haut ein-
gebohrt lag. Am Halstheile verläuft knapp unter der knopf-
artigen Erweiterung eine ringförmige Einschnürung, hervor-
gerufen durch den vorspringenden Rand der den Parasiten auf-
nehmenden Hautgrube des Wirthes. Der Körper des Thieres ist
farblos, nur der frei hervorragende knopfartige Körpertheil zeigt
zufolge der dort sich befindenden Chitingebilde, welche später
genauer beschrieben werden, eine braune Färbung. Die weitere
Untersuchung lehrt, dass dieser knopfartige Theil das hintere
Körperende bildet. Auf derselben ist ein transversaler Spalt zu
erkennen (Fig. 6, Tsp.), in welchem Darm und Geschlechtsgang
münden, dorsal von demselben liegt eine parallel verlaufende
Querfurche (Fig. 6, Tf.). In der Umgebung beider finden sich
acht Chitinringe in bilateral-symmetrischer Anordnung: zwei
zwischen Querspalte und Querfurche bilden Wälle um Chitin-
borsten (Fig. 6, Chr^.), die anderen sechs, welche an Grösse die
vorigen übertreffen, sind Stigmen (Fig. 6, Chrg.): vier liegen
dorsal von der Querfurche, und zwar zwei näher aneinander
knapp über derselben, zwei mehr entfernt, zwei liegen ventral.
Ausserdem treten in der Nachbarschaft der Chitinringe einzelne
Chitinborsten auf; zahlreiche gleiche Borsten finden sich in
fünf parallel laufenden Reihen im Umkreis des knopfartigen
Körperendes. Am entgegengesetzten Ende verjüngt sich der
Körper zu einem deutlich abgesetzten, mehr dorsal gelegenen
Zapfen, in dessen Mitte eine von faltigem Rande umgebene
Grube liegt; in der Tiefe der letzteren Hessen sich eine kleine
Platte und vier stilettartige Leisten undeutlich erkennen (Fig. 4).
Diese Grube bildet, wie man auf Schnitten sieht, den Eingang
402 Th. Adensamer,
ZU einem Atrium, in welchem Kopf und Brust des- Thieres ein-
gezogen liegen. Kopf und Brust bilden einen Abschnitt, der
durch eine enge Verbindungsstelle am Grunde des Atriums in
dessen Wand übergeht (Fig. 3 und 7).
Vorne am Kopf bemerken wir die Mundwerkzeuge (Fig. 3
und 7): einen Rüssel und zwei tasterähnliche Gebilde. Ersterer
ist ein gekrümmtes Chitinrohr, das am Grunde erweitert ist und
an der Spitze Chitinborsten trägt (R.). An der Basis desselben
münden Oesophagus und Speichelrohr ein (S.). Rechts und
links vom Rüssel liegen die tasterartigen Gebilde (T.). Dieselben
bestehen aus einem starken Basalgliede, dem ein kleineres
Glied gelenkig aufsitzt; ersteres hat kurze, nach hinten ge-
richtete Stacheln und aufrechtstehende Borsten. Das zweite
Glied erscheint mit Haken versehen. Diese Anhänge dürften als
Schutzvorrichtung für den eingezogenen Rüssel dienen. An
den Rüssel schliesst sich nach hinten zu ein Schlundgerüst
an, das aus einer oberen und unteren muschelähnlichen Platte
mit zwei Seitenfortsätzen besteht (Fig. 3, Fpo.,Fpu.). Ein Muskel-
paar zieht von der dorsalen Kopfwand zur oberen Platte (P'm.).
Genaueres konnte ich von den Mundtheilen aus den Prä-
paraten nicht erkennen, da diese harten, chitinigen Theile beim
Schneiden brachen und die umliegenden Gewebe zerrissen.
Doch schon aus diesen wenigen Angaben lässt sich eine grosse
Ähnlichkeit mit den Mundwerkzeugen der Pupiparen con-
statiren, so vor Allem was den Rüssel und das Schlundgerüst
betrifft, wie aus dem Vergleiche mit den übrigen Pupiparen
hervorgeht. Es wird wohl anzunehmen sein, dass der Rüssel
von Ascodipteron aus Oberlippe, Stechborste und Unterlippe
sich aufbaut. Die tasterartigen Anhänge dürften den Maxillar-
tastern homolog sein und verhalten sich auch functionell bei
meiner Form in gleicher Weise wie die von Melophagus ovinus,^
nämlich als Scheide des Rüssels.
An der dorsalen Wand des Kopfes inserirt sich jederseits
eine wenig vorspringende, kurze Antenne (Fig. 3 und 7, An.),
die in einer Grube des Kopfes eingesenkt liegt, wie es bei
Pupiparen der Fall ist.
» Vergl. H. Müggenburg, 1892, S. 296, 297.
Ascodipteron phyllorhinae. 403
Augen vermochte ich nicht zu beobachten, wohl aber
ein Nervenpaar (Op.), welches einem rudimentären Opticuspaar
entsprechen dürfte. Auf diesen Punkt komme ich noch später
zurück.
An der Grenze zwischen Kopf und Thorax finden sich
Chitinleisten, die das Hinterhauptloch umfassen. Als ventrale
Anhänge trägt die Brust, soweit dies aus den Schnitten ersicht-
lich war, zwei Paar rudimentärer dreigliedriger Extremitäten.
Eine Segmentirung des Thorax ist nicht angedeutet (Fig. 3
und 7).
Aus der eben gegebenen Darstellung folgt, dass der
flaschenförmige Theil des Thieres als Abdomen anzusehen ist,
in welchem Kopf und Brust eingezogen liegen. Die sackförmige
Gestalt des Abdomens, wie sie auf S. 4Ö1 beschrieben wurde,
die Lage der Stigmen und der vielen Borsten am hinteren
Körperende, sowie der Mangel der Segmentirung sind Merk-
male, die in Folge der parasitischen Lebensweise erworben
sein dürften (Fig. 1 und 2).
Die Körpermaasse sind folgende:
Länge des Abdomens 4*5 mm
Breite des Abdomens (aufgetriebener Theil) 3*0
Breite des Halses 1*3
Breite des Knopfes 1*8
Breite des Zapfens 1*8
Die Haut.
Der Körper wird von einem Epithel bedeckt, das als Matrix
nach aussen eine dünne Chitincuticula absondert (Fig. 5 und 7,
Cu.). Die Matrixzellen sind kegelförmig gestaltet (Maz.) — die
Spitzen der Kegel nach innen gerichtet — und hängen durch
Fortsätze mit der Scheide der knapp darunter verlaufenden
Ringmuskel zusammen (Rmb.). Der Inhalt der Matrixzellen ist
in den proximalen Theilen granulirt und enthält an dieser Stelle
den Kern (K.); die distalen Partien derselben weisen eine Fase-
rung senkrecht zur Körperoberfläche auf. Diese faserige Diffe-
renzirung dürfte durch den Zug verursacht sein, welcher bei
der Muskelcontraction auf die Matrixzellen in Folge ihres
Sitzb. d. mathem.-naturw. Gl.; CV. Bd.. Abth. I. 27
404 Th. Adensamer,
Zusammenhanges mit der Musculatur ausgeübt wird. An dem
eingestülpten Vorderkörper nimmt die Matrix bedeutend an
Stärke ab. Die Ausstattung des Integumentes mit Borsten wurde
bereits früher rücksichtich ihrer Verbreitung besprochen.
Die Körpermusculatur.
Die Körpermusculatur ist am kräftigsten im Abdomen ent-
wickelt. Hier trifft man unter den Hypodermiszellen starke
Ringmuskeln an (Fig. 5 und 7, Rmb.), die eine einzige Lage
bildend, nebeneinander im ganzen Hinterleib verlaufen, wie
Schnitte klar erweisen. Eine Contraction dieser Muskeln bewirkt
jedenfalls die Ausstülpung von Kopf und Brust. Ferner dürfte
die Ringmusculatur im Zusammenwirken mit den Längsmuskeln
zugleich der Athmung dienen. Die Längsmuskeln treten im Ab-
domen unterhalb der Ringmuskeln auf (Fig. 5 und 7, Lm.), Sie
erstrecken sich ohne irgendwelche segmentale Anordnung vom
hinteren Körperende fast bis an den vorderen Rand der Atrium-
wand und zeigen an ihren Insertionsstellen vielfach Veräste-
lungen. Ausserdem gibt es im Abdomen noch zwei Muskeln,
die als Retractoren des ausgestülpten Vorderkörpers fungiren.
Sie inseriren sich am Grunde des Atriums lateral vom Dann
und ziehen schräg nach unten und hinten zur ventralen Körper-
wand.
Von den Muskeln im Kopf und Thorax habe ich solche
der rudimentären Extremitäten und Mundwerkzeuge unter-
scheiden können (Fig. 5 und 7).
In histologischer Beziehung weisen die Muskeln Quer-
streifung auf. Ihre Kerne liegen mit dem nicht zu contractiler
Substanz umgewandelten Plasma axial (Fig. 5, Kg.).
Wie schon erwähnt, sind die Ringmuskelbündel mit ihren
Scheiden an den Hypodermiszellen befestigt. Die Längsmuskeln
dagegen hängen an ihren Insertionsstellen mit ersteren zu-
sammen (Fig. 5, Lm.); zuweilen stehen sie jedoch auch direct
mit den Matrixzellen in Verbindung.
Das Nervensystem.
Das centrale Nervensystem liegt bei diesem Thiere im ein-
gestülpten Vorderkörper (Fig. 3 und 7). Das obere Schlund-
Ascodipieron phyllorhinae. 405
ganglion (Go.) bildet eine rundliche Masse mit beiderseitigen
schwachen Anschwellungen und steht durch eine Commissur,
die rechts und links vom Oesophagus verläuft, mit dem unteren
Schlundganglion in Verbindung (Gn.). An dieses schliesst sich
eine grosse Ganglienmasse, welche den verschmolzenen Tho-
racal- und Abdominalganglien entsprechen dürfte (Gt.), wie sich
dieselbe auch sonst bei Dipteren findet. Diese Ganglienmasse
liegt ventral vom Anfangstheil des Mitteldarmes in der Brust
und lehnt sich nach hinten zu an eine ventral entspringende
Chitinleiste an.
Zu innerst liegt in den Ganglien die Fasersubstanz, darauf
folgt nach aussen eine mehr oder minder dicke Lage von
Ganglienzellen, zu äusserst eine Hülle.
Vom oberen Schlundganglion gehen zwei Nervenpaare ab:
1. eines nach vorne und oben bis unter das Integument (Op.), wo
beide Nerven kolbig anschwellen. Ich glaube diese zwei Nerven
als Optici deuten zu dürfen. Für diese Vermuthung vermag
ich bloss die Ursprungsstelle der Nerven als Begründung anzu-
führen, da ich eine Andeutung eines Auges nicht sehen konnte.
2. Ein zweites Nervenpaar, die Antennennerven (N^.), entspringt
näher der vorderen Wand des Gehirnes (siehe S. 402). Ein
drittes von der Schlundcommissur ausgehendes Nervenpaar
verläuft über dem Oesophagus und dürfte als Oberlippennerv
anzusprechen sein (Ng.). Den Verlauf weiterer Nerven konnte
ich nicht verfolgen.
Der Darm.
Die Mundöffnung liegt an der Basis des Rüssels. Die
Nahrung gelangt durch den letzteren zwischen die beiden
Schlundplatten, welche bereits dem Oesophagus angehören
(Fig. 3 und 7, Oe.). Dieser macht im Kopfe eine S-förmige
Windung, ein Umstand, der darauf hindeutet, dass der Rüssel
nicht ganz ausgestülpt sein dürfte. Hinter dem oberen und
unteren Schlundganglion im Thorax ist die Speiseröhre
zapfenförmig in eine Erweiterung des Vorderdarmes, den so-
genannten Vormagen, eingestülpt (Fig. 3 und 7, Pv.). Letzterer
ist weiter als der Oesophagus, verengt sich aber beim Durch-
tritt durch den Verbindungsspalt zwischen Thorax und Ab-
27*
406 Th. Adensamer,
dornen ganz beträchtlich. Die Zellen des Vorderdarmes, die
abgesehen vom Schlundgerüst eine zarte Intima abscheiden,
sind im Oesophagus klein. Am hinteren Ende des Zapfens
werden dieselben zu einem Cylinderepithel, nehmen aber in
der Wand des Proventriculus an Höhe wieder ab. Die Ring-
musculatur der Speiseröhre bildet vor dem Vormagen eine Art
Sphincter. Im Abdomen geht der Vormagen in den Mitteldarm
über (Fig. 7, Md.). Die Grenze zwischen beiden ist durch eine
schwache Einschnürung kenntlich. Der Mitteldarm steigt dem
Rücken zu, verläuft dort unter dem Herzen bis in^den halsartig
verengten Theil des Thieres nach hinten, biegt von da ventral-
wärts nach vom und wendet sich in einer scharfen Biegung
nach hinten; dorsal vom Uterus geht er in den Enddarm über.
Wird der Vorderkörper ausgestülpt, so erleiden diese Win-
dungen selbstredend eine Veränderung, da in diesem Falle der
ganze Darmtractus nach vorne gezogen wird. Seine grösste
Weite erreicht der Mitteldarm in der dorsalen Schlinge unter
dem Herzen.
Der Mitteldarm wird von grossen Zellen ausgekleidet, die
im Anfang und Ende desselben höher als in dessen Mitte sind.
Hie und da ist eine zarte Intima zu sehen. Meist erscheinen
die Zellen gegen das Lumen unregelmässig gelappt. Aussen ist
der Darmwand eine Muskelschichte aufgelagert
Der kurze Enddarm schliesst sich an den Mitteldarm an
(Fig. 7, Ed.), zieht in gerader Richtung zur Afteröffnung, Welche
am hinteren Körperende dorsal von der Geschlechtsöffnung mit
letzterer am Grunde der früher erwähnten Transversalspalte
ausmündet (Fig. 7, Af.). Sein Lumen ist enger als das des
Mitteldarmes. Die den Enddarm auskleidende chitinige Intima
nimmt gegen den After an Dicke zu, wo sie mit der darunter-
liegenden kleinzelligen Matrix in die äussere Körpen\'andung
übergeht Auf das Epithel folgt eine Längs- und Ringmuskel-
lage. Die vier »boutons charnus«, welche Dufour (1845, p. 70)
im Rectum der Pupiparen angibt, fand ich hier nicht
In der Umgebung des Vorder- und theilweise auch des
Mitteldarmes in Kopf, Brust und Abdomen liegen drei Paar
Speicheldrüsen. Das eine Paar befindet sich im Abdomen zu
beiden Seiten der ersten aufsteigenden Biegung des Mittel-
Ascodipteron phyllorhinac. 407
darmes, ventral vom vorderen Herzabschnitt; es besteht aus
zwei Schläuchen, deren Enden keulenförmig angeschwollen
sind (Fig. 7, Sd^.). Grosse gestreifte Drüsenzellen bilden die
Wandung eines solchen Drüsenschlauches und schliessen ein
enges Lumen ein. Durch die verengte Stelle, welche Abdomen
und Thorax verbindet, setzt sich das schmale distale Drüsen-
ende in einen Ausführungsgang fort: letzterer durchzieht zu
beiden Seiten des Verdauungsrohres und des unteren Schlund-
ganglions Brust und Kopf und endigt in einer Blase (Fig. 7, Sr.).
Histologisch weist der Ausführungsgang eine chitinige
Intima auf, die eine schwache Ringelung zeigt. Die Wandung
der oben erwähnten Blase, eine Art Speichelreservoir, ist dick
und springt in zahlreichen Falten gegen ihre Höhlung vor. Die
Ausführungsgänge der beiderseitigen Speichelreservoire ver-
einigen sich vorne zu einem einzigen Speichelrohr (Fig. 3, S.),
welches in den Rüssel eintritt. Ob dabei eine Schliessvorrichtung
vorkommt, wie Müggenburg (1892, S. 304) eine solche bei
Hippobosciden und Nycteribiden beschrieben hat, konnte ich
an meinen Schnitten nicht entscheiden- Ebensolche Speichel-
drüsen, wie das beschriebene Paar, hat Dufour (1845, S. 67)
bei Pupiparen gefunden.
Das zweite Speicheldrüsenpaar ist acinös und liegt zu
beiden Seiten des Vorderdarmes im eingestülpten Körpertheil.
Jeder Acinus besteht aus mehreren Zellen, welche ihr Secret
in einen Hohlraum ergiessen, aus dem es der schmale Aus-
führungsgang abführt Von letzteren vereinigen sich mehrere
zu einem grösseren Canal, von denen wieder jederseits ein
Sammelgang gebildet wird. Diesen konnte ich bis an dfe Spitze
des basalen Tastergliedes verfolgen, seine Ausmündung ^hin-
gegen sah ich nicht. Die Gänge dieser Drüse zeigen eine deut-
liche ringförmige Verdickung der Intima, so dass man leicht
in die Lage kommen kann, dieselben mit Tracheen zu ver-
wechseln.
Vam dritten Speicheldrüsenpaare (Fig. 3, Sdg.) sind die
runden Drüsenzellen zwischen dem vorigen Drüsenpaare und
den übrigen Geweben in Kopf und Brust zerstreut. Von jeder
solchen Z^lfe geht ein dünnes Canälchen aus; alle diese
Canälchen führen zu einem weiten Sammelrohr. Die Intima der
408 Th. Adensamer,
Gänge ist glatt. Auch hier vermag ich nicht die Ausmündungs-
stelle anzugeben.
An der Grenze von End- und Mitteldarm münden die
Malpighi 'sehen Gefässe ein (Fig. 7, Mp.). Ob es jederseits eines
oder zwei sind, konnte ich nicht mit Sicherheit constatiren,
doch glaube ich der letzteren Zahl den Vorzug geben zu dürfen.
Die polygonalen Zellen der Malpighi'schen Gefässe besitzen
grosse Kerne, ihr Inhalt färbte sich mit Borax-Carmin intensiv.
Nach innen zu ist eine Intima, nach aussen eine stärkere Basal-
membran sichtbar.
Das Circulationssystem.
Das Herz ist schlauchförmig, liegt im Abdomen dorsal vom
Mitteldarm (Fig. 7, H.). Mit letzterem steigt es dem Rücken zu,
biegt dann mit dem Darm analwärts um und verläuft knapp
über demselben bis zu seiner Abbiegung nach unten. Von da
erstreckt es sich weiter über den Anfang des Enddarmes
in den halsartig verengten Theil vom Abdomen. Nach vorne
durch den Verbindungsspalt von Abdomen und Thorax
entsendet es in den eingestülpten Vorderkörper die Aorta
(Fig. 3, A.), welche ich bis zum oberen Schlundganglion ver-
folgen konnte. Mehrere seitliche Spaltöffnungen am Herzen,
denen vorne und hinten grosse Kerne anliegen, stellen die
Communication zwischen Herz und dem Pericardialsinus her,
der durch eine ventral vom Herzen ausgespannte Membran
nach unten abgeschlossen wird (Fig. 7, Sm).
Das Respirationssystem.
Das Tracheensystem mündet durch sechs am hinteren
Körperende liegende Stigmen, deren Lage ich bereits früher
angab, nach aussen. Es besteht aus zwei Paaren von Längs-
stämmen, einem dorsalen und ventralen, von denen das erstere
zu beiden Seiten des Herzens und das letztere rechts und links
vom Uterus nach vorne zieht. Die gleichseitigen Tracheen-
Stämme beider Paare hängen hinten durch eine kurze Ana-
stomose zusammen. Jeder dorsale Stamm spaltet «ich hinter
der Queranastomose in zwei Aste, welche zu den vier dor-
salen Stigmen verlaufen, während das ventrale Tracheenpaar
AscodipUroH phyllorhinae. 409
in den zwei ventral von derQuerfurche gelegenen Stigmen aus-
mündet. Leider kann ich bezüglich des Tracheenverlaufes nichts
Genaueres angeben, da die stellenweise defecten Schnitte eine
Untersuchung in dieser Richtung unmöglich machten. Dennoch
lässt sich schon aus diesen lückenhaften Beobachtungen er-
kennen, dass den beschriebenen Verhältnissen das Respirations-
system der Pupiparenlarven am nächsten kommt, vor Allem
was Lage und Zahl der Stigmen betrifift So sagt Leuckart
(1858, S. 178): »Zu den Seiten dieses oo förmigen Hornstückes
bemerkt man, wie schon Leon Dufour angegeben hat, noch
zwei kleinere und schmälere, gleichfalls braune Chitinringe von
0-05 ww im Durchmesser, die in gleicher Weise wie die oben
beschriebenen grossen und breiten Ringe eine grubenförmige,
nur viel seichtere Vertiefung in sich einschliessen. Aber der
Boden dieser Vertiefung ist nicht vollkommen glatt, sondern in
der Mitte von einer deutlichen Querspalte (0-015 ww) durch-
brochen, die von einem braunen, schmalen und lippenförmigen
Wulste eingefasst wird und sich durch ihren Zusammenhang
mit dem Tracheensystem der Larve als ein Stigma zu erkennen
gibt. Leon Dufour hat dieses Stigma bereits richtig erkannt;
er irrt nur darin, dass er dasselbe für das einzige hält, das
unseren Thieren zukommt. Nach meiner Untersuchung besitzen
die Larven von Melophagus auch noch zwei andere Stigmen-
paare, und zwar im Innern der zuerst beschriebenen grossen
und sackförmigen Grube am Hinterleibsende*.
Man sieht daraus, dass die Larve von Melophagus ovinus
zu einer bestimmten Zeit sechs Luftlöcher am Hinterleibsende
besitzt. Bei manchen anderen Cycloraphenlarven tritt nach der
zweiten Häutung wohl auch dieselbe Stigmenzahl am letzten
Abdominalsegment auf, gleichzeitig aber ist ein Stigmenpaar
am Prothorax entwickelt oder wenigstens angedeutet. Da
letzteres bei Ascodipteron phyllorhinae nicht beobachtet wurde,
so stimmt hier das Verhalten der Stigmen am meisten mit
jenem der Pupiparenlarven überein.
Der Fettkörper und die Oenocyten.
Den Fettkörper, ebenso wie die Oenocyten trifft man bei
diesem Parasiten im Abdomen. Ersterer besteht aus rundlichen
410 Th. Adensamer,
Zellen, die meist regellos — nur manchmal erscheinen sie
perlschnurartig angeordnet — nebeneinanderliegen und die
Lücken zwischen den Organen ausfüllen. Der Zellinhalt ist
granulirt und enthält Fetttropfen. Die Kerne treten in einer Zelle
gewöhnlich zu zweien auf. Die Zweikernigkeit der Fettzellen
stellt Wielowiejski (1886, S. 534) für Melophagus und Apis
als Regel auf im Gegensatz zu Musca, deren Fettzellen fast
stets mehrere Kerne enthalten, und den übrigen Insecten mit
einkernigen Fettzellen.
In den kleineren zwischen dem Fettkörper liegenden Zellen
glaube ich die Oenocyten gefunden zu haben. Ihr Protoplasma
ist fein granulirt und enthält einen bis mehrere Kerne. Auch hier
ist keine Regelmässigkeit in der Anordnung dieser Zellen zu
beobachten.
Der weibliche Geschlechtsapparat.
Meine Ansicht, dass dieser Fledermausparasit zu den
pupiparen Dipteren zu stellen ist, wird in ausgezeichneterweise
durch den Bau des weiblichen Geschlechtsapparates gestützt,
welcher, verglichen mit Leu ckart^s Angaben über die weib-
lichen Genitalien von Melophagus ovinusy eine vielfache Über-
einstimmung mit letzteren zeigt (1858).
Die Ovarien (Fig. 7 und 9 Ov.) liegen zu beiden Seiten
des Mitteldarmes ventral von seiner letzten Biegung. Wie bei
allen Insecten bestehen sie auch hier aus Eiröhren, und zwar
ist die Zahl derselben sehr gering: so weist das rechtsseitige
zwei, das linksseitige drei Eiröhren auf. In den Eiröhren selbst
liegen nur wenig Eizellen. Jede der letzteren ist von einer An-
zahl Nährzellen umschlossen; beide, Ei und Nährzellen, werden
von Follikezellen epithelartig umgeben. Die Eiröhren jedes
Ovariums sind in einer musculösen Hülle gelegen, welche aus
Längs- und Ringmuskeln besteht. Der einzige, allerdings gering-
fügige Unterschied zwischen den Ovarien von Ascodipteron
phyllorhinae und jenen von Melophagus ovinus wäre die bei
ersterer Form auftretende Asymmetrie in der Anzahl der
Eiröhren.
An die Ovarien schliessen sich die ziemlich engen Eileiter
an (Od.), die sich bald zu einem kurzen, unpaaren Gang ver-
AscodipUron phyllorhinae. 4 1 1
einigen. In histologischer Beziehung folgt auf eine zarte Intima
ein Cylinderepithel, dem ein Muskelbelag aufliegt.
In der Mittellinie zwischen beiden Oviducten mündet in
den unpaaren Theil des Eileiters ein birnförmiges Säckchen
(Rs.) ein. Seine Wandung besteht im Vergleich mit jener des
Oviductes aus noch höheren Zellen, die nach innen zu eben-
falls eine chitinige Membran absondern. Aussen liegt eine
kräftige Ring- und Längsmusculatur. Knapp vor der Ein-
mündung in den Eileiter ist ein stärkerer Sphincter zu beob-
achten. Ich glaube dieses Täschchen als Receptaculum seminis
ansehen zu können, da sich überdies seine innere Cavität mit
dünnen, zu einer Masse zusammengeballten, fadenartigen Ge-
bilden erfüllt zeigte, welche an Spermatozoon erinnern.
So wäre Melophagus ovinus gegenüber die Samentasche
unseres Parasiten eine höhere Differenzirung, da bei ersterer
Form der obere erweiterte Theil des unpaaren Eierganges
zur Aufbewahrung des Spermas dient.^ Während daher bei
Melophagus das reife Ei auf dem Wege nach der Vagina den
Samenbehälter selbst passiren muss, wird es bei Ascodipteron
ira Vorbeigleiten an dem Receptaculum befruchtet.
Auf den unpaaren Theil des Oviductes folgt nach hinten
zu die Vagina (V.); sie liegt ventral vom Enddarm. An der
Grenze zwischen Eileiter und Scheide erheben sich eine dorsale
und ventrale Falte, die gegeneinander vorspringen und nur eine
kleine ÖJBfnung als Verbindung zwischen beiden lassen. EHe
Scheide zerfällt in zwei Theile: einem hinteren schmalen, i. e.
die Scheide im engeren Sinne, und einem oberen in der Trans-
vcrsalebene doppelt so breiten, der als Uterus dienen dürfte
(Fig. 9). In dorso-ventraler Richtung zeigt letzterer, wie aus
Medianschnitten zu ersehen ist, eine bedeutende Ausdehnung,
iodetn er die Scheide an Weite um das Fünffache übertrifft
(Fig. 7). Nach aussen mündet die Scheide, wie schon erwähnt,
ventral vom After in einer Querspalte gemeinsam mit letzterem.
Was die Gewebe der Vagina betrifft, so setzt sich ihr
Epithel aus kleinen 2iellen zusammen, nur in der Mitte der
ventralen Uteruswandung wird es zu einem Cylinderepithel.
1 Vergl. Leuckart (1858, S. 166).
412 Th. Adensamer,
Die Ringmusculatur des Fruchtbehälters nimmt gegen den ver-
engten Scheidentheil, dessen Mündung in den ersteren an
seiner dorsalen Wand gelegen ist, an Stärke bedeutend zu, und
zwar gesellen sich zu der einfachen Muskellage des Uterus
ungefähr in der Mitte seiner dorsalen und hinteren Wandung
allmälig mehrere dazu. Letztere gehen schliesslich in die Ring-
musculatur der engen Vagina über, wobei sich zwischen Epithel
und Ringmuskeln eine Längsmuskelschichte einschiebt. Die
Intima verdickt sich auch allmälig, bis sie sammt Epithel an
der Geschlechtsöffnung in die äussere Körperbedeckung über-
geht.
Der Uterus und die Vagina werden durch Muskeln fixirt
(Fig. 7), die sich zwischen diesen Organen und der Körpervvand
ausspannen. Diejenigen Muskeln, die zur Befestigung des Uterus
dienen, inseriren sich an der dorsalen, ventralen, sowie hinteren
Wand desselben und ziehen nach hinten, wo sie sich an der
Körperwand in der Umgebung der Geschlechtsöffnung ansetzen.
Die anderen Muskeln durchqueren den knopfartigen Körper-
abschnitt, indem sie knapp vor der Geschlechtsöffnung von
der Vagina nach oben und unten zu der seitlichen Körper-
wandung verlaufen.
Von Anhangsdrüsen des Genitalapparates konnte ich ein
Paar finden (Fig. 7 und 9, And.), und zwar dasjenige, welches
dem unteren stärkeren bei Melophagus ovinus entspricht. Ein
zweites Paar war nicht zu sehen, ein nicht schwerwiegender
Unterschied den Pupiparen gegenüber, wenn man berück-
sichtigt: 1. dass Bratila coeca, die ja auch zu dieser Abtheilung
gehört, nur ein Paar Anhangsdrüsen besitzt, und 2. dass das
obere Drüsenpaar des weiblichen Geschlechtsapparates bei
Melophagus ovinus sehr klein ist, ja, ich möchte fast sagen
rudimentär erscheint. Diese Anhangsdrüsen sind bei unserem
Parasiten acinös gebaut, besitzen eine ansehnliche Ausdehnung
und erfüllen im Abdomen jederseits von der Medianebene alle
Lücken zwischen den übrigen Organen. Functionen dürften sie
dieselbe Bedeutung haben, ein Secret zur Ernährung der
Embryonen zu liefern, wie dies Leuckart (1858, S. 153) für
die Drüse der Pupiparen angibt. Die Acini werden von flachen
Zellen gebildet, die einen grossen Secretraum umschliessen
Ascodipteron phyllorhinac. 4 1 3
(Fig. 8). Der Inhalt der Zellen ist grobkörnig, gegen das
Lumen weist das Zellplasma eine cuticulaähnliche Grenzlage
auf. Das Drüsenlumen ist mit glänzenden Secretkörnchen erfüllt.
Die Acini sind aussen von einer Tunica propria umgeben.
Solche Acini sitzen dichtgedrängt an den Sammelgängen, in die
sich ihre Lumina öffnen. Jederseits vereinigen sich diese Gänge
zu einem grösseren Canal; die beiden letzteren, i. e. der
rechts- und linksseitige, bilden dorsal vom Receptaculum einen
gemeinsamen Ausführungsgang, der auf der dorsalen Falte an
der Grenze von Oviduct und Uterus einmündet.
Das kleinzellige Epithel des Ausführungsganges dieser
Anhangsdrüsen sondert gegen das Lumen eine Cuticula mit
ringförmigen Verdickungen ab, durch welche man an die
Speichelcanäle und Tracheen erinnert wird; knapp vor der Ein-
mündung besitzt der Drüsencanal eine starke Ringmusculatur
(Fig. 7). In letzterer Beziehung weicht Ascodipteron phyllorhinac
von Melophagus ovinus ab.^
Äussere Geschlechtsanhänge gibt es' nicht.
Schluss.
Fassen wir die im Vorhergehenden gewonnenen Resultate
bezüglich Ascodipteron phyllorhinac zusammen, so finden wir
Folgendes:
Während äusserlich kein hervorstechendes Merkmal zu
erkennen ist, nach welchem der eigenthümliche Parasit in eine
bestimmte Thiergruppe einzuordnen wäre, mit Ausnahme der
Zutheilung desselben zu den luftlebenden Arthropoden, zeigt
sein innerer Bau eine grosse Übereinstimmung mit der Organi-
sation von pupiparen Dipteren. Die auffallendste Ähnlichkeit
mit letzteren liegt in den weiblichen Genitalorganen. Die geringe
Anzahl der Eiröhren mit ihrer verhältnissmässig kräftigen
Muskelhülle, der erweiterte Scheidentheil, welcher als Fruchtbe-
hälter dient, die colossale Anhangsdrüse, welche in Folge ihrer
wichtigen Function nur bei Pupiparen diese grosse Ausdehnung
erreicht, alles dies stimmt mit den Verhältnissen bei Melophagus,
Hippobosca u. A. überein. Betrachtet man die Mundwerkzeuge,
1 Vergl. Leuckart, 1858, S. 169.
414 Th. Adensamer.
SO sieht man, dass der Rüssel, in dem Oesophagus und Speichel-
rohr endigen, die Taster und das Schlundgerüst bei der genannten
Fliegenabtheilung grosse Übereinstimmung aufweisen. Feme:
kommen drei Stigmenpaare, wie sie bei Ascodipieron auftreten,
nur am hinteren Körperende bei bestimmten Stadien der
Pupiparenlarven vor.
Nachdem nun feststeht, dass Ascodipieron phyllorhifuu
zur Gruppe der pupiparen Dipteren zu stellen ist, fragt es sich,
in welche der vier Pupiparenfamilien dieses Thier einzureihen
ist. Leider besitze ich nur dies eine weibliche Exemplar. Die
besonderen Eigenthümlichkeiten von Ascodipieron, die offenbar
mit der parasitischen Lebensweise zusammenhängen, sind unter
den Pupiparen, soweit mir bekannt ist, ohne Analogon. Es
Hesse sich mit einer gewissen Berechtigung aus dem Wirthe
auf die Familie des Parasiten schliessen; freilich ein etwas
unsicherer Schluss. Unter den Pupiparen sind die Nycteri-
biden und Strebliden^ Chiropterenparasiten. Es wird daher
angenommen werden' können, dass das beschriebene Thier als
Fledermausschmarotzer in eine dieser beiden Familien gehören
dürfte. Noch schwieriger wird es zu entscheiden, welcher dieser
Familien Ascodipieron zuzutheilen ist, da sowohl bei den
Nycteribiden, als bei den Strebliden Phyllorhina als Wirtiis-
thier vorkommt. Es wird eine nähere Bestimmung erst dann
möglich sein, wenn das zugehörige Männchen, welches höchst-
wahrscheinlich freibeweglich ist, aufgefunden sein wird.
Literatur.
1845. L. Dufour: Etudes anatomiques et physiologiques sur
les Insectes Dipteres de la famille des Pupipares. Ann. cL
Sc. nat. 3. Serie Zool., Bd. III.
1858. R. Leuckart: Die Fortpflanzung und Entwicklung der
Pupiparen. Abhandl. d. naturf. Gesellsch. in Halle, 4. Bd.
1 Es soll nur bemerkt werden« dass die auf einer Fledermaus beobachtete
als LipopUna phyllostomatis beschriebene Form zu den Strebliden und nicht
wie sonst die Lipoptenen zu den Hippobosciden gehören dürfte
(Kolenati, 1863, S. 19 und 98).
AscodipUron phyllorhinae. 4 1 5
1863. F. A. Kolenati: Beiträge zur Kenntniss der Phthirio-
myiarien. Versuch einer Monographie der Aphanipteren,
Nycteribiden und Strebliden.
1886. H.v.Wielowiejski: Über das Blutgewebe der Insecten.
Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 43.
1892. F. H. Müggenburg: Der Rüssel der Diptera pupipara.
Arch. f. Naturg. 58. Jahrg.
416
Th. Adensamer, Ascodipleron phyllorhinae.
Tafelerklärung.
A. Aorta.
Af. After.
An. Antenne.
And. Anhangsdrüse.
Chrj. Chitinring.
Chr2. Stigma.
Cu. Cuticula.
Ed. Enddarm.
Fm. Fulcrummuskel.
Fpo. Obere Fulcrumplatte.
Fpu. Untere Fulcrumplatte.
Gnf. Genitalöffnung.
Go. Oberes Schlundganglion.
Gt. Thoracalganglion.
Gu. Unteres Schlundganglion.
H. Herz.
K. Kern.
Lm. Längsmuskeln.
Maz. Matrixzellen.
Md. Mitteldarm.
Mp. Malpighi'sches Gefäss.
N. Nerv.
Od. Oviduct.
Oe. Oesophagus.
Op. Opticus.
Ov. Ovarium.
Pv. Proventriculus.
R. Rüssel.
Rmb. Ringmuskelbündel.
Rs. Receptaculum seminis.
S. Speichelrohr.
Sd. Speicheldrüse.
Sm. Pericardialmembran.
Sr. Speichelreservoir.
T. Taster.
Tf. Transversalfurche.
Tsp. Transversalspalte.
V. Ventralseite.
Va. Vagina.
Fig. 1.
> 2.
» 3.
» 4.
» 5.
* 6.
Tafel I.
Ascodipteron phyllorhinae in der Seitenansicht.
Dasselbe in der Dorsalansicht.
Medianschnitt durch den eingezogenen Kopf und Thorax (Con-
structionsbild aus mehreren Schnitten).
V'orderes Körperende von vorne gesehen mit dem Eingange in das Atrium.
Hautepithel mit der darunterliegenden Musculatur; die Ringmuskel -
bündel erscheinen im Querschnitte.
Hinteres Körperende von hinten gesehen.
Tafel II.
Fig. 7. Medianschnitt durch das ganze Thier (combinirt).
» 8. Querschnitt durch Acini der Anhangsdrüse des weiblichen Geschlechts-
apparates.
> 9. Construirtes Schema des weiblichen Geschlechtsapparates.
Th.AdeTisaTner : Ascodipteron phyllorhinae.
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Sitzungsberichte d.kais. Akad. d. Wiss., math.-naturw.CIasse, Bd.CV. Abth. I. 1896.
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Sitzungsberichte d.kai.s.Akad. d.Wiss., math.-naturw. Ciasse, Bd. CV. Abtli. I. 1896.
417
Vorläufige Mittheilung über einige Versuche,
verschiedene, in das Gebiet der Hieroglyphen
gehörige problematische Fossilien auf mecha-
nischem Wege herzustellen
Theodor Fuchs,
c. M. k. Akad.
Im Verfolge meiner Hieroglyphenstudien ist es mir ge-
lungen, einen grossen Theil der hieher gehörigen problemati-
schen Fossilien durch sehr einfache Mittel auf mechanischem
Wege herzustellen.
Nachdem der Abschluss meiner diesbezüglichen Versuche
indess noch voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen
wird, ich dieselben aber bereits zahlreichen Fachgenossen
vorgezeigt habe, halte ich es für angezeigt, in gedrängter
Kürze eine vorläufige Mittheilung über diesen Gegenstand zu
machen.
Meine Versuche zerfallen nach den hiebei angewendeten
Mitteln in mehrere Gruppen.
Versuche durch Blasen.
Nimmt man eine flache Schüssel, giesst in dieselbe eine
dünnflüssige Masse feingeschlemmten Thones und bläst nun
mit einem feinen Röhrchen unter einem schwachen Winkel
schräge gegen die Oberfläche des Thones, indem man das
Rohr gleichzeitig langsam nach rückwärts bewegt, so bleibt
auf der Oberfläche des Thones eine bandförmige Zeichnung
zurück, welche aus sichelförmigen Gliedern besteht.
418 Th. Fuchs,
Ganz identische Bänder findet man nicht selten auf der
Oberfläche von Flyschplatten, und wurden solche z. B. von
Heer unter dem Namen Münsteria cretacea und Hoessi be-
schrieben.
Wiederholt man diesen Versuch in der Weise, dass man
das Rohr steiler hält und kräftiger bläst, so erhält man ein
etwas modificirtes Product. Der Luftstrom bohrt sich tief in
den Schlamm ein, erzeugt daselbst einen Wirbel, und indem
man das Rohr langsam nach rückwärts führt, bemerkt man,
wie sich vorne dünne, sichelförmige Thonlamellen schief, dach-
ziegelförmig übereinander legen. Das Resultat dieses Verfahrens
ist ebenfalls ein aus dicht gedrängten, sichelförmigen Gliedern
bestehendes Band. Dieses Band ist aber in diesem Falle keine
bloss oberflächliche Zeichnung, sondern es erscheint gewisser-
massen aus dünnen, sich (schief) dachziegelförmig deckenden
Lamellen zusammengesetjst, welche bis zu einer gewissen
Tiefe schief in die Masse des Thones eindringen.
Ich habe in einer früheren Arbeit diese im Reiche der
Hieroglyphen so häufig wiederkehrende Structur mit der
Structur von Fischkiemen verglichen und »Kiemenstructur«
genannt.
Die langen bandförmigen Fortsätze von Spirophyton zeigen
stets diese Kiemenstructur und stimmen überhaupt in allen
Punkten vollkommen mit den vorgeschilderten, durch Blasen
erzeugten Bildungen überein.
Ändert man den letzten Versuch in der Weise ab, dass
man das Rohr nicht rückwärts, sondern vorwärts führt, so
bleibt eine sehr zierliche, federförmige Zeichnung zurück. Die
Rachis erscheint flach vertieft, die Fahne zweizeilig aus nach
hinten convexen, bogenförmigen Fransen gebildet.
Führt man das Rohr zuerst rückwärts und dann auf
derselben Linie wieder vorwärts, so erhält man ebenfalls
eine federförmige Zeichnung, doch erscheinen in diesem Falle
die Fransen nicht nach vorne, sondern nach rückwärts ge-
richtet.
Ganz ähnliche, federförmige Zeichnungen kommen im
Bereiche der Spirophyton- und Jao««r«5- artigen Bildungen
nicht selten vor.
Hieroglyphen. 419
Führt man das Rohr während des Blasens weder vorw^ärts
noch rückwärts, sondern horizontal seitwärts, d. h. beiläufig
senkrecht auf die Richtung des Luftstromes, so erhält man eine
hohlkehlenartige Fransenzone mit Kiemenstructur, welche voll-
ständig der einen Seite eines Nemertilites gleicht. Bläst man
auf der anderen Seite eine correspondirende Fransenzone,
jedoch in der Weise, dass zwischen diesen beiden Zonen ein
bandförmiger Zwischenraum bleibt, so hat man das Bild eines
Nemertilites Strozzi mit hohlen Fransenzonen, wie er sich auf
der oberen Fläche von Flyschplatten zeigt.
Bläst man die beiden Fransenzonen knapp an einander, so
dass sich dieselben unmittelbar berühren, so erhält man einen
hohlen, Bilobites-eirtigen Körper, gleichsam das Negativ zur
Erzeugung eines Bilobiten.
In diesen beiden Fällen wurden die beiden Fransenzonen
in der Weise erzeugt, dass das Rohr sich gewissermassen auf
derselben Linie bewegte und nur das einemal nach links und
das anderemal nach rechts gewendet wurde.
Führt man das Rohr jedoch auf zwei verschiedenen, in
einer gewissen Entfernung von einander parallel verlaufenden
Linien und bläst in der Weise, dass die beiden Luftströme
gewissermassen convergiren, so erhält man einen gewölbten
Wulst mit einer medianen Furche und schöner Kiemenstructur.
Auch derartige Bildungen wurden unter dem Namen »Bilo-
hites^ beschrieben.
In diesem Falle ist der Bilobites- artige Körper aber eine
primäre Bildung und muss auf der oberen Fläche der Stein-
bänke gefunden werden, während im vorhergehenden Falle
nur Abgüsse vorliegen, die naturgemäss nur auf der unteren
Fläche der Bänke vorkommen können.
Rührt man mit einem Stabe in einem dünnen Thonbrei
herum, jedoch in der Weise, dass man das Centrum der kreis-
förmigen Touren allmälig verschiebt, so bleibt bekanntlich ein
System von concentrischen, bogenförmigen Wülsten zurück,
welche an die Sculptur einer Inoceramenschale erinnern.
Führt man genau dieselbe Bewegung mit der Glasröhre
aus, während man zugleich durch dieselbe bläst, so erhält man
ein System von concentrischen bogenförmigen Wülsten, an
Sitzb. d. mathem.-naturw. Gl.; CV. Bd., Abth. I. 28
420 Th. Fuchs,
welche sich regelmässige Fransenzonen mit Kiemenstructur
anschliessen.
Es ist dies genau jene Structur, welche z. B. Taonurus
procertis bei Heer zeigt.
Hält man während des Blasens die Röhre nicht schief,
sondern senkrecht auf die Ebene der Thonfläche, so erhält man,
je nach der Stärke des Blasens, eine mehr oder weniger tiefe,
einfache Furche mit wulstigen Rändern.
Ist der Thon bereits etwas dicker und steifer geworden,
so erhält man auch bei schiefem Blasen nur eine einfache
Furche. Bewegt man hiebei die Röhre in der Richtung des
Stromes vorwärts, so zeigt das Ende der Furche eine sehr
charakteristische, kegelförmige hohle Spitze.
Eine Reihe anderer Bildungen erhält man, wenn man
nicht continuirlich, sondern stossweise bläst.
Nimmt man einen etwas dickeren Thon und bläst in ein-
zelnen kräftigen Stössen schief gegen seine Oberfläche, so
erhält man ohrförmige Bildungen mit wulstigem Rande, welche
vollständig mit dem sogenannten Fucoides auriformis aus
dem Medina-Sandstein übereinstimmen.
Reiht man durch entsprechendes Blasen derartige ohr-
förmige Bildungen zweizeilig längs einer Furche an einander, so
erhält man eine Nereites- oder Phyllochorda- ähnliche Bildung.
Eine höchst auffallende Erscheinung ergibt sich, wenn
man, anstatt aus dem Munde zu blasen, irgend ein kräftigeres
constantes Gebläse verwendet und mit der Röhre sehr rasch
über den Thon hinfährt.
In diesem Falle erhält man nämlich stets ausserordentlich
regelmässig und zierlich gegliederte Figuren.
Hält man die Röhre senkrecht auf die Oberfläche, so ent-
steht eine zierlich gegliederte Furche.
Hält man die Röhre schief nach vorne und zieht sie rasch
zurück, so erhält man äusserst zierlich und regelmässig ge-
bildete, federähnliche Figuren, welche vollständig mit jenen
Bildungen übereinstimmen, welche von Hall in seiner Geology
of New York, Organic Remains No. 68 als »Filicites^ und von
demselben Autor in seiner Palaeontology of New York, vol. 11,
pl. Xlll, fig. 1 a als »Trails of Annelidae« abgebildet wurden.
Hieroglyphen. 42 1
Hält man die Röhre schief und bewegt sie nicht in der
Richtung des Stromes, sondern seitlich, so erhält man Zonen
mit der schönsten und regelmässigsten »Kiemenstructur«.
In allen diesen Fällen ist es ein unerlässliches Erforderniss,
dass man die Röhre sehr rasch bewegt, und zwar um so
rascher, je kräftiger der Strom ist.
Es macht den Eindruck, als ob der Luftstrom, obwohl er
ein anscheinend constanter ist, doch aus einer grossen Anzahl
rasch aufeinander folgender Sfeösse bestehen würde und die
im Luftstrome bewegte Luft gewissermassen senkrecht auf
ihre Bewegungsrichtung geschichtet wäre.
Bewegt man die Röhre in einem solchen Falle nur langsam,
so erhält man nur einfache Furchen oder sehr unregelmässige
Bildungen.
Erst bei einer gewissen Schnelligkeit tritt die regel-
mässige Gliederung auf, und zwar erscheint dieselbe zuerst
sehr dicht und sodann immer mehr und mehr auseinander-
gezogen, je rascher man die Röhre bewegt.
Bei kräftigen Luftströmen ist die ganze Erscheinung sehr
auffallend, man erhält dann lange, regelmässig gegliederte
Furchen, federförmige Streifen oder lange Bänder mit zier-
licher Kiemenstructur gewissermassen blitzähnlich, mit einem
Schlage.
Versuche unter Anwendung eines Wasserstrahles.
Ein Wasserstrahl übt auf weichen Thon eine ausser-
ordentlich kräftige Wirkung aus.
Man kann mit einem feinen Strahl sehr tiefe Furchen
erzeugen, welche fast wie Einschnitte aussehen.
Hält man beim Spritzen die Spitze der Röhre nahe an den
Thon, so erhält man eine einfache Furche.
Spritzt man aus einiger Entfernung, so erhält man eine
gegliedert^ oder perlschnurähnliche Furche.
Aus noch weiterer Entfernung löst der Strahl sich in
Tropfen auf und man erhält nur die bekanntenSpuren derTropfen.
Unter den von M. Kenny Huges in seiner Arbeit: »On
some tracks of terrestrial and freshwater animals« (Quart.
Journ. Geol. Soc. London 1884) auf Taf. X, Fig. 3 und 4
28*
422 Th. Fuchs,
abgebildeten Spuren kommen mehrere vor, welche auffallend
an solche »Spritzfurchen« erinnern.
Lässt man einen sehr schwachen Wasserstrom unter
Wasser auf die Oberfläche von weichem Thon austreten» so
erhält man ebenfalls vertiefte Furchen. Dieselben sind flach
bandförmig, mit scharfen Rändern.
Versuche mit dem Rinnen einer zähflüssigen Substanz.
Lässt man einen mit kaltem Wasser angemachten dünnen
Stärketeig tropfenweise auf Löschpapier tropfen, so breitet
jeder Tropfen sich scheibenförmig aus und erhält in der Mitte
eine flache Vertiefung.
Lässt man ihn hingegen in einem continuirlichen Faden
austreten, so breitet sich derselbe zu einem flachen Bauch aus,
welcher eine mediane Furche zeigt.
Reiht man zahlreiche Tropfen weiter oder enger anein-
ander, so erhält man weiter oder enger gegliederte Bänder
mit medianer Furche.
Nimmt man einen dickflüssigen Teig und lässt einzelne
Tropfen in dickflüssigen Leim fallen, so bilden die einzelnen
Tropfen rundliche kugelige Körper, welche im Leim suspendirt
schweben und nach oben zu in eine kurze Spitze aus-
gezogen sind.
Lässt man den Teig in einem continuirlichen Strom aus-
treten und hält die Spitze der Röhre einige Zeit auf denselben
Punkt, so kann man grössere rundliche oder eiförmige Körper
erzeugen.
Reiht man mehrere derartige Körper aneinander, so bleiben
sie oben durch einen Faden verbunden, und man erhält so einen
Strang, an welchem unten eine Reihe von kugeligen oder birn-
förmigen Körpern befestigt ist.
Es ist dies ganz das Bild gewisser Schneckenlaiche.
Lässt man den Stärketeig anstatt in eine dickflüssige, in
eine dünnflüssige Leimlösung tropfen, so sinkt jeder Tropfen
zu Boden, breitet sich daselbst scheibenförmig aus und zeigt
in der Mitte eine kleine knopfförmige Erhebung.
Reiht man mehrere derartige Tropfen in der Weise anein-
ander, dass sie sich eben berühren, so erhält man selbst
Hieroglyphen. 423
verständlich einen, aus scheibenförmigen Gliedern zusammen-
gesetzten bandförmigen Körper.
Lässt man die Tropfen jedoch in der Weise aufeinander
fallen, dass sie sich theilweise decken, so werden die vorher-
gehenden Tropfen von den * nachfolgenden halbmondförmig
auseinander gepresst und man erhält einen aus halbmond-
förmigen Gliedern bestehenden, wurmartigen Körper mit einem
axialen erhabenen Strang.
Dieser axiale Strang entsteht aus dem Zusammenfliessen
der centralen Erhebungen der einzelnen Tropfen.
Decken sich die einzelnen Tropfen nur zum kleinen Theile,
so erhält man einen wurmförmigen Körper, der aus einem
axialen Strange und zweizeilig geordneten, gegenständigen
Blättern besteht und vollständig einer sogenannten Phyllo-
chorda gleicht.
Lässt man dünnflüssiges Harz in einzelnen Tropfen in
Wasser fallen, so breiten die Tropfen im Fallen sich scheiben-
förmig aus, brechen in der Mitte durch und fallen endlich als
Ringe zu Boden.
Die Ringreihen, welche man häufig auf den Glarner Fisch-
platten findet, sind wahrscheinlich auf ähnliche Weise ent-
standen.
Reiht man die einzelnen Tropfen jedoch sehr dicht anein-
ander, so werden die einzelnen Glieder zu förmlichen feinen
Fäden auseinander gepresst, und man erhält einen beiderseits
von Fransen besetzten axialen Strang.
Indem man dieses Verfahren in verschiedener Weise com-
binirt, erhält man die mannigfachsten und zierlichsten Körper,
welche auf das täuschendste gewissen Anneliden oder aber
auch gewissen Hieroglyphen gleichen.
Ganz besondere Verhältnisse zeigen sich, wenn man dick-
flüssige Stärke in einem continuirlichen Strom aus einer Röhre
oder aus einem Trichter fliessen lässt.
Beobachtet man einen derartigen ausfliessenden Strom,
während die Mündung des Trichters 3 — 4 cm von der Unter-
lage entfernt ist, so sieht man, wie der Strom in einem glatten
Faden ausfliesst, der sich unten etwa kegelförmig verbreitert
(Stadium I).
424 Th. Fuchs,
Hebt man den Trichter um einige Centimeter, so bemerkt
man, wie sich an Stelle der kegelförmigen Verbreiterung ein
kleiner kreisförmiger Wirbel bildet.
Der Stärkefaden rollt sich gewissermassen spiral auf, wie
ein rasch niedersinkendes Seil (Stadium II).
Hebt man den Trichter noch höher, so geht die kreis-
förmige Spiralbewegung in eine scheinbar pendelnde Bewegung
über (Stadium III).
Lässt man den Strom schliesslich aus grösserer Höhe,
etwa 40 — 50 cm oder darüber ausfliessen, so löst er sich
schliesslich in einzelne Tropfen auf (Stadium IV).
' Lässt man nun den Strom im Stadium I, d. i. als glatten
Faden austreten, so kann man mit demselben selbstverständlich
nach Belieben die mannigfachsten Figuren und Muster zeichnen,
ganz wie dies die Zuckerbäcker beim Verzieren (Beeisen)
ihrer Torten thun.
Wendet man den austretenden^Faden jedoch im Stadium II
an, d. h. wenn er einen kreisförmigen Wirbel beschreibt, und
führt den Trichter während des Ausfliessens langsam seitwärts,
so erhält man zuerst eine Kette aus kreisförmigen Schlingen
und bei rascherer Bewegung eine solche aus halbkreisförmigen
Bogenstücken zusammengesetzt.
Versetzt man das Ende des Fadens in das Stadium III
(pendelnde Bewegung) und führt den Trichter dabei zugleich
seitlich, so erhält man eine äusserst regelmässige und zierliche
Wellenlinie mit engeren oder weiteren Windungen, je nachdem
die seitliche Bewegung eine langsamere oder raschere ist.
Mit einem und demselben Trichter lassen sich
daher unter sonst ganz gleichen Umständen die man-
nigfachsten Muster erzeugen, je nachdem man den
Trichter tiefer oder höher hält, langsamer oder
schneller bewegt.
Fast alle die auf solchem Wege erzeugten Muster finden
aber ihre genauen Analoga in gewissen Hieroglyphen (Grapho-
glypten).
Bei den vorhergehenden Versuchen wurde angenommen,
dass der abrinnende Stärkefaden auf ein sehr stark saugendes
Fliesspapier fiel. Saugt das Fliesspapier nicht stark genug, so
Hieroglyphen. 425
erfolgt sofort nach dem Auffallen des Fadens eine eigenthüm-
liche Contraction, durch welche die Form desselben dermassen
modificirt wird, dass die niedergefallene Bordüre nicht mehr
aus wellenförmig geschwungenen, sondern aus gerad-
linigen, eckigen, ja aus dornigen Elementen zusammen-
gesetzt erscheint.
Auf diese Weise entstehen die zierlichsten und regel-
mässigsten Zick-Zack-Linien, welche in allen Details mit den
bekannten, von Heer als Cylindrites zick-zack beschriebenen
Hieroglyphen übereinstimmen.
In anderen Fällen erhält man eckig-domige Bordüren,
welche vollkommen den sogenannten Palaeomaeandron -Arten
gleichen.
Schliessen sich zufällig mehrere Zick-Zack-Linien anein-
ander, so erhält man eine Reihe von polygonalen Zellen, ein
vollkommenes Palaeodiciyum.
Verfertigt man sich ein Gefäss, aus welchem in bestimmten
Entfernungen mehrere Fäden gleichzeitig austreten, so
erhält man die zierlichsten Palaeodictynrn-KoLnder.
Lässt man die vorerwähnten Bordüren auf eine Unterlage
fallen, welche gar nicht saugt, so ist die Contraction der Masse
eine noch kräftigere, und der niedergefallene zierliche Faden
verwandelt sich im Nu in eine Reihe einzelner Tropfen.
Auch solche Tropfenreihen finden sich unter den
>Graphoglypten« nicht selten.
Es ist hier noch ausdrücklich hervorzuheben, dass die
vorbeschriebenen Bewegungen deis ausrinnenden Fadens nicht
etwa durch eine unwillkürlich zitternde Bewegung der Hand
her\'orgerufen werden, sondern in genau derselben Weise auf-
treten, wenn man den Trichter auf einem Gestelle flxirt.
Wenn man in einem solchen Falle Streifen stark saugenden
Fliesspapiers mit wechselnder Geschwindigkeit in verschie-
denen Distanzen von der Ausflussöffnung unter dem abrinnenden
Faden durchführt, erhält man alle die vorerwähnten Bordüren
in regelmässigster und zierlichster Form, ja man hat damit
zugleich ein Mittel an der Hand, die Beschaffenheit und Structur
des abrinnenden Fadens in seinen verschiedene;! Stadien auf
das Genaueste zu analysiren.
426 Th. Fuchs,
Eine Reihe anderer Erscheinungen zeigt sich, wenn man
den Stärkefaden nicht auf eine feste Unterlage, sondern in eine
dünne Leim- oder Gummilösung rinnen lässt.
Erzeugt man auf diese Weise im Stadium I einen einfachen
Faden, so sinkt derselbe in der Gummiauflösung unter, indem
sich während des Sinkens an seiner oberen Seite ein scharfer
Kiel bildet.
Auf dem Boden angelangt, flacht der Faden sich etwas
bandförmig ab, während der vorerwähnte Kiel sich zu einem
scharf ausgeprägten axialen Strang umbildet.
Wendet man das Stadium II des ausrinnenden Fadens an
und bewegt den Trichter hiebei langsam vorwärts, so legen
sich die einzelnen Ringe in ähnlicher Weise dachziegelförmig
übereinander wie dicht aufeinander fallende Tropfen, und es
entstehen auch ganz ähnliche Körper wie in diesem Falle, d. h.
wurmförmige Körper mit sehr schmalen Ringen, welche seitlich
in fadenförmige Fortsätze ausgehen.
In der Mitte entwickelt sich auch in diesem Falle ein
axialer Strang.
Lässt man den Faden im Stadium III ausfliessen und
bewegt die Röhre so langsam vorwärts, dass die entstehenden
Schlingen sich berühren, so entsteht ein Körper, der vollständig
mit gewissen Phyllochorda- oder Nereites-Arien übereinstimmt.
Es entsteht nämlich auch in diesem Falle ein axialer
Strang, zu dessen beiden Seiten die Schlingen äusserst zierliche,
zweizeilig geordnete Blättchen bilden.
Die so gebildeten Körper haben auf den ersten Blick sehr
viel Ähnlichkeit mit jenen, welche durch aneinandergereihte
Tropfen gebildet werden. Während aber in letzterem Falle die
Blättchen genau gegenständig sind und einen flachen Rand
besitzen, zeigen in dem vorliegenden Falle die Blättchen eine
wechselständige Anordnung und einen wulstig ver-
dickten Rand.
Der sogenannte Nereites Cambriensis Sedgw. zeigt genau
diese Charaktere, und es ist mir gelungen, Körper herzustellen,
welche morphologisch in allen Punkten auf das Genaueste mit
diesem Fossile übereinstimmen.
Hieroglyphen. 427
Hebt man die Röhre noch etwas höher, bis die pendelnde
Bewegung des Fadenendes zugleich eine unregelmässig wir-
belnde wird, und bewegt die Röhre nur sehr langsam vorwärts,
so dass sie gewissermassen einige Zeit über einem Punkt
stehen bleibt, so erhält man eigenthümliche breite Bänder,
welche aus einem dichten Gewirre von feinen Fadenschlingen
zusammengesetzt erscheinen.
Ein solcher Körper gleicht äusserlich ausserordentlich
gewissen Siphoneen, namentlich der Gattung Codium.
Ganz ähnliche Structurformen finden sich auch bei manchen
sogenannten »Fucoiden« des Flysches.
Eine eigenthümliche Zwischenstellung zwischen Tropfen
und continuirlich ausrinnendem Faden kann man dadurch
erzielen, dass man den Faden zwar continuirlich ausfliessen
lässt, jedoch von Zeit zu Zeit länger an einem Punkte ver-
weilt.
Auf diesem Wege ist man im Stande, mit einer engen
Ausflussöffhung dicke und voluminöse wurmförmige Körper
zu erzeugen.
In einigen Fällen erhielt ich auf diese Weise wurmförmige
Körper, deren einzelne Glieder dütenförmig in einander zu
stecken schienen, ähnlich wie dies bei der sogenannten Dictyota
spiralis Ludw. der Fall ist.
Füllt man ein Gefäss 4 — 5 cm hoch mit einer etwas
dickeren Gummilösung und lässt auf die Oberfläche derselben
einen A^^m/^5- förmigen Körper fallen, so lässt sich Folgendes
beobachten:
Der wurmförmige Körper beginnt zu sinken; während er
aber niedersinkt, hinterlässt er auf dem Wege, welchen er
passirt, etwas von seiner Substanz in Form eines dünnen
Häutchens oder Schleiers.
Ist der A^^m/^5- förmige Körper am Boden zur Ruhe ge-
langt, so sieht man auf der Oberfläche der Gummilösung noch
ganz deutlich die Spur des »Nereiten«, am Boden liegt der
»Nereit« selbst in genau derselben Lage, welche die Spur
an der Oberfläche zeigt, und zwischen beiden ist ein feines
Häutchen ausgespannt, welches, von der oberen Spur aus-
gehend, die Gummilösung senkrecht durchsetzt und sich unten
428 Th. Fuchs,
mit dem axialen Strange des am Boden liegenden »Nereiten«
verbindet.
Kurz, wir haben einen Körper vor uns, welcher alle
wesentlichen Eigenschaften einer Diciyodora aufweist
Man kann den ursprünglichen »Nemertiliten« auf der
Oberfläche der Gummilösung natürlich so anlegen, dass seine
Windungen sich nach Belieben mehrfach schneiden, und
scheinen sich dann selbstverständlich auch die beim Nieder-
sinken entstehenden Schleier gegenseitig zu durchdringen.
Würde eine solche Gummilösung erstarren, so würde man
an ihrer Oberfläche eine scheinbare Wurmspur sehen. Würde
man die Masse aber schichtenweise abtragen, so würde man
immer wieder dieselbe Spur finden, bis man in einer gewissen
Tiefe auf den wurmförmigen Körper selbst stösst, der genau
dieselbe Lage hat wie die Spur an der Oberfläche.
Bewegt man die Röhre, während der Faden abrinnt,
rascher seitlich, so lösen sich die Schlingen in enge oder weite
Wellenlinien auf, und man kann auf diese Weise in endloser
Mannigfaltigkeit die zierlichsten Bordüren erzeugen.
Nimmt man ein Gefass mit mehreren Löchern, aus denen
gleichzeitig mehrere Fäden ausrinnen, so kann man die
zierlichsten Spitzenmuster erzeugen.
Eckige oder aus geradlinigen Elementen zusammengesetzte
Muster erhält man jedoch auf diese Weise nicht, da in der
Gummilösung keine Contraction des Fadens stattfinden kann.
Nimmt man eine dünnere Stärkelösung und lässt dieselbe
tropfenweise in eine dünne Gummilösung fallen, in der Weise,
dass man den Punkt des Einfallens langsam verschiebt, so
erhält man Bildungen, welche vollständig mit dem Zoophycus
pedemontanus Sacco^ oder auch dem Hydrancyclus Oosteri
F. Ooster übereinstimmen.
Es ist wohl einleuchtend, dass durch die erwähnten ein-
fachen Mittel eine geradezu endlose Mannigfaltigkeit ver-
schiedenartiger Zeichnungen und körperlicher Bildungen erzeugt
werden kann.
1 Atti Soc. ital. Sc. nat., XXXI, 1888, Tav. I.
Hieroglyphen. 429
Wie bereits erwähnt, kann man unter sonst vollständig
gleichen Verhältnissen eine fast unbegrenzte Menge verschie-
denartiger Zeichnungen hervorrufen, einfach dadurch, dass man
die Röhre höher oder tiefer hält, langsamer oder rascher, conti-
nuirlich oder ruckweise bewegt.
Eine weitere Quelle der Abänderungen ergibt sich aus
der verschiedenen Qualität und Consistenz der angewendeten
Materialien, sowie aus der Verschiedenheit des Mediums, in
welchem die Versuche ausgeführt werden.
Bei alledem lassen sich aber gewisse Charakterzüge er-
kennen, welche, in verschiedener Weise combinirt, in allen
diesenBildungen wiederkehren und ihnen eine gewisse Familien-
ähnlichkeit aufdrücken, so zwar, dass man bei all der unend-
lichen Mannigfaltigkeit im Detail doch wieder eine Reihe von
Grundtypen erkennen kann, welche durch gemeinsame Charak-
tere gewissermassen zu einer systematischen Einheit ver-
bunden sind.
Genau dieselbe Erscheinung bieten uns aber bekanntlich
auch die Hieroglyphen.
Es ist hiebei ein sehr bemerkenswerther Umstand, dass
Hieroglyphen, welche auf ganz verschiedene Weise gebildet
werden, sich äusserlich sehr ähnlich sehen können, während um-
gekehrt durch ganz dieselben Mittel mitunter Bildungen erzeugt
werden, welche sich so unähnlich sind, dass niemand ahnen
würde, dass sie durch dieselben Mittel hervorgebracht wurden.
Ein durch Blasen entstandener Nemertilites oder Bilobites,
sowie manche durch Tropfen oder Rinnen von Stärke erzeugten
wurmartigen Körper sehen sich auf den ersten Blick sehr
ähnlich, und doch sind es himmelweit verschiedene Dinge, die
auf ganz verschiedenen Wegen und durch ganz verschiedene
Mittel entstanden.
Vergleicht man anderseits einen mit Hilfe rinnender Stärke
entstandenen, zierlich gegliederten Nereites Cambriensis mit
einem geraden oder wellenförmig geschlungenen Faden oder
mit einer Reihe an einer Schnur befestigten Eiern, oder aber
mit einer künstlichen Dictyodora, so sind dies scheinbar gänz-
lich verschiedene Dinge, und von vornherein könnte gewiss
Niemand auf den Gedanken kommen, dass alle diese so
430 Th. Fuchs,
verschiedenen Gebilde durch genau dieselben Mittel und durch
ein ganz ähnliches Verfahren entstanden sind.
Wenn wir nun annehmen wollen, dass die in der Natur
vorkommenden »Hieroglyphen« wirklich auf dieselbe oder ähn-
liche Weise entstanden sind, wie die künstlichen Nachbildungen,
so drängt sich naturgemäss die Frage auf, an was für Vorgänge
wir hiebei zu denken" haben.
Dass die Vorgänge der anorganischen Natur nicht aus-
reichen, um derartige Bildungen hervorzubringen, ist wohl auf
den ersten Blick einleuchtend.
Durch Blasen des Windes, durch einfach strömendes
Wasser, durch den Regen, durch die Wirkungen des Druckes
oder durch andere derartige Vorgänge können solche Bildungen
unmöglich entstehen.
Es scheint mir unerlässlich, dass Thiere hiebei im Spiele
waren, welche gewissermassen die Stelle des Menschen vertraten.
Cephalopoden schwimmen bekanntlich mit dem Trichter
nach unten gekehrt und stossen aus demselben in rhythmischer
Folge kräftig einen Wasserstrahl aus.
Schwimmen dieselben nun nahe am Boden hin, so ist es
leicht denkbar, dass der austretende Strom eine bestimmte
Zeichnung auf dem Boden erzeugt.
Dasselbe kann auch durch den Wasserstrom entstehen,
der beim Athmen der Fische beiderseits aus den Kiemen tritt
und würden auf diesem Wege zweizeilige Furchen entstehen
müssen. Es wäre denkbar, dass z. B. Nemertilites Strozzi auf
diese Weise gebildet wird.
Männliche Fische spritzen das Sperma kräftig aus, und
zwar mitunter vor der Eierablage der Weibchen.
Schwimmende Salpen oder Salpenketten stossen ebenfalls
in rhythmischer Folge Wasser aus.
Viele Gasteropoden legen ihre Eier bekanntlich in gallertigen
Schnüren und Bändern ab. Die Prosobranchier halten hiebei
ihre Legeröhren in die Höhe und lassen die Laichschnur von
oben auf den Boden fallen.
Es ist dies ein Vorgang, der vollständig den Versuchen
entspricht, welche mit dem Rinnen einer zähflüssigen Masse
gemacht wurden.
Hieroglyphen. 43 1
Thatsächlich ist auch die Übereinstimmung, welche ge-
wisse Schneckenlaiche mit vielen »Hieroglyphen« zeigen, eine
ganz ausserordentliche.
Bereits Ehlers hat vor längerer Zeit auf diesen Umstand
aufmerksam gemacht, indem er namentlich darauf hinwies,
dass viele bandförmige, gegliederte, annelidenartige Hiero-
glyphen sehr grosse Ähnlichkeit mit den Kapselschnüren
mancher Prosobranchier zeigen.
Ich habe neuerer Zeit diesen Punkt eingehender behandelt
und namentlich darauf hingewiesen, dass die von mir so
genannten »Graphoglypten« in ganz auffallender Weise die
Laichformen der Nudibranchier wiederholen.
Als Ehlers gewisse Hieroglyphen mit Schneckenlaich
verglich, hatte er die Nereites- und Phyllochorda- artigen Bil-
dungen vor Augen und hob deren Ähnlichkeit mit den Kapsel-
schnüren mancher Prosobranchier hervor.
NereiteS' und Phyllochoräa-avilge Bildungen werden aber
künstlich dadurch erzeugt, dass man den schleimigen Faden
aus einer gewissen Höhe herabrinnen lässt, und es stimmt mit
dieser Thatsache vollkommen überein, dass auch die Proso-
branchier ihren Laich aus der Spitze der ausgestreckten Lege-
röhre, mithin aus einer gewissen Höhe herabfallen lassen.
Die Nudibranchier, welche keine Legeröhre (Athemröhre)
besitzen, erzeugen zumeist nur einfache glatte Schnüre und
Bänder, wie man sie künstlich nachmachen kann, wenn man
die Ausflussöffnung unmittelbar an die Unterlage anhält.
Es muss hier noch darauf hingewiesen werden, dass
auch viele Fische ihren Laich in schleimigen Schnüren und
Bändern oder in mannigfach gestalteten Hornkapseln ablegen
und manche der Hieroglyphen daher möglicherweise auch
Fischlaich sein können.
Die Fossilien, welche unter dem Namen Spiranginm be-
schrieben wurden, und welche im Grunde auch zu den »Hiero-
glyphen« gestellt werden können, haben sich, wie bekannt, als
Eierkapseln von Knorpelfischen erwiesen.
Die von Schnecken gelegten Laiche haben die Eigenschaft,
unmittelbar nachdem sie gelegt wurden, durch Aufnahme von
Wasser ausserordentlich anzuschwellen, so zwar, dass manche
432 Th. Fuchs, Hieroglyphen.
Laichhaufen oder Laichschnüre ihrem Volumen nach die ganze
Schnecke sammt ihrem Gehäuse vielfach übertreffen, und man
es anfangs in vielen Fäulen gar nicht verstehen konnte, wie ein
so grosser Laichhaufen von einem so kleinen Thiere erzeugt
sein konnte.
Diese Eigenthümlichkeit scheint mir in Bezug auf die
Dicfyodora-Frsige von Wichtigkeit zu sein.
Ich habe vorhin gezeigt, dass ein in einem weichen Medium
niedersinkender wurmartiger Körper eine Bildung hervorruft,
welche in allen wesentlichen Punkten vollkommen einer Dictyo-
dora gleicht.
Immerhin blieb dabei jedoch noch eine Verschiedenheit
übrig.
Bei dem im Vorhergehenden beschriebenen Experimente
hat die an der Oberfläche zurückgebliebene Spur und der am
Boden liegende wurmförmige Körper genau dieselbe Form und
Grösse, und die dazwischen ausgespannte Haut durchsetzt das
Medium senkrecht.
Bei der Didyodora jedoch ist die obere Spur zwar dem
in der Tiefe liegenden wurmartigen Körper der Gestalt nach
ähnlich, aber sie ist um vieles kleiner, und die Spreite, welche
diese beiden Bildungen verbindet, geht daher nicht senkrecht
durch das Gestein, sondern bildet eine mehr weniger steile
Kegelfläche.
Stellt man sich nun aber vor, dass die von der Schnecke
ursprünglich gelegte kleine Laichschnur während des Ver-
Sinkens anschwoll und sich ausdehnte, so haben wir eine voll-
ständige Erklärung auch für diese sonderbare Eigenschaft von
Didyodora, welche sich künstlich allerdings wohl kaum nach-
machen lassen wird.
Bei manchen Fischen (Amphioxus) pflegt das Männchen
zuerst seinen Samen in eine Furche auf dem Boden zu spritzen,
und das Weibchen legt erst hinterher seinen Laich in diese
Furche. Durch derartige Vorgänge könnten eventuell auch
complicirte Bildungen entstehen.
433
XVI. SITZUNG VOM 18. JUNI 1896.
Erschienen: Sitzungsberichte, Bd. 105, Abth. II. b, Heft III— IV (März
bis April 1896).
Der Secretär legt Dankschreiben für bewilligte Sub-
ventionen von den Herren Prof. Dr. E. Heinricher in Innsbruck,
Prof. S. L. Schenk und Adjuncten J. Liznar in Wien vor.
Ferner legt der Secretär eine Abhandlung von Prof. Dr.
J. Blaas in Innsbruck: Ȇber die Lage der Schnittlinie
von Terrainflächen und geologischen Ebenen« vor.
Das c. M. Prof. Franz Exner übersendet zwei für die
Sitzungsberichte bestimmte Arbeiten:
1. Ȇber die ultravioletten Funkenspectra der Ele-
mente«, III. Mittheilung von F. Exner und E. Haschek.
2. »Über die Abhängigkeitder Polarisation der Platin-
elektroden von der Temperatur« von F. Erben.
Das w. M. Herr Hofrath Director A. Ritter K ern er v. Mari-
lau n überreicht eine Abhandlung von Prof. Dr. Julius Steiner
in Wien, betitelt: »Beitrag zur Flechten-Flora Süd-
persiens«.
Das w. M. Herr Prof. L. Boltzmann überreicht eine Ab-
handlung von Dr. Hans Benndorf in Wien, betitelt: »Weiter-
führung der Annäherungsrechnung in der Maxwell-
schen Theorie der Gase«.
434
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
Reutter Enzio. Über die Palpen der Rhopaloceren.
Ein Beitrag zur Kenntniss der verwandtschaftlichen Be-
ziehungen unter den Tagfaltern. (Mit 6 Tafeln.) (Acta
Societatis Scientiarium Fennicae. Tom. XX, Nr. 1.)
Helsingfors, 1896; 4^
Societe des Sciences Naturelles de TOuest de la
France. Bulletin. Tome 5, I. Nantes, 1895; 8^.
Preisaufgabe
für den von A. Freiherm v. Baumgartner gestifteten
Preis.
(Ausgeschrieben am 3. Juni 1 896.)
Die mathem.-naturw. Classe der kaiserlichen Akademie
der Wissenschaften hat in ihrer ausserordentlichen Sitzung
vom 1. Juni 1896 beschlossen, für den A. Freiherr von Baum-
gartner*schen Preis folgende neue Aufgabe zu stellen:
»Ausdehnung unserer Kenntnisse über das Ver-
halten der äussersten ultravioletten Strahlung.«
Der Einsendungstermin der Concurrenzschriften ist der
31. December 1898; die Zuerkennung des Preises von 1000 ü.
ö. W. findet eventuell in der feierlichen Sitzung des Jahres
1899 statt.
Zur Verständigung der Preisbewerber folgen hier die auf
Preisschriften sich beziehenden Paragraphe der Geschäftsordnung
der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften:
»§. 57. Die um einen Preis werbenden Abhandlungen dürfen
den Namen des Verfassers nicht enthalten, und sind, wie allge-
mein üblich, mit einem Motto zu versehen. Jeder Abhandlung hat
ein versiegelter, mit demselben Motto versehener Zettel beizu-
liegen, der den Namen des Verfassers enthält. Die Abhandlungen
dürfen nicht von der Hand des Verfassers geschrieben sein.«
435
»In der feierlichen Sitzung eröffnet der Präsident den ver-
siegelten Zettel jener Abhandlung, welcher der Preis zuerkannt
wurde, und verkündet den Namen des Verfassers. Die übrigen
Zettel werden uneröffhet verbrannt, die Abhandlungen aber auf-
bewahrt, bis sie mit Berufung auf das Motto zurückverlangt
werden.«
»§.59. Jede gekrönte Preisschrift bleibt Eigenthum ihres
Verfassers. Wünscht es derselbe, so wird die Schrift durch die
Akademie als selbständiges Werk veröffentlicht und geht in das
Eigenthum derselben über. . .«
»§. 60. Die wirklichen Mitglieder der Akademie dürfen an
der Bewerbung um diese Preise nicht Theil nehmen.«
Ȥ. 6 I.Abhandlungen, welche den Preis nicht erhalten haben,
der Veröffentlichung aber würdig sind, können auf den Wunsch
des Verfassers von der Akademie veröffentlicht werden.«
Sitzb. d. mathem.-naturw. Gl.; CV. Bd., Abth. I. 29
436
Beitrag* zur Fleehtenflora Südpersiens
Prof. Dr. J. Steiner.
Den grösseren Theil des Flechtenmateriales, welches
Dr. Stapf auf seiner Reise in Persien in den Jahren 1885 und
1886 sammelte, hat Prof. Dr. J. Müller Arg., dessen Ableben
während des reichsten Schaffens für die Lichenologie einen
sehr schweren Verlust bedeutet, in Hedwigia 1892 bearbeitet.
Ein kleiner Theil davon, durchaus in der Umgebung von
Buschir selbst gesammelt, befindet sich im k. k. Universitäts-
herbar zu Wien und bildet die Gamdlage für die nachfolgende
Aufzählung.
Alle hier angeführten Arten besiedeln theils festeren, theils
leicht zerreiblichen und fast erdigen Nummulitenkalk.
1. Psorotichia lugubris Krb. Par. p. 436 — Mass. Mise. p. 10
sub Stenhammara.
Var. Btischirensis n. var.
Thallus tenuis, granulosus, nigricans formatur coenobiis
gonidiorum hyphis irretitis, iis Psorot. lugubris omnino simi-
lantibus et supra hypothallum longum et densum, endolithicum
dispersis. Apothecia nigra magnitudine et structura interna
cumiisspecieicongruunt, sed margine lecideino leviterporrecto,
a thallo nunquam vestito, instructa nee umquam immersa sunt
Benetzt erinnert die Flechte der Apothecien wegen stark
an Plac. tremniacum. Die Gonidiengruppen sind dieselben wie
bei Ps. lugubris, doch scheinen sie sich hier nicht zu ver-
grössern und nie krustenartig zu verwachsen.
Nur ein Exemplar, aber mit gut entwickelten Apothecien.
Flechtenflora Südpersiens. 437
2. Psorotichia frustulosa Anzi. Long. n. 388.
Die Apothecien stimmen in ihrem äusseren und inneren
Bau mit Anzi n. 388 überein; der Thallus dagegen ist zwar
ebenso körnig, die Körner aber nicht zerstreut, sondern inselartig
zusammengedrängt. Ich glaube aber, dass der Grund dieser
Wachsthumsart nur darin liegt, dass die Flechte hier in Lücken
zwischen Verr.nigrescens und auf Sarcopyne prutnosa wächst.
3. Anema nummularia Nyl. Flora 1879, p. 354. — Du f. in
Herb. Th. Fr. sub Collema.
Rara et sterilis p. p. supra thallum Verr. nigrescentis.
4. Heppia lobulata Müll. Arg. Hedw. 1892, p. 152.
Areolae thalli omnino cum descriptiore, a cl. Dr. Müller
1. c. data, congruunt, madefactae obscurius v. dilutius olivascunt,
sed etiam fuscescentes, vel pro parte fuscescentes immixtae
sunt.
Apothecia solitaria primum immersa dein thallum aequan-
tia, diam. ad 0-4 mm v. minora, disco eodem modo ac areola
convexo, minime marginato, sicco thallo concolore et vix cer-
nendo, madefacto obscure rufo. Asci late lanceolati 70 — 80|xlg.
20-24 [JL lt. superiore parte incrassati. Sporae incolores simplices,
ellipticae ad lOOinasco, 4— 5 |x lg., 2—3 (xlt.Paraphyses filiformes,
partim conglutinatae partim magis liberae, crassiores etseptatae.
Epithecium luteo v. rufo-fuscescens. J ope hymenium aurantiace
lutescit V. sanguineo rubet, praesertim pars incrassata ascorum.
Pycnides immersae. Sterigmata tenuia, simplicia. Pycnoconidia
parva, recta, elongato-oblonga 2 v. vix 3 |x lg., 0*5 »Ji lt.
Am Rande und auf der Unterseite eines Kalkstückes. Eine
schöne Art, welche ebensosehr durch die anfangs runden und
leicht gewölbten, fast einem biatorinen Apothecium ähnlichen,
später vom Rand her lappig-tuberculös sich differenzirenden
Areolen, als durch die F'orm der Apothecien gekennzeichnet ist.
Die theilweise Braunfärbung der Areolen weist sicher nicht auf
Heppia hepaticella Müll. 1. c. hin, sondern scheint mir erst
nachträglich beim Liegen im Kasten erworben zu sein. Sie
zeigt sich da, wo die sonst sattblaugrüne Farbe des Gonidien-
29*
438 J. Steiner,
Inhaltes verschwunden ist, welche in normalem Zustande mit
dem Gelbbraun der Häute der Rindengonidien die dunkle Misch-
farbe erzeugt.
Caloplaca (Sect Amphiloma) aurantia — Pers. in Ust. Ann. d.
Bot. Stück 1 1 (neue Ann. St 5) p. 14 sub Lichene.
Synon.: sympagea Ach. Prodr. p. 105 sub Lichene, Univ.
p. 437 sub Lecanora. Comp. Müll. Arg. Hedwigia 1892.
Thallus und Apothecien sehr schön und reich, Sporen da-
gegen nur selten entwickelt. An einigen Stellen der var. cdl-
lopisma Ach. Univ. p. 437 (sub Lecanora) nahekommend.
Dr. Stapf schrieb der Fundortsangabe in einem Falle bei:
»Gemeinste Flechte, allenthalben auf den freiliegenden Feld-
steinen, anstehenden Felsen, den Grabsteinen der mohammeda-
nischen Friedhöfe aus dem 13. Jahrhundert u. s. w.«
5. Caloplaca pyracea Th. Fr. Arct. p. 120 — Ach. Meth. p. 176
sub Parm. cerina C.
Var.: pyrithroma Ach. Univ. p. 206.
Reichlich vorhanden, sowohl auf dem Kalke, als auch
auf verschiedenen Flechtenlagern, besonders auf Verrucaria
Btischirensis m. Äusserlich sehr schön entwickelt, aber meist
spornlos.
6. Caloplaca (Sect. Pyrenodesmia) variabilis Th. Fr. Gen.
heterol. p. 71 — Pers. in Ust. Ann. d. Bot. 1794, p. 26.
Var. Candida Stitz. Lieh. Afric. (Separ.) p. 101.
Auf mehreren Stücken in grösseren und kleineren Inseln;
öfter mit Diplot. venustum so zusammengewachsen, dass eine
Grenze zwischen den beiderseitigen Areolen nur durch das
Vorhandensein der Apothecien, den reichlich nachrückenden
Pycniden der Caloplaca und der etwas grösseren Glätte ihrer
Rindenschichte gegeben scheint (ob der innere Vorgang der
Lagerentwicklung dem bei Lecan. atriseda nach Malmen und
der Protrophie nach Minks entspricht, wurde bisher nicht fest-
gestellt). Ebenso auf einem anderen Kalkstücke mit Lecan.
calcarea var. concreta Schär. Die Areolen der Caloplaca sind
hier auffallend dick, lösen sich leicht los und an den Stellen,
Flechtenflora Südpersicns. 439
WO sie ausgefallen, wächst ihrThallus in normaler Dicke nach,
Caloplaca articulaia Bagl. Enum. Lig. sub Rinodina unter-
scheidet sich nach einem Originalexemplar im Herbar Eggerth
(Univ. Wien) von var. Candida Stitz. nur durch den auch in
trockenem Zustande braunlichen Discus, dürfte von Candida
kaum zu trennen sein und besitzt dann die Priorität.
7. Caloplaca (Sect. Pyrenodesmi^ interveniens Müll. Arg.
Rev. myc. 1884, p. 18.
Pycnides tuberculiformes atrae. Sterigmata articulata,
pycnoconidia late elliptica 2-5— 3*2 |x lg. 1 -3—1 -6 (jl lt.
Spärlich.
8. Rinodina Bischofüi Krb. Par. p. 75 — Hepp. Eur. n. 81 sub
Psora.
Ein kleines Exemplar der normalen Pflanze, vollständig
mit Hepp n. 81 übereinstimmend.
9. Lecanora (Sect. Aspicilia) calcarea Smrf. Suppl. p. 102 —
Linn. Sp. plant (1753) 1 140 sub Lichene.
Var. concreta Schär. Spie. p. 73.
Pycnoconidia recta 7 — 10 [x lg., ca. 0*5 |i lt.
Auf einem Stücke ausgebreitet mit Cal. variabilis var.
Candida, neben Lecanora Cheresina.
10. Lecanora (Sect. Aspicilia) Cheresina Müll. Arg. Rev. myc.
1880, p. 75.
Einige kleine Exemplare mit zartgelappter Randzone.
11. Lecania (Sect. Placolecania, Synon.: Ricasolia Mass.)
asperatula n. sp.
Thallus tenuis lurido cinereus (madef. dilutior) squamu-
losus, infra concolor parce rhicinosus. Squamae parvae (0*5
usque 1 mm vix ultra) planiusculae adpressae, coralloideo in-
cisae, repandae, vel circa apothecia conglobatae vel supra
thallum alienum (Verr, nigrescens) orbillos diam. V2 ^^» ^^^'
fluentes 1 cm formantes. Partes adultiores squamarum granulis
obscuris exasperatae: Cortex granulorum coeruleo-violascens
440 J.Steiner,
et rhicinae KOH adh. intense violascunt. Gonidia luteo viridia
subrotunda, majora (diam. 16— 20|i). Apothecia mox convexula
margine depresso ad 0-6 mm diam. v. minora, nigricantia,
madefacta rufo-fusca. Paraphyses filiformes conglutinatae, supra
clavatae. Epithecium obscure cerasino-fuscum, superior pars
hymenii dilutius codem modo tincta, inferior et hypothecium
incoloria; sub hypothecio gonidia adsunt. Asci elongato-clavati.
Sporae 8 hyalinae v. tanifem subhyalinae, elongato-ellipticae,
1-septatne 14- 16 |i lg., 5—6 |i lt.
Pycnides non vidi.
Die Apothecien haben nichts Charakteristisches, es ist der-
selbe Bau, der in dieser Gruppe oft wiederkehrt. Eigenthümlich
ist der Thallus mit seinen dünnen, flach angedrückten, läng-
lichen, oft gekrümmten, zierlich gekerbten und zertheilten
Blättchen und deren kleinen, dunklen, zerstreuten, oder bei
kreisförmigem Wachsthum in eine innere Zone zusammen-
gedrängten, cephalodienartigen Höckerchen.
Auf zwei Kalkstücken. Sowohl auf dem Kalk selbst, als
besonders an mehreren Stellen auf der Kruste von Verr.
nigrescens.
12. Lecania(Sect. Dimerospora) albariella Arid. Jura sub n. 202.
Pycnides subimmersae atrae, sterigmata simplicia (v. uno
alterove septo), pycnoconidia subrecta, arcuata v. flexuosa 10
usque 14 (j. lg., 0-6 (jl lt. Thallus partim optime areolatus partim
evanescens, quae sit var. ecrustacea Nyl. Aeg. p. 5.
Var. subcaesia Nyl. Aeg. p. 5.
Apothecia convexa, plus minus pruinosa.
Beide Formen nicht häufig, aber gut entwickelt
13. Lecania (Sect. Dimerospora) detractula Arid. Jur. Sep.
p. 125 — Nyl. Fl. 1874, p. 444 sub Lecanora.
Thallus endolithicus. Apothecia, habitu omnino biatorino,
primum dilutius fusca, deinde obscurata, convexa.
Die Apothecien sind etwas grösser als bei der normalen
detractula Nyl.; die übrigen Merkmale stimmen übereiru Nur
ein Exemplar.
Flechtenflora Sudpersiens. 44 1
14. Diploschistes actinostomus Zahlbr. Hedw. 1892, p. 34 —
Ach. Univ. p. 288 sub Urceolaria.
Var. calcaretis Müll. Arg. Rev. myc. 1884, p. 18.
Planta optime evoluta cum Arid. exs. n. 1437 omnino con-
gruens. Thallus CaHgO^ roseo tingitur colore, KHO vel I (ut in
Arid. n. 1437) non mutatur. Sporae 4— 8 in asc. 21—30(1 lg.,
12 — 19(1 lt. apicibus rotundatis, membranae minus adhuc in-
fuscatae I coerulescunt.
Pycnoconidia recta apicibus plus minus ättenuatis 6 usque
8-6 {1 lg., 1— 1-5(1 It
Da zu den thallodischen Merkmalen das Fehlen der
7-Reaction dazukommt, dürfte es richtiger sein, Dipl. calcareus,
bisher nur aus Nordafrika und nun aus Persien bekannt, als
eigene Art zu bezeichnen. Die Kalkform von Dipl. actinostomus
liegt in der var. electus Stnr. Diese Sitzungsb., Bd. ClI, Abth. I
p. 165, vor.
15. Biatorella (Sect. Sarcogyne) pruinosa Mudd. Brit. Lieh,
p. 191 — Smrf. in Engl. Bot. XXX, tab. 2244, sub Lichene.
Apothecia mediocria, pruinosa parum emergentia. Pycnides
immersae, deplanatae, fuscidulae. Sterigmata simplicia (septo
uno alterove), teneriora. Pycnoconidia elongato-elliptica 2 vix
3(1 lg., 0-8 [1 lt.
Nur ein Exemplar.
16. Toninia aromatica Mass. Symm. p. 54 — Smrf. in Eng.
Bot. XXV, tab. 1777 sub Lichene.
Var. acervulata Th. Fr. Scand. p. 332.
Thallus optime aromaticus. Areolae tumidae, dissipatae v
subacervulatae p. m. p. farinoso-albae, raro fuscidulae. Apo-
thecia normalia. Pycnides nigrae, tuberculiforme emersae, pars
colorata sub micr. e rufo-fusco in coeruleo-viride vergens.
Sterigmata fertilia simplicia, tenuiora, ramosa, sterilia elongata
immixta. Pycnoconidia arcuata 16 — 22 (i lg., vix 0*5 (i lt.
Auf einem fast erdigen Kalkstücke schön und reich ent-
wickelt, auf anderen als einzelne Areolengruppen zerstreut
Nicht selten.
442 J. Steiner,
17. Arthonia depressula n. sp.
Thallus Simplex formatur hyphis hyalinis supra thallum
alienum (Calopl. pyraceae) vigentibus. Hyphae I ope rubescunt
Gonidia palmellea. Apothecia minima v. parva O'l — O'Siwm
diam. tumida et subtus constrictiuscula, sed centro disci leviter
depresso. Paraphyses omino irreguläres supra modice incras-
satae nee arcte conglutinatae. Hymenium in sectione minus
tenui coeruleo-virens, hypothecio humili umbrino-fusco, ex-
cipulo nullo. In sectione tenui epithecium (raris immixtis para-
physium apicibus fuscis) et hypothecii pars superior coeruleo-
virens, cujus pars inferior umbrino-fusca. Asci late ovati, bre-
viter stipitati et supra incrassati ad 38 — 40 |i lg., 21 (j. lt. Sporae
octonae incolores 1-septatae, 11 — 15|ilg., 4'3— 5-8[JLlt non
constrictae cellula altera paullo latiore rarius etiam breviore.
Hymenium I primum violascit mox vinose rubet. Pycnides
non vidi.
Auf zwei Kalkstücken in kleinen Gruppen. Die Flechte
gehört zum Stamme der Arth, vagans Almq. und steht der
Arth, aähaer ens MüU. Arg. Rev. myc. 1880, p. 80, am nächsten,
unterscheidet sich aber durch die Form der Apothecien, das
reiner grüne Epithecium und durch das Hypothecium, welches
sehr an das der Catill. chalybaea erinnert.
18. Leciographa insidens n. sp.
Planta syntrophica. Magnitudo et habitus apotheciorum iis
Leciog. parasiiicae Mass. v. monspeliensis Nyl. simillima, sed
interna structura alia. Hymenium altum, paraphyses irreguläres
supra solubiles vix incrassatae. Epithecium obscure fuscum
paullo in olivaceum vergens, hymenium tandem plus m. fus-
cescens, hypothecium fuscum. Asci facile separati, elongato
clavati in stipitem sensim attenuati supra incrassati 80 — 107 |t
lg., 20 —-24 [X lt. Sporae 8 (raro pauciores) 3-septatae, membrana
crassa (2 [t hie inde 3 |j. crass.) instructae, diu hyalinae tandem
olivaceo fuscescentes 18 — 26 [x lg., 6 — 10 (t It. I asci et inferior
pars hymenii vinose rubent.
Auf verschiedenen Krusten {Verr. Buschirensis, Calopl.
pyracea, CalopL variahilis var. Candida) einzeln oder in kleinen
Gruppen.
Flechtennora Südpersiens. 443
Die Art ist besonders durch die Sporen, doch auch durch
die Form der Paraphysen und die Farbe des Epitheciums von
den übrigen Arten der Gattung, besonders auch von Lecan.
centrifuga Mass. und von Opeg. aegyptiaca Müll. Arg. Hev.
myc. 1880, p. 80, deutlich geschieden.
Verrucaria (Sect. Lithoicea) nigrescens Nyl. Pyren. p. 23 —
Pars, Ust. Annal. 1795, p. 36 p. p.
Häufig, theils mit dünnem, theils mit dickem, gross-
gefelderten, rothbraunen Thallus und normalen Apothecien.
Vergl. Müller in Hedw. 1892.
19. Verrucaria (Sect. Amphoridium) Buschirensis n. sp.
Thallus endolithicus supra politus, colore dilute argillaceo
hinc inde in lateritium vergente (similis ac in v.foveolata Mass.
Ric. p. 172) rimis raris, rectis tenerrimis sed profundis fissus,
per quas perithecia emergunt. Perithecia minora^ (ad 0*45 mm
V. minora) integra, apice emergentia pertusa, atra. Interna
structura ut in Verr, iniegra vel dolomitica. Sporae octonae
hyalinae, serius non aror fuscidulae, ellipticae apicibus attenuatis.
22 — 34 (t lg., 12 — 16 [X lt. (raro latiores apic. magis rotundatis
22— 24 |i lg., 16 — 18|Jilt.). Pycnides tuberculiformes emersae
atrae (sub micr. nigro-purpureae) non raro seriatae (lineas
marginales mentientes). Pycnoconidia recta v. raro subcurvata
4 — 6 [JL lg., 0'8 — l-3(j. lt. (ut in dolomitica). Hymenium I
coerulescit, deinde p. m. vinose rubet.
Der Thallus ist vollständig endolithisch; Gonidienschichte
und Rinde bilden aber mit dem eingelagerten Kalk eine ge-
glättete Decke. Beim Durchbrechen der Perithecien reisst diese
obere Schichte wie eine spröde Schale auf und indem die feinen
Risse sich schneiden, entstehen grössere Schollen, welche im
Verlaufe abfallen, den untersten Theil der Apotheciengruben
und Reste des Hypothallus zurücklassend, die einen gesuchten
Boden für andere Flechten bilden.
Ausser dem Habitus, der die Flechte leicht kenntlich
macht, veranlassten mich besonders die allerdings nur unter-
geordnet vorkommenden, mehr breiten und abgerundeten Sporen
444 J.Steiner,
die Form nicht als Var. zu dolomitica Mass. zu stellen. Nach
den vorhandenen Proben gewiss häufig.
Verrucula n. gen.
Perithecia, quorum interna structura ac sporae ut in genere
Verrucaria, sed thallus in aliis lichenibus vigens, gonidiis
destitutus.
Schon in Verrucula cahirensis Stnr. (diese Sitzungsber.,
Bd. CII, S. 171, sub Carliä) lag ein durch die Perithecien der
Galtung Verrucaria entsprechender Ascophyt vor, der mit den
veränderten Areolen der Calop, gilvella (vide 1. c.) ein Syn-
trophium (Minks) bildet, welches das Aussehen eines klein-
scholligen Placidium besitzt.
Ein ähnliches Syntrophium bildet
20. Verrucula aegyptiaca Stnr. — Müll. Arg. Rev. myc. 1880,
p. 82, sub Verrucaria, 1. c. 1884, p. 20 sub Endopyrenio,
Mehrere Thallusinselchen entsprechen mit ihren kleinen
(circa OXontm) aber stark vortretenden Perithecien der
Diagnose von Müller 1. c. vollständig. Ausserdem befindet sich
.auf demselben Gesteinsstücke ein Thallus von Calopl. intcr-
veniens Müll., dessen Randareolen ringsum intact und mit
normalen Apothecien und Pycniden besetzt sind, während eine
inselartige Gruppe im Centrum vollständig die Form des
Enäopyr. aegyptiacum angenommen hat und dessen Perithecien
besitzt. Die Areolen der Calopl. interveniens, welche dem ver-
änderten Abschnitte zunächst liegen, zeigen die schrittweise
Umwandlung deutlich, welche durch das Eindringen der braunen
Hyphen des Gastes vom Hypothallus her in die Markschichte
des Wirthes eingeleitet wird.
21. Thrombium stereocarpum n. sp.
Thallus endolithicus, macula argillacea indicatus. Hyphae
hypothallinae praesertim superiore parte crebre subcateniforme
incrassatae contentu eximie oleoso. Gmtidia palmellea. Peri-
thecia sedentia subintegre nigra (centro tantum partis basalis
dilutiore) opaca, subglobosa i. e. infra constricta, diam. ad
0-35wfM V. minora, tandem poro simplici pertusa, minima
Flechtenflora Südpersiens. 445
collabentia. Perithecium sub micr. obscure fuscum, paraphyses
distinctissime capillares, ramosae, retiforme connatae. Asci
primum elongato elliptici, deinde cylindrice elongati v. supra
paullo attenuati ad apicem et ad latera incrassati 90 — 120 |i lg.,
18 — 24 fji It Sporae octonae, simplices, incolores, ellipticae v.
elongato-ellipticae v. altero apice sensim distincte attenuati sub-
pyriformes, 18— 26 |i lg., 7 — 10 [i lt. I adh. membrana ascorum
vix spurie rubescit, contentus luteo-fuscescit.
Nur auf einem Kalkstücke.
Durch die Form der Perithecien und des Thallus von den
bekannten Arten weit abstehend, im inneren Fruchtbau dem
Thromb. epigaeum ähnlich genug.
22. Tichothecium calcaricolum Arid. Verh. zool.-bot. Ges.
Wien, 1873, S. 521 — Mudd. Man. p. 306, sub Microthelia,
Perithecia minima ad 0* 1 mm. Sporae apicibus subrotun-
datis V. magis rhomboideae 1 1 * 8 — 1 3 [x lg., 5 • 4 — 7 |i lt.
Auf Verr. nigrescens,
23. Tichothecium pygmaeum Krb. Par. p. 467, Syst. p. 374
sub Microthelia.
Auf CalopL (Amphil.) aurantia häufig, auf dem Thallus
sowohl, als auf dem Discus.
24. Tichothecium erraticum Mass. Symm. p. 94.
Auf dem Thallus der Lecania albariella Nyl. reichlich.
25. Cercidospora epipolytropa Arid. Fl. 1874, p. 154 — Mudd.
Man. of Br. Lieh. p. 298, sub Thelidio.
Planta normalis. Adsunt etiam pycnides magnitudinis
peritheciorum minorum, supra coeruleo-virides, sterigmatibus
simplicibus, tenuibus, ramosis et pycnoconidiis rectis 4 — 7|ilg.,
0'6— 1 [X lt. Ad Cercidosporam pertineant.
Häufig auf dem Thallus der Calop. aurantia und Calop,
vulgaris var. Candida.
Durch den vorliegenden Nachtrag wachsen also der
Lichenenflora von Buschir 25 sp., der von Persien 21 sp. zu.
446 J. Steiner, Flechtenflora Südpersiens.
Abgesehen von Lecan. esculenta wurden zuerst durch
Buhse persische Flechten bekannt. In »Buhse und Boissiers
Aufzeich, der auf einer Reise durch Transkaukasus und Persien
ges. Pflanzen, 1860« legte er das Ergebniss seiner Sammlung,
welche sich nur auf den Norden des Landes bis Asterabad
erstreckte, mit 47 sp., wovon 28 auf Persien entfallen, nieder.
Ausser dem Vorkommen von Lecan. esculenta^ die er aber bei
Nachitschewan in Armenien fand, zeigt die Aufzählung keinen
Zug, welcher nicht ebensogut auf eine Berggegend des mittleren
Europa passte. Anderes lehrt die Sammlung von Dr. Stapf,
welcher das Land von Buschir aus durchquerte.
Unter den 59 Arten, welche Müller in Hedw. 1892 anführt,
von welchen 3 schon von Buhse angeführt werden, sind 9 sp.
und 1 var., also eine verhältnissmässig sehr grosse Zahl, neu,
und anderseits tritt der Zusammenhang mit der afrikanischen
Flora durch Omphal. arabica, Acarosp. interrupta, Lecania
brachyspora, Rinod. Bischofß var. aegyptiaca und Diplot, inter-
medium unverkennbar hervor.
Nach beiden Richtungen wird dieser Eindruck durch den
Nachtrag, welcher die Artenzahl der bisher bekannten persischen
Flechten von 84 auf 105 sp. erhöht, noch verstärkt. Calopl.
interveniens Müll., Lecan. Cheresina Müll., Dipl. actinost. var.
calcareus Müll., Verr. aegyptiaca (Müll.) waren bisher als
endem. ägyptisch-algerische Formen zu betrachten und der
Verbreitungsbezirk der übrigen, mit Ausnahme der neuen und
von Psorot. lugubris und fr ustulosa, erstreckt sich von Europa
nach Afrika.
Die persische Flechtenflora erscheint also als Übergangs-
flora. Die pflanzengeographische Bedeutung der neuen Arten
ist erst dann zu würdigen, wenn die umliegenden Gebiete
lichenologisch bekannt werden.
447
Zur Anatomie der Frucht und des Samens
von l/iscum
von
G. Gjokic aus Sarajevo.
Aus dem pflanzenphysiologischen Institute der k. k. Universität in Wien.
(Mit 1 Tafel.)
(Vorgelegt in der Sitzung am 21. Mai 1896.)
Die Keimung von Viscunt alhum ist durch eine Reihe von
Besonderheiten ausgezeichnet. Seit längerer Zeit weiss man,
dass die Samen dieser Pflanze in Dunkelheit nicht zum Keimen
zu bringen sind.^ Durch Untersuchungen vonWiesner^ ist
nachgewiesen, dass namentlich zum Keimungsbeginn eine
nicht unbeträchtliche Intensität des Lichtes erforderlich ist, so-
wie, dass die Samen erst nach einer langen Ruheperiode
keimen. Es ist bis jetzt nicht gelungen, die Samen dieser Pflanze
vor Ende März oder Anfang April zum Keimen zu bringen.
Ferner ist von Wies n er ^ nachgewiesen worden, dass die
Samen von Viscum album völlig befreit vom Schleim der Beere
ohne Zufuhr von Wasser auf trockenem Substrat keimen
können. Ja, selbst im Exsiccator über Schwefelsäure auf-
1 J. Wiesner, Die heliotropischen Erscheinungen. I.; Denkschriften der
kais. Akad. der Wiss. in Wien, Bd. 39, 1878, S. 143.
2 J. Wiesner, Photometrische Untersuchungen auf pflanzenphysio-
logischem Gebiete. Erste Abh.: Orientirende Versuche etc. Diese Sitzungsber.,
Bd. CII, Abth. I. 1893, S. 291.
5 J. Wiesner, Vergleichende physiologische Studien über die Keimung
europäischer und tropischer Arten von Viscum und Loranthus. Diese Sitzungs-
berichte, Bd. cm, Abth. I. S. 416.
448 G. Gjoki6.
gestellte Samen entwickeln Hypocotyle der Keimlinge bis zu
einer bestimmten Grenze.
»Mit welcher Kraft dieses für die Keimung der Mistel-
samen unentbehrliche Wasser von den Geweben derselben
zurückgehalten wird, mag aus der Thatsache zu entnehmen
sein, dass ein schwaches Keimen selbst dann noch eintritt, wenn
die Samen sich im Exsiccator befinden«.^
Während also die Samen von Viscum album das Wasser,
welches sie zum Keimen benöthigen, in reifem Zustande in
ihrem Gewebe enthalten, sind die Samen der tropischen Visctitn-
Arten ohne Zufuhr von Wasser nicht zum Keimen zu bringen,
selbst in einer mit Wasserdampf nahezu gesättigten Atmosphäre.
Auch keimen die Samen der tropischen Viscum- kviQx\, ohne
eine Ruheperiode durchzumachen; sie keimen auch in voll-
kommener Finsterniss.^
Dass die merkwürdigen Eigenthümlichkeiten, welche bei
der Keimung von Viscum album zu Tage treten, Anpassungen
an die äusseren Vegetationsbedingungen sind, ist von vorne-
herein höchst wahrscheinlich und von Wiesner^ auf das
Bestimmteste nachgewiesen worden.
Er zeigte unter Anderem, dass in der Zeit, in welcher
Viscum album bei uns keimt, daselbst häufig eine so lange
andauernde regenlose Periode herrscht, dass die im Samen
angesammelte und hier mit Hartnäckigkeit festgehaltene, zur
Keimung erforderliche Wassermenge verständlich wird.
Auf Veranlassung des Herrn Hofrathes J. Wiesner habe
ich es unternommen, die Eigenthümlichkeiten des anatomischen
Baues, welche mit diesem exceptionellen Transpirationsschutz
in Zusammenhang stehen, zu untersuchen, wobei selbstver-
ständlich auch auf die analogen Verhältnisse der Samen der
tropischen Viscmn-\vitn Rücksicht genommen wurde.
Bevor ich auf meine eigenen Untersuchungen eingehe,
schicke ich einige morphologische Bemerkungen über die
Mistelbeere voraus.
1 J. Wiesner, Vergleichende physiol. Studien etc. I. c. S. 422.
2 J. Wies n er, Vergleichende physiol. Studien etc. 1. c. S. 410.
"• J. Wiesner, Vergleichende physiol. Studien etc. 1. c.
Frucht und Samen von Vtscum. 449
Die Entwicklung der Mistel war Gegenstand älterer und
neuerer Untersuchungen vieler Botaniker, wie Decaisne/
Meyen,^ Schacht,^ Karsten/ Treviranus,^ Hofmeister,^
van Tieghem,' Treub,^ Jost® u. A., so dass man jetzt
darüber ganz im Klaren ist.
Ich werde versuchen, in Kürze die charakteristischen
Momente der Blüthenentwicklung der Mistel zu reproduciren.
Die weibliche Blüthe hat zwei zweigliedrige Kreise von
Perigonblättern. In der Mitte erheben sich zwei Carpelle,
welche so mit dem Blüthenboden verwachsen, dass sie eine
homogene Masse darstellen. Die Zellen um den Grund der ehe-
maligen Spalte, welche die zwei Carpelle bildeten, erleiden eine
Theilung. Eine Ausnahme machen nur einige durch ihre Grösse
und dunklen Inhalt auffallende Zellen. Das sind die Embryo-
sackmutterzellen. Gewöhnlich werden sie in der Anzahl von
sieben oder neun angelegt. Der Kern der Embryosackmutter-
zellen theilt sich erst später und es tritt eine Querwand auf.
Die Mehrzahl dieser so getheilten Zellen verharrt in diesem
Stadium; höchstens zwei oder drei entwickeln sich weiter: die
unlere der beiden Schwesterzellen vergrössert sich nämlich
und bildet sich zum Embryosack aus.
1 M. Dccaisne, Sur le pollen et Tcvule du gui. Ann. sc. nat., 2. ser.,
t. XIII, 1840, p. 291 ff.
- Meyen, Noch einige Worte über Befruchtungsact und Polyembryonie
bei den höheren Pflanzen. Berlin, 1840.
3 H. Schacht, Das Mikroskop. 2. Aufl. Berlin, 1855, F. 6—9.
* H.Karsten, Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Loranthaceen.
Bot. Zeitung, 1852, S. 305 ff.
•'* L. C. Treviranus, Über Bau und Entwicklung der Eychen und Samen
der Mistel. Abhandl. der math.-phys. Cl. der kgl. bayr. Akad. der Wiss. VII,
1855, S. 153—177.
6 H. Hofmeister, Neue Beiträge zur Kenntniss der Embryobildung der
Phanerogamen. Abhandl. der kgl. sächs. Gesellsch. der Wiss. Bd. VI., 1859,
S. 553—563.
' Van Tieghem, Anatomie des fleurs et du fruits du gui. Ann. sc. nat.
5. ser., t. XII, 1869, p. 101.
8 Treub, Observations sur les Loranthacees. Ann. du jardin botanique
de Buitenzorg. II. 54—76 t. VIII.— XV., III. 1 — 12 t. I.-Il.
» Jost, Zur Kenntniss der Blüthenentwicklung der Mistel. Bot. Zeitung,
1888, S. 323 ff.
450 G. Gjokic,
In einem jeden Embryosack kommt ein Embryo zur Ent-
wicklung und je nach der Zahl der Embryosäcke hat der so-
genannte Samen ein, zwei oder drei Embryonen.
Bei Viscum kommt es nicht zur Samenknospenbildung,
sogar die Placenta wird nicht entwickelt, sondern die Embryo-
säcke entstehen direct im Gewebe der Axe. Einem jeden
Embryosack entspricht ein Samen, dessen Ausgliederung unter-
blieben ist. Man kann also hier weder von Samenschale, noch
von Samenhaut sprechen, da solche sich aus den Integumenten
der Samenknospe ausbilden müssten. Bei Viscum kommt es
aber nicht, wie schon erwähnt wurde, zur Samenknospenbildung.
Der Kern der Beere von Viscttm alhum wird gewöhnlich
als Samen bezeichnet, was natürlich, vom streng moi*pho-
logischen Standpunkte betrachtet, nicht richtig ist. Wenn man
aber die Beerenkerne bloss vom physiologischen Standpunkte
betrachtet, so kann man sie als Samen, die Scheinbeere der
Mistel als Beere oder überhaupt als Frucht bezeichnen.
Die reifen Beeren von Viscum album haben eine fast rein-
weisse Farbe und auf ihrem Scheitel sind noch Reste von der
vertrockneten Narbe und von den Perigonblättern zu erkennen.
Die F/5CWW- Beeren variiren in ihrer Grösse ziemlich stark.
Sie bestehen aus der fleischigen Hülle und dem Kern, dem so-
genannten Samen, der wiederum in sich ein, zwei oder drei
Embryonen einschliesst.
Die fleischige Hülle besteht aus zwei Schichten, von denen
die innere so verschleimt ist, dass sie für das unbewaffnete
Auge eine homogene, schleimige Masse darstellt. Die äussere,
sowie die innere, die sogenannte Viscinschicht, entwickelt
sich aus dem Gewebe der becherförmigen Blüthenaxe.
Betrachtet man diese schleimige, stark klebende Masse
unter dem Mikroskope, so sieht man, dass sie vorwiegend aus
langgestreckten, mit spiraligen Verdickungen versehenen Zellen
besteht. Diese Zellen führen reichlich Protoplasma, sowie eine
kleine Menge Stärkekörner. Im Schleime kommen auch Kry-
stalle von oxalsaurem Kalk, und zwar in grösseren Mengen
vor. Es sind dies wohlausgebildete, kleinere und grössere ein-
zelne Krystalle. Krystalldrusen trifft man sehr selten in dem
Viscinschleim an.
Frucht und Samen von Visctim. 45 1
Wenn man der Beere möglichst behutsam den Schleim
entnimmt, ohne ihn in Fäden auszuziehen, und ihn mit Chlor-
zinkjod behandelt, so färbt er sich nach einiger Zeit, und zwar
nur am Rande, violett. Die Zellen treten daselbst jetzt deutlicher
hervor: ihre Verdickungen sind gefärbt, während die äussere
Membranschichte nicht zu unterscheiden ist (Fig. 7). Das
Reagens dringt sehr schlecht in den Schleim ein. Bei halbein-
getrocknetem Schleim geht die Färbung etwas schneller vor
sich, aber noch immer färbt sich nur ein kleiner Theil desselben.
Der Viscinschleim besitzt die Eigenschaft, sich in Fäden
ausziehen zu lassen, welche an der Luft schnell trocknen.
Behandelt man so in Fäden ausgezogenen Schleim mit
Chlorzinkjod, so färbt er sich schnell und ganz violett. Bei
einem schwachen Drücken auf das Deckglas zerfallen die
Fäden in noch feinere, parallel verlaufende. Selbst diese sind
nicht gleich dick. Ein jeder Faden nun entspricht einer Zelle
und nachdem einige Zellen mehr, einige weniger ausgedehnt
sind, erscheinen sie verschieden dick. Bei minder ausgezogenen
sind die spiraligen Verdickungen sichtbar, was bei stark aus-
gezogenen nicht der Fall ist. Man ^ieht selbst an einer und der-
selben Zelle, wie eine Hälfte derselben sich in einen langen,
dünnen Faden auszog, während die andere nur eine schwache
Veränderung erlitt.
Lässt man Jodtinctur+ Schwefelsäure auf den in Fäden
ausgezogenen Schleim einwirken, so färbt er sich blau.
Mit Corallinsoda färbt er sich roth. Mit Rutheniumroth *
(Rutheniumsesquichlorür) färbt er sich schwachroth, d. h. so
weit wie die reine Baumwolle.
In Kalilauge quillt er, aber löst sich nicht auf.
Salzsäure übt gar keine Wirkung aus. In Schwefelsäure,
sowie in Kupferoxydammoniak löst sich der Viscinschleim auf.
In kaltem und in heissem Wasser ist er unlöslich. Er verhält
sich also gegen die genannten Reagentien ganz so
wie gewöhnliche Cellulose.
Härtet man die Beere, und zwar allmälig in schwachem,
schliesslich in absolutem Alkohol, so gelingt es, Schnitte durch
J L. Mangln, Compt. r. hebd. Seances de Tacadcmie des sciences. Paris
1893, I. semestre. Tome CXVI.
Sitzb. d. raathem.-naturw. Cl.; CV. Bd., Abth. I. 30
452 G. Gjokic,
die fleischige Hülle zu machen, ohne das Gewebe allzustarker
Schrumpfung auszusetzen. Auf diesen Schnitten sieht man
schon der Farbe nach, dass die fleischige Hülle aus zwei
Schichten besteht. Die äussere ist schmutzigweiss, während
die innere eine schneeweisse Farbe besitzt.
Die Epidermis der äusseren Schicht ist verdickt und cuti-
cularisirt. Die Zellen sind parenchymatisch und sehr dünn-
wandig. Sie führen einen grossen Zellkern, sowie eine kleine
Menge von Stärke- und Chlorophyllkörnern. In einer gewissen
Entfernung von der Oberfläche verlaufen die Gefassbündel.
Auch diese Zellen der äusseren Schichte der fleischigen
Hülle sind ziemlich verschleimt und gänzlich verschleimt sind
jene, die an die Viscinschichte angrenzen. Letztere besteht aus
oben erwähnten Elementen, welche radiär gegen den Samen
angeordnet sind.
Setzt man einen Tropfen Wasser zu einem solchen Schnitt,
so quellen die Zellen so stark auf, dass sie manchmal nicht
mehr sichtbar sind.
Schon in der älteren Literatur finden sich einige Angaben
über den Schleim der Mistelbeeren. Treviranus^ glaubte,
dass die klebende Materie »Viscine« in verlängerten farblosen
Schläuchen sich befinde, welche strahlenförmig von allen
Punkten des Umfanges gegen das »Ei< zu gelagert sind.
H. Schacht^ gibt über das Viscin an, dass es keine
besondere Verbindung ist, sondern zunächst ein Zersetzungs-
product des Zellstoffs der Wand derjenigen Zellen bilde, welche
den Mistelsamen umgeben. Er spricht auch von der spiraligen
Verdickung der Zellen.
Die Ansichten Karsten's^ haben bloss historischen Werth.
DieViscinschicht dient zur Anheftung der Früchte der Mistel
an die Nähräste. Der Samen ist von einer dünnen, weissen,
silberglänzenden Haut, dem sogenannten Endocarp, umgeben.
1 L. C. Treviranus, l. c. p. 158.
2 H. Schacht, Lehrbuch der Anatomie und Physiologie der Gewächse.
I, S. 67.
^ H. Karsten, Über die Entstehung des Harzes, Wachses, Gummis und
Schleims durch assimilirende Thätigkeit der Zellmembran. Bot. Zeitung, 1857,
S. 316 ff.
Frucht und Samen von Viscum. 453
Auf dem Grunde des Samens befindet sich eine Collenchym-
scheide, welche ebenfalls vom Endocarp umhüllt ist. Sie besteht
aus sehr stark, manchmal bis zum Verschwinden des Lumens
verdickten Zellen, welche eine concentrische Schichtung zeigen.
Das Endocarp besteht aus zweierlei Elementen: Erstens
aus abgeplatteten Zellen, deren Zellwände netzförmig verdickt
sind (Fig. 6); die unverdickten Stellen verlaufen in einer Rich-
tung und jene der Nachbarzellen weichen sehr wenig von der
Richtung der ersteren ab. Ferner besteht es aus Spiralgefässen,
die überall durch das Gewebe, welches die netzförmig ver-
dickten Zellen bilden, verlaufen, besonders zahlreich um den
Rand des platten Samens. Beiderlei Elemente des Endocarps
sind verholzt. Bei Gefässen scheint die Verholzung weiter fort-
geschritten zu sein, als bei den Netzfaserzellen, da sie nach
Behandlung mit Phloroglucin -4- Salzsäure oder Anilinsulfat eine
intensivere violette, beziehungsweise gelbe Farbe zeigen als
die ersteren.
Rutheniumroth (Ruthenium sesquichlorür) färbt die netz-
förmig verdickten Zellen roth. Sie enthalten also Pectinkörpei*.
Wiesner^ beobachtete, dass das Endocarp in grosser Luft-
feuchtigkeit und bei Einwirkung liquiden Wassers einen zäh-
schleimigen Charakter annimmt. Es dient wahrscheinlich auch
dazu, das liquide, dem Samen durch Regen oderThau zugeführte
Wasser, wenn auch nur für kurze Zeit, zu erhalten und so dazu
beizutragen, den Samen vor Austrocknung zu bewahren. Wenn
die fleischige Hülle derViscumbeeren von Vögeln verzehrt oder
irgendwie beseitigt wird, dann bleibt anstatt der gesammten
Gewebe der »Beere« das Endocarp als einzige den Samen vor
schädlichen äusseren Einflüssen schützende Hülle zurück.
Treviranus^ gibt von dem dünnen Häutchen, welches
den Samen umhüllt, an, dass es nichts anderes sei, als die
innerste, der >Viscine« entbehrende Schichte der Frucht-
substanz.
Van Tieghem^ erkannte in dem Endocarp verholzte
Elemente, aber sprach sich nicht über die Art derselben aus.
^ J. Wiesner, Vergleichende physiol. Studien etc. 1. c. S. 420.
2 L. C. Treviranus, 1. c. S. 160, 161.
^ Van Tieghem, 1. c. S. 101.
454 G. Gjokic,
In frischem Zustande der Frucht haftet das Endocarp fest
an dem Samen und es lässt sich nicht abreissen, was sogar
von selbst erfolgt, wenn die Früchte trocken sind.
Der Samen ist seiner Form nach sehr verschieden, je nach-
dem er einen, zwei oder drei Embryonen einschliesst. Im ersten
Falle hat er eine flache, elliptische Form und der Embryo liegt
in der Richtung der grossen Axe, die zwei Cotyledonen nach
dem Grunde richtend und das Hypocotyl nach oben, welches
am Ende kopfförmig verdickt ist.
Der Embryo liegt ganz im Endosperm mit Ausnahme des
Scheitels des Hypocotyls, der frei aus dem Endosperm ragt
und nach aussen vom Endocarp wie der ganze Samen
bedeckt ist.
Sind zwei Embryonen vorhanden, so hat der Samen bei-
nahe die Form eines gleichseitigen Dreiecks. Die Hypocotyle
sind nach zwei Ecken des Dreiecks gerichtet, während die
Cotyledonen, aneinandergedrückt, sich zu dem dritten Ecke
des Dreiecks wenden. Dieses Eck bezeichnet die Stelle, an
welcher der »Same« in der »Beere« befestigt ist. Der Samen ist
hier durch Verwachsung von zwei Embryosäcken entstanden.
In einem jeden Embryosack hat sich ein eigenes Endosperm
entwickelt, und so stellt der Samen zwei Endosperme dar,
welche auf der oberen Seite nicht ganz miteinander verwachsen
sind und oben eine Einbuchtung bilden. Dadurch bekommt der
Samen eine herzförmige Form.
Im dritten Falle, wenn drei Embryonen vorkommen, liegen
zwei wie im früheren Falle und der dritte zwischen ihnen der-
art, dass dessen Cotyledonen zwischen den Cotyledonen der
beiden anderen Keimlingen gleichsam eingekeilt sind. Die Axen
aller drei Embryonen liegen in einer Ebene. In diesem Falle
kann die Frucht die Form eines Vierecks annehmen.
Van Tieghem gibt an, dass auch solche mit vier Em-
bryonen vorkommen, aber das muss man als eine sehr seltene
Abnormität betrachten. Nach einigen Autoren soll auf die Zahl
der Embryonen der Standort einen gewissen Einfluss ausüben:
so gibt z. B. Solms-Laubach^ für die coniferenbewohnenden
J Solms- Laubach, Cber den Bau und Entwicklung der Ernährungs-
organe parasitischer Phanerogamen. Pringsheim's Jahrb. f. Bot., VI, S. 604.
Frucht und Samen von Vt'scum. 455
Mistelformen einen Embryo an, für die auf Laubhölzern lebende
zwei oder mehrere. Kronfeld^ dagegen findet auch auf Ahorn
und Pappel einen grossen Procentsatz einsamiger Früchte. Ich
bin ebenso wie Kronfeld der Ansicht, dass der Standort diesen
Einfluss auf die Pflanze nicht ausübt, da ich öfters in den
Samen von einem und demselben Aste alle drei Fälle gefunden
habe.
Auf Querschnitten durch Samen sieht man, dass die
Zellen des Endosperms gross und parenchymatisch sind. Sie
sind voll von Stärkekörnern und führen Zellkern und eine
grosse Menge Chlorophyllkömer. Diese Thatsache hebt De-
caisne* hervor und sagt, dass es das einzige Beispiel ist,
dass so tief im Gewebe eine so grosse Masse von Chlorophyll-
körnern erzeugt wird.
Die Zellwände sind reichlich mit einfachen Tüpfeln ver-
sehen. Sie besitzen auch Intercellularräume, welche oben
gegen die Oberfläche viel seltener und enger sind, als gegen
das Innere des Samens. Die Epidermiszellen sind convex,
nach aussen und auf den Seitenwänden sehr verdickt (Fig. 1).
Sie führen auch Chlorophyll- und Stärkekörner wie die
anderen Zellen des Endosperms. Behandelt man die Schnitte
mit Chlorzinkjod, so färben sich die Zellwände des Endo-
sperms und die äussere Wand der peripherischen Zellen
differenzirt sich in drei Schichten.
Die erste von innen färbt sich violett wie die übrigen
Zellen des Endosperms. Sie ist also eine Celluloseschichte.
Nach dieser kommt eine andere, welche zwei bis dreimal so
dick ist (Fig. 1 c). Diese färbt sich mit dem genannten Reagens
braun. Die äusserste wird gelb bis gelblichbraun gefärbt. Nach
längerer Einwirkung des Reagens färbt sich die mittlere
Schichte tief braun und die äusserste (die später zu nennende
Wachsschichte) braun. Die Schnitte, mit concentrirter Schwefel-
säure behandelt, lösen sich ganz mit Ausnahme der mittleren
1 Kronfeld, Zur Biologie der Mistel. Biolog. Centralblatt, VII, Nr. 15
(1887), S. 459.
2 M. Decaisne, Sur le poUen et l'ovula du gui. Ann. sc, nat. 2. ser.
t. XIII (1840), p. 291.
456 G. Gjokic,
Membranschichte der Epidermiszellen. Diese wird braun ge-
färbt und rollt sich bei Einwirkung des Reagens zusammen.
Concentrirte Kalilauge färbt diese Schichte gelb.
Chromsäure löst dieselbe nicht auf. Mit Alkannareagens
färbt sie sich roth, so wie die äusserste Schichte.
Das Schulze*sche Gemisch lässt sie deutlicher hervor-
treten, während das übrige durchsichtiger wird. Diese mitt-
lere Zellwandschichte gibt also alle Reactionen, wie
die gewöhnliche Cuticula. Sie ist ziemlich mächtig ent-
wickelt und ist scharf abgegrenzt von der übrigen Zellhaut.
Diese so mächtige Cuticula trägt viel dazu bei, dass das im
Inneren des Samens enthaltene Wasser nicht verdunstet. Es
ist eine bekannte Thatsache, dass die Verdickung und Cuti-
cularisirung der Aussenwandungen der Epidermiszellen ge-
wöhnlich gleichen Schritt hält mit der Schutzbedürftigkeit der
darunter liegenden Gewebe gegen Austrocknung.
Die Pflanzen, welche in regenarmen Klimaten wachsen,
besitzen meistens solche Verdickung und Cuticularisirung der
äusseren Zellwände der Epidermis, welche die Transpiration
der Pflanzen auf ein sehr geringes Ausmass einzuschränken
vermögen.
Die Viscnm-Ssimen werden auf Ästen mit Viscinschleim
angeklebt und ihre Keimung fällt eben in eine Zeit, während
welcher die Niederschläge am spärlichsten sind, und die Luft
selbst ziemlich trocken ist. Sie sind also nur auf das, vor der
Fruchtreife in ihrem Innern enthaltene Wasser angewiesen.
Dieses Wasser schützen sie durch die cuticularisirte Schichte
vor Verdunstung. Wir werden gleich sehen, dass das genannte
Gewebe noch in anderer Weise die Samen vor Verdunstung
schützt. Es liegt über der Cuticula noch eine Schichte, welche
noch dicker ist (Fig. 1 fv). Sie ist nicht so solid gebaut,
sondern sie zeigt viele radiär verlaufende Spalten und Risse.
Sie färbt sich durch Chlorzinkjod, wie schon erwähnt wurde,
gelb bis gelblichbraun. Sie wird in Äther nach längerer Ein-
wirkung fast ganz gelöst. In absolutem Alkohol löst sie sich
theilweise. Nach 24 stündiger Einwirkung des Alkohols bleibt
noch immer ein Theil derselben ungelöst. Weiter löst sie sich
in Terpentinöl, Schwefelkohlenstoff und Benzol, sowie auch in
Frucht und Samen von Viscum. 457
Nelkenöl. Nach Einwirkung dieses Öles tritt besonders schön
die Differenzirung der cuticularisirten und Celluloseschichte
hervor.
Durch Alkannareagens färbt sie sich roth. Von concen-
trirter Schwefelsäure wird sie sofort angegriffen. Während der
Einwirkung der Säure werden die Spalten und Risse in dieser
äussersten Schichte der Wandverdickung grösser und die
ganze Schichte scheint aus Stäbchen zu bestehen. Diese
Stäbchen verschwinden sodann allmälig. Alles Reactionen,
welche auf einen fett- oder wachsartigen Körper
schliessen lassen.
Dieser fettartige Körper stimmt ganz mit dem von de
Bary^ und von Wiesner ^ als Wachs bezeichneten, der als
Überzug auf der Epidermis von Blättern, Stengeln und Früchten
vieler Pflanzen aufgelagert ist. Wie reichlich der Wachsüberzug
dem genannten Gewebe aufgelagert ist, geht daraus hervor,
dass ein auf einer Glasplatte liegender Mistelsamen, mit einigen
Tropfen Alkohol übergössen, auf dem Glase einen reichlichen
Fettüberzug zurücklässt.
Der hier bei Viscum album vorkommende stimmt der
Form nach mit keinem von de Bary und Wiesner beschrie-
benen ganz überein. Am ähnlichsten ist er dem Stäbchen-
überzug. Seine Stäbchen sind theils ganz verschmolzen, theils
bleibt noch eine Spalte zwischen ihnen. Betrachtet man den
Wachsüberzug in polarisirtem Lichte, so erweist er sich als
doppelbrechend. Für einige Wachsüberzüge wurde dieses Ver-
halten vor langer Zeit von Wiesner^ constatirt und dieser
Forscher wies nach, dass die Wachsüberzüge krystallinischen
Charakter haben und keine organisirten Formelemente sind,
wie dies vordem de Bary behauptet hatte.
Um den Schmelzpunkt des Wachses ungefähr zu bestim-
men, bediente ich mich zweier Methoden. Einige durch Samen
1 De Bary, über die Wachsüberzüge der Epidermis. Bot. Zeitung, 1871,
S. 128 ff.
3 J. Wiesner, Beobachtungen über die Wachsüberzüge der Epidermis,
Bot. Zeitung, 1871, S. 769.
8 J. Wiesner, über die krystallinische Beschaffenheit der geformten
Wachsüberzüge pflanzlicher Oberhäute. Bot. Zeitung, 1876, S. 225 ff.
458 G. Gjokic,
ausgeführte und mit Alkannin gefärbte Schnitte wurden auf
einen Objectträger gelegt und in einen- Trockenschrank ge-
geben.
Er wurde nun geheizt und ich controlirte von Zeit zu Zeit
durch mikroskopische Untersuchung, ob bereits ein Schmelzen
eingetreten war. Als das Thermometer eine Temperatur von
95** C. zeigte, war das Wachs ganz geschmolzen.
Es waren ausserhalb und innerhalb der Zellen kleine
rothe Tropfen zu sehen. Diese Temperatur dürfte w^ohl wegen
der Unvollkommenkeit der Methode etwas zu hoch gefunden
worden sein. Die zweite Methode bestand in folgendem Vor-
gang: Ein vom Endocarp befreiter Samen wurde auf einem
Objectträger mit absolutem Alkohol Übergossen. Das Wachs
wurde theilweise gelöst und nach Verdunstung des Alkohols
blieb ein krystallinischer Rückstand zurück. Das Erhitzen
geschah durch Eintauchen des Objectträgers in ein mit heissem
Wasser gefülltes Becherglas, welches mit einem Thermometer
adjustirt war. Das Wachs begann bei 80"* C. zu schmelzen und
war bei 85"* C. beinahe vollkommen geschmolzen. Bei der
trockenen Destillation des Wachses entsteht Acrole'fn, zum
Beweise, dass auch dieses »Pflanzenvvachs« aus Fetten (Gly-
ceriden) besteht oder enthält, was bezüglich zahlreicher
Wachsüberzüge pflanzlicher Hautgewebe zuerst von Wiesner
nachgewiesen wurde.^
Erst jetzt ist klar, in welchen Einrichtungen der so grosse
Transpirationsschutz der Viscum-Seimen, der dieselben auch
im Exsiccator keimen lässt, besteht. Der sogenannte Samen ist
also von einer stark verkorkten und einer Wachsschichte
umhüllt, die eine starke Verdunstung des im Samen enthaltenen
Wassers unmöglich macht. Nur durch diese Einrichtung ist es
der Pflanze möglich geworden, sich in den Gegenden ihres
jetzigen Verbreitungsbezirkes zu erhalten.
Führt man so die Schnitte durch den Samen, dass das
Hypocotyl quer durchschnitten wird, so sieht man, dass die
Zellen desselben parenchymatisch sind, aber kleiner als die der
Cotyledonen, voll von Chlorophyllkörnern, welche dem ganzen
1 L, c. s. 225 ff.
Frucht und Samen von Visctttn. 459
Hj'pocotyl eine dunkelgrüne Farbe geben und sehr viel Proto-
plasma enthalten.
Die peripherischen Zellen sind nicht isodiametrisch, son-
dern scheinen im Querschnitte etwas radiär gestreckt zu sein.
Sie sind stark verdickt und cuticularisirt (Fig. 2 c).
Diese starke Cuticularisirung der Epidermis des Hypo-
cotyls beschützt dasselbe vor allzugrosser Austrocknung und
natürlich auch vor anderen Einflüssen, wenn es aus dem
Samen hinaustritt.
Um das Hypocotyl ist noch eine Lage verschleimter
Zellen (Fig. 2 s) zu beobachten. Auf durch Samen geführte
Längsschnitten sieht man, dass. der Schleim erst an der Seile,
wo das Stengelchen an die Cotyledonen grenzt, nach oben sich
verbreitert. Sein Maximum findet sich dort, wo das Hypocotyl
aus dem Nährgewebe herausragt (Fig. 3).
Beiderseits vom Stengelchen befindet sich eine Einbuch-
tung und die verdickte Epidermis reicht in dieselbe auf zwei
oder drei Zellenlängen hinein (Fig. 3 c). Es kann keinem
Zweifel unterliegen, dass sich diese schleimige Masse aus dem
Endosperm ausgebildet hat. Die Zellen des Endosperms sind
gar nicht abgegrenzt von diesem Schleim, vielmehr sieht man,
wie die Zellen allmälig in denselben übergehen: die Zellwände
werden immer dünner, bis sie kaum mehr erkennbar sind. Im
Schleim selbst erkennt man die Contouren der Zellen. Pitra^
konnte sich nicht entscheiden, ob dieser Schleim aus den
Endospermzellen entstanden ist oder ob er aus dem Hypocotyl
ausgeschieden ist.
In der Einbuchtung zwischen dem Hypocotyl und der
Epidermis des Nährgewebes finden sich einige verschleimte
Zellen (Fig. 3). Wahrscheinlich sind das noch nicht ganz ver-
drängte Zellen der Blüthenaxe.
Am Scheitel des Hypocotyls befindet sich auch dieser
Schleim. Er färbt sich mit Chlorzinkjod gelb und mit Ruthenium-
sesquichlorür roth. Dieser Schleim erleichtert dem Hypocotyl
das Hinaustreten aus dem Nährgewebe während des Wachs-
^ A. Pitra, Über Anheftungsweise einiger phanerogamer Parasiten an
ihre Nährpflanzen. Bot. Zeitung, 1861, S. 54.
460 G. Gjokic,
thums und schützt das Nährgewebe vor zu starker Tran-
spiration.
Durch das Stengelchen verläuft ein aus Spiralgefassen
bestehendes Gefässbündel, das sich in zwei Bündel theilt,
welche in die Cotyledonen gehen.
Jeder Embryo hat zwei Cotyledonen, die so knapp an-
einanderliegen, dass die Wände der sich berührenden Zellen
an vielen Stellen verwachsen. Die Spitzen der Cotyledonen
sind in der Regel frei, obwohl auch hier die Verwachsung vor-
kommt.
Die Cotyledonen fallen durch ihre grünlichweisse Farbe
ins Auge, während ihr Stengelchen dunkelgrün erscheint und
der ganze Embryo liegt in grünem Endosperm.
Sind zwei oder drei Keimlinge in dem Samen vorhanden,
dann verwachsen sie in der Regel so, wie die zwei Cotyledonen
eines und desselben Keimlings, aber nie so weit, dass die Coty-
ledonen ein homogenes Gewebe darstellen. Decaisne^ war
der Meinung, dass die Cotyledonen in unreifem Zustande ver-
verwachsen, in reifem dagegen frei sind. Dieser Meinung trat
Treviranus^ entgegen und behauptete, dass beide Coty-
ledonen, wenn ein Keimling, alle vier, wenn zwei Keimlinge
vorhanden sind, in der vollständig ausgebildeten Frucht voll-
kommen so miteinander verwachsen, dass man keine weitere
Spur der vormaligen Trennung als eine leichte Ausrandung
wahrnimmt, inwendig aber eine vollkommene Continuität der
Substanz stattfindet.
Auch diese Angabe kann ich nicht in Allem bestätigen.
Vollkommene Verwachsung der Cotyledonen habe ich nirgends
gesehen, aber eine partielle, und zwar in der Nähe der Spitzen
habe ich, obwohl sehr selten, doch bestimmt beobachtet. Die
äussere Schichte der Cotyledonen bildet eine Oberhaut aus,
deren Zellen sich bezüglich der Wandverdickung gar nicht von
den darunterliegenden Zellen unterscheiden.
An den Spitzen der Cotyledonen ist das Zellgewebe be-
sonders zart und fällt schon durch seine hellere, fast weisse
1 M. Decaisne, Mem. s. 1. Gui. Mem. d. Bruxelles XIII.
*^ L. C. Treviranus, 1. c, p. 161.
Frucht und Samen von Viscitm. 46 1
Farbe auf. Durch die Zellen der Cotyledonen geht das Auf-
saugen der Nährstoffe aus dem Endosperm vor sich.
Viscum orkntale.
Um die Einrichtungen, welche dem Transpirationsschutze
der Samen von Viscum album zu Grunde liegen, vollständig
zu untersuchen, war es nöthig, auch einige Samen der tro-
pischen Arten, welche dieses Transpirationsschutzes entbehren
in Untersuchung zu ziehen.
Das Untersuchungsmaterial bestand zum Theil aus in
Alkohol conservirten, theils getrockneten Exemplaren der
genannten Art, welche Herr Hofrath J. Wiesner im Jahre 1893
in Java gesammelt hat.
Die Beeren von Viscum Orientale sind der Farbe und der
Grösse nach den Früchten von Loranihus europaeus sehr ähn-
lich. Bei der fleischigen Hülle ist die Viscinschicht im Vergleiche
zu Viscum album sehr schwach entwickelt. Ihre Elemente sind
der Form nach denjenigen von Viscum album gleich und sind
gerade so radiär gegen den Samen angeordnet.
Der Viscinschleim färbt sich mit Chlorzinkjod oder mit
Jodtinctur-4- Schwefelsäure violett oder blau und verhält sich
überhaupt gegen Reagentien wie gewöhnliche Cellulose.
Die äussere Schichte der fleischigen Hülle stimmt sehr mit
der von Viscum album überein.
Der sogenannte Samen hat die herzförmige Gestalt, wie
die mit zwei Embryonen versehenen Samen von Viscum album,
nur ist er relativ dicker und abgerundeter. Er besitzt stets einen
seitlich gelegenen Embryo. Auf den Querschnitten durch den
Samen kann man beobachten, dass die Epidermiszellen des
Endosperms radiär gestreckt sind und dass sie nach aussen
eine schwache Verdickung im Vergleiche mit der von Viscum
album erfahren haben (Fig. 4).
In mit Chlorzinkjod behandelten Schnitten färben sich die
Zellwände violett, nur die äussere Schichte der verdickten Epi-
dermis braun. Letztere wird in concentrirter Schwefelsäure
nicht gelöst, sondern braun gefärbt. Mit Alkannin färbt sie sich
roth. Diese Schichte verhält sich also wie die Cuticula einer
Oberhaut.
462 G. Gjokic,
Der Samen entbehrt jenes bei V. album beschriebenen
Wachsüberzuges. Es wurde keine Spur von demselben, weder
bei den Samen aus Alkoholmaterial, noch bei den, welche
dem Herbarium entnommen wurden, aufgefunden. Die Samen
von tropischen Viscum-hrien brauchen keinen Transpirations-
schutz, da sie sich in sehr feuchter Luft während der Keimung
befinden, und es steht ihnen auch reichlich liquides Wasser
zur Verfügung.
Die Epidermiszellen sind sehr protoplasmareich und führen
keine Stärkekörner, wie ich es bei Viscum albnnt beschrieben
habe. Die übrigen Zellen des Endosperms sind von Stärke-
körnern erfüllt. Die Zellwände sind mit einfachen Tüpfeln ver-
sehen und bilden regelmässig Intercellularräume.
Um das Stengelchen hatte der Schleim an meinem Material
seine Klebrigkeit in Alkohol so weit eingebüsst, dass er nicht
mehr im Stande war, den KeimUng während des Schneideni^
festzuhalten, sondern derselbe fiel gleich heraus.
Die Epidermiszellen des Stengelchens sind verdickt, aber
relativ schwächer als bei Viscum album. Die Elemente des
Endocarps sind parenchymatische Zellen und Spiralgefässe.
Die ersteren sind weder netzförmig verdickt, noch verholzt
wie bei Viscum album und führen viele Krystalldrusen von
oxalsaurem Kalke.
Viscum articulatum.
Die Beeren sind beinahe kugelrund, klein und gleich denen
von Viscum Orientale sehr arm an Viscinschleim. Derselbe ist
an den flachen Seiten des Samens reicher angelagert als
anderswo. Der Samen ist linsenförmig gestaltet und besitzt
nur einen Embryo, der an der Seite mit seinem Stengelchen
austritt.
Der Same ist ebenso frei von Wachsüberzug wie der von
Viscum Orientale.
In allen anderen anatomischen Einzelheiten ist er ähnlich
jenem von Viscum Orientale.
Zusammenfassung der Ergebnisse.
1. Die beim Öffnen einer Mistelbeere sich bildenden Viscin-
schleimfäden sind künstlich ausgezogene Zellen, welche je
Frucht und Samen von Viscnm. 463
nachdem, ob sie stark ausgezogen sind oder nicht, ihre spiralige
Wandstructur erkennen lassen oder nicht. Sie geben alle
Reactionen der gewöhnlichen Cellulose und lösen
sich in Kupferoxydammoniak.
2. Die verholzten Elemente des Endocarps von V. albtim
sind: Netzförmig verdickte abgeplattete Zellen und Spiral-
gefässe.
3. Der das Hypocotyl umgebende Schleim ist verschieden
von dem Viscinschleim. Mit Chlorzinkjod wird er gelb, mit
Ruthenium sesquichlorür schön roth gefärbt. Er bildet sich
durch Verschleimung der Endospermzellen und büsst seine
Klebrigkeit in Alkohol ein.
4. Die Epidermis der Samen von Viscnm albnm ist sehr
verdickt und cuticularisirt und besitzt einen mächtig ent-
wickeltendoppeltb rechenden krystallinischen Wachs-
überzug, welcher häufig radiär verlaufende Risse und
Spalten zeigt.
Der Schmelzpunkt des Wachses liegt zwischen 80—90*" C.
5. Die Cotyledonen von zwei oder drei Embryonen ver-
wachsen in der Regel nicht so, dass sie ein homogenes Gewebe
darstellen, sondern es ist ihre Begrenzung an der Verwach-
sungsstelle sichtbar.
6. Die Samen der tropischen Viscnm- Äxten: V. Orientale
und V. articnlaium entbehren jenes Wachsüberzuges, und
selbst die Cuticula ist schwächer entwickelt als bei Viscnm
albnm.
7. Das Endocarp bei tropischen Viscnm-Avien unterscheidet
sich dadurch von dem des Viscnm albnm, dass die abgeplatteten
Zellen weder netzförmig verdickt, noch verholzt sind.
8. Der exceptionell starke, von Wiesner zuerst experi-
mentell nachgewiesene Transpirationsschutz der Samen von
Viscnm albnm wird bewerkstelligt durch starke Cuticularisirung
der Epidermis des Endosperms und durch einen mächtig ent-
wickelten, diese Epidermis überdeckenden Wachsüberzug. Der
Transpirationsschutz wird weiter vervollständigt durch die Cuti-
cularisirung der Epidermis des Hypocotyls und durch die Ver-
schleimung der dasselbe umgebenden Endospermzellen.
464 G. Gjokic, Frucht und Samen von Viscum.
Erklärung der Abbildungen.
Fig. 1. Querschnitt durch einen Samen von Viscum album. Vergr. 305. ir =
Wachsschicht mit radiären Rissen, C= Cuticula.
Fig. 2. Querschnitt durch das Hypocotyl im Endosperm von Viscufn album.
Vergr. 305. C= Cuticula, 5 = Schleim um das Hypocotyl, ^ = an den
Schleim anstossende EndospermzcUen.
Fig. 3. Längsschnitt durch das Hypocotyl sammt Endosperm. Viscum album.
Vergr. 140. 5 = Schleim um das Hypocotyl, C= Cuticula der peri-
pherischen Endospermzellen. Viscum album.
Fig. 4. Querschnitt durch den peripheren Theil (Endosperm) des Samens von
Viscum Orientale. Vergr. 610. C= Cuticula, b = Epidermiszellen.
Fig. 5. Querschnitt durch den Samen von Viscum ariiculalum. Vergr. 610.
C= Cuticula.
Fig. 6. Netzförmig verdickte Zellen des Endocarps. Flächenansicht von Viscum
album. Vergr. 610.
Fig. 7. Ein Stück etwas ausgezogener Viscinzelle aus Viscutn album. Vergr. 305.
G.Gjokic: Frucht undSamen von Yiorum.
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5.
Autor del l.ith Anit v Tli Bunnwarth Wien
Si tzungfsberichte d.kais Akad. d. Wiss., math.-naturw.Classe, Bd.CV. Abth. I. 1h96.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
MATHEMATISCH - NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CV. BAND. VII. HEFT.
ABTHEILUNG I.
ENTHALT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE,
KRYSTALLÜGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE.
PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN.
467
XVII. SITZUNG VOM 2. JULI 1896.
Erschienen: Monatshefte für Chemie, Bd. 17, Heft IV (April 1896).
Herr Prof. P. Lenard in Aachen dankt für die ihm von
der kaiserl. Akademie zuerkannte Hälfte des A. Freiherr
V. Baumgartner'schen Preises.
Das c. M. Herr Prof. Franz Exner übersendet eine in
seinem Institute ausgeführte Arbeit des Herrn Dr. A. Lampa:
Ȇber die Brechungsexponenten einiger Substanzen
für sehr kurze elektrische Wellen«.
Ferner übersendet Herr Prof. Exner eine gleichfalls in
seinem Institute ausgeführte Arbeit des Herrn A. Hauke:
»Über die Refractionsäquivalente der Elemente.«
Das c. M. Herr Prof. H. Moli seh in Prag übersendet eine
Abhandlung von Dr. J. Stoklasa: Ȇber die Verbreitung,
und physiologische Bedeutung des Lecithins in der
Pflanze«.
Das c. M. Herr Prof. W. Wirtinger in Innsbruck über-
sendet eine Abhandlung: Ȇber eine Eigenschaft des
Potentials bei Annahme eines Green*schen Wirkungs-
gesetzes«.
Das w. M. Herr Hofrath Prof. Wiesner überreicht eine
unter Mitwirkung der Herren Dr. Figdor, Dr. Krasser und
Dr.Linsbauer ausgeführteUntersuchung über das photo-
chemische Klima von Wien, Buitenzorg und Cairo.
Silzb. d. mathem.-naturw. Cl.; CV. Bd., Abth. I. 31
468
Das \v. M. Herr Prof. Friedr. Brauer macht die Mit-
theilung, dass es ihm im Vereine mit Herrn Assistenten Anton
Handlirsch durch die freundliche Mitwirkung des Herrn
Alois Kraus, Inspector der kaiserl. Menagerie zu Schönbrunn,
gelungen ist, den bisher nur im Larvenzustande bekannten
Oestriden des indischen Elephanten (Cobboldta elephantis C oh.)
zur Verwandlung zu bringen.
Das w. M. Prof. H. Weidel überreicht drei Arbeiten aus
dem I. ehem. Laboratorium der k. k. Universität in Wien:
1. »Studien über die Phtaleine« von J. Herzig und
H. Meyer.
2. »Über das Y-Acetacetylchinolin« von H. Weidel.
3. »Über das a-Acetacetylpyridyl« von C. Micko.
Der Vorsitzende legte das erste, aus sechs Tafeln und
einem begleitenden Text bestehende Heft des photographi-
schen Atlas des Mondes vor, dessen Herausgabe die
Pariser Sternwarte unternommen hat.
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
Koelliker A., Handbuch der Gewebelehre des Men-
schen. (Sechste umgearbeitete Auflage.) II. Bd., II. Heft.
Nervensystem des Menschen und der Thiere. (Mit
Textfiguren Nr. 549—845, nebst Titel und Inhalt zum
II. Band.) Leipzig, 1896; 8<>.
Loewy M. und Puiseux J., Atlas photographique de la
Lune. Public par l'Observatoire de Paris. Premier fascicule
(comprenant Introduction et 6 Planches). Paris, 1896; gr.
Folio.
469
XVIII. SITZUNG VOM 9. JULI 1896.
Erschienen: Sitzungsberichte, Bd. 105, Abth. 11. a., Heft 11 — IV (Februar
bis April 1896).
Der Secretär legt Dankschreiben für bewilligte Subven-
tionen von den Herren Prof. Dr. V. U h 1 i g und Prof. Dr. F. B e c k e
in Prag vor.
Herr Prof. Dr. L. Weine k, Director der k. k. Sternwarte in
Prag, übermittelt als Fortsetzung seiner photographischen
Mondvergrösserungen 19 weitere Blätter von speciellen
Gegenden des Mondes mit hierauf bezüglichen Erläuterungen.
Das c. M. Herr Regierungsrath Prof. Dr. C. Freiherr von
Ettingshausen übersendet eine Abhandlung: Über neue
Pflanzenfossilien in der Radoboj-Sammlung der Uni-
versität Lüttich«.
Das c. M. Herr Prof. Franz Exner übersendet eine in
Gemeinschaft mit Herrn E. Haschek, stud. phil., ausgeführte
Arbeit: Ȇber die ultravioletten Funkenspectra der
Elemente« (IV. Mittheilung).
Herr Dr. Max Bamberger in Wien übersendet eine Arbeit:
Ȇber den Nachweis von Argon in dem Gase einer
Quelle in Perchtoldsdorf bei Wien«.
Das c. M. Herr Prof. Dr. Zd. H. Skraup übersendet eine
Abhandlung: »Über die Cincholoiponsäure«.
Das c. M. Herr Prof. Guido Goldschmiedt übersendet
folgende sechs Arbeiten aus dem chemischen Laboratorium der
k. k. deutschen Universität in Prag:
31*
470'
1. Ȇber die Einwirkung von Jodmethyl auf Papa-
verinsäure« von G. Goldschmiedt und A. Kirpal.
2. »Über Allentricarbonsäureester« von G. Gold-
schmiedt und G. Knöpfer.
3. »Über Indolinone«, von Prof. Karl Brunner.
4. »Über ß-Benzoylpicolinsäure und ß-Phenylpyri-
dylketon«, von Dr. Berthold Jeiteles.
5. »Zur Kenntniss derArachinsäure«, von Max
Baczewski.
6. »Zur Kenntniss der Wirkung des Aluminium-
chlorids«, von Dr. Moriz Freund.
Das c. M. Herr Prof. Dr. H. Molisch übersendet eine im
pflanzenphysiologischen Institute der k. k. deutschen Uni-
versität in Prag von dem Herrn Privatdocenten Dr. A. Nestler
ausgeführte Abhandlung, betitelt: »Untersuchungen über
die Ausscheidung von Wassertropfen an den Blättern«.
Der Secretär legt eine Abhandlung von Prof. E. Waelsch
an der k. k. technischen Hochschule in Brunn: Ȇber die
Lame*schen Polynome zweiter Ordnung einer Form
fünfter Ordnung« vor.
Herr Dr. Alfred Burgerstein in Wien übersendet eine
Arbeit, betitelt: »Weitere Untersuchungen über den histo-
logischen Bau des Holzes der Pomaceen nebst Be-
merkungen über das Holz der Amygdaleen«.
Die Herren Professoren Dr. J. Mauthner und Dr.W. Suida
\n Wien übersenden eine gemeinsam ausgeführte Arbeit unter
dem Titel: »Beiträge zur Kenntniss des Cholesterins«
(IV. Abhandlung).
Herr Prof. Dr. V. Hilber in Graz übersendet eine Ab-
handlung, betitelt: »Geologische Reise in Nord-Griechen-
land und Türkisch-Epirus 1895«.
Das w. M. Herr Regierungsrath Prof. E. Mach überreicht
eine Abhandlung von Dr. Ludwig Mach, betitelt: »Weitere
Versuche über Projectile«.
471
Das w. M. Herr Hofrath Prof. Boltzmann legt folgende
drei Abhandlungen vor:
Die erste von ihm selbst unter dem Titel: Ȇber die
Berechnung der Abweichungen der Gase vom Boyle-
Charles'schen Gesetz und die Dissociation«.
Die zweite von Herrn Prof. Ignaz Klemencic in Inns-
bruck: >Über permanente Magnete aus steirischem
Wolframstahl«.
Die dritte von Herrn Theodor Wulf in Innsbruck: Ȇber
Rückstandsbildung und Oscillationen bei verschie-
denen Condensatoren«.
Das w.M. Herr Hofrath Director F. Steindachner legt
einen kurzen vorläufigen Bericht über die zoologischen
Arbeiten im Rothen Meere während der Expedition
Sr. Majestät Schiff »Pola« in den Jahren 1895 und 1896
(von October 1895 bis Ende April 1896) vor.
Das w. M. Herr Hofrath Prof. Ad. Lieben überreicht eine
in seinem Laboratorium ausgeführte Untersuchung von Dr. Fritz
Blau: Ȇber die Einwirkung von Brom auf Chlor-
wasserstoff saure Salze und ein Verfahren zur ex acte n
Bestimmung der beiden Halogene nebeneinander«.
Femer überreicht Herr Hofrath Lieben noch zwei andere
Arbeiten aus seinem Laboratorium, nämlich:
1. »Studien über den Desoxaläther«, von A. Steyrer
und W. Seng.
2. »Löslichkeitsbestimmungen von Salzen der Ca-
pronsäure und önanthylsäure«, von E. Altschul.
Das w. M. Herr Prof. Sigm. Exner legt eine Untersuchung
vom Herrn Privatdocenten Dr. L. Rethi vor, welche im physio-
logischen Institute der Wiener Universität ausgeführt wurde,
betitelt: »Experimentelle Untersuchungen über den
Schwingungstypus und den Mechanismus der Stimm-
bänder bei der Falsettstimme«.
Herr Prof. Sigm. Exner überreicht ferner eine Abhandlung
von stud. med. Friedrich Schenk, Demonstrator am zahn-
472
ärztlichen Institute der k. k. Universität in Wien, betitelt
*Die erste Unterkiefer- und Alveolenanlage«.
Das w. M. Herr Director E. Weiss überreicht eine Ab-
handlung des Universitäts-Docenten und Adjuncten der k. k.
Sternwarte in Prag Dr. Rudolf Spitaler, betitelt: »Bahn-
bestimmung des Kometen 1890 VII (Spitaler).
Das w. M. Herr Prof. H. Weidel überreicht zwei Arbeiten
aus dem I. chemischen Laboratorium der k. k. Universität in
Wien:
1. »Studien über Quercetin und seine Derivate,«
(XII. Abhandlung), von Dr. J. Herzig.
2. »Über zwei isomere Nitrosophloroglucindiäthyl-
äther,« von D. Moldauer.
Herr Dr. Heinrich Albrecht in Wien überreicht eine
Arbeit, betitelt: »Beitrag zur vergleichenden Anatomie
des Säugethierkehlkopfes«.
473
Ober neue Pflanzenfossilien in der Radoboj-
Sammlung der Universität Lüttieh
Prof. Dr. Constantin Freih. v. Ettingshausen,
c. M. k. Akad.
(Mit 5 Tafeln und 4 Textfiguren.)
Herr G. Dewalque, Professor an der Universität in Lüttich,
hatte die Güte, die in dem dortigen geologischen Institut auf-
bewahrte Sammlung von Pflanzenfossilien aus Radoboj in
Croatien mir zur Untersuchung zu senden.
Diese Sammlung ist schon insofern von nicht geringem
Interesse, als sie zu einer Zeit, bevor Franz Unger, Adolf
V. Morlot und ich die genannte paläontologisch wichtige
Fundstätte betraten, zu Stande gekommen ist.
Die Untersuchung der Pflanzenfossilien lieferte eine Reihe
von Ergänzungen der fossilen Flora von Radoboj. Es haben
sich neue Arten der Gattungen Myrica, Qnercus, Apocyno-
phyllum, Pterocelastrns, Celastrns, Vitis und Crataegus ge-
funden. Bisher bestandene Zweifel über das Vorkommen einiger
Arten in dieser Flora, z. B. Arundo Goepperti Heer, Myrica
Ugnttnm Ung., Ficus lanceolata Heer, Daphnogene paradi-
siaca Ung., Acer trilobatum A. Braun, Sapindus Pythii Ung.,
Podogoninm Knorii Heer und Cassia Phaseolites U n g., konnten
beseitigt werden; endlich ist die genauere Kenntniss mehrerer
Arten, wie von Cystoseira communis \Jn g., Xylomites umbili-
catns Ung., Callitris Brongniartii Endl., Ulmus bicornisUng.y
Oka OsirisJJng., Apocynophyllufn Amsonia Ung., Magnolia
Dianae Ung., Acer campylopteryx Ung., Banisieria Centan-
rornm Ung. und Sapindus Unger i Ett. durch die Untersuchung
instructiver Exemplare gefördert worden.
474 C. V. Ettingshausen,
Die vom Verfasser in den Beiträgen zur fossilen Flora von
Radoboj (Sitzungsber., LXI. Band, I. Abth., 1870) aufgestellten
allgemeinen Resultate finden durch das neue Material ihre
Bestätigung. Dass die Pflanzen dieser Flora von verschiedenen
Standorten herstammen, beweist das Vorkommen einer MyTtca-
Art, entsprechend der M. Gale L. und das einer tropischen
Apocynacee. Erstere wuchs als gemässigte Art auf einem
Gebirge zusammen mit Arten von Betula, Fagtis, UJmus, Popnlus^
Acer u. A.; letztere im Thale zusammen mit Arten von Canna-
ceen, Palmen, Ficus^ Artocarpeen, Cinchonaceen, Sapotaceen,
Ebenaceen, Bombaceen, Cedrelaceen, Malpighiaceen, Sapinda-
ceen, Engelhardtia, Caesalpinien u. A. Dazwischen waren die
subtropischen und wärmeren gemässigten Arten, wie die von
Myrtaceen, Laurineen, Magnoliaceen, Oleaceen, Celastrineen,
Ilicineen, Rhamneen u. A. verbreitet.
Beschreibung der Arten.
Thallophyta.
Algfae.
Cystoseira communis Ung. sp.
Syn. Cystoseirites communis Ung. Chloris protogaea, p. 125, t. 38, f. 1, 2. —
C. affinis Ung., I. c. p. 126, t. 39, f. 3. — C. graciiis Ung., 1. c. p. 126,
t. 39. f. 2.
Es ist schon in meinen oben citirten Beiträgen zur fossilen
Flora von Radoboj bemerkt worden, dass Cystoseira affinis und
C. graciiis aus den Schichten von Radoboj von C communis
der Art nach nicht verschieden sind und höchstens als Varie-
täten der letzteren gelten können. In der Sammlung der Uni-
versität Lüttich befinden sich deutliche Übergangsformen
zwischen C. communis und C. affinis.
Fungi.
Xylomites umbilicatus Ung.
Unger, Chloris protogaea, p. 3, t. 1, f. 2.
Auf einem Blatte der Olea Osiris Ung. kommt ein Pilz
vor, welcher mit dem a. a. O. beschriebenen so viel überein-
Pflanzenfossilien der Radoboj-Sammlung. 475
Stimmt, dass ich die Gleichartigkeit beider annehmen zu können
glaube. Ob ein ähnlicher, auf einem Blatte von Apocyttophyllum
ilw5oma Ung. vorkommender Pilz ebenfalls dahin gehört, ist
zweifelhaft, jedoch nicht sehr unwahrscheinlich, da der von
Unger abgebildete auf einem Blatte in Erscheinung tritt,
welches weder zu Olea, noch zu Apocynophylltim gehört,
somit dieser Pilz jedenfalls auf verschiedenen Dicotyledonen-
Blättern seinen Wohnsitz hatte.
Cormophyta.
Gymnospermae.
Coniferae.
Callitris Brongniartii Endl.
Syn. Thuites callitrina\3nz. Chloris protogaea, p.22, t. 6, f. 1—8; t. 7, f. 1 — 1 1.
Unger hat nur an einem Exemplar dieser Art (1. c. t. 7, f. 3)
eine männliche Blüthe nachgewiesen. In der Lütticher Univer-
sitätssammlung befindet sich ein Zweigchen dieser Art mit
fünf solchen Blüthen an den Enden der Verzweigungen.
Libocedrus salicomioides Ung. sp.
Syn. Thuiies salicomioides Ung. 1. c. p. 11, t. 2, f. 1—4, 7.
Von den gegliederten Ästen dieser Cupressinee, welche
gleich denen der analogen jetzt lebenden Libocedrus -hritn
leicht zerbrechlich waren, finden sich im Biliner Tertiärbecken
und anderwärts nicht selten einzelne Glieder, welche man für
mit schmalen Flügeln versehene Samen halten könnte und
daher manchmal zu Täuschungen Anlass gegeben haben. Es
liegt mir ein 7 mm langes und am oberen Ende 4 mm breites,
flaches Fossil, das ein solches Glied repräsentirt, aus genannter
Sammlung vor.
Angiospermae.
Monocotyledones.
Gramineae.
Arundo Goepperti Heer.
0. Heer, Tertiärflora der Schweiz, Bd. I, S. 62, Taf. 22, Fig. 3; Taf. 23.
Die von Unger unter der Benennung jBafw^/5/«f« sepuUnm
I.e. p. 128, t. 40, Fig. I, 2 beschriebenen und abgebildeten
476 C. V. Ettingishausen,
Gramineen-Reste aus Radoboj sind von O. Heer als Arufiäo-
Reste erklärt und obiger Art einverleibt worden. Die in der
Sammlung der Universität Lüttich enthaltenen Gramineen-Reste
von ebendaher, Halmbruchstücke theils mit, theils ohne Blatt-
fragment, passen am besten zu Arunäo, daher ich die Ansicht
Heer's auch hiernach bestätigen kann.
Dicotyledones.
Apetalae.
Myricaccae.
Myrica lignitum Ung. Forma angustifolia.
Taf. 1, Fig. 3.
Etlingsh. u. Standf., Über Myrica lignitum. Denkschriften, LIV. Bd., S. 256,
Taf. I, Fig. 8—11.
Weder Unger noch ich konnte diese Art in der fossilen
Flora von Radoboj bis jetzt nachweisen, obgleich die Annahme
nahe lag, dass zu den zahlreichen Arten, welche diese Flora
mit anderen Tertiärfloren gemein hat, auch die in der Tertiär-
formation so weit verbreitete Myrica lignitum sich finden
werde. Es ist daher das zweifellose Vorkommen eines Blattes
dieser Art unter den Radoboj -Fossilien der Lütticher Univer-
sitäts-Sammlung von besonderem Interesse.
Das Blatt kann mit denen von Qnercns Lonchitis Ung.
leicht verwechselt werden, daher die Abbildung und eine
genauere Beschreibung desselben hier wohl am Platze ist. Der
Abdruck verräth eine derbe lederartige Textur, wie solche an
den Blättern der Myrica lignitum stets zu beobachten ist, und
ausserdem die für die Blattfossilien dieser Art charakteristische
feinkörnige Structur, welche von den dichtgedrängten Drüsen
herrühren. Die Form der Lamina ist schmallanzettlich, gegen
Spitze und Basis gleichmässig verschmälert. Letztere ist leider
vor dem Beginn des Stieles abgebrochen; doch lässt sich ent-
nehmen, dass die Basis daselbst nicht abgerundet war, wie bei
dem Blatte der Qttercus Lonchitis und der ihr analogen jetzt-
lebenden Q. lanceolata. Sehr charakteristisch ist die Zahnung
des Randes. Die spärlichen, unregelmässig vertheilten und
ungleichen Zähne entspringen unter spitzen Winkeln, sind
Pllanzenfossilien der Radoboj-Sammlung. '^17
daher nach vorn geneigt und schliessen sehr spitze Buchten
ein, wodurch die gezähnte Myrica lignitum von allen ähnlichen
Eichenblättem unterschieden werden kann. Die Nervation ist
zwar mangelhaft erhalten, man bemerkt jedoch deutlich einen
an der Basis hervortretenden, gegen die Spitze zu allmälig
verfeinerten Primärnerven und unter wenig spitzen Winkeln
entspringende feine Secundärnerven, was zur Nervation der
genannten Art vollkommen stimmt. Es bleibt nur noch die
Beantwortung der Frage übrig, ob die zwei von Unger für die
Flora von Radoboj aufgestellten Arten, M. integrifolia und
M. salicina noch Geltung haben oder mit der Forma angusti-
folia der M ligniium, welche auch ungezähnte Blätter auf-
weist, vereinigt werden sollen. Um das zu entscheiden, müsste
ein reichlicheres Material derselben aus den Schichten von
Radoboj vorliegen, was künftigen Forschungen vorbehalten
bleibt.
Myrica Palaeo-Gale sp. n.
Taf. I, Fig. 2.
M. foliis subcoriaceis, breviter petiolatis, obovato-cuneatis,
apice subobtuso paullo angustatis, integerrimis; nervatione
mixta, craspedo-camptodroma; nervo primario recto, basi pro-
minente, apicerri versus valde attenuato, nervis secundariis
tenuissimis, sub angulis 60 — 70° orientibus, superioribus cras-
pedodromis, inferioribus camptodromis; nervis tertiariis vix
conspicuis.
Bei der Bestimmung dieses kleinen Blattfossils müssen
mehrere Ordnungen, in welchen mehr oder weniger ähnliche
Blätter vorkommen, in Betracht gezogen werden. Die Merk-
male, welche hiebei besonders zu beachten sind, betreffen die
ziemlich derbe, fast lederartige Consistenz, den auffallend kurzen
Stiel, in dem die Lamina sich nur wenig verschmälert, die Form
der letzteren, welche länglich-verkehrt-eiförmig erscheint und
daher auch als nahezu keilförmig gelten kann, die fast ab-
gerundet-stumpfliche Spitze, von welcher gegen die Mitte der
Lamina herab die Randzähne ziehen, deren stumpfliche Spitzen
nach vorn gekehrt sind, während von da an gegen die Basis
zu der Rand ungezähnt ist Die Nervation zeigt einen geraden.
478 C. V. Ettingshausen,
bis zur Mitte des Blattes hervortretenden, dann aber gegen die
Spitze zu sehr verfeinerten Primämerven und sehr feine, ein-
ander ziemlich genäherte, schwach bogenförmige, zum Theil
etwas geschlängelte Secundämerven, welche in den Rand-
zähnen endigen, am unteren Theil jedoch, wo diese fehlen, vor
dem Rande verfeinert endigen. Von Tertiämerven sind nur
Spuren erkennbar, welche auf kurze, von der Aussenseite der
Seeundären unter spitzen Winkeln abgehende Nerven hin-
weisen. Ein Blattnetz hat sich nicht erhalten.
Kleine Blätter von den angegebenen Eigenschaften finden
wir bei Myrica, Quercus, Ulmus, Salix, Protaceen, Phillyraea,
Myrsine, Arbutus^ Vaccinium, Weinntannia, Ceratopeialmn,
Cunonia, Ternstroemia, CelastrnSyHartogiayIlex,Euphorbisiceen,
Pomaceen, Rosaceen, Amygdaleen, also in zahlreichen Fällen,
vertheilt auf alle Abtheilungen der Dicotyledonen, und es musste
eine sorgfältige Vergleichung der Eigenschaften vorgenommen
werden, deren Resultate hier in Kürze folgen. Zunächst habe
ich über die Vergleichung der lebenden Arten zu berichten. In
der Gattung Myrica kommt keine Art so nahe der fossilen als
M. Gale L. Aus der Reihe der Blattformen dieser Art, welche
in meiner Abhandlung »Beiträge zur Phylogenie der Pflanzen-
arten«, Denkschriften, XLIII. Band, Taf. 11, in Naturselbstdruck
wiedergegeben sind, stimmen Fig. 17 — 23 und* Fig. 32 — 34 mit
dem Fossil in allen Eigenschaften am besten überein. Das Blatt
Fig. 34 ist mit diesem fast congruent, nur scheint die Textur
beim fossilen etwas derber zu sein. Bei Quercus kommt eine
Reihe kleinblätteriger Arten vor, von denen Q, pJtillyreoides,
Q.Fenzlii und Q, Calliprinos die meiste Ähnlichkeit mit unserem
Fossil bieten. Es unterscheiden sich aber dieselben von letz-
terem durch die viel derbere Textur, die stets breitere Basis
der Lamina und durch die oft mit Domspitzen versehenen
Zähne des Blattes (von solchen ist beim Fossil keine Spur)
auffallend.
Bei Ulmus ist U. japonica Sieb, als Ähnlichkeit in dem
Blatte anzuführen, wo aber eine andere (meist schiefe und
breitere) Basis der Lamina, dann grössere, stumpfere, bis zur
Basis herabreichende Randzähne einen wesentlichen Unter-
schied bilden. Die kleinblätterigen Arten von Salix, wie S.arbnS'
Pflanzenfossilien der Radoboj-Sammlung. 479
cula L, S. ambigua Ehrh. u. A. stimmen zwar in der Form
und Randzahnung des Blattes mit dem Fossil überein, unter-
scheiden sich aber von demselben durch die Nervation, da
sie längere und stärkere, mehr bogenförmige Secundämerven
besitzen.
Protaceen bieten in Arten von Banksia, Hakea, Grevillea,
Bellendenia u. A. nur entfernte Ähnlichkeiten mit unserem
Fossil, die theils durch die derbe lederartige Structur, theils
durch die Randzahnung von demselben leicht unterschieden
werden können. Phillyraea media und andere Arten dieser
Gattung entfernen sich von unserem sonst in der Randzahnung
und Nervation nahekommenden Fossil durch die lederartige
Textur und die breitere Blattbasis. Kleinblätterige Myrsine-
Arten, wie Af. reiusa, M. africana, M, variabüis u. A. stimmen
mit unserem Fossil zum Theil in der Nervation und Blattform
überein, unterscheiden sich aber von demselben in der Rand-
zahnung und Textur. Dasselbe gilt von den ähnlichen Blättern
einiger Arten von Vaccinium, Arbutus, Weinmannia, Cerato-
petalum und Cunonia. Die übrigen oben genannten Gattungen
und Ordnungen stehen in den Merkmalen der Blattbildung, mit
Ausnahme einiger Arten von Celastrns unserem Fossil ent-
fernter. Bei letzterer Gattung aber kommen C. bnxifolius,
C, spathephylluSy C. empleurifolitis und C rupestris bezüglich
der Blattform, zum Theil auch in der Zahnung und Textur
unserem Fossil sehr nahe, weichen jedoch durch die Nervation,
insbesondere die stärkeren, unter spitzen Winkeln entsprin-
genden Secundämerven bedeutend ab.
Diese Vergleichungen führen entschieden zur Gattung
Myrica, wo die oben genannte M. Gale mit unserem Fossil so
sehr übereinstimmt, dass man geneigt sein könnte, die Identität
der Art anzunehmen, was jedoch erst dann gestattet sein
kann, wenn ein reichlicheres Material von der fossilen Pflanze
zur Vergleichung vorliegt.
Von den bis jetzt beschriebenen fossilen Pflanzen kommen
Blattformen d^r Myrica ligniinm, und zwar die F. parvifolia und
brevifolia unserem Fossil in allen Eigenschaften am nächsten.
Man könnte geneigt sein, letzteres zu einer dieser Formen,
besonders zu M. lignHtim brevifolia zu stellen, wenn nicht die
480 C. V. Eltingshausen,
Basis des Blattes wegen der viel geringeren Verschmälerung,
und der Primärnerv wegen seiner Zartheit von allen Blattformen
der Af. lignitum überhaupt abweichen würden. Es sind noch
andere fossile Myrica- Arten, vorkommend in den Tertiär-
schichten Frankreichs und Nordamerikas, als Ähnlichkeiten zu
nennen, welche jedoch von unserem Fossil abweichen, und
zwar M, arguta Saport a, fitudes, I, 1, Taf. 6, Fig. 3 durch eine
stärkere Zahnung und mehr längliche Form; M. zachariensis
Sap. 1. c. 2, Taf. 5, Fig. 1 durch grössere, schärfer gezähnte
Blätter, endlich M Bolanderi Lesq., Tertiary Flora etc., Taf. 1 7,
Fig. 17 durch die grössere Verschmälerung der Basis und die
unter spitzeren Winkeln entspringenden Secundärnerven.
Kleinere Blätter von Quercus Lonchitis Ung., welche aus
den Schichten von Parschlug mir vorliegen, kommen dem
beschriebenen Fossilen in den meisten Merkmalen sehr nahe,
unterscheiden sich aber von demselben sicher durch die Form
der spitzeren Zähne und durch die Nervation. Celastnis casshie-
folitis Ung. kommt in kleineren Blättern, wie sie Heer in der
»Tertiärflora der Schweiz«, III. Band, Taf. 121, Fig. 24—26
abbildete, ebenfalls nahe; doch sind bei der genannten Art die
Zähne stumpfer und ist die Lamina breiter.
Von den übrigen bis jetzt beschriebenen fossilen Dicotyle-
donen sind hier nur entferntere Ähnlichkeiten zu beobachten,
von denen ich Myrsine celastroides Ett., Tert. Flor. v. Haering,
Taf. 21, Fig. 3 und Heer 1. c. Taf. 103, Fig. 14 durch die
stumpferen und weiter herabziehenden Randzähne, Myrsine
spinulosa Sap. 1. c. 1, 1. Abth., Taf. 1 1, Fig. 4 durch die schärferen,
mit Dornspitzen versehenen Zähne; Celastrns salyensis Sap.,
Dem. Adj., Abth. 2, Taf. 15, Fig. 3; C. Adansoni Sap. 1. c. Fig. 1,2,
endlich Rhamnus alaternoides Heer in Lesquereux' Tertiary
Flora, Taf. 52, Fig. 11, sämmtlich durch eine andere bogen-
läufige Nervation abweichend, hervorhebe.
Myrica sp.
Taf. I, Fig. 4.
Das hier abgebildete kurz-cylindrische Blüthenkätzchen
stimmt mit den weiblichen Kätzchen von Myrica vollkommen
überein und bringt eine Bestätigung des Vorkommens dieser
Pflanzenfossilien der Radoboj-Sammlung. 48 1
Gattung in der fossilen Flora von Radoboj. Es lässt sich jedoch
vorläufig nicht angeben, zu welcher der hier vorkommenden
Arten dasselbe gehört und muss die Entscheidung hierüber
späteren Forschungen vorbehalten bleiben.
Cupuliferae.
Quercus Dewalquei sp. n.
Taf. I, Fig l,Iö.
Q. foliis coriaceis, oblongo-lanceolatis, apice breve niucro-
natis basi angustata petiolatis, margine undulatis, nervatione
camptodroma, typo Prae-Pasaniae; nervo primario prominente,
basi valido, apicem versus sensim attenuato,recto; nervis secun-
dariis sub angulis 45 — 70* orientibus, prominentibus, leviter
curvatis, marginem versus subflexuosis, inferioribus usque 13,
superioribus 4 — lOmm inter se distantibus; nervis tertiariis e
latere interno secundariorum sub angulo recto, e latere externo
sub angulis acutis egredientibus, flexuosis ramosisque, nervis
quarternariis angulis variis acutis vel obtusis insertis, rete valde
evolutum formantibus.
Der stark hervortretende Blattrand und die Spuren der
verkohlten Substanz lassen eine derbe lederartige Textur
erkennen. Der Stiel erreicht die Länge von 1 2 fwfw, die Lamina
die Länge von \04 mm und die Breite von 36 mm. Die Basis
ist etwas mehr als die Spitze verschmälert, letztere mit einer
kurzen Stachelspitze versehen; der Rand am oberen Theile der
Lamina wellenförmig. Die bogenläufige Nervation zeigt einen
fast bis zur Mitte der Lamina stark hervortretenden, geraden
Primärnerven, welcher sich jedoch gegen die Spitze zu beträcht-
lich verfeinert und jederseits 10 — 12 scharf hervortretende
Secundärnerven entsendet. Diese sind am unteren Theil stärker
gekrümmt und daselbst unter 60—70* entspringend. Die Tertiär-
nerven verästeln sich stark und bilden ein unregelmässiges
lockermaschiges Netz, welches ein zartes, aus viereckigen
Maschen bestehendes Quarternärnetz einschliesst, das theilweise
erhalten ist.
Der Vergleich mit den ähnlichen bis jetzt bekannt gewor-
denen grösseren Blattfossilien der Radoboj-Sammlung führt zu
Magnolia primigenia Ung., Banisteria Centanrornm Ung.,
482
C. V. Kttingshausen,
Malpighiastrum Procrustae Ung. und Cupania grandis Ung.
(sämmtlich abgebildet in Unger's Sylloge, I), endlich zu Anona
macrophylla Ung., Syll., III, Taf. 14, Fig. 3. Es konnte jedoch
mit keinem dieser Blätter eine Übereinstimmung in allen Merk-
malen gefunden werden. Dagegen ergab sich aus der Ver-
gleichung des beschriebenen Blattfossiis mit den ähnlichsten
Fig. 1. Qiiercus Ilcx.
Süd-Europa.
Fig. 2. Querctis virens Ait.
Forma oloidcs. Nord-.\merika.
Blättern der Jetztflora eine grosse Übereinstimmung mit Eichen-
blättern. Insbesondere zeigt sich diese Übereinstimmung in
der Nervation, wie man aus der Vergrösserung der Nervation
Fig. 1 a und den hier in Naturselbstdruck dargestellten Blättern
Fig. 1 und 2 entnehmen kann.
Das Fossil passt aber zu keiner der aus den Tertiär-
schichten bis jetzt zum Vorschein gekommenen Quercus-AxiQTi^
muss daher einer besonderen Art angehören, welche ich zu Ehren
Pflanzenfossilien der Radoboj-Sammlung. 483
des um die Wissenschaft hochverdienten Professors der Geo-
logie an der Universität Lüttich, Herrn G. Dewalque benannte.
Ulmaceae.
Ulmus bicomis U n g.
Taf. I, Fig. 5—7.
Unger, Chloris protogaea, p. 91. t. 24, f. 1 —4.
Von dieser durch die tiefe Spaltung der Flügelspitze und
die dadurch entstandenen lanzettförmig zugespitzten Lappen
des Flügels von allen bis jetzt bekannt gewordenen fossilen
UlfHHS-Arien auffallend verschiedenen Art liegt eine wohl-
erhaltene Frucht in Ab- und Gegendruck vor, welche in Fig. 7
abgebildet ist. Dieselbe zeigt das Stielchen, den Kelchrest und
die Nervation des Flügels deutlicher als die von Unger a. a. O.
abgebildete Frucht. Was die erwähnte Nervation betrifft, so
nimmt man einige ästige Nerven wahr, die zu einem lockeren
Netze verbunden sind, wie die Vergrösserung 7 a zeigt. Die
Sammlung enthält auch zwei Abdrücke von Blättern (Fig. 5
und 6), die den Charakter von Ulmns an sich tragen. Sie haben
etwas kleinere Randzähne als das von Unger 1. c. Fig. 4 ab-
gebildete Blatt und nähern sich dadurch mehr den Blättern von
U. Braunii, Die hier abgebildeten Blätter geben ferner Auf-
schluss bezüglich einer zweifelhaften Bestimmung des als
Theilblättchen von Engelhardtia macroptera bezeichneten und
in Unger's Sylloge plantarum fossilium, III, t. 16, f. 12 ab-
gebildeten Fossils von Radoboj. Mit diesem Blattfossil stimmt
unsere Fig. 6 in der Grösse und Form der Lamina, welche eine
geringe Asymmetrie zeigt, ganz und gar überein, während die
Zahnung dieselbe ist wie bei dem Blatte Fig. 4 1. c. von Unger's
Ulmus bicomis. Hieraus ergibt sich, dass das citirte Blatt Fig. 12
besser zu U. bicomis zu stellen ist. Von den jetztlebenden Arten
zeigt U. montana Wi th. f. rtigosa Taf. V, Fig. 4 dem Blatte nach
viel Ähnlichkeit.
Moreae.
Ficus lanceolata Heer.
Ttf. I, Fig. 8.
0. Heer, Tertiärflora der Schweiz, IL Bd., S. 62, Taf. 81, Fig. 2—5.
In den Beiträgen zur Kenntniss der fossilen Flora von
Radoboj l. c. S. 26 habe ich bereits auseinandergesetzt, dass
Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; CV. Bd., Abth. I. 32
484 C. V. Ettingshausen,
einige der von Unger als Myrsine Centaurorum bezeichneten
Blattfossilien von Radobqj besser bei Ficus lanceolata Platz
finden. Das hier Fig. 8 abgebildete Blattfossil, welches in der
Grösse, Form und Nervation mit dem Blatte Fig. 3, Taf. 81 in
Heer's Tertiärflora, bezüglich der vorgezogenen Basis aber
mit dem Fig. 5 daselbst abgebildeten Blatte der F. lanceolata
auffallend übereinstimmt, bestätigt diese Annahme, wie über-
haupt das Vorkommen der genannten Art in der fossilen Flora
von Radoboj. Von dem grossen Blatte Fig. 17, Taf. 20 der
Sylloge plant, foss., III, welches Unger als Ficus Troglody-
tarum bezeichnete, jedoch von mir 1. c. zu Ardisia gestellt
worden ist, unterscheidet sich dasselbe durch die entfernter
stehenden, stark hervortretenden Secundärnerven, während bei
dem genannten Blatte die Secundärnerven sehr fein sind, so
dass sie in der Abbildung kaum deutlich wiedergegeben werden
konnten.
Laurineae.
Daphnogene paradisiaca Ung.
Taf. II, Fig. 5.
Unger, Fossile Flora von Sotzka, S. 167, Taf. 38, Fig. 1—7.
Diese merkwürdigen, zuerst von Unger zu den Laurineen
gestellten Blattfossilien von Radoboj sind später von O. Heer
und mir für Zizyphus-Blätier gehalten worden, da bei den
Laurineen gezähnte Blätter nicht vorkommen und nur aus-
nahmsweise solche, die an der Basis schief sind, während
letztere bei Zizyphus als normal gelten können. Es haben aber
die bezeichneten Radoboj-Blätter eine auffallend derbe leder-
artige Textur, die man bei Zizyphus vermisst. Schon hiernach
kann die Annahme der letzteren Gattung in vorliegendem Falle
nicht zweifellos sein. Wenn man nun die Nervation in Betracht
zieht, so spricht diese entschieden gegen Zizyphus und für
die Ordnung der Laurineen. Die spitzläufige Nervation kommt
zwar auch bei Zizyphus vor, doch findet man daselbst ein
ganz anderes Netz. Unger*s Abbildung desselben in Fig. 7, J
1. c. zeigt das quarternäre Maschennetz, welches aus rechtwin-
kelig entspringenden Nervenästchen besteht, die quadratische
Maschen bilden wie bei den echten Laurineen. Bei einem hieher
gehörigen Blatte der mir vorliegenden Sammlung ist auch das
PflanzenfossiUen der Radoboj-Sammlung. 485
quintemäre Netz erhalten, welches ich in Fig. 5 zur Darstellung
bringe. Dasselbe zeigt ebenfalls rechtwinkelig von einander ab-
stehende Nervenästchen, wie dies bei Cinnamomum und anderen
Laurineen-Gattungen vorkommt, während bei Zizyphus cotini-
folins (Ettingsh. BlattskeL der Dicotyledonen Taf. 70, Fig. 8),
einer Art, die hier in erster Linie in Betracht kommen würde,
beiderlei Nervenästchen schiefwinkelig eingefügt sind und
ein aus mehr oder weniger querelliptischen Maschen zu-
sammengesetztes Netz bilden. Diese Erwägung hat mich nun
veranlasst, der Auffassung, welche Unger von den erwähnten
Blattfossilien aus Radoboj ursprünglich hatte (er änderte die-
selbe später in seiner »fossilen Flora von Radoboj« 1. c. S. 167
zu Gunsten der Heer'schen Deutung), beizupflichten. Auch die
Gattung Daphnogene möchte ich für diese Fossilien beibehalten,
denn die gezähnten Laurineen-Blätter passen in keine der jetzt-
-weltlichen Gattungen, sondern in eine besondere ausgestorbene
Gattung, welche aber dem Cinnamofnum am nächsten steht.
Ob die von Unger a.a.O. Taf. 37, Fig. 8—1 1 als Daphno-
gene paradisiaca bezeichneten Blätter von Sotzka hieher ge-
hören, erscheint mir zweifelhaft Dieselben sind viel kleiner
als die Radoboi-Blätter, was auch Unger hervorhebt; die
Zahnung des Randes ist mehr undeutlich, doch erscheinen die
Zähne viel kleiner und einander mehr genähert Bei Fig. 9 sind
■dieselben sehr ähnlich denen von Zizyphus Ungeri Heer, einer
Art der fossilen Floren von Sotzka und Häring. Von der Nervation
sind nur bei den Fig. 9 und 11 Spuren jener feinen quer-
läufigen Tertiärnerven wahrzunehmen, welche sowohl bei
Zizyphus als auch bei Cinnamomum vorkommen. Es erscheint
mir mehr wahrscheinlich, dass diese Blätter zu der genannten
ZizyphuS'Art gehören.
Gamopetalae.
Oleaceae.
Olea Osiris Ung.
Taf. II, Fig. 1,1a.
Unger, Sylloge plant, foss., I, p. 21, t. 8, f. 10—13.
Das hier abgebildete Blatt aus der Lütticher Universitäts-
Sammlung hält die Mitte einerseits zwischen dem in Fig. 10,
32*
486 C. V. Ettingshausen,
anderseits zwischen den in Fig. 12 und 13 a. a. O. abgebildeten
Blättern, was die von Unger ausgesprochene Ansicht, dass das
in der Form von den übrigen zu Olea Osiris gestellten Blättern
abweichende Blatt Fig. 10 ebenfalls dahin gehört, bestätigt. Die
Nervation, welche an dem in Rede stehenden Fossil besser er-
halten ist als an dem in der Sylloge abgebildeten, zeigt einen
bis zur Mitte hervortretenden geradlinigen Primärnerven, welcher
sich in seinem weiteren Verlauf plötzlich verfeinert Aus diesem
entspringen jederseits 5 — 6 feine,. etwas geschlängelte Secundär-
nerven unter Winkeln von 45 — 55". Die Distanz derselben be-
trägt 7 — 12 mm. Eine Schlingenbildung der endständigen Äste
ist deutlich wahrnehmbar. Die Tertiärnerven entspringen an der
Aussenseite der secundären unter spitzen, an der Innenseite
unter stumpfen Winkeln, sind kurz, verästelt und umschliessen ein
lockeres, aus ovalen Maschen zusammengesetztes Quartemär-
netz. (Siehe die Vergrösserung der Nervation Fig. 1, a). Die
beschriebene Nervation ist ausserordentlich ähnlich der von
Picconia (Olea) excelsa D. C, wie die Vergleichung mit dem
Naturselbstdruck des Blattes Fig. 10, Taf. 23 in Ettingsh.
Blattskelete der Dicotyledonen erkennen lässt.
Apocynaceae.
Apocynophyllum Amsonia Ung.
Taf. II,Fig. 2, 2a.
Unger, Sylloge plantarum foss., III, p. 14, t. 4, f. 4 — 8.
Es liegt ein Blatt dieser Art in Ab- und Gegendruck vor,
welches in Bezug auf die Form, mit Ausnahme der etwas
weniger vorgezogenen Spitze, und bezüglich der Länge des
Blattstieles mit dem a. a. O. Fig, 7 abgebildeten Blatte genau
übereinstimmt. Bei letzterem ist das Tertiärnetz theilweise
erhalten und von Unger in Fig. 8 I.e. vergrössert dargestellt
worden. Bei dem hier Fig. 2 abgebildeten Blatte hat sich jedoch
auch ein diesem eingeschaltetes Quarternärnetz erhalten, welches
in der Vergrösserung der Nervation Fig. 2 a zur Anschauung
gebracht ist. Die Maschen desselben sind durchaus mehr quer-
oval, was ich bei mehreren recenten Apocynaceen, als z. B.
Cerbera parviflora, Allamanda verticillaia^ Hunteria corymbosüy
Pflanzenfossilien der Radoboj-Sammlung. 487
Aspidosperma oblongifolia, Aganosnia caryophyllata^ Echites-
Arten und anderen beobachtete. Es spricht dies sowie auch viele
anderen Eigenschaften des Blattes für die Richtigkeit der Be-
stimmung als Apocynacee,. obgleich keine Gattung namhaft
gemacht werden kann, zu welcher das Fossil zweifellos zu
stellen wäre. Wie schon in vielen früheren Fällen muss ich
auch hier wieder auf die Vereinigung von Mefkmalen lebender
Arten, sogar verschiedener Gattungen hinweisen, welche an
Blättern vorweltlicher Arten nicht selten in Erscheinung tritt.
Apocynophyllum Ungeri sp. n. /
Taf. II, Fig. 3.
A foliis coriaceis, e basi lata suborbiculari integerrima
longe petiolata rotundo-ellipticis; nervatione biiochidodroma,
nervo primario basi valido, piano, apicem versus sensim atte-
nuato, subflexuoso ; nervis secundariis prominentibus, sub angulis
60 — 80* orientibus, rectis et flexuosis, apice rajmosis, ramis
inter se anastomosantibus; nervis tertiariis sub angulis variis
egredientibus, ramosis, rete laxum macrosynamm^tum forman-
tibus.
Das Blattfossil verräth eine derbe lederardge Substanz.
Vom Stiel ist ein 13 mm langes Stück erhalten, die ganze
Länge desselben aber unbestimmbar, da der Stiel am Gesteins-
rand abgebrochen ist Die ganzrandige Basis der Lamina ist
gegen den Stiel nur sehr kurz vorgezogen, im Übrigen aber
breit, fast rundlich; die Form lässt sich zu einer rundlich-ellip-
tischen ergänzen. Die Nervation zeigt einen an der Basis fast
2 mm breiten, in seinem Verlaufe nur wenig verschmälerten
und etwas hin- und hergebogenen Primärnerven, von welchem
ungleich hervortretende 5 — 11 mm von einander abstehende,
an ihren Enden mehr oder weniger verästelte Secundäre unter
wenig spitzem oder fast rechtem Winkel entspringen. Die Aste
derselben sind gegen den Rand zu durch Schlingen verbunden.
Die Tertiärnerven treten noch verhältnissmässig stark hervor
und bilden ein grossmaschiges Netz, in welchem sich Spuren
von Quarternärnerven erkennen lassen.
Der Habitus des Blattes und die Nervation, insbesondere
der Milchsaft verrathende flache Primärnerv sprechen für eine
488 C V. Ettingshausen,
ApocynaceCy und zwar für eine Art der Gattung Apocynopkyllum,
wo A, Cynanchnm Ung., Sylloge III, p. 14, t 4, f. 18 aus der
fossilen Flora von Bilin als eine sehr nahe kommende sich
erweist Es besteht aber ein Unterschied, nämlich bei der Art
von Bilin ist die jedenfalls breitere Blattbasis fast herzförmig
Fig. 3. Tabernaemontana laurifolia L. Weslindien.
ausgeschnitten, der Primärnerv sehr rasch und beträchtlich
verfeinert; die Secundärnerven sind feiner als bei der be-
schriebenen neuen Art und mehr geschlängelt; die Textur ist
zarter, fast krautartig. Es ist daher das Blatt Fig. 3 von Radoboj
jedenfalls einer besonderen Art zuzuweisen.
Pflanzenfossilien der Radoboj-Sammlung. 489
Auch diese Art einer Apocynacee vereinigt in ihrem Blatte
Merkmale lebender Arten verschiedener Gattungen, so von
Tabernaemontana, Aganosma und Echites, Zum Vergleiche ist
hier in Fig. 3 ein Naturselbstdruck von Tabernaemontana
luttrifolia L. (Westindien) beigefügt.
Dialypetalae.
Magnoliaceae.
Magnolia Dianae U n g.
Taf. III, Fig. 3, 4, 4 a.
Unger, Sylloge plant, foss., I, p. 28, t. 11, f. 1—4; III, p. 44, t. 14, f. 4—7.
Die hier abgebildeten Blätter, welche zu dieser Art gestellt
werden können, seh Hessen sich zwar den von Unger a.a.O.
abgebildeten enge an, weichen jedoch in einigen, wenn auch
nur ausserwesentlichen Eigenschaften von denselben ab. Fig. 4
zeigt eine vollständig erhaltene Lamina, welche in der Grösse
und Form mit Fig. 2 l. c. am meisten übereinstimmt. Die Spitze
ist jedoch breiter, abgerundet-stumpf und nicht vorgezogen wie
bei dem erwähnten Blatte. Die Nervation ist viel besser erhalten
und lässt an einer Stelle die tertiären und theilweise auch die
quartemären Nerven deutlich erkennen (siehe die Vergrösserung
Fig. 4 a). Die Secundärnerven sind schon von der Mitte an gegen
die Basis zu am Ursprünge divergirend gebogen, während das
Blatt Fig. 3 nur an der Basis solche Nerven zeigt. Im Ganzen
passt die Nervation gut zu Magnolia oder wenigstens zu den
Magnoliaceen, wo bei der genannten Gattung und bei Man-
glietia divergirend gebogene Basalnerven vorkommen. Bei
Talauma piimila haben auch in der Mitte der Lamina die
Secundärnerven einen divergirenden Ursprung. Dasselbe gilt
von den auf der Tafel 14 a. a. O. dargestellten Blättern. Das auf
unserer Taf. 111, Fig. 3 abgebildete Blatt hat eine mehr läng-
liche Form und ist schmäler als die von Unger abgebildeten,
stimmt aber in der Nervation mit diesen, insbesondere mit
Fig. 4 l. c. überein.
490 C. V. Ettingshausen,
Acerineae.
Acer trilobatum A. Braun.
Taf. III, Fij?. I.
Heer, Terliärflora der Schweiz, HI. Bd., S. 47, Taf. 110, Fig. 16— 21; Taf. 111,
Fig. 1, 2, 5—14, 16, 18—21; Taf. 112, Fig. 1—8, II — 16, Taf. 113-115.
Es war bisher einigermassen auffallend, dass diese in fast
allen Miocänfloren Europas und Nordamerikas vorkommende
Art in der fossilen Flora von Radoboj, die wir zum Miocän
zählen, fehlen soll. Der Fund der charakteristischen Flügelfrucht
Fig. 1 in Radoboj, welche zweifelsohne zu Acer trilobatum
gehört, ist daher von nicht geringem Interesse. Das abgebildete
Exemplar gleicht am meisten einem aus der fossilen Flora von
Parschlug zum Vorschein gekommenen, stimmt aber auch mii
den a. a. O., Taf. 111, Fig. 6 und 8 abgebildeten Früchten ge-
nannter Art viel überein. Der Körper der Halbfrucht ist fast
kugelig, der ansehnliche Flügel länglich, mit aufsteigenden gabel-
theiligen Nerven geziert. Die Frucht steht der von Acer mega-
lopteryx Ung. Chloris protogaea, t. 44, f. 8 und Sylloge III, 1. 15.
f. 6 sehr nahe, so dass sich die Frage aufwirft, ob diese Art
vielleicht mit A. trilobatum zu vereinigen sei. Es ist jedoch der
Körper der Halbfrucht bei A. megalopteryx eckig, mit einem
kleinen Vorsprung versehen und der Flügel etwas breiter. Um
diese Frage endgiltig zu entscheiden, müssen jedenfalls mehrere
Exemplare der Frucht vorliegen und auch die Blätter berück-
sichtigt werden, welche letztere aber bis jetzt aus den Schichten
von Radoboj noch nicht zum Vorschein gekommen sind.
Acer campylopteryx Ung.
Taf. in, Fig. 2.
Ung er, Chloris protogaea, p. 134, t. 44, f. 1, 2.
Von dieser Art, welche sich durch den an der Basis scharf
abgeschnittenen Körper der Halbfrucht und den fast rhombischen
am Grunde ausgeschnittenen Flügel charakterisirt, ist bisher
nur ein Blatt und das von Unger a. a. O. abgebildete Frucht-
fossil bekannt geworden. Von dieser seltenen Art hat sich in
der Lütticher Universitäts-Sammlung ein Fruchtexemplar vor-
gefunden. Bis auf den etwas kleineren Fruchtkörper und den
Pflanxenfossilien der Radoboj-Sammlung. 491
geringeren Ausschnitt des P'lügels stimmt dasselbe mit dem
Original der Unge raschen Abbildung vollkommen überein.
Unger hat diese Art wohl nur aus Versehen in das Ver-
zeichniss sämmtlicher Arten der fossilen Flora aus Radoboj\
Denkschriften XXIX. Band S. 159 nicht aufgenommen. Heer
spricht S. 56 seiner Tertiärflora der Schweiz die Ansicht aus,
dass diese Art zu Acer platyphyllum A. Braun gehören könnte.
Von Letzterer ist jedoch nur ein Blatt im Öninger Schiefer zum
Vorschein gekommen, welches von dem als A, campylopteryx
bezeichneten gänzlich verschieden ist, während dieses mit der
Frucht gut zu A. tataricnm L., der analogen Art der Jetztflora,
passt.
Malpighiaceae.
Banisteria Centaurorum Ung.
Taf. II.Fig. 4, 4i7.
Unger, Sylloge plant foss. L, p. 29, t. 12, f. 1 — 3. — Syn. Myrsine Cen-
taurorum Ung. 1. c. in, p. 22, t. 7, f. 15—17; Foss. Flora von Radoboj.
Denkschriften, XXIX. Bd., S. 143, Taf. 2. Fig. 4, 5.
Von dieser Art sind zwar schon a. a. O. mehrere Blatt-
fossilien zur Abbildung gelangt, da jedoch die Bestimmung
dieser Reste noch als zweifelhaft bezeichnet werden muss, so
durfte das hier abgebildete Blattfossil, welches zweifelsohne
mit den erwähnten gleichartig ist, nicht unberücksichtigt bleiben,
umso mehr als dasselbe nach seinen Eigenschaften für die ge-
wählte Bestimmung einigermassen zu sprechen scheint. Die
Textur des Blattes ist deutlich lederartig, die lanzettliche La-
mina nach beiden Enden verschmälert und vollkommen ganz-
randig. In diesen Merkmalen stimmt dasselbe mit den a. a. O.
Taf. 7, Fig. 17 und Taf. 2, Fig. 4 abgebildeten Blattfossilien von
Radoboj am besten überein. Die Nervation ist bogenläufig; aus
einem bis zur Mitte der Lamina stark hervortretenden, gegen
die Spitze zu bedeutend verschmälerten Primärnerven ent-
springen verhältnissmässig dünne, aber nicht geschlängelte
(wie meist bei Myrsine) Secundärnerven, welche unter wenig
spitzen Winkeln in ziemlich gleichen Abständen von einander,
in langem Bogen gegen den Rand hin und an demselben
hinaufziehen, ohne sich in Äste zu theilen. Die Tertiärnerven
492 C. V. Ettingshausen,
sind schwach; ein feineres Blattnetz ist kaum wahrzunehmen,
was durch einen dichten Filzüberzug (wie er bei den Blättern
von Banisteria und anderer Malpighiaceen häufig vorkommt)
verursacht sein kann. Eine Stelle (in Fig. Aa vergrössert darge-
stellt), an welcher einige Tertiärnerven sichtbar sind, Hess sich
mit der Nervation von B. laurifolia L. Taf. V, Fig. 3 vergleichen.
Dieselben sind sehr fein, einander genähert und entspringen an
beiden Seiten der Seeundären unter nahezu rechten Winkeln.
Die weiteren Verzweigungen aber, die jedenfalls vorhanden
waren, und die quinternären Nerven konnten nur unvollständig
verfolgt werden. Mit Ausnahme des Blattnetzes, welches in
Unger's citirten Abbildungen keine Aufnahme fand, stimmt
auch die beschriebene Nervation mit den daselbst gegebenen
Darstellungen gut überein.
Unger hat zuerst diese Blattfossilien als zu den Mal-
pighiaceen gehörig betrachtet und der Gattung Banisteria ein-
gereiht, später aber aber zu Myrsine gestellt Bei letztererfindet
man aber eine ganz andere Nervation, und sogar die Myrsine
nmbellata, deren Blatt Unger als Analogon der fossilen an-
gegeben hat (vergl. die Abbildung desselben in der Sylloge III.
Taf. 7, Fig. 18), zeigt verästelte, in ungleichen Distanzen ent-
springende unregelmässig geschlängelte Secundämerven, die
zu denen unseres Fossils durchaus nicht passen. Es könnte da
eher die Annahme einer Laurinee zulässig sein, doch müsste
ein kahles Blatt vorausgesetzt werden, dessen mehr oder weniger
kräftiges Netz aber viel deutlicher hervortreten würde. Es bleibt
daher nur übrig, zu Unger's erster Auffassung zurückzugreifen.
Die Mehrzahl der Banisteria-BVeitter stimmt in Form und Ner-
vation noch am besten mit dem beschriebenen überein. Ausser-
dem sind vollkommen sichere Belege der Vertretung der Mal-
pighiaceen in der Tertiärflora aus anderen Localitäten zum
Vorschein gekommen, wie z. B. Früchte von Tetrapteris von
Sotzka, Sagor und Bilin, Früchte von Banisteria von Sagor
u. A. Endlich lieferten auch die Schichten von Radoboj noch
andere Pflanzenfossilien, die zu den Malpighiaceen gestellt
werden konnten, so Banisteria giganium Ung. und mehrere
von Unger zur SeiVC\vc\e\gQi\.\xng Malpighiastrtim gebrachte Blatt-
fossilien. Dass auch einige der als P/«M5-Samen gedeuteten
Pflanzenfossilien der Radoboj-Sammlung. 493
Pflanzenreste von Radoboj eher als Banisieria-Früchte zu be-
trachten wären, da ihre Flügel von deutlichen Nerven durch-
zogen sind, wie z. B. Fig. h auf Taf. 20 der Sylloge III, darf
hier ebenfalls nicht unerwähnt bleiben,
Sapindaceae,
Sapindus Pythii Ung.
Taf. IV, Fig. 1.
Unger, Sylloge plant, foss. I, p. 33, t. 14, f. 6— 17; III, p. 51, t. 16, f. 6, 7; Foss.
Flora von Radoboj, 1. c. S. 147, Taf. 2, Fig. 20.
Während man bei dem in Unger's Foss. Flora von
Radoboj dargestellten Blatte, dem einzigen, welches sich bis
jetzt in Radoboj. von dieser Art gefunden hat, noch zweifeln
konnte, ob dasselbe zu der obigen in Parschlug nicht selten
vorkommenden Art gehört, so ist bei dem Blattfossil Fig. 1
auf unserer Tafel IV jedes Bedenken ausgeschlossen. Dieses
Fossil passt bezüglich seines langen Stieles und der schiefen
Basis sehr gut zu den Theilblättchen Fig. 13 und 15 der Sylloge,
bezüglich der grösseren Lamina aber zu dem Blattfossil Fig. 8
ebendaselbst.
Sapindus Ungeri m.
Taf. m, Fig. 5.
Ettingsh. in Unger's Sylloge plant, foss. I., p. 34, t. 20, f. 1-6.
Das hier abgebildete Theilblättchen dieser Art stimmt mit
Fig. 3 der Sylloge am meisten überein, zeigt aber ein auffallend
dickeres Stielchen, an dem die Lamina einseitig sich als
schmaler Flügel herabzieht. Bei Fig. 4 1. c. nimmt man einen
solchen Flügel an beiden Seiten des viel dünneren Stielchens
wahr.
Celasirineae.
Celastrus Morloti sp. n.
Taf. IV, Fig. 5, 5 a.
C. foliis coriaceis late lanceolatis acuminatis, basi attenuatis,
margine subtiliter crenulatis; nervatione camptodroma, nervo
primario ad apicem usque prominente, recto; nervis secundariis
sub angulis 45 — 55** orientibus, tenuibus subrectis, marginem
versus furcatis vel ramosis; nervis tertiariis e latere externo
494 C. V. Ettingshausen.
secundariorum sub angulis acutis, e latere interne sub obtusis
egredientibus, ramosis, rete quarternarium e maculis rhom-
boideis formatum includentibus.
Das Fossil macht deutlich den Eindruck eines derben,
lederartigen Blattes. Die Form der Lamina ist etwas oberhalb
der Mitte am breitesten und verschmälert sich gegen die Spitze
zu schneller als gegen die Basis. Der Rand ist nur auf einer
Seite theilvveise erhalten und zeigt daselbst eine sehr feine, nur
mittelst der Lupe deutlich wahrnehmbare Kerbung. Der gerad-
linige Primärnerv ist verhältnissmässig breit und tritt bis zur
Spitze stark hervor. Die dünnen Secundärnerven heben sich
von der verkohlten Blattsubstanz wenig deutlich ab und ver-
laufen fast geradlinig gegen den Rand zu, vor welchem sie in
Gabeln getheilt oder mehr verästelt sich verlieren. Die Tertiär-
nerven sind sehr fein, nur dem bewaffneten Auge wahrnehm-
bar, netzläufig. Es lassen sich an einer Stelle auch noch
Quarternärnerven unterscheiden, die zu einem sehr zarten, aus
querrhombischen Maschen bestehenden Netz verbunden sind
(siehe die Vergrösserung der Nervation Fig. 5 a).
Das beschriebene Blatt ist in der Form, Textur und Nerva-
tion sehr ähnlich denen von Celastrtis europaeus Ung. Sylloge
plant, foss. II, p. 10, t. 2, f. 10—15 einer von Unger zuerst in
den Schichten von Parschlug und von Radoboj entdeckten Art
Diese hat jedoch ganzrandige oder nur mit wenigen verein-
zelten Zähnen besetzte Blätter und muss daher ersteres der
gänzlich abweichenden Randbeschaflfenheit wegen einer be-
sonderen Art zugewiesen werden. Dieselbe erinnert an C tri-
gymis D.C. Taf. V, Fig. 5.
Ich widmete diese Art dem Andenken des verdienten Geo-
logen Adolf V. Morlot, welcher zur erfolgreichen Ausbeutung
der Pflanzen- und Insectenreste bergenden Schichte von Radoboj
viel beigetragen hat.
Pterocelastrus radobojanus sp. n.
Taf. IV, Fig. 3.
P. foliis petiolatis rigide coriaceis, rotundato-ovatis, utrinque
obtusiusculis, margine integerrimis; nervo primario firmo^ recto
excurrente; nervis secundariis inconspicuis.
Pnanzenfossiiien der Radoboj-Sammlung. 495
Ein kleines gestieltes Blatt, welches eine auffallend feste,
lederartige Textur durch seine scharfe Contour und den tiefen
Eindruck im Gestein verräth. Ausser einem geraden, verhält-
nissmässig dicken, stark ausgeprägten, gegen die Spitze zu
kaum verschmälerten Primärnerven sind keinerlei Blattnerven
wahrnehmbar. Die grösste Breite der rundlich eiförmigen
Lamina ist oberhalb ihrer Mitte; Spitze und Basis sind fast
gleich stumpf. Von Zähnchen ist keine Spur zu sehen; der
stark hervortretende Rand zeigt keine Einrollung, wie z. B. bei
Vacciniuniy Andromeda und anderen Ericaceen. Bei günstiger
Beleuchtung lassen sich Runzeln wahrnehmen, welche von der
Oberhaut gebildet zu sein scheinen, was auf gewisse leder-
artige Blätter von besonders dicker Consistenz hinweiset. Hält
man nämlich unter den ähnlichsten Blättern der lebenden
Pflanzen Umschau, so findet man, dass die dicken, lederartigen,
nur mit einem hervortretenden Primärnerven und wenigen
schwachen Secundärnerven versehenen Blätter von süd-
afrikanischen Pierocelasirus- Arteriy z. B. P. arhoreus Walp.,
P. stenopiernsW a\p. u. A. hier am meisten in Betracht gezogen
werden müssen. Es ist auch schon eine Pterocelastrtis-hri
(P. elaenus) von mir für die fossile Flora von Leoben, Denk-
schriften, LIV. Bd., S. 344, nachgewiesen worden, welche sich
jedoch durch grössere und schmälere Blätter von der be-
schriebenen Art unterscheidet. Die genannte Art ist auch
in Sotzka, Sagor, Bilin, Parschlug und in Localitäten der
Schweizer Tertiärflora gefunden worden. Ausserdem sind noch
Pterocelastrus oreophilus Ung. sp. für die fossile Flora von
Sotzka, P pachyphyllns m. für die von Häring und P, Oreonis
für die von Bilin nachgewiesen worden, welche aber alle von
P. radobojanus ebenfalls in der Blattform abweichen.
Ampeiideae.
Vitis Gilkeneti sp. n.
Taf. V, Fig. 2.
V. foliis palmato- 3 — 5-lobis, basi subaequali profunde
cordatis, lobis abbreviatis, latis, acutis, margine denticulatis;
nervatione actinodroma; nervis primariis 3 — 5, subaequalibus,
medio recto vel paululum flexuoso, lateralibus corivergentim
496 C. V. Ettingshausen,
curvatis; nervis secundariis utrinque 5 — 6, sub angulis 40 — 55**
orientibus, prominentibus, rectis vel saepe convergentim arcua-
tis, apice furcatis, craspedodromis; nervis tertiariis distinctis,
latere interno secundariorum sub angulis obtusis, latere externo
sub angulis acutis egredientibus, percurrentibus, simplicibus,
rarius furcatis; nervis quarternariis angulo subrecto insertis.
Dass dieses wohlerhaltene Blattfossil einer ViHs-Art an-
gehört, unterliegt keinem Zweifel; es scheint sich den bis jetzt
bekannt gewordenen Blattformen der ViHs teutonica A. Braun
anzureihen, so z. B. dem kleineren Blatte Fig. 4 auf Taf. 9 in
Unger's Sylloge plant, foss. I, insbesondere den von Ludwig
im VIII. Bande der Palaeontographica, Taf. 46, Fig. 2, 3, 5 und 7
abgebildeten und als Vitis Braunii bezeichneten Blättern,
welche ich aber für Formen der V, teutonica halte, worauf ich
schon in meiner Abhandlung über die fossile Flora der älteren
Braunkohlenformation der Wetterau, Sitzungsber., LVU. Band,
S. 63, hingewiesen habe. Bei genauerer Vergleichung ergibt
sich jedoch, dass das beschriebene Blattfossil von den Blättern
der genannten Art in der Form und Randzahnung sowohl, als
auch in der Nervation auffallend abweicht, wesshalb dasselbe
einer besonderen Art angehören dürfte. Die Merkmale, auf
welche sich die letztere stützt, sind: Die tief herzförmig ein-
geschnittene Basis; die kaum deutlich hervortretenden kleinen
Zähne; die auffallend kurzen Lappen; endlich die einander
mehr genäherten Secundärnerven, welche gegen die Basis
mehr herabreichen. Mit den übrigen bis jetzt bekannt ge-
wordenen fossilen F///5-Arten kann unsere Art nach der oben
gegebenen Charakteristik nicht verwechselt werden. Von den
jetztlebenden Arten bietet die nordamerikanische V,Labrusca L.
Taf. V, Fig. 2, eine bemerkenswerthe Ähnlichkeit.
Pomaceae.
Crataegus radobojana sp. n.
Taf. rv, Fig. 4.
C. foliis petiolatis subcoriaceis, rhombeis, basi obtusis,
marginis parte posteriore serratis, anteriore crenato-dentatis;
nervatione craspedodroma, nervo primario distincto, recto;
nervis secundariis sub angulis 30—40** orientibus, rectis,
Pflanzenfossilien der Radoboj-Sammlung
497
inferioribus nervös externos prominentes emittentibus; nervis
tertiariis angulo recto insertis, simplicibus et furcatis; rete
tenerrimo vix conspicuo.
Das beschriebene Blattfossil gehört ohne Zweifel einer
Crataegus-Art an und nähert sich in seinen Eigenschaften
einigen bisher bekannt gewordenen fossilen Craiaegus-Blättern,
C. Warthana Heer aus der Tertiärflora von Nord-Grönland
(der Schichten von Atanekerdluk), Flora foss. arct I, p. 126,
t. 50, f. 3, 4, zeigt sehr ähnliche Blätter, welche sich von dem
Blattfossil von Radoboj nur durch die unter spitzeren Winkeln
abgehenden Secundärnerven und die verschmälerte, mehr keil-
förmige Basis unterscheiden. C Kornerupi Heer, 1. c. VII,
p. 136, t. 67, f. 1, aus dem rothen
Thon von Kardlunguak in Grön-
land hat ebenfalls ähnliche Blätter,
die jedoch durch ihre elliptische
Form, die schärfer ausgesprochene
doppelte Randzahnung und die
mehr bogenförmigen Secundär-
nerven abweichen. Ferner ist C.
incisa Weber aus dem Rotter
Schiefer der niederrheinischen
Braunkohlenformation, Palaeonto-
graphica, IL Band, Taf. 7, Fig. 7,
als analog zu bezeichnen, weicht
aber durch eingeschnitten ge-
zähnte, fast gelappte Blätter ab.
Das von R. Ludwig im VIII. Bande
der Palaeontographica, Taf. 59,
Fig. 9, als C incisa abgebildete
CrataeguS'BldXi aus den Schichten
von Münzenberg der älteren Wetterauer, Tertiärformation
zeigt keine eingeschnittene, sondern nur eine doppeltgezähnte
Lamina und hat cpnvergirend gebogene Secundärnerven,
wesshalb ich dasselbe zu einer anderen Art bringe, welche
sich hauptsächlich durch letzteres Merkmal von der Rado-
bojer Art unterscheidet. Endlich ist noch C teutonica Ung.
Sylloge plant, foss. III, p. 60, t. 19, f. 24, 25, aus der fossilen
Fig. 4.
Craiaegiis sp. Texas.
498 C. V. Ettingshausen,
Flora von Parschlug zu erwähnen, deren Blätter jedoch nur in
der rhombischen Form der Lamina mit C. radobojana über-
einstimmen, durch die kleineren Randzähne, insbesondere durch
die geschlängelten und mehr verästelten Secundärnerven und
die dünnere membranöse Textur aber sich wesentlich von der-
selben unterscheiden. Das beschriebene Craiaegus-Bleitt muss
demnach einer besonderen Art zugewiesen werden, deren
Blätter denen der C. parvifolia Ait. aus Nordamerika, ins-
besondere aber denen einer in Texas vorkommenden, noch
unbeschriebenen Art (siehe das Fig. 4 beigegebene Blatt der-
selben in Naturselbstdruck) sehr nahe kommen.
Caesalpinieae.
Podogonium Knorrii Heer.
Taf. IV, Fig. 7.
6. Heer, Tertiärllora der Schweiz, III. Band, S. !44, Taf. 84, Fig. 22 — 26
Taf. 85; Taf. 86, Fig. 1-9.
Die Reste dieser fossilen Pflanze, welche zuerst von
0. Heer in den Schichten von öningen entdeckt wurden, wo
ihre Blättchen und Hülsenfrüchte häufig vorkommen, wurden
von mir auch in den Schichten von Bilin, Schoenegg und
Parschlug gefunden. In Radoboj aber sind dieselben weder von
Unger, noch von mir gesehen worden. Das hier abgebildete
Theilblättchen aus Radoboj gehört nach allen seinen Eigen-
schaften unstreitig zu Podogonium Knorrii und stimmt am
meisten mit den a.a.O., Taf. 85, Fig. 26, abgebildeten Blättchen
überein. Diese Art ist demnach in das Verzeichniss der fossilen
Flora von Radoboj aufzunehmen. Es ist damit auch neuerdings
festgestellt, dass Podogonium Knorrii nicht bloss in den oberen
Schichten der Tertiärformation vorkommt, wie Heer angab,
sondern dass diese Art auch den mittleren Schichten nicht fehlt,
wie schon früher durch das Vorkommen derselben in Bilin und
Schoenegg ausgesprochen werden konnte.
Cassia Phaseolites Ung.
Taf. IV, Fig. 6.
Unger, Fossile Flora von Sotzka, S. 188, Taf. 65, Fig. 1—5.
Pflanzenfossilien der Radoboj-Sammlung. 499
Die a. a. O. Taf. 66 unter der Bezeichnung Cassia Phaseo-
lites abgebildeten Blattfossilien von Radoboj halte ich für Theil-
blättchen von Sapindus Ungeri, was ich bereits in den Bei-
trägen zur fossilen Flora von Radoboj, Sitzungsber., LXI. Band,
S. 38, begründet habe. Es erschien mir daher bis jetzt zweifel-
haft, ob erstere Art in dieser fossilen Flora enthalten ist. Das
hier in Fig. 6 abgebildete Blattfossil von Radoboj ist ein Theil-
blättchen, welches in allen Eigenschaften mit den Blättchen der
echten Cassia Phaseolites aus den Schichten von Sotzka, ins-
besondere mit Fig. 2 und 5 I.e. übereinstimmt. Auf Grund dieser
Xhatsache ist das Vorkommen der C. Phaseolites in Radoboj
ohne Bedenken anzunehmen.
Sitzb. d. mathem.-natiinv. CK; CV.Bd., Ahth.I. ^3
5(X) e.V. Ettingshausen, Pflanzenfossilien der Radoboj-Sammlung.
Erklärung der Tafeln.
Tafel I.
Fig. 1. Blatt von Qutrcus Dcwalqnei n. sp. 1 a. Die Nervation desselben ver-
grössert dargestellt.
Fig. 2. Myrica Palaeo-GaJe sp. n. Blatt.
Fig. 3. Myrica lignitum U n g. Forma angustifolia. Blatt.
Fig. 4. Weibliches Kätzchen von Myrica sp.
Fig. 5—7. Ulmus bicornis Ung. 5, 6 Blätter; 7 und vergrössert 7 a Frucht.
Tafel II.
Fig. 1. Olea Osiris Ung. Blatt; 1 a Vergrösserung der Nervation.
Fig. 2. Apocynophylliint Amsonia Ung. Blatt; 2 a die Nervation desselben ver-
grössert.
Fig. 3. Apocynophyllum Un^cri sp. n. Blatt.
Fig. 4. Banisteria Ceniaurorum Ung. Blatt; 4a die Nervation vergrössert ge-
zeichnet.
Fig. "). Vergrösserung der Nervation eines Blattes von Daphnogcne paradisiaca
Ung.
Tafel III.
Fig. 1. Acer trilobaUtm A. Braun. Flügelfrucht.
Fig. 2. Acer campylopteryx Ung. Flügelfrucht.
Fig. 3, 4. Mognolia Dianae Ung. Blätter; 4a Vergrösserung der Nervation.
Fig. 5. Sapindus Ungeri m. Theilblättchen.
Tafel IV.
Fig. 1 . Sapindus Pythii Ung. Theilblättchen.
Fig. 2. Vitis Gilkeneti sp. n. Blatt.
Fig. 3. Pterocelastrus radobojanus sp. n. Blatt.
Fig. 4. Crataegus radobojana sp. n. Blatt.
Fig. 5. Cclastrus Morloti sp. n. Blatt; 5 a Vergrösserung der Ner\''ation.
Fig. 6. Cassia Phaseolitcs Ung. Theilblättchen.
Fig. 7. Podogonium Knorrii \\QQTT\\Q\\'b\ix\Xc\\en.
Tafel V.
Fig 1. C>i7^i7^^«5 ^an'//b//a A it. Nordamerika.
Fig. 2. Viiis Labrusca L. Nordamerika.
Fiu:. 3. Banisteria laurifolia L. Von der Ipsel Martinique.
Fig. 4. Ulmus ntontana With. forma rugosa Cult.
Fig. 5. Celastrus tngynus De Cand. Von Madagaskar.
I
e.V. Eliingshausen: Pflanzenfossilien von Radoboj.
Tafl.
I :
Sitzungsb. d. Kais. Akad.d.W math.nat.Cl. Bd.CV. Aklh 1. 1896.
C.v.Etlingshausen: Pflanzenfossilien von Radoboj.
Taf.n.
Sitzungsb. d. Kais. Akad.d.W math nat.Cl. Bd.CV. Ablh 1. 1896.
C.v.Effingshausen: Pflanzeiifossilien von Radoboj.
TafBL
Silzungsb. d. Kais. Akad. d.W. math.nat.Cl. Bd.CV. Ablh L 1896.
e.V. Etiingshauscn: Pflanzeitfossilien von Radobqj.
Tat IV.
Sitzungsl). d. Kais; Akad. d.W. math.na1.Cl. Bd.CV. Ablh 1. 1896.
; C. V. Ettlngshausen : Pflanzenfossilien von Radoboj.
Taf. V.
Sütiirsclbstdriick.
Aus der k. k. //<»/- und SUuitsdmckirn.
SitzundTsbcrichtc d. kais. Akad. d. Wiss., math.-naturw. Clause. lid. CV. Abth. I. 1 SiH).
501
Geologische Reise in Nord-Grieehenland und
Türkiseh-Epirus 1895
(vorläufiger Bericht)
Vincenz Hilber.
Die Reise wurde wieder im Auftrage der kais. Akademie
mit Hilfe der Boue-Stiftung unternommen. Wegen eines
Malaria-Rückfalles konnte ich erst am 19. Juli von Graz ab-
reisen und kam deshalb erst am 5. November zurück. Ich schiffte
mich am 20. in Triest ein und langte am 23. in Prewesa an, wo
ich, nachdem ich in Graz monatelang vergebens gewartet hatte,
durch unsere Botschaft in Constantinopel eine Empfehlung an
die türkischen Behörden seitens der ottomanischen Regierung
erhalten sollte.^ Ich fand aber nicht einmal eine Nachricht. Unter
diesen Umständen entschloss ich mich zunächst zu einer
längeren Reise in die mir noch unbekannten und, wie sich
zeigte, ungenügend untersuchten Gegenden Nord-Griechen-
lands und fuhr nach der Stadt Lefkas auf der gleichnamigen
Insel. Von hier ging ich zuerst in östlicher Richtung durch
die ganze Breite von Nord-Griechenland (Akamanien, Ätolien,
Phthiotis).
I. Quer durch Akarnanien und Ätolien.
(Lefkas — Wonitsa — Katüna — Mytika — Karpen isi.)
Bis Wonitsa herrschen Breccienkalke und dichte weisse
Kalke. Von hier im Südosten folgt Conglomerat und Schutt, bis
südwestlich von Ajios Wassflios Hieroglyphensandsteine und
eine mächtige Schuttbedeckung mit Blöcken von Nummuliten-
kalken und von Kalken mit Rudistentrümmern auftreten. Diese
1 Die Reisen in der Türkei führte ich dann ohne jegliche derartige
Empfehlung durch, wie ich schon 1893 gcthan hatte.
33*
502 V. Hilber,
hält bis Wustri an. Ich fand darin an drei Stellen Nummuliten
(von der Passhöhe zwischen Wönitsa und Katüna hatte schon
Philippson Nummuliten angegeben). Bei Wustri und weiter
südöstlich herrscht Flysch, welcher Bänke klotzigen und
schichtungslosen Kalkes mit Hornsteinkugeln und grossen
Höhlen einschliesst. Zwischen Katüna und Mytika liegen Num-
mulitenkalk mit Hornsteinschichten im Hieroglyphensandstein
und Mergel. Rund um den Meerbusen von Mytika erheben sich
graue Eocänkalke (aus dem gleichen Gestein scheint die
gegenüberliegende Insel Kalamos zu bestehen), welche an dem
Wege nach Papadhäton von Flysch überlagert werden.
Südlich vom Riwios-See fand ich an der Strasse ein neues
Vorkommen weisser levantinischer Mergel (wie solche von
Stamna, 30 km im Süden und von Niköpolis bei Prewesa be-
kannt sind), und zwar zu »Vrumoneri« unter 80** N 70 0 fallend,
südöstlich von Chan Gwara hingegen flach liegend. Diese jung-
tertiären Schichten haben also auch an der Gebirgsfaltung theil-
genommen, obgleich die Beckennatur ihres Grundgebirges
deutlich erhalten geblieben ist. Von Fossilien fand ich Mela-
nopsis Aetolica Neum. häufig, Übergang vom Typus zu var.
Stamnana Opp. häufig, Melanopsis n. sp. ?, Melattopsis tuher-
culata Müll., Hydrohia acutecarinata Neum., Planorhis, Neri-
tina cf. ahnormis Jenk.
Im Dorfe Lepenü sammelte ich in den bereits bekannten,
dem Flysch eingelagerten Nummulitenkalken. Von hier ging
ich durch das Flyschgebiet an den den Flysch überlagernden
Kalkzug der Küt(u)pa,^ wo ich in einem abgestürzten Block
Nummuliten fand. Im Norden von Karawana sammelte ich im
Flyschsandstein einen Zweig von Sequoia cf. Sternbergi^^ einer
eocänen Art. Flysch und Kalk werden getrennt durch eine
mächtige Reihe von rothen tuffähnlichen Schiefern und zumeist
1 Das (n) kaum hörbar. Die Schreibart ist phonetisch, das nichtgespro-
chenc Anlaut-f/ weggelassen, die Diphthonge sind durch die entsprechenden
Vocale ersetzt, iv vor Vocalen und vor Consonanten statt f, dh und tk = den
englischen meist so bezeichneten Lauten, ndy wie es gesprochen wird, statt «/
des Griechischen, 5Ä ^ gezischtem .s<://; phonetisch ist auch Dshumerka statt
TsLimerka zu schreiben u. s. w.
*- Bestimmung von F'reiherrn v. Ettingshausen.
Geologische Reise in Nord-Griechenland. 503
rothen Hornsteinen. Dieses im westlichen Nord-Griechenland
ausserordentlich verbreitete Niveau ist im Pindos sowohl, als
hier in den ätolischen Bergen ausserdem bezeichnet durch das
Auftreten von Conglomeraten, puddingartig mit Gerollen ver-
mischten Thonen, Resten von Landpflanzen in den begleitenden
Sandsteinen und das Auftreten dünner Kohlenschichten, lauter
Hinweise auf Strandfacies. In der besprochenen Gegend kommen
dünne Schieferkohlen nach Erkundigung auf der Küt(u)pa und
nach meinen eigenen Funden schwarze Brandschiefer in der
Schlucht im Norden von Marathiä (Pan-Machalassh) vor.
Auf dem Wege von Marathiä nach Karpenisi sieht man
beim Abstieg zum FIuss Megdowa nach West fallenden und
weiterhin senkrechten Flysch und jenseits des Flusses, beim
Aufstieg nach Osten, die östlich fallenden Hornsteinschichten,
darauf Kalksteine und gegen die Passhöhe lichte Mergel und
Sandsteine, darüber die Hornsteinschichten und endlich Kalk-
stein. Die Wiederholung der Reihe scheint durch Bruch ver-
ursacht. Das Hauptstreichen ist in der besprochenen Gegend
nordnordwestlich.
II. Die Gebirge zwischen den Ebenen des Sperchiös und des
östlichen Thessaliens.
1. Karpenisi-Lamia. Ich folgte zunächst der Strasse
Karpenisi-Lamia, überschritt den weiter nördlich im Welüchi
culminirenden Kalkzug und gelangte in die grünlichen Sand-
steine der breiten östlichen Flyschzone. Vom Meridian von
Wariböpi beginnen, wie ich auf einem später gemachten Wege
sah, die Othrysgesteine. Ich verliess die durch das Sperchiös-
Thal führende Strasse erst bei Lianoklädi, von wo ich nordwärts
nach Styrfaka ging. Nordöstlich vom Dorf sah ich in der Schlucht
vier Stollen im ophitischen Diabas,^ welcher nach herausge-
förderten Stücken Quarzgänge zu enthalten scheint; hier wurden
nach einer Mittheilung des Herrn Schlehan, Betriebsleiters in
Kalanörevma, Schwefel- und Kupferkiese gefunden.
Auch in Tshupanlates bestehen Versuchsstollen, und zwar
auf Chromeisenstein. Auch Mangan kommt vor, wie mir Herr
1 Die Bestimmungen der Eruptivgesleine rühren von Herrn A. Ippen,
Assistenten am mineraloglsolien Institut der Universität in Graz, her.
504 V. Hilber,
Schlehan mittheilte und Herrippen selbständig in meinen
Gesteinsproben fand. Nicht selbst gesehen habe ich die mir von
Herrn Schlehan genannten Chromerzvorkommen von Beki
(Lamia W) und Lamia N (an der Strasse mehrere Hundert
Schritte ausser dem letzten Garten links).
Über Taratsha ging ich nach der an einem Rudistenkalk-
Berg gelegenen Stadt Lamia.
Von Lamia aus besuchte ich in einem Tagesausfluge das
Thermalbad Ypati (Schwefelquelle 32 — 35° C., je nach dem
zusit^enden Grundwasser, ich fand 34") und das gleichnamige
Städtchen im Westsüdwesten von Lamia. Hier stehen erz-
führende Serpentine in Verbindung mit Kalken an. Die nach
den vorliegenden Karten nahe im Westen verlaufende Flysch-
grenze fand ich in dieser geringen Entfernung nicht.
2. Von Lamia durch die östliche Othrys nach Wölo.
Von Lamia wandte ich mich durch ein Gebiet von Eruptiv-
gesteinen mit aufsitzenden Kalken über Limogardi nach dem
Bergwerk Kalanörevma, wo ich von Herrn Adolf Schlehan
geführt wurde. Hier werden Quarzgänge mit Kupferkies und
Malachit in mächtigem umgewandelten Diabas mittest Stollen
aufgesucht, welche hauptsächlich durch Wiederöffnung der
von den Alten angelegten entstehen. Die meisten alten Stollen
streichen NO (Gangstreichen!). Alte Schlackenfelder berichten
von der seinerzeitigen Verhüttung des Malachites, während
der Kupferkies belassen wurde. Man weiss noch nicht, ob sich
ein Abbau lohnen wird, obwohl eine Gesellschaft bereits mit
einem Aufwände von 700.000 Drachmen ein stattliches Werks-
gebäude, ein eigenes Haus für das chemische Laboratorium
und eine Fahrstrasse nach Stylida, dem Hafen von Lamia.
gebaut hat.
Die überlagernden Kreidekalke enthalten hier und weiter
im Osten bei Longitshi eine Fülle von Hippuriten. Die Grenze
der Diabase gegen den Rudistenkalk streicht nordsüdlich.
Weiter östlich, zu Neraida, fand ich umgewandelten Diabas
und Diabasmandelstein, geschichtete tuffähnliche Gesteine und
in der nach Süd laufenden Schlucht mit dem Kloster Ajios
Geörgios senkrecht stehende Grünschiefer mit WNW-Streichen.
Ostsüdöstlich vom Kloster überstie^^j ich den Rücken. Dort
Geologische Reise in Nord-Griechenland. 50.)
Streichen geschichtete Hornsteine NNW bis N. In dieser Rich-
tung streicht auch die Grenzfläche der Eruptivgesteine gegen
den Kreidekalk.
Ich stieg hinunter nach Niköwa (in dem nördlich gelegenen
Tshemowiti sollen Erze vorkommen), ging nach Raches, immer
im Eruptivgebiet, und stieg hier wieder nordöstlich hinan nach
Gardiki (grüne zersetzte Schiefer, Serpentin, geschichtete Horn-
steine, Rudistenkalk, alte Schlackenhalden).
Nordwestlich von Gardiki streichen geschichtete Horn-
steine NW, darüber folgt Serpentin und auf der Höhe Kalk.
Auf dem Ruinenberg Lärissa Kremasti fand ich Blöcke eines
tertiären Süsswasserkalkes, Reste der antiken Bausteine. Zu
Gardiki Machalassh kommen auch jungtertiäre Thone vor.
Hinter dem Kalkzug des Dorfes stossen weisse feldspatreiche
Gneisse, Chloritschiefer und Marmor mit durchschnittlich ost-
westlichem Streichen an die Serpentinformation, deren Streichen
ein nordsüdliches ist. Durch das Gebiet jener krystallinen
Gesteine ging ich weiter nach Ajios Theödoros (Amphibol-
Serpentinschiefer, dessen Beziehung zu den Gneissen nicht
wahrnehmbar) nach dem auf den vorliegenden Karten nicht
angegebenen Dermöna, welches S 35 W von Sürpi auf dem
entgegengesetzten Gehänge des Hauptthaies liegt. Damit er-
reichte ich wieder das Gebiet der Serpentine mit den über-
lagernden Kalken. Ich reiste über Vrineta nach Platanos, dann
über Almyrös nach Akitsh.
Im Norden dieses Tschiftliks treten Süsswasserkalke auf,
welche jenseits der Schlucht von einem Basaltstrom überlagert
werden. Südlich von Pirsufli treten aus Gabbro entstandene
Serpentine mit Chloritschiefem und Blöcken des von Lepsius
beschriebenen Basaltes auf. Trotz freundlicher brieflicher Mit-
theilung der Direction der thessalischen Eisenbahn, welche das
Stationshaus aus dem Gestein gebaut hatte, und Erkundigungen
bei dem Stationspersonal konnte auch ich den Steinbruch nicht
finden, sondern nur Felsen bei der Quelle Dervisshani (Station
Pirsufli S), welche möglicherweise aus dem Serpentin ragenden
Gangresten entsprechen.
Von Pirsufli ging ich nordöstlich über die Berge nach
Wolo. Hier herrschen quarzreiche Chloritschiefer mit unter-
506 V. Hilber,
geordneten Thonschiefern und Kalken mit bald nördlicher, bald
östlicher Streichrichtung.
3. Von Wölo über Welestino, den südöstlichen
Kara-Dag, die tsiragiotischen und kassidiarischen
Berge und die westliche Othrys nach Lamia. Bis Weles-
tino herrschen wieder die Chloritschiefer, hier mitMarmorlagem,
Auch tertiäre Süsswasserkalke kommen vor. Nordfallen herrscht
weitaus vor. Auf dem Übergang über den Kara-Dag von Weles-
tino nachDuwlatän sieht man, wahrscheinlich cretacische, Kalke,
darunter Serpentin, auch Bronzit-Serpentin und Gabbro, welche
von Thonschiefern unterlagert werden. Nordwestlich vom Dorfe
Aiwali ragt eine Kuppe von Bronzit- Olivin-Serpentin aus
talkreichem grünlichen Quarzschiefer. Auf den Feldern beim
Dorfe fand ich Blöcke schlackigen olivenreichen Basaltes,
dessen Vorkommen als Fels den Einwohnern nicht bekannt
ist. Einen Block ähnlichen schlackigen Basaltes fand ich auch
im Dorfe Tshangli.
Dieses Dorf liegt südöstlich von Duwlatan auf Serpentin.
Daselbst wird Chromeisenstein durch 40 — 50 Arbeiter stein-
bruchmässig gewonnen. Der Chromit ist von einem lauchgrünen
gefältelten Schiefergestein umgeben, nach Ippen einem ge-
schieferten Bronzit-Serpentin.
Über den Serpentin folgen zu Kitiki Rudistenkalke und
darüber Sandsteine, welche, muldenförmig gelagert, auf dem
Wege nach Koloklömbashi wieder ihre (andersartige) Unterlage
(Discordanz), ein dichtes Schiefergestein (Grünschiefer) mit
Serpentingängen, hervortreten lassen. Vor letztgenanntem Dorfe
fand ich Süsswasserkalk (oder Kalktuff?) mit Helixarten und
einer Cyclostoma, dann auf dem Wege zum Dorf hinauf zer-
reibliche Kalke und darüber Sande, horizontal gelagert. An
dem Wege nach Kislär herrschen WSW streichende Sand-
steine. Flysch (Sandsteine mit weissen Mergeln) erstreckt sich
südwärts über Paleo-Dhereli nach Mandasshia.
Im Süden von Dramäla treten wieder die Serpentingesteine
der Othrys auf. Südwestlich von Dramala wurden mir in einer
Wand Kupfererze mit Quarz im Serpentin gezeigt. Alte Stollen
und Schlackenhalden befinden sich in der Nähe. Neben dem
Serpentin folgt auf dem Berge im Süden rudistenerfüllter Kalk.
Geologische Reise in Nord-Griechenland. 507
Von hier ging ich nach dem durch Neumayr bekannt gewor-
denen Hippuritenfundort Andinitsa-Kloster, wo der Kalkstein
in der Wand über der Quelle ein Nest gut erhaltener Hippuriten
enthält. Hier läuft die nordsüdliche Grenzlinie des Kalkes
gegen den Serpentin horizontal, senkt sich aber dann gegen
Lamia, wo der früher erwähnte Schlossberg den unterlagernden
Serpentin nicht mehr zeigt
4. Von Lamia zum Xyniassee, südwärts zum Sper-
chiös (Archäni). nach Käto-Agoriani in der thessa-
lischen Ebene und über Dranista zum Katachloron.
Von Lamia verfolgte ich zunächst die Fahrstrasse durch
das Serpentingebiet nach Chan Abdorachmänaga. Wie früher
erwähnt, soll sich nördlich von Lamia ein Chromitvorkommen
befinden. Grossentheils serpentinisirte Eruptivgesteine (zum
Theil mit cyclopischer Maschenbildung) herrschen vor. Unter-
geordnet sind mehr oder weniger zersetzte krystalline Schiefer,
Hornsteine, Tutfe und Kalkbänke. Das herrschende Streichen
ist hier zunächst NNO und dann N; auch NW- Streichen kommt
vor. An einer Stelle fand ich Diabas-Variolith und an zwei
anderen ein grünes Gestein, welches Herr Prof. Doelter unter
dem Mikroskop als der (triadischen) Pietra verde der Südalpen
vollkommen gleichartig erkannte. Bei der Quelle Derwen sah
ich Einschlüsse von Brocken krystallinen Kalkes im Serpentin.
Ich verfolgte die Strasse weiter bis Chan-Palama und wandte
mich dann durch die Fortsetzung des Serpentingebietes nach
Neserö am Xyniassee.
Von hier ging ich südwärts nach Archani am Gehänge des
Sperchiös -Thaies. Der Aufstieg zeigt bis Kürnowo von unten
bis oben Serpentin mit Hornsteinschichten und rothen tuffahn-
lichen Schiefern, welche steil SSO bis SSW fallen. Das Ser-
pentingebiet verquerl man weiter beim Abstiege südwärts bis
Archani. NW von diesem Dorfe fand ich krystalline Schiefer
(viel Glimmer und weissen Feldspat) klippenähnlich aus dem
ihn von drei Seiten umschliessenden Serpentin herausragen.
Im NW des Dorfes kommt auch Amphibol-Augit-Schiefer vor.
Noch weiter nordwestlich von Archäni, in der Schlucht an dem
Wege nach Aswest, sah ich den Flyschsandstein der östlichen
Pindoszone' bis auf zehn Schritte, in welcher Breite das Gehänge
Ö08 V. H über,
durch Schutt verhüllt war, an den Serpentin herantreten. Der
Sandstein fällt dort steil vom Serpentin weg nach SW. Zwischen
der Mühle Rüsha und Aswest beobachtete ich die Serpentin-
Sandstein-Grenze noch einmal. Man kommt aus gegen den
Serpentin fallendem Sandsteine in den Serpentin. Ebenso sah
ich die Grenze wieder knapp westlich von Aswest (Flysch-
fallen WSW).
Auf dem Wege von Archani nach Aswest schlug ich ein
Serpentinhandstück mit Opal und Asbest.^ In dem höher ge-
legenen Paleaswest kommt Gabbro in Verbindung mit Serpentin
vor. Nahe nordöstlich von Paleaswest kennt man auf dem
Rücken, wo die alte Grenze verläuft, im Amphibol-Serpentin-
schiefer und Serpentinschiefer noch immer Olivingestein. Auch
Gabbro tritt hier auf.
Ich stieg nach Dereli, am Abhänge gegen den Xynias
hinab. Mich nordwärts wendend, erreichte ich zu Käto-Agoriani
die thessalische Ebene (auf dem Wege Bronzit- Serpentin,
darüber Hornstein, SW fallend und zu oberst eine etwa 1 km
breite Zone krystallinen Kalkes).
Im Südwesten des Dorfes, zwischen Kato- und Ano-Ago-
riani, fand ich mächtige augitführende Homblendeschiefer und
Serpentine, überlagert von röthlichem Kalk mit Anwitterungen
von Rudisten. Auch im wasserreichen Thal des Pendämylon
sah ich Serpentin, bankig abgesondert mit Ost- West-Streichen
und Grünschiefer mit der gleichen Streichrichtung. Zwischen
Ano- und Käto-Dränista geht wieder die Serpentin-Flysch-
grenze durch (in der Schlucht unten Serpentin, auf der Höhe
Sandstein und Kalkbreccien mit Rudistentrümmern).
III. Vom Katächloron nach Smökowo und Paliüri in der
thessalischen Ebene und über Rentfna zur Aspros-Brücke
Tatärna.
Von Kato-Dränista ging ich am Katachloron (Serpentin)
vorüber nach Bad Smökowo. In der Nähe des gleichnamigen
Dorfes wird Flysch von Kalkstein überlagert. Die 40 -5 gradigen
Schwefelquellen des Bades kommen aus weisslichem Flysch-
' Der Ortsname dürfte nicht von diesem Worte hergeleitet sein.
Geologische Reise in Nord-Griechenland. 509
mergel, ähnlich wie zu Vrumoneri bei Konitsa in Türkisch-
Epirus.
Mein Zickzackweg durch das Gebirge führte mich wieder
über die Flysch-Serpentingrenze nach Paliüri am Rande der
thessahschen Ebene, wo Serpentin von Kalk überlagert wird.
Von hier ging ich in das Gebirge zurück über Apidhia nach
Rentina und weiter durch die ostätolische Flyschzone, welche
sich bis zum Dorfe Arachowitsa erstreckt.
Westlich vom Dorfe schreitet man über eine Wechsel-
lagerung von hornsteinführenden Kalken und Mergeln aufwärts
in das Kalkhochgebirge. Die Schichten fallen ostwärts. Von
hier an bildet Kalk mit mächtigen Homsteinschichten und
untergeordneten Sandsteinen eine breite, N-streichende, von den
Flüssen Megdowa, Agrafiötikos und Äspros durchfurchte Zone.
Im SW von Kerässovo, in der Gegend Xerögambos, wird
der Agrafiötikos von einer 50 w hohen Terrasse (Aneroid-
messung) begleitet, welche zum kleinen Theile aus Fels, zum
anderen aus Flussschotter besteht, welche bis zur genannten
Höhe anhalten. Ein Rücken (mächtige Hornsteine, darüber
Sandstein und Kalk) trennt diese Gegend von der Äspros-
Ebene bei der Tatärna-Brücke.
IV. W^iederholte Verquerungen der Arta-Flyschzone und des
Gdbrowo-Dshumörka-Zuges.
Zwischen Chan Magüla in der Äspros-Ebene und der
Tatarna- Brücke bricht rechtsseitig ein starker klarer Fluss
(H"" C., 7. September Abends) in mehreren Armen aus dem
Kalkstein und ergiesst sich in den Aspros. Es ist offenbar der
Abfluss aus dem wasserarmen verkarsteten Bergrücken, der
vom Gabrowo her westlich vom Äspros nach SSO zieht.
Bei der Brücke liegt Flysch auf dem von Philippson
entdeckten Nummulitenkalk. Hier fand ich neben grossen
Nummuliten Alveolinen. Unter den, wie der F'lysch, ostwärts
fallenden Nummulitenkalken sah ich auf dem Wege westwärts
über den Rücken nach Chalkiopülo Rudistenkalk anscheinend
concordant (gleiche Fallrichtung) folgen. Auf der einfach
»gämbos« (Ebene) genannten eingesenkten Hochfläche bei
Chalkiopülo liegen unter den von Rudisten erfüllten grauen
510 V. Hilber,
Kalken fast horizontale Flyschmergel. Die Grenze ist auf der
Ost- und Westseite des Kessels gut aufgeschlossen und an
keiner Stelle die Spur einer Reibung oder Stauchung (etwaige
Überschiebung) sichtbar; von überstürzter Lagerung fand ich
in der Gegend keine Anzeichen, so dass dieser Flysch als
wahrscheinlich cretacisch zu betrachten ist. Im Westen von
Chalkiopülo setzen die Rudistenkalke fort. Ich verfolgte sie.
den Patiöpulos-Bach übersetzend, bis Dünista und den Bach
wieder kreuzend bis Synteknon, wo ich eine Nerinea fand.
Hier liegt die Ostgrenze der westlichen Flyschzone, dt^r
Fortsetzung der Arta-Zone. Ich wandte mich wieder ostvväns
über das noch als Sommerdorf erhaltene Paleochöri-Synteknon,
wo Flysch in einer (tektonischen) Kalkmulde liegt. Ich ging
nach SO über den Gabrowozug nach Sukaretshi. Der Rücken
ist verkarstet. Grosse Wannen mit natürlichen Abzuglöchem,
im Sommer maisbepflanzt oder Weiden, füllen sich im Winter
zu Seen. Die Kalke gehören im Westen und auf der Höhe des
Zuges der Kreide an (Rudisten), auf der Ostseite dem Eocün
(Nummuliten, schon von Philippson entdeckt und auch von
mir häufig gefunden). Diese ganze Ostseite ist ausserordentlich
wasserarm, so dass die Bewohner im Spätsommer, wenn die
Quellen versiegt sind, stundenweit bis zum Äspros um Wasser
gehen müssen. Die Nummulitenkalke halten nordwärts bis in
die Nähe von Simerü an (diese Ortschaft ist auf den vor-
liegenden Karten an unrichtiger Stelle eingezeichnet; sie liegt
näher bei Awlaki als bei Botsh, kaum 1 km nördlich von der
alten Grenze). Bei Simerü treten die Kreidekalke weit östlich
gegen den Aspropötamos vor. Ich überschritt, wieder westwärts
ziehend, den Rudistenkalk des Gabrowo, auf dessen Westseite
Schollen von Flysch mit Kalkgeröllen, westlich fallend, dem
Rudistenkalk auflagern. Auch bei Welentshikö liegt der Flysch
westlich fallend auf Rudistenkalk, ohne Dazwischentreten dts
Nummulitenkalkes.
Von hier aus wollte ich längs der Flysch-Kalk-Grenze
nordwärts gehen, musste aber wegen des für Lastthiere un-
geeigneten Weges zunächst nach Ano-Kalenü'ni hinabsteigen.
(Daselbst hatte Anfang September ein kleines Erdbeben statt-
gefunden.) Durch das vorwiegend aus Thon bestehende Flysch
Geologische Reise in Nord-Griechenland. 51 1
land ging ich aufwärts nach Wurgareli und an der Südgrenze
des Kalkzuges der Dshumerka über das Gebirge bis zum
Aspros.
Zwischen Wurgareli und Mijeri sah ich ripple-marks im
Flyschsandgestein und die Thäler derselben von verkohlten
Pflanzenresten ausgefüllt. Abwärts von Mijeri (an einer Seiten-
schlucht gelegen) fliesst der Aspros in einer schmalen Schlucht,
in welcher thoniger Flysch unter dem Kalk gegen diesen fallend
herauskommt.
Von Wurgareli ging ich durch die ganze westliche Flysch-
zone westlich hinab zum Arta-Fluss, nach Kryoneri. Die Hiero-
gl3'phen der Sandsteinbänke im Thon beobachtete ich stets an
der Unterseite der Sandsteinbänke, ein Beweis, dass über-
stürzte Lagerung nicht vorliegt. Bei Kryoneri liegen dünne
Kohlenschmitzen im Thon, auch tritt daselbst eine Schwefel-
quelle in einem Seitenbach aus dem Thon des Bachgrundes
heraus.
Von Kryoneri ging ich wieder aufwärts durch die ganze
Flyschzone, aber in nordöstlicher Richtung, nach Skoretsara.
Bei Lipianä überstieg ich eine nach meiner Aneroidmessung
50 m hohe, gegen den Arta-Fluss hinablaufende Terrasse mit
ebener, sich westlich zum Fluss senkender Oberfläche; die
Terrasse besteht aus einem Gemisch v^on grossen Kalkblöcken
und Erde.
Von Skoretsana bestieg ich noch einmal den höchsten
Dshumerka-Gipfel, »Katafidhi« (die frühere Besteigung im Jalire
1893 geschah von der entgegengesetzten Seite). Bei dieser
Gelegenheit fand ich die rothen Hornsteinschichten mächtig
entwickelt (bis jetzt auf der Westseite der Dshumerka nicht
bekannt), darüber eine zweite, geringer mächtige rothe Lage
aus rothem Schiefer, beide im Kalk des Hochgebirges ein-
gelagert. Dieser enthält auf der Spitze mit der Pyramide
Rudistentrümmer. In einem losen Stück hatte ich beim Auf-
stieg Nummuliten gefunden. Erst in der Nachmittagsbeleuch-
tung, beim Abstieg, konnte ich sehen, dass die Schichten des
Gipfels nicht die höchsten des Zuges sind, sondern dass die
Schichten, welche eine nordöstliche Neigung haben, in der
nördlich folgenden Senkungsstelle der Kammlinie von anderen
512 V. Hitber,
muldenförmigen Kalkbänken überlagert werden. Diese Schichten
ziehen sich, in der Thesis »Angath« beginnend, über die »Pre-
shina«, *Jerano vvüni« bis zur Thesis »Mega pläji«, wo die
höchsten Schichten des Zuges liegen. Aus diesen überlagernden
Schichten stammt vielleicht der lose Block mit den Nummuliten
Bei der ebenfalls von Skoretsana aus unternommenen
Besteigung der Kuppe Kastri fand ich unmittelbar über Flyscb
Breccienkalke, darüber die rothen Hornsteinschichten und oben
Breccienkalke mit Rudistentrümmern. Auch hier liegen die
Hieroglyphen auf der Unterseite der Sandsteinbänke.
V. Von der Dshumörka über den Xerowüni nach Jänina.
Von Skoretsana ging ich nach Agnanda und dann west-
wärts zu den Militärstationen »Pläka« an der Grenze. In der
Nähe der türkischen Station, zu Wrodhö, enthält derFlysch am
Abhänge gegen den Ärta-Fluss Salzlager mit Gyps, welche zur
Zeit All Paschä's ausgebeutet worden sind. Vor 20 — 25 Jahrer
machten die Besitzer des Dorfes einen neuen Versuch der
Verwerthung; sie suchen gegenwärtig einen ausländischen
Unternehmer, weil nach ihrer Angabe ihre Mittel nicht hin-
reichen und sie auch die Erlaubniss der Regierung zum Abbau
nicht erhalten können. Bezüglich ihrer weiteren Angabe, dass
der Transport auf dem Arta-Fluss sehr leicht wäre, ist zu be-
merken, dass dieser Fluss eine andere Beförderungsart als da>
Triften nicht zulässt. Hinsichtlich der Ergiebigkeit lässt sich
aus dem blossen Augenschein kein Urtheil fällen, da der ganze
Abhang von verrutschten Flyschthonen mit Gypsbrocken über-
kleidet ist.
Hier liegt Flysch auf nummulitenreichen Kalksteinen.
weiche unter etwa 45'' nach Osten fallen. Ich schliesse mich
deshalb, da für eine Überschiebung des Flysches über der
Kalkstein keine Anzeichen vorliegen, meine frühere, auf die
von mir festgestellten Lagerungsverhältnisse an der Dshu-
merka begründete Anschauung von dem cretacischen Alter de^^
Flysches westlich von der Dshumerka aufgebend, der Ansicht
F^hiiippson's von dem eocänen Alter dieses Flysches an,
obwohl in diesem den Dshumerkakalk (mit Rudistentrümmern
unterlagernden Flysch noch keine Nummuliten gefunden
Geologische Reise in Nord-Griechenland. 513
worden sind. Das Lagerungsverhältniss am Dshumerka-Zug
(eocäner Flysch unter Kalk mit Rudistentrümmmern) ist erklär-
bar, und zwar zunächst (1 — 4) bei cretacischem Alter des
Kalkes: 1. Durch überstürzte Lagerung der ganzen Schicht-
folge. Diese Annahme ist ausgeschlossen durch die Hiero-
glyphen an den Unterseiten der Sandsteinbänke. 2. Durch Über-
faltung des ganzen Hangenden (Hornsteinreihe und Breccien-
kalk) über normal liegenden Flysch. Das ist nicht anzunehmen,
weil die Hornsteinreihe stets, so wie hier, an der unteren
Grenze der Hochgebirgs-Kalkmassen liegt, also umgekehrte
Lagerung des Hangenden auszuschliessen ist. Die Concordanz
wäre allerdings durch isokline Faltung zu erklären. 3. Durch
Überfaltung der Breccienkalke über den Complex Hornstein-
Flysch; das ist sehr unwahrscheinlich, weil, wie unter 2. er-
wähnt, die Aufeinanderfolge Hornstein — Hochgebirgskalk die
regelmässige ist. 4. Durch Überschiebung der Schichtfolge
über den Flysch^ (Philippson zur Erklärung der von mir
festgestellten Lagerung); sie ist ausgeschlossen durch den hier,
am Mitschikeli, in Agrafa u. a. O. von mir beobachteten con-
cordanten Anschluss ohne Spur einer mechanischen Wirkung
auf den Flysch. 5. Durch Annahme des eocänen Alters der
Breccienkalke mit den Rudistentrümmern ^ sammt der regel-
mässig die Grenze zwischen Flysch und Kalk bildenden Horn-
reihe. Diese Annahme scheint mir gegenwärtig geringeren
Schwierigkeiten als die übrigen zu begegnen. Die Lösung der
Frage wird durch Aufsuchung massgebender Fossilien in dem
Theile der Hochgebirgskalke unmittelbar über der mächtigen
Masse rother Hornsteine anzustreben sein.
In Bezug auf 5. ist zu beachten, dass die die orographische
Fortsetzung des Dshumerka-Zuges bildenden Kalke des Gä-
browo-Zuges mit Schalen von Rudisten und Nerineen von den
Breccienkalken petrographisch abweichen und sowohl im Osten,
als im Westen von Flysch überlagert werden.
1 Überschiebung des Breccienkalkes allein aus dem gleichen Grunde
wie bei 3. nicht anzunehmen.
- Stets nur kleine Schalentrümmer, nie ein grosses Fragment oder eine
ganze Schale.
ÖU V. Hilber,
Ich Überschritt den Xerowüni-Zug und konnte feststellen,
dass er, mindestens in seinem nördlichen Theile, eine Anti-
klinale bildet, deren Scheitel etwas östlich vom geographischen
Scheitel liegt. Auch auf der Westseite des Zuges sah ich dem
Schichtenbau entsprechend Flysch, und zwar westlich fallend
auf Kalk liegend. Auf dem weiteren Wege nach Jänina fand
ich noch bei Läshani Nummuliten im Kalk.
VI. In den nordgriechischen Pindos.
Von Janina über die westliche Pindoskette (Syrakii.
Matsüki) nach Tshürtsha am Äspros, von hier über
die mittlere nach Kastania, durch die östliche nach
Kalambaka und zurück, nordwärts nach Kutsüfli und
über Metsovo nach Jänina.
Auf der Strecke von Janina nach Kontowrachi fallen
Kalke mit Rudistentrümmern nach Westen. Sie sind wahr-
scheinlich mit den ebenfalls Rudistentrümmer führenden Kalken
des Peristeri zu einer Antiklinale zu verbinden. Vor Konto-
wrachi sah ich ausgedehnte Kesselthäler, welche im Winter
zu Seeen anschwellen.^
In den auf dem Wege von Kontowrachi nach Syraku auf-
geschlossenen Sandsteinbänken sah ich die Hieroglyphen stetN
auf der Unterseite der Schichtflächen, wie früher erwähnt, ein
Beweis, dass die Schichten nicht überstürzt sind.
In der Schlucht zwischen Syraku und Kalaryte sind die
Hornsteine mächtig entwickelt. In der östlich von KalarV'te
befindlichen Seitenschlucht Karlimbo sah ich unter den Horn-
steinen dickbankige Kalke, über den Hornsteinen kleintrümme-
rige Breccienkalke mit Hornsteintrümmerchen. Auch zu Matsüki
sind die Hornsteine mächtig entwickelt.
Von dem genannten Dorfe aus überschritt ich den Ge-
birgskamm, wo mächtige rothe Kalkschiefer, wie auf der
Dshumerka, mit mächtigen Kalken liegend, herrschen. Hier sah
ich zwei Antiklinalen mit winkelig geknickten Scheiteln imKalk.
Als oberstes Glied folgen hier Sandsteine.
1 Genetisch gleichwerthig ist der See von Janina, nur ist er dauernd
gefüllt.
Geologische Reise in Nord-Griechenland. 515
Beim Abstieg gegen Osten, nach Tshürtsha, sieht man in
der Schlucht von Tshürtsha, nahe beim Dorfe, gefältelte
Kalksteine mit ungefältelten, gleichgeneigten Hornsteinen,
welche ihrerseits gleichfalls ungefältelte Kalksteinbänke ent-
halten; über den Kalken liegen hier Flyschsandsteine.
Am rechten Gehänge des Aspros-Thales ging ich nord-
wärts nach Myla. Von hier bis Kastaniä herrschen die Sand-
steine, wie in der ostätolischen Flyschzone, während der Arta-
flysch vorwiegend Thon enthält. Beim Übergang von der
Gegend von Krania nach Kastaniä beobachtete ich die von
Philippson erwähnten Nummulitenkalke. Hier liegt eine dünne
Kalkbank im Hieroglyphensandstein mit bräunlichen Schiefern.
Bei VVendista sah ich im Flyschgebiet »exotische« Granit-
blöcke (wie ich deren schon 1893 in der Gegend gefunden
hatte).
Zu Kastaniä, wo ich 1893, wie in meinem bezüglichen
Berichte erwähnt, die Beobachtungen an den Eruptivgesteinen
auf einen Morgen beschränken musste, konnte ich wichtige
Ergänzungen derselben vornehmen. In dem Rücken, welcher
nördlich von Kastaniä nach Osten zum Thale hinabzieht,
wechsellagert steilgestellter eocäner Sandstein-Flysch in ver-
schiedener iMächtigkeit mit fünf verschieden mächtigen Serpen-
tinlagern, welche ihrerseits Lager von Bronzitserpentin und
Variolit- Diabas einschliessen. Das östlichste Serpentinlager
ist das mächtigste. Eine der Flyschlagen enthält in grosser
Häufigkeit Nummulites perforatus} Im Osten grenzt der letzte
Flyschstreifen an eine mauerähnlich aufragende Wand von
Rudistenkalk. Das Streichen des Flysches ist N bis NNW. Die
Lagerungsv^erhältnisse lassen keinen anderen Schluss zu, als
dass die Serpentinlager während der Flyschbildung entstanden,
also eocän sind, welches Alter ich schon nach meinem ersten
flüchtigen Besuche angenommen hatte.
Ähnliche Lagerungsverhältnisse sieht man sehr schön in
der Schlucht nördlich des genannten Rückens, auf der Nord-
1 Philippson sammelte hier Nummuliten, aber nicht unmittelbar in
anstehendem, wenn auch zersetztem Flysch, wie er als Gegensatz zu meinen
in der Nähe gemachten Funden behauptet, sondern in von der Höhe herab-
geschwemmten Stücken.
Sltzb. d. mathem.-natunv. Cl.: CV. Bd., Abth. I. 34
516 V. Hilber,
Seite der Schlucht, wo Serpentinlager steilgestellt beiderseitig
vom Flysch eingeschlossen sind. Die Serpentinmassen ent-
halten hier Marmorblöcke.
Bei dem Abstecher nach Kalambaka beobachtete ich bei
Tseresani im Peneosthal links Serpentin unter Flysch, femer
westlich von Glinowö die Tuff- Hornstein-Reihe mehrere Hundert
Meter mächtig, flach unter Kalk liegend.
Von Kastania aus durchzog ich das Serpentingebiet nord-
wärts bis zur Grenze beim Dorfe Kutsüfli. Bei Dsheneralis sah
ich Sandstein als Einschluss im Serpentin stecken.^ Vor Kutsüfli
beobachtete ich Thon mit untergeordneten Sandsteinen flach
auf einer Serpentinkuppe liegen und die Schichten an den
Serpentingrenzen scharf aufwärts geknickt (Durchbruch?).
In Kutsüfli, wo aufgelagerte Flyschmassen an Serpentin
grenzen, überzeugte ich mich zunächst, dass die Erscheinung,
welche ich bei meinem ersten Durchzug aus der Entfernung
für Durchbrüche von Diabas durch Flysch gehalten hatte,
darauf beruht, dass zwei zersetzte Eruptivmassen von frischem
schwarzen Diabas durchsetzt werden. Südwestlich vom Dorf
liegen die mächtigen Diabas-, Serpentin- und Gabbro-Massen,
deren Grenze gegen den Flysch westsüdwestlich streicht. West-
lich vom Dorf stecken gewaltige Kalkklippen im Serpentin.
Rudistenführende Gerolle in der Schlucht stammen wahrschein-
lich von diesen Klippen. Eine derselben wird für einen Kalk-
ofen abgebaut. Die grösste Klippe misst 60 Schritte in der
Länge, 20 Schritte in der Breite und 12 w in der Höhe.
Hippuriten und andere Rudisten fand ich auch in den
Gerollen an dem Wege von der Militärstation von Kutsüfli.
»Periländsa«, nach dem türkischen Dorfe Miliä. Die Gerolle
stammen aus einer von Westen kommenden Seitenschlucht.
Beim Dorfe Milia fällt Sandstein unter Serpentin ein, der auch
hier Kalksteinblöcke enthält.
Von Miliä ging ich nach Metsowo. Auf der Höhe Fiu,
zwischen Chan Chortära und Metsowo, sah ich Nummuliten-
kalkbänke im Flysch. Zwischen Metsowo und Tria Chänia
1 Ähnliches gibt Boue vom Sygos an, wo auch ich 1894 Sandstein-
trümmer im Serpentin gesehen habe.
Geologische Reise in Nord-Griechenland. 517
fand ich Nummuliten im Flyschsandstein selbst. Zwischen
Tria Chania und Chan Baldüma sah ich, wie früher schon
Philippson, im Flysch Nummuliten-Breccienkalk. Auch beob-
achtete ich hier eine nach Osten übergelegte Falte. Beim Auf-
stieg SSW vom Chan Baldüma fand ich Nummuliten im (nach
Westen fallenden) Sandstein.
Am Südostende des Sees von Janina sind im Kalkstein
Rudistentrümmer nicht selten.
VII. Von Jänina über Filipiädha durch die Tschamurei nach
Pärga am jonischen Meere.
Ich folgte zunächst dem Westabfalle des Xerowuni und
fand übereinstimmend mit meinen unter V. mitgetheilten Beob-
achtungen die Kalkschichten nach Westen fallen. An der Strasse
findet man in den fortlaufenden Kalkwänden der Gehänge bald
Nummulitenkalk, bald Kalkstein mit Rudistentrümmern. So
südlich vom Chan Mejschö Nummulitenkalk, vor Karaül Kaneta
Rudistentrümmer in einem unter den Nummulitenkalk fallenden
Kalkstein, ebenso zu Feriekisi Rudistentrümmer im Kalkstein,
dann V2 Stunde nördlich vom Chan Eminaga, wie die Ein-
wohner sagen, oder Delmiraga nach der Karte, Breccienkalk mit
zahlreichen Nummuliten. Südlicher folgt weicher Flyschsand-
stein, welcher unter dem Chan concordant unter dem Kalk
nach Osten fällt, während der Kalk im Westen dementsprechend
seine Schichtflächen zeigt.
Von Muskiowitsa, abwärts von Chan Wyros, fallen plattige
und dickbankige Kalksteine mit Rudistentrümmern und zahl-
reichen grauen Hornsteinbänken nach Westen. Bei Chan
Kukules sammelte ich in den von Philippson entdeckten
Juraschichten. Unter Chan Karwassarä fand ich Breccienkalk
mit Rudistentrümmern.
VonFilipiadha verfolgte ich die dem Höhenrücken folgende
Strasse bis zum Ende dieses theils aus jungem Schutt und
Conglomerat, theils aus altem Kalkstein bestehenden Rückens
und wandte mich hier ostwärts über Lüros nach Kanaläki. Von
Lüros westlich bis zum jonischen Meere herrschen jungtertiäre
Schichten über da und dort hervortretenden schrundigen alten
Kalksteinen. Zwei Stunden nordwestlich von Lüros fand ich
34*
518 V. Hilber.
gestörte marine Mergel mit schlecht erhaltenen Fossilien, die
zu einer Stufenbestimmung nicht hinreichen. Das Fallen ist
sehr unregelmässig, SW, O, SO. In dem Dorfe Schendiele,
1 V2 Stunden nordöstlich von Pärga, treten stark geneigte tertiäre
Thone und jung aussehende gelbliche Breccienkalke auf. Auch
bei Pärga, dessen Festung auf Kalkstein und bräunlichen Horn-
steinmauern steht, sieht man mächtige Tertiärschichten im
Steilrande gegen die westliche Bucht. Auch das Teske steht
auf geschichteten, thonigen Massen, welche mir aus der Ent-
fernung ungefähr unter 35'' nach Westen zu fallen schienen.
Unter den Ergebnissen der Reise möchte ich mehrere her-
vorheben. Erstens konnte nachgewiesen werden, dass krystal-
line Schiefer, welche nach den vorliegenden Untersuchungen
in Mittel-Griechenland auf den äussersten Osten beschränkt
erschienen, durch die ganze Othrys bis zur Breite von Wari-
bopi reichen, eine von den bisherigen Beobachtern vollkommen
übersehene Erscheinung. Gleichfalls im Gegensatze zu den bis-
herigen Beobachtern konnte ich das Vorherrschen der nörd-
lichen Streichrichtung der Schichten in der südlichen und
der hohen Othrys feststellen (Rechtwinkeligkeit von Schicht-
und Kammstreichen). Jene Gesteine sind nach den mikros-
copischen Untersuchungen des Herrn A. Ippen Talk-Chlorit-
schiefer, Amphibol-Augitschiefer, Amphibol-Serpentinschiefer
und Serpentinschiefer. Auch das Mitvorkommen der aus der
südalpinen Trias bekannten Pietra verde verdient hervorgehoben
zu werden, ebenso wie auch die verbreiteten Diabase für
die Othrys neu sind. In jenen Gesteinen liegen mächtige
Diabas- und Serpentin-Lager und Gänge mit Chromeisenstein
und Kupfererzen. Wo immer ich sichere Kreidekalke in diesen
Gebieten wahrnehmen konnte, liegen sie über der Schichten-
reihe der krystallinen Schiefer mit Serpentin, Gabbro, Diabas
und Diabasmandelstein.
Auch in den sich nördlich an die Othrys anschliessenden
tsiragiotischen Bergen konnte ich die gleiche Gesteinsreihe
nachweisen. (Das bei Archani in der südwestlichen Othrysecke
von mir gefundene Gneissvorkommen macht wohl den Eindruck
Geologische Reise in Nord-Griechenland. 519
anstehenden Gesteins, kann aber auch eine durch Eruptivmassen
emporgerissene Scholle sein, da es der Serpentin von drei
Seiten umhüllt.)
Anders verhalten sich die Serpentine des Pindos, mit Aus-
nahme der Vorberge in der westthessalischen Ebene. Die Augit-
und Chloritschiefer fehlen vollständig, nur die Serpentine,
ebenfalls mit Gabbro und Diabas, jedoch ohne die Kupfererze,
lagern theils unmittelbar unter, theils auch zwischen und über
eocänen Sandsteinen und Thonen. Während die Othrys-
serpentine (Amphibolserpentine und Olivinserpentine) eine röth-
liche Landschaftsfarbe verursachen, herrscht in den Serpentin-
bergen des Pindos (lediglich Olivinserpentine) die schwarze
Farbe. Es ergeben sich zwei verschiedene Serpentinniveaus
in Nord-Griechenland, von welchen das eine, im Osten, sicher
nicht jünger, wahrscheinlich älter als cretacisch,^ das andere,
im Westen, eocän ist. (Dahin gehören auch die Olivinserpentine
des makedonischen Pindos.)
Weiters ist die Erkenntniss zu betonen, dass die ost-
ätolische von der epirotisch-akarnanischen Flyschzone petro-
graphisch wesentlich verschieden ist. Während die erstere
hauptsächlich aus grünen, auch glimmerreichen Sandsteinen
mit untergeordneten Thonen besteht, ist die letztere vorwiegend
aus Thonen mit untergeordneten grauen glimmerarmen Sand-
steinen zusammengesetzt. Obwohl auch die erstere, wie ich
mich nunmehr überzeugt habe, vorwiegend eocän ist (Kreide-
flysch im Gabrowo-Zug), lässt jener Umstand auf Zugehörigkeit
zu verschiedenen Horizonten schliessen; ein blosser Facies-
wechsel ist nach dem Verlauf der Grenzen nicht anzunehmen.
Ein neuer Fund ist auch der Basaltstrom über tertiären
Süsswasserkalk an der von Pirsufli südlich nach Almyrös
führenden Strasse; der Basalt gleicht petrographisch nach
Ippen dem der Blöcke bei der Station Pirsufli (von Lepsius
beschrieben).
Erwähnung verdienen auch der neue Fundort von ge-
störten Melanopsidenmergeln am ambrakischen See in Akar-
J Die Othrysserpentine ähneln durch ihre Begleitgesteine den Serpentinen
EwHa's (Euböa's), welche Teller in die Kreideformation eingereiht hat.
520 V. Hilber, Geologische Reise in Nord-GriechenJand.
nanien, sowie die Berge neogener Meeresschichten im Osten
von Parga am jonischen Meere.
Auch wurden wieder Höhenmessungen durch das Aneroid
mitSiedethermometer-Controle und photographische Aufnahmen
gemacht. Die Berechnung der ersteren hat Herr Oberst Hartl
zu den ihm früher übergebenen in Aussicht gestellt.
521
Untersuchungen über die Ausscheidung" von
Wassertropfen an den Blättern
von
Dr. A. Nestler.
Aus dem pflanzenphysiologischen Institute der k. k. deutschen Universität
in Prag.
vMit 2 Tafeln.)
I.
Jene Blattstellen, an welchen unter günstigen Umständen
eine Ausscheidung liquiden Wassers stattfindet, haben in der
Mehrzahl der bisher bekannten und näher untersuchten Fälle
mehr weniger eigenthümlich gestaltete oder gruppirte Spalt-
öffnungen — Wasserspalten — mit oder ohne einem unter den-
selben liegenden, differenzirten Gewebe, Epithem.
Man kann im Allgemeinen zwei extreme Fälle unter-
scheiden:
1. Die letzten Ausläufer der Gefässbündel in den Spitzen
der Blattzähne, Blattkerben, etc., die Endtracheiden, münden
insgesammt oder wenigstens zum Theil direct an die Wasser-
höhlen unterhalb der Wasserspalten {Siningia Lindenii, Cine-
raria rugosa, Vicia sepium, Gräser etc.)
2. Zwischen den Wasserspalten und Gefässbündelenden
liegt ein von dem benachbarten Gewebe sich scharf abhebendes
Gewebe (Saxifraga^ Fuchsia, Oenothera, Ficus etc.).
Innerhalb dieser beiden Grenzen gibt es eine Anzahl von
Übergängen je nach der Qualität und Quantität des zwischen
Wasserspalten und Gefässbündelenden liegenden Gewebes.
Der Vorgang der Tropfenausscheidung ist bei den sub 1
genannten Pflanzen ein sehr einfacher und klarer: Das Wasser
522 A. Nestler,
wird durch den Wurzeldruck in dem Holztheile der Gefäss-
bündel emporgetrieben und gelangt, nachdem es durch die
Endtracheiden hindurch filtrirt wurde, in die VVasserhöhlen und
von hier, eine von Wasserdampf erfüllte Atmosphäre voraus-
gesetzt, in sichtbaren Tropfen an die Luft.
Eine derartige, einfache Druckfiltration kommt auch in
allen jenen Fällen vor, wo zwischen Wasserspalten und End-
tracheiden ein Gewebe liegt, das sich wenig oder gar nicht von
dem übrigen Mesophyll unterscheidet {Ribes alpinunt, Hib-
bertia tetrandra u. A.). Einige hierher gehörende Fälle werden
im Folgenden des Näheren besprochen werden. Es liegt von
vornherein kein Grund vor, diesem zwischen Wasserporen
und Gefässbündelenden liegenden Parenchym eine besondere
Bedeutung zuzuschreiben; die diesbezüglich angestellten Ver-
suche lassen auch keinen Zweifel darüber aufkommen.
Anders ist es bei den Blättern mit einem scharf differen-
zirten Epithem, welchem gewiss eine Rolle im Haushalte der
betreffenden Pflanzen zukommt. Dass es mit der liquiden
Secretion in irgend einem Zusammenhange steht, ist nach der
Lagerung desselben wohl zweifellos; es fragt sich nur, ob es
eine active oder passive Aufgabe zu erfüllen hat und worin
diese fragliche Aufgabe des Näheren besteht.
Von diesen Hydathoden^ mit Epithem und Wasserspalten
hat Habe rl and t^ eingehend die bei Conocephalus ovatus, Ficus-
und Fit chsia- Arten vorkommenden mit besonderer Berück-
sichtigung des bisher räthselhaften Epithems untersucht Er
bepinselte die Wasserausscheidungsstellen der Blätter von
Conocephalus und Fiats rnit 0* 1 procentiger alkoholischer
Sublimatlösung und schloss aus dem Nichtausscheiden des
Wassers an diesen vergifteten Stellen, ferner aus dem in den
Epithemzellen nachgewiesenen Plasmakörper und den relativ
grossen Zellkernen auf die active Betheiligung dieses Gewebes
bei der Tropfenausscheidung: es functionirt als Wasserdrüse.
i Unter *Hydathoden« versteht Haberlandt (Sitzungsber. der kais
Akad. der Wissensch. zu Wien Bd., CHI, S. 494) sämmtliche Apparate und
Stellen der Wasserausscheidung an den verschiedenen Pflanzenorganen, vor
allen den LaubbUittern.
'-* Sitzungsber. der kais. Akad. der Wissensch. Bd. CIV, S. 58 ff.
Ausscheidung von VVassertropfen an Blättern. 523
Bei Fuchsia^ aber konnte weder Bepinselung mit Alkoholi-
scher Sublimatiösung und Jodalkohol, noch Einpressung von
öprocentiger Kupfervitriollösung, desgleichen Chloroformirung,
Kälte- und Wärmestarre das Austreten des Wassers in Tropfen-
form durch die Hydathoden der Blattzähne verhindern. Da
aber auch die Zellen dieses Epithems einen Plasmakörper und
relativ grosse Zellkerne haben, so ist Haberlandt der Ansicht,
dass demselben auch hier eine active Thätigkeit zuzuschreiben
ist, indem es höchst wahrscheinlich die Aufgabe haben soll,
»durch seine secretorische Thätigkeit das hitercellularsystem,
welches von den Tracheidenenden bis zur Wasserhöhle unter
der Spaltöffnung reicht, behufs Abschlusses der trachealen
Leitungsbahnen dauernd mit Wasser zu erfüllen «.^ Die tropfbar-
flüssige Ausscheidung dagegen wird, wie nach den erwähnten
Experimenten nicht anders zu erwarten ist, als blosse Druck-
filtration erklärt, also gleich dem Vorgange der Ausscheidung
bei Pflanzen ohne oder mit mangelhaft ausgebildetem Epithem.
Das Vorhandensein von relativ grossen Zellkernen und
Plasmamassen in den Epithemzellen scheint mir für die An-
nahme einer Drüse nicht ausreichend zu sein, weil »Drüse«
einerseits, »Zellkern« und »Plasma« anderseits keine Wechsel-
begriffe sind und das Urtheil »Drüsen haben grosse Zellkerne
und reichlich Plasma« sich nicht rein umkehren lässt.
Aber angenommen, das Epithem bei Fiichsia sei thatsäch-
lich eine Drüse, so zeigen die folgenden Untersuchungen, dass
es auch Pflanzen gibt, bei denen die tropfbare Ausscheidung,
wie bei Fuchsia, eine blosse Druckfiltration ist, deren scharf
differenzirte Epitheme aber kleinere Zellkerne, als die des an-
grenzenden Mesophylls, und ein unbedeutendes Plasma besitzen,
ein drüsiger Charakter dieses Gewebes also nicht zu erkennen
ist. Daraus ist zu schliessen, dass zum Mindesten nicht alle
Epitheme der Hydathoden Drüsen sind.
Das Ausbleiben der Wasserausscheidung bei älteren
Blättern und häufig auch an einzelnen Zähnen jüngerer Blätter^
kann deshalb kein Beweis für die Drüsennatur des Epithems
' Haberlandt, 1. c. S. 79.
2 HaberlandL, 1. c. S. 86.
3 Haberlandt, 1. c. S. 76.
524 A. Nestler,
bei Fuchsia sein, weil genau dieselbe Erscheinung bei solchen
Pflanzen zu beobachten ist, welche kein Epithem haben, z. B.
bei Cineraria rngosa. Hier gehen die Tracheidenenden theil-
weise bis unmittelbar unter die Wasserspalten, beziehungs-
weise bis an die Wasserhöhlen derselben. — Während die
jungen Blätter unter günstigen Umständen an den Spitzen der
Blattkerben je einen grossen Tropfen zeigen und einen sehr
zierlichen Anblick gewähren, ist bei älteren Blättern selbst
unter den besten Bedingungen keine Spur einer Ausscheidung
zu bemerken. Über die muthmasslichen Ursachen dieser auf-
fallenden Erscheinung werde ich mich bei Besprechung der
Hydathode von Cineraria äussern.
Über das Austreten von Tropfen an den Blattzähnen ab-
geschnittener FwcÄsm-Zweige, welche im Wasser standen und
mit einer Glasglocke bedeckt waren,^ ist Folgendes bezüglich
der activen Function des Epithems zu sagen:
Zweige mit Blättern, welche Drüsen haben, z. B. von
Prunus laurocerasus, wo dieselben bekanntlich auf der Unter-
seite der Blattspreite in der Nähe der Basis unmittelbar an dem
Hauptnerven vorkommen, oder von Prunus avium u. a., zeigen,
auch wenn sie erst längere Zeit nach dem Abschneiden in Wasser
gestellt worden sind, tagelang auch ohne jede Bedeckung und
in trockener Luft Secretion dieser echten Drüsen. Bei Fuchsia
jedoch konnte, wie Haberlandt* angibt, selbst in von Wasser-
dampf erfülltem Räume an den Blattzähnen nur sehr selten und
sehr spärlich Wasserausscheidung beobachtet werden.^ Alle von
mir angestellten Versuche mit F/icrÄs/a-Sprossen hatten einen
negativen Erfolg. Dagegen gelang das Experiment mit einem
unter Wasser abgeschnittenen Zweig von Tropaeolum majus,
welcher, in Wasser stehend, unter eine innen mit Fliesspapier
belegte Glasglocke gebracht worden war; dieselbe war unten
mit Wasser abgesperrt. Nach 12 Stunden zeigten sich zwei
ganz kleine Tröpfchen an dem Rande eines sehr jungen Blattes.
Ganz abgesehen davon, dass die Tropfenausscheidung bei
1 Haberlandt, 1. c. S. 76.
2 Haberlandt, 1. c. S. 85.
•J Nach Pfeffer (Pflanzenphysiologie 1881, S. 175) spricht schon dieser
rmstand gegen eine ansehnliche Activität des Epithems.
Ausscheidung von Wassertropfen an Blättern. 525
Tropaeolum eine einfache Druckfiltration ist, wie ich weiter
unten nachweisen werde, kann die beobachtete. Secretion an
dem abgeschnittenen Tropaeolum-Spross nicht nur nicht als
Beweis für die Activität des Epithems herangezogen werden,
sondern spricht geradezu dagegen, weil bei diesem Blatte kein
scharf differenzirtes Epithem vorliegt: die Zellen unter den
Wasserspalten sind kleiner, als die des angrenzenden Meso-
phylls, zu welchem ein allmäliger Übergang zu bemerken
ist, und enthalten Chlorophyll, so dass sie in ihrer Gesammt-
heit keineswegs den Eindruck eines besonderen Gewebes
machen. Von den Zellkernen dieses Epithems^ gilt dasselbe,
was oben von Ftuhsia gesagt wurde. Zudem kann man
Tropfenausscheidung an abgeschnittenen Sprossen, und zwar
an den Stellen der normalen Secretion solcher Blätter beob-
achten, welche gar kein Epithem haben, so bei Ribes auretim,
Vitis vinifera,^ bei Gräsern etc.
Aus allen diesen angeführten Gründen lässt sich meiner
Meinung nach noch nicht auf den Drüsencharakter des Epi-
thems im Allgemeinen schliessen.
Ob ein scharf differencirtes oder ein nur schwach aus-
gebildetes oder gar kein Epithemgewebe vorhanden war, stets
erwies sich in den folgenden, näher untersuchten Fällen der
Vorgang der Tropfenausscheidung als eine blosse Druck-
filtration, wie bei Fuchsia, ohne active Betheiligung irgend eines
Gewebes. Wenn zwischen Wasserspalten und Endtracheiden
der Gefässbündel ein aus mehr weniger zahlreichen kleinen
Zellen bestehendes Gewebe liegt, das sehr kleine Intercellular-
räume aufweist, so ist schon dadurch an und für sich ein
besserer Abschluss der trachealen Leitungsbahnen hergestellt,
als bei Pflanzen ohne Epithem, ohne dass es nothwendig er-
scheint, diesem Gewebe noch eine active Thätigkeit zuzu-
schreiben. Solange die liquide Secretion stattfindet, sind natürlich
auch die Intercellularen des Epithems mit Wasser erfüllt; dieses
Wasser wird sich in diesen überaus engen Räumen auch dann
noch ganz oder wenigstens theilweise erhalten, wenn die
1 Haberlandt, 1. c. S. 86.
2 Vergleiche: Kraus, »Über Blutung aus parenchymatischen Geweben«.
Bot. Ctbl. t. XXI, 1885. S. 217 und 245.
Ö2() A. Nestler.
sichtbare Ausscheidung aus den Wasserspalten aufgehört hat
und in den Wasserleitungsbahnen ein negativer Druck herrscht.
Dass das Epithemgewebe sich von dem übrigen Mesophyll
mehr oder weniger unterscheidet und insbesondere durch seine
Chlorophyllarmuth auffallt, lässt sich vielleicht ontogenetisch
erklären. Es ist eine Thatsache, dass die Zellen des Epithems
unter anderen Verhältnissen wachsen, als die übrigen Meso-
phyllzellen: während die Intercellularen dieser dem Gasaus-
tausch dienen, ist in den Intercellularen des Epithems besonders
in der frühesten Jugend des Blattes liquides Wasser, welches
durch die noch vor den Luftspalten angelegten Wasserspalten
austritt. Dieses ausgeschiedene Wasser ist bekanntlich niemals
ganz rein, sondern enthält gewisse Beimengungen (Kalk- und
Magnesiacarbonat u. a.) in geringerer oder grösserer Menge.
Es erscheint mir denkbar, dass die unter solchen Umständen
sich ausbildenden Zellen andere morphologische Eigenschaften
aufweisen werden, als die vorherrschend der Assimilation oder
der Stoff'leitung dienenden Zellen.
Bei der folgenden Untersuchung der Hydathoden einiger
Pflanzen habe ich zunächst die Frage zu beantworten gesucht,
ob hier die liquide Secretion ein blosser Filtrationsvorgang sei
oder nicht. Das Epithem der untersuchten Blätter ist entweder
scharf abgesetzt gegenüber dem angrenzenden Gewebe {Bryo-
phyllum, Ranunculns auricomns etc.) oder nur schwach aus-
gebildet.
Daran schliesst sich die Besprechung von bisher nicht
näher untersuchten oder unbekannten Hydathoden einiger
Pflanzen, welche mehr oder weniger ausgebildete Wasserspalten
und kein Epithem besitzen {Agapanthns umbellattis L'Her.,
Tradescantia viridis hortorum u. a.). Dass sich auch manche
Keimblätter wie jene Laubblätter verhalten, welchen ein
schwach ausgebildetes Epithem zukommt, wurde durch einige
Beispiele nachgewiesen.
In allen diesen untersuchten Fällen ist die liquide Aus-
scheidung eine blosse Druckfiltration, indem das Wasser an
den Stellen des geringsten Widerstandes durch die Spalt-
Ausscheidung von Wassertropfen an Blättern. 527
Öffnungen austritt. Selbst bei Phaseolns multißorus, als dessen
Hydathoden keulenförmige Trichome angesehen werden, dürfte
die Tropfenausscheidung entweder allein oder gleichzeitig mit
den Keulenhaaren durch Spaltöffnungen erfolgen, wie die an-
gestellten Druckversuche zeigen.
Um den Ausscheidungsapparat, insbesondere das Epithem-
gevvebe auf die eventuell vorhandene, active Thätigkeit zu
prüfen, wurden die Secretionsstellen der Blätter durch Bepinse-
lung mit 0* l7o alkoholischer Sublimatlösung (1^ Sublimat in
\0Q0 cm^ 967o Alkohol) ^^^^ mit Jodtinctur vergiftet und die
betreffenden Pflanzen nach vollständiger Eintrocknung der an-
gewandten Flüssigkeit unter eine mit Wasser abgesperrte Glas-
glocke gestellt. Zu demselben Zwecke wurde in abgeschnittene
Zweige oder Blätter eine 57o Kupfervitriollösung mittelst
Quecksilberdruck eingepresst. Zur luftdichten Verschliessung
des betreffenden Objectes in dem mit einem Gummischlauch
versehenen kürzeren Schenkel eines U- förmig gebogenen
Glasrohres wurde Blumendraht und ein Gemisch von einem
Gewichtstheil Colophonium mit zwei Gewichtstheilen Wachs ^
mit sehr gutem Erfolge angewendet. Der vollständige Verschluss
bereitet bei Anwendung der genannten Mittel selbst bei zarteren
Objecten niemals eine Schwierigkeit. Ist der Stengel oder Blatt-
stiel nicht rund (z. B. bei Phaseolus\ so macht man denselben
vor dem Einführen in den Gummischlauch durch aufgelegtes
Wachs stielrund. Zur Bedeckung des in dem kürzeren Rohr-
ende befestigten Pflanzentheiles wurde eine Glasglocke ver-
wendet, welche am offenen Rande einen kleinen Ausschnitt
besitzt; dieser Ausschnitt hat den Zweck, das Glasrohr beim
Bedecken mit der Glocke vor Druck und leicht eintretender
Zertrümmerung zu bewahren. Ausserdem kann man auf diese
Weise, wie bei ähnlichen, aber meist sehr kostspieligen Appa-
raten, den Quecksilberdruck beliebig erhöhen, ohne die übrigen
Verhältnisse irgendwie zu stören, da das längere Rohr ausser-
halb der Glasglocke sich befindet und durch ein Stativ vertical
gehalten werden kann.
1 Wiesner und Molisch, Untersuchungen über die Gasbewegung in
der Pflanze. Diese Sitzungsber., Bd. XCVIII, Abth. I, S. 679.
528 A. Nestler,
II.
Bryophyllum calycinum Salisb.
Die liquide Secretion der Blätter dieser Crassulacee wurde
bereits von C ramer beobachtet und von Berger* des Näheren
untersucht. An dem Ende jeder Blattkerbe, und zwar auf der
Unterseite derselben liegen bei erwachsenen Blättern auf dem
Grunde einer kleinen Vertiefung einige Spaltöffnungen, ich
zählte als Maximum 7, welche sich weder durch ihre im aus-
gebildeten Zustande noch deutlich erkennbare Entwicklung,
noch durch ihre Grösse von den übrigen Stomaten unter-
scheiden. Die Schliesszellen, welche kein Schliessvermögen
zeigen und von Stärkekörnern erfüllt sind, haben einen kleiner,
runden Porus. Die durch die vorbereitenden Theilungen ent-
standenen, jene Stomaten begrenzenden Epidermiszellen sinJ
kleiner als die der nächsten Umgebung, welche mehr wenige:
radial gestreckt und spaltöffnungsfrei sind. Unter den VVasser-
spalten liegt das Epithemgewebe; es nimmt im ausge-
wachsenen Blatte einen seitlich von Gefässbündelsträngen
begrenzten, ungefähr dreieckigen Raum ein (Taf. I, Fig. 1) und
besteht aus im Verhältniss zu den benachbarten Mesophyü-
zellen sehr kleinen, runden Zellen mit spärlichen Chlorophyll-
körnern und kleinen Zellkernen, welche erst bei Anwendung
von Tinctionsmitteln sichtbar werden (Fig. 4). In der Mitte de^
Epithems sieht man bisweilen einen grossen, verschieden
gestalten Intercellularraum. Auch gegen die Blattoberseite zu
ist das Epithem von den zwei bis drei Schichten darüber
lagernden Parenchymzellen scharf abgesetzt (Taf. I, Fig. 4 .
Die angrenzenden Gefässbündel gehören, wie aus der Fig. 1
zu ersehen ist, drei grösseren Stämmen an, zu denen kleinere
Zweige stossen; a und b sind Zweige der grossen Rand-
bündel c und d und schliessen durch ihr Zusammentreffen den
Epithemraum bogenförmig nach aussen hin ab.
Zahlreiche Tracheiden gehen von diesen Strängen aus und
durchsetzen radienartig das Epithemgewebe.
^ Berg er H., Beiträge zur Entwicklungsgeschichte von Bryophyllun
colycininn, Zürich 1877.
Ausscheidung von Wassertropfen an Blättern. ^29
Bei ganz jungen Blättern (von 5— lOww Länge) sieht
man in den Blattkerben drei Gefässbündel sich vereinigen, von
denen zwei seitliche Äste mit zahlreichen Endtracheiden und
ebenso dem mittleren Stamme entsprechend einzelne Tracheiden
gegen die Spitze der Blattkerbe gerichtet sind, wo 3— 4 Wasser-
spalten liegen (Taf. I, Fig. 3). Erst später vereinigen sich die
beiden seitlichen Stämme und schliessen das Epithem, wie
bereits oben angegeben wurde, gegen den Blattrand hin voll-
ständig ab.
Bringt man ein Bryophyllnm in einen von Wasserdampf
erfüllten Raum, so zeigen sich bereits nach kurzer Zeit Tropfen
auf der Unterseite der Blattkerben. Um das Epithemgewebe auf
seine eventuell vorhandene active Bedeutung für die Tropfen-
ausscheidung zu prüfen, bepinselte ich die Blattkerben je eines
Randes einiger mittelgrosser Blätter auf der Unterseite mit
0'1'Vo alkoholischer Sublimatlösung, die anderen Ränder
blieben zur Controle intact Die ganze Pflanze kam, nachdem
die bepinselten Stellen vollständig trocken waren, unter eine
unten mit Wasser abgesperrte Glasglocke. Nach 12 Stunden
zeigten die vergifteten, wie die intacten Blattkerben an der
Stelle der Wasserspalten je einen grossen Wassertropfen.
Um die Ausscheidung bei künstlichem Drucke an Stelle
des Wurzeldruckes zu prüfen, wurde zunächst destillirtes
Wasser in ein Blatt eingepresst. (Hier, wie bei allen folgenden
Druckversuchen steht der verwendete Pflanzentheil stets unter
einer Glasglocke in mit Wasserdampf erfülltem Räume.) Schon
bei einem Drucke von 10 cm Quecksilberhöhe gelangte das
Wasser nach wenigen Secunden durch den Blattstiel in die
Lamina, wie ich mit blossem Auge beobachten konnte: dieselbe
hellte sich von der Basis angefangen allmälig auf, und da das
vertical stehende Blatt seine Fläche dem Lichte zukehrte, konnte
das rapide Fortschreiten des Wassers leicht verfolgt werden.
Bald zeigten sich, hie und da auf beiden Blattflächen zerstreut,
vereinzelte grosse Tropfen, welche wahrscheinlich durch ver-
letzte Stellen ausgetreten waren, ebenso an den Stellen der
Wasserspalten, doch nicht auf allen Blattkerben. Nach Verlauf
von 3 Stunden war das ganze Blatt mit Ausnahme eines kleinen
centralen Theiles an dem Hauptnerven vollständig injicirt Dass
530 A. Nestler,
die eingepresste Flüssigkeit sich nicht nur im Holztheile de:
Gefässbündel, dem normalen Wasserwege, sondern auch —
und wahrscheinlich vorherrschend und weit rascher als in den
Bündeln — in den Intercellularen des Blattparenchyms bewegte,
davon zeigen die folgenden Experimente:
Druckversuch mit einer ö^o Tanninlösung; nach 3 Stunder.
zeigte sich die Ausscheidung in analoger Weise, wie bei An-
wendung reinen Wassers. Die mikroskopische Untersuchunc
ergab, dass sich diese Lösung nicht nur in dem Holztheile des
grossen, centralen, im Querschnitt bogenförmigen Gefässbündeh
des Blattstieles bewegte, sondern auch in den vielen kleinen
Gefässbündeln um den centralen Strang und in den Inter-
cellularen des Grundgewebes. Ebenso zeigten sich alle Inter-
cellularen der Spreite, auch die Athemhöhlen der Luft-
spalten vollständig infiltrirt.^
Einpressung von öprocentiger Kupfervitriollösung in einen
Spross mit 5 Blättern. Quecksilberhöhe = 13 cm. Bei den
älteren, wie bei den jüngeren Blättern traten auf einigen Blati-
kerben, nicht auf allen, an den Stellen der normalen Wasser-
secretion Tropfen aus, welche als Kupfervitriol nachgewiesen
wurden (Streifen von Filtrirpapier mit 4procentiger Ferroc^^an-
kaliumlösung getränkt färben sich, mit den ausgetretenen
Tropfen in Berührung gebracht, kupferroth).
Demnach ist die liquide Secretion bei Bryophylluw
calycinum ein blosser Filtrationsprocess ohne active
Betheiligung des reichlich vorhandenen Epithems.
Ich erwähne noch die unter günstigen Umständen in sehr
schöner Weise sich zeigende Tropfenausscheidung bei Bryo-
i Ähnliche Verhältnisse zeigen ältere und jüngere Blätter von Primula
sinensis Li ndl.: Schon nach wenigen Minuten werden die Intercellularen des
Blattes bei einem Drucke von 10 cm Quecksilberhöhe injicirt, ohne dass die
eingepresste Flüssigkeit durch die Hydathoden der Blattzähne austritt. Die ange-
wendete Flüssigkeit (dest. Wasser, Tanninlösung, KupfervitrioUösung) bewegt
sich nicht nur im Holztheile der Gefässbündel, sondern auch in den relativ
grossen Intercellularen des Grundparenchyms des Blattstieles. Der Durchmesser
dieser Intercellularen betrug bei einem jungen Blatte 0* 1 — 0*15 mm. Vergleiche
auch »Moll, Über Tropfenausscheidung und Injection bei Blättern.« Bot
Zeitung, 1880.
Ausscheidung von Wassertropfen an Blättern. o3 1
phyllum proltfernm, indem dadurch, dass die Ränder der ein-
zelnen Fiederlappen etwas nach aufwärts gekrümmt sind, die
Ausscheidungsstellen, wie bei Br, calycinum gelagert und
gebaut, dem Auge leicht sichtbar sind. Auch hier konnte durch
Vergiftung der Secretionsstellen (Bepinselung mit alkoholischer
Sublimatlösung und Einpressung von Kupfervitriollösung) die
Ausscheidung nicht gehindert werden.
Es wurde bei dieser Species auch bisweilen die Beob-
achtung gemacht, dass bei intacten Pflanzen unter der Glas-
glocke anstatt auf der Unterseite, ein Wassertropfen auf der
Oberseite des Blattrandes genau über dem Epithem sichtbar
war. Ob hier die Ausscheidung durch Spaltöffnungen oder auf
andere Weise stattfand, konnte nicht eruirt werden.
Aucuba japonica T h b g.
Die länglich-ovalen oder breit-lancettlichen Blätter dieser
bekannten Zierpflanze sind mehr weniger deutlich gezähnt; in
jeden Zahn mündet ein starkes Gefässbündel, mit welchem seit-
lich je ein kleineres mit dem ersteren durch Anastomosen ver-
bundenes Bündel sich vereinigt. Das Ende dieser Gefässbündel-
vereinigung ist flach pinselartig ausgebreitet. Jede Zahnspitze
zeigt auf der Blattoberseite eine längliche, erhabene, gelblich-
vveisse Stelle, den Sitz von 20 — 30 Wasserspalten, von denen
einige auch auf der äussersten Spitze vorkommen. Es sind dies
die einzigen Spaltöffnungen der Oberseite; sie sind etwas
grösser als die Luftspalten der Unterseite (Wasserspalten :=z
49 : 41, Eisodialöffnung = 20 : 13; — Luftspalten = 32 : 26,
Eisodialöffnung =z 16:8), ihre Verschlussvorrichtungen nur
schwach angedeutet, die Centralspalte eng, die Eisodialöffnung
weit und öfters mit einer schwarzen, körnigen Substanz ange-
füllt. Unter der Region der Wasserspalten liegt ein relativ
mächtiges Epithem, das aus verhältnissmässig grossen, ge-
buchteten Zellen mit deutlichen Intercellularen besteht. Chloro-
phyll fehlt oder ist nur in geringer Menge vorhanden; die Zell-
kerne, welche bei Anwendung von Methylgrün-Essigsäure
sichtbar wurden, sind ebenso gross, wie die des übrigen Meso-
phylls.
Sitzb. d. mathem. naturw. Cl.; CV. Bd., .A.bth. I. 35
332 A. Nestler.
So oft durch künstlichen Druck destillirtes Wasser in einen
Zweig eingepresst wurde, zeigte sich die Ausscheidung wohl
an allen Blättern, aber niemals an allen Zähnen eines Blattes;
einige blieben selbst bei gesteigertem Drucke (bis zu 35 cm
Quecksilberhöhe) trocken. Um die Ursache dieser Erscheinung
kennen zu lernen, wurde eine 5procentige Tanninlösung in
einen Zweig mit 6 Blättern eingepresst, von denen das grösste
7 cm lang war. Schon nach 2 Stunden zeigten sich bei einem
Drucke von Ibcm Quecksilberhöhe auf der Mehrzahl der Blatt-
zähne an den Stellen der Wasserspalten deutliche Tropfen,
welche sich unter Anwendungeines mit Eisenchlorid getränkten
Streifens von Filtrirpapier als Tanninlösung nachweisen liessen.
Die nicht ausscheidenden Zähne befanden sich an verschiedenen
Stellen der Blätter, bald näher der Basis, bald näher der Spitze.
Die Tanninlösung bewegte sich, wie leicht zu erkennen war,
in dem Holztheile der Gefassbündel durch alle Adern der
Blätter und bei vorhandener Ausscheidung durch die Inter-
cellularen des Epithems und die Wasserspalten nach aussen.
Bei nicht erfolgter Secretion war das Epithem verschieden be-
schaffen: die Intercellularen desselben waren entweder ganz
oder theilweise, oder auch gar nicht mit der eingepressten
Lösung erfüllt; im letzteren Falle konnte das Tannin bis in die
Endtracheiden verfolgt werden. Die Wasserspalten auf den aus-
scheidenden Zähnen waren grösstentheils geöffnet und frei von
der oben erwähnten russigen Masse, welche nur hie und da
eine Eisodialöffnung erfüllte; dagegen zeigten die Wasser-
spalten auf den nicht secernirenden Zähnen insgesammt oder
grösstentheils eine geschlossene Centralspalte, bisweilen sogar
vollständig geschlossene Eisodialöffnung oder eine Verstopfung
derselben. Es scheint somit die Ursache des Ausbleibens der
Wasserausscheidung an manchen Blattzähnen dieser Pflanze
in der Beschaffenheit der Wasserspalten zu liegen.
Um diese Erscheinung des Näheren zu prüfen und eine
eventuelle active Thätigkeit des Epithems zu eruiren, wurde
folgendes Experiment gemacht:
Von drei Blättern eines frischen Zweiges wurden die
Wasserspalten der Zähne je eines Blattrandes durch einen
Flächenschnitt vorsichtig abgeschnitten, was ohne Schwierig-
Ausscheidung von Wassertropfen an Blättern. 533
keit gelingt, hierauf alle Zähne dieser drei Blätter, die verletzten
wie die unverletzten, durch Bepinselung mit O-P/o Alkohol-
sublimat vergiftet. Von den übrigen vier Blättern wurden zwei
vollständig intact gelassen, bei den beiden anderen die Wasser-
spaltenregionen, d. h. die betreffenden Epidermisstücke, durch
Schnitte entfernt. Bei Anwendung eines Quecksilberdruckes
von \6cnt Höhe zeigten sich die Tropfen des eingepressten
destillirten Wassers bereits nach einer halben Stunde an allen
jenen Blattzähnen, denen die Wasserspalten fehlten; erst nach
Verlauf einer weiteren halben Stunde trat die Ausscheidung
auch auf den nicht durch das Messer verletzten vergifteten und
nicht vergifteten Zähnen ein, doch nicht bei allen; so zeigte das
eine intacte Blatt nur an einem Rande die Secretion, an anderen
Blättern wechselten ausscheidende und nicht ausscheidende
Zähne ab. Die mikroskopische Untersuchung dieser ergab das-
selbe Resultat wie oben. Die Austrittsstellen des Wassers, die
Wasserspalten, können bei dieser Pflanze entweder offen oder
geschlossen, theilweise auch verstopft sein. Eine Tödtung der-
selben durch Sublimat hindert die Ausscheidung nicht; eine
Entfernung derselben begünstigt die Ausscheidung. Da das
Epithem selbst nach erfolgter Vergiftung die Tropfenaus-
scheidung nicht hindert,, so kann es hier keine active Rolle
spielen. Dies beweist auch die Einpressung einer öprocentigen
Kupfervitriollösung in einen frischen Zweig: bei 15^;« Queck-
silberhöhe zeigten die Blattzähne nach einer halben Stunde
Tropfen der verwendeten Flüssigkeit.
Benthamia fragifera Ldl.,
auch zu den Corneae gehörig, hat ganzrandige Blätter, Bei An-
wendung künstlichen Druckes erscheinen hie und da an den
Rändern Tropfen, welche durch Wasserspalten austreten. Ein
Epithem konnte nicht nachgewiesen werden. Bei Anwendung
einer Tanninlösung kann man sich leicht überzeugen, dass die
eingepresste Flüssigkeit sich nicht nur im Holztheile des Gefäss-
bündels des Stengels, sondern auch in den Intercellularen des
Mark- und Rindenparenchyms aufwärts bewegt und dass alle
Intercellularen des Blattmesophylls injicirt werden. Eine be-
sonders starke Leitungsbahn stellt der in unmittelbarer Nähe
35*
534 A. Nestler,
des Blattrandes verlaufende Strang dar, der aus einem kleine::
Bast- und Holztheile besteht; an letzteren schliesst sich seitlicn
eine Gruppe von TracheVden (oder Tracheen?) an, welche seh:
verdickte Spiralbänder besitzen (Taf. II, Fig. 14). In diesen
Tracheiden, welche im Blattquerschnitt wie Sklerenchymfasen
aussehen, bewegt sich ein relativ mächtiger Strom der ein-
gepressten Flüssigkeit. Wie die Verbindung desselben mit der
randständigen Wasserspalten hergestellt ist, wurde nicht nähe:
untersucht. Wahrscheinlich grenzen die Seitenwände dieser
Spiraltracheiden direct an die Wasserhöhlen der Spaltöffnungen,
ein Verhältniss, wie es bei der später zu besprechenden Tra-
descantia viridis {hortorttm) nachgewiesen wurde (Taf. II,
Fig. 15).
Ranunculus auricomus L.
Sowohl die rundlichen, grundständigen, als auch di^-
schmalen Lappen der stengelständigen Blätter zeigen unter
günstigen Umständen im Freien liquide Secretion. Der Ort der
Ausscheidung an den Enden der Zähne und Lappen erschein
hier (wie bei sehr vielen Ranunculus- Avien^) als gelblich-
brauner oder weisslicher Fleck, welcher 6 — 8 grosse, runde,
bei ausgewachsenen Blättern starre Wasserspalten mit weil
geöffnetem Porus trägt. Unter denselben liegt ein ziemlich
scharf von dem übrigen Mesophyll sich abhebendes Epithem
(Taf. II, Fig. 13), dessen zahlreiche, kleine, sehr schwach chloro-
phyllhaltige Zellen rundlich oder schwach gebuchtet sind und
sehr kleine, aber deutlich erkennbare, dreieckige oder vier-
eckige Intercellularen zeigen. Bei Anwendung von Tinctions-
mitteln wurden in manchen Epithemzellen, nicht in allen, Zell-
kerne von normaler Grösse sichtbar. In einen Spross mi:
mehreren sitzenden Blättern wurde eine öprocentige Kupfer-
vitriollösung eingepresst; Quecksilberhöhe ■= 13 cm\ schon
nach einer Viertelstunde zeigten sich an den Enden der Blatt-
lappen kleine Tropfen der verwendeten Flüssigkeit; nach einer
1 Nestler, Der anatomische Bau der Laubblätter der Gattung /?a«ttl»r«/w.^
.Nova acta Bd. LXIII, Nr. 2, S. 296.
Ausscheidung von Wassertropfen an Blättern. o3o
halben Stunde vom Beginne des Versuches an trat durch die
Wasserspalten aller Blätter die Kupfervitriollösung aus.
Andere Vergiftungen des Epithems durch Bepinselung dei
Secretionsstellen mit 0* 1 und 1^ ^ alkoholischer Sublimatlösung,
ferner mit Jodalkohol wurden an im Freien stehenden Pflanzen
vorgenommen, über welche nach vollständiger Eintrocknung
der angewandten Flüssigkeit eine Glasglocke gestülpt wurde.
Die Ausscheidung zeigte sich zu derselben Zeit und in der-
selben Stärke, wie bei den intacten Blättern.
Oenothera biennis L.
Der ganze Wasserausscheidungsapparat mit seinem com-
pacten Epithemgewebe und je einer grossen Wasserspalte auf
jedem Blattzahne wurde von Volkens^ genau beschrieben,
Experimente und Resultate wie bei Rantmculus auricomus.
Die Kupfervitriollösung trat bei \0 cm Quecksilberhöhe bereits
nach einer Viertelstunde aus den Zähnen des angewandten
Blattes aus.
Tropaeolum majus L
Die seit Mettenius^ und De Bary^ bekannten Aus-
scheidungsstellen dieser Blätter besitzen zwischen den Wasser-
spalten und den letzten Tracheiden ein kleinzelliges, chloro-
phyllhaltiges Gewebe, das allmälig aus den grösseren Meso-
phyllzellen hervorgeht und von deutlichen Intercellularen durch-
setzt ist.
Fünf Blätter einer kräftig wachsenden Pflanze wurden an
den Secretionsstellen durch Bepinselung mit 0 • 1 'Vq alkoholischer
Sublimatlösung vergiftet. Schon nach 2 Stunden trat unter der
Glasglocke an den vergifteten, wie an den intacten Blättern die
Tropfenausscheidung ein. Sogar eine Vergiftung durch l'Vo
Sublimatlösung, durch welche die betreffenden Stellen gelblich-
1 Über WasserausscheiJung in liquider Form an den Blättern höherer
Pflanzen. Jahrbuch des bot. Gartens, 11, S. 195.
2 Filices horti Lipsiensis, S. 8 — 10.
3 De Bary, Vergl. Anat. S. 391
336 A. Nestler,
braun wurden, vermochte die liquide Secretion nicht zu
hindern.
Ein weiterer Beweis für die nichtactive Betheiligung dieses
Epithems an der liquiden Secretion ist folgender Druckversuch:
In ein ausgewachsenes, frisch abgeschnittenes Blatt von 7 cm
Spreitendurchmesser, dessen Stiel lOcm lang war, wurde eine
5% Kupfervitriollösung eingepresst; Quecksilberhöhe bei Be-
ginn des Druckes =: \0 cm. Schon in der überraschend kurzen
Zeit von 7 Minuten nach Einleitung des Experimentes zeigten
sich an allen Enden der Gefässbündelbahnen kleine Tropfen,
welche schon durch ihre Farbe, deutlicher bei Anwendung von
Ferrocyankalium, sich als KupfervitrioUösung erwiesen.
Mimulus moschatus L.
Auf den äussersten Spitzen der Blattzähne liegt je eine
sehr grosse Wasserspalte mit weitgeöffnetem Porus und relativ
grosser Wasserhöhle. Die Zellen des chlorophyllarmen Epithems
sind zwischen und über den letzten Tracheiden des pinsel-
förmigen Endes der vereinigten Gefässbündel mehr weniger in
die Länge gestreckt, an der Wasserhöhle rundlich gestaltet;
man sieht in denselben bisweilen auch ohne Tinctionsmittei
grosse Zellkerne (Taf. I, Fig. 5).
Die wässerige Ausscheidung an den Spitzen der Blatt-
zähne geht in grossen Tropfen vor sich. Ausserdem bemerkt
man auf beiden Blattseiten eine grosse Anzahl kleiner Tröpf-
chen, welche von langgestielten Drüsenhaaren abgesondeit
werden. Im Sommer werden durch dieses klebrige Secret öfters
kleine Insecten festgehalten. Neben diesen langen, secernirenden
Trichomen kommen noch kleine Haare vor, deren vierzelliges
Köpfchen von einem einzelligen, kurzen Stiel getragen wird.
Ob dieselben ebenfalls jene klebrigen Tropfen secerniren oder
eine andere Function haben, wurde nicht untersucht.
Bepinselt man die Spitzen der Blattzähne mit O-r'/o
alkoholischer Sublimatlösung, so werden dieselben bräunlich
gefärbt, zeigen aber in von Wasserdampf erfülltem Räume
schon nach kurzer Zeit wieder grosse Wassertropfen. — Ein
beblätterter Zweig einer intacten Topfpflanze wurde einen
Ausscheidung von Wassertropfen an Blättern. o37
Moment in jene Sublimatlösung getaucht, worauf die ganze
Pflanze nach vollständiger Verdunstung der anhaftenden Flüssig-
keit unter eine Glasglocke gestellt wurde. Auch an den Blättern
dieses so vergifteten Zweiges fand liquide Secretion in gleicher
Stärke wie bei den unverletzten Blättern statt; die Drüsenhaare
dagegen secernirten nicht mehr.
Chelidonium majus L.
Die Enden der stumpfen Blattzähne oder Lappen sind
nach unten umgeschlagen und haben auf diesem Theile, also
auf der morphologischen Oberseite des Zahnes 3 — 5 durch
ihre Grösse auffallende Wasserspalten. Unter denselben liegt
das verbreiterte Ende dreier hier zusammenstossender Gefäss-
bündel und einige wenige chlorophyllfreie mit kleinen Inter-
cellularen versehene Zellen als ein schwach ausgebildetes
Epithem, welches einen allmäligen Übergang zu dem lacunösen
Schwammparenchym aufweist. Vergiftung der Ausscheidungs-
stellen junger und alter Blätter durch Sublimat, während die
sonst intacte Pflanze unter einem Glassturze steht, hindert die
Secretion nicht. Die Bepinselung mit Sublimat muss sehr vor-
sichtig vorgenommen werden, da sonst sehr leicht ein grösserer
Theil des Blattes vollständig vernichtet wird. In diesem Falle
findet keine Ausscheidung statt.
Hibbertia tetrandra.
Diese zu den Dilleniaceen gehörige Pflanze zeigt unter
günstigen Umständen, und zwar auf der morphologischen
Oberseite der Blattzähne sehr zierliche Wassersecretion. Auf
je einem Zahne liegen 5—6 Wasserspalten und unter denselben
ein schwach ausgebildetes, schwammparenchymartiges, fast
chlorophyllloses Epithem mit deutlichen Intercellularen.
Bepinselung der Zähne mit Sublimat oder Jod-Alkohol
hindert die liquide Secretion nicht.
Cyclamen hederifolium G.
Epithem an den Enden der kleinen Blattzähne unterhalb
einiger Wasserspalten gering ausgebildet, doch von den
grösseren, dickwandigeren Zellen des angrenzenden Mesophylls
r)38 A. Nestler,
deutlich unterscheidbar. Vergiftung des ganzen Randes junger
Blätter durch Sublimat: Ausscheidung genau so stark, wie bei
intacten Blättern derselben Pflanze. Die Cyclamenblätter ge-
hören zu jenen, welche sowohl bei vorhandenem Wurzeldruck
in von Wasserdampf erfülltem Räume, als auch bei Anwendung
künstlichen Druckes (10 — \d cm Quecksilberhöhe) eine voll-
ständige Injicirung der Intercellularen der Spreite zeigen. Fresst
man eine schwache Tanninlösung in ein Blatt, so kann man
sich leicht davon überzeugen, dass dieselbe nicht nur im Holz-
theile der Gefässbündel, sondern auch in den Intercellularen
des Grundgewebes des Blattstieles emporsteigt und in die
Intercellularen der Spreite gelangt.
Aquilegia vulgaris L.
Ausscheidung an den Enden der Blattkerben am Grunde
der seichten medianen Einkerbung, wo drei grössere und zwei
kleinere Gefässbündel sich vereinigen und ihre letzten Trache-
iden ausbreiten. Am Grunde der genannten Einbuchtung liegen
einige wenige (3 — 5) Wasserspalten von runder Gestalt mit
kleinem runden Porus. Die Epithemzellen sind länglich ge-
streckt, seitlich gewellt, gegen die Wasserspalten zu mehr
rundlich mit kleinen Ausbuchtungen; ihre Zellkerne sind eben-
so gross oder kleiner, als die der übrigen Mesophyllzellen. Die
Epidermiszellen rings um die Ausscheidungsstelle und die
vorderen Epithemzellen sind mit Anthokyan erfüllt.
Einpressung von öprocentiger Kupfervitriollösung; Queck-
silberhöhe = 12 cm; Ausscheidung schon nach einer halben
Stunde.
Eranthis hiemalis Salisb.
Auf den Spitzen der 3 — 7theiligen grundständigen Blätter,
aber noch auf der morphologischen Oberseite, 2 — 3 runde
Wasserspalten mit weit ge(*)ffnetem Porus. Es vereinigen sich
hier drei Gefässbündel und senden ihre letzten Tracheiden in
die Spitze. Epithem schwach ausgebildet, aus gebuchteten
schwammparenchymartigen Zellen bestehend, welche relativ
Lrrosse Zellkerne erkennen lassen.
Ausscheidung von Wassertropfen an Blättern. 539
Einpressung von oprocentiger Kupfervitriollösung; Queck-
silberhöhe = lOcm; Ausscheidung nach 1 Stunde.
Dass manche Keimblätter bezüglich des Baues und der
Function der Hydathoden sich analog den Laubblättern ver-
halten, zeigen die folgenden Untersuchungen.
Helianthus annuus L.
Am äussersten vorderen Rande der Keimblätter befindet
sich eine grössere Anzahl von typischen Wasserspalten und
unter denselben ein kleinzelliges, allmälig aus den grösseren
Mesophyllzellen hervorgehendes Epithem, zwischen dessen
Kiementen die letzten Tracheiden der hier vereinigten drei
Gefässbündel liegen. Das Epithem besteht nur aus wenigen
Lagen runder, mit deutlichen Intercellularen versehenen Zellen.
Vergiftung der Secretionsstelle hindert die Ausscheidung nicht.
Ebenso verhalten sich die Cotyledonen von Bryonia alba L.,
welche am vorderen, schwach gebuchteten Rande secerniren.
1 Taf. I, Fig. 6.)
Eschscholtzia californica Cham.
Starke Ausscheidung an den Spitzen der zweispaltigen
Keimlappen, wo je drei Gefässbündel sich zu einem kurzen,
dicken Stamme vereinigen, welcher ohne Ausbreitung seiner
Elemente Ol mm vor der Spitze endigt. Hier liegen 2 — 3 grosse
VVasserspalten; zwischen denselben und dem Bündelende ein
lockeres Mesophyll, eine Art Epithem. Sublimatvergiftung hin-
dert die Secretion nicht.
Ricinus comniunis L.
An dem Rande der Cotyledonen auf der morphologischen
Oberseite derselben findet unter günstigen Umständen eine
reiche: Wasserausscheidung durch Druckfiltration statt. Die
hier sich befindlichen Wasserspalten (Taf. I, Fig. 8) sind nicht
grösser als die Luftspalten, aber kreisrund oder breiter als lang
und von einer relativ grossen Anzahl von Epidermiszellen um-
geben. Da die Zahl und Anordnung der Tracheiden am Ende
des Hauptnerven ebenso beschaffen ist, wie an dem der Seiten-
nerven, welche freie Bündelenden gegen den Rand senden, so
540 A. Nestler,
ist die gleichmässige Ausscheidung an dem ganzen Blattrande
erklärlich; es ist an keiner Stelle eine besondere Anhäufung
von Tracheidenenden wahrzunehmen.^
Cineraria rugosa (hortorum).
Die liquide Secretion an den Blättern dieser Pflanze kommt
unter günstigen Umständen sehr stark und in sehr zierlicher
Weise zum Ausdruck. Auch bei einer Temperatur von nur
3 — 5** C. konnten viele Wochen hindurch in den Morgenstunden
wenigstens an den jüngsten Blättern stets grosse Tropfen
beobachtet werden. Auf den Spitzen der grossen Blattkerben
liegen bis zu sechs grosse weitgeöffnete Wasserspalten, deren
Schliesszellen einen reichen Chlorophyllgehalt haben; es sind
dies die einzigen Stomata der Blattoberseite. Auch auf den
kleinen Spitzen am Rande des Blattes zwischen den grossen
Kerben kommen einige wenige Wasserspalten vor, durch
welche aber seltener eine liquide Secretion stattfindet Die
Epidermiszellen in der Region der Wasserspalten zeigen nebst
einer cuticularen Längsstreifung noch eine eigenthümliche
Streifung der Aussenmembran normal zu den Seitenwänden.
In jedem Zahne stossen drei starke Gefässbündel zusammen,
deren Tracheidenenden fast bis zu den Wasserspalten reichen;
sie sind von denselben in den meisten Fällen durch 2 — 3 Lagen
mehr weniger runder, schwach chlorophyllführender Zellen mit
drei- oder viereckigen Intercellularen getrennt; ein Epithem ist
somit nicht vorhanden. Bei den kleinen Zähnen grenzen die
Enden der Tracheiden oft bis an die Athemhöhle einer Wasser-
spalte.
Bringt man eine gut beblätterte, intacte Pflanze in einen
von Wasserdampf erfüllten Raum, so tritt nach einer gewissen
Zeit die Ausscheidung zunächst bei den jüngsten Blättern ein;
1 Auf der Ober- und Unterseite der Cotyledonen sieht man zwischen den
kleinen Epidermiszellen grössere Zellen, welche entweder mit einem kömigen
Inhalt oder scheinbar mit Anthokyan erfüllt sind. Lässt man auf diese rothen
Zellen Kalilauge einwirken, so schiessen nach dem Verschwinden der rothen
Farbe augenblicklich eigenthümliche Krystalle zu einer Form zusammen, welche
am besten mit einer Feuerwerkssonne vergleichbar ist. Dieselben sind unlöslich
in conc. Alkohol, Salzsäure; dagegen löslich in Wasser.
Ausscheidung von Wassertropfen an Blättern. o41
allmälig zeigen auch die tiefer stehenden deutliche Wasser-
tropfen; die ältesten Blätter aber scheiden selbst unter den
günstigsten Bedingungen nicht aus/ eine auffallende Erschei-
nung, die auch bei anderen Pflanzen beobachtet wurde. Fresst
man unter Anwendung künstlichen Druckes in einen gut be-
blätterten Zweig eine verdünnte Tanninlösung, so zeigt die
anatomische Untersuchung, dass auch bei den ältesten Blättern,
Nvelche selbst unter den günstigsten Umständen keine liquide
Secretion erkennen Hessen, die Flüssigkeit bis in die Trache-
idenenden gelangt war. Da die Wasserspalten wenigstens zum
Theil vollständig geöffnet sind, den Austritt der angewandten
Lösung also nicht hindern, so scheint dasNichtausscheiden der
älteren Blätter auf irgend einer Verstopfung der Tracheiden-
enden zu beruhen; aber selbst eine genaue Untersuchung
derselben ergab keinen näheren Grund. Schneidet man die
Spitzen der Zähne derartiger unter günstigen Verhältnissen
nicht mehr secernirenden Blätter auf eine Länge von 2— 3 mm
ab, um das unbekannte Hindemiss der Ausscheidung zu be-
seitigen, so gelingt es oft, aber keineswegs immer, die Secretion
herzustellen. Das aber steht fest, dass man das Nichtaus-
scheiden älterer Blätter nicht als Beweis für die Activität des
Epithems anführen kann, da genau dieselbe Erscheinung bei
Pflanzen vorkommt, welche gar kein Epithem haben.
Tradescantia viridis (hortorum).
Die Blätter dieser monocotylen Pflanze, bei welcher meines
Wissens bisher liquide Secretion nicht beobachtet worden ist,
zeigen unter günstigen Bedingungen — unter der Glasglocke
oder auch in einem wasserdampfreichen Treibhause — auf der
morphologischen Oberseite, und zwar in unmittelbarer Nähe
des Randes in mehr weniger gleichen Abständen grosse, in
einer Reihe stehende Wassertropfen.
Der äusserste Rand trägt kleine, conische Trichome, welche
aus je einer etwas über die Epidermis emporragenden Basal-
zelle und einer daraufsitzenden, kurzen, spitz zulaufenden Zelle
bestehen; beide zeigen je einen deutlichen Zellkern. Sie sind in
zwei Reihen vorhanden, von denen die eine näher der Ober-
seite, die andere näher der Unterseite des Blattes verläuft. Dass
.'>42 A. Nestler,
dieselben nicht die Organe der Secretion sind, geht schon aus
der makroskopischen Betrachtung der Tropfen hervor, welche,
wie gesagt, stets auf der Oberseite des Blattes ausgeschieden
werden. Hier* also in unmittelbarer Nähe des Randes, liegt eine
Reihe von Spaltöffnungen, es sind die einzigen der Oberseite,
und zwar in Abständen von 0-2 — 0-4 fnnt angeordnet. Bezüg-
lich der Entwickelung zeigen dieselben keine Unterschiede zu
den Luftspalten der Blattunterseite, dagegen im Bau und in
der Lage; in der Flächenansicht erscheinen sie rund mit kleiner
Eisodialöffnung (Taf. II, Fig. 16); während die Luftspalten in
gleichem Niveau mit der Epidermis liegen, sind die Wasser-
spalten tief eingesenkt (Taf. 11, Fig. 15), so dass eine äussere
Wasserhöhle gebildet wird.
Das Organ, von welchem diese Wasserspalten das Wasser
erhalten, ist ein aus Spiraltracheiden bestehender unter jener
Spaltöffnungsreihe befindlicher Randstrang, welcher O'lß mm
vom äussersten Rande verläuft. (Taf. II, Fig. 15.)
Die Spaltöffnungen liegen genau über diesem Strang,
seltener um ein Minimum seitlich von demselben und zwar
ujegen das Innere der Blattfläche zu. Bemerkenswerth ist femer
die Thatsache, dass auf der Blattunterseite, dort, wo der Rand-
strang verläuft, keine Spaltöffnungen liegen, eine Erscheinung,
die auch bei vielen anderen Pflanzen beobachtet werden kann,
deren Wasserspalten die einzigen Stomata der Oberseite sind.'
Agapanthus umbellatus L' H e r.
Joly ^ hat bereits die Tropfenausscheidung an den Blatt-
spitzen dieser monocotylen Pflanze erwähnt. Ich beobachtete
dieselben durch viele Tage an einem Exemplar, welches ohne
Bedeckung an einem nach Süden gelegenen Fenster eines
Arbeitszimmers des Institutes in einer sehr trockenen Lult
stand, und zwar bei einer Temperatur von 15° — 19° C, also
imter Umständen, welche bekanntlich einer liquiden Wasser-
^ Nestler, Kritische Untersuchungen über die sogenannten Wasser-
Spalten. Nova acta, Bd. LXIV, Nr. 3, S. 147.
- Mem. de l'acad. des sciences de Toulouse, 7. s., t. VIII, p. 414. (Cit.
nach Burgerstein, Materialien zu einer Monographie, betreffend die Er-
scheinungen der Transpiration der Pflanzen; S. 92.
Ausscheidung von Wassertropfen an Blättern. o43
secretion sehr ungünstig sind.^ Die Erscheinung fand den
ganzen Tag hindurch statt. Es zeigt sich je ein grosser Tropfen
am Ende jedes Blattes, auch der vollständig ausgewachsenen,
entweder auf der Oberseite oder auf der Unterseite, bald näher,
bald entfernter von der Spitze oder am Blattrande. Tupft man
die Tropfen mit Fliesspapier ab, so erscheinen sie in einigen
Secunden wieder an denselben Stellen. ^
Die Epidermis an der Secretionsstelle zeigt keinen beson-
deren Bau: es befinden sich auf der Ober- und Unterseite der
Blattspitze einige zerstreut liegende Spaltöffnungen, welche
sich nur durch die etwas grössere Eisodialöffnung von den
übrigen Stomaten unterscheiden. Unter Einwirkung von lOpro-
centiger Chlornatriumlösung schliesst sich die Centralspalte
vollständig. Die parallel verlaufenden Gefässbündelstränge ver-
einigen sich allmälig an der Blattspitze, indem sie in seichtem
Bogen ineinander übergehen.
Das einzige freie Gefässbündelende, bestehend aus wenigen
(bei den untersuchten Blattspitzen schliesslich nur aus zwei)
kurzen Tracheiden (Taf. I, Fig. 7), ist von der äussersten Spitze
des Blattes durchschnittlich noch Olomm entfernt; dasselbe
ist von chlorophyllhaltigen Zellen umgeben, zwischen denen
deutliche Intercellularräume sichtbar sind; bisweilen grenzen
die letzten Tracheiden direct an einen Intercellularraum.
Der einfache Vorgang der Ausscheidung ist der, dass das
Wasser in Folge des Wurzeldruckes durch die Endtracheiden
in jene Intercellularräume und von da je nach dem leichteren
Zusammenhange derselben an verschiedenen Stellen der Blatt-
spitze verschiedener Blätter durch die Spaltöffnungen nach
aussen gelangt, daher öfters auf der Unterseite als auf der
Oberseite des Blattes, weil hier weniger Spaltöffnungen vor-
kommen, als dort. Vergiftungen der Blattspitzen können die
Ausscheidung nicht verhindern; Blattspitzen, welche wenige
Secunden in heisses Wasser getaucht werden, scheiden nicht
1 Unter ähnlichen Verhältnissen habe ich nur noch bei einigen unbe-
deckten Gräsern (Hordeum, Triticum, Seeale etc.) Tropfenausscheidung beob-
achtet, solange die Pllänzchen eine Höhe von 3 — 4 cm nicht überschritten
liatten; die Luft war sehr trocken, die Temperatur durchschnittlich 17° C.
')46 A. Nestler,
Winkeln der Blattnerven, also genau so, wie bei einer intacten
Pflanze unter dem Glassturze. Der Nachweis der ausgeschie-
denen Flüssigkeit geschah sehr leicht mittelst Ferrocyankalium-
papier.
Dass die Drüsenhaare eine Kupfervitriollösung durch active
Thätigkeit ausscheiden, ist gewiss nicht der Fall; dass dieselben
aber auch nicht passiv der genannten Lösung den Durchtritt
ermöglichen, geht daraus hervor, dass in keinem derselben eine
Spur von Kupfervitriol nachgewiesen werden konnte. Es mus?
deshalb diese Ausscheidung auf andere Weise, wahrscheinlich
durch Stomata, vor sich gehen. Bei aufmerksamer Unter-
suchung findet man über die Blattfläche zerstreut, insbe-
sonders an den Seiten der Blattrippen der Unterseite Spalt-
öffnungen, welche durch ihre Form ausserordentlich an typische
Wasserspalten erinnern (Taf. I, Fig. 9); dieselben sind voll-
ständig rund oder breiter als lang, sehr oft mit grossem, weit
geöffnetem Perus, bisweilen auf einem kleinen Zellhügel liegend
(Taf. I, Fig. 10).
Von zehn derartigen Experimenten mit dem gleichen Er-
folge will ich noch eines des Näheren beschreiben:
Normaler Spross mit sechs Blättern, von denen die unteren
vollständig ausgewachsen waren; Quecksilberdruck = 15 cw:
schon nach zwei Stunden einzelne, kleine Tröpfchen auf der
Unter- und Oberseite der Blätter, welche als Kupfervitriollösung
nachgewiesen wurden. Nach vier Stunden v^om Beginne des
X'ersuches an (Quecksilberdruck = 10 cm) reichliche Secretion
an der Unterseite der Blätter, ebenso an den Nebenblättern und
den Blattstielen. Das Reagenspapier wurde bei Berührung mit
den Secrettropfen stark kupferroth gefärbt.
Die nähere Untersuchung dieser Blätter zeigte, dass die
eingepresste Flüssigkeit sich nur im Holztheile der Gefäss-
bündel bewegte und bis in die feinsten Blattadern vorgedrungen
war. Auch in den Athemhöhlen einiger Spaltöffnungen konnte
mit Sicherheit das Kupfervitriol erkannt werden.
Eine neue Illustration der Thatsache, dass auch an abge-
schnittenen Pflanzentheilen grosse, osmotische Druckkräfte zum
\'orschein kommen können, liefern in ganz ausgezeichneter
W-eise die Blätter von PItaseolns mtiltißonis. Dieselben können
Ausscheidung von Wassertropfen an Blättern. 547
auch ohne Wurzeldruck und ohne Anwendung eines künstlichen
Druckes sehr stark secerniren, wie folgender Versuch zeigt:
Abgeschnittene ausgewachsene Blätter einer kräftigen, im
Freien cultivirten Pflanze wurden in Brunnenwasser gestellt
und in den feuchten Raum unter die Glasglocke gebracht.
Nach sechs Stunden trat eine so reiche Wasserausscheidung
ein, wie ich sie selten an intacten Pflanzen beobachtet hatte;
dieselbe zeigte sich vorherrschend auf der Blattunterseite,
welche mit zahlreichen Tröpfchen verschiedener Grösse be-
deckt war; auch die Blattstiele und die Nebenblättchen zeigten
dieselbe Secretion, wie eine bewurzelte Pflanze im feuchten
Räume.
Es ist gleichgiltig, ob man die Blätter untfer Wasser ab-
schneidet oder in der Luft und erst später in das Wasser stellt,
der Beginn und die Stärke der Secretion sind unter sonst
gleichen Umständen immer dieselben.
Wenn man auf die halbe Unterseite ausgewachsener
Blätter eine 0* 1 procentige alkoholische Sublimatlösung durch
ein einmaliges Bepinseln einwirken lässt und die so behandelten,
in Brunnenwasser stehenden Blätter, nachdem sie vollständig
trocken geworden sind, in den feuchten Raum bringt, so scheiden
nur die nicht vergifteten Blattflächen aus.
Die mikroskopische Untersuchung der mit Sublimat be-
pinselten Epidermis lässt erkennen, dass fast alle Keulenhaare
coUabirt sind; aber auch alle Spaltöffnungen sind vollständig
geschlossen, ein Beweis, dass die ganze Epidermis durch das
Sublimat mehr weniger beeinflusst wurde; auch in der Mehr-
zahl der Schwammparenchym-Zellen erscheint der Inhalt con-
trahirt.
Die vergifteten Fiederblättchen fallen bisweilen schon nach
48 Stunden ab, während die intacten abgeschnittenen Blätter
zehn Tage und länger eine starke Secretion zeigen. Dieselben
Erscheinungen wurden auch nach Bepinselung mit 0-01 7o
alkoh. Sublimatlösung beobachtet. Es lassen somit derartige
Experimente nicht erkennen, ob die Secretion durch die active
Thätigkeit der Keulenhaare oder durch andere Zellen vor sich
geht. Der oben angeführte Druckversuch bei Anwendung von
Kupfervitriol lässt aber vermuthen, dass es die Spaltöffnungen
Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; CV. liJ., Abth. [. 36
548 A. Ncstler.
sind, durch welche das Wasser seinen Weg nach aussen
nimmt.
III.
Zusammenfassung.
Die unter günstigen Umständen eintretende Tropfenaus-
scheidung an den Blättern von Bryophyllnm calicinmn Salisb.,
Ranunculus auricomus L., Oenothera biennis L. und Aucuba
japonica Thbg. beruht auf blosser Druckfiltration ohne active
Betheiligung des hier deutlich differenzirten Epithems. Die
bisher für die Drüsennatur dieses Gewebes angeführten Gründe
sind nicht beweiskräftig.^ Es ist daher sehr wahrscheinlich,
dass das Epithem im Allgemeinen keine active Thätigkeit
besitzt und weder die liquide Secretion nach aussen hin be-
sorgt, noch die sehr kleinen Intercellularen zwischen den
Epithemzellen mit Wasser erfüllt.
Die Lage eines solchen Gewebes zwischen Endtracheiden
und Wasserspalten bildet an und für sich einen guten Ab-
schluss der trachealen Leitungsbahnen, der in allen jenen
Fällen fehlt, wo die Endtracheiden bis an die Wasserhöhlen
reichen.
. Auch bei jenen Pflanzen, wo ein Epithem schwächer aus-
gebildet ist, beruht die sichtbare Tropfenaus&cheidung, wie die
durchgeführten Sublimatvergiftungen und Einpressungen von
Kupfervitriol lehren, weder auf der activen Thätigkeit des
Epithems, noch der der Wasserspalten.
AgapanthiirS utnbellatus V Her, hat weder Epithem, noch
Wasserspalten, aber an der Spitze der Blätter einige wenige,
frei endende Tracheiden, welche theilweise direct an Inter-
cellularräume grenzen. Die Wassertropfen treten theils auf der
morphologischen Oberseite, theils, und zwar häufiger auf
der Unterseite des Blattendes aus, weil hier die Spaltöffnungen
und Intercellularen zahlreicher sind, als dort und das Wasser
1 Siehe I. Abth. dieser Arbeit, S. 523—525. Der in der letzten Zeitsich
verbreitenden Ansicht, dass bei der Wasserausscheidung solcher Pflanzen,
welche zwischen Wasserspalten und Tracheidenenden ein Epithem haben,
dieses letztere Gewebe mehr weniger activ thätig sei, kann ich auf Grund
meiner Untersuchungen nicht beipflichten.
Ausscheidung von Wassertropfen an Blättern. 549
an den Orten des geringsten Widerstandes austritt. Blattspitzen,
welche einige Secunden in heisses Wasser getaucht wurden,
schieden nicht mehr aus; dagegen konnte Sublimatvergiftung
die Secretion nicht hindern.
Die Blätter der Gräser scheiden in der Jugend durch an
der Spitze liegende Wasserspalten, später durch Risse liquides
Wasser aus. Verhindert man die Ausscheidung der jugendlichen,
mit Wasserspalten versehenen Blätter dadurch, dass man die
Blattspitzen mit einem für Wasser undurchlässigen Stoff über-
zieht, also die Wasserspalten verklebt, oder dadurch, dass man
dieselben in heisses Wasser taucht, so tritt die Secretion an
verschiedenen Stellen des Blattes mehr weniger entfernt von
der Spitze in der unmittelbaren Nähe des Blattrandes ein und
erfolgt wahrscheinlich durch Luftspalten.
Bemerkenswerth ist die Wasserausscheidung bei Trades-
cantia viridis (hortorum) durch Wasserspalten, welche auf der
Blattoberseite in einer Reihe am Rande des Blattes über einem
Randstrang angeordnet sind; es sind die einzigen Spaltöffnungen
der Blattoberseite. Zu denselben verlaufen keine freien Bündel-
enden; sie erhalten das Wasser durch an die Wasserhöhlen
grenzende Seitenwände der Tracheiden des Randstranges. —
Der starke Randstrang der ganzrandigen Blätter von Benthamia
fragifera Ldl., der, wie die nähere Untersuchung lehrt, eine
besondere Rolle bei der Wasserleitung spielt, scheint in ähn-
licher Weise, wie bei Tradescantia, die liquide Secretion am
Kande des Blattes zu veranlassen.
Die Cotyledonen von Helianthus annmts L., Eschscholtzia
californica Cham, und Bryonia alba L. verhalten sich wie
Laubblätter mit schwach ausgebildetem Epithem. Auch hier
liegt am vorderen Rande zwischen Gefässbündelenden und
Wasserspalten eine Art Epithem, welches ebenfalls nicht acti\
bei der Secretion liquiden Wassers betheiligt ist, wie die aus-
geführten Sublimatvergiftungen zeigen.
Bei den Blättern von Phaseolus mnlfißorusWil 1 d. scheinen
nicht die Keulenhaare die Wasserausscheidung zu besorgen,
da bei relativ geringem Quecksilberdrucke eine dreiprocentige
Kupfervitriollösung genau in derselben Weise zum Austritte
gelangt, wie destillirtes Wasser, und die eingepresste Flüssig-
36*
550 A. Nestler,
keit in den genannten Trichomen nicht nachgewiesen werden
kann. Vergiftung durch Bepinselung mit 0* 1 — O'Olprocentiger
alk. Sublimatlösung und dadurch erzielte Verhinderung der
Wasserausscheidung beweist nicht die active Thätigkeit der
Haare, weil durch solche Behandlung nicht nur diese Trichome,
sondern auch die Spaltöffnungen und theilweise das Mesophyll
getödtet werden. Derartige Blattfiedem mit bepinselter halber
Unterseite fallen im feuchten Räume- bisweilen schon nach
48 Stunden ab. Dass auch an abgeschnittenen Pflanzentheilen
grosse, osmotische Druckkräfte zum Ausdrucke kommen
können, zeigen in ausgezeichneterweise abgeschnittene Blätter
dieser Pflanze, welche im feuchten Räume in gleicher Weise und
ebenso stark viele Tage hindurch Wassertropfen ausscheiden,
wie eine intacte Pflanze unter gleichen Bedingungen.
Herrn Prof. Dr. H. Molisch, welcher durch vielfache An-
regung meine Untersuchungen in ausserordentlicher Weise
förderte, spreche ich meinen besten Dank aus.
AJiestler lAissoheidung vönWassertropfen an Blättern.
Taf.L
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5. A--^
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Antor del
Lith Axst r.Th BaTimnir(K.vn«ii
Sitzungsberichte d.kais. Akad. d. Wiss., math..naturw.Classe,Bd.CV. Abth.I. 1896.
ANestler ij^sscheidun^ von Wassertropfen anBlättem.
Taf.ir.
Autor d»l
LiOt Anst vTK Banroranh.Wien
Sitzungsberichte d.kais.Akad. d.Wiss., math.-naturw. Gasse, Bd. CV. Abth.I. 1896
Ausscheidung der Wassertropfen an Blättern. 55 1
Erklärung der Zeichnungen.
Tafel I.
1. 2, 3, 4. Bryophyllum calicinum Salisb.:
1. Epithem {e) mit den angrenzenden Gefässbündeln von der Blattunter-
seite aus gesehen. V. 150.
2. Eine Wasserspalte. V. 350.
3. Gefassbündelverlauf in dem Kerbzahne eines jungen Blattes (sche-
matisirt); das Epithem {e) ist durch die Stränge a b noch nicht voll-
ständig eingeschlossen; «/= Wasserspalt^n.
4. Ein Theil des Querschnittes durch eine Blattkerbe an der Stelle des
Epithems {e) ; m = Mesophyll gegen die Blattoberseite zu. V. 350.
5. Mimulus moschatus L.: Medianer Längsschnitt durch die Spitze eines Blatt-
zahnes. V. 350.
6. Bryonia alba L. : Gefassbündelverlauf im distalen Ende des Cotyledon ;
tv = Region der Wasserspalten.
7. Agapanthus umbellatus: Freies Bündelende an der Blattspitze; / = Inter-
cellularraum. V. 150.
8. Ricinus communis L. : Wasserspalte des Cotyledon. V. 300.
9. 10, 11. Fhaseolus multiflorus Willd.:
9. Wasserspalte der Blattunterseite innerhalb der Nervenbahnen. V. 250.
10. Wasserspalte an der Seite einer Blattrippe, auf einem Zellhügel liegend.
V. 250.
11. Luftspalte. V. 250.
12. Hordeum vulgare L.: Wasserspalte auf der Blattspitze; in einigen benach-
barten Zellen liegen Anthokyankugeln. V. ^50.
Tafel n.
\Z. Ranunculus auricomusL.i Ein Theil des medianen Längsschnittes durch
die Spitze eines Blattlappens. V. 350.
14. Benthamia fragifcra Ldl. : Querschnitt durch den Blattrand; o = Epidermis
der Oberseite, u = der Unterseite des Blattes. V. 180.
15, 16, 17. Tradescantia viridis (hortorum):
15. Querschnitt durch den Blattrand; o = Oberseite, w = Unterseite des
Blattes; w = Wasserspalte. V. 360.
16. Wasserspalte in der Flächenansicht. V. 360.
17. Luftspalte in der Flächenansicht. V. 360.
OOJ
Weitere Untersuchungen über den histo-
logischen Bau des Holzes der Pomaceen, nebst
Bemerkungen über das Holz der Amygdaleen
von
Dr. Alfred Burgerstein.
Im vorigen Jahre ( 1 895) hatte ich die Resultate vergleichend-
histologischer Holzuntersuchungen veröffentlicht,^ die sich auf
85 Arten (inclusive Hybriden) von Pomaceen bezogen, und die
in der Absicht vorgenommen wurden, um zu ermitteln, ob sich
bestimmte Gruppen oder Gattungen der Pomaceen — die Be-
grenzung der letzteren ist bekanntlich seitens der Botaniker
eine sehr verschiedene — auf Grund eines übereinstimmenden
Holzbaues xylotomisch unterscheiden lassen. Ich habe gefunden,
dass einzelne Gattungen der genannten Familie einen so über-
einstimmenden und charakteristischen Holzbau zeigen, dass
derselbe als diagnostisches Merkmal zu betrachten ist und als
Classificationsmerkmal für solche Formen der Pomaceen ver-
wendet werden kann, über deren Gattungszugehörigkeit seitens
der Systematiker getheilte Ansichten bestehen.
So habe ich unter Anderem gefunden, dass Cotoneaster
xylotomisch eine wohl begrenzte Gattung ist, und dass z. B.
die Einreihung von Pyracantha seitens Wenzig und Focke
in das Genus Cotoneaster mit Rücksicht auf den Holzbau un-
zulässig ist, ferner dass die Abtrennung der Pyracanthen von
Crataegus begründet ist, ebenso die Trennung der Mespilus
germanica von Crataegus, indem das Mispelholz charakteri-
stische Merkmale zeigt, die bei keiner der zahlreichen Crataegus-
Arten vorkommen, was ich deshalb hier anführe, weil Will-
1 Vergleichend-histologische Untersuchungen des Holzes der Pomaceen.
Diese Sitzungsber., 104. Bd., I. Abth. 1895.
Holz der Pomaceen. 553
denow, Koch, Wenzig, Pocke u. A. unter Auflassung des
Gattungsnamens Crataegus die Weissdorne mit der Mispel in
das Genus Mespilus vereinigt haben.
Bezüglich der Hybriden habe ich unter Anderem gefunden,
dass die von den Systematikern angenommene Hybridität von
Pirus Bollwilleriana Bauh. =: Pirus commnnisx Sorhis Aria
auch im anatomischen Bau des Holzes begründet ist, dass
ferner Mespilus grandißora Sriiith mit Rücksicht auf den
Holzbau nicht eine distincte Crataegus -Art sein kann, wie dies
Koehne und Dippel annehmen, sondern dass sie entweder
eine reine Mespllus-Art oder, was wahrscheinlicher ist, ein
Bastard von Mespilus germanica mit irgend einem Crataegus \sO
Schliesslich habe ich eine analytische Bestimmungstabelle
für die untersuchten Pomaceengattungen nach holz-anatomi-
schen Merkmalen zusammengestellt.
Seit dem Erscheinen meiner ersten Abhandlung habe ich
neues Holzmaterial bekommen, und zwar zunächst verschiedene
Holzproben von Eriobotrya, Micromeles, Photinia, Stranvaesia
und Peraphyllum, welche Gattungen ich gelegentlich meiner
ersten Arbeit nicht untersuchen konnte; ferner erhielt ich von
Prof. G. L. Goodale und Prof. E. Koehne mehrere Arten von
Amelanchier^ von welcher Gattung mir im vorigen Jahre nur
.4. canadensis Botryapium zur Verfügung stand.
Weiters erhielt ich von verschiedenen Seiten Holzproben
von anatomisch noch nicht untersuchten Pomaceen, im Ganzen
45 Arten, so dass ich mit Hinzurechnung der in der ersten
Abhandlung angeführten 85 Arten im Ganzen hundert und
dreissig Arten (inclusive Varietäten und Hybriden) von
Pomaceen xylotomisch vergleichen konnte. Ausserdem habe
ich theils motu proprio, theils auf Anregung von Prof. Koehne
einzelne frühere Beobachtungen an neuem Material revidirt,
und zwar bei Cydonia vulgaris, Chaenomeles japonica, Mespilus
germanica, Pirus betulifolia, Crataegus cordata u. A.
Endlich habe ich — zum Vergleiche mit den Pomaceen —
diesmal auch das Holz mehrerer Amygdaleen untersucht.
1 Prof. Koehne theilte mir brieflich mit, dass er jetzt auch zu der
Ansicht neige, dass Mespilus grandiflora als Hybride von Crataegus oxyacantha
oder monogyna mit Mespilus germanica zu deuten sei.
5t>4 A. Burgerstein,
Zu aufrichtigem Danke für mir freundlichst geschickte
Holzproben bin ich insbesondere verpflichtet Herrn Thyselton
Dyer, Director der Royal Gardes in Kevv, Herrn George L
Goodale, Director des Botanischen Museums der Har\-ard-
Universität im Cambridge, Herrn Anton Ritter Kerner v. Mari-
laun, Director des Botanischen Universitätsgartens in Wien.
Herrn Prof. Emil Koehne in Berlin, ferner den Herren Baum-
schulbesitzern Ökonomierath L. Späth in Rixdorf, Dr. Dieck
Gutsbesitzer in Zöschen und A. C. Rosenthal, k. u. k. Hof-
Kunstgärtner in Wien.
I. Pirus, II. Malus.
Im vorigen Jahre untersuchte ich das Holz folgender Arten:
Pirus Achras Koch, P. amygdaliformis Vi 11., P. betuli-
folia Bunge {Malus beinlifolia Wg.), P. elaeagrifolia Fall.,
P. heterophylla Reg., P, longipes Coss., P. Michauxii Bo sc,
P. nivalis Jacq., P.persica Fers., P. salicifolia L. fil., P. sinensis
Li ndl. und P. communis.
Malus baccata Desf., M. ccrasifcra Spach, M. coronaria
Mi 11, M.floribnnda Sieb., M. Kaido Sieb., M. Niedwetzkyana
Dieck, 3/. microcarpa Wendl., M. prunifolia Spach, M.Ringo
Sieb., M.rivularisRoem., M.specfabilisDesf.und M. communis.
Als xylometrische Grenzwerthe * wurden gefunden:
Pirus Malus
Gefässweite - 30—40 {jl ■* 40—50 jx ♦*'
Markstrahl-Zellhöhe 18— 15 |jl 13— 17-5 a
MarkstrahlzahP 13-6— 16^ 10—13-2
^ Ks sind dies Mitlelwerthe aus je einer grösseren Zahl von Messuni^en.
2 Der innere Durchmesser der Gefässe des Frühholzes.
^ Die Zahl der im Holzquerschnitt auf 1 mm Länge liegenden Mark-
strahlen. In der ersten .Abhandlung habe ich hiefür öfter den eigentlich nicht
zutreffenden Ausdruck >Markstrahlabstand« gebraucht, jedoch gleichzeitig
erklärt, was ich darunter meine. Markstrahlzahl und .Markstrahlabstand sind
reciprok. Ist z. B. die Markstrahlzahl gleich 12, liegen also durchschnittlich
12 Markstrahlen in der Länge eines Millimeters (im Holzquerschnitt) neben
einander, so beträgt der mittlere Abstand zweier Strahlen J.,2"""-
* Im Stammholze der cultivirten Pirus communis bis fast 0'0r»0 mm.
'* Im Stammholze der Culturbirne bis 13 '2 Markstrahlen.
•' Im Stammholzc des cultivirten Mtihis communis bis 70 «i..
Holz der Pomaceen.
555
Diesmal wurden geprüft:
Pirus cuneifolia Guss (wird von K. Koch^ und Koehne-
zu P. persica, von Dippel ^ und Wenzig I ^ zu P. amygdali'
forntis gezogen).
Pirus heterophylla Regel (Koe. 245, Dip. 362; Malus
hcierophylla Spach — Dec. 155). aj Aus dem Arboret Späth,
bj aus dem Arboret Dieck.
Pirus Pashia Hamilt. (Dec. 152, Wg. I, 48, Koe. 246;
Malus Pashia Wg. III, 292; Pirus variolosa Wall. Dip. 365).
Pirus salviaefolia DC. (von Koch 216, Wg. I, 18, Koe.
244, Dip. 360 zu Pirus nivalis gezogen).
Pirus sinensis Li ndl. (Dec. 152, Koe. 245, Dip. 359;
Pirus communis var. ussuriensis Wg. III, 289).
Pirus
Gefässweite
Markstrahl-
Zellhöhe
Markstrahl-
zahl
cuneifolia | 36 • 5 jjl
heterophylla a) i 36 • 2
heterophylla ^y .... 1 37 • 7
Pashia 31-8
!
salviaefolia i 31-6
sinensis i 34-8
15-2p.
14-0
13-6
15-1
14-6
13-8
13-8
13-9
13-8
16-0
13-9
15-3
Malus betulifolia Wg. (Wg. III, 292; Pirus betulifolia
Bunge, Wg. I, 50, Dec. 152, Koe. 246, Dip. 365.)
5 Dendrologie, I, 1869.
* Diese Abkürzung bezieht hier sowie an anderen Stellen, wenn nicht
eine andere Angabe gemacht wird, auf des Verfassers »Deutsche Dendro-
logie«, 1893.
3 Handbuch der Laubholzkunde, 3. Theil, 1893.
* Es bedeutet Wg.l die Pomaceen-Abhandlung von Wenzig in Linnaea,
38. Bd., 1374, S. 1—206; Wg. ill eine zweite Pomaceen-Abhandlung desselben
Verfassers im Jahrbuch des Botan. Gartens und des Botan. Museums Berlin,
II. Bd., 1883, S. 287 ff.
556
A. Burgerstein,
Malus dioica Loiseleur (Wg. III, 291, Koe. 259; Malus
communis var. dioica Dip. 396; Pirns dioica form. hört, von
P. Malus Wg. I, 35; Malus apetala Münchh.^).
Malus Halliana Koehne; Koe. 261, Dip. 406; Pirus
Halliana hört, a) Arboret Späth, b) Arboret Di eck.
Malus rubellina (Arboret R o s e n t h a 1).
Malus Sieversii Ledeb. (Dec. 154; Pirus Malus var.
Sieversii Wg. I, 32; Malus communis seu paradisiaca var.
Sieversii Wg. III, 291, Dip. 396; Malus paradisiaca var. pumila
Koe. 259; Malus pumila Mi 11.).
Malus Toringo Sieb. (Dec. 155, Koch 210, Koe. 261,
Dip. 406; Pirus rivularis var. Toringo Wg. I, 39; Malus rivu-
laris var. Toringo Wg. III, 293; Malus Sieboldi Regel.
Malus
Gefässweite
Markstrahl-
Zellhöhe
Markstrahl-
zahl
bettilifoUa
dioica
35-2p.
38-3
46-1
44-3
42-0
40-0
41-3
13-2p.
14-8
18-5
19-0
14-6
15-2
15-8
12-5
12-0
11-2
10-9
13-0
13-0
12-1
Halliana a>
Halliana h)
rubellina
Sieversii
Toringo
Pirus cuneifolia Guss. steht holz-anatomisch der P. per-
sica nahe.
Die Werthe, welche ich für Pirus heterophylla, »die auch
auf Apfelunterlage gepfropft, gut wächst«,^ heuer erhalten habe,
stimmen nicht gut mit denen, die ich in meiner ersten Abhand-
lung für diese Pirus verzeichnet habe. Da ich jedoch das vor-
jährige Exemplar aus dem hiesigen städtischen Arboret ohne
Autorangabe erhielt, so dürfte es wahrscheinlich Pirus amyg-
1 Die Blüthen dieses Baumes haben calycinische Blumenblätter, keine
Staubblätter, jedoch 15 Carpiden mit freien Griffeln. Den Früchten fehlen die
Samenkerne (vergl. die Beschreibung von G. Beck in Wiener illustr. Garten-
zeitung, 1894).
2 Wiener illustr. Gartenzeitung, 1886, S. 271.
Holz der Pomaceen. 5o7
daliformis var. lobata gewesen sein, von der Kühne angibt,
dass sie sich in manchen Baumschulen als Pirus heterophylla
Steudel findet. Die heuer untersuchten zwei Holzproben
waren aber gewiss Pirus heterophylla Regel et Schmalh.
In meiner ersten Abhandlung bemerkte ich, dass Wenzig
die Pomaceen Pirus Pashia Ham., Pirus longipes Coss. et
Dur. und Pirus betulifolia Bunge zu der Gattung Malus
stellte, während sie nach den Untersuchungen von Koehne^
echte Pirus sind, mit Ausnahme der Malus (Pirus) Pashia var.
sikkintensis. Auf Grund der xylotomischen Daten, die ich im
vorigen Jahre iüv Pirus longipes erhielt, musste ich Koehne
beipflichten. Heuer konnte ich nun auch eine Holzprobe von
Pirus Pashia, die ich der Güte Prof. Koehne's verdanke,
untersuchen; es ergab sich, dass die Pflanze nach dem Holzbau
zweifellos eine Pirus-Avt ist. Über Pirus betulifolia werde ich
später sprechen.
Pirus salviaefolia DG. wird von Koehne (Dendrologie,
S. 244) gleich Pirus nivalis als eine der Stammarten unserer
Culturbirnen bezeichnet. Der Holzbau spricht nicht dagegen
(vergl. die für Astholz von P. communis gefundenen Werthe in
der I. Abhandlung, S. 735).
Die für Pirus sinensis gefundenen xylometrischsn Werthe
zeigen eine befriedigende Übereinstimmung mit den im vorigen
Jahre an einem anderen Exemplar erhaltenen Zahlen.
Bezüglich Pirus-Malus betulifolia (welche Wenzig als
Malus, Koehne als Pirus auffasst), bemerkte ich im vorigen
Jahre, dass diese Pflanze holz-anatomisch eher zu Malus als
zu Pirus gerechnet werden könne. Auf Grund genauer Unter-
suchung eines zweiten Exemplars muss ich diese Äusserung
bezüglich der Gattungszugehörigkeit der genannten Pomacee,
nur mit grösserem Nachdruck, wiederholen. Nach der Gefäss-
weite und Markstrahl-Zellhöhe könnte die Pflanze holz-anato-
misch ebenso zu Pirus, wie zu Malus eingereiht werden. Nach
der gefundenen gegenseitigen Entfernung der Markstrahlen
am Holzquerschnitt muss ich aber die fragliche Pomacee zu
i Die Gattungen der Pomaceen. Wissenschaftl. Beilage zum Programm
des Falk-Realgymnasiums zu Berlin, 1890, S. 16.
558 A. Burgerstein.
Malus zählen. Da nach meinen Beobachtungen die > Mark-
strahlzahl« für alle von mir untersuchten echten 14 Pirus und
17 Afa/«5 -Arten (von denen mehrere wiederholt an verschie-
denem Materiale verglichen wurden) ein Differentialmerkmal
dieser beiden Gattungen bildet, so kann man doch mit grosser
Wahrscheinlichkeit annehmen, dass dies auch für Malus betuli-
folia stimmen wird. Falls aber Malus betulifolia nach dem
Blüthenbau thatsächlich eine Pirus -Art ist, dann würde aller-
dings daraus folgen, dass die »MarkstrahlzahN kein absolutes
Differentialmerkmal zwischen Pirus und Malus bildet. Jedenfalls
ist PiruS'Malus betulifolia holz-anatomisch ein interessanter
Baum.
Malus dioica, jener Obstbaum, dessen Blüthen keine
Pollenblätter und dessen Früchte keinen Samen besitzen, ist
holzanatomisch eine echte Malus.
Bezüglich der übrigen Arten ist nichts Besonderes zu
bemerken. Malus Halliana, der in Gärten meist als Pirus
Halliana erscheint, steht dem Malus rivularis nahe.
III. Crataegus.
Aus dieser Gattung untersuchte ich im vorigen Jahre
29 Arten,^ heuer 16 Arten, darunter 15 neue.
Crataegus Celsiana Bosc. (Koe. 239, Dip. 452).
Crataegus Celsiana Dipp. {Crat. Dippeliana F. Lange in
litter. ad Koehne).
Crataegus cordata Ait (Koe. 239, Dip. 437; Mespilns
cor data Mi 11. Koch 138, Phalacros cordata Wg. I, 164, V\'g.
III, 304, Colon easter cordata Focke^).
Crataegus glandulosa Moench. (Koe. 236, Dip. 429,
Mespilus glandulosa Koch 1 45 ^.
Crataegus Korolkowi hovt (Cr.chlorosarca Max. Dip. 449).
Crataegus Lambertiana Lange (Cr. nigra X songaricd
Koe. 237, Dip. 448),
^ Aus den in meiner ersten Abhandlung; angeführten 30 Arten ist nämlich
Crataegus ßahelUfoUa Spach auszuscheiden.
2 Pomoideae in Engl er und Prantl natüri. Pflanzenfamilien, 1888. Die
Neubearbeitung der Pomaceen für dieses bekannte Werk seitens Prof. E. K o e h n e
wäre sehr wünschenswerth.
Holz der Pomaceen.
559
Crataegus macracantha Loddig (Koch 146, Koe. 236;
Cr. coccinea var. macracantha Dip. 435).
Crataegus mexicana S e s s. et M o c. (K o e h n e 230 ; Mespilus
mexicana Koch 132, Wg. I, 121, Wg. III, 300; Crat. pubescens
Regel, Dip. 426).
Crataegus mollis Scheele (Koe. 232, Dip. 436; Mespilus
coccinea var. mollis Koch 151, Wg. I, 132, Wg. III, 301).
Crataegus monogyna Jacq. (Koe. 238, Dip. 457; Mespilus
monogyua Koch 159, Wg. I, 153, Wg. III, 303).
Crataegus pinnatiflda Bunge (Koe. 240, Dip. 446; Mespi-
lus pimtatißda Koch 152, Wg. III, 303; Mespilus pentagyua
var. pinnatißda Wg. I, 151).
Crataegus sanguinea Pallas var. xanthocarpa {Cr. sau-
guinea Koe. 236, Dip. 431; Mespilus sanguinea Koch 151,
Wg. I, 134, Wg. III, 302).
Crataegus spathulata Michx. (Koe. 234, Dip. 438; Mespi-
lus spaihulata Koch 137, Cotoneaster spathulata Wg. I, 201).
Crataegus tomentosa L. (Koe. 236, Dip. 433; Mespilus
leucophloeos Mönch, Koch 136, Wg. I, 129)
Crataegus uniflora Duroi (Koe. 231, Dip. 424; Mespilus
unißora Münchh. Koch 141, Wg. I, 123, Wg. III, 300).
Crataegus viridis L. [Cr, arborescens EH.] (Koe. 235,
Dip. 437, Mespilus viridis Koch 148; Mesp. coccinea var. viridis
Wg. I, 131, Wg. III, 301).
Die erhaltenen xylometrischen Werthe sind in nach-
stehender Tabelle verzeichnet:
Crataegus
Gefäss-
weitei
Markstrahl- I Markstrahl- Markstrahl-
Zellhöhe ^ 1 Zellbreite 1 i zahl
Celsiana^osc | 395 14
G?fc/a«aDipp | 37-2 I U
cordata ' 42-2 , 19
glandnlosa I 38-4 19
Korolkowi • 40-2 16
Lambertiana I 38*0 15
12-6
12-0
15-6
14-0
12-4
12-8
13-1
14-0
13-6
14-6
13-1
13-1
1 Mikromillimeter.
560
A. Burgerstein,
Crataegus
Gefass- 1 Markstrahl-
weite» 1 Zellhöhe 1
Markstrahl- Markstrahl-
Zellbreite i zahl
I
tnacracantha . .
mcxicana . . . . ,
mollis
monogyna . . . .
pinnatifida
xanihocarpa . . .
spaihulata . . . .
iomenlosa, . . . .
uniflora ,
viridis
42-5
42-3
37-0
38-4
36-5
40-0
34-0
32-8
40-0
32-8
18-6
14-6
19-9
15-8
14-6
18-5
15-0
13-9
17-9
15-4
14-3
12-1
14-5
12-1
11-8
15-5
11-7
10-3
15-0
12-1
12-8
14-9
13*2
13-4
13-1
13-0
14-0
13 2
13-7
14-4
I
Die erhaltenen Zahlen fallen innerhalb der Grenz-
werthe, welche ich bezüglich der im vorigen Jahre
untersuchten Arten der Gattung Crataegus gefunden
habe; nur bei Cr, spaihulata fällt die Markslrahlzahl etwas
unter 13. Die Gefässweite war diesmal häufig unter 0 • 040 #hw.
Dies kann einen zweifachen Grund haben: erstens haben
manche Crataegus thatsächlich relativ kleine Gefässe, und
zweitens standen mir heuer meist Aststücke mit nur 3 bis
4 Jahresringen zur Verfügung, in denen die Gefasse einen
kleineren Durchmesser besitzen als in später gebildeten Ringen.
Die Höhe der Markstrahlzellen bewegt sich bei den Crataegen
überhaupt zwischen 0*014— 0*020 ww. Zu den hochzelligen
gehören Crataegus cordata, glandulosa, macracanthay mollis,
Orientalis, pectinata, pentagona, pontica, sanquinea, tanaceti-
folia, also theils nordamerikanische, theils südeuropäische und
orientalische Arten.
Von Crataegus cordata Ait., die von Wenzig^ als Pha-
lacros cordata (nov. gen.) von Pocke * als Cotoneaster cordata
aufgefasst wurde, während Koehne** die Aiton'sche Bezeich-
1 Mikromillimeter.
2 Wg. I, S. 164.
^ L. c. (Natürliche PflanzenfamilienV
^ Gattungen der Pomaceen, p. 10.
Holz der Pomaceen. ^^1
nung als richtig erkannte, konnte ich im vorigen Jahre nur ein
2 ntfn dünnes Zweigstückchen eines Herbarexemplares mikro-
skopisch ansehen und fand »die Merkmale einer Crataegns-
Art mit sehr hohen Markstrahlen«, wie sie auch bei anderen
Arten dieser Gattung vorkommen. Heuer stand mir ein stärkeres
Zweigstück mit acht Jahresringen aus dem Hortus Kewensis
zur Disposition, und ich kann nur bestätigen, dass die in Rede
stehende Pomacee eine gute Crataegus -Axi mit hohen Mark-
strahlen ist.
Ferner bemerkte ich in meiner vorjährigen Abhandlung
(S. 749), dass Pocke auch Crataegus spathulata Michx., Cr.
herberifolia Torr, et Gray und Crataegus arborescens Ell.
{Crataegus viridis L.)j die nach Koehne in jeder Beziehung
echte Crataegen sind, als Section Pyracantha der Gattung
Co/o«^a5/^r anführt, und dass die mikroskopische Untersuchung
des Holzes sofort zeigen würde, ob die fraglichen Arten zu
Crataegus oder zu Cotoneaster gehören, da diese beiden
Gattungen im Holzbau sich auffallend unterscheiden.
Heuer war es mir nun möglich, Zvveigstücke von Crataegus
spathulata Mich, und Crataegus arborescens EH., die ich
direct aus Cambridge von Prof. Goodale erhielt, zu unter-
suchen. Hiebei ergab sich mit aller Bestimmtheit, dass von
einer Einreihung der Pflanzen zu Cotoneaster keine Rede sein
kann, und gleichzeitig, dass gegen die Auffassung derselben
als echte Crataegus -Avitn vom holzanatomischen Gesichts-
punkte nichts einzuwenden ist.
Ferner erwähne ich noch, dass mich Prof. Koehne darauf
aufmerksam machte, dass Crataegus Celsiana Koehne und
Crataegus Celsiana Dippel zwei ganz verschiedene Pflanzen
sind. Erstere stimmt, wie mir Prof. Koehne brieflich mittheilte,
mit dem Spach'schen Exemplar aus dem Pariser Botanischen
Garten überein, dürfte also die echte Bosc'sche Pflanze sein.
Crataegus Celsiana bei Dippel dagegen ist ein Bastard von
Crat. tanacetifolia, vielleicht mit Crat. punctata.
Koehne schickte mir freundlichst beide Crataegus Cel-
siana, deren Untersuchung ergab: a) dass sich im Holzbau that-
sächlich greifbare Unterschiede vorfinden, b) dass die von mir
im vorigen Jahre untersuchte Pflanze die Bosc-Koehne'sche
^Ö2 A. Burgerstein,
Crataegus Celsiana war, und c) dass die Lange- DippeTsche
Crataegus Celsiana xylotomisch mit Crataegus punctata ziem-
lich übereinstimmt.
IV. Pyracantha.
Über den charakteristischen Holzbau von Pyracantha
coccinea Roem. und P. crenulata Roem., sowie über die unter-
scheidenden Merkmale dieser beiden Pflanzen von Crataegus
und Cotoneaster habe ich in meiner ersten Pomaceen-Abhand-
lung ausführlicher gesprochen. Eine wiederholte Untersuchung
eines anderen Zweiges von Pyracantha coccinea ergab analoge
Werthe wie im Vorjahre:
1895 1896
Gefässweite 41 ja 39 pt
(niedere . . 16 pt 16 ft
Markstrahlzellen hohe .... 29 ft 30 ft
'mittel . ..20ft 21 ja
Markstrahl-Zellbreite 14|jl 15|i
Markstrahlzahl 15*4 14*5
Auch sonst stimmte Alles mit dem vorjährigen Exemplar.
V. Stranvaesia.
Stranvaesia glaucescens Li ndl. (Wg. I, 204, III, 307). Es
standen mir von dieser Pomacee, die ich erst heuer untersuchen
konnte, zwei Holzproben zur Verfügung; die eine (I) erhielt ich
von Prof. Koehne (Berlin), die zweite (II) vom DirectorTh.Dyer
(Kew.). Die erhaltenen Zahlen waren:
Stranvaesia I Stranvaesia II
Gefässweite 38 * 8 |x 40* 2 |i
Tracheidenbreite (radial) 12-4|x 12*9 [jl
Strangparenchym-Zellbreite 20 'Oft 23-2 (i
Markstrahl-Zellhöhe 25 • 2 |x 24 • 3 |x
Markstrahl-Zellbreite 20- 1 ja 19-4 |i
Markstrahlzahl 16-9 17-0
Die Gefässe zeigten nur in der Tangentialansicht, und zwar
in einzelnen Fällen spurenweise tertiäre Streifung. Auffallend
Holz der Pomaceen. 563
ist bei Stranvaesia die ausserordentlich reiche Ent-
wicklung der parenchymatischen Gewebe, sowohl des
Strangparenchyms wie auch des Strahlparenchyms.
Die Markstrahlen sind sehr nahe beisammenstehend (wie dies
nur bei einzelnen Cotoneaster-hxXtn, z. B. Cot. vulgaris und
Cot. nigra vorkommt), ein- oder zweireihig, und zwar (analog
wie bei Cotoneaster) viel häufiger ein- als zweireihig und aus
dünnwandigen, relativ kurzen Zellen zusammengesetzt Ausser-
dem zeichnen sich die Markstrahlzellen im Allgemeinen durch
eine bedeutendeHöhe — die grösser ist, als bei irgend einer
anderen Pomacee — und im Besonderen dadurch aus, dass die
Strahlparenchymzellen eine auffallend ungleiche Höhe haben.
Diese Erscheinung habe ich in so ausgeprägter Weise wie hier
nur bei Pyracantha gesehen. Wie bei dieser Gattung, kann man
auch bei Stranvaesia die Markstrahlzellen in niedere (0-014
bis 0-024 mm) und hohe (0-030— 0*048 ww) eintheilen. Es
ergab sich als mittlere Höhe der
( 95 gemessenen) niederen Markstrahlzellen I. 19*7 (jl
(48 » ) hohen > I. 36-7 |jl
(118 » ) niederen » II. 19-5|jl
(50 » ) hohen » II. 33-2 |jl
Stranvaesia zeigt im Holzbau mehrfach Analogien
mit Cotoneaster. Diese sind: o^ die geringe gegenseitige Ent-
fernung der Markstrahlen am Holzquerschnitt; bj die sehr un-
gleiche Höhe der Zellreihen im Markstrahl; c) das vorwiegende
Auftreten einreihiger Markstrahlen. Dennoch kann Stran-
vaesia-Ho\z von Cotoneaster-Holz histologisch unter-
schieden werden: a) durch das reichliche Auftreten breiter
Holzparenchymreihen, bJ durch die Zartwandigkeit der Mark-
strahlzellen, cj durch das nur hin und wieder angedeutete
Auftreten tertiärer Verdickungsschichten in den Gefässen und
das Fehlen der Schraubenbänder in den Tracheiden.
VI. Peraphyllum.
Peraphyllum ramosissimum Nuttal (Wg. I, 115, Wg. III,
299, Koe. 257, Dip. 394). Untersucht wurde ein vierjähriger
Zweig (I) aus Cambridge und ein dreijähriger (II) aus dem
Späth'schen Arboret.
Sitzb. d. mathem.-naturw. Gl.; CV. Bd., Abth. I. 37
364 A. Burgerstein,
I li
Gefässweite 32 • 0 |x 26 • 5 »x
Tracheidenbreite 1 0 • 7 «x 1 0 • 6 »x
Holzparenchymzellen Il-8»x 12-0{x
Markstrahl-Zellhöhe 1 4 • 6 »x 1 4 • 6 |x
Markstrahl-Zellbreite 1 T 9 »x 1 2 • 1 ;x
Markstrahlzahl 16-5 16-8
Die tertiäre Verdickungsschichte in den Gelassen i^t so
selten und so undeutlich sichtbar, dass man Peraphylliim unter
jene Pomaceen einreihen kann, denen die Gefässstreifung fehlt.
Die xylometrischen Werthe sind ähnlich jenen von Pirns\ es
lässt sich jedoch Peraphyllnm von Pirus unterscheiden a) weil
die (dünnwandigen) Markstrahlen bei Peraphyllnm fast aus-
nahmslos einreihig, jene von Pirus in der Regel zweireihig
sind, und h) weil im Holze der P/V//5-Arten die Markstrahlzahl
den Werth von 16 nicht überschreitet.
VII. Eriobotrya.
Eriobotrya japonica Lindl. (Wg. 1,98, \Vg. III, 297, Koe.,
»Gattungen«, p. 20).
Ich konnte drei Zweige untersuchen, von denen ich zwei
(I,II) Herrn Prof.Koehne, das dritte (III) meinem Collegen Herrn
Dr. Scholz in Görz verdanke. - Die gefundenen Werthe waren:
Eriobotrya
^ I II III
Gefässweite 30-0|x 28*0|x 27-2jx
Tracheidenbreite 12-0|x 11 ^jx 12-0|x
Markstrahl-Zellhöhe 18-0[x 18-2[x 18-5 »x
Markstrahl-Zellbreite 14-3{x 14-2|x 14-7 jx
Markstrahlzahl 15-7 15-6 16*0
Eriobotrya zeigt (neben Peraphyllnm) unter allen Pomaceen-
Gattungen die engsten Gefässe. Die tertiären Verdickungs-
streifen sind zart, aber deutlich sichtbar. Die Markstrahlen sind
ein- oder zwei-, seltener dreireihig und dicht nebeneinander-
stehend; die »Markstrahlzahl« ist fast dieselbe wie bei Micro-
meles und Cofnneasler; die Markstrahlzellen sind relativ hoch.
Holz der Pomaceen. o65
Holzparenchym ist in sehr untergeordnetem Grade vorhanden;
die Weite der Parenchymzellen beträgt etwa 0*0145 mm.
VIII. Cydonia, IX. Chaenomeles.
Im Jahre 1895 untersuchte ich zwei Hölzer von Cydonia
vulgaris und ein Aststück von Chaenomeles japonica und kam
zu folgendem Resultate: »Der Markstrahlabstand bildet das
DifFerenzialmerkmal von Cydonia und Chaenomeles] er fällt
bei Cydonia innerhalb der für Malus, bei Chaenomeles innerhalb
der für Pirus gefundenen Grenz werthe. Dippel und Koehne
stellen im System Cydonia neben Pirus und Chaenomeles neben
Malus, Nach dem histologischen Holzbau rnüsste man aber
Cydonia neben Malus und Chaenomeles neben Pirus stellen«.
(S. 755 meiner Abhandlung.) Nach dem Erscheinen meiner
histologischen Untersuchungen schrieb mir Prof. Koehne:
-Der anatomische Befund von Chaenomeles und Cydonia ist
höchst auffallend, da er im schärfsten Gegensatz zu dem
sonstigen Verhalten beider Gattungen steht«.
Ich habe darauf hin nicht nur die drei früheren Hölzer
nachuntersucht, sondern auch noch eine Anzahl von neuen
Holzproben von Cydonia vulgaris und Chaenomeles japonica
verschiedener Provenienz, sowie auch Chaenomeles chinensis
und Ch, alpina auf den Holzbau geprüft:
Cydonia.
Cydonia vulg. I a. m. D.^ 54 min\ 22 Jahresringe (aus dem
Prager Botan. Garten; Untersuchung 1895).
Cydonia vulg. \b (derselbe Ast; Nachuntersuchung 1896).
Cydonia vulg. II a. m. D. 30 mm\ 15 Jg. (aus dem Wiener
Botan. Garten; untersucht 1895).
Cydonia vulg. II b, (derselbe Ast; untersucht 1896).
Cydonia vulg. III. m. D. 13 mm; 10 Jg. (aus dem Wiener
Botan. Garten 1896).
Cydonia vulg. IV. m. D. 13 mm; 6 Jg. (aus dem Berliner
Botan. Garten).
J Mittlerer Durchmesser des Astquerschnittes.
37^
566
A. Burgerstein,
Cydonia vulg. \\ m. D. 87^ *wim; 5 Jg. (aus dem hört,
propr. Koehne).
Cydonia vulg. VI. m. D. 9 mm; 5 Jg. (aus dem hort propr.
Koehne).
Cydonia vulg. V'II. Viereckiges Holzstück mit 15 Jahres-
ringen aus der Sammlung der Wiener Hochschule für Boden-
cultur. Standort bei Marburg in Steiermark.
Cydonia vulg. VIII. m. D. 8 mm; 4 Jg. (aus dem Arboret
des k. u. k. Hofkunstgärtners Rosenthal in Wien).
Cydonia vulg. IX. m. D. 16 mm; 10 Jg. (aus einem Privat-
garten bei Perchtoldsdorf in Niederösterreich).
Cydonia vulg. X. m. D. 14 mm 9 Jg. (aus einem Privat-
garten in Attersee in Oberösterreich).
Hier die Resultate:
Nr.
Untersuchter
Jahresring
Gefäss weite »
Markstrahl-
Zellhöhei
Markstrahl-
zahl
la
5, 10. 20
38-3— 46 4
13-3— 13-8
10-5-11-6
Ib
4, 24
38-2— 45-7
13-6-13-8
10-8—11-9
IIa
5. 10, 15
38-4— 41-1
13-1— 13-6
10-6— 11-6
Hb
3, 5, 15
36-6-38-0
13-2-13-8
11-0— 12-6
III
7—10
4—6
3—5
3-5
divers.
3—4
7-10
40-1
43-5
35-8
370
41-8
36-0
38-2
13-6
14*0
14-2
13-8
13-9
14-3
14-5
12-4
13-0
13-3
13-1
12-4
13-0
13-1
IV
V
VI
VII
VIII
.X
X
5—9
38-0
13-8
12-0
Chaenomeles.
Chaenomeles japon. I a. m. D. 12 mm; 6 Jg. (aus dem
Wiener Botan. Garten; untersucht 1895).
Chaenomeles japon. I b, (derselbe Ast: untersucht 1896).
1 Mikromillimeter.
Holz der Pomaceen.
567
Cbaenomeles japon. II. m. D. 12 mm; 7 Jg. (aus dem
Wiener Botan. Garten; anderer Strauch).
Cbaenomeles japon. III. m. D. 12 mm; 6 Jg. (aus dem hört.
prop. Koehne).
Cbaenomeles japon. IV. m. D. S'^/^mm; 4 Jg. (aus dem
hört. prop. Koehne; anderer Zweig).
Cbaenomeles japon. V. m. D,9mm; 5 Jg. (aus dem Berliner
Botan. Garten).
Cbaenomeles japon. VI. m. D. 8^/2 mm; 4 Jg. (aus dem
Arboret des k. u. k. Hofkunstgärtners A. C. Rosenthal in
Wien).
Cbaenomeles japon. VII. m. D. 8 mm; 4 Jg. (aus dem
Arboret des Baumschulbesitzers W. Klenert in Graz).
Cbaenomeles chinensis Koehne (Koe 262, Dip. 408;
Cydonia chinensis Thuin. Wg. I. 11, III 288) I m. D. \4mm;
7 Jg. (aus dem Wiener Botan. Garten).
Cbaenomeles chinensis II. m. D. lOmm; 6 Jg. (aus dem
Berliner Botan. Garten).
Cbaenomeles chinensis III. m. D. 9 mm; 4 Jg. (aus dem
Arboret des Ökonomierathes Späth in Rixdorf).
Cbaenomeles alpina Koehne (Koe. 262 Dip. 408) m. D.
5V2 ^^'y 3 Jg. (aus dem Späth*schen Arboret).
Holzprobe
Gefässweite
Markstrahl-
Zellhöhe
Markstrahl-
zahl
Ch. japonica \a,
\b.,
II .
III.
IV.
V .
VI
VII
. chinensis I . .
II .
III.
Ch. alpina
Ch
33-8J1
34-8
34-7
35-6
34-0
34-7
34-6
34-0
34-0
35.1
33*5
35-6
13-6JJ.
13-8
14-1
14'7
14*6
14-8
15*0
14-0
15*5
15-2
15*5
15-9
14*8
14-8
14*4
13*8
14*0
14*2
13-2
13-4
13-5
14-3
13*8
13-4
568 A. Burgerstein,
Es ergeben sich somit folgende Grenzwerthe:
Gefässweite Markstrahl-Zellhöhe Markstrahlzahl
ChaenomcJcs 34 35-6(i, 13-6— 16-0[x 13*2— 14-8
Cydonia 36— 46/j. 13' I — 14-4(Ji lOo— 13-3
Es wird somit die von mir schon in der ersten Abhandlung
ausgesprochene Behauptung bekräftigt, dass mit Rücksicht
auf die Zahl der Markstrahlen im Holzquerschnitt
Cydonia im Holzbau der Gattung Malus unbedingt näher
steht als der Gattung Pirus, hingegerfChaenomeles der
Gattung Pirus näher steht als der Gattung Malus. Auch
ist bei Cydonia das Lumen der Gefässe im Allgemeinen grösser
als bei Chaetiomeles, ebenso wie auch die Malus-Axi^n weitere
Gefässe aufweisen als die P/>//5-Arten. Daraus folgt natürlich
nicht, dass die — wenn ich so sagen kann — xylometrische
Proportion Malus : Pirus =: Cydonia : Chaenomeles auch in
blütenmorphologischer Beziehung richtig sein muss.
Rücksichtlich der querverlaufenden tertiären Verdickungs-
streifen in den Gefässen sei bemerkt, dass dieselben sowohl bei
Cydonia wie bei Chaenomeles nur schwach entwickelt sind.
Weiters muss beigefügt werden, dass bei Chaenomeles die
Tracheiden vielfach tertiäre Verdickungen in Form zweier steil
aufsteigender und sich kreuzender dünner Spiralbänder zeigen.
Durch den Vergleich des Holzbaues ergibt sich ferner,
dass die japanische und die chinesische Quitte statt Cydouiii
japonica Persoon und Cydonia chinensis Thuin richtiger
Chaenomeles japonica Lindley und Chaenomeles chinen-
sis Koehne heissen müssen.
X. Sorbus. ]][
Zu den bereits von mir untersuchten Sorbeen^ sind
folgende hinzugekommen:
Sorbus americanaWilld. (Dec. 158, Koch 190, Wg. 1,71,
III, 296, Koe. 247^ Dip. 368).
Sorbus flabellifolia [Crataegus flabellifolia Spach] (S.
Aria, ^flabellifolia Wg. III, 294; Aria flabellifolia Koe. 250).
1 Ancuparia, Aria, domcstica, suecica, lorminalis, ferner 5. fenHÜa.
ßorentina, hybriiia, latifolia.
Holz der Pomaceen.
569
Sorbus graeca C. Koch (K. Koch zu 5. Aria 192; S. Aria
V graeca Wg. III, 294; Aria graeca Dec, Koe. 250; Hahnia
Aria var. graeca Dip. 375.)
Sorbus Hosti C. Koch (Koch 198; S. chamaemespilus
^ sudetica Wg. 65 ; Aria MotigeoiiXchantaefttespilus} Koe. 25 1 ;
Hahnia Hostii Dip. 378).
Sorbus meridionalis Guss. (ad S. Aria Koch 192).
Die mikrometrisch gewonnenen Werthe waren:
!
Sorbus
Gefäss-
weite
Markstrahl-
Zellhöhe
Markstrahl-
Zellbreite
Markstrahl-
zahl
americana
! ßabellifolia
1 ffraeca
37-Ojj.
38-2
37-0
40-5
41-8
16-4|i.
19-0
17-6
20-8
19-0
10-3p.
16-0
12-4
14-8
15-6
11-6
11-8
11-6
12-6
11-2
1 «5 '**""*
' Hosii
meridionalis
1
Diese Zahlen fallen innerhalb der Grenzwerthe, die ich in
meiner vorjährigen Tabelle für die Sorbeen aufgestellt habe,
mit Ausnahme der sehr hohen Mark strahlzahlen von Sorbus
Hosti. Dieser letzte Umstand scheint mir auf eine Hybridität
der genannten Pomacee hinzuweisen, da ich annähernd so hohe
Markstrahlzellen auch bei Sorbus fennica C. Koch und Sorbus
Jatifolia Pers. beobachtet habe.
Allgemein zeigten alle Gefässe deutlich sichtbare Ver-
dickungsschichten.
Schliesslich muss ich noch eine Richtigstellung in meiner
früheren Abhandlung machen. Ich erhielt nämlich seinerzeit
ein Holzstüclvi unter dem Namen Pirus corytnbosa. Da es im
histologischen Bau nicht mit Pirus, wohl aber mit Crataegus
übereinstimmte, und Wen zig (I, S. 55) eine Crataegus coryni-
bosa horti parisiensis = Sorbus Aria var. ßabellifolia Wg. =:
Crataegus ßabellifolia Spach angibt, so stellte ich die Pflanze
in die Crataegus -Gruppe unter Beifügung des Synonyms Aria
ßabellifolia. Nun schrieb mir Koehne, dass Crataegus ßabelli-
folia Spach unter keinen Umständen ein echter Crataegus
sein kann, sondern eine Aria sein muss, überaus ähnlich der
570 A. Burgerstein,
Aria graeca. Er meinte, ich hätte nicht das Holz der richtigen
Pflanze gehabt und schickte mir ein Zweigstück des Crataegus
fläbellifolia Spach. Die mikroskopische Prüfung zeigte sofort,
dass eine Sorbus, respective Aria vorliege. Aria fläbdlifolia
Koehne {Crataegus fläbellifolia Spach) steht in der »Mark-
strahlzahl« thatsächlich der Aria graeca Dec. sehr nahe, in
der Höhe der Markstrahlzellen kommt sie jedoch der Aria
suecica Koehne und der Sorbtis (Aria) meridionalis Guss.
am nächsten. ;
XI. Photinia.
Untersucht wurden zwei Aststücke von
Photinia villosa DC. (Koe. 251, Dip. 379; Photinia Arguta
Wall. var. villosa Wg. I, 91, Wg. III, 297), I aus dem Berliner
Botanischen Garten, II aus dem Spät haschen Arboret.
Photinia I Photinia II
Gefässweite 47'0|i 48*0 [j.
Markstrahl-Zellhöhe 16-3[Ji 16-6{t
Markstrahl-Zellbreite 14-0[ji 14-0(i
Markstrahlzahl 12-0 11-2
Die Gefasse zeigten kräftige tertiäre Verdickungsschichten
wie Sorbus. Überhaupt zeigt Photinia villosa einen ähn-
lichen Holzbau wie die Sorbeen. Noch höhere Mark-
strahlzellen (0*018 ww), analog der Aria-Gruppe unter den
Sorbeen, beobachtete ich bei einem dünnen Zweigstück einer
im hiesigen Botanischen Garten cultivirten Photinia serrulata
Lindl. (Phot. giabra Maxim.).
XII. Amelanchier, XIII. Aronia.
Von Amelanchier konnte ich im vorigen Jahre nur ein
grösseres, parallelopipedisch zugeschnittenes Holzstück unter-
suchen, welches ich aus dem Botanischen Institute der Prager
deutschen Universität leihweise erhielt und welches die Eti-
quette * Amelanchier canadensis var. Botryapium* trug.
Da ich in keinem einzigen der — verschiedenen Theilen
dieses Holzes entnommenen — Präparate die tertiären Ver-
dickungsstreifen in den Gelassen constatiren konnte, und die
Holz der Pomaceen. 57 1
für die Gefässweite, Markstrahl-Zellhöhe und Markstrahlzahl
berechneten Zahlen innerhalb der für Malus gefundenen Grenz-
werthe fielen, welcher Gattung ebenfalls die Gefassstreifung
fehlt, so kam ich zu dem Schlüsse, dass Malus und Amelanchier
im Holzbau kaum zu unterscheiden sind.
Heuer habe ich theils von Prof. Goodale, theils von Prof.
Koehne etwa 12 Holzproben verschiedener Amelanchier-
Arten erhalten; alle zeigten in den Gefässen ganz deutlich die
Querstreifung. Da nun das vorjährige Holzstück, welches aus
dem Stamme oder einem stärkeren Aste herausgesägt war,
gewiss richtig determinirt war — ich wenigstens zweifle nicht
daran — und auch die für die histologischen Elemente ge-
fundenen Zahlen recht gut mit jenen stimmen, welche ich heuer
an meist 3 — 5jährigen Ästen verschiedener Amelanchier-Avten
erhalten habe, so kann ich nur annehmen, dass in später
gebildeten Jahresringen älterer Stämme oder Zweige von Ame-
lanchier die tertiäre Gefässbildung nicht zur Ausbildung kommt.
Ich weise darauf hin,^ dass die Streifung in den Spättracheiden
(Herbstholzzellen) von Picea excelsa und Larix europaea in der
Regel nur in den ersten 5 — 15 Jahresringen sichtbar ist.
Amelanchier rotundifolia, die ich gleichfalls im Vorjahre
untersuchte, reihte ich zu Aronia ein, da die Gefässe Ver-
dickungsstreifen zeigten und ich damals der Meinung war,
dass letztere den Amelanchier -Axitn fehlen. Heute muss ich
sagen, dass nicht nur Aronia rotundifolia Pers. (die bei älteren
Botanikern auch sub genere Crataegus^ Mespilus, Pirus und
Sorbns erscheint), sondern auch Aronia arbutifolia Spach
holzanatomisch von Amelanchier kaum zu unterscheiden ist.
Ich prüfte folgende Arten, respective Varietäten:
Amelanchier alnifolia Nuttall (Dec. 135, Wg. I, 113,
Wg. III, 298, Koe. 256, Dip. 389) [Amel canadensis var. a/«/-
folia Torr, et Gray].
Amelanchier asiatica Wal pers (Dec. 135, Wg. I, 109,
Wg. III, 298, Koch 180, Koe. 255, Dip. 393) [Amelanchier
canadensis var. japonica Miquel],
1 Vergleichend-anatomische Untersuchungen des Fichten- und Lärchen-
holzes. Denkschr. der kais. Akad. der Wissensch., 60. Bd., 1893.
O/Z
A. Burgerstein,
Amelanchier canadensis Med. (Koch 180, Koe. 256,
Dip. 392), I von Prof. Koehne, II aus dem pflanzenphysio-
logischen Institute der hiesigen Universität (23 Jahresringe)
[welche Varietät, war nicht angegeben].
Amelanchier Botryapium Bork h. (Wg. 1, 1 10, Wg. III, 298;
Amel. canadensis var. Botryapium Torr, et Gray, Koe. 256),
I, II Aststücke von Prof. Koehne, III Holzstück von an. 1895.
Amelanchier oblongifolia m. (AmeL canadensis var. obo-
valis Sargent, Koe. 256) [Amel. canadensis var. oblongifolia
Torr, et Gray], I von Prof. Goodale, II von ökonomierath
Späth.
Amelanchier oligocarpa Roem. (Koe. 256, Dip. 391).
Amelanchier rotundifolia Dum. de Courset (Koch 178,
Wg. I, 106, Wg. III, 298, Koe. 255, Dip. 389) [Aronia roimiäi-
folia Pers.], I von Prof. Goodale, II auf den Kalkbergen um
Baden bei Wien gesammelt, 1895; III um Perchtoldsdorf bei
Wien gesammelt, 1896.
Amelanchier spicata Koehne (Koe. 256) {Amelanchier
canadensis var. spicata Sargent).
Aronia arbutifolia Spach (Koe. 254, Dip, 382; Sorbus
arbntifolia C. Koch, Koch 185, Wg. I, 65, Wg. III, 294).
Amelanchier
Ge fäss-
weite
alnifolid
asiatica
canadensis I
II (5 Rg.) . . . .
II (20 Rg.) . . .
BotrvapititH I
II
III (5 Jg.) . .
III (10—20)
oblongifolia I
II
oligocatya
rotundifolia I
II
III
spicata
Aronia arbulifolia
4I-6|i
35-7
42-5
42-5
44-0
36*2
40-8
39 0
48-0
38-2
37-b
43-5
37-2
34-0
33-0
41-0
3() • 8
Markstrahl-
Zellhöhe
16-4}i.
16-0
16-6
1(5-6
16.2
15-7
160
15-0
15*5
15-8
15-0
15-4
17-1
15 8
15-2
16-6
15-7
Markstrahl-
Zellbreite
13-5|x
13*2
13*8
13-9
13*7
14*0
14-2
14*1
14-3
11-0
10-4
13-4
14-5
14-0
12*3
10-6
11*5
Markstrahl-'
zahl '
10-5
11-4
9-8
11-2
10*8
10 8
10-8
10-7
9*8
11*6
10*8
100
11*4
12*0
120
10*1
11-8
Holz der Pomaceen. 573
Es ergibt sich durch den Vergleich der für die histo-
logischen Elemente gefundenen Werthe, dass Antelanchier
und Aronia holzanatomisch von den Sorbeen kaum zu
unterscheiden sind. Auch Photinia steht im Holzbau dieser
Gruppe sehr nahe.
XIV. Micromeles.
Untersucht wurde Micromeles alnifolia Koehne (Koe.,
252, Dip. 381) und es ergaben sich folgende Werthe:
Gefässweite 38 • 2 (x
Tracheiden 10-7|x
Strangparenchymzellen 17'0|x
Markstrahl-Zellhöhe 14-6{i.
Markstrahl-Zellbreite 12-5{x
Markstrahlzahl 16*0
Die im Jahresring ziemlich gleichförmig vertheilten Gefässe
zeigten deutlich tertiäre Verdickungsstreifen. Infolge der hohen
Markstrahlzahl ist Micromeles von Photinia, Cydonia, Aronia,
Antelanchier und Sorbns gut unterscheidbar. Von Erioboirya
und Coloneaster, denen Micromeles in der Markstrahlzahl gleich-
kommt, weicht sie durch die niederen Markstrahlzellen ab.
Auch von Chaenomeles differirt Micromeles durch die kräftigen
Verdickungsstreifen in den Gefassen und das Fehlen der
Schraubenbänder in den Tracheiden. Ich kann daher Koehne
beipflichten, wenn er (»Gattungen«, S. 21) Micromeles für eine
sehr wohl begründete Gattung hält.
XV. Cotoneaster.
'"'Zu den im vorigen Jahre untersuchten Arten: C acttti-
JoliaLindl, C. bacillaris Wall., C. frigida Wall, C. laxiflora
Jaq., C multiflora Bunge, C. nigra Wahlenbg., C nummu-
lär ia Fisch., C racemiflora Koch, C tomentosa Lindl., C uni-
ßora Bunge und C vulgaris Lindl. sind heuer noch zwei
hinzugekommen:
Cotoneaster horizontalis Wa 1 1 i c h ?
Cotoneaster microphylla Wal lieh (Koch 177, Wg. I, 134,
K o e. 227, D i p. 420 ; Colon, tomentosa y microphylla Wg. III, 306).
574
A. Burgerstein,
Cotoueasier
Gefass-
weite
Markstrahl- { Markstrahl-
Zellhöhe t Zellbreite
Markstrahl-
zahl
horizoHtalis
microphylla
32-6|A
32-4
22-Op. 14-2p.
22-8 15-2
16-7
15-5
1
Der anatomische Bau des Holzes stimmte bei beiden
Arten mit der von mir schon in der ersten Abhandlung (S. 758
und 768) angegebenen Charakteristik des Cotoneaster-Holzes
überein. Wie schon früher bemerkt, ist Cotoneaster eine
xylotomisch gut charakterisirte Gattung, und die Ein-
reihung von Crataegus cordata Ait., Crat, spathulata Michx.
und Anderer in das Genus Cotoneaster seitens Focke ist vom
holzanatomischen Standpunkte unzulässig.
XVI. Mespilus.
Als eine besondere Eigenthümlichkeit des Holzes von
Mespilus germanica L. (und auch desjenigen von Mespilus
grandiflora Sm.), durch die sich dasselbe von dem Holze aller
anderen Pomaceen unterscheidet, besteht darin, dass die
Markstrahlen ein- bis vierschichtig sind; »namentlich
kommen in später gebildeten Jahresringen drei- und vierreihige
Markstrahlen häufig vor; hiebei erscheinen die Markstrahlzellen
in der Tangentialansicht nicht reihenweise neben einander
laufend, sondern unregelmässig neben- und übereinander ge-
lagert« (S. 761 meiner ersten Abhandlung).
Ich habe nun heuer neuerdings einen Ast von Mespilus
germanica L. untersucht, der aus dem Arboret des Hof-Kunst-
gärtners Rosenthal stammte. Der anatomische Bau stimmte
im Wesentlichen vollkommen mit dem der beiden im Vorjahre
analysirten Mispelhölzer (die anderer Provenienz waren) überein.
Durch die ein- bis vierreihigen, aus unregelmässig
geordneten Zellen bestehenden Markstrahlen bildet
Mespilus germanica ein Bindeglied zwischen den Poma-
ceen und Amygdaleen.
Über die Hybridität von Mespilus grandiflora habe ich
bereits wiederholt gesprochen ^ und führe nachträglich noch
1 Vergl. meine vorjährige Schrift, S. 705 — 67.
Holz der Pomaceen. 575
Folgendes an: Gillot^ berichtet über das Vorkommen mehrerer
Sträucher bei Sernin du Bois (Saone et Loire), die sich als
Mespilns grandiflora Smith (Mespilus Smithii Ser. in De
Cand. Prodr.) erwiesen. Er beschreibt die Pflanze sehr ein-
gehend und vergleicht den morphologischen Aufbau derselben
sowie die Form und die Dimensionen der einzelnen Organe
mit den entsprechenden Theilen von Mespilus germanica L.
und Crataegus oxyacantha L., die beide um Sernin du Bois
häufig vorkommen. Gillot kommt zu dem Resultate, dass
jene Pomacee ein Bastard zwischen Mespilus germanica und
Crataegus oxyacantha sei und nennt sie Crataegus oxyacantha-
germanica. Mit Rücksicht auf den anatomischen Bau des Holzes
wäre die Pflanze besser Mespilus germanica - oxyacantha zu
nennen. Zutreffender als die Bezeichnung Mespilus grandiflora
Smith wäre der Name Mespilus Smithii, da sowohl der Durch-
messer der expandirten Blumenkrone, wie auch die Grösse der
Petalen bei M. ^grandiflora^ kleiner sind als bei M. germanica.
Ergebnisse.
Alle untersuchten Pomaceen — 130 Arten (inclusive
Hybriden und Varietäten) — die sich auf 16 Gattungen ver-
theilen,^ zeigten im Wesentlichen einen übereinstimmenden
Holzbau. Die unterscheidenden Merkmale liegen in den Di-
mensionen der einzelnen histologischen Elemente, in dem
Vorkommen oder Fehlen der tertiären Verdickungsstreifen in
den Gefässen, in der grösseren oder geringeren Entfernung der
Markstrahlen von einander im Querschnitt und in der Zahl der
Markstrahl-Zellreihen im Tangentialschnitt. Xylotomisch nicht
oder schwer von einander unterscheidbar sind die Genera
Sorbus (inclusive Cormus, Torminaria, Aria), Photinia, Ame-
lanchier und Aronia, sowie in vereinzelten Fällen Pirus und
Crataegus.
1 Etüde sur un hybride du Mespilus germanica et du Crataegus oxy-
acantha. Bull. Soc. Bot. de France, 23. Bd., 1876, S. XIV.
2 Aus den Gattungen: Chamaemeles, Docynia, Eriolobus, Hesperomeles
Osteomeles und Rhaphiolepis habe ich bisher keine Art untersucht.
578
A. Burgerstein,
ß) Gefässweite 0-035— 0-040 ww; Markstrahl-Zellhöhe
0-014 — 0-015fww. Micromeles.
Y) Gefässweite meist 0-033 — 0 040 wm; Markstrahl-
Zellhöhe 0-019 — 0'022 mm (bei Cotoneaster micro-
phylla und C. tomentosa bis 0*023 mm). Markstrahlen
meist ein-, seltener zweireihig; Tracheiden mit schrau-
biger Verdickung. Cotoneaster.
IL Markstrahlen im Tangentialschnitt ein- bis vierreihig.
13 — 14 Markstrahlen auf die Millimeterlänge im Holz-
querschnitt; Gefässweite 0-035— 0-037 tww; Markstrahl-Zell-
höhe 0-014 — 0-016 mm, Markstrahlzellen im Tangentialschnitt
häufig nicht reihenweise, sondern unregelmässig geordnet:
Gefässwände mit tertiären Streifungen. MespUus.
Amygdaleen.
Im Anschlüsse an die Pomaceen habe ich das Holz mehrerer
Prww«5 -Arten ^ untersucht, um zu erfahren, welche histologi-
schen Unterschiede im Bau des Holzes der Amygdaleen und
Pomaceen bestehen. Zunächst stelle ich die gewonnenen Zahlen
tabellarisch zusammen.
Prunus
Durch-
schnittliche
Maximale
MarkstrahU
Zellhöhe
(mm)
Markstrahl-
Zellreihen
Weite der Gefässe (mm)
amygdalus S t o k. . .
Armeniaca L
avium L. (cultiv.) . .
avium L. (wildw.) . .
coccomilio (Ten.) . .
domestica L. I
domestica L. II ....
insiticia L
0-080
0-046
0-053
0-046
0-058
0-046
0-044
0-045
0-050
0-080
0-044
0-053
0-120
0-070
0-073
0-060
0-073
0-063
0-060
0 060
0-063
0-107
0-060
0-083
0-019
0-021
0-018
0-019
0-019
0-018
0-018
0-022
0-020
0-024
0-023
0-018
1^5
1-5 '
1-4 i
1-4 i
1—4
1—8 1
1—10
1 — 10
Padus L
1 4
persica Sieb
spinosa L
1—4
1—4
1—4
1
Mahaleh L
1 P. Amygdalus, Padus, coccomilio und spinosa stammten aus dem hiesigen
Botanischen Universitätsgarten; die übrigen Amygdaleen aus Privatgärten.
Holz der Pomaceen. 579
Betrachtet man den Holzquerschnitt einer Amygdalee
unter der Lupe, so sieht man, dass die Gefässe im Jahresring
entweder allmälig an Grösse des Lumens abnehmen, oder dass
die Gefässzone des Frühholzes als ein ziemlich scharf ab-
gesetzter Ring relativ grosser Poren erscheint; letzteres ist bei
der Mandel, Pfirsich und Marille der Fall. Die mittlere Weite
der Gefässe im Frühholze (Mittel aus etwa je 50 Messungen)
betrug bei den von mir untersuchten Amygdaleen 0*044 bis
0' 080 mm; die engsten Gefässe fand ich bei Prunus spinosa
die weitesten bei der Mandel und der Pfirsich. Die maximale
Weite einzelner Gefässe bewegte sich zwischen 006 — 012 ww.
Da die mittler^ Gefassweite bei den Pomaceen 0*03 bis
0 • 05 ww beträgt, so ergibt sich, dass die Amygdaleen im
Allgemeinen weitere Gefässe besitzen als die Poma-
ceen. Auch besitzen, so viel ich gesehen habe, die Amygdaleen
dickere Gefässwände als die Pomaceen.^
Während bei den Pomaceen die Gefässe immer nur einzeln
auftreten, findet man bei den Amygdaleen in der Regel ausser
Einzeigefassen auch Zwillings- und Drillingsgefasse, indem
zwei oder drei Gefässe mit an der Berührungsstelle gemein-
samer Wand neben einander stehen. Auch Gruppen von vier
bis fünf Gefassen, die meist reihenförmig, seltener kreisförmig
angeordnet sind, kann man fast an jedem mikroskopischen
Schnitt beobachten. Relativ selten tritt die Erscheinung bei
Amygdalus und Persica auf.
Der Querschnitt der Holzgefässe bei den Pomaceen ist in
der Regel nahezu elliptisch, und die von mir angegebenen
Zahlen beziehen sich auf die Länge der grossen Axe der
Ellipse; die Gefässe der Amygdaleen sind häufig im Quer-
schnitt nahezu kreisförmig oder unregelmässig contourirt.
Die Gefässwände aller untersuchten Amygdaleen wären
mit behoften Tüpfeln und kräftig entwickelten, querverlaufenden,
ziemlich weitläufigen Verdickungsstreifen versehen.
Tracheiden kommen bei den Amygdaleen allgemein vor
und bilden nebst den Gefassen und Markstrahlen — wie bei
^ Bei Amygdalus communis fand ich die Dicke der Gefässwand gleich
0-010— 1-017 ww.
Sitzb. d. mathem.-Dttturw. Gl. ; CV, Bd., Abth. I. 38
580 A. Burgerstein,
den Pomaceen — die Hauptmasse des Holzes.^ Das in ein-
zelnen Faserzügen vorkommende Strangparenchym spielt —
wie dies Strasburger* für Kirschholz richtig angibt — im
histologischen Aufbau des Amygdaleenholzes nur eine unter-
geordnete Rolle. DieTracheidenwände sind nicht selten schraubig
verdickt. Die Tüpfelschliesshäute haben, wie E. Strasburger*
bei Prunus avium beobachtete, einen deutlich entwickelten
Torus.
Die Markstrahlen haben verschiedene, zum Theil be-
deutende Höhen; so fand ich bei Prunus domestica und Pr.
insiiica 1 mm lange, bei Prunus coccomüio auch 1*4 mm lange
Strahlen, während bei den Pomaceen die Markstrahlen kaum
über 0*5 mm lang werden.
Was die Höhe der Markstrahlzellen betrifft, so berechnete
ich als Grenzwerthe für die Amygdaleen O'OIS— 0*024 firi«,
für die Pomaceen 0- Ol 3 — 0*02^ mm. Um Missverständnissen
vorzubeugen, bemerke ich, dass nicht etwa das Höhenminimum
einer Markstrahlzelle oder Markstrahl-Zellreihe 0'0\9t mm und
» Wenn J. Möller in seinen > Beiträgen zur vergleichenden Anatomie
des Holzes« (Denkscbr. der kais. Akad. der Wissensch. in Wien, 38. Bd., 1876)
bezüglich des Holzes der Amygdaleen (S. 405) bemerkt: >Die Tracheiden sind
durch die zarte spiralige Verdickung und durch ihre dünnen Membranen mit
Sfcbedieit von den gleichCalls behöft getüpfelten, aber stark verdickten Libri-
fonnfasem zu unterscheiden«, so bin ich nach dieser Definition nicht im Stande,
zu sagen, was die Faserzellen der Amygdaleen und Pomaceen sind. Dem
Unterschied von Tracheiden und Li bri formfasern nach der Wanddicke kann
ich keinen diagnostischen Werth beimessen, da man sowohl bei Laub-, als
namentlich bei Naddhdlzern mannigfache Übergangsformen der Faserzellen
hinsichtlich der Wanddicke findet, und kein bestimmtes Maass fiir die Stärke
der Verdickung angegeben werden kann, das voilianden sein muss, um eine
Prosenchymzelle als Tracheide oder als Libriformfaser anzusprechen. Femer
muss ich bemerken, dass die spiraligen (richtiger schraubenförmigen) Ver-
dickungen ebenso gut bei sehr dickwandigen Faserzellen des Holzkörpers
vollkommen, wie sie bei dünnwandigen Holzzellen fehlen können. Ich kann
mich bezüglich der Charakteristik von Tracheiden und Librifonnfasem nur der
Definition anscbüessen, die Wies ner in seiner »Anatomie und Physiologie
der Pflanzen« gibt: Tracheiden sind (dünn> oder dickwandige) fasedormige
Zellen des Holzkörpers mit gefässartiger Wandverdickung; Li briform fasern
sind Faserzellen, deren (in der Regel stark verdickte) Zellwand entweder
ungietüpüelt ist -oder mir einfache, spaltfomige Poren besitzt.
« Histologische Beiträge, III, Bd., S. 278.
Hole d«r Pomaceen. 58 1
das Maximum 0*024 mnt ist, sondern: Bestimmt man bei einer
Holzprobe die Höhe von etwa 100 Markstrahlzellen oder Zeil-
reihen am Radialschnitte und rechnet dann das arithmetische
Mittel, so erhält man einen Werth, der z. B. für Prunus dorne-
stica 0-018 wf«, für Pr, Amygdalus 0*019 ww, Pr. Padus
0*02/0 mm, Pr, Armeniaca 0*021 mm, Pr. insUica 0*022, Pr.
spinosa 0-023 mm und für Pr, persica 0' 024 mm beträgt,
somit bei den Amygdaleen zwischen O'OIS und 0' 024 mm
liegt. Ich zweifle indess nicht, dass man bei der L^ntersuchung
eines grösseren Materialcs noch niedrigere und auch höhere
Markstrahizellen finden wird.
Nicht selten sind die Markstrahlen kurz, so dass sie im
Radialschnitt fast quadratisch erscheinen. Besonders häufig sah
ich dies bei Prunus Armeniaca, Mahaleh, spinosa und cocco-
ntilio.
Eine Eigenthümlichkeit der Amygdaleen-Mark-
strahlen besteht darin, dass neben ein- und drei-
reihigen Strahlen auch solche überaus häufig auf-
treten, bei denen vier und mehr Zellreihen tangential
neben einander liegen. Während ich bei den vielen unter-
suchten Pomaceen-Stamm- und Asthölzern nur ein- bis drei-
reihige Markstrahlen gesehen habe — mit Ausnahme von
Mespilus germanica und M. grandiflora Smith, bei denen
ein- bis vierschichtige Markstrahlen auftreten, — erschienen
die Markstrahlen der Amygdaleen am Tangentialschnitt aus
1 — 4, ja bei Prunus domestica und Pr. insiticia aus 1 — 10 Zell-
reihen zusammengesetzt. Ein solcher Markstrahl erscheint
dann in der Tangentialansicht als ein Aggregat vieler, regellos
neben- und übereinander stehender Zellen, wie ich dies im
Wurzel holze mancher Crataegus -Arien gesehen habe.
Die Unterschiede im histologischen Bau des Holzes bei
Pomaceen und Amygdaleen wären demnach:
Pomaceen. ' Amygdaleen.
Gefässe einzeln zwischen den ' Gefässe einzeln, oder in Gruppen
Tracheidenfasern verlaufend. | zu 2— 5 angeordnet.
Gefässe im Querschnitt eiförmig Gefässe im Querschnitt kreis-
oder elliptisch, seltener kreisförmig. förmig, elliptisch, länglich oder un-
; regelmässig.
38*
582
A. Bürgerst ein,' Holz der Pomaceen.
Mittlere Weite des längsten
Durchmessers der Gefässe im Früh-
holze 0-03 bis 0'06mm.
Tertiäre Gefässverdickung (Strei-
fung) nicht bei allen Gattungen vor-
handen.
Mittlere Höhe der Markstrahl-
zellen 0 • 0 1 3— 0 • 026 mm.
Markstrahlen höchstens 0-5 mm
lang (hoch).
Markstrahlen ein- bis dreireihig
(meist ein- oder zweischichtig), nur
bei Mespilus ein- bis vierreihig. Die
Zellen der vierreihigen Strahlen im
Fangentialschnitt nicht regelmässig
n Reihen stehend.
Mittlere Gefassweite (längster
Durchmesser) im Frühholze 0-04 bis
0-08 mm.
Tertiäre Gefässstreifung bei allen
(untersuchten) Arten stark entwickelt
Mittlere Höhe der Markstrahl-
zellen 0-018— 0*024 i«»f.
Markstrahlen bis X'Amm hoch.
Markstrahlen ein- bis zehnreihig
(meist ein- bis vierschichtig); Zellen
der mehr als dreireihigen Strahlen id
Tangentialschnitt nicht reihenweise
geordnet.
Es ergibt sich somit, dass im Holzbau zwischen den
Amygdaleen und Pomaceen mehrfach graduelle, aber keine
absoluten oder wesentlichen Unterschiede bestehen.
583
Vorläufiger Berieht über die zoologischen Ar-
beiten im nördlichen Theile des Rothen Meeres
während der Expedition Sr. Majestät Schiff
„Pola" in den Jahren 1895—1896
(October 1895 bis Ende April 1896)
von
Dr. F. Steindachner.
w. M. k. Akad.
Da während der Expedition Sr. Majestät Schiff »Pola«
nach dem rothen Meere dem Programme gemäss das Haupt-
gewicht auf relative Schwerebestimmungen, erdmagnetische
Messungen, astronomische Ortsbestimmungen und geodätische
Aufnahmen gelegt werden musste, die einen längeren Auf-
enthalt an zahlreichen Küstenpunkten bedingten, konnte für
die zoologischen Tiefsee-Forschungen verhältnissmässig nur
wenig Zeit erübrigt werden, und es fanden daher die Dred-
schungen mit wenig Ausnahmen nur während der Seefahrt
von einer Küstenstation zur anderen statt, so weit es die leider
nicht immer günstigen Witterungsverhältnisse gestatteten.
Hinderlich traten ferner den Tiefseedredschungen im rothen
Meere die längs des mittleren Breitendrittels versenkten Kabel
entgegen, so dass überhaupt in den tiefsten Theilen dieses
Meeres, die wegen der sandig-schlammigen Bodenbeschaffen-
heit die reichste zoologische Ausbeute zweifellos geliefert hätte,
nur einmal gedredscht werden konnte.
Die Zahl der ausgeführten Tiefseedredschungen blieb
daher weit hinter den Erwartungen des Berichterstatters
zurück, dagegen konnte während der Kreuzungsfahrten im
584 F. Steindachner,
rothen Meere fast tagtäglich zweimal (vor Sonnenaufgang und
nach Sonnenuntergang) pelagisch gefischt werden, da nur in
seltenen Fällen ein zu hoher Seegang auch diese Fischerei
unmöglich machte. Das während der Expedition gewonnene
pelagische Material kann als sehr reichhaltig und wissen-
schaftlich werthvoll bezeichnet werden.
Der mehr minder lange Aufenthalt in Suez (49 Tage), Tor
(4V2 Tage), Koseir (6 Tage), Jembo (5Vj, Tage) und Djedda
(23 Tage), in den Buchten Abu Zenima, Abu Somer, Mersa
Dhiba, Shcrm Sheich (an der ägyptischen Küste), Berenice,
Mersa Halaib, Sherm Rabek, Sherm Habbam, Sherm Sheich
(in der Jubal Strasse), ferner in Dahab, Nawibi, Akabah, Bir-al
Mashiya, Sherm Mujawan im Golfe von Akabah, sowie auf den
Inseln Shadwan, Senafir, Noman, Hassani, the Brothers und
St. John wurde von mir und Herrn Custosadjuncten Fritz
Siebenrock zu zahlreichen wissenschaftlichen Excursionen
längs der Küste, auf die Korallenriffe theilweise auch in das
Innere der Küstenstriche, zu Fischereien mit der grossen Tratta,
dem kleinen Schleppnetze und mit Fischkörben benützt, die
ein überaus reiches, zoologisches Material lieferten. Die grdsste
Ausbeute an Korallen, die sich an den sämmtlichen während
der Expedition von uns berührten Localitäten mit Ausnahme
von Suez und dessen nächster Umgebung vorfanden, lieferten
die enorm ausgedehnten Korallenriffe bei Djedda, die an zehn
Tagen auf einem Sambuk mit arabischen Tauchern genauer
erforscht wurden, ferner die Riffe bei Sherm Sheich (Ägypten^
in der Bucht von Berenice und Mersa Halaib, endlich bei Dahab
und Nawibi im Golf von Akabah, dessen Küsten ihrer ganzen
Ausdehnung nach in Folge der mächtig entwickelten Korallen-
riffe für die Schifffahrt sehr gefährlich sind und die Einfahrt in
manche tiefe Bucht grösseren Schiffen gänzlich unmöglich
machen.
Hunderte von lebenden und abgestorbenen Korallen-
stöcken wurden zerschlagen, um die in ihnen sich verbergenden
meist kleinen Fischarten, Krebse, Mollusken, Anneliden, See-
sterne etc. zu gewinnen, von denen ein nicht unbedeutender
Theil für die Wissenschaft neu oder doch äusserst werthvoll
sein dürfte.
Expedition S. M. Schiff »Pola«. 585
Was die Sammlung von Strandfischen anbelangt, die
theilvveise angekauft, theilweise mit einer grossen Tratta, mit
einem Stehnetz gefischt, sowie von Bord des Expeditions-
schififes aus mit der Angel gefangen wurden, so gehört diese
wohl zu den bedeutendsten, die bisher in der nördlichen Hälfte
des rothen Meeres angelegt wurde; sie enthält nebst vielen
seltenen Arten mindestens noch ein Dutzend Arten, die bisher
nicht aus dem rothen Meere bekannt sind und grösstentheils
mit der Tratta gefangen wurden. Die Tratta-Züge selbst
wurden mit besonderer Umsicht und Sachkenntniss von dem
Commandanten, Herrn Linienschiffscapitän Paul Edlen v. Pott
geleitet, der überhaupt auf jede Weise bemüht war, die zoolo-
gischen Arbeiten während unseres Aufenthaltes an den Anker-
plätzen zu fördern, mich öfters auf den Strandexcursionen
begleitete und das von ihm selbst gesammelte Material mir
zur beliebigen Auswahl zur Verfügung stellte.
Herr Schiffslieutenant Cäsar Arbesser Ritter v. Rast-
burg überliess mir seine gesammte ornithologische Ausbeute,
hauptsächlich aus Möven bestehend, und Herr Schiffslieutenant
Anton Edler v. Triulzi den grössten Theil derselben.
Von Reptilien konnten ob der geringen Zahl von Excur-
sionen in das Innere des Landes nur eine verhältnissmässig
kleine, aber werthvolle Sammlung angelegt werden, die durch
einige interessante Funde von Seite des Herrn v. Arbesser
und des Herrn Schiff'sfähnrich R ö s s 1 e r vermehrt wurde.
Von Beduinen erhielt ich durch Kauf mehrere, schöne,
lebende Exemplare von Uromastix ocellatus und Uromastix
spinipes aus der Sinai-Halbinsel bei Sherm Sheich, Dahab
und Tor.
Herr Schiffslieutenant Koss unterstützte mich ferner
wesentlich durch seine ausgezeichneten Kenntnisse in den
orientalischen Sprachen bei fast sämmtlichen Verhandlungen
mit den Eingebornen, und ihm verdanke ich viele vortheilhafte
Ankäufe seltener Objecte. Sehr bizarre Orthopteren-Formen
wurden hauptsächlich auf Noman-Insel und in der Umgebung
von Nawibi (an der Westküste des Golfes von Akabah) er-
beutet, Scorpione fingen wir in Unzahl hauptsächlich bei
Mersa Halaib an der ägyptischen Küste, sowie auf der Insel
586 F. Steindachner,
Hassani und zwei sehr gut erhaltene Dugong-Schädel fanden
wir an der Küste des Golfes von Akabah bei Dahab.
Schnecken und Muscheln fanden sich an manchen Strand-
gebieten in enormer Individuenzahl vor, die Zahl der Arten aber
war stets auffallend gering; am ergiebigsten waren in letzterer
Beziehung die Uferstellen • bei Koseir und die Untiefen bei
Djedda, ferner Ras Abu Somer und der südliche Theil der
Noman-Insel im rothen Meere, endlich Dahab im Golfe von
Akabah.
Expedition S. M. Schiff »PoU«.
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Ausbeute gering.
Ausbeute sehr reich an
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Geographis
Östliche
Länge
36**45'
35 58
35 32
35 27
35
34 27
34 35
32 55
Tiefe in
Metern
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Fischen
Nr.
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Nr.
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CM
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Abends
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Morgens
13./1. 1896
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13./1. 1896
Abends
14./1. 1896
Morgens
19./1. 1896
Abends
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rgtrsUin A.^ ^Veite^e Untersuchungen über den histologischen
au des Holzes der Pomaceen, nebst Bemerkungen über
das Holz der Amygdaleen. [Preis: 30 kr. = 60 P%.] . . .
SUmdachner 2^\, Vorläufiger Bericht über die zoologischen Ar-
beiten im nördlichen Theile des Rothen Meeres während
der ExpeaUion Sr. Majestfit Schiff »Pola« in den Jahren
1895 1806. (October 1895 bis Ende April 1896.) [Preis:
20 kr. == 40 Pfg.]
Seite
552
583
Preis des gTÄXizen Heftes: 2 fl. 75 kr. = 5 Mk. 50 Pfg.
Die Sitzungsberichte der mathem.-naturw. Clfl
erscheinen vom Jahre 1888 (Band XCVII) an in folgenden
gesonderten Abtheilungen, ^ welche auch einzeln bezog
werden können:
Abtheilung I. Enthält die Abhandlungen aus dem Gebiete
Mineralogie, Krystallographie, Botanik, Physiö??!
logie der Pflanzen, Zoologie, Paläontologie, Gec
logie. Physischen Geographie und Reisen.
Abtheilung II. a. Die Abhandlungen aus dem Gebiete derl
Mathematik, Astronomie, Physik, Meteorologie-,
und Mechanik.
Abtheilung II. b. Die Abhandlungen aus dem Gebiete deir^-;
Chemie.
Abtheilung III. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der
Anatomie und Physiologie des Menschen und der
Thiere, sowie aus jenem der theoretischen Medicin:
Dem Berichte über jede Sitzung geht eine Übersicht aller
in derselben vorgelegten Manuscripte voran.
Von jenen in den Sitzungsberichten enthaltenen Abband*
lungen, zu derenTitel im Inhaltsverzeichniss ein Preis beigesetzt
ist, kommen Separatabdrücke in den Buchhandel und können
durch die akademische Buchhandlung Carl Gerold's Sohn
(Wien, 1., Barbaragasse 2) zu dem angegebenen Preise bezöge»
werden.
Die dem Gebiete der Chemie und verwandter Theile anderer
Wissenschaften angehörigen Abhandlungen werden auch in.
besonderen Heften unter dem Titel: »Monatshefte fürChemie"
und verwandte Theile anderer Wissenschaften« heraus-
gegeben. Der Pränumerationspreis für einen Jahrgang dieser
Monatshefte beträgt 5 fl. oder 10 Mark.
Der akademische Anzeiger, welcher nur Original-Auszüge
oder, wo diese fehlen, die Titel der vorgelegten Abhandlungen.
enthält, wird, wie bisher, acht Tage nach jeder Sitzung aus-
gegeben. Der Preis des Jahrganges ist 1 tl. 50 kr. oder 3 Mark»
X
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SITZUNGSBERICHTE
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EMIE DER WISSENSCHAFTEN.
.'ÄATHEMATISCH-NATÜRWISSENSCHAFTLICHECLASSE.
CV. BAND. VIII. BIS X. HEFT.
JÄHRQANG 1896. — OCTOBER bis DECEMBER.
ABTHEILUNG I.
EITTHÄI^T DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE,
KRYSTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE,
PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN.
(MlT'9 TAFELN.)
WIEN, 1896.
AUS DER KAISERLICH-KÖNIGLICHEN HOF- UND STAATSDRUCKEREL
IN COMMISSION BEI CARL GEROLD'S SOHN,
BUCHHÄNDLER DER KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
't^~ .
INHALT
des 8. bis 10. Heftes October bis December 1896 dos CV. Bandes,
Abtheilung I der Sitzungsberichte der mathem.-naturw. Classe.
Seilt
XIX. Sitzung vom 8. October 1896: Übersicht 601
Sioklasa J.y Über die Verbreitung und physiologische Bedeutung^
des Lecithins in der Pflanze. [Preis : 30 kr. = 60 Pfg-l . . . 604
Molisch //., Die Ernährung der Algen. (Süsswasseralgen, FI. Ab-
handlung.) [Preis: 20 kr. = 40 Pfg.] 633
XX. Sitzung vom 15. October 1896: Übersicht 649
XXI. Sitzung vom 22. October 1896: Übersicht 650
Fintner Th., Studien über Tetrarhynchen nebst Beobachtungen an
anderen Bandwürmern. (II. Mittheilung.) (Mit 4 Tafeln.)
[Preis: 90 kr. = 1 Mk. 80 Pfg.] 652
Klapälek Fr., Über die Geschlechtstheile der Plecopteren, mit be-
sonderer Rücksicht auf die Morphologie der Genitalanhänge.
(Mit 5 Tafeln.) [Preis: 1 fl. 40 kr. = 2 Mk. 80 Pfg.] ... 683
XXII. Sitzung vom 5. November 1896: Übersicht ... . . 741
XXIII. Sitzung vom 1 2. November 1 896 : Übersicht . . , . . 743
XXIV. Sitzung vom 19. November 1896: Übersicht . . 744
XXV. Sitzung vom 3. December 1896: Übersicht . . 74;
XXVI. Sitzung vom 10. December 1896: Übersicht . 749
XXVII. Sitzung vom 17. December 1896: Übersicht . 750
Preis des ganzen Heftes: 2 fl. 50 k.p^ = 5 Mk
lii,?
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CV. BAND. VIII. HEFT.
ABTHEILUNG 1.
ENTHÄLT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE.
KRYSTALLOGRAPHIE, BOTANIK. PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE,
PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN.
40
601
XIX. SITZUNG VOM 8. OCTOBER 1896.
Erschienen sind im Laufe der akademischen Ferien :
Sitzungsberichte, Bd. 105 (1896), Abth. I, Heft III und IV (März und April);
Abth. II. a, Heft V und VI (Mai und Juni); Abth. II. b, Heft V— VII (Mai
bis Juli) und Abth. III, Heft I— V (Jänner bis Mai).
Monatshefte für Chemie, Bd. 17 (1896), Heft V— VII (Mai bis Juli) und
Heft VIII (August).
Denkschriften, Bd. 63 (1896) und die Collectiv- Ausgabe: Tiefseeberichte
(V. Reihe); ferner der
Akademische Almanach, 46. Jahrgang (1896).
Der Vorsitzende, Herr Vicepräsident Prof. E. Suess,
begrüsst die Classe bei Wiederaufnahme der Sitzungen nach
den akademischen Ferien und heisst das neueingetretene Mit-
glied Herrn Prof. Franz Exner herzlich willkommen.
Hierauf gedenkt der Vorsitzende der Verluste, welche die
kaiserl. Akademie und speciell diese Classe seit der letzten
Sitzung durch das Ableben zweier ausländischer correspon-
dirender Mitglieder erlitten hat, und zwar am 9. Juli 1. J. durch
den Tod des Geheimen Bergrathes Prof. Dr. Heinrich Ernst
Beyrich in Berlin und am 13. Juli 1. J. durch den Tod Jdes
Herrn Prof. Dr. August Kekule in Bonn.
Die anwesenden Mitglieder geben ihrem Beileide an diesen
Verlusten durch Erheben von den Sitzen Ausdruck.
Der Secretär verliest den h. Curatorial - Erlass vom
20. August 1896, Nr. 110, in welchem mitgetheilt wird, dass
40*
602
Se. k. und k. Hoheit der durchlauchtigste Herr Erzherzog
Rainer als Curator der kaiserlichen Akademie der Wissen-
schaften die von derselben in ihrer a. o. Gesammtsitzung vom
1. Juni d. J. beschlossenen Änderungen der §§. 46, 64, 66, 67
und 71 ihrer Geschäftsordnung mit höchster EntSchliessung
vom 14. August d. J. genehmigend zur Kenntniss genommen
habe. I
Für die diesjährigen Wahlen sprechen ihren Dank aus:
die Herren Professoren Zd. H. Skraup in Graz und F. Exner
in Wien für ihre Wahl zu wirklichen Mitgliedern und Herr
Prof. J. Pernter in Innsbruck für seine Wahl zum inländischen
correspondirenden Mitgliede dieser Classe.
Das c. M. Herr Hofrath Prof. E. Ludwig übersendet eine
Arbeit des Herrn Rudolf Ziegelbauer in Graz: Ȇber das
Ortho-Phenylenbiguanid«.
Das c. M. Herr Prof. R. v. Wettstein übersendet eine
Abhandlung, betitelt: »Die europäischen Arten der
Gattung Gentiana aus der Section Endotricha Froel. und
ihr entwicklungsgeschichtlicher Zusammenhang.«
Das c. M. Herr Prof. Hans Molisch übersendet eine
Arbeit unter dem Titel: »Die Ernährung der Algen«
(Süsswasseralgen, II. Abhandlung).
Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen
vor:
1. Ȇber eine neue Folgerung aus der MaxwelTschen
Theorie der elektrischen Erscheinungen«, von Dr.
Anton Seh eye in Berlin.
2. »Über regelmässige und unregelmässige Körper«,
von Herrn H. Friedrich, Ingenieur in Pilsen.
Das w. M. Herr Prof. Friedrich Brauer legt eine genaue
Beschreibung mehrerer exotischer Oestriden-Larven vor, welche
Herr Oskar Neumann in Afrika gefunden hat.
603
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
La Prince Albert P*", Prince de Monaco, Resultats des
Campagnes Scientifiques accomplie surSon Yacht »Hiron-
delle*. Publies sous la direction avec le concours de
M. Jules Richard, Charge des Travaux zoologiques ä
bord. Fascicule X. Poissons provenant des campagnes
1885 — 1888 par R. Collett. (Avec 6 planches.) Monaco,
1896; Folio.
Sevetinsky J., Dejiny Lesü v Cechach. V Pisku, 1895; 8®.
604
Über die Verbreitung und physiologische
Bedeutung des Lecithins in der Pflanze
von
Dr. Julius Stoklasa.
Aus dem chemisch-analytischen Laboratorium der k. k. böhmischen technischen
Hochschule zu Prag.*
(Vorgelegt in der Sitzung am 2. Juli 1896.)
Zu den wichtigsten und bedeutsamsten Vitalprocessen im
Pflanzenorganismus gehört die Assimilation der Phosphorsäure
und ihre combinirte Metamorphose im Chemismus der Zelle.
Auf Grund eigener Wahrnehmungen gelangte ich zu der
Anschauung, dass die Phosphorsäure in den Pflanzen haupt-
sächlich in organischen Formen auftritt. Und zu diesen
organischen Verbindungen, welche Phosphorsäure enthalten,
gehört in erster Reihe neben Nucleinen und Nucleoalbuminen
das Lecithin.
Aus diesen, auf längeren Beobachtungen basirenden
Studien, die ich der Öffentlichkeit hiemit übergebe, ist zu er-
sehen, dass dem Lecithin im Assimilations- und Dissimilations-
processe eine wichtige Rolle zugedacht ist.
I.
Die Verbreitung des Lecithins in den Pflanzen.
Zur richtigen Erkenntniss des sich vollziehenden Stoff-
wechsels und des hieran betheiligten Lecithins erscheint unum-
gänglich die Kenntniss seiner Verbreitung in den verschiedenen
Pflanzenorganen erforderlich. Die betreffs sämmtlicher Haupt-
bestandtheile der Pflanze gewonnenen analytischen Daten
1 Unter Mitwirkung von ehem. stud. Herrn Emil Butta, Fr. Hanus und
Fr. Uher.
Das Lecithin in der Pflanze. ^ 605
geben Anhaltspunkte über die bisher ungekannte physio-
logische Bedeutung, welche dem Lecithin im Organismus der
Pflanze zukommt.
Gang der Analyse.
Die Versuchspflanzen wurden in Böhmen, und zwar theils
in Pobof, theils in Rusin und Königliche Weinberge cultivirt,
die Keimpflänzchen im Laboratorium der böhmischen tech-
nischen Hochschule aus Sandculturen gewonnen.
Das Versuchsmateriale wurde sorgfältigst in eine feine
Form gebracht, bei 50** C. getrocknet und das Lecithin sodann
in folgender Weise bestimmt:
Eine abgewogene Menge von 10 — 18^ wurde in (zuvor
mit Äther extrahirten) ^ SchilTsche Papierhülsen gebracht und
bis 40 Stunden lang mit wasserfreiem Äther extrahirt. Besonders
die Blätter hatten mitunter eine bis 60 Stunden währende Ex-
traction nothwendig. Die Trockensubstanz wurde sodann in
einen 2/ fassenden Erlenmeyefschen Kolben mit Rückfluss-
kühler gebracht und auf dem Wasserbade mit absolutem
Alkohol immer wenigstens 40 Minuten lang extrahirt. — Das
Extract wurde filtrirt und die Substanz mit dem Filter neuer-
dings 40 Minuten lang in absolutem Alkohol gekocht. Diese
Procedur erfuhr eine 5 — Zmalige Wiederholung. Die klaren
Extracte wurden auf einer Platinschale bis zum Trockenwerden
eingedampft und nach Zusatz von Na^COg und NaNOg ver-
brannt. — Die verkohlte Substanz wurde in ein Gefäss
geschüttet und in mit HNOg gesäuertem Wasser gekocht. Im
reinen Filtrat erfolgte die Bestimmung von PgO^ mittelst der
Molybdän-Methode, die Berechnung des Lecithins aus dem
abgewogenen MggPgO^ nach der Methode Hoppe — Seyler's,
Schulze's und seiner Schüler, die Bestimmung von Gesammt-
PgOj in der sonst üblichen Weise.
Schreiten wir vorerst zur Untersuchung der Vegetation
von der Keimperiode bis zur vollständigen Entwicklung und
verfolgen wir die Verwandlungen, welche mit dem Lecithin im
Stoffwechsel vor sich gehen.
1 Auch die zum Verstopfen dienende Baumwolle wurde mit absolutem
Äther extrahirt.
606 J. Stoklasa,
A, Beta vulgaris.
Sorgfältig ausgeschälte Samenkörner wiegen durchschnitt-
lich:
100 Stück 0-392^
PgOg in der Trockensubstanz .... 1 '4370
Lecithin 0-457o
100 Samenkörner bargen sonach 0*0056^ PgO^.
Im Samen sind an Gesammt-Phosphorsäure 2'72^/q P^O^
in Form von Lecithin enthalten.
Erste Periode. Keimlinge nach fünftägiger Entwicklung
aus nährstofflosen Sandculturen:
100 Pflänzchen wogen in der Trockensubstanz 0* 175^
Lecithin 5-227o
Gesammt-PgOs 2-937o
100 Keimlinge enthalten in der Trockensubstanz:
PA 0-0051^
Lecithin 0-0091^.
Der ganze Keimling enthält sonach von Gesammt-Phosphor-
säure 167o ^2^h '" Form von Lecithin.
Zweite Periode. 30 Tage alte Keimpflänzchen aus Sand-
culturen bei Vorhandensein sämmtlicher Nährstoffe:
Die Blätter und Blattstiele von 100 Pflänzchen wogen
in der Trockensubstanz 8*80^
die Wurzeln 1 • 49 ^.
In der Trockensubstanz enthalten die Blätter und Blatt-
stiele:
Gesammt-PgOg 1 -4370
Lecithin l'467o,
die Wurzeln:
Gesammt-PgOs . 1 -4970
Lecithin 0-7827o
Das Lecithin in der Pflanze. 607
Es enthalten somit die Blätter und Blattstiele:
P2O5 0-125^
Lecithin 0-128^,
die Wurzeln:
PA 0-022^
Lecithin O'Oll^.
Die Blätter und Blattstiele bargen an Gesammt-Phos-
phorsäure in Form von Lecithin 97o»
die Wurzeln 4-67o.
Es enthalten somit die Blätter zweimal so viel
Phosphorsäure in Form von Lecithin, als die Wurzeln.
Dritte Periode. Rübe nach 60 Vegetationstagen.
Die Pflanzen gediehen auf dem Felde bei Einwirkung von
N, K2O und P2O5, und zwar pro Ar durchschnittlich:
0-5 lig P2O5,
0-35 N,
0-50 K2O.
Pro Pflanze betrug das Durchschnittsgewicht:
der Blätter und Blattstiele 225-4^
der Wurzel 98-3^.
Das Gewicht der Blätter und Blattstiele in der Trocken-
substanz betrug 28*30^
das Gewicht der Wurzel in der Trockensubstanz betrug 8 • 20 ^.
In der Trockensubstanz enthielten die Blätter und Blatt-
stiele:
Lecithin 0-947o
Gesammt-P^Oj 1 '3270,
die Wurzel:
Lecithin 0-447o
Gesammt-PgO^ 1 • 167(^.
Eine Pflanze enthielt, und zwar die Blätter und Blattstiele:
P2O5 0-373^
Lecithin 0-266^,
608 J. Stoklasa,
die Wurzel:
P2O5 0-0951^
Lecithin 0-036^.
Durch physiologische Processe wurden 6 • 37o <^^^ Gesammt-
Phosphorsäure in den Blättern und Blattstielen in Lecithin ver-
wandelt.
Vierte Periode. Rübe nach 110 Vegetationstagen von
Parcellen bei Vorhandensein sämmtlicher Pflanzennährstoffe.
Durchschnittsgewicht einer Pflanze:
Reine Blattsubstanz 166-4^
Nervatur und Blattstiele 220-8^
Wurzel 616-2^.
Gewicht der Trockensubstanz:
Reine Blattsubstanz 26-2^
Nervatur und Blattstiele 21-3^
Wurzel 115-4^.
Die Trockensubstanz enthielt, und zwar die Blattsubstanz:
Gesammt-PgOs 0-827o
Lecithin l'027o,
die Nervatur und die Blattstiele:
Gesammt-PgOg 0-687o
Lecithin 0-777o,
die Wurzel:
Gesammt-PgOg 0-627o
Lecithin 0-367o.
In der reinen Blattsubstanz sind 10*97o <ier Gesammt-
phosphorsäure in Form von Lecithin verwandelt.
In der Wurzel wurden bloss 57o Phosphorsäure in Form
von Lecithin — im Vergleiche zur Blattsubstanz daher die
Hälfte — vorgefunden.
Das Lecithin in der Pflanze. 609
Die Cultur der Zuckerrübe im Sande bei Abgang von FgOg.
Der Sand wurde in einer Mischung von Salpeter- und Salz-
säure gründlich ausgekocht und hierauf mit Wasser durch-
gewaschen.
Er enthielt keine Spur von nachweisbarer Phosphorsäure.
Die Nährstofiflösung war gleichfalls frei von nachweisbaren
Phosphaten und enthielt in 1000 ^fw*:
KNO3 0-25^
CaS04 0-25
MgSO^ 0-24
Ca(N03)2 0-25 '
KCl 0-25
NaCl 0-1
Eisensilicat 0*25 (beigemischt)
FeSO^ 003
Entwickelte Knäulchen wurden am 20. Mai gepflanzt, und
die Pflanzen zeigten schon im ersten Entwicklungsstadium ver-
kümmerten Wuchs und grüngelbe Färbung der Blätter, welche
im Monate Juli in vollständiges Gelb überging. Im Juli gingen
die meisten Pflanzen ein, bei einem Durchschnittsgewichte pro
Pflanze in der Trockensubstanz:
Gewicht der Blätter und Blattstiele 0-062^
Gewicht der Wurzel 0*031 g.
Die Trockensubstanz barg, und zwar die Blätter und Blatt-
stiele:
Gesammt-PgOg 0-337o
Lecithin 0-457o,
die Wurzeln:^
Gesammt-PgOs 0* 267^
Lecithin 0-1027o.
1 Die geringen Verluste an feinen Würzelchen, welche bei der gewissen-
haftesten Operation unvermeidlich sind, fallen nicht in die Wagschale.
610 J. Stoklasa,
So bieten uns bei 100 Pflanzen:
die Blätter und Blattstiele 0-02^ PgO^
die Wurzeln 0-0078^ P^O^
im Ganzen daher 0-0278^ Gesammt-PgO. .
100 Samen enthalten 0*0056^ ^2^5» ^^ befanden sich
somit nur 0*0022^ PgOg in den Nährstoff lösungen, welche
durch die sehr entwickelte eklektive Thätigkeit der Pflanzen
für die nöthigen Vitalprocesse assimilirt wurden. Der Versuch
kann daher als entschieden gelungen bezeichnet werden.
In den Blättern und Blattstielen wurden ll-87o<derGe-
sammt-Phosphorsäurg in Form von Lecithin vorgefunden, daher
dasselbe Verhältniss wie bei Pflanzen normaler Vegetation.
Die Elimination der Phosphorsäure aus dem Nährstofi"-
medium war zwar von einem vollständigen Nichterfolge in der
Schaffung lebendiger Pflanzensubstanz begleitet, allein behufs
nothwendiger Neubildung von Molekülen wurden, soweit das
geringe Phosphorsäurequantum aus dem Samen eben hin-
reichte, dennoch wie bei normalen Pflanzen circa lO^o ^2^5 ^^
Form von Lecithin verwandelt. Es wurde daher im Vital-
processe selbst diese geringe Menge von Phosphorsäure —
ebenso wie bei Überfluss an Nährstoffen — zur Assimilations-
thätigkeit verwendet.
Untersuchung der Pflanzen zu Ende der Vegetationsthätigkeit.
Die äussersten Blätter werden bei anhaltender Dürre häufig
gelb, während die innere Gruppe derselben grün bleibt.
Ich sammelte im Jahre 1895 Anfang August (am 8. August
1895 um 2 Uhr Nachmittags) gelbliche Blätter normaler Vege-
tation und bestimmte in den grünen, wie auch in den chloro-
phyllosen gelben Blättern desselben Individuums das Lecithin.
Es enthielt die Trockensubstanz, und zwar:
die grünen Blätter mit Chlorophyll 0*897o Lecithin,
die gelben Blätter mit Xanthophyll 0* 157o Lecithin.
Die grünen Blätter zeigten bei mikroskopischer Unter-
suchung entwickelte Pallisadzellen und sehr zahlreiche Chloro-
phyllkörner.
Das Lecithin in der Pflanze. 611
Das Äther-, wie auch das Alkoholextract waren intensiv
grün.
Die mikroskopische Untersuchung der gelben Blätter zeigte,
dass die Chlorophyllkörner aus dem Mesophyll thatsächlich
verschwunden waren, denn die Pallisadzellen enthielten Chloro-
phyllkörrier nur in sehr geringer Menge. Das Äther- und
Alkoholextract färbte sich von dem aufgelösten Xanthophyll
prächtig goldgelb.
Aus dieser Untersuchung geht hervor, dass mit der Zer-
setzung des Chlorophylls sich auch das Lecithin zersetzte und
— im Vergleiche zu den grünen Blättern mit voller Chlorophyll-
thätigkeit — dessen Quantum wesentlich abnahm.
Blätter der rothen Zuckerrübe.
Es interessirte mich zu erfahren, welche Lecithinmenge
jene Rübenblätter enthalten, welche den Eindruck röthlicher
Färbung machten. Wie bekannt sind hier im Mesophyll die
Chlorophyllkörner der Pallisadzellen durch Zellen verdeckt,
welche eine grosse Menge Anthokyanfarbstoff enthalten.
Die an demselben Tage (8. August 1895, 2 Uhr Nachmit-
tags) dem gleichen Felde (wie die grünen, zur Analyse be-
stimmten) entnommenen Blätter wiesen in der Trockensubstanz
der reinen Blattsubstanz 0-47o Lecithin auf.
Eine interessante Erscheinung boten das Äther- und
Alkoholextract.
Das Ätherextract färbte sich smaragdgrün, während das
Alkoholextract olivengrüne Färbung annahm. Das Vorhanden-
sein von Anthokyan in dem Zellsafte beeinflusste daher sicht-
lich die Lecithinbildung in den Blättern der rothen (Salat-) Rübe.
Bemerkt sei noch, dass die Vegetationsdauer sowohl der
gewöhnlichen, als auch der rothen (Salat-) Rübe die gleiche war.
Albinismus der Blätter von Beta vulgaris.
Nicht selten sind die Blätter der Beta vulgaris entweder
zur Hälfte mit weissen Flecken besäet oder ganz weiss, oder sie
haben einen schwach grünlichen Anflug. Die mikroskopische
Untersuchung derselben zeigt, dass die Chlorophyllkörner ent-
weder gar nicht, oder nur in sehr geringer Menge in den
612 J. Stoklasa,
Pallisadzellen des Mesophylls vertreten sind. Die Ursachen
dieser interessanten pathologischen Erscheinung sind uns aller-
dings nicht bekannt.
Zimmermann fand in den vom Albinismus betroffenen
Blättern sehr wenig entwickelte Leukoplasten. Church hält
das Vorhandensein löslicher Oxalsäure für die Ursache dieser
Erscheinung und will seine Hypothese damit begründen, dass
die albikaten Blätter von Qnercus rubra weniger Calciumoxyd
enthalten, als die gesunden, normalen.
Unsere Beobachtungen ergaben das Resultat, dass die
Blätter factisch eine grössere Menge löslicher Oxalate ent-
hielten; ob jedoch die sonst so höchst verderbliche Wirkung
der Oxalate auf das Chlorophyllkorn und den Zellkern auch den
Albinismus der Blätter bedingt, lässt sich mit absoluter Gewiss-
heit nicht behaupten. Thatsache ist, dass die Assimilations-
fähigkeit bei albikaten Blättern äusserst beschränkt, wenn nicht
vollends aufgehoben ist.
Die Analyse ergab folgende Daten:
In derTrockensubstanz der reinen Blattsubstanz:
Die vollends grünen Blätter enthielten 0*957o Lecithin,
die vollends albikaten Blätter enthielten 0*227o Lecithin.
Der Unterschied ist so erheblich, dass man unwill-
kürlich an eine nahe Beziehung zwischen Chlorophyll und
Lecithin denkt.
B. Avena sativa.
Hier folgen unsere Beobachtungsresultate hinsichtlich des
Hafers Avena sativa.
Zu den Vegetationsversuchen wurden womöglich gleich-
artige Früchte annähernd gleichen Gewichtes gewählt.
100 Früchte wogen 3-25^.
Die Früchte enthielten in der Trockensubstanz:
Gesammt-PaOr, 0-6897^,
Lecithin 0-787o.
Das Lecithin in der Pflanze. 613
100 Früchte bargen somit:
an Gesammt-PgOg 0-0224^
an Lecithin 0*0253^.
Es enthält daher die Frucht an Gesammt-PgOg 10% in
Form von Lecithin.
Gehen wir nun zu den Keimlingen über:
Die Höhe des Halmes betrug 11*6 cm
die Länge der Wurzel betrug 10*5 cm.
100 Keimlinge in der Trockensubstanz wogen 2*81 ^.
Die Keimlinge enthielten in der Trockensubstanz:
Lecithin 0-75%
Gesammt-PgOg 0 -67370.
In 100 Keimlingen waren sonach 0*021^ Lecithin ent-
halten.
Das Lecithin hat sich also während des Keimung s-
processes nicht zersetzt.
Das Verhältniss der Phosphorsäure in Form von Lecithin
blieb merkwürdigerweise unverändert; 9*87o P2O5 der Ge-
sammt-Phosphorsäure haben sich in Lecithin verwandelt.
Ein interessantes Bild über die in den verschiedenen
Pflanzenbestandtheilen vorhandene Lecithinmenge bot die
Analyse des Hafers zur Zeit seiner Blüthe; hier Hess sich
bereits constatiren, welche Organe das meiste Lecithin und
welche die meiste Phosphorsäure in organischer Form ent-
halten.
Avena sativa zur Zeit der Blüthe.
Die Hafercultur befand sich in einem Ackerboden von
gleichartiger Zusammensetzung, welcher überdies pro Hektar
rhit 40 kg P2O5 gedüngt war.
Der Hafer vegetirte vortrefflich und brachte eine gute
Ernte.
Die Pflänzchen wurden auf verschiedenen Stellen des
Versuchsfeldes vorsichtig dem Boden entnommen, die feinen
Würzelchen möglichst intact erhalten und die Wurzeln sauber
abgeputzt.
614 J. Stoklasa,
I. Die Wurzel.
Die Trockensubstanz der Wurzeln enthielt:
Lecithin 0'35^/q
Gesammt-PaOg 0- 267o.
Berechnen wir nun das Phosphorsäurequantum, welches
im Lecithin enthalten ist, so finden wir bei den Wurzeln
8'77o <iör Gesammt-PaOg in Form von Lecithin vor.
II. Der Halm.
Die Trockensubstanz der Halme enthielt:
Lecithin 0*42%
Gesammt-PgOg 0-397o.
9 '270 der Gesammt-PaOj finden sich daher in Form von
Lecithin vor.
III. Die Blätter.
Die Trockensubstanz der Blätter enthielt:
Lecithin 0-7807o
Gesammt-PgOj 0- 2077o.
32 -870 der Gesammt-P^O^ in den Blättern tritt daher in
Form von Lecithin auf.
IV. Die Blüthe.
Die behutsam abgenommenen Blüthen sammt Staub-
gefässen und Stempel bargen in der Trockensubstanz:
Lecithin 2-387o
Gesammt-PgOg 0-637o.
33- l7o der Gesammt-P205 in der Blüthe finden sich daher
in Form von Lecithin vor.
Die so gewonnenen Zahlen führen demnach zu der Er-
kenntniss, dass die Blätter und Blüthen das meiste Lecithin
enthalten und dass auch mehr als 307o ^2^5 ^^^ Gesammt-
Phosphorsäure in organischer Form, d.h. in Form von Lecithin,
vorhanden sind.
Das Lecithin in der Pflanze. 615
Sowie nach der Befruchtung das Korn zu reifen und die
Blätter gelb zu werden beginnen, nimmt das in den Halmen
und Blättern vorhandene Lecithin — es ergibt sich dies aus
den angeführten Beobachtungen ^ — immer mehr an Menge ab
und geht in den Samen über, wo es sich theils als Lecithin,
theils als Nukle'in- und Nukleoalbumin -Verbindungen und viel-
leicht auch als Phosphat ablagert.
Dies ergibt sich aus nachstehenden Beobachtungen:
In Sandculturen wurden verschiedene Hafersorten von
Avena sativa theils nur bis zur Blüthe, theils bis zur voll-
ständigen Reife belassen.
Das Nährstoffmedium wies sämmtliche anorganische Nähr-
substanzen auf.
A. Analyse ganzer Pflanzen zur Zeit der Blüthe.
Die Trockensubstanz einer Pflanze wog 26 • 4 ^.
Die Trockensubstanz barg:
Gesammt-PgOj 0- 327^
Lecithin 0-667o.
Es enthielt sonach eine Pflanze:
an Gesammt-P^Og 0-084^
an Lecithin 0* 174^.
In der ganzen Pflanze finden sich daher 18-1% ^2^5 cier
Gesammt-Phosphorsäure in Form von Lecithin vor.
B. Analyse von Pflanzen aus Wasserculturen bei Vorhanden-
sein von Phosphorsäüre nach beendeter Vegetation.
Analyse der ganzen Pflanz-en ohne Samen.
Die Trockensubstanz einer Pflanze wog 20'7 g.
Die Trockensubstanz barg:
Gesammt-P^Oß 0-237o
Lecithin 0-llVo.
1 Siehe die weiter unten folgenden Beobachtungen über die Bedeutung
des Lecithins in der Blüthe.
Sitzb. d. mathcm.-naturw. Gl. ; CV. Bd., Abth. I, 41
616 J. Stoklasa,
Es enthält sonach eine Pflanze :
an Gesammt-PgOj 0-047^
an Lecithin 0022^.
Analyse der Samen.
Aus einer Pflanze wurden durchschnittlich 8 • 63 ^ Samen
erzielt.
Die Trockensubstanz der Samen barg:
Gesammt-PaOg 0-64^
Lecithin 0-78^.
8 '63^ Samen enthielten sonach:
an Gesammt-PgOg 0-055^
an Lecithin 0*067^.
Es fanden sich daher in der ganzen Pflanze nach der
Reife:
Gesammt-PgOj 0- 102^
und
Lecithin 0089^
vor.
Die frappanten Unterschiede zwischen der Menge an
Gesammtphosphorsäure und Lecithin zur Zeit der Blüthe und
jener nach beendeter Vegetation in der einzelnen
Pflanze zeigt uns nachstehende Übersicht:
Zur Zeit der Nach beendeter
Blüthe Vegetation
Gesammt-PgOs 0 • 084 ^ 0 • 102 ^
Lecithin 0-174^ 0-089^
Zvyeifellos hat sich das Lecithin in den einzelnen Pflanzen-
organen nach der Befruchtung allmälig zersetzt, wobei der in
den Samen sich ablagernde Phosphor (neben den bereits
erwähnten Nukleo-Albuminen) andere, uns bisher noch
wenig bekannte Formen annahm, — Es spielt daher das
Lecithin seine Hauptrolle während des Wuchses, bei der
Assimilation und der Befruchtung, während später bei der
Fruchtbildung seine Function aufhört und die Hälfte seines
ursprünglichen Quantums der Zersetzung anheimfällt.
Das Lecithin in der Pflanze. 617
Die ganze Pflanze und die Früchte enthalten nach be-
endeter Vegetation nur die Hälfte des zur Zeit der grössten
und vollsten Entwicklung vorhandenen Lecithinquantums.
Weiters ersehen wir, dass die Pflanze (es versteht sich von
selbst, dass nur solche Pflanzen ausgewählt wurden, welche in
Entwicklung und Alter möglichst gleichartig waren) von der
Blüthezeit angefangen behufs Bildung neuer lebender Moleküle
nur 0-018^ PgOj dem Nährstoffmedium entnahm.
Es ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass sich das
gesammte vor der Blüthe vorhandene Lecithin bereits zersetzt
hatte und erst dann, bei weiterer Assimilation von PgOg, nach
stattgefundener Befruchtung und anlässlich der Samenbildung
sich aus dem neu assimilirten Phosphorsäurequantum von
0* Ol 8^ wieder frisches Lecithin in den Samenzellen gebildet hat.
IL
Entstehung des Lecithins in den Pflanzenkeimlingen.
In dem Samen erscheint die Phosphorsäure zumeist in
organischer Form vertreten.^
Prüfen wir den Samen auf seinen Lecithingehalt, so finden
wir, dass das Lecithin in grösserer Menge vorhanden ist, wenn
in dem Samen auch grössere Mengen von Eiweissstoffen ver-
treten sind.
So z. B. enthalten Leguminosensamen bis 27o, Graminaeen-
samen dagegen höchstens bis 0-87o Lecithin; in ersterem sind
5— 77o, in letzterem 2— 2-57o Stickstoff vorhanden.
1 A. F. W. Schimper schreibt (Zur Frage der Assimilation der Mineral-
salze durch die grüne Pflanze, Flora, 1890,5.222):
>Von einer Aufspeicherung anorganischer Salze in Samen kann kaum die
Rede sein, indem die in demselben reichlich vertretenen Phosphate von Kali,
Kalk und Magnesia mit organischen Bestandtheilen in lockerer Verbindung
stehen. Es ist bekannt, dass phosphorsaures Kali einen Bestandtheil gewisser
eiweissartiger Verbindungen des Samens bildet und die Phosphate von Kalk
und Magnesia sind, wie Pfeffer zeigte, in den Globoiden mit
einer organischen Säure gepaart. Es war mir unmöglich, ausschnitten
trockener oder zuerst 1—2 Tage aufgeweichter Samen die p205-Reaction mit
MgS04, NH4CI und NH3 zu erhalten; auch die Molybdänreaction blieb ohne
Erfolg, so dass die Anwesenheit anorganischer Phosphate ausge-
schlossen ist«.
41*
618 J. Stoklasa,
Samen mit grösserem Fettstoffgehalte kennzeichnen sich
durch geringere Lecithinmengen, so z. B. Brassica oleracea,
Sinapis arvensis, Beta vulgaris u. A.
Die genaue Feststellung dieses Verhältnisses bildet noch
Gegenstand weiterer Forschungen, wesshalb ich mich hier auf
die blosse Erwähnung der Existenz eines solchen Verhältnisses
beschränke,
Was geschieht mit dem Lecithin während der Keimungs-
periode, in welcher der Pflanzenkeimling nicht in der Lage ist,
Kohlensäure zu assimiliren und seine Ernährung den Sub-
stanzen des Endosperms oder der Samenlappen verdankt?
Versuche mit Beta vulgaris.
Der Same wurde in Sandculturen gepflanzt (der Sand
wurde sorgfältig mit Salzsäure und später mit Salpetersäure
ausgekocht, hierauf mit destillirtem Wasser durchgewaschen
und ausgetrocknet).
Die zu untersuchenden Keimlinge waren 9 Tage alt und
hatten noch beide Cotyledonen in der Samenschale verborgen.
Gewicht von 100 Keimlingen in der Trockensubstanz. . 0*228^
Lecithin in der Trockensubstanz 1 • 78%
Gewicht von 100 Samen in der Trockensubstanz 0*392^
Lecithin in der Trockensubstanz 0-457o-
Aus diesen Versuchen mit Beta vulgaris ist zu ersehen
dass sich das Lecithin während der Keimung nicht zersetzt.
Diese Ziffern gelten aber für Keimlinge, deren Blätter noch
nicht selbständig COg assimilirten, sondern noch von Reserxe-
stoffen lebten. Dasselbe konnte ich für die Samen und Keim-
linge von Polygonum fagopyrum feststellen.
Die aus diesen Samen, welche 2 -6270 Stickstoff enthielten,
hervorgegangenen Keimlinge ergaben nachstehende Werthe:
100 Samen wiegen in der Trockensubstanz 1 -821 ^
Die Samen enthalten Lecithin O'öl^o
8 Tage alte Keimlinge ohne Chlorophyll wiegen in der
Trockensubstanz, und zwar 100 Stück 0*924^
Enthalten Lecithin 1 'OSVo-
1 Ohne Samenschale.
Das Lecithin in der Pflanze. 619
Daher wiederum ein Beweis, dass sich das Lecithin nicht
zerset2rt hat.
Die Versuche E. Schulzens und seiner Schüler ergaben,
dass sich das Lecithin während des Keimungsprocesses bei
manchen Leguminosen zersetzte. Diesbezüglich sei beispiels-
'w^eise die Vicia sativa^ angeführt. — Beim Keimen des Pisttm
sativum konnte thatsächlich eine Zersetzung des Lecithins
constatirt werden.
10 Tage alte etiolirte Keimlinge von Beta vulgaris.
Gewicht von 1000 Keimlingen in der Trockensubstanz. .2*210^
Darin Lecithin in der Trockensubstanz 0-847^.
1000 Pflänzchen bergen somit 0'0185^ Lecithin.
10 Tage alte Keimlinge, gezogen im Lichte.
Gewicht von 1000 Keimlingen in der Trockensubstanz . . 2-60^
Darin Lecithin in der Trockensubstanz 1 • 477o-
1000 Pflänzchen bargen somit 0-0382^ Lecithin.
Hieraus ist zu ersehen, dass sich Lecithin, wenn keine
Gelegenheit zur Chlorophyllbildung gegeben ist, nicht ent-
wickelt.
Etiolirte Keimlinge von Pisum sativum.
Gewicht von 100 Keimlingen in der Trockensubstanz . . . 14*48^
Darin Lecithin in der Trockensubstanz 0*387o-
100 Keimlinge bergen sonach in der Trockensubstanz
0-055^ Lecithin.
Keimlinge, gezogen im Lichte.
Gewicht von 100 Keimlingen in der Trockensubstanz ... 15*2^
Darin Lecithin in der Trockensubstanz 0-697o-
100 Keimlinge bergen sonach in der Trockensubstanz
0-104^Lecithin.
1 Die landwirthschaftlichen Versuchsstationen, 1894. Zur Kenntniss der
Keimungsvorgänge bei Vicia sativa. Von D. Prianisniko v.
620 J. Stoklasa,
Auch dieser Fall war ein Beleg dafür, dass sich im Lichte
hier zweimal soviel Lecithin entwickelt, als wie bei etiolirten
Keimlingen.
Darüber besteht kein Zweifel, dass sich das Le-
cithin in den etiolirten Keimlingen zersetzt hat.
Die Zersetzung des Lecithins fand wahrscheinlich unter
Ausscheidung von Cholin, Glycerin — Phosphorsäure und der
Fettsäuren (öl-, Palmitin- und Stearinsäure) statt.
III.
Die Entstehung des Lecithins in den Blättern.
Verfolgen wir die Entwicklung der Blätter von ihrem An-
beginn, so finden wir, dass mit derselben auch die Entwick-
lung des Lecithins zusammenhängt.
Die reinen Laubknospen der Rosskastanie (Aesculus hippo-
castanus) bergen in der Trockensubstanz 0-40Vo Lecithin,
Die vollständig entwickelten, schön grünen Blätter zur
Zeit der Blüthe enthalten in der Trockensubstanz 0'947o
Lecithin.
Die gelben Blätter zur Zeit der Fruchtreife enthalten in
der Trockensubstanz 0* 187o Lecithin.
Es sei hier ausdrücklich bemerkt, dass die Versuchsproben
durchwegs einem und demselben Baume entnommen waren.
Die reinen Laubknospen der gemeinen Esche (Fraxinus
excelsior) enthalten in der Trockensubstanz 0-327o Lecithin,
die vollständig entwickelten Blätter hingegen in der Trocken-
substanz 0-787o Lecithin.
Schon an der Hand der früher besprochenen Versuche mit
Beta vulgaris und Avena sativa konnte gefolgert werden, dass
das sich bildende Lecithinquantum sein Maximum in den
Blättern bei voller Entwicklung der Assimilationsthätigkeit
erreicht, vorausgesetzt, dass die Pallisadenzellen des Meso-
phylls reich mit Chlorophyllkörnern gefüllt sind. Mit der Ab-
nahme des Chlorophylls und dem Hervortreten des in den
Blättern bereits vorhandenen Xantophylls in alternden Blättern
zersetzt sich das Lecithin und seine Menge geht rapid zurück.
Das Lecithin in der Pflanze. 621
Wir sehen auch, dass die Laubknospen nur die Hälfte des
Lecithinquantums aufweisen, welches in den vollentwickelten
Blättern enthalten ist.
Offenbar entwickelt und vermehrt sich das Lecithin mit
der Bildung der Chlorophyllkörner in den Blättern.
Dass übrigens die Lecithinbildung thatsächlich von der
Einwirkung des Sonnenlichtes und der Thätigkeit der Chloro-
phyllapparate bedingt ist, ersehen wir aus folgendem Versuche:
Von schön entwickelten Rübenexemplaren wurden im Juli
um 4 Uhr Nachmittags und ein anderesmal um 4 Uhr Früh die
Blätter abgeschnitten. In der reinen Blattsubstanz sowohl der
Nachmittags, als auch der Früh abgeschnittenen Blätter, von
welcher je 16 — 22 g abgewogen wurden, bestimmte ich in der
Trockensubstanz das Lecithin und fand nach mehrfach wieder-
holten Versuchen um 4 Uhr Nachmittags 0*96 — l'057o ^"^
um 4 Uhr Früh 0-607o bis 0-687o Lecithin vor.
Bemerkt sei noch, dass der ganze Versuch gleichmässig
ausgeführt wurde.
Dieser Versuch beweist, dass das Auftreten des
Lecithins im grünen beleuchteten Blatte mit der
Koh len säure assimilation in irgend welcherBeziehung
steht, ja es ist sogar nicht die Möglichkeit ausge-
schlossen, dass das Lecithin im Chlorophyllkorn
selbst als Assimilationsproduct entsteht.
Von diesem Standpunkte aus interessirte mich die Frage,
was mit dem Lecithin in verdunkelten Blättern geschieht?
Um diese Frage zu beantworten, wählte ich vor Allem
gleich alte Sandculturen von Avena sativa zur Blüthezeit, als
nämlich in den Blättern die Lecithinmenge ihr Maximum er-
reicht hatte. Sechs Gefösse wurden finster gestellt und sechs
andere im Sonnenlichte belassen. Die Culturen wurden gleich-
mässig mit Nährstoff lösung begossen, die Verdunkelung dauerte
etwa 12 Tage.
Die Lecithinbestimmung in der Trockensubstanz der Blätter
ergab folgendes Resultat:
Die verdunkelten gelblichen Blätter enthielten 0-367o Lecithin,
die grünen Blätter der Normalculturen 0-78% Lecithin.
622 J. Sloklasa,
Ein ähnlicher Versuch wurde mit Blättern der Weinrebe
angestellt.
Versuche mit dem Weinstocke Vitis vinifera.
Ein Ast mit jungen, noch unentwickelten Blättern wurde
in eine aus Blech angefertigte Dunkelkammer gebracht, der
ganze übrige Theil des Weinstockes dagegen der Wirkung
des Tageslichtes überlassen. Dieser Versuch wurde mit mehreren
Weinstöcken einigemale wiederholt, die Verdunkelung währte
jedesmal 10 Tage.
Die Trockensubstanz der grünen, nicht verdunkelten Blätter
von annähernd gleicher Grösse enthielt l*247o Lecithin, die
Trockensubstanz der verdunkelten Blätter von demselben
Stocke 0-47Vo Lecithin.
Diese Versuche zeigen wieder, dass bei Verdunkelung
grüner Blätter Lecithin verschwindet
Die zu untersuchenden Blätterproben wurden jedesmal
um 4 Uhr Nachmittags beschafft.
Aus den vorangehenden Daten ist weiter ersichtlich, dass
mit dem Aufhören der physiologischen Function der Blätter,
mit dem Absterben des Assimilationsapparates, des Chlorophylls
im Mesophyll und mit dem Hervortreten des in den Blättern
bereits vorhandenen Xantophylls das Lecithin sozusagen
völlig verschwindet.
Prüfen wir die Blätter auf die Menge des in denselben vor-
handenen Lecithins, so finden wir, dass das grösste Quantum
in der reinen Blattsubstanz,^ der weitaus geringere Theil in der
Nervatur und den Stielen enthalten ist.
So enthalten die Blätter der Beta vulgaris^ und zwar:
die reine Blattsubstanz (Lamina) 1 'Ob^l^ Lecithin,
die Nervatur 0*627o Lecithin,
der Blattstiel 0-687o Lecithin.
Wahrscheinlich ist das Lecithin in den Chlorophyllkörnern,
und zwar am reichlichsten in den Pallisadenzellen enthalten.
1 Unter der »reinen ßlaltsubstanz« sind die der Nervatur behutsam ent-
ledigten Blätter zu verstehen.
Das Lecithin in der Pdanze. 623
Meine chemischen und physiologischen Beobachtungen
über das Chlorophyll und seine Derivate bestärken mich in der
Annahme, dass das Chlorophyll nichts anderes ist als Lecithin,
wobei die fetten Säuren durch eine bestimmte Gruppe von
Chlorophyllansäuren ersetzt erscheinen. Auf ähnliche Chloro-
phyllanverbindungen hat zuerst Hoppe-Seyler 1879 — 1881
in der »Zeitschrift für physiologische Chemie« (3. 340, 4. 193,
5. 75) aufmerksam gemacht. Er gewann ein krystallinisches
Chlorophyllan, welches folgende Zusammensetzung hatte:
C = 73 -3450/0, P = 1-380%
H z= 9-725 Mg 1= 0-340
N = 5-685 O = 9-525.
Obwohl ich beim Isoliren von Chlorophyllan dieselbe
Methode anwandte wie Hoppe-Seyler, so ist es mir doch
nicht geglückt, jene krystallinische Form zu erzielen, welche
die Analyse Hoppe-Seyler's ergab. Die Versuche mit reinem
sattgrünem Grase sind noch nicht beendet und das Isoliren von
Chlorophyllan wird weiter fortgesetzt. Bemerken will ich nur,
dass ich frisches, sowohl gepresstes (bei 250 Atmosphären),
als auch ungepresstes Gras als Versuchsobject wählte.
Nachdem die Isolirung von krystallinischem Chlorophyllan
nicht glücken wollte, setzte ich meine Versuche mit frischen,
ungepressten Grasblättern fort — geradeso, als handelte es
sich mir um die Gewinnung von reinem Lecithin.
Hiebei operirte ich wie folgt:
Frisches, reines Gras im Gewichte von circa 8 kg wurde
zuerst, und zwar möglichst vollständig mit Äther und nachher
mit absolutem Alkohol, und zwar bei 50—60° C. extrahirt. Gleich
zu Beginn wurde behufs Neutralisirung der organischen Säuren
etwas CaCOg zugesetzt. Die Alkoholextracte wurden im
Vacuum bei 40 — 50* C. abgedampft und der Verdampfungs-
rückstand mittelst Äther digerirt. Die Ätherlösung wurde
neuerdings abgedampft, der Verdampfungsrückstand in Al-
kohol aufgelöst, diese Lösung mit Wasser nach G. Kraus^
1 G. Kraus, Zur Kenntniss der Chlorophyllfarbstoffe und ihrer Ver-
wandten. Stuttgart, 1872.
624 J. Stoklasa,
verdünnt und mittelst Benzol das sogenannte Kraus'sche
»KyanophylU abgeschieden. Der dunkelgrüne Extract wurde
mit Benzol abgedampft, aufs Neue im Alkohol aufgelöst, mit
Wasser verdünnt und mittelst Benzol neuerdings Kyaoo-
phyll abgeschieden. Diese Procedur erfuhr eine dreimalige
Wiederholung und hatte den Zweck, womöglich das Xanto-
phyll in der Alkohollösung abzuscheiden. Endlich wurde das
dunkelgrüne Extract in Äther aufgelöst und mit Wasser,
welchem Chlornatrium zugesetzt wurde, geschüttelt. Auf diese
Weise vollzog sich sehr leicht die Absonderung der Ather-
schichte von der Wasserschichte. Die reine Ätherlösung wurde
abgedampft und mit absolutem Alkohol behandelt. Von
unlöslicher Substanz erübrigte im Alkohol eine beträchtliche
Menge. Durch Abkühlung sonderte sich aus der Alkohollösung
ein compacter Niederschlag von metallischem Glänze und
schwarzgrüner Färbung ab. Der Niederschlag wurde abermals
in absolutem Alkohol aufgelöst, die so entstandene Lösung auf
mehrere Glasschalen vertheilt und in Exsiccatoren über
Schwefelsäure dem Krystallisationsprocesse ausgesetzt. Kry-
stalle haben sich wohl keine gebildet, dafür aber
Schollen von metallischem Glänze und schwarzgrüner Farbe,
welche bei Annahme eines constanten Gewichtes alsogleich
der Analyse unterzogen wurden. Die Analyse ergab, dass diese
in Alkohol, Benzol und Äther bei schöner, sattgrüner Verfärbung
lösliche Substanz 3-377o Phosphor enthält
Der Theorie nach erfordert das Lecithin, je nachdem es
das Radical der Öl-, Palmitin- oder Stearinsäure einschliesst,
folgendes Phosphorquantum:
Dipalmityl— Lecithin 4- 127^
Dioleyl— Lecithin 3-867o
Distearyl— Lecithin 3 -8470.
Durch weitere Zersetzung mit Ba(0H)2 nach Hoppe-
Seyler's Methode wurde bewiesen, dass diese Substanz
Cholin, Glycerinphosphorsäure und einige Chloro-
phyllangruppen enthält, deren genaue Bestimmung noch
aussteht.
Das Lecithin in der Pflanze. 625
Diese mit dem Namen Chlorolecithin belegte Substanz
unterscheidet sich, wie ersichtlich ist, von Hoppe-Seyler's
Chlorophyllan durch ihren Phosphorgehalt. Chlorophyllan
nach Hoppe-Seyler enthält l-387o> Chlorolecithin dagegen
3 -3770 Phosphor.!
Richtig bemerkt L.Marchlevski in seiner ausgezeichneten
Publication »Die Chemie des Chlorophylls«:
»Das Product dieser vermeintlichen Oxydation, das Chloro-
phyllan, ist nach Hoppe-Seyler als ein Lecithin zu betrachten,
in welchem sich Glycerin und Cholin in Verbindung mit
Phosphorsäure befinden, das Glycerin aber ausserdem (ent-
weder allein oder zugleich mit fetten Säuren) mit Chlorophyllan-
säure verbunden ist. Daraus ginge hervor, dass das
Studium der Chlorophyllfrage mit dem der Lecithine
überhaupt eng verbunden ist und dass die Chloro-
phyllansäure, respective Phyllocyaninsäure oder
schliesslich Phyllotaonin den färbenden Bestandtheil
der Chlorophyllmoleküle ausmachen würde«.
Nach den Ergebnissen meiner gegenwärtigen fortgesetzten
Beobachtungen besteht kein Zweifel mehr, dass die Ent-
stehung des Chlorophylls mit dem Vorhandensein von
Phosphor zusammenhängt. Ohne Phosphorkein Leci-
thin — und auch kein Chlorophyll!
Höchst belehrende Belege ergaben diesbezüglich die Vege-
tationsversuche, bei denen im Nährstoffmedium P^Og aus-
geschieden wurde. Trotz Vorhandenseins von Nitraten und
allen übrigen Nährstoffen waren die Pflanzen dennoch unent-
wickelt und gelb, wie bereits eingangs dargelegt wurde.^
Der wichtige Befund Molisch's,^ dass der Chloro-
phyllfarbstoff kein Eisen enthält und dass dieses mit der
1 Über Chlorolecithin gedenke ich demnächst eine selbständige Arbeit
zu veröffentlichen.
2 O. Loew äussert sich (über die physiologischen Functionen der Phos-
phorsäure. Biolog. Centralblatt 1891): Die Vegetation der Phosphatalgen nahm
einen viel grösseren Raum ein als die der Controlalgen, und das schöne Dunkel-
grün der ersteren contrastirte sehr mit dem Gelblichgrün der letzteren (bei
Abgang der P2O5).
3 Die Pflanze in ihren Beziehungen zum Eisen. Von Prof. Dr. H. Moli seh,
Jena, 1892.
626 J. Sto'klasa,
jir.
Intensität der grünen Farbe nichts gemein hat, gewinnt umso-
mehr ah Interesse, da wir nunmehr zu der Erkenntniss gelangt
sind, dass Phosphor iein Best an dth eil des Chlorophylls
ist und dass ohne ihn die Entwicklung des Chloro-
phylls, respective die Entstehung der Chlorophyll-
körner eine Unmöglichkeit ist.
Schliesslich sei noch bemerkt, dass die Proben sämmt-
licher Pflanzenbestandtheile als Vergleichsmaterial behufs Fest-
stellung des Lecithingehaltes jedesmal um 4 Uhr Nachmittags
entnommen wurden, zu welcher Zeit nämlich die Blätter das
meiste Lecithin enthalten.
IV.
Ober die Bedeutung des Lecithins in der Blüthe.
Schon die vorangehenden Darstellungen haben ergeben,
dass die Blüthe lecithinreich ist und dass die Blüthenstiele als
Leiter des Lecithins aus den Blättern in die Blüthe fungiren.
Was für eine Rolle spielt nun das Lecithin in der Blüthe
bei der Befruchtung und Samenbildung?
Um diese Frage zu beantworten, wollen wir die Blüthe
des Apfelbaumes Pirtis malus von ihrer ersten Entwicklung
an einer näheren Betrachtung unterziehen.
Pirus malus.
1.
Die Blüthenstiele zur Zeit der Blüthen-
knospen am 20. April enthalten in der
Trockensubstanz 0-557o Lecithin.
Die Kronenblätter zur Zeit der Blüthen-
knospen enthalten in der Trockensub-
stanz 0-847o Lecithin.
2.
Die Blüthenstiele zur Zeit der vollen
Blüthe am 10. Mai enthalten in der
Trockensubstanz 0-627o Lecithin.
Die Kronenblätter zur Zeit der vollen
Blüthe enthalten in der Trockensub-
stanz 0-867o Lecithin.
Das Lecithin in der Pflanze. 627
3.
Die Blüthenstiele zur Zeit des Blüthen-
abfalles nach der Befruchtung enthalten
in der Trockensubstanz 0*587o Lecithin.
Die Kronenblätter zur Zeit des Blüthen-
abfalles nach der Befruchtung enthalten
in der Trockensubstanz 0'227o Lecithin.
4.
Die Blüthenstiele am 28. Juli vor völliger
Früchtreife enthalten in der Trocken-
substanz 0-327o Lecithin.
Die Blüthenstiele im Monate September
nach der Fruchtreife enthalten in der
Trockensubstanz 0- lOSVo Lecithin.
Weitere analytische Belege gewann ich an der rothen
Rose Rosa centifolia:
Die Kronenblätter enthielten in der
Trockensubstanz im Stadium der völlig
entwickelten Knospen 0*967o Lecithin.
Die abfallenden Kronenblätter ent-
hielten in der Trockensubstanz zur Zeit
der Scheinfrucht O'SP/o Lecithin.
Interessant ist die Wahrnehmung, dass die Kronenblätter
in der Trockensubstanz an Gesammt-P^Oj 0-7517o ^^i^^
hielten.
Im Stadium der völlig entwickelten Knospen sind daher
in den Kronenblättern circa 11 7o ^^r Gesammt-P^Og in Form
von Lecithin enthalten.
Die inneren Organe der entwickelten Blüthe.
Pirus malus.
Die Staubfäden enthalten in der Trocken-
substanz 0*737o Lecithin.
Die Staubbeutel enthalten in der Trocken-
substanz 2*997o Lecithin.
628 J. Stoklasa,
Die Pol 1 en k ö rn er enthalten in derTrocken-
substanz^ ö*867o Lecithin.
Beobachten wir nun die inneren Organe anderer Pflanzen:
Die Staubfäden der Rosskastanie Aesculus
hippocastanufn enthalten zur Zeit der \
ersten Blüthe-Entwickelung in der
Trockensubstanz 0-627o Lecithin.
Die Staubbeutel enthalten in der Trocken-
substanz 3-427o Lecithin.
Die Pollenkörner enthalten in der Trocken-
substanz 5- 167o Lecithin.
Beta vulgaris.
Die Pollenkörner enthalten in der Trocken-
substanz 6-047o Lecithin.
Aus den Untersuchungen der Blüthenbestandtheile geht
hervor, dass die Kronenblätter das meiste Lecithin vor der
Befruchtung enthalten. Die Kronenblätter sind berufen, als
Vorrathskammem des Lecithins bis zur Fruchtbildung zu
dienen.
Nachdem die Fruchtbildung stattgefunden hat, verliert
sich rapid das Lecithin aus den Kronenblättern.
Vom biologischen Standpunkte aus ist interessant,
dass die Pollenkörner bis 67o Lecithin enthalten. (Bei
unseren Analysen handelte es sich nur darum, bei dem Auf-
blühen der Blüthenknospen die Antheren und die Pollenkömer
zu gewinnen).
Als erwiesene Thatsache gilt, dass die thierischen Sper-
matozoen nebst Lecithin auch Nukleine enthalten, und inter-
essant ist es, dass Zacharias auch in den nämlichen Befruch-
tungsorganen der Pflanze Nuklein constatirte. Zacharias
gelangt zu folgenden Resultaten:
»Vergleicht man die männlichen Sexualzellen mit den
weiblichen zunächst bei den Farnen, so ergeben sich erhebliche
1 Eine abgewogene Menge von 2— 3g wurde im Erlenmeyer'schen
Kolben (mit Rückflusskühler) mit absolutem .Äther und Alkohol extrahirt.
Das Lecithin in der Pflanze. 629
Verschiedenheiten, insbesondere in der Beschaffenheit des Zell-
kerns. Der Kern der männlichen Zelle (welcher das Zoosperm
erzeugt) enthält keinen Nucleolus und besteht scheinbar aus
einer homogenen, im Wesentlichen aus Nuklei'n zusammen-
gesetzten Masse. Der Kern der weiblichen Zelle hingegen
besitzt grosse Nucleolen, während sich Nuklein nicht in ihm
nachweisen lässt, sondern ein Netzwerk oder Gerüst mit den
Reactionen des Plastin«.
Dass ein geringer Nukleingehalt für den Eikern dennoch
wahrscheinlich ist, suchte Zacharias nachzuweisen. »An
Masse steht der Spermakern (generative Kern) dem Eikern
nach, hingegen scheint ersterer im Verhältnisse zum Zellproto-
plasma mehr Masse zu besitzen, als der Eikern, besonders
wenn man das hintere Bläschen des Spermatozoids, welches
vor der Befruchtung abgeworfen wird, nicht berücksichtigt.
Das Spermatozoid (Zoosperm) ist percentual viel reicher an
Nuklein als das Ei, und das befruchtete Ei muss percentual
mehr NukleYn enthalten als das unbefruchtete. — Das gleiche
gilt auch für die Moose. — Bei den Gymnospermen kehren hin-
sichtlich der Kerne ähnliche Verhältnisse wieder. — Dasselbe
traf bei den untersuchten Angiospermen zu, wenn auch hier
die Differenzen von Spermakern und Eikern minder gross zu
sein scheinen als bei den Farnen, Moosen und Gymnospermen«.
»Vergleicht man nun«, so schliesst Zacharias, »die Ei-
zellen mit theilungsfähigen Gewebezellen, so fällt im Allge-
meinen die Nukleinarmuth der Eizellen auf. Es würde demnach
die Vermuthung naheliegen, dass die Eizelle ohne Befruchtung
sich desshalb nicht weiter entwickeln kann, weil sie zu nu kl ein-
arm ist, und dass ferner die thatsächlich beobachtete
Vermehrung des Nukleingehaltes durch das eindrin-
gende männliche Element die Eizelle in den Stand
setzt, sich zum Embryo auszubilden.
Untersuchungen über die chemische Zusammensetzung
thierischer Spermatozoen ergaben einen auffallend hohen
Lecithingehalt.
So constatirte Miescher in 100 Gewichtstheilen orga-
nischer Stoffe des reinen Lachssperma 48-687o NukleYn und
7 -4770 Lecithin.
630 J. Stoklasa,
Aus meinen Analysen folgt, dass auch den männ-
lichen Geschlechtszellen höherer Phanerogamen ein
sehr grosser Lecithingehalt zukommt, womit eine
neue chemische Ähnlichkeit zwischen thierischen
und pflanzlichen Zellen zum Vorschein kommt.
Natürlicherweise drängt sich uns nun die Frage auf, wo-
her denn das Lecithin in der Blüthe seinen Ursprung hat?
Schon die Analyse der Blüthenstiele hat dargethan, dass das
Lecithin in der Blüthe von ihrer ersten Entwicklung an bis zur
Zeit der Fruchtreife sehr rege circulirt. Es ist die Möglich-
keit nicht ausgeschlossen, dass das in den grünen
Blättern vorhandene Lecithin auch nach der Blüthe
hin circulirt und die wesentlichen Bestandtheile der-
selben Kronenblätter, Staubgefässe und Fruchtknoten
anfüllt. Namentlich im Stadium der Fruchtreife ver-
liert sich das Lecithin rapid aus den Blättern und
übersiedelt in die Samen, wo es sich zumeist in ganz
veränderten Formen ablagert.
Damit ist jedoch keineswegs gesagt, dass ich die grünen
Blätter gewissermassen nur als Producenten des Lecithins
betrachten würde; wie aus den Forschungen über
die Vitalprocesse der Hyphomyceten, Bakterien u.A.
hervorgeht, kann die lebendige Zelle Lecithin auch
ohne Chlorophyll reproduciren.
Zusammenfassung der Resultate nebst Schlussbetrachtungen.
Was zunächst das Vorkommen des Lecithins in der Pflanze
anbelangt, so ergaben zahlreiche Analysen für die verschiedenen
Organe Folgendes:
L Wurzel.
Einjährige Pflanzen enthalten in ihrer Wurzel sebr
wenig Lecithin, sein Quantum beträgt maximal 0-37o- Nach
beendeter Vegetation sinkt diese Menge auf 0* 1 Vo-
In den Wurzeln zweijähriger oder perennirender
Pflanzen ist zu Ende der Vegetationszeit stets eine grössere
Lecithinmenge vorhanden, welche eine beachtenswerthe Re-
servesubstanz zur Bildung neuer Zellen darstellt.
Das Lecithin in der Pflanze. 631
II. Stamm.
Der Stengel enthält 0-3— 0 -470 Lecithin. Nach der Frucht-
reife geht dieses Quantum ungemein rasch zurück, so dass es
bei einjährigen Pflanzen in dieser Periode höchstens O-P/o
beträgt.
ni. Blätter.
In den Blättern ist stets eine grössere Menge Lecithin vor-
handen. Nach stattgefundener Befruchtung und während der
Fruchtbildung schwindet das Lecithin aus den Blättern, zumal
wenn diese zu vergilben beginnen und der gelbe Blattfarbstoff
in Erscheinung tritt Die reine Blattsubstanz ist unter
allen Pflanzenbestandtheilen mit Ausnahme der An-
thera sammt den Pollenkörnern zur Zeit der Blüthe
an Lecithin am reichsten. Es enthalten die Blätter an
Gesammt-PgOß bis 407© in Form von Lecithin.
Da ich beobachten konnte, dass mit der Ent-
stehung und Zerstörung des Chlorophyllfarbstoffes
auch die Entstehung und Zerstörung des Lecithins
parallel geht, und ^a ich es ferner für höchstwahr-
scheinlich Annehmen konnte, dass der Chlorophyll-
farbstoff eine dem Lecithin entsprechende Phosphor-
menge enthält, so bin ich der Meinung, dass das
Chlorophyll selbst ein Lecithin ist.
IV. Blüthe.
Aus den Untersuchungen der Blüthenbestandtheile geht
hervor, dass die Blumenblätter das meiste Lecithin im
Stadium völligerKnospenentwicklung enthalten; nach
der Befruchtung und zur Zeit der Fruchtbildung nimmt das
Lecithin ab.
Die männlichen Geschlechtsorgane, Staubfäden und die
Anthera mit den Pollenkörnern sind die lecithinreichsten Be-
standtheile der Blüthe.
Das lecithinreichste Organ der ganzen Pflanze
aber ist entschieden das Pollenkorn; das in demselben
enthaltene Lecithinquantum erreicht bis 67o- Diese
Thatsache verdient umsomehr Beachtung, als man
Sitzb. d. mathem.-naturw. Gl.; CV. Bd., Abth. I 42
632 J. Sloklasa, Das Lecithin in der Pflanze.
auch im Sperma höherer Thiere einen auffallend
hohen Gehalt an Lecithin aufgefunden hat.
Wenn wir den Lecithinprocess der Phanerogamen in der
Pflanze von der Keimung angefangen bis zur völligen Ent-
wicklung verfolgen, so finden wir, dass sich das Lecithin bis
zur Zeit der Befruchtung in sämmtlichen Organen ansammelt,
zur Zeit der Fruchtbildung aber zu schwinden beginnt, um
sich schliesslich im Samen in Form anderer phos-
phorhältiger und wahrscheinlich ausschliesslich or-
ganischer Verbindungen abzusetzen.
Dass neben Lecithin, Nuklein und Nukleoalbumin auch bis-
her unbekannte organische stickstoffhaltige und phosphorreiche
Substanzen existiren, ist sehr wahrscheinlich.^
Es wurde constatirt, dass das Lecithinquantum in der
ganzen Pflanze zur Zeit der Blüthe ein viel grösseres ist, als
nach der Entwicklung und Reife der Früchte. Femer dass das
Lecithin in der Pflanze circulirt und zur Bildung neuer Pflanzen-
substanz disponibel gemacht wird.
Dafür, dass das Lecithin thatsächlieh in der Pflanze circu-
lirt, liefert unter Anderem auch einen Beleg der Blutungssaft
der Birke im Monate April.
In 1000 cw* Blutungssaft waren 9*3^ Trockensubstanz
enthalten, welche wieder 0*105^ Lecithin enthielt. Das
Lecithin, dieser treue Begleiter der Eiweissstoffe, geht bei Ein-
tritt der Samenreife aus den übrigen Pflanzenorganen in den
Samen über, dient zu dessen Ausbildung oder wandert bei
zweijährigen und perrenirenden Pflanzen in deren Wurzel und
Stamm.
Es sei mir erlaubt an dieser Stelle dem Herrn Prof. Dr.
H. Molisch für die Rathschläge, die er mir während meiner
Arbeit ertheilt hat, meinen tiefsten Dank auszusprechen.
1 In letzter Zeit veröffentlichte E.Schulze und E. Winterstein: »Über
einen phosphorhaitigen Bestandtheil der Samen von Sinapis nigra (Zeitschrift
für physiol. Chemie, 1896).€
633
Die Ernährung der Algen
(Süsswasseralgen, IL Abhandlung)
von
Hans Molisch,
c. M. k. Akad.
Aus dem pflanzenphysiologischen Institute der k. k. deutschen Universität
in Prag.
In meiner ersten Abhandlung^ über diesen Gegenstand
habe ich vor Allem festzustellen versucht, welche Nährelemente
die Süsswasseralgen benöthigen; es hat sich hiebei heraus-
gestellt, dass viele Algen derselben Elemente bedürfen v^ie die
höhere grüne Pflanze,^ jedoch mit einer höchst auffallenden
Einschränkung bezüglich des Calciums, welches sich für einige
Algen {Vaucheria,Spirogyra) als noth wendig, für andere (Micro-
thamnion, Stichococcus^ Ulothrix, Protococcus) als unnöthig
erwies.
In der vorliegenden zweiten Abhandlung strebte ich vor
Allem die Lösung folgender drei Fragen an:
1. Welche Reaction soll eine Nährlösung für Algen haben .^
2. Ist bei der Ernährung der Algen das Kalium durch seine
nächsten verwandten Elemente ersetzbar?
3. Ist Phosphor durch Arsen vertretbar?
1 H. Moli seh, Die Ernährung der Algen. (Süsswasseralgen, I. Ab-
handlung.) Diese Berichte, Bd. CIV, Abth. I, 1895. Im Folgenden will ich diese
Arbeit kurz »Molisch I« citiren.
2 Ob die Diatomeen nicht vielleicht im Gegensatz zu den anderen
Algen für den Aufbau ihrer Zellhaut die Kieselsäure benöthigen, vermag ich
vorläufig nicht zu sagen, da es mir bisher nicht gelingen wollte, die Diatomeen
im Laboratorium gut zu cultiviren.
42*
634 H. Molisch,
I. Welche Reaction soll eine Algennährlösung haben?
So wie die Reaction der Nährflüssigkeit bei Pilzen oft von
entscheidender Bedeutung für Gedeihen oder Nichtgedeihen
ist, so auch bei den Algen. Ich habe bei meinen Versuchen
diesbezüglich nicht selten unangenehme Erfahrungen gemacht,
denn mitunter wollten Algen, deren Cultur mir sonst keine
Schwierigkeiten machte, in gewissen Nährlösungen nicht nur
nicht gedeihen, sondern sie gingen sogar zu Grunde. Bei plan-
mässig angestellten Experimenten stellte sich dann heraus,
dass die Art der Reaction der Nährflüssigkeit daran Schuld
war. Die Algen benöthigen in der Regel eine ganz
schwach alkalische Reaction der Nährflüssigkeit,
saure Reaction hemmt die Entwicklung oder tödtet
die Algen.
Bringt man Spirogyra-, Vaucheria-, Cladophora-, Oedo-
goniwm oder Oscillaria -Arten in eine Nährlösung von folgender
Zusammensetzung:
1000^ H^O
0-2^NO3K
0-2^PO,KH,
0-2^SO,Mg
0-2^SO,Ca
Spur Eisenvitriol,
so gehen die Algen nach 1 — 3 Tagen entweder zu Grunde
oder sie beginnen zu kränkeln. Diese Lösung reagirt nämlich
schwach sauer. Ersetzt man in derselben nur das sauer reagi-
rende Monokaliumphosphat durch das alkalisch reagirende
Dikaliumphosphat, so erhält die Lösung hiedurch schwach
alkalische Reaction und die Algen bleiben gesund. Desgleichen
wird die schädigende Wirkung der Nährlösung aufgehoben,
wenn man das Monokaliumphosphat belässt, jedoch kohlen-
sauren Kalk brs zu schwach alkalischer Reaction hinzufügt*
1 In solcher Nährlösung keimen auch die Sporen von Equisetum arvense
sehr gut, hingegen nicht in der sauer reagirenden von der angegebenen Zu*
sammensetzung.
Ernährung der Algen. 635
Lehrreich ist auch folgender Versuch: Neun Culturgefässe
werden mit sehr schwach sauer reagirender Nährflüssigkeit
von der erwähnten Zusammensetzung versehen, drei davon
unverändert belassen, je eines von den übrigen jedoch mit
einer der Substanzen Soda, kohlensaures Kali, Ätzkalk, Kalium-
hydroxyd und Borax versetzt, und zwar mit gerade so viel,
dass die Reaction der Culturflüssigkeit ganz schwach alkalisch
wurde, beziehungsweise ein hineingeworfenes rothes Lackmus-
papier sich nach etwa 10 — 20 Minuten deutlich bläute. Spiro-
gyra und Osctllaria, welche ich sodann in die Gefässe brachte,
gingen in der sauren Nährlösung nach 1 — 3 Tagen unter Weiss-
werden vollständig zu Grunde, während sie sich in den alkalisch
gemachten Lösungen wochenlang am Leben erhielten, ja theil-
weise stark vermehrten.
In Übereinstimmung mit diesen Befunden steht die That-
sache, dass natürliche Wässer, wie sie in Tümpeln, Bächen,
Teichen und Seen vorkommen und in welchen Algen an-
getroffen werden, in der Regel sehr schwach alkalisch reagiren.
Ich habe mich zu wiederholten Malen überzeugt, dass rothes
Lackmuspapier, welches ich in solche natürliche Wässer warf,
sich nach einiger Zeit (15 — 60 Minuten) bläute, in harten
Wässern begreiflicherweise rascher und stärker als in weichen.
Die Ursache dieser Alkalescenz des Wassers ist in erster Linie
der kohlensaure Kalk, welcher dem Wasser die Eigenschaft
verleiht, Säuren zu neutralisiren, d. h. er macht das Wasser
alkalisch.^
Nun wird auch die von Migula gemachte Beobachtung,"^
derzufolge verschiedene Algen gegen geringe Mengen organi-
scher und anorganischer Säuren sehr empfindlich sind und
geschädigt werden, um so begreiflicher. Der genannte Autor
bot seinen Algen freie Säuren, aus meinen Versuchen geht
aber hervor, dass selbst schon saure Salze verschiedene Algen
tödten oder ihr Gedeihen hemmen. Viel früher hatte schon
1 Wanklyn J. A., Analyse des Wassers. Übersetzung der 8. Auflage
von H. Borckert. Charloltenburg 1893, S. 89.
2 Migula W., Über den Einfluss stark verdünnter Säurelösungen auf
Algenzellen. Inaugural-Dissertation, Breslau 1888.
636 H. Molisch,
O. Loevv die Schädlichkeit saurer Substanzen für das Prot*>
plasma der meisten Algen betont.^
Unter den verschiedenen Algen, die ich gelegentlich
meiner nunmehr dreijährigen Ernährungsversuche im Labora-
torium cultivirt habe, kam mir keine einzige unter, welcher
eine schwach alkalische Nährlösung nicht zugesagt hätte.
Es erscheint dies um so verständlicher, als ja, wie Klebs-
zuerst für Zygnemen fand und wie ich für sehr viele Algen
bestätigen kann, Algen die Fähigkeit besitzen, im Sonnenlichte
unter den Bedingungen der Kohlensäureassimilation Nähr-
lösungen alkalisch zu machen, mithin wenigstens während
ihrer Beleuchtung für die Alkalescenz ihres Mediums Sorge
tragen und in einem solchen auch gedeihen. Doch soll damit
keineswegs gesagt sein, dass es unter den Algen nicht auch
solche gibt, welche nicht mit einer neutralen oder schwach
sauren Nährlösung vorlieb nehmen, denn ich selbst habe in
Stichococcns und Protococcus derartige Algen kennen gelernt
In Wässern der Torfböden, welche ihres relativ hohen Gehaltes
an Humussäuren wegen bekanntlich sauer reagiren, dürften
noch andere Gattungen gefunden werden, welche eine schwache
Acidität des Mediums vertragen.^
II. Ist das Kalium durch seine nächstverwandten Elemente
ersetzbar?
Die einschlägigen Versuche wurden unter ganz denselben
Vorsichten durchgeführt wie meine früheren Experimente,
weshalb ich einfach auf den Abschnitt »Methodisches« in
meiner ersten Algenarbeit '^ verweise. Es sei hier nur kurz
betont, dass Ernährungsversuche über die Vertretbarkeit eines
J Loew 0., Sind Arsenverbindungen ein Gift für pflanzl. Protoplasma?
Pflüger's Archiv, 1883, S. 112.
- Klebs G., Über die Organisation der Gallerte bei einigen Algen etc.
Untersuch, aus dem bot. Inst, zu Tübingen, II. Bd., S. 340.
3 Das Bedürfniss nach einer bestimmten Reaction des Nährmediuras
muss für die Verbreitung von Algen und Pilzen neben anderen Factoren gleich-
falls von massgebender Bedeutung sein. Es ist dies meiner Ansicht nach ein
Beweis dafür, dass neben physikalischen Ursachen auch chemische die
V'ertheilung der Gewächse auf der Erde bestimmen.
■* H. Molisch, 1, 1. c. S. 6 des Separatabdruckes.
Ernährung der Algen. 637
Elementes, zumal des Kaliums, durch verwandte die grösste
Sorgfalt von Seite des Experimentators erheischen, und dass
auch diesmal alles, was ich über die Reinigung des Nähr-
materials und die Verwendung von Glasgefässen gesagt habe,
streng eingehalten wurde. Die Alkalisalze standen mir zum
Theil in einer Reinheit zur Verfügung, die nicht so leicht über-
troffen werden dürfte.
Herr Prof. Dr. R. Godeffroy (Wien) hatte nämlich seiner-
zeit unter Berücksichtigung der Methoden von Bunsen und
eigenen Erfahrungen sich mehrere Alkalisalze dargestellt, um
damit das Atomgewicht von Rubidium und Caesium zu be-
stimmen.^ Der genannte Forscher, der inzwischen dem Leben
leider entrissen wurde, hatte im vorigen Jahre die besondere
Güte, mir von diesen reinen Salzen Rubidiumsulfat und Cäsium-
alaun für meine Untersuchungen zur Verfügung zu stellen. Da
die Salze aus dem Jahre 1876 stammten, so wäre es nicht un-
möglich gewesen, dass sie inzwischen bei der Aufbewahrung
mit Spuren von anderen Alkaliverbindungen verunreinigt
wurden. Sie wurden daher nochmals spectraliter geprüft und
erwiesen sich als frei von anderen Alkalimetallen. Die anderen
benützten Alkalisalze stammten aus den Fabriken von Merck
und Trommsdorff und wurden vor ihrer Verwendung noch
zweimal umkrystallisirt.
Versuche mit Protococcus inßtsionum (Schrank) Krch.
und Stichococcus haccilaris Nägeli.
Die kaliumfreie Nährlösung hatte die Zusammensetzung: *
500^ H^O
0-4^PO,(NHJ3
0-2^SO,Mg
2 Tropfen einer P/o Eisenvitriollösung.
1 R. Godeffroy, Bestimmung der Atomgewichte von Cäsium und
Rubidium. Liebig's Annalen der Chemie, Bd. 181, 1876, S. 176.
2 Die Lösung trübt sich etwas, weil etwas phosphorsaure Ammon-
magnesia ausfällt. Für unsere Versuche ist dies ohne Bedeutung. Diese sowie
die später verwendeten Nährlösungen enthielten keinen Kalk. Ich wollte damit
neue Beweise dafür erbringen, dass gewisse Algen des Kalkes nicht bedürfen.
Vergl. darüber »Molisch, I,« S. 12.
638 H. Molisch,
Damit wurden 21 Paraffin-Erlenmeyer-Kolben versehen.
Kolben Erhielt als Zusatz: •
1 Nichts.
2
3
4 O-OOeVo RbaSO^ (Godeffroy)
5 » » »
6 » » »
7 0-0067o (SOJ3AI2 . SO^Cs^ . 24 H.O (Godeffroy)
8 » » *
9 » »
10 0-006 7o SO^Cs,
11
12
13 0-0067o Li'aSO^
14
15
16 0-0067o Na^SO^
17 » • .
18
19 o-ooeVo I<2S04
20
21
Jedes Gefäss — die Nährflüssigkeit betrug je 50 cm^ —
wurde schliesslich mit einer Nadelspitze voll von mit destil-
lirtem Wasser gewaschenen Protococais infusionum (Schrank)
Krch., welcher sich auf einer sehr kaliumarmen Lösung nahezu
in Reincultur entwickelt hatte, geimpft.
Beginn des Versuches am 20. Mai 1896, Ende 14. Juli 1896.
Am 4. Juni waren die Kaliumculturen deutlich grün, und
zwar nur diese. Am 16. Juni fielen die Kaliumculturen schon
von Weitem durch ihre intensiv grüne P'arbe auf. Mit Ausnahme
einer kaliumfreien Cultur, welche schwach grün war, waren
alle anderen farblos. Am 23. Juni alles im Wesentlichen ebenso.
In den Kaliumculturen hatte sich inzwischen eine geschlossene
tief grüne Haut und ein reichlicher Bodensatz von Protococais
crebildet.
Ernährung der Algen. 639
Das Resultat dieser Versuchsreihe darf als ein ziemlich
präcises hingestellt werden, denn, wenn man von der einen
»kaliumfreien« Cultur absieht, in welcher sich die Alge offenbar
geringer Kaliumspuren wegen, die die Nährflüssigkeit enthielt,
ziemlich vermehrt hatte, so fand eine schöne und deutliche
Entwicklung der Alge nur in den Kaliumculturen statt, mit
anderen Worten, nach dieser Versuchsreihe wäre Kalium durch
seine nächsten Verwandten nicht vertretbar. Um darin sicherer
zu sein, stellte ich ganz dieselbe Versuchsreihe an, jedoch
mit dem Unterschiede, dass von den Alkaliverbindungen nur
0 -00270 hinzugefügt wurde.
Das Ergebniss bei Anwendung von Paraffingefässen war
dasselbe wie bei der vorhergehenden Versuchsreihe. Beginn
des Versuches am 26. Mai 1896, Ende am 16. Juli 1896. Zehn
Tage nach Beginn des Experimentes zeigten die kaliumhältigen
Nährlösungen einen grünen Stich, nach 16 Tagen eine grüne
Algenhaut; alle anderen Culturen blieben farblos^ erst gegen
Ende des Versuches, also nach etwa 172 Monaten, trat in einer
Rubidiumcultur eine Spur von Algenentwicklung auf.
In den beiden eben geschilderten Versuchsreihen wurden
Paraffingefasse verwendet. Cultivirt man jedoch die Algen in
gewöhnlichen Erlenmeyer-Kölbchen ohne Paraffin, so ist das
Ergebniss, namentlich bei langer Versuchszeit, offenbar weil
Kalispuren aus dem Glas herausgelöst werden, ein weniger
präcises. Um davon eine Vorstellung zu geben, theile ich aus
meinen Aufzeichnungen folgende Versuchsreihe mit Proto-
coccus inftisiomtm mit.
Zusammensetzung der kaliumfreien Nährlösung wie vorher.
Zahl der Kölbchen 18.
Kölbchen Erhielt als Zusatz
2 ; Nichts.
3)
6)
5 0-005'Vo RbjSO^
640 H. Molisch,
Kölbchen Erhielt als Zusatz:
n
8 ^ O-OOSVoCSgSO^
9 )
10)
11 ^ 0 -00570 LigSO^
12 )
13)
14 ' O-OOöVo Na^SO^
15 )
16)
17 ^ 0-0057o KgSO^
18 )
Beginn des Versuches 3. Juni, Ende 15. Juli. Nach 7 Tagen
Cultur 16 — 18 schwach grün, alle anderen farblos. Nach
15 Tagen 16 — 18 deutlich grün, 1 — 3 schwach grün, 13—15
schwach grün, aber etwas schwächer als 1 — 3.
Nach 23—32 Tagen:
1 — 3 deutlich grün, eine geschlossene Algenhaut,
4—6 sehr schwach grün,
7 — 9 farblos,
10 — 12 sehr schwach grün,
13— 15 deutlich grün, eine geschlossene Algenhaut,
16 — 18 tief grün, eine geschlossene Algenhaut.
Auch aus dieser Versuchsreihe folgt, dass das Kalium die
besten Culturen ergibt. Kalium ermöglicht rasche und reich-
liche Entwicklung. Cäsium Hess die Algen überhaupt nicht
aufkommen. In den anderen Gefässen war aber dennoch Ent-
wicklung eingetreten, in dem »kaliumfreien« merkwürdiger-
weise eine bessere als bei Zusatz von Rubidium und Lithium,
eine Thatsache, die nicht sehr für die Vertretbarkeit des Kaliums
durch die beiden genannten Elemente spricht, sondern eher auf
eine schädigende Einwirkung dieser hindeutet. Die Culturen
mit Zusatz von Na waren ungefähr den kaliumfreien gleich.
Man könnte nun einwenden, dass die Concentration, in
welcher die Alkali Verbindungen geboten wurden (O'0057o)>
schon zu gross war und in Folge dessen giftig wirkt, dass aber
Ernährung der Algen. 641
geringere Mengen der Alkalimetalle eine gleiche Wirkung wie
Kalium ausgeübt hätten. Dem gegenüber bemerke ich, dass in
der zweiten, auf S. 7 mitgetheilten Versuchsreihe die Concen-
tration nur mehr 0 -00270 war, ohne dass das Ergebniss
wesentlich anders gewesen wäre. Auch sei bemerkt, dass bei
weiterer Verringerung der Alkalidosen, d. h. wenn man den
Gehalt der Rubidium-, Cäsium- und Lithiumverbindungen bis
auf 0*001 oder 0 -000570 in der Nährlösung herabdrückt, diese
auch dann nicht Kaliumverbindungen zu ersetzen vermögen;
es tritt nun dann die hemmende Wirkung mit sinkendem Alkali-
gehalt allerdings zurück, und derartige Culturen gleichen dann
mehr oder weniger den »kaliumfreien«. Als bei Wiederholung
dieser Versuchsreihe die Alkalimetalle anstatt in Form der
Sulfate in Form von Chloriden geboten wurden, war das Er-
gebniss im Wesentlichen dasselbe.
Wenn ich alle meine Versuche über den Werth der Alkali-
verbindungen überschaue, so glaube ich zu dem Schlüsse
berechtigt zu sein, dass das Kalium für die normale Entwick-
lung meiner Versuchsalge Protococcus nothwendig ist, und
dass dieses Element durch Rubidium, Lithium, Cäsium oder
Natrium nicht ersetzt werden kann. Dies stimmt im Wesent-
lichen auch mit den Erfahrungen, die bereits früher O. Loew
bei Versuchen über die Vertretbarkeit des Kaliums durch
Rubidium mit Polygonnm fagopyrum, also einer phanero-
gamen Pflanze gemacht hat, denn hier konnte Rubidium
weder als Nitrat^ noch als Chlorid die Stelle der entsprechenden
Kalisalze in den bei Kali als günstig befundenen Nähr-
salzgemischen vertreten.^ In jüngster Zeit hat W. Benecke ^
die Nothwendigkeit des Kaliums auch für Schimmelpilze und
deren Verwandte erwiesen und die gegentheiligen Angaben
Wehmer's damit wohl widerlegt.^
^ O. Loew, Kann das Rubidium die physiologische Function des Kaliums
in der Pflanzenzelle übernehmen? Die landw. Versuchsstationen, Bd. XXI, 1878,
S. 395.
••i W. Be necke, Die Bedeutung des Kaliums und Magnesiums für Entwick-
lung und Wachsthum des Aspergillus niger etc. Botan. Zeitung, I, 1896, S. 97.
3 Bei dieser Gelegenheit möchte ich bemerken, dass ich an meiner Auf-
fassung, derzufolge gewisse niedere Pilze Eisenspuren zu ihrer normalen Ent-
642 H. Molisch,
III. Über die angebliche Ersetzbarkeit der Phosphate durch
Arseniate.
O. Loevv^ beobachtete, dass verschiedene Algenarten in
P/o Lösung von arsensaurem Kalium sich am Leben erhalten,
hingegen in einer ebenso starken neutralisirten Lösung von
arsenigsaurem Kali nach 6 — 10 Tagen abstarben.
Auch die höheren Pflanzen scheinen ein ähnliches Ver-
halten den beiden Arten von Arsensalzen gegenüber aufzu-
wicklung benöthigen, auch jetzt noch festhalte und dass ich diese meine
Ansicht so lange nicht für widerlegt betrachten werde, bis es Jemandem
gelungen sein wird, die Ergebnisse meiner Versuche als unrichtige zu erweisen
und bis es gelungen sein wird, Pilze zu ziehen, in deren Asche kein Eisen
vorhanden ist. Am wenigsten kann ich mich jedoch für widerlegt halten durch
Versuche, wie sie C. Wehmer gegen mich geltend zu machen sucht, denn
dessen wenige, ursprünglich zu einem ganz anderen Zwecke durchgeführten
Experimente entbehren der gerade in unserer Streitfrage so nothwendigen
Exactheit — in ähnlichem Sinne sprach sich auch bereits W. Benecke in
einem Referat über die einschlägige Arbeit Wehmer's aus: Botan. Zeitung 1896,
II, S. 12 — und können eben deshalb keinen Anspruch auf ernste Beachtunj;
erheben.
Diejenigen, welche die Nothwendigkeit des Eisens zu bestreiten geneigt
sind, mache ich darauf aufmerksam, dass auch Algen in sorgfaltig dar-
gestellten Nährlösungen, denen man keine Eisenverbindung beigegeben hat,
sich namentlich bei längerer Versuchsdauer ebenso wie Pilze schwach ent-
wickeln, und doch wird man auf der Gegenseite sich schwerlich zu dem
Schluss entschlicssen wollen, dass Algen des Eisens nicht bedürfen. Man wird
vielmehr annehmen, dass hier Algenentwicklung auf Kosten von Eisenspuren
erfolgte, von denen man sich eben in Anbetracht der allgemeinen Verbreitung
von sehr geringen Eisenmengen derzeit nicht losmachen kann. Von vornherein
ist man geneigt, die Wirksamkeit solcher Eisenspuren zu unterschätzen, ob mit
Recht, wird vielleicht die Zukunft lehren. Vor zwei Jahren hätte es Niemand
für wahrscheinlich gehalten, dass Jod ein normaler Bestandtheil der mensch-
lichen Schilddrüse ist und dass aller Wahrscheinlichkeit nach für den normalen
Zustand und die normale Function derselben das Jod unerlässlich ist. Heute
jedoch sind wir auf Grund der interessanten Befunde Baumann's (Zeitschrift
für physiologische Chemie, 1896) in dieser Hinsicht anderer Meinung, obwohl
die allgemeine Verbreitung von Jod in der uns umgebenden Natur trotz der
empfindlichen Reactionen auf Jod derzeit noch gar nicht nachgewiesen ist.
1 Loew 0., Ein natürl. System der Giftwirkungen. München, 1893, S. 19,
Vergl. auch dessen Abhandlungen in Pflüger's Archiv, 1883, S, 111 und 1887,
S. 444.
Ernährung der Algen. 643
weisen, denn während nach Nobbe^ arsenigsaures Kali noch
in grossen Verdünnungen Erbsenkeimlinge tödtet, fand Knop,*
dass Maispflanzen 0*05^ arsensaures Kali pro Liter Nähr-
lösung nicht nur vertragen, sondern darin normalen Samen
entwickeln.
Was über Beziehungen zwischen Arsenverbindungen und
den Organismen bisher bekannt geworden ist, hat Loew im
Wesentlichen in seinem trefflichen Buche über Giftwirkungen
zusammengestellt, weshalb ich, um Wiederholungen zu ver-
meiden, einfach darauf hinweise. Vor Kurzem hat auch J.
Stoklasa auf Grund zahlreicher Versuche dargethan, dass
bei höheren Phanerogamen Arsen den Phosphor nicht zu
ersetzen vermag, und dass arsenige Säure hier viel giftiger
wirkt als Arsensäure.^
Worauf ich aber hier genauer eingehen will, ist die von
Bouilhac* vor zwei Jahren aufgeworfene Frage, ob bei
den Algen die Arsenate die Phosphate vertreten können. Der
genannte Autor hat auf Grund seiner Versuche diese Frage
bejaht. Er säete im Gefässe, die in der Nährlösung anstatt der
Phosphate verschiedene Mengen von arsensaurem Kali ent-
hielten, Stichococcus baccilaris aus und fand nach einiger Zeit,
dass sich Stichococcus entwickelte, dass aber neben dieser
Alge bald andere Algen {Protococcns infusionum, Ulothrix
tenerrpma, Phorntidium Valäerianum), deren Keime durch
die Atmosphäre in die Gefässe hineingelangten, sich
breit machten. In den Culturen mit Arsen war die Vegetation
reichlich, während sie in den Controlgefässen ohne Arsen
schwächlich blieb. Aus diesen und ähnlichen Versuchen schliesst
der Verfasser, dass bei den genannten Algen der Phosphor
durch Arsen ersetzt werden kann.
Ich habe schon in meiner ersten Abhandlung über Algen-
ernährung auf einige Thatsachen hingewiesen, welche mich
5 Nobbe, Landw. Versuchsstationen, 37, 381.
2 Knop, ßotan. Centralbl., 1885, S. 35.
3 J. Stoklasa, Über die Bedeutung des Arsens in der Pttanzenproduction.
Chemiker-Zeitung, Nr. 10, 1896.
•^ Bouilhac R., Influence de l'acide arsenique sur la Vegetation des
algues. Comptes-rendus, CXIX, 1894, No. 22, p. 929.
644 H. Mülisch,
an der Richtigkeit des Bouilhac'schen Ergebnisses zweifeln
Hessen. Jedermann, der sich mit der Untersuchung über die
Vertretbarkeit von Elementen bei der Ernährung beschäftigt
hat, weiss, mit welch grosser Sorgfalt Nährlösungen zu solchen
Zwecken hergestellt werden müssen. Bouilhac erwähnt aber
die Herstellung seiner verwendeten Nährlösungen mit keinem
Worte, er spricht nicht davon, dass er das für die Culturen
benützte destillirte Wasser und die Nährsalze einer besonderen
Reinigung unterzogen hätte, ja er scheint seine Versuchs-
gefässe gar nicht mit Baumwollpfropfen verschlossen und vor
atmosphärischem Staub geschützt zu haben, denn er sagt von
seinen Siichococcus-Cultuven: *Mais, bientot, ils furent envahis
par des alges divers, dont les germes avaient ete apportes par
l'atmosphere«. Nichtsdestoweniger könnte aber der erwähnte
Autor doch im Rechte sein, und eine Entscheidung in unserer
Frage war nur von neuen Versuchen zu erwarten.
Die zu den folgenden Experimenten^ verwendete Nähr-
lösung hatte die Zusammensetzung:
500^ HgO
0-4^NO3K
0-2^SO,Mg
Eisenvitriol (2 Tropfen einer 1% Lösung).
Die Nährlösung war also phosphorfrei. 27 Erlenmeyer-
Kolben wurden damit versehen, drei blieben ohne jeden Zusatz,
je drei andere erhielten Zusätze (gewöhnlich 0'027o) von
AsO^Kg (0-02 und 0-067o), AsOgKg, AsO^CNHJg, AsOjCNHJ,
oder PO^(NHJg und endlich drei einen Zusatz von PO^CNHJj
und AsO^Kg.
Alle Kölbchen wurden mit Protococcus infusionum Schrank
(Kirchner) geimpft und mit Baumwolle verschlossen. Beginn
des Versuches 18. März 1896.
Schon nach 12 Tagen begannen die Culturen, welche
Phosphor enthielten, zu ergrünen, und nach weiteren 7 Tagen
stachen diese durch ihre tiefgrüne Farbe hervor, während alle
1 Bei diesen Versuchen war eine Auskleidung der Erlenmeyer-Kolben mit
Paraffin unnöthjnr.
Ernährung der Algen. 645
anderen Culturen, weil auch nicht eine Spur einer Entwicklung
zu bemerken war, farblos geblieben waren. So verhielt sich die
Sache bis zum Ende des Versuches, dem 1. Mai 1896. In den
Phosphorculturen schwamm zu dieser Zeit eine geschlossene,
faltige, grüne Haut von Protococcus auf der Oberfläche und am
Boden reichlicher Satz davon. In den phosphorfreien Nähr-
lösungen war, abgesehen von der Spur Impfmasse, nichts von
der Alge zu sehen.
Obwohl dieser Versuch bei der Wiederholung ganz das-
selbe Resultat lieferte, machte ich doch noch weitere Versuche,
und zwar auch mit derjenigen Alge, mit welcher Bouilhac
arbeitete, mit SHchococcus haccilaris Nägeli.
Die Nährlösung hatte dieselbe Zusammensetzung wie vor-
her. Zahl der Versuchsgefässe 15.
Versuchskölbchen 1 — 3 erhielt keinen Zusatz.
4—6 »
als Zusatz 0-02»/,
, AsO^K,,
7-9 .
»
. 002
PO,(NH,),
10—12 .
»
. 0-02
PO,(NH,),
+0-02
AsO.Kj
13—15 .
»
» 0-02
PO^CNH,),
+0-02
AsOgK,
Nach 16 Tagen zeigte
1 — 6 keine Spur einer Entwicklung,
7 — 12 eine geschlossene Haut von tiefgrüner Farbe und mosaik-
artigem Aussehen,
13 — 15 keine Spur einer Entwicklung.
Nachdem der Versuch noch weiter einen Monat stehen
geblieben war, zeigte er ganz dieselben Erscheinungen.
Es kann also nach dem Gesagten keinem Zweifel unter-
liegen, dass von einem Ersatz des Phosphors durch
Arsen bei den von Bouilhac verwendeten Algen keine
Rede sein kann und dass ohne Phosphor eine Ent-
wicklung oder Vermehrung dieser Algen nicht statt-
findet.
Es muss demnach bei den Bouilhac'schen Experimenten
irgend ein Fehler unterlaufen sein; am wahrscheinlichsten
646 H. Molisch,
dünkt es mir, dass die Nährlösungen des genannten Forschers,
weil nicht mit der nöthigen Genauigkeit dargestellt, durch-
wegs Phosphorverbindungen enthielten und dass die Haupt-
masse dieser durch Arsenate, welche mit Phosphor verunreinigt
waren, in die Culturflüssigkeit Eingang fand. Aus meiner letzten
Versuchsreihe folgt aber überdies, dass das arsensaure Kalium
von den Algen ganz gut vertragen wird, nicht aber das arsenig-
saure Kali, denn in den Kölbchen 10 — 12 fand reichliche Ent-
wicklung bei Gegenwart von AsO^Kg statt, hingegen auch
nicht spuren weise bei Anwesenheit von AsOgKg. Dies stimmt
mit den einschlägigen, vorhin mitgetheilten Versuchen von
0. Loew. Es ist ganz merkwürdig, wie verschieden sich Algen
den beiden erwähnten Arsensalzen gegenüber verhalten und
welch' grosse Mengen von arsensaurem Kalium gewisse Algen
noch vertragen. Als Beleg dafür noch folgende Versuchsreihe.
Nährlösung:
1000^ HgO
l^NOgK
0-5^SO^Mg
O-ö^PO^HKg
Spur Eisenvitriol
Zahl der Versuchskölbchen 18. Versuchsalge: Stichococcus
baccilaris.
Kölbchen
Erhielt als Zusatz :
1—2
Nichts
3
o-ooiVo
AsO^Kj
4
0-005
»
5
0-01
»
6
0-05
»
7
0-1
■»
8
0-5
»
9
1
»
10
2
»
11
0-001
AsOjK,
12
0-005
»
13
0-01
»
14
0-05
»
Ernährung der Algi
sn.
Kölbchen
Erhielt al
ü Zusatz
15
o-i7o
ASO3K3
16
0-5
»
17
1
»
18
2
»
647
Nach 7 Tagen zeigten I — 8 eine grüne Haut, bei 9 — 11
war schwache Entwicklung zu merken, bei 12 — 18 gar nichts.
Nach 16 Tagen vom Beginn des Versuches an: Die Culturen
1 — 9 tief grün, 8 — 9 etwas schwächer als 1 — 7, auch in 10
ganz schwache Entwicklung, 11 schwach grün, 12 — 18 farb-
los, weil ohne jede Entwicklung.
Auch diese Versuchsreihe zeigt wieder die Unschädlich-
keit der Arsensäure und die Giftigkeit der arsenigen Säure.
Selbst in der 27o-Lösung von arsensaurem Kali trat noch
Entwicklung ein. Wenn diese Entwicklung hier und in den
Gefässen mit höherem Zusätze von Kaliumarsenat gehemmt
war, so ist dies bei der hohen Concentration des Nährmediums
nicht zu verwundern.
Zusammenfassung der Resultate.
1. Die Reaction einer Algennährlösung soll in der Regel
eine sehr schwach alkalische sein. Es gibt zwar auch Algen,
welche entweder in neutraler oder schwach saurer Nährflüssig-
keit fortkommen (Stichococcns, Protococctts), doch sagt auch
diesen Algen eine schwach alkalische Nährlösung zu.
2. Die untersuchten Algen entwickelten sich nur rasch
und reichlich bei Gegenwart von Kaliumverbindungen. Das
Kalium konnte hier durch die nächst verwandten Elemente
Natrium, Rubidium, Caesium und Lithium nicht ersetzt werden.
3. Die Angabe R. Bouilhac's, derzufolge Arsenverbin-
dungen die Phosphorverbindungen bei der Ernährung von
Algen ersetzen können, hat sich bei der Nachuntersuchung
mit dem von dem genannten Forscher verwendeten Algen-
material als unrichtig herausgestellt.
Es ist erstaunlich, welch* grosse Mengen von Arsenaten
Algen vertragen können (bis über 27o)J Arsenite wirken hin-
gegen schon in relativ geringen Concentrationen giftig.
Sitzb. d. mathem.-naturw. CK; CV. Bd., Abth. I. 43
648 H. Moli seh, Ernährung der Algen.
4. Von Zeit zu Zeit taucht in der Literatur immer wieder
die Behauptimg auf, dass irgend ein Nährelement durch ein
nahe verwandtes ersetzt werden kann. Derartige Behauptungen
haben sich wenigstens bisher bei kritischer, auf genauen Unter-
suchungen beruhender Prüfung als unberechtigt erwiesen.
Erst vor Kurzem konnte ich den Nachweis erbringen, dass
das Magnesium für Pilze (entgegen der Ansicht von Nägeli)
und für Algen unentbehrlich ist und dass von einem Ersatz
dieses Elementes durch verwandte, etwa durch Calcium bei
Pilzen, nicht die Rede sein kann.
Jüngst konnte W. Benecke zeigen, dass die von Wehmer
behauptete Vertretbarkeit von Kaliumsalzen durch Natrium-
salze nicht besteht. Meine vorliegende Abhandlung erbringt,
wie bereits bemerkt wurde, den Beweis, dass Kalium und
Phosphor für die untersuchten Algen unerlässlich sind und
dass diese Elemente von ihren nächsten verwandten nicht ver-
treten werden können.
Alle hieher gehörigen Erfahrungen überschauend, leugne
ich zwar nicht die Möglichkeit, dass bei der Ernährung der
Pflanze manche Elemente durch nahe verwandte partiell
ersetzt werden können, ja ich konnte sogar darthun, dass bei
gewissen Algen und bei höheren Phanerogamen Strontium-
verbindungen Calciumverbindungen eine Zeit lang that-
sächlich vertreten können, aber ich halte es nach dem der-
zeitigen Stand unseres Wissens für höchst unwahrscheinlich,
dass ein Nährelement der Pflanze durch ein verwandtes voll-
ends ersetzt zu werden vermag.
5. Zahlreiche anlässlich der vorliegenden Abhandlung
durchgeführte Versuchsreihen bestätigen neuerdings die von
mir aufgefundene Thatsache, dass der Kalk für gewisse Algen
unnöthig ist, ebenso wie für die von mir daraufhin seinerzeit
untersuchten Pilze.
649
XX. SITZUNG VOM 15. OCTOBER 1896.
Herr Prof. G. G. Stokes in Cambridge spricht den Dank
aus für seine Wahl zum ausländischen Ehrenmitgliede dieser
Classe.
Herr Prof. Dr. Ed. Lippmann übersendet folgende zwei
Arbeiten aus dem III. chemischen Laboratorium der k. k.
Universität in Wien von Dr. Paul Cohn:
1. »Über Chinolin-Phenoläther«.
2. Ȇber die Aufspaltung des Cyclophenylenbenzyl-
idenoxyds«.
Herr Dr. Friedrich Junker in Urach (Württemberg) über-
sendet eine Abhandlung unter dem Titel: »Die symmetri-
schen Functionen der gemeinschaftlichen Variablen-
paare ternärer Formen. Tafeln der ternären sym-
metrischen Functionen vom Gewicht 1 bis 6«.
Das w. M. Herr Hofrath Prof. Ad. Lieben überreicht eine
Arbeit aus seinem Laboratorium: Ȇber die Einwirkung
von wässeriger Kalilauge und gesättigter Pottasche-
lösung auf Isobutyraldehyd« von M. Brauchbar.
43*
650
XXI. SITZUNG VOM 22. OCTOBER 1896.
F'ür die diesjährigen Wahlen sprechen ihren Dank aus die
Herren Professoren Dr. J. v. Hepp erger in Graz für seine
Wahl zum inländischen correspondirenden Mitgliede und Dr.
J. H. van 't Hoff in Berlin für seine Wahl zum ausländischen
correspondirenden Mitgliede dieser Classe.
Herr Dr. Emil Holub übersendet eine Abhandlung des
Herrn Fr. Klapalek, k. k. Gymnasiallehrer in Wittingau:
-Ȇber die Geschlechtstheile der Plecopteren, mit
besonderer Rücksicht au fdie Morphologie der Gen i tal-
anhänge«.
Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen
vor:
1. »Elementare Bestimmung der Punkttransforma-
tionen des Raumes, welche alle Flächeninhalte
invariant lassen«, von Herrn Karl Carda, Assistent an
der k. k. technischen Hochschule in Brunn.
2. »Über die Theilung der Geraden und der Winkel«,
von Herrn Anton Nadachowski, Ingenieur der k. k.
Staatsbahnen in Ebensee.
Das w. M. Herr Prof. C. Grobben überreicht eine Arbeit
des Herrn Dr. Th. Pintner in Wien, betitelt: »Studien
an Tetrarhynchen nebst Beobachtungen an anderen
Bandwürmern. IL Mittheilung: Über eine Tetrarhynchen-
larve aus dem Magen von Heptanchtis nebst Bemer-
kungen über das Excretionssystem verschiedener
Gestoden«.
651
Das w. M. Herr Hofrath Prof. Ad. Lieben überreicht eine
in seinem Laboratorium ausgeführte Arbeit des Herrn Dr.
A. Franke: Ȇber die Einwirkung von alkoholischem
Natron auf Isobutyraldehyd«.
Herr Prof. Lieben überreicht ferner eine Abhandlung des
Herrn Dr. Ad. J oll es: Ȇber eine qu an titativeMethode zur
Bestimmung des Bluteisens zu klinischen Zwecken«.
Das w. M. Herr Hofrath Prof. L. Boltzmann überreicht
folgende fünf Abhandlungen:
1. »Magnetisirung nach zwei Dimensionen und
magnetische Hysteresis im Drehfelde«, von Prof.
August Grau und Dr. Richard Hiecke.
2. »Über die Grenzen des stereoskopischen Sehens«,
von Dr. Friedrich Wächter.
3. Ȇber die Bestimmung der Temperatur einer ver-
änderlichen Wärmequelle in einer bestimmten
gegebenen Zeit«, von Herrn Oberst Alois Indra.
4. »Zur Theorie der Zustandsgieichung der Gase«,
von Dr. Gustav Jäger.
5. »Ein mechanisches Polycykel als Analogon
der Inductionswirkungen beliebig vieler Kreis-
ströme«, von Herrn Fritz Hasenoehrl.
652
Studien über Tetrarhynehen
nebst Beobachtungen an anderen Bandwürmern.
(II. Mittheilung.)
Über eine Tetrarhynchenlarve aus dem Magen von Hept-
anchus, nebst Bemerkungen über das Excretionssystem ver-
schiedener Cestoden
von
Dr. Theodor Pintner.
(Mit 4 Tafeln.)
Im Magen eines Heptanchus {Notidanus einer etis Cuv.)
fand ich während meines Neapeler Aufenthaltes drei Exemplare
einer Tetrarhynchenlarve, die wegen ihrer Durchsichtigkeit zu
den schönsten Formen gehört, welche mir untergekommen
sind. Sie lagen ziemlich fest eingebettet in Muskelstücken
eines anderen, offenbar grösseren Fisches, der eben durch den
Verdauungsprocess in Zerfall begriffen war. Man glaubte in
der zoologischen Station diese Reste mit annähernder Sicher-
heit als von Lepidopus herrührende bezeichnen zu können.
Ich habe alle drei Stück gefärbt und in Canadabalsam ein-
geschlossen. Sie lieferten ohne Anwendung ungewöhnlicher
Sorgfalt Präparate von einer Übersichtlichkeit und Klarheit,
wie man sie selten zu erzielen vermag. Ein Individuum wurde
nachträglich in Schnittserien zerlegt.
Bei der im Folgenden gegebenen kurzen Beschreibung
dieser Präparate kommt es mir darauf an, im Anschlüsse an
meine I. Mittheilung das Typische und das Abweichende haupt-
sächlich des Blasenkörpers der Larve hervorzuheben. Dabei
werde ich Angaben zu machen haben über ein allem Anscheine
nach vollkommen unbekanntes und noch durchaus
Studien an Tetrarhynchen. 653
räthselhaftes Organsystem. Auf den Scolex werde ich nur
ganz kurz zu sprechen kommen, soweit es zur Bestimmung
der F'orm nothwendig ist. Die Zugehörigkeit der Larve zu einer
grossen und häufigen Geschlechtsform, die ich später ausführ-
lich zu beschreiben beabsichtige, ist mir nämlich durchaus
nicht mehr zweifelhaft, doch kann ich hierüber aus bei anderer
Gelegenheit zu besprechenden Gründen noch keine Mittheilung
machen.
Alle drei Individuen hatten eine auch schon vor der Prä-
parirung sehr stark abgeplattete Gestalt, so dass ohne Weiteres
die ausgesprochenen Rücken- und Bauchflächen nach oben
und unten zu liegen kamen. Sonst zeigen die Thiere Keulen-
form. Bei einer Länge von ungefähr 11*5, 9*5, 7 mm beträgt
die grösste Breite circa 3, 2*5, 3 mm. Diese Breite tritt bald
hinter dem kreisbogenfOrmig abgerundeten Vorderende ein und
bleibt die grössere Hälfte des Körpers über gleich, um dann
langsam in das mehr oder weniger verschmälerte, ebenfalls
abgerundete Hinterende überzugehen.
Wie bei Tetrarhynchtts smaridnm baut sich auch hier
der Körper, wie schon angedeutet, bilateral-symmetrisch oder,
wenn man will, zweistrahlig-radiär auf, das letztere Symmetrie-
verhältniss allein gestört durch die bekannte Ungleichheit der
Lumina der beiden Hauptgefässe des Excretionssystems, weiche
Ungleichheit die Homologisirung der Rücken- und Bauch-
fläche der Larve mit den entsprechenden Körperflächen einer
geschlechtsreifen Cestoden-Strobila ermöglicht. Am vordersten
Ende liegt die Öffnung des Receptaculums^ sammt dem zuge-
hörigen ganz kurzen Canal verhältnissmässig weit. Das Hinter-
ende wird durch die Mündung der Harnblase bezeichnet (Taf. I,
Fig. 1).
Form des Receptaculums und Lage des Scolex in dem-
selben weichen in nicht unwesentlichen Punkten von Tetra-
rhyiichns smaridnm ab. Das Receptaculum ist kein kugeliger
Hohlraum, sondern hat eine mehr schlauchförmige Gestalt.
1 Hier wie in der 1. Mittheilung (Nr. 12) verstehe ich unter Receptaculum,
ohne Rücksicht auf die etwas abweichende Definition Lcuckart's, nur allein
den Hohlraum, in dem der Scolex eingeschlossen liegt.
654 Th. Pintner,
Seine Wand legt sich allenthalben ziemlich genau dem Scolex
an, der nicht zweimal, sondern nur einmal, ungefähr in der
Mitte des Rüsselscheidentheiles, umgeknickt erscheint (Taf. I,
Fig. 1, 2). Es hat eine Gesammtlänge von circa 2*16 — 3*33 nttn
bei einer Breite des hinteren röhrenförmigen Theiles von l'Oö
bis 1*14 fnm.
Worin sich aber der Scolex seiner Lage nach wesentlich
von T. smaridum unterscheidet, ist der Umstand, dass der-
selbe keineswegs vollkommen im Receptaculum eingeschlossen
erscheint, sondern mit einem nicht unbedeutenden Stücke der
Rüsselkolben über das hintere durch einen queren Kreis abge-
schnittene Ende des Receptaculums (Taf. I, Fig. 2, hu) in das
massive Parenchym des Blasenkörpers eingebettet liegt (Fig. 1 , 2),
Bei genauerer Betrachtung bemerkt man aber noch mehr. Genau
dort, wo der streng röhrenförmige hintere Theil des Recepta-
culums beginnt, ist seine Wand, im Gegensatze zur Wand des
vorderen Theiles, auffällig verdickt und dunkler gefärbt. Die
zelligen Elemente lagern hier viel dichter als im übrigen Paren-
chym der Blase. Die Zone, in welcher das statt hat, ist gerad-
linig und scharf gegen das übrige Parenchym abgegrenzt, ohne
aber etwa durch eine Membran oder gar einen Spaltraum davon
getrennt zu sein. Nach vorne bricht diese Verdickungszone
ganz plötzlich ab, und in Folge dessen erscheint, wie am
hinteren Receptaculumende, auch am Vorderrand des röhren-
förmigen Stückes die Projection einer kreisförmigen Grenzlinie
(Fig. 2, vn).
Bei Vergleichung der drei vorliegenden Präparate ergab sich
deutlich ein gegenseitiges Verhältniss zwischen den Längen
der eben beschriebenen manchettenförmigen Verdickungszone
und den nach rückwärts hervorragenden Stücken der Muskel-
kolben der Rüssel:
Ungefähre Länge der freien Kolbenstücke 0 9, 0*6, 0*4 wm
Länge der Verdickungszone 0'13, 0*12, 0*7
Es war die letztere umso schmäler, je weniger die Rüssel-
kolben nach hinten vortraten.
Noch ist ein wichtiger Umstand hervorzuheben: Die Kolben-
enden sind keineswegs ohneweiters in das eigentliche Blasen-
Studien an Tetrarhynchen. 655
parenchym eingebettet, sondern jene dunkler gefärbten Gewebs-
massen, welche die Manchette bilden, ziehen von deren hinterem
Rande nach den Kolbenenden und umhüllen dieselben mützen-
förmig, wie ein ziemlich straff über sie gezogenes Tuch.
Es drängt sich nun die Frage nach der Bedeutung dieser
Verhältnisse auf. Schon die erwähnte Correlation zwischen
Länge der Manchette und der freien Rüsselkolbenenden deutet
darauf hin, dass diese Theile zu einander in Beziehung stehen.
Und thatsächlich ist die Verdickungszone nichts Anderes, als
das gleich einem umgekrempelten Ärmel zurückgeschlagene
Ende des Scolex, dessen median gelegene Gewebstheile zelt-
artig über den Kolben ausgebreitet verblieben sind. Der vordere
Manchettenrand ist das spätere primäre 'Ende des losgelösten
Scolex, das aber nach der Trennung eingezogen wird und
die Innenfläche der Harnblase bildet. Die langen cuticularen
Härchen, die bei Tetrarhynchenlarven häufig das Hinterende
des noch in der Finne eingeschlossenen Scolex bekleiden
(vergl. T, smaridum, Nr. 12, Taf. I, Fig. 7, Taf. 2, Fig. 28), sind
dieselben, die später die Harnblase des freien Scolex aus-
kleiden, ebenso wie ja auch die Harnblase der Finne bisweilen
von langen Haaren ausgekleidet erscheint (Taf. I, Fig. 1 1).
Das Larvenstadium, welches hier vorliegt, repräsentirt in
Bezug auf die Lage der Rüsselkolben eigentlich vollkommen
das Larvenstadium von T. smaridum in Nr. 12 auf Taf. IV,
Fig. 55, an dem allerdings noch die Differenzirung der inneren
Scolexorganisation weit zurückgeblieben ist. Man sieht also
bei T. smaridum mit der vorschreitenden Organdifferenzirung
das Heraustreten des Scolex aus dem Finnenblasenparenchym
in den Hohlraum des Receptaculums gleichen Schritt halten,
bei der vorliegenden Larvenform den ersten Vorgang sich viel
rascher abwickeln als den zweiten. Noch auffallender ist dies,
wie ich schon einmal vorübergehend erwähnte, bei T. elongatns
aus der Leber von Orthagoriscus mola der Fall, einer Form,
bei welcher die Muskelkolben völlig in der Manchette liegen,
so dass sie ihr späteres Hinterende nach vorne kehren. Auch
bei den Tetrarhynchen entstehen also gewisse Theile des
Scolex in jener eingestülpten und umgekehrten Lage, die aus
der Taenienentvvicklung allgemein bekannt ist, nicht aber der
636 Th. Pintner,
vorderste Abschnitt des Kopfes, wie bei T, smaridnm gezeigt
worden ist.
Die Umstülpung der Verdickungszone in ihre spätere defini-
tive Lage kann, wenn die Entwicklung einen bestimmten Grad
erreicht hat, künstlich herbeigeführt werden, durch Heraus-
drücken des Scolex aus der Finne. Dann geschieht jener Process
in einem Augenblick, der unter natürlichen Umständen wahr-
scheinlich langsam reift. Es ist indessen nicht ausgeschlossen,
dass er auch da, unter Einwirkung der sauren Magensäfte,
die vielleicht adstringirend wirken, in raschem Zuge bewerk-
stelligt wird. Dabei ist im Auge zu behalten, dass der obere
Manchettenrand, längs welchem die Cuticula des Scolex von
der des Receptaculurhs abreisst, also ein sehr grosser Kreis,
fast zu einem Punkte im Inneren der Harnblase zusammen-
schnellt. Nur innerhalb dieses kleinen Kreises brauchte eine
Vernarbung stattzufinden. Die übrigen Gewebe des Scolex, die
in der Larve mit weiten Flächen den gleich weiten Flächen
des Finnenparenchyms anliegen, machen dieses Zusammen-
schnellen in der Art mit, dass keinen Augenblick in den
Geweben des Scolex ein Spaltraum entsteht, der etwa erst durch
Aneinanderlagerung der Wände vernarben müsste, sondern die
Gewebe fliessen nach Art einer zähflüssigen Masse in die neue
Form zusammen.
Aus dem Gesagten ergibt sich nun für die Morphologie
der vorliegenden Larve, dass der mit dem Receptaculum von
T. smaridutn gleichwerthige Hohlraum nur bis zum vQrderen
Rande der Verdickungszone (Taf. 1, Fig. 2, vn) reicht; der cylin-
drische Hohlraum von hier ab nach hinten stellt die Höhlung
einer Falte des auf sich selbst umgestülpten Scolex dar.
Die Gewebe, aus welchen sich die F'innenblase aufbaut,
sind die gleichen wie bei Tetrarhynchns sntaridttm. Man bemerkt
leicht die Cuticula, unter derselben die Radiärfibrillen und
die Längsmusculatur des Hautmuskelschlauches, die Sub-
cuticularzellen, endlich das den ganzen Innenraum füllende
Parenchym mit den Kalkkörperchen. Hiezu kommen die
Längsmuskel des Parenchyms, wie bei der genannten Art
in kleinen, lockeren Bündeln beieinander stehend. Auch hier
theilen sich die Fasern dieser Bündel häufig und entsenden
Studien an Tetrarhynchen. 657
Zweige zu den F'asern der nächstgelegenen Bündel, wobei,
wie dort, häufig jene Schleier- oder vorhangartigen feinen
Platten in denTheilungswinkeln auftreten. Die Dorsoventral-
musculatur des Parenchyms nimmt wiederum meist die
Region um das Mittelstück der Blase ein und zeigt jenen für
sie charakteristischen stark welligen Verlauf mehrerer dicht
neben einander parallellaufender Fasern, der auf Totopräpa-
raten in dunkelgefärbten, zu mehreren bei einander stehenden
Doppelpunkten und Schleifen zum Ausdruck kommt. Auf dem
Totüpräparate sieht man auch zahlreiche feine und gröbere
Fibrillen von rechts nach links verlaufen: keine Frage, dass
viele derselben contractile Fibrillen vorstellen; die weitaus
meisten der feinen, glatt und scharf contourirten Fäden aber
sind collabirteTrichtercapillaren, die Hunderten und Hunderten,
allenthalben mit seltenster Deutlichkeit sichtbaren Flimmer-
trichtern zugehören. Es ist kein Grund vorhanden, hier auf alle
diese Gewebe genauer einzugehen.
Zu erwähnen wäre aber noch Folgendes. Die plasma-
tischen Leisten, Stränge und Platten des Parenchyms sind bei
der in Rede stehenden Larve äusserst zart und dünn, das
Parenchym nimmt einen besonders grossblasigen Charakter
an, die Kerne sind sehr spärlich. Diese Umstände dürften die
grosse Durchsichtigkeit der Präparate bedingen. Es ist auch
ein centraler, im Leben natürlich mit Flüssigkeit gefüllter
Hohlraum vorhanden, aber von sehr bescheidenem Umfange.
Er ist auf meinen Schnitten dorsoventral zusammengedrückt.
Dies kommt zum grossen Theile daher, dass das zerschnittene
Exemplar schon früher als Balsampräparat eingeschlossen war,
jedenfalls dürfte aber ein Theil der Abplattung der natürlichen,
oben angegebenen Körperform entsprechen. Die Zwischensub-
stanz des Parenchyms bleibt natürlich fast ungefärbt, man
möchte wohl sagen: ganz ungefärbt. Dass dies letztere aber
doch nicht völlig zutrifft, zeigen deutlich in den Schnitten vor-
handene Risse: an ihren Rändern sieht man die Zwischen-
substanz immerhin einen, wenn auch sonst unmerklichen Ton
annehmen. Ich bin, wie früher, noch heute der Meinung, dass
man diese Zwischensubstanz nicht ohneweiters als Flüssigkeit
bezeichnen darf, sondern dass sie eine ziemlich festflüssige,
658 Th. Pintner,
vielleicht an die Medusengallerte erinnernde Beschaffenheit hat.
Es könnte also meiner Ansicht nach z. B. keine Rede davon
sein, dass die im centralen Blasenraum vorhandene Flüssig-
keit auch zwischen die Hohlräume der Parenchymzellen vor-
dringt, sondern diese Flüssigkeit ist in dem ihr zukommenden
Räume völlig und sicher eingeschlossen, an jeder Circulation
zwischen den Geweben behindert. Die »Blasen« und »Waben*
des Parenchyms aber sind somit nicht als wirkliche, mit einer
Flüssigkeit, die möglicherweise auch ausrinnen könnte, gefüllte
Höhlungen zu betrachten, sondern als discrete, allerseits von
den Plasmasträngen und Platten der Parenchymzellen umhüllte
Gallertklümpch^n oder als mehr oder minder zusammenhän-
gende Gallertmasse, in der jene Leisten und Wände eingebettet
liegen. Ich komme auf diesen Punkt unten noch einmal zurück.
Das Nervensystem, das für den blasenartigen Theil der
Cestodenlarven zum erstenmale bei T. smaridum aufgefunden
worden ist, hat hier genau die gleiche Gestalt wie bei der eben
genannten Form. Es bildet einen feinen, im Ganzen gleich-
förmig starken und ungefähr drehrunden, langen Strang, der
bis circa 0' 02 mm im Durchmesser erreicht und am äussersten
Rande der Blase, rechts und links ausserhalb der Excretions-
canäle entlang läuft. Er ist bis an das Hinterende in die Nähe
der Harnblase zu verfolgen, wo er ganz allmälig dünner wird
und sich endlich der Beobachtung entzieht. Nach vorne ver-
läuft er bis dicht zum Rande der Receptaculumöffnung (Taf. I,
Fig. 3, «), biegt hier in weitem Bogen nach der Innenwand um,
läuft sodann geradlinig fort, tritt in die Verdickungszone ein
und ist erst von deren Ende ab nicht wieder auffindbar. Doch
ist es kaum zu bezweifeln, dass er auch hier wieder umbiegt
und in den Scolex eintritt, wo er wahrscheinlich mit dem
äusseren Längsnerven sich in Verbindung setzt. Er wäre
dann mit diesem identisch, als eine bis an das Ende des
Larvenkörpers verlaufende Fortsetzung desselben anzusehen.
Das Nervenstämmchen zeigt eine äusserst zarte feinfibrilläre
Structur, auf Querschnitten ein ganz fein punktirtes Aussehen.
Zwischen den Punkten sieht man winzige Kreise, wie Röhr-
chenquerschnitte, jedenfalls die Durchschnitte etwas stärkerer
Nervenfibrillen (Taf. I, Hg. 5, ;;). In seinem Verlauf erscheinen
Studien an Tetrarhynchen. 659
nur wenige Zellen mit länglichen Kernen eingeschaltet, die
sich in nichts auffallender von Parenchymkernen unterscheiden
(Taf. I, Fig. 4). Von Zeit zu Zeit zweigen kleine Ästchen, meist
viel dünner als der Hauptstamm, von ihm ab, die sich nur
kurze Strecken ins Parenchym verfolgen lassen. Immer stehen
je zwei solcher Ästchen einander gegenüber und zugleich
senkrecht auf dem Hauptstamme, so dass dieser ein hühner-
leiterähnliches Aussehen bekommt. Diese Ästchen verlaufen
aber nicht etwa in der Transversalebene, sondern parallel zur
Medianebene, so dass sie beinahe reifenartig nach der Rücken-
und Bauchseite übergreifen und nicht auf Frontal-, sondern
auf Sagittalschnitten sichtbar werden (Fig. 4).
Vom Excretionssystem findet man an jeder Körperseite,
rechts und links, die beiden bekannten Hauptcanäle, welche
übereinander, dorsal und ventral, in geraumem Abstände vom
Rande des Körpers verlaufen. Sie bilden jederseits vorne, rechts
und links knapp an der Receptaculummündung, Schlingen,
laufen dicht an der Wand des Receptaculums nach hinten,
treten am vorderen Manchettenrande in das Scolexparenchym,
biegen am hinteren Manchettenrande nach innen und wiederum
nach vorne um und gehen hier in den frei ins Receptaculum
ragenden Scolextheil über. An den Seiten der Finnenblase ver-
laufen sie nach hinten, um in die Harnblase zu münden.
In der Nähe der Receptaculummündung sind die beiden
Canäle in der Dicke wenig voneinander unterschieden (Taf. I,
Fig. 3, e, e'). Im Verlaufe nach hinten zu wird der eine bedeu-
tend enger als der andere (Taf. II, Fig. 11, 18, e, e'). Ebenso
besteht ein ausgesprochener Volumunterschied beim Übertritt
in das Scolexparenchym (Taf. I, Fig. 8, e, e') und während des
gesammten Verlaufes daselbst, der sich überdies durch eine
auffällige Geradlinigkeit auszeichnet.
Die Canäle {e, e' und x, siehe unten) messen ungefähr:
e c' X
In der Verdickungszone vor dem
Eintritt in den freien Scolextheil 0 02 0-013 —
An der Receptaculumwand vor dem
Eintritt in die Verdickungszone.. 0023 001 —
In der Nachbarschaft der Recepta-
culummündung 0-0I3-002 001 —0-013 —
660 Th. Pintner,
c e' X
Am Rande der Finnenblase im
Niveau des hinteren Rüsselkol-
benendes 002-0026 0-013 0-007-«m l-
Am Rande der Finnenblase weiter
nach hinten 0-02-0-026 0007-0-01 OOli
Am Rande der Finnenblase in der
Nähe der Harnblase 0026-0033 0007 O-04-'J t >
Der engere Canal hat eine entschiedene Neigung zu In-e.-
bildungen, auch scheint er hie und da, im Ganzen nicht häunii.
dünne, kurze Blindästchen abzugeben (Fig. 11). Vielleicht sirc
es secundäre Mündungen, vielleicht auch kleine Schlingen, vcn
denen man den rücklaufenden Theil nicht sieht; man muss
bei der Beurtheilung solcher Erscheinungen ausserordentlich
vorsichtig sein; es ist kaum glaublich, wie leicht man sich
täuschen kann. Beide Canäle verlaufen geschlängelt, der grosse
im Ganzen in weiteren, gleichförmigen, der kleine in etwas mehr
unruhigen Windungen. Der grosse zeigt oft harte, winkelige
Knickungen und scharfe zipfelförmige Ausbuchtungen. W
zwischen den beiden Canälen besondere Volumunterschiece
auftreten, macht sich auch ein deutlicher Dickenunterschied
der Canalwandung bemerklich, indem der breitere Canal durch-
wegs eine nicht unbedeutend dickere Wand zeigt als der
feinere. Sehr deutlich ist dies bisweilen auch an Querschnitter
zu sehen, wo es freilich oft zu einem etwas carrikirten Aus-
druck dieser Verhältnisse kommen mag, indem bei der fas:
regelmässig schiefen Lage der Schnitte durch die Excretions-
canäle die Wand, welche von Haus aus eine erhebliche Dicke
besitzt, noch dicker, die dünne Wand des kleineren Canai>
aber unverändert erscheint (Taf. I, Fig. 5, 7, ^, e').
Der grosse Canal tritt mit weitem Lumen zur Harnblase
heran, die, birn- oder sackförmig im Umriss, an ihrem breiten
Vorderende zwei Querzipfel, wie die Aste eines T zeigt, die
stets seitlich etwas nach hinten gezogen, in das Lumen der
grossen Canäle übergehen (Taf. II, Fig. 9). Die kleineren Canäle
sieht man bis dicht an die Harnblase herantreten, ohne dass e^
auch hier wieder gelänge, ihre wirkliche Einmündung in einer
jeden Zweifel ausschliessenden Weise aufzufinden. Verengt
sich auch das Lumen dieser Canäle noch gegen dieses End-
Studien an Tetrarhynchen. 66 1
Stück etwas, so darf man sich jedoch nicht vorstellen, dass das-
selbe nach und nach haardünn würde und sich der Beobachtung
allmälig entzöge; im Gegentheil: es ist als ganz deutliches und
immerhin beträchtliches Canallumen bis in die Gegend der
beiden T- förmigen Zipfel sichtbar und verschwindet plötzlich
in dem hier dichteren Gewebsgewirre. Sicher ist aus Schnitten
zu ersehen, dass der kleine Canal sich in dieser allerhintersten
Region noch ein- oder zweimal theilt. Auch diese Theilcanäl-
chen, die nicht den Eindruck zufälliger Inselbildungen, sondern
ganz constanter Verzweigungen machen, sind noch ganz deut-
lich sichtbar, und manchmal wollte es mir sehr wahrscheinlich
vorkommen, als ob sie von hinten her, hinter den grossen
Canälen, etwa in der Mitte der Länge der queren Harnblasen-
zipfel, sich leicht wieder nach vorne wendend, in diese Zipfel
einmünden würden.
Von den Körperseiten her legen sich an die Harnblase
stets dicke Schichten der Subcuticularzellen an. Sie erscheint
in Folge dessen stets in lebhafter Färbung und breiten, ver-
schwommenen Contouren. Innen ist sie mit einem dichten und
langen Haarpelz austapezirt (Taf. II, Fig. 10). Auf den von mir
angefertigten frontalen Längsschnitten hat sie vasenförmigen
Umriss. Die Cuticula der Seitenwände ist in mächtiger Dicke
ausgebildet. Nur an den Seitenwänden stehen auch die langen,
stark tingirten Haare. Zwischen diesen Härchen bemerkt man
bei genauer Untersuchung, ziemlich stark gegen das Lumen
vorspringend, zart umrissene, ballenförmige Massen genau von
der Färbung der Cuticula, die ganz den Eindruck zwischen
den Härchen erstarrten Secretes machen (Fig. 10). Ich bemerke
ausdrücklich, dass nicht etwa eine Verwechslung mit ange-
schnittenen Theilen der Cuticula selbst vorliegt, was ja bei
flacher Lage der Durchschnitte, die hintere oder vordere Theile
der Blasenwand treffen, leicht geschehen könnte. Wo die
Seitenwände in den T- förmig ausgezogenen Theil übergehen,
hört die Behaarung und die Dicke der Cuticula auf. Die vordere
Blasenwand ist äusserst dünn und zart, die schmale Cuticular-
zone entbehrt hier in eigenthümlicher Weise der gewöhnlichen
bestimmten und scharfen Abgrenzung. Auch die Kerne der
Subcuticularzellen stehen hier nicht annähernd in so dichtem
662 Th. Pintner,
Lager wie an den Seitenwänden. Dagegen sieht man oft ziem-
lich grosse, secretähnliche Ballen im Parenchym selbst liegen
(Fig. 10, b).
In einem Präparate fand ich den einen Hauptcanal theil-
weise mit jenen feinkörnigen, krümmeligen Niederschlägen
ausgefüllt, denen man in Excretionscanälen der Cestoden nicht
eben selten begegnet. An einer anderen Stelle war in dem
dünnwandigen Canal gleichfalls ein Niederschlag zu finden,
jedoch von sehr eigenthümlicher, noch nicht beobachteter
Form. Eine Strecke des Canals zeigte sich nämlich erfüllt von
winzigen, vollkommen kugeligen Körnchen, die genau im
Centrum einen dunklen Punkt zeigten (Taf. I, Fig. 7).
Die eingangs erwähnte seltene Durchsichtigkeit der Ge-
webe dieser Larven, welche nur in den Phyllobothrienköpfen
ein Seitenstück findet, hat zur Folge, dass man auf den Prä-
paraten Hunderte und Hunderte von Flimmertrichtern sieht
Immer tritt der Kern der Trichterzelle und der Flimmerlappen
als lebhaft roth oder violett gefärbter Strichpunkt stark hervor
(Taf. I, Fig. 1 1). Die Trichterzelle selbst bleibt unsichtbar, aber
die collabirte Capillare ist in vielen Fällen als glatter, scharf-
randiger, stark lichtbrechender Faden ohne jedwede Anlagerung
granulirter Substanz oder gefärbter Kerne in geradlinigem oder
bogig geschwungenem Verlaufe sichtbar.
Die allgemeine Form des Scolex, die Grössenverhältnisse
seiner einzelnen Theile und ihre Gestalt sind, soweit dies zur
Sicherung des Wiedererkennens der Art nöthig ist, aus den
Abbildungen Taf. I, Fig. 1 und 2 genügend zu entnehmen.
Genau gekennzeichnet wird die Art neben dem ganzen äusseren
Habitus besonders durch drei Charaktere: 1. die Form der
Rüsselhaken (Taf. I, Fig. 12, 13, 14); 2. die Beschafifenheit des
Retractors. Derselbe setzt sich nämlich bereits im vordersten
Theile der Rüsselmuskelkolben seitlich an der Wand derselben
fest (Taf. I, Fig. 2). Die Rüsselmuskelkolben enthalten also
nicht wie gewöhnlich in der Mitte ihres Lumens den Retractor-
strang, wohl aber zieht sich von dem Befestigungspunkte des-
selben eine schmale lineare Zellreihe an der Innenwand des
Kolbens gerade entlang. Ferner sind die Bildungszellen der
Retractorfibrillen zwischen den Fibrillen gleichförmig, aber
Studien an Tetrarhynchen. 663
ohne bestimmte Anordnung vertheilt; 3. endlich sind die Rüssel-
muskelkolben aus ungefähr 50 Muskelschalen zusammen-
gesetzt.
Die bisherige Beschreibung entspricht vollkommen dem,
was man vom Bau einer Tetrarhynchenlarve im Vorhinein
erwarten musste. Es gilt dies auch ganz besonders vom Excre-
tionsgefässsystem, welches in seinem gesammten Verlaufe deut-
lich und klar ist und keinen seiner charakteristischen Bestand-
theile vermissen lässt. Höchstens könnte man annehmen, dass
sich ein oberflächliches Gefässnetz, wie ein solches so häufig
vorkommt, der Beobachtung zu entziehen vermochte. Aber auch
dieser Zweifel erscheint sofort unbegründet, da man auf den
Schnitten, z. B. in den Haftscheiben und den Hautpartien des
hinteren Kopftheiles, grosse Theile eines derartigen Gefass-
netzes deutlich erblickt, somit ein solches Canalsystem in dem
durchsichtigen Blasenparenchym noch weniger der Beobach-
tung entgehen könnte.
Umso überraschender berührt nach air dem Gesagten das
Auftreten eines Organes, zu dessen Beschreibung ich nunmehr
gelange, eines Organes, das, so leicht es bei oberflächlicher
Beurtheilung als ein Theil des Excretionssystems betrachtet
werden könnte, doch nach genauerer Untersuchung nicht nur
einer solchen Erklärung völlig unzugänglich bleibt, sondern
sich vorläufig in jeder Hinsicht einer halbwegs sicheren Deutung
entzieht.
Stellt man am Körperrande, auf jener Seite, auf der sich
der weitere Excretionscanal befindet, sehr hoch, fast auf die
Körperoberfläche ein, so wird man bald unmittelbar über den
beiden Gefässen des Excretionssystems, bald zwischen diesen
lind dem noch weiter lateral verlaufenden Nervenstrang einen
Canal erblicken (Taf. II, Fig. 11, 18, ;r), dessen Volumen je nach
der Körperregion bedeutend wechselt. Derselbe ist ungemein
zartwandig und deshalb keineswegs leicht zu sehen. Seine
Wände zeigen sich auf dem Totopräparate wie aus einer ganz
besonders feinen Haut gebildet, die den Eindruck macht, als
ob sie unter dem Einflüsse der Conservirungsmittel geschrumpft
und in unzählige kleine, knitterige, scharf geknickte Fältchen
Sitzb. d. mathem.-naturw. Gl.; CV. Bd., Abth. I. 44
664 Th. Pintner,
gelegt wäre (Taf. II, Fig. 11, 18, 15). Meist hat es den Anschein,
als ob direct in dieser Wand Kerne eingelagert wären (Fig. 11,
15), sie also eine zellige Structur besässe, doch lässt sich am
unzerschnittenen Object nicht sicherstellen, ob diese Kerne
nicht etwa dem Parenchym angehören.
Verfolgt man den Canal in seinem Verlaufe, so lässt sich
Folgendes erkennen: In den vorderen Körpertheilen zu den
Seiten des Receptaculums hat er meistens ein geringeres
Volumen, ungefähr wie das breitere Excretionsgefäss an den
gleichen Stellen. Doch ist er hier im Ganzen etwas mehr
parallelwandig, verliert zum Theil auch jenes oben geschilderte
charakteristische Aussehen, kurz er würde, nur in dieser Region
allein beobachtet, keineswegs als etwas vom Excretionssystem
Verschiedenes betrachtet werden müssen. Er ist deutlich bis in
den äussersten Zipfel beim Receptaculum zu verfolgen, macht
hier einen Bogen, wie die Excretionsgefässe und das Nerven-
system, greift aber mit seinem Bogen weit über diese Organe
bis an den äussersten Rand hinaus (Taf. I, Fig. 3, x). Er biegt
ebenso wie die letzteren gegen die innere Receptaculumwand
ein, entzieht sich hier aber bald der weiteren Beobachtung.
Verfolgt man ihn von der Receptaculumregion am Rande
der Blase nach hinten, so findet man, dass er langsam an
Volumen zunimmt und nunmehr jenes geschilderte charak-
teristische Aussehen erhält, zu dem als ebenso charakteristisch
die zwei weiteren Umstände hinzutreten, dass er einmal den
geschlängelten Verlauf der Excretionsstämjne vermeidet, viel-
mehr im Allgemeinen gerade, stellenweise sogar schnurgerade
(Fig. 11) verläuft, und dass er zweitens nicht jene typische
Parallelwandigkeit zeigt wie diese. Bald bauchig aufgetrieben,
bald eng zusammengezogen, sendet er häufig kleine, schmale
Nebencanälchen mit hauchartig zarten Wandungen aus, die,
nachdem sie eine kleine Insel umlaufen haben, zum Haupt-
canal zurückkehren (Taf. II, Fig. 18). Solcher Inseln legen sich
oft mehrere nebeneinander (Taf. II, Fig. 15). Dann entsendet er
mitunter wieder ein dünnes Canälchen gegen den Körperrand
oder gegen die Mittellinie zu, das meist nach kurzem, oft aber
nach ganz beträchtlich langem Verlaufe blind zu endigen
scheint (Fig. 18, 15). Je mehr man sich der Schvvanzblase
Studien an Tetrarhynchen. 665
nähert, desto breiter wird der Canal (vergl. die Massangaben
oben unter x), desto zahlreicher werden die dem Hauptstamme
henkeJförmig angesetzten Nebenzweige, desto weiter breiten
sich die Netzbildungen aus. In der Gegend der Harnblase
scheint — wie ich nach wiederholten Beobachtungen glauben
möchte, ohne aber dessen ganz sicher zu sein — eine Art
Capillarnetz von ausserordentlicher Zartheit zu liegen, das sich
gegen die Körpermitte hinzieht und, wie mir schien, wenigstens
mit einem dünnen, dem T- Balken der Harnblase parallelen
Quercanal mit dem der anderen Körperseite in Verbindung
tritt. Der Hauptcanal ist in dieser Region zu geradezu lacunen-
artiger Breite angeschwollen und in plexusähnliche Netze auf-
gelöst und scheint sich über das vordere Stück der Harn-
blase hinaus noch weiter gegen das hinterste Körperende zu
erstrecken. Die in Taf. II, Fig. 9 angedeuteten dunklen Streifen
dürften die Zone sein, in der er sein Ende findet. Die Verhält-
nisse dieser Region sind selbst mit den besten Systemen nicht
mehr recht entwirrbar, und der Verlauf des fraglichen Organs
daselbst stellt auch jene oben erwähnte Schwierigkeit dar,
über die Endigungsweise des dünneren Excretionscanals etwas
Sicheres zu sagen.
Zu diesen Ergebnissen der Beobachtung des Totoprä-
parates kommen die überraschendsten Resultate durch Unter-
suchung von Schnitten hinzu. Ich entschloss mich nämlich,
wenn auch nicht leicht, eine der beiden Larven, an denen der
räthselhafte Canal in voller Deutlichkeit zu sehen war, zu zer-
schneiden. Ich löste sie aus dem Canadabalsam durch Toluol
aus, zerlegte sie der Länge nach in mehrere Theile und diese
Theile in Querschnitte und in frontale und sagittale Längs-
schnitte. Die beiden letzteren Schnittrichtungen liefern nicht
wesentlich von einander verschiedene Bilder, nur erscheint der
Canal auf frontalen Schnitten breiter.
Schon bei schwacher Vergrösserung betrachtet, zeigen
Längsschnitte sofort, dass jenes knitterige, faltelige Aussehen
des unzerschnittenen Canals nicht auf Schrumpfungserschei-
nungen zurückzuführen, sondern der Ausdruck der eigenthüm-
lichen Structurverhältnisse in dem räthselhaften Organ ist
(Taf. II, Fig. 16). Die Wände des Canals bilden nicht scharfe
44*
666 Th. Pintner,
und — von den Schlängelungen des Verlaufes abgesehen —
gerade Linien wie bei den Excretionscanälen, sondern sind
ganz unregelmässig, bald mehr gerade, bald bogig oder wellig,
bald springen sie kuppen- und zackenförmig gegen Lumen
und Parenchym vor, oder sie sind da zipfelförmig ausgezogen
und dort wieder eingedrückt u. dergl. m. Eine Membran, die
die plasmatischen Theile der Wand gegen das Lumen oder das
Körperparenchym abgrenzen würde, fehlt gänzlich. Aber noch
mehr! Allenthalben springen plasmatische Leisten und Platten
in das Lumen selbst ein und durchqueren dasselbe oft voll-
kommen und in allen möglichen Richtungen. Noch deutlicher
sieht man Alles dies natürlich mit Hilfe stärkerer Vergrösse-
rungen (Taf. II, Fig. 17, Taf. 111, Fig. 18, 20). Man erkennt dabei
aufs Sicherste, dass die Kerne, die schon am unzerschnittenen
Organ aufgefallen waren, thatsächlich den Wänden desselben
angehören, dass der ganze Canal gebildet wird von den Leibern
syncytial zusammengeflossener Zellen, deren Plasma eben mit
jenen Brücken und Strängen den inneren Hohlraum regellos
durchsetzt und oft vollkommen abschliesst, so dass ein System
von Waben, Höhlen, längeren und kürzeren Canälchen ent-
steht, die, in der mannigfachsten Weise über- und durcheinander
liegend, dennoch in ausgesprochener Längsrichtung aneinander
gereiht und gepresst eben den Längscanal zusammensetzen.
Die Richtigkeit dieser aus Längsschnitten gewonnenen
Vorstellung vom Bau der räthselhaften Canäle bestätigen auch
die Bilder der Querschnitte (Taf. I, Fig. 5), die, selbst in der
unmittelbaren Aufeinanderfolge einer lückenlosen Reihe be-
trachtet, stets lebhaft wechseln und dadurch die fortwährenden
V^olumänderungen und die Unregelmässigkeit des Canalquer-
schnittes zeigen.
Gegen das Parenchym sind die Wandzellen, deren Kerne
mir oft etwas grösser zu sein schienen als gewöhnliche Paren-
chymkerne, oft auf längere Strecken glatt abgesetzt, wenn sich
auch Ausläufer der Parenchymwaben an sie anlegen. Dann
kommen wieder Strecken, wo die Wandzellen ganz unmittelbar
mit dem Parenchymgewebe verbunden zu sein scheinen. In der
That ist, wenn man die Sache recht bedenkt, der Canal nichts
Anderes als eine viel grössere, gröbere und derbere Wieder-
Studien an Tetrarhynchen. 667
holung des Parenchyms, ein langgezogener Strang weniger
zarten Parenchymgewebes, der in seinem Gesammtverlaufe
den Ausdruck eines allerseits deutlich abgegrenzten Canals
darbietet. Aber ein wesentlicher Unterschied zwischen dem
Bau des Canals und des Parenchyms besteht gleichwohl: Die
Waben und Röhrchen des Canals scheinen wirklich hohl,
scheinen Löcher zu sein, was, wie oben betont, beim Paren-
chym nicht der Fall ist.
Diesen Bau behält der Canal auch in jenen Regionen bei,
wo er auf dem Totopräparate fast völlig das Bild eines Excre-
tionscanals gewährt, also in der Nähe der Receptaculum-
mündung, nur liegen hier weniger Röhrchen und Hohlräume
nebeneinander, auf einem einzelnen Querschnitte etwa 2 — 3.
Aber auch diese Querschnitte unterscheiden sich, wie nach
dem Gesagten begreiflich, sofort und leicht von den Quer-
schnitten der Excretionsgefässe.
Wie die Schnitte neue Aufschlüsse in Bezug auf den Bau
des Organs geben, so auch in Bezug auf dessen Ausdehnung.
Der Canal ist nämlich, sich immer mehr vereinfachend, deut-
lich an der Wand des Receptaculums entlang zu verfolgen und
tritt endlich in die Verdickungszone, also in den Scolex ein.
Freilich verändert sich hier sein Aussehen gründlich. Wie näm-
lich alle Zellen und das gesammte Parenchym im hintersten
Theile des Scolex weitaus plasmareicher werden als im vor-
deren Theile und vollends in der Finnenblase — ein Ausdruck
der hier ausserordentlich lebhaften Zellvermehrung — so auch
die Wandzellen des räthselhaften Canals, die hier zu einem
mächtigen plasmareichen Epithel werden (Taf. III, Fig. 19,
x—x\ Taf. IV, Fig. 24, 30). Der Canal, der hier fast durch-
wegs als einfaches, sogar ziemlich parallelwandiges Röhrchen
erscheint, zeigt erheblich dicke Plasmawandungen, in diesen
dicht gelagerte Kerne, oft ganz regelmässig in einschichtiger
Lage. Selbst Zellgrenzen wurden hie und da (Taf. III, Fig. 19
bei x' und Taf. IV, Fig. 24), wenn auch nicht allzu scharf und
deutlich, sichtbar.
Es unterliegt übrigens nach Bildern, die ich an Längs-
schnitten sah, keinem Zweifel, dass sich der Canal nach seinem
Eintritt in das Scolexparenchym verdoppelt, so dass rechts
668 Th. Pintner,
und link« je zwei solcher im Übrigen untereinander überein-
stimmender Canäle verlaufen. Die Verdopplung scheint genau
an der Grenze zwischen Scolex- und Blasenparenchym ein-
zutreten, wo auch auf kurze Strecken eine starke Erweiterung
des ursprünglichen Canallumens zu bemerken ist.
Leider konnte ich die Canäle im Scolex, wo vielleicht der
Schlüssel zur Lösung des Räthsels zu finden ist, nicht weiter
verfolgen. An dieser Stelle begann gerade eine Serie von Quer-
schnitten, und auf diesen waren die Canäle, die hier im Blasen-
theile schön und klar hervortreten, im Scolextheile nur ganz
unsicher oder gar nicht zu erkennen.
Noch möchte ich eines Umstandes kurz erwähnen. Im
Blasentheile (Taf. III, Fig. 20) sowohl, wie im Scolex (Taf. IV,
Fig. 30) zeigt das Plasma der Canäle auf Längsschnitten in
gewissen Partien bisweilen eine unverkennbare Längsstreifung.
Ich glaube, dass dieselbe der Ausdruck angeschnittener Längs-
muskelfibrillen ist, die man häufig in dichtester Nachbarschaft
der Canäle findet (Taf. II, Fig. 11, w).
Es ist natürlich ebenso wohlfeil, Vermuthungen über dieses
räthselvolle Organ aufzustellen, als es unmöglich ist, eine dieser
Vermuthungen durch Gründe soweit zu stützen, dass sie nur
einigermassen discutabel würde. Wer sich mit Cestoden nicht
speciell beschäftigt hat, könnte leicht denken, einen, vielleicht
modificirten, Theil des Excretionssystems vor sich zu haben.
Da kann ich nur sagen: Nie, unter den Tausenden von Bildern
dieses Organssystems, die mir zu Gesicht gekommen sind,
habe ich halbwegs Ähnliches beobachtet. Alles spricht gegen
die Zulässigkeit einer solchen Annahme: 1. sind die Stücke des
Excretionssystems, die bei einer Tetrarhynchenlarve voraus-
gesetzt werden müssen, neben diesem Organ alle vorhanden:
2. gibt es nicht Excretionscanäle von solchem Charakter:
Zusammensetzung der Wand aus grossgekernten, plasma-
reichen Zellen, die mit Trabekeln das Lumen durchsetzen,
Mangel einer Membran nach innen und aussen, nicht paralleler
Verlauf, Auftreibungen, blindsackartige Ausstülpungen der
Wände etc. Morphologisch und histologisch ist also die Zuge-
hörigkeit des beschriebenen Organs zum Excretionssystem
völlig abzulehnen (natürlich zu den uns bisher bekannt
Studien an Tetrarhynchen, 669
gewordenen Theilen des Excretionssystems). Man könnte
noch fragen, ob Trichtercapillaren in den Canal einmünden
oder nicht? Es ist jedoch an Totopräparaten getödteter Thiere
(und meist nicht minder an Schnitten!) ganz unmöglich, dies
auch nur mit annähernder Sicherheit festzustellen. Selbst bei
den Excretionscanälen hängt die Beantwortung dieser Frage
im positiven Sinne von einem zufälligen Befunde an einem
glücklichen Object ab, im negativen Sinne ist sie fast unmög-
lich; und wenn heute Jemand wissen will, ob z. B. bei Tetra-
bothrien oder Taeniaden die Capillaren gleichmässig in beide
Äste der jederseitigen Excretionsschlinge, oder nur in den
weiteren, oder nur in den engeren Ast sich ergiessen: ich weiss
keine präcise Antwort auf diese Frage und, ich fürchte, auch
sonst Niemand.
Nicht völlig ungereimt möchte bei Betrachtung des be-
schriebenen räthselhaften Organs etwa noch der Gedanke an
ein in Rückbildung begriffenes Canalsystem scheinen, sei es
an ein ontogenetisch vorhergehendes embryonales Excretions-
system, sei es an Darmrudimente oder an eine Art lymphatischer
Canäle; Annahmen, die alle miteinander ein Gemeinsames
haben: den Mangel jeglicher Möglichkeit, sie wahrscheinlich
zu machen.
Anschliessend an vorstehende Beschreibung möchte ich
über zu verschiedenen Zeiten gemachte Beobachtungen an
einigen Cestoden berichten, die nur dadurch etwa zusammen-
gehören, dass sie sich alle auf das Excretionssystem be-
ziehen.
Ich beginne mit einer Angabe über das Excretionssystem
der P'innen von Taenia solium und saginata.
Die Kenntniss vom Bau dieser Larvenstadien ist noch eine
nicht gerade sehr tiefgehende. Wir wissen nicht einmal, ob bei
denselben ein Rechts und Links zu unterscheiden ist, wir
wissen nicht, wie das — zweifellos vorhandene — Nerven-
system der Blasenwand aussieht; selbst dass wirklich keine
Endblase des Excretionssystems zur Ausbildung kommt —
was allerdings sehr wahrscheinlich — ist kaum irgendwo
sicher ausgesprochen. Die ganze Gestaltung des letztgenannten
670 Th. Pintner,
Apparates bietet, wie sofort ersichtlich sein wird, noch eine
Menge unbeantworteter Fragen von Bedeutung. Ich bin auch
keineswegs in der Lage, diese Punkte in dem Nachfolgenden
aufklären zu können, obzwar ich wiederholt Finnen der beiden
Bandwürmer in solchen Richtungen untersucht habe. Dagegen
scheint mir eine — vielfach weiterer Vervollständigung be-
dürftige — Beschreibung des Excretionssystems der Blasen-
wand schon wegen des eigenthümlichen Typus eines Theiles
dieses Organsystems mittheilenswerth. Die Beobachtung stammt
schon aus dem Jahre 1886 und wurde jetzt nur nochmals
bestätigt, und zwar an Exemplaren, die in Formol conservirt
waren. Diese Flüssigkeit eignet sich nämlich zur Untersuchung
des Excretionssystems der Finnen in vorzüglichster Weise,
ebenso zur Conservirung derselben überhaupt, zu schöner Dar-
stellung ihrer eigentlichen Form bei Aufstellung in Samm-
lungen. Die Blase bleibt prall und glatt, schrumpft nicht im
mindesten, quillt vielleicht eher ein klein wenig, bleibt durch-
scheinend und zeigt deutlich die Kopfanlage als weissliches
Knötchen. Man kann zur Untersuchung der Blasenwand die
Finne mit der Scheere aufschneiden, den harten Kopf entfernen
und nun die ganze Blase am Objectträger schön ausbreiten.
Bei allmäligem Glycerinzusatz kann man sie nach und nach
bis in concentrirtes Glycerin überführen und sieht dann die
Gefässe in vollster Klarheit.
Man findet da bald zwei übe reinander liegende Canal-
systeme, wie schon Leuckart sehr richtig angegeben hat.^
Diese beiden Canalsysteme zeigen aber ein wesentlich ver-
schiedenes Aussehen.
Ist die Aussenseite der Blasenwand dem Auge zugekehrt,
so sieht man ein tiefer liegendes, also ein inneres Netz von
Canälen (Taf. III, Mg. 21,/) mit sämmtlichen charakteristischen
Eigenschaften der Cestodenexcretionscanäle. Die Canäle sind
von den stark lichtbrechenden, doppelt contourirten Canal-
wänden begrenzt und sind im Grossen und Ganzen parallel-
wandig. Sie haben überall ungefähr die gleiche Weite, wobei
nicht zu vergessen ist, dass die Contraction der Blasenwand
» Nr. 4, S. 436.
Studien an Tetrarhynchen. b/ 1
Stets in Betracht kommt. Ist diese irgendwo ausgebuchtet oder
aufgetrieben und sind in Folge dessen die Canäle hier stark
in die Länge gezogen, so erscheinen sie natürlich oft ganz
erheblich verschmälert, im entgegengesetzten Falle etwas an-
geschwollen. Die Contraction der Wand bedingt auch einen
bald geradlinigen, bald wieder geschlängelten Verlauf. Die
Canäle verzweigen sich stets streng dichotomisch,
man sieht stets nur drei Canäle in einem Knoten der Netz-
maschen zusammenlaufen. Überall münden die Zweige wieder
in das Netz ein, es gibt keine blindsackartigen Zipfel
und Ausläufer, dagegen allenthalben grössere oder kleinere,
meist einzelne, bisweilen zu kleinen Gruppen vereinigte Insel-
bildungen. Diese Canäle liegen auch annähernd in einer Ebene,
in der gleichen Schicht. Sie erscheinen oft von äusserst feinen,
scharfrandigen Fibrillen förmlich umsponnen; diese feinen
Fibrillen sind grösstentheils nichts Anderes als die collabirten
Wände der Trichtercapillaren. Das Hauptstratum der Flimmer-
trichter scheint ganz in der Tiefe, dem flüssigkeiterfüllten
Binnenrayme der Blase am nächsten zu liegen. Die Maschen
dieses Netzes bilden oft auf weiten Strecken ziemlich regel-
mässige Polygone. Sie sind natürlich an Grösse sehr ver-
schieden, doch kann man wohl sagen, dass die Mehrzahl
eine gewisse Durchschnittsgrösse einhält und dass der Dia-
meter einer solchen Masche im Verhältniss zu dem der sie
umgrenzenden Canäle ein sehr grosser ist.
Alles das verhält sich anders an dem zweiten oberfläch-
lichen Netz, dessen Canäle überhaupt vom Typus der
Excretionscanäle derCestoden völlig abweichen. Sie
bilden Netzmaschen wie die vorigen; aber schon die Weite
dieser Canäle, die an vielen Stellen ganz überraschend an-
schwillt und zu der Grösse der umschlossenen Gewebsinsein
nicht in einem so verschwindenden Verhältniss steht, verändert
ganz den Charakter des Netzes: es nimmt oft ein völlig lacu-
näres Aussehen an (Taf. III, Fig. 21, ä, Fig. 22). Dies wird
wesentlich unterstützt durch den Umstand, dass die Canäle
weit entfernt sind, parallele Wandungen zu haben. Unter fort-
währender Änderung der Weite ihres Lumens erscheinen sie
bald bauchig aufgetrieben, bald wieder verengt, sogar bis zu
672 Th. Pintner,
capillar dünnen Röhrchen. Von irgendeiner Dichotomie, über-
haupt einer Regelmässigkeit in der Verzweigung kann keine
Rede sein. Wo einige Canäle zusammentreffen, tritt gewöhn-
lich eine Erweiterung, oft eine blasenförmige oder kugelige
Bucht auf, und in diese münden dann drei, vier und noch
mehr Canälchen, sternförmig von verschiedenen Richtungen
zusammenlaufend und abwechselnd mit weitem oder verengtem
Durchmesser. Ebenso kommen zipfelige Aussackungen der
Canäle, lange, blindsackartige Fortsätze, die nicht wieder ana-
stomosenartig zu einem anderen Canal zurückkehren, hier
häufig und typisch vor. Solche blind geschlossene Äste steigen
auch sehr häufig bis hart an die Cuticula auf, was man an
optischen und wirklichen Schnitten in zahlreichen Phallen beob-
achten kann. Doch vermochte ich mich nie von einer wirk-
lichen Ausmündung" zu überzeugen. Ich möchte hier darauf
hinweisen, dass man nach Schnitten mit der Annahme von
Ausmündungen auch dann noch sehr vorsichtig sein muss,
wenn man den Canal bis dicht an die Cuticula herantreten,
diese aber nicht wirklich durchbrechen sieht, weil .man über
die Lage des äussersten Randes bei der warzigen, häufig
gewulsteten Oberfläche meist im Unklaren bleibt und durch
eine Wendung des Canals, der in der Region der unmittelbar
folgenden Schnitte auch in Folge einer starken Verengerung
des Lumens ganz verschwinden kann, besonders bei in grosser
Zahl nebeneinander liegenden Canalquerschnitten fast sicher
Täuschungen ausgesetzt ist.
Der Verlauf der Canäle des oberflächlichen Netzes kann
weder als geradlinig, noch als wellig, sondern muss als ganz
unregelmässig bezeichnet werden. Ganz unregelmässig sind
auch die eingeschlossenen Felder.
Was die Canalmembran anlangt, kann ich gegen die
Canäle des tieferen Netzes keinen wesentlichen Unterschied
finden. Bisweilen allerdings schien mir diejenige der oberfläch-
lichen Canäle etwas dicker und etwas stärker gefärbt. Das
Umsponnensein mit Trichtercapillaren findet man bei ihnen
nie. Ob solche in die Canäle des oberflächlichen Netzes über-
haupt einmünden, kann ich nicht sagen, gesehen habe ich
es nie.
Studien an Tetrarhynchen. 673
Die wunderlichen Formen, die diese Gefässe auf Schnitten
zeigen (Taf. III, Fig. 23, ä)y entsprechen dem immerwährenden
Volumwechsel in jeder Richtung ihres Durchmessers, dürften
zum Theil aber auch auf Schrumpfungserscheinungen der
weiten, verhältnissmässig viel Flüssigkeit enthaltenden Lumina
zurückzuführen sein.
Ich habe nie eine Communication zwischen den beiden
beschriebenen Canalsystemen feststellen können, bin aber auch
nicht in der Lage, eine solche leugnen zu können. Ich kann
auch nicht sagen, wie sich die beiden Netze zu den in den
Scolex eintretenden Gefässstämmen verhalten; deren Ursprung
aus dem tiefer gelegenen Netze scheint mir aber beinahe
gewiss zu sein. Hier überall wäre noch ein weites Feld für,
wie ich glaube, sehr lohnende Untersuchungen.
Looss^ hat die Ansicht ausgesprochen, dass das grobe,
reich verzweigte Gefässsystem bei Distoma hepaticum in seiner
Gesammtheit die Endblase vorstelle. Da es doch höchst unwahr-
scheinlich ist, dass die Harnblase bei den Finnen der beiden
grossen Taenien des Menschen bisher übersehen worden sein
sollte, könnte man auf den Gedanken kommen, dass hier etwas
Ähnliches vorliege. Der Charakter der Wandungen des ober-
flächlichen Netzwerkes würde hiefür allerdings kaum sprechen :
es ist keine Spur von Musculatur vorhanden, und der Zellen-
beleg der Wände ist womöglich noch ärmer als der der eigent-
lichen Excretionsgefässe. Aber die von dem Typus dieser
letzteren so weit abweichende Form scheint zu einer solchen
Annahme aufzufordern, ebenso noch ein weiterer Grund: zwei-
mal, einmal an einem Totopräparate und einmal an einer
Schnittserie, fand ich das oberflächliche Netz mit einem
eigenthümlichen Inhalt erfüllt, wie er auf Fig. 21 dar-
gestellt ist. Es waren tropfenförmige Gebilde der verschieden-
sten Grösse, von ganz kleinen Pünktchen bis zu sehr grossen
Ballen, dicht gedrängt, häufig wie an den Wänden hängend,
doch ebenso zahlreich ganz frei im Lumen. Häufig sperrten sie
das letztere völlig, wie ein Flüssigkeitssäulchen eine Capillar-
röhre, dann zeigten sie regelmässig die charakteristische Ober-
1 Nr. 5. S. 171 ff.
674 Th. Pintner,
flächenfigur an Glasröhrchen adhärirender Flüssigkeiten. Die
Tropfen färbten sich lebhaft in Carmin und wurden von den
Entwässerungs- und Aufhellungsmitteln vollständig durch-
tränkt Ich brauche wohl nicht besonders darauf hinzuweisen,
dass dieser Gefässinhalt gar nichts mit den nicht seltenen
Niederschlägen in den Excretionsgefässen, die den Charakter
eines feinen Pulvers oder Sandes oder einer Incrustirung der
Wände haben, Gemeinsames zeigt. Solche Erscheinungen gibt
es in den excretorischen Canälen nie, und das könnte eben
gleichfalls zu der erwähnten Annahme führen.
Noch möchte ich erwähnen, dass man Finnenblasen findet
— es scheinen besonders die mit stark dilatirten Wänden zu
sein — , in denen die beiden Netze nicht so scharf unter-
schieden erscheinen, wie im Vorstehenden beschrieben wurde.
Es nähert sich dann das Oberflächennetz in seinem Aussehen
dem tiefer liegenden, und da es zugleich nicht so sehr sich auf
eine schmale Zone zu begrenzen, sondern häufig in die des
tieferen überzugreifen scheint, könnten leicht solche Finnen-
blasen den Eindruck gewinnen lassen, als bestehe der Unter-
schied zwischen beiden Netzen überhaupt nicht. Wird man es
aber nicht bei der Untersuchung eines oder zweier Individuen
bewenden lassen, so wird man sich gewiss leicht von der
Richtigkeit des Gesagten überzeugen.
Es ist im Vorstehenden wiederholt vom Charakter der
excretorischen Gefässe, und zwar speciell der Haupt-
stämme (»Sammelröhren« Looss) die Rede gewesen. Ich finde
denselben, heute, wie in meiner ersten Arbeit^ in folgenden
Punkten:
1 . Vollkommenes Fehlen dendritischer Verzweigungen.
2. Strenge Dichotomie bei Theilungen.
3. Parallele Wandungen.
4. Epithelartige Anlagerung der Zellen von der Paren-
chymseite an die glashelle Cuticula.
Zu Punkt 1 ist zu bemerken, dass hierin der Haupt-
unterschied des Charakters der Cestodengefässe von
1 Nr. 10, S. 172—206.
Studien an Tetrarhynchen. 67o
denen der Trematoden liegt. Die Trematoden haben
dendritisch verzweigte Sammelröhren, bei den Cestoden
mündet jede G'efässabzweigung wieder in das Muttergefäss
oder in ein benachbartes, ist also durch Insel- oder Ana-
stomosenbildung bedingt. Theilungen der Gefässe im Verlaufe
von vorne nach hinten, die sich nicht wieder vereinigen, sondern
am augenblicklichen Hinterende selbständig ausmünden, sind
durchwegs auf primäre Inselbildungen zurückzuführen, wie alle
anderen Gefasstheilungen, die eben nicht Anastomosen sind.
Auch der Mangel kürzerer oder längerer Seitenzweige, die blind
endigen, gehört hieher. Doch gibt es in diesem Punkte zahl-
reiche Ausnahmen bei ganz bestimmten Formen. Solche habe
ich z. B. bei Echinobothrien,^ Calliobothrien etc. beschrieben.
Diese Ausnahmen beeinträchtigen nicht den sonst allgemeinen
Charakter der Gefässe und stellen durchwegs zipfelförmige
oder blinddärmchenartige Anhänge von ganz unbedeutender
Längsausdehnung vor. Zu denselben wären dann noch die
kurzen Aste hinzuzurechnen, die mit secundären Mündungen
im Verlaufe des Körpers ausmünden. Diese Mündungen, gleich-
falls auf ganz bestimmte Formen beschränkt — wahrscheinlich
ausschliesslich auf Fälle, wo die Hauptstämme durch hoch-
gradige Insel- und Anastomosenbildung eine sehr complicirte
Gestaltung annehmen — scheinen bei Trematoden gleichfalls
vollkommen zu fehlen, somit eine Eigenthümlichkeit des Excre-
tionssystems der Bandwürmer darzustellen.
Zu Punkt 2 ist zu sagen, dass Dichotomie bei den Thei-
lungen der Gefässe für Cestoden und Trematoden gleich gilt.
Freilich gibt es bei den ersteren auch hierin Ausnahmen,
wiederum bei ganz bestimmten Formen und nur solchen mit
complicirtem, netzartigen Verlauf, aber sehr selten; nicht Alles,
was sich auf den ersten Blick nicht als dichotomischeTheilung
bezeichnen lassen zu wollen scheint, ist eine wirkliche Aus-
nahme. Wenn sich bei netzartigen Stellen der Körper con-
trahirt, rücken oft zwei gegen einander über liegende Gefäss-
einmündungen sich so nahe, dass an diesem Punkte eine
mehr als dichotome Theilung stattzufinden scheint. Dehnt
' Xr. U, S. 16, 21, 24, Taf. II, Fig. 14, 16, 21.
676 Th. Pintner,
sich der Körper aber aus, merkt man sofort, dass die beiden
Einmündungen in das Mittelgefäss nicht genau symmetrisch
liegen, sondern doch zwei eng hintereinander folgende dicho-
tome Theilungen vorstellen.
Auch Punkt 3 gehört ganz entschieden zu dem allgemeinen
Typus der Cestodenexcretionsgefässe, wenn es auch hier die
meisten Ausnahmen, besonders bei weiten Gefässen gibt.
Nicht minder halte ich an Punkt 4 fest. Nur darf man
nicht glauben, dass man die epithelartigen Elemente immer
und überall leicht, ja überhaupt nachweisen kann, eine Eigen-
schaft, die aber das Epithel der Excretionsgefässe mit zahl-
reichen anderen Epithelien gemeinsam hat. Sehr schöne epi-
thelartige Bildungen der Excretionsgefässe werde ich dem-
nächst an den Gefässen von jungen Tetrarhynchus attenuatus
zu beschreiben Gelegenheit haben.
So viel über die Hauptgefässe. Aber wie bei diesen muss
ich auch bei den Flimmertrichtern in jeder Richtung auf
das Allerbestimmteste allen seither geäusserten abweichenden
Auffassungen gegenüber an dem festgehalten, was ich schon
in meiner ersten Arbeit hierüber gesagt habe.^ Ich habe die
Flimmertrichter in letzter Zeit mit den stärksten und besten
Systemen wiederholt und an verschiedenen Formen untersucht
und gebe nach diesen Untersuchungen neue Abbildungen der-
selben für Phyllohothrium gracile Wedl. (Taf. IV, Fig. 25, 26),
für die Finne von Taenia solium (Taf. IV, Fig. 27), für Cysti-
cercus pisiformis (Taf. IV, Fig. 28, 29) und für die eingangs
beschriebene Larve (Taf. IV, Fig. 30). Bei verschiedenen Formen
ist es nunmehr auch gelungen, an mit Formol und anderweitig
sorgsam getödteten Thieren die Trichterzellen deutlich sichtbar
zu erhalten, besonders schön bei Cysticercus pisiformis (Fig. 29,
30). Allenthalben sieht man an den Präparaten, wie sich der
oberste Theil des Wimperlappens, dort wo derselbe aus der
Trichterzelle entspringt, kuppenförmig von dem Hauptstück
des Lappens dunkler abhebt; einmal fand ich ihn sogar völlig
von dem übrigen Lappen getrennt (Fig. 30). Beim Lappen fand
auch ich nunmehr häufig die seither bei Trematoden vielfach
1 Nr. 10, S. 181 (19), 202 (40) ff.
Studien an Tetrarhynchen. 677
beschriebene Längsstreifung, freilich in einer Zartheit, dass
jede Wiedergabe in der Zeichnung schon an Carricatur grenzt.
Was ich aber auf das Nachdrücklichste betonen muss, ist, dass
die Wände der Capillaren mit scharfem glattem Rand ohne jede
Anlagerung plasmatischer Körper oder Kerne von der Trichter-
zelle bis zum Punkte der Einmündung verlaufen, dass selbst
ganz feine zarte Fäserchen des Parenchymnetzes sich nur sehr
selten an ihnen ansetzten, dass sie also unbedingt als feine
plasmatische Ausführungsröhrchen der Trichterzelle selbst zu
betrachten, dass sie ein Theil derselben sind. Jede anderweitige
Auffassung muss nach dem mikroskopischen Bilde als durch-
aus unzulässig zurückgewiesen werden. So z. B. jene in der
schematischen Figur bei Hatschek,^ ebenso diejenige, die an
»Spalten im Parenchym« denkt. Ein klarer Beweis dafür, dass
die Annahme solcher Spalten ganz ausgeschlossen erscheint, ist
auch das neuerdings wiederum von mir beobachtete Abreissen
der Trichtercapillaren von der Deckelzelle, nach welchem dann
jedesmal jene von mir schon früher^ beschriebene charakte-
ristische Bewegungsweise des Wimperläppchens folgt. Es ist
selbstverständlich, dass eine Spalte nicht abreissen kann, wohl
aber ein selbständiges Röhrchen. Die schönen Zeichnungen
der Trichter bei Trematoden in den Arbeiten von Looss^
bestätigen mir, trotz der abweichenden Meinung des Verfassers
im Texte, auf das Evidenteste, dass sich die Dinge aber auch
hier ganz ebenso verhalten wie bei Cestoden. Bei Bilharzia
sind die Kerne der Trichterzellen in sehr merkwürdiger Weise
von der Basis des Flimmerlappens längs der Seite der Capillare
tief hinabgerutscht, und das, was Looss bei Beschreibung
dieses Verhältnisses sagt,* wird unschwer als fast identisch
mit dem erkannt werden, was von allem Anfange an meine
Ansicht in Bezug auf die Flimmertrichter war.
1 Nr. 2, Fig. 171 C auf S. 160.
2 Nr. 10, S. 14 — 15.
3 Nr. 5, Taf. IV, Fig. 84, 87; Taf. V, Fig. 107, 108; Taf. VI, Fig. 128 (!!!),
Taf. VII. Fig. 150, ferner Nr. 8, Taf. II, Fig. 15 und Nr. 6, Taf. II, Fig. 11, end-
lich Nr. 7, Taf. III, Fig. 22!!; Taf. VI, Fig. 59!!; Taf. VII, Fig. 72; Taf. XIV,
Fig. 154.
4 Nr. 8, S. 76 ff.
678 Th. Pintner,
Sowie aber in diesem Punkte glaube ich auch in Bezug
auf die Beurtheilung des Körperparenchyms, die ja mit
der der Trichter im engsten Zusammenhange steht, in Looss'
letzten Arbeiten die erfreulichste Annäherung an jenen Stand-
punkt finden zu dürfen, den ich schon früher vertrat. Die Auf-
fassung, für die ich als einer der ersten 1880 eingetreten bin*
und die noch in letzter Zeit durch Anwendung der neuesten
Methoden durchaus Bestätigung fand,* zeigt sich in vielen der
Looss'schen Abbildungen auf das schärfste wiedergegeben,'
und ich glaube, dass auch in jenen Fällen, wo das Parench}!!!
gewisser Trematoden scheinbar eine stärkere Abweichung von
diesem Typus zeigt, eine schliessliche Zurückführung auf die
Grundform gelingen wird. Diese Zurückführung hätte von ähn-
lichen Voraussetzungen auszugehen, wie Lang* bei seiner
schematischen Figur, nur dass ich an das Auftreten zahlreicher
Vaculolen um einen mehr central gelegenen Kern denke, so dass
die aus dem ursprünglichen dichten Zellenlager des jugend-
lichen Parenchyms schliesslich hervorgehenden Stemzellen der
ausgebildeten Form dann mit den Zipfeln ihrer Plasmastränge
und -Platten, nicht mit den Breitseiten derselben zusammen-
stossen würden und von einem Zusammenkleben der früheren
Zellmembranen ebensowenig die Rede sein könnte wie von der
Möglichkeit, das einstige Territorium der Bildungszellen noch
zu erkennen. Jedenfalls könnte man dann nie zu einer solchen
Schematisirung des Parenchyms und der Trichter gelangen wie
MonticeMi,"» während die Ansicht Blochmann's* von dem
1 Nr. 10, S. 59-61 und Fig.
2 Nr. 13, S. 96 — 101.
3 Nr. 8, Taf. I, Fig. 6; Taf. II, Fig. 10, 1 1, 12, 16 und besonders Taf. III,
Fig. 25, 26, 27, 28. Dort aber, wo Looss, wie in Fig. 26 auf der linken Hälfte
der Zeichnung, die Kerne plötzlich statt in die Knotenpunkte der Maschen in
die Lücken derselben hineinzeichnet, sind diese Kerne als nicht in der durch
die übrige Zeichnung dargestellten optischen Ebene liegend zu betrachten. Die
erfreuliche Annäherung unserer Anschauungen in den berührten Punkten, die
durch die letzten ausgezeichneten Arbeiten dieses Autors eingetreten ist, glaube
ich in einer mündlichen Besprechung im Laufe des heurigen Frühjahres voll-
kommen bestätigt gefunden zu haben.
^ Nr. 3, S. 41, Fig. 37.
'• Nr. 9. S. 57.
<J Nr. 1, S. 10 — 11.
Studien an Tetrarhynchen. bi 9
Versenken der Canalepithelzellen als Trichter in das Paren-
chym hinein — freilich nur eines Theiles der Canalepithel-
zellen! — durchaus mit den thatsächlichen Verhältnissen über-
einstimmt.
Im Text erwähnte Schriften.
N'r. 1. Bloch mann F., Die Epithelfrage der Cestoden und
Trematoden. Hamburg, 1896.
Nr. 2. Hatschek B., Lehrbuch der Zoologie, 2. Lieferung.
Jena, 1889.
Xr. 3. 1-ang A., Lehrbuch der vergleichenden Anatomie. Jena,
1888. 1. Abtheilung.
Xr. 4. Leuckart R., Die Parasiten des Menschen und die von
ihnen herrührenden Krankheiten. 1. Band, 1. Abtheilung.
2. Aunage. Leipzig und Heidelberg, 1879 — 1886.
Xr. 5. Looss A., Die Distomen uiiserer Fische und Frösche.
Neue Untersuchungen über Bau und Entwicklung des
Distomenkörpers. 4^ Stuttgart, 1894, 296 S., 9 Tafeln.
Heft 16 der Bibl. zool. Leuckart-Chun.
Xr. 6. Looss A., Über den Bau von Distomiim hcterophyes
V. Sieb, und Disiomnm fralenuim n. sp. Kassel, 1894.
Xr. 7. Looss A., Recherches sur la faune parasitaire de
l'Egypte, premiere partie, in: Mem. Inst. Egyptien,
Tome 3. Caire, 1896, 4^ 252 S., 16 Tafeln.
Xr. 8. Looss A., Zur Anatomie und Histologie der Bilharzia
haematobia (Cobbold) in: Arch. mikr. Anat. 46. Bd.,
S. 1 — 108, Taf. 1 — 3.
Nr. 9. Monticelli ¥r. S., Studii sui Trematodi endoparassiti.
Zool. Jahrb. Supplement. Jena, 1893.
Nr. 10. Pintner Th., Untersuchungen über den Bau des Band-
wurmkörpers mit besonderer Berücksichtigung der
Tetrabothrien und Tetrarhynchen. Arb. Z. Inst. Univ.
Wien, 3. Bd. Wien, 1881.
Nr. 11. Pintner Th., Neue Untersuchungen über den Bau
des Bandwurmkörpers. I. Zur Kenntniss der Gattung
Echinobothrium. Arb. Z. Inst. Univ. Wien, 8. Bd. Wien,
1889.
Sitzb. d. mathem.-naiurw. Gl.: CV. Bd., Abth. I. 45
680 Th. Pintner,
Nr. 12. Pintner Th., Studien an Tetrarhynchen nebst Beoh-
achtungen an anderen Bandwürmern. (I. Mittheilung.)
Sitzungsber. k. Akad. Wiss. Wien. Math.-naturw. Cl.,
102. Bd., S. 605—050, Taf. I-IV (1893).
Nr. 13. Zernecke E., Untersuchungen über den feineren Bau
der Cestoden in Z. Jahrb., Anat. Abth. 9. Bd. Jena. 189ö.
S. 92 — 16 1, Taf. VIII— XV.
Tafelerklärung.
Tafel I.
Fig. 1. Die Tetrarhynchenlarve aus HeptanchtiSy bei massiger Lupenvergrösi,e-
rung mit dem .-Xbbe'schen Zeichenapparate gezeiciinet.
> 2. Der vordere Theil derselben Larve, ungefähr 21 mal vergrössert. n*
Öffnung des Receptaculums, hu hinterer, vu vorderer Rand des hand-
schuhfingerförmig umgestülpten Scolex.
» 3. Die an die Receptaculumöffnung rö angrenzende Partie des Blasen-
parenchyms im optischen Querschnitte, h äussere Körperhaut, h' die
dem Lumen des Receptaculums zugewandte Haut der Blasenwand.
e und e' die beiden Kxcretionscanäle, x der räthselhafte Canal, n das
Nervensystem. Vergr. ungefähr 290 mal.
» 4. Ein Stück des Nervensystems der Blasenwand, von der Seite gesehen,
so dass die rechts und links abgehenden Ästchen dorsoventralen Ver-
lauf haben. Vergr. ungefähr 570 mal.
» f). Ein Stück der Blasenwand am Querschnitte, h, e^ e\ .r, n wie oben.
ka Kalkkörperchen. Vergr. ungefähr wie Fig. 4.
> 6. Zwei Flimmertrichter der Blasenwand mit den zugehörigen Zellkernen:
bei dem einen ist die obere differente Kuppe des Lappens losgetrennt.
Bei sehr starker, über 1000 maliger Vergr.
» 7. Querschnitt durch die beiden Excretionscanäle der Blasenwand, stark
vergr.; der eine erscheint mit eigenthümlichen Concretionen erfüllt
» 8. Die beiden Excretionscanäle an der Übertrittsstelle aus dem umge-
stülpten Scolextheile in den frei ins Receptaculum ragenden. Vergr.
wie Fig. 3.
Tafel II.
Fig. 9. Das hintere Ende der Larve mit der Harnblase. Vergr. ungefähr 62 mal.
» 10. Das vordere Stück der Harnblase am frontalen Längsschnitt. Gez. bei
Zeiss, .Ap. 4*0 mm, Oc. 6, Cam.
Studien an Tetrarhynchen. 68 1
Fig. 11. Die beiden Excretionscanäle c und c\ der räthselhafle Canal a' und
einige begleitende Muskelfibrillen m ungefähr in der Mitte der Längen-
ausdehnung der Larve. V'ergr. wie Fig. 3.
• 12. Ein Stück des Rüssels der Larve. Vergr. ungefähr 103 mal.
• 13. Dasselbe. Vergr. ungefähr 290 mal.
*■ 14. Einige der grössten unter den Rüsselhaken bei derselben Vergrösse-
rung.
» 15. Ein Stück des räthselhaften Canals aus dem hinteren Körperabschnilte,
wo derselbe bereits grosse Breite erlangt hat und in lebhafter Insel-
bildung begriffen ist. Vergr. ungefähr 175 mal.
» 16. Der räthselhafte Canal auf einem frontalen Längsschnitte; ein Stück
aus der vorderen Körperhälfte; h die Körperhaut. Das Parenchymneiz
ist nicht eingezeichnet, nur die Zahl und Lage der Kerne angedeutet.
Vergr. ungefähr 290 mal.
» 17. Derselbe, gleichfalls im Längsschnitte, 570 mal.
» 18. Derselbe auf einem Totopräparate mit den beiden Excretionsstämmen,
um die feinen Seitenzweige und Inseln, die er bildet, zu zeigen. Das
feine Canälchen liegt nach der Seite des Körperrandes hin. Vergr.
wie 16.
Tafel III.
Fig. 19. Derselbe, während seines Verlaufes an der Innenseite (Receptaculum-
seite) der Blasenwand, im frontalen Längsschnitt, e, e' die beiden
Excretionscanäle. Gez. mit Zeiss, Ap. 4*0 ;«w/, Oc. 6, Abbe'schen
Zeichenapparat.
» 20. Derselbe, gleichfalls im Längsschnitt, mit einer längsstreifigen Stelle.
Vergr. wie 17.
> 21. Die beiden Canalsysteme der Finnenblasenwand von Cysticercus cellti-
losaCy nach einem Formol-Glycerinpräparate. ae das oberflächlich, / das
tiefer gelegene Canalsystem. Vergr. ungefähr 250 mal.
» 22. Das oberflächliche System, nach einem Pikrinsäure-Carminpräparate,
in welchem sich der Inhalt der Gefässe roth färbte.
» 23. Die beiden Systeme auf einem Schnitte. Bezeichnung wie oben.
Tafel IV.
Fig. 24. Ein Stück des räthselhaften Canals der Tetrarhynchenlarve aus der
Gegend von Fig. 19 bei stärkster Vergrösserung. Zeiss, Ap. hom. Imm.
Oc. 6, Abbe-Zeichenapparat.
» 25. Sammelcanal und Trichtercapillaren von PAy//o&o/Ar/Mm ^r^c/7<r Wedl
aus der Spiralklappe von Torpedo marmorata. Bei sehr starker Ver-
grösserung nach dem lebenden Thiere gezeichnet.
» 26. Ein einzelner Flimmertrichter dieser Form während des Absterbens
des Thieres, und
» 27. Drei solche von Cysticercus cellulosae nach einem Formol-Glycerin-
präparate, mit den stärksten Apochromat-Objectiven von Zeiss ^i;e-
zeichnet.
45*
082 Th. Pintner, Studien an Tetrarhynchen.
Fig. 28. Eine Trichtercapillare mit Deckelzeile und das mit dei*seiben in Ver-
bindung stehende Gewebe von Cysticercus pisiformis. Nach einem
Sublimat-Osmiumpräparate. Vergr. wie Fig. 26 und 27.
• 29. Ein grösseres Stück solchen Gewebes, rz die dem centralen Qüssig-
keitgefüllten Hohlräume zunächst gelegenen Zellen.
» 30. Stücke des räthselhaften Canals der Tetrarhynchenlarve aus der
Region von Fig. 24, bei derselben Vergrüsserung, sehr flach getroffen.
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Autor d«i
683
Über die Gesehleehtstheile der Pleeopteren, mit
besonderer Rüeksieht auf die Morphologie der
Genitalanhänge
Fr. Klapälek,
*. k. Gymnasialkhrcr in Wittingan.
(Mit 5 Tafeln.)
Vorwort.
Zu dem Gedanken die Morphologie der Genitalanhänge
systematisch zu bearbeiten bin ich durch das Bedürfniss den
morphologischen Werth einzelner Theile derselben zu kennen
geführt worden, welches ich bei meinen systematischen Arbeiten
gefühlt habe; denn die Systematik, welche bisher nur auf die
äusseren Merkmale, wie Farbe, Form und Nervatur der Flügel,
die Form und Gliederzahl der Fühler, die Form der Mundwerk-
zeuge u. a. angewiesen worden war, sucht jetzt auch andere
Charaktere zu ihren Zwecken zu benützen. Und da haben sich
in einigen Insektenordnungen die Genitalanhänge sehr wichtig
und hilfreich gezeigt. In einigen Ordnungen ist sogar die Unter-
suchung der Genitalanhänge unentbehrlich, da alle anderen
Merkmale für die Unterscheidung der Arten keinen festen Halt
bieten. Zu diesen gehören in erster Reihe die Pleeopteren; doch
glaube ich kein strenges Urtheil zu fällen, wenn ich die bisher
benützte Terminologie dieser Anhänge als unwissenschaftlich
bezeichne, denn die blosse Lage ist für den morphologischen
Werth keineswegs entscheidend, und es unterliegt keinem
Zweifel, dass die Namen so gewählt werden müssen, dass sie
uns schon selbst eine Aufklärung über die Bedeutung des An-
hanges geben.
084 Fr. Klapälek,
Als ich diese Arbeit begonnen hatte, habe ich keinen bis-
her unbetretenen Pfad gewählt, doch habe ich die Sache von
einer umgekehrten Seite gefasst. Denn man hatte bisher für
die Untersuchung sehr zusammengesetzte und hoch entwickelte
Formen gewählt, die einzelnen Anhänge gründlich beschrieben,
jeden Theil derselben benannt — aber auf den morphologischen
Werth meistentheils vergessen. Ein einzig richtiges Vorgehen
besteht aber darin, zuerst einfachere Fälle zu wählen, sie genau
zu untersuchen, die Bedeutung eines jeden Anhanges klar zu
machen und erst dann die schwierigeren mit den einfachen zu
vergleichen.
Diese meine Überzeugung war der erste Grund dafür, die
Plecopteren zum Objecte der ersten Reihe dieser morpholo-
gischen Untersuchungen zu wählen. Bei ihnen finden wir die
äusseren Genitalien in der einfachsten Form ent-
wickelt. Anderseits ist eben jetzt diese Ordnung in einer neuen
systematischen Bearbeitung begriffen, und ich hoffe durch
meine Studie mich dabei auch hilfreich zu zeigen. Herr K. J.
Morton hat es unternommen die Perliden in derselben Weise
zu bearbeiten, wie es schon Herr R. Mc. Lachlan in seiner
vorzüglichen Monographie der Trichopteren durchgeführt hat.
Es ist ihm aber, wie er selbst in seinen bisher erschienenen
Arbeiten zugibt, der morphologische Werth der Genitalanhänge
unbekannt geblieben. Ich will also, da mir das Typenmaterial
der älteren Autoren unzugänglich ist, alle rein systematischen
und synonymischen Fragen bei Seite lassend, nur die Morpho-
logie der Genitalanhänge ins Auge fassen.
Zu diesem Zwecke wollen wir, mit den einfachsten Formen
anfangend, zuerst eine ausführliche und möglichst objective
Beschreibung derselben geben und erst dann die morpholo-
gische Bedeutung einzelner Theile suchen. Die hier beschrie-
bene Reihe der Perlidenarten bietet uns fast alle wichtigsten
Formen der Genitalanhänge; ich bedaure nur, dass ich nicht
die Gelegenheit gefunden habe eine Nemura-Xri aus der Cine-
r^a-Gruppe zu untersuchen; sie fehlt dieser flachen und ebenen
Gegend.
Mein Vorgänger in Perliden war Dr. A. Gerstäcker, der
in seiner Arbeit: Ȇber das Vorkommen der Tracheen-
Geschlechtstheile der Plecopteren. 685
kiemen bei ausgebildeten Insei<ten« (Sieb. Zeitschr.,
Bd. XXIV) nebst dem oben angeführten Thema auch die Genital-
anhänge bei Nemura lateralis untersucht hat. Da wir zu dieser
Arbeit mehrmals noch zurückkommen werden, will ich gleich
hier bemerken, dass die von Dr Gerstäcker untersuchte Art
nach Morton nicht A^. lateralis Pict., sondern A^. marginata
Pict. ist. Ich will nicht die Frage der Artenidentität hier ent-
scheiden, da der Beschreibung nach Morton die Pictet'sche
Art richtig identificirt zu haben scheint, anderseits aber
Dr. Gerstäcker behauptet, seine Exemplare mit originalen
Pictet'schen Typen verglichen zu haben. Für unsere Zwecke
ist übrigens die Identification der Art nicht unentbehrlich.
Literatur.
Von der einschlägigen Literatur führe ich nur die wich-
tigsten, den Gegenstand direct betreffenden Schriften an.
Burmeister, Handbuch der Entomologie I. und II. Theil.
Pictet F. J., Histoire naturelle generale et particuliere des
insectes Nevropteres. I. Monographie: Familie des Per-
lides. Geneve 1841 — 1842.
Leon Dufour, Recherches anatomiques et physiologiques sur
les Orthopters, les Hymenopteres et les Nevropteres.
(Mem. de Tacademie des sciences de l'institut de France.
T. VII. Paris 1841).
A. Gerstäcker: Zur Morphologie der Orthoptera amphibiotica.
(Berlin, 1873).
^— Über das Vorkommen von Tracheenkiemen bei ausgebil-
deten Insekten (Siebold, Zeitschr. Bd. XXIV).
Imhof, O. E., Beiträge zur Anatomie der Perla maxima.
(Aarau 1881).
Morton K. J., Palaearctic Nemourae. (Trans. Ent. Soc. Lond.,
1894).
— New and little known Palaearctic Perlidae (Ibid. 1896).
Dictyopteryx microcephala, Pict.
(Taf. I. Fig. 1 -8).
Das brachyptere Männchen ist vollkommen zum Fluge
unfähig. Sein Hinterleib besteht aus 10 deutlich entwickelten
686 Fr. Klapalek,
Segmenten, Das erste von ihnen fliesst auf der Bauchseite mit
dem hinteren Theile des Metasternum zusammen; sein Dorsal-
bogen ist aber deutlich und selbständig entwickelt. Die Ventral-
platte des neunten Ringes ist bedeutend verlängert, die Dorsal-
platte dagegen sehr kurz. Übrigens sind die Abdominalrin^e
normal entwickelt. Das zehnte Segment ist vollkommen ge-
schlossen; sein Hinterrand ist durchwegs gerade, nur auf der
Rückenseite in einen stumpfen Winkel ein wenig verlängert.
Die inneren männlichen Genitalien (Tab. K F\g. 3)
zeigen sehr zahlreiche, kurz eiförmige Hodendrüsen, die dem
gemeinschaftlichen Ausführungsgange in kleinen dicht an-
einander gestellten Gruppen so aufsitzen, dass sie nur eine
Seite des Ganges bedecken, die andere aber ganz von ihnen
frei bleibt. Jedes Ende dieses gemeinsamen Ganges verlängert
sich in einen dünnen Samenleiter (vas deferens): diese sind
vielfach gewunden und vor ihrem Ende durch einen starken
schlingartigen Quergang verbunden, der eine Communication
beider Samenleiter vermittelt. Hinter dieser Schlinge, die ohne
Zweifel die Samenblase vertritt, bleiben die Samenleiter gerade,
laufen parallel dicht nebeneinander und münden in einen er-
weiterten, scheideartigen Samenausführungsgang ein, der
ohne jede besondere Anhänge sich an der Basis einer durch
das Ende der neunten und den Anfang der zehnten Bauchplatte
gebildeten F'alte nach aussen öffnet. Zehnte Ventralplatte ist
vollkommen chitinisirt, nur an der Basis ist sie ein wenig
weicher und ihr' Chitinschildchen erscheint wie geschlitzt.
Ductus ejaculatorius ist an der Einmündungsstelle der Vasa
deferentia auf der Bauchseite in zwei kurze ovale Lobi er-
weitert. Auf der Rückenseite (Taf. 1, Fig. 4) ruhen fest an ihn
gepresst zwei kurze, aber vielfach gewundene und gekrümmte
Schleimdrüsen.
Das zehnte Segment ist auf dem hinteren Ende eingestülpt,
so dass sein Hinterrand eine Hautduplicatur vorstellt, die nach
aussen stark chitinisirt, nach innen dagegen weich und nur
häutig und auf der Rückenseite mit feinen Fühlbörstchen be-
setzt ist. Innerhalb dieser Höhlung (Taf. I, Fig. 1 und LM
erhebt sich die hintere Wand als zwef halbwalzenförmige, mit
den geraden Flächen gegeneinander gekehrte und einander
Geschlechtstheile der Plecopteren. 687
berührende Fortsätze, die etwas länger als zusammen breit und
an der Spitze zusammen abgerundet sind; ihre Aussenseiten
sind mit einem starken Chitin gedeckt, die Innenseiten bleiben
häutig. Auch auf der Bauchseite befindet sich vor der Spitze
eine halbkreisförmige, weiche Stelle, so dass hier die dunklere
Chitinhaut ausgeschnitten erscheint. Alle häutigen Flächen,
insbesondere diejenigen auf der Bauchseite sind mit feinen
Fühlborsten besetzt. An die Aussenseite dieser Anhänge stützen
sich die langen, fadenförmigen Cerci, deren Wurzelglieder von
den übrigen dadurch unterschieden sind, dass sie bedeutend
kürzer und ein wenig breiter sind. Die Wurzel des ersten Ringes
umfasst ringsherum ein Chitinring, der zwar mit der äusseren
Chitinhaut der mittelständigen Fortsätze in einer festen Ver-
bindung steht, aber keineswegs in dieselbe direct übergeht und
deutlich von derselben abgegliedert ist; es sitzen also die
Cerci nicht direct auf den Fortsätzen, welche wir demnach
keineswegs für einen Theil derselben, etwa ein modificirtes
Grundglied halten dürfen und doch ist die Verbindung eine so
enge, dass, wenn wir den Cercus in Bewegung bringen, auch
die Fortsätze sich gleichzeitig bewegen. Der After befindet sich
auf der unteren Seite am Grunde der Fortsätze.
Das weibliche Abdomen (Taf. I, Fig. 5) besteht
ebenfalls aus zehn deutlich entwickelten Ringen, von denen
der achte die Subgenitalplatte bildet. Der letzte Ring ist
vollkommen geschlossen, mit einem fast vollkommen geraden
Hinterrande, welcher nur auf der Rückenseite massig im
stumpfen Winkel erweitert ist. Innerhalb seines Hinterendes
entspringen die Cerci, die sich an die Basis der kurzen, subdrei-
kantigen, an der Spitze stumpfen Lobi stützen. Zwischen den
zwei Lappen öffnet sich der After und über demselben ist die
Hinterwand des Ringes in einen flachen, niedrigen Höcker er-
hoben.
Die inneren weiblichen Geschlechtstheile (Taf. I,
Fig. 6) bestehen aus ungemein zahlreichen Eiröhren, welche in
einen gemeinschaftlichen Gang ausmünden, der an jedem Ende
in einen selbständigen Eiergang übergeht; diese Oviducte ver-
birtden sich erst an der gemeinschaftlichen Öffnung in die kurze,
halbkugelige Scheide, deren hintere Wand in ein kugclför-
(388 Fr. Klapälek.
miges Receptaculam seminis erweitert ist. Auf der unteren
(ventralen) Wand des Receptaculum sind acht kurze Drüsen,
die wir für nichts anderes als Schleimdrüsen halten können.
Die Subgenitalplatte hat einen etwa querelliptischen Um-
riss und ist an dem Hinterrande herzförmig ausgeschnitten;
ihre ganze Oberfläche ist matt. Sie ist bedeutend verlängert
und reicht bis kurz vor den Hinterrand des neunten Ventral-
bogens, den sie grösstentheils bedeckt.
Die reifen Eier (Taf. I, Fig. 7 und 8) haben die Form
eines Tetraeders, dessen Basis ein wenig bogenförmige Seiten
und abgerundete Kanten hat. Der Gipfel ist fast vollkommen
dreiseitig, aber etwa im zweiten Drittel der Höhe fangen die
Seiten an abgerundet zu werden. Die Basis ist an ihrem Rande
mit einer weisslichen durchscheinenden Krone versehen; die
übrige Oberfläche ist braun. Besonders schön und charak-
teristisch ist die Ansicht von oben (Fig. 8), denn auf der sphärisch
dreieckigen Projection des unteren Theiles des Eies sehen wir
ein vollkommen gleichseitiges Dreieck, das ist die Projection
der stumpfen horizontalen Kanten, die sich etwa im zweiten
Drittel der Höhe bilden, wenn die Seiten aus abgerundeten flach
und gerade werden; von dem Mittelpunkte dieses Dreieckes
ziehen sich zu seinen Winkeln die Projectionen des obersten
Theiles der Seitenkanten.
Die reifen Eier häufen sich in dem unteren Theile der
Oviducte an, welche sich dadurch stark erweitern und eine
sackartige Form annehmen; sie vertreten also in ihrem unteren
Theile einen Fruchtbehälter. Die Eier bleiben so lange in dem
Eiergange bis alle reif sind, dann gehen sie rasch durch die
Scheide durch, werden befruchtet und häufen sich locker zu-
sammengekittet und einen Ballen bildend an der Genitalöfifnung,
indem sie durch die Subgenitalplatte gehalten werden.
Aus der obigen Schilderung ist leicht zu ersehen, dass
DictyopteryXy was die Geschlechtsorgane anbelangt, eine sehr
niedrige Stufe einnimmt, ja ich glaube nicht zu rasch zu ur-
theilen, wenn ich dieses Genus als eine der niedrigsten Formen
wenigstens unterdenPterygogeneen bezeichne. Auf dieseniedrige
Entwicklungsstufe weist ebenfalls die Gleichartigkeit aller Ab-
dominalsegmente, welche insgesammt als einfache vollkommen
Geschlechtstheile der Plecopteren. 689
geschlossene Ringe entwickelt sind. In Folge dessen finden
wir hier auch keine äusseren Copulationsanhänge, und beim
Männchen keine Ruthe. Die Übertragung des Samens geschieht
einfach dadurch, dass die beiden GenitalöfFnungen aneinander
gedrückt werden. . Wie ich einigemale Gelegenheit hatte zu
beobachten, besteigt das cf den Rücken des Weibchens, krümmt
seinen Hinterleib an der rechten oder linken Seite nach unten,
biegt sein Ende nach oben und etwas nach vorne und presst
die Öffnung des Ductus ejaculatorius an die Öffnung der weib-
lichen Scheide. Die Verbindung ist in dieser Weise sehr lose
und beide Geschlechter trennen sich bei der ersten Berührung.
Auch die inneren Geschlechtstheile zeigen einen sehr primitiven
Zustand, da die Samen- und Eiergänge ungefähr bis an das
Ende getrennt bleiben. Beim cT ist der Ductus ejaculatorius
sehr kurz; eine besondere Vesicula seminalis fehlt gänzlich
und ist nur durch eine einfache, die Endtheile der Samengänge
verbindende Schlinge vertreten. Beim Weibchen ist das Recep-
taculum seminis sehr einfach, kugelig und sitzt direct auf dem
hinteren Theile der Scheide, damit die Versorgung derselben
mit dem nöthigen Samen leicht geschehen kann, da dem
Männchen die zur Einführung desselben nöthigen Organe
fehlen. Eine einzige wichtigere Abweichung von der ursprüng-
lichen Form können wir darin sehen, dass die Geschlechts-
drüsen einem gemeinschaftlichen Gange aufsitzen. Aber eben
die Übereinstimmung der Anordnung dieser Drüsen in beiden
Geschlechtern bietet uns das beste Zeugniss von der Ursprüng-
lichkeit dieser Form, so dass wir nicht den Zweifel verhehlen
können, ob wirklich die getrennten Geschlechtsdrüsen ein noth-
wendiges Postulat einer niedrigen Entwicklungsstufe, wie sie
z. B. bei den Ephemeriden zu finden ist, vorstellen. Wir dürfen
auch nicht die langen fadenförmigen Cerci mit Schweigen über-
gehen, da solche auch nur den niedrigen und ursprünglichen
Formen eigen sind. Von den übrigen Anhängen sehen wir nur
die Fortsätze, die jederseits von dem After sich erheben und
zu welchen sich ein bei dem Weibchen deutlicher entwickelter
flacher Höcker über dem After gesellt. Wir wollen diese Theile
im Folgenden als die unpaare Supraanalklappe und die beiden
paarigen als Subanalklappen bezeichnen.
690 Fr. Klapälek,
Chloroperla grammatica Scop.
(Taf. I, Fig. 9-18.)
Das männliche Abdomen (Taf. I, Fig. 9) besteht auf
dem Rücken aus zehn deutlichen Ringen, auf dem Bauche sind
aber nur acht Segmente gut sichtbar, da die erste Bauchplatte
eng mit dem Metasternum verwachsen und die letzte durch die
Subgenitalplatte verdeckt ist. Der Hinterrand der siebenten
Bauchplatte ist in der Mitte etwas chitinisirt; derjenige der
achten ist eben daselbst stärker verhornt und derartig zweimal
ausgeschnitten (Taf. I, P'ig. 10), dass zwischen den Ausschnitten
ein flacher, abgerundet viereckiger, quer länglicher Fortsatz
entsteht. Die neunte Bauchplatte ist etwa zweimal so lang wie
die correspondirende Rückenplatte; ihr Hinterrand ist abge-
rundet. Sie stellt uns die Subgenitalplatte vor. Vor ihrem
Ende scheint in der Mittellinie ein Chitinstreifen durch, der den
inneren Genitalien angehört. Der zehnte Ring (Taf. I, Fig. II)
ist ringsum vollständig entwickelt, obwohl schwächer, insbe-
sondere auf der Bauchseite, chitinisirt. Seine Rückenfläche ist
in der Mittellinie mit einem schwachen Längseindrucke v^er-
sehen und der Hinterrand in der Mitte des Rückens deutlich
verdickt. Innerhalb des Ringes sind die fadenförmigen Cerci
(Taf. I, Fig. 12) eingeschlossen, an deren Basis sich auf der
Innenseite ein dreieckiger Anhang anschliesst, der auf der
unteren und inneren Fläche chitinisirt, mit Borsten besetzt und
mit dem engeren Ende nach oben gekwimmt ist, so dass jeder-
seits auf dem verdickten mittleren Theile des dorsalen Hinter-
randes einer von diesen Anhängen ruht.
Die inneren männlichen Genitalien (Taf. 1, Fig. \S)
haben zahlreiche bläschenartige Geschlechtsdrüsen, welche
einem gemeinschaftlichen Gange aufsitzen, der jederseits in
einen dünnen, langen Samen gang übergeht. Beide \*asa
deferentia sind vor ihrem Ende, ähnlich wie bei Dictyoptcryx
durch eine starke quere Schlinge verbunden, die auch hier die
fehlende Vesicula seminalis vertritt. Die Enden der Samengänge
bleiben bis zu ihrer Einmündung in den musculösen Ductus
ejacul atorius getrennt. In der Nähe ihrer Einmündung sind
auf der Rückenseite zwei einfache, röhrenförmige Schleim-
Geschlechtstheile der Plecopteren. 691^
getasse. Der Samenaiisführungsgang ist (Taf. I, Fig. 14) an
dem Anfange der Rückenseite in zwei nebeneinander stehenden,
kugeligen Lobi gewölbt. In seinem inneren Lumen sitzt auf
einem eiförmigen, musculösen Läppchen, das sich auf der Bauch-
fläche erhebt, eine kurze und starke hornige Gräte (Fig. 15),
welche hohl, am Grunde abgerundet, etwas schwächer als an
dem Ende und auf der Bauchseite bis zur Basis gespalten ist.
Das weibliche Abdomen (Taf. I, Fig. 16) setzt sich
aus zehn Segmenten zusammen; erster Ventralbogen fliesst
stark mit dem Metasternum zusammen, wir können aber doch
an den Seiten beobachten, wie er sich an den entsprechenden
Dorsalbogen anschliesst. Das zehnte Segment ist auf der
Rücken- und Bauchseite vollkommen entwickelt und hat auf
der Bauchseite einen geraden, auf der Rückenseite aber einen
stumpf dreieckig vorgezogenen und bedeutend verdickten
Hinterrand. Die achte Bauchplatte bildet die Subgenitalplatte,
welche massig verlängert und an dem Hinterrande abgerundet
ist. Cerci sind ebenfalls wie beim Männchen fadenförmig mit
ähnlich entwickelten, nur etwas breiteren und schwächer chiti-
nisirten Subanalklappen.
Die inneren weiblichen Genitalien (Taf. I, Fig. 17)
haben zahlreiche Eiröhren, welche auf einem verhältnissmässig
kurzen gemeins6haftlichen Gange stehen; jederseits geht der
Gang in den Eiergang über, welcher bei reifen Weibchen mit
den Eiern vollgepfropft, stark erweitert und sackartig ist. Beide
Oviducte vereinigen sich kurz vor ihrer Einmündung in die
Scheide zu einer kurzen, starken Röhre. In die Scheide öffnet
sich ein massig langes am Ende ein wenig kugelig erweitertes
Receptaculum seminis, dessen Ausführungsgang einige kurze,
oft gabelig gespaltene und mit einer engen Mündung versehene
Drüsen trägt.
Die Eier (Fig. 18) haben zwar einen eiförmigen Umriss,
sind aber auf einer Seite eingedrückt, wodurch sie eirie kahn-
förmige Gestalt annehmen. An dem schmäleren Ende befindet
sich auf einer kronenartigen Verlängerung die Mikropyle.
Obwohl Chloroperla in mancher Hinsicht mit Didyopte-
ryx übereinstimmt, so sehen wir doch einen Fortschritt
darin, dass die Anhänge, die sich an die Basis der Cerci
.692 Fr. Klapalek,
anschliessen, zwischen welchen der After sich befindet und
welche den Subanalklappen der Dictyopteryx entsprechen, beim
cT zu Copulationsanhängen werden. Besonders bemerkenswerth
ist aber die Chitingräte, welche in dem letzten Abschnitte der
c/'-Genitalien eingeschlossen ist. Ihre specielle Aufgabe ist mir
bis jetzt unklar, obwohl wir voraussetzen müssen, dass sie bei
der Copulation eine wichtige Rolle spielt, ob sie eine Röhre
bildet, mittelst welcher der Samen in das weibliche Recepta-
culum überführt wird, oder nur den Weg öffnet und als ein
Titillator, wie wir ihn bei den Orthopteren finden, dient. Erstere
Ansicht könnte sich darauf stützen, dass sie mit einem starken
Muskelsystem verbunden ist, welches sie aus derGenitalöfifnung
hervorschieben kann, und dass sie eine röhrenartige Gestalt hat.
Isopteryx tripunctata Pict.
(Taf. I, Fig. 19—25).
Das männliche Abdomen hat auf dem Rücken zehn
deutliche Segmente, wogegen auf der Bauchseite nur neun
Ringe sichtbar sind. Die Bauchplatte des neunten ist stark
verlängert und erweitert und bildet eine in der Ansicht von
vorne (Taf. I, Fig. 19) sphärisch dreieckige, etwa so breite wie
lange Genitalklappe, welche aber, wenn wir sie flach drücken
einen abgerundet fünfeckigen Umriss bekommt. Der Hinterrand
des neunten Dorsalbogens ist in der Mitte etwas verdickt. Der
zehnte Ring (Fig. 20) ist zwar vollkommen entwickelt und rings-
herum geschlossen, aber seine Bauchpartie ist durch die Sub-
genitalklappe verdeckt. Auf der Dorsalseite ist seine vordere
Partie erhöht und in eine schwarze stark chitinisirte Lamelle
von einem abgerundeten Umrisse vorgezogen, welche nach
hinten gerichtet ist. Ihr gegenüber und hinter ihr erhebt sich
ein starker, schwarzer vorne unterhalb der Spitze in der Seiten-
ansicht ausgekerbter Zahn, der nach vorne durch eine bogen-
förmige, schwarze Chitinleiste mit der Lamelle verbunden ist,
nach hinten aber zwei eine Gabel bildende, schwarze, stark
chitinisirte Fortsätze entsendet, welche in der Ansicht von oben
besonders deutlich sichtbar sind. Unter ihnen ist der Hinterrand
des Ringes stumpf dreieckig nach hinten gewölbt. Cerci sind
lang, und stützen sich an diestumpf dreieckigen Subanalklappen
Geschlechtstheile der Plecopteren. 693
Die männlichen inneren Genitalien (Taf. I, Fig. 2 1 »
haben einen gemeinschaftlichen Hoden, der aus einer doppelten
Reihe von bläschenartigen, auf einem gemeinschaftlichen Gange
sitzenden Drüsen besteht: der Gang verlängert sich jederseits
in einen engen, langen Samengang. Die Vasa deferentia sind
vor ihrem Ende zuerst durch eine starke, in dem oberen
Winkel erweiterte und zusammenfliessende Schlinge, die die
Stelle der Vesicula seminalis vertritt, verbunden und vereinigen
sich kurz darauf zu einem starken Gange. Dort, wo dieser
letzte Abschnitt in den Samenausführungsgang einmündet,
welcher hier bedeutend lang ist und fast die Länge des gemein-
samen Samenganges sammt der Schlinge erreicht, finden wir
vier, jederseits zu zwei gestellte Drüsen. Gleich unterhalb
derselben entspringen im inneren Lumen zwei lange, dünne
Chitingräten (Taf. I, Fig. 23), welche in ihrer ganzen Länge
dicht aneinander liegen, die Spitze ausgenommen, wo sie sich
etwas trennen; jede ist an den Seiten mit einer feinen, schmalen
Membran gesäumt, und da sie an den gegen einander gekehrten
Seiten etwas rinnenartig ausgehöhlt sind, so bilden sie, wie sie
aneinander liegen, ein feines Röhrchen; der Ductus ejaculatorius
mündet nach aussen durch eine weite, an dem Ende der Sub-
genitalklappe gelegene Genitalöffnung, durch welche auch die
Chitingräten hervortreten (Fig. 22).
Das 9 Abdomen (Fig. 24) besteht aus zehn deutlichen
Ringen, von welchen aber der erste stark mit dem Metasternum
verwachsen ist. Die Subgenitalklappe ist von demachten
Segmente gebildet; ihr Hinterrand ist bogenförmig erweitert,
entlang des Randes massig vertieft, wodurch der Rand selbst
ein wenig verdickt erscheint. Das zehnte Segment ist voll-
kommen ringartig entwickelt; Cerci und die Subanalklappen
wie beim Männchen.
Innere Genitalien (Taf. I, Fig. 25) haben nicht sehr
zahlreiche Eiröhren, die auf einem kurzen, starken, gemein-
schaftlichen Gange gestellt sind; die Eiergänge, in welche sich
jederseits der gemeinschaftliche Gang verlängert, sind ebenfalls
nur kurz und vereinigen sich erst bei ihrer Einmündung in die
kurze eiförmige Scheide. Auf dem hinteren Theile der Scheide
finden wir einen sehr langen, in einen Knäuel zusammengerollten
694 Fr. Klapälek,
Anhang, der anfangs sehr dünn, gegen das Ende ein wenig
erweitert ist. Seine Lage und ganzes Aussehen macht es wahr-
scheinlich, dass wir hier mit einem so verlängertem Recepta-
culum seminis zu thun haben, obwohl ich nicht Gelegenheit
hatte seine Function sicher zu stellen. Es kann aber dieser
Anhang noch eine andere Bedeutung haben, weiche von der
physiologischen Aufgabe der Chitingräte in dem Samenaus-
führungsgange des Männchens abhängt. Es ist auch möglich,
dass diese Chitingräte in diesen Anhang der Scheide einzu-
dringen hat um nur eine festere Verbindung beider Geschlechter
zu ermöglichen, ohne bei der Übertragung des Samens behilflich
zu sein; in diesem Falle würde sie durch den Anhang fest-
gehalten.
Vergleichen wir diese Beschreibung mit beiden früher be-
schriebenen Geschlechtern, sehen wir wieder einen bedeutenden
Fortschritt. Dieses Genus übertrifft die Chloroperla durch
die Concentration der Geschlechtsdrüsen, sowohl der männlichen
als auch der weiblichen, durch einen grösseren Unterschied
zwischen den Samengängen und der unpaaren, die Vesicula
seminalis vertretenden Schlinge was den Umfang anbelangt,
und nicht minder dadurch, dass beide Samengänge, bevor sie
in den Ductus ejaculatorius einmünden, eine unpaare Röhre
bilden. Cerci und die Subgenitalklappe behalten noch fast ihre
ursprüngliche Form, die Rückenplatte des zehnten Segmentes
zeigt eine wichtige Modification, indem sie Auswüchse bildet,
die sicher bei der Copulation behilflich sind. Da die Verbindung
beider Individuen sehr locker ist, ist sehr schwer die Weise zu
beobachten, wie dies zustande kommt; es scheint mir aber
höchst wahrscheinlich, dass die auf dem Rücken des zehnten
Segmentes gebildete Zange zum Festhalten des Randes der
weiblichen Subgenitalplatte dient. Diese unsere Vermuthung
findet eine Bestärkung darin, dass der Rand der Subgenital-
platte etwas verdickt ist, wodurch das Festhalten erleichtert
wird.
Eine eigenthümliche Bildung, durch welche sich Chloro-
perla und Isopteryx von Dictyopteryx und den nach-
folgenden Gattungen unterscheiden, stellt uns die Chitingräte
des Samenausführungsganges vor. Wir dürfen nicht unbemerkt
Geschlechtstheile der Plecopteren. 695
bleiben lassen, dass die Länge und Stärke dieser Gräte mit
demjenigen Anhang der weiblichen Scheide proportionirt ist,
welchen wir als Receptaculum seminis bezeichnen.
Leuctra nigra Oliv.
(Taf. II. Fig. 1—8).
Das männliche Abdomen besteht zwar aus zehn
Ringen, die aber nur auf dem Rücken alle deutlich entwickelt
sind, wogegen auf der Bauchseite der zehnte verkümmert ist.
Das erste Segment ist sehr kurz, nur als ein schmaler Ring ent-
wickelt. Auf der Dorsalseite (Taf. II, Fig. 1) sind die Ringe von
der Mitte des Hinterleibes anfangend der Länge nach ein wenig
vertieft; der sechste und achte tragen auf der Vorderseite je
ein Paar von Auswüchsen (Fig. 2), welche in der Seitenansicht
die Form von Dornen, in der Ansicht von oben aber eine spatel-
artig erweiterte und abgerundete Spitze zeigen; auch an dem
Hinterrande des achten Segmentes ist ein Paar von niedrigen
Höckern. Die neunte Bauchplatte ist verlängert; sie trägt nahe
der Wurzel einen kleinen, an der Spitze ein wenig erweiterten
und abgerundeten Fortsatz (Taf. II, Fig, 3). Von der Basis
dieses Anhanges zieht sich ein flaches, weniger horniges Feld
von parabolischen Umrissen, dessen, den Hinterrand der Bauch-
platte selbst bildender Rand ein wenig stumpf dreieckig vor-
gezogen ist Cerci sind stümmelartig, aber doch ziemlich lang
und stark aus einem einzigen Gliede zusammengesetzt, das
aber noch ein kleines knopfförmiges Glied trägt; sie sind mit
zahlreichen Borsten besetzt Der Rückenbogen des zehnten
Segmentes ist schmal, in der Mitte des Hinterrandes breit, aber
seicht bogenförmig ausgeschnitten und an den Seiten allmälig
verschmälert, so dass er kaum unter die Cerci reicht. Die hintere
Wand dieses Ringes ist unterhalb des dorsalen Abschnittes
massig erhöht und bildet so einen dreiwinkligen Höcker, der
im Gegensatze zur übrigen Fläche mit Borsten besetzt ist; er
stellt uns die Supraanalklappe vor. Die Griffelbasis stützt sich
nach aussen an den Seitenrand des zehnten Ringes. Wenn wir
das Hinterleibsende von unten betrachten, so sehen wir, dass
hinter dem Hinterrande des neunten Segmentes zwei dicht
neben einander stehende, in der Mittellinie gestellte Chitin-
Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl. ; CV. Bd., Abth. I. 46
696 Fr. Klapälek,
gräten (Fig. 4) entspringen, die an der Basis etwas stärker und
an den gegen einander gekehrten Seiten am Grunde mit einem
weichen Polsterchen ausgelegt sind und sich gegen die stumpfe
Spitze ailmälig verjüngen. Jede stützt sich an der Seite auf
ein schmales, dreieckiges Chitinplättchen, das sich gegen den
unteren Rand der zehnten Dorsalplatte zieht. Über jedem dieser
Chitinplättchen erhebt sich ein zweites, welches in der Ansicht
von unten dreieckig ist, einen abgerundeten Seitenrand hat
und an dem gegen die Mittellinie gekehrten Ende in eine kurze
an die längeren Chitingräten sich von der Seite anlegende Spitze
ausläuft. In der Seitenansicht (Fig. 4) finden wir, dass diese
zweiten Chitinplättchen eigentlich schief von oben und aussen
nach unten gegen die Mittellinie gestellt sind und dass ihr
Dorsalrand eine anfangs bogenförmig nach unten gekrümmte
dann wieder nach oben gebogene Chitinleiste bildet, die in die
oben beschriebene Spitze ausläuft Die Lage und das Verhält-
niss zu übrigen Theilen lässt uns urtheilen, dass wir hier mit
den modificirten Subanalklappen zu thun haben. Über ihnen
und unterhalb der Supraanalklappe öffnet sich der After.
Die inneren Genitalien (Fig. 5) des Männchens sind
paarig. Wir finden hier zwei getrennte Hoden, welche aus acht
bis zehn langen Schläuchen bestehen und an dem Anfange des
zuerst schmalen, dann aber etwas erweiterten verhältnissmässig
kurzen Samenganges sitzen. Die Samengänge vereinigen sich
erst an ihrer Ausmündung, wo sich zu ihnen ein unpaarer bläs-
chenartiger länglich eiförmiger Anhang gesellt; es ist eine ein-
fache Vesicula seminalis. Die Genitalöffnung befindet sich
zwischen beiden Chitingräten (Fig. 6).
Beim Weibchen setzt sich das Abdomen (Fig. 7) ebenfalls
aus zehn Segmenten zusammen, von denen aber das erste kurz
und das letzte auf der Bauchseite ebenfalls abgekürzt ist; die
Rückenseite des Hinterleibes ist weich und häutig. Die Sub-
genitalplatte befindet sich auf der achten Bauchplatte, deren
mittleres Feld ein wenig verlängert, an den seitlichen Hinter-
ecken abgerundet und an dem Hinterrande einmal wellenförmig
ausgeschnitten ist. Die Griffel sind so wie beim Männchen
stümmelartig, stark und verhältnissmässig lang aus einem
Gliede bestehend. Dieses stützt sich auf der. Innenseite auf
Geschlechtstheile der Plecopteren. 697
einen länglich dreieckigen Anhang, dessen Ende ein wenig
nach aussen gebogen ist, weil sein innerer, gegen die Median-
linie gekehrter Umriss convex, der äussere dagegen concav
bogenförmig ist; diese Anhänge sind nichts anderes als die
Subanalklappen. Über ihnen erhebt sich ein unpaarer Höcker,
der die Supraanalklappe vorstellt.
Die weiblichen inneren Geschlechtstheile sind ebenfalls
paarig. Die Eiröhren sind zahlreich und stehen auf einer kurzen
gefässartigen Röhre, welche bei den reifen Exemplaren sehr
erweitert und mit Eiern gefüllt ist. Anfangs ist sie zwischen
den mit Eiern gefüllten Eiröhren kaum sichtbar; je mehr sie
sich mit den Eiern füllt und die Eiröhren sich ausleeren desto
mehr überwiegt ihr Umfang die Eiröhren, bis die kleinen Ei-
röhren nur als zipfelartige Anhänge auf dem sackartig erwei-
terten Eiergange stehen. Die Eiergänge münden getrennt in
die längliche Scheide, die auf ihrem Vorderende kugelig auf-
getrieben ist und so das Receptaculum seminis bildet.
Leuctra cylindrica D. G.
(Taf. II, Fig. 9—19).
Beim Männchen sind auf dem Hinterleibe neun Dorsal-
und Ventralbögen vollkommen entwickelt, von denen aber der
erste schmal bleibt. Vom zehnten Ringe ist nur der Dorsal-
bogen vorhanden; er verschmälert sich an den Seiten und ist
in der Mitte des Hinterrandes dreieckig ausgeschnitten. In
diesem Ausschnitte übergeht er in eine dachförmig erhobene
und dreieckig hinten abgegrenzte Supraanalklappe. An den
schiefen Seitenrand des X. Dorsalbogens stützt sich auf der
Bauchseite (Taf. II, Fig. 13 und 14) jederseits eine glatte sub-
trianguläre Chitinplatte, deren unterer und seitlicher Rand ein
wenig verdickt ist und der letztere an dem distalen Ende in
einen kurzen, stumpfen Dorn ausläuft. Obwohl sich diese
Platten direct an den Seitenrand des zehnten Dorsalbogens an-
lehnen, wodurch sie uns zu der Vermuthung verleiten könnten,
dass sie die zehnte Bauchplatte vorstellen, müssen wir doch,
wenn wir sie mit ähnlichen Gebilden bei anderen Arten ver-
gleichen und dabei auch auf das Hintei leibsende des Weibchens
46*
698 Fr. Klapalek,
gebührende Rücksicht nehmen, sie für modificirte Subanal-
klappen halten.
Nebst diesen Anhängen ist das männliche Geschlecht auch
durch verschiedene, auf dem Rücken ausgebildete Fortsätze
und Höcker (Fig. 9 und 10) gekennzeichnet. Die Rückenfläche
des sechsten Ringes trägt vor ihrem Hinterrande ein Paar von
hornigen Auswüchsen, die von vorne und hinten abgeflacht,
an der Spitze abgerundet sind und eine sattelförmige Vertiefung
begrenzen. Auch auf dem siebenten Segmente finden wir eine
Vertiefung, welche sich aber über die ganze Länge des Ringes
zieht: ihre Ränder werden von vorne nach hinten allmälig höher
bis sie an dem Hinterrande in je einen Fortsatz auslaufen,
die länger sind als jene an dem vorhergehenden Ringe, eine
ähnliche Form haben und deren Enden gegeneinander geneigt
sind. Auch auf dem achten und neunten Segmente ist die
Rückenfläche entlang der Mittellinie schwach vertieft und
weniger chitinisirt. Auf der Bauchseite ist das neunte Segment
verlängert und mit einer Kante versehen, die ein mittleres
parabolisches Feld von den Seitenpartien abgrenzt, und zwar
an den Seiten in einer Geraden, vorne in einer gebogenen Linie.
An der vorderen Grenze dieses Feldes erhebt sich in der
Mittellinie ein abstehender, entweder dreieckiger oder trape-
zoider Anhang (Fig. 11). Der Hinterrand des Ringes ist fast
gerade.
Die inneren Geschlechtstheile des Männchens
(Fig. 15) bestehen aus zwei getrennten, gewöhnlich aus zehn
länglichen Drüsen zusammengesetzten Hoden, die dem Anfange
des engen, bald aber stark erweiterten Samenganges aufsitzen.
An ihrer Verbindungsstelle gesellt sich zu den Samengängen eine
kleine längliche fast keulenförmige Samenblase. Der kurze
Ausführungsgang mündet zwischen zwei Chitinstäbchen, die
sich dicht nebeneinander unterhalb des Bauchrandes des neunten
Ringes erheben; sie sind am Grunde stärker, an der Spitze
stumpf und überhaupt im Ganzen stärker als bei der vorher-
gehenden Art. Auf den gegeneinander gerichteten Seiten sind
diese Stäbchen ausgehöhlt, wodurch sie eine Rinne bilden,
durch welche die Samenflüssigkeit herausfliessen kano. Ihre
verdickte Basis ist mit einem starken Chitinringe versehen.
Geschlechtsthcile der Plecopteren. 699
welcher noch mit einem starken Chitingerüst verbunden ist;
beide Theile dienen als Stütze für starke Muskelbündel.
Der Rücken des Weibchens ist weich; nur die Seitentheile
und die Bauchfläche sind hornig. Die Subgenitalplatte
(Fig. 18) befindet sich auf dem achten Segmente; sie ist an den
Seiten abgerundet, nach hinten ein wenig stärker als nach vorne
verschmälert; ihr Hinterrand ist in der Mitte viereckig ausge-
schnitten, und zwar in der Weise, dass der mittlere Theil ein-
gedrückt und an dem Hinterrande bogenförmig abgerundet ist,
die rhombischen Seitenabschnitte^ dagegen etwas abstehen.
Der neunte Ring ist vollkommen geschlossen. Der zehnte
(Taf. II, Fig. 16 und 17) ist nur auf dem Rücken entwickelt;
er biegt sich auf jeder Seite nach unten um, wo er sich ver-
schmälert und endet, ein ganzes Drittel der Bauchfläche unbe-
deckt lassend. Es fehlt die zu ihm gehörige Bauchplatte voll-
kommen. In der Mitte auf der Rückenseite erhebt sich unterhalb
des Hinterrandes vom zehnten Ringe die Supraanalklappe.
die einen dreieckig bogenförmigen Umriss hat und viel mehr
breit als lang ist. Auf der Bauchseite befinden sich zwei flache
stumpfdreieckige Löbi, die an der Medianlinie sich bogenförmig
gegeneinander neigen, an den Seiten aber sich an die Seiten-
ränder des zehnten Segmentes stützen. Diesen Anhängen ent-
sprechen bei dem Weibchen die dreieckigen, in eine Spitze
auslaufenden Chitinplättchen; wir müssen also beide Gebilde
als Subanalklappen bezeichnen. In dem zwischen ihnen und
dem Seitenrande des zehnten Segmentes gebildeten Winkel
stehen Cerci. Der After ist durch die Supraanalklappe ein wenig
verdeckt.
Die inneren Genitalien bestehen aus zwei getrennten
Ovarien, die sich aus zahlreichen Eiröhren zusammensetzen
und auf einem kurzen Gange sitzen, der in einen ebenfalls
kurzen Eiergang übergeht. Die Eiergänge sammt dem oberen
Gange füllen sich bei älteren Individuen mit reifenden Eiern
und erweitern sich sackförmig. Beide Eiergänge münden ge-
trennt in eine längliche Scheide (Fig. 19) ein, die die Länge
von zwei Segmenten einnimmt und auf ihrem Vordertheile
einen halbkugelig gewölbten Samenbehälter trägt; dieser ist
auf die Scheide angewachsen und sein Lumen, was wir
700 Fr. Klapalek,
besonders auf frisch präparirten Exemplaren gut beobachten
können, verengt sich nach hinten und öffnet sich in die Scheide
nahe der Genitalöffnung.
Obwohl beide hier beschriebenen Leuctra- Arien, was die
Anordnung der Geschlechtstheile anbelangt, sich gut unter-
scheiden, ist ihre Abweichung von den bisher geschilderten
Genera doch weit grösser und tiefgreifender. Sehr charakte-
ristisch für diese Gattung sind die Fortsätze und Auswüchse
auf dem Rücken des Männchens. Auf dem Körperende ist die
Form derSupraanalklappe bemerkenswerth, die als eine niedrig
konische Warze sich unterhalb des Ausschnittes der letzten
Dorsalplatte auf der Hinterwand des zehnten Segmentes erhebt;
auf ihrer oberen Fläche zieht sich fast bis auf den Gipfel ein
Chitinschildchen, wogegen die übrige Fläche weich bleibt und
nur mit steifen kurzen Börstchen besetzt ist. Bei den bisher
beschriebenen Arten erschien die obere Afterklappe als eine
einfache Erhöhung unterhalb des Hinterrandes des letzten
Segmentes. Eigenartig ist auch die Form der Subanalklappen,
welche ganz kahl sind und in eine stumpfe Spitze auslaufen.
Beide Chitingräten, zwischen welchen die Genitalöffnung sich
befindet, erinnern uns sehr an ähnliche Gebilde innerhalb des
Samenausführungsganges bei Chloroperla und Isopteryx. Ihre
Homologie wird noch mehr auffallen, wenn wir die Länge des
Samenausführungsganges selbst in Betracht ziehen; bei Iso-
pteryx und Chloroperla, die innere Chitingräten besitzen, ist er
lang, bei Leuctra ganz kurz. Weiter müssen wir auch den
ektodermalen Ursprung dieses letzten Abschnittes der männ-
lichen Genitalien im Sinne behalten; sollte sich bei Leuctra ein
Ductus ejaculatorius bilden, so müssten beide Gräten in
sein Inneres hinabsteigen. Auch die Anordnung der Muskulatur
zeugt für die Homologie beider Gebilde. Der unpaare Gang, den
beide Samengänge nach ihrer Vereinigung bilden, ist keineswegs
homologisch mit dem Ausführungsgange von Chloroperla, denn
es fehlt ihm die starke Muskulatur, durch welche sich dieser
letzte Abschnitt auszeichnet. Bei Isopteryx und Chloroperla,
sowie bei Leuctra setzen sich an die Basis der Chitingräten
starke Muskeln an. Auch die inneren Geschlechtstheile zeigen
viele Besonderheiten. Die Geschlechtsdrüsen sind vollkommen
Geschlechtstheile der Plecopteren. 701
getrennt, ihre Ausführungsgänge sind kurz, aber verhältniss-
mässig stark, die Eiergänge dienen schon in ihrem obersten
Theile, auf welchem die Eiröhren sitzen, als ein Behälter für
die reifenden Eier. Beim Männchen ist eine selbständige, un-
paare, eiförmige Samenblase entwickelt, die in die Verbindungs-
stelle der Samengänge einmündet. Die Eiergänge öffnen sich
getrennt in die Scheide, die an dem Vorderende einen kugeligen
Samenbehälter trägt, welcher an die Oberwand der Scheide
fest angewachsen ist. Die Schleimdrüsen fehlen beiden Ge-
schlechtern. Im Ganzen erscheint also Lenctra niedrig organi-
sirt, bildet aber eine selbständige Plecopteren-Gruppe. Bei der
Copulation dringen wahrscheinlich beide an der Genitalöffnung
stehenden Chitingräten sammt den Spitzen der Subanalklappen
in die Scheidenöffnung und diese letzteren ermöglichen, indem
sie sich öffnen, eine festere Verbindung beider Geschlechter.
Capnia nigra Pict.
(Taf. III, Fig. 1-7.)
Das Männchen ist apter; es hat auf dem Rücken neun
deutliche, ziemlich gleich lange Segmente. Der Hinterrand des
letzten ist in der Mitte stark erhoben, oben abgerundet und
hinten ausgehöhlt. Auf der Bauchseite ist nur der zweite bis
neunte Ring deutlich entwickelt; der erste ist an den Seiten so
abgekürzt, dass nur der mittlere Theil sichtbar bleibt. Der
neunte Ring bildet die Subgenitalplatte (Fig. 1), welche
einen parabolischen Umriss hat und beiderseits durch tiefe»
schwach chitinisirte Längsfalten von den Seitentheilen abge-
schieden ist; an ihrer Wurzel erhebt sich ein kurzer niedriger
Anhang mit einem bogenförmigen Vorderrande, der viel breiter
als lang ist. Das zehnte Segment ist zwar ringsum entwickelt,
aber sehr kurz; auf der Rückenseite ist es in der Mitte noch
mehr abgekürzt und grübchenartig vertieft; auf der Bauchseite
ist es durch zwei mit feinen Borsten besetzten Chitinplättchen
repräsentirt, welche von der Mittellinie nach vorne divergiren,
und an den Seiten ähnliche Plättchen berühren, welche den
Dorsalbogen des Ringes bilden. In dem durch diese Ventrai-
und Dorsaltheile des zehnten Ringes jederseits gebildeten
Winkel steht der fadenförmige, vielgliedrige Cercus. Auf der
702 Fr. Klapälek,
Rückenseite unterhalb des Randes des zehnten Segmentes ist
ein horniger Höcker, welcher auf seinem Hinterende einge-
drückt ist, wodurch er die Form eines querstehenden Walles
bekommt und übergeht dann in einen langen ruthenförmigen
zurück nach oben gekrümmten Fortsatz (Taf. III, Fig. 1 und 2),
welcher deutlich aus zwei Seitenklappen besteht. EHeser Anhang
ist auf der Rückenseite durch eine besondere, quere Sutur von
den übrigen Theilen abgeschieden.
Die inneren Geschlechtstheile des Männchens (Fig. 5)
haben einen unpaaren Hoden, der auf der Rückenfläche des
Darmes ruht; er besteht aus einem ziemlich starken gemein-
schaftlichen Gange, auf dessen jeder Seite neun bis zehn kleine
bläschenartige Hodendrüsen sitzen. Hinter dem letzten Paare
dieser Bläschen theilt sich die einfache Röhre in zwei sehr
dünne Samengänge, die massig lang sind, sich jeder auf einer
Seite des Darmes nach unten ziehen und unterhalb desselben
in eine mächtige Samenblase einmünden. Diese hat die Form
einer Schleife und ihr Lumen ist vielmals grösser als jenes der
Samengänge. Bei jungen, noch unreifen Exemplaren ist sie
einfach schlingenförmig und verbindet in der bei Dictyopteryx
und Chloroperla beschriebenen Weise beide Samengänge, die
gerade zur Genitalöffnung sich ziehen; später, in dem Grade,
wie sie sich mit der Samenflüssigkeit füllt, bekommt sie solches
Übergewicht, dass sie mit den Endabschnitten der Samengänge
eine starke einmal umgebogene Röhre bildet, in welche etwa
im zweiten Fünftel der Länge die dünnen Samengänge ein-
münden. Bei den vollkommen reifen Individuen füllt die Samen-
blase die Hinterleibshöhle von ihrem Anfange bis ans Ende aus,
so dass die ausgeleerten und geschrumpften Hodenbläschen
sich an dem Anfange der dünnen Samengänge fast verlieren,
und es kostet viel Arbeit dieselben bei der Zergliederung auf-
zufinden. Ein selbständiger Ausführungsgang fehlt hier
gänzlich; beide Enden der Samenblase münden durch eine
gemeinschaftliche Öffnung in ein Chitinröhrchen aus (Taf. III,
Fig. 3 und 4), welches in der Mittellinie am Grunde zwischen
beiden Plättchen, die die zehnte Bauchplatte vorstellen, sich
erhebt. Anfangs ist es fest hornig, gegen die Spitze zu wird es
mehr häutig; ihre Wurzel ist mit einem Chitinringe versehen,
Geschlechtstheile der Plecopteren. 703
der als Stütze den zahlreichen Muskeln dient und auf der
Bauchseite in einen Dorn ausläuft, auf welchen sich ebenfalls
Muskeln ansetzen. Das Ende dieses Röhrchens biegt sich über
den unterhalb der Wurzel des dorsalen Fortsatzes befindlichen
After und legt sich in eine Rinne, die sich auf der Bauchseite
des Fortsatzes zieht.
Das weibliche Abdomen (Fig. 6) zeigt auf dem Rücken
und Bauche neun deutliche Segmente; das zehnte ist nur als
Dorsalbogen vollkommen entwickelt; sein Ventralbogen ist
sehr abgekürzt. Die achte Bauchplatte ist ein wenig gewölbt
und bildet die Subgenitalplatte, welche aber das Segment nicht
überragt und einen flach bogenförmigen Hinterrand hat. Die
ersten sieben Segmente sind auf dem Rücken weich, gelbbraun,
welche Farbe auf dem achten ins schwarzbraune übergeht,
wobei auch die Haut fester wird. Der Dorsalrand des zehnten
Segmentes ist in der Mitte in einem massigen Bogen vorgezogen
und unterhalb desselben befindet sich ein kugeliger, massig
chitinisirter Höcker. Cerci sind ziemlich lang, fadenförmig und
vielgliedrig. Zwischen ihnen erheben sich wie gewöhnlich zwei
Subanalklappen von einer breiten subtriangulären Form, die
aussen hornig, innen weich sind.
Die weiblichen Genitalien haben getrennte Eierstöcke,
die aus zahlreichen auf einem gemeinschaftlichen Gange
sitzenden Eiröhren bestehen. Die Eiergänge sind kurz und
dienen sowie die obere Röhre als Behälter für die reifenden
Eier (Fig. 7), wodurch sie sehr erweitert und sackförmig
werden und durch ihre Grösse die Eiröhren sehr übertreffen.
Sie münden getrennt in die längliche, walzenförmige Scheide
ein, welche sich, ohne andere Anhänge zu tragen, durch den
unter dem Rande der Subgenitalplatte verborgenen Genital-
porus nach aussen öffnet
Aus dem geschilderten ersehen wir, dass bei Capnia ein
bedeutender Unterschied in dem Grade der Differentiation
zwischen Männchen und Weibchen besteht. Das Weibchen
scheint eine niedrigere Entwicklungsstufe einzunehmen, was
durch die einfache Form der Geschlechtstheile, durch das
Fehlen von Nebenanhängen (Receptaculum seminis und
Schleimdrüsen), sowie durch die einfache Form der Sub-
^02 Fr. Klapiilek.
Rückenseite unterhalb des Randes dc> : . j
ein horniger Höcker, welcher auf sein.
drückt ist, wodurch er die Form eines .; .- '
bekommt und übergeht dann in einen la:..,
zurück nach oben gekrümmten Fortsatz (T..*
welcher deutlich aus zwei Seitenklappen be>r :
ist auf der Rückenseite durch eine besonder.. . i
den übrigen Theilen abgeschieden.
Die inneren Geschlechtstheile des M..
haben einen unpaaren Hoden, der auf der li...
Darmes ruht; er besteht aus einem ziemlich -: .
schaftlichen Gange, auf dessen jeder Seite neun V ^
bläschenartige Hodendrüsen sitzen. Hinter dem
dieser Bläschen theilt sich die einfache Röhre :.,
dünne Samengänge, die massig lang sind, sich je
Seite des Darmes nach unten ziehen und unterlral'- -
in eine mächliLTe Samenblase einmünden. Diese h '
einer Schleife und ihr Lumen ist vielmals grösser
Samengänge, Bei jungen, noch unreifen Exempi
einfach schlingenförmtg und verbindet in der bei Üiay i
und Ch!oropt*riä beschriebenen Weise beide SamcfliQkMH
gerade 2ur GenitaJöffnung sich ziehen; spS^r. {n i}^^^
wie sie sich mit der Samen flüssigkfiit füUt, bekommt sie 4
Übergewicht, dass sie init den Endabscbnitteii dcf S
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703
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^Üi wieder nach oben.
704 Fr. Klapälek,
genitalplatte angezeigt wird, wogegen das Männchen manche
Merkmale trägt, die auf eine bedeutend höhere Stufe zeigen.
Obwohl die bis ans Ende getrennten Samengänge und der
Mangel eines besonderen Samenausführungsganges auf eine
niedrigere Stufe deuten, sehen wir den grössten Fortschritt in
den äusseren Theilen des Geschlechtsapparates. Die Genital-
öffnung befindet sich auf der Spitze eines hornigen Röhrchens,
welches also eine einfache und niedrigere Form der Ruthe
vorstellt, von welcher sie sich besonders dadurch unterscheidet,
dass sie nicht zurückgezogen werden kann. Die eigene Function
der Ruthe obliegt aber hauptsächlich dem unpaaren, aber doppelt
angelegten, dorsalen Fortsatze, dessen Ursprung natürlich mit
der Ruthe nichts gemeinschaftliches hat. Obwohl hier die
zehnte Bauchplatte verhältnissmässig gut ausgebildet ist, so
finden wir doch keine Subanalklappen; es liegt die Vermuthung
sehr nahe, dass sie zur Ausbildung des unpaaren, penisartigen
Fortsatzes beigetragen haben, obwohl sie auf diese Weise weit
nach oben verschoben sein würden.
Nemura inconspicua Pict.
(Taf. III. Fig. 8 — 17.)
Auf dem männlichen Hinterleibe sind nur neun Seg-
mente deutlich entwickelt. Das neunte ist auf dem Rücken
massig dreieckig ausgeschnitten (Taf. III, Fig. 9); sein Ventral-
bogen trägt nahe der Wurzel einen schmalen, länglichen Fort-
satz mit fast parallelen Seiten und abgerundetem Ende; seine
Fläche ist (Taf. III, Fig. 8 und 11) ähnlich wie bei anderen
Nemura -Arten in drei Felder getheilt, von denen das mittlere
in einen dreieckigen, an den Seiten ausgeschnittenen und am
Grunde eingedrückten Zipfel verlängert ist (Fig. 1 1). Bei Indivi-
duen, die, wenn auch nur schwach eingetrocknet sind, schiebt
sich dieser mittlere Zipfel mit seinem eingedrückten Grunde
theilweise unter das mittlere Feld des neunten Segmentes, und
es scheint, als ob er einen selbständigen Abschnitt bilden
würde, was noch dadurch erhöht wird, dass er eine rinnen-
artige Form annimmt. An seiner Spitze mündet der Ductus
ejaculatorius. Das zehnte Segment bleibt auf dem Rücken
weich, häutig, auf den Seiten ist es stark geschwollen und
Geschlechlstheile der Plecopteren. 705
mit einem stumpf dreiecl^igen Chitinschildchen bedeckt Von
dem ventralen Rande dieser seitlichen Chitinschildchen ziehen
sich gegen die Mittellinie zwei Chitinstreifen (Taf. III, Fig. 12),
■ welche an der Mittellinie selbst nach hinten sich umbiegen und
in zwei Chitingräten auslaufen, die in der Ansicht von unten
stumpf enden, vom Grunde an divergiren und dann wieder sich
mit den Enden gegeneinander biegen; in der Seitenansicht
erscheinen sie am Grunde viel stärker, gegen die recht scharfe
Spitze allmälig verjüngt und in einem massigen Bogen nach
oben gekrümmt. Beide Chitinstreifen vertreten die Ventralplatte
des zehnten Ringes und die Chitingräten sind die abstehenden
selbständigen Abschnitte derselben. Vom Grunde beider Chitin-
gräten zieht sich in der Mittellinie der Hinterwand des letzten
Ringes eine Furche, die die Griffel an ihrer Basis von einander
trennt und unter der Supraanalklappe an dem After endet.
Jederseits von dieser Furche ist die Haut mit spärlichen, kurzen
Börstchen besetzt. Die Griffel (Taf. III, Fig. 9 und 10) sind zwar
nur eingliedrig, aber sehr mächtig entwickelt; sie stützen sich
an die seitlichen Chitinplättchen des zehnten Ringes; ihre Basis
ist auf der Bauchseite in einen grossen halbkugeligen Lobus
erweitert, welcher ebenso wie Cerci selbst mit zahlreichen
Borsten besetzt ist. Die eigentlichen Griffel selbst sind in der
Ansicht von unten und von der Seite walzenförmig, in der
Ansicht von oben ein wenig abgeflacht und gegen die Spitze
erweitert; in der Seitenansicht bemerken wir auf ihnen vor der
Spitze eine kreisförmige, weiche Stelle, die ein Rudiment des
zweiten Gliedes trägt. Zwischen den Wurzeln der Griffel und
der Furche, welche sich von den Chitingräten gegen den After
zieht, steht jederseits ein lang konischer, an der Spitze abge-
stumpfter und mit kurzen Börstchen besetzter, griffeiförmiger
Anhang, der den Subanalklappen entspricht; diese Anhänge
divergiren. Der After befindet sich über ihnen. Es bleibt uns
noch übrig, den wichtigsten und complicirtesten Theil der
Genitalanhänge, nämlich den dorsalen Fortsatz, zu be-
schreiben. Wie schon oben gesagt worden ist, bleibt der
mittlere, dorsale Theil des zehnten Ringes weich, senkt sich
nach unten, verengt sich in der Ansicht von oben dreieckig
und sein verengtes Ende biegt sich wieder nach oben.
706 Fr. Klapälek,
Auf der Bauchseite ist er mit einer glatten Furche versehen, die
sich vom Grunde fast bis an die Spitze zieht und mit zwei
starken Chitinleisten begrenzt ist, welche ein wenig vor der
Spitze des Fortsatzes stumpf endigen. Auf jeder Seite des Fort-
satzes zieht sich ein Chitinstreifen, der an dem Ende die Chitin-
leisten etwas überragt, erweitert ist und beide zusammen eine
seichte Grube urnschliessen, in welche die Spitzen der Chitin-
leisten ein wenig hineinragen (Taf. III, Fig. 13). Die Dorsalfläche
ist einfach und zeigt der Länge nach keine Theilung, ist schwach
chitinisirt und nur quer über die Wurzel zieht sich ein drei-
eckiges Chitinplättchen, dessen Hinterrand mit einigen Spitzen
besetzt ist.
Die inneren Genitalien bestehen (Taf. III, Fig. 14) aus
einem büschelförmigen, aus etwa 14 länglichen Drüsen zu-
sammengesetzten Hoden; jede Drüse ist gegen die Spitze
etwas dünner und mündet durch eine schmale Öffnung in den
kurzen gemeinschaftlichen Gang ein, der sich sogleich in zwei
dünnere, massig lange Samengänge theilt. Diese sind in ihren
unteren Theilen stärker, wenden sich wieder nach vorne zurück,
und indem sie sich vereinigen, bilden sie eine kurze, starke,
quergehende Röhre, die in der Mitte ihrer Hinterwand in ein
kurzes, dünnes Röhrchen übergeht, welches sich in eine läng-
lich elliptische Samenblase erweitert. Die Samenblase verengt
sich dann auf dem entgegengesetzten Ende in einen kurzen,
ziemlich starken Samenausführungsgang, der, wie oben gesagt,
an der Spitze des mittleren Zipfels des neunten Segmentes nach
aussen mündet.
Beim Weibchen setzt sich das Abdomen aus zehn deutlich
entwickelten Ringen zusammen, von denen aber die Ventral-
platte des letzten theilweise verdeckt ist. Die Subgenital-
platte (Taf. III, Fig. 15) ist hier auf dem siebenten Segmente
ausgebildet; sie ist sehr breit, nimmt die ganze Bauchfläche
des Ringes ein und läuft nach hinten in einen stumpf drei-
eckigen Zipfel aus, dessen Ende in eine längliche, ihm genau
entsprechende Vertiefung des achten Segmentes hineinpasst,
dessen horniges Integument durch dieselbe unterbrochen ist
und in ihr häutig wird. Der Hinterrand desselben Ringes ist
jederseits von der Spitze der Subgenitalplatte in einen niedrigen
Geschlechtstheile der Plecopteren. 707
Höcker erhoben. Das Hinterleibsende ist normal entwickelt. Die
Dorsalplatte des zehnten Segmentes ist auf dem Hinterrande
stumpf dreieckig verlängert, und unter dem Rande desselben
erhebt sich die höckerartige Supraanalklappe. Cerci sind kurz
stümmelartig und eingliedrig; die Subanalklappen breit, drei-
eckig an der Spitze abgestumpft.
Die inneren Genitalien haben sehr zahlreiche Eiröhren,
die auf der Ober- und Aussenseite der beiden mit ihren Vorder-
enden verwachsenen Eiergänge gestellt sind; die Eiergänge
selbst münden getrennt in die Scheide ein (Taf. III, Fig. 16
und 17), zu deren Hintertheile sich der Samenbehälter gesellt;
dieser ist röhrenartig, zieht sich an der rechten Seite der Scheide
nach hinten, wendet sich wieder nach vorne, dann wieder nach
hinten und ist zuletzt spiralförmig eingewickelt. Die mittlere
Biegungsstelle ist fest mit der Hinterwand der Scheide ver-
bunden.
Nemura lateralis Pict.
(Taf. IV, Fig. 1 — 7.)
Das männliche Abdomen besteht aus zehn Ringen, von
denen aber nur die ersten neun deutlich sind. Das erste Segment
zeigt auf der Bauchseite eine Querfurche, die zwei Abschnitte
bildet; der erste von beiden entspricht dem hinteren, hinter der
Insertionsstelle der Hinterbeine liegenden Theile des Meta-
sternum, der zweite ist die eigentliche erste Bauchplatte. Der
neunte Ventralbogen (Fig. 1) ist durch zwei tiefe Längsfalten in
drei Felder getheilt; das mittlere ist dunkler (dunkelbraun, die
seitlichen sind heller braun), hat die Form eines symmetrischen
Fünfeckes und trägt auf dem Grunde einen verhältnissmässig
langen und schmalen Anhang, dessen Ende abgerundet ist, und
welcher auf der äusseren (Bauch-) Seite weiss ist und einer
hornigen Cuticula entbehrt In Folge dessen vertrocknet stark
auf trockenen Exemplaren dieser mittlere Theil und der Anhang
erscheint ausgehöhlt. Der zehnte Ring ist bedeutend abgeändert
und dem Copulationszwecke angepasst Als ein Ring ist er nur
auf dem Rücken und an den Seiten entwickelt. Auf dem Rücken
(Taf. IV, Fig. 3) ist er ein wenig verlängert, dreieckig ausge-
randet; dann neigt er sich nach unten und übergeht in den
708 Fr. Klapälek,
dorsalen Fortsatz; auf den Seiten ist er durch eine Querfurche
in zwei Theile geschieden, von denen der endständige stumpf
dreieckig ist. Auf den Seiten endet das Chitinschildchen des
zehnten Ringes mit abgerundeten Rändern. Cerci haben nur
das erste Glied entwickelt, welches aber eine merkwürdige
Form hat; seine Innenseite ist weich, häutig, die Aussenseite
und das Ende sind hornig; seine Basis ist ein wenig verdickt
und das Ende ist auf der Aussenseite in einen kurzen, starken
Zahn verlängert. Da der hornige Theil des Integuments vor
dem Ende auf der Innenseite bogenförmig ausgeschnitten und
durch ein feines Häutchen vertreten ist, erscheinen bei trockenen
Exemplaren die Cerci viel dünner und an der Spitze jederseits
in einen konischen Zahn ausgezogen; denn der häutige Theil
schrumpft vollkommen zusammen. Auf der Bauchseite finden
wir ganz vor dem Ende eine häutige, kreisförmige Stelle, welche
ein kleines, horniges Höckerchen, oder sogar ein kurzes Glied,
auf dessen Ende das Höckerchen sitzt, trägt. Die Sub anal-
klappen sind bedeutend gross, stumpf dreieckig und zwischen
ihren Grundtheilen (Taf. IV, Fig. 4) liegt das Endzipfel des
mittleren Feldes vom neunten Ventralbogen. Der dorsale Fort-
satz hat eine fingerförmige Gestalt (Taf. IV, Fig. 3, 5 und 6),
ist zweigliedrig, am Grunde fast walzenförmig, weiter aber von
oben und unten etwas zusammengedrückt. Sein Ende (Taf. IV,
Fig. 6) ist tief gespalten und jeder Abschnitt ist für sich abge-
rundet; die Dorsalfläche ist mit .einem Chitinplättchen bedeckt,
dessen Ränder mit 5 — 6 Rückenhaken bewehrt sind. Die Bauch-
fläche ist etwas vertieft und vom unteren Rande dieser Aus-
höhlung erhebt sich ein häutiger Fortsatz, der am Grunde mit
einer Spalte versehen ist und sich vor dem Ende an zwei Chitin-
streifen stützt. Jeder von diesen Streifen zieht sich auf der
Innenseite der Vertiefung und läuft an dem Ende des häutigen
Fortsatzes in einen kurzen, aber starken Zahn aus. Der ganze
dorsale Fortsatz kann nach Belieben verlängert und verkürzt,
gehoben und gesenkt w^erden.
Wenn wir diese letzten Ringe von unten betrachten, so
sehen wir zuerst die drei Felder, in welche die neunte Bauch-
platte zerfällt; auf die Seitenfelder folgen die dreieckigen, nach
unten reichenden Seitentheile des zehnten Ringes; der End-
Geschlechtstheile der Flecopteren. 709
Zipfel des Mittelfeldes senkt sich zwischen die dreieckigen Sub-
analklappen, welche zwischen den Seitentheilen des zehnten
Ringes liegen. Zwischen ihnen und dem Hinterrande des
zehnten Ringes sind die Griffel eingefügt, und unter allen
diesen Theilen sehen wir die quergerunzelte Bauchfläche des
dorsalen Fortsatzes. In der Ansicht von oben sehen wir in der
Mitte das Ende des dorsalen Fortsatzes auf dem dreieckigen
Ausschnitte des zehnten Ringes ruhend.
Die inneren Geschlechtstheile (Taf IV, Fig. 7). Der
einfache Hoden besteht aus einem Büschel von 14 Samen-
röhrchen, die auf einem kurzen, gemeinschaftlichen Gange
sitzen, welcher sich aber gleich in zwei Samengänge theilt.
Jedes Hodenröhrchen ist gegen die Spitze etwas verjüngt,
unten auf der Wurzel selbst so eingeschnürt, dass es nur
durch eine kleine Öffnung mit dem Gange communicirt. Die
Samengänge sind massig lang und verbinden sich zu einem
stärkeren Ausführungsgange, welcher vor dem Ende sich noch
einmal zurückbiegt und dann an der Spitze des Mittelfeldes
vom neunten Ventralbogen nach aussen mündet. Dieses Ende
ist zwar stumpf, aber auf der Innenseite kielförmig verdickt
und mit starken Retractoren versehen.
Nemura variegata Oliv.
(Taf. IV, Fig. 8—18.)
Das männliche Abdomen besteht aus zehn Ringen, von
denen aber die zwei letzten für Fortpflanzungszwecke modi-
ficirt sind. Die neunte Bauchplatte (Taf IV, Fig. 8) ist in drei
Felder getheilt; das mittlere ist eiförmig mit zweimal wellen-
förmig ausgekerbten, seitlichen Umrissen und an dem Ende in
einen dreieckigen, zugespitzten Zipfel massig verlängert; der
den übrigen hinteren Umriss des neunten Segmentes über-
ragende Theil ist querrunzelig. Am Grunde entspringt ein
zungenförmiger, länglicher Anhang mit parallelen Seitenrändern
und abgerundetem Ende. Von den Seitenfeldern ist dieses
Mittelfeld durch tiefe Längsfalten abgesondert, welche aber
nicht bis zum Grunde des Segmentes reichen. Der dorsale
Theil desselben Ringes (Taf IV, Fig. 12) ist sehr verschmälert
und erweitert sich allmälig gegen die Seiten, so dass an dem
710 Fr. Klapälek.
Mittelfelde die Länge der Seitenfelder die grösste ist. Das
zehnte Segment ist nur auf dem Rücken entwickelt; auf den
Seiten endet es unter den Griffeln. Sein Hinterrand ist in der
Mitte eingedrückt und jederseits in eine stumpfe, concave
Kannte gebrochen. Auch das, dasselbe bedeckende Chitin-
schildchen ist jederseits in einen massig scharfen Winkel aus-
geschnitten. An den Seiten unterhalb der Griffel ist derselbe
Ring wieder dreieckig erweitert, es ist aber durch eine seichte
Furche ein dreieckiger Theil davon abgeschnitten. Die Griffel
(Taf. IV, Fig. 11) sind stark, am Grunde massig erweitert und
in der Seitenansicht ist ihr einfach zugespitztes Ende nach
unten gebogen. In der Ansicht von oben sehen wir aber, dass
auf dem oberen Rande das Ende auch nach innen klauenartig
verlängert ist, und unter ihm etwas vor der Spitze die Innen-
fläche einen weichen, konischen Höcker bildet, welcher auf der
Bauchseite noch die Spuren der übrigen Glieder in der Form
eines Chitinknöpfchens zeigt. Dieser Höcker ist dicht beborstet
und auf der Spitze mit einen oder zwei kurzen, starken Domen
versehen. In der Ansicht von unten sehen wir, dass die Spitze
des Mittelfeldes vom neunten Ventralbogen sich zwischen zwei
subtrianguläre, flache Lobi hineinschiebt (Taf. IV, Fig. 14»,
an deren andere Seiten sich die Cerci anlehnen; ihre Innen-
kante ist convex bogenförmig, das Ende stumpf und die
äussere Kante unter der Spitze einmal zahnartig ausge-
schnitten und unterhalb des Ausschnittes concav bogenförmig.
Die hornige Fläche dieser Lobi bildet auf der Aussenseite eine
schmale Verlängerung, die sich zwischen der Griflfelwurzel und
dem Hinterrande der Seitentheile des zehnten Segmentes zieht
und ein klein wenig oberhalb des Griffels auf der Rückenseite
endet. Von oben ist nur ein schmaler Streifen von diesem Aus-
läufer sichtbar, der sich an das Häutchen der durch den einge-
drückten Hinterrand des zehnten Segmentes gebildeten Mulde
beifügt, was darauf hinweist, dass diese Lobi zu dem zehnten
Ringe als eine Bauchplatte nicht gehören, sondern einen selbst-
ständigen Anhang, und zwar die Subanalklappen vorstellen. Der
dorsale Fortsatz ist sehr stark und breit Sein ventraler End-
zipfel ist lanzettförmig und überragt ein wenig den Hinterrand
der durch ihn verdeckten Vertiefung. Die Seitenränder derselben
Geschlechtstheile der Plecopteren. 711
sind mit Rückhaken bewehrt und der Hinterrand ist mit spär-
lichen, kleinen Dornen besetzt Der ganze äussere Rand des
queren Chitinstreifens, welcher beide Glieder des Fortsatzes
theilt und in der Mittellinie in einen scharfen Winkel nach
vorne ausläuft, ist mit kleinen, eine feine Säge bildenden,
Spitzen versehen.
Die inneren männlichen Genitalien der iV. variegata
zeigen dieselbe Anordnung wie N. lateralis.
Auf dem Abdomen des Weibchens finden wir zehn Seg-
mente. Wie bei iV. lateralis ist hier die Subgenitalplatte schon
auf dem siebenten Segmente ausgebildet (Taf. IV, Fig. 18).
Diese (Fig. 18) ist viereckig, nach hinten etwas schmäler mit
einem im stumpfen Winkel gebrochenen Hinterrande; sie reicht
bis an den Vorderrand des neunten Ringes. Die achte Bauch-
platte ist in der Mittellinie der Länge nach gespalten und von
der Genitalöffnung eingenommen. Sein Hinterrand ist sammt
dem Vorderrande des nächsten Ringes erhoben und bildet so
eine untere Lippe, über welche sich das Ende der Subgenital-
platte legt. Wir können besonders in der Seitenansicht beob-
achten, wie mächtig die Subgenitalplatte gewölbt ist.
Zufälligerweise habe ich nur junge Weibchen zergliedert,
deren Geschlechtstheile noch nicht völlig ausgebildet waren.
Die sehr zahlreichen Eiröhren sitzen auf einem kurzen gemein-
schaftlichen Gange, welcher sich in zwei getrennt in die Scheide
einmündende Eiergänge theilt. Die Scheide ist mit sehr starker
Muskulatur versehen, und von einer eiförmigen Gestalt; zu ihr
gesellen sich noch zwei Anhänge, von denen der vordere eine
weite Mündung hat, auf dem vorderen Theile der Scheide sitzt
und schlüsseiförmig ausgehöhlt ist, wodurch er die Gestalt
eines ausgeleerten und geschrumpften Bläschens bekommt; der
andere, welcher sich etwa in der Mitte der Rückenfläche inserirt
besteht aus einem stielartigen Röhrchen, welches in ein ei-
förmiges Bläschen führt Es unterliegt, glaube ich, die Bedeutung
beider Anhänge keinem Zweifel; der hintere ist ein Samen-
behälter, und der vordere kann nichts anderes sein, als eine
Bursa copulatrix. Er stellt eine sackartige Erweiterung der vor-
deren Scheidenwand dar, welche sicher nothwendig ist, um din
ruthenartigen dorsalen Fortsatz aufzunehmen und festzuhalten.
Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; CV. Bd., Abth. I. 47
712 Fr. Klapälek,
Wenn wir jetzt noch einen Blick auf die hier geschilderte
Organisation der Geschlechtstheile von den drei beschriebenen
Nemura-Arten werfen, finden wir, dass dieses Genus in drei gut
begrenzte und charakterisirte Gruppen zerfällt: 1. A^. incon-
spicnUy 2. N. varingata, lateralis, cambrica und Verwandte und
3. N. cinerea, marginata, Meyeri, Ich habe leider nicht Gelegen-
heit gehabt die Anatomie einer Art aus der dritten Gruppe zu
Studiren, weil die ebene Umgegend von Wittingau das nöthige
Material nicht bietet, doch kann ich auf die Arbeit von
Dr. Gerstäcker »Über das Vorkommen von Tracheenkiemen
bei ausgebildeten Insekten« (Sieb. Zeitschrift XXIV., p. 239 u. f.)
hinweisen,welche eine gründliche Beschreibung der Geschlechts-
theile von N. marginata Pict. (aber als A^. lateralis Pict. an-
geführt) enthält.
Ein für dieses Genus charakteristisches obwohl mit dem
Genus Capnia gemeinschaftliches Organ ist der ruthenförmige
dorsale Fortsatz. Auch dieses Genus bietet uns keine directe
Erklärung seiner morphologischen Bedeutung und seines Ur-
sprunges, doch so viel wenigstens ist sicher, dass die Subanal-
klappen sich an seiner Ausbildung nicht betheiligen, da beide
bei Nentitra vollkommen ausgebildet vorkommen. Da der After
unterhalb seiner Wurzel sich öffnet und er die Lage der bei
anderen Geschlechtem entwickelten Supraanalklappe einnimmt,
so sehen wir uns genöthigt, denselben nur als eine zu Copu-
lationszwecken stark modificirte und enorm verlängerte Supra-
analklappe zubetrachten. Doch wirdürfen nicht mitStillschweigen
den wichtigen Umstand übergehen, dass er eine paarige Zu-
sammensetzung aus zwei symmetrisch gestellten Theilen zeigt,
was besonders auf seinem Ende sehr auffallend ist, wogegen
die Supraanalklappe bei anderen Arten, wo sie nicht so mächtig
entwickelt ist, als ein einfacher unpaarer Höcker erscheint.
Alle drei hier beschriebenen Arten, so wie auch die
A^. marginata haben das gemeinschaftlich, dass der zehnte
Ring nur auf den Seiten normal chitinisirt ist; der mittlere Theil
seines Rückenbogens bleibt weich und häutig, und über ihn
legt sich in der Ruhe das Ende des ruthenartigen Fortsatzes.
Cerci sind beim Weibchen kurz einfach und stümmelartig,
beim Männchen sind sie verschiedenartig modificirt und bieten
Geschlechtstheile der Plecopteren. 713
sehr gute Artmerkmale. Allen Nemtira- Arten ist auch der Um-
stand gemeinsam, dass sich die männliche Geschlechtsöfifnung
auf der Spitze des Zipfels befindet, welchen das Mittelfeld der
neunten Ventralplatte bildet. Beide Subanalklappen sind voll-
kommen entwickelt und haben bei der ersten Gruppe eine
schmal kegelförmige, bei den zweiten eine abgerundet drei-
eckige Gestalt, bei der dritten sind sie in eine krumme Spitze
vorgezogen und legen sich von den Seiten an den dorsalen
Fortsatz an. Die Weibchen haben das Hinterleibsende normal
entwickelt, aber zeichnen sich vor anderen Arten dadurch aus,
dass die Subgenitalplatte schon auf dem siebenten Segmente
sich befindet, wogegen sie bei den übrigen auf dem achten ist.
Theilweise lässt sich diese Abweichung dadurch erklären, dass
die Genitalöfifnung bei Nemura in Folge des sehr voluminösen
Begattungsapparates sehr weit ist und fast die ganze Länge
des achten Segmentes einnimmt; es reicht bei Nemura der
Hinterrand der Subgenitalplatte ebenso weit, nämlich an die
Basis des neunten Ringes, wie bei übrigen Gattungen.
Die inneren männlichen Geschlechtstheile unterscheiden
sich ebenfalls von denen aller vorhergehenden Gattungen da-
durch, dass die Hodendrüsen die Form von blinden, kurzen
Gefassen haben, die auf einem kurzen gemeinsamen Gange
sitzen, welcher sich in zwei selbständige Samengänge theilt.
Es ist sehr auffallend, dass Dr. Gers tack er bei A^. marginata
die Hoden als zwei lange Gefässe schildert, welche sich dann
zu einem unpaaren Ausführungsgange verbinden, welche Form,
so weit mir bekannt ist, bei Plecopteren nicht vorkommt.
Ich kann nicht die Bemerkung unterdrücken, dass es
Dr. Gers tack er nicht gelungen ist, die ganzen Genitalien
heraus zu präpariren, so dass die Hoden selbst abgerissen
und die langen Gefässe nur ihre Ausführungsgänge sind. Ich
bedaure noch einmal, dass ich nicht Gelegenheit gehabt habe,
selbst diese Art zu zergliedern und so diese interessante Frage
zu lösen. Der unpaare Theil des Samenganges ist bei A^. incon-
spicua in eine elliptische Samenblase erweitert. Die weiblichen
Geschlechtstheile haben die Ovarien mittelst eines gemeinsamen
Ganges verbunden. Wir finden grosse Unterschiede zwischen
einzelnen Gruppen in der Zahl und Form der Scheidenanhänge.
47*
714 Fr. Klapälek,
Die zweite Gruppe ist durch eine mächtig entwickelte Bursa
copulatrix ausgezeichnet.
Es zeigen also die drei Gruppen so grosse Unterschiede,
dass es nothwendig sein wird, diese Gattung in drei Sectionen
zu theilen, welche gewiss später zu selbständigen Gattungen
erhoben werden:
I. Gruppe: Der Dorsalfortsatz ist weniger vollkommen
entwickelt; er bleibt dünn und ziemlich flach; die SubgenitaU
klappen sind kegelförmig; die Ventralplatte des zehnten Seg-
mentes ist in zwei säbelförmige Chitingräten verlängert;
Cerci sind länger; der Samenausführungsgang ist in eine
Samenblase erweitert; Receptaculam seminis lang gefassartig.
IL Gruppe: Der Dorsalfortsatz ist stark und kurs:, die
Subgenitalklappen flach abgerundet, dreieckig; Cerci länger
von verschiedener Form; die Scheide mit einer starken Bursa
copulatrix.
III. Gruppe. Der Dorsal fortsatz ist länger und schlanker;
Subgenitalklappen in eine Spitze vorgezogen und an den Fort-
satz eng anliegend; Cerci kurz; Hoden einfach gefässartig.
Taeniopteryx nebulosa L.
Taf. V, Fig. 1—11.
Das männliche Abdomen hat auf dem Rücken und
Bauche neun vollkommen entwickelte Segmente. Auf der
Bauchseite ist der erste Ring sehr kurz. Die Ventralplatte des
neunten (Taf. V, Fig. 1) bildet die Subgenitalplatte; diese ist
jederseits durch eine Längsfalte begrenzt und hinten halbkreis-
förmig erweitert; diese Erweiterung ist aber jederseits von dem
Basaltheile durch eine Querfalte abgesondert, die sich von dem
Seitenrande gegen die Mittellinie ziehen, hier aber sich nicht
vereinigen, sondern ziemlich weit unterbrochen bleiben, so dass
der mittlere Theil der Ventralplatte direct und ununterbrochen
in den Endtheil übergeht. In der Seitenansicht (Fig. 3) scheint
es als ob der Endtheil ein selbständiges Segment wäre, welches
die Bauchplatte des zehnten Segmentes repräsentiren würde.
Dass es sich nicht so verhält, zeigt uns am besten die Ansicht
von unten. Etwa im ersten Drittel der Länge des basalen Theiles
der Subgenitalplatte erhebt sich ein thränenförmiger, glänzender.
Geschlechtstheile der Plecopteren. 715
glatter und brauner Anhang, welcher mit dem dünneren Theile
angewachsen und mit dem stärkeren direct nach hinten gerichtet
ist, so dass er nur wenig von der Bauchfläche absteht. Auf der
Rückenseite ist das neunte Segment kurz und trägt auf seinem
Hinterrande in der Mitte ähnlich wie auch das achte eine kleine
knoplTörmige Erhöhung. Das zehnte Segment (Taf. V, Fig. 2)
ist oben sehr kurz, wird aber auf den Seiten länger und endiget
schief dreieckig, indem es neben dem Seitenrande der Sub-
genitalplatte schräg zugeschnitten ist. Hinten ist es durch eine
schiefe Fläche verschlossen, welche aus drei Theilen besteht:
aus einem trapezoiden mittleren und jederseits aus einem
seitlichen dreieckigen Theile; zwischen dem mittleren und
den beiden seitlichen Theilen zieht sich von dem seitlichen,
durch den Hinterrand des zehnten Segmentes gebildeten
Winkel neben der Wurzel der Cerci bis zum hinteren Umrisse
des mittleren Feldes eine seichte muldenartige Vertiefung. Die
Seitentheile umschliessen mit ihrer unteren Kante die Wurzel
der Cerci. Unter dem Hinterrande des mittleren Feldes ist die
Hinterwand eingedrückt, so dass der Hinterrand selbst als eine
Querkante hervorragt, unter welcher sich der mediane Lobus
(Fig. 5) wieder erhebt. Er ist auf seiner Wurzel ringsum von
einem starken, auf der Bauchseite erweiterten, Chitinreifen
umschlungen, welcher auf der eingedrückten Dorsalseite in
zwei etwas vorragende mit feinen und kurzen Haaren be-
setzte und an dem Gipfel des Höckers sich endigende Chitin-
' streifen verlängert ist. Der Grundriss von diesem Höcker ist
in der Ansicht von vorne breit eiförmig, unten bogenförmig
gewölbt, oben massig ausgeschnitten; von der Seite erscheint
er wie ein an der Spitze kugelig abgerundeter Kegel. Cerci
sitzen auf einem breiten basalen Theile (Taf. V, Fig. 4),
welcher oben rings um das Grififelglied durch einen starken
Chitinstreifen verstärkt ist; dieser verlängert sich auf der gegen
die Mittellinie gekehrten Seite bis zu dem medianen Lobus,
und auf der Aussenseite bis zu der Seitenkante des zehnten
Ringes in einen schmalen, starken, hornigen Seitenstreifen.
Auch entlang der Basis des Grundtheiles zieht sich ein starker
Chitinstreifen, welcher aber auf der Innenseite sich im rechten
Winkel wieder nach vorne umbiegt und an der Spitze von der
716 Fr. Klapälek,
Übrigen Oberfläche absteht, wodurch er einen starken, dom-
artigen, hornigen Fortsatz bildet, welcher in der Ansicht von
oben aus der Spalte zwischen der Subgenitalplatte und den
oberen Theilen hervorragt. Die übrige Fläche dieses Grund-
theiles ist mit langen Borsten besetzt. Die eigentlichen Griffel
bestehen aus einem einzigen walzenförmigen Gliede, welches
mit kurzen Börstchen besetzt ist. Auf der hinteren Seite ist er
abgeflacht und trägt in einer seichten Vertiefung einen kleinen
Höcker.
Die inneren Geschlechtstheile (Taf. V, Fig. 6) sind
ähnlich entwickelt wie bei Taeniopteryx irifasciaia, mit der
Ausnahme, dass der Ein- und Ausführungsgang der Samen-
blase nicht so lang verbunden sind, wodurch die Samenblase
selbst mehr abgerundet und verhältnissmässig breiter wird. Die
Mündung des Ausführungsganges der männlichen Genitalien
öffnet sich auf einem kleinen Wärzchen, welches zwar mehr
als bei T. trifasciata hervorragt, aber vor der Öffnung selbst
keine besonderen hornigen Schildchen trägt. Über ihr und
unterhalb des medianen Höckers öffnet sich der After.
Das Weibchen hat einen aus zehn deutlichen Ringen
bestehenden Hinterleib; auf der Bauchseite sehen wir aber nur
neun Ventralplatten, da der letzte Ring nur oben hornig ist;
seine verschmälerten Seitenenden reichen bis unter die Wurzel
von Cerci, und zwischen diesen Enden ist die Cuticula nur
massig chitinisirt und bildet keinen besonderen Ventralbogen.
Das achte Segment trägt den Genitalporus (Taf. V, Fig. 7), und
zwar nicht an dem Hinterrande, sondern vor demselben auf der
Fläche selbst. Es bildet sich aber keine besondere Subgenital-
platte; die Ventralplatte bildet eine runde Vertiefung, deren
Vorderrand in einen kleinen, harten, viereckigen, an dem Hinter-
rande etwas ausgeschnittenen Fortsatz verlängert ist; dieser
bedeckt von oben zwei subtrianguläre, weiche, fein warzige
Läppchen (Taf. V, Fig. 8), nämlich die eigenen Seitenlippen
der Geschlechtsöffnung, welche zwischen ihnen sich befindet.
Die Bauchfläche des neunten Ringes ist hinten halbkreisförmig
verlängert, an den Seiten und vorne durch eine Falte begrenzt,
in der Mitte etwas gewölbt und von einem breit eiförmigen
Umrisse; durch diese Gestalt erinnert sie auffallend an die
Geschlechtstheile der Plecopteren. 717
Subgenitalplatte. Unterhalb des Hinterrandes des zehnten
Ringes erhebt sich ein eiförmiger, stark chitinisirter, auf der
Rückenseite eingedrückter Höcker (Taf. V, Fig. 9 und 10), der
in seiner Lage und Form dem medianen Lobus des Männchens
entspricht. Jederseits von ihm steht auf der Bauchseite ein in
der Seitenansicht massig gewölbter Lobus von einer in der
Ansicht von unten subtriangulärer, auf der Aussenseite im
rechten Winkel ausgeschnittener, auf der Innenseite bogen-
förmig gerundeter Form. In dem seitlichen Ausschnitte sitzen
die kurzen, etwa achtgliedrigen Cerci. Beide diese Ventral-
lappen entsprechen den Subanalklappen, weil zwischen ihnen
und dem dorsalen Lobus, der die Supraanalklappe bildet, der
After sich öffnet. Alle drei Analklappen sind mit kurzen
Härchen bedeckt.
Die inneren Geschlechtstheile bestehen aus zwei
Ovarien, die am Anfange verwachsen sind und von denen
jedes einen selbständigen Eiergang besitzt. Die Eiröhren sind
ungemein zahlreich. Die Eiergänge münden getrennt in die
Scheide ein und dienen als Behälter für die reifenden Eier.
Auf ihrem Hinterrande mündet in die Scheide das Recep-
taculum seminis, welches eine kugelige Gestalt hat und
in einen blinden, an seinem Grunde wieder etwas kugelig
erweiterten Fortsatz ausläuft.
Taeniopteryx trifasciata.
(Tal. V, Fig. 12—25.)
Das Männchen zeigt auf dem Rücken um ein Segment
mehr als auf dem Bauche, so dass wir bis zu den für Fort-
pflanzungszwecke modificirten Segmenten auf dem Rücken
acht, auf dem Bauche nur sieben vollkommene Ringe zählen.
Das erste Segment hat einen schmalen Dorsalbogen, und sein
Ventralbogen ist mit dem hinteren Theile des Metasternum
verwachsen. Der neunte dorsale Ring (Fig. 12) ist ebenfalls
kurz, nur auf den Seiten, wo er sich an den Ventralbogen
anschliesst, ist er bedeutend erweitert. Der zu ihm gehörige
Ventralbogen ist sehr verlängert und bildet eine grosse Sub-
genitalklappe, welche doppelt so lang ist wie der Seitenrand
des Dorsalbogens und alle hinter ihm gelegenen Theile über-
718 Fr. Klapälek,
ragt Sie trägt am Grunde einen in der Mittellinie situirten,
kleinen, wenig über die übrige Fläche erhobenen und nur an
der Spitze etwas abstehenden, blassen, kahlen, zungenförmigen
Anhang; der Hinterrand der Subgenitalplatte ist lippenartig
nach oben gebogen und durch drei seichte Einschnitte in
niedrige Läppchen getheilt. Das zehnte Segment (Taf. V, Fig. 2)
ist nur auf dem Rücken theilweise chitinisirt; es hat die Form
eines schmalen, querliegenden in der Mitte in ein seichtes
Grübchen vertieften Bogens, an dessen Hinterrand sich jeder-
seits vom Grübchen ein kurzes, aber breites, stumpf dreieckiges
Chitinschildchen ansetzt. Dieses ist an den Seiten mit einem
seitlichen, weit nach hinten reichenden Chitinschildchen eng
verbunden, so dass zwischen beiden nur eine schmale, einem
dreieckigen Ausschnitte ähnliche Stelle chitinfrei bleibt. Der
übrige Theil des Ringes, bis auf kleine Chitinplättchen, auf die
sich die Griffel stützen, ist weich, und zwar hauptsächlich aus
dem Grunde, dass er grösstentheils unter der grossen Subgenital-
platte verborgen ist. Auf der Rückenseite senkt sich die Hinter-
wand des Ringes hinter dem mittleren dorsalen Grübchen und
bei dpn seitlich von ihm liegenden dreieckigen Schildchen
schief nach unten und innen. Hinter dem Grübchen selbst ist
eine kleine dreieckige Stelle, welche etwas mehr chitinisirt ist
und hinter ihr wieder zieht sich in die Quere ein tiefer Eindruck,
aus welchem sich ein querellipsoider, stark chitinisirter, glatter,
glänzend brauner Lobus (Fig. 16) erhebt, welcher sich hinten
und unten in einen zungenförmigen Fortsatz verlängert; dieser
ist ebenfalls stark chitinisirt, derRuthe von einigen Trichopteren
nicht unähnlich, der ganzen Länge nach gleich breit und krümmt
sich wieder nach oben. Vor seinem Ende ziehen sich auf der
Bauchseite zwei kurze Längsleisten, zwischen welchen sich
eine rinnenartige Vertiefung zieht. Mit seiner Bauchseite hängt
sehr eng — so dass er mit dem ellipsoiden Lobus fortgerissen
wird, wenn wir diesen wegpräpariren wollen — ein weicher,
nur auf den Seiten schwach chitinisirter Anhang, welcher flach,
an der Spitze abgerundet und oben etwas vorgezogen und vor
dem so gebildeten Vorsprunge mit einer Öffnung versehen ist,
aus welcher drei starke Borsten hervorragen. Wenn wir den
ellipsoiden Lobus sammt seinen Anhängen herauspräpariren
Geschlechtstheüe der Plecopteren. 719
und darauf die drei Borsten verfolgen, finden wir in der Seiten-
ansicht, dass sie sich gleich hinter der Öffnung innerhalb des
untersten Anhanges wieder vereinigen und eine einfache Chitin-
gräte bilden, welche sich in den ellipsoiden Lobus zieht, dort
eine halbe Windung umschreibt und sich an der rechten Seite
auf der dorsalen Fläche befestigt. Ich war nicht im Stande die
Muskeln zu finden, welche sich auf dieselbe ansetzen und sie
bewegen würden; es geschieht wahrscheinlich durch die Be-
wegung des ganzen Lobus. Auf jeder Seite unterhalb des
medianen Lobus und seiner beiden Anhänge erheben sich
weiche Seitentheile, welche auf der Bauchseite eng verwachsen
sind und von den Seiten die zwischen ihnen gelegene After-
öffnung verdecken. Wenn wir eine lebendige Taeniopteryx
beobachten, sehen wir, dass diese Theile sehr beweglich sind,
und sich oft seitwärts öffnen und gegen die Mittellinie wieder
schliessen. Auf ihrem Seitenrande sitzen die Cerci (Fig. 15), ihr
Basaltheil ist nach innen und oben erweitert; in der Seiten-
ansicht erscheint er dütenartig vertieft und trägt auf der unteren
und äusseren Seite dieser Vertiefung ein kleines, kugeliges,
horniges Glied, welches auf dem Gipfel gewöhnlich noch ein,
aber sehr kleines, wärzchenförmiges, rudimentäres Glied trägt.
Ringsherum ist das erste Glied mit steifen Börstchen besetzt.
Den interessantesten Theil aller Anhänge bildet ein paariger, an
dem Hinterrande nur mittelst einer schmalen Basis befestigter
Apparat. Auf dem Hinterrande der rechten Seite, auf der unteren
Fläche des zehnten Ringes sehen wir (Taf. V, Fig. 14 und 17)
ein eigenthümliches Organ, welches aus einem kurzen aber
weiten, auf seiner Oberfläche chitinisirten Röhrchen besteht,
welches zwar auf der Bauchseite offen, aber durch einen drei-
eckigen und weichen Zipfel theilweise verdeckt ist; die Basis
von diesem Zipfel ist mit kurzen Fühlborsten besetzt. Innerhalb
des Röhrchens befindet sich die zweimal umgelegte Basis eines
starken peitschenformigen Anhanges, welcher auf der Innen-
seite weit aus dem Röhrchen hervorragt. Wenn wir diesen
Anhang unter stärkerer Vergrösserung untersuchen (Taf. V,
Fig. 18), sehen wir, dass sich auf ihm drei spiralförmige,
parallel gewundene, durchscheinende Lamellen ziehen, welche
ein klein wenig oberhalb der Stelle anfangen, wo der Anfang
720 Fr. Klapalek,
aus dem Röhrchen hervorragt; ihr Rand ist mit sehr feinen
Cilien besetzt. Auf der linken Seite befindet sich ein Organ,
welches eine ähnliche Zusammensetzung zeigt, aber kleiner
bleibt, nicht so stark chitinisirt ist und des peitschenförmigen
Anhanges völlig entbehrt. Der Zipfel, welcher auf dem recht-
seitigen Organe den offenen Theil des Röhrchens bedeckt, ist
zwar bei dem linkseitigen schmäler, dafür aber länger, ist an
dem gegen die Mittellinie gekehrten Rande mit einer Reihe von
starken Borsten besetzt und an der Basis auch mit feinen Fühi-
borsten versehen. Wenn wir jetzt die grosse Subgenitalplatte
beseitigen, indem wir dieselbe mittelst einer Schere abschneiden,
können wir die Bauchfläche des zehnten Bauchringes sehen.
Es ist nämlich die Subgenitalklappe, einen schmalen Streifen
am Grunde ausgenommen, vollkommen frei, und auf ihrer Innen-
seite ebenso, wie auf der Aussenseite mit steifen Börstchen be-
setzt. Kurz hinter der Stelle wo die zarte Innenwand der Sub-
genitalplatte wieder nach hinten, um die zehnte Bauchplatle zu
bilden, umbiegt, finden wir zwei symmetrisch an der Mittellinie
gelegene, kleine, dreieckige Chitinplättchen, welche sich etwas
abbiegen lassen. Wenn wir sie umbiegen oder abtrennen und
von der Rückenseite betrachten, sehen wir, dass sie von beiden
Seiten die Genitalöffnung schützen (Taf. V, Fig. 19). Der ven-
trale und dorsale Rand der Geschlechtsöffnung ist in ein kleines
rundliches Läppchen verlängert, wodurch sie die Form von
etwas geöffneten Lippen bekommen.
Die Hoden bestehen aus 12 — 11 eiförmigen Bläschen,
welche auf der dorsalen Seite des ziemlich starken und langen
Samenganges stehen; beide Samengänge sind an ihrem Anfange
verwachsen. Vor dem Ende sind sie durch eine kurze und weite,
schlingenförmige Samenblase verbunden; diese ist sehr stark
und übergeht gleich neben der Einmündung jedes Samenganges
wieder in einen Ausführungsgang. Beide Ausführungsgänge
sind bis zur Genitalöffnung getrennt und mit jedem von beiden
verbindet sich ein Ende einer ebenfalls schlingenförmigen
Schleimdrüse, deren Länge die Länge der Samenblase einmal
übertrifft.
Das weiblicheAbdomen zeigt auf der Dorsalseite zehn,
auf der Bauchseite nur acht deutliche Segmente, weil die Ven-
Geschlechtstheile der Plecopteren. 721
tralplatte des ersten mit dem Metasternum verwachsen ist und
jene des letzten fehlt. Die Genitalöffnung (Fig. 21) befindet sich
auf dem achten Ringe, aber nicht an dem Hinterrande, sondern
etwa in der Mitte seiner Fläche; sie ist durch keine besondere
Anhänge ausgezeichnet, und ist durch zwei parallele, quer-
liegende, aber nicht vorspringende Lippen begrenzt, zwischen
welchen die Körperwand vertieft ist. Die Oberfläche dieser
Vertiefung ist mit feinen Wärzchen besetzt und jederseits von
der Öffnung selbst sind die weichen Theile mit Fühlborsten
versehen. Eine Subgenitalplatte ist hier nicht entwickelt. Die
Ventralplatte des neunten Ringes (Fig. 22) ist etwas verlängert
und erinnert uns durch ihre Form an die Subgenitalplatte des
Männchens, besitzt aber keinen basalen Anhang. Das zehnte
Segment ist nur auf dem Rücken als ein Chitinbogen entwickelt;
es verengt sich allmälig an den Seiten und verliert sich unter
den Seitenrändern der verlängerten Ventralplatte des neunten
Ringes. Wenn wir aber das letzte Segment herauspräpariren,
so sehen wir, dass es sich auch auf der Bauchseite von dem
neunten deutlich durch eine Cuticula absetzt, welche ein wenig
stärker chitinisirt ist als an anderen weichen Stellen. Das Hinter-
ende des zehnten Segmentes ist oben durch einen einfach
halbkugeligen, stark chitinisirten und mit Börstchen besetzten
Höcker (homologon des ellipsoiden Lobus beim Männchen)
und jederseits durch eine niedrige Erhöhung geschlossen,
welche nur aussen, das ist auf der Bauchseite chitinisirt ist
und auf der äusseren dorsalen Seite den Cercus trägt. Die
Griffel sind zwar verkürzt stümmelartig, zeigen aber doch an
dem Ende eine deutliche Gliederung, welche drei bis vier
Glieder andeutet. Unterhalb des mittleren und zwischen beiden
seitlichen Höckern befindet sich der After.
Die Ovarien bestehen aus zahlreichen Eiröhren, welche
auf zwei ziemlich starken gefässartigen Röhren sitzen. Diese
sind mit ihren Vorderenden verwachsen (Taf. V, Fig. 24) und
bilden da ein kurzes unpaares Röhrchen; ihr Hinterende ver-
längert sich in die Eiröhren, welche kurz bevor sie in die
Scheide einmünden sich zu einem unpaaren Gange verbinden.
Die Scheide (Fig. 25) ist ellipsoid und trägt auf ihrem hinteren
Theile den Samenbehälter; dieser ist ebenfalls ellipsoid und
722 Fr. Klapälek,
ruht auf dem Hinterende der Scheide. Nach vorne entsendet er
einen kurzen muskulösen Ausführungsgang, welcher sich auf
der rechten Seite über die Scheide nach vorne zieht, dann
wieder nach hinten umkehrt und etwa im zweiten Drittel in
die Scheide einmündet. Die in den Ausführungsgang führende
Öffnung des Receptaculum ist mit einer bogenförmigen, eigent-
lich gabeiförmigen Chitinleiste versehen, von deren Mitte sich
noch ein unpaarer Arm wie ein Ansatz auf der Fläche des
Receptaculum nach hinten zieht.
Die Gattung Taeniopteryx bietet uns wieder, und zwar
besonders im männlichen Geschlechte eine selbständige und
von übrigen abweichende Form des Fortpflanzungsapparates,
so in seinen inneren wie äusseren Theilen. Als besonders
charakteristisch sind folgende Merkmale zu bezeichnen: Die
neunte Ventralplatte ist wie bei den meisten Plecopteren in
eine Subgenitalklappe verlängert, aber sie trägt nicht die
Geschlechtsöffnung an der Spitze, sondern diese befindet sich
an ihrer inneren Wurzel selbst und ist von ihr vollkommen
verdeckt. Die Subgenitalplatte selbst ist aussen an der Wurzel
mit einem kleinen Anhange versehen. Cerci sind verkürzt, und
zwar beim cT bis auf ein einziges Glied, bei 9 auf eine kurze
(bis achtgliedrige) Reihe von Gliedern. Die Supraanalklappe ist
als ein ellipsoider Lobus entwickelt, welcher entweder einfach
bleibt (T, nebulosaj, oder weiter sich differencirt und mit ver-
schiedenen Fortsätzen versehen ist, deren Ursprung noch
unbekannt ist (T. trifasciata). Beide Subanalklappen sind
schwach entwickelt, niedrig und ihr unterer Theil ist besonders
merkwürdig modificirt. Er läuft entweder an der Mittellinie in
einen starken hornigen Dorn aus oder ist asymmetrisch und
bildet den peitschenförmigen Fortsatz des J. trifasciata. Ich
war anfangs geneigt, dieses Organ als eine Modification des
zehnten ventralen Bogens selbst anzusehen. Seine physio-
logische Bedeutung ist schwer zu erforschen, es ist aber mehr
als wahrscheinlich, dass es eine wichtige Rolle bei der Über-
führung des Samens in das Receptaculum seminis spielt. Die
inneren männlichen Geschlechtstheile sind fast vollkommen
paarig. Die Hoden sind bloss auf ihrem Vorderende ver-
wachsen, haben aber zwei selbständige Samengänge, eine
Geschlechtstheile der Plecopteren. 723
doppelte schlingenförmige Samenblase und eine ebenfalls
schlingenförmige Schleimdrüse.
Das Weibchen ist dadurch ausgezeichnet, dass sich die
Geschlechtsöffnung auf der Fläche der achten Ventralplatte
befindet, welche keine Subgenitalklappe bildet. Dafür ist die
neunte Ventralplatte etwas klappenartig verlängert. Auch beim
Weibchen sind die Subanalklappen schwächer entwickelt als
bei übrigen Plecopteren, und die Supraanalklappe hat die
Form eines kugeligen Höckers. Auch die weiblichen inneren
Geschlechtstheile sind fast durchgehends paarig. Die Ovarien
sind nur auf dem Anfange verwachsen und die Eiergänge
münden fast getrennt in die Scheide ein, da sie sich erst kurz
vor der Einmündung zu einem unpaaren Gange vereinigen. Der
Samenbehälter ist bei beiden Arten gross.
Morphologische Betrachtungen.
In dem Vorhergehenden habe ich mich bemüht, die Be-
schreibungen der äusseren und inneren Genitalien so objectiv
als möglich zu geben und habe mich nicht in die morpho-
logische Beurtheilung einzelner Theile eingelassen, wo es nicht
für das Verständniss nothwendig war, um die benützte Be-
nennung zu rechtfertigen. Jetzt will ich es versuchen, den
morphologischen Werth einzelner Theile festzustellen, inso-
weit es bei unserer jetzigen Kenntniss der Insectenanatomie
möglich ist. Dabei werden wir auch die von den älteren Autoren
geäusserte Meinung gebührend in Betracht ziehen.
Die erste von den hier vorkommenden Fragen ist, wie viele
Segmente den Hinterleib der Plecopteren bilden. Die Mehrzahl
der Autoren und mit ihnen Pictet halten das Abdomen beim
Männchen und Weibchen für zehngliedrig; von den Segmenten
sind allerdings nicht alle als vollkommene Ringe entwickelt.
Dr. Gerstäcker hält dagegen das Abdomen von Nemura
lateralis für neungliedrig und stützt sich dabei auf den Ver-
lauf der Tracheenkiemen, obwohl er früher schon der Gattung
Pteronarcys und Diamphipnoa zehn Segmente zuerkannt hat.
Ich habe nicht die Gelegenheit gehabt, die frisch ausgekrochenen
Thiere in dieser Hinsicht zu untersuchen, darum habe ich voll-
kommen entwickelte Larven untersucht, um die bei ihnen vor-
724 Fr. Klapälek,
kommende Segmentzahl sicher zu stellen und habe gefunden,
dass bei allen mir bekannten Gattungen die Zahl zehn
constant bleibt, und dass die Segmente sehr ähnlich wie bei
den vollkommen entwickelten Insecten ausgebildet sind. Da
aber die Concentration des Körpers keineswegs — auch bei
Nemura — so fortgeschritten ist, dass sich keine Spur vom
ersten Segmente zeigen würde, und da wir im Gegentheil bei
den meisten Arten die erste Dorsalplatte wohl entwickelt, wenn
auch etwas verkürzt sehen, und die dazugehörige Ventralplatte
oft gut sichtbar ist, so müssen wir in allen Fällen zehn
Abdominalsegmente als normal halten. Wenn aber der erste
Ventralbogen zu fehlen scheint, ist es immer besser eine Ver-
wachsung derselben mit dem Metasternum vorauszusetzen, als
die erste Dorsalplatte als eingeschaltet zu bezeichnen. Die Ver-
schmelzung der ersten Bauchplatte mit dem Metasternum ist
bei verschiedenen Gattungen im verschiedenen Grade vorge-
schritten, aber auch dort, wo sie am grössten ist, können wir
die Grenze zwischen beiden Theilen als eine seichte Querfurche
verfolgen.
Die übrigen Segmente sind sehr gleichmässig entwickelt
bis auf die letzteren, welche in eine engere Beziehung zu den
Geschlechtstheilen traten und bedeutend modificirt sind. Bei
den Weibchen, bei welchen die Verhältnisse immer einfacher
sind, ist es das siebente, oder achte, oder alle beide Segmente,
und in einem weit geringerem Masse das neunte. Wir können
da drei verschiedene Fälle unterscheiden. Bei der Mehrzahl der
Arten ist die achte Bauchplatte mehr oder minder verlängert
und klappenartig entwickelt und ihr Hinterrand verdeckt die an
dem Ende des achten Segmentes befindliche Genitalöffnung;
die neunte Bauchplatte ist zwar gewöhnlich flach, aber übrigens
normal entwickelt. Bei der Gattung Taeniopteryx befindet sich
die Genitalöffnung auf der Fläche der achten Bauchplatte, welche
zu diesem Zwecke grübchenartig vertieft ist und keine Sub-
genitalplatte bildet; aber auch das vorhergehende Segment
bleibt normal, wogegen die neunte Bauchplatte ein wenig
klappenartig verlängert ist. Ich glaube, dass wir hier mit einer
Übertragung der männlichen Merkmale auf das Weibchen zu
thun haben, denn die cf dieser Gattung zeichnen sich durch
Geschlechtstheile der Plecopteren. 725
eine mächtig entwickelte Subgenitalplatte aus. Bei der Gattung
Nemura ist die Geschlechtsöffnung ebenfalls auf dem achten
Segmente, aber der siebente Ring bildet eine lange Subgenital-
platte, welche bis an die Basis des neunten Segmentes reicht.
Beim Männchen treffen diese Umbildungen das neunte
Segment, welches immer der Träger der Geschlechts-
öffnung ist. Gewöhnlich ist die Bauchplatte dieses Segmentes
verlängert und bildet die Subgenitalplatte, welche eigentlich
nur eine Duplicatur seines Integuments ist. Die Öffnung selbst
befindet sich entweder an derSpitze der Subgenitalplatte, welche
in diesem Falle gewöhnlich in einen Zipfel vorgezogen ist, oder
ist durch die Klappe gänzlich verdeckt und liegt dort, wo ihre
innere Wand in die Basis der zehnten Ventralplatte übergeht.
In selteneren Fällen bleibt die Subgenitalplatte kurz und ver-
deckt dann allerdings nicht die Geschlechtsöffnung (Leuctra).
In meisten Fällen ist die männliche Subgenitalplatte an ihrer
Wurzel mit einem kleinen Anhange von länglicher Form ver-
sehen, welcher aber bei trockenen Exemplaren mit der ganzen
Wurzel der Subgenitalplatte so unter das vorhergehende Seg-
ment eingezogen ist, dass es scheint als ob er dem Hinterrande
des achten angehöre, was wir wirklich bei Dr. Gerstäcker
(1. c. S. 239) angeführt finden (natürlich mit der Bezeichnung
dieses Segmentes als des siebenten). Nur bei Dictyopteryx ist
der Hinterrand des achten Segmentes so ausgeschnitten, als
ob auf ihm ein ähnlicher Anhang entstehen sollte. Bei allen
anderen Arten sehen wir, wenn wir das -neunte Segment
herauspräpariren, dass der Anhang nur diesem Segmente
angehört und manchmal (bei Ta&niopteryx nebulosa) ziemlich
weit von der Wurzel sich befindet.
Das zehnte Segment stellt uns den Analring vor,
denn immer mündet auf ihm derVerdauungscanal nach aussen.
Wenn wir seine morphologischen Elemente kennen lernen
wollen, müssen wir zuerst das Hinterleibsende des Weibchens
untersuchen. Hier ist es in der Regel vollkommen ringförmig
entwickelt und geschlossen; selten bleibt die Bauchseite gänz-
lich weich. Bei den Männchen dagegen ist es auf der Bauch-
. Seite gewöhnlich verkümmert, und zwar desto mehr, je
mächtiger die Subgenitalplatte entwickelt ist; nur in selteneren
726 Fr. Klapälek,
Fällen finden wir die zehnte Bauchplatte vollkommen ausge-
bildet und den ganzen Ring geschlossen, was immer als ein
Zeichen einer niedrigeren Entwicklungsstufe (Dictyopteryx) zu
nehmen ist. In einigen Fällen macht sich die zehnte Ventral-
platte wenigstens in der Weise geltend, dass sie zur Ausbildung
der Genitalanhänge beiträgt. So bei Nemura inconspicua über-
geht sie in zwei säbelförmige Chitingräten; möglicherweise
bildet sie bei Taeniopteryx nebulosa zwei Dornen, bei T, tri-
fasciata die zwei jederseits von der Medianlinie ausgebildeten
Organe, was noch weiterer Studien und besonders derKenntniss
anderer verwandter Arten braucht.
Von den abdominalen Gliedmassen sind nur die Cerci
entwickelt; es fehlen die Genitalfüsse, welche so gut bei den
Ephemeriden und Trichopteren, ja auch bei manchen Ortho-
pteren ausgebildet sind, den Plecoptercn vollkommen. Die
Griffel (Cerci) sind oft vielgliedrig fadenförmig, fühlerartig;
in einigen Fällen sind sie beim cT eingliedrig, beim 9 aber nur
abgekürzt; ein anderesmal sind sie bis auf ein Glied reducirt,
welches verschieden gestaltet und an der Spitze hakenförmig
erweitert ist, um beim Ergreifen und Festhalten des weiblichen
Abdomen behilflich zu sein, doch finden wir auch in diesem
Falle immer noch die Rudimente der nächstfolgenden Glieder
in der Form eines kleinen knopfförmigen Höckers, der auf einer
blassen und weichen Stelle sitzt, oder ist das Ende des Cercus
geringelt.
Nebst den Grifl*eln trägt das Analsegment noch einige
Anhänge, die man aber nicht für Gliedmassen, sondern für
blosse Erljebungen und Verlängerungen der Hinterwand des-
selben halten muss, und welche natürlich beim 9 die einfachste
Form haben. Es sind die drei Afterklappen (valvulae
anales). Die obere Afterklappe erhebt sich als ein mehr oder
weniger hoher Höcker unterhalb des Hinterrandes des zehnten
Dorsalbogens, der gewöhnlich in einer engen Verbindung mit
dem Rande selbst steht, so dass er oft mit ihm zugleich sich
verlängert; gerade unter ihm öffnet sich der After. Auf dem
ventralen Theile der Hinterwand erhebt sich jederseits vom
After ein in der Regel grösserer, mehr oder weniger flacher, in
der Ansicht von der Seite subtriangulärer, aussen horniger,
Geschlechtstheile der Plecopteren. 727
innen häutiger Anhang, der oft als ein schmaler Chitinstreifen
zwischen den Cercus und den Seitenrand des zehnten Ringes
reicht. Der obere unpaare, sowie auch diese unteren paarigen
Anhänge sind beweglich, lassen sich ein wenig einziehen und
hervorstrecken, heben und senken. Wir wollen den oberen
unpaaren als die obere Afterklappe (valvula supraanalis),
und die zwei unteren als die unteren Afterklappen (valvulae
subanales) bezeichnen. Am besten wird uns ihr morphologischer
Werth klar, wenn wir sie mit den Anhängen des letzten Seg-
mentes bei den Orthopteren- und Libellenlarven vergleichen,
bei welchen letzteren wir allerdings fünf Spitzen finden, von
denen aber die zwei seitlichen den Griffeln entsprechen.
Ich habe die Afterklappen als blosse Erhebungen der
Hinterwand des letzten Ringes bezeichnet; man könnte aber
noch die Frage stellen, warum wir sie nicht für Rudimente des
11. Ringes halten wollen. Dem steht nach meiner Überzeugung
ihre grosse Wandelbarkeit im Wege, denn sie zeigen alle
Stufen ihrer Entwickelung, ja können auch, wie dies bei ver-
schiedenen Insectengruppen vorkommt, gänzlich fehlen. Und
doch müssen wir die Segmentzahl bei den Insecten als ziemlich
constant halten. Bei den niederen Gruppen zeigt sich die
Zahl 10 für die Abdominalsegmente als eine feste. Die End-
giltige Entscheidung in dieser Sache gebührt allerdings der
Embryologie.
Bei den Männchen finden wir in seltensten Fällen die After-
klappen normal entwickelt (Chloroperla, Isopteryx); meisten-
theils erfahren sie bedeutende Modificationen, indem sie sich
zu Hilfsorganen für die Copulation umbilden, und zwar ent-
weder nur die unteren, oder häufiger nur die oberen, oder endlich
alle beide. Ein Beispiel der ersteren finden wir bei Dicfyopieryx,
wo sie vergrössert und verlängert sind, und indem sie sich fest
an einander legen einen starken, walzenförmigen, an der Spitze
abgerundeten Fortsatz bilden. Auch bei der Gattung Leuctra
haben die Subanalklappen eine Modificirung erlitten, indem sie
in einen kurzen Dorn auslaufen und sich an die Chitingräten,
zwischen welchen die Genitalien ausmünden, fest anlehnen
Den zweiten Fall sehen wir bei Capnia, Taeniopteryx und
einem Theile der Gattung Nemura, bei welchen die Supraanal-
Sitzb. d. mathem.-naturw. Cl.; CV. Bd., Abth. I. 48
728 Fr. Klapälek,
klappe entweder in ein langes ruthenformiges Organ (Capnia,
Nemura) verlängert ist oder einen ellipsoiden Höcker bildet
welcher auf seiner Bauchseite noch besondere Fortsätze tragen
kann (Taeniopteryx). Den dritten Fall finden wir bei der Gattung
Nemura^ und zwar bei der der A^. marginata verwandten
Gruppe.
Oft finden wir auch die Rückenfläche der Hinterieibs-
Segmente für Erleichterung der Copulation modificirt^ be-
sonders bei jenen Arten, welche einen mächtig entwickelten
ruthenartigen Fortsatz besitzen. Bei der Gattung L^M^ra tragen
die hinteren Hinterleibssegmente verschiedene -Fortsätze und
ihre Fläche selbst ist in der Mittellinie vertieft; welche Aufgabe
diese Anhänge haben, können wir vermuthen, wenn wir den
starkgekrümmten Hinterleib des cT bei Copula beobacbtert Sie
bilden eine feste Stütze für das Ende des Abdomen, und bilden
wahrscheinlich mit den Spitzen der unteren Afterklappen eine
Klemme, welche die Subgenitalplatte des Weibchens festhält.
Eine ganz ähnliche Function hat der ruthenartige Fortsatz,
welcher sich weit hinauf gegen den Rücken krümmen kann,
die Subgenitalplatte gegen den Rücken drückt, und so wie in
einer Klemme hält. Bei Isopieryx ist diese Aufgabe auf den
schwarzen zahnartigen Fortsatz des letzten Segmentes über-
tragen.
Der Bau der inneren Geschlechtstheile zeigt eine
bedeutende Mannigfaltigkeit, und wir können hier verschiedene
Formen derselben unterscheiden. Unter den d" Organen sind
jene der Dictyopteryx und nach Imhof auch der Perla am
einfachsten und wahrscheinlich die primitivsten, und können
uns als ein typisches Beispiel dienen. Die Hodendrüsen haben
wie bei den meisten Gattungen {Nemura und Leuctra ausge-
nommen) die Form von einfachen, kugeligen oder eiförmigen
Hodenbläschen, welche auf einem gemeinsamen Gange sitzen«
welcher aber jederseits in einen langen, aber dünnen Samen-
gang übergeht; diese bleiben in ihrer ganzen Länge getrennt,
und sind vor ihrem Ende durch ein kurzes, aber starkes,
unpaares Gefäss verbunden, welches schlingenartig nach vorne
gebogen ist, und welches wir für die Samenblase halten müssen,
da sich dasselbe bei reifenden Männchen mit der Samenflüssig-
Geschlechtstheile der Plecopteren. 729
keit füllt und desto mächtiger entwickelt ist, je reifer das Indivi-
duum. Direct vor der Geschlechtsöffnung mündet in jeden Samen-
gang eine vielfach gewundene Schleimdrüse.
Bei der Gattung Chloroperla und Isopteryx sind die cf
Genitalien nach demselben Typus gebaut, aber es kommt hier
schon ein ektodermaler letzter Abschnitt vor, welcher bei
LHciyopteryx vollkommen fehlt, da beide Samengänge bis zur
Geschlechtsöffnung selbst getrennt bleiben; er bleibt bei der
ersten von beiden Gattungen kurz, bei der anderen ist er aber
sehr lang. Dieser Abschnitt stellt uns den Ductus ejacula-
torius vor. Dort, wo die Samengänge in denselben einmünden,
ist seine Wand sehr verdickt und mit einer starken, der Be-
wegung desselben dienenden Muskulatur versehen; in dem
inneren Lumen stehen auf einer niedrigen Erhöhung die zwei
Chitingräten, deren Länge der Länge des Samenausführungs-
ganges proportionirt ist. Wie ich schon oben bemerkt habe, ist
ihre Aufgabe unsicher. Man ist geneigt zu glauben, da sie zu-
sammen ein dünnes Röhrchen bilden, dass sie der Überführung
der Samenflüssigkeit in den weiblichen Behälter dienen. Ihrem
Ursprünge nach sind sie mit dem Titillator der Orthopteren und
mit den »Penis-sheaths« der Trichopteren homolog. Es würde
nichts absolut unmögliches darin sein, wenn sie in Ermangelung
eines besonderen Penis die Function desselben übernommen
hätten. Für die Ruthe selbst können wir sie, glaube ich, nicht
halten, da dieselbe den letzten Abschnitt des Samenausführungs-
ganges bildet, und diese Chitingräten nur dornartige Bildungen
desselben sind.
Bei der Gattung Capnia ist der Typus der Geschlechts-
theile derselbe wie bei Dictyopteryx, ausgenommen dass der
Hode vollkommen einfach und unpaarig bleibt, und erst der
gemeinsame Gang in zwei selbständige Samengänge sich theilt.
Die Samenblase ist mächtig entwickelt.
Bei der Gattung Taeniopteryx sind die Hoden nur an dem
Anfange selbst verwachsen; eine interessante Abweichung
bilden die Schleimdrüsen, welche mächtig entwickelt sind,
und zwar ähnlich wie die Samenblase als ein schlingenförmig
gebogenes Gefäss, dessen jedes Ende in das Ende eines Samen-
ganges mündet.
48*
730 Fr. KUpalek,
Bei der Gattung Leuctra und Nemura finden wir die zweite
Form der Hodendrüsen — nämlich die kurz schlauchförmige.
Bei der ersteren von beiden Gattungen sind die Hoden voll-
kommen getrennt und die Samengänge vereinigen sich in einen
unpaaren gemeinsamen Ausführungsgang, welcher zwischen den
Enden beider Samengänge eine länglich ei- oder keulenförmige
Samenblase trägt. Die Geschlechtsöfifnung befindet sich zwischen
zwei äusseren Chitingräten, welche hier zweifellos die Samen-
flüssigkeit führen. Doch bilden sie noch keine Ruthe in dem
eigenen Sinne, weil sie ebenfalls nur dornartige Bildungen des
Integuments sind. Bei der Gattung Nemura ist der Hode
einfach unpaarig und besteht aus einem Büschel von kurzen
blinden, auf einem gemeinschaftlichen Gange sitzenden Hoden-
schläuchen; die Samengänge sind paarig und vereinigen sich
ziemlich weit vor der Geschlechtsöffnung zu einem unpaaren
Gange, der aber keine Samenblase trägt, sondern selbst als
Samenbehälter dient. Die von Dr. Gerstäcker beschriebenen
c/' Geschlechtstheile der A^. marginata bilden eine genug grosse
Abweichung, um unseren Zweifel an der Richtigkeit der Beob-
achtung zu rechtfertigen; sie stellen uns einen beiPlecoptören
einzig dastehenden Fall vor, dass die Hoden durch einfache
Schläuche vertreten sind.
Eine selbständige Ruthe, wie wir sie bei höheren Ordnungen
finden, ist bei den Plecopteren nicht entwickelt. Bei den
meisten Arten finden wir ja auch keinen ektodermalen Samen-
ausführungsgang, und die Geschlechtsöffnung liegt frei ent-
weder in der weichen Haut zwischen dem neunten und zehnten
Segmente, oder am Ende von Abschnitten der Ventralplatte des
neunten Segmentes. Dr. Gerstäcker hat (l. c.) eben solchen
Abschnitt bei A^. marginata »Ruthe« benannt, doch halte ich
dieses Verfahren nicht für richtig, denn dieser Theil entspricht
keineswegs der Vorstellung und Definition einer Ruthe. Bei
Perla maxima glaubt Dr. Imhof (1. c. S. 32) einen vorstreck-
baren Penis gefunden zu haben, kann aber nichts näheres
darüber berichten, da er nur auf Querschnitten die Spitze des-
selben gesehen hat. Auch in diesem Falle handelt es sich
gewiss nur um den vorgestülpten Theil des Samenausführungs-
ganges.
Geschlechtstheile der Plecopteren. 73 1
Die Eierstöcke bestehen aus zahlreichen Eiröhren und sind
entweder voUkommen getrennt (Letictra und Capnia), oder nur
am Anfange verwachsen (Nemura, Taeniopteryx), oder es sitzen
die Eiröhren auf einem gemeinsamen Gange, der in zwei selbst-
ständige Eiergänge übergeht (Dictyopteryx, Perla, Isopteryx,
Chloroperla), Die Eiergänge haben auch die Aufgabe von Eier-
behältern; es sammeln sich die reifenden Eier in ihnen, bis sie
dann auf einmal die inneren Geschlechtstheile verlassen. Die
Kiergänge münden meistentheils getrennt in die Scheide ein,
ausnahmsweise vereinigen sie sich kurz vor der Einmündung
zu einem kurzen Röhrchen. Die Scheide selbst ist eine ekto-
dermale Bildung und ist durch eine kugelige, länglich eiförmige
oder elliptische Vertiefung der Körperwand selbst gebildet. Zu
ihr gesellt sich regelmässig (nur bei Capnia habe ich es nicht
gefunden) ein Receptaculum seminis von sehr verschie-
dener Form. In seinen Ausführungsgang oder die Ausfuhrs-
öffnung ergiessen sich oft kleine Schleimdrüsen. Bursa
copulatrix ist nur bei einigen Arten der Gattung Nemtira
entwickelt und dient zur Aufnahme des voluminösen ruthen-
artigen Fortsatzes.
Dr. Gerstäcker war bemüht (1. c. S. 249) auch die Art
zu erforschen, wie die Copulation zu Stande kommt, schliesst
aber, und zwar ungerechtfertigt, aus dem Umstände, dass es
ihm nicht geglückt hat, diesen Act bei der von ihm beschriebenen
Nemnra-Avt zu beobachten, auf die Unrichtigkeit der Angaben
Pictets, und gibt seine eigenen Ansichten an. Dieses ist aber
nur der beste Beweis dafür, wie gefährlich es ist, ein Urtheil
ohne eigene directe Beobachtung zu fallen. Ich hatte mehrmals
die Gelegenheit bei verschiedenen Plecopteren-Gattungen
die Copulation zu beobachten und kann die Worte Pictets
vollkommen bestätigen und einige Details beifügen. Die Copula-
tion geschieht in der That immer auf verborgenen Stellen und
der ganze Act dauert sehr kurze Zeit. Das Männchen besteigt
den Rücken des Weibchens, welches sich sehr phlegmatisch
und ruhig verhält, biegt seinen Hinterleib auf einer Seite
(beliebig auf welcher) nach unten unter den Bauch des Weib-
chens und streckt ihn stark aus; dann krümmt es sein Ende
732 Fr. Klapälek,
wieder nach oben und vorne, so dass seine Bauchfläche die
Bauchfläche des Weibchens berührt, und schiebt jetzt seine
Copulationsanhänge in den weiblichen Genitalporus ein, und
wenn er einen Apparat fürs Festhalten, die sich, wie oben
gesagt worden ist, auf dem Rücken befinden, besitzt, ergreift
er wie mit einer Zange die weibliche Subgenitalplatte. Bei
solchem Vorgehen ist es keinesfalls nothwendig, dass sich der
ruthenartige Fortsatz auf die Bauchseite krümme, sondern,
indem er in die Scheide, respective in die Bursa copulatrix
eindringt, klammert er sich fest an den Rücken des d" Hinter-
leibes und schliesst auf diese Weise die Subgenitalplatte fest;
durch die Grübchen und Höcker, die auf der cf Rückenfläche
sich befinden, wird dieses Ergreifen noch fester. In Folge dessen
bleibt die Verbindung doch immer nur ziemlich lose und für
das Männchen sehr ermüdend, dauert aber dafür nur kurz, und
das o^ kann in jedem Momente loslassen.
Schlussbemerkungen.
Wenn wir die Form der inneren Genitalien und ihre
äusseren Anhänge mit denen der übrigen Ordnungen ver-
gleichen, können wir nicht ihre primitive Entwicklungsstufe
übersehen, ja ich glaube, dass wir in dieser Ordnung weit
einfachere Verhältnisse finden als bei den Apterygoten selbst,
die doch als eine der ursprünglichsten Formen der Insecten
betrachtet werden. Es wird gewöhnlich die paarige Ent-
wicklung der Genitalien für die ursprüngliche gehalten, was
sehr natürlich ist, da wir bei den niederen Arthropoden-Gruppen
dieses Verhältniss finden. Man führt demzufolge gewöhnlich
die Genitalien der Ephemeride n als ein Beispiel der typischen
Geschlechtstheile an. Ich glaube aber im Gegentheil, ungeachtet
der grossen Differencirung der Körpersegmente selbst, dass
dieseGruppe weit höher zu stellen ist als jene derPlecopteren,
oder dass sie wenigstens einen ganz anderen Typus vertritt.
Um diese meine Überzeugung zu begründen, erlaube ich mir
auf zwei Umstände aufmerksam zu machen: erstens, dass in
der Ordnung Plecoptera diejenigen Arten, welche wir als
niedriger organisirt betrachten müssen, einfache, schlingen-
förmig angelegte Genitalien besitzen, und zweitens, dass
Geschlechtstheile der Plecopteren. 733
diese Form der bei den Myriopoden normalen Anordnung
derselben Organe sehr nahe steht. Bei dieser Classe entwickehi
sich Ovarien und Hoden meist als langgestreckte Schläuche,
die aber oft paarige Ausführungsgänge haben. Ja bei Scolo-
pendra complanaia finden wir nax^h Fahre auch eine ähnliche
schlingenförmige Samenblase, wie sie bei den Plecopteren als
eine unter den Hexapoden isolirte Erscheinung auftritt. Wir
können uns sehr gut vorstellen, dass die Theilung der Samen-
gänge so weit fortschreitet, bis die Hodendrüsen oder Eiröhren
auf die paarigen Gänge zu stehen kommen und diese zuletzt
einen einzigen gemeinsamen Gang bilden. Die Verhältnisse bei
Nemura stehen dem Verhalten der Genitalien bei den Myrio-
poden sehr nahe, und die weiblichen Organe, welche von dem
gemeinsamen Eiergange noch einen unpaaren Gang nach vorne
entsenden, bilden sozusagen eine Mittelstufe. Doch ich will die
Sache jetzt nicht ausführlich behandeln, da ich auf dieselbe in
einer künftigen Arbeit zurückzukommen hoffe.
^34 Fr. Klapälek,
Erklärung der Abbildungen.
I., n., III.,. . . .erstes, zweites, drittes u. s. w. Abdominalsegment
A = Afrer.
C=Cerci.
D = Ductus ejaculatorius.
Gs = Schleimdrüsen.
Li = Valvula subanalis (die untere Afterklappe).
Ls = Valvula supraanal is (die obere Afterklappe).
O = Ovarium.
Od = Eiergang.
P:= Geschlechtsöffnung.
Pg= Chitingräten bei der männlichen Geschlechtsöffnung (Titillator).
Rs = Receptaculum seminis.
Sg= Lamina subgenitalis (Subgenitalplatte).
r= Scheide.
Vä =■ Vas deferens.
Vs = Samenblase.
Tafel I.
Fig. 1—8 DictyopUryx microccphala Pict.
f. Cerci und Subanalklappen. Die Ansicht von unten 28/1.
2. Ein Griffel und Subanalklappe heraus präparirt 28/1.
3. Innere Geschlechtsorgane des cf 8/1.
4. Ihr Endabschnitt mit den Schleimdrüsen 15/1.
5. Weibliches Hinterleibsende von der Bauchseite 15/1.
6. Scheide mit Receptaculum seminis 15/1.
7. Ein Ei von der Seite 40 1.
8. Dasselbe von vorne 40/1.
Fig. 9 — 18 Chloroperla gramntatica Scop.
9. Hinterleibsende des ^ von der Bauchseite 15/1.
10. Hinterrand der VIII. Ventralplatte bei (^ 40/1.
11. Letztes Hinterleibssegment des ^ von der Bauchseite .40/1.
12. Cercus mit der Subanalklappe 60/1.
13. Letzter Abschnitt der männlichen Geschlechtsorgane 15,1.
14. Subgenitalplatte und Samenausführungsgang 20/1.
15. Titillator 100/1.
16. Weibliches Hinterleibsende von der Bauchseite 28/1.
17. Letzter Abschnitt der weiblichen Geschlechtsorgane 40 1.
18. Ei 40/1.
Geschlechtstheile der Plecopteren. 735
Fig. 19—25 Isopteryx Iripunctata Scop.
19. IX. und X. männliches Hinterleibssegment von der Seite 60/1.
20. X. männliches Hinterleibssegment von oben 47/1.
21. Männliche Geschlechtsorgane 15/1.
22. Männliche Subgenitalplatte und Ductus ejaculatorius 40/1.
23. Titillator 210/1.
24. Weibliches Hinterleibsende von der Bauchseite 40/1.
25. Letzter Abschnitt der weiblichen Geschlechtsorgane 15/1.
Tafel II.
Fig. 1—8 Leuclra nigra Oliv.
1. Männliches Hinterleibsende von der Rückenseite 60/1.
2. Dasselbe in der Seitenansicht 60/1.
3. Anhang der ^ Subgenitalplatte 60/1.
4. IX. und X. männliches Hinterleibssegment von der Bauchseite 60/1.
5. Männliche Geschlechtsorgane 15/1.
6. Geschlechtsöffnung des Männchens 210/1.
7. Weibliches Hinterleibsende von der Bauchseite 40/1.
8. Letzter Abschnitt der 9 Geschlechtsorgane.
Fig. 9 — 19. Leudra cylindrica De Geer.
9. Männliches Hinterleibsende von der Rückenseite 60/1.
10. Dasselbe von der Seite 60/1.
11. Anhang der Subgenitalplatte 60/1.
12. IX. und X. männliches Hinterleibssegment von der Seite 60/1.
13. Dasselbe von der Bauchseite 60/1.
14. Dasselbe von vorne und von der Seite 60/1.
15. Männliche Geschlechtsorgane 6/1.
16. Weibliches Hinterleibsende von der Bauchseite 55/1.
17. Dasselbe von der Rückenseite 55/1.
18. Subgenitalplatte des 9 40/1.
19. Scheide 40/1.
Tafel m.
Fig, 1 —7. Capnia nigra. P.
1. Männliches Hinterleibsende in der Seitenansicht 60/1.
2. Dasselbe von vorne 60/1.
3. X. Segment von der Bauchseite.
4. Ausmündung der (^ Geschlechtsorgane.
5. Männliche Geschlechtsorgane.
6. Weibliches Hinterleibsende von der Bauchseite.
7. Scheide.
Fig. 8—17. Ncmura inconspicua Pict.
8. Männliches Hinterleibsende von der Bauchseite 40/1.
9. Dasselbe von der Rückenseite 40/1.
736 Fr. Klapalek,
p
10. IX. und X. männliches Hinterleibsegment nach einem ganz frischen Exem-
plare von der Seite 40/1.
11. Subgenitalplatte des cf 40/1.
12. X. Segment, Subanalklappen und Griffel von der Bauchseite 40/1.
1 3. Das Ende des ruthenartigen Fortsatzes (Supraanalklappe) von der Bauch
Seite 60/1.
14. Letzter Abschnitt der (^ Geschlechtsorgane 28/1.
15. Weibliches Hinterieibsende von der Bauchseite 28/1.
16. Scheide mit dem Samenbehälter von der Rückenseite 40/1.
17. Dasselbe von der Seite 40/1.
Tafel IV.
Fig. 1 — 7. Nemura lateralis Pict.
1. Männliches Hinterleibsende von der Bauchseite 50/1.
2. Dasselbe in der Seitenansicht 50/1.
3. Dasselbe von der Rückenseite 60/1.
4. Griffel und Subanalklappe von der Bauchseite 50/1.
5. Ruthenartiger Fortsatz (SupraanalkUppe) von der Seite 60/1.
6. Das Ende desselben von der Rückenseite 60/1.
7. Männliche Geschlechtsorgane 19/1.
Fig. 8 — 19. Nemura variegata Oliv.
8. Männliches Hinterleibsende von der Bauchseite 40, 1 .
9. Dasselbe in der Seitenansicht 50/1.
10. Dasselbe von der Rückenseite 47/1.
1 1. Griffel von der Bauchseite 60/1.
1 2. Subanal- und Supraanalklappen und Griffel von vorne und ein wenig von
der Rückenseite 60/1.
13. Dasselbe von der Rückenseite. Beide zusammengedrückt, um die gegen-
seitige Lage der Chitintheile besser zu zeigen 60/1.
14. Dasselbe von der Bauchseite 40/1.
15. Das Ende des ruthenartigen Fortsatzes von der Rückenseite 60/1.
16. Weibliches Hinterleibsende mit geschlossener Genital Öffnung von der
Seite 20/1.
17. Dasselbe mit offener Genitalöflfnung 20/1.
18. Weibliches Hinterleibsende von der Bauchseite 20/1.
19. Scheide mit Receptaculum seminis und Bursa copulatrix (B C) 40/1.
Tafel V.
Fig. 1 — 11. Taeniopteryx mbulosa L.
1. Männliches Hinterleibsende von der Bauchseite 40/1.
2. Dasselbe von der Rückenseite 60/1.
3. Dasselbe in der Seitenansicht 40/1.
4. Griffel und Subanalklappen von der Bauchseite 60/1.
5. Letzter Abschnitt der männlichen Geschlechtsorgane 15/1.
Geschlechtslheile der Plecopteren. 737
7. Weibliches Hinterleibsende von der Bauchseite 40/1.
8. Weibliche Geschlechtsöffnung 60/1.
Ö. Weibliches Hinterleibsende in der Seitenansicht 40/1.
10. Dasselbe von der Rückenseite 40/1.
1 1. Letzter Abschnitt der P Geschlechtsorgane 28.
Fig. 12 — 25. TaeniopUryx trifasciata Pict.
12. Männliches Hinterleibsende von der Seite 40/1.
13. Dasselbe von der Rückenseite 40/1.
14. Supraanalklappe, Griffel und Subanalklappen; Subgenitalplatte abge*
schnitten. 60/1.
15. Dasselbe in der Seitenansicht 60/1.
16. Supraanalklappe mit ihren Fortsätzen in der Seitenansicht 60/1.
17. Modißcirte Subanalklappen von der Bauchseite 40/1.
18. Das Ende des peitschenartigen Fortsatzes mit spiralgewundenen l^mellen.
19. Männliche Geschlechtsöffnung.
20. Männliche Geschlechtsorgane.
21. Weibliches Hinterleibsende von der Rückenseite 40/1.
22. Dasselbe in der Seitenansicht 40/1.
23. Weibliche Geschlechtsöffnung 40/1.
24. Anfang der Eierstöcke 40/1.
25. Letzter Abschnitt der weiblichen Geschlechtsorgane.
738 Pr. Klapdlek, Geschlechtstheile der Plecopteren.
Inhaltsverzeichniss.
Seile
Vorwort . • 683
Literatur 685
Beschreibung der Geschlechtstheile von :
Diciyoptery X microcephala? ict 685
Chloroperla grammatica Scop 690
IsopUryx iripuHCtaia Sc op 692
Leuctra nigra Oliv 695
Lcuctra cylindrica DeOeer 697
Capnia nigra V\oi 701
Nemura inconspicua Fiel 704
Nemura laUralis? \ci 707
Ncmura variegata OVw 709
TacniopUryx nebulosa L 714
TaeniopUryx trifasciata P i c t 717
Morphologische Betrachtungen 723
Schlussbemerkungen 732
Erklärung der Abbildungen 734
6
n.
m
738 Fr. Klapälek, Geschlechtstheile der Plecoptercn.
Inhaltsverzeichniss.
Seite
Vorwort . • 683
Literatur 68:.
Beschreibung der Geschlechtstheile von :
DictyopUry X microcephala? ici 6JS5
Chloroperla grammatica Scop 69"
Isopieiy X iripunctata Scop 6&2
Leuctra nigra Oliv 695
Leuctra cylindrica D e G e e r 697
Capnia nigra Pia 7ui
Nemurainconspicua Pia TCH
Nemura lateralis Pia 707
Nemura variegata Oliv * 709
TacniopUryx nebulosa L 714
Taenioplery X trifasciata? ici 717
Morphologische Betrachtungen 723
Schlussbemerkungen 732
Erklärung der Abbildungen 7;h
TT.,
vac
I
n
Taf.V.
Autor (
LiOvAnftt rTK BaniwrarÜi.Wiw
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN.
MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CV. BAND. IX. HEFT.
ABTHEILUNG I.
ENTHALT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE.
KRYSTALLOGRAPHIE, BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE,
PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN.
741
XXII. SITZUNG VOM 5. NOVEMBER 1896.
Erschienen: Sitzungsberichte, Bd. 105, Abth. I, Heft V— VII (Mai— Juli)
1896.
Für die diesjährigen Wahlen sprechen den Dank aus Herr
geheim, Medicinalrath Prof. E. Hering in Leipzig für seine
Wahl zum ausländischen Ehrenmitgliede und Herr Prof. B.
Hatschek in Prag für seine Wahl zum inländischen corre-
spondirenden Mitgliede dieser Classe.
Das w. M. Herr Hofrath L. Schmarda übersendet eine
Abhandlung von Dr. A. Nalepa, Professor am k. k. Elisabeth-
Gymnasium in Wien, betitelt: »Zur Kenntniss der Phyllo-
coptinen«.
Herr Dr. Karl Kellner in Hallein übermittelt ein ver-
siegeltes Schreiben behufs Wahrung der Priorität, mit der Auf-
schrift: »Experimenteller Beweis über die Verwandel-
barkeit der sogenannten Grundstoffe«.
Das w. M. Herr Hofrath Prof. L. Boltzmann überreicht eine
Abhandlung: Ȇber die Unentbehrlichkeit der Atomistik
in der Naturwissenschaft«.
Das w. M. Herr Regierungsrath Prof. F. Mertens über-
reicht eine Abhandlung: Ȇber die Transcendenz der
Zahlen e und ic«.
Ferner überreicht Herr Regierungsrath Mertens folgende
zwei Abhandlungen:
1. »Darstellung der scheinbaren Beleuchtung
krummer Flächen. (Directe Construction der Isophen-
gen)«, von Herrn Julius Mandl, k. u. k. Hauptmann des
Geniestabes in Wien.
742
2. »Zur additiven Erzeugung der ganzen Zahlen«,
von Herrn Dr. R. Daublebsky v. Sterneck in Wien.
Das c. M. Herr Prof. V. Uhlig aus Prag spricht über die
geotektonischen Ergebnisse seiner Reise in die Ost-
karpathen, die er im Sommer 1896 mit Subvention der kaiserl.
Akademie unternommen hat.
Herr Dr. Carl Hillebrand, Assistent derk. k. Universitäts-
Sternwarte zu Wien, überreicht eine Abhandlung: »Ober den
Einfluss der Elasticität auf die Schwankungen der
Polhöhe«.
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
Haeckel E., Systematische Phylogenie der wirbellosen
Thiere (Inveriebrata), IL Theil des Entwurfs einer syste-
matischen Phylogenie. Berlin, 1896; 8*.
Jahrbuch der organischen Chemie, herausgegeben von
Gaetano Minunni (Palermo). Zweiter Jahrgang, 1894.
Leipzig, 1896; 8**.
743
XXIII. SITZUNG VOM 12. NOVEMBER 1896.
Herr Prof. Dr. O. Tumlirz an der k. k. Universität in
Czemowitz übersendet eine Abhandlung, betitelt: »Die Strom-
linie beim Abfluss einer Flüssigkeit durch eine kleine
Öffnung im Boden des Gefässes«.
Das w. M. Herr Prof G. Ritter v. Esch erich überreicht eine
Abhandlung von Prof. Dr. O.Biermann an der k. k. technischen
Hochschule in Brunn, betitelt: »Zur Reduction AbeTscher
Integrale auf elliptische«.
Das w. M. Herr Hofrath Prof C. Toldt überreicht eine
Abhandlung von Dr. Richard Heller und Dr. Hermann
V. Schrötter in Wien, betitelt: >Die Carina tracheae, ein
Beitrag zur Kenntniss der Bifurcation der Luftröhre
nebst vergleichend anatomischen Bemerkungen über
den Bau derselben«.
Sitzb. d. matliem.-natunv. CK; CV Hd.. Abth.I. 4i>
744
XXIV. SITZUNG VOM 19. NOVEMBER 1896.
Das w.M. Herr Director E. Weiss überreicht eine Abhand-
lung von Herrn Leo Brenner, Director der Manora-Stemwarte
in Lussinpiccolo, unter dem Titel: »Jupiterbeobachtungen
1895/1896«.
Das w. M. Herr Prof. Franz Exner legt eine in Gemein-
schaft mit Herrn E. Haschek ausgeführte Arbeit vor, betitelt:
»»Untersuchungen über die ultravioletten Funken-
spectra der Elemente« (V. Mittheilung).
Ferner legt Herr Prof. Exner eine in seinen) Institute von
Herrn Dr. St. Meyer ausgeführte Arbeit: »Über die Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit eines mechanischen Im-
pulses in gespannten Drähten« vor.
SITZUNGSBERICHTE
DER
KAISERLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN,
MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE CLASSE.
CV. BAND. X. HEFT.
ABTHEILUNG I.
ENTHALT DIE ABHANDLUNGEN AUS DEM GEBIETE DER MINERALOGIE,
KRYSTALLOGRAPHIE. BOTANIK, PHYSIOLOGIE DER PFLANZEN, ZOOLOGIE,
PALÄONTOLOGIE, GEOLOGIE, PHYSISCHEN GEOGRAPHIE UND REISEN.
49*
747
XXV. SITZUNG VOM 3. DECEMBER 1896.
Erschienen: Sitzungsberichte, Bd. 105, Abth, IL a, Heft VII (Juli 1896);
Monatshefte für Chemie, Bd. 17, Heft IX (November 1896).
Der Vorsitzende gibt Nachricht von dem eben erfolgten
Ableben des ausländischen correspondirenden Mitgliedes dieser
Classe, Herrn Benjamin Apthorp Gould, Astronom zu Cam-
bridge (U. S.).
Die anwesenden Mitglieder geben ihrem Beileide durch
Erheben von den Sitzen Ausdruck.
Herr Prof. Dr. L. Weinek, Director der k. k. Sternwarte in
Prag, übermittelt als Fortsetzung seiner Mondarbeiten weitere
25 photographische Mondvergrösserungen mit hierauf bezüg-
lichen Erläuterungen.
Der Secretär legt folgende eingesendete Abhandlungen
vor:
1. »Die Abweichung des gesättigten Wasserdampfes
vom Mariotte-Gay-Lussac'schen Gesetze«, von Prof.
Dr. O. Tumlirz an der k. k. Universität in Czernowitz.
2. Ȇber die cubischen Raumcurven, welche die
Tangentenfläche einer vorgelegten cubischen
Raumcurve in vier, fünf oder sechs Punkten be-
rühren«, von Prof. Dr. Gustav Kohn an der k. k. Univer-
sität in Wien.
3. »Die postmortale Diagnose mittelst einer neuen
Art von schwarzen Strahlen, der sogenannten
Kritik-Strahlen«, von Herrn E. Friedrich in Elbing
(Westpreussen).
748
Das w. M. Herr Hofrath Prof. V. v. Ebner überreicht eine
Abhandlung von stud. med. G. Günther, Demonstrator am
histologischen Institut der k. k. Universität in Wien: »Über
ein Krystalloid der menschlichen Schilddrüse«.
Das w. M. Herr Hofrath Prof. L. Boltzmann überreicht
eine Abhandlung von Dr. Gustav Jäger: »Über die Fort-
pflanzung des Schalles in bewegter Luft«.
749
XXVI. SITZUNG VOM 10. DECEMBER 1896.
Herr Dr. K. Brunner v. Wattenwyl, k. k. Ministerial-
rath i. R. in Wien, spricht den Dank aus für den ihm zur Heraus-
gabe seines Werkes: »Die Farbenpracht der Insecten« von
der kaiserl. Akademie gewährten Druckkostenbeitrag.
Das w. M. Herr Ober-Sanitätsrath Prof. A. Weichsel-
baum überreicht eine Arbeit aus dem pathologisch-anatomi-
schen Institute der k. k. Universität in Wien von Dr. J. Halban:
Ȇber die Resorption der Bacterien bei localer
Infection«.
Selbständige Werke oder neue, der Akademie bisher nicht
zugekommene Periodica sind eingelangt:
Retzius Gustaf, Das Menschenhirn. Studien in der
makroskopischen Morphologie. (Mit 96 Tafeln in Licht-
druck und Lithographie.) I. Text; II. Tafeln. Stockholm
1896; Folio.
750
XXVII. SITZUNG VOM 17. DECEMBER 1896.
Das c. M. Herr Hofrath Prof. E. Ludwig übersendet eine
Arbeit aus dem chemischen Laboratorium der k. k. technischer*
Hochschule in Graz von Prof. F. Emich: Ȇber die Ent-
zündlichkeit von dünnen Schichten explosiver Gas-
gemenge«. (I. Mittheilung.)
Das w. M. Herr Hofrath V. v. Lang überreicht eine Arbeit
von Dr. A. Lampa in Wien: Ȇber die Brechungsquo-
tienten einiger Substanzen für sehr kurze elektrische
Wellen«. (IL Mittheilung.)
Das w. M. Herr Ober-Sanitätsrath Prof. A. Weichselbaum
überreicht eine im pathologisch-anatomischen Institute der
k. k. Universität in Wien ausgeführte Arbeit von Dr. Frederic
J. Cotton aus Boston, betitelt: »Ein Beitrag zur Frage der
Ausscheidung von Bakterien durch den Thierkörper«.
Herr Dr. Ernst Murmann in Wien überreicht eine Ab-
handlung: Ȇber die quantitative Analyse des Werk-
kupfers«.
Die Sitzungsberichte der mathem.-naturw. Classe
erscheinen vom Jahre 1888 (Band XCVII) an in folgenden
vier gesonderten Abtheilungen, welche auch einzeln bezogen
werden können:
Abtheilung I. Enthält die Abhandlungen aus dem Gebiete der
Mineralogie, Krystallographie, Botanik, Physio-
logie der Pflanzen, Zoologie, Paläontologie, Geo-
logie, Physischen Geographie und Reisen.
Abtheilung II. a. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der
Mathematik, ,Astronomie, Physik, Meteorologie
und Mechanik.
Abtheilung II. b. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der
Chemie.
Abtheilung III. Die Abhandlungen aus dem Gebiete der
Anatomie und Physiologie des Menschen und der
Thiere, sowie aus jenem der theoretischen Medicin.
Dem Berichte über jede Sitzung geht eine Übersicht aller
in derselben vorgelegten Manuscripte voran.
Von jenen in den Sitzungsberichten enthaltenen Abhand-
lungen, zu deren Titel im Inhaltsverzeichniss ein Preis bei-
gesetzt ist, kommen Separatabdrücke in den Buchhandel und
können durch die akademische Buchhandlung Carl Gerold*s
Sohn (Wien, I., Barbaragasse 2) zu dem angegebenen Preise
bezogen werden.
Die dem Gebiete der Chemie und verwandter Theile anderer
Wissenschaften angehörigen Abhandlungen werden auch in be-
sonderen Heften unter dem Titel: »Monatshefte für Chemie
und verwandte Theile anderer Wissenschaften« heraus-
gegeben. Der Pränumerationspreis für einen Jahrgang dieser
Monatshefte beträgt 5 fl. oder 10 Mark.
Der akademische Anzeiger, welcher nur Original- Auszüge
oder, wo diese fehlen, die Titel der vorgelegten Abhandlungen
enthält, wird, wie bisher, acht Tage nach jeder Sitzung aus-
gegeben. Der Preis des Jahrganges ist 1 fl. 50 kr. oder 3 Mark.
3 2044 093 284 271
Date Due
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