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Full text of "Sitzungsberichte"

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HARVARD    UNIVERSITY. 


LIBRARY 

OP  THE 

MUSEUM  OP  COMPARATIVB  ZOÖLOGY. 


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SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


MATHEMATISCH-NATURWfSSENSCHAnUCHECUSSE. 


HUNDERTFÜNFTER  BAND. 


■  8  ^»^    Ol 


WIEN,  1896. 

AUS  DER  KAISERLICH- KÖNIGLICHEN  HOF-  UND  STAATSDRUCKEREI. 


IN  COMMISSION  BEI  CARL  GEROLD'S  SOHN, 

BUCHHÄNOLBR  DRR  KAISEKLICHSN  AKADRMIK  DER  WISSBNSCH APTRN. 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


MATHEMATISCH-MTÖRWISSENSCHAFTLICHENCLASSE 


DER  KAISERLICHEN 


AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


CV.  BAND.  ABTHEILUNG  I. 
Jahrgang  1896.  —  Heft  1  bis  X. 

(MIT  26  TAFELN,  4  KARTENSKIZZEN  UND  35  TEXTFIGUREN.) 


"'^WIEN,   1896. 

AUS  DER  KAISERLICH -KÖNIGLICHEN  HOF-  UND  STAATSDRUCKEKEL 
IN  COMMISSION  BEI  CARL  GEROLD'S  SOHN, 

BUCHHÄNOLBR  DBR  KAISKKLICHBN  AKADBMIB  OBK  WISSBNSCHAPTBN. 


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INHALT. 


Seite 

I.  Sitzung  vom    0.  Jänner  1896:  Übersicht 3 

II.  Sitzung  vom  16.  Jänner  1896:  Obersicht 71 

III.  Sitzung  vom  23.  Jänner  1896:  Übersicht 72 

IV.  Sitzung  vom    6.  Februar  1896:  Übersicht 77 

V.  Sitzung  vom  13.  Februar  1896:  Obersicht 79 

VI.  Sitzung  vom  20.  Februar  1896:  Obersicht 81 

VII.  Sitzung  vom    5.  März  1896:  Übersicht 193 

vm.  Sitzung  vom  12.  März  1896:  Obersicht 195 

IX.  Sitzung  vom  19.  März  1896:  Obersicht 196 

X.  Sitzung  vom  16.  April  1896:  Übersicht 267 

XI.  Sitzung  vom  23.  April  1896:  Obersicht 353 

XII.  Sitzung  vom    7.  Mai  1896:  Übersicht 357 

XIII.  Sitzung  vom  15.  Mai  1896:  Übersicht 359 

XJV.  Sitzung  vom  21.  Mai  1896:  Übersicht 393 

XV.  Sitzung  vom  11.  Juni  1896:  Übersicht 397 

XVI.  Sitzung  vom  18.  Juni  1896:  Übersicht 433 

XVn.  Sitzung  vom    2.  Juli  1896:  Übersicht 467 

XVin.  Sitzung  vom    9.  Juli  1896:  Übersicht 469 

XIX.  Sitzung  vom    8.  October  1896:  Übersicht 601 

XX.  Sitzung  vom  15.  October  1896:  Übersicht 649 

XXI.  Sitzung  vom  22.  October  1896:  Übersicht         650 

XXII.  Sitzung  vom    5.  November  1896:  Übersicht 741 

XXin.  Sitzung  vom  12.  November  1896:  Übersicht 743 

XXIV.  Sitzung  vom  19.  November  1896:  Übersicht 744 

XXV.  Sitzung  vom    3.  December  1896:  Übersicht 747 

XXVI.  Sitzung  vom  10.  December  1896:  Übersicht 749 

XXVn.  Sitzung  vom  17.  December  1896:  Übersicht 750 

Adensamer  Tk.,  Über  Ascodipterou  phyllorhiftae  (n.  gen.,  n.  sp.), 
eine  eigenthümliche  Pupiparenform.  (Mit  2  Tafeln.)  [Preis: 

40  kr.  =  80  Pfg.] 400 

Burgerstein  A.,  Weitere  Untersuchungen  über  den  histologischen 
Bau  des  Holzes  der  Pomaceen,  nebst  Bemerkungen  über 

das  Holz  der  Amygdaleen.  [Preis :  30  kr.  =  60  Pfg.]  ...  552 


V'l 


Seile 

Fuchs  Tk.,  Vorläufige  Mittheilung  über  einige  Versuche,  ver- 
schiedene, in  das  Gebiet  der  Hieroglyphen  gehörige  pro- 
blematische Fossilien  auf  mechanischem  Wege  herzustellen. 
[Preis:   20  kr.  =  40  Pfg.] 417 

EUingskausen  C,  Freih.  v..  Über  neue  Pflanzenfossilien  in  der 
Radoboj-Sammlung  der  Universität  Lüttich.  (Mit  5  Tafeln 
und  4  Textfiguren.)  [Preis:  80  kr.  =  1  Mk.  60  Pfg.l    ...    473 

Ginzherger  i4..  Über  einige  Lathyrus-htien  aus  der  Section  Eula- 
ihyrus  und  ihre  geographische  Verbreitung.  (Mit  1  Tafel, 
2  Kartenskizzen  und  1  Textfigur.)  Preis:  1  fl.  =2  Mk.]  .    .    281 

Gjokid  G.,  Zur  .Anatomie  der  Frucht  und  des  Samens  von  Viscnm. 

(Mit  1  Tafel.)  [Preis :  30  kr.  =  60  Pfg.] 447 

Heberdey  PK  Krystallmessungen  IL  (Mil  28  Textfiguren.)  [Preis: 

55  kr.  =  1  Mk.  10  Pfg.] 96 

Hilber  V.,  Geologische  Reise  in  Nord-Griechenland  und  Türkisch- 

Epirus  1895.  (Vorläufiger  Bericht.)  [Preis:  20  kr.  =  40  Pfg.|    501 

Klapälck  Fr.,  Über  die  Geschlechtstheile  der  Plecopteren,  mit  be- 
sonderer Rücksicht  auf  die  Morphologie  der  Genitalanhänge. 
(Mit  5  Tafeln.)  [Preis:   1  fl.  40  kr.  =  2  Mk.  80  Pfg.]   ...    683 

Luksch  /.,  Vorläufiger  Bericht  über  die  physikalisch -oceano- 
graphischen  Untersuchungen  im  Rothen  Meere.  October 
1895  bis  Mai  1896.  (Mit  2  Kartenskizzen.)  [Preis:  60  kr.  = 
IMk.  20  Pfg.] 361 

Maly  G.  W.^  Untersuchungen  über  Verwachsungen  und  Spaltungen 
von  Blumenblättern.  (Mit  2  Tafeln.)  [Preis:  45  kr.  = 
90  Pfg.] 269 

Mojsisovics  E.  v..  Über  den  chronologischen  Umfang  des  Dachstein- 
kalkes. [Preis:  40  kr.  =  80  Pfg.] 5 

Molisch  H..   Das  Erfrieren  von  Pflanzen  bei  Temperaturen  über 

dem  Eispunkte.  [Preis:  20  kr.  =  40  Pfg.] 82 

—     Die  Ernährung  der  Algen  (Süsswasseralgen,  IL  Abhand- 
lung). [Preis;  20  kr.  =  40  Pfg.] 633 

Nesller  A.,  Untersuchungen  über  die  Ausscheidung  von  Wasser- 
tropfen an  den  Blättern.  (Mit  2  Tafeln.)  [Preis:  50  kr.  =-- 
1  Mk.] 521 

Pintner  Th.,  Studien  über  Tetrarhynchen  nebst  Beobachtungen  an 
anderen  Bandwürmern.  (IL  Mittheilung.)  (Mit  4  Tafeln.) 
[Preis:  90  kr.  =  1  Mk.  80  Pfg.] 652 

Richter  E.,    Geomorphologische   Beobachtungen   aus  Norwegen. 

(Mit  2  Tafeln  und  2  Textfiguren.)  [Preis:  45  kr.  =  90  Pfg.]   147 

Sleindachner  F.,  Vorläufiger  Bericht  über  die  zoologischen  Ar- 
beiten im  nördlichen  Theile  des  Rothen  Meeres  während 
der  Expedition  Sr.  Majestät  Schiff  »Polac  in  den  Jahren 
1895—1896.  (October  1895  bis  Ende  April  1896.)  [Preis: 
20  kr.  =  40  Pfg.] 583 


VII 

Seite 
Steiner  /.,  Beitrag  zur  Flechtenflora  Südpersiens.  [Preis :  1 5  kr.  = 

30Pfg.] 436 

Stoklasa  /.,  Über  die  Verbreitung  und  physiologische  Bedeutung 

des  Lecithins  in  der  Pflanze.  [Preis:  30  kr.  =  60  Pfg.]  .  .  604 
Tschermak  E.,  Über  die  Bahnen  von  Farbstoff-  und  Salzlösungen 

in  dicotylen  Kraut-  und  Holzgewächsen.  [Preis:  30  kr?= 

60  Pfg.] 41 

Werner    F.,     Über    die    Schuppenbekleidung    des    regenerirten 

Schwanzes  bei  Eidechsen.  (Mit  2  Tafeln.)  [Preis:  45  kr.  = 

90  Pfg.] 123 

Zukal  H.t  Morphologische  und  biologische  Untersuchungen  über 

die  Flechten.  (III.  Abhandlung.)  [Preis:  75  kr.  =  1  Mk.  50  Pfg.]     197 


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SITZUNGSBERICHTE 

' OJ^  DER  KAISERLICHEN 

AKADEMIE  DEH  WISSENSCHAFTEN. 


MATHEMATISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 

CV.  BAND.    I.  UND  II.  HEFT. 
JAHRGANG  1896.  —  JÄNNER  UND  FEBRUAR. 

ABTHEILUNG  L 

ENTHÄLT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  MINERALOGIE, 

KRYSTALLOGRAPHIE,  BOTANIK,  PHYSIOLOGIE  DER  PFLANZEN,  ZOOLOGIE, 

PALÄONTOLOGIE,  GEOLOGIE,  PHYSISCHEN  GEOGRAPHIE  UND  REISEN. 

■  MIT^4  TAl-KLN  UND  ?y)  TEXTFIOURKV.) 


\VIP:N,  1896. 

AUS  DER    KAISKRLICH-KÖNMGLirilKN  HOF-  UND  STAATSD  R  UC  K  FREI. 
IN  COMMISSION  BEI  CARL  GEROLDS  SOHN, 

PL'CHH\NMEK  PER  K  Al^RRI.ir  HKN  AKADEMIE  UF.K   \V  J>-s  b  NSC  H  A  T  rfcX 


INHALT 

des  1.  und  2.  Heftes  Jänner  und  Februar  1896  des  CV.  Bandes,  Ab- 
theilung I  der  Sitzungsberiohte  der  mathem.-naturw.  Classe. 

Seite 
I.  Sitzung  vom  9.  Jänner  1896:  Übersicht 3 

Mojsisovics  E.  v..  Über  den  chronologischen  Umfang  des  Dachstein- 
kalkes. [Preis :  40  kr.  =  80  Pfg.] 5 

Tschennak  E.,  Über  die  Bahnen  von  Farbstoff-  und  Salzlösungen 
in  dicotylen  Kraut-  und  Holzgewächsen.  [Preis:  30  kr.  = 
60  Pfg.] 41 

11.  Sitzung  vom  16.  Jänner  1896:  Übersicht 71 

III.  Sitzung^ vom  23.  Jänner  1896:  Übersicht '.    .    .    .  72 

IV.  Sitzung  vom  6.  Februar  1 896 :  Übersicht 77 

V.  Sitzung  vom  13.  Februar  1896:  Übersicht 79 

VI.  Sitzung  vom  20.  Februar  1896:  Übersicht 81 

Molisch  H.»   Das  Erfrieren   von  Pflanzen  bei  Temperaturen  über 

dem  Eispunkte.  [Preis:  20  kr.  =  40  Pfg.] 82 

Heberdey  Ph.,  Krystallmessungen  II.  (Mit  28  Textfiguren.)  [Preis: 

55  kr.  =  1  Mk.  10  Pfg.] 96 

Werner  F.,  Über  die  Schuppenbekleidung  des  regenerirten 
Schwanzes  bei  Eidechsen.  (Mit  2  Tafeln.)  [Preis:  45  kr.  = 
90  Pfg.] 123 

Richter  E.,    Geomorphologische   Beobachtungen    aus   Nom'egen. 

(Mit  2  Tafeln  und  2  Textfiguren.)  [Preis:   45  kr.  =  90  Pfg.]   147 

Preis  des  ganzen  Heftes;  1  fl.  85  kr.  =  3  Mk.  70  Pfg.  , 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CV.  BAND.  I.  HEFT. 


ABTHEILUNG  I. 

ENTHÄLT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  MINERALOGIE, 

KRYSTALLOGRAPHIE,  BOTANIK,  PHYSIOLOGIE  DER  PFLANZEN,  ZOOLOGIE, 

PALÄONTOLOGIE,  GEOLOGIE,  PHYSISCHEN  GEOGRAPHIE  UND  REISEN. 


L 


I.  SITZUNG  VOM  9.  JÄNNER  1896. 


Das  Curatorium  der  Schwestern  Fröhlich-Stiftung 
in  Wien  übermittelt  die  diesjährige  Kundmachung  über  die 
Verleihung  von  Stipendien  und  Pensionen  aus  dieser  Stiftung 
zur  Unterstützung  bedürftiger  und  hervorragender  schaffender 
Talente  auf  dem  Gebiete  der  Kunst,  Literatur  und  Wissenschaft. 

Die  geographische  Gesellschaft  in  Lissabon  ladet 
zur  Theilnahme  an  der  am  8.  Juli  1897  stattfindenden  Feier 
der  vor  vier  Jahrhunderten  unternommenen  Expedition  des 
Vasco  de  Gama  ein. 

Der  Secretär  macht  Mittheilung  von  dem  vom  k.  u.  k. 
Reichs-Kriegs-Ministerium,  Marine-Section,  zur  Einsicht  zuge- 
schickten Missionsberichte  S.  M.  Schiffes  »Pola«  für  den 
Monat  November  1895. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  J.  Wiesner  überreicht  eine 
von  Herrn  Erich  Tschermak  im  botanischen  Institute  der 
Universität  Halle  a.  S.  ausgeführte  Arbeit:  »Über  die  Bahnen 
von  Farbstoff-  und  Salzlösungen  in  dicotylen  Kraut- 
und  Holzgewächsen«. 

Das  w.  M.  Herr  Oberbergrath  Dr.  Edm.  v.  Mojsisovics 
überreicht  eine  für  die  Sitzungsberichte  bestimmte  Abhandlung: 
Ȇber  den  chronologischen  Umfang  des  Dachstein- 
kalkes«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof  A.  Schrauf  überreicht  eine  im 
mineralogischen  Museum  der  k.  k.  Universität  in  Wien  aus- 
geführte Arbeit  des  Herrn  Dr.  Philipp  Heberdey,  unter  dem 
Titel:  »Krystallmessungen«  (II). 

1* 


Herr  Prof.  Dr.  Franz  Toula  von  der  k.  k.  technischen 
Hochschule  in  Wien  erstattet  einen  vorläufigen  Bericht  über 
seine  mit  Subvention  von  Seite  des  h.  k.  k.  Ministeriums  für 
Cultus  und  Unterricht  im  Sommer  1895  ausgeführte  Reise  an 
den  Bosporus  und  an  die  Südküste  des  Marmara- 
meeres. 

Herr  Prof.  Dr.  Josef  Schaffer  in  Wien  überreicht  eine 
Mittheilung:  Ȇber  einen  neuen  Befund  von  Centro- 
somen in  Ganglien-  und  Knorpelzellen«. 


über  den  ehronologisehen  Umfang  des 
Daehsteinkalkes 


Dr.  Edmund  v.  Mojsisovics, 
w.  M.  k.  Akad. 

Zwei,  häufig  zu  grosser  Mächtigkeit  anwachsende  Kalk- 
und  Dolomitmassen  spielen  die  hervorragendste  Rolle  in  der 
Zusammensetzung  des  ostalpinen  Triasgebirges.  Die  ältere 
derselben  ist  der  Wettersteinkalk  (Schierndolomit,  Esinokalk) 
die  jüngere  der  Dachsteinkalk  (Hauptdolomit,  Dolomia  media). 
Eine  mergelig-kalkige  Zwischenlage  (Raibler  Schichten)  trennt 
in  der  Regel  diese  beiden  Hauptmassen  des  thonarmen  Trias- 
kalkes. 

Wo  keine  heteropischen  Einlagerungen  die  Einheit  des 
Wetterstein-  und  Dachsteinkalkes  unterbrechen  und  eine  Gliede- 
rung zulassen,  bilden  die  genannten  Kalkcomplexe  untrennbare, 
einer  detailirten  Gliederung  unzugängliche  Körper.  Wo  jedoch, 
wie  dies  namentlich  in  den  südosttirolischen  Triasdistricten  der 
Fall  ist,  heteropische  Regionen  das  Kalk-  und  Dolomitgebiet 
unterbrechen  und  häufige  Wechsellagerungen  an  den  Grenzen 
der  Faciesbezirke  eintreten,  da  konnte  der  stratigraphische 
Inhalt  und  der  Umfang  des  thonarmen  Triaskalkes  schärfer 
bestimmt  und  nachgewiesen  werden,  dass  der  Schierndolomit 
(Wettersteinkalk)  einer  Mehrheit  von  paläontologischen  Zonen 
ganz  oder  theilweise  entspricht.^  Es  steht  heute  fest,  dass  diese 
Riffkalk-Facies  stellenweise  von  den  Raibler  Schichten  abwärts 
bis  zu  den  Werfener  Schichten  reicht,  sonach  nicht  nur  die 


1  Man  vergl.  Dolomitriffe  von  Südtirol  und  Venetien. 


Ö  E.  V.  Mojsisov  CS, 

tieferen  Glieder  der  tirolischen  ^  Serie,  sondern  auch  noch  die 
dinarische  Serie  umfasst.  Weitaus  häufiger  ist  aber  der  Fall, 
dass  die  dinarische  Serie  heteropisch  ausgebildet  ist,  so  dass 
bloss  die  drei  älteren  Unterstufen  der  tirolischen  Serie  in  der 
Riff  kalk  -  Facies  vertreten  sind.  Unter  den  im  Allgemeinen 
seltenen  Fossilien,  welche  der  Riff-Facies  und  ihren  verschieden- 
artigen heteropischen  Äquivalenten  gemeinsam  sind,  stehen  die 
Cephalopoden  in  erster  Reihe.  Trotzdem  dieselben  in  den  Riff- 
kalken nur  local  beschränkt,  nesterförmig  auftreten  und  daher 
keineswegs  gleichmässig  verbreitet  sind,  wurde  durch  dieselben 
doch  der  wünschenswerthe  paläontologische  Nachweis  für  die 
Vertretung  wenigstens  einiger  der  durch  den  Riffkalk  ver- 
tretenen faunistischen  Einheiten  (Zonen)  ermöglicht. 

In  der  oberen  Kalkmasse,  dem  an  der  Basis  durch  die 
Raibler  Schichten,  im  Hangenden  durch  den  unteren  Lias  be- 
grenzten Dachsteinkalk  unterschied  ich  bis  zum  Jahre  1892 
bloss  zwei  Zonen.  Es  waren  dies  die  Zone  der  Avicula  con- 
torta  (Rhätische  Stufe),  welche  die  geringer  mächtigen  obersten 
Partien  des  isopisch  entwickelten  Dachsteinkalkes  umfasst, 
und  die  Zone  der  Avicula  exiliSy  welcher  die  Hauptmasse  des 
Dachsteinkalkes  zugerechnet  wurde.  Dazu  muss  jedoch  bemerkt 
werden,  dass  in  den  Regionen  der  typischen  Dachsteinkalk- 
Entwicklung  eine  scharfe  Grenze  zwischen  den  genannten 
beiden  Zonen  nicht  gezogen  werden  konnte.  Auch  wurde 
wiederholt  betont,  dass  eine  scharfe  Grenze  gegen  unten,  d.  i. 
gegen  die  Raibler  Schichten,  gleichfalls  nicht  existirt,  und  dass 
ein  gewisser,  nicht  genauer  zu  fixirender  Theil  der  untersten 
Partien  des  Dachsteinkalkes  höchst  wahrscheinlich  noch  der 
Zone  des  Trachyceras  Äonoides  (Raibler  Schichten)  zuzuzählen 
sein  dürfte. 

Die  Bezeichnung  Zone  der  Avicula  exilis  und  des  Turbo 
solitariuSy  welche  ich  der  damals  noch  zur  Karnischen  Stufe 
gezählten  Hauptmasse  gegeben  hatte,  war  ein  Verlegenheits- 
name, welchen  die  etwas  reichere  Local fauna  des  südwest- 


1  E.  V.  Mojsisovics,  W.  Waagen  und  C.  Diener,  Entwurf  einer 
Gliederung  der  pelagischen  Sedimente  des  Triassystems.  Diese  Sitzungsber., 
Hd.  CIV,  Abth.  I,  S.  1271  —  1302. 


Chronologischer  Umfang  des  Dachsteinkalkes.  7 

lirolischen  und  lombardischen  Dachsteinkalkes  (Dolomia  media) 
dargeboten  hatte.  Ich  betonte  aber  bereits  im  Jahre  1878, 
dass  es  nicht  möglich  sei,  *den  genauen  historischen  Werth 
des  Kamischen  Dachsteinkalkes  zu  ermitteln«,  und  »dass  nicht 
übersehen  werden  dürfe,  dass  anderwärts  ein  mehrfacher 
Wechsel  der  Fauna  eingetreten  sein  könnte,  ohne  bei  der  Fort- 
dauer der  gleichen  physikalischen  Verhältnisse  in  den  Alpen 
wahrnehmbare  oder  mit  jenen  Änderungen  correspondirende 
Spuren  zurückgelassen  zu  haben«. ^ 

Durch  die  in  neuester  Zeit  gewonnene  Erkenntniss,  dass 
die  Hallstätter  Kalke  des  Salzkammergutes  eine  ganz  eigen- 
thümliche,  aus  der  dinarischen  Serie  ununterbrochen  bis  an 
die  untere  Liasgrenze  reichende  Triasentwicklung  darstellen,^ 
bieten  sich  auch  für  die  Frage  nach  dem  stratigraphischen 
Inhalte  des  Dachsteinkalkes  neue  Gesichtspunkte  dar.  Ich  habe 
zwar  bereits  in  dem  der  Abhandlung  über  »Die  Hallstätter  Ent- 
wicklung der  Trias«  beigegebenen  Schema  der  wichtigsten 
Fasciesgebilde  der  ostalpinen  Trias  ganz  klar  meine  Meinung 
in  dem  Sinne  zum  Ausdrucke  gebracht,  dass  der  vorher  als 
Karnischer  Dachsteinkalk  bezeichnete  Complex  nunmehr  als 
ein  Zeitäquivalent  der  oberkarnischen  Zone  des  Tropites 
subbullalus  und  der  neu  aufgestellten  juvavischen  Stufe  zu 
betrachten  ist.  Diese  Parallelisirung  steht  aber  nicht  nur  mit 
althergebrachten  Anschauungen  im  schärfsten  Gegensatze, 
sondern  stellt  auch  Ablagerungen  neben  einander,  welche 
nach  Gesteinscharakter,  Mächtigkeit  und  Fossilführung  von 
einander  total  abweichen.  Ich  wundere  mich  daher  auch  nicht 
im  geringsten,  wenn  Zweifel  an  der  Richtigkeit  der  Gleich- 
stellung ausgesprochen  werden,  und  aus  diesem  Grunde  sehe 
ich  mich  veranlasst,  mich  etwas  eingehender  mit  der  Begründung 
derselben  zu  befassen. 

Die  Hallstätter  Entwicklung  der  Trias,  welche  auf  die 
nördlichen  Kalkalpen  zwischen  Berchtesgaden  im  Westen  und 
Bernstein  im  Osten  beschränkt  ist,  nimmt  innerhalb  dieses 
enge  begrenzten  Gebietes  selbst  wieder  nur  sehr  untergeordnete, 


1  Dolomitriffe  von  Südtirol  und  Venetien,  S.  70. 
-  Diese  Sitzungsber.,  Bd.  CI,  Abth.  I,  S.  769. 


14  E.  V.  Mojsisovics, 

als  der  Opponitzer  Dolomit  sein  sollte,  festgehalten,  wie  die 
Farbenlegende  zu  seiner  geologischen  Karte  der  Umgebung 
von  Wien  (1891)  beweist. 

Nachdem  ich  bereits  in  den  Jahren  1869^  und  187P  den 
Nachweis  geführt  hatte,  dass  der  nordtirolische  Hauptdolomit  im 
Salzburgischen  seinen  Charakter  ändert  und  in  den  Dachstein- 
kalk übergeht,  beide  Bildungen  sonach  nur  stellvertretende 
Facies  sind,  zeigte  ich  im  Jahre  1874,  dass  die  Kalke  des 
Ewigen  Schneeberges  als  die  »Korallenriff-Facies  des  Haupt- 
dolomites« zu  betrachten  sind.  »In  der  Richtung  gegen  Norden 
nimmt  der  Korallenkalk  rasch  an  Mächtigkeit  ab,  und  an  seine 
Stelle  tritt  die  wohlbekannte  Facies  des  Dachsteinkalkes,  welche 
jedoch  auch  zahlreiche  Korallenkalkbänke  (sogenannten  Litho- 
dendronkalk),  alternirend  mit  Megalodusbänken  und  dolomiti- 
schen Kalken  enthält«^ 

»In  diesem  an  Korallenresten  ungemein  reichen  Kalke 
finden  sich  stellenweise,  ohne  fortlaufende  Schichten  zu  bilden, 
Einlagerungen  eines  rothen  knolligen  Kalkes,  ähnlich  gewissen 
rothgefärbten  Zwischenlagen  des  Dachsteinkalkes.  Ausser 
Korallen  sind  mir  aus  diesem  Kalke  grosse  Gasteropoden,  ver- 
schieden von  den  Arten  des  Wettersteinkalkes  und  von  einer 
Stelle  am  Südgehänge  des  Hochkönigs  (Ewiger  Schneeberg) 
auch,  der  Art  nach  zwar  der  Erhaltung  wegen  nicht  bestimm- 
bare, aber  jedenfalls  von  allen  mir  bekannten  Fornen  der  Hall- 
stätter  Kalke  abweichende  Reste  von  Arcestes  und  Pinacoceras 
(aus  der  Gruppe  des  Pinacoceras  platyphylhtm)  bekannt  ge- 
worden.»"* 

Diese  Ammonitenreste  gehören  den  Mayerhofer* sehen 
Funden  an.  Sie  sind  identisch  mit  den  Ammoniten,  welche 
von  Foetterle,  Fr.  v.  Hauer  und  Stur  angeführt  und  ihrer 
schlechten  Erhaltungsweise  wegen  nicht  sicher  bestimmbar 
erklärt  wurden. 

Eine  Reihe  von  weiteren  Funden  wurden  in  den  Jahren 
1883 — 1884  bei  den  Revisionsarbeiten  in  den  Salzburger  Hoch- 


1  Verh.  Geol.  R.  A.,  S.  278. 

-'  Jahrb.  Geol.  R.  A.,  S.  205,  206. 

3  Jahrb.  Geol.  R.  A.  1874,  S.  11  ö. 

•4  Jahrb.  Geol.  R.  A.  1874,  S.  113. 


Chronologischer  Umfang  des  Dachsteinkalkes.  1 5 

kalkalpen  von  Dr.  Alexander  Bittner  gemacht.  Die  meisten 
derselben  stammen  aus  dem  Gebirgsstocke  des  Ewigen  Schnee- 
berges und  des  Hagengebirges.  Wichtige  Funde  lieferte  aber 
auch  der  Korallen-Riffkalk  des  Hohen  Göll  und  die  isolirte 
Kuppe  der  Pailwand  (bei  Abtenau).  Den  ausführlichen  Mit- 
theilungen, welche  Bittner  publicirte,  ist  zu  entnehmen,  dass 
die  Salzburgischen  Riffkalke  des  Dachsteinkalkes  stellenweise 
reich  an  Halobien,  Halorellen  und  leiostraken  Ammoniten  vom 
Typus  der  Hallstätter  Vorkommnisse  sind.^  Bittner  folgerte 
daraus,  dass  diese  Riffkalke  mit  Einlagerungen  von  Hallstätter 
Facies  »einem  Theile  der  echten  Hallstätter  Schichten  ent- 
sprechen könnten«.  In  dem  resumirenden  Schlüsse  seiner 
zweiten  citirten  Abhandlung  fasst  Bittner  die  Ergebnisse  seiner 
Untersuchungen  in  folgender  Weise  zusammen:  »Die  bisher 
bekannte  Fauna  der  Schichten  von  Hallstätter  Facies  im  Salz- 
burger Hochgebirgs-Korallenkalk  umfasst  demnach  heute  schon 
(die  Vorkommnisse  an  der  Pailwand  inbegriffen)  Vertreter  der 
Ammonitengenera  Megaphyllites,  Monophyllites,  Phylloceras 
(Rhacophyllites),  Arcestes,  Pinacoceras  und  Tropites,  nebst  etwa 
zwölf  Arten  von  Halobien  und  einer  beträchtlichen  Anzahl  von 
Brachiopoden,  darunter  wieder  mehrere,  welche  Arten  aus  der 
bekanntlich  ganz  eigenthümlichen  Brachiopodenfauna  der  Hall- 
stätter Kalke  äusserst  nahe  stehen«. 

Wenn  nach  den  in  neuester  Zeit  gemachten  Erfahrungen 
über  die  Stellung  und  Gliederung  der  echten  Hallstätter  Kalke  die 
Anschauung,  dass  ein  Theil  der  Hallstätter  Kalke  (welcher?)  der 
Rifffacies  des  Dachsteinkalkes  äquivalent  sei,  sich  als  berechtigt 
herausstellt,  so  schien  mir  dagegen  nach  dem  damaligen 
Stande  der  Kenntnisse  die  Auffassung,  dass  Hallstätter  Typen 
sich  noch  in  das  Niveau  des  Hauptdolomits  aufwärts  fort- 
setzen, als  die  angemessenere  Deutung.  Insolange  nämlich  die 
Zlambach-Schichten  als  die  Unterlage  der  gesammten  Hallstätter 
Kalke  angesehen  wurden,  mussten  die  den  Raibler  Schichten 
gleichstehenden  Aonoides-Schichten  als  das  hängendste  Glied 
der  Hallstätter  Serie  betrachtet  und  mussten  daher  entweder 
die  im  Hangenden  der  Raibler  Schichten  auftretenden  Hallstätter 


1  Verh.  Geol.  R.  A.  1884,  S.  105-113,  ferner  S.  858-367. 


16  E.  V.  Mojsisovics, 

Typen  als  die  Nachkommenschaft  ähnlicher  oder  verwandter 
Hallstätter  Arten  angesehen  werden,  oder  aber  es  mussten  bei 
der  Annahme,  dass  hier  thatsächlich  Hallstätter  Kalk  vorliege, 
die  im  Liegenden  dieses  Kalkes  auftretenden  Cardita-Schichten 
als  sogenannte  »untere  Cardita-Schichten«  betrachtet  und  den 
Zlambach-Schichten  äquivalent  angesehen  werden.  Da  aber 
diese  Alternative  völlig  ausgeschlossen  erschien,  nachdem  ich 
bereits  im  Jahre  1874  gezeigt  hatte,  dass  »untere»  und  »obere« 
Cardita-Schichten  ein  und  dasselbe  Niveau  seien,^  so  musste 
die  Anschauung,  dass  die  Fossilien  des  Salzburgischen  Riff- 
kalkes die  mit  den  Hallstätter  Faunen  verwandte  Fauna  des 
Hauptdolomits  repräsentiren,  als  die  berechtigte  betrachtet 
werden,  wie  auch  v.  Gümbel  noch  in  seinem  neuesten  Werke 
betonte.^ 

Auch  wenn  die  Frage  vom  ausschliesslich  paläontologi- 
schen Standpunkte  betrachtet  wurde,  lag  keine  zwingende 
oder  -überzeugende  Thatsache  für  die  Gleichstellung  der  Riff- 
fauna mit  der  Hallstätter  Fauna  vor.  Von  den  Halorellen  war 
es  längst  bekannt,  dass  sie  sowohl  im  Dachstein-,  wie  auch 
im  Hallstätter  Kalk  vorkommen,  ohne  dass  Jemand  daraus  auf 
die  Gleichzeitigkeit  der  beiden  Bildungen  geschlossen  hätte. 
Dass  Halobien  in  den  Dachsteinkalk  aufsteigen,  konnte  gleich- 
falls nicht  überraschend  erscheinen.  Was  endlich  die  Cephalo- 
poden  betrifft,  so  konnte  vorausgesetzt  werden,  dass  eine 
Cephalopodenfauna  des  Hauptdolomits  vorwiegend  aus  triadi- 
schen Typen  bestehen  werde,  da  ja  auch  die  spärliche  Cephalo- 
podenfauna der  rhätischen  Stufe  ein  ausgesprochen  triadisches 
Gepräge  aufweist. 

Einer  derartigen  Voraussetzung  entsprachen  denn  auch 
die  aus  dem  Salzburgischen  Riffkalke  bekannt  gewordenen 
Cephalopoden.  Unter  den  vorliegenden  Gattungen  finden  sich 
einige,  wie  Entomoceras  und  Paratropites,  welche  bisher  nur 
aus  karnischen  Ablagerungen  bekannt  sind,  die  meisten  sind 
der  karnischen  und  juvavischen  Stufe  gemeinsam,  und  keine 
einzige  unter  ihnen  ist  für  die  juvavische  Abtheilung  der  Hall- 


1  Jahrb.  Geol.  R.  A.  1874,  S.  106. 

-  Geologie  von  Bayern.  II.  Bd.,  1892,  S.  221. 


Chronologischer  Umfang  des  Dachsteinkalkes.  1 7 

Stätter  Kalke  charakteristisch.^  Die  weitaus  grössere  Mehrheit 
gehört  leiostraken  Typen  an,  welche  bekanntlich  für  scharfe 
Niveaubestimmungea  eine  geringere  Eignung  besitzen  als  die 
trachyostraken  Formen,  da  sie  häufig  durch  eine  Reihe  von 
Zonen  hindurchreichen  oder  in  verschiedenen  Horizonten  in 
nahezu  übereinstimmender  Form  wiederkehren.  Trotz  manchmal 
ausgezeichneter  Erhaltung  konnten  die  meisten  leiostraken 
Schalen  nur  annähernd  bestimmt  werden,  da  entweder  das 
Material  zu  unvollständig  war,  oder  gewisse  Abweichungen 
von  den  nächststehenden  bekannten  Arten  zu  constatiren  sind. 
Bloss  unter  den  trachyostraken  Resten  fanden  sich  bestimmbare 
charakteristische  Arten,  welche  aber  mit  karnischen  Formen 
übereinstimmten. 

Der  paläontologische  Befund  ^  stand  daher  im  vollkommen- 
sten Einklänge  mit  der  Annahme,  dass  hier  die  Andeutung 
einer  neuen  Cephalopodenfauna,  und  zwar  jener  des  Hauptdolo- 
mites, vorliege,  welche  durch  einige  wenige  gemeinsame  Arten 
mit  den  unterlagernden  karnischen  Horizonten  verbunden  sei. 

Erst  die  im  Jahre  1892  gewonnene  Erkenntniss  über  die 
wahre  Stellung  der  Zlambach-Schichten  im  Complexe  der  Hall- 
stätter  Kalke  ermöglicht  nun  eine  veränderte  Deutung  der 
Fauna  des  Riffkalkes. 

I.  Aus  dem  grossen  südlichen  Korallenriffe  des  Ewigen 
Schneeberges  (Pongauer  Riff)  liegen  Funde  zweierlei  Art  von 
der  Südseite  der  Wetterwand  bei  Mühlbach  nächst  Bischofs- 
hofen  vor.  Ein  sehr  charakteristisches  Gestein,  ein  grauer, 
etwas  dolomitischer,  krystallinisch  flimmernder  Kalk,  welcher 
stellenweise  von  einer  sehr  kleinen  Posidonomya  erfüllt  ist. 


i  Die  Gattung  StenarcesUs,  welche  allerdings  in  den  juvavischen  Hall- 
stätter  Kalken  sehr  häufig  auftritt,  ist  mir  in  einer  noch  unbeschriebenen  Art 
seit  15  Jahren  auch  aus  den  julischen  Schichten  mit  Lobites  ellipticus  des 
Rötheistein  bekannt.  -  Ceph.  d.  Hallst.  K.  II.  Bd.,  S.  824. 

2  Bloss  die  weiter  unten  besprochene  Localität  Demo  in  Ungarn  um- 
schliesst  eine  bestimmt  horizontirbare  juvavische  Cephalopodenfauna.  Da 
dieselbe  aber,  soweit  die  vorliegenden  Nachrichten  ein  Urtheil  gestatten,  unter 
Lagerungsverhältnissen  auftritt,  welche  über  die  stratigraphische  Stellung 
keinen  ausreichenden  Aufschluss  geben,  so  konnte  sie  um  so  weniger  zur 
Horizontirung  des  Dachsteinkalkes  herangezogen  werden,  als  ihr  höheres  Alter 
nicht  nur  möglich,  sondern  höchst  wahrscheinlich  erschien. 

Sitzb.  d.  mathcm.-naturw.  Gl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  2 


18  E.  V.  Mojsisovics, 

lieferte   die   folgenden,  von   Herrn  Bergverwalter   Pirchl  ge- 
sanimelten  Arten : 

1.  Eutomoceras  Theron  Dtm.,  fünf,  zum  Theile  vortrefflich 
erhaltene  Exemplare. 

2.  Juvavites  (Anatomites)  alterniplicatus  Hau.?,  ein  Frag- 
ment, welches  nach  Gestalt  und  Sculptur  gut  mit  der  genannten 
Art  übereinstimmt. 

3.  Arcestes  ind.  Mehrere  unbestimmbare  Lobenkerne  von 
einer  oder  mehreren  Arten  aus  der  Gruppe  der  »Arcestes  coloni^. 

Aus  petrographisch  verschiedenem  Gestein,  einem  dichten, 
stellenweise  riesenoolithischen  Kalk  liegen  vor: 

1.  Nautilus  ind.  Ein  Durchschnitt. 

2.  Stenarcestes^  f.  ind.  Ein  Lobenkern. 

3.  Placites^  cf.  oxyphyllus  Mojs.  Zehn  Exemplare  und 
einige  Gesteinsstücke,  welche  ganz  von  der  hier  gesellig  auf- 
tretenden Form  erfüllt  sind. 

Von  diesen  beiden  Vorkommnissen  ist  das  an  erster  Stelle 
genannte,  nach  seiner  Fossilführung  unzweifelhaft  der  Zone  des 
Tropites  subbullatus  zuzuzählen.  Die  Fossilien  der  zweiten 
Fundgruppe  lassen  mit  Wahrscheinlichkeit  auf  juvavisches 
Alter  schliessen.  Eine  schärfere  Horizontirung  ist  aber  nicht 
durchführbar. 

Aus  demselben  Riffe  liegen  unter  der  Bezeichnung  »Tristl- 
wand«  60  Exemplare  einer  dem  Arcestes  decipiens  Mojs.  in 
den  Dimensionen  und  der  Gestalt  ähnlichen,  aber  etwas 
schmäleren  Form  vor,  deren  Mundrand  und  Loben  aber  leider 
nicht  bekannt  geworden  sind. 

Eine  kleine,  specifisch  gleichfalls  nicht  bestimmbare  Art 
(die  grössten  Stücke  zeigen  einen  Durchmesser  von  23  ww), 
wie  es  scheint  aus  der  Gruppe  der  Arcestes  coloni,  stammt  von 
den  östlichen  Hochgeschirrwänden  im  Hagengebirge  (22  Exem- 
plare). 


1  Der  Gattungsname  Stenarccstes  für  die  Gruppe  der  »Subumbilicati« 
wurde  in  der  Notiz  über  neucaledonische  Triascephalopoden  (Comptes  rendus 
des  seances  de  l'Academie  des  Sciences.  Paris,  18.  Novembre  1895)  vor- 
geschlagen. 

2  Diese  Bezeichnung  wird  für  die  Gruppe  des  Pinacoceras  platyphyllum 
angewendet. 


Chronologischer  Umfang  des  Dachsteinkalkes.  19 

Eine  präcisere  Niveaubestimmung  ist  auf  Grund  der  beiden 
zuletzt  angeführten  Vorkommnisse  nicht  möglich.  Da  die  Gattung 
Arcestes  auf  die  karnische  und  juvavische  Stufe  beschränkt 
ist,  so  lassen  die  beiden  Funde  Spielraum  innerhalb  der  an- 
gegebenen Grenzen. 

Vom  Gipfel  der  Pailwand  bei  Abtenau,  einem  von  der 
Hauptmasse  des  Tehnengebirges  losgelösten  nordöstlichen 
Ausläufer  dieses  Gebirges,  liegt  eine  kleine  von  Dr.  Bittner 
gesammelte  Suite  von  Cephalopoden  vor,  welche  die  folgenden 
Formen  umfasst: 

1.  Jtivavites  (Anatomites)  ittd.  aus  der  Gruppe  der  Inter- 
mittenies.  Das  schmale  hochmündige  Wohnkammerexemplar 
ist  nahezu  glatt.  Bloss  auf  der  schmalen  abgerundeten  Extern - 
Seite  sind  nach  vorne  geschlossene  Bögen  von  schwachen 
Streifen  und  Paulostomfurchen  wahrnehmbar.  Ein  Exemplar. 

2.  Paratropites  tnd.  Ein  Fragment  der  Wohnkammer. 

3.  Mojsvdrites  (Monophyllites)  eugyrus.  Ein  Exemplar. 

4.  Arcestes  ind.  aus  der  Gruppe  der  Coloni.  Ein  Exemplar. 

5.  Arcestes  ind,  aus  der  Gruppe  der  Coloni.  Ein  Exemplar. 
Diese  wenigen  unansehnlichen  Reste  genügen,  um  das 

karnische  Alter  derselben  festzustellen.  Zweifelhaft  könnte  es 
dagegen  erscheinen,  ob  wir  es  mit  einer  julischen  oder  tuvali- 
schen  Lagerstätte  zu  thun  haben.  Da  jedoch  julische  Bildungen 
(Raibler  Schichten)  im  Liegenden  des  hier  nur  in  einem  Denu- 
dationsrest von  geringer  Mächtigkeit  auftretenden  Riffkalkes 
nachgewiesen  sind,  so  dürften  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
die  auf  dem  Gipfel  vorgefundenen  Fossilien  der  Zone  des 
Tropites  subbullatus  angehören.  Zu  Gunsten  dieser  Annahme 
spricht  auch  der  Umstand,  dass  keine  für  die  julischen  Bildungen 
ausschliesslich  bezeichnende  Form  in  der  kleinen  Faunula  ver- 
treten ist. 

Das  Fragment  des  Paratropiten  scheint  überdies  auf  eine 
der  für  die  Subbullatus -Zone  charakteristischen  Arten  hin- 
zudeuten. 

IL  Aus  dem  räumlich  nicht  ausgedehnten  Korallen- 
riffe des  Hohen  Göll  bei  Golling  liegt  mir  aus  Blöcken, 
welche  von  der  Südseite  dieses  Riffes  nächst  dem  Torenner 
Joche  stammen,  eine  Reihe  ziemlich  gut  erhaltener  Cephalo- 


20  E.  V.  Mojsisovics, 

poden  vor.^  Die  vorherrschende,  aus  einer  Reihe  von  Blöcken 
gewonnene  Artist: 

(1.)  Stenarcestes  cf.  sttbumbüicains  Bronn,  von  welcher 
nicht  weniger  als  18  Exemplare  vorhanden  sind.  Es  ist  sehr 
bemerkenswerth,  dass  nicht  bloss  die  grösseren  Stücke,  welche 
einen  Durchmesser  von  102  mm  erreichen,  mit  der  Wohn- 
kammer versehen  sind,  sondern  dass  auch  die  kleineren  Exem- 
plare bis  zu  34  mm  Durchmesser  die  Wohnkammer  besitzen. 
Die  für  vollständig  ausgewachsene  Individuen  charakteristische 
rinnenartige  Längseintiefung,  welche  sich  hinter  dem  Mund- 
rande im  unteren  Theile  der  Flanken  einzustellen  pflegt,  wurde 
an  keinem  Exemplare  beobachtet.  Es  könnte  dies  darin  be- 
gründet sein,  dass  die  vorliegenden  Exemplare  noch  nicht  aus- 
gewachsen sind  und  das  Stadium  der  individuellen  Maturität 
noch  nicht  erreicht  haben.  Wahrscheinlicher  ist  aber  die 
Deutung,  dass  man  es  hier  mit  einer  neuen,  durch  das  an- 
gegebene Merkmal  von  Stenarcestes  stihumbilicatus  sich  unter- 
scheidenden Art  zu  thun  hat. 

Ein  vereinzelter  Block,  welcher  beim  Jochalm -Brunnen 
gefunden  wurde,  enthielt: 

(2.)  Megaphyllites  insectus  Mojs.  in  drei  Exemplaren 
(darunter  ein  ausgezeichnet  erhaltenes  Lobenstück)  und 

(3.)  Placites  cf.  oxyphyllus  Mojs.  in  zwei  Exemplaren. 

Die  verglichenen  oder  angeführten  Formen  sind  juvavische 
Typen.  Eine  schärfere  Horizontirung  wäre  nur  dann  zulässig, 
wenn  angenommen  werden  dürfte,  dass  die  als  Stenarcestes 
cf.  subumbilicatus  angeführte  -Form  wirklich  zu  dieser  ober- 
juvavischen  Art  gestellt  werden  könnte. 

III.  Aus  dem  weissen  Riffkalk  des  Untersberges  konnte 
ich  die  nachstehend  angeführten,  im  Salzburger  Museum  auf- 
bewahrten und  mir  durch  das  freundliche  Entgegenkommen 
des  Herrn  Prof.  Eberhard  Fugger  zur  Untersuchung  zugesen- 
deten Vorkommnisse  constatiren: 

1.  Stenarcestes  sp.  inä.,  Fragmente  von  Lobenkernen.  Ein 
Exemplar  aus  schwarzgeflecktem  Breccienkalk  vom  Salzburger 

^  Die  meisten  derselben  wurden  durch  Sprengungen  gewonnen,  welche 
ich  durch  den  bekannten,  seither  verstorbenen  Sammler  A.  Panzner  aus 
St.  Wolfgang  ausführen  Hess. 


Chronologischer  Umfang  des  Dachsteinkalkes.  2 1 

Hochthron.  Ein  Exemplar  aus  weissem  oolithischen  Kalk  von 
den  Besuchwänden. 

2.  Atractifes  ind.  Breviconer  Phragmokon  aus  weissem 
dichten  Kalk  von  den  Besuchwänden. 

3.  Nautilus  ind.  Durchschnitt  einer  weitgenabelten  Form, 
welche  mit  iV.  obtusus  oder  N.  heterophyllus  verglichen  werden 
könnte.  Aus  gelblichweissem  Kalk  vom  Abfalter. 

Zu  einer  Zeit,  als  die  Controverse  über  das  Alter  der 
Plateaukalke  des  Untersberges  ^  noch  nicht  entschieden  war, 
lieferten  die  angeführten  Reste  den  Nachweis,  dass  ein  Theil 
der  isopisch  entwickelten  und  aus  diesem  Grunde  untrennbar 
erscheinenden  Masse  des  Untersberg-Plateau  jedenfalls  triadi- 
schen Alters  sein  und  von  dem  nördlichen  Theile  dieses 
Plateaus,  welcher  zahlreiche  tithonische  Fossilien  enthält, 
unterschieden  werden  müsste.^ 

Die  specifisch  leider  unbestimmbaren  Fragmente  lassen 
zwar  eine  schärfere  Niveaubestimmung  nicht  zu.  Doch  deutet 
das  Vorkommen  von  Stenarcesten,  welche,  wie  in  vorliegender 
Arbeit  gezeigt  wird,  zu  den  häufigsten  Cephalopoden- Vorkomm- 
nissen des  Dachsteinkalkes  gehören,  auf  die  juvavische  Stufe  hin. 

Aus  diesen  weissen  juvavischen  Riffkalken  gelangt  man, 
nachdem  eine  Region,  in  welcher  einige  Vorkommnisse  von 
Hierlatz-Kalk  auftreten,  passirt  worden  ist,  in  nördlicher  Rich- 
tung fortschreitend,  ohne  dass  irgend  eine  petrographische 
Grenze  wahrnehmbar  wäre,  in  das  Gebiet  der  tithonischen 
Versteinerungen.  Fast  drängt  sich  sonach  die  Vermuthung  auf, 
dass  die  Bildung  des  weissen  Riffkalkes  hier,  bloss  durch  die 
locale  Einschaltung  einiger  heteropischer  Hierlatz-Taschen  und 
Lagen  (Grosses  Brunnthal)  unterbrochen,  sich  aus  der  baju- 
varischen  Zeit  durch  den  ganzen  Jura  bis  an  dessen  obere 
Grenze  fortgesetzt  habe. 


J  Vergl.  E.  Fugger,  Verh.G.R.A.,  1882.  S.  157;  Fugger  und  Kastner, 
1.  c.  S.  279;  Bittner,  Verh.  Geol.  R.  A.,  1883,  S.  200,  1.  c.  1885,  S.  280,  366. 

2  Der  Untersbergkalk  liefert  einen  eclatanten  Beweis,  mit  welchen  un- 
geahnten Schwierigkeiten  die  Erkennung  der  wahren  Altersverhältnisse  in  den 
.Alpen  häufig  zu  kämpfen  hat.  In  dem  vorliegenden  Falle  verschleierte  die 
isopische  Entwicklung  die  bloss  mit  Hilfe  von  charakteristischen  Fossilien 
nachweisbare  Unterscheidung  von  triadischen  und  jurassischen  Riffkalken, 


22  E.  V.  Mojsisovics, 

IV.  Im  Osten  des  grossen  Pongauer  Korallenriffes  erhebt 
sich  das  wahrscheinlich  bloss  durch  Denudation  von  dem- 
selben getrennte  Korallenriff  des  Dachstein,  welches  vom 
Gosauer  Stein  entlang  der  Südabdachung  des  Dachstein- 
Massivs  zu  verfolgen  ist  und  mit  seinen  Ausläufern  bis  in  die 
Gegend  von  Lietzen  im  Osten  reicht.^  Ich  habe  in  dieser  Riff- 
masse wiederholt,  insbesondere  unterhalb  der  Südwand  des 
Hohen  Dachstein,  Blöcke  mit  Cephalopodendurchschnitten  an- 
getroffen, war  jedoch  nicht  im  Stande,  bestimmbare  Reste  von 
denselben  zu  gewinnen.  Dagegen  habe  ich  aus  dem  dem  Riff- 
kalke im  Norden  theils  an-,  theils  aufgelagerten  Megalodonten- 
kalk  des  Dachstein-Plateaus  einige  Cephalopodenfragmente 
erhalten.  Ein  lichtgelblicher,  feinkörniger  Kolk  lieferte  bei  den 
Felssprengungen  zur  Herstellung  des  Kaiser  Franz  Joseph - 
Reitweges  unterhalb  der  Simony-Hütte  einen  gekammerten 
Kern  von 

Stenarcestes  cf.  snbnmbilicatus  Br., 

sowie  zwei  Durchschnitte,  welche  sich  auf 

Cladiscites  multilobatns  B  r. 

beziehen  lassen. 

Ein  von  mir  selbst  in  einer  Moräne  nächst  der  Simony- 
Hütte  aufgelesener  Block  zeigt  ausser  einigen  unbestimmbaren 
Gasteropoden  einen  Arcesten- Durchschnitt,  welcher  sich  mit 
grosser  Wahrscheinlichkeit  auf  eine  Form  aus  der  Gruppe  der 

Arcestes  galeati 

beziehen  lässt. 

Beide  Funde  lassen  auf  juvavisches  Alter  schliessen.  Die 
Vertretung  der  rhätischen  Stufe  innerhalb  der  Megalodonten- 
Facies  des  Dachsteinkalkes  ist  eine  längst  bekannte  und 
allgemein  anerkannte  Thatsache,  mit  welcher  wir  uns  hier  nicht 
zu  beschäftigen  brauchen. 


1  Vortreffliche  Charakterbilder  aus  dem  Dachsteingebirge,  insbesondere 
solche  des  Riffkalkes,  enthält  Fried.  Simon y 's  grosses  Bilderwerk  »Das  Dach- 
steingebiet«, Wien,  1895. 


Chrpnologis^cher  Umfang  des  Dachsteinkalkes.  23 

Ausser  der  bajuvarischen  Serie  umfasst  aber  der  Dach- 
steinkalk des  Dachstein-Massivs  an  einigen  Stellen  auöh  noch 
jurassische  Horizonte. 

Es  gebührt  Wähn  er  ^  der  Verdienst,  zuerst,  und  zwar 
in  der  Gebirgsgruppe  des  Rofan  (Sonnwendjoch)  im  unteren 
Innthale  gezeigt  zu  haben,  dass  der  vorher  in  seiner  Gesammt- 
heit  als  rhätisch  angenommene  Riffkalk,  welcher  die  Kössener 
Schichten  in  der  Gipfelmasse  dieses  Gebirgsstockes  überlagert, 
noch  in  den  Lias  hinaufreicht.  Wähn  er  wies  nicht  nur  nach, 
dass  in  den  oberen  Partien  des  weissen  Riffkalkes  liasische 
Brachiopoden  vorkommen,  sondern  er  beobachtete  auch,  dass 
rothgefarbte  Kalke  wechsellagernd  auftreten  oder  allmälig  in 
den  weissen  Kalk  übergehen,  und  fand  auch  in  diesen  blass- 
röthlichen  Übergangskalken  die  liasischen  Versteinerungen. 

»Daneben  gibt  es«,  wie  mir  Herr  Dr.  Wähner  freundlichst 
mittheilt,  »auch  von  rothem  Crinoidenkalk  erfüllte  Spalten, 
welche  den  weissen  Riffkalk  durchsetzen,  aber  niemals  in  ältere 
Gesteine  eingreifen.  In  mehreren  Fällen  konnte  ich  auch  an 
den  Wänden  solcher  Spalten  einen  allmäligen  petrographischen 
Übergang  aus  dem  weissen  Riffkalk  in  den  rothen  Liaskalk 
beobachten.  Eine  längere  Erörterung  würde  die  Frage  der 
Bildung  gewisser  Breccien  erfordern,  von  denen  sich  auf  Grund 
mikroskopischer  Untersuchung  und  der  Beobachtung  an  Ort 
und  Stelle  nachweisen  lässt,  dass  sie  gleichzeitig  mit  den 
höheren  *  weissen  Kalken  entstanden  sind,  aus  welchen  sie  sich 
allmälig  entwickeln  und  welche  auch  nichts  anderes  sind  als 
solche  breccienähnliche  Gesteine,  denen  aber  das  rothe  Binde- 
mittel fehlt.« 

Im  Dachsteingebirge  ist  es  nicht  der  Riffkalk,  sondern  der 
typische  Megalodontenkalk,  welcher  in  ähnlicher  Weise  in  den 
Lias  hinaufreicht.  Wenn  man  aus  dem  Echernthal  bei  Hallstatt 
längs  der  Steilabstürze  der  Mitterwand  auf  dem  neugebauten 
Kaiser  Franz  Josephs -Reitweg  zum   »Alten   Herd«   aufsteigt 


i  Verh.  Geol.  R.  A.  1886,  S.  195.  Zeitschrift  des  Deutsch,  u.  österr.  Alpen- 
vereines, 1891.  S.  117 — 124.  —  Die  ersten  Nachrichten  über  die  Unmöglichkeit, 
auf  dem  Sonnenwendjoche  den  rhätischen  Dachsteinkalk  vom  »weissen 
Lias€  eu  trennen,  gab  1884  H.  Lech  leitner  (Verh.  Geol.  R.  A.,  S.  204). 

*  D.  h.  liasischen. 


24  E.  V.  Mojsisovics, 

oder  auf  der  entgegengesetzten  Thalseite  auf  dem  »Gangsteige« 
über  die  Wände  dem  Hallstätter  Salzberge  zustrebt,  so  nimmt 
man  an  zahlreichen  Stellen  Schmitzen  und  Streifen  von  rothem 
oder  röthlichem  Crinoidenkalk  wahr,  welche  den  treppenartig 
vorspringenden  Schichtflächen  des  trefflich  gebankten  weissen 
Dachsteinkalkes  gleichsam  angeschweisst  erscheinen.  Bei 
einiger  Aufmerksamkeit  gewahrt  man  bald,  dass  man  es  nicht 
mit  den  Denudationsresten  von  oberflächlich  einem  älteren, 
bereits  vorhandenen  Relief  angelagerten  Gesteinen,  sondern 
mit  den  Dachsteinkalk-Bänken  gleichzeitigen  und  in  dieselben 
eindringenden  Bildungen  zu  thun  hat.  Auch  treten  Breccien- 
kalke  auf,  deren  Bindemittel  local  aus  Crinoidenkalk  besteht. 
Die  Crinoidenkalke  der  Schmitzen  und  Breccien  stimmen  petro- 
graphisch  vollkommen  mit  den  in  derselben  Gegend  taschen- 
förmig  in  Spalten  auftretenden  unterliasischen  Crinoidenkalken 
(Hierlatzkalken)  überein.  Erst  kürzlich  hat  G.  Geyer^  eine 
unterhalb  des  »Alten  Herdes«  gesammelte  Suite  wohl  er- 
haltener Cephalopoden  und  Brachiopoden  bestimmt  und  der 
Zone  des  Oxyttoticeras  oxynotum  angehörig  erkannt. 

Es  gestatten  die  mitgetheilten  Beobachtungen  keinen 
anderen  Schluss,  als  dass  die  von  den  rothen  Crinoiden- 
kalk -  Schmitzen  und  Nestern  durchschwärmten 
obersten  Partien  des  Dachsteinkalkes  thatsächlich 
dem  unteren  Lias  angehören.* 

Mit  dieser  Feststellung  steht  das  vielfach  constatirte 
taschenförmige  Auftreten*  des  Hierlatzkalkes  keineswegs  in 
Widerspruch.  Bloss  die  Annahme,  dass  zwischen  der  Bildung 


1  Verh.  Geol.  R.  A.  1894,  S.  156. 

3  Wenn  M.  V.  Lipoid  bereits  im  Jahre  1852  (Jahrb.  Geol.  R.  A.,  4.  Heft, 
S.  90  und  fg.)  gleichfalls  zu  dem  Schlüsse  gelangte,  dass  die  Hieriatzkalke 
Einlagerungen  in  dem  Dachsteinkalke  bilden,  so  zeigte  E.  Suess  (Jahrb.  Geol. 
R.  A.  1853,  S.  752  und  diese  Sitzungsberichte,  Bd.  XXV,  S.  307),  dass  Lipoid 
die  zahlreichen  Verwerfungen  übersehen  habe,  welche  die  verschiedene  Höhen- 
lage derHierlatzkalke  auf  den  Dachsteinkalk-Plateaubergen  herbeigeführt  hatten. 

3  Die  ersten  Beobachtungen  habe  ich  im  Jahre  1868  (Verh.  Geol.  R.  A., 
S.  298)  publicirt.  Später  haben  sich  Diener  (Jahrb.  Geol.  R.  A.  1885,  S.  27—36) 
und  Geyer  mit  der  Verfolgung  dieser  interessanten  Erscheinungen  befasst. 
Geyer  insbesondere  veröffentlichte  im  Jahrb.  Geol.  R.  A.  1886,  S.  215  —  294 
eine  sehr  vollständige  Übersicht. 


Chronologischer  Umfang  des  Dachsteinkalkes.  25 

der  Dachsteinkalk-Bänke,  in  welche  die  Hierlatztaschen  ein- 
dringen und  diesen  selbst  ein  längerer  Zeitraum  verstrichen  sei, 
während  welcher  die  Oberfläche  des  Dachsteinkalkes  theilweise 
abgetragen  und  karrenartig  ausgefurcht  worden  sei,  bedarf 
einer  Modification.  Nach  der  meisterhaften  Darstellung,  welche 
E.  Suess^  von  der  Bildungsweise  der  Bänke  des  Dachstein- 
kalkes gegeben  hat,  dürfte  es  kaum  zweifelhaft  sein,  dass 
dieselben  in  geringen  Tiefen  riffartig  als  feste  Kalke  gebildet 
und  dass  nach  dem  Aufbau  einzelner  Bänke  temporäre 
Unterbrechungen  stattfanden,  denen  wieder  die  Bildung  riff- 
artiger Kalkbänke  folgte.  Die  sogenannten  »schwimmenden 
rothen  Scherben«  (scharf  begrenzte  Einschlüsse  von  dünn- 
geschichteten grellrothen  Bänderkalken),  welche  den  oberen 
Theilen  des  Dachsteinkalkes  eigenthümlich  sind,  die  Über- 
sinterung blockartiger  fremder  Gesteinskörper,  die  Art  der 
Scheidung  der  Bänke  und  die  Beschaffenheit  der  Zwischen- 
mittel,* nicht  minder  aber  auch  das  häufige  Auftreten  der 
grossen  dickschaligen  Conchodonten  und  der  Korallen  —  alle 
diese  Erscheinungen  sprechen  für  die  geringe  Tiefe,  in  welcher 
die  Bildung  der  einzelnen  Bänke  stattfand.  Sehr  lehrreich  sind 
in  dieser  Beziehung  die  Fälle,  in  denen  die  Innenräume  der 
Conchodonten  durch  Bänderkalke  ^  ausgefüllt  sind,  während 
die  Schale  aussen  von  dem  gewöhnlichen  weissen  massigen 
Dachsteinkalk  umgeben  ist.  Ein  hieher  gehöriges  Beispiel 
wurde  kürzlich  von  v.  Tausch*  abgebildet.  Man  muss  sich 
vorstellen,  dass  das  oben  geöffnete  leere  Gehäuse  an  seiner 
Basis  auf  felsigem  Grunde  fixirt  war  und  dann  successive  von 
oben  durch  feinsten  Kalkschlamm  ausgefüllt  wurde.  Ich  habe 
bereits  vor  Jahren  ^  auf  die  grossen  Analogien  hingewiesen, 
welche  das  Auftreten  der  grossen  dickschaligen  Dachstein- 
bivalven  mit  den  in  der  Jetztwelt  an  der  Aussenseite  von 
Korallenriffen  lebenden   grossen   Tridacna-Formen   darbietet. 


1  Antlitz  der  Erde,  II.  Bd.,  S.  332—339. 

2  Zugmayer  im  Jahrb.  Geol.  R.  A.,  1875,  S.  79. 

*  Eine  Abbildung  eines  solchen  Bänderkalkes  findet  man  in  F.  Simony, 
Dachsteingebiet,  S.  106. 

*  Abh.  Geol.  R.  A.,  Bd.  XVII,  1.  Heft,  S.  7. 

*  Dolomitriffe  von  Südtirol,  S.  70. 


26  E.  V.  Mojsisovics, 

Joh.  Walther  hat  diese  Beziehungen  eingehender  erörtert.* 
Er  gelangte  zu  dem  Schlüsse,  dass  der  weisse  Dachsteinkalk, 
welcher  die  grossen  Conchodonten  führt,  schon  während  seiner 
Entstehung  ein  hartes  Gestein  war  und  dass  die  in  demselben 
eingeschlossenen  Bänderkalke  nur  als  die  Ausfüllungen  ur- 
sprünglicher Höhlungen  durch  heteropisches  Schlammsediment 
.aufgefasst  werden  können.  Die  Bildungsweise  der  schwim- 
.menden  Scherben  des  rothen  Bänderkalkes  ist  aber  offenbar 
derjenigen  der  Hierlatztaschen  sehr  nahe  verwandt.  Man  kann 
Sichi  ähnlich  wie  sich  Th.  Fuchs*  die  Bildung  der  Nester 
der  sogenannten  Starhemberger  Schichten  vorstellt,  die  Ent- 
-stehung  der  Hohlformen  des  Bänderkalkes  und  der  Hierlatz- 
schmitzen  und  Nester  nach  Art  der  beim  Aufbau  von  Riffen 
sich  bildenden  Lücken,  die  Entstehung  der  sackförmigen  und 
gangförmigen.  Hohlformen  der  Hierlatztaschen  insbesondere 
nach  Art  der  sogenannten  Riffbrunnen  und  Riffspalten  denken, 
welche  sich  in  die  Oberfläche  der  Riffe  einsenken.^ 

Wo  sich  über  solchen  Hierlatztaschen  regelmässig  ge- 
schichtete Cephalopodenkalke  aufbauen,  da  kann  es  keinem 
Zweifel  unterliegen,,  dass  die  Bildung  der  Dachsteinkalk-Bänke 
unterhalb  derHierlatzfüllung  ihr  Ende  erreicht  hat.  Wo  dies  aber 
nicht  der  Fall  ist,  kann  ein  solcher  Schluss  mit  Sicherheit  nicht 
gezogen  werden.  Die  prächtigen  Profilschnitte  im  Echernthale 
lehren  vielmehr,  dass  wiederholt  Einschaltungen  von  Hierlatz- 
Crinoidenkalk  innerhalb  einer  Reihenfolge  von  Megalodus- 
bänken  stattgefunden  haben  können. 

Es  ist  zu  vermuthen,  dass,  sobald  einmal  die  Forschung 
sich  diesem  Gegenstande  zugewendet  haben  wird,  noch  an 
manchen  Punkten  der  nördlichen  Kalkalpen  der  Lias  sowohl  in 
der  Riff-,  als  auch  in  der  Megalodonten-Facies  des  Dachstein- 
kalkes nachgewiesen  werden  wird. 

Nachdem  das  unterliasische  Alter  für  einen  Theil  des 
Dachsteinkalkes  nachgewiesen  ist,  entsteht  die  Frage,  ob  nicht 


1  Zeitschr.  der  Deutschen  Geol.  Gesellsch.,  1885,  S.  350  flf. 

2  Verh.  Geol.  R.  A.,  1882,  S.  67. 

^  Man  vergleiche  die  anschaulichen  Schilderungen,  welche  J.  Walther 
in  seiner  »Einleitung  in  die  Geologie«,  S.  910 — 926,  nach  Klunzinger 
reproducirt. 


Chronologischer  Umfang  des  Dachsteinkalkes.  27 

local  auch  höhere  Jura-Etagen  in  der  Riff-  oder  Megalodonten- 
Facies  des  Dachsteinkalkes  vertreten  sein  könnten.  Was  die 
RifflFacies  betrifft,  so  möchte  man  im  Hinblick  auf  die  Verhält- 
nisse auf  dem  Untersberge  (vergl.  oben  S.  21)  geneigt  sein,  diese 
Frage  zu  bejahen.  Für  die  Megalodonten-Facies  könnten  jene 
Fälle  in  Betracht  gezogen  werden,  in  welchen,  wie  bei  den 
Klaus-Schichten  und  den  Macrocephalitenkalken  bisher  eine 
transgressive  Auflagerung  auf  dem  Dachsteinkalk  angenommen 
worden  war.^  Ich  wage  es  nicht,  heute  schon  hierüber  eine 
Meinung  auszusprechen,  doch  steht  es  ausser  Zweifel,  dass 
eine  unconforme  Lagerung  nicht  nachgewiesen  werden  kann. 
Auch  muss  erwähnt  werden,  dass  der  verstorbene  Sammler 
Joseph  Rastl  (vulgo  Kappler),  ein  sehr  verlässlicher  Mann, 
dessen  Angaben  anzuzweifeln  ich  keinen  Grund  habe,  mich 
auf  das  Bestimmteste  versichert  hat,  ein  Exemplar  eines  Macro- 
cephalites  fnacrocephalus  in  dem  Dachsteinkalk-Steinbruch  in 
der  Vorder-Gosau  gefunden  zu  haben.  In  diesem  Steinbruche, 
welcher  zur  Schottergewinnung  betrieben  wird,  kommen  Con- 
chodonten  von  sehr  bedeutenden  Dimensionen  vor.  Das  Gestein 
unterscheidet  sich  nicht  von  dem  gewöhnlichen  Aussehen  der 
obersten  Partien  des  Dachsteinkalkes  und  müsste  angenommen 
werden,  dass  der  Macrocephalites  in  einer  Tasche  (nach  Art 
der  Hierl^tztaschen)  gefunden  worden  sei. 

V.  Der  Vollständigkeit  wegen  soll  hier  erwähnt  werden, 
dass  auch  aus  dem  Korallenriff  kalke  des  Hochschwab  das 
Vorkommen  von  Cephalopoden,  Halobien  und  Halorellen  an- 
gegeben wird.*  Mir  selbst  sind  diese  Fossilien  nie  zu  Gesichte 
gekommen.  Eine  ältere  Angabe  von  Stur  ^  bezieht  sich  auf  das 
Auftreten  des  *Ammonites  sttbtimbilicatus*.  Es  scheint  daher 


*  Trotz  der  bedeutenden  Lücken,  welche  die  Sedimente  des  Saizkammer- 
gutes  zeigen,  folgen  nach  meiner  heutigen  Auffassung  der  Verhältnisse  die 
Sedimente  von  den  Werfener  Schichten  bis  zu  den  neocomen  Rossfelder 
Schichten  in  concordanter  Reihenfolge.  Erst  die  Gosaukreide  tritt  in  entschieden 
transgressiver  Lagerung  als  Einlagerung  in  fjordartigen  Buchten  und  Canälen 
auf,  deren  Bildung  in  den  Zeitraum  zwischen  dem  Neocom  und  der  Gosau- 
kreide fällt. 

2  Verh.  Geol.  R.  A.,  1887,  S.  93. 

3  Geologie  der  Steiermark,  S.  346. 


28  E.  V.  Mojsisovics, 

auch  hier  die  allenthalben  in  den  Dachstein-Riffkalken  consla- 
tirte  Gattung  Stenarcestes  vertreten  zu  sein. 

Von  Interesse  ist  auch  die  Angabe  Bittner's  über  das  Vor- 
kommen schwarzer,  kieseliger  Kalke  mit  Halorellapedata  an  der 
Innenseite  (Südseite)  des  Riffes  und  die  gegen  Norden  eintretende 
heteropische  Ersetzung  dieser  Kieselkalke  durch  Riffkalke.^ 

VI.  Aus  der  Gruppe  des  Hochschwab  setzen  die  Riff  kalke 
in  das  Gebiet  der  Mürzthaler  Kalkalpen  und  des  Wiener 
Schneeberges  fort.  In  diesen,  von  Georg  Geyer  in  seiner 
bekannten  Arbeit  ^  geschilderten  Gegenden  folgt  nördlich  der 
Riffzone  unmittelbar  die  Zone  der  Hallstätter  Entwicklung, 
während  in  den  westlichen  Districten,  im  Salzburgischen  und 
im  Salzkammergute,  zwischen  diese  Zonen  sich  die  Zone  der 
Megalodontenkalk-Facies  (Dachsteinkalk  s.  s.)  einschiebt.  An 
der  heteropischen  Grenze  zwischen  der  Riff-  und  der  Hallstätter 
Facies  ist  nun  an  einigen  Punkten,  wie  z.  B.  im  Thalgebiete 
von  Nasswald,  dann  im  Höllgraben  bei  Mürzsteg  das  gegen- 
seitige Ineinandergreifen  dieser  beiden  Facies  nachgewiesen 
worden.  Das  sevatische  Alter  beider  Bildungen  wird  durch  die 
in  der  Geyer'schen  Arbeit  namhaft  gemachten  Cephalopoden, 
sowie  auch  durch  das  Vorkommen  echter  Zlambach-Schichten 
an  der  Basis  der  Hallstätter  Kalke  der  Proleswand  erwiesen. 
Die  Grenze  zwischen  Riff-  und  Hallstätter  Kalk  ist  überdies 
eine  so  undeutlich  verschwommene,  dass  auf  den  Aufnahms- 
blättern die  beiden  Bildungen  mit  derselben  Farbe  zusammen- 
gefasst  werden  mussten.  Im  Gegensatze  zu  den  westlichen 
korallenreichen  Riffkalken  spielen  in  den  Riffkalken  des  Rax- 
und  Schneeberg-Districtes  Gyroporellen  die  leitende  Rolle. 

Da  auf  der  Nordseite  des  Kuhschneeberges  ^  und  auf  der 
Hohen  Wand  bei  Wiener -Neustadt*  in  neuerer  Zeit  durch 
Bittner  im  Liegenden  des  Riflfkalkes  auch  fossilführende 
Cardita-Schichten  nachgewiesen  wurden,  so  dürften  in  diesen 
Gebieten  die  Riffkalke  regional  auch  tieferen,  als  den  seva- 
tischen  Bildungen  entsprechen. 


1  Verh.  Geol.  R.  A.,  1888,  S.  248. 

2  Jahrb.  Geol.  R.  A.,  1889,  S.  497,  fg. 

3  Verh.  Geol.  R.  A.,  1892,  S.  74. 

^  Verh.  Geol.  R.  A.,  1893,  S.  321. 


Chronologischer  Umfang  des  Dachsteinkalkes.  29 

VII.  Im  Dachsteinkalke  der  Südalpen  gehören  Cephalo- 
poden  zu  den  allergrössten  Seltenheiten.  Ich  kenne  bis  jetzt 
bloss  zwei,  aus  dem  Dachsteinkalke  der  Ampezzaner  Alpen 
stammende  Reste. 

In  einer  Lagerstätte  zahlreicher,  bisher  noch  unbeschrie- 
bener Gasteropoden,  welche  einem  sehr  tiefen  Niveau  des 
Dachsteinkalkes  in  geringer  Höhe  über  den  Raibler  Schichten 
anzugehören  scheint,  entdeckte  Rud.  Hoernes^  in  Val  Oten 
auf  der  Nordseite  des  Anteiao  ein  Fragment  eines  weitgenabelten, 
mit  kräftigen  Flankenrippen  versehenen  Ammonitiden,  welcher 
der  Gattung 

Buchites 

anzugehören  scheint.  Das  vorliegende  Bruchstück  stimmt  mit 
keiner  der  bekannten  Bnchites-Formen  überein,  ist  aber  zu 
einer  Artbeschreibung  viel  zu  unvollständig.  Unter  den  be- 
schriebenen Arten  könnte  Buchites  Czediki  verglichen  werden. 
In  dem  Dachsteinkalk- Schutt  der  Croda  grande  im  Anziei- 
Thal  bei  Auronzo  fand  Herr  Dr.  Loretz  ein  Fragment  eines 
Arcesten,  für  dessen  freundliche  geschenkweise  Überlassung 
ich  dem  genannten  Herrn  zu  Danke  verpflichtet  bin.  Obwohl 
der  Art  nach  unbestimmbar,  gestattet  das  wohl  erhaltene  Bruch- 
stück zu  erkennen,  dass  wir  es  mit  einem  typischen  Arcesten 
mit  abändernder  und  den  Nabel  verschliessender  Wohnkammer 
aus  der  Gruppe  der 

Arcestes  intuslahiati 

zu  thun  haben.  Der  innere  Kern  zeigt  eine  grosse  Ähnlichkeit 
mit  Arcestes  intuslabiatns  selbst. 

Zu  schärferen  Horizontirungen  ist  leider  keiner  dieser 
Funde  ausreichend,  pie  Arcestes  intuslahiati,  welche  vereinzelt 
allerdings  bereits  in  Karnischen  Schichten  auftreten,  gehören 
zu  den  bezeichnendsten  Vorkommnissen  der  juvavischen  Stufe. 

VIII.  Auf  der  Südwest-Seite  des  Somhegy  bei  Der n 6  im 
Gömörer  Comitat  (Ungarn)  entdeckte  Jos.  Stürzenbaum  an 
der  Basis  einer  als  Dachsteinkalk  zu  bezeichnenden  und  bis 


1  Verhandl.  der  k.  k.  Geolog.  Reichs- Anstalt,  1876,  S.  185.  —  Man  ver- 
gleiche übrigens  auch  die  Angaben  von  Johannes  Böhm  (Zeitschrift  der 
Deutschen  geolog.  Gesellschaft,  1892,  S.  826),  welcher  das  fragliche  Fossillager, 
allerdings  mit  Resen'e,  der  rhäti sehen  Stufe  zuzuweisen  geneigt  ist. 


30  E.  V.  Mojsisovics, 

zum  Gipfel  des  genannten  Berges  reichenden  Kalkmasse  einen 
etwa  6 — 7  m  mächtigen  grauen  Crinoidenkalk,  welcher  eine 
sehr  reiche  Mollusken-Fauna  umschliesst^ 

Die  Fauna,  welche  insbesondere  von  Pelecypoden  und 
Brachiopoden  zahlreiche  Exemplare  aufweist,  wurde  wegen 
der  Übereinstimmung  einiger  Brachiopoden  und  des  vermutheten 
Vorkommens  des  Choristoceras  Marshi  von  dem  Entdecker 
den  Kössener  Schichten  zugeschrieben.  Im  Jahre  1890  wies 
aber  A.  Bittner^  aus  der  Untersuchung  der  Brachiopoden  nach, 
dass  hier  höchstwahrscheinlich  ein  etwas  tieferer  Horizont 
vorliegen  dürfte,  in  welchem  neben  einigen  Kössener  Arten 
auch  eine  Anzahl  von  Formen  des  salzburgischen  Dachstein- 
Riff  kalkes  sowie  weiters  auch  einige  der  Localität  eigenthümliche 
Arten  auftreten.  Im  Jahre  1892  gedachte  dann  auch  ich'  dieser 
Fauna  und  erwähnte,  dass  in  derselben  juvavische  Cephalopoden- 
typen  vorhanden  seien.  Die  Untersuchung  derselben,  welche  mir 
der  Director  des  königl.  ungar.  geologischen  Institutes,  Herr 
Sectionsrath  Boeckh  in  liebenswürdigster  Weise  ermöglichte, 
zeigte,  dass  die  Lagerstätte  von  Demo  der  oberjuvavischen 
(sevatischen)  Zone  des  Pinacoceras  Metternichi  angehört. 

Ich  konnte  die  folgenden  Formen  nachweisen: 

1.  Megapkyllites  insectus}Ao']S,  —  78  Exemplare,  meistens 
gekammerte  Stücke.  Bei  einigen  grösseren  Exemplaren  ist  die 
mit  grossen  Crinoidenstielen  erfüllte  Wohnkammer  mehr  oder 
weniger  verdrückt. 

2.  Placites  oxyphyllus  Mojs.  —  40,  meistens  gekammerte 
Exemplare.  Bei  einigen  Stücken  ist  der  charakteristische  regel- 
mässige Verlauf  der  Runzelstriche,  welche  einen  weit  vor- 
springenden Externlappen  bilden,  sehr  deutlich  zu  beobachten. 

3.  Stenarcestes  subumbilicatus  Bronn.  —  Zwei  Loben- 
kerne, der  grössere  besitzt  einen  Durchmesser  von  36  mm. 

3.  Stenarcestes  ex  äff,  plant  M  oj  s.  —  Zwei  Lobenkeme  (der 
grössere  mit  einem  Durchmesser  von  38  mm)  einer  mit  Stenar- 


^  Kössener  Schichten  bei  Demo.  Földtani  Közlöny,  1879,  S.  287. 

2  Brachiopoden  der  alpinen  Trias.  Abhandl.  Geolog.  Reichs-Anst,  XIV. 
Band,  1890,  S.  285. 

»  Die  Hallstätter  Entwicklung  der  Trias.  Diese  Sitzber.,  Bd.  CI,  Abth.  I, 
S.  778. 


Chronologischer  Umfang  des  Dachsteinkalkes.  3 1 

cestes  planus  nahe  verwandten,  auch  im  grauen  sevatischen 
Hallstätter  Marmor  auftretenden  Form.  Varices  und  Runzel- 
striche beobachtet. 

5.  Arcestes  ind.  aus  der  Gruppe  der  Intuslabiati.  — 
23  innere,  kleine  Kerne,  wahrscheinlich  mehr  als  blos  einer  Art 
angehörig. 

6.  Cladiscites  tornatus  Bronn.  —  20  Exemplare,  durch- 
wegs innere  Kerne,  von  welchen  der  grösste  2^  mm  Durch- 
messer besitzt.  Einige  Stücke  weichen  durch  etwas  schmälere, 
comprimirtere  Umgänge  ab  und  erinnern  an  Oadiscites  neorhis 
Mojs. 

7.  Phylloceras  cf.  occultum  Mojs.  —  Drei  innere  Kerne 
einer  schmalen  weit  umfassenden  Form.  Das  grösste  Exemplar 
zeigt  folgende  Dimensionen : 

Durchmesser 18  mm 

Höhe  ( des  letzten  ) 8  mm 

Breite  )  Umganges  ( 6  mm 

Nabelweite 3*2  mm. 

Die  ersten  drei  Sättel  sind  diphyllisch,  die  dreiAuxiliarsättel 
monophyllisch. 

8.  Mojsvdrites  (MoHophyllites)  Clio  Mojs.  —  Drei  Exem- 
plare. 

9.  Celtites  Arduint  Mo\s,  —  Ein  Exemplar  von  20  mm 
Durchmesser. 

10.  Celtites  ind.  ex  äff.  C.  annnlati.  —  Zwei  kleine  Exem- 
plare. 

11.  Celtites  nov.  f.  aus  der  Gruppe  der  annnlati.  —  Ein 
Exemplar. 

12.  Peripleurites  Stürzenbaumi  Mojs.  —  Ein  Exemplar. 

13.  Peripleurites  Boeckhi  Mojs.  —  Sieben  Exemplare. 

14.  Atractites  alveolaris  Quenstedt.  —  Zwei  Fragmente. 

15.  Atractites  ind.  —  Ein  Rostrum,  ähnlich  A.  depressus. 
Hau.,  mit  dütenförmig  in  einander   steckenden  Schalenlagen. 

16.  Orthoceras  ind.  —  Sieben  Fragmente  einer  kleinen 
schlanken  Form. 

17.  Nautilus  nov.  f.  ex  äff,  mesodici  Quenst.  —  Ein  ge- 
kammertes  Exemplar  von  54  mm  Durchmesser. 


32  E.  V.  Mojsisovics, 

18.  Nautilus  nov.f.  ind.  —  Zwei  Exemplare  einer  kleinen 
nahezu  evoluten  Art  mit  gerundetem  gekammerten  Theile  und 
rechteckig  sich  gestaltender  Wohnkammer.  Loben  sehr  einfach. 
Schwach  geschwungener  Laterallobus  und  kaum  angedeuteter 
Externlobus.  Spindellobus  vorhanden.  Der  Sipho  steht  oberhalb 
der  Mitte  des  Umganges. 

Rückblick.  Wie  die  vorstehenden  Mittheilungen  ent- 
nehmen lassen,  sind  in  der  Hauptmasse  des  Dachsteinkalkes, 
welche  unterhalb  des  rhätischen  Antheiles  dieser  Facies  liegt, 
an  einer  immerhin  nicht  unbeträchtlichen  Anzahl  von  Punkten 
Cephalopoden-Reste  nachgewiesen  worden,  welche  zur  Hori- 
zontirung  dieser  gewaltigen  Kalkmasse  geeignet  sind. 

Es  sind  hauptsächlich,  wenn  von  vereinzelten  Funden 
neuer  oder  unbestimmbarer  Formen  abgesehen  wird,  zweierlei 
Kategorien  von  Funden,  welche  in  Betracht  kommen.  Die  eine 
derselben  —  es  gehören  hierher  ein  Theil  der  Funde  von  der 
Wetterwand  am  Hochkönig  und  die  Suite  vom  Gipfel  der  Pail- 
wand  bei  Abtenau  —  lehrt  uns,  dass  ein  aliquoter  Theil  der 
isopischen  Riffmasse  der  Zone  des  Tropites  subbullatus  zuzu- 
rechnen ist.  Es  steht  im  Einklänge  mit  der  stratigraphischen 
Position  dieser  noch  zur  karnischen  Stufe  gehörigen  Zone, 
dass  das  Fossillager  auf  der  Pailwand  in  geringer  Höhe  über 
den  Raibler  Schichten  liegt,  mithin  dem  unteren  Theile  der 
Riffmasse  angehört. 

Die  zweite  Kategorie,  welche  durch  eine  grössere  Anzahl 
von  Funden  repräsentirt  ist,  gestattet  keine  so  scharfe  Niveau- 
bestimmung. Die  Zahl  der  Arten  ist  eine  geringe  und  sind  es 
ausschliesslich  Leiostraca,  unter  denen  sich  dem  Steftarcestes 
subumbilicattis  nahestehende  Stenarcesten  durch  relativ  häu- 
figes Auftreten  bemerkbar  machen.  Genaue  Artbestimmungen 
sind  nur  in  den  seltensten  Fällen  und  dies  wieder  nur  bei 
Formen,  welche  durch  eine  Reihe  von  Horizonten  hindurch- 
reichen, zulässig.  Der  Charakter  der  Fauna  ist  ein  juvavischer, 
doch  ist  es  nicht  möglich  zu  bestimmen,  welchen  Zonen  oder 
Unterstufen  die  meistens  ganz  isolirten  Funde  angehören.  Es 
kann  aber,  da  der  Dachsteinkalk  sowohl  in  seiner  Riff-  als  auch 
in  seiner  Megalodonten-Facies  eine  continuirliche  untrennbare 
Masse  darstellt,  welche  die  Annahme  einer  auch  nur  episo- 


Chronologischer  Umfang  des  Dachsteinkalkes.  33 

dischen  Unterbrechung  gänzlich  ausschliesst,  keinem  Zweifel 
unterliegen,  dass  die  ganze  juvavische  Stufe  in  der  Masse 
vertreten  ist,  und  bleibt  es  späteren  Untersuchungen  vorbe- 
halten, die  einzelnen  juvavischen  Zonen  im  Detail  nachzu- 
weisen. Vorläufig  ist  auch  der  Nachweis,  dass  überhaupt 
juvavische  Typen  in  der  Masse  vorhanden  sind,  von  Bedeutung, 
da  die  liegenden  Partien  als  tuvalische,  die  hangenden  aber  als 
rhätische  bestimmt  werden  können. 

Bloss  die  in  dem  grauen  Crinoidenkalk  von  Demo  nach- 
gewiesene Cephalopoden-Fauna  hat  eine  schärfere  Fixirung 
des  Niveau  zugelassen  und  konnte  der  Zone  des  Pinacoceras 
Metternichi  zugewiesen  werden. 

Noch  möge  darauf  hingewiesen  werden,  dass  im  Salz- 
kammergute an  einigen  Stellen  die  Korallenriff-Facies  in  das 
Gebiet  der  echten  Hallstätter  Entwicklung  eingreift  und  als 
Hangendes  der  lacischen  Zone  des  Cladiscites  ruber  erscheint. 
In  diesem  Falle  vicarirt  die  Riff-Facies  selbstverständlich  bloss 
für  die  alaunischen  und  sevatischen  Hallstätter  Zonen.  Auch 
verdient  erwähnt  zu  Werden,  dass  die  geographische  Verbreitung 
der  Riff-Facies  in  den  Nordalpen  nahezu  mit  jener  der  Hall- 
stätter Entwicklung  zusammenfällt.  Die  Rifif-Facies  beginnt  im 
Westen  bei  Saalfelden,^  die  Hallstätter  Entwicklung  in  der 
Gegend  von  Berchtesgaden.  Im  Osten  finden  beide  in  der 
Gegend  von  Hernstein  ihr  Ende. 


1  Da  sich  gerade  eine  passende  Gelegenheit  darbietet,  so  sollen  hier  die 
(Verh.  Geol.  R.  A.  1895,  S.  252)  von  Dr.  Böse  erhobenen  Zweifel  über  die 
Existenz  der  Cardita-Schichten  im  Profile  des  Brändelhoms  bei  Saalfeldcn 
(Vergl.  Jahrb.  Geol.  R.  A.  1874,  S.  113)  richtig  gestellt  werden.  Herr 
Dr.  Böse  erwähnt,  dass  er  wohl  zahlreiche  Blöcke  von  Cardita-Gesteinen 
gesehen,  anstehende  Cardita-Schichten  aber  nicht  angetroffen  habe,  weshalb 
er  die  Frage  aufwirft,  ob  man  es  hier  nicht  etwa  bloss  mit  erratischen  Vor- 
kommnissen zu  thun  haben  könnte  ?  Die  Annahme  einer  erratischen  Gesteins- 
verfrachtung ist  nun  allerdings  ein  bequemes  Auskunftsmittel,  sie  hat  aber  in 
manchen  Fällen  auch  ihre  Bedenken.  Im  vorliegenden  Falle  sollte  schon  die 
Häufigkeit  des  Vorkommens  Misstrauen  erwecken,  da  die  Cardita -Oolithe 
bekanntlich  nur  sehr  gering  mächtige,  oft  schwer  auffindbare  Lagen  bilden, 
wesshalb  ihr  erratisches  Auftreten  nur  als  seltener  Ausnahmsfall  gedacht 
werden  kann.  Ihr  häufiges  Zusammenvorkommen  mit  krystallinischen  Findlingen 
müsste  desshalb  zu  der  Annahme  führen,  dass  sie  aus  einem  heute  nicht  mehr 
Sitzb.  d.  mathcm.-naturw.  Gl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  3 


34  E.  V.  Mojsisovics. 

Aus  der  bajuvarischen  Epoche  reicht,  wie  gezeigt  worden 
ist,  local  die  Dachsteinkalk- Entwicklung  auch  noch  in  den 
Lias  hinauf,  dessen  tiefere  Zonen  bis  einschliesslich  der  Zone 
des  Ox}'9ioiiceras  oxynoiunt  theils  in  der  Riff-,  theils  in  der 
Megalodontenkalk-Facies  vertreten  sein  können.*  Dabei  bleibt 
es  ausserdem  noch  eine  offene  Frage,  ob  nicht  auch  jüngere 
jurassische  Zonen  local  durch  den  Dachsteinkalk  repräsentirt 
sind. 

Die  Periode  des  Dachsteinkalkes  erweist  sich 
sonach,  gemessen  an  den  während  derselben  unter 
günstigeren  Faciesverhältnissen  existirenden 
Faunen,  als  ein  Zeitraum,  welcner  mindestens  der 
Zeitdauer  von  dreizehn  palaeontologischen  Zonen 
gleichkommt,  von  denen  sieben  der  Trias  und  sechs 
dem  Lias  angehören. 

Da  übrigens  auch  die  Raibler  Schichten,  wie  bereits 
Eingangs  erwähnt  wurde,  keineswegs  scharf  vom  Dachstein- 
kalke getrennt  sind,  und  nicht  nur  Wechsellagerungen  mit  den 


v.)rhandenen  Gebirge  im  Süden  der  heutigen  Kalkalpen,  wo  sie  einstens 
mächtige  Massen  bildeten,  herrühren. 

Wir  können  aber,  ohne  zu  solchen  H>T>othesen  greifen  zu  müssen,  das 
Auslangen  finden,  da  ich  in  der  Lage  bin  zu  constatiren,  dass  es  auf  den 
Gehängen  des  Brändelhoms  zwar  thaisächlich  \iel  Glacialschutt  krystalliniscber 
Felsarten  gibt,  dass  aber  die  Cardita-Schichten  unzweifelhaft  etwas  nördlich 
von  der  Stoissen-Alm  im  Graben,  welcher  zur  Saale  hinabführt,  in  deutlicher 
Entblössung  anstehen.  Ich  besuchte  die  Stelle,  aufmerksam  gemacht  durch  die 
Angabe  von  Peters  (Jahrb.  Geol.  R.  A.  1854.  S.  123\  dass  Lipoid  bei 
der  Besteigung  des  Brändelhomes  > einen  schwarzgrauen  kalkigen  Schiefer, 
welcher  Haiobia  Lommli  Wissm.  und  einen  nicht  bestimmbaren  Ammoniten 
enthält«  zwischen  dem  Dolomit  und  dem  Dachsteinkalk  »regelmässig  einge- 
lagert« gefunden  habe,  am  7.  Juli  1872  und  traf  in  dem  erwähnten  Graben 
schwarze  Schieferthone  mit  Haiobia  rufjsj,  Gimites  ßorrJtts,  Sj^eceras 
Haidingeri,  Trackvctras  sp.  tnd.  nebst  typischen  Cardita  Oolithen,  welche 
ausser  Cardita  crenata  und  Spirif.  gregaria  noch  zahlreiche  Reste  von  anderen 
Zweischalem  enthielten.  Unmittelbar  darüber  erheben  sich  geschichtete  dunkle 
Dolomite,  die  Platte  bildend,  auf  welcher  die  Brändelalm  steht. 

*  Nur  nebenher  soll  hier  auch  noch  jener  südtirohschen  Districte  gedacht 
werden,  wo  die  sogenannten  »Grauen  Kalke«  ohne  scharfe  G-enze  dem  Dach- 
steinkalk folgen  und  wo  keine  Einschaltungen  von  unterliasischen  Crinoiden- 
kalken  Anhaltspunkte  zur  Trennung  darbieten. 


Chronologischer  Umfang  des  Dachsteinkalkes.  35 

tiefsten  Theilen  des  Dachsteinkalkes  zeigen,  sondern  auch  in 
einigen  Gegenden,  in  welchen  die  mergelige  Ausbildung  der 
Raibler  Schichten  nicht  vorhanden  ist,  durch  Dachsteinkalke 
vertreten  zu  sein  scheinen,  so  könnte  auch  die  Zone  des 
Trachyceras  Aonoides  in  die  Periode  des  Dachsteinkalkes  ein- 
bezogen werden,  welche  unter  dieser  Voraussetzung  dann 
im  Ganzen  dem  Zeiträume  von  acht  triadischen  und  sechs 
jurassischen  Zonen  gleichzusetzen  wäre. 

In  diesem  weitesten  Sinne  zeigt  der  triadische  Abschnitt 
der  Dachsteinkalkperiode  in  den  Ostalpen,  sowohl  an  seinem 
Beginne  (Zone  des  Trachyceras  Aonoides)  als  auch  am  Ende  der 
Triaszeit  (Zone  der  Avicula  contortä)  sehr  häufig  eine  Reihe  ver- 
schiedenartiger thonreicher  Faciesgebilde,  welche  die  Stelle  der 
Dachsteinkalk  Facies  vertreten  oder  mit  derselben  altemiren 
können.  In  beiden  Fällen  sind  die  erscheinenden  verschieden- 
artigen lithologischen  und  biologischen  Facies  bereits  hinlänglich 
bekannt,  so  dass  von  deren  Besprechung  hier  füglich  Umgang 
genommen  werden  kann.  Dagegen  erscheint  es  zweckmässig, 
die  innerhalb  dieser  Endglieder  auftretenden  triadischen  Facies- 
gebilde  kurz  aufzuzählen. 

1.  Die  Korallenriff-Facies.^  Die  ungeschichtete  Kalk- 
masse, welche  in  den  Salzburger  Kalkhochalpen  und  auf  der 
Südseite  des  Dachsteins  eine  Mächtigkeit  von  1000  m  und 
darüber  erreicht,  besteht  aus  korallenreichem  Riffstein,  welcher 
untergeordnet  auch  Cephalopoden,  Halobien,  Brachiopoden 
{insbesondere  Halorellen)  und  grosse  Gasteropoden  enthält 
Es  verdient  betont  zu  werden,  dass  nicht  nur  die  meisten 
Halobien  und  Brachiopoden,  sondern  auch  ein  grosser  Theil 
der  Cephalopoden  (insbesonders  Arcesten,  Stenarcesten  und 
Placiten)  in  dieser  Facies  gesellig  in  Nestern  auftreten.  Die 
geographische  Verbreitung   in    den  Nordalpen   wurde   bereits 


1  Es  sind  in  der  letzten  Zeit  einige  Einwendungen  gegen  die  Richtigkeit 
«der  Korall riff-Theorie  für  die  älteren  südtiroler  Riffe  erhoben  worden.  Ich 
behalte  mir  vor,  auf  dieselben  bei  einer  späteren  Gelegenheit  näher  einzugehen 
und  sie  einer  sachgemässen  Kritik  zu  unterziehen.  Hier  will  ich  nur  kurz  con- 
statiren,  dass  ich  die  Korallenrifftheorie  auch  heute  noch  für  diejenige  halte, 
welche  in  objectiver  Weise  all  den  zahlreichen  in  Betracht  kommenden  Er- 
scheinungen gerecht  wird  und  diese  in  ungezwungenster  Weise  erklärt'. 

3* 


36  E.  V.  Mojsisovics, 

oben  besprochen.  In  den  östlichen  Rififmassen  des  Mürzgebietes 
und  des  Wiener  Schneeberges  spielen,  wie  es  scheint,  Gyro- 
porellen  eine  grössere  Rolle  als  die  Korallen. 

In  den  Südalpen  wurde  diese  Facies  bisher  bloss  in  den 
julischen  Alpen,  südlich  des  oberen  Save  -  Laufes,  durch 
C.  Diener  nachgewiesen.^ 

2.  Die  Megalodonten-Facies  (Dachsteinkalk  im 
engeren  Sinne).  Ohne  scharfe  Grenze  lehnt  sich  an  die  Nord- 
seite der  Korallenriffe  des  Salzburgischen  und  des  Salzkammer- 
gutes die  wohlgeschichtete  Megalodontenkalk  -  Facies  in  der 
Weise  an,  dass  die  höheren  Bänke  weiter  gegen  Süden  auf  die 
nach  Norden  abdachende  Riflfböschung  zurückgreifen,  als  die 
tieferen  Bänke.  In  der  Nähe  der  Riffgrenze  dringen  zahlreiche 
Bänke  von  Korallenkalk  in  die  Masse  der  Megalodontenkalke 
ein.  Im  Salzkammergute  sind  ausser  den  Megalodonten  lagen- 
weise vertheilte  kleine  Gastropoden,  sowie  gesellig  auftretende 
Halorellen  häufig.  Nicht  selten  sind  auch  vereinzelt  vor- 
kommende grosse  Gasteropoden.  Cephalopoden  gehören  zu 
den  grössten  Seltenheiten. 

In  den  Südalpen  zeichnet  sich  die  Megalodonten-Facies 
durch  eine  eigenthümlicheLocalfauna  aus,  welche  insbesondere 
in  dem  Gebiete  westlich  vom  Garda-See  sehr  verbreitet  ist. 
Das  Gestein  besitzt  meistens  eine  stark  dolomitische  Beschaffen- 
heit (Dolomia  media).  Die  häufigsten  Fossilien  sind  ausser  den 
Megalodonten  Avicula  exilis  und  Turbo  soliiarius.  Gyroporellen 
sind  sehr  verbreitet. 

3.  Die  Cephalopodenkalk-Facies.  Diese  auf  die  Nord- 
alpen östlich  von  Berchtesgaden  beschränkte  Facies  wird  durch 
die  oberkamischen  und  juvavischen  Hallstätter  Kalke  reprä- 
sentirt.  Nach  ihrer  topographischen  Verbreitung  ist  dieselbe 
an  die  Regionen  der  Korallenriff-  und  der  Megalodonten-Facies 
gebunden.  Nördlich  reicht  die  Hallstätter  Entwicklung  an 
einigen  Punkten  bis  hart  an  die  Südgrenze  der  Verbreitung 
des  Hauptdolomites. 

4.  Die  Mergel-Facies.  Ausser  in  den  Raibler  und 
Kössener  Schichten,    welche    hier    nicht   weiter   in    Betracht 


1  Jahrbuch  der  k.  k.  Geologischen  Reichsanstalt  1884.  S.  685. 


Chronologischer  Umfang  des  Dachsteinkalkes.  37 

kommen,  ist  aus  der  triadischen  Dachsteinkalk-Periode  bloss 
die  oberjuvavische  Zone  des  Pinacoceras  Metternichi  stellen- 
weise in  einer  Mergelfacies  entwickelt.  Es  sind  dies  die 
Zlambach  Schichten,  welche  selbst  wieder  in  mehrere  litho- 
logische  und  biologische  Facies  zerfallen.  Man  unterscheidet 
die  Hornsteinkalk-  und  Schiefer-Facies  mit  Halorella  pedata, 
die  Fleckenmergel-Facies  mit  Choristoceras  Haueri  und  die 
Korallen- Facies.  Die  Zlambach  Schichten  sind  auf  die  Regionen 
der  typischen  Hallstätter  Entwicklung  beschränkt,  in  welchen 
sie  als  locale  unregelmässige  heteropische  Einschaltungen  von 
sehr  wechselnder  Mächtigkeit  auftreten. 

5.  Die  Hauptdolomit- Facies.  Vom  Salzkammergute 
an  ostwärts  folgt  der  Megalodontenkalk-Facies  im  Norden  bis 
an  den  Aussenrand  der  Kalkalpen  die  Zone  der  Hauptdolomit- 
entwickelung.  Im  grossen  Gegensatze  zu  den  anderen  gleich- 
zeitigen Faciesgebilden  herrscht  in  der  Hauptmasse  dieser 
Facies  eine  trostlose  Fossilarmuth,  welche  bloss  in  den  obersten, 
mehr  kalkigen  Lagen,  den  sogenannten  »Plattenkalken«,  einer 
einförmigen,  meistens  aus  kleinen  Gasteropoden  bestehenden 
Fauna  weicht,  die  auf  einige  Zwischenlagen  der  stärkeren  Kalk- 
platten beschränkt  ist.^ 

Die  Hauptdolomit-Facies  reicht  nirgends  in  die  darüber- 
liegenden  Kössener  Schichten  hinauf.  Dagegen  greift  die  Riff- 
und  Megalodontenkalk-Entwicklung  regional  in  die  dem  Haupt- 
dolomit aufgelagerten  Kössener  Schichten  ein  (sogenannter 
»oberer  Dachsteinkalk«).  Dies  ist  sowohl  am  Aussenrande  der 
Kalkalpen  in  Oberösterreich  (im  Flussgebiete  der  Steyer),  als 
auch  in  den  bayerischen  Alpen  und  den  angrenzenden  tirolischen 
Districten  der  Fall. 

In  Nordtirol,  Vorarlberg  und  dem  nördlich  anschliessenden 
bayerischen  Gebiete  reicht  die  Hauptdolomit-Facies  durch  die 
ganze  Breite  der  Kalkalpen.  Eine  Eigenthümlichkeit  dieser 
Region  bilden  die  bituminösen  Stinkdolomite,  welche  in  den 
Asphaltgruben  der  Gegend  von  Seefeld  die  bekannte  Fisch- 
fauna geliefert  haben. 


1  L.  V.  Ammon,  Die  Gastropoden  des  Hauptdolomits  und  Plattenkalkes 
der  Alpen.  Abhandl.  des  zool.-mineral.  Vereines  zu  Regensburg.  1878. 


^■^ 


38  E.  V.  Mojsisovics, 

Anhang. 

Über  juvavische  Cephalopoden  aus  der  Bukowina  und  aus 

Kleinasien. 

I.  Bukowina.  Bereits  vor  einiger  Zeit  war  ich  in  der  Lage 
auf  Grund  von  Aufsammlungen  von  Paul  und  Walter  die 
norische  und  die  kamische  Stufe  in  der  Hallstätter  Entwicklung 
von  rothen  Cephalopoden -Kalken  aus  der  Bukowina  nach- 
weisen zu  können.  Die  norische  Stufe  ist  durch  die  Zone  der 
Protrachyceras  Archelaus,  die  karnische  durch  die  Zone  des 
Trachyceras  Aon  vertreten. 

In  neuerer  Zeit  übergab  mir  Prof.  Dr.  Uhlig  einige 
Cephalopoden-Reste,  welche  von  einer  neu  entdeckten  Locali- 
tät  herrühren  und  welche  nun  auch  das  Auftreten  einer  juva- 
vischen  Cephalopoden-Fauna  in  Hallstätter  Entwicklung  in  der 
Bukowina  ausser  Zweifel  stellen.  Über  den  Fundort,  welcher 
sich  im  obersten  Theile  des  Vale  Mestakan  bei  Kimpolung 
befindet,  verdanke  ich  Herrn  Prof.  Uhlig  die  folgende  Notiz: 
»Die  rothen  Hallstätter  Cephalopoden  stammen  aus  einer 
kleinen  Kalkklippe  von  circa  8 — lOw  Umfang,  welche  offenbar 
nur  einen  grossen  Block  vorstellt,  eingeschlossen  in  jüngere 
Bildungen.  In  der  Nähe  stehen  Schiefer  des  Unterdogger  und 
Schieferthone  der  Kreide  an.  Eine  von  beiden  Bildungen,  wahr- 
scheinlich der  Jura,  enthält  den  Kalkblock.« 

Von  Fossilien  liegen  mehrere  innere  Kerne  verschiedener 
Arten  von  Arcesten  aus  der  Gruppe  der  Intuslabiaten  und  ein 
vollständiges,  mit  dem  Mundrande  versehenes  Wohnkammer- 
Exemplar  einer  neuen  Art  aus  der  gleichen  Gruppe  vor.  Ausser 
diesen  Arcesten  sind  noch  zwei  Fragmente  von  Phylloceras 
äespectum,  sowie  ein  Bruchstück  von  Megaphyllites  insectus 
vorhanden. 

Diese  Reste  weisen  auf  die  juvavische  Stufe  hin.  Da 
Phylloceras  despectum  bisher  bloss  aus  lacischen  Bildungen 
bekannt  ist,  so  ist  es  wahrscheinlich,  dass  die  Blockklippe  von 
Vale  Mestakan  einem  der  beiden  lacischen  Horizonte  angehört. 

Geographisch  schliessen  sich  an  dieses  Vorkommen  zu- 
nächst die  rothen  Hallstätter  Kalke  des  östlichen  Siebenbürgen 


Chronologischer  Umfang  des  Dachsteinkalkes.  39 

an,  welche  theils  der  karnischen  Stufe  (die  Funde  von  Jovites 
dacus  von  Kovacs-Patak^  bei  Balan)  theils  der  alaunischen 
Abtheilung  der  juvavischen  Stufe  (Zone  des  Cyrtopleurites 
bicrenatus^)  zufallen.^ 

II.  Kleinasien  (Mysien).  Aus  der,  wie  es  scheint  ziemlich 
isolirten  Triasablagerung  von  Balia-Maaden  im  nordwestlichen 
Kleinasien  (Mysien),  über  welche  bereits  Mittheilungen  von 
Neumayr,»  Bittner*  und  v.  Bukowski^  vorliegen,  besitzt 
die  Geologische  Reichsanstalt  als  Geschenk  des  Herrn  Berg- 
werkdirectors  N.  Manzavinos  einige  in  dunkeln  Kalkmergeln 
und  Schiefern  eingeschlossene  Cephalopoden,  welche  nach 
freundlicher  Mittheilung  des  Herrn  v.  Bukowski  sämmtlich 
aus  dem  Schiefercomplexe  mit  Halobia  Neumayri  herrühren. 

Die  Suite  besteht  aus: 

1.  Orthoceras  ind.  Ein  Exemplar  aus  dem  Kalkmergel. 

2.  Clydonautilus  cf.  securis  Dtm.  Die  Externseite  ist  etwas 
breiter  als  wie  bei  den  Exemplaren  des  Hallstätter  Kalkes.  Der 
Sipho  liegt  etwas  oberhalb  der  halben  Mündungshöhe.  Drei 
Exemplare  aus  dem  Kalkmergel,  von  welchen  das  besterhaltene 
am  Beginne  der  Wohnkammer  einen  Durchmesser  von  138  mm 
besitzt. 

3.  Clydonautilus  nov.  f.  ind.  Eine  dem  Clydonautilus 
Quenstedti  ähnliche,  aber  viel  kleinere  Form,  welche  bei  einem 
Durchmesser  von  74  mm  bereits  die  Wohnkammer  besitzt. 
Zwei  verdrückte  Exemplare  aus  dem  Schiefer. 


1  Verhandlungen  der  k.  k.  Geolog.  Reichsanst.  1875.  S.  143.  Die  ziemlich 
reiche  Fauna  enthält:  Orth.  lateseptatum,  Phyll.  neojurense,  Pinac.  poslparma, 
Placitcs  subs^'mmdricus,  CladiscUcs  moniicola,  Cl.  cf.  Juvavicns,  ArccsUs  div. 
f.  aus  der  Gruppe  der  Intuslabiati,  DistichiUs  celticus,  DistichiUs  Wulfeni?, 
Ectolciies  cf.  pseudoaricSf  Parathisbites  scaphitiformis,  Halorites  cf.  superbus, 
Hai.  cf.  macer,  Hai.  cf.  suavis. 

*  Kürzlich  lernte  ich  durch  Herrn  Prof.  Greg.  Stefanescu  aus  Bukarest 
auch  rothe  Cephalopoden-Kalke  der  Hallstätter  Entwicklung  aus  der  Dobrudscha 
kennen,  welche,  soweit  ich  bei  einer  flüchtigen  Besichtigung  zu  beurtheilen  im 
Stande  war,  hauptsächlich  der  longobardischen  Zone  des  Proirachyceras 
Archelaus  angehören  dürften. 

3  Anzeiger  der  kais.  Akad.  der  Wiss.,  1887,  S.  242. 

4  Jahrbuch  der  k.  k.  Geolog.  Reichsanstalt,  1891,  S.  97;  1892,  S.  77. 
^  Diese  Sitzungsberichte,  Bd.  CI,  Abth.  I,  1892.  S.  214. 


\ 


40         E.  V.  Mojsisovics,  Chronolog.  Umfang  des  Dachsteinkalkes. 

4.  Atr acutes  cf,  alveolaris  Qu.  Ein  Fragment  eines  Phrag- 
mokons  aus  dem  Kalkmergel. 

5.  Placitesf.  ind.  aus  der  Gruppe  des  Placües  platyphyllus. 
Ein  Exemplar  aus  dem  Kalkmergel. 

6.  Stenarcestesf.  ind.,  vergleichbar  mit  Stenarcestes  planus. 
Ein  stark  verdrücktes  Exemplar  mit  sehr  zarter  Runzelschicht. 
Aus  dem  Kalkmergel. 

7.  Arcestes  cf.  oligosarcus  E.  v.  Mojs.  Ein  Wohnkammer- 
exemplar mit  vollständigem  Mundrande,  etwas  verdrückt.  Aus 
dem  Kalkmergel. 

8.  Arcestes  div.  f,  ind.  aus  der  Gruppe  der  Intuslabiati. 
Ausser  20  ziemlich  gut  erhaltenen  Lobenkernen  liegen  aus  dem 
Kalkmergel  noch  fünf  und  aus  dem  Schiefer  zwei  Wohnkammer- 
exemplare vor,  welche  mehreren,  wie  es  scheint  neuen  Arten 
zufallen  dürften. 

Die  aufgezählte  Fauna  trägt  einen  ausgesprochen  juvavi- 
•schen  Charakter  an  sich.  Zu  einer  schärferen  Horizontirung 
scheinen  aber  noch  keine  völlig  ausreichenden  Anhaltspunkte 
gegeben  zu  sein.  Denn  wenn  auch  Clydonautilus  securis  und 
Arcestes  oligosarcus  sevatische  Formen  sind,  so  dürfte  es  doch 
bedenklich  erscheinen,  nachdem  die  Übereinstimmung  der  Arten 
nicht  völlig  sichergestellt  werden  konnte,  sich  heute  schon  mit 
Bestimmtheit  darüber  zu  äussern,  ob  wir  es  wirklich,  wie  es 
den  Anschein  hat,  mit  sevatischen  oder  mit  etwas  tieferen 
Bildungen  zu  thun  haben. 


41 


Über  die  Bahnen  von  Farbstoff-  und  Salz- 
lösungen in  dieotylen  Kraut-  und  Holz- 
gewäehsen 


Erich  Tschermak. 

Es  ist  eine  allbekannte  Thatsache,  dass  im  Stamme  der 
monocotylen  Pflanzen  die  Gefässbündel  isolirt  verlaufen, 
während  dieselben  bei  den  Dieotylen  zu  einem  soliden  Holz- 
körper vereinigt  sind. 

Wenn  es  sich  um  die  Leitung  des  Wassers  und  der  Salze 
aus  dem  Boden  durch  den  Stamm  handelt,  wird  wohl  Niemand 
daran  zweifeln,  dass  bei  den  Monocotylen  die  einzelnen  iso- 
lirten  Gefässbündel  die  Leitung  besorgen;  wie  es  sich  dagegen 
bei  den  dieotylen  Bäumen  verhält,  ist  nicht  so  selbstverständlich, 
und  im  Grunde  genommen  hat  bisher  eigentlich  Niemand 
diese  Frage  gestellt  oder  untersucht.  Wohl  ist  sicher,  dass 
bei  der  Leitung  des  Wassers  und  der  Salze  wesentlich  der 
Splint,  weniger  das  Kernholz  in  Frage  kommt,  dagegen  ist  noch 
völlig  unbeantwortet,  ob  im  Splint  oder  in  einem  einzelnen 
Jahresring  ganz  bestimmte  Partien  —  etwa  bestimmte  Längs- 
streifen —  thätig  sind,  mögen  diese  nun  nur  aus  Gelassen 
oder  aus  allen  Holzelementen  bestehen.  Auf  die  Betrachtung 
dieser  Frage,  ob  es  bei  Dieotylen  trotz  ihrer  verschmolzenen 
Gefässbündel  doch  nur  gewisse  strangförmige  Theile  seien, 
welche  leiten,  wurde  Prof.  Kraus  hingelenkt  durch  eine 
Anfrage  von  Prof.  K.  E.  F.  Schmidt  (Halle),  welcher  bei  seinen 
Untersuchungen  über  den  Lauf  der  Blitzschläge  an  Bäumen 
die  Thatsache  feststellte,  dass  die  Blitzspuren  immer  in  be- 
stimmten   Längsstreifen    am    Holzkörper   herablaufen.    Unter 


42  E.  Tschermak, 

Hinweis  darauf,  dass  in  jener  Richtung  einige  verwerthbare 
Beobachtungen  von  S ach s^  und  von  Theodor  H artig ^  existiren, 
hat  Prof.  Kraus  im  Winter  und  Frühling  1893  eine  Anzahl 
von  Versuchen  angestellt,  sowohl  an  abgeschnittenen  jungen 
Zweigen,  deren  untere  Enden  verschiedenartig  zugespitzt  waren, 
als  an  jungen  Bäumen  von  Ahorn  und  Rosskastanien,  be- 
ziehungsweise an  deren  Wurzeln  ©der  mittelst  Einsetzen  von 
Trichtern  in  die  Stämme.  Als  Versuchsflüssigkeiten  dienten 
ausschliesslich  indigschwefelsaures  Natron  und  Eisenchlorid. 
Es  stellte  sich  die  überraschende  Thatsache  heraus,  dass  Farb- 
stoff und  Eisenchlorid  rasch  in  einem  senkrechten  Längsstreifen 
an  dem  Stamm  emporsteigen  und  in  überliegende  Äste  ein- 
treten oder  in  schwachem  Bogen  um  dieselben  herumlaufen. 
Schlüsse  wurden  aus  diesen  Versuchen  nicht  weiter  gezogen. 

Prof.  Schmidt,  der  diese  Versuche  kennen  lernte,  wieder- 
holte dieselben  an  Waldbäumen  und  zog  daraus  Schlüsse 
für  seine  Untersuchungen  über  die  Spuren,  die  der  Blitz  an 
getroffenen  Bäumen  hinterlässt;  auch  wurden  an  dieselben 
Betrachtungen  über  den  Saftverlauf  in  der  Pflanze  geknüpft. 
(Beziehungen  zwischen  Blitzspur  und  Saftstrom  bei  Bäumen. 
Abhandlungen  der  Naturforschenden  Gesellschaft  zu  Halle, 
Bd.  XIX,  S.  83—86,  mit  einer  Tafel  und  Holzschnitten,  1893.) 

Für  den  Botaniker  lag  es  a  priori  ferne,  aus  Versuchen 
mit  Farbstoffen  Schlüsse  über  den  Saftlauf  zu  ziehen,  da  aus 
den  verschiedensten  Versuchen,  insbesondere  aus  denen  von 
Sachs,  die  Eigenthümlichkeiten  von  Farbstoff lösungen  be- 
kannt sind. 

Es  war  aber  von  grösstem  Interesse,  dieses  von  Prof. 
Schmidt  angeregte  Problem  zu  einer  brauchbaren  Antwort  zu 
führen,  und  mir  wurde  von  Prof.  Kraus  die  Aufgabe  gestellt, 
in  dieser  Richtung  die  Frage  zu  bearbeiten.  Letzterer  überliess 
mir  zu  diesem  Behufe  in  der  liebenswürdigsten  Weise  eine 
stattliche  Anzahl  von  Bäumen,  wie  sie  wohl  nur  ein  so  alter 
botanischer  Garten,  wie  der  in  Halle,  für  solche  Versuche  zu 
bieten  vermag. 


1  Vorlesungen  über  Pflanzenphysiologie,  II.  Aufl.,  Leipzig  1887,  S.  267. 

2  Bot.  Ztg.,  1853,  Sp.  313. 


Farbstoff-  und  Salzlösungen  in  Kraut-  und  Holzgewächsen.  A3 

Versuchsmethode. 

Zu  den  Versuchen  wurden  einerseits  in  Wasser  gelöste 
Farbstoffe  verwendet,  und  zwar:  indigschwefelsaures  Natron, 
Fuchsin,  Safranin,  Gentianviolett  und  Eosin,  unter  welchen 
sich  das  erste  als  ganz  besonders  geeignet  erwies,  anderseits 
folgende  in  destillirtem  Wasser  gelöste  Salze:  Chlorlithium, 
Chlorbaryum,  salpetersaures  Strontium,  salpetersaures  Calcium, 
Chlornatrium,  endlich  Eisenchlorid,  unter  welchen  wieder  das 
Lithiumsalz  zu  den  besten  Resultaten  verhalf.  Bei  meinen  Ver- 
suchen, welche  sich  nur  auf  dicotyle  Kraut-  und  Holzgewächse 
erstreckten,  handelte  es  sich  natürlich  in  erster  Linie  darum, 
ganz  beschränkte  Stellen  zu  schaffen,  von  welchen  aus  die  zur 
Aufnahme  gebotenen  Lösungen  aufgesogen  und  ihre  Wege 
verfolgt  werden  konnten.  Eng  begrenzte,  zum  Aufsaugen 
geeignete  Stellen  an  dicotylen  älteren  Bäumen  herzustellen, 
gelang  auf  zweierlei  Weise.  Einerseits  wurden  die  Wurzeln 
blossgelegt  und  von  diesen  eine  nicht  zu  starke,  unverzweigte, 
schön  an  der  Peripherie  des  Stammes  ansitzende  gewählt, 
welche,  um  bequem  in  ein  mit  der  Lösung  gefülltes  Gefäss 
tauchen  zu  können,  eine  Neigung  nach  abwärts  haben  musste. 
Dieselbe  Hess  ich,  nachdem  sie  rein  abgewaschen  und  je  nach 
ihrem  Neigungsverhältniss  30 — 60  cm  weit  vom  Ansatz  an  dem 
Stamm  abgesägt  worden  war,  10 — 20  cm  tief  in  das  mit  der 
betreffenden  Lösung  gefüllte  Gefäss  tauchen.  Als  zweiter  Weg, 
um  jenen  Zweck  zu  erreichen,  wurde  folgender  gewählt.  In 
den  Stamm  ward,  wenn  derselbe  unverzweigt  blieb,  in  einer 
Höhe  von  100— 150  cw  über  dem  Boden,  wenn  derselbe  sich 
vergabelte,  mehrere  Decimeter  senkrecht  unter  einem  der  Gabel- 
äste ein  5 — 9  mm  breites,  2 — 4  cm  tiefes  Loch  gebohrt  und  in 
dasselbe  ein  passender  Trichter  mit  gebogenem  Rohr  eingeführt. 
Der  Ansatz  des  Trichters  wurde,  um  ein  Ausfliessen  der  Lösung 
zu  verhindern,  ringsherum  mit  Baumwachs  tüchtig  verschmiert 
und  hierauf  der  Trichter  gefüllt. 

Die  jungen  Bäumchen,  eine  grosse  Anzahl  zwei-  bis 
dreijähriger  Eichen,  wurden  unter  möglichster  Schonung  ihrer 
zarteren  Wurzeln  ausgegraben,  der  Wurzelstock  rein  ab- 
gewaschen und  alle  Wurzeln  bis  auf  die  zum  Versuche  brauch- 


44  E.  Tschermak, 

baren  knapp  am  Stämmchen  abgeschnitten.  Bei  einigen  Ver- 
suchen wurden  stärkere  Wurzelverzweigungen,  bei  den  meisten 
aber  nur  die  zarten,  dünnen  Saugwurzeln  verwendet,  die,  wenn 
zu  lang,  einige  Centimeter  vor  ihrer  Einmündung  in  den  Stamm 
abgeschnitten  wurden.  Die  Bäumchen  befestigte  ich  an  Stativen 
mittelst  Klemmschrauben  in  solcher  Höhe,  dass  die  Wurzeln  in 
die  mit  der  Lösung  gefüFlten  Reagenzgläser  einige  Centimeter 
tief  eintauchten,  während  die  Hauptwurzel,  einige  Centimeter 
unter  den  Nebenwurzel -Ansatzstellen  abgeschnitten,  in  ein 
Gefäss  voll  Wasser  ragte.  Diese  Anwendung  traf  ich,  um 
einerseits  dem  Einwände  zu  begegnen,  die  Pflanze  hätte  die 
Lösung  nur  in  Ermangelung  des  Wassers  aufgenommen,  ander- 
seits um  dieselbe  länger  frisch  zu  erhalten  und  so  den  Versuch 
tagelang  fortsetzen  zu  können. 

Bei  Ästen,  respective  Zweigen  gelang  es  durch  Zuspitzen 
nur  von  begrenzten  Partien  des  Holzes  die  Lösungen  aufsaugen 
zu  lassen.  Ich  Hess  den  Ast  in  einen  oder  zwei  zinkenartige 
Fortsätze  auslaufen,  die  2 — 4  cm  lang  und  einige  Millimeter 
breit  geschnitzt  wurden.  Dieselben  waren,  um  nur  mit  ihrer 
Basis  die  Lösungen  aufnehmen  zu  können,  mit  Ausnahme  der 
letzteren  mit  Vaselin  eingerieben  oder  mit  Wachs  überzogen 
und  tauchten  1 — 2  cm  tief  in  die  Flüssigkeit  ein. 

Die  Aufsaugungsbahn  der  Farbstofflösungen  war  durch 
blosses  Entrinden  der  Stämme,  respective  der  Aste  nachzu- 
weisen. Einige  Stunden  nach  Anstellung  der  Versuche  wurde 
bei  den  Bäumen  senkrecht  ober  der  Abgangsstelle  der  Wurzel, 
bei  Ästen  senkrecht  oberhalb  der  künstlich  hergestellten  Zinke, 
die  Rinde  in  verschiedener  Höhe  in  Klappenform  aufgehoben, 
um  zu  sehen,  ob  überhaupt,  wie  hoch  und  in  welcher  Breite 
der  Farbstoff  aufgestiegen  war.  Konnte  man  denselben  in 
beträchtlicher  Höhe  wahrnehmen,  dann  wurde  der  Stamm, 
respective  der  Ast  entsprechend  dem  zum  Vorschein  kommenden 
Farbenstreifen  entrindet. 

Die  Bahnen  der  Salzlösungen  wurden  in  der  über- 
wiegenden Mehrzahl  der  Versuche  durch  spectroskopische 
Prüfung  des  Holzkörpers  ermittelt.  Zu  diesem  Zwecke  wurden 
bei  Bäumen  nach  mehrstündiger  bis  mehrtägiger  Versuchsdauer 
senkrecht  über  der  Wurzeleinmündungsstelle  oder  senkrecht 


Farbstoff-  und  Salzlösungen  in  Kraut-  und  Holzgewächsen.  45 

Über  dem  Bohrloche  kleine,  circa  1  —2cm  hohe  und  2 -Acm  breite 
Holzstücke  herausgestemmt.  Ich  bestimmte  jedesmal  genau  ihre 
Breite  mit  dem  aufgelegten  Centimetermass  und  übertrug  die  ge- 
fundene Strecke  auf  eine  Gerade,  die  auf  einem  Papierbogen  ge- 
zogen war.  War  das  Holzstück  faserig,  so  wurde  von  dessen 
Aussenfläche,  auf  einer  Seite  beginnend,  Faser  nach  Faser  abge- 
zogen, war  es  spröde,  Lamelle  nach  Lamelle  durch  die  ganze  Tiefe 
des  Holzstückes  abgeschnitten.  Die  so  gewonnenen  Theilchen 
spiesste  ich  auf  eine  ausgeglühte  Nadel  und  verbrannte  dieselben 
in  der  Flamme  eines  Bunsenbrenners.  Das  Flammenspectrum 
wurde  mittelst  eines  Handspectroskopes  untersucht.  War  die 
aufgesogene  Lösung  in  den  in  der  Flamme  veraschten  Fasern, 
respective  Lamellen  enthalten,  so  erzeugten  die  glühenden 
Metalldämpfe  die  charakteristischen  Linien  im  Spectrum.  Die 
Ausdehnung,  in  welcher  die  Salze  in  dem  ausgestemmten  Holz- 
stücke verbreitet  waren,  ergab  sich  einfach  aus  dem  Abstand 
derjenigen  Partien,  welche  die  Flammenreaction  eben  nicht 
mehr  zeigten.  Die  Lage  dieser  Grenzpunkte  konnte  genau  be- 
stimmt werden  durch  den  Vergleich  der  auf  Papier  verzeichneten 
ursprünglichen  Ausdehnung  des  Stückes  mit  der  jeweiligen 
Breite  des  durch  Ablösung  von  Fasern  oder  durch  Zertheilung 
in  Lamellen  noch  nicht  geprüften  Restes.  Erwies  sich  das  Holz- 
stück bis  an  eine  oder  gar  bis  an  beide  Grenzflächen  von  dem 
betreffenden  Salze  durchtränkt,  so  wurden  am  Stamme  nach 
der  betreffenden,  beziehungsweise  nach  beiden  Seiten  hin  von 
der  durch  das  Herausstemmen  entstandenen  Vertiefung  aus 
neue  Holzstücke  entnommen,  in  der  oben  beschriebenen  Weise 
fortschreitend  abgefasert  oder  zerlegt  und  jedes  Theilchen 
geprüft.  Auf  diese  Weise  wurde  die  Untersuchung  fortgesetzt, 
bis  endlich  beim  Verbrennen  einer  Holzfaser  oder  Lamelle  die 
charakteristische  Linie  im  Spectrum  nicht  mehr  erschien.  Die 
Verbreitung  des  Salzes  im  Umfange  des  Stammes  wurde  nun 
auf  ganz  analoge  Weise  ermittelt  wie  im  vorerwähnten  Falle, 
nämlich  aus  dem  Abstände  derjenigen  Partien,  welche  die 
Flammenreaction  eben  nicht  mehr  ergaben.  War  einmal  starke 
seitliche  Verbreitung  in  einer  Holzart  nachgewiesen,  so  konnte 
man  sich  jene  mühevolle  Procedur  dadurch  etwas  erleichtern, 
dass  man  dann  gleich   in  weiterer  seitlicher  Entfernung  von 


46  E.  Tschermak, 

den  zuerst  herausgestemmten  Holzstücken  neue  entnahm  und 
auf  ihren  Salzgehalt  analysirte. 

An  stärkeren  Ästen  löste  ich,  senkrecht  über  der  zu- 
geschnittenen Spitze  beginnend,  Faser  nach  Faser  vom  Umfang 
ab  und  stellte  durch  deren  spectralanalytische  Prüfung  die  Ver- 
breitung der  Salze  längs  des  Umfanges  des  Astes  fest. 

An  Zweigen  wurde  die  Verbreitung  der  Salze  aus  der  an 
den  Blattstielen  vorgenommenen  Flammenprobe  erschlossen. 
Zuerst  wurden  die  senkrecht  über  der  künstlich  geschaffenen 
Zinke,  welche  in  die  Lösung  tauchte,  aufsitzenden  Blattstiele 
geprüft,  dann  fortschreitend  die  seitlich  entfernteren. 

In  einigen  Fällen  verwendete  ich  hingegen  Stoffe,  deren 
Verbreitung  nicht  spectralanalytisch  festgestellt  wurde,  sondern 
durch  chemische  Farbenreactionen  direct  wahrnehmbar  war. 
So  benützte  ich  Eisenchlorid,  welches  seinen  Weg  in  gerbstoff- 
haltigem  Gewebe  durch  die  eintretende  Blau-  oder  Grünförbung 
selbst  anzeigt.  Wiederholt  wurde  diese  Reaction  durch  Be- 
feuchten des  Stammes  mit  Ferrocyankalium  controlirt.  (Ver- 
stärkung der  bereits  durch  Eisenchlorid  erzeugten  Blaufärbung 
in  Folge  des  Entstehens  von  Berlinerblau.) 

An  einer  grösseren  Zahl  von  krautigenPflanzen  hatten 
Vorversuche,  in  denen  dieselben  entweder  mit  der  Wurzel  oder 
mit  der  Stengelschnittfläche  in  Farbstofflösungen  getaucht 
waren,  das  Resultat  ergeben,  dass  die  letzteren  nur  in  den 
Gefässbündelsträngen  aufsteigen.  Es  wurden  daher  zu  den 
weiteren  Experimenten  zwei  Pflanzenarten  gewählt,  bei  denen 
der  Verlauf  der  Gefässbündel  leicht  zu  verfolgen  ist,  und  die 
mir  in  grosser  Anzahl  zur  Verfügung  standen,  nämlich 
Anthriscus  silvestris  und  Impatiens  Roylei.  Bei  der  ersteren 
Pflanze  treten  die  Fibrovasalstränge  schon  äusserlich  als  starke 
Rippen  hervor,  bei  den  letzteren  sind  sie  im  durchscheinenden 
Stengel  leicht  wahrzunehmen. 

Bei  mit  der  Wurzel  ausgehobenen  Exemplaren  wurde  die 
Absicht,  nur  von  beschränkten  Theilen  der  Pflanze  Lösungen 
aufsaugen  zu  lassen,  dadurch  erreicht,  dass  nur  zarte  Wurzeln 
zum  Versuche  verwendet  wurden,  die  entweder  in  die  Haupt- 
wurzel oder  schon  in  die  Peripherie  des  Stengels  mündeten.  Ich 
befestigte  die  Pflanzen  mittelst  Klemmschrauben  an  Stativen 


Farbstoff-  und  Salzlösungen  in  Kraut-  und  Holzgewächsen.  47 

in  solcher  Höhe,  dass  die  zum  Versuche  gewählten  Wurzeln 
in  mit  Lösung  gefüllte  Reagenzgläser,  die  Hauptwurzel  oder 
di6  anderen  Seitenwurzeln  in  Gefässe  mit  Wasser  tauchten. 

An  abgeschnittenen  Exemplaren  Hess  ich,  um  die  Auf- 
nahme der  Lösungen  nur  von  bestimmten  Punkten  aus  zu 
gestatten,  am  Stengelende  ein  oder  zwei  Fibrovasalstränge 
isolirt  vorragen,  während  ich  alle  anderen  etwa  2  cm  darüber 
abschnitt.  Die  vorragenden  Gefässbündel  wurden  mit  Ausnahme 
ihrer  Basis  mit  Vaselin  eingerieben,  um  nur  von  dieser  aus  die 
Lösungen  aufnehmen  zu  können,  und  tauchten  etwaO'öcw 
tief  in  die  Farbstofflösungen. 

Eine  andere  Methode,  Lösungen  nur  durch  beschränkte 
Partien  des  Querschnittes  aufsteigen  zu  lassen,  bestand  in  der 
Unterbrechung  einzelner  Fibrovasalstränge,  während  die  ganze 
Stengelbasis  in  die  Lösung  tauchte.  Die  Unterbrechungen  der 
Gefässbündel,  welche  Dank  den  erwähnten  Eigenschaften  der 
zwei  Versuchspflanzen  einzeln  herausgeschnitten  werden 
konnten,  geschahen  durch  Einkerbungen  mittelst  eines  Scalpells 
innerhalb  eines  Internodiums  oder  im  Knoten. 

Das  Aufsteigen  der  Farbstofflösungen  in  den  Gefäss- 
bündelsträngen  war  entweder  schon  äusserlich  oder  nach 
Wegschaben  der  Epidermis  leicht  zu  verfolgen. 

Dieselbe  Versuchsanordnung  kam  in  Anwendung  für  das 
Aufsaugenlassen  von  Salzlösungen,  sowohl  durch  die 
Wurzeln,  als  durch  den  Stengelquerschnitt  (zwei  Methoden). 
Die  Bahn  derselben  wurde  wieder  durch  spectralanalytische 
Prüfung  ausgeschnittener  Stengeltheilchen  verfolgt.  Zunächst 
wurde  ein  Stückchen  aus  der  Fortsetzung  desjenigen  Gefäss- 
bündels  entnommen,  welches  nach  der  ersteren  der  zwei 
Versuchsmethoden,  die  ich  bei  abgeschnittenen  Exemplaren 
anwendete,  allein  in  die  Salzlösung  eintauchte.  Weiter  schnitt 
ich  Partikeln  aus  dem  Stengelwebe  zu  beiden  Seiten  dieses 
Gefässbündels.  Bei  Benützung  der  zweiten  Versuchsmethode 
wurden  zuerst  denjenigen  Fibrovasalsträngen  Stückchen  ent- 
nommen, welche  durch  die  Kerbung  nicht  unterbrochen  waren. 
Hierauf  wurde  die  oberhalb  der  Unterbrechungsstelle  gelegene 
Stengelpartie  geprüft,  in  welche  eine  Salzzufuhr  seitens  der 
durchziehenden  Gefässbündel  nicht  mehr  stattfinden  konnte. 


48  E.  Tschermak, 

Bahn  der  Farbstoff  lösungen  im  dicotylen  Holzkörper. 

Versuche  über  die  Bahn  derFarbstofiflösungen  im  dicotylen 
Holzkörper  wurden  in  den  Monaten  Mai  bis  August  an  älteren 
Exemplaren  folgender  Holzarten  im  botanischer  Garten  zu 
Halle  a.  S.  angestellt: 

Acer  platanoides  (4  Exemplare,  9,  11,  12,  13  w  hoch). 

Populus  italica  (1). 

Samhucus  nigra  (1). 

Betula  alba  (2). 

Qitercus  imbricaria  (1). 

Fraxinus  excelsior  (1). 

Syringa  vulgaris  (4). 

Syringa  chinensis  (3). 

Ulntus  montana  (2). 

Acer  platanoides.  Der  Wurzelstock  von  vier  Exemplaren 
wurde  blossgelegt  und  je  eine  deutlich  an  der  Peripherie  des 
Stammes  ansitzende  Wurzel  einige  Decimeter  von  ihrem 
Ursprung  durchgesägt  und  der  Stumpf  in  ein  Gefäss  mit  einer 
Lösung  von  indigschwefelsaurem  Natron  getaucht.  Zwei  dieser 
Versuche  mögen  näher  beschrieben  werden.  Im  ersten  Falle  be- 
trug derUmfang  der  eintauchenden  Wurzel  an  der  Einmündungs- 
stelle  in  den  Stamm  23  cm,  an  der  Sägefläche  17 '5  cm.  Nach 
achtstündiger  Versuchsdauer  wurde  der  Stamm  senkrecht  ober 
dem  Wurzelansatz  in  verschiedener  Höhe  entrindet,  um  zu 
sehen,  ob  die  Lösung  bereits  aufgestiegen.  Ein  schmaler  blauer 
Streif  war  nach  Verlauf  dieser  Zeit  senkrecht  über  der  Wurzel- 
einmündungsstelle 5  m  hoch  zu  verfolgen.  Nach  25  Stunden 
wurde  der  Versuch  unterbrochen,  der  Stamm  längs  des  blauen 
Streifens  entrindet  und  nun  Messungen  vorgenommen.  Die 
Wurzel  war  knapp  vor  ihrem  Ansätze  an  dem  Stamm  fast  in 
ihrem  vollen  Umfange  gefärbt,  erst  von  da  ab  stieg  der  Farbstoff 
in  schmalem  Streif  aufwärts,  anfangs  in  einer  Breite  von  3*4  cm, 
sich  nach  7  cm  auf  2  cm  verengend,  und  verlief  nun  in  dieser 
Breite  bis  zu  einer  Höhe  von  32  m,  von  da  allmälig  breiter 
werdend,  bis  er  in  einer  Höhe  von  4*82  w,  unterhalb  des  ersten 
Seitenastpaares,  eine  Breite  von  3  cm  erlangte.  Die  Seitenäste 
Sassen  so  an,  dass  ihre  Fussstücke  in  den  gebläuten  Faser- 


Farbstoff-  und  Salzlösungen  in  Kraut-  und  Holzgewächsen.  49 

verlauf  zu  stehen  kamen,  weshalb  sich  der  Farbstoff  in  beide 
Äste  vertheilte.  Im  rechten  Seitenast  konnte  er  4  cm  breit,  70  cm 
hoch  verfolgt  werden,  im  linken  7  cm  breit,  50 — 60  cm  hoch. 
Am  Stamme  selbst  setzte  sich  der  Streif  in  einer  Breite  von 
Zcm  fort,  bis  er  in  einer  Höhe  von  5 '88  m  in  einen  senkrecht 
ober  der  Wurzeleinmündung  liegenden  Ast  ablenkte,  am  Rücken 
desselben  3-5 — 3' 7  cm  breit  verlaufend.  Der  Stammumfang 
betrug  nach  dem  Wurzelansatze  71  cw,  der  Baum  war  10  m 
hoch.  Ein  aus  dem  Stamme  gestemmtes  Stück  zeigte,  dass 
sich  die  Blaufärbung  nur  sehr  wenig  nach  innen,  kaum  3  cm 
verbreitet  hatte. 

Bei  einem  zweiten  Exemplar  hatte  der  46  Stunden  in  eine 
Lösung  von  indigschwefelsaurem  Natron  eintauchende  Wurzel- 
stumpf einen  Umfang  von  26  cm.  Von  dem  Wurzelansatz  stieg 
ein  schmaler,  O'bcm  breiter  Streif  auf,  der  sich  nach  1  m  zu 
0*8 cw,  nach  2  m  zw  \  cm,  nach  2*9  w,  vor  der  Gabelung  des 
Stammes  in  zwei  starke  Äste,  bis  zu  ]'5cm  verbreiterte.  Der 
Streif  setzte  sich  mit  derselben  Breite  im  linken  Gabelaste  fort, 
bis  er,  in  den  50  cm  ober  der  Gabelung  abgehenden  Seitenast 
einbiegend,  daselbst  eine  Breite  von  2  cm  annahm.  Der  Stamm- 
umfang betrug  nach  der  Wurzeleinmündung  49  cm.  Der  Ver- 
such wurde  noch  14  Tage  an  dem  entrindeten  Stamme  fort- 
gesetzt, ohne  dass  eine  merkliche  Verbreiterung  des  Streifens 
erfolgt  wäre. 

Populus  italica.  Zwei  dünne  Wurzeln  tauchten  in  eine 
Lösung  von  indigschwefelsaurem  Natron.  Der  nach  eintägiger 
V'ersuchsdauer  entrindete  Stamm  zeigte  keine  blauen  Streifen, 
der  Querschnitt  des  abgesägten  Stammes  wies  indess  zwei 
nicht  weit  von  der  Stammperipherie  gelegene  blaue  Flecke  auf. 

Sambucus  nigra.  Eine  schwache  Wurzel  tauchte  zwei 
Tage  lang  in  eine  Lösung  von  indigschwefelsaurem  Natron. 
Der  entrindete  Stamm  zeigte  keine  Bläuung,  doch  wurde  nach 
Abstemmen  von  etwa  0*5  cw  dicken  Holzstücken  ein  0*6  cm 
breiter  Streif  sichtbar. 

Betula  alba*  Zwei  am  Stamme  gegenüber  ansitzende 
Wurzeln  wurden  zum  Versuche  gewählt.  Die  eine  tauchte  in 
ein  mit  einer  Lösung  von  indigschwefelsaurem  Natron  gefülltes 
Gefäss,  die  andere  in  ein  solches  mit  Eisenchloridlösung.  Nach 

Sitzb.  d.  raathem.-naturw.  Gl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  4 


50  E.  Tschermak, 

30  Stunden  wurde  der  ganze  Stamm  entrindet  Von  der  Ein- 
mündungsstelle  der  in  den  Indigo  tauchenden  Wurzel,  deren 
Sägefläche  einen  Umfang  von  7  cm  aufwies,  verlief  der  blaue 
Streif  anfangs  2  cm  breit,  sich  rasch  auf  1  cm  verengend,  2  •  7  m 
hoch,  die  längs  des  gefärbten  Faser\'erlaufes  entspringenden 
Zweige  färbend.  Der  Querschnitt  durch  den  Stamm  zeigte,  dass 
die  Lösung  nur  O'öcm  tief  in  den  Stamm  eingedrungen  war. 
Der  Stammumfang  betrug  knapp  über  dem  Wurzelansatz  25  cm. 
Die  Bahn  des  Eisenchlorides  wird  erst  in  dem  Abschnitt  »Bahn 
der  Salzlösungen  im  dicotylen  Holzkörper«  beschrieben  werden. 

Quercus  imbricaria.  Der  Stamm  gabelte  sich  3fw  hoch 
über  dem  Boden  in  zwei  starke  Äste.  88  cm  unterhalb  der 
Gabelung  wurde  senkrecht  unter  jedem  der  beiden  Äste  ein 
Loch  gebohrt,  in  dasselbe  ein  Trichter  eingesetzt,  der  eine 
mit  einer  Lösung  von  indigschwefelsaurem  Natron,  der  andere 
mit  Chlorlithiumlösung  gefüllt  Die  Farbstofiflösung  wurde 
langsam  aufgesogen,  aber  doch  immerhin  rascher  als  die 
Lithiumlösung.  Der  Versuch  blieb  12  Tage  in  Gang,  dann 
wurde  der  Stamm  theilweise  entrindet.  Der  Indigostreif  war 
anfangs  {'2  cm  breit,  verengte  sich  bald  auf  1  cm  und  verlief 
in  dieser  Breite  bis  zur  Gabelung.  In  dem  Gabelast  setzte  er 
\b  cm  breit  fort,  bis  er  56  cm  ober  der  Gabelung  in  einen 
Seitenast  mit  2  cm  Breite  einbog.  Der  Umfang  des  Stammes 
betrug  bei  dem  Bohrloch  52  cm.  Die  Bahn  der  Lithiumlösung 
soll  im  folgenden  Abschnitte  besprochen  werden. 

Fraxinus  excelsior.  Einige  Decimeter  unterhalb  eines 
Seitenastes  wurde  ein  Loch  gebohrt,  ein  Trichter  eingesetzt 
und  mit  einer  Lösung  von  indigschwefelsaurem  Natron  gefüllt. 
Dieselbe  stieg  in  schmalem  Streif  nur  in  den  betreffenden 
Ast  auf. 

Syringa  vulgaris.  Das  dünne  Ende  der  in  eine  Lösung 
von  indigschwefelsaurem  Natron  tauchenden  Wurzel  hatte 
einen  Umfang  von  4  cm.  Das  betreffende  Stämmchen,  in  welches 
die  Wurzel  zu  münden  schien,  wurde  nach  zwei  Tagen  theil- 
weise entrindet  und  zeigte  an  seinem  Umfange,  der  sich  ober 
dem  Wurzelansatz  auf  24 cm  belief,  einen  09  cm  breiten  blauen 
Streif,  der  sich  1  m  höher  auf  0*7  cm  verengte.  Der  Versuch 
blieb  dann  noch  1 1  Tage  in  Gang.  Der  Streif  war  nur  um  einige 


Farbstoff-  und  Salzlösungen  in  Kraut-  und  Holzgewächsen.  51 

Millimeter  breiter  geworden  und  bis  in  die  äussersten  Ast- 
spitzen zu  verfolgen. 

S}^inga  vulgaris,   Syringa  chinensis,  Ulmus  montana. 

An  mehreren  Exemplaren  dieser  Species  wurden  Trichter- 
versuche mit  einer  Lösung  von  indigschwefelsaurem  Natron 
(Einführung  des  Trichters  in  den  Stamm  an  beliebigen  Stellen) 
gemacht,  welche  alle  dasselbe  Resultat  ergaben:  Die  Lösung 
stieg  in  schmalem  Streif  mit  Rectascension  aufwärts.  Der 
Flieder  war  unter  allen  Holzgewächsen  dasjenige,  welches  die 
Lösung  von  indigschwefelsaurem  Natron  am  raschesten  aufsog. 

Bei  den  angeführten  Versuchen  wurden  ausschliesslich 
Lösungen  von  indigschwefelsaurem  Natron  verwendet,  weil 
Vorversuche  mit  anderen  Farbstofiflösungen,  wie  mit  wässerigen 
Lösungen  von  Gentianviolett  und  Fuchsin,  zwar  das  gleiche 
Resultat,  aber  undeutlich  und  nach  viel  längerer  Zeit  ergeben 
hatten. 

Zur  Untersuchung  der  Bahn  der  Farbstofflösungen  in 
jungen  Bäumen  verwendete  ich  eine  grössere  Anzahl  von 
2 — 3jähriger  Quercus  pedunculata.  Von  denselben  wurden 
vorerst  solche  benützt,  welche  stärkere  Wurzelverzweigungen 
hatten.  Eine  der  dickeren  tauchte  in  eine  Lösung  von  indig- 
schwefelsaurem Natron,  während  die  anderen  in  ein  Gefäss 
mit  Wasser  ragten.  Nach  1  —  2  Tagen  wurden  die  Versuche 
unterbrochen  und  die  Stämmchen  entrindet.  Die  in  die  Farb- 
stofflösung tauchende  Wurzel  war  anfangs  im  vollen  Umfange 
gefärbt,  von  der  Einmündungsstelle  in  den  Stamm  verlief  ein 
schmaler  blauer  Streif  senkrecht  nach  aufwärts  in  einzelne 
Zweige  bis  in  die  Blattrippen  und  das  Adernetz  ihrer  Blätter, 
welche  dadurch  blaugrün  erschienen.  Der  Durchschnitt  der  im 
vollen  Umfange  gefärbten  eintauchenden  Wurzel  zeigte,  dass 
nur  die  Gefässe  und  ihre  nächste  Umgebung  vom  Farbstoffe 
gebläut  waren,  während  z.  B.  die  Markstrahlen  ungefärbt 
blieben.  Bei  der  Mehrzahl  der  Versuche  an  den  jungen  Eichen 
tauchten  nur  ganz  dünne  Saugwurzeln  in  die  Farbstofflösung, 
während  der  Stumpf  der  Hauptwurzel  in  Wasser  gesenkt  war. 
Nach  1  —  3  Tagen  wurden  die  Stämmchen  entrindet.  Je  nach- 
dem sich  die  Wurzel  bereits  an  der  Oberfläche  oder  erst  in 
bestimmter  Tiefe   in    das  Gewebe   des  Stammes  verlor,   war 


OZ  E.  Tschermak, 

äusserlich  ein  schmaler  Streif  wahrnehmbar,  oder  es  trat  erst 
beim  Spalten  des  Stämmchens  in  der  Längsrichtung  ein  solcher 
zu  Tage.  Die  mikroskopische  Untersuchung  eines  Querschnittes 
der  Wurzel  oder  des  Stämmchens  ergab,  dass  das  indig- 
schwefelsaure  Natron  nur  Gefässe  und  ihre  nächste  Umgebung 
tingirt  hatte.  Das  Mikroskop  lehrte  ferner,  dass  die  primären 
Gefässbündel  der  Saugwurzeln  in  die  secundären  des  Stammes 
mündeten,  und  so  dessen  Färbung  vermittelten.  Einige  dieser 
Versuche  blieben  10  Tage  in  Gang.  Die  Bäumchen  waren  nach 
dieser  Zeit  noch  frisch,  der  Querschnitt  zeigte  auch  hier  nur 
die  betreffenden  Gefässe,  nicht  auch  das  Nachbargewebe 
gefärbt  Einige  mit  wässeriger  Lösung  von  Fuchsin  und 
Gentianviolett  angestellte  Versuche  ergaben  dasselbe  Resultat 
wie  die  Experimente  mit  der  Lösung  von  indigschwefelsaurem 
Natron. 

Zur  Untersuchung  der  Wege,  welche  die  Farbstofflösungen 
in  Zweigen  nehmen,  die  mit  ihrem  zu  ein  oder  zwei  Zinken 
zugeschnitzten  Ende  in  die  Lösungen  tauchten,  wählte  ich 
solche  von  Querctts  pedunculata  und  Syringa  vulgaris.  Letztere 
eignen  sich  wegen  ihrer  zumeist  regelmässig  dichotomen 
Verzweigungen,  wie  die  folgenden  Versuche  lehren,  ganz 
besonders  dazu  die  Rectascension  der  Farbstoff lösungen  in 
schmalen  Streifen  zu  veranschaulichen. 

Quercus  pedunculata.  Das  zugekerbte  3 — 4  cm  lange, 
mit  Ausnahme  der  Basis  mit  Baumwachs  verschmierte  Ende 
tauchte  1  —  2  Tage  in  eine  Lösung  von  indigschwefelsaurem 
Natron.  Der  entrindete  Zweig  zeigte  einen  blauen  Streif,  der 
sich  in  der  Breite  des  eintauchenden  Zinkenendes  bis  in  die 
äusserste  Spitze  verfolgen  Hess  und  die  Adern  sämmtlicher 
Blätter,  deren  Stiele  an  dem  betreffenden  Faserverlauf  ansassen, 
färbte. 

Syringa  vulgaris.  Die  Zweige  liess  ich  10— 20  cm  unter 
der  Gabelung  in  eine  oder  zwei  schmale  Zinken  auslaufen,  die 
gerade  unterhalb  der  Gabeläste  zu  stehen  kamen.  Bei  diesen 
Versuchen  wurden  alle  bei  der  Besprechung  der  Versuchs- 
methode angeführten  Farbstofflösungen  angewendet.  Die 
2  cm  langen  und  einige  Millimeter  breiten  Zinken  tauchten  mit 
ihrer  wachsfreien    Endfläche   circa  Ob  cm  in   die   Farbstoff- 


Farbstoflf-  und  Salzlösungen  in  Kraut-  und  Holzgewächsen.  53 

lösungen.  Wurde  der  Versuch  bereits  nach  einigen  Stunden 
unterbrochen,  oder  blieb  er  Tage  lang  in  Gang,  immer  zeigte 
der  entrindete  Zweig  einen  schmalen  Streif,  der  höchstens 
2 — 3  mm  breiter  als  die  Zinken  war  und  am  Rücken  des  einen 
Gabelastes  verlief.  Bei  weiterer  Vergabelung  stieg  der  Streif  in 
den  Zweig  auf,  dessen  Fussstück  in  den  gefärbten  Faserverlauf 
zu  stehen  kam.  Um  die  verschiedene  Aufstiegsgeschwindigkeit 
der  einzelnen  Farbstofiflösungen  ungefähr  zu  bestimmen, 
schlug  ich  folgendes  Verfahren  ein.  Ich  wählte  möglichst 
gleich  stark  gewachsene  Fliederzweige,  die  sich  regelmässig 
dichotom  vergabelten,  und  schnitt  6  cm  unter  der  Gabelung 
eine  3  cm  lange  und  2  mm  breite  Zinke  zu,  welche  je  1  cm 
tief  in  die  Farbstofflösungen  tauchte.  Derselbe  Versuch  wurde 
zweimal  angestellt  und  blieb  das  erstemal  17,  das  zweitemal 
19  Stunden  in  Gang.  In  beiden  Fällen  war  das  indigschwefel- 
saure  Natron  am  höchsten  gestiegen,  dann  folgten  mit  ab- 
nehmender Aufstiegsgeschwindigkeit  Fuchsin,  Gentianviolett, 
Safranin  und  Eosin.  Während  nach  17  Stunden  das  indig- 
schwefelsaure  Natron  bis  in  die  äusserste  Spitze  des  35  cm 
langen  Gabelastes  gestiegen  war,  konnte  Fuchsin  bis  zu 
einer  Höhe  von  16  cm,  Gentianviolett  9  cm,  Safranin  Q  cm, 
Eosin  nur  5  cm  hoch  verfolgt  werden.  Bei  dem  zweiten  Ver- 
such war  die  Reihenfolge  der  Aufsaugungsgeschwindigkeiten 
dieselbe. 

Bahn  der  Salzlösungen  im  dicotylen  Holzkörpen 

In  derselben  Zeitperiode,  in  welcher  die  Versuche  mit 
Farbstofflösungen  an  Holzgewächsen  angestellt  wurden,  ver- 
folgte ich  die  Bahnen  der  Salzlösungen  im  dicotylen  Holz- 
körper an  älteren  Exemplaren  folgender  Holzarten  des 
botanischen  Gartens. 

Acer  platanoides  (4). 
Syringa  vulgaris  (6). 
Ouerctis  imhricaria  (1). 
Quercus  pedunculata  (3). 
Fraxinus  excelsior  (1). 
Ulmtts  montana  (3). 


54  E.  Tschermak, 

Bettila  alba  (4). 

Pintis  silvestris  (1). 

Tsiiga  canadensis  (1). 
Acer  platanoides.  In  einem  Falle  hatte  der  in  die  Lithium- 
lösung tauchende  Wurzelstumpf  einen  Umfang  von  30  cm.  Nach 
80  Stunden  wurde  der  Versuch  unterbrochen,  senkrecht  ober- 
halb des  Wurzelansatzes  in  verschiedener  Höhe  Holzstücke 
herausgestemmt  und  nach  der  beschriebenen  Methode  mittelst 
des  Spectroskopes  auf  ihren  Salzgehalt  geprüft.  Das  Lithium 
war  in  schmalem,  3'd  cm  breiten  Streif,  l'5m  hoch  gestiegen. 
Der  Stammumfang  betrug  an  dieser  Stelle  45  cm.  Von  hier  nahm 
der  Streif  allmählich  an  Breite  zu,  bis  er  1  •  6  m  höher,  unter 
der  Gabelung  des  Stammes  in  2  starke  Seitenäste,  zu  4-8rw 
anwuchs.  Der  Stamm  war  hier  42  cm  breit.  Der  Streif  setzte 
sich  in  denjenigen  Gabelast,  welcher  senkrecht  über  der  ein- 
tauchenden Wurzel  abgieng,  in  einer  Breite  von  5  cm  fort.  1  m 
über  der  Gabelung  gab  dieser  Ast  2  Seitenäste  ab.  Der  linke 
zeigte  in  seinem  ganzen  Umfange  (IS'o  cm)  Lithium,  in  den 
rechten,  der  einen  Umfang  von  l\'5cm  aufwies,  war  das  Salz  in 
einer  Breite  von  2*9  cm  aufgestiegen.  An  zwei  weiteren  Exem- 
plaren wurden  in  den  Stamm  Trichter  eingesetzt  und  mit  Chlor- 
lithiumlösung gefüllt.  Dieselbe  wurde  nur  sehr  langsam  aufge- 
sogen. Auch  hier  stieg  das  Lithium  anfangs  in  schmalem  Streif 
auf,  begann  sich  aber  allmählich  am  Stammumfang  zu  verbreiten, 
bis  endlich  in  dem  einen  Falle  nach  7,  im  anderen  nach  10 
Tagen  an  der  ganzen  Stammesperipherie  sowohl  knapp  über 
dem  Bohrloche,  wie  auch  2  m  höher  Lithium  nachgewiesen 
werden  konnte.  Bei  einem  weiteren  Exemplare  wurde  der  in 
den  Stamm  eingesetzte  Trichter  mit  einer  Chlorbaryumlösung 
gefüllt,  von  welcher  auch  nach  mehreren  Tagen  nur  sehr  wenig 
aufgesogen  worden  war.  Die  Bahn  des  Baryums  konnte  nur 
einige  cm  weit  als  schmaler  Streif  verfolgt  werden. 

Syringa  vulgaris.  Ein  in  2  Gabeläste  auslaufender  Flieder- 
stamm wurde  20  cm  unterhalb  der  Gabelung  senkrecht  unter 
dem  einen  Gabelast  angebohrt.  In  das  Bohrloch  setzte  ich 
einen  Trichter  ein  und  füllte  denselben  mit  Chlorlithiumlösung. 
Nach  18  stündiger  Versuchsdauer  begann  ich  die  Gabeläste 
auf  Lithium  zu  untersuchen.  Auch  hier  war  es  in  schmalem 


Farbstoff-  und  Salzlösungen  in  Kraut-  und  Holzgewächsen.  55 

Streif  nur  in  dem  einen  derselben  aufgestiegen  und  unterhalb 
der  Gabelung,  sowie  im  Gabelast  in  einer  Breite  von  18  cm 
nachzuweisen.  Der  Umfang  des  Astes  betrug  9  cm^ 

Eine  dünne,  an  der  Peripherie  des  Stammes  ansitzende 
Wurzel  eines  baumartigen  Fliederstrauches,  dessen  starker 
Stamm  sich  bald  in  viele  Äste  vergabelte,  tauchte  34  Stunden  in 
Chlorlithiumlösung.  Nach  Verlauf  dieser  Zeit  war  das  Lithium 
am  ganzen  Stammumfang,  sowie  in  sämmtlichen  Asten  nach- 
zuweisen. 

In  einige  Stämmchen  wurden  Trichter  eingesetzt  und  mit 
Eisenchloridlösung  gefüllt.  Die  Flüssigkeit  wurde  sehr  langsam 
aufgesogen.  Die  nach  4 — 6  Tagen  entrindeten  Stämmchen 
zeigten  nur  einen  schmalen  blauen  Streif  (Gerbstoffreaction), 
der  durch  Befeuchten  mit  einer  Lösung  von  gelbem  Blutlaugen- 
salz in  Folge  der  eintretenden  Berlinerblaureaction  deutlicher 
gemacht  wurde.  —  In  zwei  Fällen  wurden  die  in  den  Stamm 
eingesetzten  Trichter  mit  einer  Lösung  von  essigsaurem  Uran 
gefüllt.  Die  nach  zwei  Tagen  entrindeten  Stämmchen  wurden 
mit  Ferrocyankalium  benetzt,  worauf  ein  2 — 3  cm  breiter, 
brauner  Streif  erschien,  der  sich  bald  verengte  (Ferrocyanuran). 
Quercus  imbricaria.  In  den  Stamm  wurden  88  cm  unter- 
halb seiner  Vergabelung  in  zwei  starke  Aste  senkrecht  unter 
jedem  derselben  Trichter  eingesetzt,  der  eine  mit  einer  Lösung 
von  indigschwefelsaurem  Natron  (vergl.  oben),  der  andere  mit 
Chlorlithiumlösung  gefüllt  Nach  12  Tagen  wurde  der  Versuch 
unterbrochen.  Es  war  nur  wenig  von  der  Salzlösung  aufgesogen 
worden.  Die  spectralanalytische  Untersuchung  ergab  eine  an- 
fängliche Verbreitung  des  Lithiums  von  3-8  cm  bei  einem 
Stammumfang  von  52  cm.  Dieselbe  nahm  bis  zur  Vergabelung 
bis  5*6  cm  zu.   Im  Gabelast  betrug  die  Verbreitung  4  cm, 

Quercus  pedunculata.  In  den  Stamm  eines  jüngeren 
Baumes  wurde  ein  Trichter  eingesetzt  und  mit  Chlorlithium- 
lösung gefüllt.  Der  Stammumfang  betrug  beim  Bohrloche  1 1  cm. 
Nach  sechs  Tagen  wurde  damit  begonnen,  Holzstückchen  aus 
dem  Stamme  zu  schlagen,  um  dieselben  auf  ihren  Salzgehalt 
zu  prüfen.  Das  Lithium  war  nach  Verlauf  dieser  Zeit  in  3  cm 
breitem  Streif  senkrecht  aufgestiegen.  Nach  14  Tagen  konnte 
indess  am  ganzen  Stammumfang  Lithium  nachgewiesen  werden. 


56  E.  Tschermak, 

Bei  einem  anderen  Exemplare  tauchte  eine  kräftige,  an  der 
Peripherie  des  Stammes  ansitzende  Wurzel  mit  ihrem  abge- 
sägten Ende  (Umfang  \8cm)  63  Stunden  in  Eisenchloridlösung. 
Der  entrindete  Stamm  zeigte  einen  blaugrauen  Streif  (Gerb- 
stoffreaction),  der  über  4  m  hoch  zu  verfolgen  war.  Derselbe 
hatte  anfangs  eine  Breite  von  5  cm  bei  einem  Stammumfang 
von  70  cm;  nach  Im  verengte  er  sich  auf  3*4  rw,  nach  Sm 
auf  1  -8  cm,  nach  4  m  war  er  nur  mehr  einige  Millimeter  breit. 
Das  nachträgliche  Tingiren  mit  einer  Lösung  von  gelbem  Blut- 
laugensalz machte  in  Folge  der  eintretenden  Berlinerblaureaction 
den  Streif  noch  deutlicher  sichtbar,  auch  wurde  er  um  einige 
Millimeter  breiter.  Nach  innen  war  die  Reaction  nur  einige 
Millimeter  tief  zu  verfolgen. 

Fraxinus  excelsior.  Einige  Centimeter  unter  den  Fuss- 
punkten  von  vier  Ästen  wurden  Löcher  gebohrt,  in  dieselben 
Trichter  eingesetzt  und  der  Reihe  nach  mit  Lösungen  von 
indigschwefelsaurem  Natron  (vergl.  oben),  Chlorlithium,  sal- 
petersaurem Strontium  und  Chlorbaryum  gefüllt.  Nach  zwei 
Tagen  war  das  Chlorlithium  in  4  cm  breitem  Streif  nur  in  dem 
betreffenden  Aste  nachzuweisen.  Nach  vier  Tagen  jedoch  hatte 
sich  das  Lithium  nicht  nur  in  dem  ganzen  Ast,  unter  welchen 
der  Trichter  angebracht  war,  verbreitet,  sondern  auch  über  den 
ganzen  Umfang  des  Stammes,  welcher  an  der  Stelle,  wo  der 
Ast  ansass,  56  cm  betrug.  Die  Bahn  des  Chlorbaryums,  sowie 
des  salpetersauren  Strontiums  konnte  auch  nach  mehreren 
Tagen  nur  einige  Centimeter  weit  als  schmaler  Streif  verfolgt 
werden. 

Ulmus  montana.  1  m  über  dem  Boden  wurde  in  den  Stamm 
eines  Exemplares  ein  Trichter  eingesetzt,  welcher  gerade  unter- 
halb eines  starken  Gabelastes  zu  stehen  kam.  Zur  Füllung 
wurde  Chlorlithium  verwendet.  Der  Stammumfang  betrug  in 
der  Höhe  des  Bohrloches  68  cm.  Ich  begann  mit  der  spectral- 
analytischen  Untersuchung  bereits  nach  8  Stunden,  weil  die 
Lösung  auffallend  rasch  aufgesogen  wurde.  Ich  konnte  auf  der 
Vorder-  und  Rückseite  des  starken  Gabelastes,  sowie  in  allen 
Verzweigungen  Lithium  nachweisen.  Vermuthlich  hatte  sich  das 
Lithium  auch  schon  in  dem  anderen  Gabelast  verbreitet,  doch 
konnte  die  Untersuchung  der  hereinbrechenden  Nacht  wegen 


\ 


Farbstoff-  und  Salzlösungen  in  Kraut-  und  Holzgewächsen.  57 

erst  am  folgenden  Morgen  fortgesetzt  werden.  Sie  ergab  nun 
vollständige  Verbreitung  des  Lithiums  im  ganzen  Umfange  des 
Baumes;  auch  80cm  unter  dem  Bohrloche  konnte  an  der 
ganzen  Peripherie  Lithium  nachgewiesen  werden. 

Bei  einem  anderen  Exemplare  tauchte  eine  Wurzel,  deren 
Sägefläche  einen  Umfang  von  10  cm  aufwies,  42  Stunden  in 
Chlorlithiumlösung,  und  schon  zeigte  sich  der  Stamm,  von 
welchem  Holzstücke  bis  zu  einer  Höhe  von  2m  behufs  spectral- 
analytischer  Untersuchung  herausgestemmt  wurden,  in  seinem 
ganzen  Umfang  von  Lithium  durchtränkt. 

Bei  einem  dritten  Exemplare  wurde  der  in  den  Stamm  ein- 
gesetzte Trichter  mit  Chlorbaryumlösung  gefüllt.  Obgleich  die- 
selbe rasch  aufgesogen  und  der  Trichter  wiederholt  gefüllt 
wurde,  gelang  es  mir  nicht,  in  den  herausgeschlagenen  Holz- 
stücken Baryum  nachzuweisen. 

Betula  alba.  In  mehrere  Stämme  wurden  Trichter  ein- 
gesetzt und  mit  Chlorlithiumlösung  gefüllt.  Nach  4—5  Tagen 
enthielt  die  dem  Bohrloche  gegenüberliegende  Seite  des  Baumes 
Lithium. 

Die  dünne  Wurzel  eines  anderen  Exemplares  musste  sieben 
Tage  lang  in  Chlorlithiumlösung  belassen  werden,  bis  sich  das- 
selbe im  ganzen  Stamme  (Umfang  ober  dem  Wurzelansatze 
50  cm)  verbreitet  hatte. 

Oben  wurde  ein  Versuch  bereits  erwähnt,  bei  welchem  die 
eine  von  zwei  am  Stamm  gegenüber  ansitzenden  Wurzeln  in 
eine  Lösung  von  indigschwefelsaurem  Natron,  die  andere  in 
Eisenchloridlösung  tauchte.  Der  nach  30  Stunden  entrindete 
Stamm  zeigte  auf  der  einen  Seite  den  Indigostreif  (vergl.  oben), 
auf  der  anderen  ein  blaugraues,  2  cm  breites  Band  (Gerbstoff- 
reaction),  das  sich  bald  auf  1  cm  verengte  und  nur  \'bm  hoch 
zu  verfolgen  war.  Durch  Tingiren  mit  Ferrocyankalium  wurde 
der  Streif  in  Folge  der  Berlinerblaureaction  deutlicher  und 
etwas  breiter.  In  der  Höhe  von  l'7ßm  zeigten  indess  einige 
Aststumpfe,  welche  4—5  cm  seitlich  von  der  senkrechten  Fort- 
setzung des  26  cm  tiefer  endigenden  Streifens  ansassen,  auf 
ihren  Sägeflächen  deutliche  Gerbstoffreaction.  Es  war  demnach 
auch  hier  eine  beträchtliche  seitliche  Verbreitung  des  Salzes 
eingetreten. 


58  E.  Tschermak, 

An  mehreren  Exemplaren  wurden  in  die  Stämme  Trichter 
eingesetzt  und  mit  Eisenchloridlösung  gefüllt.  Nach  drei-  bis 
fünftägiger  Versuchsdauer  entrindete  ich  den  Stamm.  Stets  war 
ein  3 — 5  cm  breiter  Streif  einige  Meter  hoch  zu  verfolgen.  Der 
Querschnitt  des  Stammes  zeigte  nur  1—2  cm  tief  die  Gerbstoff- 
reaction. 

Pinus  silvestris.  Eine  66  cm  lange  Wurzel  tauchte  mit 
ihrem  abgesägten  Ende  (Umfang  16  cm)  in  Chlorlithiumlösung. 
Nach  zwei  Tagen  ergab  die  Untersuchung,  dass  die  Lösung  in 
schmalem,  3 — 4  cm  breiten  Streif  aufgestiegen  war.  Nach  fünf 
Tagen  war  die  Stammperipherie  von  Lithium  imprägnirt  Der 
Stammumfang  betrug  oberhalb  des  Wurzelansatzes  77  cm. 

Tsuga  canadensis.  Ein  Trichter  wurde  l'om  über  dem 
Boden  in  den  Stamm,  der  an  dieser  Stelle  einen  Umfang  von 
40  cm  hatte,  eingesetzt  und  mit  Chlorlithiumlösung  gefüllt.  Das 
Aufsaugen  ging  sehr  rasch  vor  sich,  wesshalb  bereits  nach 
9  Stunden  mit  der  Untersuchung  begonnen,  der  Versuch  aber 
noch  in  Gang  belassen  wurde.  Ich  konnte  nach  Verlauf  dieser 
Zeit  bereits  eine  starke  seitliche  Verbreitung  des  Lithium  nach- 
weisen. Nach  24  Stunden  hatte  sich  das  Lithium  im  ganzen 
Stamm  verbreitet.  Holzstücke,  welche  3  m  über  dem  Bohrloch, 
und  zwar  auf  der  demselben  gegenüberliegenden  Seite  heraus- 
geschlagen und  untersucht  wurden,  waren  bereits  vom  Lithium 
durchtränkt. 

Zur  Verfolgung  der  Bahn  der  Salzlösungen  in  jungen 
Bäumchen  verwendete  ich  wieder  die  2— 3jährigen  Stieleichen. 
Bei  den  meisten  dieser  Versuche  Hess  ich  nur  ganz  schwache 
Saugwürzelchen  in  die  betreffenden  Salzlösungen  tauchen. 
Ragte  eine  der  Wurzeln  in  Chlorlithiumlösung,  so  war  bereits 
nach  einigen  Stunden  starke  seitliche  Verbreitung  des  Lithiums 
im  Stämmchen  nachzuweisen,  nach  einem  Tag  hatte  es  sich 
meist  schon  über  den  ganzen  Umfang  verbreitet.  Auch  Lösungen 
von  Chlorbaryum  und  salpetersaurem  Strontium  wurden  ein- 
zelnen Saugwurzeln  zur  Aufnahme  geboten.  Baryum  konnte 
ich  nach  1 — 2  Tagen,  Strontium  erst  nach  3 — 5  Tagen  längs 
der  Peripherie  des  Stämmchens  nachweisen.  Eisenchlorid  stieg 
selbst  nach  zehntägiger  Versuchsdauer  nur  in  schmalem  Streif 
auf.  Tauchte  indess  eine  stärkere  Wurzelverzweigung  in  die 


Farbstoff-  und  Salzlösungen  in  Kraut-  und  Holzgewächsen.  59 

Lösung,  so  war  nach  drei  Tagen  fast  am  ganzen  Umfang  des 
Stämmchens  Gerbstoffreaction  eingetreten. 

Zur  Verfolgung  der  Bahn  der  Salzlösungen  in  Zweigen, 
die  nur  mit  ihrem  zugespitzten  Ende  in  die  Lösungen  tauchten, 
benützte  ich  solche  von  Querctis  pedunculata,  Ulmus  moniana, 
Fraxinus  excehior  und  Syringa  vulgaris.  Letztere  eigneten  sich, 
wie  die  folgenden  Versuche  lehren,  ganz  besonders  dazu,  die 
allmälig  seitliche  Verbreitung  der  Salzlösungen  im  Holzkörper 
zu  verfolgen. 

Quercus  pedunculata.  Das  zinkenartig  zugeschnitzte,  mit 
Ausnahme  der  Basis  mit  Baumwachs  verschmierte  Zweigende 
tauchte  in  eine  Lösung  von  Chlorlithium,  salpetersaurem  Stron- 
tium, Chlorbaryum  und  Eisenchlorid.  Das  Lithium  war  nach 
einem  Tage,  nach  2 — 3  Tagen  auch  Baryum  und  Strontium, 
längs  des  ganzen  Zweigumfanges  nachzuweisen.  Eisenchlorid 
schoss  in  schmalem  Streif  senkrecht  aufwärts,  doch  trat  auch 
hier  nach  2 — 3  Tagen  am  ganzen  Umfang  Gerbstoffreaction  ein. 

Ulmus  montana,  Fraxinus  excelsior.  Stärkere  Zweige,  in 
gleicher  Weise  wie  dies  bei  Quercus  pedunculata  erwähnt,  zu- 
gerichtet und  in  Chlorlithiumlösung  tauchend,  zeigten  nach 
1—2  Tagen  starke  seitliche  Verbreitung  der  Salzlösung. 

Syringa  vulgaris.  Die  Versuche  wurden  nur  mit  regel- 
mässig dichotom  sich  vergabelnden  Zweigen  angestellt,  deren 
Ende  ich  \0— 20  cm  unter  ihrer  Gabelung  in  eine  Zinke  aus- 
laufen und  0*5  rw  tief  in  Lösungen  von  Chlorlithium,  Chlor- 
baryum, salpetersaurem  Strontium,  salpetersaurem  Calcium, 
Chlornatrium  und  Eisenchlorid,  tauchen  Hess.  Der  Nachweis 
der  vier  erstgenannten  Salze  geschah  wieder  auf  spectral- 
analytischem  Wege,  die  Anwesenheit  des  Eisenchlorids  wurde 
durch  Tingiren  mit  einer  Lösung  von  gelbem  Blutlaugensalz 
constatirt.  Die  Prüfung  auf  Na  geschah  durch  Flammenreaction. 
Da  das  Holz  und  die  Blätter  des  Flieders  in  Folge  ihres  starken 
Kaligehaltes  in  der  Flamme  des  Bunsenbrenners  verbrannt 
Violettfärbung  erzeugen,  konnte  beim  Gelbwerden  der  Flamme 
auf  den  Natriumgehalt  dieser  Pflanzentheile  geschlossen  werden. 
In  allen  Fällen  fand  auch  hier  vorerst  ein  rasches,  senkrechtes 
Aufsteigen  der  Lösungen  in  schmalem  Streif  statt,  dann  ver- 
breiteten   sich    die    verschiedenen    Salze    mit    verschiedener 


60  E.  Tschermak, 

Geschwindigkeit  zuerst  auf  der  Rückenseite,  dann  auf  der  Innen- 
seite desjenigen  Gabelastes,  welcher  senkrecht  über  der  ein- 
tauchenden Zinke  abging;  später  konnten  dieselben  auch  auf 
der  Innenseite  des  gegenüberstehenden  Gabelastes,  endlich 
auch  auf  dessen  Aussenseite  nachgewiesen  werden. 

Als  Beispiele  dieser  allmäligen  Verbreitung  der  Salze  seien 
folgende  angeführt.  In  einem  Falle  war  nach  23  stündiger  Ver- 
suchsdauer Strontium  an  der  Aussenseite  desjenigen  Gabel- 
astes, der  senkrecht  über  der  eintauchenden  Zinke  stand,  bis 
zu  einer  Höhe  von  \6  cm  über  der  Gabelung  nachweisbar, 
während  es  an  der  Innenseite  nur  9  cm  hoch  gestiegen  war 
und  im  gegenüberstehenden  Gabelaste  fehlte.  In  einem  anderen 
Falle  war  nach  20  Stunden  die  Baryumlösung  an  der  Aussen- 
seite des  ersten  Gabelastes  32  cm,  an  der  Innenseite  25  cm,  an 
der  Innenseite  des  anderen  Gabelastes  15  cm,  an  dessen  Aussen- 
seite 9  cm  hoch  gestiegen.  Um  wenigstens  annähernd  einen 
Begriff  von  der  verschiedenen  Aufsaugungsgeschwindigkeit  der 
einzelnen  Salzlösungen  zu  bekommen,  wurde  ganz  dieselbe 
Methode  wie  beim  Vergleich  der  Aufstiegsgeschwindigkeit  der 
einzelnen  Farbstofflösungen  angewendet.  Am  raschesten  ver- 
breiteten sich  Natrium,  Lithium,  Calcium  und  Baryum,  weniger 
rasch  Eisenchlorid,  am  langsamsten  Strontium. 

Bahn  der  Farbstofflösungen  in  dicotylen  krautigen  Pflanzen. 

In  dem  Abschnitt  über  die  Versuchsmethoden  wurden 
bereits  die  Gründe  dargelegt,  welche  mich  veranlassten,  bei  der 
Aufgabe,  die  Wege  der  Farbstoff-  und  Salzlösungen  in  krautigen 
Pflanzen  zu  studiren,  mit  den  zwei  Pflanzenarten  Anthriscus 
silvestris  und  Impatiens  Roylei  zu  operiren. 

Anthriscus  silvestris.  Bei  den  mit  der  Wurzel  ausge- 
hobenen Exemplaren  tauchte  die  unverzweigte  Pfahlwurzel 
einige  Centimeter  tief  in  eine  Lösung  von  indigschwefelsaurem 
Natron.  Die  rasch  aufgesogene  Flüssigkeit  hatte  nach  eintägiger 
Versuchsdauer  anfangs  den  ganzen  axilen  Strang  der  Wurzel 
gefärbt,  im  weiteren  Verlaufe  blieben  aber  die  aus  den  nicht 
mehr  eintauchenden  Nebenwurzeln  eingetretenen  Fibrovasal- 
stränge  ungefärbt,  wesshalb  auch  beim  Übergang  der  Wurzel 
in     den    Stengel     nicht     alle     Gefässbündelstränge     gebläut 


Farbstoff-  und  Salzlösungen  in  Kraut-  und  Holzgewächsen.  6 1 

erschienen.  Bei  längerem  Belassen  der  Wurzel  in  der  Lösung 
(50—60  Stunden)  zeigte  sich  indess  in  den  meisten  Fällen  der 
ganze  Gefössbündelkreis  gefärbt. 

Um  nun  wieder  die  Verbreitung  der  Farbstofflösungen  im 
Pflanzenkörper  zu  studiren,  wenn  dieselben  bloss  einzelnen 
begrenzten  Partien  der  Pflanze  zum  Aufsaugen  geboten  werden, 
wählte  ich  einmal  Exemplare  mit  gabelig  verzweigter  Haupt- 
wurzel und  Hess  einen  dieser  Wurzeläste  in  die  Lösung,  den 
anderen  in  Wasser  tauchen.  Oder  ich  wählte  Exemplare  mit 
unverzweigter  Hauptwurzel  und  tauchte  dann  bloss  eine  kleine, 
aus  der  Hauptwurzel  entspringende  Saugwurzel  in  die  Indigo- 
lösung, während  der  Stumpf  der  ersteren  in  Wasser  ragte.  In 
beiden  Fällen  zeigten  sich,  ob  nun  der  Versuch  bloss  einen 
Tag  oder  mehrere  Tage  in  Gang  blieb,  nur  die  aus  den  betref- 
fenden Wurzeln  in  den  axilen  Strang  der  Hauptwurzel  sich 
einreihenden  Fibrovasalstränge  gebläut,  während  der  andere 
Theil  des  axilen  Stranges  ungefärbt  blieb.  Im  Stengel  waren 
dann  stets  nur  die  senkrecht  über  der  Wurzeleinmündungs- 
stelle verlaufenden  Gefässbündelstränge  gefärbt. 

Bei  abgeschnittenen  Exemplaren  wendete  ich,  wie  schon 
bei  der  Besprechung  der  Versuchsmethode  erwähnt,  zwei 
Verfahren  an,  um  die  Aufnahme  der  Lösungen  nur  von  be- 
grenzten Stengelpartien  zu  erzielen.  Den  Pflanzen  wurden 
folgende  Farbstoffe,  in  Wasser  gelöst,  zum  Aufsaugen  geboten: 
indigschwefelsaures  Natron,  Fuchsin,  Safranin  und  Gentian- 
violett.  Bei  den  Versuchen  nach  der  ersten  Methode  waren  die 
Lösungen,  wenn  nach  einigen  Stunden  der  Versuch  unter- 
brochen wurde,  nur  in  den  in  die  Flüssigkeit  vorragenden  ein 
oder  zwei  Gefässbündelsträngen  aufgestiegen,  von  einer  Ver- 
breitung in  das  Nachbargewebe  war  nichts  zu  bemerken. 
Blieben  indess  die  Pflanzen  über  einen  Tag  in  den  Lösungen 
stehen,  so  zeigten  sich  auch  die  meisten  benachbarten  Gefäss- 
bündel  des  ersten  sowie  die  Mehrzahl  des  folgenden  Internodium 
gefärbt.  Wurde  indessen  der  in  die  Farbstofflösung  tauchende 
Fibrovasalstrang  durch  eine  Einkerbung  im  ersten  Internodium 
oder  durch  einen  im  Knoten  ausgeführten  Ausschnitt  unter- 
brochen, so  stieg  die  Farbstofflösung  nur  in  diesem  Gefässbündel- 
strangbis  zur  Unterbrechungsstelle  aufwärts,  die  Nachbarstränge 


62  E.  Tschermak, 

blieben  dann  auch  nach  mehrtägiger  Versuchsdauer  ungefärbt. 
Damit  war  die  Annahme  einer  Färbung  derselben  im  ersteren 
Falle  durch  Diffusion  im  Gewebe  ausgeschlossen,  ihre  Färbung 
musste  daher  durch  einen  directen  Zusammenhang  mit  den  ein- 
tauchenden Gefässbündelsträngen  erfolgt  sein.  Dieser  Vorgang 
erklärte  sich  leicht,  als  durch  Biossiegen  der  Gefässbündel  im 
Knoten  durch  vorsichtiges  Abschaben  der  Epidermis  die  gürtel- 
förmige Verbindung  der  meisten,  in  manchen  Fällen  auch  aller 
Gefässbündel  untereinander  constatirt  wurde,  wodurch  einerseits 
die  Farbstofflösung,  wenn  auch  nur  von  einem  Fibrovasalstrang 
in  den  Knoten  geleitet,  in  alle  Stränge  des  zweiten  Internodium 
aufsteigen  konnte,  andererseits  der  Rücklauf  in  die  Gefäss- 
bündel des  ersten  Internodium  ermöglicht  war.  Bei  recht- 
zeitiger Entnahme  der  Pflanzen  aus  der  Lösung  konnte 
auch  der  Rücklauf  in  die  benachbarten  Gefässbündelstränge 
in  verschieden  vorgeschrittenen  Stadien  beobachtet  werden. 
Derselbe  erstreckte  sich  nur  in  manchen  Fällen  auf  sämmt- 
liche  Gefässbündel  des  Stengelumfanges,  meistens  blieb  er 
in  einem  oder  in  einigen  wenigen  aus,  je  nachdem  die  Blatt- 
spur der  schraubenständigen  Blätter  den  ganzen  Stengel- 
umfang einnahm  oder  kleiner  als  derselbe  war.  Die  gürtel- 
förmige Verbindung  der  Gefässbündelstränge  findet  nämlich 
bei  Anthriscus  silvestris  nur  unter  denjenigen  Gefässbündeln 
statt,  welche  an  der  Blattspur  Zweige  in  die  Blattscheide 
entsenden.  Die  anderen,  an  der  Gefässbündelversorgung  des 
Blattes  unbetheiligten  Fibrovasalstränge  —  meist  ist  es  nur 
einer  —  verlaufen  isolirt  durch  zwei  Internodien.  Tauchte  dem- 
nach nur  ein  solcher  isolirt  verlaufender  Strang  in  die  Farb- 
stofflösung, dann  blieben  alle  anderen  Gefässbündel  des  ersten 
und  des  zweiten  Internodium  ungefärbt.  Infolge  der  schrauben- 
ständigen Anordnung  der  Blätter  ist  allerdings  vom  zweiten 
Knoten  herab  Rücklauf  in  die  bisher  ungefärbten  Fibrovasal- 
stränge ermöglicht,  und  es  konnte  auch  der  Beginn  desselben 
bei  einzelnen  Exemplaren  nachgewiesen  werden,  die  meisten 
waren  jedoch,  da  dieses  Resultat  erst  nach  drei  Tagen  eintrat, 
zu  welk  geworden  und  sogen  daher  nicht  mehr. 

Nach   der   zweiten   Methode  wurden  folgende  Versuche 
angestellt.  Innerhalb  eines  Internodium  des  Stengels  machte 


Farbstoff-  und  Salzlösungen  in  Kraut-  und  Holzgewächsen.  63 

ich  vorerst  in  verschiedenen  Höhen  verschieden  grosse  Ein- 
kerbungen. Bei  den  so  präparirten  Pflanzen  stieg  die  Lösung 
nur  in  den  Gefässbündeln,  die  nicht  durch  eine  Einkerbung 
durchschnitten  waren,  bis  in  den  Knoten  auf,  die  Fortsetzung 
der  durch  einen  Einschnitt  unterbrochenen  Fibrovasalstränge 
zeigte  sich,  wenn  die  Pflanze  nach  einigen  Stunden  der  Lösung 
entnommen  war,  ungefärbt.  Nach  längerem  Stehen  in  der  Lösung 
trat  auch  hier  in  Folge  des  Anastomosirens  der  Gefässbündel 
im  Knoten  Rücklauf  der  Lösung  in  die  durch  die  Einkerbung 
abgetrennten  Gefössbündelstrecken  (vom  Knoten  herab)  ein. 
Unterbrach  ich  durch  zwei  in  einem  Internodium  einige  Centi- 
meter  übereinander  ausgeführte  Einkerbungen  dieselben  Gefäss- 
bündelstränge,  so  stieg  die  Farbstofflösung  nur  in  den  unver- 
sehrten bis  zum  Knoten  auf,  in  den  unterbrochenen  nur  bis  zur 
ersten  Einkerbung.  Ungefärbt  blieben  demnach  das  zwischen 
beiden  Einkerbungen  liegende  Stengelstück  und  zunächst  auch 
die  Gefassbündelstrecken  oberhalb  der  zweiten  Einkerbung.  Bei 
längerem  Stehen  in  der  Lösung  wurden  die  letzteren  durch  Rück- 
lauf gefärbt,die  zwischen  beiden  Einkerbungen  liegenden  Gefass- 
bündelstrecken blieben  jedoch  auch  nach  tagelanger  Versuchs- 
dau6r  ungefärbt.  Ein  Beweis,  dass  der  Farbstoff  nicht  im  Gewebe 
zu  diffundiren  und  so  die  abgeschnittenen  Gefassbündelstrecken 
zu  imprägniren  vermochte.  Der  Rücklauf  konnte  natürlich  bei 
den  angeführten  Versuchen  durch  Einkerbungen  im  Knoten 
selbst,  senkrecht  ober  den  Unterbrechungsstellen,  abgesperrt 
werden.  Die  Bahn  der  Farbstofflösung  war  nach  Wegschaben 
der  Epidermis  an  den  Stengelrippen  leicht  zu  verfolgen.  Zwei 
mit  einem  Höhenunterschiede  von  mehreren  Centimetem  aus- 
geführte Einkerbungen,  die  zusammen  den  ganzen  Stengel- 
umfang umfassten,  demnach  alle  Gelassbündel  des  Stengels 
unterbrachen,  verhinderten  das  Aufsteigen  der  Farbstofflösung 
in  den  Knoten  überhaupt,  weshalb  auch  kein  Rücklauf  statt- 
finden konnte,  wieder  ein  Beweis,  dass  nur  die  Gefässbündel 
die  Leitung  des  Farbstoffes  besorgten,  und  dass  ihre  Gefäss- 
wände  für  denselben  impermeabel  waren. 

Impatiens  Roylei.  Von  den  mit  der  Wurzel  ausgehobenen 
Exemplaren  Hess  ich  nur  einzelne  deutlich  an  der  Stengel- 
peripherie   ansitzende  Würzelchen   in    die    Farbstofflösungen 


64  E.  Tschermak, 

tauchen.  Nach  einigen  Stunden  färbten  sich  nur  diejenigen 
Gefässbündel,  in  welche  die  Wurzeln  direct  mündeten.  Nach 
längerer  Versuchsdauer  trat  auch  hier  Rücklauf  vom  Knoten 
herab  in  den  Nachbargefassbündeln  ein,  der  sich  hier  in  Folge 
Anastomose  sämmtlicher  Gefässbündel  auf  alle  Fibrovasal- 
stränge  des  Stengels  erstrecken  konnte,  meistens  aber  welkte 
die  Pflanze  schon,  bevor  er  in  allen  Strängen  eingetreten  war. 
Bei  abgeschnittenen  Exemplaren  kamen  dieselben  zwei 
Versuchsmethoden  mit  den  gleichen  Farbstofflösungen  in  An  - 
Wendung.  Das  Resultat  war  auch  hier,  dass  die  Farbstoff- 
lösungen nur  von  den  Fibrovasalsträngen  aufgenommen  wurden, 
deren  Wände  die  Farbstoffe  nicht  diffundiren  Hessen.  Es  roag 
nur  noch  erwähnt  werden,  dass  die  Exemplare  von  Impatiats 
Roylei  in  der  Lösung  von  indigschwefelsaurem  Natron  viel 
rascher  schlaff  wurden  als  in  den  anderen  genannten  Farbstoff- 
lösungen, während  bei  Anthrisctis  silvestris  das  indigschwefel- 
saure  Natron  vorzuziehen  war. 

Bahn  der  Salzlösungen  in  dicotylen  krautigen  Pflanzen. 

Zur  Verfolgung  der  Bahn  der  Salzlösungen  in  krautigen 
Pflanzen  operirte  ich  mit  denselben  zwei  Pflanzenarten,  welche 
zum  Studium  der  Wege  des  Farbstoffs  gedient  hatten. 

Anthriscus  silvestris.  Bei  bewurzelten  Exemplaren  Hess 
ich  eine  an  der  Hauptwurzel  ansitzende  zarte  Nebenwurzel 
einige  Stunden  in  eine  Chlorlithiumlösung  eintauchen.  Senk- 
recht oberhalb  der  Wurzeleinmündungsstelle  wurde  im  ersten 
Internodium  des  Stengels  ein  mehrere  Gefässbündel  unter- 
brechender Einschnitt  gemacht.  Nach  3—6  Stunden  wurden 
Stücke  von  den  senkrecht  oberhalb  des  Wurzelansatzes  ver- 
laufenden Gefässbündelsträngen  unterhalb  der  Einkerbung 
herausgeschnitten  und  spectralanalytisch  untersucht.  Dieselben 
enthielten  alle  bereits  Lithium.  In  den  seitlich  gelegenen 
Gefässbündeln,  sowie  in  den  ober  der  Einkerbung  ver- 
laufenden konnte  Lithium  nicht  nachgewiesen  werden.  Nach 
20 — 30stündiger  Versuchsdauer  vermochte  ich  indess  sowohl 
in  den  seitlich  gelegenen,  als  auch  in  den  über  der  Einkerbung 
verlaufenden  Gefässbündeln  Lithium  nachzuweisen. 


Farbstoff-  und  Salzlösungen  in  Kraut-  und  Holzgewächsen.  65 

Dieselben  zwei  Versuchsmethoden,  welche  an  abge- 
schnittenen Exemplaren  von  Anthriscus  zur  Verfolgung  der 
Bahn  der  Farbstoff lösungen  dienten,  kamen  bei  der  Unter- 
suchung der  Wege  der  Salzlösungen  in  Anwendung.  Zum 
Aufsaugen  bot  ich  den  Pflanzen  Chlorlithium,  Chlorbaryum, 
salpetersaures  Strontium  und  salpetersaures  Calcium.  Die 
spectralanalytische  Untersuchung  ergab  bei  Anwendung  der 
ersten  Methode  nach  einigen  Stunden  nur  eine  Verbreitung 
der  Salze  in  dem  in  die  Lösung  tauchenden  Gefassbündel- 
strang.  Nach  1 — 2  Tagen  konnten  indess  in  allen  Fibrovasal- 
strängen  des  Stengelumfanges  jene  Salze  nachgewiesen 
werden.  Diese  Erscheinung  war  im  ersten  Augenblicke  nicht 
so  frappant,  weil,  wenn  auch  nur  die  Gefässbündel  die  Salze 
geleitet  hätten,  sich  in  Folge  des  bekannten  Rücklaufes  die 
Lösung  in  alle  nicht  eintauchenden  Stränge  hätte  verbreiten 
können.  Es  enthielten  jedoch  nach  Verlauf  dieser  Zeit  die 
Nachbargefässbündel  auch  dann  die  betreffenden  Salze,  wenn 
der  Rücklauf  der  Lösungen  durch  eine  Einkerbung  im  Knoten 
selbst  verhindert  war.  Standen  die  Pflanzen  mit  ihrer  ganzen 
Stengelschnittfläche  in  den  Salzlösungen  und  waren  durch 
zwei  Einkerbungen  innerhalb  des  ersten  Internodium  dieselben 
Gefässbündelstränge  unterbrochen,  so  zeigte  die  spectral- 
analytische Untersuchung  der  zwischen  beiden  Einkerbungen 
liegenden  Stengelpartie  nach  *  Verlauf  von  nur  wenigen 
Stunden  die  für  die  betreffenden  Salze  charakteristischen 
Linien  nicht  Nach  2—3  Tagen  dagegen  konnte  ich  auch 
daselbst  die  Salze  nachweisen.  Waren  durch  zwei  innerhalb 
eines  Intemodium  ausgeführte  Einkerbungen  sämmtliche  Ge- 
fässbündelstränge unterbrochen,  so  konnten  doch  nach  Ver- 
lauf von  2 — 3  Tagen  in  den  ober  der  zweiten  Einkerbung 
gelegenen  Pflanzentheilen  die  Salze  nachgewiesen  werden;  der 
sicherste  Beweis  dafür,  dass  auch  das  Parenchym  die  Leitung 
der  Salze  besorgte. 

Impatiens  RoyleL  Die  den  vorstehenden  Versuchen  ganz 
analogen  Experimente  an  bewurzelten  Exemplaren,  sowie  an 
abgeschnittenen,  die  nach  den  besprochenen  zwei  Versuchs- 
methoden  präparirt  in  die  Salzlösungen  tauchten,  ergaben  ein 
vollkommen  übereinstimmendes  Resultat:  auch  in  denjenigen 

Sitzb.  d.  mathera.-natunv.  Gl. ;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  5 


66  .  E.  Tschermak, 

Stengeltheilen,  nach  welchen  ein  Transport  der  Salzlösungen 
durch  die  Gefassbündel  künstlich  ausgeschlossen  war,  konnten 
die  Salze  mittelst  Spectralanalyse  nachgewiesen  werden. 

Resultate. 

Als  Gesammtresultat  der  im  vorstehenden  beschriebenen 
Versuche  ergibt  sich  Folgendes: 

In  den  von  mir  untersuchten  krautigen  Dicotylen  erwiesen 
sich  die  Gefassbündel  als  die  ausschliesslichen  Leiter  der 
angewendeten  Farbstofflösungen,  und  soweit  die  betreffende 
Farbflüssigkeit  nicht  durch  Anastomosen  auch  in  die  benach- 
barten Fibrovasalstränge  (eventuell  durch  Rücklauf)  gelangte, 
blieb  die  Verbreitung  jener  Farbstoffe  auch  bei  längerer  Ver- 
suchsdauer auf  die  aufsaugenden  Gefassbündel  und  auf 
deren  Endverzweigungen  beschränkt.  Von  einer  circum- 
Scripten  Wurzel-  oder  Querschnittstelle  aus  wurde  also  durch 
die  benützten  färbenden  Substanzen  nur  ein  bestimmtes  Terri- 
torium des  Gefasssystems  entsprechend  der  Rectascension 
tingirt,  dieselben  stiegen  nur  in  den  Gefassbündeln  auf,  ohne 
in  das  Nachbargewebe  zu  diffundiren. 

Im  dicotylen  Holzkörper  stiegen  die  einer  circumscripten 
Partie  der  Wurzel  oder  des  Stammesquerschnittes  gebotenen 
Farbstofflösungen  stets  in  einem  relativ  schmalen  Streif  senk- 
recht (in  Rectascension)  entsprechend  dem  Faserverlaufe  auf 
und  verbreiteten  sich  auch  bei  längerer  Versuchsdauer  niemals 
in  die  weitere  Nachbarschaft  dieser  Bahn,  geschwefge  durch 
den  ganzen  Querschnitt.  Für  die  Aufnahme  der  von  mir 
angewendeten  Farbstofflösungen  gilt  demnach  der  Satz,  dass 
bestimmten  Astpartien,  beziehungsweise  bestimmten  Partien 
des  Pflanzenkörpers  überhaupt,  ganz  bestimmte  Wurzeln  ent- 
sprechen. 

Ein  von  meinen  Beobachtungen  zum  Theil  abweichendes 
Verhalten  aufsteigender  Farbstoff lösungen  constatirte  Goppel  s- 
roeder,  ^  welcher  an  36  Pflanzenarten  mit  43  organischen 
Farbstoffen  Versuche   anstellte.    Er   Hess    dabei   die  Pflanzen 


1  Über  Capillaranalyse.  Mittheilungen  der  Section  für  chemische  Gewerbe 
des  k.  k.  Technologischen  Gewerbe-Museums.  Wien,  1889. 


Farbstoff-  und  Salzlösungen  in  Kraut-  und  Holzgewächsen.  67 

entweder  mit  der  ganzen  Wurzel  oder  mit  der  ganzen  Schnitt- 
fläche in  die  wässerigen  Lösungen  tauchen.  Die  geprüften 
Farbstoffe  verhielten  sich  in  der  Geschwindigkeit  des  Auf- 
steigens  sehr  verschieden;  indigschwefelsaures  Natron  wurde 
nicht  verwendet.  Auch  Goppels roeder  beobachtete,  dass  die 
Lösungen  besonders  in  den  Gefässen  emporstiegen;  doch 
traten  manche  Farbstoffe,  wie  die  gleichzeitige  Tinction  des 
Markes,  mitunter  auch  der  Epidermis  und  des  Parenchyms 
zwischen  den  Blattadem  bewies,  in  das  Nachbärgewebe  über. 

Ein  von  jenen  Farbstoflfflüssigkeiten  verschiedenes  Ver- 
halten zeigten  die  zu  den  Versuchen  benützten  Salzlösungen 
(im  engeren  Sinne),  wenn  man  sie  durch  eine  circumscripte 
Partie  der  Wurzel  oder  des  Stammes,  beziehungsweise  des 
Stengels  aufsteigen  Hess. 

In  den  krautigen  Dicotylen  stiegen  die  Lösungen  von 
Chlorlithium,  Chlorbaryum,  salpetersaurem  Strontium  und 
salpetersaurem  Calcium  zunächst  in  Rectascension  durch  den- 
jenigen Stengelsector  auf,  dessen  Gefässbündel  in  die  Flüssig- 
keit tauchten.  Nach  längerer  Versuchsdauer  jedoch  verbreiteten 
sich  die  Salze  durch  Diffusion  im  ganzen  Umfange  des  Stengels 
und  im  Pflanzenkörper  durchwegs.  Die  Salze  gelangten  daher 
nicht  bloss  in  die  Gefässbündel,  sondern  auch  in  das  intravas- 
culäre  Parenchym. 

Im  dicotylen  Holzkörper  stiegen  die  einer  beschränkten 
Partie  der  Wurzel  oder  des  Stammquerschnittes  gebotenen 
Lösungen  von  Chlorlithium  zunächst  in  einem  relativ  schmalen 
Streif  in  Rectascension  bis  in  die  senkrecht  überliegenden  Aste 
und  Zweige  empor.  Chlorbaryum  und  salpetersaures  Strontium 
wurden  von  älteren  Bäumen  sehr  wenig  aufgesogen,  während 
sie  an  jungen  Eichen  nach  mehreren  Tagen  längs  der  ganzen 
Peripherie  nachweisbar  waren.  An  Zweigen  mehrerer  Baum- 
arten zeigten  die  genannten  Salze  ebenso  wie  salpetersaures 
Calcium  und  Chlomatrium  anfangs  Aufsteigen  im  Streif,  später 
allmälige  Verbreitung  im  ganzen  Umfange.  Anfangs  bestand 
demnach  dasselbe  Verhalten  wie  seitens  der  Farbstoff  lösungen. 
Nach  einiger  Zeit,  deren  Ausmass  nach  Art  und  Individuum  von 
8  Stunden  bis  zu  14  Tagen  wechselte,  verbreiteten  sich  aber 
jene  Salzlösungen  successive  in  das  Nachbargewebe,  längs  des 

5* 


68  E.  Tschermak, 

ganzen  Umfangs  und  in  den  Pflanzenkörper  durchaus.  Eisen- 
chlorid verbreitete  sich  im  gerbstoffhaltigen  Gewebe  von 
älteren  Bäumen  auch  nach  mehreren  Tagen  meist  nur  in 
schmalem  Streif  rectascendirend.  Für  junge  Eichen  galt  dasselbe, 
wenn  die  Zufuhr  des  Salzes  durch  eine  schwache  Saugwurzel 
geschah;  von  einer  stärkeren  Wurzelverzweigung  aus  ver- 
breitete sich  aber  Eisenchlorid  in  einiger  Zeit  fast  im  ganzen 
Umfange.  In  Zweigen  stieg  dasselbe  anfangs  in  schmalem  Streif 
von  der  eintauchenden  Zinke  auf,  verbreitete  sich  aber  dann  in 
der  ganzen  Peripherie. 

Die  von  mir  angewendeten  Salzlösungen  zeigten 
demnach  beim  Aufsteigen  im  Pflanzenkörper  ein 
anderes  Verhalten,  als  die  benützten  Farbstoffe. 
Während  diese  in  linearen  Bahnen  festgehalten 
wurden  (permanente  Rectascension),  stiegen  die 
Salze  zwar  anfangs  im  Streif  empor  (transitorische 
Rectascension),  diffundirten  aber  nach  einiger  Zeit 
mit  verschiedener  Geschwindigkeit  in  den  ganzen 
Pflanzenkörper.  Nach  den  Beobachtungen  von  Goppels- 
roeder  verhalten  sich  übrigens  manche  Farbstoffe  ähnlich;  es 
differiren  also  die  als  Farbstoffe  bezeichneten  Substanzen  im 
allgemeinen  nur  graduell  von  den  unter  Salzen  im  engeren 
Sinne  verstandenen  Körpern. 

Will  man  aus  meinen  Versuchen  Schlüsse  ziehen  auf  den 
Lauf  der  Nährstoffe  im  Holzkörper,  so  ist  vor  allem  festzuhalten, 
dass  die  Erfahrungen  mit  Farbstoffen  ausgeschlossen  werden 
müssen,  und  dass  meine  Versuche  mit  Salzen  gemacht  sind, 
die  als  Nährstoffe  im  engeren  Sinne  nicht  bezeichnet  werden 
können.  Es  wird  aber  erlaubt  sein,  aus  dem  Verhalten  dieser 
Salze  auf  das  wirklicher  Nährsalze  zu  schliessen.  Ist  dies  der 
Fall,  dann  ergibt  sich  für  die  Ernährung  der  Pflanze  vom  Boden 
aus  Folgendes:  Von  jeder  Wurzel  führt  eine  anatomische 
Bahn  nach  bestimmten  Astpartien,  beziehungsweise  bestimmten 
Partien  des  Pflanzenkörpers.  Dieselbe  bildet  den  prädisponirten 
Weg  für  die  aufsteigende  Lösung,  in  ihm  bewegt  sich  die 
Salzlösung  in  erster  Linie.  Die  Nährsalze  werden  aber  nicht 
in  diesen  Bahnen  festgehalten,  sondern  gehen  in  den  ganzen 
Querschnitt  des  Stammes,  respective  des  Stengels  über.  Eine 


Farbstoff-  und  Salzlösungen  in  Kraut-  und  Holzgewächsen.  69 

bestimmte  Astpartie,  ein  bestimmter  Theil  des  Pflan- 
zenkörpers ist  in  Folge  dessen  in  seiner  Ernährung 
keineswegs  ausschliesslich  auf  die  Function  der 
anatomisch  zugehörigen  Wurzelpartie  angewiesen; 
jeder  Ast  kann  vielmehr  seine  Nahrung  aus  dem  allen 
gemeinsamen  Salzreservoir  des  Stammes  schöpfen, 
dessen  gleichmässige  Füllung  durch  die  Resorption 
seitens  der  einzelnen  Wurzeln  und  durch  die  Diffu- 
sion der  aufgesaugten  Nährsalze  bewerkstelligt  wird. 

Eine  Art  Beweis  für  die  Richtigkeit  dieser  Auffassung 
erblicke  ich  in  der  allgemein  bekannten  Erfahrung,  dass  das 
Abschneiden  bestimmter  Wurzelpartien  nicht  zum  Absterben 
der  anatomisch  zugehörigen  Astpartien  führt.  Ich  selbst  kann 
eine  Beobachtung  hierfür  beibringen.  Von  zwei  Ahornbäumen 
Hess  ich  je  eine  starke  Wurzel  durchsägen  und  acht  Tage 
hindurch  in  eine  Lösung  von  indigschwefelsaurem  Natron 
tauchen.  Die  Bäume  blieben,  nachdem  constatirt  war,  dass  in 
beiden  Fällen  der  Farbstoff  von  der  Wurzel  in  schmalem  Streif 
nur  in  einen  Ast  senkrecht  emporgestiegen  und  in  der  ganzen 
Richtung  des  blauen  Streifes  die  Rinde  entfernt,  das  Holz  also 
entblösst  war,  drei  Monate  stehen.  Obwohl  also  die  dem  Aste 
anatomisch  zugehörige  Wurzel,  weil  frei  herausragend,  keine 
Nährstoffe  aus  dem  Boden  aufnehmen  konnte  und  die  Rinde 
über  dem  gefärbten  Faserverlauf  entfernt  war,  zeigte  der  Ast 
durchaus  normales  Verhalten  der  Blätter  und  ganz  normales 
Wachsthum  seiner  Zweige,  ein  Ergebniss,  wejches  mit  der 
Annahme  einer  isolirt  linearen  Nährsalzzufuhr  schlechterdings 
unvereinbar  ist.  Es  lässt  sich  demnach  der  von  Prof.  Schmidt 
gefolgerte  Schluss:  »Bestimmten  Astpartien  entsprechen  ganz 
bestimmte  Wurzeln,  aus  denen  sie  ihre  Nährstoffe  au'f  linearem 
Leitungswege  zugeführt  erhalten«,  nicht  aufrecht  halten. 

Einem  Einwände,  den  man  etwa  aus  dem  bekannten  Ex- 
perimente von  Sachs^  —  derselbe  gibt  bei  der  Besprechung 
der  Heilung  der  Chlorose  einen  Versuch  an  chlorotischen 
Kugelakazien  an,  bei  welchem  es  ihm  durch  Zuführung  von 
Eisenchlorid  gelang,  nur  die  über  den  Einlassstellen  befindlichen 

1  L.  c. 


70      E.Tschermak,  FarbstofT-  u.  Salzlös.  in  Kraut-  u.  Holzgewächsen. 

Aste  von  der  Krankheit  zu  heilen,  während  die  übrigen  Äste 
chlorotisch  blieben  —  gegen  die  oben  entwickelte  Anschauung 
geltend  machen  könnte,  ist  entgegenzuhalten,  dass  das  Eisen- 
chlorid nach  meinen  Beobachtungen  ein  ausnahmsweise  ge- 
ringes Diffusionsvermögen  zeigt.  Zur  Verbreitung  des  Salzes 
im  ganzen  Stamme  und  zum  consecutiven  Ergrünen  sämmt- 
licher  Aste  kam  es  vielleicht  auch  deshalb  nicht,  weil  —  selbst 
längere  Versuchsdauer  angenommen  —  doch  nur  eine  be- 
schränkte Menge  Eisenchlorid  zugeführt  wurde. 


71 


II.  SITZUNG  VOM  16.  JÄNNER  1896. 


Erschienen:   Sitzungsberichte,  Bd.  104,  Abth.  III,  Heft  VI -VII  (Juni  bis 
Juli  1895). 

Der  Secretär  legt  vor  das  von  dem  k.  u.  k.  gemeinsamen 
Finanzministerium  zugeschickte  Exemplar  des  von  der  bosnisch- 
hercegovinischen  Landesregierung  herausgegebenen  Werkes: 
»Ergebnisse  der  meteorologischen  Beobachtungen 
der  Landesstationen  in  Bosnien-Hercegovina  im 
Jahre  1894.« 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  Guido  Goldschmiedt  übersendet 
zwei  im  chemischen  Laboratorium  der  k.  k.  deutschen  Univer- 
sität in  Prag  ausgeführte  Arbeiten  von  Dr.  Berthold  J  eitel  es: 

1.  Ȇber    die   Destillation    von    o-Kresol    mit  Blei- 
oxyd.« 

2.  »Notiz    über    das   Verhalten    von    phenylsalicyl- 
saurem  Calcium   bei  der  trockenen  Destillation.« 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  Ludwig  Boltzmann  über- 
reicht eine  Abhandlung  des  Assistenten  am  k.  k.  physikalischen 
Institute  in  Wien  Herrn  Dr.  Gustav  Jäger:  »Über  den  Ein- 
fluss  des  Molecularvolumens  auf  die  mittlere  Weg- 
länge der  Gasmoleküle«. 

Das  w.  M.  Herr  Director  E.  Weiss  überreicht  eine  Ab- 
handlung von  Regierungsrath  Prof.  G.  von  Niessei  in  Brunn, 
welche  die  Bahnbestimmung  von  vier  grossen,  am  16. 
und  25.  Jänner   1895   erschienenen   Meteoren   enthält. 

Herr  Prof.  Dr.  Ed.  Li pp mann  in  Wien  überreicht  eine 
Arbeit  von  Dr.  Paul  Co hn:  »Über  o-Benzoylphenol«. 


III.   SITZUNG  VOM  23.  JÄNNER  1896. 


Die  kaiserl.  Russische  Geographische  Gesellschaft  in 
St.  Petersburg  zeigt  die  Feier  ihres  50jährigen  Bestandes  am 
2.  Februar  (21.  Januar)  1896  an. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Dr.  Leopold  Pfaundler  in  Graz 
übersendet  eine  Mittheilung:  »Beitrag  zur  Kenntniss  und 
Anwendung  der  Röntgen'schen  Strahlen«,  mit  einer 
photographischen  Abbildung. 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  Franz  Exner  übersendet  eine  in 
seinem  Laboratorium  ausgeführte  Arbeit  des  Herrn  St.  Meyer: 
Ȇber  den  Sitz  der  Potentialdifferenzen  in  Tropf- 
elektroden und  im  Capillarelektrometer«. 

Das  c.M.  Herr  Prof.  F.  Beck e  in  Prag  übersendet  folgende 
vorläufige  Mittheilung  über  Beziehungen  zwischen 
Dynamometamorphose  und  Molecularvolumen. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  Ad.  Lieben  legt  vor:  Ȇber 
die  durch  Einwirkung  von  alkoholischem  Kali  auf 
Aldehyde  entstehenden   zweiwerthigen  Alkoholate«. 

Ferner  legt  Herr  Hofrath  Prof.  Ad.  Lieben  folgende  zwei 
aus  dem  II.  chemischen  Laboratorium  der  Wiener  Universität 
hervorgegangene  Arbeiten  vor: 

I.  »Einwirkung  von  alkoholischem  Kali  auf  ein  Ge- 
menge von  Formaldehyd   und  Isobutyraldehyd-^, 
von  Alexander  Just. 
II.  Ȇber  das  aus  dem  Isobutyraldehyd  entstehende 
Glycol  und  dessen  Derivate«,  von  Adolf  Franke. 


73 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  L.  Boltzmann  überreicht  eine  Ab- 
handlung von  Herrn  Dr.  Gustav  Jäger,  Assistenten  am  k.  k. 
physikalischen  Institute  der  Universität  Wien,  betitelt:  »Die 
Gasdruckformel  mit  Berücksichtigung  des  Molecular- 
volumens«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  G.  Tschermak  legt  im  Namen  der 
Commission  für  die  petrographische  Erforschung  der  Central- 
kette  der  Ostalpen  den  Bericht  des  c.  M.  Herrn  Prof.  F.  Becke 
in  Prag  über  den  Fortgang  der  Arbeiten  im  Jahre  1895  vor. 

Das  w.  M.  Herr  Director  E.  Weiss  überreicht  eine  Notiz 
von  Prof.  Dr.  E.  Freiherr  v.  Härdtl  in  Innsbruck:  »Über  die 
Säcularacceleration   des   Mondes«. 

Der  Secretär  überreicht  eine  Abhandlung  von  Prof. 
J.  Pernter  in  Innsbruck,  betitelt:  »Die  allgemeine  Luft- 
druckvertheilung  und  die  Gradienten  bei  Föhn«. 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CV.  BAND.  II.  HEFT. 


ABTHEILUNG  I. 

ENTHALT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  MINERALOGIE, 

KRYSTALLOGRAPHIE,  BOTANIK,  PHYSIOLOGIE  DER  PFLANZEN,  ZOOLOGIE, 

PALÄONTOLOGIE,  GEOLOGIE,  PHYSISCHEN  GEOGRAPHIE  UND  REISEN. 


77 


IV.  SITZUNG  VOM  6.  FEBRUAR  1896. 


Erschienen:  Sitzungsberichte,  Bd.  104(1895):  Abth. II. a, Heft Vlll(October); 
Abth.  III,  Heft  VIII— X  (October— December). 

Das  k.  k.  Ministerium  für  Cultus  und  Unterricht  über- 
mittelt den  V.  Band  des  im  Wege  des  k.  u.  k.  Ministeriums  des 
Äussern  eingelangten  Werkes  »Galileo  Galilei«. 

Herr  Prof.  J.  Puluj  an  der  deutschen  technischen  Hoch- 
schule in  Prag  übersendet  acht  Stück  photographische 
Reproductionen  von  kathodischen  Aufnahmen. 

Herr  Prof.  Dr.  Franz  S  t  r  e  i  n  t  z  übersendet  aus  dem 
physikalischen  Institute  der  k.  k.  Universität  in  Graz  einen  vor- 
läufigen Bericht:  »Über  eine  elektrochemische  Wirkung 
der  Röntgen-Strahlen  auf  Bromsilber«. 

Herr  Dr.  Eduard  Richter,  Professor  an  der  k.  k.  Universität 
in  Graz,  übersendet  die  Abhandlung:  »Geomorphologische 
Beobachtungen  aus  Norwegen«  als  wissenschaftliche 
Ergebnisse  seiner  mit  Akademie-Subvention  unternommenen 
Reise. 

Herr  Dr.  Otto  Biermann,  Professor  an  der  k.  k.  technischen 
Hochschule  in  Brunn,  übersendet  eine  Abhandlung,  betitelt: 
»Eine  Methode  zur  Herstellung  nicht-analytischer 
Functionen  einer  complexen  Variablen«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  L.  Boltzmann  überreicht 
eine  im  mathematisch-physikalischen  Seminare  der  k.  k.  Univer- 
sität in  Wien  ausgeführte  Arbeit  von   Herrn  Oscar  Singer: 


78 

*Über  die  wechselseitige  Induction  zweier   auf  eine 
Kugel  gleichmässig  gewickelter  Windungslagen». 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  H.  Weidel  überreicht  eine  Arbeit 
aus  dem  I.  chemischen  Universitätslaboratorium  in  Wien: 
»Über  das  Verhalten  der  Opiansäure  und  ihrer  Ester 
gegen  einige  Aldehydreactionen«,  von  Dr.  Rud.  Weg- 
scheider. 


79 


V.  SITZUNG  VOM  13.  FEBRUAR  1896. 


Erschienen:  Monatshefte  für  Chemie,  Bd.  16  (1895),  Heft  X  (December). 

Herr  Regierungsrath  Dr.  J.  M.  Eder,  Director  der  k.  k. 
Lehranstalt  für  Photographie  und  Reproductiönsverfahren  in 
Wien,  dankt  für  die  ihm  zur  Beschaffung  von  Hilfsmitteln  zu 
seinen  Untersuchungen  der  verschiedenen  Spectren  des  Argons 
bewilligte  Subvention. 

Herr  Prof.  Dr.  L.  Weinek,  Director  der  k.  k.  Sternwarte  in 
Prag,  übermittelt  als  weitere  Fortsetzung  seiner  photogra- 
phischen Mondvergrösserungen  nach  Original-Negativen  des 
Lick-Observatoriums  und  der  Pariser  Sternwarte  (von  Loewy 
undPuiseux)  10  Mondlandschaften. 

Herr  Prof  Dr.  J.  Puluj  übersendet  zu  den  bereits  vor- 
gelegten photographischen  Reproductionen  von  katho- 
dischen Aufnahmen  eine  weitere  unter  seiner  Leitung  im 
physikalischen  Cabinet  der  k.  k.  deutschen  technischen  Hoch- 
schule in  Prag  bewerkstelligte  Aufnahme,  und  zwar  die  Photo- 
graphie eines  todten  Kindes  von  neun  Tagen. 

Ferner  übersendet  Herr  Prof  Puluj  eine  Abhandlung: 
»Über  die  Entstehung  der  Röntgen*schen  Strahlen  und 
ihre  photographische  Wirkung«. 

Der  Secretär  legt  eine  eingesendete  Abhandlung  von 
Dr.  Emanuel  Pochmann  in  Linz  a.  D.  vor:  Ȇber  zwei 
neue  physikalische  Eigenschaften  der  atmosphäri- 
schen Luft  und  deren  Bedeutung  für  die  Wärme- 
mechanik wie  für  die  gesammte  Energetik«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  K.  Grobben  überreicht  eine  im 
II.  zoologischen  Institute  der  k.  k.  Universität  in  Wien  von  dem 


80 

Assistenten  dieses  Institutes  Dr.  F'ranz  Werner  ausgeführte 
Arbeit:  ȆberdieSchu  ppenbekleidung  des  rege  nerirten 
Schwanzes  bei  Eidechsen«. 

Das  w.M.  Herr  Hofrath  Director  A.  Kerner  von  Marilaun 
berichtet  über  das  Vorkommen  der  Manna-Flechte  (Leca- 
nora  esculenta)  in  Griechenland. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  V.  v.  Ebner  überreicht  eine  für 
die  Sitzungsberichte  bestimmte  Abhandlung,  betitelt:  »Weitere 
Versuche  über  die  Umkehrung  der  Doppelbrechung 
leimgebender  Gewebe  durch  Reagentien«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  Ad.  Lieben  überreicht  eine 
aus  seinem  Laboratorium  hervorgegangene  Arbeit:  Ȇber  die 
Einwirkung  des  alkoholischen  Kalis  auf  den  Iso- 
valeraldehyd«,  von  Leopold  Kohn. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  H.  Weidel  überreicht  eine  von  Herrn 
A.  Reich  im  I.  chemischen  Laboratorium  der  k.  k.  Universität 
in  Wien  ausgeführte  Untersuchung,  betitelt:  »Synthetische 
Versuche  in  der  Topasreihe«. 


81 


VI.  SITZUNG  VOM  20.  FEBRUAR  1896. 


Das  c.  M.  Herr  Prof.  R.  v.  Wettstein  in  Prag  dankt  für 
die  ihm  behufs  einer  monographischen  Bearbeitung  der  Gattung 
SentperviviifH  von  der  kaiserl.  Akademie  gewährte  Subvention. 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  H.  Molisch  in  Prag  übersendet  eine 
Abhandlung  unter  dem  Titel:  »Das  Erfrieren  der  Pflanzen 
bei  Temperaturen  über  dem  Eispunkt«. 

Das  w.  M.  Herr  Director  E.  Weiss  überreicht  eine  Ab- 
handlung von  Prof.  Dr.  J.  v.  Hepperger  in  Graz:  Ȇber  den 
Binfluss  der  relativen  Absorption  auf  die  Extinction 
des  Lichtes  in  der  Atmosphäre«. 

Femer  theilt  das  w.  M.  Herr  Director  E.  Weiss  mit,  dass 
er  für  den  neuen,  wahrscheinlich  in  den  Morgenstunden  des 
H.Februar  von  Herrft  Perrine,  Astronomen  der  Lickstern- 
warte,  entdeckten  Kometen,  ein  Elementarsystem  berechnet 
habe,  welches  in  einem  Circulare  der  kais.  Akademie,  und 
zwar  unter  Nr.  LXXVIII  bekannt  gemacht  wurde. 


Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  OL;  CV.  Bd.,  Abth.  I. 


82 


Das  Erfrieren  von  Pflanzen  bei  Temperaturen 
über  dem  Eispimkt 

von 

Hans  Molisch, 

c.  M.  k.  Akad. 

Aus  dem  pflanzenphysiologischen  Institute  der  k.  k.  deutschen  Universität 

in  Prag. 

I. 

Sachs ^  hat  zuerst  die  interessante  Thatsache  festgestellt, 
dass  Pflanzen  aus  südlicher  Heimat,  wie  Tabak,  Kürbis,  Fisole, 
falls  ihre  Wurzeln  auf  eine  knapp  über  dem  Nullpunkt  liegende 
Temperatur  abgekühlt  werden,  während  die  Blätter  noch  reich- 
lich transpiriren,  zu  welken  beginnen  und  bei  genügend  langer 
Dauer  der  Abkühlung  schliesslich  durch  Vertrocknen  absterben. 
Die  Wurzeln  der  genannten  Pflanzen  verlieren  nämlich  nach 
Sachs  bei  niederen  Temperaturen  die  Fähigkeit,  Wasser  in 
genügender  Menge  aufzunehmen  und  vermögen  daher  das  von 
den  relativ  noch  reichlich  transpirirenden  Blättern  abgegebene 
Wasser  nicht  zu  ersetzen.  Durch  Erwärmung  des  die  Wurzeln 
umgebenden  Bodens  werden  die  Wurzeln  wieder  leistungs- 
fähiger, sie  nehmen  wieder  genügend  Wasser  auf  und  die 
Blätter  werden  alsbald  turgescent.  Von  der  Richtigkeit  dieser 
durch  Sachs  bekannt  gewordenen  Thatsachen  habe  ich  mich 
zu  wiederholten  Malen  überzeugt  und  ich  begnüge  mich  daher 
mit  dem  vorangehenden  Hinweis  auf  dieselben. 

Bei  den  Sachs'schen  Versuchen  handelt  es  sich  um  ein 
Erfrieren  von  Pflanzen  über  Null  in  Folge   von  Verwelken. 


1  J.  Sachs,  Landwirthschaftl.  Versuchsstationen,  1865,  Heft  5,  $.195, 
ferner  dessen  »Gesammelte  Abhandlungen«,  I.  Bd.,  S.  47. 


Erfrieren  von  Pflanzen.  83 

Davon  soll  in  dieser  Abhandlung  nicht  die  Rede  sein,  hier  soll 
vielmehr  die  Frage  einer  experimentellen  Prüfung 
unterzogen  werden,  ob  es  nicht  auch  Pflanzen  gibt, 
die  bereits  bei  niederen,  über  dem  Eispunkt  liegenden 
Temperaturen  absterben,  jedoch  unabhängig  von  der 
Transpiration. 

Diese  Frage  ist  schon  einige  Male  aufgeworfen,  mehrmals 
bejaht  und  mehrmals  verneint,  aber  wegen  mangelhaft  durch- 
geführter Versuche  bisher  für  keine  einzige  Pflanze  entschieden 
worden. 

Zu  den  ältesten  einschlägigen  Angaben  gehören  die  von 
CI.  Bierkander.^  Nach  diesem  Autor  werden  Cucumis  sativus, 
Cucumis  Melo,  Cucurbita  Pepo,  Impatiens  Balsamina,  Mira- 
bilis  longiflora,  Ocimum  basilicum,  Portulaca  oleracea  und 
Solanum  tuberosum  bei  1  —  2*  über  dem  Eispunkt  getödtet. 

Ferner  hat  Goeppert,^  als  er  28  verschiedene,  wärmeren 
Gegenden  angehörige  Gewächse  an  einem  windstillen  Ort  vom 
9.— 14.  December  in  Luft,  deren  Temperatur  zwischen  l — 3° 
schwankte,  aufstellte,  einzelne  schwarze  Flecken  an  den 
Blättern  mit  darauffolgendem  Zusammenrollen  und  Abfallen 
derselben  bemerkt.  Es  war  dies  der  Fall  bei  Gloxinia  maculata, 
Heliotropium  peruvianum,  Thunbergia  capensis  und  einigen 
anderen.  Goeppert  war  jedoch  kritisch  und  einsichtsvoll 
genug,  um  aus  diesem  Versuch  bestimmte  Schlüsse  zu  ziehen, 
weshalb  er  auch  ausdrücklich  bemerkt:  »Jedoch  ist  die  Zahl 
dieser  Versuche  noch  viel  zu  gering,  als  dass  sich  aus  ihnen 
ein  entscheidendes  Resultat  entnehmen  Hesse«. 

Hardy.®  hatte  1844  56  tropische,  im  freien  Lande  stehende 
Holzgewächse  auch  während  des  Herbstes  weiterhin  im  Freien 
belassen   und   die   Wärmeausstrahlung  durch   Bedecken   mit 


1  Cl.  Bierkander,  Bemerkungen  über  einige  Gewächse  und  Bäume,  die 
bei  grösserer  oder  geringerer  Kälte  um  Abo  beschädigt  oder  getödtet  werden; 
in  den  königl.  schwedischen  akad.  Abhandl.  für  das  Jahr  1778,  übersetzt  von 
Kastner,  40.  Bd.,  1783,  S.  55 — 58.  Citirt  nach  Goeppert's  Wärmeentwick- 
lung, S.  124. 

2  H-  R.  Goeppert,  Über  die  Wärmeentwicklung  in  den  Pflanzen  etc. 
Breslau  1830,  S.  42—43. 

3  Im  Auszuge  mitgetheilt  in  der  Botan.  Zeitung.  1854,  S.  202—203. 

6* 


84  H.  Molisch, 

Schilfdecken  zu  hemmen  gesucht.  Unter  diesen  Verhältnissen 
sollen  mehrere  {Hymenaea  Conrbaril,  Crescettiia  Cnjete,  Bau- 
hinia  anatomica,  Desmodium  umbellatum  etc.)  bei  -^-ö"*,  zahl- 
reiche bei  3**  {Acacia  stipularis,  Bixa  Orellana,  Adenanthera 
pavonia  etc.)  abgestorben  sein,  während  31  Arten  (Dracaena 
Draco,  Euphorbia  splendens,  Caesalpinia  Sappan)  auch  -h  1  * 
(wahrscheinlich  des  lOOtheiligen  Thermometers)  ausgehalten 
haben. 

Zu  wiederholten  Malen  wurde  mit  vollem  Rechte  darauf 
hingewiesen/  dass  die  erwähnten  Versuche  Bierkanders, 
Goeppert's  und  Hardy's  leider  nicht  beweiskräftig  seien,  da 
man  auf  die  Transpiration,  auf  die  Wärmeausstrahlung  und 
die  Ablesung  der  Temperatur  zu  wenig  Rücksicht  genommen 
hat.  Maximum-  und  Minimumthermometer  scheint  man  nicht 
verwendet  zu  haben,  was  doch  bei  so  langer  Versuchsdauer 
durchaus  nothwendig  gewesen  wäre,  da  namentlich  während 
der  Nacht  die  Temperatur  erheblich  gesunken  sein  dürfte.  Auch 
ist  darauf  Gewicht  zu  legen,  dass  die  Thermometerkugeln  zum 
Mindesten  die  Blätter  berühren,  um  die  Temperatur  der  doch 
fort  und  fort  Wärme  ausstrahlenden  Blätter  möglichst  annähernd 
zu  bestimmen.  Aber  selbst  zugegeben,  es  wären  die  angedeu- 
teten Fehler  nicht  vorhanden  gewesen,  so  ist  es  immerhin 
möglich,  dass  hier  ein  Absterben  aus  denselben  Gründen  statt- 
gefunden hat,  wie  in  den  am  Beginne  dieser  Arbeit  erwähnten 
Experimenten  von  Sachs:  Es  konnten  nämlich  die  Pflanzen, 
da  für  Ausschluss  der  Transpiration  nicht  gesorgt  war,  die 
Wurzeln  aber  bei  vielen  Pflanzen  in  Folge  niederer  Temperatur 
zu  wenig  Wasser  aufnehmen,  verwelkt  sein.  Dies  wird  sogar 
für  manche  dieser  Pflanzen  gewiss,  weil  Sachs  gerade  bei 
einigen  dieser  Gewächse  das  Absterben  bei  niederen,  über 
0*  liegenden  Temperaturen  auf  ein  Verwelken  zurückführen 
konnte. 

Am  meisten  Beachtung  verdienen  noch  die  Versuche  von 
Kunisch^  mit  einer  Cb/^«5 -Varietät.  Dieser  stellte  drei  junge, 


1  Vergl.   insbesonders   Sachs  J.,   Experimentalphysiologie,   S.  57 — 58, 
femer  Pfeffer  W.,  Pflanzenphysiologie,  II,  S.439. 

2  H.  Kunisch,  Über  die  tödtliche  Einwirkung  niederer  Temperaturen 
auf  die  Pflanzen.  Inaugural-Dissertation,  Breslau  1880,  S.  14 — 16. 


Erfrieren  von  Pflanzen.  85 

gut  bewurzelte  Pflanzen  in  einem  gemauerten,  mit  einem  Holz- 
deckel verschliessbaren  Wasserbehälter  derart  auf,  dass  sie 
auf  umgestürzten  Blumentöpfen,  welche  3  cm  über  die  32  cm 
tiefe  Wasserschichte  emporragten,  standen.  Die  Temperatur 
betrug  im  Durchschnitt  4*2°  R.  und  schwankte  zwischen 
2  und  7*  R.  Der  Feuchtigkeitsgehalt  der  Luft  variirte  zwischen 
76*5  und  807  7o-  Unter  diesen  Umständen  zeigten  bereits  nach 
24  Stunden  die  Pflanzen  an  den  Rändern  und  Spitzen  der 
Blätter  eine  merkliche  Braunfärbung  und  zwei  Tage  darauf 
war  die  Verfärbung  noch  weiter  vorgeschritten,  die  Blätter 
begannen  sich  einzurollen  und  nahmen  in  Folge  dessen  ein 
muldenförmiges  Ausfehen  an. 

Kunisch  glaubt  nun  aus  diesem  Versuch,  sowie  aus 
einem  analogen  mit  einem  Co/^«5-Zweig  bestimmt  schliessen 
zu  dürfen,  dass  hier  ein  Absterben  in  Folge  directer  Ein- 
wirkung niedriger  Temperatur  und  nicht  eine  Transpirations- 
erscheinung im  Sinne  von  Sachs  vorliegt.  Auch  ich  bin  geneigt, 
das  Absterben  des  Coletis  in  der  Weise  wie  Kunisch  zu 
deuten,  aber  eine  bestimmte  Schlussfolge  lässt  sein  Experiment 
nicht  zu,  da  die  Luft  des  Versuchsraumes  weit  davon  entfernt 
war,  mit  Wasserdampf  gesättigt  zu  sein  (*76*5— 80'77o-)  und 
weil  er  es  verabsäumt  hatte,  Controlpflanzen  bei  höherer  Tempe- 
ratur im  finsteren  Räume  unter  annähernd  gleichen  Feuchtig- 
keitsverhältnissen der  Luft  aufzustellen.^ 

Aus  dem  historischen  Abriss  geht  hervor,  dass  vorläufig 
kein  einziger  beweisender  Versuch  über  unsere  Frage  vorliegt. 
Dies  betont  auch  Pfeffer,  indem  er  sagt,  es  sei  nicht  unmöglich, 
>dass  empfindliche  Pflanzen  schon  durch  eine  den  Nullpunkt 
nicht  erreichende  Erniedrigung  der  Temperatur  geschädigt 
werden  können.  Entscheidende  Versuche  gibt  es  aber 
nicht.  . .  .* 

IL 

Wenn  es  kälteempfindliche  Pflanzen  gibt,  die  bereits  ober 
Null  bei  Ausschluss  der  Transpiration  erfrieren,  dann  ist  es  von 


1  Vergl.  auch  die  kritische  Beurtheilung  bei  Sorauer,  Handbuch  der 
Pnanzenkrankheiten,  II.  Aufl.,  I.  Th.,  S.  314. 

■J  Pfeffer  W.,  Pflanzenphysiologie,  IL  Bd.,  S.  437. 


86  H.  Molisch, 

vorneherein  wahrscheinlich,  dass  diese  unter  den  tropischen 
oder  allgemeiner  gesagt  wärmeren  Klimaten  angehörigen  Ge- 
wächsen am  ehesten  zu  finden  sein  dürften,  da  diese  Pflanzen 
im  Laufe  der  Zeit  keine  Gelegenheit  fanden,  sich  niederen 
Temperaturen  anzupassen. 

Wer  mit  aufmerksamem  Blick  durch  die  mit  tropischen 
Pflanzen  reich  gefüllten  Gewächshäuser  gewöhnlicher  und 
botanischer  Gärten  wandert,  dem  wird  nicht  entgehen,  dass 
gewisse  Gewächse  bei  ungenügend  hoher  Temperatur  alsbald 
zu  kränkeln  anfangen  und  schliesslich  theilweise  oder  vollends 
absterben.  Indem  ich  solche  mir  als  verdächtig  erscheinende 
Pflanzen  genauen  Versuchen  unterwarf,  igelang  es  mir,  einige 
Gattungen  ausfindig  zu  machen,  über  deren  Erfrieren  über 
Null,  und  zwar  bei  Ausschluss  jeder  Transpiration,  kein  Zweifel 
obwalten  kann.  Ich  beginne  die  Schilderung  meiner  Versuche 
mit  einer  gegen  niedere  Temperaturen  ausserordentlich  empfind- 
lichen Pflanze,  und  zwar  mit 

Episcia  bicolor  Hook.  Physodeira  bicolor.  (Gesneriacee.) 

Erster  Versuch.   12.  December  1895.  Die  Versuchs 
pflanzen,    etwa  80   an   Zahl,   wurden   in   einem    Warmhause 
bei  15 — 20**  C.  (im  Winter)  gezogen  und  befanden  sich  hier 
sehr  wohl. 

10  Stück  Topfpflanzen,  von  denen  jede  5 — 10  Blätter  im 
Durchschnitt  hatte,  wurden  auf  glasirte  Thonschalen  gestellt, 
mit  grossen,  innen  mit  nassem  Filtrirpapier  ausgekleideten 
Glasglocken  bedeckt  und  mit  Wasser  abgesperrt.  Damit  die 
Blumentöpfe  nicht  in  die  Sperrflüssigkeit  tauchen,  stellte  ich 
die  Töpfe  nicht  direct  auf  die  Thonschale,  sondern  zunächst 
auf  kleine  Thonuntertassen. 

Unter  zwei  Glocken  kam  je  ein  Maximum-  und  Minimum- 
thermometer, und  zwar  so,  dass  die  Thermometerröhre  die 
Blätter  unmittelbar  berührte.  Überdies  hingen  Normalthermo- 
meter auch  zwischen  den  Glocken. 

Der  Versuch  fand  in  einem  mit  Gewächsen  der  ver- 
schiedensten Art  voll  gefüllten  Gewächshause  statt,  dessen 
Temperatur  zwischen  2*5'*  C.  und  4*4"*  C.  schwankte  und 
zumeist  eine  Durchschnittstemperatur  von  S"*  C.  hatte.  Hinzu- 


Erfrieren  von  Pflanzen.  87 

gefügt  sei  noch,  dass  die  Versuchspflanzen  in  einer  gut  aus- 
gewärmten, vollkommen  verschliessbaren  Holzkiste  stets  bei 
Temperaturen  ober  Null  aus  dem  Warmhaus  in  das  Kalthaus, 
beziehungsweise  in  das  Zimmer  übertragen  wurden,  wobei 
selbstverständlich  sehr  dafür  gesorgt  wurde,  dass  sie  beim 
Transport  keinerlei  Schaden  erlitten.  Die  Pflanzen  standen  im 
starken  diffusen  Licht. 

Zum  Vergleiche  standen  ebenso  viele  Controlexemplare 
an  einem  Zimmerfenster  unter  sonst  gleichen  Verhältnissen, 
jedoch  bei  einer  Temperatur  von  13  — 18-5**  C. 

Der  Effect  war  im  höchsten  Grade  überraschend.  Während 
die  warm  stehenden  Pflanzen  während  der  ganzen  Versuchs- 
dauer, also  durch  eine  Woche  und,  wie  ich  hinzufügen  kann, 
auch  weiterhin  vollständig  gesund  blieben,  waren  alle  kalt 
stehenden  Pflanzen  schon  nach  24  Stunden,  einzelne  schon 
nach  12  Stunden  angegriffen:  die  meisten  Blätter  hatten  zahl- 
reiche, meist  hellergrosse  braune  Flecken,  viele  Blätter  waren 
zur  Hälfte,  1 1  Blätter  bereits  ganz  braun. 

Nach  48  Stunden  hatte  die  Verfärbung  der  Blätter  weitere 
Fortschritte  gemacht  und  vier  Tage  nach  Beginn  des  Versuches 
hatten  die  Blattspreiten  ihre  ursprüngliche  grüne  Farbe  nahezu 
ganz  eingebüsst,  sie  waren  nunmehr,  abgesehen  von  einzelnen 
kleinen  Stellen,  ganz  braun. 

Auffallend  war  mir  anfangs,  dass  die  braungewordenen 
Blätter  am  Ende  des  Versuches  anscheinend  noch  turgescent 
waren.  Die  Sache  klärte  sich  jedoch  bei  der  mikroskopischen 
Untersuchung  bald  auf,  denn  es  zeigte  sich,  dass  zwar  die 
meisten  Zellen,  wie  sich  aus  ihrem  Aussehen,  aus  der  Ver- 
färbung, aus  dem  Ausbleiben  der  Plasmolyse  und  aus  der 
raschen  Farbstoffspeicherung  durch  das  Plasma  ergab,  ab- 
gestorben, die  Blattrippen  und  der  Blattstiel  aber  lebendig 
geblieben  waren.  Es  war  also  die  todte  Oberhaut  und  das  todte 
Mesophyll  zwischen  den  steifen  lebenden  Blattrippen  aus- 
gespannt, und  dieser  Umstand  verleiht  dem  erfrorenen  Blatt 
noch  den  Charakter  eines  turgescenten. 

Das  Blatt  von  Episcia  besteht  aus  einer  meist  einschich- 
tigen Oberhaut,  einem  einschichtigen  Palissaden-  und  einem 
vielschichtigen  Schwammparenchym.  Die  grünen  Palissaden- 


88  H.  Molisch, 

Zellen  nehmen  ganz  besonders  tiefbraune  Färbung  an  und 
verratben  dadurch  das  Absterben  der  Blätter  schon  frühzeitig 
dem  {freien  Auge.  Etwas  länger  erhalten  sich  am  Leben  diß 
grossen,  langen,  kegelartigen  Haare,  während  die  kurzstieligen 
Köpfchenhaare  viel  früher  absterben. 

Grosse  Resistenz  bekunden  auch  die  Schliesszeüen  der 
Spaltöffnungen.^  Während  die  gewöhnlichen  Epidermiszellen 
schon  längst  dem  Tode  anheimgefallen  sind,  erhält  sich  die 
Mehrzahl  der  Schliesszeüen  lange  Zeit  lebendig.  Trotz  der 
relativ  lange  intact  bleibenden  Haare,  Schliesszeüen  und  des 
sich  lebend  erhaltenden  Blattstieles  ist  ein  einmal  braun 
gewordenes  Physodeira -Blatt  begreiflicherweise  nicht  mehr 
functionsfähig  und  geht  schliesslich  völlig  zu  Grunde. 

Zweiter  Versuch.  20.  December  1895.  Dasselbe  Experi- 
ment wie  vorher,  doch  kamen  über  die  Glasglocken  noch 
schwarze  Dunkelstürze  aus  Pappe,  so  dass  der  Versuch  nicht 
nur  bei  völliger.  Ausschliessung  der  Transpiration,  sondern 
überdies  noch  bei  Ausschluss  von  Licht  und  möglichster  Be- 
hinderung* der  Wärmeausstrahlung  ablief.  Obwohl  die  Tempe- 
ratur laut  Angabe  der  die  Blätter  berührenden  Thermometer  in 
dem  vorhergehenden  Versuche  während  der  ganzen  Zeit  nicht 
unter  -h2°  C.  sank,  gebrauchte  ich  hier  überdies  noch  die 
Vorsicht,  die  Wärmeausstrahlung  der  Pflanze  auf  ein  Minimum 
zu  reduciren,  um  jedem  Einwand  von  vorneherein  zu  begegnen. 
Die  Temperatur  schwankte  zwischen  -h3  bis  -h5°  C.  und  bei 
den  im  Zimmer  warm  stehenden  Pflanzen  zwischen  -+-13  bis 
-*- 18°  C.  Das  Resultat  war  im  Wesentlichen  so  wie  bei  Versuch  1. 

Schon  nach  24  Stunden  waren  namentlich  die  jüngeren 
Blätter  braunfleckig,  viele,  besonders  von  den  ältesten,  noch 
unversehrt.  Nach  fünf  Tagen  waren  nahezu  alle  Blätter  der  der 
niederen  Temperatur  ausgesetzten  Pflanzen  braun,  nur  einzelne 
hatten  noch  grüne  gesunde  Stellen,  während  die  bei  Zimmer- 


>  Über  die  relativ  grosse  Widerstandsfähigkeit  der  Schliesszellen  ver- 
schiedener Pflanzenarten  gegen  Kälte  werde  ich  eingehend  an  einem  anderen 
Orte  berichten. 

-  In  manchen  dieser  Versuche  verwendete  ich  sogar  zwei  übereinander 
gestülpte  Pappstürze,  deren  handbreiter  Zwischenraum  überdies  noch  mit 
Watte  ausgestopft  war. 


Erfrieren  von  Pflanzen.  89 

temperatur  (15*2  bis  IS"*  C.)  unter  sonst  vollkommen  gleichen 
Bedingungen  befindlichen  Controlpflanzen  vollständig  gesund 
blieben. 

Dritter  Versuch.  Versuchsbedingungen  genau  wie  bei 
dem  eben  geschilderten  Experiment,  doch  wurde  anstatt  mit 
Topfpflanzen  mit  frisch  gepflückten  Blättern  experimentirt.  Je 
20  Blätter  wurden  mit  ihren  Stielen  in  mit  Leitungswasser 
gefüllte  Gläser  gestellt  und  wie  im  vorigen  Versuch  gegen 
Transpiration  und  Wärmeausstrahlung  geschützt.  Nach  einem 
Tage  waren  die  meisten  der  kalt  stehenden  Blätter  mehr  minder 
fleckig,  nach  drei  Tagen,  mit  Ausnahme  von  zwei  sehr  alten, 
ganz  braun.  Die  Controlpflanzen  besassen  noch  nach  acht 
Tagen  ihre  ursprüngliche  grüne  Farbe. 

Vierter  Versuch.  Um  zu  eruiren,  wie  sich  Blätter  bei  0"* 
oder  sehr  nahe  über  0**  verhalten,  wurden  Blätter  in  Eiswasser 
gelegt.  In  einem  mit  Wasser  und  Schnee  gefüllten,  vor  Ver- 
dampfung und  Wärmeausstrahlung  geschützten  Glasgefäss 
wurden  10  Episcia-Blättev  untergetaucht.  Das  Glasgefäss  war 
in  Schnee  vollständig  eingesenkt.  Da  das  Ganze  im  Kalthause 
bei  einer  Temperatur  von  2  bis  5"*  C.  aufgestellt  blieb,  so 
schmolz  der  Schnee  nur  äusserst  langsam  und  es  konnte  die 
Temperatur  des  die  Blätter  umgebenden  Wassers  mit  Leichtig- 
keit tagelang  auf  0  bis  -4- 1  **  C.  erhalten  werden.  In  ein  anderes 
Wassergefäss  kamen  ebenfalls  10  Blätter,  doch  war  die  Tem- 
peratur des  Wassers  hier  15  bis  18*2**  C.  Während  diese  durch 
acht  Tage  vollkommen  frisch  und  grün  blieben,  bekamen 
einzelne  Episcia-EVätter  im  Schmelzwasser  schon  nach  drei 
Stunden  braune  Flecke,  nach  24  Stunden  waren  alle  grossen- 
theils  oder  vollständig  verfärbt. 

Nach  dem  Gesagten  kann  es  wohl  keinem  Zweifel  unter- 
liegen, dass  JE/7/5aa  bei  einer  Temperatur  von  Null  und 
bei  1  bis  5°  C.  über  Null  alsbald  zu  Grunde  geht,  auch 
wenndieTranspiration  vollständig  ausgeschlossen  ist. 

Ich  brauche  wohl  nicht  erst  im  Besonderen  darauf  ein- 
zugehen, dass  das  Absterben  der  Episcia  bei  niederen  Tempera- 
turen auch  dann  eintritt,  wenn  die  Transpiration  nicht  voll- 
ständig ausgeschlossen  ist.  In  dem  Kalthause  mit  den  früher 
angegebenen   Temperaturen   verfärbten    sich   z.  B.  Blätter   in 


90  H.  Molisch, 

1  — 3  Tagen,  wenn  die  Pflanzen  nicht  unter  Glasglocken,  sondern 
bei  einer  Luftfeuchtigkeit  von  93 — 997o  S^"^  frei  standen. 

Ist  die  Temperatur  höher  als  6**  C,  dann  ist  Episcia  schon 
ziemlich  resistent,  man  kann  dann  1  —  2  Wochen  und  noch 
länger  die  Blätter  grün  und  frisch  erhalten.^ 


^  Es  schien  mir,  da  es  sich  beim  Absterben  von  Zellen  in  Folge  niederer, 
doch  über  0**  liegenden  Temperaturen  wahrscheinlich  um  Störungen  im  Stoff- 
wechsel handelt,  der  Prüfung  werth,  ob  nicht  vielleicht  bei  Ausschluss  von 
Sauerstoff  die  Schädigung  trotz  der  niederen  Temperatur  unterbleibt.  Obwohl 
die  Versuche,  die  ich  zu  diesem  Zwecke  anstellte,  keine  Antwort  auf  die  eben 
gestellte  Frage  zulassen,  so  theile  ich  doch  das  Wichtigste  über  diese  Versuche 
mit,  weil  sie  in  anderer  Beziehung  lehrreich  sind,  nämlich  in  eclatanter  Weise 
die  relativ  grosse  Empfindlichkeit  der  Blätter  gegen  vollständigen  Sauerstoff- 
abschluss  bekunden. 

Zwei  Glasröhren,  jede  von  20  cm  Höhe  und  3*3  cw  innerer  Weite  wurden 
mit  Leitungswasser  gefüllt,  mit  je  vier  gleich  alten,  frisch  gepflückten  Episcia- 
Blättern  beschickt  und  schliesslich  mit  dem  offenen  Ende  unter  Quecksilber, 
auf  welchem  sich  noch  eine  Wasserschichte  befand,  getaucht.  Sodann  wurde 
das  Wasser  des  einen  Cylinders  durch  feuchte  atmosphärische  Luft,  das  des 
anderen  durch  feuchten  reinen  Wasserstoff  verdrängt,  welcher  aus  arsenfreiem 
Zink  dargestellt  und  durch  eine  mit  verdünnter  Kalilauge  gefüllte  Waschflasche 
aus  einem  Kipp'schen  Apparat  zugeleitet  wurde.  Die  mit  Wasser,  beziehungs- 
weise Quecksilber  abgesperrten  Glasröhren  wurden  bei  einer  Temperatur  von 
H-3'5  bis  H-4'5°  C.  finster  aufgestellt.  Ganz  derselbe  Versuch  lief  gleichzeitig 
bei  einer  Temperatur  von  15  bis  18**  C.  ab.  Nach  24  Stunden  zeigten,  wie 
zu  erwarten  war,  die  »Luftblätter«  im  kalten  Zimmer  zahlreiche  braune 
Flecken,  welche  sich  später  immer  mehr  und  mehr  vergrösserten,  alle  anderen 
Blätter  zeigten  sich  scheinbar  unversehrt.  Ich  war  bereits  geneigt,  meine 
geäusserte  Vermuthung  als  richtig  zu  betrachten,  doch  wurde  ich  bei 
Beendigung  meines  Experimentes  bald  eines  Besseren  belehrt.  Als  ich 
nämlich  nach  dreitägiger  Versuchsdauer  die  noch  scheinbar  intacten  »Wasser- 
stoffblätter« aus  den  Röhren  herausnahm,  fiel  mir  auf,  dass  sie,  obwohl  im 
dunstgesättigten  Räume  befindlich,  ziemlich  schlaff  waren,  und  dass  sie 
sich  in  der  Lufl  zusehends  verfärbten.  Binnen  fünf  Minuten  hatten  sich  die 
Blätter  braun  gefärbt,  und  bei  mikroskopischer  Untersuchung  ergab  sich, 
dass  ihre  Zellen  bräunlich  gefärbt  waren,  ihr  Inhalt  desorganisirt  und  abge- 
storben erschien. 

Weitere  Versuche  lehrten,  dass  schon  24  stündiges  Verweilen  in  Wasser- 
stoff die  Blätter  tödtet,  und  zwar  sowohl  bei  höherer  (16  —  18®  C),  als  auch 
bei  niederer  Temperatur  (-h3  bis  -|-5**  C).  Daraus  folgt,  dass  bereits  ein 
eintägiger  Sauerstoffabschluss  die  Blätter  von  Episcia  vernichtet. 
Bei  Sanchezia  nohilis  sah  ich  nach  48  Stunden  in  Wasserstoff  das  Absterben 
eintreten. 


Erfrieren  von  Pflanzen.  91 

Versuche  mit  Sanchezia  nobilis  Hook,  und  einigen  anderen 

Pflanzen. 

Diese  in  Südamerika  in  der  Nähe  des  Äquators  und  zwar 
in  Ecuador  heimische  Acanthacee  gehört  nach  meinen  Beobach- 
tungen ebenfalls  zu  den  sehr  kälteempfindlichen.  Wenn  auch 
nicht  von  jener  Empfindlichkeit  wie  Episcia,  sterben  doch 
die  Blätter  von  Sanchezia  binnen  wenigen  Tagen  theil- 
vveise  oder  vollends  bei  niederen,  knapp  über  Null 
liegenden  Temperaturen. 

Ich  stellte  am  5.  Jänner  fünf  kräftige  Topfexemplare,  die 
bisher  im  Warmhause  bei  einer  Temperatur  von  15 — 19*  C. 
cultivirt  -wurden,  in  derselben  Weise  wie  die  Episcia  im  Ver- 
such 1,  und  zwar  geschützt  gegen  jedwede  Transpiration  und 
gegen  Wärmeausstrahlung  im  Kalthause  auf,  wo  während  der 
Versuchszeit  die  Temperatur  nicht  über  4-2**  C  stieg  und 
nicht  unter  1*5°  C.  sank.  Nach  24  Stunden  waren  bereits  an 
den  meisten  Blättern  zahlreiche  braune  Flecken  zu  bemerken, 
die  sich  allmälig  vergrösserten,  so  dass  nach  4 — 6  Tagen  der 
grösste  Theil  der  Blattflächen  braun  und  abgestorben  war.  Die 
Controlpflanzen  hingegen  blieben  vollständig  intact. 

Die  Versuche  mit  Sanchezia  wurden  ähnlich  wie  bei  Episcia 
mannigfaltig  variirt  und  gaben  ganz  übereinstimmende  Resul- 
tate, weshalb  ich  von  einer  ausführlichen  Wiedergabe  meines 
Versuchsprotokolles  absehe.  Nur  sei  hervorgehoben,  dass  die 
Verfärbung  der  Blätter  in  der  Regel  etwas  länger  auf  sich 
warten  Hess  als  bei  Episcia,  doch  waren  die  Blätter  in  Eis- 
was^r  nach  48  Stunden  gleichfalls  schon  abgestorben.^  Bleibt 


i  Beim  .absterben  der  Sanchczia-liVBXitT  fiel  mir  namentlich  an  der  Unter- 
seite eine  eigenartige  blaue  Verfärbung  auf.  Bereits  A.  G.  Weiss  (diese  Sitzb., 
XC.  Bd,  Abth.  I,  1884,  S.  84,  S.  6  des  Separatabdr. :  Über  ein  eigenthümliches 
Vorkommen  von  Kalkoxalatmassen  etc.)  erwähnt,  wie  ich  nachträglich  las, 
dass  die  grossen  Cystolithen  unserer  Acanthacee  oft  durch  einen  intensiv 
blaugrünen  Farbstoff  gefärbt  sind.  Weiss  war  offenbar  der  Meinung,  dass 
dieser  Farbstoff  schon  in  der  unversehrten  Pflanze  präexistirt,  dies  ist  jedoch, 
wie  man  sich  leicht  überzeugen  kann,  nicht  der  Fall.  Wenn  man  die  Unter- 
seite eines  frischen  Blattes  mit  einer  Nadel  ganz  leicht  ritzt  und  die  geritzte 
Stelle  mit  der  Lupe  im  starken  durchfallenden  Lichte  betrachtet,  so  erscheint 
sie  etwas  durchscheinend  und  hellgrün.  Kurze  Zeit  darauf  färben  sich,  man 


92  H.  Molisch, 

die  Sanchezia  durch  2—4  Wochen  und  darüber  der  niederen 
Temperatur  ausgesetzt,  so  geht  auch  der  Stamm  und  schliess- 
lich die  ganze  Pflanze  zu  Grunde. 

Im  Laufe  des  heurigen  Winters  konnte  ich  noch  einige 
andere  Pflanzen  ausfindig  machen,  die  sich  niederen, 
über  Null  liegenden  Temperaturen  gegenüber  so  ver- 
halten, wie  Episcia  und  Sanchezia.  Nur  tritt  das  Absterben 
zumeist  etwas  später  ein.  Es  gehören  hieher:  Eranthefnufn 
/r/co/or  Ni Chol s.,  E.  Couperi  Hook.,  E.  ignettm  Linden  und 
Anoectochilus  setaceus  Blume. 

Blieben  diese  Gewächse  bei  vollständiger  Unterdrückung 
der  Transpiration  im  Kalthause  diffusem  Licht  und  einer 
zwischen  2 — 5**  C.  schwankenden  Temperatur  ausgesetzt,  so 
gingen  sie  im  Gegensatze  zu  den  warm  stehenden  Control- 
pflanzen  nach  und  nach  vollständig  zu  Grunde,  Eranthemttnt 
tricolor  schon  nach  fünf  Tagen,  E.  Couperi  nach  zwei  Wochen, 
E.  ignettm  nach  einer  Woche.  Bei  jE.  Couperi  starben,  ohne 
sich  abzulösen,  zuerst  die  jüngsten,  noch  in  Entwicklung 
begriff"enen  Blätter  ab,  und  zwar  bereits  nach  sechs  Tagen, 
dann  kamen  die  älteren  daran  und  nach  zwei  Wochen  war 
auch  der  Stengel,  soweit  er  noch  nicht  von  Kork  umhüllt  war, 
schlaff  und  todt.  Am  resistentesten  von  den  angeführten  Pflanzen 
war  noch  Anoectochilus  setaceus.  Dessen  Blätter  zeigten  zwar 
manchmal   schon    nach   vier  Tagen   grössere  Flecken,  allein 


kann  dies  leicht  mit  der  Lupe  verfolgen,  einzelne  kleine  Pünktchen  blau  und 
nach  wenigen  Minuten  erscheint  die  früher  hellgrüne  geritzte  Stelle  nahezu 
ganz  dunkelblau. 

Unter  dem  Mikroskop  lässt  sich  leicht  eruiren,  dass  es  die  farblosen 
Cystolithen  sind,  welche  sich  nach  der  Verletzung  des  Blattes  an  ihrer  Ober- 
fläche blaugrün  färben.  Sanchezia -^XeiiiQT  enthalten  demnach  in  den 
Cystolithenzellen  ein  Chromogen,  welches  beim  Erfrieren  oder 
bei  mechanischer  Verletzung  der  betreffenden  Zellen  einen 
blauen  Farbstoff  liefert.  Dieser  ist  ausserordentlich  labil,  er  verfärbt  sich 
innerhalb  der  Zellen  sehr  rasch  bei  Einwirkung  von  verdünnten  Säuren  (HCl, 
SO4H2,  HNOg)  und  verschiedener  verdünnter  Alkalien  und  alkalischen  Erden 
(KOH,  NH3,  Kalkwasser  etc.),  weicht  also  schon  durch  dieses  Verhalten  von 
Indigblau  wesentlich  ab.  Der  Farbstoff  verfärbt  sich  alsbald  auch  spontan  in 
der  Zelle,  relativ  lange  erhält  er  sich  noch,  wenn  die  Blätter  im  Wasser  von 
2 — 4°  C.  absterben  und  darin  weiter  belassen  werden. 


Erfrieren  von  Pflanzen.  93 

es  dauert  oft  3 — 4  Wochen,  bevor  der  beblätterte  Spross  ganz 
abstirbt.  Alle  die  hier  besprochenen,  niederen  Temperaturen 
so  wenig  widerstandsfähigen  Pflanzen  haben  ihre  Heimat  im 
Tropengürtel.  Episcia  und  Anoectochilus  in  Java,  Sanchezia 
in  Ecuador,  Eranthemum  tricolor  in  Polynesien,  E.  Couperi  in 
Neu-Caledonien  und  E.  igneum  in  Peru. 

Höchstwahrscheinlich  dürften  noch  andere  Pflanzenarten 
gefunden  werden,  welche  sich  in  demselben  Sinne  wie  unsere 
Versuchspflanzen  als  kälteempfindlich  erweisen.  Unter  den 
tropischen  Gewächsen  wird  man  wohl  am  erfolgreichsten 
darnach  suchen,  doch  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  sich  der- 
artige Pflanzen  auch  unter  unseren  einheimischen  einjährigen 
Phanerogamen,  ja  vielleicht  sogar  unter  den  hohe  Temperaturen 
liebenden  Kryptogamen  befinden. 

hiteressant  ist,  dass  eine  grosse  Anzahl  vonPflanzen, 
welche  gleichfalls  warmen  Gebieten  angehören,  ohne 
Schädigung  monatelang  Temperaturen  von  2  biso**  C. 
mit  einer  Durchschnittstemperatur  von  etwa  -*-3*5**C. 
widerstehen.  Das  Gewächshaus,  in  welchem  ich  die  Ver- 
suche mit  Episcia  und  den  anderen  früher  angeführten  Pflanzen 
anstellte,  wurde  von  Mitte  October  1895  bis  31.  December  1895, 
also  durch  2^1^  Monate  nicht  geheizt.  Da  die  Temperatur  im 
Freien  ziemlich  gleichmässig  war,  nämlich  in  enger  Amplitude 
um  0**  herum  schwankte,  und  da  das  Gewächshaus  seiner 
Lage  wegen  directes  Sonnenlicht  nicht  erhielt,  so  war  die 
Temperatur  im  Inneren  desselben  ziemlich  beständig;  sie 
schwankte  laut  der  Anzeige  der  Maximum-  und  Minimum- 
thermometer stets  zwischen  +2  und  -4-5"*  C.  Während  dieser 
Zeit  wurden  die  Pflanzen  nur  spärlich  begossen,  und  zwar  nur 
so  viel,  um  sie  vor  dem  Welken  zu  bewahren.  Die  Luftfeuchtig- 
keit war,  da  das  Gewächshaus  mit  Pflanzen  der  verschiedensten 
Art  vollgefüllt  war  und  nicht  geheizt  wurde,  sehr  gross,  sie 
schwankte  zwischen  93  und  997o  ^"^  ^^^^  durchschnittlich 
zumeist  98  7o- 

Unter  diesen  Verhältnissen  blieben  folgende  Topfpflanzen 
durch  2Y2  Monate  gesund:  Nicotiana  iabacum,  Curculigo 
recurvatUy  Begonia  metallica,  Abutilon  sp.,  Dracaena  rubra, 
histicia     sp.,     Cineraria    rugosa,     Philodendron    pertusmn, 


94  H.  Molisch, 

Tradescantia  gnianensis,  Goldfussia  iso-  und  anisophylla^ 
Asplenium  Belangeri,  Selaginella  Lttdoviciana  und  einige 
andere  Species  dieser  Gattung,  endlich  Latania  honrbonica. 

III. 

Ist  nun  nach  den  vorhergehenden  Versuchen  nicht  mehr 
an  der  Thatsache  zu  zweifeln,  dass  es  Pflanzen  gibt,  welche 
ganz  unabhängig  von  ihrer  Transpiration  über  Null  erfrieren,' 
so  bleibt  noch  die  Frage  zu  erörtern,  in  welcher  Weise 
die  niedere  Temperatur  schädigt.  Dieselbe  könnte  physi- 
kalische oder  chemische  Störungen  im  Protoplasten  hervor- 
rufen oder  beide  zugleich. 

Dass  durch  die  Abnahme  der  Temperatur  bis  auf  Null 
störende  Contractionen  der  lebenden  Substanz  eintreten  sollten, 
welche  einer  normalen  Function  des  Plasmas  entgegenarbeiten, 
erscheint  wohl  von  vorneherein  nicht  wahrscheinlich.  Eher 
wäre  noch  daran  zu  denken,  dass  die  osmotischen  Eigen- 
schaften der  verschiedenen  Zellorgane  Änderungen  erfahren 
oder  dass  Fällungen  im  Zellsaft  eintreten,  da  ja  bekanntlich 
zumeist  mit  fallender  Temperatur  auch  die  Löslichkeit  für 
gewisse  Stoffe  abnimmt.  Von  solchen  Fällungen  war  bei  den 
Versuchspflanzen  nichts  zu  bemerken. 

Mir  erscheint  es  viel  wahrscheinlicher,  dass  die  niedere 
Temperatur  Störungen  im  Stoffwechsel  hervorruft.  Bekanntlich 
verlaufen  gewisse  chemische  Reactionen  nur  innerhalb  be- 
stimmter Temperaturgrenzen.  Die  Entstehung  des  Chlorophylls, 
des  Etiolins,  die  Athmung,  die  Kohlensäureassimilation  und 
andere  chemische  Processe  sind  an  eine  gewisse  Wärmemenge 
gebunden.  Es  ist  ferner  sicher,  dass  mit  sinkender  Temperatur 
bis  knapp  über  den  Nullpunkt  in  der  Pflanze  manche  chemische 
Processe  gehemmt  oder  vollends  sistirt  werden,  während  andere 
noch  mit  ziemlicher  Intensität  fortlaufen,  wodurch  eine  Störung 


1  Ob  es  auch  Thiere  gibt,  welche  sich  ähnlich  wie  unsere  Versuchs- 
pflanzen verhalten,  d.  h.  über  Null  erfrieren,  darüber  konnte  ich  trotz  genauer 
Umschau  in  der  Literatur  keine  Auskunft  erhalten.  Ich  fand  nur  eine  einzige 
der  kritischen  Nachprüfung  werthe  Angabe  von  Raoul  Pictet  vor,  nach  welcher 
in  der  Entwicklung  sehr  weit  vorgeschrittene  Ameisenpuppen  bereits  bei  mehr- 
stündiger Abkühlung  auf  -h5°  absterben.  Biolog.  Centralblatt,  1894.  S.  303. 


Erfrieren  von  Pflanzen.  95 

in  dem  harmonischen  Zusammenwirken  der  in  der  Zelle  sich 
abspielenden  Einzelprocesse  eintreten  könnte.  Zur  Begründung 
des  Gesagten  will  ich  nur  an  die  interessante  Beobachtung^ 
Hermann  Müller's-Thurgau  erinnern,  welcher  fand,  dass 
KartofTelknollen,  welche  längere  Zeit  bei  niederen,  knapp  über 
Null  liegenden  Temperaturen  gehalten  werden,  ihren  Zucker- 
gehalt bedeutend  vermehren  und  in  Folge  dessen  süss  werden. 
Nach  Müller  finden  in  der  Kartoffel  zwei  Vorgänge  neben 
einander  statt:  die  Entstehung  des  Zuckers  aus  Stärke  durch 
ein  Ferment  und  die  Verathmung  dieses  Zuckers.  Beide  Vor- 
gänge werden  ihrer  Natur  entsprechend  von  niederer  Tempe- 
ratur verschieden  stark  beeinflusst,  der  Fermentationsprocess 
viel  w^eniger  als  die  Verathmung.  Daher  die  Zuckeranhäufung. 
Wir  haben  also  hier  einen  auffallenden  Fall  von  der  Beein- 
flussung des  Stoffwechsels  durch  niedere  Temperatur  vor  uns. 
Bei  der  Kartoffel  wird  nun  allerdings  ein  Stoff  angehäuft, 
welcher  das  Leben  der  Zelle  nicht  schädigt.  Es  steht  aber  der 
Vorstellung  nichts  im  Wege,  dass  namentlich  bei  tropischen 
Pflanzen,  welche  nie  Gelegenheit  hatten,  sich  niederen  Tempe- 
raturen anzupassen,  unter  der  Einwirkung  dieser,  ein  schäd- 
liches Stoffwechselproduct  oder  schädliche  Producte  desselben 
entstehen,  welche  bei  gewöhnlicher  Temperatur  verbraucht 
werden,  bei  niederer  aber  sich  ansammeln  und  eben  deshalb 
das  Protoplasma  schädigen. 

Wenn  es  nach  dem  Gesagten  wohl  sehr  wahrscheinlich 
wird,  dass  das  Erfrieren  über  Null  (unabhängig  von  der 
Transpiration)  auf  durch  niedere  Temperatur  hervor- 
gerufene Störungen  im  chemischen  Getriebe  der 
lebenden  Substanz  zurückzuführen  ist,  so  bin  ich  vor- 
läufig doch  ausser  Stande,  etwas  Bestimmtes  über  die  Art 
dieser  Störungen  auszusagen  und  muss  dies  vielmehr  künf- 
tigen Untersuchungen  überlassen. 


1  H.  Müller,  Thurg au.  Ein  Beitrag  zur  Kenntniss  des  Stoffwechsels 
in  stärkehaltigen  Pflanzenorganen.  Botan.  Centralblatt,  1892,  S.  198. 


96 


Krystallmessungen  II. 


Dr.  Philipp  Heberdey, 

Assistenten  am  mineralogischen  Museum  der  k.  k.  Universität  in  Wien. 

(Mit  28Te.\ifiguren.) 

(Vorgelegt  in  der  Sitzung  am  9.  Jänner  1896.) 

In  der  nachstehenden  Arbeit  ist  die  Krystailbestimmung 
von  14  chemischen  Substanzen  enthalten,  welche  mir  zur  Unter- 
suchung von  den  Herren  Prof.  Weidel,  Prof.  Zeisel  und  Prof. 
Lippmann  anvertraut  wurden.  Die  chemischen  Formeln  sind 
nach  den  schriftlichen  Angaben  der  Autoren  hier  angeführt; 
wo  die  genaue  Constitutionsformel  und  der  Titel  mangelt, 
wird  dieselbe  erst  durch  die  bevorstehenden  Publicationen 
des  chemischen  Verhaltens  der  Substanzen  von  den  Herren 
Autoren  bekannt  gegeben  werden. 

I.  ß-Hemipinäthylestersäure 

COGH 
CH3O— C  ^\  C— COOC5H5 
CHoO-c'         JcH 
CH 

Die  Substanz  wurde  dargestellt  von  Herrn  Dr.  Weg- 
scheider  im  Laboratorium  Prof.  Weidel's,  und  zwar  wurden 
die  Krystalle  gewonnen  durch  Verdunstung  einer  ätherischen 
Lösung;  sie  sind  wasserfrei,  ihr  Schmelzpunkt  liegt  zwischen 
147— 149^ 

Kry Stallsystem:  asymmetrisch. 

Axenverhältniss :  a\h:c  =  0' 4972  : 1 :  0 •  3699. 


Krystallmessungen.  97 

Yi  =  117*54' 
i=  93  25 
C  =   89  20 

Die  Krystalle  sind  farblos,  vollkommen  durchsichtig,  von 
säulenförmigem  Habitus;  sie  sind  an  beiden  Enden  wohl  ent- 
wickelt, die  einzelnen  Flächen  geben  gute  Signale,  bloss  eine 
einzige  Fläche  OTO  war  gekrümrrit. 


Fig.  2. 

Die  beobachteten  Formen  sind; 

c(001),  ^(010),  w(llO),  |i(llO),  p(in\  ic(TTl). 

Die  Ergebnisse  der  Messungen  und  Rechnung  stellen  sich, 
wie  folgt.  Die  Rechnung  stützt  sich  auf  die  mit  *  bezeichneten 
Winkelwerthe.^ 


Buchstaben 

Indices 

Gemessen 

Gerechnet 

001  :  100 

62*»  6' 

V- 

001  :  ITO 

66*»   1' 

66     1* 

c:il' 

001  :T10 

113  59 

113  59 

cm* 

001:110 

116  36 

116  36    . 

c:  m 

001  : 110 

63  24 

63  24* 

c'.b 

001:010 

86  29 

86  35 

c:b' 

001  :0T0 

93  31 

93  25 

C'.p 

001 :Tll 

46  48 

46  53 

c:  K 

001 :TTl 

49     0 

49     0* 

• 

100:  110 

23  46 

1  Auch  in  den  folgenden  Tabellen  sind  immer  die   der  Rechnung  zu 
Gninde  gelegten  Winkelwerthe  mit  *  bezeichnet. 

Sitzb.  d.  mathcm.-naturw.  Gl. ;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  7 


98 


P.  Heberdey, 


Buchstaben 

Indices 

100  HO 

TOO 

Tll 

m:ii 

110 

ITO 

m  :  b 

110 

010 

l.:b' 

HO 

OTO 

p:b 

Tll 

010  ' 

P'V-' 

In 

TlO 

pii: 

Tu 

TTl 

K'.li. 

TTl 

ITO 

TZ :  m' 

TTl 

TTO 

tc:^' 

TTl 

TlO 

Tc:^ 

TTl 

OTO 

Gemessen 


47*'58' 
64  57 

67  3 

68  0 
67  18 
39  28 
97  58 
67  36 
82  22 
72  30 


Gerechnet 


24*»  14' 
74  37 
48  0 
64  57* 

67  3* 

68  4 
67  6 
39  9 
98  22 
67  36 
81  42 
72  47 


Die  Auslöschung  ist  auf  der  Fläche  010  fast  parallel  zur 
Kante  010  : 1 10.  Auf  010  tritt  eine  der  beiden  Axen  aus,  welche 
aber  unter  dem  Mikroskop  nur  sehr  undeutlich  zu  sehen  ist, 
und  sehr  excentrisch  liegt. 


n.  a-Hemipinäthylestersäure. 

COOHCgHj 

I 

c 


0— c/^Nc— COOH 
CH 


CHg 

CH3O— C 


CH 


Die  Substanz  wurde  ebenfalls  von  Dr.  Wegscheider  dar- 
gestellt und  erhielt  er  die  Krystalle  durch  Verdunstung  einer 
ätherischen  Lösung;  sie  sind  wasserfrei,  ihr  Schmelzpunkt  liegt 
zwischen  144  — 148**. 

Krystallsystem:  monosymmetrisch. 

Axenverhältniss:  a  :  ^  :  c  =  1-461 :  1 :  1122. 

•/jzziori?'. 

Die  Krystalle  sind  farblos,  vollständig  wasserhell,  auf- 
gewachsen, an  dem  freien  Ende  wohl  entwickelt;  sie  sind  nach 
der  Queraxe  gestreckt;  die  einzelnen  Flächen  sind  manchmal 
gekrümmt  und  gaben  selten  einheitliche  Signale. 


Krystallmessungen. 
Die  beobachteten  Formen  sind : 

<;(001),  a(lOO),  7;(122). 


99 


Fig.  4.' 


Fig.  3. 


Die  Ergebnisse  von  Messungen  und  Rechnung  sind  in 
folgender  Tabelle  zusammengestellt;  die  mit  *  bezeichneten 
Winkelwerthe  sind  der  Rechnung  zu  Grunde  gelegt. 


Buchstaben 


Indices 


Gemessen 


Gerechnet 


c'.a 
c',a' 
c:p 


a:p 
a:p' 

P'P' 


001  :  100 
001  :T00 
001  :  122 
001  :  125 
001  :  102 
100:  102 
100:  122- 
100:  122 
010:  122 
122  •:  122 
122: 102 


78*'43' 
101  17 

49  43 
130  17 


68  24 
111  36 

87  36 


78*43'  * 
lai  17 

49  43  * 
130  17 

20  54 

57  49 

68  22' 
111  38 

43  48 

87  36  ♦ 

46  12 


Auf  001  ist  unter  dem  Mikroskop,  der  Austritt  beider  Axeh, 
aber  nur  sehr  undeutlich  zu  sehen,  wahrscheinlich  wegen  der 
Krümmung  der  Flächen, 

Die  Auslöschung  auf  001  ist  parallel  zur  Kante  001 :  100. 
Nur  bei  einem  Krystall  konnte  ich  mit  den  B ert ran d 'sehen 
Platten  eine  Auslöschungsschiefe  von  1**,  bezogen  auf  die 
Kante  001:  100,  beobachten. 

7* 


100  P.  Heberdey, 

Bemerkenswerth  sind  die  Ätzgrübchen  und  Subindividuen, 
welche  unter  dem  Mikroskop  auf  001  sichtbar  sind.  Die  Ätz- 
eindrücke haben  die  Form  von  Dreiecken,  deren  Grundlinie 
kurz  ist  und  parallel  zur  Kante  001 :  100  verläuft.  Die  beiden 
anderen  Schenkel  sind  ungefähr  gleich  lang  und  parallel  den 
Kanten  001 :  122  und  001 :  122.  Die  Ätzgrübchen  bestehen  wie 
die  Subindividuen  Im  Wesentlichen  aus  vier  Flächen,  von  denen 
die  tiefste,  respective  die  oberste  parallel  001  ist. 

Da  sich  die  a-  und  ß-Hemipinäthylestersäure  nur  durch 
die  verschiedene  Stellung  des  Atomcomplexes  COOC^Hg  von 
einander  unterscheiden,  so  lag  die  Vermuthung  nahe,  dass  dies 
Verhältniss  auch  in  krystallographischer  Hinsicht  zum  Aus- 
druck gelangen  würde.  In  der  That  ergibt  sich  bei  beiden  Sub- 
stanzen als  Verhältniss: 

a:c  •=:  1:  0*735  (ß-Hemipinäthylestersäure) 
a  :  c  =  1 :  0-769  (a-Hemipinäthylestersäure), 

so  dass  durch  die  Umstellung  des  Atomcomplexes  eine  wesent- 
liche Einwirkung  erfolgt  in  Bezug  auf  die  ^-Axe,  dagegen  das 
Verhältniss  von  a  :  c  fast  ungeändert  erscheint. 

Eine  ähnliche  Erscheinung  findet  sich  auch  bei  anderen 
isomeren  Verbindungen  und  hat  auf  dieselbe  Helge  Bäck- 
ström ^  bei  seinen  krystallographischen  Untersuchungen  über 
a-  und  ß-Amyrilen  hingewiesen.  Beide  Substanzen  krystalli- 
siren  rhombisch,  zeigen  dieselbe  Dispersion,  Doppelbrechung; 
bei  beiden  ist  die  Axenebene  001  und  verhält  sich  bei 

a-Amyrilen  a  :  c  z=  1 : 1-  6482 
ß-Amyrilen  a:c  =  \\V 6963, 

so  dass  wie  oben  das  Verhältniss  a :  c  wenig  geändert  erscheint 
MatsWeibuU^  beschreibt  die  Krystallform   des  a-  und 
ß^Platoäthylsulfinchlorid  PtClg,  2S(C2H5)  und  gibt  als  Axen- 
verhältniss  an: 


1  H.  Bäckström,  Krystallogr.  Untersuchungen  über  a-  und  ß-Amyrilerw 
Groth's  Zeitschr.  für  Krystallogr.  XIV,  S.  545. 

2  M.  Weib  Uli,  Über  die  Platinverbindung^  der  Alkylsulfid'e.  Grüth's 
Zeitschr.  tur  Krystallogr.  XIV,  121. 


KrystaUmessungen.  101 

a-Platoäthylsulfinchlorid  1-5876:1: 1-2610,  ß  =  86"  4' 
ß-Platoäthylsulfinchlorid  1-5567  : 1 : 1-2961,  ß  =  82''44', 

wo  die  Änderung  der  Stellung  eine  sehr  geringe  krystallo- 
graphische  Verschiedenheit  hervorruft;  es  verhält  sich: 

o:c  =  1:0-7946     «  I  ^i  »    -fu  i     i«     u,     -a 
a:c=  1:0-8324     ß  !  P'atoathylsulfinchlond. 

Als  weiterer  Beleg  möge  noch  genannt  werden  das  a-  und 
ß-PicoUnplatinchlorid  (CgH^NHCOgPtCl^,  von  denen  das  erstere 
monosymmetrisch : 

a\b:c—i'  272 : 1 :  0-953,  ß  rz  7  r  2 1', 

das  letztere  asymmetrisch  krystallisirt: 

a:^:(;=:0-90331:4:0-7082. 

Beide  wurden  krystallographisch  bestimmt  von  Sander^ 
und  ergibt  sich: 

a:c=:  1:0-7494     a.  )  ^.     ,.     ,  ^.     ,,    ., 
a:.:zz  1:0-7840     ß  j  P^cohnplatmchlond. 

Die  Übereinstimmung  in  dem  Verhältniss  a :  c  tritt  noch 
deutlicher  hervor,  wenn  man  das  von  Fock^  für  das  ß-Chlorid 
berechnete  Axenverhältniss  annimmt: 

a:fe:c:z=  0-8973: 1:0-6627 
a:cz=:  1:0-7385. 

Es  dürfte  sich  mithin  als  Gesetz  ableiten  lassen,  dass  der 
Obergang  eines  Atomcomplexes  aus  der  a-  in  die  ß-Stellung 
das  Verhältniss  von  a :  c  nur  wenig  ändert,  wenn  auch  die 
andereti  krystallographischen  und  optischen  eonstanten  eine 
bedeutende  Verschiebung  erleiden  können.  Doch  scheint  diese 
Annahme  nur  für  den  Übergang  aus  der  a-  in  die  ß-Stellung 
zu    gelten,    indem    z.    B.   das   ß-   und   y  -  Platosulfinchlorid  ^ 


1  Groth's  Zeitschr.  für  Krystallogr.  XX,  242. 

2  Ebenda,  XX,  342. 

3  Ebenda,  XIV,  126. 


102  P.  Heberdey, 

PtCIg,  2S(C4Hg)2  eine  bedeutende  Verschiedenheit  des  Verhält- 
nisses a :  c  zeigen: 

a:^:^  =  1-4425: 1:0-9989     t 
a:fe:c=z  1-3733: 1:0-6910    ß 


I   Platopropylsulfinchlorid. 


Zugleich  mit  den  a-  und  ß-Hemipinäthylestersäure-Kry- 
stallen  übergab  mir  Dr.  Wegscheider  noch  eine  Suite  von 
Krystallen,  welche  angeblich  der  a-Hemipinäthylestersäure 
angehören  sollten;  er  erhielt  sie  durch  Verdunsten  aus  einer 
Benzollösung;  sie  sind  wasserfrei,  ihr  Schmelzpunkt  liegt 
zwischen  14472**  und  145*. 

Sie  sind  monosymmetrisch  nach  der  Axe  b  gestreckt  und 
weisen  dieselben  krystallographischen  Verhältnisse  auf,  wie 
jene  sind,  welche  Hofrath  v.  Lang^  bei  den  Krystallen  des 
sauren  Hemipinäthyläthers  C^^H^Jd^-^-X^/^  H^O  gefunden. 


V.  Lang 

Formen: 
(100)  (110)  (101)  (TOI) 

Autor 

Formen : 
(100)  (HO)  (101)  (TOI)  (001) 

Indices 

Gemessen 

Gerechnet 

Gemessen 

100:  110 
110:110 
100:  101 
TOT  :  TOO 
001  :  101 
001 :T01 
101 :TOT 
110:T10 
110:  lOT 

53*»40' 

76  26 

66  40 

67  41 

72  20 

77  2 

53*»40' 

76  46 

66  40 

67  41 
23  20 
22  34 
45  38 
72  40 

77  0 

53«30' 
76  36 

66  35 

67  41 
23  20 
22  34 

Das  Axenverhältniss  ist  nach  v.  Lang: 

a\b:c  =  1-3596: 1:0-5723 
Y]  =  90**36: 

Der  optische  Charakter  ist  bei  beiden  ident,  die  positive 
Mittellinie  senkrecht  auf  100. 


Diese  Sitzungsberichte,  CIL  Bd.,  Abth.  II.  a,  S.  873. 


Krystallmessungen.  1 03 

Vergleicht  man  diese  Krystalle  mit  denen  der  a-Hemipin- 
äthylestersäure,  so  sieht  man,'dass  beide  sowohl  im  Axenver- 
hältniss,  als  auch  den  Winkelwerthen  nach  so  stark  diflferiren, 
dass  es  nicht  möglich  ist,  beide  unter  einer  Krystallform  zu 
vereinigen.  Ob  aber  hier  Dimorphie  vorliegt  oder  vielleicht  doch 
die  eine  Suite  der  Krystalle  wasserhaltend  ist,  die  andere  aber 
nicht,  ist  mir  nicht  möglich  zu  entscheiden. 

III.  Trimethylcolchidimethinsäure 

/OCH3 
/  OCH3 

\  ^  <  CH3 
COOH 

Unter  diesem  Namen  übergab  mir  Prof.  Zeisel  eine  Suite 
von  Krystallen,  welche  er  alle  erhielt  durch  Auskrystallisiren 
der  Substanz  aus  einer  Methylalkohollösung.  Schon  a  priori 
musste  ich  zur  Vermuthung  kommen,  dass  die  Krystalle  nicht 
derselben,  sondern  zwei  chemisch  verschiedenen  Substanzen 
angehören  dürften.  Denn  einerseits  zeigte  ein  Theil  der  Kry- 
stalle einen  tafelförmigen  Habitus,  während  die  anderen  säulen- 
förmig entwickelt  waren;  anderseits  wurden  die  tafelförmigen 
Krystalle  schon  nach  1 — 2  Stunden  opac  und  undurchsichtig, 
während  die  säulenförmigen  lange  Zeit  hindurch  vollkommen 
klar  und  durchsichtig  blieben;  eiftige  derselben  bekamen  wohl 
nach  längerem  Liegen  eine  mehr  braune  Färbung,  erwiesen 
sich  aber  krystallographisch  mit  den  durchsichtigen  ident. 

aj  Säulenförmige  Krystalle. 

Dieselben  sind  an  beiden  Enden  wohl  entwickelt,  durch- 
sichtig, schwach  gelblich  gefärbt.  Dichroismus  ist  nicht  bemerk- 
bar. Die  einzelnen  Flächen  sind  gut  ausgebildet,  selten  die  eine 
oder  andere  gekrümmt;  doch  geben  die  meisten  Flächen  zwei 
Signale,  die  in  der  Regel  bis  gegen  30'  von  einander  abweichen. 
Bei  den  goniometrischen  Messungen  wurde  der  Horizontalfaden 
intermediär  eingestellt. 

Krystallsystem:  trimetrisch. 

Axenverhältniss:  a:b:c  =  0-556212  : 1 : 0-349869. 


104 


P.  Hebcrdey, 


Beobachtete  Formen:  c(001),a(100),^(010),w(n0),«(Ol  1). 
Die  Ergebhisse  von  Messungen  und  Rechnung  stellen  sich 
wie  folgt: 


Buchstaben 


Indices 


c :  H 
a  :  m 
b :  m 
bin 
n :  n' 
n  :  tn 
n  :  m' 
m  :  m' 


001  :0ll 
100:  110 
010:  1!0 
010:011 
Oll  .011 
011 :  110 
011 :  lIO 
HO:  HO 


Gemessen 


19^25' 
28  55 
66  55 
70  43 
38  50 
80  46 
99  14 
57  50 


Gerechnet 


19'17' 
29  5 
66  55 
70  43 
38  34 
80  48 
99  12 
58  10 


f^ 


-y 


Fig.  5. 


Fig.  6. 


Auf  110  tritt  eine  der  Ifeiden  Axen  sehr  excentrisch  aus 
die  Prüfung  mit  dem  Quarzkeil  erlaubt  kein  sicheres  Urtheil 
über  den  optischen  Charakter;  doch  scheinen  die  Ringe  vom 
Centrum  hinaus  sich  zu  bewegen,  also  der  Krystall  optisch 
negativ  zu  sein.  Bei  Anwendung  des  Babinet'schen  Com- 
pensators  zeigt  sich  deutlich  der  optisch  negative  Charakter, 
indem  der  schwarze  Streifen  stark  nach  links  verschoben  wird 
in  derselben  Richtung,  wie  der  negative  Glimmer  verschiebt. 

Die  Hyperbel  ist  gegen  das  Centrum  zu  blau,  auf  der  con- 
vexen  Seite  einheitlich  roth  gefärbt,  die  Dispersion  gleich  der 
des  Arragonites  disymmetrisch:  p<ßX. 

Die  Bertrand'schen  Quarzplatten  lassen  auf  110  eine 
Auslöschungsschiefe  von  circa  1**  erkennen,  bezogen  auf  die 
Kanten  der  Prismenzone. 


Krystallmessungen. 


105 


b)  Tafelförmige  Krystalle. 

Diese  sind  anfangs  durchsichtig,  schwach  gelblich  grün 
gefärbt,  erhalten  aber  im  verwitterten  Zustande  eine  deutlich 
gelbe  Farbe.  Die  Flächen  bleiben  während  des  Undurchsichtig- 
werdens gut  erhalten.  Die  Krystalle  selbst  sind  nach  allen 
Seiten  bin  vollkommen  ausgebildet;  ihr  quadratischer  Habitus 
ist  ähnlich  dem  der  Krystalle  des  Jodmethylates  derselben 
Säure. 

Krystallsystem:  monosymmetrisch. 

Axenverhältniss :  a  :  fe :  t:  =  1  •  078  : 1 : 1  •  297. 

7irz95*'25'. 


Fig.  8. 

Beobachtete  Formen:  a(100),w(110),J(101),/(T01),e(503). 


Buchstaben 


Indices 


Gemessen 


Gerechnet 


a :  m 
a\d 
a  :  g 
a':/ 
m  :  m' 
tn  :  e 


d'.c 
d'.f 
m  :  d 


100:  111 
100:110 
100: 101 
_100  :  503 
100:J,01 
110:  HO 
110:503 
110:  111 


110; 
001; 
001  ; 
001 
111  ; 
111 
101  ; 
101 
101  ; 
010; 


001 
111 
lül 
100 
010 
101 
503 
101 
110 
110 


46**50' 
41  56 
27  46 
37  20 
86  17 
52  37 


14  10 

100  44 

59  35 


55*^22' 

46  50  * 

41  56  * 

27  46 

37  30 

86  20 

52  37 
30  22 
93  42 
63  20 

53  29 
95  25 
49  6 
40  47 
14  10 

100  34 

59  35  * 

43  10 


106 


P.  Heberdey, 


Die   optischen  Verhältnisse   konnten   wegen  Mangel    an 
durchsichtigem  Materiale  nicht  bestimmt  werden. 


rv.  Phenylnaphtylketon 


C,oH,-CO~CeH,. 


Die  Substanz  wurde  im  chemischen  Laboratorium  des 
Herrn  Prof.  Li pp mann  dargestellt.  Die  Krystalle  sind  durch- 
sichtig, wasserhell,  theils  einzeln,  theils  zu  zweien  mit  einander 
verklebt;  sie  sind  tafelförmig  nach  der  Axe  a  und  b  entwickelt, 
nach  der  Axe  c  ausserordentlich  verkürzt.  Die  einzelnen  Flächen 
sind  gut  ausgebildet,  die  Signale  einfach  und  deutlich. 

Krystallsystem :  monosymmetrisch. 

Axenverhältniss :  a:b:  c  =  2'7\2'A:2-  267. 

Y]  =  99^*44'. 


Fig.  10. 


Die  beobachteten  Formen  sind:  c(OOl),  w(llO),  ^(TOl). 
Die  Ergebnisse  von  Messungen  und  Rechnung  stellen  sich 
wie  folgt: 


Buchstaben 


c :  ftt 
c :  m' 
cd 


Indices 


001 
001 
001 
001 
001 
100 
TOO 
010 


HO 
TlO 
lOl 

Tu 

100 
110 
TlO 
110 


Gemessen 


86^30' 
93  30 
43  51 


Gerechnet 


86  30 
93  30 
43  51 
70  12 
80  16 
69  25 
74  48 
20  39 


Krystallmessungen. 


107 


Buchstaben 

Indices 

Gemessen 

Gerechnet 

010 

Tu 

28*»  0' 

m':ä 

TlO 

TOI 

78^0' 

78  40  * 

TlO 

TU 

23  18 

m' :  m 

TlO 

HO 

41    15 

41    10 

m' :  'm' 

TlO 

TTO 

138  45 

138  50 

TOI 

TOO 

56     1 

TOI 

TU 

62     0 

Die  Substanz  Ist  stark  doppelbrechend;  auf  001  die  Aus- 
löschung entsprechend  dem  Krystallsystem  parallel  zu  den 
Kanten  001:101. 

Ein  Axenaustritt  ist  auf  001  nicht  sichtbar. 


V.  C,H,(C2H30)N,0,. 

Die  Substanz  wurde  im  chemischen  Laboratorium  des 
Herrn  Prof.  Weidel  dargestellt,  sowie  auch  alle  anderen,  die  noch 
folgen,  dem  Laboratorium  des  Herrn  Prof.  Weidel  entstammen. 
Die  Krystalle  wurden  gewonnen  durch  Verdunsten  einer  alko- 
holischen Lösung;  sie  sind  gut  ausgebildet,  aufgewachsen, 
säulenförmig,  wasserhell  durchsichtig,  nach  der  Axe  b  in  die 
Länge  gestreckt;  parallel  010  sind  sie  ausgezeichnet  spaltbar. 


M 

la 

1 

N 

/  ^^              ' 

'         "'s             ' 

Fig.  12. 


Krystallsystem:  monosymmetrisch. 
Axenverhältniss:  a  :  ^  :  c;  =  11113  : 1 :  11 132. 
7]  -  97*35'. 

Beobachtete  Formen:  a(lOO),  ^(001),  p(l  1 1),  ^(010)  (Spalt- 
fläche). 


108  P.  Hebcrdey, 

Di«  Ergebnisse  von  Messung  und  Rechnung  sind: 


Buchstaben 

Indices 

Gemessen 

Gerechnet 

c'.b 

001  :010 

90*  V 

90*»  0' 

c:a 

001  :  100 

97  35 

97  35 

c\  a' 

001  :T00 

82  25 

82  25  * 

C'.p 

001  :  111 

60  23 

60  23  * 

001  :  101 

49  20 

a:b 

100:010 

89  58 

90     0 

a.p 

100:  111 

59  40 

59  40  * 

100:101 

48  15 

010:  111 

49  40 

111  :  101 

40  20 

Die  Auslöschung  ist  auf  den  Flächen  001  und  100  ent- 
sprechend dem  Krystallsystem  parallel  zur  Kante  001 :  100. 

Auf  der  Spaltfläche  (010)  tritt  eine  der  beiden  Axen  sehr 
excentrisch  aus. 


VI.  p-Amidopropionsäure. 

CH3-NH3 

I 

CH^ 
I 
COOH 

Die  Krystalle  dieser  Substanz,  die  von  Prof.  Weide  l  dar- 
gestellt wurde,  erhielt  er  aus  einer  wässerigen  Lösung,  die, 
einige  Tage  über  Alkohol  gestellt,  Krystalle  ausscheidet.  Die 
Substanz  selbst  ist  ein  Derivat  von  der  vorhergehenden,  ent- 
standen durch  Abspalten  von  Kohlensäure  und  Ammon. 

Die  Krystalle  zeigen  theils  tafelförmigen,  theils  säulen- 
förmigen Habitus.  Die  ersteren  gestatteten  überhaupt  keine 
krystallographische  Bestimmung,  indem  die  sehr  starke  Con- 
vexität  der  Flächen,  verbunden  mit  einer  weitgehenden  Cor- 
rosion,  die  Messungen  unmöglich  machte. 

Die  säulenförmigen  Krystalle  sind  beiderseits  entwickelt, 
durchsichtig,  wasserhell,  die  Pyramiden  und  Pinakoidflächen 
sind  etwas  besser,  die  Prismenflächen  sehr  schlecht  ausgebildet; 


Krystallmessungen. 


109 


sie  sind  gekrümmt,  oft  sehr  stark,  und  geben  immer  zahlreiche 
Signale.  Von  diesen  wurde  immer  auf  das  hellste  oder,  wenn 
sie  gleich  stark  waren,  auf  das  mittlere  eingestellt,  und  erhielt 
ich  folgende  krystallographische  Constanten: 

Krystallsystem:  trimetrisch. 

Axenverhältniss:  a:b:c  =  l' 3638 : 1 : 0 •  5941 . 


r 


h 

< 

\m 

^ 

l    'N. 

— -^^^ 

Fig.  13.  Fig.  14. 

Die  beobachteten  Formen  sind:  a(lOO),  fw(l  10),  p(l  1 1). 


Buchstaben 


a:  m 
a:p 
m ',  p 


p:p' 
P'-'P 


Indices 


100:  HO 
100:  111 
HO:  111 
110:010 
111  :010 
111:  lll 
111  :TH 
111  :TTl 


Gemessen         Gerechnet 


53°30' 
69  29 
53  1 


57  5 
41  3 
72  12 


53*»30'* 
69  29  * 
53  33 
36  30 
61  28 
57  4 
41  2 
72  54 


Auf  100  ist  gerade  Auslöschung  parallel  den  Kanten 
100:110  und  treten  durch  100  beide  Axen  aus.  Die  Axen- 
ebene  ist  senkrecht  auf  die  Kanten  der  Zone  100:110.  Die 
Dispersion  ist  sehr  gering  und  ist  ihre  Art  nicht  sicher  zu 
stellen.  Es  scheint  p>ßX  zu  sein.  Der  Axenwinkel  in  Luft 
beträgt  gegen  70**. 

Mit  dem  Quarzkeil  geprüft,  bewegen  sich  die  Ringe  deut- 
lich vom  Centrum  weg,  daher  die  Substanz  opUsch  negativ. 
Die  erste  Bissectrix  ist  a  und  senkrecht  auf  100,  die  zweite  auf 
010;  das  optische  Schema  daher  (g:  c :  b). 


110 


P.  Heberdey. 


VII.  Salzsaures  Salz  der  ß-Amido-Y-Pyridincarbonsäure 

COOH 


C.H.NJ^°°".HC, 


Die  Krystalle,  mir  anvertraut  von  Prof.  Weidel,  wurden 
erhalten  durch  sehr  langsames  Abdunsten  einer  verdünnten 
salzsauren  Lösung;  sie  sind  aufgewachsen,  säulenförmig,  von 
grüngelber  Farbe  und  werden  bei  längerem  Liegen  an  der  Luft 
opac.  Die  Flächen  der  Prismenzone  sind  gut,  die  001-  und 
TOl-Flächen  schlecht  entwickelt;  parallel  001  und  101  sind 
die  Krystalle  gut  spaltbar. 

Krystallsystem:  monosymmetrisch. 

Axenverhältniss:  a:b:c  =  0*6859  : 1 :  0-8366. 

7i  =  83*'20^ 


\l 


^ 


Fig.  16. 

Die  beobachteten  Formen  sind: 

c(OOl),  ^(010),  /(lOl),  w(llO),  m(210). 

Die  Ergebnisse  von  Messungen  und  Rechnung  sind  in 
folgender  Tabelle  zusammengestellt: 


Buchstaben 


c:b 


c :  m 
b :  m 
b.n 


Indices 


001 
001 
001 
001 
001 
010 
010 
010 


010 
100 
TOI 
Tu 
110 
110 
210 

TU 


Gemessen 


Gerechnet 


90°  1' 


84  30 
55  44 
70  38 


90*»  0' 

83  20 

54  41 

59  40 

84  30  * 

55  44  * 
70  40 

60  46 


Krystallmessungen. 


111 


Buchstaben 


Indices 


m  :  tn 
m  :  n 
tn  :  n' 
m'  \i 

n :  n' 
n'it 


100:  110 
100:210 
TOO  :  TOI 
110:TlO 
110:210 
110:2T0 
TlO:T01 
TlO:Tll 
210:2T0 
210:101 
Tu  :T01 


Gemessen 


111«28' 
14  58 
53  20 
52     2 

38  26 
45  28 


Gerechnet 


34« 16' 
19  20 
41  59 
111  28 
14  56 
53  36 
52  7 
35  50 
38  40 
45  28  * 
29  14 


Herr  Prof.  Weidel  übergab  mir  noch  zwei  Suiten  von 
Krystallen,  bei  denen  die  Flächen  (110)  schlecht  oder  gar  nicht 
ausgebildet,  dagegen  (210)  gut  entwickelt  waren.  Aus  nach- 
stehender Tabelle  ergibt  sich  die  krystallographische  Identität 
dieser  Krystalle  mit  den  früheren. 


Krystalle  der  I.  Suite 

Krystalle  der  11. 
und  III.  Suite 

Indices 

Winkelwerthe 

Winkelwerthe 

TOI  :010 
TOI :210 
210:010 
210:2T0 
110:010 
110:210 

90« 
45  28' 
70  40 
38  40 
55  44 
14  56 

90« 
44  54' 
71    10 
38  40 
55  44 
15  25 

Auf  010  beträgt  die  Auslöschungsschiefe,  bezogen  auf  die 
Kanten  010: 1 10  =  48*'30'.  Ein  Axenaustritt  konnte  nicht  beob- 
achtet werden. 


Vin.  Goldsalz  der  ß-Amido-Y-Pyridincarbonsäure 

qHßNg-hHCl+AuClg. 
Unter  diesem  Namen  erhielt  ich  dunkelrothe  Krystalle;  sie 
sind  aufgewachsen,  säulenförmig  und  sind  nur  die  Prismen- 
flächen entwickelt;   ungefähr   senkrecht   auf  die  Kanten  der 
Prismenzone  verläuft  eine  Spaltbarkeit;  jedoch  sind  die  Spalt- 


112 


P.  Heberdey, 


flächen  so  unvollkommen,  dass  von  einer  Messung  abgesehen 
werden  musste.  Da  die  Auslöschung  parallel  den  Längskanten 
eine  gerade  ist,  so  dürfte  ein  rhombisches  Prisma  vorliegen, 
und  zwar  ooP  =.  88**30^  Die  Krystalle  zeigen  Absorptions- 
dichroismus.  Schwingungen  senkrecht  zur  Kante  der  Prismen- 
zone werden  fast  vollständig  absorbirt,  der  Krystall  erscheint 
schwarz.  Sind  die  Schwingungen  parallel  zur  Kante  ooP,  so 
erscheint  der  Krystall  lichtroth  gefärbt.  Ein  Axenaustritt  konnte 
nicht  beobachtet  werden. 

IX.  Chloroplatinat  der  ß-Amido-Y-Pyridincarbonsäure 

2[c5HsN!^H^"4-HClj|+PtCl, 

Die  Krystalle,  welche  mir  Herr  Prof.  Weidel  übergab, 
wurden  gewonnen  durch  langsames  Verdunsten  aus  einer 
verdünnten  (1 :  2)  Salzsäurelösung;  sie  sind  säulenförmig,  auf- 
gewachsen, einige  beiderseits  entwickelt.  Die  Prismenzone  ist 
gut  ausgebildet,  dagegen  sind  die  Pyramidenflächen  sehr  stark 
convex.  Sie  sind  nach  001  ziemlich  gut  spaltbar. 


Fig.  17.  Fig.  18. 

Die  Krystalle  sind  rothbraun  gefärbt  und  geben  einige 
derselben  sehr  schöne  Totalreflexe,  welche  als  braun  gefärbte 
Signale  im  Fernrohr  erscheinen  und  von  den  wirklichen  Flächen- 
signalen der  Pinakoide  nur  ganz  wenig  seitlich  verschoben 
erscheinen. 

Krystallsystem :  asymmetrisch. 
Y)  =  74M1'. 
5  =  81  43 
C  =:  90  43 


Krystallmessungen.  113 

Axenverhältniss:  a:b:c:  1-8372  : 1  : 1-1258. 
Die  beobachteten  Formen  sind: 

a(lOO),  ^(010),  c(001),/?(!ll),  ic(TTl). 

Die  Ergebnisse  von  Messungen  und  Rechnung  stellen  sich 
wie  folgt: 


Buchstaben 


Indices 


Messung 


c :  a 
c:b 


a' 


h':- 


001 
001 
001 
001 
001 
100 
100 
100 
TOO 

loo 

010 
010 
OlO 
OTO 


:100 
:010 
:TOl 
:01l 
:  HO 
:  110 
:010 
:TOl 
:  Tu 
:TTl 
:Tll 
:  110 
:  HO 
:  llT 


74°2Ö' 
81  15 


87  2 

80  16 
73  15 
40  40 


46  29 


Rechnung 


74°25'  * 
81  15  * 
35  26 
42  40 
74  25 
59  4 
87  2  * 
70  9 
79  25 
73  15  ♦ 
40  8 
27  58 
30  21 
46  29  * 


Die  Krystalle  zeigen  keinen  merkbaren  Dichroismus.  Auf 
100  beträgt  die  Auslöschungsschiefe  13**  21',  bezogen  auf  die 
Kante  100:010. 

Auf  001  tritt  eine  der  beiden  Axen  aus,  sehr  excentrisch 
und  nur  sehr  schwer  sichtbar. 

Die  Krystalle  dieser  Substanz  erhielt  Prof.  Weidel  aus 
einer  Ligroinlösung.  Sie  sind  durchsichtig,  wasserhell,  auf- 
gewachsen. Die  Flächen  (111)  und  (011)  sind  gut  entwickelt, 
dagegen  (010)  und  (110)  stark  gekrümmt,  ja  bei  einigen  Kry- 
stallen  ist  die  Krümmung  so  stark,  dass  sie  sich  bogenförmig 
nach  oben  hin  verjüngen.  Die  Signale  sind  undeutlich,  immer 
zahlreich. 

Die  Krystalle  scheinen  zwar  der  Flächenentwicklung  nach 
triclin  zu  sein,  jedoch  unter  dieser  Annahme  können  sie  nicht 

Sitzb.  d.  mathem.-natunv.  Gl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  8 


114 


P.  Heberdey, 


gerechnet  werden.  Es  wurde  daher  monosymmetrisches  System, 
und  zwar  eine  hemiedrische  Ausbildung  angenommen.^  Diese 
Annahme  findet  dadurch  eine  Stütze,  dass  die  Auslöschung 
auf  100  eine  gerade  ist,  also  eine  optische  Symmetrie  vor- 
zuliegen scheint.  Alle  Krystalle  waren  gleich  entwickelt  und 
konnten  holoedrische  Formen  nicht  aufgefunden  werden. 

Krystallsystem:  monosymmetrisch  (hemiedrisch). 

Axenverhältniss:  a  :  ^^ :  c  =  0-6171 : 1:  0-5319. 

7]  =  85**  28'. 


n^^ 


Fig.  19.  Fig.  20. 

Die  beobachteten  Formen  sind: 

a(lOO),  w(llO), /(011),p(Tll). 


Buchstaben 


Indices 


a  :  m 

a:t 
a':p 


m:  t 
m  :  p 


100: 
100: 
100: 
100: 
010: 
010: 
010: 


HO 
001 
011 
Tu 
110 
011 
Tu 


Oül :011 
110:011 
UOrTll 


Gemessen 
52°30' 

86     0 
55   14 


66     2 
92  48 


Gerechnet 


52*»30'  * 

85  28 

86  0  * 
55  15 
37  30 
62  4 
67  18 
27  56 
66  2  * 
92   20 


1  Über  hemiedrische  Formen  des  monoklinen  Systems  cf.  Liebisch, 
phys.  Krystall.  1891,  S.  49.  Ferner  Groth's  Zeitschr.  für  Krystallogr.  XIX. 
S.  237. 


Krystallmessungen. 


115 


Die  Auslöschung  ist  auf  100  parallel  den  Kanten  100  :  1 10. 
Ein  Axenaustritt  konnte  nicht  beobachtet  werden. 

XI.  C,3H,,N30. 

Die  Krystalle,  welche  ich  vom  Herrn  Prof.  Weidel  erhielt, 
und  die  aus  einer  alkoholischen  Lösung  erhalten  wurden,  sind 
aufgewachsen,  farblos,  durchsichtig;  die  einzelnen  Flächen  sind 
nicht  gut  entwickelt,  die  Pyramiden  und  Domenflächen  sind  klein 
und  oft  corrodirt.  Namentlich  war  es  unmöglich,  die  Lage  der 
mit  höheren  Indices  zu  bezeichnenden  Flächen  sicher  festzu- 
stellen, da  sie  überhaupt  nur  an  einzelnen  Krystallen  und  sehr 
schlecht  ausgebildet  vorkommen;  es  lässt  sich  nur  constatiren, 
dass  sie  in  der  Nähe  der  angegebenen  Pyramiden  liegen.  Ob  sie 
Vicinalflächen  sind  oder  die  Ungenauigkeit  der  Messung  die 
bedeutende  Differenz  zwischen  Rechnung  und  Beobachtung' 
herbeiführt,  lässt  sich  nicht  entscheiden. 

Krystallsystem :  asymmetrisch. 

S  =  90^10' 
r^  =  78   16 
C  =  88  49 

Axenverhältniss:  a\b',c  =  M295  : 1 :  0*91 13. 


Fig.  21. 
Die  vorhandenen  Formen  sind: 


Fig. 


a(lOO),  tw(llO),  w(340), /(Oll), /'(011),;?(111),;;'<I11),';7(111\ 
V'(TlT),  ^(322),  r(533),  s(599),  i;(255). 

8* 


116  P.  Heberdey. 

Die  Beobachtungen  stellen  sich  zur  Rechnung  wie  folgt: 


Buchstaben 

Indices 

Messung 

Rechnung 

001 :  100 

78*»16' 

001 :010 

89  25 

001 :  111 

50  50 

a  :  n 

100:340 

60  21 

59  50       1 

a  :  m 

100:  HO 

52  30 

52  30  * 

a  :  m' 

100:  rio 

50  55 

50  55  * 

100:010 

91    17       ' 

100:011 

99  42       , 

100:011 

82     6 

a.p 

100:  111 

71   30 

70  52 

a:'p 

100:  iTl 

70     4 

68  29 

a:q 

100:322 

60  10 

58  58 

a  :  r 

100  :  533 

51  54 

53     4 

a:s 

100:599 

80  54 

81      4       1 

a'.p' 

100:111 

55  26 

55  34 

a'  :  y 

TOO:  TU 

56     4 

56     4  * 

a' :  V 

i 

TOO  :  2o5 
010:  110 
010:T10 
010:011 

70  20 

70  34 
38  47 
37  48 
49     8  • 

1 

010:  111 

51    11       ' 

m  :  m' 

110:TlO 

76  25 

76  35 

m  :  n 

110:340 
110:011 

7  20 

7  51 
65  33 

m  :  p 

110:  111 

46  30 

46     1 

'm' :  / 

TT0:011 

114  58 

114  27 

'm' :  /' 

TlO:OTl 

53   10 

52   18 

'm'.'p' 

TTO    "iTl 

38  30 

38  30  * 

1        'm' :  V 

lT0:2o5 

45  58 

45      1 

'm' :  s 

TTO  :  599 

65  45 

65  52 

\    p-y 

1 1 1  :  Tl  1 

95     0 

95  29 

!     p-i 

111  :011 

27  46 

28  49 

p'-f 

111  :011 

25  30 

24  53 

y :  /' 

TTl  :0I1 

26     2 

26     2  * 

•p:t' 

iTl :OTl 

28  50 

29  25 

r :  5 

533  :  599 

28  57 

28     0 

/:/' 

011  :OTl 

81   32 

1 

82  22 

Auf  100  ist  die  Auslöschung  fast  parallel  zu  den  Kanten 
100  :1 10.    Ein  Axenaustritt  konnte  nicht  beobachtet  werden. 


Kry  Stallmessungen . 


117 


Xn.  CgHgNOjj. 

Die  Krystalle  dieser  Substanz,  mir  übergeben  vom  Herrn 
Prof.  Weidel,  waren  erhältlich  sowohl  aus  Ligroin,  als  auch 
aus  Alkohol.  Sie  sind  farblos,  durchsichtig,  frei  nach  allen  Seiten 
entwickelt;  die  Flächen  sind  schlecht  ausgebildet,  die  Signale 
undeutlich. 

Kry  Stallsystem:  monosymmetrisch. 

Axenverhältniss:  a\b:c  =  0-4679  : 1  :  0-4824. 

Y]=:82**2^ 


Fig.  23. 


Fig.  24. 


Die  beobachteten  Formen  sind: 

^(010),  w(llO), /(011),;7(T21). 

Die  Ergebnisse  von  Messung  und  Rechnung  stellen  sich 
wie  folgt: 


Buchstaben 


b'.t 


b :  m 


i.'m 
t'.m 


Indices 


Messung 


010:011 
010:  121 
010:  111 
010:  110 
100:001 


100: 
001  : 
011  : 
011  : 
011  : 
011  : 


110 
TOI 
001 
TlO 
HO 
ITO 


64°58' 


65   15 


86  15 
73  10 
93  45 


Rechnung 


65*»18' 
54  54 
70  17 
65  15  ^ 
82  2 
24  45 
49  59 
24  45 
86  28 
73  10  ^ 
93  32 


118 


P.  Heberdey, 


Buchstaben 

Indices 

Messung 

Rechnung 

/ :  'm' 

011  :ITO 

106*»50' 

106*»50' 

t:p 

011  :T21 

43  48 

43  44 

t:i' 

Oll  :OTl 

49  30 

49  30 

121 :Tll 

15  23 

p:'m 

T21:TlO 

43     2 

42  34 

m  :  m' 

110:  ITO 

49  30 

49  30  * 

TlOiTll 

44  43 

In  :T01 

19  43 

Ein  Axenaustritt  konnte  nicht  beobachtet  werden. 


xm. 


CjjHjjNO  =  NH. 


Die  Krystalle,  erhalten  vom  Herrn  Prof.  Weide l,  sind 
allseits  entwickelt,  durchsichtig,  schwach  gelbgrün  gefärbt  und 
zeichnen  sich  aus  durch  prachtvolle  Totalreflexe.  Im  auffallenden 
Licht  erscheinen  einzelne  Flächen  blau  gefärbt.  Die  Flächen  sind 
gut  entwickelt;  bei  den  meisten  Individuen  ist  je  ein  Paar  der 
Prismenflächen  ähnlich  den  sanduhrförmigen  Augiten  gebaut. 


Fig.  25. 


Fig.  26. 


Die  Entwicklung  der  Krystalle  ist  vorherrschend  nach 
(HO),  die  Pinakoide  100  und  010  sind  schmal  und  schlecht, 
dagegen  001  immer  gut  ausgebildet. 

Krystallsystem:  monosymmetrisch. 

Axenverhältniss:  a\b:c  =  0*7004  : 1  :  0-9785. 

Y]  =  7r54'. 


KrystaUmessungen. 
Die  beobachteten  Formen  sind: 

a(lOO),  c(OOl),  ^(010),  w(llO),  «(210),  i{On\p(\\\). 
Rechnung  und  Beobachtung  stellen  sich  wie  folgt: 


119 


Buchstaben 


Indices 


Gemessen 


c:t 


c.p 

001 

c\  m 

001 

a  :  u 

100 

a :  m 

100 

100 

a:b 

100 

100 

b.c 

010 

h:t 

010 

b:m 

010 

010 

m  :  n 

110 

m  :  / 

110 

110 

011 

011 

t:m' 

011 

p:m' 

TU 

001  :  100 
001  :011 
001 :  111 
:Tll 
:  HO 
:210 
:  110 
:  111 
:010 
:Oll 
:001 
:011 
:  HO 
:  111 
:210 
:011 
:  111 
:  111 
:Tll 
:T10 
:T10 


34^31' 

51  56 
76  54 
25  21 
42  56 

89  58 

90  1 
56  21 
47  4 

18  0 
55  29 


78  18 
51  10 


Gerechnet 


71°54' 
33  44 
37  56 
52  23 
76  54  ' 
24  57 
42  56 
48  30 
90  0 


75 
90 
56 
47 


6 

8 
4 

64  27 
17  59 
55  29 
38  58 
26  36 
35  9 
78  15 
50  43 


Auf  001  ist  die  Auslöschung  parallel  den  Kanten  001: 100. 
Dabei  zeigt  sich  ein  eigenthümliches  Phänomen.  Laufen  die 
Schvvingungsrichtungen  im  Krystall  parallel  zu  denen  der 
gekreuzten  Nicol,  so  erscheint  die  Platte  dunkelviolblau;  wird 
der  Krystall  dann  gedreht,  so  verschwindet  die  blaue  Farbe 
und  in  der  45**-Stellung  ist  die  Farbe  hellgelb;  bei  weiterer 
Drehung  dunkelt  die  gelbe  Farbe  immer  mehr  ab,  und  in  der 
OO^'-Stellung  ist  die  Farbe  wieder  dunkelviolblau. 

Auf  001  tritt  eine  der  beiden  Axen  nahezu  centrisch  aus, 
doch  so  undeutlich,  dass  eine  genaue  Feststellung  des  optischen 
Charakters  nicht  möglich  war.  Bei  Anwendung  des  Babine ti- 
schen Compensators  scheint  sich  der  schwarze  Streifen  nach 


t 


120 


P.  Heberdey, 


entgegengesetzter  Richtung  hin  zu  verschieben,  als  der  nega- 
tive Glimmer  dies  bewirkt,  also  die  Substanz  optisch  positiv 
zu  sein. 

Dichroismus  ist  nicht  bemerkbar. 


XIV.  C5H7N3SO. 

Die  Krystalle  dieser  Substanz,  welche  Prof.  Weidel  mir 
übergab,  entstammen  zwei  Lösungen,  die  einen  aus  einer 
unreinen,  die  anderen  aus  einer  reinen  Lösung.  Erstere  sind 
theilweise  undurchsichtig  und  braun  gefärbt,  letztere  voll- 
kommen klar  und  durchsichtig,  aber  ausserordentlich  klein; 
krystallographisch  sind  beide  ident.  Die  einzelnen  Flächen 
sind  häufig  gekrümmt  und  haben  einzelne  Krystalle  eine  Con- 
figuration,  welche  den  Anschein  erweckt,  als  ob  sie  Theile 
einer  Kugel  wären.  Die  Fläche  100  gibt  immer  eine  Reihe  von 
Signalen. 

Krystallsystem:  monosymmetrisch. 

Axenverhältniss:  a:b  :c  z=  2'783:\ :  1-278. 

7]  =  69^22'. 


Fig.  27.  Fig.  28. 

Die  beobachteten  Formen  sind: 

a(lOO),  fw(llO),  /(013). 

Messungen  und  Rechnung  sind  in  folgender  Tabelle  zu- 
sammengestellt : 


Krystallmessungen. 

Buchstaben 

Indices 

Messung 

Rechnung 

001  :013 
001  :011 

16°26' 
41   30 

001  :  100 

69  22 

001  :  HO 

82  44 

a:t 

100.013 
100:011 

70*14' 

70  14  * 
74  42 

100:111 

61  47 

a  :  m 

100:  HO 

68  58 

68  58  * 

a'  :i 

100:013 

109  46 

109  46 

! 

010:011 

48  30 

1 

010:013 

73  34 

010:  111 

52  46 

010:  110 

21      2 

100:  111 

42  43 

1                , 
m  .  m 

110:110 

42     4 

42     4  * 

1 

011  :013 

25     4 

011  :  Hl 

12  25 

m  :  /' 

110:011 

97  30 

98     2 

121 


Die  Krystalle  sind  gut  spaltbar  nach  (110),  (100),  (013) 
und  sind  an  jedem  Individuum  die  Spaltrisse  unter  dqm  Mikro- 
skop sichtbar. 

Die  Substanz  ist  stark  doppelbrechend,  auf  100  die  Aus- 
löschung parallel  zur  Kante  100:  HO.  Ein  Axenaustritt  konnte 
nicht  beobachtet  werden. 

Die  Krystalle  sind  dichroitisch,  und  zwar  ist  es  ein  blosser 
Absorptionsdichroismus,  indem  die  Farbe  wechselt  von  licht- 
grün  bis  dunkelgrün.  Verlaufen  die  Schwingungen  parallel  zur 
Kante  100:110,  so  ist  die  Farbe  dunkelgrün,  gehen  sie  senk- 
recht zur  Kante,  so  erscheint  der  Krystall  fast  farblos. 


Diese  krystallographischen  Untersuchungen  wurden  im 
mineralogischen  Museum  der  k.  k.  Wiener  Universität  aus- 
geführt und  sage  ich  hiemit  dem  Herrn  Prof.  Seh  rauf  ge- 
ziemend Dank  für  seine  gütige  Unterstützung. 


122  P.  Heberdey,  Krystallmessungen. 


Inhaltsverzeichniss. 


Seite 

I.  ß-Hemipinäthylestersäure  96 

II.  a-Hemipinäthyleslersäure 98 

III.  Trimethylcolchidimethinsäure 1 03 

IV.  Phenylnaphtylketon 106 

V.  C4H5(C2H30)N20, 107 

VI.  ß- Amidopropionsäure    1 08 

VII.  Salzsaures  Salz  der  ß-Amido-Y-Pyridincarbonsäure 110 

VIII.  Goldsalz  derselben  Säure 111 

IX.  Chloroplalinat  derselben  Säure    112 

X.  C19H15N3 113 

XI.  C13H10N2O 115 

XII.  C9H9NO2 117 

XIII.  C9H9NO  =  NH 118 

XIV.  C5H7N3SO 1 20 


123 


Ober  die  Sehuppenbekleidung  des  regene- 
rirten  Schwanzes  bei  Eidechsen 


Dr.  Franz  Werner, 

Assistent  am  IL  zoologischen  Institute  der  k.  k.  Universität  in  Wien. 
(Mit  2  Tafeln.) 

Im  Jahre  1888  erschienen  zwei  bemerkenswerthe  Mit- 
theilungen über  die  Schuppen  regenerirter  Saurierschwänze, 
welche  die  Anregung  zu  vorliegender  Arbeit  gegeben  haben, 
da  die  darin  niedergelegten  Beobachtungen  einer  weiteren  und 
eingehenderen  Untersuchung  wohl  werth  sind. 

Beide  Arbeiten  behandeln  die  früher  zwar  nicht  selten 
verzeichnete,  aber  auf  ihre  Bedeutung  nicht  weiter  untersuchte 
Erscheinung,  dass  bei  gewissen  Eidechsen  die  Schuppen  des 
nachgewachsenen  Schwanzes  von  denen  des  ursprünglichen 
mehr  weniger  auffällig  verschieden  sind.  So  berichtet  Lydekker 
(12),  dass  bei  dem  fossilen  Ophisaurus  -moguntinus  Bttgr.  aus 
dem  Ober-Oligocän  von  Rott  der  regenerirte  Schwanz  glatte 
Schuppen  nach  Art  derjenigen  von  Anguis  besitzt,  während 
der  ursprüngliche  Schwanz  von  gekielten  Wirtelschuppen 
bedeckt  wird.  Wichtiger  ist  die  zweite  Mittheilung,  welche 
von  Boulenger  (1)  herrührt,  da  in  derselben  zum  ersten- 
male  auf  die  Bedeutung  der  veränderten  Schwanzbeschuppung 
hingewiesen  wird.  Die  beiden  von  Boulenger  eingehender 
besprochenen  Fälle  beziehen  sich  auf  den  in  die  Familie  der 
Tejiden  gehörigen  Gymnophthalmus  quadrilineatus  und  auf 
eine  recente  Ophisaurus- hvi  (O.gracilis),  welche  beide  auf  dem 
regenerirten  Schwanz  eine  Schuppenbekleidung  besitzen,  die 
von  jener  des  primären  Schwanzes  auffallend  verschieden  ist. 


124  F.  Werner, 

Boulenger  hat  nun  darauf  hingewiesen,  dass  die  Beschuppuni^ 
des  regenerirten  Schwanzes  in  beiden  Fällen  mit  der  normalen 
und  ursprünglichen,  in  den  entsprechenden  Familien  vor- 
kommenden Schwanzbeschuppung  übereinstimmt  und  dass 
dieses  auffallende  Verhalten  durch  Atavismus  zu  erklären  ist. 
Ich  selbst  hatte  Gelegenheit,  eine  grosse  Zahl  von  Eidechsen 
mit  regenerirten  Schwänzen  zu  untersuchen  und  sollen  in  der 
Folge  die  von  mir  erhaltenen  Resultate  aufgeführt  werden. 
Zuvor  aber  erachte  ich  es  als  meine  Pflicht,  meinem  hoch- 
verehrten Chef,  Herrn  Prof.  K.  Grobben,  für  die  vielfache 
Anregung  und  Unterstützung  bei  der  Abfassung  vorliegender 
Arbeit  meinen  aufrichtigsten  Dank  abzustatten. 

Reptilien,  welche  den  Schwanz  nicht  zu  regeneriren 

vermögen. 

Es  ist  seit  längerer  Zeit  bekannt,  dass  die  Reproductions- 
fähigkeit  des  Schwanzes  nicht  allen  Reptilien  zukommt.  So 
erwähnt  schon  Gachet  (9),  dass  sie  den  Krokodilen  und 
Chamaeleonten  fehlt,  und  Fraisse  (7)  führt  in  seinem  be- 
kannten Werke  über  Regeneration  auch  die  Chelonier  und 
Ophidier  unter  denjenigen  Reptilien  an,  welche  das  Vermögen 
der  Schwanzregeneration  nicht  besitzen.  Der  Schwanz  heilt 
bei  allen  diesen  Reptilien,  mag  der  Verlust  auf  was  immer  für 
eine  Art  entstanden  sein,  gleichviel,  ob  die  Trennungsebene 
durch  einen  Wirbel  oder  zwischen  zwei  Wirbeln  hindurchgeht, 
in  eine  stumpfkegelförmige,  häufig  schwarz  pigmentirte  Spitze 
aus;  oder  die  Narbe  kann  flach,  beziehungsweise  schwach  con- 
vex  sein  und  dann  spurlos  verschwinden,  indem  sie  von  den 
sie  umgebenden  Schuppen  überwachsen  wird.  Ersteres  ist  bei 
den  Schlangen  der  Fall,  von  denen  die  Dipsadinen-Gattungen 
Chrysopelea  und  Psammophis  am  leichtesten  die  Schwänze 
durch  Abreissen  verlieren.  Bei  ihnen  ist  die  kegelförmige  Narbe 
nur  mit  sehr  wenigen,  grossen  Schuppen  bekleidet.  Letzteres 
findet  sich  dagegen  bei  Schildkröten,  Chamaeleonten  und  bei  den 
später  zu  besprechenden  Varaniden;  bei  diesen  Formen  erhält 
derjenige  Theil  der  Narbe,  welcher  von  den  sich  zusammen- 
neigenden Schuppen  nicht  bedeckt  wird,  eine  Bedeckung  mit 


Schuppenbekleidung  des  regenerirten  Eidechsenschwanzes.  1 25 

zahlreichen  kleinen  Schuppen.  Bei  Krokodilen  scheint  ein  Ver- 
lust des  Schwanzes  überaus  selten  zu  sein;  ich  selbst  habe 
niemals  ein  schwanzloses  Exemplar  gesehen. 

Ausser  den  bereits  genannten  Chamaeleonten  fehlt  noch 
einer  Anzahl  anderer  Eidechsenfamilien  das  Regenerationsver- 
mögen des  Schwanzes,  während  die  grössere  Zahl  der  Eid- 
echsen den  Schwanz  zu  reproduciren  im  Stande  ist.  Ein  ähn- 
iiches  Verhältniss  finden  wir  auch  bei  Urodelen,  von  denen 
eine  kleine  Anzahl,  wie  Triton  marmoratus  und  Proteus  angtii- 
nens  nach  Schreiber  (16)  und  Fraisse  (7),  sowie  Siren  lacer- 
tina  nach  Weismann  (18)  im  Gegensatze  zu  allen  übrigen 
F'ormen  regenerationsunfähig  sind. 

Unter  den  Eidechsen  fehlt  die  Reproductionsfähigkeit  des 
Schwanzes  vollständig  den  Varaniden,  Helodermatiden  und 
Amphisbaenen.  Dies  mag  mit  der  besonderen  Difterenzirung 
des  Schwanzes  dieser  Eidechsen  zusammenhängen,  da  der- 
selbe bei  den  zwei  letzteren  Familien  kurz,  dick  und  wie  der 
ganze  Körper  mit  einer  dicken,  zähen  Haut  bedeckt  ist,  wodurch 
der  Verlust  des  Schwanzes  hintangehalten  wird.  Ausserdem 
fehlen,  wie  schon  Hyrtl  (9a)  nachgewiesen  hat,  den  Amphis- 
baenen präformirte  Bruchstellen  der  Schwanzwirbel,  was  wohl 
auch  bei  Heloderma  der  Fall  sein  wird;  doch  ist  mir  hierüber 
nichts  bekannt.  Auch  bei  den  Varaniden  und  Chamaeleonten 
fehlt  nach  Hyrtl  eine  derartige  Quertheilung  der  Schwanz- 
wirbel, was  im  Zusammenhange  mit  der  Ausbildung  des 
Schwanzes  dieser  Eidechsen  als  Waffe  zur  Austheilung  wuch- 
tiger Schläge  (Varaniden)  oder  als  Greiforgan  (Chamaeleonten), 
wobei  continuirlich  den  Schwanz  durchlaufende  Muskeln 
und  Sehnen  auftreten,  ebenfalls  den  Verlust  des  Schwanzes 
verhindert.  Alle  mit  Greifschwänzen  versehenen  Eidechsen,  von 
denen  ausser  den  Chamaeleonten  und  vielen  Amphisbaenen 
auch  noch  Stenodactylus  gnttatus  und  wahrscheinlich  auch 
Agantura  persica^  ferner  Cophotis,  Phrynocephahis  mystacens 
u.  A.,  Xiphocercus  und  Corucia  zehrata  zu  nennen  wären,  ver- 
lieren den  Schwanz  nur  bei  grosser  Gewaltanwendung  und 
regeneriren  ihn  wohl  niemals. 


126  F.Werner, 

Eidechsen   mit  unveränderter  Beschuppung  des 
regenerirten  Schwanzes. 

Mit  den  genannten  Ausnahmen  kommen  in  den  übrigen 
Eidechsenfamilien,  welche  ich  untersuchte,  Formen  mit  Regene- 
rationsvermögen des  Schwanzes  vor,  und  zwar  in  manchen 
häufiger,  in  anderen  wieder  seltener.  In  einer  Anzahl  von 
Familien  tritt  nun  am  regenerirten  Schwanz  dieselbe  Beschup- 
pung auf  wie  am  ursprünglichen;  es  trifft  dies  zum  grössten 
Theile  für  solche  Formen  zu,  bei  denen  die  Schuppen  des 
Schwanzes  in  Wirtein  angeordnet  sind  und  diese  Stellung  der 
Schwanzschuppen  eine  für  die  betreffende  Familie  ursprüng- 
liche ist.  Hieher  gehören  die  Familien  der  Lacertiden,  die  ihnen 
nahestehenden  Gerrhosauriden  und  Tejiden,  wahrscheinlich 
auch  die  Zonuriden,  ferner  die  Uroplatiden  und  Annielliden. 
Schliesslich  ist  hier  auch  Sphenodon  (Hatteria)  punctatus 
anzuführen,  bei  welcher  die  Regenerationskraft  eine  besonders 
grosse  ist,  indem  dieses  Thier  den  Schwanz  mit  allen  seinen 
grossen  Tuberkelschuppen  zu  regeneriren  vermag,  was  mit 
wenigen  individuellen  Ausnahmen  bei  keiner  echten  Eidechse 
der  Fall  ist. 

Wenn  auch  bei  allen  diesen  Formen  bei  der  Regenera- 
tion geringfügige  Abweichungen  von  der  Schuppenform  des 
primären  Schwanzes  vorkommen  können,  so  sind  dieselben 
auf  Störungen  in  dem  normalen  Wachsthum  des  regenerirten 
Schw^anzes  zurückzuführen.  Normalerweise  ist  die  Beschup- 
pung des  regenerirten  Schwanzes  bei  den  erwähnten  Sauriern 
vollkommen  mit  jener  des  primären  Schwanzes  in  Überein- 
stimmung. 

Eidechsen,  bei  denen  veränderte  Beschuppung  des 
regenerirten  Schwanzes  auftritt. 

In  den  nun  zu  besprechenden  Familien  kommen  neben 
Formen  mit  unveränderter  Beschuppung  des  neugebildeten 
Schwanzes  auch  in  geringerer  Zahl  solche  vor,  bei  welchen 
sich  derselbe  durch  veränderte  Schuppenbildung  vom  primären 
unterscheiden    lässt.    Es    w'wd    sich    im    Laufe    dieser   Unter- 


Schuppenbekleidung  des  regenerirten  Eidechsenschwanzes.  127 

suchungen  herausstellen,  dass  es  die  höher  differenzirten,  phylo- 
genetisch jüngeren  Formen  sind,  bei  denen  diese  Erscheinung 
zu  beobachten  ist,  während  die  älteren,  primitiveren  Formen  den 
Schwanz  mit  unveränderter  Schuppenbekleidung  neubilden. 

Es  sollen  nun  die  hier  in  Betracht  kommenden  Eidechsen- 
familien der  Reihe  nach  vorgeführt  werden. 

I.  Geckonidae. 

In  dieser  grossen  Familie,  aus  der  nur  wenigen  Arten  kein 
Regenerationsvermögen  des  Schwanzes  zukommt,  kommen 
ausser  Formen  mit  vollkommen  gleichmässiger  Beschuppung 
der  Oberseite,  bestehend  aus  kleinen,  sogenannten  Körner- 
schuppen (vergl.  Fig.  4)  auch  solche  vor,  bei  denen  wenigstens 
auf  der  Oberseite  des  Schwanzes  grössere,  meist  gekielte  oder 
sogar  stachlig  zugespitzte,  seltener  glatte  sogenannte  Tuberkel- 
schuppen auftreten,  welche  zwischen  den  Körnerschuppen  in 
deutlichen  Querreihen  oder  nur  auf  der  Ventralseite  offenen 
Ringen  angeordnet  sind  (vergl.  Fig.  2).  Diese  Querreihen  von 
Tuberkelschuppen  stehen  in  gleichen  Abständen,  der  Körper- 
segm'entirung  entsprechend,  hintereinander. 

Gegen  das  Ende  des  Schwanzes  werden  diese  Tuberkel- 
schuppen allmälig  kleiner  und  verschwinden  an  der  Schwanz- 
spitze vollständig  (vergl.  Fig.  2  a).  Nur  bei  solchen  Arten,  bei 
welchen  sie  besonders  mächtig  ausgebildet  sind,  fehlen  sie 
auch  an  der  Spitze  nicht,  sind  aber  dann  schwach  entwickelt. 

Hinter  jeder  Tuberkelquerreihe  mit  Ausnahme  der  prä- 
analen, und  zwar  in  einem  bei  jeglicher  Art  bestimmten  Ab- 
stände findet  sich  eine  vorgebildete  Bruchstelle  der  Haut,  welche 
als  eine  feine,  mehr  weniger  deutliche  Querfurche  (in  Fig.  2 
und  4  durch  Pfeile  hervorgehoben)  äusserlich  erkennbar  ist. 
Diese  auch  äusserlich  erkennbaren  Hautrissstellen  finden  sich 
nicht  nur  auf  dem  Schwänze  von  Geckoniden  mit  Tuberkel- 
schuppen, sondern  auch  mitunter  bei  solchen  mit  gleichartiger 
Schwanzbeschuppung  (vergl.  Fig.  4).  Anderseits  können  bei 
manchen  tuberkelschuppigen  Arten,  welche  solche  Bruchstellen 
besitzen,  diese  äusserlich  nicht  erkennbar  sein. 

Ausser  den  Geckoniden  besitzen  auch  noch  alle  Lacertiden 
und  Gerrhosauriden,  die  wirtelschuppigen  Tejiden,  die  Zonu- 


128  F.Werner, 

riden  und  manche  andere  mit  wirtelschuppigen  Schwänzen 
ausgestattete  Eidechsen,  sowie  Hatteria,  äusserlich  sichtbare 
präformirte  Bruchstellen  der  Haut,  denen  wohl  stets  solche  der 
Schwanzwirbel  entsprechen;  sie  sind  aber  bei  denjenigen  Eid- 
echsen, bei  welchen  die  Schuppen  in  schiefen  Reihen  ange- 
ordnet sind,  äusserlich  nicht  sichtbar  (Scincoiden). 

Es  ist  nicht  möglich,  den  Schwanz  einer  Eidechse  mit  prä- 
formirten  Hautrissstellert  an  einer  anderen  Stelle  zum  Abreissen 
oder  Abbrechen  zu  bringen.  Ausser  mit  dem  Vorhandensein  der 
bereits  erwähnten  Quertheilung  der  Wirbel,  welche  von  Hyrtl 
(8a)  und  Leydig  (11)  bei  vielen  Eidechsen  aus  den  Familien 
der  Lacertiden,  Tejiden,  Scincoiden,  Anguiden,  Iguaniden  und 
bei  Pygopns  gefunden  wurden  und  in  Bronn's  Classen  und 
Ordnungen  des  Thierreiches  (Reptilien,  S.  476)  auch  von  Hatte- 
ria  erwähnt  ist,  hängt  dies  auch  mit  der  Zähigkeit  der  Haut 
zwischen  den  Rissstellen  zusammen. 

Jedes  dieser  Hautsegmente  eines  Geckonidenschwanzes 
trägt  äusserlich  eine  Tuberkelschuppen  -  Querreihe  und  um- 
schliesst  die  hintere  Hälfte  eines  Wirbels  (von  der  präformirten 
Bruchstelle  an)  und  die  vordere  Hälfte  des  darauffolgenden 
Wirbels  (bis  zur  Bruchstelle).  Dasselbe  finden  wir  bei  Haiteria, 
bei  welcher  aber  auf  jedem  Hautsegment  statt  einer  Tuberkel- 
querreihe eine  grosse,  seitlich  comprimirte  Tuberkelschuppe  in 
der  Medianlinie  des  Schwanzrückens  sich  befindet.  Auch  ein 
Wirtel  des  Schwanzes  von  Zonurns  entspricht  einem  solchen 
Hautsegment  des  Geckonidenschwanzes. 

Dagegen  umschliessen  am  Schwänze  des  dem  Zonurns 
nahestehenden  Pseudocordylns  zwei  Schuppenwirtel  die  beiden 
aneinanderstossenden  Hälften  benachbarter  Wirbel,  und  das- 
selbe ist  auch  bei  allen  Lacertiden  (vergl.  Fig.  13),  Gerrhosau- 
riden  und  Tejiden  der  Fall.  Jedes  zusammengehörige  Schuppen- 
wirtelpaar  bildet  ein  Doppelsegment,  innerhalb  welches  eine 
Bruchstelle  nicht  präformirt  ist;  daher  erhält  man  beim  Zer- 
reissen  eines  solchen  Schwanzes  stets  nur  Wirtelpaare,  nie- 
mals aber  eine  ungerade  Zahl  von  zusammenhängenden  Wirtein 
als  letzte  Theilproducte.  Während  die  Haut  also  zwischen  zwei 
Rissstellen  sehr  zähe  ist,  trennt  sie  sich  an  der  Rissstelle  selbst 
meist  wie  mit  einem  scharfen  Messer  geschnitten. 


Schuppenbekleidung  des  regenerirten  Eidechsenschwanzes.  1 29 

Diese  Bildung  von  Wirtelpaaren  ist  eine  secundäre  Er- 
scheinung, welche  auf  der  Ventralseite  zuerst  entsteht, 
wie  z.  B.  bei  Halieria,  Uromastix  und  verschiedenen  anderen 
wirtelschwänzigen  Formen  bemerkbar  ist;  eine  weitere  Diffe- 
renzirung  tritt  dann  insofern  ein,  als  bei  stachelschwänzigen 
Formen  der  hintere  Wirtcl  des  Paares  die  Stacheln  trägt, 
während  der  vordere  unverändert  bleibt  (Pseuäocordylus,  Stellio 
u.  a.)  und  schliesslich  der  vordere  Wirtel  des  Wirtelpaares  sich 
rückbildet  (Uromastix,  Zonurus). 

Die  Präanalregion  besitzt  ebensowenig  präformirte  Bruch- 
stellen der  Wirbel  als  Rissstellen  der  Haut;  es  verbleiben  daher, 
falls  alle  abtrennbaren  Schwanzsegmente  abgerissen  werden, 
am  Körper  noch  eine  Anzahl  von  Schwanzwirbeln  zurück,  und 
zwar  5  —  7  bei  Lacertiden  und  Anguiden,  4—6  bei  Geckoniden 
und  3. — 5  bei  Scincoiden. 

Die  Beschuppung  des  regenerirten  Schwanzes  der  mit 
Tuberkelschuppen  ausgestatteten  Geckoniden  unterscheidet 
sich  von  jener  des  primären  durch  den  vollständigen  Mangel 
von  Tuberkelschuppen  (vergl.  Fig.  2);  der  neugebildete  Schwanz 
erscheint  in  solchem  Falle  ausschliesslich  mit  kleinen,  gleich- 
artigen Schuppen  bedeckt,  die  zwar  bei  den  verschiedenen 
Formen  geringe  Differenzen  aufweisen  können,  immer  aber 
deutlich  als  Körnerschuppen  erkennbar  sind. 

Es  bietet  uns  also  bei  den  Geckoniden  das  Schuppenkleid 
des  regenerirten  Schwanzes,  welchem  präformirte  Bruchstellen 
der  Haut  vollständig  abgehen,  dasselbe  Bild  dar,  wie  das  Ende 
des  normalen  Schwanzes.  Dieselbe  Erscheinung  beobachten  wir 
bei  Embryonen,  welche  bis  zu  einem  gewissen  Alter  gleichfalls 
noch  keine  Tuberkelschuppen  erkennen  lassen.  Die  Überein- 
stimmung der  Beschuppung  des  regenerirten  Schwanzes  mit 
jener  des  normalen  Schwanzendes  und  der  Schwanzbeschup- 
pung  der  Embryonen  scheint  eine  beachtenswerthe  Thatsache 
zu  sein,  der  wir  auch  bei  anderen  Eidechsen  begegnen  werden. 

Der  Verlust  des  bereits  regenerirten  Schwanzes  ist  bei 
den  Geckoniden  wie  bei  den  meisten  anderen  Eidechsen  (viel- 
leicht mit  Ausnahme  der  Scincoiden)  selten.  Ursache  davon  ist 
das  Fehlen  präformirter  Bruchstellen  in  der  Haut.  Weniger  in 
Betracht  kommt  der  Ersatzstrang  der  Wirbelsäule;  denn  dieser 

Sitzb.  d.  mathero.-naturw.  Cl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  9 


130  F.Werner, 

bricht  bei  starkem  Umbiegen  des  regenerirten  Schwanzes  an 
jeder  beliebigen  Stelle,  kann  also  ein  Abbrechen  desselben  nicht 
verhüten. 

In  den  beiden  beobachteten  Fällen  von  Verlust  des  regen e- 
rirten  Schwanzes  bei  Geckoniden  (bei  einem  Phyllodactylus 
galapagensis,  dessen  Schwanz  ich  in  Fig.  3  abgebildet  habe, 
und  einem  Gecko  vittatus)  habe  ich  abermalige  Regeneration 
constatiren  können.  Dieses  Exemplar  von  Gecko  vittatus^  sowie 
eines  von  Phyllodactylus  Stumpffii  waren  dadurch  merkwürdig, 
dass  bei  der  ersten  Regeneration  auch  die  Tuberkeln  reprodu- 
cirt  wurden,  was  sonst  nur  bei  Hatteria  der  Fall  ist,  wenn 
auch  die  Tuberkeln  des  regenerirten  Schwanzes  häufig  in  der 
ursprünglichen  regelmässigen  Weise  angeordnet  erscheinen. 

Wie  wir  bereits  gesehen  haben,  findet  sich  die  gleich- 
massige  Beschuppung  mit  Körnerschuppen,  gleich  wie  wir  sie 
am  regenerirten  Schwänze  der  Geckoniden  antreffen,  am  Ende 
des  normalen  Schwanzes  und  bei  Embryonen  bis  zu  einem 
gewissen  Alter.  Ausserdem  tragen  aber  noch  eine  grosse  Zahl 
von  Geckoniden,  und  zwar  namentlich  primitive  Formen,  zeit- 
lebens diese  gleichmässige  Körnerbeschuppung,  während  bei 
den  am  höchsten  differenzirten  und  phylogenetisch  jüngsten 
Formen,  welche  vollständig  verbreiterte  Zehen  besitzen  (wäh- 
rend die  primitiveren  Formen  eine  ähnliche  Zehenbildung  wie 
die  übrigen  Eidechsen  aufweisen),  der  Procentsatz  an  Arten 
mit  Tuberkelschuppen  ein  weit  grösserer  ist. 

Sieht  man  von  der  aberranten,  eine  cycloide  Beschuppung 
nach  Art  derjenigen  der  Scincoiden  tragenden  Gattung  Terato- 
scincus  ab,  so  finden  wir  unter  den  Formen,  welche  weder  ver- 
breiterte, noch  geknickte  Zehen  besitzen,  und  unter  welchen 
wir  die  ursprünglichsten  Geckoniden  zu  suchen  haben,  nicht 
weniger  als  fünf  Genera,  in  denen  Tuberkelschuppen  nicht 
vorkommen.  Ein  sechstes  Genus  dieser  Gruppe  (Stenodactylus) 
enthält  eine  einzige  Art  mit  Tuberkelschuppen,  welche  jedoch 
bloss  am  Rumpf,  nicht  aber  am  Schwanz  sich  vorfinden;  nur 
das  siebente  Genus,  Alsophylax  (inclusive  Bunopus)  umfasst 
ausschliesslich  Arten  mit  Tuberkelschuppen.  Auch  unter  den 
übrigen  Geckoniden  ist  die  Zahl  der  mit  Tuberkelschuppen  ver- 
sehenen Formen  ungefähr  um  die  Hälfte  geringer  als  die  Zahl 


Schuppenbekleidung  des  regenerirten  Eidechsenschwanzes.  131 

derjenigen,  welche  bloss  Körnerschuppen  tragen.  Im  Besonderen 
soll  hervorgehoben  werden,  dass  alle  grossen  Gattungen  mehr 
weniger  zahlreiche  Arten  mit  gleichartiger  Körnerbeschuppung 
enthalten,  etwa  25  Gattungen  ausschliesslich  aus  solchen  Arten 
bestehen,  während  in  relativ  wenigen  (etwa  zehn)  Gattungen 
sämmtlicher  Arten  Tuberkelschuppen  vorkommen;  diesen 
Gattungen,  wie  z.  B.  der  grössten  von  ihnen,  Tarentola,  gehören 
bereits  höher  differenzirte  phylogenetisch  jüngere  Formen  an. 
Es  ist  demnach  sehr  wahrscheinlich,  dass  die  homogene 
Schuppenbekleidung  der  Oberseite,  welche  wir  gerade  bei  den 
phylogenetisch  ältesten  Geckoniden  finden  und  auch  in  den 
meisten  übrigen  Gattungen  auftreten  sehen,  die  ursprüngliche 
der  Familie  ist  und  dass  überall  dort,  wo  Tuberkelschuppen 
auftreten,  dieselben  gesondert  in  jeder  Gattung,  beziehungs- 
weise in  jedem  grösseren  Formenkreis  aus  Körnerschuppen 
sich  dififerenzirt  haben,  wie  dies  auch  bei  der  ontogenetischen 
Entwicklung  der  Fall  ist. 

Da  wir  also  annehmen  dürfen,  dass  die  gleichmässige 
Körnerbeschuppung  die  ursprüngliche  der  Geckonidenfamilie 
ist,  wir  ferner  bei  den  regenerirten  Schwänzen  auch  der- 
jenigen Geckoniden,  in  deren  primärer  ßeschuppung  Tuberkel- 
schuppen auftreten,  eine  gleichartige  Körnerbeschuppung  con- 
stant  wiederkehren  sehen,  überdies  in  dieser  Beziehung  eine 
grosse  Übereinstimmung  bei  den  verschiedenen  Formen  besteht, 
so  gelangen  wir  zu  der  Annahme,  dass  die  einfache,  in  der 
ganzen  Familie  der  Geckoniden  vorkommende  Beschuppung 
des  regenerirten  Schwanzes  eine  Wiederholung  der  ursprüng- 
lichen Schwanzbeschuppung  der  Familie  vorstellt  und  ihr  Auf- 
treten als  Rückschlag  aufzufassen  ist. 

Damit  steht  im  Einklänge,  dass  die  Beschuppung  der 
Embryonen  anfangs  bioss  aus  Körnerschuppen  besteht,  sowie 
die  weitere  Thatsache,  dass  auch  bei  den  Geckoniden  mit 
Tuberkelschuppen  die  Schwanzspitze  die  primitive  Beschup- 
pung zeitlebens  zu  bewahren  pflegt,  worauf  bereits  an  früherer 
Stelle  hingewiesen  wurde. 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  noch  auf  den  interessanten 
Faltengecko  (Ptychozoon  homalocephahim)  hinweisen,  dessen 
Schwanz,  wenn  intact,  bis  nahe  zur  Spitze  mit  seitlichen  Haut- 

9* 


132  F.Werner, 

läppen,  jederseits  einen  an  jedem  Schwanzsegment,  versehen 
ist.  Am  regenerirten  Schwanz  (vergl.  Fig.  1)  ist  diese  äussere 
Segmentirung  vollständig  verschwunden,  es  ist  ein^ontinuir- 
licher  Hautlappen,  um  das  neugebildete  Organ  herum  ent- 
wickelt, ähnlich  wie  er  bei  dem  primären  Schwänze  von  Uro- 
plates  auftritt.  Bei  manchen  Geckoniden  tritt  bei  der  Regenera- 
tion auch  eine  Verdickung  des  neuen  Schwanzes  an  der  Basis 
ein,  am  stärksten  bei  Gehyra  mutilata^  aber  auch  bei  Gecko- 
Arten  (siehe  Fig.  1)  noch  merklich.  Sie  findet  sich  auch  bei 
anderen  Eidechsen  (Lacerta^  Pygopus)  und  bei  Hatteria. 

II.  Eublepharidae. 

Diese  kleine,  der  Geckonidenfamilie  sehr  nahestehende 
Familie  enthält  Formen  mit  und  ohne  Tuberkelschuppen; 
letztere  Formen  sind  auch  hier  wieder  als  die  ursprünglicheren 
zu  betrachten.  Bei  der  einzigen  Art,  welche  ich  gesehen  habe 
fEuhlepharis  macnlaritis)  und  welche  mit  Tuberkelschuppen 
ausgestattet  ist,  fehlen  dieselben  am  regenerirten  Schwanz, 
welcher  demnach  dasselbe  Verhalten  zeigt  wie  der  primäre 
Schwanz  der  phylogenetisch  älteren  amerikanischen  Euble- 
pharlS'Avten,  E.  variegatus  und  £.  fasciatus^  die  überhaupt 
keine  Tuberkelschuppen  besitzen.  Auch  in  diesem  Falle  er- 
kennen wir  deutlich  die  Rückkehr  der  secundären  Beschuppung 
zur  ursprünglichen  Beschuppung  der  Familie. 

III.  Pygopodidae. 

Diese  kleine,  rein  australische  Familie  besteht  aus  glatt- 
und  gekieltschuppigen  Formen,  von  denen  die  ersteren,  wie 
überhaupt  bei  sämmtlichen  Eidechsen,  als  die  ursprünglicheren 
anzusehen  sind.  Bei  allen  ist  der  Schwanz  regenerationsfähig. 
Von  den  beiden  Gattungen  mit  gekielte»  Schuppen  habe  ich 
Pletholax  nicht  gesehen.  Die  Gattung  Pygopti^y  v^eXch^  wie 
Pleiholax  rhombische,  gekielte  Schuppen  besitzt,  trägt  (vergl. 
Fig.  5)  auf  dem  regenerirten  Schwänze  glatte  Cycloidschuppen, 
wie  solche  bei  den  übrigen  Gattungen  Lialis,  Delma^  Crypio- 
delma  und  Aprasia  auf  Rumpf  und  Schwanz  auftreten.  Bei 
diesen  Gattungen  ist  die  ursprüngliche  Beschuppung  der 
Familie  zu  finden,  damit  im  Zusammenhange  die  Beschuppung 


Schuppenbekleidung  des  regenerirten  Eidechsenschwanzes.  1 33 

des  regenerirten  Schwanzes  von  jener  des  primären  kaum 
unterscheidbar  und  erstere  nur  an  dem  Mangel  jeglicher  Zeich- 
nung zu  erkennen.  Es  kommt  also  auch  bei  Pygopus  die 
ursprüngliche  Schuppenform  der  Familie^  die  wir  in  den  vor- 
erwähnten vier  Gattungen  erhalten  sehen,  am  regenerirten 
Schwänze  zum  Vorschein. 

IV.  Agamidae. 

Aus  dieser  grossen  Familie  ist  mir  nur  Agama  stellio 
(Stellio  vulgaris)  aus  eigener  Anschauung  als  eine  den  Schwanz 
regenerirende  Art  bekannt.  H.  Müller  (14)  erwähnt  zwar  auch 
Draco  unter  den  Formen  mit  Schwanzreproduction;  ich  selbst 
habe  jedoch  unter  zahlreichen  Exemplaren  von  D.  lineatus, 
volans  u.  A.  niemals  eines  mit  regenerirtem  Schwänze  gesehen. 

Agama  stellio  ist  eine  der  wenigen  Agama -Arien,  bei 
denen  die  Schuppen  des  Schwanzes  in  Wirtein  gestellt  sind; 
die  Kiele  der  Schuppen  erscheinen  in  eine  scharfe  Spitze 
ausgezogen,  wodurch  der  Schwanz  wie  bei  vielen  anderen 
Eidechsen  aus  verschiedenen  Familien  {Urocentrum,  Zonurus, 
Lacerta  echinata,  Varanus  acanihurtis,  Egernia  Stokesii  u.  a.) 
als  Waffe  geeignet  wird. 

Die  ursprüngliche  Beschuppung  des  Schwanzes  der  Aga- 
miden  ist  dies  gewiss  nicht,  denn  die  weitaus  grösste  Zahl 
aller  Agama-Arien  und  Agamiden  überhaupt  trägt  Schuppen 
von  etwa  rhombischer  Gestalt,  welche  in  schiefen  Reihen  ange- 
ordnet sind.  Diese  für  die  Familie  der  Agamiden  ursprüngliche 
Form  der  Beschuppung  ist  sogar  am  Schwanzende  von  Stellio 
an  manchen  Exemplaren  in  geringer  Ausdehnung  nachweisbar. 

Wirtelschuppige  Schwänze  kommen  bei  den  Agamiden 
nur  in  relativ  wenigen  Formen  vor,  und  zwar  vornehmlich 

1.  wenn  der  Schwanz,  wie  vorhin  erwähnt,  als  Waffe  dient, 
wobei  die  Kiele  der  Schwanzschuppen  in  einen  mehr  weniger 
starken  Dorn  auslaufen  (Uromastix,  Aporoscelis,  Agama  stellio, 
microlepis,  caucasica); 

2.  wenn  der  Schwanz  stark  seitlich  comprimirt  ist,  in 
welchem  Falle  die  wirtelige  Anordnung  der  Schuppen  starke 
seitliche  Krümmungen  am  ehesten  ermöglicht  (Lophura,  Gonyo- 
cephaluS'Arten), 


134  F.Werner, 

In  den  zwei  beobachteten,  die  Regeneration  des  Schwanzes 
von  Agama  stellio  betreffenden  Fällen  war  der  kurze,  am  Ende 
abgerundete,  neugebildete  Schwanz  (vergl.  Fig.  6)  mit  den 
ursprünglichen,  in  schiefen  Reihen  angeordneten,  ungefähr 
rhombischen  Agamidenschuppen  bedeckt.  Es  ist  also  auch  in 
dieser  Gruppe  eine  vollständige  Rückkehr  zur  ursprünglichen 
Schwanzbeschuppung  bei  der  Regeneration  zu  constatiren. 

Durch  eine  briefliche  Mittheilung  von  Herrn  G.  A.  Bou- 
1  enger  in  London,  dem  ich  hiefür  und  für  mancherlei  andere 
Aufschlüsse  über  in  den  Sammlungen  des  British  Museum 
befindliche  Saurier  zu  grossem  Danke  verpflichtet  bin,  erfuhr 
ich,  dass  auch  Agama  colonorum  und  actileata  ihren  Schwanz 
regeneriren  können.  Nach  Ansicht  genannten  Forschers  besitzen 
alle  Agamiden  das  Vermögen  der  Regeneration,  doch  reisst  der 
Schwanz  bei  ihnen  nur  selten  ab.  Auch  scheint  nach  meinen 
Erfahrungen  bis  zum  Eintritt  des  Regenerationsprocesses  eine 
weit  längere  Zeit  nach  dem  Verluste  des  Schwanzes  zu  ver- 
streichen, als  dies  sonst  bei  Eidechsen  der  Fall  ist 

V.  Iguanidae. 

Bei  den  Iguaniden  ist  die  Regeneration  des  Schwanzes 
weit  verbreitet  und  tritt  anscheinend  viel  schneller  und  voll- 
ständiger ein  als  in  der  vorhergehenden  Familie. 

Auch  hier  ist  wieder  die  Thatsache  zu  verzeichnen,  dass 
bei  den  verschiedenartigsten  Formen  und  auch  bei  solchen, 
bei  denen  die  Form  der  Schwanzschuppen  eine  überaus  ab- 
weichende ist  (wie  z.  B.  bei  dem  mit  stachligen  Wirtelschuppen 
bekleideten  Schwanz  von  Ctenosanra  pectinata),  der  regene- 
rirte  Schwanz  durchwegs  eine,  wenn  auch  dem  ursprünglichen 
gegenüber  oft  veränderte,  überall  aber  in  derselben  Form  auf- 
tretende Beschuppung  erkennen  lässt.  Stets  wird  dieselbe  aus 
gekielten  Schuppen  von  ungefähr  rhombischer  Gestalt  gebildet, 
welche  in  schiefen  Reihen  angeordnet  sind  und  deren  Kiele  in 
der  Längsrichtung  des  Schwanzes  verlaufen,  was  besonders 
solchen  Formen  deutlich  her\'ortritt,  bei  denen  die  Schuppen- 
kiele des  primären  Schwanzes  schief  nach  aufwärts  gerichtet 
sind,  wie  z.  B.  bei  Liocephaltts  Gueutheri  (vergl.  Fig.  8). 


Schuppenbekleidung  des  regenerirten  Eidechsenschwanzes.  13o 

Etwa  am  primären  Schwänze  vorhandene  Schuppenkämme 
werden  niemals  regenerirt. 

Die  Beschuppung  des  regenerirten  Schwanzes  ist  sehr 
wenig,  ja  oft  gar  nicht  verschieden  von  derjenigen,  wie  sie 
der  primäre  Schwanz  der  erdbewohnenden  kleinen  Iguaniden, 
namentlich  der  typisch  lacertiformen  Liolaemus-Arten,  welche 
wohl  mit  Recht  als  die  phylogenetisch  ältesten  und  am  wenig- 
sten differenzirten  Iguaniden  betrachtet  werden  dürfen,  auf- 
weist Damit  im  Zusammenhange  ist  auch  die  Thatsache  zu 
verstehen,  dass  bei  diesen  Iguaniden  die  Beschuppung  des 
secundären  Schwanzes  mit  der  des  primären  übereinstimmt 
und  ersterer  äusserlich  nur  an  dem  Fehlen  oder  der  Reduction 
der  Zeichnung  erkannt  werden  kann. 

Mit  Recht  können  wir  daher  auf  Grund  der  vorstehenden 
Thatsachen  die  Vermuthung  aufstellen,  diese  durchwegs  ähn- 
liche Schuppenbildung  des  regenerirten  Schwanzes  der  Igua- 
niden sei  eine  Wiederholung  der  ursprünglichen  und  ältesten 
Schwanzbeschuppung  der  Familie. 

In  gleicher  Weise  dürfte  auch  das  Fehlen  eines  supra- 
caudalen  Schuppenkammes  auf  dem  regenerirten  Schwänze 
derjenigen  Iguaniden,  welche  auf  dem  primären  Schwänze 
einen  solchen  besassen,  zu  erklären  sein,  mit  Rücksicht  darauf, 
dass  die  ursprünglichen  Formen  der  Familie  keinen  Kamm 
besessen  haben. 

Bei  baumlebenden  Iguaniden  scheint  Regeneration  seltener 
vorzukommen  als  bei  den  Erdbewohnern.  Nichtsdestoweniger 
erwähnen  sowohl  Gachet  (9),  als  H.  Müller  (14)  und  neuer- 
dings auch  Boulenger(3)  Regeneration  des  Schwanzes  bei 
Iguana,  was  J.  v.  Fischer  an  seinem  gefangen  gehaltenen 
Exemplar  allerdings  nicht  constatiren  konnte.  Von  dem  Leguan 
der  Fidji-Inseln,  Brachylophus  fasciatus,  habe  ich  den  in  Rege- 
neration befindlichen  Schwanz  eines  Exemplares  in  Fig.  7  abge- 
bildet, und  von  Anolis  erwähnt  Gachet  (9)  das  Vorkommen 
von  Regeneration,  was  ich  für  A,  trosstilus  bestätigen  kann. 

VI.  Anguidae. 

Von  dieser  Familie  wurden  früher  einige  Gattungen  (Anguis, 
OphibdeSy  Diploglosstts)  zu  den  äusserlich  allerdings  sehr  ahn- 


136  F.  Werner, 

liehen  Scincoiden  gestellt,  zwei  andere  {Gerrhonotus  und  Ophi- 
sattrns)  dagegen  mit  den  Zonuriden  und  Gerrhosauriden,  sowie 
einem  Theil  der  Tejiden  als  Wirtelechsen  oder  Chalcidier  zu- 
sammengefasst.  Wie  Recht  aber  Cope  und  Boulenger  hatten, 
als  sie  die  Anguidenfamilie  in  ihrem  jetzigen  Umfange  auf- 
stellten, das  beweisen  die  Verhältnisse,  die  wir  bei  der  Rege- 
neration des  Schwanzes  in  dieser  Familie  finden. 

Von  den  Anguidengattungen,  welche  mir  zur  Untersuchung 
vorlagen,  regenerirt  der  scincoiden  ahn  liehe  Diploglossus  die 
Schwanzbeschuppung  vollkommen  unverändert,  da  die  cycloi- 
den,  glatten  Schuppen,  wie  sie  die  phylogenetisch  älteste 
Gattung  der  Anguiden,  Diploglossus,  am  deutlichsten  zeigt, 
die  ursprünglichste  Beschuppung  dieser  Familie  bilden. 

In  der  GMwng  Ophisaurus  dagegen,  welche  eine  ganz 
abweichende  Art  der  Beschuppung  zeigt,  liegen  die  Verhält- 
nisse wesentlich  anders.  Das  Genus  zählt  derzeit  fünf  lebende 
Arten,  von  denen  zwei  palaearktisch  (O.  apus  in  Osteuropa 
und  Westasien,  O.  Koellikeri  in  Marokko),  eine  (O.  gracilis) 
nordindisch  und  zwei  (O.  ventralis  und  attenttatus)  nearktisch 
sind.  Die  letztere  kenne  ich  nicht  aus  eigener  Anschauung. 

Während  die  beiden  palaearktischen  Arten  keine  Spur  eines 
Regenerationsvermögens  zeigen  (wie  denn  auch  der  Schwanz 
bei  beiden  Arten  nicht  ohne  bedeutende  Gewaltsanwendung 
abgebrochen  oder  ausgerissen  werden  kann),  ist  die  Regenera- 
tionsfähigkeit wohl  ausgebildet  bei  O.  gracilis,  dessen  Schwanz 
weniger  resistenzfähig  ist,  und  noch  mehr  bei  O.  ventralis, 
welches  Thier  der  grossen  Geschicklichkeit  seines  Schwanzes 
den  Vulgärnamen  »Glasschlange«  verdankt. 

Der  primäre  Schwanz  von  O.  gracilis  ist  wie  der  übrige 
Körper  mit  stark  gekielten  Wirtelschuppen  bedeckt.  Auf  dem 
regenerirten  Schwänze  dagegen  treten,  wie  Boulenger  (1) 
angibt,  glatte  Cycloidschuppen  auf.  Dasselbe  Verhältniss  finden 
wir  bei  O.  ventralis  (vergl.  Fig.  9,  wo  in  gleicher  Weise  statt 
der  primären  Beschuppung  glatte,  wenn  auch  nicht  so  typische 
Cycloidschuppen  auf  dem  regenerirten  Schwänze  auftreten, 
welche,  wie  bereits  Burnett  (4)  berichtet,  am  basalen  Theiie 
unregelmässiger  angeordnet  sind,  als  dies  bei  O.  gracilis  nach 
Boulenger's  Abbildung  der  Fall  zu  sein  scheint. 


Schuppenbekleidung  des  regenerirten  Eidechsenschwanzes.  1 37 

Wir  kennen  noch  einen  dritten  Fall  von  Regeneration  bei 
Ophisaurus,  welcher  mit  den  beiden  vorerwähnten  vollständig 
übereinstimmt,  und  zwar  bei  einer  bereits  ausgestorbenen  Art, 
dem  fossilen  O.  moguntinus  Bttgr.,  welcher  von  Lydekker 
(12)  beschrieben  wurde;  auch  hier  treten  am  neugebildeten 
Schwänze  Cycloidschuppen  wie  bei  Anguis  auf. 

Es  ist  also  bei  allen  den  Schwanz  regenerirenden  Ophi- 
sattr«s-Arten  die  Beschuppung  des  regenerirten  Schwanzes 
gleichartig  und  mit  der  primären  Beschuppung  der  phylo- 
genetisch ältesten  Formen  der  Familie,  der  scincoidenähn- 
lichen  Diploglossus- Arten,  übereinstimmend. 

Diese  Thatsachen  leiten  auch  hier  wieder  zu  der  Auf- 
fassung, dass  in  dem  Erscheinen  der  glatten  Cycloidschuppen 
am  regenerirten  Schwänze  von  Ophisaurns  ein  Rückschlag, 
und  zwar  zu  der  Diploglossinenbeschuppung,  zu  erkennen 
ist  Die  Ableitung  der  gekielten  Wirtelschuppen  aus  glatten 
Cycloidschuppen  ergibt  sich  aus  der  Vergleichung  der  Formen- 
reihe Diploglossus  —  Anguis  (Seitenschuppen)  —  Ophisaurns 
ventralis  (Seitenschuppen)  —  Ophisaurus  gracilis. 

Unter  den  Anguiden  macht  die  Gattung  Gerrhonoius  eine 
Ausnahme,  indem  die  gekielten  Wirtelschuppen  des  primären 
Schwanzes  auch  auf  dem  regenerirten  Schwänze  wieder  auf- 
treten. Wir  können  daraus  schliessen,  dass  diese  Gattung  oder 
deren  Stammform,  welche  in  dem  Besitze  von  vier  wohlent- 
wickelten Extremitäten  ursprünglichere  Verhältnisse  darbietet 
als  Ophisaurus,  diesen  fusslosen  Seitenzweig  zu  einer  Zeit 
abgegeben  haben  muss,  als  bei  ihr  selbst  die  Regeneration  des 
Schwanzes  noch  mit  cycloider  Beschuppung  vor  sich  ging. 

Zur  besseren  Erläuterung  der  verwandtschaftlichen  Be- 
ziehungen der  Anguiden  füge  ich  nachfolgendes  Schema  bei. 

In  der  einzigen  Gattung  der  kleinen,  den  Anguiden  nahe- 
stehenden Familie  der  Annielliden  wird  der  Schwanz,  wie  ich 
bei  Anniella  pulchra  gesehen  habe,  unverändert,  mit  glatten 
Cycloidschuppen  wie  bei  Anguis  regenerirt. 

Ferner  mag  noch  hervorgehoben  werden,  dass,  während 
Ophiodes  (aus  welcher  Gattung  ich  durch  die  Liebenswürdigkeit 
vom  Herrn  Prof.  O.  Boettger  Exemplare  von  O.  striatus  und 
O.intermedius  aus  dem  Senkenbergischen  Museum  zur  Ansicht 


138 


F.  Werner, 


erhielt)  den  Schwanz  in  wenig  verringerter  Länge  und  unver- 
änderter Form  reproducirt,  die  Blindschleiche  (Anguis  fragilis) 
in  Nieder-  und  Oberösterreich,  auf  den  istrianischen  und 
jonischen  Inseln,  wo  sie  überall  häufig  ist,  den  Schwanz  nur 
bis  zu  einer  Länge  von  höchstens  1  cm  Länge  zu  regeneriren 
im  Stande  ist,   was  ich  an  Hunderten   von  Exemplaren   zu 


Gerrhonotus-ahnWcht  Stammform  des 
wirtelschuppigen  Anguidenzweiges 


Diploglossus-öhnWcht 
Stammform 


constatiren  im  Stande  war.  Die  Beschuppungsverhältnisse  bei 
Anguis  und  Ophiodes  erinnern  sehr  an  die  von  Ophisaunis 
ventralis;  es  finden  sich,  allerdings  glatte,  Wirtelschuppen 
an  den  Seiten  des  primären,  Cycloidschuppen  auf  dem  regene- 
rirten  Schwanz;  doch  ist  der  Unterschied  hier  nicht  mehr  so 
scharf  als  bei  Ophisaurus,  da  diese  Gattungen  der  Stammform 
noch  viel  näher  stehen.  Der  neugebildete  Schwanz  der  Blind- 
schleichen bildet  einen  stumpf  kegelförmigen  Zapfen,  welcher 
auf  der  Unterseite  schwarz  pigmentirt  ist.  Ich  füge  noch  hinzu, 
dass  Renkin  (15)  die  Zahl  der  Schuppen  rund  um  den  Schwanz 
beim  regenerirten  Organ  grösser  fand  als  beim  primären;  so 
einmal  20  am  nachgewachsenen,  10  am  ursprünglichen,  ein 
anderesmal  18  an  ersterem,  12  am  letzteren. 


Schuppenbekleidung  des  regenerirten  Eidechsenschwanzes.  1 39 

VII.  Tejidae. 

Die  meisten  Arten  dieser  Gattung  besitzen  Schwänze  mit 
Wirtelschuppen  wie  unsere  Lacertiden;  sowohl  die  echten 
Tejiden,  als  auch  die  Cercosaurinen,  welche  in  ihren  extremsten 
Formen  schon  an  die  Amphisbaenen  erinnern.  Nur  eine  kleine 
Zahl  von  Formen  trägt  wie  die  Scincoiden  glatte  Cycloid- 
schuppen  auf  Rumpf,  Schwanz  und  Extremitäten,  und  diese 
Formen  wurden  früher  auch  in  der  That  als  Scincoiden  ange- 
sehen, ja  der  bedeutende  russische  Herpetolog  Alexander 
Strauch  vertrat  diese  Ansicht  auch  dann  noch,  als  Cope  und 
nach  ihm  Bou lenger  bereits  festgestellt  hatten,  dass  man  es 
hier  mit  Tejiden  zu  thun  habe,  die  bloss  durch  Convergenz,  wie 
so  manche  Geckoniden  (Teratoscincus,  Teratolepis,  GeckolepisJ 
das  vollständige  Aussehen  von  Scincoiden  erhalten  haben.  Die 
Richtigkeit  dieser  Einreihung  wurde  später  in  überraschender 
Weise  dadurch  bestätigt,  dass  Boulenger  auf  dem  nach- 
gewachsenen Schwänze  von  Gymnophthalmus  qttadrilineatus 
(vergl.  Fig.  12),  einer  dieser  cycloidschuppigen  Tejiden,  regu- 
läre Wirtelschuppen  constatiren  konnte,  wie  sie  die  Tejiden, 
besonders  die  Cercosaurinen,  normalerweise  besitzen.  Dieser 
Fall,  der  zweite  von  Boulenger  (1)  beschriebene  und  abge- 
bildete, ist  also  wieder  als  Rückschlag  zu  der  allgemein  vor- 
kommenden und  zweifellos  ursprünglichen  Tejidenbeschup- 
pung  zu  betrachten,  wie  schon  Boulenger  selbst  hervorhob. 

Es  ist  zu  erwarten,  dass  wie  bei  Gymnophthalmus  auch 
bei  dem  gleichfalls  cycloidschuppigen  Tretioscincus  bifasciatus 
am  regenerirten  Schwänze  die  Cercosaurinen -Beschuppung 
wieder  auftritt. 

Alle  wirtelschuppigen  Tejiden  dagegen  regeneriren  den 
Schwanz  mit  der  ursprünglichen  Wirtelbeschuppung,  also  ohne 
Veränderung,  geradeso  wie  die  Lacertiden  und  Gerrhosauriden. 

Vin.  Scincoidae. 

Wir  kommen  nun  zur  letzten  Gruppe  von  Eidechsen,  bei 
denen  der  regenerirte  Schwanz  in  seiner  Schuppenbekleidung 
vom  ursprünglichen  verschieden  ist,  nämlich  zu  der  grossen 


140  F.Werner, 

Familie  der  Scincoiden.  In  derselben  kommt  Regeneration  wohl 
fast  durchgehends  vor,  und  nur  die  kurz-  und  dickschwänzigen 
Arten  der  Gattungen  Tiliqua  und  Trachysaurtis,  sowie  die  mit 
einem  Greifschwanz  ausgestattete  Corneia  zehrata  der  Salo- 
mons-Inseln  machen  vielleicht  eine  Ausnahme. 

Die  gewöhnliche  und  allgemein  verbreitete  Beschuppung 
der  Scincoiden  besteht  aus  glatten  oder  mit  zwei  oder  mehr 
(bis  9)  Kielen  versehenen  Cycloidschuppen.  Die  Kiele  fehlen 
den  Embryonen,  wie  ich  bei  Mahuia- Arten  gesehen  habe, 
ungefähr  bis  zu  dem  Alter,  in  welchem  Färbung  und  Zeichnung 
erkennbar  werden.  Die  Unterseite  des  Schwanzes  besteht  stets 
aus  glatten  Cycloidschuppen,  die  gegen  die  hintere  Schwanz- 
hälfte häufig  in  breite  schilderähnliche,  in  einer  Längsreihe 
stehende  Schuppen  übergehen. 

Der  Schwanz  wird  nun  bei  den  Scincoiden  in  der  Weise  . 
regenerirt,  dass  1.  die  Schuppenkiele  der  Oberseite,  wenn  solche 
auf  dem  ursprünglichen  Schwänze  vorhanden  waren,  bei  der 
Regeneration  nicht  mehr  auftreten  (vergl.  Fig.  \0a)  und  dass 
2.  nicht  nur  auf  der  ganzen  Ventral-,  sondern  auch  auf  der 
Dorsalseite  des  neugebildeten  Schwanzes  je  eine  Längsreihe 
grosser,  quer  verbreiterter,  ungefähr  sechseckiger  Schuppen 
mit  convexem  Hinterrande  erscheinen  (Fig.  \0b  und  IIa). 

Derartige  Supracaudalschilder  sind  mir  nur  noch  von  einem 
scincoidschuppigen  Gecko,  Teratoscinctis  scincus,  bekannt,  wo 
sie  aber  auf  dem  primären  Schwänze  vorkommen  und  mit  Rück- 
sicht auf  das  ganz  isolirte  Auftreten  in  dieser  Familie  als  selb- 
ständige Bildungen  angesehen  werden  müssen.  Dagegen  fehlen 
sie  meines  Wissens  durchaus  bei  den  scincoidschuppigen  Re- 
präsentanten aller  übrigen  Eidechsenfamilien.  Diese  Regel  ist 
so  allgemein  giltig,  dass  sich  der  Satz  aufstellen  lässt:  Jede 
scincoidschuppige  Eidechse  mit  Supracaudalschildern  auf  dem 
regenerirten  Schwanz  gehört  der  Scincoidenfamilie  an. 

Diese  Supracaudalschilder  kommen  aber  bei  einigen  Scin- 
coiden, nämlich  bei  Lygosoma  cyanurum,  Sein ais- Arien,  schon 
am  primären  Schwänze  vor,  und  zwar  soll  noch  hervorgehoben 
werden,  dass  es  auch  hier  wieder  das  Schwanzende  ist,  welches 
die  mit  jener  des  regenerirten  Schwanzes  übereinstimmende 
Beschuppung  aufweist. 


Schuppenbekleidung  des  regenerirten  Eidechsenschwanzes.  141 

Diese  beiden  Thatsachen,  nämlich  das  Vorkommen  von 
Supracaudalschildern  am  primären  Schwanz  einer  Anzahl  von 
Scincoidenarten  und  das  Erscheinen  derselben  Beschuppung 
am  regenerirten  Schwänze  anderer,  nahestehender  Formen  führt 
auch  hier  wieder  zur  Anschauung,  dass  diese  Beschuppung 
mit  breiten  Supracaudalschildern  für  die  Familie  der  Scincoiden 
eine  ursprüngliche  ist  und  weist  umgekehrt  darauf  hin,  dass  es 
sich  bei  dem  regenerirten  Schwänze  um  Rückschlag  handelt. 
Dasselbe  wie  von  den  Supracaudalschildern  gilt  auch  von  den 
subcaudalen,  die  aber  am  primären  Schwanzende  weit  häufiger 
sind  als  jene. 

Eine  zweimalige  Regeneration  des  Schwanzes  habe  ich 
bei  Lygosoma  cyanurum  beobachtet  und  in  Fig.  1  \a  abgebildet; 
sie  dürfte  aber  auch  bei  anderen  Scincoiden  nicht  allzu  selten 
sein,  ist  jedoch  bei  vollständiger  Ausbildung  beider  regenerirter 
Schwanzstücke  kaum  mehr  nachweisbar. 

Sehlussbemerkungen  und  Zusammenfassung  der 
Ergebnisse  vorliegender  Arbeit. 

Es  erübrigt  noch,  auf  einige  Punkte  hinzuweisen,  welche 
einer  Aufklärung  bedürftig  wären,  um  ein  vollständiges  Bild  von 
den  Beschuppungsverhältnissen  des  regenerirten  Eidechsen- 
schwanzes zu  erhalten.  So  ist  mir  z.  B.  über  die  Reproduction 
des  Schwanzes  bei  den  Zonuriden  nicht  mehr  bekannt,  als  mir 
durch  Herrn  Boulenger  freundlichst  mitgetheilt  wurde,  näm- 
lich ihr  Vorkommen  bei  Chamaesaura  und  Psetidocordylus. 

Von  speciellem  Interesse  wäre  die  Art  der  Beschuppung 
des  regenerirten  Schwanzes  bei  allen  jenen  Eidechsen,  die 
eine  Beschuppung  des  primären  Schwanzes  aufweisen,  welche 
von  der  für  die  betreffende  Familie  typischen  abweicht.  Solche 
Eidechsen  mit  von  der  normalen  relativ  stark  verschiedenen 
Schuppenbekleidung  des  primären  Schwanzes  wären  die  Lacer- 
tidengattung  Holaspis  und  die  Lacerta  echinata^  die  Tejiden- 
gattungen  Dracaena  und  Tretioscincus,  die  Scincoiden  Tribolo- 
nottts  und  die  stachelschwänzigen  Arten  der  Gattung  Egernia, 
die  Geckonidengattungen  Teratoscincus  und  Nephrurus  nebst 
den  breitschwänzigen  Gymnodactylus- AvtQn  G.  platyitrus  und 
milinsii  u.  A. 


142  F.Werner, 

Auch  die  kleinen  Familien  der  Dibamiden,  Anelytropiden, 
Xanthusiiden  und  Xenosauriden,  über  welche  mir  bezüglich  der 
Regenerationsverhältnisse  nichts  bekannt  geworden  ist,  wären 
diesbezüglich  zu  untersuchen. 

Die  Ergebnisse  meiner  Untersuchungen  lassen  sich  in 
folgenden  Sätzen  zusammenfassen: 

1.  Die  Schuppen  des  regenerirten  Schwanzes  derjenigen 
Saurier,  welche  denselben  mit  veränderter  Beschuppung  rege- 
neriren,  sind  stets  so  beschaffen  wie  am  primären  Schwänze 
bei  den  ursprünglicheren,  phylogenetisch  ältesten  Formen  der 
betreffenden  Familien;  daher  werden  alle  neu  erworbenen,  eine 
weitergehende  Differenzirung  gegenüber  den  ursprünglicheren 
Formen  bekundenden  Bildungen,  wieTuberkelschuppen,  Kämme, 
Dornen  und  Schuppenkiele  nicht  reproducirt. 

2.  Bei  der  Regeneration  des  Schwanzes  aller  denselben  mit 
veränderter  Schuppenform  neubildender  Saurier  geht  die  etwa 
vorhandene  äussere  Segmentirung  der  Beschuppung,  sowie  die 
Entwicklung  präformirter  Bruchstellen  der  Haut  zugleich  mit 
der  Differenzirung  einer  Wirbelsäule  verloren. 

3.  In  denjenigen  Fällen,  in  denen  die  Beschuppung  des 
primären  Schwanzendes  eine  von  der  des  übrigen  Schwanzes 
abweichende  ist,  stimmt  der  secundäre  Schwanz  mit  dem  nor- 
malen Schwanzende  überein,  welches  sich  somit  in  dieser  Hin- 
sicht als  in  einem  ursprünglichen  Zustande  befindlich  erweist. 

4.  Differenzirungen  des  Schuppenkleides,  welche  am  rege- 
nerirten Schwänze  der  Eidechsen  fehlen,  wie  Tuberkelschuppen, 
Schuppenkiele  u.  dergl.,  sind  auch  bei  Embryonen  derselben 
Arten  bis  zu  einem  gewissen  Alter  nicht  nachweisbar. 

5.  Die  Regeneration  des  Schwanzes  fällt  meist  aus  oder 
ist  wenigstens  beschränkt,  wenn  derselbe  eine  specielle  Diffe- 
renzirung als  Waffe  oder  Greiforgan  erfahren  hat. 

6.  Bei  zweimaliger  Regeneration  stimmt  der  tertiäre  Schwanz 
mit  dem  secundären  vollständig  in  der  Beschuppung  überein. 

7.  Innerhalb  derselben  Familie  stimmen  die  regenerirten 
Schwänze  aller  Formen  in  der  Regel  miteinander  bezüglich  der 
Beschuppung  überein. 


Schuppenbekleidung  des  regenerirten  Eidechsenschwanzes.  143 


Verzeichniss  der  benützten  Literatur. 


(1)  Boul enger,  On  the  Scaling  of  the  reproduced  tail  in  Lizards 

(Proc.  Zool.  Soc.  London,  1888,  p.  351). 

(2)  —  Catalogue  of  Lizards  in  the  Collection  of  the  British 
Museum,  London  1885—1887. 

(3)  --  Über  Iguana  tuberculata  (Proc.  Zool.  Soc.  London, 
1891,  p.  466). 

(4)  Burnett,  Über  Ophisaurus  ventralis  (Proc.  Boston  Soc.  IV, 

p.  229  (1853). 

(5)  Darwin,    Variiren   der  Thiere  und  Pflanzen  etc.   II.  Bd. 

3.  Aufl.,  1878,  S.  313  (übers,  von  Carus). 

(6)  Fischer,  J.  v.,  Der  Leguan  (Iguana  tuberculata  Lau r.)  in 

Gefangenschaft  (Zoolog.  Garten,  1882,  S.  237). 

(7)  Frais se.  Die  Regeneration  von  Geweben  und  Organen  bei 

den  Wirbelthieren,  besonders  Amphibien  und  Reptilien. 
Cassel  und  Berlin,  1885. 

(8)  —  Neue  Beobachtungen  über  Regeneration  (Biolog.  Cen- 
tralblatt,  15/2  1883,  Nr.  20,  S.  625). 

(9)  Gachet,  Memoire  sur  la  reproduction  de  la  queue  des 

reptiles  sauriens  (Actes  de  la  Societe  Linneenne  de  Bor- 
deaux Nr.  36,  25  juillet  1834). 
(9a)  Hyrtl,   Über   normale   Quertheilung   der   Saurierwirbel 
(Sitzungsber.  der  Akad.  der  Wissensch.  Wien,  Bd.  4,  1853, 
S.  185). 

(10)  Kerbert,  Über  die  Haut  der  Reptilien  und  anderer  Wirbel- 
thiere  (Archiv  für  mikroskop.  Anatomie,  Bd.  XIII,  S.  205, 
1876). 

(11)  Leydig,  Die  in  Deutschland  lebenden  Arten  der  Saurier. 
Tübingen,  1872. 

(12)  Lydekker,  Cat.  Foss.  Rept.  a.  Batr.  Brit.  Mus.  (Nat.  Hist.) 
Bd.  I,  p.  278. 

(13)  Müller  Fritz,  Haeckel's  biogenet.  Grundgesetz  bei  der 
Neubildung  verlorener  Glieder  (Kosmos,  Bd.  VIII,  S.  388). 


144 


F.  Werner, 


(14)  Müller  H.,  Über  Regeneration  der  Wirbelsäule  und  des 
Rückenmarkes  bei  Tritonen  und  Eidechsen  (Gratulations- 
schrift der  phys.-med.  Gesellsch.  in  Würzburg  zu  der 
Jubelfeier  der  Senkenberg.  Gesellsch.  in  Frankfurt  a.  M., 
1864). 

(15)  Renkin,  On  the  structure  and  habits  of  the  slow-worms 
(Anguis  fragilis  Linn.)  (Edinburgh  new  Philosophical  Jour- 
nal, Vol.  V,  new  Series,  1857). 

(16)  Schreiber,  Über  den  Rippenmolch,  Pleurodeles  Waltlii 
Michals.  (Zool.  Garten,  1878,  S.  325,  Anm.). 

(17)  —     Herpetologia  Europaea,  Braunschweig,  1875. 

(18)  Weismann,  Das  Keimplasma,  eine  Theorie  der  Ver- 
erbung. Jena  1892. 


Verzeichniss  der  untersuchten  Arten. 

(Nur  regenerirende  sind  hier  aufgeführt.) 


Rhynchocephalia. 

Sphenodon  ( Hatten a) punctatns  Gray 

Sauria. 
I.  Geckonidae. 

Gymnodactyltis  rtissowii  Strauch 
»  pulchellus  Gray 

»  Kotschyi  S  t  d  c  h  r. 

Gonatodes  marmoratus  Bedd. 
»         africanus  Werner 
Phyllodactylus  clisae  Werner 
»  stumpffii  Bttgr. 

»  galapagcnsis 

DiplodactyUts  strophurus  D.  ß. 

>  vittattis  Gray 

Ptyodttciyltis  lohatus  G  e  o  f  f r. 
Hemidaciyltts  Jrenattis  DB. 

*  fasciatiis  Gray 

»  ittrcicus  L. 

»  brookii  Gray 


Hemidactylus  ghaäowii  M  u  r  r  a  y 

persictis  And. 

maculatus  DB. 

triedrus  Daud. 

leschenauUii  DB. 

giganlcns  Stoi. 

coctaei  DB. 

sinaitus  Blngr. 

bowringii  Gray 

platyurus  Sehn. 
Thecadaclylns  rapicaudns  Houtl. 
Gehyra  mtitilala  Wie  gm. 

>      oceanica  Less. 
Lepidodactylus  cyclunis  Gthr. 
Hoplodactylus  pacificHS  Gray 

»  granulatus  Gray 

Gecko  verlicillatus  Säur. 
»      inonarchus  DB. 
»      vittatus  Houtt. 
Ptychozoon  homalocephalttm  Crev. 
Geckolcpis  mactilaia  Ptrs. 
Tarentola  maitritanica  L. 


Schuppenbekleidung  des  regenerirten  Eidechsenschwanzes.  14o 


Tareniola  annularis  G  e  o  ffr. 
>         delaJandii  DB. 
»         gigas  Boc. 

n.  Eublepharidae. 

Eublepharis  macularius  B 1  y  t  h 

m.  Uroplatidae. 
Uroplatcs  fimbriatus  Sohn. 

IV.  Pygopodidae. 

Pygopus  lepidopus  Lac. 
Lialis  burtoni  Gray 

V.  Agamidae. 

Agama  siellio  L. 

VI.  Iguanidae. 
Änolis  trossulus  Cope 
Liolaemus  nitidus  W  i  e  g  m. 

»  chilensis  Less. 

»  lemniscatus  Gravh. 

>         cyanogasUr  DB. 

»         fitzingeri  DB. 

»  /<;«tt/5  DB. 

Liocephalus  Guentheri  B 1  n  g  r. 
Tropidurus  pcruvianus  Less. 

»  iorquatus  W  i  e  d . 

»  hispidus  S  p  i  X 

Uraniscodon  unibra  L. 
Brachylophus  fasciatus  B  r o  n  g  n. 
Cienosaura  acanthura  Shaw. 
Dtpsosaurus  dorsalis  BG. 
SceUporus  scalaris  W  i  e  g  m. 


Sceleporus  nndulatus  Dand. 
»  acanthin W5  B  o  c  o  u  r  t 

VII.  Anguidae. 

Gerrhonoius  coendeus  W  i  e  g  m. 
Diplodactylus  striatus  Gray 
Ophisäurtts  ventralis  L. 
Opkiodes  striatus  S  p  i  x 

»         intermedius  Bttgr. 
Anguis  fragilis  L. 

VUI.  Anniellidae. 

Anniella pulchra  Gray 

IX.  Lacertidae,  X.  Tejidae  und 
XI.  Gerrhosauridae. 

Zahlreiche  Arten  aus  zusammen 
20  Gattungen  untersucht. 

XII.  Scincoidae. 

Mabuia  perroteii  DB. 
»       carinata  Sehn. 
>        multifasciata  Kühl  etc. 
Lygosoma  cyanurum  Less.  u.  v.  a. 
Ckalcidcs  ocellatus  Forsk. 
»        sepoides  And. 
•        tridactylus  Leiur, 
»        mionccton  Bttgr.  etc. 
Eumeces  Schneideri  Daud. 
»        marginatus  Hall. 
Scincus  fasciatus  Ptrs. 
»       officinalis  Laur. 
»       muscatensis  Murray 
Ablepharus  pannonicus  Fitz. 


Tafel-Erklärung. 


Tafel  I. 

Fig.  1.     Schwanz  von  Ptychozoon  homalocephalum  (Java)  zur  Hälfte  regenerirt 
(von  oben). 
»    2.     Schwanz  von  Gecko  verticillatus  (Java)  grösstentheils  regenerirt  (von 
oben). 
Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Cl. ;  CV.  Bd.,  Abth.  L  1 0 


146      F.  Werner,  Schuppenbekleid.  des  regen.  Eidechsenschwanzes. 

Fig.  2  a.  Primäres  Schwanzende  derselben  Art. 

»  3.  Schwanz  von  Phyllodactylus  galapagensis  zweimal  regenerirt  (von 
oben). 

»  4.  Schwanz  von  Hemidaciyttis  platyurus  (Cambodja)  zur  Hälfte  regene- 
rirt. Man  sieht  die  präformirten  Bruchstellen  am  primären  Schwanz 
(von  oben). 

»    5.     Schwanz  von  Pygopus' Upidopus  (Australien)  regenerirt  (von  oben). 

»6.  »  »    Agama  stdlio  (Griechenland)  >  »        » 

>  7.  *  »    Brachylophiis  fasciatus  (Fidji-Inseln)  regenerirt  (von  der 

Seite). 

Tafel  II. 

Fig.  8.     Schwanz  von  Liocephalus  Guenthcri  (Ecuador)  regenerirt  (von   der 

Seite). 
»    9.     Schwanz  von  Ophisaurus  ventraJis  (Nordamerika)  regenerirt  (von  der 

Seite). 
»  10/?.  Schwanz  von  Mabuia  multifasciata  (Java)  regenerirt  (von  oben). 

>  \0b,         »  »  »  »  >  »  (von  unten). 
»10c.  Normales  Schwanzende  von  Mabuia  mnlU/asciata  (Java)  (von  oben). 

>  lOd.  »  »  »  »  »  »       (von  unten). 
»  1  \a.  Schwanz  von  Lygosoma  cyanitrum  (Amboina)  zweimal  regenerirt  (von 

oben). 

*  Wh,  Normale  hintere  Schwanzhälfte  von  Lygosoma  cyanurum  (Amboina) 
(von  oben). 

»  12.  Schwanz  von  Gymnophthalmus  quadrilineatus  regenerirt  (nach  der 
Abbildung  von  Boulenger). 

»  13.  Doppelter  Schuppenwirtel  des  Schwanzes  von  Lacerta  viridis  (Seg- 
ment, enthaltend  die  hintere  Hälfte  eines  Wirbels,  von  der  präformirten 
Bruchstelle  an  und  die  vordere  Hälfte  des  darauffolgenden  Wirbels  bis 
zur  präformirten  Bruchstelle.  Bs  präformirte  Bruchstelle  der  Wirbel, 
M  Muskelzapfen,  5  die  zu  zwei  Muskeln  gehörige  Sehne. 

B  bedeutet  bei  allen  Figuren  die  Bruchstelle  des  Schwanzes,  woran  sich 
der  regenerirte  Schwanz  ansetzt. 


F.  Werner .  Schuppenbekldg.  d.re|eiier. Eidechsen  Schwanzes .       T«f.  L 


-iB. 


'.    2B 


\      kaXDtiäi  LiOi  Allst  r.TKB«ini«rmrfli.vr\fn 

Sitzungsberichte  d.kais.  Akad.  d.  Wiss.,  matb.-naturw.Qasse^Bd.CV.  Abth.I.  1896. 


F.Wemer :  SchuppenbeWdg.  d.regener. Eidechsen  Schwanzes .       Taf  n. 

8  lltf  9 


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10. 


B 


'    12. 


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^tor  dd  Lttti  Aatt  r.Th.B«nn«rariK.vn«n 

Sitzungsberichte  d.kais.  Akad.  d.Wiss.,  math.-naturw.Clas8e,Bd.CV.  Abth.1. 1896. 


147 


Geomorphologisehe  Beobachtungen  aus 
Norwegen 


Dr.  Eduard  Richter, 

o.  ö.  Professor  der  Geographie  an  der  k.  k.  Universität  in  Graz. 
(Mit  2  Tafeln  und  2  Textfiguren.) 

Die  gegenwärtige  Landoberfläche  Skandinaviens  hat  mit 
der  ursprünglichen  Begrenzungsfläche  der  gefalteten  und  ge- 
hobenen Massen,  aus  denen  das  Land  aufgebaut  ist,  nichts 
mehr  gemeinsam.  Ungeheure  Mengen  festen  Materiales  sind 
durch  die  denudirenden  Kräfte  entfernt  worden.  Selbst  die 
Gesteine  der  höchsten  Gipfel  des  Landes  zeigen  Spuren  einer 
Druckmetamorphose,  welche  auf  das  Vorhandensein  mächtiger, 
einst  überlagernder  Schichtfolgen  schliessen  lassen;  Brögger 
hält  es  nicht  für  unmöglich,  dass  eine  5000  — 10.000  w  dicke 
Gesteinsschicht  entfernt  worden  ist;  ^  sicherlich  ist  der  jetzige 
Gebirgskörper  nur  ein  Rest  einstiger  weit  mächtigerer  Massen. 

Die  heutige  Landoberfläche  ist  also  eine  Denudations- 
Oäche;  die  Formen,  denen  wir  begegnen,  sind  Erzeugnisse  der 
abtragenden  Kräfte.  Die  tektonischen  Vorgänge  einer  längst 
verflossenen  Zeit  sind  für  sie  nur  insofern  massgebend,  als 
bestimmte  Gesteinsfolgen  dadurch  an  bestimmte  Örtlichkeiten 
gebracht  worden  sind.  Für  die  relative  Höhe  der  einzelnen 
Theile  der  Oberfläche  und  für  die  darnach  sich  ergebenden 
Formen  ist  vor  Allem  die  verschiedene  Härte  und  Wider- 
standskraft der  verschiedenen  Gesteine  massgebend  gewesen. 
Tektonische  Vorgänge  haben  die  Gesteine  in  bestimmte  Lagen 


1  W,  C.   Brögger,    Lagfölgen   paa   Hardangervidda.    Kristiania,    1893, 
S.  118. 

10* 


148  E.Richter, 

gebracht;  da  der  Widerstand  dieser  Gesteine  gegenüber  dem 
über  sie  hingehenden  Hobel  der  Denudation  nicht  der  gleiche 
war  und  das  Werkzeug  selbst  nicht  überall  in  gleicher  Weise 
wirkte,  so  ist  die  abgehobelte  Fläche  nicht  ganz  eben,  und 
insofern  kommt  die  Tektonik  zu  einer  gewissen  Bedeutung. 

Will  man  eine  einzelne  Form,  den  Bau  einer  Örtlichkeit 
erklären,  so  wird  man  die  Untersuchung  der  Tektonik    nicht 
entbehren  können.   Man   kann   aber  die  Sache   auch  anders 
anfassen.  Die  verschiedenen  denudirenden  Kräfte  lassen    ver- 
schiedene ihrer  Eigenart  entsprechende  Spuren  zurück;    die 
Wirkungen  der  fliessenden  Gewässer,  der  Gletscher,  der  Ver- 
witterung sind  als  solche  ziemlich  genau  erkennbar  und  ver- 
ständlich. Diese  Spuren  werden  von  dem  Materiale,  in  das  sie 
eingegraben  sind,  nicht  allzu  sehr  beeinflusst;   sie  behalten 
gewisse  Züge  unter  allen  Umständen  bei.  Besonders  die   kry- 
stallinischen  Gesteine,  seien  sie  plutonisch  oder  jüngere  um- 
gewandelte   Schichtfolgen    oder   welchen   Ursprungs    immer, 
bewahren  stets  ein  gleichmässiges  Verhalten  gegenüber  der 
Denudation.  Ihnen  stehen  die  kalkigen,  meist  geschichteten 
Gesteine  ohne  Rücksicht  auf  ihr  geologisches  Alter  als  Erzeuger 
einer  zweiten  Formengruppe  gegenüber,  die  in  wesentlichen 
Zügen  von  der  ersten  abweicht. 

In  Norwegen  sind  nur  die  krystallinischen  Gesteine  für 
die  Physiognomie  des  Landes  massgebend.  Deshalb  wieder- 
holen sich  auch  im  ganzen  Lande  mit  Ausnahme  des  Lofoten- 
gebietes  die  Formen  der  Oberfläche  in  einer  sehr  auffallenden 
Weise;  das  Land  hat  einen  durchaus  einheitlichen  Charakter. 
Daher  die  Landschaft  von  dem  Einen  monoton,  von  dem  Andern 
als  stylvoll  empfunden  wird. 

Dem  Studium  dieser  allgemein  herrschenden,  sich  so  oft 
wiederholenden  Formen  der  Denudation  in  den  norwegischen 
Gebirgen  war  eine  Reise  gewidmet,  die  ich  mit  Unterstützung 
der  kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften  —  der  ich  hiemit 
meinen  ergebensten  Dank  ausspreche  —  unternehmen 
konnte.  Sie  führte  mich  durch  die  Gegenden  am  Hardanger-, 
Sogne-  und  Nordfjord,  durch  Jotunheim  und  das  Fjeldgebiet 
an  der  oberen  Otta  nach  Trondheim  und  bis  zu  der  gross- 
artigen Inselreihe  der  Lofoten. 


.^.j 


Geomorphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen.  1 49 

Es  soll  im  Folgenden  versucht  werden,  einige  Beobach- 
tungen über  die  Bedeutung  und  die  Aufeinanderfolge  der  herr- 
schenden Denudationsformen  darzulegen.  Auf  die  bekannten 
Thatsachen  der  norwegischen  Geologie  und  die  älteren  Dis- 
cussionen,  an  denen  sie  so  reich  ist,  einzugehen,  habe  ich  keine 
Veranlassung. 

Der  auffallendste  Zug  im  landschaftlichen  Charakter  Nor- 
wegens ist  der  schroffe  Gegensatz  zwischen  Fjord-  und  Fjeld- 
landschaft.  Dort  die  energischesten  Erosionsformen,  die  man 
sehen  kann,  tiefe  Thalspalten,  hohe  und  steile  Wände,  sehr 
grosse  Neigungswinkel;  hier  eine  flachwellige  Berg-  oder  Hügel- 
landschaft von  ganz  entgegengesetztem  Styl,  breite  Thäler,  noch 
breitere  Rücken,  alles  ruhig,  langgedehnt  und  einförmig. 

Die  Fjeldthäler, 

Thal  und  Berg  tragen  auf  der  norwegischen  Hochfläche 
in  gleicher  Weise  die  Spuren  einer  überaus  machtvollen  Eis- 
wirkung an  sich.  Sind  die  Berge  gerundet,  so  sind  die  Thäler 
muldenartig  ausgeschliffen  und  ihres  regelmässigen  Gefälles 
beraubt;  zahlreiche  langgestreckte  Thalseen  folgen  fast  ununter- 
brochen auf  einander,  durch  Kaskaden  mit  einander  verbunden. 
Je  höher  die  Lage  des  betreffenden  Thalstückes  ist  und  je  näher 
der  Wasserscheide  es  liegt,  desto  ausgesprochener  sind  diese 
Züge.  Fertige  Flussstücke  von  normaler,  den  hydrographischen 
Gesetzen  entsprechender  Beschaffenheit  findet  man  auf  der 
Höhe  des  Fjeldes  so  gut  als  gar  nicht.  Sie  treten  erst  viel 
weiter  thalabwärts  auf.  Dafür  sind  blinde  Thäler  und  Thal- 
wasserscheiden häufig. 

Hier  ist  die  wahre  Glaciallandschaft;  hier  kann  man  sehen, 
was  das  Eis  vermag  und  wie  es  wirkt.  Darnach  kann  man 
die  weniger  sicheren  oder  ganz  zweifelhaften  Eiswirkungen  in 
anderen  Theilen  Europas,  besonders  in  den  Alpen  beurtheilen 
und  kritisiren.  Hier  ist  die  Eiswirkung  so  deutlich,  dass  nur  der 
Umstand  fraglich  bleibt,  was  von  den  jetzt  erkennbaren  Formen 
noch  präglacial  ist.  Dass  die  glaciale  Abnützung  gross  genug 
war,  um  die  Oberfläche  wesentlich  umzugestalten,  scheint  nicht 
zu  bezweifeln.  Dafür  ist  der  zwingendste  Beweis  der  Bestand 
der   zahllosen   tiefen.  Felsbecken,   in    denen   sich  jetzt  Seen 


150  E.Richter, 

befinden.  Wenn  man  auch  mit  Drygalski^  und  Fugger 
annimmt,  dass  der  Gletscher  nur  dort  Seebecken  auszuschleifen 
vermag,  wo  die  Verwitterung  entsprechend  vorgearbeitet  hat, 
so  bleibt  doch  auch  bei  solcher  Auffassung  noch  die  Vor- 
stellung einer  ungeheuren  Wucht  und  Macht  der  eiszeitlichen 
Firnbewegung  und  einer  Wirkung  auf  den  Untergrund  bestehen, 
die  alles  weit  hinter  sich  lässt,  was  die  heutigen  und  auch  die 
eiszeitlichen  Alpengletscher  vermochten.  Die  Seebecken  der 
Fjeldlandschaft  wird  man  nur  der  Eisarbeit  zuschreiben 
können. 

Denkt  man  sich  einen  Untergrund  von  local  ungleicher 
Härte  und  Widerstandskraft  durch  lange  Zeit  der  Einwirkung 
einer  sich  bewegenden  Eislast  ausgesetzt,  so  wird  das  Ergab- 
niss  ein  Relief  sein,  welches  ausschliesslich  dem  Entgegen- 
wirken dieser  zwei  Factoren,  der  Gesteinshärte  und  der  Eis- 
bewegung entspricht:  die  härteren  Partien  des  Gesteines  aus  den 
weicheren  herausgeschält;  sich  treffende  und  wieder  trennende 
breite  thalähnliche  Mulden  und  Vertiefungen  um  die  härteren 
Bodenpartien,  die  als  Hügel  emporragen,  sich  herumschlingend; 
das  Ganze  geneigt  in  der  Richtung  des  allgemeinen  Eisabflusses. 
Nach  Verschwinden  des  Eises  müsste  ein  solches  Oberflächen- 
stück zu  einem  sehr  grossen  Theile  seiner  Fläche  mit  Binnen- 
seen bedeckt  sein;  das  System  der  Entwässerung  wäre  unge- 
mein complicirt,  die  Wasserscheiden  wären  höchst  verwickelt, 
Gabelungen  und  Wasserfälle  häufig. 

Ohne  Zweifel  entsprechen  gewisse  enger  umschriebene 
Partien  des  norwegischen  Fjeldes  ziemlich  genau  diesem 
speculativ  abgeleiteten  Bilde  der  echten  Gletscherboden-Land- 
schaft; so  z.  B.  das  Sogne-  oder  Dölefjord  in  der  Umgebung 
des  Praestesteinvand,  in  gewissem  Grade  wahrscheinlich  auch 
Hardangervidden;  leider  konnte  der  Verfasser  diesen  inter- 
essanten Landstrich  wegen  andauernden  schlechten  Wetters 
nicht  besuchen. 

Im  Ganzen  und  Grossen  wäre  es  aber  doch  unrichtig,  die 
Oberfläche  des  ganzen  norwegischen  Fjeldes  nur  als  glaciale 


1  Ein  typisches  Fjordthal.  Richthofen-Festschrift. 

2  Die  Entstehung  der  Gebirgsseen.  Mitth.  der  Wiener  Geogr.  Ges.,  1896. 


Geomorphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen.  151 

Denudations-  oder  Abarasionsplatte  aufzufassen.  Ein  prägla- 
ciales  Thalsystem,  das  in  der  Hauptsache  mit  dem  heutigen 
zusammenfallt,  ist  unverkennbar.  Das  sieht  man  z.  B.  im  Fluss- 
gebiet der  oberen  Otta  ganz  deutlich.  Die  Thäler  tragen  zwar 
noch  heute  den  glacialen  Charakter  in  hohem  Grade  an  sich; 
sie  sind  aber  doch  präglacial,  und  zwar  deshalb,  weil  sie  nach 
hydrographischen  Gesetzen  angeordnet  sind.  Zeichnet  man  das 
Flussnetz  jenes  Gebietes  ohne  Terrain,  so  sieht  man  ein  ganz 
reguläres  hydrographisches  Netz,  an  dem  keine  Störung  durch 
eine  fremde,  unhydrographisch  wirkende  Kraft  zu  bemerken 
ist.  Verrathen  doch  sonst  sofort  die  blossen  Linien  der  Fluss- 
läufe derartige  Störungen,  wie  die  geknickten  Flussthäler  im 
Faltensystem  des  Jura  oder  die  rücklaufenden  Bäche  in  den 
Centraldepressionen  der  eiszeitlichen  Gletscher  auf  dem  Alpen- 
vorlande.  Postglacial  kann  dieses  Thalsystem  nicht  sein,  denn 
die  Thäler  sind  glacial  verwandelt,  das  frühere  Gefälle  ist 
durch  Aufdämmungen  und  Auskolkung  gestört;  es  kann  aber 
auch  nicht  rein  glacial  sein,  weil  es  dann  gar  keine  Ähnlichkeit 
mit  einem  regulären  Flussnetz  besässe.  Ein  solches  ist  aber  als 
Grundriss  des  jetzigen  Entwässerungssystems  durchwegs  vor- 
handen. 

Auch  die  allgemeine  Abdachung  steht  mit  der  Flussrichtung 
des  Eises  in  Widerspruch.  Es  ist  wohl  nicht  zweifelhaft,  dass  die 
Eisscheide  östlich  von  der  jetzigen  Wasserscheide  gelegen  hat, 
dass  also  die  Eismassen  auf  dem  Räume  zwischen  den  beiden 
Scheiden  sich  nach  Westen  bewegt  haben,  während  die  Ent- 
wässerung gegenwärtig  in  der  Richtung  nach  Osten  und*  Süd- 
osten erfolgt.  Die  Thäler  dieses  Landstriches  sind  also  prä- 
glacial und  haben  sich  gegen  die  Stossrichtung  des  Eises 
erhalten. 

Veränderungen  des  präglacialen  Thalsystems  durch  die 
Eisüberlagerung  haben  ohne  Zweifel  in  nicht  geringer  Zahl 
stattgefunden.  Dafür  zeugen  Doppelthäler,  wasserlose  Thal- 
stücke und  ähnliche  Erscheinungen,  von  welchen  Härtung^ 
einige  zusammengestellt  hat.  Deutliche  Spuren  grossartiger 
Aufdämmungen  glaube  ich  im  östlichen  Theile  von  Jotunheim 


1  Berliner  Zeitschr.  für  Erdkunde,  XIII. 


152  E.Richter, 

wahrgenommen  zu  haben;  im  Ganzen  und  Grossen  folgen  aber 
die  norwegischen  Flüsse  doch  den  Spuren  ihrer  präglacialen 
Vorgänger. 

Gegenwärtig  arbeiten  die  Bäche  und  Flüsse  an  der  Zer- 
störung des  glacialen  Charakters  der  Landschaft.  Wenn  man 
aber  bemerkt,  wie  wenig  loses  Material  hier  zur  Ausfüllung  der 
Seen  und  Ausschleifung  der  Thalriegel  zur  Verfügung  steht, 
wie  die  Bäche  und  Flüsse  krystallhell  über  die  Gneissplatten 
hinschiessen,  die  von  eherner  Glätte  und  Festigkeit  zu  sein 
scheinen,  so  begreift  man,  weshalb  die  Eisspuren  hier  noch  so 
frisch  erscheinen. 

Auch  die  Thalgehänge  zeigen  ein  ganz  anderes  Aussehen 
als  in  solchen  Gebirgen,  die  vorwiegend  vom  fliessenden  Wasser 
modellirt  sind.  Während  dort  die  Thalwände  grösserer  Thäier 
eigentlich  nur  aus  den  coulissenartig  vorspringenden  Berg- 
körpern bestehen,  die  die  Seitenthäler  nächst  niedrigerer  Ord- 
nung von  einander  trennen,  sind  hier  die  Wände  der  glacialen 
Trogthäler  auf  Stunden  hin  ganz  ungegliedert  und  ungefurcht; 
die  Thäier  sind  flache  Halbcylinder  ohne  Einmündung  von 
Seitenbächen;  die  Bäche  des  hohen  Fjeldes  gleiten,  ohne  bisher 
merkliche  Furchen  eingegraben  zu  haben,  das  Gehänge  herab. 

Kahre  (oder  Botner)  der  Fjeldlandschaft. 

An  diesen  Thalwänden  fehlen  auch  die  Kahre,  oder  was 
an  sie  erinnern  könnte,  gänzlich. 

Kahre  oder  Botner  treten  erst  um  eine  Stufe  höher  auf:  an 
den  Rücken  und  Kuppen,  die  aus  der  Fläche  des  hohen  Fjeldes 
hervorragen;  oberhalb  der  Vegetationsgrenze,  nahe  der  Schnee- 
grenze oder  ober  ihr. 

Von  der  bekannten  Skys-Station  Grotlid,  an  der  oberen 
Otta,  wo  sich  die  Wege  zum  Stryinsee  und  zum  Geirangerfjord 
theilen,  hoch  in  ödem,  weitem  Fjeldthal  gelegen,  hat  man  gerade 
im  Süden  vor  sich  den  befirnten  Rücken  der  Skridulaupe.  Der 
höchste  Rücken  ist  mit  Firn  bedeckt,  zu  ihm  steigt  das  Gehänge 
vom  Ottathale  aus  mit  sehr  geringer  Neigung  und  schwach  aus- 
geprägten Stufen  an.  Nur  die  letzte  Stufe  ist  schärfer  markirt; 
hier  liegt  eine  Reihe  kleiner  Kahre  neben  einander.  Bei  dem 
ersten  dieser  Kahre  ist  eine  dunkle  Felswand  von  ziemlicher 


Geomorphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen. 


153 


Steilheit  sichtbar.  Sie  bildet  eine  Nische  in  dem  abgerundeten 
Bergkörper;  links  und  rechts  von  ihr  fliesst  der  Firn  über  das 
weniger  steile  Gehänge  herab;  am  Boden  der  Nische  liegt  ein 
kleiner  Gletscher;  Moränen  ziehen  sich  zangenförmig  von  den 
äusseren  Ecken  der  Nische  um  den  Gletscher  herum.  Oben  am 
Rande  der  Felswand  bricht  der  Firn  stellenweise  steil  ab;  gerade 
dort,  wo  die  Wand  am  höchsten  ist,  aber  liegt  überhaupt  kein 
Firn;  er  ist  offenbar  weggeblasen;  eine  vereinzelte  Schneewehe 
hängt  über  die  steile  Kahrwand.  Diese  ist  ganz  frisch  im  Bruch; 
sie  trägt  keine  Spur  von  Eisschliff,  was  in  diesem  Lande  eine 
ebenso  seltene,  als  auffallende  Erscheinung  ist  (Fig.  1). 


Fig.  1.  Botn  an  der  Skridulaupe. 


So  sehen  die  Kahre  oder  Botner  an  der  Skridulaupe  aus, 
deren  mehrere  neben  einander  liegen;  die  Beschreibung  passt 
aber  auf  zahlreiche  andere  auf  allen  diesen  Bergen,  z.  B.  am 
Fanaraaken,  am  Snehättan  und  vielen  anderen. 

Am  schönsten  entwickelt  sind  die  zwei  Kahre  des  Gald- 
höpig  (2560  m)y  der  nördliche  und  südliche  Kjedel  (Kessel). 
Der  Zug  des  Galdhöpig  ist  ein  Fjeldstück,  das  westlich  durch 
das  Leiradal,  östlich  durch  das  Visdal  begrenzt  ist.  Die  beiden 
Thäler  vereinigen  sich  im  Norden  bei  Rödsheim  in  einer  Meeres- 
höhe von  549  m,  im  Süden  sind  sie  durch  eine  Thalwasser- 
scheide, die  ungefähr  1500  m  hoch  liegt,  verbunden,  so  dass 
eigentlich  eine  Thalfurche  um  den  ganzen  Stock  herumführt. 
Trotzdem  hier  die  höchste  Erhebung  von  Skandinavien  vor- 
liegt, hat  der  Galdhöpigzug  doch  vollkommen  den  Charakter 
eines  Fjeldstückes,  wie  sie  sonst  in  jenem  Theile  des  Landes 
vorherrschen.    Er   ist    nur   wegen    seiner   grösseren  Höhe    in 


154  E.Richter, 

höherem  Grade  von  Kahren  angeschnitten,  so  dass  sich  die 
Gipfel  als  mehr  oder  wenig  schmale  Rücken' darstellen,  die 
zwischen  den  Kahren  stehen  geblieben  sind.  Nirgends  aber  — 
etwa  mit  Ausnahme  der  Tverbottenhömer  ganz  im  Süden  der 
Gruppe  —  ist  die  Zerstörung  so  weit  gediehen,  dass  es  zur 
Bildung  wirklicher  scharfkantiger  Grate  gekommen  wäre.  Auch 
der  Galdhöpig  selbst  ist  ein  gerundetes  Fjeldstück,  das  einst  so 
gut  wie  seine  Umgebung  unter  dem  Eise  begraben  war.  Gegen 
Norden  hin  trägt  der  Zug  ausgedehnte,  gerundete  Fjeldflächen 
von  fast  völliger  Ebenheit,  die  sogenannte  Galdhö.  Hier  liegt 
der  nördliche  Kjedel.  Ein  runder,  flach  ansteigender  Kopf  erhebt 
sich  auf  einer  Basis  von  etwa  1920  tw  bis  2226  w.  An  seiner 
Ostseite  ist  aus  ihm  ein  steilwandiges  halbes  Felsamphitheater, 
eine  grosse  Nische  ausgebrochen.  Es  ist  ein  fast  vollständiger 
Halbkreis,  dessen  Radius  ungefähr  500  m  betragen  wird.  Die 
Höhe  der  Wand  misst  dort,  wo  diese  am  höchsten  ist,  also  im 
Hintergrund  der  Nische,  etwa  200  m.  Gegen  beide  Seiten  wird 
die  Wand  niedriger,  denn  der  Mittelpunkt  des  Halbkreises  liegt 
ziemlich  genau  in  der  Peripherie  der  angeschnittenen  Fels- 
calotte.  Wo  die  Wand  aufhört,  schliessen  sich  Moränenwälle 
an  und  umfangen  einen  kleinen  Gletscher,  der  den  Nischen- 
boden bedeckt  und  aus  ihm  noch  etwas  hervortritt.  Sein  Ende 
liegt  in  einem  See,  dem  Juvvand;  hier  bricht  das  Eis  ab.*  Der 
oberste  Rand  des  Amphitheaters  ist  nicht  von  Firn  überlagert; 
auf  den  Gehängen,  welche  sich  links  und  rechts  neben  ihm 
herabziehen,  liegt  Firn,  der  aber  nur  an  einer  Stelle  im  Süden 
über  die  Wand  hinab  abbricht. 

Der  See,  in  dem  der  Gletscher  (Vetlejuvbrae  ist  sein  Name) 
endigt,  hat  keinen  sichtbaren  Abfluss.  Keine  Abflussrinne,  nicht 
die  geringste  Furche  ist  zu  sehen;  der  Kjedel  ist  auch  nicht 
für  die  kleinste  Rille  im  Thalgehänge  ein  Wurzelpunkt;  seiner 
Öffnung  liegt  eine  fast  ebene  Fläche  vor,  die  sich  erst  einen 
Kilometer  weiter  östlich  allmälig  zum  Visdal  absenkt. 

Daraus  ergeben  sich  die  wichtigsten  Folgerungen  für  die 
Entstehung  dieser  merkwürdigen  Bildung.  Auf  Wirkung  des 


1  Siehe  Fig.  2,  ferner  Querschnitt  und  Karte  in  Oyen,  Isbraestudier  i 
Jotunheimen,  Nyt  Magazin,  1892.  Besser  ist  aber  die  Situation  auf  dem  Blatt 
Galdhöpig  der  Rektangelkarte  ersichtlich. 


Geomorphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen.  1  5d 

fliessenden  Gewässers  kann  sie  nicht  zurückgeführt  werden. 
In  dieser  Höhe  gibt  es  überhaupt  kein  regelmässig  fliessendes 
Wasser  mehr,  es  gibt  ja  auch  keine  Bachgerinhe.  Wasser- 
wirkung ist  hier  bei  mehr  als  2000  m  Höhe  ausgeschlossen. 
Dafür  ist  das  ebene  Vorland  ohne  jede  Wasserfurche  ein 
schlagender  Beweis» 

Aber  auch  Gletscherwirkung  in  dem  gewöhnlichen  Sinne 
der  Ausschleifung  ist  hier  ausgeschlossen.  Selbst  wenn  man 
geneigt  ist,  dem  fliessenden  Eise  grosse  Wirkungen  zuzu- 
schreiben, wird  man  doch  die  Ausbildung  der  Hinterwand 
eines  solchen  Kahres  nicht  dieser  Kraft  zuschreiben  können. 
Denn  hier  ist  gegenwärtig  gar  kein  Eis  wirksam;  oberhalb 
der  Kahrwand  befindet  sich  ja  schneefreier  Boden.  Der  kleine 
Gletscher,  der  jetzt  im  Kahrboden  liegt,  kann  nur  auf  seinen 
Grund  erodirend  wirken;  eine  directe  Bearbeitung  der  Rück- 
wand ist  schon  dadurch  ausgeschlossen,  dass  er  durch  einen 
Bergschrund  von  ihr  getrennt  ist,  und  dass  er  sich  seiner 
Bewegungsrichtung  zufolge  von  ihr  entfernt. 

Selbst  wenn  oberhalb  der  Nische  ein  Firnlager  vorhanden 
wäre,  was  nicht  der  Fall  ist,  und  Eislawinen  herabstürzten,  so 
wäre  die  Abnützung  der  Wand  nicht  bedeutend.  Man  sieht  das 
am  Supphellebrae  und  an  zahlreichen  anderen  Stellen  in  Nor- 
wegen sehr  deutlich.  Stürzendes  Eis  hinterlässt  keine  Schliff- 
spuren am  Felsen;  dieser  ist  ganz  frisch  und  scharf  im  Bruche. 

Diejenigen,  die  sich  die  Entstehung  eines  solchen  Botn 
durch  Gletscherausschleifung  erklären,  werden  annehmen,  dass 
vor  seiner  Ausbildung  hier  ein  Gehänge  war  wie  nebenan.  Das 
Gehänge  war  mit  Eis  bedeckt;  durch  die  Eisbewegung  wurde 
nun  der  Boden  so  angegriffen,  dass  er  sich  allmälig  immer 
tiefer  senkte,  so  weit,  bis  die  Nische  fertig  war.  Ausser  der 
gewöhnlichen  Abschleifung  wird  in  solchem  Falle  auch  an  die 
Absprengung  einzelner  Felstrümmer  gedacht.  Dagegen  lässt 
sich  einwenden:  es  sei  nicht  einzusehen,  weshalb  gerade 
hier  die  Eiswirkung  so  stark  und  unmittelbar  nebenan  gleich 
Null  war.  Wollte  man  aber  selbst  dieses  Bedenken  mit  der 
ungleichen  Widerstandskraft  des  Gesteines  erklärt  halten,  so 
bleibt  das  zweite:  Weshalb  ist  die  Wand  nicht  geschliffen? 
Herr  öyen,  der  von  der  glacialen  Bildung  der  Botner  über- 


156  E.Richter, 

zeugt  ist,  ist  selbst  der  unverdächtigste  Zeuge  dafür,  dass 
die  Wand  nicht  geschliffen  ist  (siehe  die  vorige  Anmerkung). 
Auch  ist  nicht  anzunehmen,  dass  die  Schleifung  durch  nach- 
trägliche Verwitterung  verschwunden  sei.  In  diesem  Lande,  wo 
Alles  vom  Eis  geschliffen  und  gerundet  ist,  von  der  äussersten 
Felsklippe  weit  im  Meere  bis  hinauf  zu  den  höchsten  Berg- 
rücken, wo  die  steilsten  Wände  an  den  Fjorden  ihre  glaciale 
Rundung  und  Schleifung  bewahrt  haben,  kann  sie  nicht  dort 
verschwunden  sein,  wo  das  Eis  seine  erstaunlichste  Leistung 
vollbracht  hätte.  Man  sieht  genug  glaciale  Muldenformen  auch 
in  Norwegen;  der  Verfasser  sah  eine  ganze  Reihe  stufenförmig 
über  einander  liegen  am  Ostabhange  des  Grovebrae  auf  dem 
Wege  über  Lundeskaret;  diese  sehen  aber  ganz  anders  aus,  sie 
sind  eben  geschliffen  und  gerundet. 

Die  Wände  einer  gewissen  Gruppe  von  Botner  sind,  ausser 
einigen  postglacialen  Wasserrissen  und  Klammen,  die  einzigen 
Felsen  in  Norwegen,  die  durchwegs  nicht  geschliffen  sind. 
Daraus  ergibt  sich  für  den  Verfasser  der  Schluss,  dass  sie  eben 
auch  nicht  glacialen  Ursprungs  sind.  Und  da  auch  die  Wasser- 
wirkung ausgeschlossen  ist,  wie  gerade  das  Beispiel  des  Kjedel 
beweist,  so  bleibt  nur  noch  eine  Erklärung:  Die  Botner  dieser 
Art  sind  der  Hauptsache  nach  eine  Verwitterungserscheinung. 

Aus  irgend  einem  Grunde  befand  sich  hier  am  Gehänge  eine 
Stelle  geringerer  Widerstandskraft  des  Gesteines;  eine  Nische 
brach  aus.  Damit  war  der  Ausgangspunkt  für  die  weitere  Aus- 
bildung des  Botn  gegeben.  Die  Verwitterung  schritt  von  der 
anfänglichen  kleinen  Nische  centripetal  nach  rückwärts  und 
erweiterte  sie  zu  einem  Circus.  Das  ist  der  Hauptvorgang.  Für 
die  weitere  Entwicklung  der  Dinge  wird  nun  die  Höhenlage 
massgebend. 

Liegt  die  Ausbruchsnische  weit  unterhalb  der  Schnee- 
grenze, in  der  Zone  der  regelmässig  laufenden  Gewässer,  so 
wird  sie  vom  Regen  und  den  Regenrinnen  zum  Trichter  aus- 
gebildet; in  die  tiefste  Stelle  schneidet  sich  das  Hauptrinnsal 
ein;  die  Nischenwände  werden  von  den  Verzweigungen  ange- 
schnitten, Gräben  und  Rippen  herausgearbeitet. 

Liegt  die  Ausbruchsnische  oberhalb  des  Höhengürtels  der 
regelmässig  laufenden  Gewässer,  also  in  der  Schneeregion  oder 


Geomorphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen.  157 

ihr  sehr  nahe,  so  wird  sich  ein  Schneefeld  oder  ein  kleiner 
Gletscher  in  sie  einlagern.  Dadurch  wird  die  Ausgestaltung 
wesentlich  beeinflusst.  Da  das  fliessende  Wasser  nicht  wirken 
kann,  so  wird  der  Nischenboden  nicht  angeschnitten.  Durch 
die  bekannte  glaciale  Ausschleifung  und  Abnützung  wird  sich 
vielmehr  ein  gerundeter  Kahrboden  entwickeln.  Das  von  der 
Verwitterung  losgelöste  Material  wird  vom  Gletscher  wegtrans- 
portirt  oder  gleitet  über  das  Firnfeld  ab,  es  bilden  sich  entweder 
wirkliche  Moränen  oder  doch  Firnmoränen.  Die  Wände  können 
sich  nicht  in  ihre  Trümmer  einhüllen  und  bieten  immer  wieder 
frische  Angriffsflächen  dar.  Endlich  wirkt  die  Abnützung  des 
Kahrbodens  durch  den  Gletscher  dazu  mit,  die  Kahrwände 
steiler  zu  erhalten  und  das  Nachstürzen  zu  erleichtern.  Dieses 
kann  man  sich  in  folgender  Weise  denken.  Die  Wand  des 
Kahres  bröckelt  oberhalb  der  eingelagerten  Schneemasse  ab. 
Die  Trümmer  stürzen  entweder  in  den  Bergschrund  oder  auf 
die  Schneeoberfläche.  Im  zweiten  Falle  werden  sie  im  Schnee 
eingebacken  forttransportirt  und  gelangen  in  die  Seiten-  und 
Stirnmoränen.  Im  ersten  Falle  kommen  sie  in  die  Grund- 
moräne und  werden  wohl  meist  zerrieben.  Da  man  die  Zer- 
störung der  freien  Wand  dem  absoluten  Betrage  nach  höher 
anschlagen  kann  als  die  Abnutzung  des  firnbedeckten  Bodens 
—  auf  dieser  Voraussetzung  beruht  ja  die  ganze  vorliegende 
Ableitung  —  so  wird  die  Kahrerweiterung  schneller  vor  sich 
gehen  als  die  Kahrvertiefung.  Wäre  die  glaciale  Abnützung  gar 
nicht  vorhanden,  so  müsste  sich  in  der  Höhe  der  Schneeober- 
fläche eine  Denudationsebene  im  Fels  herausbilden,  ober  der 
das  Zurückweichen  der  Wände  erfolgt.  Da  aber  diese  Denuda- 
tionsebene sofort  auch  wieder  vom  Schnee  bedeckt  und  abge- 
nützt wird,  so  wird  sie,  und  besonders  ihre  innere  Kante,  gegen 
das  Kahr  zu  erniedrigt  und  in  den  Kahrboden  mit  einbezogen. 
Auf  diese  Weise  entsteht  eine  charakteristische  beckenartige 
Rundung,  welche  das  Nachstürzen  neuer  Felspartien  wesent- 
lich begünstigt.^ 

Wenn  hier  von  Verwitterung  die  Rede  ist,  so  ist  damit 
mechanische  Verwitterung  gemeint,  der  Zerfall  des  Gesteines 

i  Es  ist  beabsichtigt,  diese  Vorgänge  in  einer  eigenen  Veröffentlichung 
ausfuhrlicher  zu  behandeln. 


158  E.Richter, 

an  seinen  natürlichen  Trennungsflächen  in  Folge  von  Spalten- 
frost und  scharfen  Temperaturwechseln  (engl,  desintegration). 
Die  chemische  Verwitterung,  die  Zersetzung  des  Gesteines 
(engl,  decay)  spielt  bekanntlich  in  hohen  Breiten  oder  den 
ihnen  entsprechenden  klimatischen  Höhengürteln  des  Gebirges 
eine  geringe  Rolle. 

Als  Ausgangspunkt  der  Kahrbildung  kann  ebensogut  wie 
die  vorausgesetzte  Ausbruchsnische  ein  Wasserriss  dienen; 
besonders  die  Stelle,  wo  die  obersten  Verzweigungen  eines 
solchen  sich  treffen.  Dies  setzt  aber  voraus,  dass  jene  Stelle 
durch  eine  Klimaschwankung  vom  Wärmeren  zum  Kälteren 
aus  dem  Bereich  der  rinnenden  Gewässer  in  das  des  Schnees 
versetzt  worden  ist.  Diese  Voraussetzung  wird  aber  für  den 
Kjedel  des  Galdhöpig  nicht  zutreffen.  Dieser  ist  durch  eine 
Klimaschwankung  vom  Kälteren  zum  Wärmeren  aus  der  Ver- 
hüllung durch  Inlandeis  in  die  Region  der  Localvergletscherung 
versetzt  worden.  Daher  bleibt  als  Erklärung  nur  die  Ausbruchs- 
nische an  einem  vom  Inlandeis  stehen  gelassenen,  etwas  steil- 
wandigen Felsbuckel.  Dass  solche  Buckel  seit  der  grossen  Ver- 
eisung durch  Bergstürze  schwer  angegriffen  wurden,  sieht  man 
in  Norwegen  überaus  häufig.  Während  also  in  den  Alpen,  die 
nach  wärmeren  Interglacialzeiten  in  Eisperioden  von  verschie- 
dener Intensität  gelangten,  die  Kahre  sich  meist  aus  Wasser- 
furchen entwickelt  haben,  wird  dieser  Vorgang  in  Norwegen 
sehr  selten  sein  und  die  Verwitterungsnische  als  gewöhnlicher 
Ausgangspunkt  des  Kahres  gelten  können. 

Wo  also  aus  irgend  einem  Grunde  oberhalb  der  Vegeta- 
tionsgrenze, die  zugleich  die  Grenze  der  regelmässigen  Wasser- 
läufe ist,  und  nahe  der  Schneegrenze  freie  Wände  vorhanden 
sind,  dort  ist  die  Möglichkeit  zur  Botnerbildung  gegeben. 

Dass  Botner  der  besprochenen  Art  nur  in  einer  bestimmten 
Höhe  auftreten,  hat  auch  A.  Heiland  festgestellt.^  In  Norwegen 
ist  diese  Höhe  ganz  den  heutigen  klimatischen  Verhältnissen 
angemessen;  in  den  Alpen  gibt  es  auch  Botner,  die  anderen 


1  Über  die  Vergletscherung  der  Faröer.  Zeitschr.  der  deutschen  geolog. 
Gesellsch.  31.  Bd.,  S.  732  und  Om  indsöerne  i  Italien  etc.  Archiv  f.  Mat.  og 
Naturvid.  II,  389. 


Geomorphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen.  1 59 

klimatischen  Bedingungen  entsprechen.  In  Norwegen  findet 
nnan  keinen  Botn  innerhalb  der  Vegetationsgrenze,  im  Gebiete 
der  zusammenhängenden  Pflanzendecke.  Diese  Grenze  befindet 
sich  im  mittleren  Norwegen  etwa  bei  1500  w;  es  ist  ein- 
leuchtend, dass  die  Abweichungen  sehr  bedeutend  sind.  Nicht 
alle  Botner  liegen  wirklich  oberhalb  der  klimatischen  Schnee- 
grenze; sollte  aber  der  Kahrboden  auch  unter  sie  hinabreichen, 
so  werden  doch  die  Kahrwände  hineinragen  und  der  Kahr- 
gletscher  wird  unter  ausgiebiger  klimatischer  Begünstigung 
sich   erhalten. 

Dadurch  erklärt  sich  auch  die  Häufigkeit  der  Kahre  mit 
nördlicher  oder  doch  östlicher  und  westlicher  Exposition.  Volle 
Besonnung  ist  der  Erhaltung  des  Gletschers  ungünstig.  Doch 
gibt  es  auch  eine  Anzahl  nach  Süden  schauender  Kahre. 

Dass  die  Botner  in  Norwegen  durchaus  an  bestimmte 
Höhengrenzen  gebunden  sind,  kann  man  bei  der  Nordlands- 
fahrt längs  der  Küste  sehr  genau  beobachten.  Das  Küstenstück 
von  Trondheim  bis  zum  Eingang  des  VelQordes  (etwa  65*^30' 
N.  B.)  ist  bedeutend  niedriger  als  die  übrigen  Theile  der  nor- 
wegischen Westküste.  Hier  sieht  man  nirgends  ein  Kahr;  auch 
nicht  die  Spur  davon.  Sobald  aber  Berge  auftreten,  die  so  hoch 
sind,  dass  sie  die  Vegetationsgrenze  überschreiten,  beginnen  die 
Kahre;  das  erste  ist  sichtbar  an  den  Höiholmstindern  nördlich 
vom  VelQord.  Sie  dürften  etwa  800— 1000  fw  hoch  liegen.  Wenig 
nördlich,  an  den  bekannten  Sieben  Schwestern  auf  Alstenoe, 
treten  grossartige  Kahrbildungen  schon  in  weit  niedrigerer  Lage 
auf,  und  so  senkt  sich  die  Kahrgrenze  allmälig  immer  mehr,  je 
mehr  man  nach  Norden  kommt.^ 

Diese  Abhängigkeit  der  Botner  von  der  Meereshöhe  ist 
übrigens  auch  ein  Beweis  dafür,  dass  sie  nicht  ein  Ergebniss 
der  allgemeinen  Vereisung  sind.  Denn  vereist  war  das  ganze 
Land,  die  niedrigen  Berge  so  gut  als  die  hohen. 

Die  Botner  am  Galdhöpig,  wie  sie  oben  beschrieben  sind, 
stellen  die  einfachste,  typische  Form  der  Erscheinung  dar. 
Die  Hohlform  des  Kahres  erfährt  aber  unter  den  wechselnden 
Bedingungen,  unter  denen  sie  auftritt,  viele  Abänderungen;  sie 


Vergl.  auch  Heiland,  1.  c. 


160  E.Richter, 

geht  häufig  mit  anderen  Formen,  die  anderen  Kräften  ihren 
Ursprung  verdanken,  Verbindungen  ein.  Dadurch  wird  die 
Erklärung  erschwert,  denn  man  hat  eine  ganze  Entwicklungs- 
reihe vor  sich.  Eine  Erklärung,  die  für  eine  Form  an  einem 
Ende  der  Reihe  gilt,  ist  unzureichend  für  die  Form,  die  am 
entgegengesetzten  Ende  sich  befindet.  Durch  das  alimälige  Ein- 
treten anderer  Kräfte  wird  eben  die  Abwandlung  der  Formen- 
reihe bewirkt.  Nur  auf  diese  Weise  ist  es  geschehen,  dass  so 
viele  Erklärungen  für  eine  so  einfache  Sache  versucht  worden 
sind.  Jede  Erklärung  passt  vielleicht  für  den  einzelnen  Fall, 
den  der  Autor  im  Auge  hatte,  aber  nicht  für  den  weiten  Begriff, 
den  der  Terminus  »Kahr  oder  Botn«  deckt  und  der  die  ganze 
Reihe  umfasst. 

Wenn  Bonney  den  Cirque  de  Gavarnie  oder  ähnliche 
gewaltige  Thalabschlüsse  zu  den  Kahren  rechnet,  so  wird 
man  ihm  freilich  die  Wirkung  des  fliessenden  Wassers  als 
wichtigsten  Factor  bei  der  Entstehung  nicht  bestreiten  können. 
Bei  den  Kjedeln  des  Galdhöpig  ist  ebensogut  als  bei  der 
Schneegrube  im  Riesengebirge  oder  beim  Wildsee  in  den  See- 
thaleralpen  die  Wasserwirkung  vollkommen  ausgeschlossen. 
Wir  haben  also  hier  die  zwei  Endpunkte  einer  Entwicklungs- 
reihe; hier  Kahre,  die  vorwiegend  der  Verwitterung,  hier  solche, 
die  der  Wasserwirkung  ihre  Entstehung  verdanken. 

Es  ist  sehr  wichtig,  sich  das  vor  Augen  zu  halten;  nur  auf 
diese  Weise  werden  sich  die  Widersprüche  der  Erscheinungen 
und  der  Erklärungen  versöhnen  lassen. 

Man  kann  in  Jotunheim  die  einfache  Kahrform,  wie  sie  in 
den  Kjedeln  auftritt,  noch  weiter  zurück  in  ihre  Anfange  ver- 
folgen. An  mehr  als  einer  Stelle  sind  die  Gletscher  des  Gald- 
höpigmassivs  von  steilen,  schwarzen  Felswänden  umgrenzt, 
die  sich  zu  kahrartigen  Amphitheatern  zusammenschliessen. 
Es  sind  das  die  bekannten  »Krater«,  von  denen  auch  ernst- 
hafte Autoren  sprechen;  der  Berg  sehe  aus  wie  blasig  auf- 
getrieben und  dann  eingestürzt.  Es  sind  ausgedehnte  Ver- 
witterungswände, Anschnitte  des  Bergkörpers,  die  bei  der 
starken  Zerstörung  des  Gesteines  rasch  zurückschreiten  und 
bei  diesem  Zurückschreiten  nothvvendig  Bogen-  und  Circus- 
formen  annehmen  müssen.  Da  nicht  vorauszusetzen  ist,  dass 


Geomorphologische  Baobachtungen  aus  Norwegen.  161 

die  Widerstandskraft  des  Gesteines  überall  die  gleiche  sein 
wird,  so  werden  also,  selbst  vorausgesetzt,  dass  die  Felswand 
jemals  einen  geradlinigen  Verlauf  gehabt  hat,  einzelne  Partien 
rascher  zurückweichen  als  andere,  und  da  diese  verschiedenen 
Stellen  durch  Übergänge  mit  einander  verbunden  werden,  so 
entstehen  halbkreisartige  Einbiegungen.  Beispiele  sind  die  Firn- 
fekler  des  Styggebrae,  des  Storjuvbrae  und  des  Sveljenaasbrae. 
Vielleicht  noch  auffallender  ist  der  Botn  an  der  Heilstuguhöh 
gegen  Heilstugubrae,  für  welchen  sich  Aarbog  Tun  For.  1875, 
S.  1 1 1  die  Bezeichnung  Horse-shoe-glacier  findet  Das  Plateau 
der  Heilstuguhöh  fällt  steilwandig  gegen  Osten  ab,  wo  der 
Heilstugugletscher  vorbeifliesst.  In  der  Steilwand  findet  sich 
plötzlich  eine  tiefe,  sehr  ausgesprochen  hufeisenförmige  Ein- 
biegung, tiefer  als  breit  und  mit  verengtem  Eingang.  Der  Boden 
ist  nicht  steil  geneigt  und  ist  von  einem  Zufluss  des  Heilstugu- 
gletschers  erfüllt.  Der  obere  Rand  ist  zum  Theil  mit  Firn  über- 
lagert, von  dem  aber  keine  Abbruche  erfolgen,  da  das  Plateau 
nach  Westen  geneigt  ist,  der  Firn  also  die  Tendenz  hat,  sich 
von  dem  östlichen  Plateaurand  zu  entfernen,  nicht  etwa  über 
ihn  sich  hinabzuschieben.  Von  Schliffspuren  ist  an  der  sehr 
steilen  Kahrwand  nichts  zu  bemerken;  ebensowenig  besteht 
ein  Wasserlauf  Die  Meereshöhe  beträgt  etwa  2000  — 2200  fw. 

Über  den  Charakter  dieses  Botn  als  Verwitterungserschei- 
nung ist  wohl  kein  Zweifel  möglich. 

Ähnliche  Formen  treten  auch  gesellig  auf  In  der  schönen 
und  durch  ungewöhnlich  kühne  Formen  ausgezeichneten  Kette, 
welche  zwischen  Gjendin  und  Bygdin  sich  hinzieht,  befindet 
sich  eine  Reihe  grosser,  steilwandiger  Kahre,  deren  Wände 
reihenweise  neben  einander  liegend  eine  grössere  Anzahl  mehr 
oder  weniger  entwickelter  oder  nur  angedeuteter  Botner  vom 
Typus  des  Horse  shoe  zeigen. 

Wenn  man  von  der  Galdhö  östlich  schaut,  hat  man  die 
stattliche  Spitze  des  Glittertind  gerade  gegenüber  und  blickt 
in  die  Öffnung  eines  gewaltigen  schneeerfüllten  Kahres  hinein. 
Es  ist  viel  grösser  als  die  bisher  besprochenen  und  viel  weniger 
einfach  gebaut;  mancherlei  Vorsprünge  und  Rippen  gliedern 
die  Kahrwände.  Moränen  schliessen  auch  hier  die.  offene  Seite, 
aber  ihnen  entströmt  ein  stattlicher  Bach:  dieses  Kahr  ist  die 

Sitzb.  d.  malhem.-naturw.  CK;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  1 1 


162  E.Richter, 

Wurzel  eines  nicht  unbedeutenden  Gerinnes.  Hier  liegt  ein 
Beispiel  vor  für  das  nächste  Glied  der  Entwicklungsreihe;  das 
Kahr  ist  nicht  mehr  allein  Verwitterungserscheinung,  sondern 
zu  seiner  Ausbildung  zur  jetzigen  Gestalt  haben  auch  die 
Wirkungen  des  fliessenden  Wassers  beigetragen.  Als  ursprüng- 
liche Veranlassung  wird  aber  immer  die  Verwitterungsnische 
festzuhalten  sein.  Der  Kahrboden  liegt  1800— 2000  w  hoch, 
die  Umrahmung  2200 — 2500  w.  In  solcher  Höhe  kann  zwar 
ein  Sommerbächlein  entspringen,  aber  kann  nimmer  fliessendes 
Wasser  wirken.  Doch  wird  eine  charakteristische  Ausbildung 
des  Kahrmundes  nicht  ausbleiben,  wodurch  der  Gesammt- 
charakter  gegenüber  den  Kjedeln  des  Galdhöpig  merklich  ver- 
ändert wird. 

Noch  einen  Schritt  weiter  in  der  Reihe  liegen  die  grossen 
Botner  der  oben  erwähnten  Kette  zwischen  Gjendin  und  Bygdin, 
wie  Knutshullet,  Tjernhullet  u.  s.  f.  Hier  kann  man  zweifelhaft 
sein,  ob  man  es  mit  Thälern  oder  mit  Botner  zu  thun  habe. 
Bedeutende  Gletscher  sind  eingelagert,  an  deren  Grund  kräftige 
Bäche  strömen,  ansehnliche  Kaskaden  schneiden  sich  in  den 
Kahrboden  ein,  der  nur  1300  —  1800w  hoch  liegt.  Doch  ist 
diese  Meereshöhe  noch  immer  ausreichend,  um  den  Gedanken 
an  eine  Entstehung  nur  durch  Erosion  des  fliessenden  Wassers 
auszuschliessen.  Die  Kahrwände  sind  Verwitterungswände  mit 
Botnern  zweiter  Ordnung  des  ersten  Typus;  nirgends  ist.  eine 
S|>ur  von  Wasser-  oder  Eiswirkung  zu  sehen.  Ursprüngliche 
Entstehung  und  Weiterbildung  in  den  oberen  Theilen  sind  also 
die  eines  Botn;  die  Tieferlegung  des  Grundes,  der  schliesslich 
in  eine  Klamm,  einen  engen  Schlund,  übergeht,  eine  Aus- 
streckung der  ganzen  Hohlform  in  die  Länge,  da  immer  tiefere 
und  daher  breitere  Schichten  des  Bergkörpers  angeschnitten 
werden:  das  ist  das  Werk  der  Wassererosion. 

Zum  gleichen  Typus  gehören  die  Kahre  in  der  Gruppe 
der  Horunger,  Skagastölsbotn,  Ringsbotn  u.  s.  w.  Sie  haben 
mit  denen  der  Gjendinkette  den  Zug  gemeinsam,  dass  die 
Kämme  und  Grate,  die  sie  scheiden,  sehr  scharfkantig  und 
wild  gezackt  sind.  Der  Process  ist  eben  schon  weiter  fort- 
geschritten als  am  Galdhöpig,  wo  die  zwischen  den  Kahren 
stehen  gebliebenen  Stücke  noch  viel  mächtiger  sind. 


Geomorphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen.  163 

Es  Hesse  sich  die  Reihe  der  Botnertypen  mit  allmäliger 
Hinüberleitung  zu  den  Thalfurchen  fortführen,  bis  man  zu  den 
Regenrissen  gelangt,  die  ein  Wolkenbruch  verursacht  und  die 
nichts  mehr  mit  einem  Botn  gemein  haben;  es  muss  aber  hier 
Halt  gemacht  werden,  um  die  Wirkungen  zu  bedenken,  die 
die  zahllosen  Botner  der  bisher  besprochenen  Arten  im  Hoch- 
gebirge von  Skandinavien  und  insbesondere  in  Jotunheim  her- 
vorbringen müssen. 

Wir  sehen  in  einer  bestimmten  Höhenzone,  von  1500  oder 
ISOOfM  aufwärts,  oberhalb  der  Vegetationsgrenze,  nahe  der 
Schneegrenze  eine  grosse  Anzahl  nischenartiger  Einbrüche  in 
den  Gebirgskörper,  die  sich  zum  Theil  schon  zu  mächtigen 
Amphitheatern  ausgeweitet  haben.  Unablässig  arbeitet  der 
Spaltenfrost  an  der  Zerstörung  der  Wände,  welche  diese  Hohl- 
formen umgrenzen,  und  bewirkt,  dass  sie  rasch  zurückweichen. 
Das  Abfallmaterial  wird  von  den  Gletschern  entfernt,  als 
Moränen  abgelagert  oder  am  Gletschergrunde  zerrieben  und 
fortgespült.  Hie  und  da  stehen  noch  ziemlich  massige  Stöcke 
des  alten,  vom  Inlandeis  geschliffenen  Fjeldmassivs  zwischen 
den  Kahren  —  so  die  Skridulaupe,  der  Fanaraaken  und  viele 
andere  —  oder  doch  noch  kennbare  Fjeldstreifen  —  am  Gald- 
höpig,  der  Heilstuguhöh,  am  Sletmarkspiggen;  anderswo  sind 
nur  mehr  Grate  und  Zacken  übrig  geblieben;  in  den  Horungern, 
am  Knutshultind.  (Siehe  Fig.  3). 

Die  Zerstörung  des  Gebirges  geht  also  oberhalb  jener 
Höhengrenze  in  einer  anderen  Art  und  Richtung  vor  sich  als 
unterhalb.  Unterhalb  derselben  arbeitet  das  fliessende  Wasser 
im  verticalen  Sinne,  oberhalb  die  Wandverwitterung  im  hori- 
zontalen. 

Daraus  folgt,  dass  sich  in  dieser  Höhe  ein  hori- 
zontales Denudationsniveau  herausbilden  muss.  Alle 
Hervorragungen  über  dasselbe  werden  von  der  Verwitterung 
rasch  zerstört,  und  zwar  im  Wege  der  Ausweitung  der  Botner. 
Hier  ist  eine  zweifellose  rückschreitende  Erosion,  die  Botner 
nähern  sich  rasch  einander,  die  trennenden  Grate  werden 
immer  schmäler  und  niedriger,  lösen  sich  endlich  in  einzelne 
Zacken  und  Gratstücke  auf;  die  Fimfelder  der  Kahrgletscher 
greifen  über  die  Lücken  der  trennenden  Kämme  über  und  ver- 

11* 


164  E.Richter, 

schmelzen  mitsammen;  endlich  bleiben  nur  einzelne  isolirte 
Spitzen  und  Kuppen  übrig,  die  aus  einem  Firnmantel  heraus - 
ragen,  der  sie  von  allen  Seiten  umfliesst;  auch  sie  verschwinden 
endlich.  Das  Ergebniss  ist  ein  »Calottengletscher«,  ein  runder, 
flacher,  fimbedeclcter  Fjeldrücken. 

Jeder  Reisende,  der  Jotunheim  besucht  hat,  wird  unschwer 
erkennen,  wie  reich  dieses  Gebiet  an  Beispielen  für  alle  Stadien 
des  angedeuteten  Processes  ist.  Ein  prächtiges  Beispiel,  wie 
eine  grosse  Firnfläche  nach  und  nach  alle  Unebenheiten  demo- 
lirt  und  verschlingt,  die  aus  ihr  herausragen,  ist  Jostedalsbrae 
und  die  Lodalskaupe,  der  einzige  harte  Gneissbuckel,  der  ihr 
noch  entragt.  Unablässig  stürzen  die  Steine  von  dem  einsamen 
Felsthurm  und  verschwinden  im  Firn.  Bald  wird  nichts  mehr 
übrig  sein. 

Ein  etwas  weniger  weit  entwickeltes  Stadium  zeigen 
Smörstabbrae  mit  den  Smörstabtindern.  Hier  hat  der  polster- 
artig gewölbte  Firn  seinen  Rand  noch  nicht  ganz  verschlungen; 
eine  Reihe  Zacken  ist  noch  übrig;  aber  sie  stehen  wie  ver- 
lorene Posten  inmitten  der  weiten  Firnfläche,  die  sie  allseitig 
umgibt. 

Noch  ist  ein  wichtiger  Punkt  zu  berühren.  Man  hat  sich 
gewöhnt,  das  Auftreten  von  Botner  als  einen  sicheren  Beweis 
alter  Vergletscherung  anzusehen;  man  schliesst  ohne  weiteres 
aus  ihrer  Existenz  in  der  Sierra  de  Gredos  oder  im  Rhodope- 
gebirge  auf  einstige  Vereisung,  und  es  scheint  thatsächlich, 
dass  ihr  Auftreten  ebenso  an  diese  gebunden  ist  wie  das  der 
Fjorde  und  Seen. 

Der  Zusammenhang  ist  auch  nach  dem  Gesagten  ziemlich 
verständlich.  Er  ist  ein  doppelter.  Einmal  beweist  das  Auftreten 
von  Kahren  an  Gebirgen  wie  der  Böhmerwald  oder  das  Riesen- 
gebirge, welche  jetzt  die  Waldgrenze  kaum  überschreiten,  dass 
hier  einstens  ein  kälteres  Klima  geherrscht  und  das  Gebirge 
über  die  Vegetationsgrenze  erheblich  hinausgeragt  hat.  Zweitens 
ist  die  Mitwirkung  der  Gletschereinlagerung  bei  der  Ausbildung 
der  Kahre  eine  ganz  wesentliche.  Man  wird  also  aus  dem  Auf- 
treten der  Kahre  z.  B.  in  den  Gebirgen  Mittel-  und  Südeuropas 
mit  Recht  auf  eine  Klimaschwankung  urKi  eine  einstige  Local- 
vergletscherung  schliessen  dürfen. 


Geomorphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen.  1 65 

Jotunheim. 

Der  Unterschied  zwischen  dem  norwegischen  Hochgebirgs- 
gau  Jotunheim,  dem  angeblich  alpinsten  Theil  des  Landes,  und 
einem  beliebigen  Theil  der  Gneissalpen  ist  ausserordentlich 
gross.  Nicht  in  den  Gipfelformen  liegt  die  Verschiedenheit.  Eine 
von  der  Verwitterung  modellirte  Masse  krystallinischen  Gesteines 
bewahrt   unter   allen  Umständen   gewisse  Züge,   die   überall 
wiederkehren.  Die  Horunger  oder  den  Knutshulstind  oder  die 
Raudalstinder  u.  s.  w.  könnte  man  sich  auch  am  Ende  in  die 
Centralalpen  versetzt  denken,  ohne  dass  sie  dort  allzu  »styl- 
widrig« erschienen.  Der  Unterschied  liegt  viehnehr  in  der  An- 
ordnung der  Thäler  oder,  genauer  gesagt,  der  die  Berge  und 
Berggruppen  trennenden  Hohlformen,  und  damit  auch  in  der 
Anordnung  der  Berge  selbst   zu  Gruppen  oder  Zügen.    Auf 
den  bekannten  orographischen  Bau  alpiner  Ketten   mit  ihren 
parallelen  Querthälern  und  Querketten   mehrfacher  Ordnung 
braucht  nicht  eingegangen  zu  werden.  In  Jotunheim  ist  von 
regelmässigen  Gebirgsketten  und  Kämmen  ebensowenig  etwas 
zu  sehen  als  von  regelmässigen  Thälern.  Thäler  fehlen  aller- 
dings nicht  Im  Norden  schneiden  drei  Nebenthäler  der  Otta 
ein,  das  Bävra,  Leira  und  Visdal.  Es  sind  präglaciale  Fjeldthäler, 
der  Hauptsache  nach  gewöhnliche  Wassererosionsthäler,  ver- 
hältnissmässig  weniger  glacial  umgestaltet  als  andere.  Sie  haben 
noch  am  meisten  alpinen  Charakter.  Ähnlich  scheint  auch  das 
Thal  von  Vetti  (Utla-Elv),   das  in  den  AardalsQord  mündet, 
beschaffen  zu  sein;  ich  habe  es  leider  nicht  selbst  gesehen. 
Aber  auch  diese  Thäler  verändern  in  ihren  obersten  Verzwei- 
gungen  ihren  Charakter  in   auffallender  Weise.   Sie  werden 
flacher   und  weiter  und  verschmelzen    über   relativ  niedrige 
Thalwasserscheiden  hinweg  in  der  mannigfaltigsten  Weise  mit 
ähnlich  gebauten  Nachbarthälern.  So  besteht  das  Innere  von 
Jotunheim  aus  einem  ganzen  Netz  allseitig  mit  einander  in  Ver- 
bindung stehender  weiter,  seenerfüllter  Hochthäler,  zwischen 
welchen  sich  eine  grössere  Anzahl  isolirter  Bergmassive  ohne 
Ordnung  und  Zusammenhang  erhebt.  Viele  dieser  Bergmassive 
haben  steile,  pyramidenförmige  Gipfel  von  mehr  als  2000 1» 
Höhe.  Auch  kurze  Kämme  sind  nicht  selten,  theils  einfache, 


166  E.Richter. 

wie  Raudalstinder,  theils  strahlenförmig  auslaufende  wie  die 
Horunger.  Daneben  gibt  es  aber  auch  viel  niedrigere  Rücken 
und  Plateaustücke  von  1300 — 1600  w,  wie  Skineggen,  Memu- 
rutunge,  das  breite  »Band«  zwischen  den  westlichen  Enden 
von  Gjendin  und  Bygdin  u.  v.  a. 

Durch  diese  Plateaubildungen  in  Verbindung  mit  den  etwa 
gleich  hohen  Thälem  wird  die  Vorstellung  einer  ganz  Jotun- 
heim  durchziehenden  Hochebene  erzeugt,  auf  welcher  die 
Bergkuppen  regellos  aufgesetzt  sind.  Betrachtet  man  eines  der 
photographischen  Panoramen  aus  Jotunheim,  von  der  Beshö, 
Memurutungen  oder  Skineggen,  so  wird  das  Bild  dieser  durch- 
gehenden Hochebene  mit  zwingender  Deutlichkeit  sichtbar. 

Freilich  sieht  man  hier  auch,  dass  diese  Hochebene 
ihrerseits  wieder  von  einigen,  einem  noch  tieferen  Niveau 
angehörigen  grossen  Thalfurchen  gegliedert  ist.  Es  sind  das 
die  Thäler  des  Gjendesees,  des  Tyin-  und  Bygdinsees.  Die 
beiden  letzteren,  stattliche  Seen  von  I4V2  ^^^  28  km  Länge, 
an  die  sich  schon  ausserhalb  des  eigentlichen  Jotunheim  der 
16  km  lange  Winsterensee  schliesst,  bilden  die  Hauptader;  sie 
streift  das  Hochgebirge  mehr,  als  es  dasselbe  durchschneidet. 
Der  18  km  lange  Gjendin  liegt  hingegen  im  Herzen  des  Hoch- 
gebirges und  bildet  eine  500 — 800  m  tiefe  Furche  in  die 
genannte  ideale  Hochebene.  100 — 150  m  dieser  Furche  sind 
mit  Wasser  erfüllt,  das  übrige  klafft  als  steilwandiges  Thal,  in 
welches  die  Seitenthäler  meist  hoch  oben  am  Gehänge  aus- 
münden; nur  wenige,  Storaadalen,  Vesleaadalen  und  Memuru- 
dalen,  haben  sich  schon  bis  zum  jetzigen  Seespiegel  ein- 
geschnitten. 

Bevor  wir  aber  eine  einheitliche  Erklärung  dieser  Erschei- 
nungen versuchen,  müssen  wir  noch  die  Frage  erörtern,  ob  die 
Jotunheimer  Bergwelt  in  den  Perioden  der  grossen  Eiszeiten 
vom  Inlandeise  bedeckt  war  oder  nicht.  Sie  wird  zu  bejahen 
sein.  Einmal  aus  dem  allgemeinen  Grunde,  dass  ein  Inland- 
eis, das  sich  bis  an  das  Riesengebirge  und  nach  Schottland 
erstreckt  hat,  eine  Mächtigkeit  besessen  haben  muss,  die  alle 
vorhandenen  Höhenunterschiede  im  Kerngebiete  seiner  Ent- 
stehung, und  wären  sie  auch  so  gross  gewesen  als  sie  gegen- 
wärtig sind,  völlig  ausgeglichen  hat.    Der  Höhenunterschied 


Geomorphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen.  167 

zwischen  der  mehrerwähnten  idealen  Hochebene  von  Jotun- 
heim  und  den  höchsten  gegenwärtigen  Gipfehi  erreicht  kaum 
lOOOm.  Das  Binneneis  oder  dessen  Centralfirn  muss  hier  bei 
weitem  mächtiger  gewesen  sein.  Aber  auch  der  Anblick  des 
Galdhöpig  und  mancher  anderen  Spitze  beweist  die  Eisabrun- 
dung  in  deutlicher  Weise.  Gletscherschrammen  und  erratisches 
Geschiebe  wird  man  freilich  auf  Gipfeln,  an  denen  eine  solche 
Verwitterung  arbeitet,  vergeblich  suchen.  Aber  die  Rundung 
und  Abplattung  so  vieler  hoher  Punkte  kann  nur  daher  kommen, 
dass  sie  einstens  vom  Eise  niedergehobelt  worden  sind. 

Es  ist  also  ein  altes  gemeinsames  Niveau  von  etwa  2500  m 
Höhe  vorauszusetzen,  das  ich  das  Denudationsniveau  der  Gipfel 
nennen  möchte.  Die  Rundschau  vom  Galdhöpig  lässt  es  mit 
einer  ganz  anderen  Deutlichkeit  in  seinen  Resten  erkennen  als 
die  Aussicht  von  irgend  einem  Alpengipfel  das  einstige  gemein- 
same Gipfelniveau  erkennen  lässt,  obwohl  man  auch  hier  durch 
die  verhältnissmässige  Höhengleichheit  der  Kämme  und  Gipfel 
überrascht  wird. 

Bekanntlich  haben  wir  nicht  eine,  sondern  mehrere  Eis- 
zeiten von  abnehmender  Intensität  anzunehmen.  In  den  inter- 
glacialen  Perioden  wurden  Thalsysteme  nicht  immer  an  der 
gleichen  Stelle  eingeschnitten;  besonders  in  den  oberen  Ver- 
zweigungen wechselten  die  Linien,  während  die  tieferen  Furchen 
leichter  wieder  eingeschlagen  wurden.  Den  älteren  interglacialen 
Perioden  gehören  die  Thäler  an,  welche  beiläufig  im  Niveau  der 
Hochebene  liegen;  einer  der  letzten  das  neue  tiefe  Thalsystem 
der  grossen  Seen.  Interglacial  ist  auch  dieses,  denn  es  trägt 
überall  die  auffallendsten  Eisspuren. 

Als  sich  die  klimatischen  Verhältnisse  der  Gegenwart  ein- 
stellten, trat  für  den  grössten  Theil  des  Gebietes  an  Stelle  der 
Eiswirkung  Wasserwirkung  und  Verwitterung;  nur  ein  geringer 
Theil  davon  blieb  unter  Eis.  Auch  das  Wirkungsgebiet  des 
fliessenden  Wassers  war  verhältnissmässig  beschränkt;  nur  die 
tieferen  Theile  der  präglacialen  Thäler  haben  regelmässige  und 
starke  Flussläufe,  die  an  der  Ausgleichung  des  Thalgefalles 
und  der  Ausfüllung  der  Seen  arbeiten.  Der  grösste  Theil  des 
Landes  fiel  in  jene  Höhenregion  zwischen  Vegetations-  und 
Schneegrenze,  welche  weder  durch  die  zähe  Haut  der  Pflanzen- 


168  E.  Richter. 

decke,  noch  durch  den  Schneemante!  vor  der  zerstörenden 
Wirkung  der  Atmosphärilien  geschützt  ist  Denn  die  Vegetation 
schützt  die  Gesteinsmassive  zwar  nicht  davor,  von  Wasserrinnen 
zerschnitten  und  gegliedert  zu  werden,  sie  schützt  sie  aber  vor 
der  Verwitterung  und  Zerstörung  im  Ganzen.  Ebenso  schleifen 
Schnee  und  Eis  zwar  die  Oberfläche  ab,  aber  die  Zertheilung 
des  Gebirges  durch  Thalfurchen  verhindern  sie. 

Der  grösste  Theil  des  Gebirges  von  Jotunheim  liegt  also 
gegenwärtig  gerade  im  Höhengürtel  der  lebhaftesten  Zerstörung. 
Darum  ist  Jotunheim  das  bevorzugte  Gebiet  der  Botner,  neben- 
bei auch  das  der  Ure,  d.  i.  Blockfelder  und  Geröllhalden.  Die 
präglacialen  Thäler  erweitern  sich,  die  Bergmassive  schrumpfen 
ein,  manche  mögen  schon  ganz  verschwunden  sein  —  die  ideale 
Hochebene  erweitert  sich  fortwährend  auf  Kosten  der  Gebirgs- 
stöcke.  Man  wird  an  die  Beschreibung  innerasiatischer  Hoch- 
gebirge erinnert,  die  in  ihrem  Schutte  ersticken,  wenn  man 
z.  B.  Uladalen  oder  ähnliche  Thäler  durchwandert;  alles  Geröll, 
Schutt  und  Zerstörung,  aber  keine  Thalschluchten  wie  in  den 
Alpen,  sondern  weite  Mulden. 

Die  ideale  Hochebene  von  Jotunheim  ist  das 
Denudationsniveau,  das  dem  gegenwärtigen  Klima 
entspricht. 

Denkt  man  sich  die  Arbeit,  deren  Fortgang  man  jetzt  so 
deutlich  erkennen  kann,  zu  Ende  gethan,  so  wird  Jotunheim  ein 
welliges  Fjeld  von  1500  —  1800w  Höhe  darstellen  mit  einzelnen 
verfirnten  Rücken  von  2000  m,  mit  einem  deutlich  abgesetzten, 
aber  wenig  verzweigten  Thalsystem. 

Dann  wird  es  sich  in  nichts  mehr  von  den  südlich,  östlich 
und  nördlich  angrenzenden  Theilen  des  norwegischen  Fjeldes 
unterscheiden.  Es  ist  wohl  gestattet,  daraus  die  Folgerung 
abzuleiten,  dass  auch  diese  Gebiete  eine  ähnliche  Vergangenheit 
hinter  sich  haben.  Sie  sind  mit  ihrer  Geschichte  bereits  zu  Ende 
gekommen,  d.  h.  sie  sind  bis  zur  Vegetationsgrenze  und  bis 
unter  die  Schneegrenze  denudirt.  Die  charakteristische  Botner- 
denudation, die  Denudation  der  abbrechenden  und  zurück- 
weichenden Wände  kann  ihnen  im  Allgemeinen  nicht  viel  mehr 
anhaben.  Sie  sind  jetzt  nur  mehr  der  Wirkung  des  fliessenden 
Wassers  ausgesetzt,  das  freilich  hier  nur  langsame  Arbeit  zu 


Geomorphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen.  169 

schaffen  vermag.  Weshalb  gerade  Jotunheim  verspätet  ist  in 
dem  allgemeinen  Process,  der  sonst  überall  schon  um  soviel 
weiter  gediehen  ist,  dafür  ist  die  Erklärung  ziemlich  naheliegend. 
Jotunheim  gehört  dem  Gebiete  der  grossen  Oberschiebung  an, 
die  in  der  neueren  geologischen  norwegischen  Literatur  so  viel 
besprochen  worden  ist.  Nach  Törnebohm's  Ansicht^  ist  die 
Folge  der  krystallinischen  Schiefer  durch  eine  colossale  Über- 
schiebung von  80-— 90*w  in  der  Bewegungsrichtung  hier  dem 
Grundgebirge,  dem  auch  der  eruptive  Gabbro  von  Jotunheim 
angehöre,  aufgeschoben  worden;  nach  Brögger's  Ansicht*  sei 
sie  ursprünglich  aufgelagert;  da  sie  aber  wahrscheinlich  ober- 
silurisch,  aber  aufs  stärkste  umgewandelt  ist,  sei  eine  colos- 
sale Auflagerung  jetzt  denudirter  Gesteine  vorauszusetzen.  Der 
Jotunheimer  Gabbro  ist  ein  jüngeres  Durchbruchgestein.  Sicher 
ist  also,  dass  man  es  hier  im  Westen  mit  Gebifgsmassen  zu 
thun  hat,  die  in  einer  nicht  gar  zu  fernen  Zeit  noch  bedeutend 
dislocirt  wurden,  Processe,  die  sich  in  Jotunheim  durch  das 
Auftreten  mächtiger  Eruptivmassen  complicirten.  Man  kann 
fast  sagen,  so  weit  Gabbro  reicht,  so  weit  reicht  der  Jotunheimer 
Hochgebirgscharakter;  am  Südufer  des  Bygdin  steht  schon  der 
Höifeldskvarzit  (krystallinische  Schiefer  und  Gneisse)  an. 

Jotunheims  Gebirge  waren  also  jedenfalls  höher  gehoben 
als  die  Umgebung.  Für  widerstandsfähiger  kann  ich  sie  kaum 
halten;  denn  unzweideutige  Spuren  beweisen  das  Gegentheil. 
Das  Grundgebirge,  das  den  Stock  des  Jostefjeldes  aufbaut,  ist 
viel  härter.  An  den  Verzweigungen  des  Nordfjords  oder  am 
Ufer  des  Fjärlandfjords  sieht  man  nur  wenige  Bergsturzspuren; 
die  Gletscher  haben  fast  keine  Moränen;  alle  Wände  sehen 
wie  polirt  aus.  Sobald  man  aber  z.  B.  bei  Fortun  das  Gebiet 
der  krystallinischen  Schiefer  und  bald  darauf  das  des  Gabbro 
betritt,  ändert  sich  sofort  das  Bild;  ausgedehrvte  Trümmerhalden 
von  Bergstürzen  erfüllen  die  Thäler;  das  blanke  Gewand  der 
einstigen  Eisglättung  ist  an  vielen  Stellen  zerrissen  und  nur  an 
wenigen  unverletzt  erhalten.  Zwischen  Bävertun  und  Rödsheim 
im  Lejrathal  trifft  man  ein  besonders  hübsches  Beispiel  eines 


1  Geol.  Foren,  i  Stockholm  Förhandl.  1891  und  1892. 
^  Lagfölgen  paa  Hardangervidda,  S.  136. 


170  E.Richter, 

prallen,  rund  geschliffenen  Felshöckers  im  Thal,  der  sich  durch 
postglaciale  Verwitterung  ganz  in  seine  Trümmer  aufgelöst  hat, 
aber  doch  noch  so  weit  zusammenhält,  dass  die  ursprüngliche 
Form  erkennbar  ist.  Die  Gletscher  Jotunheims,  besonders  die 
der  Horunger,  haben  ausserordentlich  viel  mehr  Moränen  als 
Jostedalsbrae  oder  Folgefond. 

Trotzdem  ist  aber  die  .Arbeit  der  Denudation  in  Jotunheim 
noch  nicht  so  weit  fortgeschritten  als  ringsum.  Das  nöthigt  zur 
Annahme,  dass  hier  die  Gebirgshebung  energischer  oder  später 
erfolgt  ist;  wahrscheinlich  beides,  obwohl  auf  das  »später« 
mehr  Gewicht  zu  legen  sein  wird.  Offenbar  ist  der  Gabbro 
härter  als  die  ihn  umschliessenden  Schiefer.  Er  wurde  zuerst 
aus  diesen  herauspräparirt,  jetzt  geht  es  ihm  selbst  zu  Leibe. 
Ob  manche  der  räthselhaft  verschlungenen  Thalfurchen  Jotun- 
heims nicht  auf  den  Wechsel  von  Schiefergesteinen  und  Gabbro 
zurückzuführen  sind,  dies  zu  beurtheilen,  reicht  das  Material 
nicht  aus,  das  mir  an  eigenen  oder  fremden  Beobachtungen  zur 
Verfügung  steht. 

Versuchen  wir  uns  vorzustellen,  welche  Wirkung  das 
Wiedereintreten  einer  Eisperiode  auf  ein  Gebiet  wie  Jotunheim 
ausüben  würde.  Im  ersten  Stadium,  während  der  allmäligen 
Einschheiung  werden  zunächst  die  zerstörenden  Kräfte  mit 
einer  Ausnahme  lahm  gelegt;  es  wird  sich  kein  Bach  mehr  ein- 
schneiden und  kein  Stein  von  der  unter  Firn  begrabenen  Wand 
fallen.  Gerade  dort,  wo  jetzt  die  Zerstörung  am  lebhaftesten 
ist,  einerseits  in  der  Tiefe  der  Thäler  und  Schluchten,  ander- 
seits an  den  Gipfeln,  wird  Ruhe  eintreten.  Hingegen  werden  die 
durch  die  Thäler  ziehenden  Eisströme  eine  erodirende  Kraft 
entwickeln,  der  die  Gegenwart  nichts  an  die  Seite  stellen  kann; 
es  werden  weite  U-förmige  Mulden,  vielleicht  auch  Wannen 
auf  flachen  Thalstücken  ausgegraben  werden.  Sollte  es  aber 
bei  weiterem  Fortschreiten  der  Eiszeit  geschehen,  dass  sich 
ein  Gesammtgefälle  des  Binneneises  nach  einer  bestimmten 
Richtung  entwickelte,  dass  etwa  östlich  von  Jotunheim  sich  eine 
»Eisscheide«  bildete^  von  der  der  Firn  in  westlicher  Richtung 
über  unser  Gebiet  abströmte,  wie  es  ja  wohl  einst  gewesen  ist, 
so  werden  auch  die  Vorragungen  der  Gipfelregion  hart  mit- 


Geomorphoiogische  Beobachtungen  aus  Norwegen. 


171 


genommen  werden,  und  zwar  umsomehr,  je  aufgelöster  und 
trümmerhafter  sie  schon  gewesen  sind. 

Stolze  Gipfelgrate  und  Thürme  wie  die  Horunger  werden 
sich  in  abgerundete  Rücken  verwandeln  und  höchstens  an 
einigen  Resten  ihrer  Steilhänge  noch  den  ehemaligen  Charakter 
erkennen  lassen. 

Schwindet  das  Eis  wieder  hinweg,  so  ist  die  Landschaft 
mannigfach  verändert;  Alles,  was  bei  Beginn  der  Eiszeit  nicht 
ganz  niet-  und  nagelfest  war,  ist  ausgescheuert,  zerrieben  und 
fortgeschafft,  alle  Vorragungen  sind  abgeschliffen  und  gerundet; 


Fig.  3.  Die  Skagastölstinder  (Horunger). 

die  Schutt-  und  Geröllmassen,  die  sich  auf  und  unter  dem  Eise 
befanden,  als  es  verging,  sind  regellos  über  das  Land  zerstreut. 
Was  nun  weiter  geschieht,  hängt  davon  ab,  in  welche  Höhe 
sich  die  neuen  klimatischen  Zonen  verlegen.  Wird  das  Land 
so  warm,  dass  es  ganz  unter  Vegetation  kommt,  so  wird  es 
nur  vom  fliessenden  Wasser  weiter  bearbeitet;  liegt  es  dabei  hoch, 
so  können  durch  Einschneiden  eines  Thalsystems  die  energi- 
schesten Veränderungen  hervorgerufen  werden;  liegt  es  niedrig, 
so  werden  die  Veränderungen  weniger  bedeutend  sein.  Ragt 
es  zum  Theil  über  die  Vegetationsgrenze  hinauf,  so  wird 
der  Streifen  zwischen  Vegetations-  und  Schneegrenze  am  lebhaf- 
testen angegriffen.  Wo  Felsflanken  von  genügender  Steilheit 


172  E.  Richter, 

Übrig  geblieben  sind,  wird  die  charakteristische  Botnerbildung 
eintreten. 

Diese  wird  daran  arbeiten,  aus  den  runden  Höckern,  die 
das  Eis  zurückgelassen  hat,  wieder  scharfkantige  Grate  und 
Schneiden  zu  machen,  wie  sie  vordem  gewesen.  Freilich  werden 
diese  neuen  »Horunger«  um  ein  gutes  Stück  niedriger  und 
schmächtiger  ausfallen  als  die  alten  waren. 

Es  ist  klar,  wie  sehr  das  Eintreten  einer  Eiszeit  die  Denu- 
dation fordern  muss,  vorausgesetzt,  dass  die  klimatischen  Gürtel 
davor  und  darnach  in  gleicher  Höhe  liegen. 

Bleibt  ein  Theil  des  Landes  nach  der  Eiszeit  verfirnt,  so 
werden  diese  Stücke  aus  der  Denudation  ausgeschaltet.  Denn  so 
sehr  grosse,  bewegte  Eismassen  die  Landoberfläche  angreifen, 
ein  kleiner  Firn  hat  schwache  Kräfte.  Man  hat  oft  gesagt,  man 
solle  die  Eiszeitwirkungen  nicht  nach  den  Leistungen  der 
heutigen  Gletscher  beurtheilen.  Das  ist  ganz  richtig,  und  gerade 
Norwegen  lehrt  die  Richtigkeit  des  Satzes.  Man  möge  aber  die 
Folgerung  auch  umkehren,  und  den  heutigen  Gletschern  nicht 
Wirkungen  zuschreiben,  die  nur  den  alten  zukommen.  Ich 
denke  dabei  an  die  Ausgrabung  der  Botner  durch  die  winzigen 
Firnlappen,  die  ihnen  eingelagert  sind.  Auch  ein  kleiner  Firn 
greift  seinen  Boden  an,  indem  er  ihn  abschleift.  Wäre  dieselbe 
Erdstelle  aber  dem  Temperaturwechsel  der  Aussenluft,  dem 
Wechsel  von  Regen  und  Schnee,  Sonnenschein  und  Frost, 
den  Lawinen,  Gewittergüssen  und  Stürmen,  den  sprengenden 
Wurzeln  der  Pflanzen  ausgesetzt,  so  wäre  die  Zerstörung 
weit  stärker  und  viel  tiefer  gehend.  Firnbedeckung  ist  also 
ein  relativer  Schutz.  Während  nebenan  das  fliessende  Wasser 
Thäler  ausfurcht  und  die  Botner  ein  neues  Denudationsniveau 
schaffen,  haben  die  gletschertragenden  Stöcke  die  Tendenz, 
sich  isolirt  herauszuheben  und  zu  erhalten.  Dabei  arbeiten  frei- 
lich beide  Arten  von  Denudation  zerstörend  an  ihren  Flanken, 
die  dadurch  immer  steiler  werden. 

Aus  dem  bisher  Entwickelten  ergeben  sich  folgende  Sätze: 

1.  In  der  Region  zwischen  Vegetations-  und  Schneegrenze 
herrscht  —  wie  längst  bekannt  ist  —  die  stärkste  Zerstörung, 
In  Folge  dessen  bildet  sich  hier  in  allen  Gebirgen 
der   Erde    ein   Denudationsniveau    aus,    an   welchem 


Geomorphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen.  173 

die  Abrasion  der  Gebirge  stattfindet.  Daher  findet 
sich  auch  überall  gerade  in  dieser  Höhe  eine  Gefälls- 
knickung; der  Neigungswinkel  nimmt  hier  plötzlich  ab  und 
steigert  sich  erst  wieder  da,  wo  die  Denudation  gerade  an  der 
Arbeit  ist,  das  ist  im  Hintergrund  der  Botner. 

2.  Die  Botner  sind  also  nicht  Ergebnisse  der  Inland eis- 
bedeckung,  sondern  in  erster  Linie  Verwitterungsformen, 
deren  Ausbildung  durch  die  Localvergletscherung  beein- 
flusst  ist;  in  Norwegen  sind  die  gegenwärtigen  Botner  post- 
glacial  und  arbeiten  kräftig  an  der  Zerstörung  der  grossen 
glacialen  Formen. 

Die  Sackthäler. 

Es  kann  als  eine  regelmässige  Erscheinung  angesehen 
werden,  dass  am  Ursprung  eines  Thaies  die  einzelnen  Quell- 
bäche radial  zusammenlaufen.  Auch  in  Gebirgen,  an  deren 
Ausbildung  ausschliesslich  nur  das  fliessende  Wasser  thätig 
war,  entwickelt  sich  hieraus  leicht  eine  halbkreisförmige, 
amphitheatralische  Erweiterung;  an  anderen  Stellen  bleiben  die 
trennenden  Rippen  so  scharf,  dass  nur  ein  Stern  von  einzelnen 
getrennten  Schluchten,  die  sich  in  der  Mitte  treffen,  zu  erkennen 
ist  War  das  Gebirge  vergletschert,  so  hat  jene  amphithea- 
tralische Erweiterung  zu  einem  Thalcircus  jedenfalls  stattge- 
funden, und  zwar  deshalb,  weil  die  trennenden  Rippen  abge- 
schliffen wurden,  die  Erosion  der  einzelnen  Quellbäche  aufhörte 
und  endlich  die  allgemeine  glaciale  Abscheuerung  des  Bodens 
nur  einen  runden  Trog  oder  Halbkessel  erzeugen  konnte. 

Wir  begegnen  in  den  Alpen  an  gar  vielen  Stellen  diesen 
glacial  umgestalteten  Thalwurzeln, manchmal  mit,  häufiger  wohl 
ohne  Seen,  Die  einzelnen  Wasserrinnen,  die  jetzt  wieder  dem 
Mittelpunkt  zustreben,  sind  vorläufig  nur  erst  schwach  in  das 
Gehänge  eingeschnitten,  die  Rücken  und  bastionartig  vorsprin- 
genden Felsbuckel,  die  sie  trennen,  zeigen  glaciale  Rundung, 
die  Formen  sind  weich  und  echt  glacial.  Solche  Thalanfänge 
sind  auch  in  Norwegen  überaus  zahlreich,  man  trifft  sie  auf 
Schritt  und  Tritt,  und  zwar  in  den  verschiedensten  Höhenstufen. 
Ihre  Entstehung  erscheint  verständlich. 


174  E.Richter, 

Es  gibt  aber  in  den  Alpen,  in  Norwegen  und  den  Pyrenäen 
auch  noch  einen  anderen  Typus.  Das  sind  die  steilwandigen 
Zirken  vom  Typus  desCirque  de  Gavarnie.  Sie  sind  am  schönsten 
entwickelt  in  den  nördlichen  Kalkalpen,  wo  das  grosse  und 
kleine  Höllenthal  und  das  Reissthal  an  der  Raxalpe,  die  Thäler 
des  Hallstädter-  und  Königssees,  der  Ring  am  Hochschwab 
Beispiele  bieten.  Noch  grossartiger  sind  vielleicht  die  Trenta 
und  das  Wocheinerthal  in  den  Julischen  Alpen.  Doch  da  sie 
alle  in  geschichteten  Gesteinen  liegen,  sollen  sie  hier  bei  Seite 
bleiben. 

In  den  östlichen  Centralalpen  mit  ihren  meist  weichen 
Gesteinen  ist  mir  aber  kein  Beispiel  bekannt,  für  welches  nicht 
die  früher  gegebene  Erklärung  ausreichte.  Wohl  aber  gibt  es 
in  Norwegen  Sackthäler  im  krystallinischen  Gestein,  die  genau 
so  steilwandig  und  wild  sind,  als  die  der  Kalkalpen.  Steil  und 
unnahbar  erheben  sich  die  dunklen  Wände  links  und  rechts 
und  schliessen  sich  rückwärts  im  Halbkreis  zusammen. 

Das  grossartigste  Beispiel,  das  ich  in  Norwegen  gesehen, 
ist  der  Thalschluss  bei  Lunde  in  Jölster,  am  Abhänge  des 
Jostedalsbrae.  In  geringer  Meereshöhe  liegt  der  Thalboden,  die 
Wände  dürften  theilweise  wohl  lOOOw  hoch  sein;  Kaskaden 
schwingen  sich  über  sie  herab;  es  ist  ein  schauerlicher  Schlund, 
dem  gegenüber  alpine  Thalzirken  von  der  Art  des  Gasteiner- 
Nassfeldes  oder  der  Ferleite  eine  überaus  freundliche,  offene 
Landschaft  scheinen. 

Doch  wird  auch  diese  Form  nach  dem  früher  Entwickelten 
nicht  ganz  unverständlich  sein. 

Gegenwärtig  besitzt  der  Kessel  von  Lunde  keinen  Gletscher, 
das  heisst  gerade  dort,  wo  der  Zirkus  sich  entwickelt  hat,  ist 
kein  Gletscher;  ein  solcher  hängt  gerade  ihm  gegenüber  vom 
Jostedalsbrae  als  schmale  zerrissene  Eiszunge  herab.  Der  obere 
Zirkusrand  ist  jetzt  eisfrei.  Der  Grund  liegt  darin,  dass  er  in 
eine  etwas  niedrigere,  jetzt  eisfreie  Stufe  des  Plateaus  ein- 
geschnitten ist.  In  der  Eiszeit  —  auch  in  den  letzten  Stadien  - 
muss  aber  auch  hier  eine  Eiszunge  vorhanden  gewesen  sein; 
es  brauchte  gegenwärtig  nur  eines  etwas  stärkeren  Gletscher- 
vorstosses,  um  wieder  eine  hinzubringen.  Trotzdem  sind 
die    Steilwände    nicht    geschliffen,    sondern    frische 


Geomorphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen.  1 75 

Bruchwände.  Siesind  also  postglacial  und  noch  gegenwärtig 
in  Weiterbildung  begriffen.  Die  einstige  Eiszunge,  die  sich  hier 
hinabschwang,  hatte  ihr  Bett  doch  sicher  geglättet  und  trog- 
artig abgerundet. 

Wie  es  hier  zur  Zeit  eines  grösseren  Gletscherstandes  aus 
gesehen  hat,  können  wir  uns  leicht  vorstellen,  wenn  wir  in  eines 
der  benachbarten  Thäler,  in  das  des  Boiumgletschers  oder 
nach  Olden  uns  begeben,  wo  der  Brixdals-,  Melkevoids-, 
Aabraekke- Gletscher  sich  über  steile  Stufen  bis  in  noch 
tiefere  Thäler  herabschwingen.  Denken  wir  uns  diese  Eisströme 
verschwunden,  so  würden  wir  aber  ein  anderes  Bild  sehen, 
als  uns  das  Sackthal  von  Lunde  jetzt  darbietet.  Ein  blank- 
gescheuertes Gletscherbett  zöge  sich  ohne  besonders  starke 
Gefällsbrüche  vom  firnbedeckten  Plateau  in  einem  Neigungs- 
winkel zu  Thal,  der  bei  aller  Steilheit  doch  weit  kleiner  wäre, 
als  der  der  Hinterwand  jenes  Sackthaies. 

Es  gibt  nur  eine  Kraft,  welche  nach  Verschwinden  der  Eis- 
zunge ein  solches  Gletscheroett  in  einen  tiefen,  noch  viel  steil- 
wandigeren Schlund  umgestalten  kann.  Dies  ist  der  Gletscher- 
bach, der  dem  Plateaufirn  schon  als  gesammelte  Wasserader 
am  oberen  Thalbeginn  entströmt,  und  in  das  alte  Gletscherbett 
sich  rasch  einschneidet,  während  oben  die  Firnbedeckung  das 
Plateau  schützt  und  ein  weiteres  Rückwärtsschneiden  verhindert. 
Wäre  oben  kein  Firn,  sondern  liefe  das  alte  Gletscherthal  an 
einer  Bergschneide  aus,  wie  das  in  den  Alpen  der  Fall  wäre,  so 
hätten  die  einzelnen  kleinen  Wasserfäden  nicht  die  Kraft  das 
Gletscherbett  so  rasch  umzugestalten,  und  auch,  da  sie  getrennt 
wirken,  nicht  die  Tendenz  zur  Ausbildung  eines  so  schmalen 
Sackthaies,  als  z.  B.  das  von  Lunde  ist.  Wo  also  der  Firn  auf- 
hört, wird  die  Erosion  beginnen  und  dort  jener  gewaltige  Gefalls- 
bruch  sich  entwickeln,  mit  dem  der  Übergang  vom  Plateau  zum 
Sackthal  sich  vollzieht. 

Es  scheint  also,  dass  auch  hier  der  Firnschutz  auf  der 
Plateaufläche,  während  die  Flanken  des  Gebirges  den  Angriffen 
der  Gletscherbäche  ausgesetzt  waren,  zur  Erklärung  ausreicht, 
so  wie  er  in  allgemeinerer  Fassung  das  Auftreten  der  Fjorde 
erklären  soll.  Die  Sackthäler  sind  ja  auch  nichts  anderes  als 
ein  Glied  der  Formenreihe  der  Fjorde,  und  unterscheiden  sich 


176  E.  Richter, 

durchaus  von  den  recenten  Verwitterungsnischen  der  Hoch- 
region, den  eigentlichen  Botnern  vom  Typus  des  Kjedel  am 
Galdhöpig. 

Wenn  einmal  das  fliessende  Wasser  den  Anschnitt  des 
Gesteines  besorgt  hat,  wird  die  Verwitterung  das  Nachbrechen 
und  Zurückweichen  der  Wände  bewirken,  und  dazu  helfen, 
die  durch  einen  Wassersturz  geschaffene  und  rückwärts 
geschlossene  Schlucht  halbkreisförmig  zu  erweitem.  Freilich 
wird  die  Entfernung  des  Materials  nur  durch  den  Bach,  und 
daher  nicht  so  umfassend,  als  durch  einen  Gletscher  besorgt; 
grosse  Sturzkegel  sind  daher  in  den  Sackthäiern  Regel. 

Eine  andere  Art  Sackthäler  ist  dann  gegeben,  wenn  der 
Ursprung  eines  Wasserlaufes  in  einem  Botn  liegt;  eine  Er- 
scheinung, die  dadurch  möglich  wird,  dass  viele  Botner  unter 
die  Schneegrenze  hinabgreifen.  Es  ist  auf  diese  Übergangs- 
formen schon  hingewiesen  worden.  Eine  solche  ist  auch  das 
interessante  Sackthal,  in  welchem  der  Bessevand  (Jotunheim) 
liegt.1 

Die  Fjordlandschaft. 

Über  Wesen  und  Charakter  der  norwegischen  Fjorde  sich 
ausführlich  auszusprechsn,  scheint  bei  der  Ausdehnung  der 
Literatur  und  dem  allgemeinen  Interesse,  das  seit  O.  Peschel 
für  die  Fjordfrage  rege  geblieben  ist,  überflüssig. 

Man  wird  im  Allgemeinen  die  Fjorde  als  erosiv  ansehen 
können;  als  Thäler,  die  mit  bestimmten  Charakterzügen  aus- 
gestattet sind.  Freilich  scheint  es,  dass  bei  den  grösseren  der 
norwegischen  Fjorde  ein  Zusammenhang  mit  der  Tektonik 
nicht  von  der  Hand  zu  weisen  ist.  Brögger  hat  es  überzeugend 
zu  beweisen  vermocht,  dass  der  Umriss  des  Kristiania- Fjordes 
von  den  Beziehungen  des  Silur  zum  Grundgebirge  abhängig 
ist.  Bei  den  noch  weit  grösseren  Fjorden  der  Westküste  ist 
etwas  derartiges  noch  nicht  nachgewiesen.  Die  ausserordent- 
liche Ausdehnung  und  der  überaus  verwickelte  Umriss,  z.  B. 
des  Hardanger-Fjordes  macht  es  aber  unmöglich  eine  solche 
Erscheinung  einfach  unter  die  Bezeichnung  »Erosionsthal«  zu 


1  Heiland,  geolog.  Undersölgelse,  XIV,  S.  99. 


Geomorphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen.  177 

subsummiren.  Das  kann  bei  den  Verzweigungen  der  Fjorde 
gelten,  wie  Närö-  oder  Oeiranger-,  Lyster-  oder  Fjärland-Fjord 
u.  s.  w.,  aber  nicht  bei  Thälern,  die  an  Ausdehnung  nur  mit  den 
grossen  alpinen  Längsthälern,  wie  Rhone-,  Inn-  oder  Drauthal 
vergleichbar  sind.  Auch  diese  haben  ja  einen  viel  verwickeiteren 
im  Gebirgsbau  vorgezeichneten  Ursprung,  als  dieThäler  zweiter 
und  dritter  Ordnung,  wenn  sie  auch  ihre  jetzige  Gestalt  der 
Erosion  verdanken. 

Voii  diesen  Fragen  soll  aber  hier  abgesehen  werden.  Die 
inneren  Theile  der  grossen  Fjorde  tragen  durchaus  und  aus- 
schliesslich den  Charakter  von  Erosionsthälern.  In  welchem 
Grade  das  Eis  bei  ihrer  Ausarbeitung  dem  Wasser  geholfen  hat, 
kann  vorläufig  unerörtert  bleiben;  sie  ausschliesslich  für  Eis- 
wirküng  zu  halten,  ist  unseres  Wissens  gegenwärtig  wohl 
niemand  geneigt.  Jedenfalls  haben  wir  ein  glacial  beeinflusstes, 
der  Hauptsache  nach  aber  wohl  dem  fliessenden  Wasser  zu 
dankendes  Thälsystem  vor  uns.   • 

Vergleichen  wir  dieses  Thalsystem  mit  dem  alpinen,  so 
fallen  uns  sofort  zwei  Unterschiede  auf: 

1.  Die  Fjordthäler  sind  im  Durchschnitt  viel  steilwandiger 
und  nähern  sich  viel  mehr  der  U-Form,  gegenüber  der  in  den 
.^Ipen  vorherrschenden  V-Form. 

Die  Erklärung  wird  in  der  stärkeren  Eiswirkung  leicht 
gefunden  werden  können. 

2.  Die  Fjordthäler  sind  viel  ärmer  an  Verzweigungen  als 
die  Alpenthäler.  Das  hydrographische  System  ist  unentwickelt, 
es  ist  nicht  bis  zu  seinen  äussersten  Consequenzen  durch- 
geführt wie  anderswo.  Eine  Anzahl  von  Hauptrinnen  ist  mit 
ausserordentlicher  Wucht  und  Kraft  ausgearbeitet;  die  Zufluss- 
rinnen aber  sind  um  so  schwächer  entwickelt.  Neben  dem 
tiefen  Fjord  steht  unmittelbar  das  unzerschnittene  massive 
Fjeld;  während  der  eine  Bach,  der  in  den  Fjord  mündet,  sich 
bis  auf  den  Meeresspiegel  durchgeschnitten  hat  —  es  ist  dies 
allerdings  gewöhnlich  der  Hauptbach  — ,  läuft  ein  anderer, 
kaum  schwächerer,  erst  träge  in  einem  flachen  Fjeldthal,  um 
dann  plötzlich  in  hoher  Kaskade  über  die  Fjordwand  hinab- 
zustürzen. Zahlreiche  Seitenthäler  münden  hoch  oben  in  die 
Fjorde  aus;  sie  sind  durch  die  steile  Fjordwand  so  plötzlich 

Sitxb.  d.  mathem.-naturw.  GL;  CV.  Bd.,  Abth  I.  12 


178  E.Richter, 

unterbrochen,  als  wenn  der  Boden  mit  dem  Messer  abgeschnitten 
wäre.  Es  sind  meist  weite  glaciale  Trogthäler,  wie  sie  für  das 
Fjeld  charakteristisch  sind;  der  Gegensatz,  den  ihre  sanften 
Formen  zu  den  furchtbaren  steilwandigen  Schlünden  eines 
Närö-  oder  Geiranger-Fjordes  und  so  vieler  anderer  bilden,  kann 
nicht  schärfer  gedacht  werden.  Man  sieht  auch  in  den  Alpen- 
thälern  ungleiche  Entwicklungsstadien  verschiedener  Glieder 
eines  und  desselben  Flusssystems,  höher  gelegene  Seitenthal- 
mündungen  u.  dergl.;  doch  sind  diese  Erscheinungen  ziemlich 
unbedeutend  gegenüber  der  Grossartigkeit  und  Regelmässigkeit, 
mit  der  sie  in  Norwegen  auftreten  (Siehe  Fig.  4).  Es  ist  leicht 
verständlich,  dass  die  Mündung  eines  Seitenthaies  zurückverlegt 
wird  und  in  eine  relativ  höhere  Lage  zum  Hauptthal  gelangt, 
wenn  dieses  aus  einem  fluviatilen  V-Thal  in  ein  glaciales  U- 
Thal  verwandelt  wird.  Das  unterste,  ohnedies  gewöhnlich  ziem- 
lich steile  Stück  des  Seitenthaies  wird  wegrasirt  und  dieses 
gewissermassen  angeschnitten.  Auch  diese  Erscheinung  sieht 
man  an  den  norwegischen  Fjorden  nicht  selten.  Aber  das  ist 
doch  etwas  anderes  als  die  hochliegenden,  wenig  ausgeprägten 
Fjeldthäler.  Für  diese  reicht  die  hier  gegebene  Erklärung 
nicht  aus. 

Suess  hat  »Antlitz«,  11,426,  den  charakteristischen  Fjord- 
querschnitt abgebildet  und  den  oberen  scharfen  Rand  eines 
U- Thaies  mit  der  terrassenartig  sanfter  geneigten  Fläche 
dahinter  Schulter  genannt.  Auch  die  Zerstörung  der  Schulter 
durch  die  postglacialen  Seitenbäche  ist  an  derselben  Stelle 
besprochen  und  bildlich  wiedergegeben.  Man  sieht  die  Ansätze 
dieser  Art  überall,  doch  staunt  man  nicht  selten  über  den 
geringen  Erfolg,  den  das  fliessende  Wasser  in  der  postglacialen 
Zeit  erzielt  hat. 

In  der  Regel  stehen  die  Schultern  beiderseits  scharf  und 
trotzig  da.  Erreicht  man  die  Höhe  des  Fjeldes,  so  verräth  kein 
Anzeichen  die  Nähe  der  tiefen  Fjordschlucht. 

In  das  flach  und  schwächlich  entwickelte,  glacial  stark 
umgestaltete  Thalsystem  des  Fjeldes  schneidet  das  Sj'-stem 
der  steilwandigen,  schluchtartigen,  um  1000 — 2000  w  tieferen 
Fjordthäler  sich  ein;  ohne  jeden  Übergang,  ganz  rücksichtslos 
könnte  man  sagen  (Siehe  Fig.  4). 


Geomorphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen.  179 

Es  ist  das  einer  der  merkwürdigsten  Züge  der  Fjord- 
landschaft. Zunächst  ist  die  Sache  auch  verwunderlich  genug. 
Wenn  der  Fluss,  der  in  dem  jetzigen  Fjordthal  lief,  kräftig 
genug  war,  sich  so  einzuschneiden,  dass  diese  enormen  und  in 
den  Alpen  unerreichten  Schluchtwände  entstanden,  weshalb 
war  sein  Tributär,  der  vielleicht  nicht  viel  schwächer  ist,  nicht 
stark  genug,  auch  nur  die  geringste  Rinne  auszugraben  und 
zerflattert  als  »Fos«  an  der  hohen  Felswand?  Weshalb  ist  die 
Erosion  im  Hauptthal  der  im  Seitenthal  so  unverhältnissmässig 
vorausgeeilt,  dass  dieses  mitten  durchgeschnitten  erscheint, 
so  scharf,  dass  nicht  einmal  die  Schnittkanten  noch  ab- 
gerundet sind? 

Es  muss  eine  Zeit  gegeben  haben,  wo  die  thalbildenden 
Kräfte  auf  den  Linien  der  heutigen  Fjorde  und  ihrer  Haiipt- 
zuflussthäler  mit  grösstem  Erfolge  wirken  konnten,  während 
sie  auf  den  benachbarten  höher  gelegenen  Gebirgstheilen  und 
in  den  Seitenverzweigungen  niederer  Ordnung  ausser  Action 
gesetzt  waren. 

Das  kann  nicht  eine  Zeit  gewesen  sein,  in  der  das  ganze 
Land  gleichmässig  den  Wirkungen  des  abfliessenden  Regens, 
also  der  gewöhnlichen  Flusserosion  ausgesetzt  war;  dann 
müsste  das  hydrographische  Netz  consequent  durchgeführt  sein ; 
es  hätte  nicht  eine  Platte  mit  tiefen  Rinnen,  sondern  ein  regel- 
mässig geböschtes  und  abgedachtes  Gebirge  entstehen  müssen. 
Ebensowenig  konnten  diese  Formen  unter  einer  allgemeinen 
Eisdecke  entstanden  sein.  Die  wilden  steilen  Fjordwände  sind, 
trotzdem  sie  meist  geschliffen  sind,  nicht  glacialen  Charakters. 
Das  Eis  schafft  runde  weiche  Formen,  aber  nicht  Canons. 

Es  scheint,  dass  die  obige  Bedingung:  energische  Erosion 
auf  den  Hauptfurchen,  Stillstand  der  Erosion  auf  der  Höhe  des 
Gebirgsmassivs  nur  durch  die  Annahme  erfüllt  werden  kann: 
Wassercirculation  oder  schnellbewegte  Eisströme  in 
schon  vorgezeichneten  Tiefenrinnen;  Firneinhüllung 
der  höheren  Gebirgspartien. 

Diese  Annahme  trifft  heute  noch  zu  für  den  Stock  des 
Jostedalsbrae.  Das  Plateau  ist  mit  Firn  bedeckt;  Eisströme 
reichen  an  vielen  Stellen  bis  gegen  das  Meer.  Die  mächtigen 
Gletscherbäche  und   die   Eisströme    selbst   erodiren   kraftvoll. 

12* 


180  E.Richter, 

Kaum  in  einem  anderen  Theil  von  Norwegen  ist  aber  auch  der 
oben  geschilderte  Contrast  so  scharf  als  hier;  das  steilwandige 
unzertheilte  Fjeld  und  der  tiefe  Fjord.  E>er  Loen-See  und  der 
Olden-See  sind  von  allen  norwegischen  Bildern  die  norwegi- 
schesten. 

Zur  Zeit  als  die  Fjorde  auf  ihre  jetzige  Form  gebracht 
wurden,  muss  die  Schneegrenze  tiefer  gelegen  haben  und  Eis- 
ströme müssen  die  Fjorde  zum  Theile  erfüllt  haben.  Die  deut- 
liche U-Form  der  Gehänge  und  die  Barren  am  Ausgang  der 
Fjorde  nöthigen  zu  dieser  Annahme.  Das  Thalsystem  selbst  ist 
aber  ebenso  sicher  nicht  glacialen  Ursprunges,  sondern  stammt 
aus  einer  eisfreien  Zeit;  denn  es  ist  in  den  Hauptzügen  hydro- 
graphisch angeordnet,  wie  es  Eis  niemals  schaffen  könnte. 

Wir  kommen  somit  zur  Annahme,  dass  die  entscheidende 
Periode  für  die  Entstehung  der  Fjorde  und  insbesondere  für 
die  Herausbildung  ihrer  charakteristischen  Züge,  der  Steil- 
wandigkeit  der  Furchen  und  der  Unberührtheit  der  trennenden 
Stöcke,  die  Zwischenperioden  der  Eiszeit,  oder  deren  geringere 
Stadien  gewesen  sind. 

Gleichzeitig  mit  der  Austiefung  der  Fjorde  in  den  älteren 
Interglacialperioden  und  der  jüngeren  Eiszeit  erfolgte  die 
glaciale  Denudation  des  Fjeldes,  einerseits  durch  Abschleifung, 
anderseits,  und  wie  wir  annehmen  wirkungsvoller,  durch  die 
oben  besprochene  Botnerbildung,  die  Zerstörung  der  Grate  und 
Gebirgskämme.  In  der  ungefähren  Höhe  der  Schneegrenze 
wurden  sie  abgenommen,  und  heute  sehen  wir  das  Ergebniss 
dieser  Arbeit  eben.so  in  der  welligen  Oberfläche  des  schnee- 
freien Fjeldes,  als  besonders  deutlich  in  den  grossen  Plateau- 
gletschern von  Jostefjeld  und  Folgefond  vor  uns.  Die  Gebirgs- 
kämme, welche  vorauszusetzen  sind,  als  vor  der  ersten  Eiszeit 
hier  ein  regelmässiges,  hydrographisch  gegliedertes  Gebirge 
aufragte,  sind  bis  auf  die  letzte  Spur  verschwunden,  und  die 
Gletscher,  welche  die  Arbeit  verrichtet  haben,  ragen  nur  ganz 
wenig  über  die  Schneegrenze  empor.  Sie  werden  noch  vor- 
handen sein,  wenn  die  stolzen  Zinnen  von  Jotunheim,  die 
wilden  Horunger  und  der  plumpe  Galdhöpig  längst  verwittert 
und  ihre  Strünke  unter  sanft  gewölbten  Schneehauben  ver- 
schwunden sein  werden. 


Geomorphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen.  1 8 1 

So  erklärt  sich  die  Fjordbildung  in  ungezwungener  Weise. 
Die  Schneegrenze  mag  in  den  verschiedenen  Perioden,  die  wir 
als  günstig  für  die  Ausarbeitung  des  Gegensatzes  zwischen 
Fjord  und  Fjeld  angenommen  haben,  nicht  immer  ganz  gleich 
hoch  gelegen  haben;  der  Unterschied  war  aber  sicherlich  nicht 
sehr  gross.  Immer  wird  man  annehmen  können,  dass  gleich- 
zeitig Flüsse  oder  Eisströme  die  .Thäler  vertieften  und  ihre 
Wände  steiler  machten,  während  in  der  Höhe  die  Gipfel  ver- 
schwanden und  eine  Denudationsebene  geschaffen  wurde.  Der 
Gefallsbruch  an  der  Stelle,  wo  sich  diese  Ebene  mit  den  Fjord- 
schluchten verschneidet,  die  Schulter,  musste  immer  schärfer 
werden  und  schliesslich  sich  so  sehr  einem  rechten  Winkel 
nähern,  wie  wir  das  jetzt  sehen. 

Auf  diese  Weise  sind  zwei  Haupteigenschaften  der  norwe- 
gischen Fjorde  erklärt:  die  Steilwandigkeit  und  die  unvollstän- 
dige Durchführung  des  hydrographischen  Systems.  Es  wird 
zwar  auch  aus  der  neusten  Zusammenstellung  von  Dinse* 
nicht  ganz  klar,  ob  für  alle  Fjordgebiete  der  Erde  jener  Gefälls- 
bruch so  charakteristisch  ist  wie  für  die  norwegischen  Fjorde; 
ob  überall  der  Gegensatz  zwischen  der  steilwandigen  Fjord- 
schlucht und  dem  ebenen  Fjeld  so  lebhaft  ist  als  hier.  Sicher 
ist,  dass  Riasküsten  und  solche  von  dalmatinischem  Typus 
und  Steilküsten  wie  die  ligurische  sich  schon  durch  den 
Mangel  jenes  Gefallsbruches  ganz  auffallend  von  dem  norwe- 
gischen Typus  entfernen,  sollte  der  Grundriss  ihrer  Einbuch- 
tungen auch  einmal  fjordähnlich  aussehen. 

Während  die  Steilwandigkeit  der  Fjorde  oft  hervorgehoben 
worden  ist,  hat  man  die  andere,  daraus  hervorgehende  Eigen- 
schaft, die  unvollständige  Ausbildung  des  hydrographischen 
Systems,  weniger  beachtet.  Doch  ist  sie  nicht  weniger  charak- 
teristisch, und  es  wird  nicht  zu  bezweifeln  sein,  dass  eine 
Vergletscherung,  welche  nicht  eine  völlige  Einhüllung  in  Eis 
ist,  der  einseitigen  Ausbildung  gewisser  schon  vorhandener 
Hauptthalgerinne,  die  unter  die  Schneelinie  zu  liegen  kommen, 
auf  Kosten  anderer,  die  oberhalb  der  Schneegrenze  bleiben, 
günstig  sein    muss;   denn   unter  Firn   ruht  die    Erosion   von 


1  Zeitschr.  der  Berl.  Ges.  für  Erdkunde,  1895/1. 


182  E.Richter, 

Furchen  um  dort  umso  kräftiger  zu  erwachen,  wo  der  Gletscher- 
bach hervortritt  oder  wo  ein  rascher  Eisstrom  fliesst. 

Nach  J.  Geikie^  haben  wir  für  Skandinavien  eine  vier- 
malige gänzliche  Vereisung  und  darnach  noch  zwei  schwächere 
Vorstossperioden  der  Gletscher  anzunehmen;  nach  Hansen 
zwei  grosse  und  zwei  kleinere  Eiszeiten.*  Der  Unterschied 
beruht  darin,  dass  Hansen  Geikie*s  erste  und  dritte  Eis- 
zeit, für  die  thatsächlich  in  Skandinavien  wenig  Zeugnisse 
vorhanden  sind,  nicht  kennt.  Für  unsere  Betrachtung  ist  es 
von  untergeordneter  Bedeutung,  ob  wir  eine  oder  zwei  Unter- 
brechungen der  Eiszeit  mehr  anzunehmen  haben  oder  nicht; 
das  Entscheidende  ist  der  mehrmalige  Wechsel  von  Wasser- 
und  Eisstromarbeit  in  den  Thälern,  und  darüber  ist  wohl  kaum 
mehr  ein  Zweifel  gestattet.  Welches  Klima  vor  der  ersten  Eiszeit 
herrschte,  wissen  wir  nicht.  Man  weiss,  dass  die  Tertiärperiode 
wärmer  war  als  die  Gegenwart  und  allmälige  Abkühlung  ein- 
trat. Da  in  Skandinavien  kein  marines  Tertiär  gefunden  wird, 
wird  man  annehmen  müssen,  dass  das  Land  wie  heute  hoch 
über  die  See  emporragte.  Freilich  findet  man  auch  keine  Süss- 
wasserablagerungen.  Man  wird  voraussetzen  können,  dass  sie 
der  mehrmaligen  glacialen  Denudation  zum  Opfer  gefallen  sind. 
Aus  dieser  Zeit  stammen  wohl  die  Grundzüge  des  heutigen 
Fjordnetzes,  das  präglaciale  Thalsystem  des  Westabhanges  der 
Halbinsel;  wir  denken  es  uns  viel  weniger  tief  eingeschnitten 
als  jetzt,  ein  regelmässiges  hydrographisches  System,  ohne  die 
charakteristischen  Gefällsbrüche  und  Steilwände  der  Gegen- 
wart. 

Es  kam  nun  die  erste  Eiszeit,  Geikie's  Scanian;  wir 
wissen  wenig  von  ihr.  Von  Geikie  wird  sie  ungefähr  als 
gleichwerthig  mit  der  vierten  (dem  Mecklenburgian)  geschätzt. 
Darnach  müsste  man  eine  vollkommene  Firnbedeckung  der 
höheren  Theile  der  Halbinsel  und  Eisströme  in  den  Thälem 
voraussetzen,  die  bis  zum  heutigen  Küstensaum  reichen.  Damals 
wird  die  glaciale  Ausweitung  und  Ausrundung  aller  Thäler 
begonnen  haben. 


1  Great  Ice  Age,  III.  AuOage,  1894. 

3  Glacial  Succession  in  Norway.  Journ.  of  Geology,  1894,  p.  144. 


Geomorphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen.  1 83 

Zwischen  der  ersten  und  zweiten  Eiszeit,  im  Norfolkian, 
herrschte  nach  den  Fossilienfunden  ein  Klima,  welches  un- 
gefähr dem  heutigen  vergleichbar  ist.  Das  Land  stand  höher.^ 
Unter  solchen  Umständen  waren  die  vorausgesetzten  Bedin- 
gungen für  die  Ausbildung  der  Fjorde  in  einem  vollkommenen 
Grade  gegeben.  Die  höheren  Theile  des  Fjeldes  waren  verfirnt, 
die  präglacialen  Fjordthäler,  deren  Grund  noch  über  der  See  lag, 
eisfrei;  das  Fjeld  selbst  war  ebenfalls  höher,  auch  deshalb,  weil 
es  noch  weniger  denudirt  war.  Es  herrschten  also  Verhältnisse, 
wie  heute  in  der  Umgebung  von  Folgefond  oder  Jostedalsbrae. 
Es  folgt  die  zweite  Eiszeit,  Geikie's  Saxonian,  die  grösste 
von  allen;  sie  entspricht  Hanse n*s  proteroglacialer  Periode. 
Sie  war  es,  die  die  skandinavischen  Findlinge  an  den  Fuss  des 
Riesengebirges,  nach  Holland  und  England  brachte  und  die 
äusseren  Moränen  des  Alpenvorlandes  schuf.  Damals  muss 
ganz  Norwegen  mit  einer  so  grossen  Eislast  bedeckt  gewesen 
sein,  dass  kaum  irgend  ein  Stück  des  Bodens  sichtbar  war. 
In  dieser  Zeit  ist  die  Abschleifung  eine  allgemeine  und  gleich- 
massige  gewesen;  die  Ausbildung  gegensätzlicher  Formen,  wie 
Fjeld  und  Fjord,  kann  keine  Fortschritte,  sondern  nur  Rück- 
schritte gemacht  haben. 

Es  folgte  abermals  eine  Interglacialzeit,  das  Helvetian,  mit 
gemässigtem,  aber  wohl  kühlerem  Klima  als  die  frühere,  daher 
abermals  Vergletscherung  der  Höhen;  Eisfreiheit  der  Thäler, 
Weiterbildung  des  Gegensatzes. 

Die  nächste  Eiszeit  wäre  das  Polandian,  die  Periode  der 
inneren  Moränen  des  Alpenvorlandes;  sie  war  für  die  Alpen 
bis  in  die  neuere  Zeit  die  eigentliche  Eiszeit,  von  der  man 
überhaupt  sprach  und  wusste.  Sie  brachte  für  Skandinavien 
eine  fast  ebenso  starke  Vereisung  als  die  erste.  Es  ist  also 
abermals  Stillstand  in  der  Fjordbildung  anzunehmen. 

Die  nächste  Interglacialzeit  (Geikie's  Neudeckian)  zeigt 
wieder  weniger  warmes  Klima  als  die  vorhergegangene,  doch 
ist  die  Fauna  »sicher  nicht  arktisch«. 


^  Geikie,  S.  781 :  The  fjordvalleys  of  Norway  and  Scotland  have  been 
excavaled  by  running  water  at  a  time,  when  the  land  stood  some  2000  to 
3000  feet  higher  than  now.  And  the  same  may  be  said  of  the  fjordvalleys  of 
North  America  and  Greenland. 


184  E.Richter, 

In  der  vierten  Eiszeit,  dem  Mecklenburgian,  als  die 
mecklenburgischen  und  südnorwegischen  Erdmoränen  auf- 
geschüttet wurden  —  Hansen's  deuteroglaciale  Epoche  — , 
reichten  die  norwegischen  Eisströme  nur  mehr  bis  zum  Aus- 
gang der  Fjorde.  Dieser  Periode  wird  man  den  letzten  glacialen 
Schliff  der  Fjordlandschaft,  insbesondere  die  Vertiefung  der 
Fjordgründe  und  die  Aufschüttung  der  Fjordbarren  zuschreiben 
dürfen.  Da  das  Fjeld  auch  in  seinen  niedrigen  Partien  mit 
Firn  bedeckt  war,  wird  diese  Periode  für  die  Verschärfung 
der  Gegensätze  besonders  wirksam,  vielleicht  entscheidend 
gewesen  sein. 

Die  zwei  noch  folgenden  Vorstossperioden  (Hansen's 
»epiglaciale«  und  »subglaciale«  Periode)  brachten  die  Eis- 
zungen nur  bis  zu  den  rückwärtigen  Endungen  der  Fjorde; 
ihnen  werden  die  Abdämmungen  einiger  Fjordwinkel  zu 
Binnenseen  (Eidsvand  bei  Skjolden  in  Lyster  und  "  ähnliche 
Erscheinungen)  zuzuschreiben  sein. 

Es  ist  noch  die  Frage  zu  erörtern:  weshalb  sind  alle 
Fjordküsten  jetzt  zum  Theil  überschwemmt;  weshalb  sind  die 
Thäler,  welche  zwischen  den  firnbedeckten  Massiven  so  eigen- 
thümlich  erodirt  wurden,  gegenwärtig  zum  grösseren  Theile 
Meeresbuchten? 

Dafür  gibt  es  zwei  Erklärungen.  Einmal  ist  zu  beachten, 
dass  eine  Erosion  durch  Eisströme  nicht  wie  die  des  fliessenden 
Wassers  streng  auf  die  Gebiete  oberhalb  des  Meeresniveaus 
gebunden  ist.  Eine  Meeresbucht,  die  von  einem  Eisstrome 
erfüllt  ist,  der  nicht  schwimmt,  kann  durch  diesen  tiefer 
gemacht  und  ein  Thal,  dessen  Sohle  nicht  all'  zu  hoch  über 
dem  Meeresspiegel  liegt,  von  einem  starken  Eisstrom  auch 
unter  diesen  vertieft  werden. 

Da  aber  solche  Vorgänge  gewiss  nicht  ausreichen  würden, 
um  eine  so  grossartige  und  weitverbreitete  Erscheinung  zu 
erklären,  so  bleibt  nur  eine  andere,  ebenfalls  allgemeine  Ursache 
anzunehmen  übrig:  die  Erdoberfläche  befindet  sich 
gegenwärtig  im  Zeitalter  einer  Transgression. 

Für  diese  Annahme  sprechen  ausser  der  Existenz  der 
Fjorde,  die  ja  unter  allen  Umständen,  auch  wenn  man  die  hier 
aufgestellte    Theorie   nicht   billigt,   als   inundirte   Thäler   auf- 


Geomorphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen.  1 85 

zufassen  sein  werden,  noch  zwei  Gründe:  erstens  die  Korallen- 
inseln, sobald  man  die  jetzt  wieder  zu  Ehren  kommende 
Darwin'sche  Erklärung  annimmt,  und  zweitens  der  Umstand, 
dass  fast  überall  auf  der  Erde  die  Küsten  den  Umriss  inun- 
dirter  Festlandspartien,  nicht  den  erhobener  Theile  des 
Meeresbodens  zeigen. 

Mit  den  beiden  Annahmen:  Vergletscherung  prägla- 
cialer  Thäler  und  Transgression  scheint  aber  überhaupt  das 
Fjordphänomen  in  allen  seinen  Eigenschaften  ausreichend 
erklärt. 

Die  charakteristischen  Eigenschaften  der  Fjorde  sind: 
a)  Steilwandigkeit,  b)  ungleichmässiges  Gefälle  des  Grundes 
oder  Beckenbildung,  c)  trogartige  Ausschleifung  der  Wände, 
d)  geselliges  Auftreten  ausschliesslich  im  Seeklima  der  kühleren 
Hälfte  der  gemässigten  Zonen. 

Alle  diese  Eigenschaften  erklären  sich  durch  die  Ver- 
gletscherung. 

Weitere  Eigenschaften  sind:  e)  Eine  Anordnung  hydro- 
graphischer Natur,  d.  h.  reihenweises  geselliges  Auftreten 
neben  einander,  Verzweigung  ins  Innere,  ähnlich  Flussläufen, 
obwohl  sie  jetzt  nicht  Stätten  fliessender  Gewässer  sind, 
y? unterseeische  Fortsetzungen  durch  seichte  Meere  bis  in  tiefere 
Meeresgebiete. 

"Diese  Eigenschaften,  also  überhaupt  die  Existenz  der 
Fjorde  als  Meeresbuchten,  erklärt  sich  durch  präglaciale  Bil- 
dung und  Meerestransgression  oder  positive  Strandverschiebung. 

Zwei  weitere  Eigenschaften,  g)  die  Auflösung  der  Fjord- 
küsten durch  Fjordstrassen,  also  die  Existenz  grösserer  vor- 
liegender Inseln,  dann  h)  der  vorliegende  Schärenhof  bedürfen 
einiger  Worte  mehr,  und  zwar  müssen  die  genannten  beiden 
Erscheinungen  strenge  von  einander  geschieden  werden. 

Die  Entstehung  von  Fjordstrassen  ist  aufzufassen  als  Er- 
gebniss  der  Durchkreuzung  und  Verschmelzung  ursprünglich 
unabhängiger  Thalsysteme.  Die  Sache  erscheint  dort,  wo  der 
natürliche  Zusammenhang  der  einzelnen  Gebirgskörper  durch 
einen  Wasserspiegel  verschleiert  ist,  meist  viel  wunderbarer 
als  sie  wirklich  ist.  Würde  man  eine  Fjordküste  um  einige 
100  m  aus  dem  Wasser  heben  können,  so  käme  eine  Anzahl  jetzt 


186  E.  Richter. 

unterseeischer  Verbindungsrücken(»Eide»),gemeinsamer  Sockel 
u.  dergl.  zum  Vorschein,  welche  einen  verständlichen  oro- 
graphischen  Zusammenhang  herstellten.  Wir  würden  dann  eine 
sehr  auffallende  Ähnlichkeit  mit  den  Randpartien  anderer  Ge- 
birgsländer  in  allen  Theilen  der  Erde  wahrnehmen.  Die  Zahl 
isolirter  Stöcke  und  Gruppen,  die  nur  mittelst  niedriger  Rücken 
oder  Thalwasserscheiden  mit  der  Hauptmasse  des  Gebirges 
zusammenhängen,  ist  sowohl  am  Süd-  als  am  Nordrand  der 
Alpen  überaus  gross.  Solche  Abtrennungen  sind  also  keine 
nur  für  Fjordküsten  charakteristische  Erscheinung,  sondern 
ein  ganz  allgemeines  Phänomen  der  Gebirgsbildung,  weiches 
nur  an  inundirten  Gebirgsrändern  in  auffallenderer  Weise 
sichtbar  wird.  Man  denke  z.  B.  an  die  dalmatinische  Küste, 
welche  gewiss  keine  Fjordküste  ist,  sondern  durch  eine  Reihe 
höchst  charakteristischer  Eigenschaften  von  einer  solchen  sich 
unterscheidet;  eines  hat  sie  aber  doch  mit  ihr  gemeinsam,  das 
sind  die  Abtrennungen  einzelner  Stücke  des  Festlandes.  Es 
werden  solche  in  Gebirgen  überall  dort  eintreten,  wo  zwei  Systeme 
von  Tiefenfurchen  für  den  orographischen  Bau  massgebend 
gewesen  sind;  in  Dalmatien  sind  es  die  Längsfalten  des  Ge- 
birgsbaues  und  die  darauf  und  zur  Küste  ungefähr  senkrecht 
stehenden  Erosionsfurchen,  deren  Verlauf  vielfach  wieder  durch 
Brüche  und  Absenkungen  bestimmt  sein  wird.  Ähnlich  ist  es 
in  den  nördlichen  Kalkalpen,  wo  die  Längsfalten  des  Gebirges 
und  die  zonale  Aufeinanderfolge  verschiedener  Gesteine  von 
den  Querthalfurchen  ungefähr  senkrecht  geschnitten  werden. 
Durch  die  leichtere  und  raschere  Zerstörung  gewisser  Gesteins- 
partien und  durch  die  gewöhnliche  Wassererosion  ist  so  ein 
netzartiger  Verlauf  der  Tiefenfurchen  hervorgebracht,  der  im 
Falle  derTransgressionAnlass  zu  zahlreichen  Fjordstrassengäbe. 
Es  wird  sich  daher  auch  bei  den  wirklichen  jetzt  bestehen- 
den Fjordküsten  empfehlen,  bei  Erklärung  der  Fjordstrassen 
zunächst  nach  der  Tektonik  zu  fragen.  Dass  sie  hier  an 
bestimmten  Stellen  dieselbe  Rolle  spielt  wie  in  den  Alpen,  dafür 
ist  ein  von  mir  besuchter,  sehr  bekannter  Platz  in  Norwegen, 
die  Gegend  nördlich  von  Bergen,  der  deutlichste  Beweis.  Dort 
laufen  die  Falten  des  silurischen  Gesteins  von  NW  nach  SO, 
während  die  Richtung  des  Öster-Fjordes  im  Allgemeinen  NO 


Geomorphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen.  187 

bis  SW,  des  Sör-Fjordes  S — N,  dann  O — W  ist.  Durch  die 
Gletscherwirkung  und  gewöhnliche  Oberflächendenudation  sind 
die  Falten  als  zahllose  nebeneinander  laufende  niedrige  Rücken 
an  der  Oberfläche  zum  Ausdruck  gekommen,  zwischen  sich 
Thäler,  Fjorde  und  Binnenseen  offen  lassend.  Das  Blatt  der 
norwegischen  Rektangelkarte,  welches  dieses  Gebiet  dar- 
stellt, zeigt  ganz  deutlich,  wie  Fjordstrassen  und  Inseln  durch 
die  Kreuzung  dieser  zwei  Richtungen  entstehen. 

Zahlreiche  Veranlassungen  zur  Kreuzung  von  Thalfurchen 
bot  die  Vergletscherung  dar.  Auch  im  Innern  Norwegens  sind 
niedrige  Thalwasserscheiden,  isolirtes  Hervortreten  einzelner 
Stöcke,  unklares  Verschmelzen  von  Thalfurchen,  scheinbare 
Gabelungen  überaus  häufig;  man  könnte  mit  ihrer  Aufzählung 
ein  Buch  füllen.  Auch  an  offenbaren  Beispielen  rückschnei- 
dender Erosion,  die  zur  Anzapfung  von  Thälern  führte,  fehlt  es 
nicht.  Ein  sehr  auffallendes  ist  Stardal-Jölster.  Ein  breites,  wohl 
ausgebildetes  Thal  führt  vom  Fuss  des  Jostedalsbrae,  wo  es  mit 
dem  gewaltigen  Amphitheater  von  Aamot  schliesst,  hinaus  zum 
Jölstervand.  Es  ist  aber  von  Norden  her  zweimal  »angezapft« 
worden,  wie  die  nebenstehende  Kartenskizze  lehrt  (Fig.  5).  Man 
wird  die  Erklärung  nicht  bloss  darin  finden,  dass  im  Norden  der 
durchschnittenen  Gebirgskette  der  Meeresspiegel  näher  liegt, 
als  im  Süden,  sondern  auch  darin,  dass  das  angezapfte  Thal 
mit  einem  grossen  Eisstrom  angefüllt  war,  der  Seitenäste  über 
die  vorhandenen  Wasserscheiden  nach  Norden  sendete.  Deren 
Abflüsse  schnitten  sich  rasch  in  die  Nordseite  der  Wasser- 
scheiden ein,  während  die  Südseiten  unter  ihrer  Eisbedeckung 
vor  dem  fliessenden  Wasser  geschützt  waren;  vielleicht  auch 
durch  die  Eisbewegung  in  der  Richtung  gegen  die  Wasser- 
scheide erniedrigt  wurden.  Ohne  Intervention  eines  über  die 
Wasserscheide,  also  gegen  die  Richtung  des  einen  Flusses 
hin  wirkenden  Gletschers,  ist  die  gänzliche  Zerstörung  einer 
Wasserscheide  schwer  denkbar,  weil  zwischen  den  beiden 
nach  verschiedenen  Seiten  hin  wirkenden  Gewässern  immer 
ein  todter  Punkt  oder,  wenn  der  Ausdruck  gestattet  ist,  eine 
todte  Linie  bleiben  muss. 

Wäre  jenes  Gebiet  um  200—300  m  versenkt,  so  hätte  man 
zwei  Fjordstrassen  von  erstaunlicher  Enge  vor  sich. 


188  E.Richter, 

Die  Erscheinung  der  Fjordstrassen  ist  also  im  Allgemeinen 
durch  positive  Strandverschiebung  und  Vereisung  genügend 
erklärt,  da  ihre  Voraussetzungen  an  allen  Rändern  complicirter 
gebauter  Gebirge  gegeben  sind  und  sie  durch  wiederholte  Ver- 
eisungen mächtig  gefördert  wird. 

Das  Auftreten  des  Schärenhofes  an  der  norwegischen 
Küste  ist  durch  Reusch  in  vollkommen  befriedigender  Weise 
erklärt  worden.^  Man  hat  eine  »Strandebene«  vor  sich,  die 
durch  Brandungswirkung  entstanden  ist. 

Da  sie  interglacial  ist,  wurde  sie  geschliffen,  und  da  das 
Meer  seit  ihrer  Bildung  mehrmals  seinen  Stand,  wenn  auch 
nicht  beträchtlich  änderte,  ist  sie  zum  Theil  überschwemmt, 
zum  Theil  wasserfrei.  Sie  hat  zunächst  mit  der  Fjordbildung 
nichts  zu  thun,  sondern  ist  eine  Sache  für  sich. 

Jede  aus  hartem  Gestein  bestehende,  durch  eine  Eiszeit 
modellirte  Ebene  bildet,  wenn  sie  zum  Theil  unter  Wasser 
gesetzt  wird,  eine  Schärenküste.  Diese  ist  nichts  Anderes 
als  die  typische  Uferform  glacial  bearbeiter  Platten;  daher  findet 
sie  sich  ebenso  in  Schweden  und  Finnland  als  an  den  nord- 
amerikanischen Seen.2  Die  schwach  entwickelten  Fjordküsten, 
wie  die  von  Maine,  bilden  eine  Übergangsform  zwischen 
der  Schären-  und  Fjordküste. 

Betrachten  wir  schliesslich  eine  Steilküste  ausserhalb  des 
Fjordgebietes,  z.  B.  die  ligurische  Küste  am  Mittelmeer,  um 
über  die  charakteristischen  Unterschiede  gegenüber  den  Fjord- 
küsten und  ihre  Ursachen  vollends  ins  Klare  zu  kommen. 

Die  ligurische  Küste  hat  zwar  Querthäler,  aber  sie  sind 
nicht  inundirt.  Es  hat  also  entweder  keine  Transgression  statt- 
gefunden, oder  wenn  eine  solche  sich  einmal  eingestellt  hat,  so 
hat  die  Ausfüllung  der  Thäler  mit  der  Senkung  Schritt  gehalten. 
Diess  ist  bei  den  Fjorden  niemals  der  Fall  gewesen,  weil  die 
Eiserfüllung  die  Schuttfüllung  ausschloss. 

Daraus  ergibt  sich  für  Fjordküsten  die  Folgerung, 
dass  die  Transgression  zur  Eiszeit  stattgefunden 
haben  muss. 


1  Geologiske  Undersölgelse,  XI V^  1. 

2  Ratzel  in  Peterm.  Mitth.  1880. 


Geomorphologische  Beobachtungen  aus  Norwegen.  189 

Die  Thäler  der  ligurischen  Küste  haben  an  ihren  Hängen 
keinen  Gefällsbruch,  die  Seitengräben  sind  nicht  durch  hohe 
Stufen  abgeschnitten;  die  Bergkämme  sind  nicht  zu  Plateau- 
stöcken abgeflacht;  die  Thäler  sind  nicht  trogartig  ausgerundet; 
sie  haben  keine  Becken:  alles  weil  sie  nie  vergletschert  waren. 

Die  Küste  hat  keinen  Schärenhof  vor  sich,  weil  die 
schwache  Brandung  des  Mittelmeeres  keine  Abrasionsfläche 
schaffen  konnte. 

Die  gebirgigen  Küsten  wärmerer  Zonen  ausserhalb  der 
Vergletscherung  haben  also  keine  Fjorde;  aber  auch  die  flachen 
Küsten  der  Arktis,  wie  die  nordasiatischen,  haben  weder  Fjorde 
noch  Schären,  weil  sie  nicht  vergletschert  waren. 

Damit  scheint  also  die  Beschränkung  der  Fjorde  auf  das 
Gebiet  der  alten  Vereisung  hinreichend  erklärt.  Es  war  natür- 
lich, dass  man  auf  den  Gedanken  verfiel,  die  Fjorde  müssten 
von  den  Gletschern  erodirt  sein,  sobald  man  darüber  ins  Reine 
gekommen  war,  dass  sie  ausserhalb  jenes  Gebietes  nicht  vor- 
kommen. Genauere  Beobachtungen  haben  gezeigt,  dass  der 
Zusammenhang  zwar  nicht  so  einfach,  aber  nicht  weniger 
zwingend  ist. 


1 


E.  Richter:  Geomorpholog.  Beobachtungen  aus  Norwegen. 


Taf.  I. 


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Sitzungsberichte  d.  kais.  Akad.  d.  Wiss.,  math.-naturw.  Classe,  Bd.  CV.  Abth.  I.  1896. 


E.  Richter:  Geomorpholog.  Beobachtungen  aus  Norwegen. 


Taf.  II. 


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Motiv  aus  dem  Näröfjord. 


Fig.  5.  Stardal  in  Jölster. 
Sitzungsberichte  d.  kais.  Akad.  d.  Wiss.,  math.-naturw.  Classe,  Bd.  CV.  Abth.  I.  1896. 


Die  Sitzungsberichte  der  mathem.-naturvv.  Classe 
erscheinen  vom  Jahre  1888  (Band  XCVII)  an  in  folgenden  vier 
gesonderten  Abtheüungen,  welche  auch  einzeln  bezogen 
werden  können: 

Abtheilung  L  Enthält  die  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 
Mineralogie,  Krystallographie,  Botanik,  Physio- 
logie der  Pflanzen,  Zoologie,  Paläontologie,  Geo- 
logie,  Physischen   Geographie  und   Reisen. 

Abtheilung  II.  a.  Die  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 
Mathematik,  Astronomie,  Physik,  Meteorologie 
und  Mechanik. 

Abt  Heilung  II.  b.  Die  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 
Chemie. 

Abtheilung  III.  Die  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 
Anatomie  und  Physiologie  des  Menschen  und  der 
Thiere,  sowie  aus  jenem  der  theoretischen  Medicin. 

Dem  Berichte  über  jede  Sitzung  geht  eine  Übersicht  aller 
in  derselben  vorgelegten  Manuscripte  voran. 

Von  jenen  in  den  Sitzungsberichten  enthaltenen  Abhand- 
lungen, zu  deren  Titel  im  Inhaltsverzeichniss  ein  Preis  beigesetzt 
ist,  kommen  Separatabdrücke  in  den  Buchhandel  und  können 
durch  die  akademische  Buchhandlung  Carl  Gerold's  Sohn 
(Wien,  I.,  Barbaragasse  2)  zu  dem  angegebenen  Preise  bezogen 
werden. 

Die  dem  Gebiete  der  Chemie  und  verwandter  Theile  anderer 
Wissenschaften  angehörigen  Abhandlungen  werden  auch  in  be- 
sonderen Heften  unter  dem  Titel  >Monatshefte  für  Chemie 
und  verwandte  Theile  anderer  Wissenschaften«  heraus- 
gegeben. Der  Pränumerationspreis  für  einen  Jahrgang  dieser 
Monatshefte  beträgt  5  fl.  oder  10  Mark. 

Der  akademische  Anzeiger,  welcher  nur  Original-Auszüge 
oder,  wo  diese  fehlen,  die  Titel  der  vorgelegten  Abhandlungen 
enthält,  wird,  wie  bisher,  acht  Tage  nach  jeder  Sitzung  aus- 
gegeben. Der  Preis  des  Jahrganges  ist  1  tl.  50  kr.  oder  3  Mark. 


SITZIJNGSBERICHTI 


/ 


3-2^ 


DER  KAISERLICHEN 


ADEMIE  DER  WISSENS! 


TÄATHE  M  ATI  S  CH  -  NATURWISSEN  SCHAFTLICI 


CZ-\^.     BAND.   III.  UND  IV.  HEF 


JA 


laG  1896.  —  MÄRZ  und 


ABTHEILUNG  I. 


j^g.      ^a^B HANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DI 
rf-*^'^^'^     <^R>Vl*mE,     BOTANIK,  PHYSIOLOGIE  DER  PFL. 
^'tr«'«'^^'''^*^       ,    ^--^TF^        OEOLOGIE,  PHYSISCHEN  GEOGRAPI 
pA* «  


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'3     T-A-FELN,'  2  KARTENSKIZZEN  UND  1  TEXTl 


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•    WIEN,  1896. 

IC  H-KÖNIGLICHEN   HOF-  VND  STA 


ji^tW^ISSlON  BEI  CARL  GEROLD'S  S 

^^     DER  KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  Wl^SE.^■b 


KNHALT 

des  3.  und  4.  Heftes  März  und  April  1896  des  CV.  Bandes,  Abthoilung"  I 
der  Sitzungsberichte  der  mathem.-naturw.  Classe. 

Seite 

Vn.  Sitzung  vom  5.  März  1896:  Übersicht .      193 

Vin.  Sitzung  vom  12.  März  1896:  Übersicht 195 

IX.  Sitzung  vom  19.  März  1896:  Übersicht 196 

Zukal  H.,  Morphologische  und  biologische  Untersuchungen  über 

die  Flechten.  (III.  Abhandlung.)  [Preis :  75  kr.  =  1  Mk.  50  Pfg.]      1 97 

^      X.  Sitzung  vom  16.  April  1896:  Obersicht 267 

Maly  G,  W.,  Untersuchungen  über  Verwachsungen  und  Spaltungen 

von  Blumenblättern.  (Mit  2  Tafeln.)  [Preis:  45  kr. =90  Pfg.]     269 

Ginzberger  A.,  Über  einige  Lathyrus -Arien  aus  der  Section  Eula- 
thyrtis  und  ihre  geographische  Verbreitung.  (Mit  1  Tafel, 
2  Kartenskizzen  und  1  Textfigur.)  Preis:  1  fl.  =  2  Mk.]  .   .     281 
XI.  Sitzung  vom  23.  April  1896:  Übersicht 353 

Preis  des  ganzen  Heftes:  1  fl.  75  kr.  =  3  Mk.50  Pfg. 


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SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAHEN. 


MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CV.  BAND.  III.  HEFT. 


ABTHEILUNG  I. 

ENTHÄLT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  MINERALOGIE, 

KRYSTALLOGRAPHIE,  BOTANIK,  PHYSIOLOGIE  DER  PFLANZEN,  ZOOLOGIE, 

PALÄONTOLOGIE,  GEOLOGIE,  PHYSISCHEN  GEOGRAPHIE  UND  REISEN. 


13 


193 


VII.  SITZUNG  VOM  5.  MÄRZ   1896. 


Erschienen:  Sitzungsberichte,  Bd.  104.  Abth.  I,  Heft  IX  (November  1895), 
femer  das  Heft  I  (Jänner  1896)  des  17.  Bandes  der  Monatshefte  für 
Chemie. 

Herr  Prof.  Dr.  J.  Puluj  in  Prag  übersendet  einen  Nach- 
trag zu  seiner  in  der  Sitzung  vom  13.  Februar  1.  J.  vorgelegten 
Abhandlung:  »Über  die  Entstehung  der  Röntgen'schen 
Strahlen  und  ihre  photographische  Wirkung«. 

Herr  Dr.  Alfred  Naiepa,  Professor-  am  k.  k.  Elisabeth- 
Gymnasium  im  V.  Bezirke  in  Wien,  übersendet  eine  vorläufige 
Mittheilung:  » Paraphytoptns,  eine  neue  Phytoptiden- 
Gattung.«  • 

Der  Secretär  legt  folgende  eingesendete  Abhandlungen 
vor: 

1.  Ȇber  die  analytische  Form  der  concreten  stati- 
stischen Massenerscheinungen«,  von  Dr.  Ernst 
Blaschke,  Privatdocent  an  der  k.  k.  Universität  in  Wien. 

2.  »Berechnung  des  Umfanges  der  Ellipse«,  von  Herrn 
Theodor  Schmidt,  Ingenieur  in  Wien. 

Das  vv.  M.  Herr  Prof.  Friedrich  Brauer  überreicht  einen 
Bericht  von  Dr.  Rudolf  Sturany  über  die  Mollusken  I 
(Prosobranchier  und  Opisthobranchier;  Scaphopoden; 
Lamellibranchier),  welche  anlässlich  der  österreichischen 
Tiefsee-Expeditionen  S.  M.  Schiffes  »Pola«  1890 — 1894  ge- 
dredscht  wurden. 


194 


Selbständige  Werke  oder  neue,  der  Akademie  bisher  nich^ 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

Wettstein  R.  v.,  Monographie  der  Gattung  Euphrasia. 
Arbeiten  des  botanischen  Institutes  der  k.  k.  deutschen 
Universität  in  Prag.  (Mit  14  Tafeln,  4  Karten  und  7  Text- 
figuren.) Mit  einem  De  Candolle- Preis  ausgezeichnete 
Arbeit.  Herausgegeben  mit  Unterstützung  der  Gesellschaft 
zur  Förderung  deutscher  Wissenschaft,  Kunst  und  Literatur 
in  Böhmen.  Leipzig,  1896;  4^^. 


195 


VIII.  SITZUNG  VOM   12.  MÄRZ  1896. 


Das  c.  M.  Herr  Prof.  G.  Goldschmiedt  übersendet  eine 
im  chemischen  Laboratorium  der  k.  k.  deutschen  Universität  in 
Prag  ausgeführte  Arbeit  von  Prof.  Dr.  Karl  Brunner,  betitelt: 
»Eine  Indoliumbase  und  ihr  Indolinon«. 

Herr  Hugo  Zukal  in  Wien  übersendet  eine  III.  Abhandlung 
(Schluss)  seiner  Arbeit:  »Morphologische  und  biologische 
Untersuchungen  über  die  Flechten«. 

Der  Secretär  bringt  den  wesentlichen  Inhalt  einer  brief- 
lichen Mittheilung  zur  Kenntniss,  welche  von  dem  wissen- 
schaftlichen Leiter  der  Expedition  S.  M.  Schiffes  «►Pola«  im 
Rothen  Meere,  Herrn  Hofrath  Director  F.  Steindachner,  w. M., 
aus  Suez  eingelangt  ist. 


IW 


IX.  SITZUNG  VOM   19.  MÄRZ  1896. 


Erschienen:  Sitzungsberichte,  Bd.  104,  Abth.  I,  Heft  X  (December  1 895). 

Herr  Prof.  Dr.  L.  Weine k,  Director  der  k.  k.  Sternwarte 
in  Prag,  übermittelt  als  Fortsetzung  seiner  Mondarbeiten 
zehn  weitere  photographische  Mondvergrösserungen  nach 
den  neuesten  Aufnahmen  der  Lick-Stemwarte. 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  Franz  Exner  in  Wien  übersendet  eine 
in  Gemeinschaft  mit  Herrn  stud.  phil.  E.  Hasch ek  ausgeführte 
Arbeit:  Ȇber  die  ultravioletten  Funkenspectren  der 
Elemente«  (II.  Mittheilung). 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  Zd.  H.  Skraup  übersendet  eine  Arbeit 
aus  dem  chemischen  Institut  der  k.  k.  Universität  in  Graz  von 
Prof.  Dr.  Hugo  Schrötter:  »Beiträge  zur  Kenntniss  der 
.Albumosen»  (III.  Mittheilung). 

Herr  Prof.  Dr.  Ph.  KnoU  übersendet  eine  Abhandlung: 
*Über  die  Blutkörperchen  bei  Wechsel  warmen  Wirbel- 
thieren«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  Ad.  Lieben  überreicht  eine 
Arbeit  aus  seinem  Laboratorium  von  Herrn  Ludwig  Braun: 
*Über  dieEin Wirkung  von  Isobutyraldehyd  auf  xMalon- 
und  Cyanessigsäure«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  H.  Weide  1  überreicht  zwei  Arbeiten 
aus  dem  I.  chemischen  Laboratorium  der  k.  k.  Universität  in 
Wien. 

1.  »Über  eine   Isomerie  beim  Acetylaurin«,  von  Dr. 
J.  Herzig. 

2.  »Über    den    Abbau    einiger    Säureamide«,    von 
H.  Weidel  und  E.  Roithner. 

Herr  Adalbert  Prey,  stud.  philos.  in  Wien,  überreicht  eine 
Abhandlung:  Ȇber  Gestalt  und  Lage  der  Milchstrassc 


197 


Morphologische  und  biologische  Unter- 
suchungen über  die  Flechten 

(III.  Abhandlung) 

von 

H.  Zukal. 

I.  Die  Flechten  als  lichtbedürftige  Organismen. 

Wer  unbefangen  von  wissenschaftlichen  Theorien  in  der 
freien  Natur  sein  Auge  prüfend  auf  den  verschiedenen  Flechten- 
formen ruhen  lässt,  der  erhält  den  Eindruck,  dass  die  Flechten 
ein  verbindendes  Mittelglied  zwischen  den  Pilzen  und  Moosen 
darstellen.  Viele  Krustenflechten,  z.  B.  aus  den  Gattungen  Leci- 
Jea,  Calycium,  Graphis  und  Baeomyces  besitzen  noch  ganz 
die  ursprüngliche  Pilzform.  Die  frischgrünen  Thallusrosetten 
mancher  Arten  von  Peltigera  und  Solorma  dagegen  ahmen, 
besonders  in  ihren  Jugendformen,  so  täuschend  gewisse  Leber- 
moose (Aneura,  Pellia,  Blasia,  Marchantia)  nach,  dass  auf 
einige  Entfernung  durch  sie  sogar  das  Auge  eines  Fachmannes 
getäuscht  werden  kann.  Gewisse  Formen  von  Claäonia  endlich, 
wie  z.  B.  die  gemeine  Cladonia  furcata  var.  erecta^  polyphylla, 
erinnern  an  die  niederen  Formen  der  beblätterten  Junger- 
mannien,  während  wieder  andere  Arten,  wie  z.  B.  die  Rennthier- 
flechte,  kleinen,  blattlosen  Sträuchern,  wie  z.  B.  Spartium, 
Psilotum,  nicht  unähnlich  sind.  Es  ist  geradeso,  als  ob  die 
Natur  einst  den  Versuch  gemacht  hätte,  aus  Pilzen  grüne 
Moose  zu  formen,  und  als  ob  die  Flechten  von  diesen  mehr 
oder  weniger  gelungenen  Versuchen  noch  gegenwärtig  Zeug- 
niss  ablegten.  Für  diese  stumme  und  doch  so  beredte  Sprache 
der  Flechten  haben  seit  jeher  die  mit  einem  hochentwickelten. 


198  H.  Zukal, 

feinen  Formensinn  begabten  Systematiker  ein  besonderes  Vei- 
ständniss  gezeigt,  und  es  darf  uns  daher  nicht  wundernehmen, 
wenn  auch  noch  heutzutage  ein  grosser  Theil  der  Lichenologen 
der  Schwendener'schen Theorie  ein  ungläubiges  Lächeln  ent- 
gegensetzt. So  sehr  aber  auch  der  Augenschein  dafür  spricht, 
dass   die  Flechten    selbständige   Pflanzen   seien,   welche  die 
Pilze  mit  den  übrigen  grünen  Gewächsen,  namentlich  mit  den 
Moosen,  verbinden,  so  sehr  täuscht  eben  dieser  Augenschein. 
Woher  kommt  aber  die  handgreifliche  Ähnlichkeit  zwi- 
schen einer  5/^5/a-Rosette  und  dem  jungen  Thallus  von  Solo- 
rina  oder  Peltigera'i   Die  Sache  verhält  sich  so:   In  allen 
Classen  des  Pflanzenreiches,  wo  chlorophyllhältige 
Zellen  vorkommen,   herrscht  das  Bestreben  vor,  die 
grünen  Flächen  zu  vergrössern.  Dieses  Streben  nach  Ver- 
breiterung der  grünen  Flächen  ist  ohne  weiters  verständlich, 
wenn  wir  bedenken,  dass  die  chlorophyllführenden  Flächen 
zugleich  die  assimilirenden  sind  und  dass  es  jedem  Organis- 
mus nur  Vortheil  bringen  kann,  wenn  er  sein  Assimilations- 
organ vergrössert  Der  sich  vergrössernde  grüne  Theil  bildet  bei 
den  Pflanzen  entweder  die  obere  Schichte  eines  flächenförmig 
ausgebreiteten  Organs  oder  die  Mantelfläche  eines  ursprüng- 
lich cylindrischen  oder  kugelförmigen  Körpers.  So  sehen  wir 
z.  B.  bei  den  Algen  im  Verlaufe  der  phylogenetischen  Ent- 
wicklung das   fast   mikroskopische  Scheibchen   einer  Proto- 
derma   zu  den   respectablen  Flächen   der  grossen  Ulvaceen 
oder  die  kleinen  Kügelchen  eines  Botrydinm  zu  den  grossen 
Körpern   der  höheren  Siphoneen   anschwellen.   Ein  Gleiches 
bemerken  wir  bei  den  Moosen,  wo  wir  die  winzigen  Scheib- 
chen der  Riccien  sich  zu  den  stattlichen  Formen  der  Marchan- 
tien   erheben    sehen.    Die  übrigen  Archegoniaten,   sowie  die 
Phanerogamen  bieten  ähnliche  Beispiele  in  Fülle.  Ganz  das- 
selbe Streben  nach  Vergrösserung  der  assimilirenden  Fläche 
treffen  wir  nun  auch  bei  den  Flechten.  Denn  in  physiologischer 
Beziehung  ist  es  ganz  gleichgiltig,  ob  die  assimilirenden  Zellen 
mit  den  übrigen  Geweben   im   genetischen  Zusammenhange 
stehen  odqr  ob  sie  als  fremde  Einschlüsse  betrachtet  werden 
müssen.    Dieses   Streben   nach   Vergrösserung   der 
assimilirenden  Fläche  bildet  den  Haupthebel  für  die 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  1 99 

Entstehung  des  Flechtenthallus  überhaupt  und  der 
grossen  Laub-  und  Strauchflechten  insbesondere. 

Zeigt  nämlich  das  Mycel  einer  Flechte,  in  Folge  von  Ver- 
erbung aus  der  Pilzzeit  her,  die  Tendenz,  sich  in  der  Form 
eines  mehr  oder  minder  dicht  gewebten  Mycelhäutchens  in 
einer  Fläche  kreisförmig  auszubreiten,  so  entsteht  durch  den 
Einschluss  der  Algen  zuerst  eine  Kruste  und  im  Laufe  der 
phylogenetischen  Entwicklung  der  grosse  Thallus  einer  Laub- 
flechte mit  dorsiventralem  Bau  und  plagiotroper  Stellung.  Zeigt 
aber  das  Mycel  einer  Flechte  schon  a  priori  das  Bestreben,  in 
band-  oder  strangförmigen  Formen  zu  wachsen,  dann  ent- 
stehen nach  dem  Einschluss  der  Algen  etwas  stärkere  Bänder, 
Stränge  oder  Stiele  (bei  Cladonia)^  die  sich  dann  unter  dem 
Einfluss  des  Strebens  nach  Vergrösserung  der  assimilirenden 
Fläche  nach  und  nach  verlängern  und  verzweigen  und  zuletzt 
die  imposanten  Formen  unserer  grossen  Strauchflechten  bilden.^ 

So  lange  diese  band-  oder  strangartigen  Thallusgebilde 
mehr  oder  minder  dicht  an  der  Unterlage  angeschmiegt  blieben, 
so  lange  entwickelte  sich  die  assimilirende  Fläche,  d.  i.  die 
Gonidienschichte,  nur  auf  der  Oberseite  (Lichtseite).  Als  aber 
nach  und  nach  die  Stränge  aufgerichtet  wurden  oder  bei  den 
Hängeformen  sich  von  der  Unterlage  ablösten,  um  unter  dem 
Einfluss  des  positiven  Geotropismus  nach  abwärts  zu  wachsen 
(z.  B.  bei  Usnea  auf  horizontalen  Zweigen),  dann  entwickelte 
sich  in  Folge  des  nahezu  gleichen  Lichtreizes  auf  beiden 
Thallusseiten  auch  auf  der  früheren  Unterseite  (Schattenseite) 
des  Thallus  eine  Gonidienschichte,  indem  sich  von  beiden 
Seiten  die  Gonidien  so  lange  ausbreiteten,  bis  die  ganze 
Mantelfläche  des  Stranges  von  ihnen  überzogen  war. 

Noch  heute  vollzieht  sich  diese  Umwandlung  der  bilate- 
ralen Thallusform  mit  der  einseitigen  Gonidienschichte  auf  der 
Lichtseite  in  die  mit  allseitigem  Gonidienmantel  versehenen 
Strauchform  bei  vielen  Arten  der  Gattungen  Cetraria,  Evernia^ 


^  Bei  Cladonia  können  wir  sogar  die  ganze  Entwicklung  vom  Anfangs- 
bis  zum  Endgliede  mit  einem  Blick  überschauen  und  brauchen  zu  diesem  Ende 
bloss  den  winzigen  Apothecienstiel  eines  Baeomyces  mit  der  grossen  Assimila- 
tionsfläche  einer  Cladonia  raugifcriua  oder  einer  Cl.  verlicillala  zu  vergleichen 


'^00  H.  Zukal, 

Physcia,  Parmelia,  Tornabenia  etc.  vor  den  Augen  des  Beob- 
achters. 

Nun  haben  zahlreiche  Beobachtungen  ergeben,  dass  schon 
eine  sehr  dünne  Schichte  chlorophyllhältigen  Gewebes  alle 
diejenigen  Lichtstrahlen  fast  vollkommen  ausnützt,  welche  die 
Assimilation  bewirken.  Deshalb  treffen  wir  auch  nirgends  im 
ganzen  Pflanzenreiche  dicke  Schichten  assimilirenden  Gewebes, 
sondern  das  grüne  Gewebe  ist  überall  0*2 — 0-4  mm  dick; 
dickere  grüne  Schichten  könnten  nicht  ausgenützt  werden  und 
ihre  Production  verstiesse  gegen  das  Princip  der  Ökonomie  des 
Wachsthums.  Bei  den  exogenen  Flechten  steigt  die  Dicke  der 
Gonidienschichte  selten  über  20  |x,  kann  aber  bei  manchen 
tropischen  Lichtflechten  bis  unter  5  (jl  sinken.  Es  ergibt  sich 
also  die  Thatsache,  dass  die  grüne,  assimilirende  Lamelle  der 
Flechten  durchschnittlich  lOmal  dünner  ist,  als  bei  der  grossen 
Mehrzahl  der  meisten  übrigen  grünen  Gewächse. 

Diese  Thatsache  ist  auffallend  genug.  Die  nähere  Unter- 
suchung^ hat  mich  aber  belehrt,  dass  die  Flechten- 
rinde durchschnittlich  auch  lOmal  mehr  Licht  absor- 
birt  als  die  Oberhaut  der  höheren  Gewächse.  Wir  sehen 


1  Bei  dieser  Untersuchung  bediente  ich  mich  folgender  Methode:  Es 
wurden  nacheinander  1  —  2  cm'  grosse  Stückchen  Oberhaut  verschiedener 
Phanerogamen  in  den  Wassertropfen  eines  Objectträgers  gebracht  und  dort 
sorgfältig  ausgebreitet  Auf  diese  Oberhautstückchen  wurde  dann  das  untere 
offene  Ende  der  Tubusröhre  eines  Mikroskops,  von  welchem  Objectivsystem 
und  Ocularrohr  entfernt  worden  war,  so  fest  aufgesetzt,  dass  von  der  Seite  her 
kein  Licht  in  den  Tubus  gelangen  konnte.  Sodann  wurde  das  auf  dem  Object- 
träger  liegende  Oberhäutchen  durch  den  Spiegel  gut  beleuchtet  und  auf  die 
obere  Tubusöffnung  ein  lichtempfindliches  Papier  gebracht  und  daselbst  eine 
Minute  lang  liegen  gelassen.  Das  Licht  drang  durch  den  Objectträger  und  das 
Hautfragment  in  den  Tubus  und  erzeugte  auf  dem  lichtempfindlichen  Papier 
einen  braunen  Fleck,  welcher  auf  die  gewöhnliche  Weise  fixirt  wurde.  Auf 
ähnliche  Weise  verfuhr  ich  mit  der  Rinde  der  Flechten.  Hier  musste  aber  das 
lichtempfindliche  Papier  gewöhnlich  10  — 12  mal  länger  exponirt  werden  als 
bei  den  Phanerogamenhäutchen,  um  denselben  Farbenton  des  Fleckes  zu 
erhalten.  Nun  bin  ich  mir  wohl  bewusst,  dass  diese  Methode  keine  absolut 
richtigen  Resultate  geben  kann,  allein  sie  gibt  uns  immerhin  einen  approxima- 
tiven Massstab,  und  dieser  genügt,  wenn  wir  nur  ganz  im  Allgemeinen  die 
Transparenz  der  Phanerogamenoberhaut  mit  jener  der  Flechtenrinden  ver- 
gleichen wollen. 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  201 

daher,  dass  dieselbe  Kraft  (nämlich  das  Licht),  welche  das 
Maximum  der  Dicke  der  assimilirenden  grünen  Lamelle  in  den 
verschiedensten  Abtheilungen  des  Pflanzenreiches  bestimmt, 
genau  in  demselben  Sinne  auch  bei  den  Flechten  wirksam 
ist  Die  Analogie  zwischen  den  grünen  Gewebeschichten  der 
höheren  Pflanzen  mit  der  Gonidienschichte  der  Flechten  geht 
aber  noch  weiter.  In  allen  grossen  Abtheilungen  des  Pflanzen- 
reiches (mit  Ausnahme  der  Pilze),  also  bei  den  Algen,  Arche- 
goniaten,  Gymnospermen,  Monocotyledonen  und  Dicotyledonen 
kommt  es  nämlich  nicht  nur  zur  Ausbildung  dünner  grüner 
Stränge  und  Flächen,  sondern  es  zeigen  dann  diese  Flächen  in 
all'  den  genannten  Abtheilungen  das  Bestreben,  sich  möglichst 
rechtwinkelig  zum  einfallenden  Tageslicht  zu  stellen.  Letzteres 
Bestreben  führt  mit  Hilfe  leicht  verständlicher  Correlationen  des 
Wachsthums  zur  DifTerenzirung  des  ursprünglichen  Thalloms 
in  Träger  und  von  dem  letzteren  abstehende  Sprosse.  Diese 
Sprosse  bilden  dann  auf  einer  höheren  Entwicklungsstufe  her- 
vortretende, dünne  Gewebslamellen,  welche  sich  in  bestimmter 
Weise  an  den  Träger  anheften  und  so  weit  von  einander  ent- 
fernt halten,  dass  sie  sich  gegenseitig  nicht  im  Lichte  stehen. 
Dadurch  erst  werden  die  dünnen,  grünen  Lamellen  zu  Blättern 
und  ihre  Träger  zu  Axen.  Diese  Blattwerdung  unter  dem  Ein- 
fluss  des  Lichtes,  welche  unabhängig  von  jeder  Vererbung  in 
den  verschiedenen  grossen  Abtheilungen  des  Pflanzenreiches 
selbständig  erfolgte,  hat  Sachs ^  nicht  nur  zuerst  erkannt, 
sondern  auch  in  der  überzeugendsten  Weise  begründet.  Es 
kann  nun  die  Frage  aufgeworfen  werden:  Kommt  es  auch  bei 
den  Flechten  zur  Entwicklung  von  Axen  und  Blättern?  Wenn 
nun  auch  diese  Frage  verneint  werden  muss,  so  ist  doch 
anderseits  hervorzuheben,  dass  bei  den  beblätterten  Cladonien- 
Podetien  jedenfalls  ein  Träger  entwickelt  wird,  an  dem  sich  in 
zweckmässiger  Entfernung  von  einander  hervortretende  grüne 
Thallusläppchen  entwickeln,  die  sich  möglichst  rechtwinkelig 
auf  das  stärkste  Licht  ihres  Standortes  einstellen. 


J  Sachs,  Vorlesungen  über  Pnanzenphj'siologie,  2.  Thcil. 
Derselbe,  Physiologische  Notizen,  VIII.  Mechanomorphosen  und  Phylo- 
genesis.  Flora,  1894,  78.  Bd.,  S.  215. 


202  H.  Zukal, 

Aus  dem  Gesagten  erhellt,  dass  die  Flechten  ihre 
im  V^ergleiche  zu  den  übrigen  Ascomyceten  höchst 
auffallende  Thallusentwicklung  hauptsächlich  den 
eingeschlossenen  Algen,  beziehungsweise  dem  Lichte 
verdanken.  Denn  die  algenlosen  Ascomyceten  entwickeln 
meistens  nur  ihre  Fruchtkörper  im  Lichte;  ihr  zartes  Mycel 
verstecken  sie  entweder  im  Inneren  des  Substrates  oder  sie 
bilden  höchstens  ein  wenig  differenzirtes  Stroma. 

Was  nun  die  Beziehungen  des  Lichtes  zu  den  übrigen 
Lebenserscheinungen  der  Flechten  betrifft,  so  hat  Jumelle 
den  Einfluss  des  Lichtes  auf  Assimilation,  Respiration  und 
Transpiration  näher  untersucht.  Da  aber  die  Resultate  dieser 
Untersuchung  in  den  früheren  Capiteln  schon  wiederholt  ein- 
gehend besprochen  worden  sind,  so  soll  hier  nur  auf  das  bereits 
Gesagte  verwiesen  werden. 

hl  jüngster  Zeit  hat  Wiesner ^  seine  bahnbrechenden, 
photometrischen  Untersuchungen  auf  pflanzenphysiologischem 
Gebiete  veröffentlicht,  und  in  seiner  letzten  Arbeit,  nämlich 
in  den  »Untersuchungen  über  den  Lichtgenuss  der  Pflanzen«, 
S.  40,  theilt  er  uns  auch  einige  interessante  Beobachtungen 
über  die  Flechten  mit.  Ich  wiederhole  dieselben  hier  auszugs- 
weise: »Die  Flechten  der  Tundra  geniessen  fast  das  ganze 
Licht  des  nordischen  Tages,  für  sie  ist  also  der  »specifische 
Lichtgenuss«  (L)  nahezu  1,^  für  Verrncaria  calciseda  1  —  Vs' 
für  Physcia  tenella  1  —  Ys»  ^^^  Endocarpon  miniaium  1  —  V24 


J  J.  Wiesner,  Photometrische  Untersuchungen  auf  pflanzenphysio- 
logischem Gebiete.  I.  Abhandlung:  Orientirende  Versuche  über  den  Einfluss 
der  sogenannten  chemischen  Lichtintensität  auf  den  Gestaltungsprocess  der 
Phanerogamen.  Diese  Sitzungsberichte,  102.  Bd.,  1893. 

Derselbe,  Pflanzenphysiologische  Mittheilungen  aus  Buitenzorg.  Diese 
Sitzungsberichte,  103.  Bd.,  I.  Abth.  (Jänner  1894). 

Derselbe,  Untersuchungen  über  den  Lichtgenuss  der  Pflanzen  mit  Rück- 
sicht auf  die  Vegetation  von  Wien,  Cairo  und  Buitenzorg  (Java).  (Photo- 
metrische  Untersuchungen  auf  pflanzenphysiologischem  Gebiete.  IL  Abhand- 
lung.) Diese  Sitzungsberichte,  104.  Bd.,  Abth.  I,  Juli  1895. 

2  Den  Begriff  des  specifischen  Lichtgenusses  und  die  Methode  seiner 
Berechnung  entwickelt  Wiesner  in  seiner  IL  Abhandlung  der  Photometrischen 
Untersuchungen,  die  Lichtmessungsmethode  dagegen  in  der  L,  S.  8  des  Separal- 
abdruckes. 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  203 

und  bei  Xanthoria  parietina  1  —  Vso  (^^^  letzterem  Licht- 
genusse  verkümmert  sie  aber).  Zu  den  Flechten  mit  starkem 
Lichtgenusse  gehören  auch  noch  Parmelia  caperata,  P,  con- 
spcrsa  und  P.  prolixa.  Diesen  Lichtflechten  stehen  anderseits 
Schattenflechten  gegenüber.  So  schwankt  z.  B.  der  specifische 
Lichtgenuss  von  Parmelia  saxatilis  und  Pertusaria  amara 
zwischen  Yg — Vse-  Erstere  schien  aber  am  besten  zwischen 
Vg— Vi7>  letztere  zwischen  Y^^ — Y21  ^^  gedeihen.  In  den 
tropischen  Wäldern  leben  jedoch  noch  Flechten  an  den  Luft- 
wurzeln im  tiefsten  Schatten  der  Waringinbäume  bei  einem 
speciflschen  Lichtgenusse  von  Ysso*- 

Die  allgemein  verbreitete  Ansicht,  dass  die  Flechten  am 
besten  an  der  Nordseite  der  Stämme  gedeihen,  kann  Wiesner 
nicht  bestätigen.^  In  Wirklichkeit  entwickeln  sie  sich  an  der 
herrschenden  Wetterseite,  weil  sie  aus  dieser  Richtung  die 
meiste  Feuchtigkeit  erhalten  und  weil  von  dorther  die  reich- 
lichste Aussaat  von  Sporen  und  Soredien  erfolgt.  Der  Stamm 
empfängt  aber  von  allen  Seiten  her  Keime,  die  sich  dort  ent- 
wickeln, wo  sie  die  besten  Lebensbedingungen  finden.  Die 
lichtsuchenden  Flechten  werden  sicl^  an  den  hellsten,  die  licht- 
scheuen an  den  dunkelsten  Stammseiten  am  reichlichsten  ent- 
wickeln. Diese  Orientirung  nach  der  Helligkeit  ist  aber  nur  bei 
freistehenden  Bäumen  von  den  Weltgegenden  abhängig,  sonst 
nicht. 

Am  Südrande  eines  Waldes  gedeihen  vorzüglich  die  licht- 
suchenden Flechten,  am  Nordrande  die  schattenliebenden. 

Ich  selbst  habe  mir  die  Wiesner'sche  Lichtmessungs- 
methode ebenfalls  angeeignet  und  bin  mit  Hilfe  derselben, 
sowie  allgemeinen  Erwägungen  zu  folgenden  Schlüssen  ge- 
kommen: 

1.  An  Orten,  wie  in  Bergwerken,  tiefen  Kellern,  Höhlen, 
trotten  etc.,  wo  der  Lichtgenuss  der  dort  eventuell  lebenden 


'  Von  der  Richtigkeit  der  bezüglichen  Angaben  Wiesner 's  kann  sich 
jeder  überzeugen,  der  sich  die  Mühe  nimmt,  in  der  freien  Natur  mit  der  Bous- 
^ole  in  der  Hand  die  Flechtenvegetation  an  Bäumen  und  Felsen  zu  studiren. 
Er  wird  dann  z.  B.  häufig  finden,  dass  an  Alleebäumen  die  Flechten  gerade  an 
^er  Südseite  entwickelt  werden,  wenn  nämlich  die  Nordseite  der  Stämme  durch 
^as  allzu  nahe  Herantreten  dichten  Gebüsches  tief  beschattet  wird. 


204  H.  Zukal, 

Pflanzen  gleich  0  sein  würde,  können  selbstverständlich  keine 
Flechten  existiren. 

2.  Steigt  in  unserem  Klima  der  specifische  Lichtgenuss 
auf  circa  Viso»  ^^^  ^-  ß-  *"  Klammen,  tiefen  Schluchten  etc. 
so  bilden  sich  höchstens  sorediale  Anflüge  und  endogene 
Flechten,  wie  z.  B.  Collema,  niemals  aber  eine  exogene  Thallus- 
form.  Diese  Erscheinung  ist  auch  leicht  zu  verstehen.  An  den 
genannten  Orten  reicht  nämlich  die  Lichtintensität  gerade  noch 
hin,  um  den  dort  vegetirenden  Algen  die  Assimilation  zu  ermög- 
lichen. Diese  Möglichkeit  würde  aber  für  die  genannten  Algen 
nicht  mehr  existiren,  wenn  sie  unter  der  Hyphenrinde  einer 
exogenen  Flechte  wachsen  sollten,  weil  diese  Rinde,  so  dünn 
sie  auch  immer  sein  mag,  stets  etwas  Licht  absorbirt.  Das 
Minimum  des  specifischen  Lichtgenusses,  welches  einer  exo- 
genen Flechte  in  unseren  Gegenden  die  Existenz  ermöglicht 
ist  noch  nicht  bekannt.  Doch  möchte  ich  auf  Grund  meiner 
Messungen  in  der  Steinwandklamm  in  Niederösterreich  und  in 
der  Drachenhöhle  im  Rötheistein  bei  Mixnitz  in  Steiermark  die 
Vermuthung  aussprechen,  dass  dieses  Minimum  bei  uns  nahe 
t>ei  Vioo  liegt.i 

3.  Steigt  der  specifische  Lichtgenuss  bis  Vso»  wie  z.  B.  in 
den  geschlossenen  Beständen  unserer  Wälder,  so  treffen  wir 
schon  auf  eine  ziemlich  reiche  Flora  von  Schattenflechten,  z.B. 
Graphis  scripta,  Pyrenula  nitida,  Opegrapha  varia,  O.  atra, 
Pertnsaria  communis,  P.  amara,  Lecidella  enterolenca,  Bia- 
torina  prasina,  Cyphelinm  chrysocephalnm,  Lecanora  pallida, 
L.  snhßisca,  Icmadophila  aeruginosa,  Bacidea  incompia,  Gallo- 
pisma  ferrugineum,  Physcia  ciliaris,  Parmelia  saxatilis,  Sticta 
pulmonaria,  Getraria  glauca,  G,  pinastri  und  einigen  Arten 
von  Gollema  und  Pannaria. 

4.  Die  grosse  Masse  unserer  Flechten  dürfte  am  besten 
bei  dem  specifischen  Lichtgenusse  von  Vio — V20  gedeihen. 


^  In  der  Steinwandklamm  fand  ich  noch  eine  wohlentwickelte,  gross- 
blätterige Collema,  aber  ohne  Früchte,  bei  einem  specifischen  Lichtgenusse  von 
Vi5G.  In  der  Drachenhühle  war  das  Gestein  etwa  fünf  Schritte  links  vom  Ein- 
gange stellenweise  noch  von  einer  Treniepohlia  überzogen,  auf  welcher  nester- 
förmig  die  Ascusform  von  Opegrapha  rnpestris  v.  dolomitica  aufsass,  und  zwar 
bei  einem  specifischen  Lichtgenusse  von  Vv^p^. 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  205 

5.  Ausgesprochene  Lichtflechten,' d.  h.  solche,  welche  auch 
dann  noch  gut  vegetiren,  wenn  der  specifische  Lichtgenuss 
auf  1  steigt,  sind:  Cladonia  rangiferitta,  Cl.  uncialis,  Cl.  alici- 
corttis,  Cl.  endiviaefoUa,  Stereocatiloii  coudensatum,  St.  coral- 
loides,  Cetraria  islandica,  C  cucnllata,  C  nivalis,  Parmelia 
encansta,  P,  stygia,  P,  Fahlunensis,  P.  olivacea,  P.  aspidota, 
P.  caperata,  P.  coiispersa,  P.  prolixa,  Umbilicaria  pnstnlata, 
Gyrophora  anthracina,  G.  arctica,  G.  cylindrica,  G.  hyper- 
horea,  G.  polyphylla,  Endocarpon  miniatnm,  die  meisten  Arten 
von  Endopyreninm  und  Catopyrenimn,  Xanthoria  parietina, 
Gasparrinia  elegans,  G.  mnrornm,  Placodium  crassum,  PL 
^ypsaceum,  PL  fnlgens,  PL  Lagascae,  Lecanora  atra,  Haema- 
tomma  ventostim,  Thalloedenta  candidum,  Urceolaria  scrti- 
posa,  Rhizocarpon  geographicnm,  Verrucaria  rttpestris,  V.  Hoff- 
mannii,  V.  manra,  V.  calciseda,  Psora  Ittcida,  P.  decipiens, 
Manzonia  Cantiana,  Heppia  virescens  und  zahlreiche  Arten  von 
Lecidea,  Collema,  Synalissa  und  Omphalaria.  Diese  Flechten 
scheinen  am  besten  bei  einem  specifischen  Lichtgenusse  von 
1  — Vio  zu  gedeihen;  manche  derselben  trifft  man  jedoch  an 
Standorten,  wo  der  Lichtgenuss  unter  V50  sinken  muss.^ 


1  Viele  Flechten  zeichnen  sich  geradezu  durch  ein  grosses  Anpassungs- 
vermögen an  sehr  verschiedene  Lichtintensitäten  aus,  insbesondere  gehören 
hierher  die  Flechten  mit  blaugrünen  Gonidien,  wie  z.  B.  Collema,  Heppia, 
Synalissa,  Omphalaria  etc.  Bei  endogenen  Flechten  ist  dies  umso  auffallender, 
weil  sie  der  schützenden  Hyphenrinde  entbehren.  Hier  treten  aber  die  gemein- 
samen, zusammengeflossenen  Hüllmembranen  der  bezüglichen  Cyanophyceen 
an  die  Stelle  der  Hyphenrinde.  Im  intensiven  Lichte  bräunen  sich  diese  Gallert- 
häute und  schützen  auch  die  weiter  nach  innen  gelegenen  .Algen  so  nachdrück- 
lich vor  allzu  starker  Verdunstung,  dass  sie  selbst  im  grössten  Sonnenbrande 
der  Wüste  niemals  ganz  austrocknen.  Für  das  Leben  im  Dämmerlicht  macht 
sie  aber  wahrscheinlich  die  Fluorescenz  des  Phycocyans  besonders  geeignet. 
Mit  wie  wenig  Licht  die  Cyanophyceen  auskommen  können,  erhellt  aus  dem 
Umstände,  dass  z.  B.  iV(9s/oc-C olonien  unter  dem  Thallus  einer  Soloriua  am 
Leben  bleiben  und  von  unten  her  in  den  Thallus  eindringen,  um  sich  hier  mit 
den  normalen  Gonidien  zu  mischen. 

Um  nicht  missverstanden  zu  werden,  muss  ich  hier  ausdrücklich  hervor- 
heben, dass  ich  keineswegs  der  Meinung  bin,  das  Vorkommen  einer  Flechtcn- 
art  an  einem  bestimmten  Orte  hange  ausschliesslich  von  Lichtintensitiit  ab. 
denn  es  ist  klar,  dass  hiebei  auch  noch  die  Feuchtigkeit,  Substrat  und  die 
übrige  Pflanzen-  und  Thierwelt  eine  sehr  bedeutsame  Rolle  spielen.  Durch  die 


206  H.  Zukal, 

Von  diesem  Detail,  welches  beweist,  wie  sehr  das  Gedeihen 
und  Vorkommen  der  Flechten  von  den  verschiedenen  Graden 
der  Lichtintensität  beeinflusst  wird,  wenden  wir  nun  unseren 
Blick  der  grossen  Allgemeinheit  zu.  Da  scheinen  mir  denn 
die  Flechten,  als  relativ  einfach  gebaute  Thallusgewächse, 
ganz  besonders  dazu  geeignet,  die  Richtigkeit  gewisser  Funda- 
mentalsätze zu  beweisen,  zu  denen  Wiesner  durch  seine 
Untersuchungen  über  den  factischen  Lichtgenuss  der  Pflanzen 
gelangt  ist. 

Wenn  wir  die  Wohnstätten  der  Flechten  in  den  ver- 
schiedenen Zonen  ins  Auge  fassen,  so  muss  es  auffallen,  dass 
in  dem  heissen  Erdgürtel,  vom  Hochlande  abgesehen,  der 
grösste  Theil  der  Flechten  Wald-  oder  wenigstens  Baum- 
bewohner sind.  In  den  baumlosen  Ebenen  der  Tropen,  in  den 
Wüsten,  Steppen  und  Savannen  fehlen  die  Flechten  entweder 
ganz  oder  sie  bilden  nur  einen  sehr  kleinen  Bruchtheil  der 
bezüglichen  Flora.  Letzterer  ist  dann  meistens  durch  eine 
sehr  verdickte  und  wenig  transparente  Rinde  ausgezeichnet. 
Auch  in  der  gemässigten  Zone,  soweit  die  Ebene  und  das 
Mittelgebirge  in  Betracht  kommt,  herrschen  im  Allgemeinen  die 
rindenbewohnenden  Flechten  vor,  doch  gesellen  sich  zu  diesen 
schon  eine  stattliche  Anzahl  von  Erd-  und  Steinflechten.  Am 
freiesten  exponirt  leben  die  Flechten  in  den  Polargegenden 
beider  Hemisphären.  Hier  überziehen  sie  nicht  nur  alle  Felsen 
und  Steine,  sondern  auch  auf  ungemessene  Entfernungen  die 
Ebene.  Da  auf  der  trockenen  Tundra  fast  nur  Flechten  gedeihen, 
so  befinden  sich  die  daselbst  lebenden  Individuen  im  vollen 
Besitze  des  gesammten  Tageslichtes,  das  ihnen  weder  durch 
den  Schatten  von  Sträuchern,  noch  den  von  Gräsern  und 
Kräutern  verkümmert  wird.  Die  alpine  Region  der  heissen  und 
gemässigten  Länder  zeigt  in  Bezug  auf  den  Standort  und 
das  Vorkommen  der  Flechten  eine  grosse  Ähnlichkeit  mit  den 
Polargebieten.  Denn  auch  hier  überziehen  die  Flechten  die 
trockenen  Hochebenen,  die  Felsen   und  Steine  und  erfreuen 


obige  Auseinandersetzung  soll  nun  klargestellt  werden,  dass  bei  der  Ver- 
iheilung  der  verschiedenen  Flechtenarten  auf  die  verschiedenen  Standorte 
einer  Gegend  das  Licht  als  ein  wichtiger  und  vielleicht  der  wichtigste  Factor 
beiheiligt  ist. 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  207 

sich  ebenfalls  fast  des  ganzen  Tageslichtes.  Aus  dieser 
Betrachtung  folgt,  dass  die  Flechten  im  Allgemeinen 
umsomehr  das  Licht  suchen,  je  kälter  ihr  Wohnort 
ist.  Dieses  Verhalten  der  Flechten  steht  aber  im  vollsten  Ein- 
klänge mit  dem  Wiesner'schen  Satze:  »Mit  zunehmender  geo- 
graphischer Breite  und  Seehöhe  wächst  das  Lichtbedürfniss  der 
Pflanze  und  mit  der  Abnahme  der  Temperatur  der  Medien,  in 
welcher  die  Pflanze  sich  ausbreitet,  steigt  ihr  Lichtbedürfniss*. 
In  den  Polarregionen  der  Erde  zeigen  aber  die  Flechten 
nicht  nur  das  grösste  Lichtbedürfniss,  sondern  sie  gelangen 
auch  hier  sowohl  in  qualitativer,  als  auch  in  quantitativer  Hin- 
sicht zur  üppigsten  Entfaltung.  Dies  ist  in  hohem  Grade  merk- 
würdig, denn  man  sollte  doch  meinen,  dass  die  feuchte  Wärme 
der  tropischen  Urwälder  ganz  besonders  dazu  geeignet  wäre, 
diese  Kryptogamen  (Ascomyceten)  zur  höchsten  Formentwick- 
lung zu  bringen.  In  den  tropischen  Urwäldern  herrscht  aber 
das  ganze  Jahr  hindurch  ein  mystisches  Dämmerlicht,  und  nur 
ein  Theil  der  Flechten  hat  sich  den  hier  vorhandenen  Lebens- 
bedingungen angepasst  und  besteht  mit  Erfolg  den  Kampf  ums 
Dasein  mit  den  zahllosen  Mitbewerbern.  Die  grosse  Masse  der 
Flechten  entfaltet  sich  aber  dort  am  üppigsten,  wo  ihnen  der 
grösste  Lichtgenuss  zutheil  wird,  also  in  den  Polarländern.  Die 
Thatsache,  dass  die  höchste  Entwicklung  der  Flechten  nicht  in 
den  Ländern  der  grössten  Lichtintensität  erfolgt,  sondern  dort, 
wo  die  Strahlen  der  Sonne  am  schiefsten  aufifallen,  bestätigt 
einen  zweiten  Satz  der  schon  wiederholt  erwähnten  Unter- 
suchung Wiesner's.  Dieser  lautet:  »Je  grösser  die  herr- 
schende Lichtintensität  ist,  desto  kleiner  ist  in  der 
Regel  der  Antheil,  der  vom  Gesammtlich te  den 
Pflanzen  zugeführt  wird«.^ 


^  Dies  gilt  auch  mutatis  mutandis  für  die  Moose  und  für  die  Algen.  Man 
könnte  zwar  einwenden,  diese  Kryptogamen  gedeihen  in  den  Polarländern 
nicht  deshalb  so  gut,  weil  sie  hier  das  Licht  besser  ausnützen  können  als  in 
den  wärmeren  Gegenden,  sondern  deshalb,  weil  sie  im  Kampfe  um  das  Dasein 
von  den  anderen  Gewächsen  nach  den  ödesten  und  sterilsten  Plätzen  der  Erde 
gedrängt  worden  sind,  genau  so  wie  die  Eskimo.  Dieser  Einwurf  hätte  eine 
gewisse  Berechtigung,  wenn  die  Algen,  Moose  und  Flechten  in  den  Polar- 
regionen ebenso  verkümmert  wären  wie  der  genannte  Volksstamm.  Ich  erinnere 
Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Cl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  14 


208  H.  Zukal, 

Aber  auch  noch  ein  dritter  Satz  Wiesner's  wird  durch 
das  Verhalten  der  Flechten  in  das  hellste  Licht  gesetzt,  der 
Satz  nämlich,  »dass  das  directe  Sonnenlicht  im  grossen 
Ganzen  für  die  Pflanzen  nur  eine  untergeordnete 
Bedeutung  hat..  Die  Richtigkeit  dieses  Satzes  beweisen  die 
Flechten  erstens  dadurch,  dass  sie  Einrichtungen  besitzen, 
welche  die  Wirkungen  des  intensiven  Sonnenlichtes  abschwä- 
chen, zweitens  dadurch,  dass  ein  grosser  Theil  der  Flechten 
seine  Apothecien  nicht  senkrecht  auf  das  Sonnenlicht,  sondern 
senkrecht  auf  das  stärkste  diffuse  Licht  des  Standortes  orientirt. 

Was  den  ersten  Punkt  anbelangt,  so  können  die  Flechten 
dadurch,  dass  sie  ihre  Rinde  stark  verdicken,  die  Membranen 
cuticularisiren  und  bräunen  und  allerhand  Excrete  in  den- 
selben anhäufen,  also  so  wenig  transparent  als  nur  möglich 
machen,  einen  grossen  Theil  der  Wirkungen  des  directen 
Sonnenlichtes  paralysiren.  Von  diesem  Mittel  machen  auch 
die  Flechten  einen  umso  reichlicheren  Gebrauch,  je  freier 
exponirt  sie  vegetiren  und  je  intensiver  das  Sonnenlicht  ist, 
dem  sie  ausgesetzt  sind.  Bei  den  tropischen  Lichtflecken, 
deren  Zahl  allerdings  nicht  sehr  gross  ist,  geht  die  Unweg- 
samkeit der  Rinde  für  das  Licht  oft  so  weit,  dass  die  Gonidien- 
schicht  auf  das  äusserste  reducirt  erscheint,  ja  es  kommen 
Fälle  vor,  dass  die  Gonidien  unter  der  allzu  stark  verdickten 
Rinde  verkümmern. 


aber  nur  an  die  prachtvolle  Laminaria -Vegetation  des  nördlichen  Eismeeres 
und  an  die  gewaltigen,  oft  300  m  langen  Macrocystis- Arten  des  südlichen  Eis- 
meeres, an  die  grossen  Polyirichum-Formen  und  die  schönen  Splachnaceen,  an 
Nephrotna  arcticum^  mit  Apothecien  von  der  Grösse  eines  Silberguldens,  der 
arktischen  und  die  erstaunlich  grossen  Cladonia-  und  Slereocaulon- Arten  der 
antarktischen  Gebiete;  sind  das  Eskimo? 

Beim  Aufbau  der  grossen  Flechtenmassen  der  trockenen  nordischen 
Tundra  wird  offenbar  viel  Kraft  verbraucht.  Da  nun  die  Oxydationswärme  für 
die  Pflanzen  als  Kraftquelle  von  nur  untergeordneter  Bedeutung  ist,  so  bleibt 
keine  andere  Kraftquelle  zur  Verfügung  als  das  Licht.  Da  dieses  aber  in  den 
Polarländern  nur  eine  geringe  Intensität  besitzt,  so  muss  es  eben  so  viel  als 
nur  möglich  ausgenützt  werden.  Bei  der  Ausnützung  des  Lichtes  werden  die 
Polarpflanzen  allerdings  durch  den  langen  Polartag  unterstützt  —  allein  man 
darf  nicht  vergessen,  dass  dieser  lange  Tag  durch  eine  ebenso  lange  Nacht 
nahezu  compensirt  wird. 


Untersuchungen  über  die  FleclWen.  209 

Solche  Fälle  konnte  ich  bei  Chlorangium  Jttssuffii,  Cla- 
douia  miniata,  Parmelia  Hottentotta^  Ramalina  dccipiens  und 
mehreren  tropischen  Arten  von  Roccella^  Sticta  und  Usnea 
constatiren.  Auch  die  hochalpinen  Flechten,  machen  selbst  in 
feuchter  Lage  ihre  Rinde  für  das  Licht  weniger  durchlässig, 
weil  auch  sie  einer  w-eit  grösseren  Lichtintensität  ausgesetzt 
sind  als  die  Flechten  der  Ebene  und  des  Mittelgebirges.^  Wenn 
die  Flechten  an  sehr  sonnigen  Standorten  ihre  Rinde  verdicken 
und  die  Transparenz  derselben  vermindern,  so  zeigen  dieselben 
Species  im  tiefen  Schatten  gerade  die  umgekehrte  Tendenz, 
d.  h.  sie  verdünnen  ihre  Rinde,  und  ihre  Farben  werden  auf- 
fallend blass.  In  nicht  seltenen  Fällen  unterbleibt  die  Rinden- 
bildung im  tiefsten  Schatten  ganz.  Solche  Flechten  zeigen 
dann  einen  staubigen  Thallus,  entwickeln  aber  noch  normale 
Apothecien.  Ich  beobachtete  diese  Unterdrückung  der  Rinden- 


^  Ich  verweise  auf  Dufourca  madreporiformiSj  Thamttolia  vermicuJariSy 
Clckionia  amaurocraea,  Evernia  vnlpinia,  Cornicularia  iristiSy  Parmelia  stygia, 
P,  cHcanstj  und  die  alpinen  Formen  von  Gyrophora  und  Sphacrophortts., 

Man  könnte  auch  der  Meinung  sein,  dass  die  Verdickung  und  Ver- 
dichtung der  Rinde  nicht  durch  das  Schutzbedürfniss  gegen  zu  starke  Licht- 
intensität, sondern  gegen  zu  starke  Transpiration  hervorgerufen  werde.  Die 
Transpiration  mag  immerhin  an  der  Verdickung  der  Rinde  ursächlich  mit- 
bethciligt  sein,  allein  sie  ist  nicht  der  ausschlaggebende  Factor.  Ich  schliesse 
dies  namentlich  aus  dem  Verhalten  der  hydrophilen  Flechten:  Endocarpon 
flHviatiky  E.  rivulorutft,  Verrucaria  elaeina  v.  chlorolica,  Lithoicea  hydrcla  etc. 
Wenn  nämlich  die  Rinde  in  erster  Linie  als  Schutzmittel  wider  die  allzu  starke 
Transpiration  wirksam  wäre,  so  müsste  man  annehmen,  dass  bei  den  hydro- 
philen Arten  die  Rinde  gar  nicht  ausgebildet  oder  wenigstens  sehr  reducirt 
entwickelt  werde,  wie  z.  B.  bei  den  oben  erwähnten  Schattenflechten.  Dies 
geschieht  aber  nicht,  sondern  es  zeigt  die  Rinde  der  hydrophilen  Arten  keine 
erheblichen  Unterschiede  im  Vergleiche  mit  den  gewöhnlichen  Formen.  Ich  bin 
auch  der  Ansicht,  dass  die  Flechtenrinde  überhaupt,  wenn  sie  nur  die  Trans- 
spiration  hemmen  sollte,  mit  der  Zeit  einen  ähnlichen  Bau  erlangt  hätte  wie 
die  Cuticula  und  die  Oberhaut  der  Phanerogamen,  d.  h.  sie  wäre  zwar  dick, 
aber  zugleich  in  einem  hohen  Grade  transparent  geworden. 

Anhangsweise  möchte  ich  hier,  darauf  aufmerksam  machen,  dass  eine 
dichte  Behaarung  der  Oberfläche,  unbeschadet  anderer  Functionen,  jedenfalls 
auch  zur  Abschwächung  der  Lichtintensität  beitragen  muss.  Solche  dichte, 
haarige  Überzüge  treffen  wir  nun  z.  B.  bei  Stereocaulon  alpinum  und  St. 
tomentosum  und  in  einer  extremen  Weise  bei  manchen  exotischen  Phyf^cien 
{?.  comosa,  P.  villosa  etc.). 

14* 


210  •  H.  Zukal, 

entwicklung  im  tiefsten  Schatten  bei  Biatora  Iticida,  Pannaria 
lanuginosa,  Parmelia  caperata  (bei  letzterer  ohne  Apothecien) 
und  Bacidea  ntuscorum. 

Was  nun  den  zweiten  Punkt  betrifft,  so  ist  es  gewiss  eine 
interessante,  aber  meines  Wissens  bisher  noch  von  Niemandem 
hervorgehobene  Thatsache,  dass  bei  einem  grossen  Theile  der 
Flechten  die  Apothecien  senkrecht  auf  das  stärkste  diffuse 
Tageslicht  ihres  Standortes  orientirt  sind.  Am  auffallendsten 
zeigen  dies  die  grossen  Apothecien  von  Usnea  harhata  v.  flo- 
rida,^  Cornicularia  aculeata,  C,  tristiSy  Evernia  furfuracea^ 
E.  vulpina,  E,  prunastri,  Tornahenia  chrysophthalma,  Physcia 
ciliaris  etc.  Die  Einstellung  der  Apothecien  gegen  das  diffuse 
Tageslicht  wird  bei  den  Strauchflechten  in  den  meisten  Fällen 
durch  die  Krümmung  jenes  Thallusastes  bewirkt,  welcher  dem 
Apothecium  als  Träger  dient  Bei  manchen  Arten  von  Rama- 
Iffta  bilden  sich  die  Apothecien  mit  Vorliebe  an  den  beiden 
Seitenrändern  des  bandförmigen  Thallus  auf  kurzen  Stielchen, 
in  welche  in  der  Regel  ein  Hauptstrang  des  Gewebes  hinein- 
führt. Da  sich  bei  diesen  Arten  die  Lamina  der  Apothecien 
ebenfalls  senkrecht  zum  diffusen  Tageslichte  stellt,  der  ganze 
Thallus  aber  so  wächst,  dass  er  von  beiden  Seiten  belichtet 
wird,  so  würde  durch  die  dichtgedrängte,  doppelte  Längsreihe 
der  Apothecien  fast  der  ganze  Thallus  beschattet  werden.  Um 
letzteres  zu  vermeiden,  biegt  in  solchen  Fällen  knapp  hinter 
dem  Apothecium  der  Thallus  von  seiner  bisherigen  Längs- 
richtung unter  einqm  Winkel  scharf  ab  und  bringt  sich  dadurch 
selbst  zum  Lichte  in  eine  günstigere  Position.  Da  sich  dieser 
Vorgang,  wenn  auch  nicht  bei  allen  Apothecien,  so  doch  bei 
einigen,  mehrmals  wiederholt,  so  bekommt  der  Thallus  dieser 
Ramalina-Arten  ein  eigenthümliches,  zickzackförmiges  Aus- 
sehen. 

Bei  Cetraria  vergrössert  sich  gewöhnlich  der  fructificirende 
Thalluslappen  bedeutend  und  krümmt  sich  schliesslich  so,  dass 
die  Lamina  der  Apothecien  senkrecht  zum  diffusen  Tageslichte 
eingestellt  wird. 


1  Bei  dieser  Species  ist  die  fixe  Lichtlage  der  Apothecien  auch  dem 
Herrn  Hofrathe  Wiesner  aufgefallen,  und  er  hat  die  grosse  Freundlichkeit 
gehabt,  mich  auf  dieselbe  aufmerksam  zu  machen. 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  211 

Auch  bei  Peltigera  zeigen  die  Apothecien  eine  plagiotrope 
Stellung  zum  diffusen  Lichte,  was  besonders  deutlich  bei  den 
Schattenformen  zu  Tage  tritt,  wie  z.  B.  bei  P,  polydactyla,  wo 
die  Apothecien  deutlich  nach  allen  Seiten  orientirt  sind.  Bei 
anderen  Peltigera-Artenj  z.  B.  bei  P,  horizontalis,  P.  aphtosa 
und  P,  venosa  haben  die  Apothecien  keine  fixe  Lichtlage.  Im 
directen  Sonnenlicht  aber  nimmt  der  ursprünglich  horizontale 
Thallus  eine  schalenartige  Form  an.  Dabei  werden  die  Apo- 
thecien so  gekrümmt,  dass  sie  der  Sonne  ihre  hintere  Seite 
zukehren.  Im  diffusen  Tageslichte  biegen  sich  die  Thallus- 
ränder  wieder  zurück,  und  jetzt  erscheinen  die  Apothecien  mit 
ihrer  vorderen  Seite  senkrecht  zum  Licht  gewendet. 

Bei  den  grossen  Arten  von  Parmelia,  Xanthoria  und 
Physcia  bildet  der  Thallus  unter  dem  Apothecium  eigenthüm^ 
liehe,  kurze,  hohle  Stiele  oder  Träger  aus,  welche  augen- 
scheinlich den  Zweck  haben,  den  Apothecien  eine  Krümmung 
gegen  das  Licht  hin  zu  ermöglichen,  welche  Krümmung  der 
Thallus  selbst  nicht  bewirken  kann,  da  er  durch  eigene 
Rhizinen  an  die  Unterlage  fixirt  ist. 

Sehr  interessant  liegen  die  Dinge  bei  den  Gattungen 
Nephroma  und  Nephromium.  Hier  werden  die  Apothecien 
gegen  alle  Regel  auf  der  Unterseite  des  Thallus  gebildet,  und 
zwar  immer  am  Rande  des  letzteren.  Sobald  sich  aber  diese 
Apothecien  ihrer  Reife  nähern,  schlägt  sich  der  untere  Thallus- 
rand  krämpenartig  nach  oben,  und  durch  diese  Thalluskrüm- 
mung  werden  die  Apothecien  wieder  quer  gegen  das  ein- 
fallende Tageslicht  orientirt. 

Diese  Beispiele  werden  genügen,  um  zu  zeigen,  dass  auch 
für  die  Flechten  das  diffuse  Tageslicht  von  grösserer  Wichtig- 
keit ist  als  das  directe  Sonnenlicht  und  dass  auch  die  Flechten 
Vorrichtungen  besitzen,  um  die  Wirkungen  des  intensiven 
Sonnenlichtes  abzuschwächen. 

In  jüngster  Zeit  hat  GoebeP  den  Nachweis  geliefert,  dass 
die  sogenannte  Heterophyllie   der  Phanerogamen   zur  Licht- 


1  K.  Goebel,  Pflanzenbiologische  Schilderungen.  II  (1893).  Science 
progress,  vol.  I,  No.  21.  Flora,  80.  Bd  (1895). 

Ober  den  Einfluss  des  Lichtes  auf  die  Gestaltung  der  Kakteen  und 
anderer  Pflanzen.  II.  Die  Abhängigkeit  der  Blattform  von  Campanula  roUindi- 


212  H.  Zukal. 

Intensität  in  einer  directen  Beziehung  steht.  Ein  Analogen  zu 
der  Heterophyllie  treffen  wir  auch  bei  den  Flechten.  Ich  meine 
jene  Erscheinung,  nach  welcher  ein  und  dieselbe  Flechten- 
species  in  zwei  ganz  unähnlichen  Thallusformen  vorkommen 
kann.  Ich  schlage  für  diesen  Dimorphismus  den  Namen  Hetero- 
thallie  vor.  Eine  solche  Heterothallie  treffen  wir  z.  B.  bei  Par- 
melia  slygia,  wo  die  typische  Form  ein  blattartiger,  dorsiven- 
traler  Bau,  die  Varietät  lanata  einen  strauchartigen  Habitus 
mit  stielrunden  Ästen  besitzt.  Ich  habe  nun  die  strauchartige 
Form  stets  auf  sehr  exponirten  Felsblöcken  irrt  hellsten  Lichte 
gefunden,  während  die  blattartige  Form  mehr  beschattete  Orte 
aufsucht.  Ich  weiss  aber  nicht,  ob  in  diesem  Fall  und  anderen 
Fällen  die  Heterothallie  die  Lichtintensität  als  alleinige  gestal- 
tende Kraft  auftritt  oder  ob  sich  hiebei  noch  andere,  äussere 
Factoren  betheiligen. 

Wir  wollen  uns  jetzt  einem  anderen  Problem  zuwenden, 
welches  augenscheinlich  mit  dem  Lichte  in  einer  directen 
Beziehung  steht,  nämlich  den  Farben  der  Flechten.  Wenn 
wir  eine  grössere  Collection  getrockneter  Flechten  mit  Rück- 
sicht auf  ihre  Färbung  betrachten,  so  finden  wir,  dass  die 
rothen  oder  orangerothen,  die  gelben,  bläulichen,  braunen, 
rothbraunen  und  schwarzbraunen  Farbentöne  vorherrschen. 
Sie  erinnern  in  dieser  Beziehung  theils  an  die  Roth-  und 
Schwarztange,  theils  an  die  Cyanophyceen.  Nun  hat  aber 
K  erner^  die  Theorie  begründet,  dass  das  Phycoerythrin^  der 
Florideen  hauptsächlich  den^Zweck  habe,  den  in  grösseren 
Meerestiefen  lebenden  Algen  dieser  Gruppe  die  Assimilation 
zu  ermöglichen.  Das  Meerwasser  absorbirt  nämlich  schon  in 
se  inen  oberen  Schichten  die  rothen  und  gelben  Strahlen  des 


folia  von   der  Lichtintensität  und   Bemerkungen    über  die  Abhängigkeit  der 
H  eterophyllie  anderer  Pflanzen  von  äusseren  Factoren.  Flora.  82.  Bd.  (1896), 
•  1.  Heft. 

1  V.  Kern  er,   Pflanzenleben.   I.  Bd.   Das  Chlorophyll   und   die  Chloro- 
phyllkörper. S.  361. 

2  In  neuester  ZeiL  ist  das  Phycoerythrin  von  Moli  seh  als  ein  krystalli- 
sirbarer  Eiweisskörper  erkannt  worden.  Siehe: 

H.  Moli  seh,  Das  Phycoerythrin,  seine  Krystallisirbarkeit  und  chemische 
Natur.  Botanische  Zeitung,  52.  Jahrgang,  1894,  Heft  X,  5.177. 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  213 

Lichtes  und  lässt  nur  die  blauen  und  violetten  Strahlen  in  die 
grösseren  Tiefen.  Nun  sind  aber  gerade  die  rothen  und  gelben 
Strahlen  für  die  Assimilation  besonders  wichtig.  In  Folge  dessen 
könnten  in  den  grösseren  Meerestiefen  keine  grünen  Pflanzen 
mehr  existiren,  wenn  nicht  das  Phycoerythrin  die  Eigenschaft 
hätte,  die  blauen,  indigofarbenen  und  violetten  Strahlen  in  die 
assimilatorisch  wirksameren  zu  verwandeln,  also  zu  fluores- 
ciren.    Ich    selbst    glaube,    dass   auch   das  Phycocyan^   der 
Cyanophyceen  eine  ähnliche  Wirkung  besitzt.  Ich  habe  nun 
zu  erforschen  gesucht,  ob  den  Flechtenfarbstoffen,  wegen  des 
grossen  Absorptionsvermögens  der  Flechtenrinde  in  Bezug  auf 
das  Licht,  nicht  eine  ähnliche  Aufgabe  zufalle  wie  dem  Phyco- 
erythrin und  dem  Phycocyan.  Zwar  wurde  schon   in  einem 
früheren  Capitel   eingehend  die  Thatsache  erörtert,  dass  die 
Flechtenfarbstoffe  ein  sehr  wichtiges  Schutzmittel  wider  den 
Thierfrass  abgeben,  indem  sie  die  Flechten  fast  ungeniessbar 
machen.  Allein  diese  Aufgabe  könnte  auch   irgend  ein  farb- 
loses, beziehungsweise  weisses  Excret   genau   in   derselben 
Weise  erfüllen.  Wenn  sich  nun  die  Flechten  in  den  buntesten 
Farben  kleiden,  wenn  wir  diese  Farben  an  sonnigen  Stand- 
orten sich  sättigen,  im  Schatten  dagegen  verbleichen  sehen,  so 
muss  dies  doch  ein  anderes  Bewandtniss  haben! 

Zuerst  suchte  ich  die  Beschaffenheit  des  Lichtes  fest- 
zustellen, welches  bis  zu  den  Gonidien  hinabdringt,  und  zwar 
im  durchfeuchteten  Thallus,  dann  im  trockenen  Thallus.  Dabei 
bediente  ich  mich  der  auf  S.  200,  Note  1  geschilderten  Methode, 
nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  ich  auf  die  obere  Öffnung  des 
Tubus  statt  des  lichtempfindlichen  Papieres  ein  gewöhnliches 
Ocular  Nr.  1  setzte.  Auf  diese  Weise  konnte  ich  constatiren, 
dass  sich  im  trockenen  Thallus  fast  sämmtliche  Farbstoffe 
gleich  verhielten,  d.  h.  sie  wirken  wie  undurchsichtige  Körper 
und  absorbiren  umsomehr  Licht,  je  dichter  sie  aufgetragen 


*  Auch  das  Phycocyan  wurde  von  Moli  seh  als  Eivveisskörper  erkannt, 
und  es  glückte  ihm  auch,  denselben  rein,  in  der  Form  schön  blauer  Krystalle 
darzustellen.  Siehe: 

Molisch,  Das  Phycocyan  im  krystallisirbaren  Eiweisskörper.  Botanische 
Zeitung,  1885,  Heft  6,  S.  131. 


214  H.Zukal. 

sind.  Im  durchfeuchteten  Zustande  jedoch  verhalten  sich  die 
farbigen  Rinden  anders,  doch  lassen  sie  im  Allgemeinen  nur 
das  Licht  jener  Farbe  durch,  in  welcher  sie  erscheinen.  Eine 
rothe  Rinde  wird  daher  rothes,  eine  gelbe  Rinde  gelbes  Licht 
durchlassen  u.  s.  w.  Die  Intensität  des  durchgelassenen  farbigen 
Lichtes  ist  allerdings  sehr  verschieden  und  nicht  immer  der 
Dicke  der  Rinde  proportional.  Sodann  legte  ich  mir  die  Frage 
vor,  welches  Licht  das  Gedeihen  der  eingeschlossenen  Algen 
am  meisten  fördere,  das  zusammengesetzte  weisse  Licht  oder 
das  farbige,  und  welches  farbige?  Die  Untersuchung  ergab,  dass 
das  orangerothe  und  gelbe  Licht  die  Gonidien  am  günstigsten 
beeinflusst.  Untersucht  wurden:  Gasparinnea  elegans,  G.  niuro- 
mm,  Xanthoria  parietina,  Tornahenia  chrysophthalma,  Giale- 
chia  aurea,  Cetraria  pinastri,  Evernia  vulpina,  Alectoria  ochro- 
leuca,  Placodium  ftilgens,  Rhizocarpon  geographicum,  Candela- 
ria  concolor,  Catolechia  ptilchella,  Xanthocarpia  ochracea.  Bei 
air  den  genannten  Arten  war  nicht  nur  die  Gonidienschichte 
relativ  breit,  sondern  es  waren  auch  die  Gonidienhäufchen  üppig 
entwickelt  und  die  Gonidien  ungewöhnlich  zahlreich,  kurz,  man 
sah  den  Algen  auf  den  ersten  Blick  ihr  gutes  Gedeihen  an.  Selbst 
die  von  einem  gelben  Farbstoff  beschützten  Soredienanflüge  von 
Placodium  circinatum,  Biatora  lucida  und  Calycinm.  chlorinnm 
zeigten  eine  üppige  Gonidienvegetation.  Nächst  den  orange- 
rothen  und  gelben  Farbstoffen  begünstigen  am  meisten  noch 
die  lichtbraunen  und  bläulichen  Farbentöne  die  Entwicklung 
der  Gonidien,  d.  h.  wenn  die  Dicke  der  Rinde  eine  gewisse 
Grenze  nicht  überschreitet;  letzteres  scheint  bei  manchen  Arten 
von  Sphaerophorus  der  Fall  zu  sein. 

Am  meisten  Licht  absorbiren  die  dunkel  gefärbten  Rinden 
von  horniger  Beschaffenheit,  wie  z.  B.  die  von  Cornicularia 
tristis  und  C.  aculeata,  Alectoria  nigricans,  Oropogon  Loxensis. 
Parmelia  stygia  v.  lanata,  P.  Fahlunensis,  Gyrophora  anthra- 
cina  etc.  Bei  diesen  Flechten  kostet  es,  besonders  in  den 
älteren  Thallustheilen,  oft  Mühe,  die  Gonidien  überhaupt  zu 
finden.  Oft  zeigen  die  Apothecien  eine  andere  Färbung  als 
der  Thallus;  dadurch  entstehen  zweifarbige  Flechten,  wie  z.B. 
Lecanora  chrysoleuca,  Sticta  anrata,  Solorina  crocea,  Diplo- 
tomnia  alboatrnm   und  die  zweifarbigen  Catocarpus,  Rhizo- 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  2 1 5 

carpon,  Biatora-  und  Lecidea- Arien.  Der  Umstand,  dass  die 
Apothecien   und   der  Thallus   durch  verschiedene  Farbstofife 
geschützt  werden,  scheint  darauf  hinzudeuten,  dass  die  Be- 
ziehungen der  Apothecien  zum  Lichte  nicht  dieselben  sind  wie 
die  des  Thallus.  So  plausibel  dies  klingt,  so  treffen  wir  gerade 
hier  auf  räthselhafte  Erscheinungen.  Ich  meine  die  Thatsache, 
dass  die  Apothecien  zuweilen  durch  einen  Farbstoff  geschützt 
erscheinen,  welcher  die  Entwicklung   normaler  Sporen   ver- 
hindert  Man  findet  wenigstens  in  den  scharlachrothen  Apo- 
thecien gewisser  Cladonien,  wie  z.  B.  bei  Cladonia  coccifera, 
C.  hellidiflora,  C.  digitata,  C.  macilenta,  C.  Floerkeana  nur  sehr 
selten  wohl  ausgebildete  Sporen.  Sollte  der  rothe  Farbstoff  die 
Sporenbildung  wirklich  behindern,  warum  wird  er  dann  über- 
haupt entwickelt,  und  wie  ist  es  möglich,  dass  eine  so  unzweck- 
mässige Einrichtung  durch  die  Vererbung  fixirt,  ja  bis  zu  einem 
gewissen  Extrem  gesteigert  werden  konnte?  Wir  stehen  da  vor 
einem  vorderhand  unlösbaren  Räthsel.^  Nicht  minder  räthsel- 
haft  ist   der  Umstand,   dass   mitunter   nicht   nur   die  Rinde, 
sondern   fast   sämmtliche  Hyphen   der  ganzen  Flechte,   also 
auch  das  Mark,  in  einer  höchst  auffallenden  Weise  mit  Farb- 
stoffen imprägnirt  sind.   Dies   ist  z.  B.  bei  unserer  Haema- 
tomma  venlosnm,  Solorina  crocea  und  insbesondere  bei  vielen 
tropischen  und  subtropischen  Sticta-  und  Ricasolia-Avien  und 
Cladonia  miniata  der  Fall.  Wenn  man  auch  mit  Recht  an- 
nehmen muss,  dass  durch  die  Anhäufung  so  vieler  Farbstoffe 
aus  der  Gruppe  der  Flechtensäuren  und  Harze  etc.  der  Thallus 
für  die  meisten  Thiere  durch  und  durch  ungeniessbar  gemacht 
wird,  was  an  sehr  sterilen  Orten   für  grössere  Flechten  von 
einer  nicht   zu  unterschätzenden  Wichtigkeit   sein   mag,   so 
bleibt  noch  immer  die  Frage  offen,  warum  sind  diese  Schutz- 


1  Es  wäre  allerdings  auch  möglich,  dass  das  leuchtende  Roth  der  Apo- 
thecien als  ein  Anlockungsmittel  dazu  dient,  Thiere  heranzuziehen,  welche 
sich  vielleicht  an  dem  Safte  der  hervorquellenden  Conidien  (Spermatien)  güt- 
lich thun  und  dann  durch  die  an  ihren  Mundtheilen  hängenbleibenden  Conidien 
zur  Verbreitung  der  Art  beitragen.  Wem  das  zu  phantastisch  klingt,  den  mache 
ich  darauf  aufmerksam,  dass  auch  die  Pycniden  mancher  Rostpilze  Anlockungs- 
mittel in  der  Form  stark  riechender  Körper  besitzen,  wie  schon  Rathay  nach- 
gewiesen hat  (Diese  Sitzungsberichte,  86.  Bd.,  I.  Abth.,  1882). 


216  K.  Zukal, 

mittel  so  auftallend  gefärbt,  so  leuchtend  roth,  so  gesättigt 
gelb?  Ich  glaube,  dass  manche  Farbstoffe  der  echten  Pilze  uns 
bei  der  Beantwortung  dieser  Frage  auf  die  rechte  Spur  leiten 
können.  Wenn  wir  nämlich  fragen,  warum  ist  diese  Peziza  roth, 
jene  blaugrün,  die  dritte  dort  hochgelb  gefärbt,  so  lässt  sich 
antworten,  diese  Farbstoffe  sind  eben  die  Schutzmittel  der 
weichen  Pilze,  und  diese  Schutzmittel  besitzen  als  selbständige, 
chemische  Individuen  eben  bestimmte  Farben,  wie  z.  B.  das 
Kupfersulfat  oder  das  Eisenoxyd.  Diese  Antwort  ist  aber  aus 
dem  Grunde  nicht  erschöpfend,  weil  erstens  alle  diese  Pezizen 
nicht  immer  gleich  gefärbt  sind  und  eine  Abhängigkeit  vom 
Licht  zu  Tage  liegt  und  weil  zweitens  diese  Farbentöne  bei 
den  betreffenden  Species  nicht  plötzlich  auftreten,  sondern  bei 
den  nächstverwandten  anderen  Formen  alle  möglichen  Über- 
gänge bis  zum  Weiss  zeigen,  so  dass  man  den  Eindruck  erhält, 
dass  die  gesättigten  rothen,  blauen  und  gelben  Tinten  erst 
langsam  herangezüchtet  werden  mussten.  Deshalb  halte  ich  es 
auch  für  wahrscheinlicher,  dass  die  gefärbten  Excrete,  neben 
ihrer  Bedeutung  als  chemische  Schutzmittel,  noch  eine  andere 
Mission  zu  erfüllen  haben  und  dass  diese  Mission  mit  dem 
Lichte  in  einer  directen  Beziehung  steht.  Bei  einer  Peziza  liegt 
es  aber  auf  der  Hand,  dass  diese  Beziehung  mit  der  Assimila- 
tion nichts  zu  thun  haben  kann.  Es  gibt  aber  in  einem  lebenden 
Organismus  ausser  der  Assimilation  noch  andere  complicirte 
chemische  Processe,  und  ich  halte  es  nicht  für  ausgeschlossen, 
dass  ein  bestimmtes  farbiges  Licht  z.  B.  Vorgänge  bei  der 
Synthese  beeinflussen  könnte.  In  dieser  Richtung  mag  viel- 
leicht die  Antwort  nach  dem  Zweck  der  farbigen  Markhyphen 
bei  den  exotischen  Sticta-  und  Cladonia  -  Arten  zu  suchen 
sein. 

Leider  kann  ich  auch  keine  befriedigende  Antwort  auf  die 
Frage  geben,  ob  gewisse  Farbstoffe  der  Flechtenrinde  in  einer 
ähnlichen  Weise  wirken  wie  das  Phycoerythrin  bei  den  Flori- 
deen. Da  ich  zu  wenig  Chemiker  bin,  um  die  Frage  nach 
der  Fluorescenzwirkung  der  einzelnen  Flechtenfarbstoffe  selb- 
ständig lösen  zu  können,  so  wandte  ich  mich  an  mehrere,  mit 
diesen  Stoffen  wohlvertraute  Fachmänner  mit  der  Bitte  um 
Auskunft   über  den   fraglichen  Gegenstand.   Ich  erhielt  aber 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  2  1  7 

theils  verneinende,  theils  unsichere  und  ausweichende  Ant- 
worten,  muss   also   zu   meinem  Bedauern    diesen  wichtigen 
Punkt  in  suspenso  lassen.   Dafür  habe  ich  meine  Aufmerk- 
samkeit auf  einen  anderen  Gegenstand  concentrirt,  nämlich 
auf  die  Variabilität  der  Färbung  ein  und  derselben  Flechten- 
species  und  auf  die  Ursachen,  welche  diese  Variabilität  hervor- 
rufen. Ich  habe  sogar  über  diesen  Punkt  mehrere  Jahre  hin- 
durch  einen  besonderen  Vormerk  geführt  und  in  demselben 
alle  Eigenthümlichkeiten  des  Standortes  jedes  auffallend  oder 
abnorm  gefärbten  Individuums  sorgfältig  notirt.  Was  nun  die 
Ursachen  anbelangt,  welche  die  Lebhaftigkeit  der  Flechten- 
farben beeinflussen,  so  kommt  in  erster  Linie  die  Lichtintensität 
und  in  zweiter  Linie  die  relative  Luftfeuchtigkeit  in  Betracht: 
Diese  Thatsache  war  schon  den   älteren  Lichenologen,  wie 
Meyer  und  Wallroth   wohlbekannt.   Im   Übrigen   liegen 
diese  Dinge  nicht  so  einfach,  wie  diese  älteren  Beobachter 
geglaubt   haben.    Ich   selbst  will  alle  meine  diesbezüglichen 
Erfahrungen    im    folgenden    Satz     zusammenfassen :    Jede 
Species   ist   für   eine   bestimmte  Lichtintensität   und 
Mischung    der    farbigen    Strahlen    gewissermassen 
abgestimmt.    Ändern    sich    die    äusseren    Umstände 
in  Bezug    auf    das   Licht,    so    ändert   sich    nicht   die 
Lichtstimmung    der    Flechte,    denn    diese    ist    ein 
Speciescharakter;  was  sich  ändert,  ist  die  Dicke  und 
das  Gefüge   der   Rinde,   die   Menge   und   Beschaffen- 
heit der   farbigen    Secrete,   die  Behaarung,   der  Epi- 
thallus  u.  s.  w.  Nach   meiner  Auffassung  besitzen  also  die 
Flechten  die  Fähigkeit,  sich  innerhalb  gewisser  Grenzen  selbst 
jene  Lichtmischung  zu  bereiten,  die  ihrer  Lichtstimmung  am 
besten  entspricht.  Die  Lichtstimmung  ist  aber  durchaus  nichts 
Mystisches,  Unklares,  sondern  das  Ergebniss  eines  Compro- 
misses    zwischen    den   Lichtbedürfnissen    der   verschiedenen 
Flechtentheile.  Denn  höchst  wahrscheinlich  besitzen  die  Nähr- 
algen bezüglich  der  Assimilation  ein  anderes  Lichtoptimum  als 
die  reifenden  Apothecien,  diese  wieder  ein  anderes  als   die 
Anlagen  der  Apothecien,  um  von  den  verschiedenen  synthe- 
tischen und  Gestaltungsprocessen  gar  nicht  zu  reden.  Wenn 
aber  auch   die  meisten  Flechten  im  Stande  sind,  den  ihnen 


218  H.  Zukal, 

durch  den  Standort  gebotenen  Lichtgenuss  entweder  stark 
auszunützen  oder  beträchtlich  zu  vermindern,  so  reicht  die 
Macht  ihrer  Mittel  doch  nur  bis  zu  gewissen  Grenzen;  werden 
letztere  dauernd  nach  oben  oder  unten  hin  überschritten,  so 
kann  sich  die  Flechte  nicht  weiter  behaupten,  und  es  tritt  der 
Tod  ein. 

Hier  ist  auch  der  Ort,  wo  die  biologische  Bedeutung 
desEpithallus^  einer  näheren  Erörterung  unterzogen  werden 
muss.  Was  hat  es  zu  bedeuten,  wenn  sich  z.  B.  die  Hyphen 
des  äussersten  Thallusrandes  einer  Lecanora,  Lecidea,  Spora- 
statia  oder  Opegrapha  etc.  so  färben  und  verdicken,  dass  ein 
schwarzer  Saum  entsteht,  der  sich  auf  der  Kruste  wie  die 
verwaschene  Grenzlinie  einer  Landkarte  ausnimmt?  Warum 
werden  die  jüngsten  Thallusspitzen  vieler  Cladonien-,  Evernia- 
und  Ramalina- Arten  dunkelbraun  bis  schwärzlich  oder  wie  bei 
Neuropogon  und  Ramalina  carpathica  blau  gefärbt,  während 
der  übrige  Thallus  dieser  Flechten  eine  ganz  andere  Färbung 
zeigt?  Ich  glaube  diese  Fragen  am  besten  zu  beantworten, 
wenn  ich  darauf  hinweise,  dass  in  dem  grenzartigen  Saume 
oder  in  den  heterogen  gefärbten  Thallusspitzen  die  jüngsten 
Gonidien  verborgen  liegen,  welche  von  den  fortwachsenden 
Hyphen  aus  den  älteren  Thallustheilen  mitgezogen  wurden. 
Diese  oft  noch  sehr  blassen  Gonidien  werden  aber  nur  durch 
einen  sehr  dünnen  Hyphenmantel  beschützt,  der  nichts  weniger 
als  lückenlos  ist.  Nun  zeigt  sich  aber  das  Chlorophyll  junger 
Chromatophoren  sehr  empfindlich,  namentlich  gegen  das 
directe  Sonnenlicht,  und  die  höheren  Pflanzen  besitzen  eine 
ganze  Reihe  von  Einrichtungen,  welche  die  Zersetzung  des 
Chlorophylls  durch  das  directe  Sonnenlicht  verhindern.*  Dürfen 


»  Über  den  »Epithallus«  siehe  das  dritte  Capitel  der  ersten  Abhandlung. 
Der  Flechtenthallus  und  Tafel  I,  1,  3  und  5. 

2  Wiesner,  Die  natürlichen  Einrichtungen  zum  Schutze  des  Chloro- 
phylls der  lebenden  Pflanze.  Festschrift  zur  Feier  des  fünfzigjährigen  Bestehens 
der  k.  k.  zool.-botan.  Gesellschaft  in  Wien,  1876. 

Derselbe,  Pflanzenphysiologische  Mittheilungen  aus  Buitenzorg.  Diese 
Sitzungsberichte.  Bd.  103,  I.  Abth.,  1894,  S.  15. 

Ferner:  v.  Kern  er,  Pflanzenleben,  2.  Bd.  Über  das  Anthokyan  als  Schutz- 
mittel gegen  die  Zerstörung  des  Chlorophylls  durch  allzu  grosse  Lichtintensität 
S.  504. 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  219 

wir  uns  darüber  wundem,   wenn  wir  ähnliche  Schutzmittel 
auch  bei  den  Flechten  finden? 

Auch  bei  den  Laubflechten  treffen  wir  auf  Erscheinungen, 
die  man,  meiner  Ansicht  nach,  nur  vom  Standpunkt  der  Schutz- 
bedürftigkeit der  jüngsten  Gonidien  vor  dem  directen  Sonnen- 
licht befriedigend  erklären  kann.  Es  gibt  nämlich  Laubflechten, 
deren    obere  Rinde   sich  an  gewissen  Stellen  des  Randes 
dunkel  bis  schwärzlich  färbt.  Da  auch  ihre  untere  Rinde  die- 
selbe Färbung  besitzt,  so  macht  es  den  Eindruck,  als  ob  sich 
an  diesen  Stellen  die  untere  Rinde  über  den  Thallusrand  hin- 
weg kappenartig  nach  oben  schlagen  würde.  Am  häufigsten 
zeigen  diese  Eigenthümlichkeit  Menegazzia  pertusa,  Parmelia 
physodes^   P.  encausta,  Cetraria  glduca  etc.    Durch  dieselbe 
werden  die  jüngsten  Gonidien  des  Thallusrandes,  wo  das  leb- 
hafteste radiale  Wachsthum  herrscht,  unter  eine  schwärzliche 
Rinde  gebracht,  und  ich  sehe  in  dieser  Rindenverfärbung  aber- 
mals eine  Einrichtung,  welche  in  erster  Linie  den  Schutz  des 
zarten  Thallusrandes  vor  den  Wirkungen  des  directen  Sonnen- 
lichtes bezweckt.  Zu  Gunsten  meiner  Ansicht  spricht  noch  der 
Umstand,  dass  die  eben  erwähnten  Eigenthümlichkeiten  (die 
heterogene  Färbung  der  Thallusspitzen   bei  vielen  Strauch- 
flechten, die  landkartenartigen  Säume  der  Krustenflechten,  die 
Kappenbildung  vieler  Laubflechten)  bei  den  durch  sie  charak- 
terisirten  Species  durchaus  nicht  immer  in  demselben  Grade 
der  Deutlichkeit  entwickelt  werden.  Im  Gegentheil,  es  lässt 
sich  vielmehr  leicht  constatiren,  dass  diese  Form  des 
Epithallus  nur  an  Orten  zur  schönsten  Entwicklung 
gelangt,   die  durch   eine  grosse  Lichtintensität  aus- 
gezeichnet sind. 

Zu  den  Chlorophyllschutzmitteln  rechne  ich  auch  die 
schwarzen,  rothen  oder  dunkelblauen  Flecke  oder  Striche, 
welche  an  Orten  entstehen,  wo  der  Thallus  Risse  bekommen 
hat  oder  sonstwie  verletzt  worden  ist.  Denn  auch  in  das 
Narbengewebe  der  verletzten  Stellen  werden  die  Gonidien 
nach  und  nach  hineingezogen,  vermehren  sich  daselbst  oft  leb- 
haft und  bedürfen  dann  ebenfalls  eines  besonderen  Schutzes. 
Zu  diesen  gefärbten  Narbenbildungen  liefern  viele  Arten  der 
Gattungen   Cetraria,   Parmelia,   Lecanora   und  insbesondere 


220  H.  Zukal, 

auch  die  Kruslenflechten  mit  dickem,  rissigen  Thallus  zahl- 
reiche Belege. 

Sehr  lehrreich  liegen  die  Dinge  bei  jenen  Flechten,  welche 
sozusagen  eine  doppelte  Rinde  besitzen,  nämlich  ihre  noitnale 
und  noch  eine  zweite,  weiche  von  Fall  zu  Fall  ausgebildet  wird 
und  gewöhnlich  aus  einem  lockeren,  lebhaft  gefärbten  Hyphen- 
netz  besteht,  das  die  eigentliche  Rinde  in  einer  ähnlichen  Weise 
überzieht  wie  das  grüne  Gitter  die  Scheiben  eines  Glashauses. 
Als  besonders  instructive  Beispiele  nenne  ich  Verrucaria  pur- 
purascens  und  Manzonia  Cantiana  (I.  Abh.  Taf.  I,  1,  3,  5). 

Ursprünglich  schützt  die  eben  erwähnte,  farbige  Deck- 
hyphe  nur  den  fortwachsenden  Thallussaum  und  die  Thallus- 
risse.  Wenn  aber  diese  Flechten  an  Orten  grosser  Licht- 
intensität wachsen,  dann  verbreitet  sich  die  farbige 
Deckhyphe  netzförmig  über  den  ganzen  Thallus  und 
macht  im  Allgemeinen  die  Maschen  des  Netzes  umso 
kleiner  oder  enger,  je  grösser  die  Lichtintensität  ist. 
An  zufällig  verletzten  Stellen  der  eigentlichen  Rinde  oder 
dort,  wo  die  Ascusbehälter  und  Pykniden  durchbrechen,  also 
gewissermassen  die  Rinde  ebenfalls  verletzen,  zieht  die  Deck- 
hyphe ihre  Maschen  ebenfalls  sehr  eng  zusammen. 

Gelangt  aber  die  Flechte  im  Verlauf  ihres  Wachsthums  an 
einen  Ort,  der  dauernd  beschattet  ist,  in  eine  lochartige  Ver- 
tiefung des  Felsens  oder  unter  einen  überhängenden  Felsen, 
dann  wird  das  Netz  der  Deckhyphe  immer  lockerer,  ihre 
Färbung  immer  undeutlicher,  und  an  den  im  eigentlichen 
Schatten  vegetirenden  Exemplaren  fehlt  sie  ganz,  obwohl 
auch  dort  noch  Thallus  und  Ascusbehälter  vollkommen  normal 
zur  Entwicklung  gelangen.^ 

Wie  lässt  sich  nun  diese  Form  des  Epithallus,  nämlich  die 
>Deckhyphenbildung«  erklären?  Meiner  Meinung  nach  nur 
durch  die  Annahme,  dass  die  ursprünglich  nur  als  Chloro- 
phyllschutzmittel der  Randzone  functionirende  Deckhyphe  nach 
und  nach  zum  Schutz  des  ganzen  Thallus  vor  allzu  greller 


1  Von  diesen  Verhältnissen  habe  ich  mich  an  den  natürlichen  Stand- 
orten der  Flechten  wiederholt  überzeugt,  wie  ich  überhaupt  alle  Flechten, 
welche  Erscheinungen  des  Epithallus  darbieten,  auf  meinen  Excursionen  stets 
im  Auge  behielt. 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  221 

Beleuchtung  herangezogen  wurde.  Dass  es  sich  aber  dabei 
nicht  bloss  um  eine  einfache  Abdämpfung  des  Lichtes,  sondern 
auch  um  einen  Farbeneffect  handelt,  darauf  scheint  die  oft  sehr 
ausgesprochene  Färbung  der  Deckhyphe  hinzudeuten. 

Anhangsweise  möchte  ich  hier  noch  auf  die  Färbung  der 
Hyphen  des  Hypothalius  und  der  hypothallinischen  Anhangs- 
organe hinweisen.  Bei  diesen,  auf  eine  lange  Functionsdauer 
berechneten  Hyphen  gibt  es  kein  Chlorophyll,  das  geschützt 
werden  müsste.  Hier  bedeuten  die  farbigen  Substanzen  wohl 
in  erster  Liiiie  nur  chemische  Schutzmittel  gegen  die  Angrifie 
der  Thiere.  Anderseits  ist  es  aber  auch  bekannt,  dass  gewöhn- 
liche (weisse)  Mycelhyphen  der  Pilze  im  directen  Sonnenlichte 
binnen  wenigen  Stunden  zu  Grunde  gehen.  Sollten  die  farbigen 
Substanzen,  welche  die  Hyphen  des  Hypothalius  und  der  hypo- 
thallischen  Anhangsorgane  bedecken,  neben  dem  Schutze  vor 
dem  Thierfrass  nicht  zugleich  auch  etwas  zu  dem  Schutze 
vor  dem  directen  Sonnenlicht  oder  zur  Förderung  gewisser 
chemischer  Processe  im  lebendigen  Leib  des  Protoplasten  bei- 
tragen ? 

Eine  ähnliche  Meinung  habe  ich  mir  auch  bezüglich  des 
Zweckes  der  Färbung  mancher  Flechtensporen  und  Conidien 
gebildet. 

II.  Das  reproductive  System. 

Wenn  wir  unsere  Aufmerksamkeit  auf  einige  sehr  niedrig 
stehende  Ascomyceten  richten,  z.  B.  auf  den  in  den  Frucht- 
körpern des  Hallimasch  parasitisch  lebenden  Endotnyces  deci- 
piefts  Rees,^  so  kommen  wir  zu  der  Erkenntniss,  dass  der 
sogenannte  Ascus  morphologisch  gleichwerthig  ist  mit  den  seit- 
lich gebildeten  Chlamydosporen.  Beide  sind  nichts  Anderes  als 
apicale  Anschwellungen  der  Seitenzweige,  also  besonders  ver- 
grösserte  Mycelzellen,  welche  zu  Propagationszwecken  dienen, 
gleichwie  die  an  anderen  Zweigen  desselben  Mycels  gebildeten 
Oidien. 

Allerdings  entstehen  in  den  Sporenschläuchen  die  Sporen 
durch  endogene  Zellbildung,  während  im   anderen  Falle  die 

1  Über  den  feineren  Bau  von  Endomyces  decipiens  siehe  Brefeid,  Unter- 
suchungen aus  dem  Gesammtgebiete  der  Mykologie.  IX.  Heft,  1891. 


222  H.  Zukal. 

Mycelzellen  in  toto  zu  Chlamydosporen  oder  Oidien  werden. 
Allein  die  vergleichende  Morphologie  hat  ergeben,  dass  alle 
drei  Formen  in  einander  übergehen  können  (Schliesssporen, 
Sporangiolen  von  Chaetocladium  —  Conidien  von  Peronospora 
und  Cystopus).  Mit  anderen  Worten:  Conidien,  Chlamydosporen, 
Sporangien  und  Asci  sind  verwandte  Gebilde,  beziehungsweise 
metamorphosirte  Mycelzellen.  Dass  die  Sporenbildung  in  den 
einem  Falle  exogen,  in  dem  anderen  endogen  ist,  involvirt  nichts 
Mystisches.  Denn  beide  Vermehrungsformen  finden  wir  schon 
bei  den  niedrigsten  Verwandten  der  Pilze,  nämlich  bei  den 
Myxomyceten  (Ceratium  und  Guttulina),  Sie  beruhen  in  letzter 
Instanz  auf  der  Fähigkeit  der  Theilung  und  Incystirung  des 
Protoplasmas.  Endogene  Zellbildung  ist  Plasmatheilung  inner- 
halb der  Cystenhaut. 

Die  erwähnten  Propagationsorgane,  nämlich  Chlamydo- 
sporen, Sporangien,  Conidien  und  Asci  bilden  sich  nur  äusserst 
selten  gleichzeitig  an  ein  und  demselben  Mycel.  So  werden  z.  B. 
bei  unseren  Endomyces  die  Asci  in  den  untersten  und  tiefsten 
Partien  des  Mycels,  z.  B.  an  den  Lamellen  des  Hallimasch,  die 
Oidien  in  den  obersten  Theilen  desselben  (auf  dem  Hute) 
gebildet.  Noch  häufiger  tritt  die  zeitliche  Scheidung  in  der 
Weise  ein,  dass  zuerst  die  Conidien  und  später  die  Asci  hervor- 
gebracht werden.  Wenn  sie  aber  entstehen,  so  treten  sie  in  der 
Regel  massenhaft  auf.  Gewöhnlich  findet  man  daher  Mycelien, 
die  nur  Conidien  oder  nur  Sporenschläuche  produciren.  Nicht 
selten  zeigen  auch  diese  productiven  Mycelbezirke  deutlich  die 
Tendenz  zur  Absonderung,  Begrenzung  und  Individualisirung. 
So  entstehen  Conidienbüschel  und  Ascushaufen.  Wenn  die 
Conidien-  oder  Ascusbildung  durch  längere  Zeit  andauert,  dann 
entwickeln  sich  für  diese  Propagationsorgane  leicht  besondere 
Ernährungs-,  UmhüUungs-  und  Schutzorgane,  d.  h.  das  Mycel 
baut  dann  für  seine  Conidien-  und  Ascushaufen  besondere 
Gehäuse.  Dass  diese  letzteren  nichts  Anderes  sind  als  besonders 
modificirte  und  besonderen  Zwecken  angepasste  Myceltheile, 
wurde  schon  im  ersten  Capitel  des  Näheren  auseinander- 
gesetzt. 

Da  die  Flechten,  insoweit  sie  Ascomyceten  sind,  zu  der 
Gruppe  der  Hymenoasci  gehören,  so  können  wir  gleich  mit 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  223 

der  Frage  beginnen,  wie  der  Asciisbehälter  bei  dieser  Gruppe 
entsteht. 

Die  erste  Anlage  desselben  besitzt  bekanntlich  die  Form 
eines  Hyphenknäuels.  Bei  der  Entstehung  des  Letzteren  kann 
ein  besonderes  Initialorgan  vorhanden  sein  oder  auch  nicht. 
Da  ein  grosser  Theil  der  Forscher  die  Ascusbehälter  für  echte 
Früchte  hielt,  so  wurde  lange  Zeit  hindurch  mit  grosser  Aus- 
dauer nach  dem  Sexualapparat  gesucht.  Als  dann  durch  de 
Bary,^  Schwendener,^  Fuisting^  und  Andere  festgestellt 
wurde,  dass  sich  in  jedem  Ascusbehälter  zwei  ganz  ver- 
schiedene Gewebe  unterscheiden  lassen,  nämlich  der  Ascus- 
apparat  und  der  Hüllapparat,  und  dass  ersterer  in  mehreren 
F'ällen  aus  einem  besonderen  Initialorgan  entspringe,  so  glaubte 
man  allgemein  in  dem  letzteren  und  in  einzelnen,  das  Initial- 
organ umschlingenden  Hyphen,  die  lang  gesuchten  Sexual- 
organe gefunden  zu  haben. 

Diese  Auffassung  wurde  aber  sofort  von  van  Tieghem,^ 
Brefeld^  und  Anderen  bekämpft,  und  da  schliesslich  auch  die 
.Anhänger  der  Befruchtungstheorie  nicht  in  der  Lage  waren,  den 
thatsächlichen  Beweis  ihrer  Annahme  zu  erbringen,  so  musste 

^  De  Bary,  Vergleichende  Morphologie  und  Biologie  der  Pilze.  Leipzig, 
l!^4.  Hier  auch  genaue  Angaben  über  seine  Specialarbeiten. 

-  Sch wendener,  Über  die  Entwicklung  der  Apothecien  von  Coeno- 
s'jninm.  Flora,  1862,  224. 

Derselbe,  Über  die  Apothecia  primus  aperta  und  die  Entwicklung  der 
Apothecien  im  Allgemeinen.  Flora,  1864,  S.  320. 

^  Fuisting,  De  nonullis  Apothecii  Lichenum  evolvendi  rationibus.  Diss. 
maugur.  Berol.  1865. 

Derselbe,  Zur  Entwicklungsgeschichte  derPyrenomyceten.  Botan.  Zeitung, 
1.^67,  1868. 

Derselbe.  Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Lichenen.  Ibidem,  1868. 

^  VanTieghem,  Botan.  Zeitung,  1876,  S.  165. 

Derselbe,  Nouvelles  obs.  sur  le  develloppement  du  perithece  des  Chae- 
lomium.  Bull.  Soc.  Bot.  de  France,  t.  23,  1876. 

Derselbe,  Sur  le  developpement  de  quelques  Ascomycetes  (.Aspergillus). 
Ibidem,  t.  24,  1877. 

•'•  Brefeld,  Untersuchungen  über  die  Schimmelpilze.  IV.  Heft.  —  Auch 
Butan.  Zeitung,  1876,  S.  57. 

Derselbe,  Untersuchungen  aus  dem  Gesammtgebiete  der  Mykologie. 
L\.  Heft. 

Sitzh.  d.  mathem.-naturw.  (Jl.;  CV.  Bd.,  Abth.  1.  15 


224  H.  Zukal, 

dieselbe  fallen  gelassen  werden.*  Gegenwärtig  sind  wir  an  dem 
Ende  einer  mehr  als  dreissigjährigen  Forschungsperiode  zu 
der  Erkenntniss  gekommen,  dass  die  Ascusbehälter  der  Asco- 
myceten  und  Flechten  in  einer  rein  vegetativen  Weise  entstehen. 

Nach  dieser  Abschweifung  wollen  wir  wieder  zu  unserem 
eigentlichen  Thema  zurückkehren. 

Es  wurde  oben  gesagt,  dass  die  Anlage  der  meisten  Ascus- 
behälter die  Form  eines  Hyphenknäuels  besitzt.  Dieses  Pri- 
mordium  wächst  durch  Einschiebung  neuer  Hyphenzweige, 
sowie  durch  Fächerung  und  Streckung  beträchtlich  heran.  In 
seinem  basalen  Theile,  seltener  in  seiner  Mitt^,  findet  man  in 
der  Regel  sehr  verschiedenartig  gewundene  oder  gekrümmte 
Hyphe,  die  theils  durch  ihre  Dicke,  theils  durch  ihren  Gehaltan 
plastischen  Stofifen  und  Fett  auffällt.  Bald  früher,  bald  später 
entsteht  dann  in  der  jungen  Ascusbehälteranlage  eine  centrale 
Höhlung.  In  diese  letztere  wachsen  von  der  Basis  oder  von  den 
Seitenwänden  her  die  ersten  Paraphysen  hinein  und  füllen  sie 
bald  wieder  vollständig  aus. 

Bald  darauf  regt  sich  auch  die  vorerwähnte  mit  plastischen 
Stoffen  erfüllte  Hyphe  (oder  —  wo  ein  solches  vorhanden  ist  — 
das  Initialorgan).  Sie  spriesst  nämlich  aus  und  bildet  ein  selb- 
ständiges, ebenfalls  noch  mit  Protoplasma  und  Reservestoffen 
erfülltes  Zvveigsystem,  das  sich  hauptsächlich  unter  der  Para- 
physenschichte  ausbreitet;  nämlich  das  ascogone  Hyphen- 
system.  Aus  letzterem  gehen  die  Asci  als  Ausstülpungen 
unmittelbar  hervor.  Indem  die  Sporenschläuche  in  die  Höhe 
wachsen,  müssen  sie  nothwendiger  Weise  die  Paraphysen 
auseinander  drängen.  Letztere  bilden  dann  sammt  den  Sporen- 
schläuchen das  Hymenium,  während  das  ganze  Gewebe  unter- 
halb des  Hymeniums  Subhymenium,  wohl  auch  Hypothecium 
genannt  wird. 

Inzwischen  hat  sich  auch  die  äussere  Seite  des  jungen 
Ascusbehälters  verwandelt.  Aus  dem  Hyphengeflecht  ist  nämlich 
ein  gewöhnlich  mehrschichtiges  Pseudoparenchym  geworden. 


1  Über  diesen  Punkt  siehe  auch  das  5.  Capitel  meiner  Entwicklung>- 
geschichtiichen  Untersuchungen  aus  dem  Gebiete  der  Ascomyceten:  »Zur 
Frage  über  die  Sexualität  der  Ascomyceten«,  S.  68  des  Separatabdruckes 
Diese  Sitzungsberichte,  98.  Bd.,  1889. 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  225 

welches  nun  die  Gehäusewand,  das  Excipulum,  bildet.  Letzteres 
kann  dünn  oder  dick,  weich  oder  hart,  behaart  oder  unbehaart 
sein,   kurz  die  mannigfaltigsten  Veränderungen  erleiden.  Für 
die  fernere  Entwicklung  des  Ascusbehälters  und  namentlich  füi* 
seinen  späteren  Habitus  sind  ganz  besonders  der  Zeitpunkt  und 
der  Modus  des  Öffnens  wichtig.  Öffnet  sich  nämlich  die  Behälter- 
anlage sehr  frühe,  z.  B.  kurz  nach  dem  Entstehen  der  ersten 
Paraphysen,  dann  bekommt  in  der  Regel  das  Hymenium  bald 
eine  tassenförmige,  schüssel-  oder   scheibenförmige   Gestalt 
(Discomyceten).  Bleibt  aber  das  Excipulum  lang  geschlossen 
und  erfolgt  die  Sporenejaculation   zuletzt  durch   eine   ganz 
bestimmte  Öffnung  (ostiolum),  so  erhält  das  Hymenium  eine 
krugförmige  Gestalt  (Pyrenomyceten).  Es  kann  auch  der  Fall 
eintreten,  dass  sich  das  Excipulum  gar  nicht  in  einer  bestimmten 
Weise  öffnet,  und  dass  die  Sporen  erst  frei  werden,  wenn  die 
Bchälterwand  verrottet  (Cleistomyceten).  Zu  erwähnen  ist  noch, 
dass  sich  die  Sporenschläuche  meist  als  sehr  lichtempfindliche, 
und  zwar  positive  heliotropische  Organe  erweisen.  Dieser  Um- 
stand erklärt  auch  die  Thatsache,  dass  sich  die  Ascusbehälter 
in  den  weitaus  meisten  Fällen  auf  der  Lichtseite  des  Substrates 
entwickeln.  Die  Sporen  selbst  entstehen  in  den  Sporenschläuchen 
durch  endogene  Zellbildung.  In  dem  ursprünglich  körnigen  und 
daher  ziemlich  undurchsichtigen  Plasma  des  Sporenschlauches 
wird  nämlich  bald  ein  Zellkern  sichtbar,  der  nachher  so  viele 
Zweitheilungen  erfährt,  als  für  die  Sporenanzahl  erforderlich 
ist.  Die  Kerne  letzter  Ordnung  umgeben  sich  mit  Protoplasma- 
hüllen und  letztere  mit  festen  Cellulosehäuten.  Die  so  gebildeten 
Sporen  sind  ursprünglich  einzellige  Körper.  Sie  werden  zur  Zeit 
der  Reife  in  der  Regel  mit  grosser  Kraft  hinausgeschleudert. 
Dabei  wird  der  Scheitel  des  Ascus  entweder  in  verschiedener 
Weise  aufgerissen  ^  oder  ganz  abgesprengt.  Nur  in  seltenen 
Fällen  werden  die  Sporen   nicht  ejaculirt  und  verbleiben  bis 
zur  Verschleimung  der  Ascuswand  im  Schlauche.  Dies  ist  in 
grossen  Zügen  die  durchschnittliche  Entwicklungsgeschichte 
der  Ascusbehälter  bei  den  echten  Ascomyceten. 

^  Über  den   Spritzmechanismus  siehe  Zopf,  Anatomische  Anpassuni; 
der  Schlauchfrüchte  an  die  Function  der  SporenenUeerung.  Halle,  1884. 

lö* 


226  H.  Zukal, 

Sehen  wir  nun  zu,  inwieferne  die  Entstehung  der  Flechten- 
ascomata  von  diesem  Bilde  abweicht.  Da  müssen  wir  vor  allem 
fragen:  wird  auch  bei  den  Flechten  der  Ascusbehälter  immer  in 
der  Form  eines  Hyphenknäuels  angelegt?  Diese  Frage  kann 
nach  dem  gegenwärtigen  Stand  unseres  Wissens  unter  der 
Bedingung  bejaht  werden,  dass  man  die  Podetien  der  Cladonien 
als  metamorphosirte  Ascusbehälter  betrachtet.  Das  primordiale 
Hyphenknäuel  kann  aber  exogen  angelegt  werden  oder  endogen» 
d.  h.  im  Innern  des  Flechtenthallus  oder  aussen  auf  demselben. 
Die  exogene  Anlage  kommt  bei  einigen  Cladonien,  Buellien  und 
Calycien  vor.  Ich  fand  sie  aber  auch  bei  Biatora  lucida  und 
Bacidea  mtiscorum  (Sn.)  Arn.  Beide  Flechten  besitzen  zuweilen 
einen  Thallus  pulverulentus,  welcher  sich  in  keiner  Weise  über 
das  Soredienstadium  erhebt.  Trotzdem  ist  dieser  myceliare 
Thallus  oft  mit  Ascusbehältern  übersäet.  Die  Primordien  der 
Apothecien  sitzen  entweder  den  Soredien  auf  oder  sie  bilden 
sich  auch  zwischen  denselben,  vollkommen  isolirt.  Im  letzteren 
Falle  sind  sie  bis  zu  einem  gewissen  Grade  den  soredialen 
Knäueln  ähnlich,  weil  sie  ebenfalls  häufig  Gonidien  enthalten, 
wenn  auch  in  geringerer  Menge.  Exogen  wird  das  Primordium 
ausserdem  noch  in  allen  jenen  Fällen  angelegt,  wo  sich  der 
Ascusbehälter  direct  auf  dem  Hypothallus  bildet  und  nicht  auf 
den  Thallusschüppchen.  Dies  kommt  bekanntlich  bei  mehreren 
Arten  von  Buellia,  Rhizocarpon  und  Catocarpns  vor.  Es  sind 
dies  meistens  Flechten,  deren  Hypothallus  zugleich  ein  echter 
Prothallus  ist,  welcher  die  Fähigkeit  besitzt,  sich  in  ähnlicher 
Weise  saprophytisch  zu  ernähren,  wie  der  Prothallus  der 
(Iraphideen.  Bei  diesen  Flechten  scheint  die  Anpassung  an  das 
Zusammenleben  mit  einer  gewissen  Alge  noch  nicht  hinreichend 
befestigt  und  die  Befähigung  zu  einer  saprophytischen  Lebens- 
weise noch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  erhalten  zu  sein. 
Darauf  deutet  ausser  dem  ausdauernden  Prothallus  noch  der 
Umstand  hin,  dass  gerade  bei  diesen  Formen  noch  hie  und  da 
auch  sogenannte  formae  saprophytae  vorkommen.  Es  darf  uns 
deshalb  auch  nicht  wundern,  dass  der  Ascusbehälter  nicht  auf 
den  Thallusschuppen,  sondern  auf  dem  Prothallus  entsteht. 

Bei  Lecidella  sabnletormn  Schreb.  v.  enterolenca  Fr. 
konnte  ich  übrigens  die  interessante  Thatsache  constatiren,  dass 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  227 

die  Ascusbehälter  theils  auf  dem  blauen  Hypothallus,  theils  auf 
der  gonidienführenden  Kruste  gebildet  werden.  Ausser  in  den 
erwähnten  Fällen  treffen  wir  noch  bei  Sphyridmm,  bei  den 
Calycien  und  Graphideen  exogene  Ascusbehälteranlagen. 

Bei  dem  Gros  der  Flechten  entsteht  jedoch  diese  Anlage 
endogen,  und  zwar  entweder  in  der  Gonidienschichte  oder  hart 
unterhalb  derselben.  Dass  gerade  dieser  Ort  bevorzugt  wird,  ist 
begreiflich.  Denn  hier  sind  die  Hyphen  verhältnissmässig  noch 
am  wenigsten  differenzirt;  auch  gewährt  die  Stelle  dem  Pri- 
mordium  den  Schutz  der  Lage  und  eine  möglichst  ausgiebige 
Ernährung.  Wenn  sich  das  Primordium  später  vergrössert, 
durchbricht  es  gewöhnlich  die  Rinde.  Bei  den  pyrenocarpen 
Flechten  dehnt  sich  jedoch  das  Perithecium  gewöhnlich  mehr 
nach  unten  aus,  als  nach  oben  und  kann  selbst  bis  zu  dem 
Hypothallus  vordringen,  wo  ein  solcher  vorhanden  ist.  Wenn 
sich  dann  noch  der  basale  Theil  des  Excipulums  verfärbt  und 
mit  Hyphen  bedeckt,  die  denen  des  Hypothallus  ähnlich  sehen, 
so  entsteht  der  Schein,  als  ob  die  Perithecien  ursprünglich  aus 
dem  Hypothallus  hervorgegangen  wären  und  später  den  goni- 
dienführenden Thallus  durchwachsen  hätten.  Solche  Perithecien 
findet  man  z.  B.  bei  Catopyrenitim  cinerenm  Pers.  und  Verrti- 
carria  nigrescens  Pers.  und  V.fusco  atra  Wallr.  etc. 

Die  Initialorgane  der  Primordien  sind  bei  den  Flechten 
ziemlich  spät  aufgefunden  worden,  nämlich  1877  von  Stahl.^ 
und  zwar  in  der  Form  eines  schraubig  gewundenen  Archicarps 
mit  dem  Trichogyn  bei  den  Collemaceen  (Fr.). 

Später  fand  Lindau^  ähnliche  Organe  bei  Anaptychia 
ciliarisS,,  Ramalina  fraxinea  L.,  Parmelia  tiliacea  Hoffm., 
Xanthoria  parietina  L.,  Lecanora  saxicola  Poll.,  Lecanora 
siibfusca  L.,  Lecidea  goniophila  Fl.  f.  enteroleuca,  Wainio  bei 
PyrenopsisS^ecxes,  Usnea  laevis  (Gschw.),  Sphaerophoropsis 
siereacatüoides  Wainio,  Coccocarpia  pellita  Ach.,  ferner  bei 
einigen  Arten  von  Cladonia  und  Psendopyrennla.  Ich  selbst  sah 


'  Stahl,  Beiträge  zur  Entwicklungsgeschichte  der  Flechten.  1.  Heft, 
tber  die  geschlechtliche  Fortpflanzung  der  Callomaceen.  Leipzig,  1877. 

2  G.  Lindau,  Über  die  Anlage  und  Entwicklung  einiger  Flechtenapt>- 
thecien.  1888. 


228  H.  Zukal, 

sie  sammt  Trichogyn  bei  Acarospora  cineracea  Ny  1  f.  pycniäi' 
fera  *  und  ohne  Trychogyn  in  den  Primordien  von  Tkamnolia 
vermicularis  Sw.* 

Lange  Zeit  hindurch  hielt  man  nach  Stahl  das  Carpogon 
mit  dem  Trichogyn  für  ein  sexuelles  Organ  und  stellte  sich  den 
Befruchtungsprocess  in  ähnlicher  Weise  vor,  wie  bei  den  Flori- 
deen, nämlich  als  eine  Copulation  der  »Spermatien«  mit  der 
Spitze  des  Trichogyns.  Da  aber  von  Cornu,*  Möller,*  und 
Brefeld*  nachgewiesen  wurde,  dass  die  vermeintlichen  Sper- 
matien  echte  Conidien  sind,  aus  denen  sich  in  einer  geeigneten 
Nährlösung  ein  ganzer  Thallus  züchten  lasse,  so  musste  die 
obige  Befruchtungstheorie  fallen  gelassen  werden.  Ich  selbst 
halte,  wie  schon  in  einem  anderen  Capitel  auseinander  gesetzt 
worden  ist,  das  schraubige  Carpogon  für  eine  Sammel-  und 
Leithyphe  für  Protoplasma-  und  Nährstoffe,  das  Trichogyn  aber 
für  einen  Bohrer,  der  den  Zweck  hat,  die  Decke  über  der  Leit- 
hyphe zu  durchstechen  und  der  Luft  zum  Carpogon  und  später 
zum  Primordium  directen  Zutritt  zu  sichern.  Der  Gedanke,  dass 
das  Trichogyn  vielleicht  ein  Durchlüftungsapparat  sein  könnte, 
wurde  zuerst  von  van  Tieghem^  ausgesprochen.  Ich  habe 
mich  aber  überzeugt,  dass  dies  wirklich  so  ist  und  zugleich  die 

^  Auf  die  besonders  schöne  Entwicklung  des  Carpogons  bei  Acarospora 
cineracea  wurde  ich  durch  Herrn  Dr.  Zahlbruckner  aufmerksam  gemacht. 
Derselbe  hatte  auch  die  grosse  Güte,  mir  sein  Herbarexemplar  zur  Unter- 
suchung zu  überlassen. 

-  Das  Carpogon  von  Tkamnolia  hat  die  Form  einer  Woronin'schen 
Hyphe  und  scheint  erst  ziemlich  spät  zu  entstehen,  nachdem  die  Primordien 
bereits  ein  parenchymatisches  Aussehen  gewonnen  haben. 

^  Cornu,  Sur  les  Spermatics  des  Ascomycetes,  leur  nature,  leur  role 
physiologique.  Comptes  rendus  de  l'acad.  des  sciences.  1876. 

Derselbe,  Reproduction  des  Ascomycetes.  Stylospores  et  spermatics  etc. 
Annales  des  sciences  nat.  1876. 

*  A.  Möller,  Über  die  Cultur  flechtenbildender  Ascomyceten  ohne  .Algen. 
Münster,  1887. 

•"'  Brefeld,  Untersuchungen  aus  dem  Gesammtgebiet  der  Mykologie. 
IX.  Heft. 

*'*  Van  Tieghem,  Neue  Beobachtungen  über  die  Fruchtentwicklung  und 
die  vermeintliche  Sexualit.ät  der  Ba^^idiomyceten  und  Ascomyceten.  Botan. 
Zeitung,  1876. 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  229 

Methode   abgegeben,   durch   welche   sich  jedermann  von  der 
Richtigkeit  der  obigen  Ansicht  selbst  überzeugen  kann.^ 

Nicht  immer  zeigt  die  Leithyphe  die  Form  eines  schraubig 
gewundenen  Carpogons,  zuweilen  ist  sie  nämlich  ganz  gerade, 
wie  z.  B.  nach  Krabbe  in  den  stark  verzweigten  Podetien  der 
Cladonien  oder  sie  nimmt  auch  blasen-  bis  wurstförmige  Formen 
an,  so  z.  B.  nach  Fünfstück^  bei  Peltigera,  Peliidea  und 
Nephroma.  Man  braucht  übrigens  kein  Prophet  zu  sein,  um 
vorauszusehen,  dass  über  kurz  oder  lang  solche  ascogone  Leit- 
hjqphen  für  die  Ascomata  aller  Gattungen  werden  aufgefunden 
werden. 

Die  Existenz  von  ascogonen  Hyphen  in  der  Subhymenial-« 
schichte   (Hypothecium)    ist   eigentlich    selbstverständlich,   es 
fragt  sich  nur,  ob  diese  ascogonen  Hyphen  von  einer  einzigen 
Hyphe  (Zelle)  abstammen  oder  nicht. 

Was  das  Öffnen  oder  Aufplatzen  der  ursprünglich  kugeligen 
und  ringsum  geschlossenen  Ascusbehälteranlagen  betrifft,  so 
kann  dasselbe  entweder  sehr  früh  erfolgen,  d.  h.  kurz  nach  dem 
Auftreten  des  ersten  Paraphysenbündels  oder  um  Vieles  oder 
Weniges  später,  oft  erst  nach  vollständiger  Ausbildung  der 
Lamina.  Im  ersteren  Falle  entsteht  gewöhnlich  der  Schein  eines 
apothecium  primus  apertum,  wie  z.  B.  bei  vielen  Leeideen,  im 
zweiten  Falle  kann  sich  das  Excipulum  so  spät  öffnen,  dass  ein 
Theil  der  hierher  gehörigen  Apothecien  lange  Zeit  hindurch  für 
angiocarpe  Ascusbehälter  gehalten  worden  sind,  wie  z.  B.  bep 
Sphaerophorns,  Manzonia^  Pertusaria  etc. 

Das  Gehäuse  (Excipulum  proprium)  unterliegt  bei  den 
Flechten  ähnlichen  Structurveränderungen  wie  bei  den  Asco- 
myceten. 

Bei  Phialopsis,  Petractis,  Gyalecia,  Thelofrema  etc.  ist  es 
sehr  dick  und  reisst  oft  in  einer  ganz  chamkteristischen  Weise 
auf.  Bei  vielen  Arten  von  Biatora,  Bacidea  etc.  ist  es  dagegen 
sehr  dünn.  In  anderen  Fällen  wieder  v\nrd  es  sammt  dem  Hypo- 
thecium korkartig  zähe,  oder  hornartig  bis  kohlig,  hart,  bei 

^  Siehe  das  Capitel:  Die  Durchlüftung  des  Flechtenthallus  dieser  Ab- 
handlung. 

-  Fünfstück,  Beiträge  zur  Entwicklungsgeschichte  der  Lichenen.  Berlin, 

1SS4. 


230  H.  Zukal, 

anderen  wieder  endlich  bleibt  es  weich  und  kann  sogar  eine 
gallertige  Consistenz  zeigen.  Dass  die  Ascusbehälter  ausser- 
dem noch  durch  Flechtensäuren  und  andere  Farbstoffe  in  der 
mannigfaltigsten  Weise  tingirt  und  geschützt  sind,  wurde  schon 
in  einem  früheren  Capitel  ausführlicher  besprochen. 

Nach  dem  Gesagten  könnte  es  den  Anschein  gewinnen, 
dass  bei  den  Flechten  das  Ascushymenium  immer  im  Sinne 
eines  ringsum  geschlossenen  Primordiums  angelegt  werde.  Dem 
ist  aber  nicht  so.  Bei  den  Cladonien  z.  B  entsteht  das  Hymenium, 
wie  Krabbe  festgestellt  hat,  rein  exogen,  d.  h.  es  entstehen  auf 
den  Podetien  zuerst  die  Paraphysen,  und  zwar  durch  Ver- 
zweigung der  gewöhnlichen  vegetativen  Hyphen,  und  später 
werden  die  Spornschläuche  nachgeschoben.  Letztere  gehen  aus 
den  V^erzweigungen  der  Eiweiss  leitenden  Hyphe  hervor.  Ein 
Excipulum  wird  natürlich  in  diesem  Falle  nicht  gebidet.  Das 
sind  also  die  wahren  apothecia  primus  aperta.  Bei  Stereocanlon 
verhält  sich  die  Sache  ganz  anders.  Hier  gehen  die  Pseudo- 
podetien,  wie  ich  mich  bei  5/.  namim  Ach.  überzeugt  habe, 
nicht  aus  einem  Primordium  hervor,  wie  bei  Cladonia,  sondern 
es  legen  sich  einzelne  Hyphen  des  primären  Thallus  parallel 
an  einander,  so  dass  ein  Hyphenstrang  entsteht,  der  sich  später 
bogenförmig  aufrichtet.  Damit  ist  die  erste  Anlage  des  Pseudo- 
podetiums  gegeben.  Auf  diesen  Pseudopodetien  entwickeln  sich 
aber  die  Apothecien  ganz  wie  bei  den  übrigen  Flechten  aus 
kuglig  geschlossenen  Primordien,  in  deren  Inneren  dann  das 
Hymenium  angelegt  wird.  Wenn  sich  später  das  Primordium 
öffnet,  so  entsteht  aus  der  Primordiumwand  wieder  ganz  wie 
bei  den  meisten  übrigen  Flechten  ein  Excipulum  proprium,  ja 
bei  einer  bestimmten  Gruppe  sogar  ein  Excipulum  thallodes. 
Auf  den  aus  einem  Primordium  hervorgegangenen  Podetium 
von  Cladonia  entstehen  also  die  Apothecien  ohne  Primordium, 
also  rein  exogen,  bei  den  ohne  Primordium  entstehenden  Pseudo- 
podetien von  StereocattJon  dagegen  entwickeln  sich  die  Apo- 
thecien aus  einer  anfangs  geschlossenen  Anlage  und  das 
Hymenium  ^  entsteht  endogen.  Diese  Parallele  scheint  mir  eben- 
so interessant  wie  lehrreich  zu  sein. 

J  Die  Anlage  des  Hymeniums  ist  nicht  zu  verwechseln  mit  der  Anlage 
des  ganzen  Apotheciums.   Letztere  kann  auch  bei  Stcrcocaiilon  exogen,  d.  h- 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  231 

Indem  wir  nun  den  Faden  unserer  Erörterung  wieder  aut- 
nehmen, muss  betont  werden,  dass  auch  bei  den  Flechten, 
gleichwie  bei  den  echten  Ascomyceten  in  den  weitaus  meisten 
Fällen  die  Paraphysen  durch  Aussprossung  der  gewöhnlichen 
vegetativen  Hyphen  entstehen.  Doch  zeigen  sie  bei  den  Flechten 
in  Bezug  auf  Gliederung,  Verzweigung,  Consistenz,  Verwach- 
sung, Vergallertung  und  Färbung  eine  sehr  grosse  Mannig- 
faltigkeit. In  vielen  Fällen  bilden  die  Paraphysen  über  den  jungen 
Sporenschläuchen  eine  schützende  Decke,  die  oft  sehr  fest 
werden  kann,  wie  z.  B.  bei  manchen  Graphideen  und  Leeideen. 
Dann  sind  sie  in  der  Regel  durch  Verdickung  und  Cuticulari- 
sirung  ihrer  Zellwände  oder  durch  Gallerthüllen,  Flechtensäuren 
etc.  auch  selbst  geschützt  und  zu  einer  längeren  Functions- 
dauer  befähigt.  Wenn  aber  die  Asci  durch  andere  Mittel  beschützt 
werden,  wie  z.  B.  durch  Thalluswarzen  (Pertusarien)  oder  durch 
ein  festes,  nach  oben  zu  fast  geschlossenes  Gehäuse  (pyreno- 
carpe  Flechten),  dann  werden  die  Paraphysen  in  der  Regel 
schon  frühzeitig  zur  Ernährung  des  Asci  verwendet  und  ver- 
schleimen. 

Mit  den  Paraphysen  morphologisch  verwandt  sind  die 
Periphysen,  jene  Trichome,  welche  gewöhnlich  den  Mündungs- 
canal  der  Perithecien  auskleiden  und  verengen.  Da  sie  sehr 
elastisch  sind,  glaubt  man,  dass  sie  den  Spritzmechanismus 
der  Sporenschläuche  durch  einen  von  oben  nach  unten  zu 
wachsenden  Gegendruck  verstärken.  Für  den  Systematiker 
sind  sie  insoferne  wichtig,  weil  er  aus  ihrem  Vorhandensein 
jederzeit  sicher  auf  den  angiocarpen  Charakter  des  Ascus- 
behälters  schliessen  darf 

In  Bezug  auf  die  Entwicklung  der  Sporenschläuche  aus  den 
ascogonen  Hyphen  und  die  Entstehung  der  Sporen  im  Innern 
der  Asci,  sowie  in  Bezug  auf  den  Spritzmechanismus  unter- 
scheiden sich  die  Flechten  kaum  von  den  verwandten  echten 
Ascomyceten.  Nur  bei  den  Coniocarpeen  (Meyer)  Wainio 
werden  die  Sporen  nicht  herausgeschleudert,  sondern  sie  werden 


oberflächlich  auf  dem  Thallus  entstehen,  z.  B.  bei  St.  plicatnm  .-Vch.  Das 
Hymenium  aber  bildet  sich  auch  in  diesem  Falle  endogen,  d.  h.  im  Inneren 
des  kugelig  geschlossenen  Primordiums  und  wird  erst  später  durch  Zerreissunt; 
der  Hülle  freigelegt. 


232  H.  Zukal, 

erst  dann  frei,  nachdem  die  zarte  Ascuswand  zu  Grunde 
gegangen  ist. 

Die  reifen  Sporen  dieser  Flechtengruppe  haben  keine 
Adhäsion  zu  einander,  sondern  bilden  lose,  staubartige  Massen, 
welche  von  dem  Winde  in  einer  ähnlichen  Weise  ausgesäet 
werden,  wie  die  PoUenkömer  der  anemophilen  Blüten.^  Da  die 
Ausstreuung  der  Sporen  nur  bei  trockenem  Wetter  erfolgen 
kann  (denn  bei  nassem  kleben  die  Sporen  an  einander  und  an 
die  Apothecienwand),  ihre  Auskeimung  dagegen  nur  bei  nassem, 
so  müssen  sie  dazu  befähigt  sein,  die  Zeit  der  Trockenheit 
ohne  Nachtheil  zu  überstehen.  Das  ist  auch  in  der  That  der 
Fall,  denn  die  meisten  der  hierher  gehörigen  Sporen  besitzen 
dicke,  cuticularisirte  und  meist  dunkel  gefärbte  Membranen 
und  bewahren  ihre  Keimungsfähigkeit  durch  lange  Zeit. 

Die  normale  Zahl  der  Sporen  in  einem  Ascus  ist  auch  bei 
den  Flechten  8.  Doch  haben  z.  B.  Phlyctis  argena  (Ach.)  Kbr, 
Myxodictyon  chrysosticta  Mass.,  Umbilicaria pusiulata  Hoffm., 
Megalospora  sanguinaria  (L.)  Mass.  und  mehrere  Periusaria- 
Arten  nur  eine,  andere  Pertusaria-Specles,  sowie  einige  Stigma- 
tomma  und  Dermatocarpon  typisch  zwei,  Perhisaria  coronata 
(Ach.)  Nyl.  und  P.  sulphurella  4,  Biaiorella  geophana  16,  bei 
Lecanora  cateilea  (Ach.)  Nyl.  12 — 16,  bei  Synalissa  rantnlosa 
(Schrad.)  Kbr,  16 — 32,  bei  Acarospora  glaiicocarpaV^SiMhg,, 
Epigloea  bactrospora  Zuk.  und  TJieiocarpon  Laureri  (Fw.)  Nyl. 
zahlreiche  Sporen.  Ob  die  1  —  4 sporigen  Schläuche  dadurch 
entstehen,  dass  die  Theilung  des  Zellkernes  nur  so  weit  vor- 
schreitet, oder  auf  dem  Fehlschlagen  einiger  bereits  gebildeter 
Zellkerne  beruht,  ist  noch  nicht  untersucht. 

Ursprünglich  sind  alle  Sporen  einzellig,  die  mehrzelligen 
Sporen,  und  zwar  sowohl  die  quergetheilten,  als  auch  die 
mauerförmigen  werden  von  Tavel*  als  sehr  frühzeitig  auf- 
tretende Keimungserscheinungen  gedeutet. 

Die  meisten  Sporen  enthalten  ausser  dem  Keimplasma 
auch  noch  Reservestoffe,  letztere  gewöhnlich  in  der  Form  eines 
fetten  Öles.  Von  den  Reservestoffen  besitzen  die  grossen  Sporen 

I  Über  diesen  Punkt  siehe  Kern  er,  Pflanzenleben,  2.  Theil,  S.  103. 
-  Tavel,  Vergleichende  Morphologie  der  Pilze,  1892,  S.  51. 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  233 

natürlich  auch  einen  grösseren  Vorrath,  als  kleinen.  Deshalb 
entwickeln  auch  letztere  gewöhnlich  nur  1 — 2  Keimschläuche 
und  ein  kleines  Mycel,  erstere  zahlreiche  Keimschläuche  und 
ein  grosses  MyceL 

Da  die  grossen  Sporen  offenbar  mehr  Chancen  besitzen 
bis  zur  Thallusbildung  vorzuschreiten  als  die  kleinen,  so 
herrscht  bei  mehreren  alten  und  offenbar  sehr  gut  angepassten 
Flechtengattungen  die  Tendenz  vor,  die  Sporenzahl  zu  ver- 
mindern, die  Sporengrösse  dagegen  zu  steigern  {Stigmatomma, 
Dermatocarpon,  Pertnsaria,  Umbüicaria  etc.). 

Viele  Flechtensporen  besitzen  auch  eine  derbe,  cuticulari- 
sirte  Membrane,  eine  mehr  oder  minder  dicke  Gallerthülle  und 
sind  überdies  durch  Flechtensäuren  und  durch  andere  FarbstofPe 
tingirt.  Die  dicken  Häute,  die  Gallerthüllen  und  die  Farbstoffe 
dürften  wohl,  unbeschadet  anderer  Functionen,  vorzüglich  als 
Schutzmittel  gegen  die  Angriffe  kleiner  Thiere  dienen.  Die 
grünliche,  oder  bläulich  grünliche  Färbung  mancher  Flechten- 
sporen hat  zu  verschiedenen  Missdeutungen  Anlass  gegeben; 
es  hat  sich  jedoch  herausgestellt,  dass  keine  einzige  Flechten- 
spore Chlorophyll  oder  einen  physiologisch  gleichwerthigen 
Farbstoff  enthält. 

Am  weitesten  entfernen  sich  viele  Flechtenapothecien  von 
den  gleichwerthigen  Ascusbehältern  der  echten  Ascomyceten 
durch  die  Entwicklung  eines  Excipulum  thallodes.  Die  Aus- 
bildung des  letzteren  hängt  wahrscheinlich  einerseits  mit  der 
langen  Lebens-  und  Functionsdauer  der  betreffenden  Apo- 
thecien,  anderseits  mit  einer  gewissen  üppigen  Entwicklung 
des  gonidienführenden  Thallus  zusammen.  Solche  langlebige 
und  periodenweise  Sporen  producirende  Apothecien  bedürfen 
nämlich  nicht  nur  ausreichender  Schutzmittel,  sondern  auch 
einer  ausgiebigen  Ernährung,  welche  eben  durch  den  thallo- 
dischen  Mantel  bewirkt  wird.  Für  die  Richtigkeit  dieser 
Ansicht  spricht  auch  der  Umstand,  dass  die  angiocarpen 
Ascusbehälter  nur  äusserst  selten  ein  Excipulum  thallodes 
entwickeln.  Die  Ursache  dieser  Erscheinung  liegt  offenbar 
darin,  dass  die  Perithecien  ohnehin  gewöhnlich  ganz  oder 
theihveise  in  den  gonidienführenden  Thallus  versenkt  und 
dadurch   in   Bezug   auf  ihre   Ernährung  günstig  situirt  sind. 


234  H.  Zukal, 

Die  scheinbaren  Ausnahmen  —  nämlich  Sporodictyon  und 
Segestrella  —  bestätigen  nur  die  Regel.  Denn  bei  den  eben 
genannten  zwei  Gattungen  ist  die  Kruste  so  dünn,  dass  ein 
ausgiebiges  Versenken  des  Peritheciums  in  dieselbe  nicht  gut 
möglich  ist.  Deshalb  ziehen  die  grossen,  weit  aus  der  Kruste 
hervortretenden  Perithecien  einen  Theil  des  Thallus  mit  in  die 
Höhe,  um  sich  mit  dessen  Hilfe  besser  ernähren  zu  können. 
Man  könnte  mir  zwar  einwenden,  dass  unter  den  Leeideen  auch 
viele  ausdauernde  Apothecien  vorkommen,  die  sich  ohne  Exci- 
pulum  proprium  behelfen.  Das  ist  allerdings  richtig,  allein  gerade 
die  Leeideen  und  Graphideen  sind  höchstwahrscheinlich,  phylo- 
genetisch genommen,  sehr  junge  Flechtenfamilien,  bei  denen 
die  Fähigkeit  zu  einer  theilweisen  saprophytischen  Ernährung 
noch  nicht  ganz  erloschen  ist.  Darauf  deutet  neben  dem  hier 
oft  auftretenden  exogenen  Primordium  der  schwach  entwickelte, 
zuweilen  sogar  rudimentäre  Thallus,  sowie  das  gelegentliche 
Vorkommen  der  Formae  saprophytae. 

Was  übrigens  das  Excipulum  thallodes  anbelangt,  so  ist 
noch  nachzutragen,  dass  es  neben  der  Ernährung  des  Ascus- 
behälters,  auch  noch  durch  Ausscheidung  von  Flechtensäuren, 
durch  Wallbildungen  und  Sprossungen,  nicht  selten  dazu  bei- 
trägt, die  Schutzmittel  der  Apothecien  zu  verstärken. 


Nicht  immer  erzeugt  die  ganze  Lamina  der  Flechtenapo- 
thecien  Sporenschläuche.  Bei  Pertnsaria  z.  B.  kann  sich  das 
Hymenium  durch  Bildung  eines  sterilen  Zwischengewebes 
theilen,  wodurch  isolirte  Theilapothecien  zu  Stande  kommen. 
Bei  Gyrophora  bilden  sich  auf  der  Lamina  des  Apotheciums 
ringfömige  Zonen,  in  denen  sich  die  Asci  entwickeln.  Diese 
Zonen  werden  durch  je  einen  schmalen  Streifen  eines  festen 
sterilen  Gewebes  von  einander  getrennt.  Der  Zweck  dieser 
Rillenbildung  ist  nicht  klar.  Doch  möchte  ich  darauf  aufmerksam 
machen,  dass  die  Asci  in  den  ringförmigen  Zonen  zwischen  je 
zwei  Wänden  sterilen  Gewebes,  jedenfalls  unter  anderen  Druck- 
verhältnissen stehen  als  in  einem  gewöhnlichen  Hymenium.  Ich 
glaube  daher,  dass  die  Rillenbildung  mit  dem  Spritzmechanis- 
mus in  Beziehung  steht,  rmhilicaria  ist  überhaupt  eine  sehr 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  235 

vorgeschrittene  Flechtengattung,  bei  der  namentlich  die  obere  und 
untere  Thallusrinde,  der  Durchlüftungsapparat,  die  Sporen  etc. 
eine  sehr  weitgehende  Differenzirung  erfahren  haben.  Es  darf 
uns  daher  nicht  wundem,  wenn  auch  behufs  Ausschleuderung 
der  schweren  und  grossen  Sporen  eine  besondere  Verstärkung 
des  gewöhnlichen  Spritzapparates  platzgreift. 

Manche  Flechtenapothecien  besitzen  die  Fähigkeit  der 
Sprossung.  Angedeutet  ist  letztere  schon  in  den  Apothecien 
von  Micarea  prasina  Fr.,  indem  bei  dieser  Flechte  die  Asci 
in  rundlichen  Gruppen  auf  der  Lamina  des  Apotheciums  er- 
scheinen. Bei  Lecidea  Pelati  und  Cladonia  Papillaria  führen 
diese  Sprossungen  zu  einem  mannigfach  gelappten  Hymenium. 
BeiP^r/«5ar/<3f  gehen  jedoch  diese  Sprossungen  nicht  vom  Hyme- 
nium, sondern  vom  Excipulum  und  bei  Phlyctis  vom  Hypo- 
thecium  aus.  Die  biologische  Bedeutung  dieser  Sprossungen 
liegt  offenbar  in  der  Verlängerung  der  Lebens-  und  Functions- 
dauer  des  Ascusapparates.  Den  höchsten  Grad  der  Spross- 
fähigkeit  treffen  wir  bei  den  Ascusbehälterträgern  von  Cladonia, 
Die  letzteren  sind  auch  noch  wegen  ihrer  Fähigkeit  zur  selb- 
ständigen Ernährung,  durch  Schaffung  eines  assimilirenden 
Mantels,  besonders  merkwürdig.  Man  kann  sich  auch  eine 
Vorstellung  von  den  Factoren  machen,  welche  im  Laufe  der 
phylogenetischen  Entwicklung  die  Entstehung  der  so  mannig- 
fach gestalteten  Podetien  bewirkten.  Zu  diesem  Ende  muss 
man  sich  daran  erinnern,  dass  bei  den  Ascomyceten  das 
ursprüngliche  Mycel  sehr  häufig  verschwindet,  sobald  die 
Ascusbehälter  einen  gewissen  Grad  der  Ausbildung  erlangt 
haben.  Etwas  Ähnliches  treffen  wir  auch  bei  den  Flechten 
und  insbesondere  bei  den  Leeideen,  wo  bekanntlich  die 
Kruste  nach  Entwicklung  der  Apothecien  oft  ganz  ver- 
schwindet. Zu  den  Leeideen  gehört  aber  (nach  Wainio)  auch 
die  Gattung  Cladonia.  Gegenwärtig  können  wir  in  Bezug  auf 
die  Entwicklung  von  Thallus  und  Podetium  zwei  Extreme 
unterscheiden,  nämlich  Formen  mit  schwach  entwickelten  und 
vergänglichen  Thallus  und  sehr  verzweigten  und  hoch  differen- 
zirten  Podetien,  wie  Cl.  rangiferina,  Cl.  nncialis,  Cl.  gracilis, 
Cl  verticillata,  Cl,  retipora,  Cl.  amanrocraea  etc.  und  Formen 
f^it  nur  angedeuteten  Podetien,  aber  dafür  mit  kräftigem,  blatt- 


236  '  H.  Zukal, 

artigen  Thallus,  wie  z.  B.  C7.  endivaefoUa,  CL  alcicornis  und 
C/.  miniata  v.  sanguinea  etc.  Diese  Extreme  nun  scheinen  mir 
die  Richtung  anzudeuten,  in  welcher  sich  die  phylogenetische 
Entwicklung  der  Podetien  bewegt  hat  Denken  wir  uns  zu 
diesem  Zwecke  als  Urform  eine  Qadonia,  die  etwa  dem 
heutigen  Baeomyces  roseus  ähnelte,  nämlich  einen  krustigen 
Thallus  und  ein  gestieltes  Apothecium  besessen  hat.  Denken 
wir  uns  ferner,  dass  die  Kruste  rudimentär  wurde  oder  ganz 
verschwand,  ehe  noch  das  Hymenium  angelegt  worden  war. 
Wird  in  diesem  Falle  der  Apothecienstiel  nicht  das  Streben 
geäussert  haben,  sich  trotz  des  Verschwindens  der  er- 
nährenden Kruste  am  Leben  zu  erhalten?  Wenn  dies  zuge- 
standen wird,  dann  kann  es  anderseits  nicht  mehr  Wunder 
nehmen,  dass  dieser  Apothecienstiel  sich  theils  saprophytisch 
ernährte,  theils  zufällig  aufliegende  Gonidien  oder  Soredien  sich 
zunutze  machte.  Letztere  Gewohnheit  (sit  venia  verbo)  wurde 
später,  weil  sie  sich  in  einem  hohen  Grade  nützlich  erwies,  fixirt. 
Dann  trat  als  ein  weiterer  Factor  der  Gestaltung  die  Knospung 
hinzu,  nach  welcher  jeder  Spross  bestrebt  ist,  wieder  einen 
neuen,  ihm  ähnlichen  Spross  zu  erzeugen.  Den  weiteren  Aus- 
bau der  Podetien  besorgten  schliesslich  die  physiologischen 
Factoren.  Dort  aber,  wo  der  ursprüngliche  Thallus  nicht  nur 
nicht  verschwand,  sondern  sich  im  Laufe  der  Vegetationszeit 
noch  verstärkte  und  verbreitete,  wurden  auch  die  Apothecien- 
anlagen  gut  ernährt,  und  es  fehlte  daher  jeder  Anstoss  zur 
Podetienbildung.  In  diesen  Fällen  wurden  sogar  die  Apothecien- 
stiele  nicht  mehr  weiter  entwickelt,  denn  ein  sich  verlängernder 
Ascusbehälterstiel  involvirt  immer  ein  Streben  nach  besserer 
Situirung  in  Bezug  auf  Licht,  Luft  —  kurz  auf  Ernährung. 

Auch  bei  Stereocaulon  zeigt  der  ursprünglich  vorhandene 
Thallus  die  Tendenz,  nach  Aufrichtung  der  Pseudopodetien  zu 
verschwinden.  Da  die  letzteren  aber  nur  aufgerichtete  Bündel  der 
ursprünglichen Thallushyphen  sind,  so  liegt  für  sie  die  Frage  der 
Ernährung  ganz  anders,  wie  bei  Cladonia,  weil  sie  einfach  die 
Symbiose,  welche  sie  in  liegender  Lage  angefangen  haben,  in 
aufrechter  Stellung  nur  fortzusetzen  brauchen.  Die  Apothecien- 
stiele  von  Cladonia  mussten  dagegen,  ehe  sie  zur  Anlage  goni- 
dienführender  Mantelschüppchen   gelangten,   fortwährend  alle 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  237 

jene  Tendenzen  und  Anlagen  bekämpfen,  welche  sie  zur  end- 
giltigen  Entwicklung  des  Apotheciums  hindrängten. 

Übrigens  ist  die  Fähigkeit  zur  Tballusschüppchenbildung 
auch  bei  anderen  Apothecien,  wenigstens  in  nuce  vorhanden. 
Ich  verweise  nur  auf  die  von  Fünfstück ^  näher  untersuchte 
Tballusschüppchenbildung  an  den  Apothecien  von  Peltidea 
aphtosa.  Wie  weit  und  ob  die  einzelnen  Apothecien  bei  der 
Entwicklung  des  Excipulum  thallodes  selbstthätig  betheiligt 
sind,  muss  erst  für  die  Mehrzahl  der  Fälle  näher  untersucht 
werden. 

Die  biologisch  interessanteste  Anpassung  der  Flechten- 
ascusbehälter  ist  jedenfalls  die  Entwicklung  und  Ausstreuung 
der  Hymenialgonidien.^  Die  grosse  biologische  Wichtigkeit  der 
gleichzeitigen  Ausstreuung  von  Sporen  und  Gonidien  liegt  so 
auf  der  Hand,  dass  ich  mir  hier  jede  weitere  Erläuterung 
ersparen  kann. 

Man  muss  nur  fragen,  warum  diese  offenbar  äusserst  vor- 
theilhafte  Anpassung  bei  den  Flechten  so  selten  vorkommt? 
Darauf  möchte  ich  antworten,  dass  die  sogenannten  Anpas- 
sungen sich  nur  im  Rahmen  der  gegebenen  morphologischen 
Bedingungen  und  in  steter  Concurrenz  mit  anderen  Diffe- 
renzirungen  entwickeln  können.  Die  Ausstreung  der  Hyme- 
nialgonidien  setzt  einen  sehr  entwickelten  Spritzmechanismus 
voraus.  Letzterer  ist  eigentlich  nur  bei  den  angiocarpen  Ascus- 
behältern  vorhanden,  wo  die  enge  Ejaculationsöffnung,  im  Ver- 
ein mit  den  Periphysen  und  einer  beuteiförmig  geschlossenen 
Perithecienwand  die  Schleuderkraft  der  Asci  wesentlich  ver- 
stärken. Nun  besitzt  aber  der  grösste  Theil  der  Flechten  g^^'mno- 
carpe  Ascusbehälter,  welche  diesen  verstärkten  Spritzmechanis- 
mus eben  entbehren  müssen.  Die  Entwicklung  von  Hymenial- 
gonidien  würde  daher  bei  dieser  Gruppe  zwecklos  sein,  weil  die 
eventuell  entwickelten  Gonidien  doch  nicht  herausgeschleudert 
werden  könnten.   Sie  würde  überdies  gegen  das  Princip  der 


'  Fünfstück,  Thallusbildung  an  den  Apothecien  von  Peltidea  aphtosa. 
Berichte  der  deutschen  botan.  Gesellschaft,  2.  Bd.,  1884,  S.  447. 

2  Stahl,  Beiträge  zur  Entwicklungsgeschichte  der  Flechten.  2.  Heft. 
Über  die  Bedeutung  der  Hymenialgonidien.  Leipzig,  1877. 


238  H.  Zukal, 

Ökonomie  Verstössen,  was  nicht  leicht  vorkommt.  Aber  auch 
bei  den  angiocarpen  Flechten  sind  die  Hymenialgonidien  selten. 
Dies  lässt  sich  vielleicht  dadurch  erklären,  dass  die  Bedin- 
gungen, welche  es  den  Gonidien  ermöglichen,  zwischen  den 
Paraphysen  trotz  des  dort  herrschenden  grossen  Druckes  lebend 
und  vermehrungsfähig  zu  bleiben,  nur  selten  gegeben  sind. 


Neben  den  Ascussporen  sind  als  die  weitverbreitetsten 
Propagationsorgane  der  Flechten  die  Conidien  der  Pykniden 
zu  nennen.  Es  fällt  auf,  dass  die  Flechten  ihre  Conidien  nie- 
mals ausserhalb  eines  Behälters  offen  auf  einzelnen  Trägem 
entwickeln,  wie  dies  doch  bei  den  echten  Ascomyceten  so  oft 
der  Fall  ist.  Wenn  man  aber  näher  zusieht,  so  verliert  sich 
das  Auffallende  dieser  Erscheinung.  Denn  weitaus  die  meisten 
Flechten  besitzen  einen  Thallus  corticatus.  Die  obersten  Zellen 
der  Thallusrinde  sind  aber  entweder  leblos  oder  so  specialisirt, 
dass  an  ein  Aussprossen  derselben  zu  Conidienträgern  gar 
nicht  zu  denken  ist.  Nur  für  den  Thallus  myceliformis  wäre 
die  Möglichkeit  einer  Conidienproduction  gegeben,  und  an 
diesen  ist  in  der  That  in  jüngster  Zeit  von  Neubner  eine 
Oidienbildung  beobachtet  worden.  Bei  näherer  Durchforschung 
der  Thalli  leprosi  und  pulverulenti  dürften  sich  übrigens 
noch  ähnliche  Bildungen  constatiren  lassen.'  Bei  den  übrigen 
Thallusarten  war  die  Conidienproduction  wegen  der  grossen 
Specialisirung  der  Rinde  schon  a  priori  auf  bestimmte,  im 
Innern  des  Thallus  vorgebildete  Mycelbezirke  angewiesen. 
Die  spätere  Individualisirung  der  ursprünglich  nur  lose  be- 
grenzten Conidienlager,  die  Ausbildung  einer  pseudoparen- 
chymatischen  Hülle  mit  Ausführungscanal  und  Schutzmitteln 
erfolgte  offenbar  in  langsamer  Anpassung  an  die  allgemeinen 
Lebensbedingungen  jeder  einzelnen  Flechte.  Die  Pykniden 
werden  bekanntlich  nicht  ejaculirt,  sondern  quellen  in  der 
Form  eines  schleimigen  oder  gallertigen  Tropfens  aus  der 
Pyknidenöffnung     heraus.     Während     die     Ascussporen    mit 

1  So  habe  ich  z.  B.  bei  Coniocyles  fnrfnracea  beobachtet,  dass  die  Hyphen 
am  Scheitel  der  Apothecienanlagen  zuweilen  (besonders  an  feuchten  Standorten 
winzige  Zellchen  abschnüren. 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  239 

solcher  Kraft  herausgeschleudert  werden,  dass  sie  meistens  ganz 
ausserhalb  des  Thallus  zu  liegen  kommen,  bleiben  dagegen  die 
Pyknosporen  in  der  Regel  auf  dem  Thallus  kleben.  Da  aber  aller- 
hand kleine  Thiere,  wie  Insecten,  Spinnen,  Kruster,  Schnecken, 
Würmer  etc.  häufig  genug  über  die  Flechten  kriechen,  so  ist  es 
wahrscheinlich,  dass  in  vielen  Fällen  die  schleimig-kleberigen 
Pyknoconidien  an  verschiedenen  Körpertheilen  dieser  Thiere 
hängen  bleiben  und  durch  letztere  eine  grössere  Verbreitung 
finden  dürften.  Ob  die  Flechten  aber  bis  zur  Ausbildung  be- 
stimmter Anlockungsmittel  oder  sonstiger  auf  die  Sporen- 
verbreitung hinzielender  Anpassungen  an  bestimmte  Thiere 
gelangt  sind,  lässt  sich  derzeit  nicht  entscheiden.  Wenn  wir 
aber  an  die  so  auffallend  roth  gefärbten  Ascus-  und  Pyk- 
nidenbehälter  mancher  Cladonien  denken,  so  drängt  sich  uns 
unwillkürlich  die  Vermuthung  auf,  dass  das  leuchtende  Roth 
neben  der  Function  als  chemisches  vSchutzmittel  auch  noch 
eine  andere  Bedeutung  —  etwa  als  Anlockungsmittel  —  haben 
könnte. 

Wie  weit  der  Regen,  die  Traufe  und  die  Spülwässer  des 
Schnees  zur  Verbreitung  der  Pyknoconidien  beitragen,  ist  eben- 
falls noch  nicht  erforscht. 

Wenn  man  die  Pyknoconidien  der  Flechten  mit  denen  der 
echten  Ascomyceten  vergleicht,  so  findet  man,  dass  bei  den 
Flechten  die  Tendenz  vorherrscht,  die  Grösse  der  Conidien  zu 
reduciren,  dafür  aber  ihre  Zahl  zu  vermehren.  Bei  den  Ascus- 
^poren  kann  man  im  Grossen  und  Ganzen  das  Umgekehrte 
constatiren.  Bei  den  letzteren  scheint  nämlich  die  Naturwahl 
darauf  hinzuarbeiten,  möglichst  vielzellige,  grosse  Sporen- 
körper zu  züchten,  in  denen  eine  möglichst  grosse  Menge  von 
Protoplasma  und  Reservestoffen  zur  Aufstapelung  gelangen,  um 
da  noch  überdies  durch  dicke  Häute  und  Farbstoff'e  besonders 
geschützt  zu  werden  —  aber  auf  Kosten  ihrer  Zahl. 

Die  P'lechten  produciren  also  zwei  ganz  verschiedene 
Sporenarten.  Die  einen,  nämlich  die  Ascussporen,  sind  aus- 
dauernd, gross,  mit  Reservestoffen  und  Schutzmitteln  versehen 
und  werden  durch  einen  besonderen  Schleuderapparat  weit- 
hin fortgeschnellt.  Die  anderen  sind  winzig  klein,  von  kurzer 
Lebensdauer  und   fast  schutzlos  und  werden  nicht  ejaculirt. 

'^itzb.  d.  mathem.-naturw.  CL;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  10 


240  H.  Zukal, 

Was  die  einen  durch  tüchtige  Ausrüstung,  sollen  die  anderen 
durch  ihre  grosse  Zahl  erreichen. 


Viele  Flechten  verfügen  übrigens  noch  über  ein  bei  weitem 
wirksameres  Propagationsmittel,  als  Ascus  und  Pyknosporen 
sind,  nämlich  über  die  Soredien.  Wie  sicher  die  letzteren 
die  Verbreitung  und  Vermehrung  einer  Flechtenspecies  unter 
Umständen  bewirken  können,  zeigen  bei  uns  z.  B.  Bryopogon 
juhatmn  und  Parmelia  caperata.  Diese  Flechten  sind  nämlich 
in  unseren  Gegenden  überall  gemein,  trotzdem  sie  fast  nie  oder 
nur  äusserst  selten  Apothecien  erzeugen.  Sie  vermehren  sich 
eben  hauptsächlich  durch  die  Soredien,  denn  wie  weit  bei 
dieser  Vermehrung  die  Pyknosporen  in  Betracht  kommen,  dies 
zu  beurtheilen,  fehlt  uns  vorläufig  jeder  Massstab. 

Wenn  aber  auch  die  Soredienbildung  bei  den  Flechten 
eine  häufige  Erscheinung  ist  und  als  ein  normaler  Vorgang 
aufgefasst  wird,  so  darf  man  doch  nicht  vergessen,  dass  die 
Soredienbildung  eigentlich  auf  einer  Störung  der  Wachsthums- 
harmonie  beruht.  Denn  wenn  diese  nicht  gestört  ist,  so  bleibt 
im  Allgemeinen  die  Continuität  der  Rindenschicht  erhalten, 
weil  letztere  die  Fähigkeit  besitzt,  durch  interculare  Theilungen 
und  Streckungen  dem  peripherischen  Wachsthum  zu  folgen 
und  gefährliche  Spannungen  und  Zerreissungen  zu  vermeiden. 

In  vielen  Fällen  stirbt  auch  die  Rinde  allmälig  in  der 
Richtung  von  aussen  nach  Innen  ab,  wird  aber  in  demselben 
Verhältniss,  als  sie  von  obenher  abstirbt,  von  den  Hyphen  der 
Gonidienschichte  aus  immer  wieder  reconstruirt,  wobei  häufig 
eine  Anzahl  von  Gonidien  in  dem  lückenlosen  Rindengewebe 
eingeschlossen  wird  und  zu  Grunde  geht.  Die  Continuität  der 
Rinde  ist  überhaupt  eine  Eigenschaft,  zu  deren  Ausbildung  die 
Flechten  oft  complicirte  Mittel  anwenden.  Jeder  Unterbrechung 
dieser  Continuität  liegt  in  den  meisten  Fällen  ein  krankhafter 
Process  zu  Grunde.  Umso  merkwürdiger  ist  es,  dass  ein 
ursprünglich  krankhafter  Process  in  einen  normalen  Propaga- 
tionsact  verwandelt  wird.  Eine  weitgehende  Anpassung  hat  dies 
erreicht,  indem  sie  bei  gewissen  Flechten  in  der  allgemeinen 
Rinde  verdünnte  Stellen  hervorbrachte,  welche  in  einem  etwas 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  24 1 

vorgeschritteneren  Entwicklungsstadium  aufreissen  und  den 
äusseren  Agentien  einen  directen  Zutritt  zu  den  entblössten 
Gonidienhäufchen  gestatten  mussten.  Solche  verdünnte  Haut- 
stellen treffen  wir  ausser  den  bereits  erwähnten  Bryopogon 
jubaium  und  Parmelia  caperata  auch  noch  bei  P.  perlata, 
F.  saxatilis  etc.  In  den  genannten  Fällen  haben  wir  es  mit 
einer  ganz  besonderen,  die  Soredienausstreuung  bezweckenden 
Anpassung  zu  thun,  welche  nicht  nur  eigens  präformirte  Durch- 
bruchsstellen, sondern  auch  eine  bestimmte  Verknäuelung  von 
Hyphen  und  Gonidien,  sowie  auch  einen  bestimmten  Tren- 
nungsmodus der  gebildeten  Soredien  voraussetzt  Dazu  treten 
noch  besondere  Schutzmittel  für  die  fertigen  Soredien,  wie 
Flechtensäuren  und  andere  Farbstoffe.  In  vielen  anderen,  viel- 
leicht noch  zahlreicheren  Fällen  brechen  dagegen  die  Soredien 
nicht  an  bestimmten  Hautstellen,  sondern  offenbar  an  den 
Stellen  des  geringsten  Widerstandes,  wie  z.  ß.  am  Thallusrande 
hervor.  Hier  scheinen  wir  es  nicht  mehr  mit  einer  festen,  zum 
Speciescharakter  gewordenen  Anpassung,  sondern  mit  einem 
Zustand  zu  thun  zu  haben,  der  sich  nur  unter  besonderen 
Lebens-  und  Vegetationsbedingungen  (wie  z.  B.  bei  grosser 
Feuchtigkeit  bei  gleichzeitiger  geringer  Lichtintensität)  ent- 
wickelt (formae  sorediatae).  Letztere  Fälle  gehen  ganz  allmälig 
in  solche  über,  bei  denen  der  krankhafte  Charakter  der  Sore- 
dienbildung  ganz  offenbar  wird  und  die  gewöhnlich  mit  dem 
Tode  des  soredienbildenden  Individuums  enden  {Pertusaria 
communis,  Cetraria  pinastri,  Sticta  aurata  etc.). 

Der  Ruin  des  Individuums  kann  entweder  durch  voll- 
ständige Verstäubung  der  Gonidienschichte  bei  gar  zu  üppiger 
Soredienbildung  oder  auch  durch  Aufblätterung  der  Rinde  bei 
randständiger  Soredienbildung  erfolgen. 

Bei  den  Flechten  mit  endogenem  Thallus  kann  es  eben- 
falls zu  einer  Soredienproduction  kommen,  insoferne  sich  der 
Thallus  mit  kleinen,  rundlichen  Prolificationen  oder  Knötchen 
bedeckt,  welche  leicht  abfallen.  Streng  genommen  stellen  diese 
Prolificationen,  wie  solche  z.  B.  häufig  bei  Collenta  auftreten, 
kleine  Algencolonien  dar,  die  aber  bereits  von  einzelnen  Hyphen 
des  Flechtenpilzes  durchzogen  werden.  Da  diese  Algencolonien 
beide  Componenten   des   Flechtenthallus    in    einer   ähnlichen 

10* 


240  H.  ZukaK 

Was  die  einen  durch  tüchtige  Ausrüstung,  sollen  die  anderen 
durch  ihre  grosse  Zahl  erreichen. 


Viele  Flechten  verfügen  übrigens  noch  über  ein  bei  weitem 
wirksameres  Propagationsmittel,  als  Ascus  und  Pyknosporen 
sind,  nämlich  über  die  Soredien.  Wie  sicher  die  letzteren 
die  Verbreitung  und  Vermehrung  einer  Flechtenspecies  unter 
Umständen  bewirken  können,  zeigen  bei  uns  z.  B.  Bryopogou 
juhatnm  und  Parmelia  caperata.  Diese  Flechten  sind  nämlich 
in  unseren  Gegenden  überall  gemein,  trotzdem  sie  fast  nie  oder 
nur  äusserst  selten  Apothecien  erzeugen.  Sie  vermehren  sich 
eben  hauptsächlich  durch  die  Soredien,  denn  wie  weit  bei 
dieser  Vermehrung  die  Pyknosporen  in  Betracht  kommen,  dies 
zu  beurtheilen,  fehlt  uns  vorläufig  jeder  Massstab. 

Wenn  aber  auch  die  Soredienbildung  bei  den  Flechten 
eine  häufige  Erscheinung  ist  und  als  ein  normaler  Vorgang 
aufgefasst  wird,  so  darf  man  doch  nicht  vergessen,  dass  die 
Soredienbildung  eigentlich  auf  einer  Störung  der  Wachsthums- 
harmonie  beruht.  Denn  wenn  diese  nicht  gestört  ist,  so  bleibt 
im  Allgemeinen  die  Continuität  der  Rindenschicht  erhalten, 
weil  letztere  die  Fähigkeit  besitzt,  durch  interculare  Theilungen 
und  Streckungen  dem  peripherischen  Wachsthum  zu  folgen 
und  gefährliche  Spannungen  und  Zerreissungen  zu  vermeiden. 

In  vielen  Fällen  stirbt  auch  die  Rinde  allmälig  in  der 
Richtung  von  aussen  nach  hmen  ab,  wird  aber  in  demselben 
Verhältniss,  als  sie  von  obenher  abstirbt,  von  den  Hyphen  der 
Gonidienschichte  aus  immer  wieder  reconstruirt,  wobei  häufig 
eine  Anzahl  von  Gonidien  in  dem  lückenlosen  Rindengewebe 
eingeschlossen  wird  und  zu  Grunde  geht.  Die  Continuität  der 
Rinde  ist  überhaupt  eine  Eigenschaft,  zu  deren  Ausbildung  die 
Flechten  oft  complicirte  Mittel  anwenden.  Jeder  Unterbrechung 
dieser  Continuität  liegt  in  den  meisten  Fällen  ein  krankhafter 
Process  zu  Grunde.  Umso  merkwürdiger  ist  es,  dass  ein 
ursprünglich  krankhafter  Process  in  einen  normalen  Propaga- 
tionsact  verwandelt  wird.  Eine  weitgehende  Anpassung  hat  dies 
erreicht,  indem  sie  bei  gewissen  Flechten  in  der  allgemeinen 
Rinde  verdünnte  Stellen  hervorbrachte,  welche  in  einem  etwas 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  24 1 

vorgeschritteneren  Entwicklungsstadium  aufreissen  und  den 
äusseren  Agentien  einen  directen  Zutritt  zu  den  entblössten 
Gonidienhäufchen  gestatten  mussten.  Solche  verdünnte  Haut- 
stellen treffen  wir  ausser  den  bereits  erwähnten  Bryopogon 
jtibaium  und  Parmelia  caperata  auch  noch  bei  P.  perlata, 
P.  saxatilis  etc.  In  den  genannten  Fällen  haben  wir  es  mit 
einer  ganz  besonderen,  die  Soredienausstreuung  bezweckenden 
Anpassung  zu  thun,  welche  nicht  nur  eigens  präformirte  Durch- 
bruchsstellen,  sondern  auch  eine  bestimmte  Verknäuelung  von 
Hyphen  und  Gonidien,  sowie  auch  einen  bestimmten  Tren- 
nungsmodus der  gebildeten  Soredien  voraussetzt.  Dazu  treten 
noch  besondere  Schutzmittel  für  die  fertigen  Soredien,  wie 
Flechtensäuren  und  andere  Farbstoffe.  In  vielen  anderen,  viel- 
leicht noch  zahlreicheren  Fällen  brechen  dagegen  die  Soredien 
nicht  an  bestimmten  Hautstellen,  sondern  offenbar  an  den 
Stellen  des  geringsten  Widerstandes,  wie  z.  ß.  am  Thallusrande 
hervor.  Hier  scheinen  wir  es  nicht  mehr  mit  einer  festen,  zum 
Speciescharakter  gewordenen  Anpassung,  sondern  mit  einem 
Zustand  zu  thun  zu  haben,  der  sich  nur  unter  besonderen 
Lebens-  und  Vegetationsbedingungen  (wie  z.  ß.  bei  grosser 
Feuchtigkeit  bei  gleichzeitiger  geringer  Lichtintensität)  ent- 
wickelt (formae  sorediatae).  Letztere  Fälle  gehen  ganz  allmälig 
in  solche  über,  bei  denen  der  krankhafte  Charakter  der  Sore- 
dienbildung  ganz  offenbar  wird  und  die  gewöhnlich  mit  dem 
Tode  des  soredienbildenden  Individuums  enden  {Pertusaria 
communis,  Cetraria  pinastri,  Sticta  aurata  etc.). 

Der  Ruin  des  Individuums  kann  entweder  durch  voll- 
ständige Verstäubung  der  Gonidienschichte  bei  gar  zu  üppiger 
Soredienbildung  oder  auch  durch  Aufblätterung  der  Rinde  bei 
randständiger  Soredienbildung  erfolgen. 

Bei  den  Flechten  mit  endogenem  Thallus  kann  es  eben- 
falls zu  einer  Soredienproduction  kommen,  insoferne  sich  der 
Thallus  mit  kleinen,  rundlichen  Prolificationen  oder  Knötchen 
bedeckt,  welche  leicht  abfallen.  Streng  genommen  stellen  diese 
Prolificationen,  wie  solche  z.  B.  häufig  bei  Collema  auftreten, 
kleine  Algencolonien  dar,  die  aber  bereits  von  einzelnen  Hyphen 
des  Flechtenpilzes  durchzogen  werden.  Da  diese  Algencolonien 
beide  Componenten    des   Flechtenthallus   in    einer   ähnlichen 

10* 


240  H.  ZukaU 

Was  die  einen  durch  tüchtige  Ausrüstung,  sollen  die  anderen 
durch  ihre  grosse  Zahl  erreichen. 


Viele  Flechten  verfügen  übrigens  noch  über  ein  bei  weitem 
wirksameres  Propagationsmittel,  als  Ascus  und  Pyknosporen 
sind,  nämlich  über  die  Soredien.  Wie  sicher  die  letzteren 
die  Verbreitung  und  Vermehrung  einer  Flechtenspecies  unter 
Umständen  bewirken  können,  zeigen  bei  uns  z.  B.  Bryopogon 
jtihattim  und  Parmelia  caperata.  Diese  Flechten  sind  nämlich 
in  unseren  Gegenden  überall  gemein,  trotzdem  sie  fast  nie  oder 
nur  äusserst  selten  Apothecien  erzeugen.  Sie  vermehren  sich 
eben  hauptsächlich  durch  die  Soredien,  denn  wie  weit  bei 
dieser  Vermehrung  die  Pyknosporen  in  Betracht  kommen,  dies 
zu  beurtheilen,  fehlt  uns  vorläufig  jeder  Massstab. 

Wenn  aber  auch  die  Soredienbildung  bei  den  Flechten 
eine  häufige  Erscheinung  ist  und  als  ein  normaler  Vorgang 
aufgefasst  wird,  so  darf  man  doch  nicht  vergessen,  dass  die 
Soredienbildung  eigentlich  auf  einer  Störung  der  Wachsthums- 
harmonie  beruht.  Denn  wenn  diese  nicht  gestört  ist,  so  bleibt 
im  Allgemeinen  die  Continuität  der  Rindenschicht  erhalten, 
weil  letztere  die  Fähigkeit  besitzt,  durch  interculare  Theilungen 
und  Streckungen  dem  peripherischen  Wachsthum  zu  folgen 
und  gefährliche  Spannungen  und  Zerreissungen  zu  vermeiden. 

hl  vielen  Fällen  stirbt  auch  die  Rinde  allmälig  in  der 
Richtung  von  aussen  nach  Innen  ab,  wird  aber  in  demselben 
Verhältniss,  als  sie  von  obenher  abstirbt,  von  den  Hyphen  der 
Gonidienschichte  aus  immer  wieder  reconstruirt,  wobei  häufig 
eine  Anzahl  von  Gonidien  in  dem  lückenlosen  Rindengevvebe 
eingeschlossen  wird  und  zu  Grunde  geht.  Die  Continuität  der 
Rinde  ist  überhaupt  eine  Eigenschaft,  zu  deren  Ausbildung  die 
Flechten  oft  complicirte  Mittel  anwenden.  Jeder  Unterbrechung 
dieser  Continuität  liegt  in  den  meisten  Fällen  ein  krankhafter 
Process  zu  Grunde.  Umso  merkwürdiger  ist  es,  dass  ein 
ursprünglich  krankhafter  Process  in  einen  normalen  Propaga- 
tionsact  verwandelt  wird.  Eine  weitgehende  Anpassung  hat  dies 
erreicht,  indem  sie  bei  gewissen  Flechten  in  der  allgemeinen 
Rinde  verdünnte  Stellen  hervorbrachte,  welche  in  einem  etwas 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  24 1 

vorgeschritteneren  Entwicklungsstadium  aufreissen   und  den 
äusseren  Agentien  einen  directen  Zutritt  zu  den  entblössten 
Gonidienhäufchen  gestatten  mussten.  Solche  verdünnte  Haut- 
stellen treffen  wir  ausser  den  bereits  erwähnten  Bryopogon 
jtibatum  und  Parmelia  caperata  auch  noch  bei  P.  perlata, 
P.  saxatilis  etc.   In  den  genannten  Fällen  haben  wir  es  mit 
einer  ganz  besonderen,  die  Soredienausstreuung  bezweckenden 
Anpassung  zu  thun,  welche  nicht  nur  eigens  präformirte  Durch - 
bruchsstellen,  sondern  auch  eine  bestimmte  Verknäuelung  von 
Hyphen  und  Gonidien,  sowie  auch  einen  bestimmten  Tren- 
nungsmodus der  gebildeten  Soredien  voraussetzt.  Dazu  treten 
noch  besondere  Schutzmittel  für  die  fertigen  Soredien,  wie 
Flechtensäuren  und  andere  Farbstoffe.  In  vielen  anderen,  viel- 
leicht noch  zahlreicheren  Fällen  brechen  dagegen  die  Soredien 
nicht  an  bestimmten  Hautstellen,   sondern   offenbar   an  den 
Stellen  des  geringsten  Widerstandes,  wie  z.  ß.  am  Thallusrande 
hervor.  Hier  scheinen  wir  es  nicht  mehr  mit  einer  festen,  zum 
Speciescharakter  gewordenen  Anpassung,  sondern  mit  einem 
Zustand  zu  thun  zu  haben,  der  sich  nur  unter  besonderen 
Lebens-  und  Vegetationsbedingungen  (wie  z.  B.  bei  grosser 
Feuchtigkeit   bei   gleichzeitiger  geringer  Lichtintensität)   ent- 
wickelt (formae  sorediatae).  Letztere  Fälle  gehen  ganz  allmälig 
in  solche  über,  bei  denen  der  krankhafte  Charakter  der  Sore- 
dienbildung  ganz  offenbar  wird  und  die  gewöhnlich  mit  dem 
Tode  des  soredienbildenden  Individuums  enden  {Pertusaria 
communis,  Cetraria  pinastri,  Sticta  aurata  etc.). 

Der  Ruin  des  Individuums  kann  entweder  durch  voll- 
ständige Verstäubung  der  Gonidienschichte  bei  gar  zu  üppiger 
Soredienbildung  oder  auch  durch  Aufblätterung  der  Rinde  bei 
randständiger  Soredienbildung  erfolgen. 

Bei  den  Flechten  mit  endogenem  Thallus  kann  es  eben- 
falls zu  einer  Soredienproduction  kommen,  insoferne  sich  der 
Thallus  mit  kleinen,  rundlichen  Prolificationen  oder  Knötchen 
bedeckt,  welche  leicht  abfallen.  Streng  genommen  stellen  diese 
Prolificationen,  wie  solche  z.  ß.  häufig  bei  Collema  auftreten, 
kleine  Algencolonien  dar,  die  aber  bereits  von  einzelnen  Hyphen 
des  Flechtenpilzes  durchzogen  werden.  Da  diese  Algencolonien 
beide  Componenten   des   Flechtenthallus   in   einer   ähnlichen 

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240  H.  Zukal, 

Was  die  einen  durch  tüchtige  Ausrüstung,  sollen  die  anderen 
durch  ihre  grosse  Zahl  erreichen. 


Viele  Flechten  verfügen  übrigens  noch  über  ein  bei  weitem 
wirksameres  Propagationsmittel,  als  Ascus  und  Pyknosporen 
sind,  nämlich  über  die  Soredien.  Wie  sicher  die  letzteren 
die  Verbreitung  und  Vermehrung  einer  Flechtenspecies  unter 
Umständen  bewirken  können,  zeigen  bei  uns  z.  B.  Bryopogon 
juhatum  und  Parmelia  caperata.  Diese  Flechten  sind  nämlich 
in  unseren  Gegenden  überall  gemein,  trotzdem  sie  fast  nie  oder 
nur  äusserst  selten  Apothecien  erzeugen.  Sie  vermehren  sich 
eben  hauptsächlich  durch  die  Soredien,  denn  wie  weit  bei 
dieser  Vermehrung  die  Pyknosporen  in  Betracht  kommen,  dies 
zu  beurtheilen,  fehlt  uns  vorläufig  jeder  Massstab. 

Wenn  aber  auch  die  Soredienbildung  bei  den  Flechten 
eine  häufige  Erscheinung  ist  und  als  ein  normaler  Vorgang 
aufgefasst  wird,  so  darf  man  doch  nicht  vergessen,  dass  die 
Soredienbildung  eigentlich  auf  einer  Störung  der  Wachsthums- 
harmonie  beruht.  Denn  wenn  diese  nicht  gestört  ist,  so  bleibt 
im  Allgemeinen  die  Continuität  der  Rindenschicht  erhalten, 
weil  letztere  die  Fähigkeit  besitzt,  durch  interculare  Theilungen 
und  Streckungen  dem  peripherischen  Wachsthum  zu  folgen 
und  gefährliche  Spannungen  und  Zerreissungen  zu  vermeiden. 

In  vielen  Fällen  stirbt  auch  die  Rinde  allmälig  in  der 
Richtung  von  aussen  nach  Innen  ab,  wird  aber  in  demselben 
V^erhältniss,  als  sie  von  obenher  abstirbt,  von  den  Hyphen  der 
Gonidienschichte  aus  immer  wieder  reconstruirt,  wobei  häufig 
eine  Anzahl  von  Gonidien  in  dem  lückenlosen  Rindengewebe 
eingeschlossen  wird  und  zu  Grunde  geht.  Die  Continuität  der 
Rinde  ist  überhaupt  eine  Eigenschaft,  zu  deren  Ausbildung  die 
Flechten  oft  complicirte  Mittel  anwenden.  Jeder  Unterbrechung 
dieser  Continuität  liegt  in  den  meisten  Fällen  ein  krankhafter 
Process  zu  Grunde.  Umso  merkwürdiger  ist  es,  dass  ein 
ursprünglich  krankhafter  Process  in  einen  normalen  Propaga- 
tionsact  verwandelt  wird.  Eine  weitgehende  Anpassung  hat  dies 
erreicht,  indem  sie  bei  gewissen  Flechten  in  der  allgemeinen 
Rinde  verdünnte  Stellen  hervorbrachte,  welche  in  einem  etwas 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  24 1 

vorgeschritteneren  Entwicklungsstadium  aufreissen  und  den 
äusseren  Agentien  einen  directen  Zutritt  zu  den  entblössten 
Gonidienhäufchen  gestatten  mussten.  Solche  verdünnte  Haut- 
stellen treffen  wir  ausser  den  bereits  erwähnten  Bryopogon 
jubatum  und  Parmelia  caperata  auch  noch  bei  P.  perlata, 
P.  saxatilis  etc.  In  den  genannten  Fällen  haben  wir  es  mit 
einer  ganz  besonderen,  die  Soredienausstreuung  bezweckenden 
Anpassung  zu  thun,  welche  nicht  nur  eigens  präformirte  Durch- 
bruchsstellen, sondern  auch  eine  bestimmte  Verknäuelung  von 
Hyphen  und  Gonidien,  sowie  auch  einen  bestimmten  Tren- 
nungsmodus der  gebildeten  Soredien  voraussetzt.  Dazu  treten 
noch  besondere  Schutzmittel  für  die  fertigen  Soredien,  wie 
Flechtensäuren  und  andere  Farbstoffe.  In  vielen  anderen,  viel- 
leicht noch  zahlreicheren  Fällen  brechen  dagegen  die  Soredien 
nicht  an  bestimmten  Hautstellen,  sondern  offenbar  an  den 
Stellen  des  geringsten  Widerstandes,  wie  z.  ß.  am  Thallusrande 
hervor.  Hier  scheinen  wir  es  nicht  mehr  mit  einer  festen,  zum 
Speciescharakter  gewordenen  Anpassung,  sondern  mit  einem 
Zustand  zu  thun  zu  haben,  der  sich  nur  unter  besonderen 
Lebens-  und  Vegetationsbedingungen  (wie  z.  B.  bei  grosser 
Feuchtigkeit  bei  gleichzeitiger  geringer  Lichtintensität)  ent- 
wickelt (formae  sorediatae).  Letztere  Fälle  gehen  ganz  allmälig 
in  solche  über,  bei  denen  der  krankhafte  Charakter  der  Sore- 
dienbildung  ganz  offenbar  wird  und  die  gewöhnlich  mit  dem 
Tode  des  soredienbildenden  Individuums  enden  (Pertusaria 
communis,  Cetraria  pinastri,  Sticta  atirata  etc.). 

Der  Ruin  des  Individuums  kann  entweder  durch  voll- 
ständige Verstäubung  der  Gonidienschichte  bei  gar  zu  üppiger 
Soredienbildung  oder  auch  durch  Aufblätterung  der  Rinde  bei 
randständiger  Soredienbildung  erfolgen. 

Bei  den  Flechten  mit  endogenem  Thallus  kann  es  eben- 
falls zu  einer  Soredienproduction  kommen,  insoferne  sich  der 
Thallus  mit  kleinen,  rundlichen  Prolificationen  oder  Knötchen 
bedeckt,  welche  leicht  abfallen.  Streng  genommen  stellen  diese 
Prolificationen,  wie  solche  z.  B.  häufig  bei  Collema  auftreten, 
kleine  Algencolonien  dar,  die  aber  bereits  von  einzelnen  Hyphen 
des  Flechtenpilzes  durchzogen  werden.  Da  diese  Algencolonien 
beide  Componenten   des   Flechtenthallus    in    einer   ähnlichen 

16* 


240  H.  Zukal, 

Was  die  einen  durch  tüchtige  Ausrüstung,  sollen  die  anderen 
durch  ihre  grosse  Zahl  erreichen. 


Viele  Flechten  verfügen  übrigens  noch  über  ein  bei  weitem 
wirksameres  Propagationsmittel,  als  Ascus  und  Pyknosporen 
sind,  nämlich  über  die  Soredien.  Wie  sicher  die  letzteren 
die  Verbreitung  und  Vermehrung  einer  Flechtenspecies  unter 
Umständen  bewirken  können,  zeigen  bei  uns  z.  B.  Btyopogon 
jubaium  und  Parmelia  caperaia.  Diese  Flechten  sind  nämlich 
in  unseren  Gegenden  überall  gemein,  trotzdem  sie  fast  nie  oder 
nur  äusserst  selten  Apothecien  erzeugen.  Sie  vermehren  sich 
eben  hauptsächlich  durch  die  Soredien,  denn  wie  weit  bei 
dieser  Vermehrung  die  Pyknosporen  in  Betracht  kommen,  dies 
zu  beurtheilen,  fehlt  uns  vorläufig  jeder  Massstab. 

Wenn  aber  auch  die  Soredienbildung  bei  den  Flechten 
eine  häufige  Erscheinung  ist  und  als  ein  normaler  Vorgang 
aufgefasst  wird,  so  darf  man  doch  nicht  vergessen,  dass  die 
Soredienbildung  eigentlich  auf  einer  Störung  der  Wachsthums- 
harmonie  beruht.  Denn  wenn  diese  nicht  gestört  ist,  so  bleibt 
im  Allgemeinen  die  Continuität  der  Rindenschicht  erhalten, 
weil  letztere  die  Fähigkeit  besitzt,  durch  interculare  Theilungen 
und  Streckungen  dem  peripherischen  Wachsthum  zu  folgen 
und  gefährliche  Spannungen  und  Zerreissungen  zu  vermeiden. 

hl  vielen  Fällen  stirbt  auch  die  Rinde  allmälig  in  der 
Richtung  von  aussen  nach  Innen  ab,  wird  aber  in  demselben 
V^erhältniss,  als  sie  von  obenher  abstirbt,  von  den  Hyphen  der 
Gonidienschichte  aus  immer  wieder  reconstruirt,  wobei  häufig 
eine  Anzahl  von  Gonidien  in  dem  lückenlosen  Rindengewebe 
eingeschlossen  wird  und  zu  Grunde  geht.  Die  Continuität  der 
Rinde  ist  überhaupt  eine  Eigenschaft,  zu  deren  Ausbildung  die 
Flechten  oft  complicirte  Mittel  anwenden.  Jeder  Unterbrechung 
dieser  Continuität  liegt  in  den  meisten  Fällen  ein  krankhafter 
Process  zu  Grunde.  Umso  merkwürdiger  ist  es,  dass  ein 
ursprünglich  krankhafter  Process  in  einen  normalen  Propaga- 
tionsact  verwandelt  wird.  Eine  weitgehende  Anpassung  hat  dies 
erreicht,  indem  sie  bei  gewissen  Flechten  in  der  allgemeinen 
Rinde  verdünnte  Stellen  hervorbrachte,  w^elche  in  einem  etwas 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  24 1 

vorgeschritteneren  Entwicklungsstadium  aufreissen  und  den 
äusseren  Agentien  einen  directen  Zutritt  zu  den  entblössten 
Gonidienhäufchen  gestatten  mussten.  Solche  verdünnte  Haut- 
stellen treffen  wir  ausser  den  bereits  erwähnten  Bryopogon 
jubaium  und  Parmelia  caperata  auch  noch  bei  P.  perlata, 
P.  saxatilis  etc.  In  den  genannten  Fällen  haben  wir  es  mit 
einer  ganz  besonderen,  die  Soredienausstreuung  bezweckenden 
Anpassung  zu  thun,  welche  nicht  nur  eigens  präformirte  Durch- 
bruchsstellen, sondern  auch  eine  bestimmte  Verknäuelung  von 
Hyphen  und  Gonidien,  sowie  auch  einen  bestimmten  Tren- 
nungsmodus der  gebildeten  Soredien  voraussetzt.  Dazu  treten 
noch  besondere  Schutzmittel  für  die  fertigen  Soredien,  wie 
Flechtensäuren  und  andere  Farbstoffe.  In  vielen  anderen,  viel- 
leicht noch  zahlreicheren  Fällen  brechen  dagegen  die  Soredien 
nicht  an  bestimmten  Hautstellen,  sondern  offenbar  an  den 
Stellen  des  geringsten  Widerstandes,  wie  z.  ß.  am  Thallusrande 
hervor.  Hier  scheinen  wir  es  nicht  mehr  mit  einer  festen,  zum 
Speciescharakter  gewordenen  Anpassung,  sondern  mit  einem 
Zustand  zu  thun  zu  haben,  der  sich  nur  unter  besonderen 
Lebens-  und  Vegetationsbedingungen  (wie  z.  B.  bei  grosser 
Feuchtigkeit  bei  gleichzeitiger  geringer  Lichtintensität)  ent- 
wickelt (formae  sorediatae).  Letztere  Fälle  gehen  ganz  allmälig 
in  solche  über,  bei  denen  der  krankhafte  Charakter  der  Sore- 
dienbildung  ganz  offenbar  wird  und  die  gewöhnlich  mit  dem 
Tode  des  soredienbildenden  Individuums  enden  {Pertusaria 
communis,  Cetraria  pinastri,  Sticta  atirata  etc.). 

Der  Ruin  des  Individuums  kann  entweder  durch  voll- 
ständige Verstäubung  der  Gonidienschichte  bei  gar  zu  üppiger 
Soredienbildung  oder  auch  durch  Aufblätterung  der  Rinde  bei 
randständiger  Soredienbildung  erfolgen. 

Bei  den  Flechten  mit  endogenem  Thallus  kann  es  eben- 
falls zu  einer  Soredienproduction  kommen,  insoferne  sich  der 
Thallus  mit  kleinen,  rundlichen  Prolificationen  oder  Knötchen 
bedeckt,  welche  leicht  abfallen.  Streng  genommen  stellen  diese 
Prolificationen,  wie  solche  z.  B.  häufig  bei  Collema  auftreten, 
kleine  Algencolonien  dar,  die  aber  bereits  von  einzelnen  Hyphen 
des  Flechtenpilzes  durchzogen  werden.  Da  diese  Algencolonien 
beide  Componenten   des   Flechtenthallus   in    einer   ähnlichen 

16* 


242  H.  Zukal, 

Weise  enthalten  wie  die  Soredien,  so  können  sie  auch  in  einer 
ähnlichen  Weise  biologisch  wirksam  werden,  nämlich  als  Pro- 
pagationsorgane  der  Hechte. 

Manche  Flechten,  die  im  trockenen  Zustande  sehr  fragil 
sind  und  dabei  in  ausgedehnten  Beständen  wachsen,  wie  z.  B. 
viele  Cladonien,  Cetrarien  und  SiereocauloU' Arien,  vermehren 
sich  auch  durch  Thallusfragmente.  Es  hat  daher  nicht  viel  zu 
bedeuten,  wenn  z.  B.  grosse  Thiere,  wie  Rinder,  Pferde,  Renn- 
thiere  und  Alke,  weidend  über  die  Flechtenwiesen  schreiten 
und  dabei  zahlreiche  Thallusbestände  zerbröckeln.  Die  ein- 
zelnen Thallusstücke  bleiben  lebend  und  werden  vom  Winde 
weithin  zerstreut,  um  an  anderen  Stellen  der  Hochebene  oder 
der  Tundra  neue  Individuen  zu  bilden.  So  können  gewisse 
Eingriffe  der  Aussenwelt,  welche  andere,  höhere  Pflanzen  mit 
der  Vernichtung  bedrohen  würden,  für  viele  Flechten  zur 
Quelle  der  Verbreitung  werden. 

Aus  dem  Gesagten  erhellt,  dass  für  die  Fortpflanzung  und 
Vermehrung  der  Lichenen  auf  das  reichlichste  vorgesorgt  ist, 
und  zwar  durch  Ascussporen,  Conidien,  Soredien  und  Thallus- 
fragmente. 

Allerdings    hängt  die   Entstehung  eines  Flechtenthallus, 
wenn  man  nur  die  beiden  erstgenannten  Propagationsmittel  ins 
Auge  fasst,  von  dem  zufälligen  Zusammentreffen  der  Flechten- 
pilzhyphen  und  Nähralgen  ab.  Manche  Forscher  sind  deshalb 
auch  geneigt,  die  Soredien  für  die  Hauptfortpflanzungsorgane 
der  Flechten  zu  halten.  Wenn  aber  diese  Ansicht  richtig  wäre, 
so  könnte  man  nicht  verstehen,  warum  bei  den  meisten  Flechten 
so   viel   Bildungsmaterial    und    so   viele   Schutzmittel  auf  die 
Erzeugung  zahlreicher  Ascusbehälter  verwendet  werden.  Eine 
derartige  Verschwendung  von   Material   und   Kraft,   oder  mit 
anderen  Worten,   einen   derartiger  Verstoss    gegen   die  Öko- 
nomie des  Wachsthums  dürfen  wir  wohl  kaum  voraussetzen. 
Damit  soll  jedoch  keineswegs  geleugnet  werden,  dass  in  ein- 
zelnen Fällen  die  Fortpflanzung  und  Verbreitung  hauptsäch- 
lich durch  die  Soredien  geschieht.  Allein  in  diesen  Fällen  sind 
entweder  die  Ascusbehälter  sehr  selten  oder  die  Ascussporen 
tragen   deutliche  Kennzeichen  der  beginnenden  Rückbildung. 
Ich   glaube   auch,   dass   die  Wahrscheinlichkeit    für  die  Auf- 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  243 

findung  der  passenden  Nähralgen  durch  die  Hypothallusgebilde 
im  weitesten  Sinne  nicht  ganz  so  gering  ist,  wie  gewöhnlich 
angenommen  wird.  Ich  schliesse  dies  aus  verschiedenen  Beob- 
achtungen. Als  ich  mich  nämlich  mit  dem  Eindringen  der 
blaugrünen  Gonidien  in  den  Thallus  von  Solorina  saccata 
beschäftigte,  konnte  ich  nur  sehr  schwer  einen  genügend 
jungen  Thallus  auffinden,  in  welchen  von  untenher  der  Nostoc 
noch  nicht  eingedrungen  war.  Wenn  also  schon  auf  das  Ein- 
treffen einer  zweiten,  für  das  Leben  der  betreffenden  Flechte 
gar  nicht  unentbehrlichen  Gonidienart  fast  mit  mathematischer 
Sicherheit  gerechnet  werden  kann,  warum  sollte  man  eine 
geringere  Wahrscheinlichkeit  für  die  Erlangung  der  normalen 
Gonidien  annehmen?  Ausserdem  besitzen  die  aus  den  Sporen 
oder  Conidien  hervorgegangenen  Mycelien  vieler  Flechten,  wie 
schon  wiederholt  betont  worden  ist,  die  Fähigkeit  zu  einer 
längeren  saprophytischen  Lebensweise  und  dürften  überdies 
auch  noch  durch  einen  gewissen  Chemotropismus  zu  den 
Nähralgen  hingeleitet  werden. 

Wer  übrigens  dazu  geneigt  ist,  auf  die  Vermehrung  durch 
die  Soredien  ein  allzu  grosses  Gewicht  zu  legen,  möge  doch 
bedenken,  dass  es  sehr  viele  und  noch  dazu  allgemein  ver- 
breitete Krustenflechten  gibt,  die  nie  Soredien  erzeugen.^ 


'  Dieses  Capitel  ist  vor  etwa  VL^  Jahren  beendigt  worden.  Seit  dieser  Zeit 
sind  einige  Arbeiten,  namentlich  von  Dangeard*  und  Harper**  erschienen, 
welche  auf  Zellkemstudien  fussen,  die  nach  den  neuesten  Methoden  und  mit 
allen  Mitteln  der  modernen  Mikrotechnik  durchgeführt  wurden.  In  Folge  dieser 
Arbeiten  hat  die  Frage  nach  der  Sexualität  der  Ascomyceten  eine  erhöhte 
Actualität  gewonnen.  Diese  neuesten  Untersuchungen  scheinen  nämlich  zu 
dem  Schlüsse  zu  führen,  dass  der  einzelne  Ascus,  als  eine  Art  von  Oogonium 
aufgefasst  werden  muss.  Wenn  sich  aber  auch  letztere  Behauptung  als  richtig 
erweisen  sollte,  so  dürfte  dies  die  im  obigen  Capitel  gegebenen  Ansichten 
über  die  Entstehung  der  Apothecien,  Perithecien  und  Pykniden  durch  locale 
Anhäufung  der  Asci  und  Conidienträger  und  nachträgliche  Ausbildung  des 
HQllapparates  durch  .Anpassung  an  die  äusseren  Lebensbedingungen  kaum 
wesentlich  alteriren. 

*  La  Reproduction  sexuelle  des  Ascomycetes.  Le  Botaniste,  1894, 
S.  21.  Comptes  rendus  de  l'Acad.  No.  19,  1894. 

**  Die  Entwicklung  des  Peritheciums  bei  Sphaerotheca  Caslagnei. 
Deutsche  botan.  Gesellsch.  1895,  10.  Heft,  S.  475. 


244  H.  Zukal, 


III.   Über  den  Einfluss  des  Klimas  und  des  Substrates.  — 
Flechtenkrankheiten. 

Wir  haben  bis  jetzt  diejenigen  Anpassungen  des  Flechten- 
thallus  verfolgt,  welche  sich  auf  das  Licht  und  die  Feuchtig- 
keit, auf  das  Schutz-,  Athmungs-  und  Transpirationsbedürf- 
niss,  sowie  auf  mechanische  Rücksichten  beziehen.  Ausserden 
genannten  Factoren  werden  aber  die  Flechten  auch  noch  von 
der  Wärme,  dem  Substrate,  den  Winden,  von  dem  Luftdruck, 
kurz  von  dem  gesammten  Klima,  sowie  von  den  mit  ihnen 
auf  demselben  Boden  vorkommenden  Thier-  und  Pflanzen- 
genossenschaften mächtig  beeinflusst.  Bezüglich  des  ersten 
Punktes,  nämlich  der  Wärme,  besitzen  die  Flechten  eine  ausser- 
ordentliche Anpassungsfähigkeit,^  welche  sie  befähigt,  die 
grössten  Extreme  der  Temperatur  zu  ertragen.  In  den  Polar- 
ländern und  auf  den  höchsten  Spitzen  der  Gebirge  sind  die 
Flechten  nämlich  nicht  selten  einer  Kälte  von  — 40 "*  C.  und  in 
manchen  felsigen  Bezirken  der  Sahara*  dagegen  einer  Hitze 
von  -1-60''  C.  ausgesetzt,  ohne  durch  diese  Extreme  in  ihrem 
Bestand  gefährdet  zu  werden.  Interessant  ist  es,  dass  sich 
sowohl  die  Flechten  der  Regio  alpina,  als  auch  die  Polar-  und 
Wüstenflechten  durch  ein  und  dasselbe  Mittel  schützen,  näm- 
lich durch  eine  mächtige  Verdickung  und  Verdichtung  ihrer 
Oberfläche  (Rindenschichte).  Dies  mag  auf  den  ersten  Blick 
sonderbar  erscheinen,  wir  finden  indessen  bei  vielen  Phanero- 
gamen  ein  ähnliches  Verhalten.  So  zeigt  z.  B.  das  eingerollte 
»>Kälteblatt« '  eine  ähnlich  verdickte  Cuticula  wie  die  xero- 
philen Succulenten. 


1  Über  die  Beziehungen  zwischen  Wärme  und  Lichtintensilät  und  die 
Ausnützung  der  letzteren  durch  die  Pflanzen  siehe  das  Capitel:  Die  Flechten 
als  lichtbedürftige  Organismen. 

2  Die  Flechtenflora  der  Sahara  ist  allerdings  sehr  arm  und  besteht  ausser 
dem  bekannten  Chlorangium  Jusuffii  noch  aus  Ramalina  arabum  und  einigen 
Arten  von  Heppia^  Lecanora,  Endocarpon^  Ltcideay  Collcma  und  SyncUissa.  In 
neuester  Zeit  hat  zu  den  durch  Hue  (Addenda  nova)  angeführten  Arten  noch 
Steiner  einige  Formen  hinzugefügt.  Steiner,  Ein  Beitrag  zur  Flechtenflora 
der  Sahara.  Diese  Sitzungsberichte,  104.  Bd.,  l.  Abth.,  S.  383  (1895). 

■*  Siehe  Junger,  Klima  und  Blatt  in  der  Regio  alpina.  Flora,  1894,  S.  219. 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  245 

Obgleich  die  Flechtenpilze  durch  ihr  Convivium  mit  den 
Algen  eine  grosse  Unabhängigkeit  von  dem  Substrate  erlangt 
haben,  so  finden  wir  doch  anderseits  thatsächiich  viele  Flechten- 
arten nur  auf  ganz  bestimmten  Substraten,  und  die  Licheno- 
logen  unterscheiden  mit  Recht  zwischen  Kalk-,  Urgebirgs-, 
Sandstein-,  Erd-  und  Rindenflechten.  Die  Bevorzugung  eines 
bestimmten  Substrates  ist  übrigens  ohne  weiteres  verständlich, 
wenn  wir  bedenken,  dass  die  verschiedenen  Substrate  sich 
nicht  nur  chemisch,  sondern  auch  physikalisch  von  einander 
unterscheiden.  Oft  lässt  das  Schutzbedürfniss  einer  Flechte  ein 
bestimmtes  Substrat  aufsuchen  (hypophlöodische  und  calci - 
sede  Flechten). 

Der  Haushalt  mancher  Krustenflechten  scheint  sich  übri- 
gens nur  theiiweise  auf  die  Alge  zu  stützen,  und  mitunter 
sind  sie  im  Stande  eine  rein  saprophytische  Lebensweise  zu 
führen  (formae  saprophilae).^  Übrigens  sind  auch  die  Flechten 
ein  und  desselben  Substrates  gegenüber  den  übrigen  äusseren 
Factoren  sehr  empfindlich.  Ein  schönes  Beispiel  hiefür  liefert 
die  von  Kerner*  beschriebene  achtseitige  Marmorsäule  in 
Tirol,  welche  reichlich  mit  Flechten  bewachsen  ist.  »Aber  auf 
jeder  Seite  herrschen  bestimmte  Arten  vor,  und  einzelne  Species 
sind  ausschliesslich  nur  auf  eine  der  acht  Seiten  beschränkt.« 

Dass  auch  das  Klima  einen  grossen  Einfluss  auf  die 
Flechtenwelt  ausüben  muss,  ist  selbstverständlich.  Vor  Allem 
wird  es  eine  Auslese  unter  denjenigen  Arten  und  Formen 
treffen,  welche  sich  für  einen  gegebenen  Klimatypus  am  besten 
eignen.  Wenn  aber  die  Klimafactoren  sehr  scharf  ausgeprägt 
sind,  wie  z.  B.  in  der  Tundra  oder  in  der  tropischen  Steppe,  dann 
werden  sie  in  der  Regel  auch  der  Flechtenflora  einen  gemein- 
samen Stempel  aufdrücken.  Dieser  gemeinsame  Charakter 
dürfte  sich  auf  die  Dicke  und  Durchlässigkeit  der  Rinde,  auf 
die  Mächtigkeit  des  Transpirationssystems,  auf  die  Schnellig- 
keit der  Wasseraufnahme  durch  den  Thallus,  auf  die  Behaarung 


'  Eine  solche  saprophytische  Form  ist  z.  B.  bei  Bucllia  parasema  häufig 
und  wird  als/.  Äi;^opÄ/7<j  beschrieben.  Sonst  findet  man  solche  saprophytische 
Formen  noch  bei  Acolium  ligillare  und  mehreren  Arten  von  Arthontay  Lecidea 
und  Calycium. 

-  V.  Kerner,  Pllanzenleben,  1.  Bd.,  S.  228. 


246  H.  ZuUal, 

und,  Bezahnung^  beziehen.  Weil  also  ein  sehr  ausgeprägtes 
KHma  seinen,  den  verschiedensten  Familien  angehorigen 
Flechten  gewisse  gemeinsame  Eigenschaften  verleiht,  so 
kann  man  mit  Recht  von  Schnee-,  Thau-,  Träufel-  und 
VVindflechten,  sowie  von  xerophilen  und  hydrophilen, 
von  Alpen-,  Heide-  und  Waldflechten^  sprechen.  Die 
Schneeflechten  z.  B.,  welche  während  des  grössten  Theiles  des 
Jahres  unter  dem  Schnee  verborgen  liegen,  werden  sich  durch 
ein  sehr  entwickeltes  Transpirationssystem,  aber  durch  ein 
nur  geringes  Wasserleitungsvermögen   auszeichnen  (Cetraria 


'  Bei  den  Flechten  stehen  die  Zähne  und  Thallusspitzen  in  erster  Linie 
im  Dienste  der  Wasseraufnahme,  wie  man  sich  durch  den  Versuch  direct  über- 
zeugen kann.  In  zweiter  Linie  dienen  sie  auch  der  Transpiration.  Bei  den  auf- 
recht wachsenden  Flechten  nämlich,  wie  z.  B.  bei  den  meisten  Cladonien  und 
Cetrarien  werden  die  Zähne  und  Spitzen  des  nassen  Thallus  zuerst  trocken, 
während  die  unleren  Thalluspartien  noch  lange  feucht  bleiben.  Beim  Trocknen 
aber  tritt  in  vielen  Fällen  an  die  Stelle  des  zwischen  den  Hyphen  verdunstenden 
Wassers  Luft.  Auch  für  die  angehefteten,  grösseren  Blatt-  und  Gallertflechten 
gilt  mutatis  mutandis  das  Gleiche.  Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  werden  uns 
auch  die  Zähne  und  Protuberanzen  des  Excipulum  thallodes  um  Vieles  ver- 
ständlicher. Wenn  aber  auch  die  Zähne,  Spitzen  und  Ausstülpungen  haupt- 
sächlich den  Zwecken  der  Wasseraufnahme  und  Transpiration  dienen,  so 
schliesst  diese  Function  eine  gelegentliche  Wirkung  als  Schutzmittel  gegen 
ankriechende,  weiche  Thiere  durchaus  nicht  aus. 

Auch  die  Behaarung  der  PMechten  steht,  wie  schon  in  dem  Capitel  über 
die  Wasseraufnahme  des  Näheren  auseinandergesetzt  wurde,  in  erster  Linie  im 
Dienste  der  Wasseraufnahme.  Man  darf  auch  nicht  vergessen,  dass  aus  den 
Spitzen,  Zähnen  und  Haaren  während  der  Nacht  eine  grosse  Menge  Wärme- 
strahlen ausgesendet  werden  und  dass  in  Folge  dessen  diese  Theile  leicht  zu 
Mittelpunkten  der  Thaubildung  werden.  Eine  dichte  Behaarung  schützt  über- 
dies die  Flechte  vor  der  Wirkung  des  direclen  Sonnenlichtes. 

-  In  jüngster  Zeit  hat  Lindau  ebenso  gründliche,  wie  interessante  bio- 
logische Untersuchungen  über  eine  grössere  Anzahl  von  Rindenllechten  vei- 
ölTentlicht. 

Lindau,  Lichenologische  Untersuchungen.  Dresden,  1895,  Heft  1.  Da 
mein  Manuscript  jedoch  zur  Zeit  des  Erscheinens  dieser  Arbeit  bereits  abge- 
schlossen war,  konnte  ich  leider  auf  den  Inhalt  derselben  nicht  näher  ein- 
gehen Dasselbe  gilt  für  die  ausgebreiteten  Untersuchungen  Reinke's,  welche 
besonders  für  die  systematische  Gruppirung  der  Flechten  wichtig  sind  und  in 
letzterer  Hinsicht  für  lange  Zeit  anregend  und  befruchtend  wirken  dürften. 

Siehe  Reinke,  Abhandlungen  über  Flechten,  1  —  4.  Jahresbücher  für 
wissensch.  Botanik.   27.  u.  28.  Bd. 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  24 1 

islandicUy  Cladonia  rangiferina)}  Ähnlich  werden  sich  die 
hydrophilen^  Flechten  verhalten.  Die  Thauflechten  dagegen, 
weiche  fast  nie  ein  Regen  erfrischt,  sowie  die  Xerophilen, 
werden  umgekehrt  das  Wasser  mit  grosser  Schnelligkeit  auf- 
nehmen und  zu  diesem  Zwecke  verschiedene  Anpassunngen 
und  Einrichtungen  zeigen.^  Die  Xerophilen  beschränken  über- 
dies gleich  den  Succulenten  die  Transpiration  in  jeder  nur 
möglichen  Weise  (Clilorangium  esculenttim).  Bei  den  Träufel- 
flechten, wozu  ich  viele  Arten  von  Usnea,  Bryopogon,  Euernia 
und  Ramalina  rechne,  bedingen  der  ganze  Habitus,  die  Schlaff- 
heit des  Thallus,  die  Art  der  Verzweigung,  sowie  gewisse 
incrustirende  Substanzen  ■*  das  rasche  Ablaufen  des  Regens/* 

^  Hängt  man  den  getrockneten  Thallus  dieser  Flechten  an  einem  Faden 
in  senkrechter  Lage  über  eine  Eosinlösung  so  auf,  dass  die  ältesten  Thallus- 
theile  etwa  ^j^cm  tief  in  die  Eosinlösung  tauchen,  so  vergehen  24  Stunden  und 
mehr,  ehe  der  ganze  Thallus  durchfeuchtet  wird. 

2  Hydrophile  Flechten  sind  z.  B.  Porocyphus  cataractarum  Kbr.,  Collema 
caiaclysium  Kbr.,  Endocarpon  aquaticum  Weiss,  E.  rivulorum  Arn. y  Lithoicea 
kydrcla  (A c h.)  Mas s.,  L.  viridula  (S c  h r a d.)  M a s s.,  L.  aquatilis  (M  u d d.)  A rn. 

3  Auf  die  Schnelligkeit,  mit  der  die  Eosinlösung  von  Chlorangium  Jusujfn 
und  von  den  behaarten  xerophilen  Physcien  aufgenommen  und  fortgeleitet  wird, 
habe  ich  schon  in  dem  Capitel  über  die  Wasserleitung  im  Flechtenthallus  auf- 
merksam gemacht. 

•*  Die  Flechtensäuren  werden  durch  keinen  noch  so  starken  Regen  weg- 
gespült oder  gelöst.  Dieses  Verhalten  deutet  wieder  auf  den  grossen  bio- 
logischen Werth  der  genannten  Säuren  als  Schutzmittel  wider  den  Thierfrass. 

Der  Erste,  welcher  die  Flechtensäuren  im  letzteren  Sinne  deutete,  war 
Bach  mann,  und  zwar  in  seiner  schönen  Arbeit:  »Über  nichtkrystallisirte 
Flechtenfarbstoffe,  S.  17  des  Separ.-Abdr.  Pringsheim's  Jahresbücher  für 
wissensch.  Botanik,  21.  Bd.,  L  Heft. 

^  Die  Träufelflechten  leiten  im  Allgemeinen  das  Wasser  in  basipetaler 
Richtung  ziemlich  rasch.  Dieser  Umstand  bewirkt,  dass  der  im  trockenen 
Zustande  spröde  und  brüchige  Thallus  schon  nach  den  ersten  Regentropfen 
weich  und  elastisch  wird.  In  diesem  Zustande  können  die  hängenden  Träufel- 
flechten den  stärksten  Tropenregen  *  und  sehr  bedeutende  Hagelschauer  ohne 
geringste  Beschädigung  ihrer  feinsten  Zweige  überdauern.  Nach  vollkommener 
Sättigung  des  Thallus  mit  Wasser  legen  sich  die  untersten  Zweige  dicht  an 
einander  und  bilden  dann  eine  sehr  wirksame  Träufelspitze,  aus  welcher  das 


*  Über  die  Gewalt  des  tropischen  Regens  hat  man  sich  bisher 
ganz  irrigen  Vorstellungen  hingegeben,  welche  erst  durch  die  jüngsten 
Untersuchungen  Wiesner's   berichtigt  worden   sind   (siehe  Wiesner. 


248  H.  Zukal, 

Ausser  durch  das  Klima  werden  die  Flechten  auch  durch 
die  thierischen  und  pflanzlichen  Mitbewohner  beeinflusst.  Das 


Wasser  wie  aus  einer  Rinne  beständig  abfliesst,  so  lange  der  Regen  dauert 
Hört  aber  der  Regen  auf,  dann  werden  die  Träufelflechten  —  insbesondere 
Usnea  und  Bryopogon  —  erstaunlich  schnell  wieder  trocken,  und  zwar  sind  es 
die  äussersten  Zweigspitzen  der  oberen,  peripherisch  gelegenen  Thalluspariien, 
die  zuerst  trocknen.  Etwas  später  trocknet  die  Träufelspitze,  während  die  mehr 
central  gelegenen  Thallustheile  am  längsten  feucht  bleiben.  Dabei  kann  man 
sich  überzeugen,  dass  die  Schnelligkeit  des  Trocknens  zu  der  Zahl  der  feinsten, 
freien  Zweigspitzen  in  einem  geraden  Verhältniss  steht,  oder  mit  anderen 
Worten,  dass  die  Transpiration  in  demselben  Masse  erhöht  wird,  als  die  Zahl 
der*  freien  Spitzen  zunimmt.  In  der  That  finden  wir  auch  diejenigen  Arten  und 
Varietäten  von  Usnea,  welche  sich  durch  einen  besonders  dünnen  Thallus  mit 
reichster  Zweigbildung  auszeichnen,  wie  z.  B.  U.  longissinta  und  U.  barbata 
V.  hirta  an  sehr  feuchten  Standorten,  wo  das  Transpirationsbedürfniss  sehr 
gross  ist,  während  umgekehrt  an  trockenen  Localitäten,  wo  die  Transpiration 
beschränkt  werden  muss,  sehr  zweigarme  Formen  vegetiren,  wie  z.  B.  die 
Formen  articulata  oder  intestinifortnis. 

Das  Gesagte  gilt  selbstverständlich  nicht  bloss  für  die  Träufelflechten, 
-sondern  mit  gewissen  Einschränkungen  überhaupt  für  alle  Flechten,  so  dass 
man  für  die  Flechten  den  Satz  aufstellen  kann:  Je  zerschnittener,  je  fein- 
ästiger, je  spitzenreicher  der  Thallus  ist,  desto  grösser  ist  die 
Transpiration  und  umgekehrt.  Man  findet  deshalb  an  sehr  trockenen 
Standorten  meistens  Flechten  mit  wenig  figurirtem,  ergossenen  Thallus,  wie 
z.  B.  rundliche  Collemen,  Lecanoren,  Heppia-  und  Sticia- Arten ,  während  an 
feuchten  Orten  die  fein  figurirten  Leptigium-f  Cetraria-  und  Oadonia-ATien 
vorherrschen. 

Die  letzteren,  nämlich  die  Cladonien,  sind  ganz  besonders  instructiv,  denn 
diejenigen  Arten,  welche  den  am  wenigsten  differenzirten  Thallus  besitzen,  wie 
z.  B.  Cl.  alcicornis,  Cl.  endiviaefolia,  Cl.  Papillaria  und  C/.  miniata  bewohnen 


Beiträge  zur  Kenntniss  des  tropischen  Regens.  Diese  Sitzungsberichte, 
104.  Bd.,  Abth.  I,  December  1895). 

Nach  demselben  liefert  z.  B.  eine  gewöhnliche  Brause  in  einer 
bestimmten  Zeiteinheit  fast  100 mal  mehr  Wasser  als  ein  tropischer 
Durchschnittsregen. 

Die  grössten  Regentropfen,  die  überhaupt  entstehen  können,  haben 
höchstens  ein  Gewicht  von  0'2.g. 

Die  meisten  Tropfen  kommen  auf  der  Erde  mit  einer  Endgeschwin- 
digkeit von  7  m  an,  weil  die  Acceleration  schon  bei  einer  Fallhöhe  von 
20  m  durch  den  Luftwiderstand  fast  aufgehoben  wird.  Die  grössten.  that- 
sächlich  beobachteten  Regentropfen  langen  mit  einer  lebendigen  Kraft 
von  0*0004  wÄ^,  die  kleineren  natürlich  mit  einer  noch  geringeren  Kraft 
auf  dem  Boden  an.  Anders  ist  es  natürlich  mit  dem  Hagel. 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  249 

Verhältniss  der  Flechten  zu  den  Thieren  ist  bereits  in  einem 
anderen  Capitel  erörtert  worden.  Die  pflanzlichen  Mitgenossen 
der  Flechten  sind  aber  eigentlich  Concurrenten.  Treffen  nämlich 
die  Flechten  auf  einen  solchen  Boden  mit  höheren  Pflanzen 
zusammen,  auf  welchem  auch  die  letzteren  gedeihen  können, 
so  unterliegen  in  der  Regel  die  Flechten.  Die  höheren  Pflanzen 
wachsen  nämlich  rascher  empor  und  verkümmern  den  Flechten- 
anlagen hauptsächlich  das  Licht  (vom  Räume  ganz  abgesehen). 
Wir  können  dies  deutlich  auf  unseren  Wiesen,  aber  auch  auf 


durchaus  Orte,  wo  die  Transpiration  beschränkt  werden  muss,  während  die 
reichverzweigten  und  differenzirten  Formen,  wie  z.  B.  Cl.  rangiferina,  Cl.  verii- 
cillaris  und  Cl,  rctipora  nur  an  feuchten  Standorten  gedeihen.  Bei  manchen 
Arten  kann  die  Art  und  Weise  der  Beschuppung  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
die  Verzweigung  und  Differenzirung  des  Podetiums  ersetzen.  So  bewohnt  z.  B. 
die  hornige,  fast  schuppenlose  Form  der  Cl.furcata  steile  und  trockene  Plätze, 
während  die  mit  secundären  Thallusblättchen  reich  besetzte  Varietät  ^poly- 
phylla*  an  feuchten  Orten  gefunden  wird.  Die  Becherform  der  Podetien  steht 
zu  der  Transpiration  in  keiner  directen  Beziehung,  sie  ist  vielmehr  das  Product 
zweier  Factoren,  nämlich  erstens  des  Strebens  des  ursprünglich  cylindrischen 
Podetiums  nach  Vergrösserung  der  Assimilationsfläche  und  zweitens  des 
Spitzenwachsthums  der  im  Kreise  liegenden  Randhyphen.  Der  erste  Factor 
allein  würde  auf  der  Spitze  des  cylindrischen  Podetiums  eine  hutförmige,  rund- 
liche Assimilationsfläche  erzeugen.  Durch  den  zweiten  Factor  aber  wird  die 
Peripherie  dieser  Fläche  gleichmässig  in  die  Höhe  gezogen,  also  becherförmig. 

Wenn  aber  diese  Becher  wieder  in  Zweige  und  Spitzen  aussprossten, 
was  häufig  genug  geschieht,  dann  wird  das  Bedürfniss  nach  Wasseraufnahme 
und  Transpiration  der  treibende  Factor  sein. 

Mitunter  treffen  wir  aber  auch  an  sehr  trockenen  Orten  reich  verzweigte 
Flechten,  wie  z.  B.  die  Cornicularia  aculeata  und  gewisse  SUreocaulon-  und 
Spkaerophorus- Arien.  Aber  gerade  diese  Formen  sprechen  für  die  Richtigkeit 
der  oben  gegebenen  Regel.  Diese  Flechten  oder  ihre  phylogenetischen  Vor- 
fahren waren  nämlich  ursprünglich  höchst  wahrscheinlich  Bewohner  feuchter 
Standorte,  die  sich  nach  und  nach  erst  verändert  haben.  Aus  dieser  Periode 
stammt  ihr  Anpassungscharakter  an  das  lebhafte  Transpirationsbedürfniss, 
nämlich  ihre  reichliche  Verzweigung.  Als  dann  später  ihre  Standorte  immer 
trockener  wurden,  suchten  sie  die  Transpiration  zu  beschränken,  und  zwar 
durch  die  Entwicklung  einer  ganz  eigenthümlichen,  homartigen  Rinde. 

Aus  dem  Gesagten  erhellt,  dass  wir  die  äussere  Form  einer  Flechte  schon 
jetzt  bis  zu  einem  gewissen  Grade  verstehen  können,  wenn  wir  sie  zuerst  mit 
der  ursprünglichen  Wuchsweise  des  Mycels,  dann  mit  dem  Licht,  der  Wärme 
dem  Transpiralions-,  Athmungs-  und  Schutzbedürfniss,  mit  dem  Substrat  und 
den  übrigen  Factoren  des  Klimas  in  einen  mehr  oder  minder  directen  Causal- 
nexus  bringen. 


250  H.  Zukal. 

den  schmalen  Gesimsen  unserer  Gebirge  beobachten  Vei- 
schlechter!  sich  aber  der  Boden  zur  Heide,  oder  wird  durch 
das  Wasser  die  letzte  Spur  der  Dammerde  von  einem  Fels- 
gesimse gewaschen,  dann  erst  treten  bei  einem  gewissen 
Feuchtigkeitsgrad  Flechten  auf.  Allerdings  schaffen  die  Bäutne 
und  Sträucher  eine  neue  Unterlage  für  viele  epiphytische 
Flechten.  Allein  auch  hier  müssen  die  Flechten  mit  Moosen 
und  Farren  und  anderen  Epiphyten  einen  harten  Kampf  ums 
Dasein  führen.  Es  lässt  sich  übrigens  nicht  leugnen,  dass  die 
Flechten  für  diesen  Kampf  in  einer  ähnlichen  Weise  gut  aus- 
gerüstet sind,  wie  gegenüber  den  Unbilden  des  Klimas  oder 
den  Angriffen  der  Thiere. 

So  widerstandsfähig  sich  übrigens  die  Flechten  gegen  die 
Unbilden  der  Witterung  zeigen,  so  wirksam  sie  auch  gegen  den 
Thierfrass  geschützt  sind,  so  unterliegen  sie  trotzdem  zahl- 
reichen Veränderungen  und  Wachsthumsstörungen,  welche  für 
den  Fall,  dass  dabei  gewisse  Grenzen  überschritten  werden, 
als  Krankheiten  bezeichnet  werden  müssen.  Hierher  gehören 
die  Aufblähung  gewisser  Thallustheile,  die  Rissbildung,  die 
Durchlöcherung,  die  Auf-  und  Abblätterung  der  Rinde,  die 
übermässige  Verdickung  der  Rinde,  der  frühzeitige  Thallus- 
schwund,  die  abnormen  Thallussprossungen  (Warzenbildung, 
Isidienbildung  und  korallinische  Sprossung),  die  abnorme 
Thallusbildung,  die  Hypertrophie  der  Trichome,  der  Allelo- 
sitismus  und  endlich  alle  jene  Störungen  und  Deformationen, 
welche  durch  parasitische  Pilze  verursacht  werden. 

»Die  Metamorphose  zur  Aufblähung»,  um  mit  Wallroth 
zu  reden,  finden  wir  am  häufigsten  bei  einigen  schmallappigen 
Parmelien  {Menegazzia  pertusa,  Parmelia  physodes,  P.  encausta 
etc.),  ferner  bei  mehreren  Arten  von  Physcia,  Xanthoria  und 
Usnea.  Bei  den  Parmelien  äussert  sie  sich  gewöhnlich  an  den 
äusseren  Enden  der  Läppchen.  Die  Ursache  dieser  Erscheinung 
scheint  in  dem  rascheren  Wachsthum  der  unteren  Rinde 
gegenüber  der  oberen  zu  liegen.  Bei  diesen  Parmelien  greift 
nämlich  die  untere  nicht  selten  kappenförmig  über  den  Thallus- 
rand  herüber.  Es  geschieht  dies  besonders  an  sonnigen  Stand- 
orten, und  der  ganze  Vorgang  bezweckt,  wie  ich  schon  in  einem 
früheren  Capitel   auseinandergesetzt  habe,   einen  ausgiebigen 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  25 1 

Schutz  des  Chorophylls  der  jüngsten  Gonidien  vor  dem  directen 
Sonnenlicht.  Bei  diesem  Vorgange  geschieht  es  nun  nicht  selten, 
dass  das  centrifugale  Wachsthum  der  unteren  Rinde  so  sehr 
das  der  oberen  Rinde  übertrifft,  dass  es  anfangs  zu  Auf- 
treibungen der  Thallusenden,  später  zur  Loslösung  der  unteren 
Rinde  von  der  Markschichte  und  endlich  zum  Bersten  und 
Zerreissen  der  blasig  aufgetriebenen  unteren  Thallusbedeckung 
kommt.  Bei  den  Arten  der  Gattungen  Parmelia,  Xanthoria 
und  Physcia,  mit  rosettenförmigem  Thallus,  erschienen  die 
älteren,  ventral  gelegenen  Thalluslappen  ebenfalls  oft  blasen- 
oder  wulstförmig  aufgetrieben.  Es  beruht  dies,  wie  schon 
Schwendener^  hervorgehoben  hat,  auf  dem  Überwiegen  des 
radialen,  intercalaren  Wachsthums,  über  das  marginale  Wachs- 
thum. Wenn  sich  nämlich  der  Thallus  in  Folge  des  sehr  über- 
wiegenden intercalaren  Wachsthums  in  der  Fläche  auszudehnen 
sucht,  an  dieser  Ausdehnung  aber  durch  die  rhizinae  solidae 
gehindert  wird,  so  muss  er  nach  oben  zu  blasenartige  Auf- 
treibungen und  Faltungen  erleiden.  In  extremen  Fällen  kann 
durch  diese  Wuchsweise  der  ganze  Habitus  der  Flechte  bis  zur 
Unkenntlichkeit  verändert  werden.  Bei  Umbilicaria  beruht  die 
bekannte  Blasenbildung  ebenfalls  auf  dem  Überwiegen  des 
intercalaren  Wachsthums  gewisser  circumscripter  Thallus- 
stellen  über  dasselbe  Wachsthum  der  benachbarten  Thallus- 
theile.  Letztere  werden  besonders  durch  die  mächtig  ent- 
wickelte untere  Rinde  daran  gehindert,  sich  in  gleicher  Weise 
auszudehnen  wie  die  dünn  berindeten  Stellen.  Bei  Umbilicaria 
ist  diese  Blasenbildung  allerdings  ein  normaler  Vorgang,  der 
sogar  zu  einer  Art  von  Schutzvorrichtung  für  die  verdünnten 
Hautstellen  der  unteren  Rinde  ausgebildet  wurde;  aber  schon 
bei  der  nächst  verwandten  Gattung  Gyrophora  treten  die 
blasigen  Auftreibungen  nur  unregelmässig  auf  und  nehmen 
dann  nicht  selten  einen  krankhaften  Charakter  an.  Auch  bei 
l^s^tea  kommen  blasige  Thallusauftreibungen  nicht  selten  vor 
und  haben  sogar  zur  Aufstellung  der  formae  articulatae  ge- 
führt. Diese  Aufblähungen  erfolgen  gewöhnlich  in  bestimmten 
Abständen  und  geben  dem  f75«^a-Thallus  ein  Aussehen,  das 


J  Schwendener,  Untersuchungen  über  den  Flechtenthallus.  2.TheiI,  S. 


252  H.  Zukal, 

entfernt  an  einen  Ganglienstrang  erinnert.  Sie  werden  wahr- 
scheinlich durch  ringförmige  Risse  verursacht,  welche  senk- 
recht zur  Achse  orientirt  sind  und  gewöhnlich  bis  zu  dem 
soliden  Markstrang  reichen. 

Eine  ursprünglich  pathologische  Erscheinung  ist  die  Riss- 
bildung. Sie  kann  aber  unter  gewissen  Umständen,  namentlich 
bei  gewissen  Krustenflechten  mit  einem  Thallus  »defracto 
areolatus«  so  regelmässig  auftreten,  dass  sie  fast  den  Charakter 
eines  normalen  Processes  annimmt.  Wir  treffen  sie  übrigens 
auch  bei  den  Strauch-  und  Laubflechten.  Bei  den  Gattungen 
Usnea,  Neuropogon  und  Evernia  sind  diese  Risse  ungewöhnlich 
häufig  und  beruhen  höchst  wahrscheinlich  auf  einer  mangel- 
haften Anpassung  der  Rinde  an  die  biegenden,  knickenden  und 
scherenden  Kräfte  des  Windes.  Bei  Cladonia  treten  sie  haupt- 
sächlich in  den  Podetien  auf  (wenn  man  von  Cl.  endiviaefolia 
und  CL  alciformis  absieht),  und  zwar  besonders  häufig  bei  be- 
stimmten Arten,  wie  z.B.  CL  degenerans,  CL  decorticata  und  Cl 
cariosa  etc.  Über  diesen  Punkt  sagt  Krabbe:^  »Von  morpho- 
logischer Wichtigkeit  sind  auch  die  mannigfachen  Gewebe- 
spannungen, die  theils  auf  ursprünglichem  Wachsthum,  theils  auf 
Austrocknung  und  Durchfeuchtung,  theils  auf  Verwachsungen 
beruhen.  Sie  führen  zu  mannigfaltigen  Zerreissungen  des  Frucht- 
körpers, z.  B.  des  Trichters  von  CL  cariosa^  zur  Bildung  von 
Löchern  bei  den  verzweigten  Formen,  namentlich  aber  zur  Zer- 
reissung  des  Randes  der  Trichter.  Bei  Cladonia  cariosa  scheint 
die  Zerreissung  erblich  zu  sein.«  Bei  den  Laubflechten  bilden 
sich  die  Risse  theils  auf  der  Oberfläche,  wie  z.  B.  bei  Parmelia 
saxatilis  und  Cetraria  glattca,  theils  auf  der  Unterseite,  wie 
bei  den  meisten  Arten  von  Parmelia  mit  schwärzlicher  unterer 
Rinde  und  einigen  Physcien.  Die  letzteren  Rissbildungen  können 
oft  so  weit  gehen,  dass  die  untere  Rinde  oft  in  fetzenartige 
Fragmente  getheilt  und  streckenweise  ganz  abgestossen  wird. 
Letzteres  kommt  namentlich  bei  Menegazzia  pertusa,  Parmelia 
revoluta,  P.  saxatilis,  P.  physodes,  P,  conspera,  P.  caperata  und 
einigen  grösseren  Physcien  vor. 


1  Krabbe,  Entwicklungsgeschichte  und  Morphologie  der  Flechtengattung 
Cladonia.  Leipzig,  1891, 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  253 

Es  macht  überhaupt  den  Eindruck,  dass  der  unteren  Rinde 
bei  vielen  Gliedern  der  artenreichen  Familie  der  Parmeliaceen 
nur  in  der  Jugendzeit  eine  grössere,  biologische  Bedeutung 
zukomme,  dass  sie  später  aber  überflüssig  werde.  Tiefe  Risse 
zerklüften  häufig  auch  die  Thallusoberfläche  der  Peltideen, 
Lecanoreen  und  zahlreicher  Krustenflechten.  In  den  meisten 
Fällen  scheinen  sehr  energische  Contractionen  der  Oberfläche, 
wie  solche  z.  B.  bei  rascher  Austrocknung  nach  längerer  Durch- 
feuchtung erfolgen,  die  Ursache  der  Rissbildung  zu  sein. 

Mit  der  Rissbildung  ist  nicht  zu  verwechseln  die  Durch- 
löcherung, obgleich  beide  Processe  zuweilen  Hand  in  Hand 
gehen  oder  einander  folgen.  Die  Durchlöcherung  beruht  darauf, 
dass  an  einer  bestimmt  umschriebenen  Thallusstelle  länger  an- 
dauernde oder  sich  oft  wiederholende  Sprossungen  entstehen,  die 
schliesslich  zur  Degeneration  und  Abstossung  der  Rinden-  und 
Gonidienschichte  oder  sämmtlicherSchichten  führen.  Das  erstere 
kommt  bei  Menegazzia  pertusa  constant,  bei  Parmelia  stygia, 
P.  olivarcea  v.  aspidota  und  Corniculata  trisHs  sporadisch  vor. 
Es  wurde  schon  in  einem  früheren  Capitel  erwähnt,  dass  die  bis 
zum  Marke  reichenden  Löcher,  unbeschadet  eventueller  anderer 
Leistungen,  auf  jeden  Fall  zur  Durchlüftung  des  Thallus 
beitragen  müssen.  In  anderen  Fällen  werden  sämmtliche 
Thallusschichten  durchbrochen,  und  der  Thallus  wird  daher 
im  buchstäblichen  Sinne  durchlöchert.  Bei  Cladonia  retipora, 
Gyrophora  erosa  und  Ramalina  retictilata  scheint  die  Durch- 
löcherung erblich  zu  sein  und  äusserst  häufig  vorzukommen, 
bei  anderen  Formen  dagegen,  wie  z.  B.  bei  Umbilicaria  probos- 
cideUj  Gyrophora  hyperborea^  G.  deusta^  Ramalina  fraxinea 
und  R,  genicnlata  Tayl.  (Neuseeland),  ist  sie  entschieden 
pathologischer  Natur.  In  neuester  Zeit  ist  Ramalina  reticnlata 
von  Lutz^  bezüglich  der  Löcherbildung  näher  untersucht 
worden,  und  zwar  mit  dem  Resultate,  das  die  Löcherbildung 
nicht  durch  die  Wuchsweise  bedingt  werde,  sondern  haupt- 
sächlich  in  Folge   von  Spannungen,   die   durch   wiederholte 


*  Lutz,  über  die  sogenannte  Netzbildung  bei  Ramalina  rcticnhila 
Krpihbr.  Berichte  der  deutschen  botan.  Gesellschaft,  1894,  Bd.  XII,  Heft  7. 
S.  208. 


'^54  H.  Zukal, 

Anfeuchtung  und  Austrocknung  entstehen.  Dies  wird  woh! 
richtig  sein.  Indessen  ist  damit  nur  die  nächste  und  unmittel- 
barste Ursache  gegeben.  Die  entferntere  Ursache  liegt  offenbar 
in  dem  Vorhandensein  von  Gewebspartien,  die  sich  ange- 
feuchtet unregelmässig  ausdehnen  und  beim  Trocknen  ver- 
schieden stark  zusammenziehen.  Solche  auf  denselben  Ein- 
tluss  verschieden  reagirende  Gewebe  finden  wir  z.  B.  bei 
Umbilicaria  in  den  Blasen  und  den  sie  einschliessenden 
Thallustheilen,  vor  Allem  aber  überall  dort,  wo  feste,  strang- 
förmige  Bildungen  mit  gewöhnlichen  Thallusgeweben  abwech- 
seln, wie  z.  B.  bei  Ramalina  reticnlata  und  Cladonia  reti- 
pora  etc.  Da  aber  die  Strangbildungen  mit  der  Wuchsweise 
auf  das  innigste  zusammenhängen,  so  sind  es  schliesslich  doch 
die  Wachsthumsverhältnisse,  welche  die  Vorbedingungen  zu 
den  Spannungen  und  daher  auch  für  die  Löcherbildung  schaffen. 

Zu  den  Durchlöcherungen  muss  auch  die  Durchbohrung 
der  Apothecien  gerechnet  werden.  Diese  kommt  insbesondere 
im  höheren  Alter  bei  Parmelia  perlata  vor,  und  Nylander 
hat  auf  dieses  Merkmal  hin  eine  neue  Species  gegründet,  näm- 
lich die  P.  perforata  (L.)  Nyl.  Da  aber  diese  Durchbohrung 
als  eine  senile  Erscheinung,  kurz  als  ein  pathologischer  Pro- 
cess  gedeutet  werden  muss,  so  kann  sie  selbstredend  nicht  aN 
Speciescharakter  in  Verwendung  genommen  werden. 

Zu  den  pathologischen  Erscheinungen  gehört  auch  die 
Auf-  und  Abblätterung  der  Rinde.  Erstere  kommt  bei  einigen 
grossen  Laubflechten  aus  den  Gattungen  Cetraria,  Sticia  und 
Ricasolia  vor,  wenn  eine  sehr  lebhafte  Soredienbildung  vom 
Thallusrande  aus  beginnt,  bei  gleichzeitiger  Lockerung  der 
Verbindung  von  Rinde  und  Gonidienschichte.  In  extremen 
Fällen  hebt  sich  die  ganze  obere  Rinde  vom  Thallus  ab  und 
rollt  sich  vom  Rande  aus  so  einwärts,  dass  die  Gonidien- 
schichte vollkommen  entblösst  wird.  Letztere  wandelt  sich 
dann  gewöhnlich  in  Soredien  um,  die  vom  Winde  nach  und 
nach  entführt  werden.  Zuletzt  deuten  nur  noch  einige  häutige 
oder  papierartige  Fetzen  die  Stelle  an,  wo  vor  Kurzem  noch 
der  Thallus  einer  Laubflechte  gesessen  war. 

Die  stückelweise  Abblätterung  der  Rinde  hängt  gleich- 
falls mit  der  Soredienbildung  zusammen  und  kommt  dann  zu 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  255 

Stande,  wenn  die  Soredien  gleichzeitig  an  sehr  vielen  Stellen 
durchbrechen.  Dann  werden  gewöhnlich  auch  noch  die  intact 
gebliebenen  Rindenpartien  in  die  Höhe  gehoben,  bröckeln 
schollenweise  ab  und  verschwinden  zuletzt.  Der  rindenlose 
Thallus  verfallt  dann  demselben  Schicksal,  als  ob  sich  die 
ganze  Rinde  auf  einmal  losgelöst  hätte. 

Manche  Flechten,  wie  z.  B.  Pertusaria  communis,  leiden 
nicht  selten  an  einer  Krankheit,  die  man  zweckmässig  Pachy- 
dermie  (Dickhäutigkeit)  nennen  könnte.  Aus  einer  nicht  be- 
kannten Ursache  verdickt  sich  nämlich  die  Rinde  auf  eine 
so  exorbitante  Weise,  dass  weder  Pykniden,  noch  Soredien, 
noch  Ascusbehälter  durchzubrechen  vermögen.  Diese  Krank- 
heit hat  daher  immer  Sterilität  im  Gefolge.  Schliesslich  reisst  in 
Folge  von  ungleichen  Spannungen  die  Rinde  an  vielen  Stellen 
auf,  und  der  ganze  Process  endigt  zuletzt,  nach  schollen- 
förmiger  Abstossung  der  Rinde,  in  einer  allgemeinen  Soredien- 
bildung. 

Bei  vielen  Krustenflechten,  namentlich  bei  den  felsen- 
bewohnenden Leeideen,  erhält  sich  der  gonidienführende  Thal- 
lus nur  in  der  Jugendzeit  und  scheint  nur  da  zu  sein,  um  die 
Anlage  und  Ausbildung  der  Apothecien  zu  ermöglichen;  sind 
letztere  vollkommen  entwickelt,  so  verschwindet  zuweilen  der 
Thallus  durch  allmälige  »Verkrümelung«,  während  die  Apo- 
thecien noch  viele  Jahre  fortleben  und  zahlreiche  Sporen- 
schläuche erzeugen  können.  Es  ist  aber  zweifelhaft,  ob  wir  es 
hier  mit  einem  pathologischen  Process  oder  mit'  einem  nor- 
malen Vorgange  zu  thun  haben.  Letztere  Annahme  hat  für  zahl- 
reiche Fälle  die  grössere  Wahrscheinlichkeit  für  sich. 

Ebenso  zweifelhafter  Natur  sind  die  diversen  Thallusaus- 
stülpungen,  die  man  je  nach  ihrer  Grösse  und  Form  als  Körner- 
und Warzenbildung,  als  korallinische  Sprossung  und  als  Isidien- 
bildung  bezeichnet.  Diese  Ausstülpungen  kommen  in  allen  Ord- 
nungen vor,  und  man  trifft  sie  ebenso  häufig  bei  den  Usneen, 
wie  bei  den  Parmelien  und  Krustenflechten.  In  einzelnen  Fällen, 
wiez.  B.  bei  Lecothecinm  und  bei  Pertusaria  corallina,  scheinen 
sie  vollkommen  normaler  Natur  zu  sein  und  zum  Species- 
charakter  zu  gehören.  In  anderen  Fällen  dagegen  treten  sie 
in  Folge  der  Reizwirkung  schmarotzender  Pilze  auf.    Da  die 

Sitzb.  d.  mathcm.-naturw.  Gl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  17 


256  H.  Zukal, 

meisten  dieser  Thallusprolificationen  nur  sehr  dünn  berindet 
sind,  so  werden  sie  gegebenenfalls  zur  Durchlüftung  desThallus 
das  ihrige  beitragen. 

Mit  den  eben  besprochenen  Sprossungen  sind  die  Cepha- 
lodien  nicht  zu  vei-wechseln,  welche  oft  eine  den  korallinischen 
Sprossungen  ganz  ähnliche  Form  annehmen  können,  wie  z.  B. 
bei  Lahoria  amplissima  (Scop.).  Dieser  Fall  führt  uns  zu  den 
Cephalodien  überhaupt.  Da  diese  Gebilde  aber  bereits  in  einem 
der  vorhergehenden  Capitel  näher  besprochen  worden  sind,  so 
wäre  hier  allenfalls  noch  die  Frage  zu  ventiliren,  ob  der  Cepha- 
lodienbildung  ein  krankhafter  Process  zu  Grunde  liegt  oder 
nicht.  Dass  die  Cephalodien  keine  normalen  Sprosse  oder 
Gonotrophien  im  Sinne  von  Minks^  sind,  steht  fest;  denn  sie 
entstehen  in  Folge  eines  Reizes  einer  fremden  Alge  aus  den 
Gattungen  Nostoc,  Sirosiphon,  Scytonema,  Chroococcus  und 
Oscillaria  auf  die  Thallushyphen.  Sie  bilden  also  eine  Art  von 
Gallen  oder  von  Geschwülsten.  Es  ist  aber  allgemein  bekannt, 
dass  solche  Geschwülste  und  heterogene  Gewebewucherungen 
ihren  Trägern  oft  in  einem  hohen  Grade  gefährlich  werden 
können.  Umso  interessanter  wäre  es,  wenn  Gallen-  oder 
Geschwulstbildungen  aufgefunden  würden,  welche  den  sie 
bildenden  Organismen  nicht  schaden,  sondern  nützen.  Dies 
scheint  nun  in  der  That  bei  den  Cephalodien  der  Fall  zu  sein, 
denn  wir  sehen  in  den  weitaus  meisten  Fällen  die  cephalodien- 
tragenden  Flechten  auf  das  beste  gedeihen.  Worin  der  Vortheil 
besteht,  welcher  den  Flechten  aus  den  Cephalodien  erwächst, 
ist  noch  nicht  hinreichend  aufgeklärt.  Ich  speciell  bin  der  An- 
sicht, dass  es  sich  weniger  um  Stoffwechselproducte,  sondern 
lediglich  um  das  Wasser  handle.  Die  cephalodienbildenden 
Algen  gehören  nämlich  immer  zu  den  Cyanophyceen.  Von 
diesen  Algen  ist  aber  festgestellt  worden,  dass  sie  nur  sehr 
schwer  ganz  austrocknen  und  auf  jeden  Fall  das  Wasser  mit 
viel  grösserer  Kraft  festhalten  als  der  gewöhnliche  Flechten- 
thallus.  Wenn  also  eine  Pflanze  kleine  Colonien  von  Cyano- 
phyceen in  ihr  Gewebe  einschliesst,  so  besitzt  sie  an  diesen 
Algen    gevvissermassen    feuchte    Schwämmchen,    die   in  den 


1  Minks,  Das  Mikrogonidium.  Basel,  1879. 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  257 

Zeiten  der  grössten  Wassernoth  ihren  Wasservorrath  mit  der 
Wohnungsgeberin  theilen.  Viele  Krustenflechten  überziehen 
sich  auch  mit  einer  Decke  aus  angeflogenen  Cyanophyceen, 
insbesondere  häufig  mit  Chrooccocaceen.  Dieser  Überzug  ist 
oft  so  dicht,  dass  dadurch  die  Farbe  der  ganzen  Flechte  ver- 
ändert wird,  ein  Umstand,  der  schon  öfters  verschiedene  Irr- 
thümer  in  den  Diagnosen  verursacht  hat.  Die  angeflogenen 
Chroococcen  werden  nur  in  seltenen  Fällen  von  den  Hyphen 
umsponnen,  aber  sie  werden  von  den  Hyphen  festgehalten, 
indem  fast  in  jede  einzelne  der  kleinen  Chroococcus-  oder 
Glaeocapsa-FdimW^n  einige  Hyphen  eindringen,  ohne  sich  aber 
daselbst  zu  verzweigen.  Ausser  den  Cyanophyceen  werden 
selbstverständlich  auch  Chlorophyceen  angeweht;  da  die  letz- 
teren aber  nicht  von  den  Hyphen  festgehalten  werden,  so  ver- 
schwinden sie  in  der  Regel  bald  spurlos.  Dieses  Verhalten 
der  Rindenhyphen  vieler  Krustenflechten  gegenüber  den  ange- 
flogenen Cyanophyceen  erkläre  ich  mir  ebenfalls  aus  dem 
Bedürfniss  nach  innigem  Contact  mit  lange  fruchtbleibenden 
Körpern. 

Sehr  merkwürdig  verhalten  sich  auch  gegen  die  Flechten 
die  Arten  einer  anderen  Algengattung,  nämlich  der  Trentepohlia 
(Chroolepus),  Dieselben  sind  nämlich,  vermöge  ihres  lebhaften 
Spitzenwachsthums  und  ihres  Chemismus,  im  Stande,  einen 
fremden  Flechtenthallus  mit  derselben  Leichtigkeit  zu  durch- 
wachsen, wie  etwa  viele  Flechtenhyphen  den  Kalk.  Ich  habe 
dieses  Verhalten  der  Trentepohlia  nicht  nur  bei  Rindenflechten, 
sondern  auch  bei  Kalkflechten  wiederholt  beobachtet,  ins- 
besondere häufig  bei  Verrucaria  rupestris.  Letztere  Flechte 
erhält  oft  durch  das  Eindringen  der  Trentepohlia  eine  ziegel- 
rothe  Färbung,  wie  z.  B.  auf  den  Dolomitfelsen  der  Mödlinger 
Klause  bei  Wien.  Es  scheint  aber  nicht,  dass  die  Flechte  durch 
das  Eindringen  der  fremden  Alge  in  ihren  Lebensfunctionen 
besonders  gestört  wird,  denn  die  durch  die  eingedrungene 
Trentepohlia  roth  gefärbten  Exemplare  fructificiren  wo  mög- 
lich noch  üppiger  als  die  normalen  Individuen. 

Das  Eindringen  der  Trentepohlia  führt  uns  zu  den  Ge- 
fahren, denen  die  Flechten  durch  das  Eindringen  anderer 
Organismen,   insbesondere   der  Schmarotzerpilze,   ausgesetzt 

17* 


258  H.  Zukal, 

sind.^  Viele  der  letzteren  wurden  bekanntlich  von  den  älteren 
Lichenologen  als  parasitische  Flechten  behandelt.  Ein  genaues 
Studium  derselben  hat  aber  ergeben,  dass  der  grösste  Theil 
derselben  als  gewöhnliche  Ascomyceten,  d.  h.  als  echte  Pilze 
aufgefasst  werden  müssen.  Trotzdem  darf  die  Möglichkeit  der 
Existenz  parasitischer  Flechten  nicht  so  ohne  weiteres  von 
der  Hand  gewiesen  werden.  So  habe  ich  selbst  z.  B.  auf  den 
jungen  Apothecien  einer  Bacidea  eine  kleine  Krustenflechte 
beobachtet,  deren  Perithecien  sammt  den  dazu  gehörigen  goni- 
dienführenden  Thalluswarzen  in  das  5/7/f»^/a-Apothecium  ein- 
gedrungen waren  und  in  dasselbe  tiefe  Löcher  eingefressen 
hatten,  welche  den  Umrissen  der  schmarotzenden  Flechte  genau 
entsprachen.* 


1  Diese  Schmarotzer  werden  in  der  Regel  nur  dann  beschrieben,  wenn 
sie  Fructificationsorgane  erzeugen,  sei  es  in  der  Form  von  Conidien  oder  von 
Ascussporen.  Es  ist  dies  jedoch  nicht  immer  der  FaU.  Oft  erzeugt  ein  in  die 
Flechte  eingedrungenes  fremdes  Mycel  starke  habitueUe  Veränderungen,  ohne 
selbst  Propagationsorgane  auszubilden.  So  fand  ich  z.  B.  auf  den  Radstädter 
Tauern  eine  Parmclia  encausta  mit  ganz  abnorm  schmalen  und  krausen  Thallus- 
lappen.  Die  nähere  Untersuchung  ergab,  dass  diese  Metaphasis  des  Lagers 
zur  verfehlten  Gestaltung,  wie  sich  Wallroth  ausdrücken  würde,  durch  ein 
fremdes,  bräunliches,  kurzzelliges  Mycel  verursacht  worden  war.  Ein  anderes- 
mal  fand  ich  auf  einer  Physcia  villosa  aus  Lima,  die  durch  exorbitant  ent- 
wickelte Thallusprolificationen  beinahe  unkenntlich  erschien,  ebenfalls  ein 
fremdes,  steriles  Mycel. 

Damit  soll  jedoch  nicht  behauptet  werden,  dass  alle  Missbildungen, 
Abnormitäten  und  Hypertrophien  des  Flechtenlagers  auf  Schmarotzer  zurück- 
geführt werden  müssen.  Wer  z.  B.  die  Flechten  solcher  Länder  studirt,  in  denen 
nur  selten  ein  Regen  fällt,  wie  z.  B.  in  gewissen  Strichen  Chiles,  Australiens 
und  Afrikas,  wird  finden,  dass  alle  diese  Formen  eine  gewisse  Neigung  zu  Defor- 
mationen und  Hypertrophien  gewisser  Theile,  z.  B.  der  Rinde,  der  Rhizoiden 
und  Thallusprolificationen  zeigen,  zum  Beweis,  dass  nicht  nur  Schmarotzer- 
pilze, sondern  auch  extreme  äussere  Lebensbedingungen  den  fixtrten  Habitus 
der  Flechten  stark  beeinflussen. 

2  Die  schmarotzende  Flechte  gehört  zu  einer  Form,  die  der  Gattung 
Fhacidea  sehr  nahe  steht,  aber  wegen  der  nicht  ganz  reifen  Sporen  leider  nicht 
mit  Sicherheit  bestimmt  werden  konnte.  Die  winzigen  Thalluswärzchen  führten 
Cys/o^Oira«  ähnliche  Gonidien.  An  einigen  Apothecien  der  befallenen 
BacUea  waren  merkwürdigerweise  einige  Perithecien  des  Schma- 
rotzers ohne  gonidienführenden  Thallus  entwickelt  worden. 
Ausserhalb  der  Bacidea,  aber  in  nächster  Nähe,  fand  sich  ebenfalls  der  Pha- 
cidia  ähnliche  Pilz  auf  dem  Substrat  (einem  halb  vermoderten  Moose)  vor. 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  259 

In  anderen  Fällen  wieder  scheinen  die  aus  Flechtenpilz- 
sporen hervorgegangenen  Hyphen  in  den  Thallus  anderer 
Flechten  einzudringen  und  hier  eine  schmarotzende  Lebens- 
weise zu  führen.  Dabei  kann  der  Thallus  der  befallenen  Flechte, 
d.  h.  also  Hyphen  sammt  Gonidien,  ganz  zu  Grunde  gehen, 
oder  es  wird  nur  das  Hyphensystem  des  Wirthes  vernichtet, 
während  die  Gonidien  von  dem  Schmarotzer  als  Ernährungs- 
organe adoptirt  werden.  Das  erstere  Verhalten  zeigt  das  Mycel 
der  Urceolaria  scruposa  v.  parasitica,  wenn  es  die  Thallus- 
schuppen  der  Cladonia  tnrgida  und  anderer  Cladonienarten 
befallt,  das  letztere  befolgen  die  Hyphen  von  Arthrorhaphis 
flavovirescens  (Bors.)  Th.  Fr.,  wenn  sie  sich  auf  dem  Thallus 
von  Sphyridium  hyssoides  festsetzen.  Norman  hat  diese  eigen- 
thümliche  Metamorphose  eines  Flechtenthallus  »Allelositis- 
mus«  genannt.  Derselbe  mag  häufiger^  vorkommen  als  man 
bis  jetzt  glaubte,  ob  er  aber  jenen  grossen  Umfang  besitzt,  wie 
in  jüngster  Zeit  von  Minks^  behauptet  worden  ist,  werden 
erst  nähere  Untersuchungen  aufzuklären  haben. 

Viele  Flechten,  namentlich  Krustenflechten,  leiden  auch 
durch  den  Umstand,  dass  sie  von  anderen  Flechten  überwuchert 
und  verdrängt  werden.  Diesem  Schicksal  verfallen  häufig  die 
steinbewohnenden  Krustenflechten,  wenn  dieselbe  Unterlage  von 
grösseren  Laub-  und  Strauchflechten  besiedelt  wird.  Aber  auch 
viele  Krustenflechten  siedeln  sich  mit  Vorliebe  auf  anderen 
Krustenflechten  an.  So  fand  ich  z.  B.  die  Biatora  rupestris  so 
häufig  auf  dem  Thallus  von  Verrucaria  rupestris  und  V.  calci- 
seda,  dass  ich  die  Biatora  beinahe  als  Parasit  verdächtigen 


aber  immer  mit  gonidienführenden  Thalluswarzen.  Hier  scheint  ein  Beispiel 
vorzuliegen,  wie  leicht  eine  Flechte  ihren  gonidienführenden  Thallus  verlieren 
kann,  wenn  sie  die  saprophytische  Lebensweise  mit  einer  schmarotzenden  ver- 
tauscht. 

1  Dieselbe  soll  sich  nach  Th.  Fries  bei  Buellia  scabrosa  und  nach 
B.  Stein  bei  Lahmia  Fuistingii  Krb.  und  mehreren  Arthonien  wiederholen. 

Siehe  Fries,  Lichenographia  scandinavica,  p.  343. 

B.Stein,  Kryptogamenflora  von  Schlesien.  Flechten.  S.  181. 

3  Minks,  Beiträge  zur  Kenntniss  des  Baues  und  Lebens  der  Flechten, 
n.  Die  Syntrophie,  eine  neue  Lebensgemeinschaft  in  ihren  merkwürdigen 
Erscheinungen.  Verhandl  der  k.  k.  zool.-botan.  Gesellsch.  Wien,  Bd.  XLll. 
1892,  S.  377. 


260  H.  Zukal, 

möchte.  Dieser  Verdacht  wird  ausserdem  noch  durch  den 
Umstand  verstärkt,  dass  die  genannte  Biatora,  so  bald  sie  sich 
auf  dem  Verrucaria -ThaWus  entwickelt  hat,  eigenthümliche 
Rhizoiden  ausbildet  und  senkrecht  in  den  unter  ihr  liegenden 
fremden  Thallus  binabsendet. 

Sehr  interessant  sind  auch  jene  Fälle,  wo  auf  einen 
Flechtenthallus  neben  den  typischen  Apothecien  noch  die 
Ascusbehälter  eines  zweiten  Ascomyceten  entwickelt  werden, 
ohne  dass  die  geringsten  Anzeichen  eines  Parasitismus  oder 
Allelositismus  vorliegen.  Denn  es  erscheinen  sowohl  die  Apo- 
thecien, sowie  der  Thallus  und  die  Gonidien  der  Nährflechte 
vollkommen  normal  entwickelt,  und  man  kann  selbst  durch 
die  scrupuloseste  Untersuchung  nichts  entdecken,  was  als 
eine  Schädigung  oder  Wachsthumsstörung  der  Wirthpflanze 
ausgelegt  werden  könnte.  Da  aber  auch  die  Ascusbehälter  des 
fremden  Ascomyceten  ein  vollkommen  gesundes  Aussehen 
zeigen  und  ganz  normale  Sporen  entwickeln,  so  bleibt  meiner 
Ansicht  nach  nichts  anderes  übrig,  als  anzunehmen,  dass  auch 
der  zweite  Ascomycet  mit  der  Nähralge  der  Wirthflechte  in 
derselben  mutualistischen  Symbiose  lebe,  wie  der  Flechtenpilz. 
Einen  hierher  gehörigen  Fall  habe  ich  im  Jahre  1887  auf- 
gefunden. Er  betrifft  eine  Pleospora,^  welche  mit  dem  Flechten- 
pilz von  Physnia  compactnm  in  bester  Eintracht  mit  ein  und 
derselben  Alge  (nämlich  Nostoc)  zusammenlebt. 

Wenn  nun  auch,  wie  wir  gesehen  haben,  mancherlei 
Gefahren  und  Krankheiten  die  Flechten  bedrohen,  so  sind 
trotzdem  ihre  Individuen  als  Artenanzahl  erstaunlich  gross. 
Man  kann  die  gegenwärtig  beschriebenen  Flechtenarten  und 
Varietäten  auf  etwa  20.000  schätzen.^  Die  Zahl  der  Individuen 
muss  ungeheuer  gross  sein,  wenn  man  bedenkt,  dass  weite 
Länderstrecken,  wie  z.  B.  gewisse  Theile  der  nordischen  Tundra, 
fast  nur  mit  Flechten  bedeckt  sind. 


J  Es  ist  dies  die  Pleospora  Collcmatum  Zuk.  Siehe  Zukal,  Über  einige 
neue  Ascomyceten.  Verhandl.  der  k.  k.  zool.-botan.  Gesellsch.  1887,  S.  39. 

3  Diese  Schätzung  beruht  auf  dem  Zettelkatalog  des  Herrn  Dr.  Zahi- 
b ruckner  in  Wien,  den  sich  derselbe  anlässlich  der  Vorarbeiten  zu  einer 
Sylloge  Lichenum  angelegt  hat. 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  261 

Die  Flechten  verdanken  diese  grosse  Verbreitung  theils 
ihrer  Anpassung  an  solche  Lebensbedingungen,  unter  welchen 
die  Phanerogamen  nicht  mehr  gedeihen  können,  theils  ihren 
mannigfachen  Schutzmitteln  wider  die  Angriffe  der  Thiere  und 
pflanzlicher  Parasiten,  So  vollkommen  übrigens  auch  immer 
die  Anpassung  der  Flechten  an  die  Aussenwelt  sein  mag,  es 
kommt  doch  auch  für  jedes  Flechtenindividuum  ein  Zeitpunkt, 
in  dem  sein  Leben  erlischt. 

Die  durchschnittliche  Lebensdauer  einer  Art   hängt  be- 
kanntlich von  sehr  verwickelten  Ursachen  ab,  im  Allgemeinen 
wird   jedoch    Langlebigkeit    oder   Kurzlebigkeit   in    derselben 
Weise  vererbt,  wie   irgend  eine  andere  Eigenschaft.  Zu  den 
kurzlebigsten  Flechten   dürften  jene   gehören,   die  wie  viele 
Leeideen    nur  einen  sehr  kümmerlichen  Thallus  entwickeln, 
der  überdies  noch  bald  nach  der  Entwicklung  der  Apothecien 
verschwindet.  Bei  diesen  Flechten  erlischt  das  Leben,  nachdem 
der  letzte  Ascus  seine  Sporen  entleert  hat.  Zu  den  langlebigsten 
Flechten  gehören  dagegen  die  höheren  Formen  der  Strauch-  und 
Laubflechten,  insbesondere  die  der  Cladonien.  Da  sich  manche 
Arten  der  letzteren  auch  durch  Thallusfragmente^  fortpflanzen 
können  und  eine  solche  Fortpflanzung  eigentlich  nur  eine  Art 
von  Wachsthum  ist,  so  lässt  es  sich  in  vielen  Fällen  schwer 
bestimmen,   wann   eigentlich  der  Tod  des   Individuums  ein- 
getreten ist.  Ähnliche  Schwierigkeiten   ergeben  sich  bei  der 
Abschätzung   des   Lebensalters   solcher   Flechten,   die    einen 
echten  Thallus  areolatus  besitzen. 

Wenn  man  aber  auch  von  dergleichen  Bedenken  absehen 
wollte,  so  kann  man  doch  zu  keinen  genauen  Angaben 
über  das  Alter  höherer  Flechten  gelangen,  weil  die  exacten 
Beobachtungen  fehlen.  Jedenfalls  erstreckt  sich  das  Leben 
vieler  Flechten  auf  Jahrhunderte.  Diese  lange  Lebensdauer 
muss  um  so  auffallender  erscheinen,  als  sich  die  übrigen 
Ascomyceten  gerade  nicht  durch  eine  lange  Lebensdauer  aus- 
zeichnen. Die  Vortheile,  welche  den  Plechtenpilzen  durch  die 


'  Nach  Crombie  (Journal  of  Botany)  geschieht  dasselbe  auch  bei  Par- 
melia  omphalodes  f.  pannifonnis,  und  Lotsy  vermuthet  Ahnliches  von  den 
Ablegern  von  Slicta  pulmonaria.  Siehe  Lotsy,  Beiträge  zur  Biologie  der 
Flechtenflora  des  Hainberges  bei  Güttingen.  S.  46. 


262  H.  Zukal, 

Symbiose  mit  den  Algen  erwachsen,  müssen  daher  sehr  hoch 
angeschlagen  werden.  Denn  nur  die  Symbiose  und  der  mit  ihr 
in  Zusammenhang  stehende  Transport  der  Gonidien  nach  den 
jüngsten  Thallustheilen  befähigt  die  Flechten  zu  einem  fast 
unbegrenzten  Spitzen-  und  Marginalwachsthum,  während  die 
älteren  Thallustheile  ganz  allmälig  der  Zerstörung  anheimfallen. 
Wie  aber  endlich  doch  dem  Leben  des  Individuums  theils 
durch  innere,  theils  durch  äussere  Ursachen  ein  Ziel  gesetzt 
ist,   so   ergeht   es   ähnlich   auch   der  Art.    Bei    den   Flechten 
kommen  nämlich,  ganz  wie  bei  den  übrigen  Gewächsen,  neben 
gemeinen  und  kosmopolitischen  Formen  auch  solche  vor,  die 
nur  an  wenigen  Orten  noch  gefunden  werden  und  auch  da  in 
einer  relativ  geringen  Individuenzahl  gedeihen.  Solche  seltene 
Arten  können  selbstverständlich  durch  sehr  geringfügige  Ver- 
änderungen  ihres  Wohnungsgebietes    zum   gänzlichen   Aus- 
sterben gebracht  werden.  Grössere  Veränderungen  der  äusseren 
Lebensbedingungen,  wie  z.  B.  das  Hereinbrechen  einer  Eiszeit 
oder  eines  Steppenklimas,  werden  natürlich  einer  viel  grösseren 
Anzahl  von  Arten  zum  Verderben  gereichen.  Doch  wird  jede 
Lücke,  die  etwa  durch  das  Aussterben  einzelner  Arten  entsteht, 
durch  neue  Anpassungen  oder  die  Einwanderung  bereits  vor- 
handener Formen  aus  den  Nachbargebieten  alsbald  wieder  aus- 
gefüllt. Hier  ist  wohl  der  Ort,  um  die  Frage  aufzuwerfen,  ob 
auch  noch  in  der  Gegenwart  neue  Flechtenarten  entstehen.' 
Diese  Frage  muss  unbedingt  im  bejahenden  Sinne  beantwortet 
werden.  Die  Entwicklung  neuer  Flechtenarten  kann  sogar  auf 
mehreren  Wegen  erfolgen.  Denn  sie  entstehen  durch  die  fort- 
währende Ausbreitung  der  Flechten  in  horizontaler  und  verti- 
caler  Richtung   und    durch   die    niemals   unterbrochenen  An- 
passungsversuche an  fremdartige  Substrate  und  ungewohnte 
Lebensbedingungen  fortwährend  neue  Rassen  .oder  Varietäten, 
die  unter  günstigen  Umständen  zu  Arten  werden  können.  Eine 
zweite  Quelle  der  Artenbildung  liegt  aber  in  der  Möglichkeit, 
dass  die  Mycelien  der  Flechtenpilze,  für  den  Fall  der  Nicht- 
auffindung  der  eigenen  Gonidien,  mit  den   nächstverwandten 
Algenarten  eine  neue  Symbiose  begründen  können.  Eine  solche 
neue  Verbindung  würde  aber  höchst  wahrscheinlich  den  ganzen 
morphologischen  Aufbau  der  Flechte  beeinflussen  und  auf  diese 


Untersuchungen  über  die  Flechten.  263 

Weise  ebenfalls  neue  Formen  verursachen.  Vielleicht  sind  in 
der  angedeuteten  Weise  die  Arten  der  Gattungen  Lobaria,  Pelti- 
deor^  NephrornUy  Psoroma  und  Solorinina  aus  den  Flechten- 
pilzen der  Gattungen  SHcta,  Peltigera,  Nephromium,  Pannaria 
und  Solorina  entstanden. 

Endlich  können  auch  noch  auf  eine  dritte  Art  neue  Flechten 
entstehen,  wenn  nämlich  einzelne  echte  Ascomyceten  gelegent- 
lich mit  Algen  in  symbiotische  Beziehungen  treten.  Solche  Ver- 
hältnisse scheinen  nicht  selten  vorzukommen,  aber  nur  selten 
zu   einer  dauernden,  erblichen  Symbiose,  also  zur  Flechten- 
bildung zu  führen.  Denn  gewöhnlich  bilden  einzelne  Ascomyceten 
mit  den  ihnen  zusagenden,  zufällig  vorhandenen  Algen  aus- 
gesprochene Thalluswärzchen,  in  denen  sogar  alle  drei  Thallus- 
schichten  ausgebildet  werden,  aber  gleichzeitig  kommt  derselbe 
Pilz  auf  anderen  Substraten  vor,  wo  er  eine  rein  saprophytische 
Lebensweise  führt.  Auch  besitzen  die  Sporen  der  mit  den  Algen 
in  transitorischer  Symbiose  lebenden  Individuen,  respective  das 
aus   solchen  Sporen  hervorgehende  Mycel,  ebenfalls  die  Be- 
fähigung zur  saprophytischen  Lebensweise,  und  zwar,  wie  es 
scheint,  in  ungeschwächter  Kraft.  Ich  habe  im  Laufe  der  letzten 
zehn  Jahre  mehrere  solche  zeitweilige  Flechtenbildungen  auf- 
gefunden und  theils  in  den  »Flechtenstudien«,  theils  in  den 
»Halbflechten«  beschrieben.^  Interessant  ist  dabei  die  Leichtig- 
keit, mit  der  bei  einzelnen  Halbflechten  ein  k'rustenartiger  Thal- 
lus  entsteht.  So  zeigte  z.  B.  meine  Lichenopeziza  bryophila  und 
Gloeopeziza  Rehmii  vollkommen  berindete  Thalluswärzchen, 
und  die  Nectria  phycophila  bildeten  mit  ihren  Algen  {Scytomma 
und Hypheothrix)  eine  veritable,  fest  zusammenhängende  Kruste. 
Wenn  auch  die  meisten  Halbflechten  höchst  wahrscheinlich  nur 
vorübergehende  Symbiosen  darstellen,  so  dürften  einzelne  der- 
selben unter  günstigen  Umständen,   namentlich  durch  öftere 
Wiederholung  derselben  Symbiose,  doch  zu  echten  Flechten 
werden.  Ein  solcher  Fall  liegt  in  Epigloea  bactrospora  Zuk.'-^ 


^  Zukal,  Flechtenstudien.  Denkschriften  der  k.  Akad.  der  Wissensch. 
Wien,  XLVIII.  Bd.,  1884. 

Derselbe,  Halbflechten.  Flora  1891,  Heft  1. 

-  Zukal,  Epigloea  bactrospora^  eine  neue  Gallertflechte  mit  chlorophyll- 
hältigen  Gonidien.  Ost.  bot.  1890,  Nr.  9. 


264  H.  Zukal,  Untersuchungen  über  die  Flechten. 

vor.  Zum  erstenmale  wurde  diese  sonderbare  Flechte  von   mir 
1889  zu  Haslach  in  Oberösterreich  aufgefunden.  Ein  Jahr  später 
fand  sie  bei  Radstadt  im  Salzburgischen  Heimerl,  und  wieder 
zwei  Jahre  später  fand  ich  selbst  sie  noch  einmal  in  der  Nähe 
des  »Blauen  Tumpfes«  im  Maltathal  (Kärnten).  Diese  Flechte 
hat  einen  so  primitiven  Bau,  dass  nicht  einmal  ihre  Peripherie 
in  dem  Algenmagma  abgegrenzt  erscheint.  Da  sie  aber  bereits 
auf  drei  weit  auseinander  liegenden  Standorten  aufgefunden 
worden  ist,  so  scheint  es  sich  nicht  mehr  um  eine  vorüber- 
gehende Symbiose,  sondern  thatsächlich  um  eine  neue,  aber 
morphologisch  noch  nicht  vollkommen  entwickelte  Flechte  zu 
handeln.  Wir  sehen  also,  dass  auch  noch  in  der  Gegenwart 
jene  Kräfte  wirksam   sind,  welche  in  der  grauen  Vorzeit  die 
fast  unübersehbare  Fülle  der  Flechtenwelt  in  ihrer  eigenartigen, 
mystischen  Schönheit  geschaffen  haben. 

Schlussbemerkung.  Es  wird  auffallen,  dass  in  diesen  drei  Abhand- 
lungen weder  die  feineren  Structuren  der  Zellen,  noch  die  Zellkerne  und  ihr 
Theilungsmodus  erwähnt  werden,  und  man  könnte  daraus  den  Schluss  ziehen, 
dass  ich  mich  mit  diesem  Theil  der  Flechtenanatomie  nicht  befasst  habe.  Dem 
ist  aber  nicht  so.  Ich  habe  jedoch  gefunden,  dass  diese  Fragen  nicht  gut  isolirt, 
d.  h.  losgelöst  von  den  Pilzen,  behandelt  werden  können  und  halte  es  für 
zweckmässig,  das  ganze  Thema  zu  vertagen.  Ich  hege  ja  ohnehin  den  Wunsch, 
in  einer  nicht  zu  fernen  Zeit  eine  Morphologie  und  Biologie  der  Pilze  zu  ver- 
öffentlichen und  hoffe  dort  auch  dasjenige  nachtragen  zu  können,  was  über  die 
feinere  Structur  der  Flechtenzellen  und  ihrer  Kerne  etwa  speciell  ausgesagt 
werden  kann. 


Inhalt. 

Seite 

I.  Die  Flechten  als  lichtbedürftige  Organismen  .s 197 

II.  Das  reproductivc  System 221 

III.  Über    den    Einfluss    des    Klimas    und    des    Substrates.  —  Flechten- 
krankheiten     244 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN, 


MATHEMATISCH  -NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CV.  BAND.  IV.  HEFT. 


ABTHEILUNG  I. 

ENTHÄLT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  MINERALOGIE, 

KRYSTALLOGRAPHIE,  BOTANIK,  PHYSIOLOGIE  DER  PFLANZEN,  ZOOLOGIE, 

PALÄONTOLOGIE,  GEOLOGIE,  PHYSISCHEN  GEOGRAPHIE  UND  REISEN. 


267 


X.  SITZUNG  VOM  16.  APRIL  1896. 


Erschienen:  Sitzungsberichte,  Bd.  104,  Abth.  II.  a,  Heft  IX— X  (November 
bis  December  1895)  und  Abth.  II.  b,  Heft  IX — X  (November — December 
1895),  womit  nun  der  Druck  dieses  Bandes  in  allen  Abtheilungen  voll- 
endet ist.  Ferner  ist  erschienen:  Bd.  105,  Abth.  I — II  (Jänner — Februar 
1896). 

Das  Comite  für  die  Stiftung  einer  Erinnerungs-Medaille  zur 
siebzigsten  Geburtstagsfeier  Julius  Thomsen*s  in  Kopen- 
hagen übermittelt  der  kaiserlichen  Akademie  ein  Exemplar 
dieser  Medaille  in  Bronze. 

Herr  Prof.  Dr.  L.  Weinek,  Director  der  k.  k.  Sternwarte  in 
Prag,  dankt  für  die  ihm  zum  Abschlüsse  seines  Unternehmens, 
auf  Grund  der  Negative  von  Mondphotographien  der  Lick- 
Sternwarte  einen  Mondatlas  herzustellen,  von  der  kaiserlichen 
Akademie  gewährte  Subvention. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  F.  Lippich  in  Prag  übersendet  eine 
Abhandlung  unter  dem  Titel:  »Dreitheiliger  Halbschatten- 
Polarisator«. 

Das  c.  M.  Prof.  Dr.  R.  v.  Wettstein  übersendet  eine  im 
botanischen  Institute  der  k.  k.  deutschen  Universität  in  Prag 
ausgeführte  Arbeit  von  stud.  med.  G.  W.  Maly:  »Unter- 
suchungen über  Verwachsungen  und  Spaltungen  von 
Blumenblättern«. 

Der  Secretär  legt  eine  Abhandlung  des  Herrn  J.  Sobotka, 
Supplent  an  der  k.  k.  Staatsrealschule  im  IV.  Bezirke  Wien, 
vor,  betitelt:  »Einige  Constructionen  der  Schnittcurven 
von  Umdrehungsflächen  mit  Ebenen*. 

Herr  Dr.  Alfred  Nalepa,  Prof.  am  k.  k.  Elisabeth-Gym- 
nasium im  V.  Bezirke  in  Wien,  übersendet  eine  vorläufige 
Mittheilung  über  »Neue  Gallmilben«  (13.  Fortsetzung). 


268 

Herr  Prof.  Max  Rosen  fei  d  an  der  k.  k.  Staatsrealschule 
in  Teschen  übersendet  folgende  Mittheilung:  »Über  die  Ab- 
kürzung der  Expositionszeit  bei  der  Erzeugung  von 
Photographien  mit  Röntgen-Strahlen«. 

Der  Secretär  legt  ein  versiegeltes  Schreiben  behufs 
Wahrung  der  Priorität  von  Herrn  Julius  A.  Reich,  Chemiker  in 
Wien,  vor,  welches  die  Aufschrift  führt:  »Beschreibung  der 
Darstellung  einer  Reihe  neuer  Verbindungen  nach 
einem  neuen  Verfahren«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Director  A.  Kerner  v.  Marilaun 
überreicht  eine  Abhandlung  vom  stud.  phil.  August  Ginz- 
berger  in  Wien:  Ȇber  einige  Laihyrus -Arten  aus  der 
Section  Etilathyrus  und  ihre  geographische  Ver- 
breitung«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  V.  v.  Lang  legt  eine  Ab- 
handlung des  Prof.  Müller-Erzbach  in  Bremen  vor,  mit  dem 
Titel:  »Neue  Versuche  über  die  Fernwirkung  der  Ad- 
sorptionskraft und  ihre  Abnahme  bei  zunehmender 
Dicke  der  adsorbirten  Schichten«. 

Herr  Hofrath  v.  Lang  übergibt  femer  eine  für  die  Sitzungs- 
berichte bestimmte  Fortsetzung  seiner  »Versuche  über 
Interferenz  elektrischer  Wellen«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  H.  Weidel  überreicht  eine  im 
I.  chemischen  Universitätslaboratorium  in  Wien  von  Herrn 
Johann  Heilpern  ausgeführte  Arbeit:  »Über  das  soge- 
nannte Carbothiacetonin«.  j 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  Ad.  Lieben  überreich/  eine 
Arbeit  von  Herrn  Georg  Gregor  aus  dem  Universitätslabora- 
torium in  Czernowitz:  »Zur  Constitution  der  Monoäthyl- 
ß-Resorcylsäure«. 

Herr  Dr.  Hans  Meyer,  Assistent  bei  der  Lehrkanzel  für 
analytische  Chemie  an  der  k.  k.  technischen  Hochschule  in 
Wien  überreicht  eine  Arbeit  :»ÜberAnemonin«(I.  Mittheilung). 


269 


Untersuchungen  über  Verwachsungen  und 
Spaltungen  von  Blumenblättern 

von 

Günther  Walther  Maly, 

stnd.  med. 

Aus  dem  botanischen  Institute  der  k.  k.  deutschen  Universität  in  Prag. 

(Mit  2  Tafeln.) 

Bekanntlich  hat  die  Untersuchung  und  die  daraus  sich 
ergebende  Deutung  des  morphologischen  Baues  angiospermer 
Blüthen  stets  eine  grosse  Rolle  in  der  Systematik  und  bei  dem 
Streben,  den  phylogenetischen  Zusammenhang  der  Pflanzen- 
familien zu  erforschen,  gespielt. 

Erst  in  den  letzten  Jahren  wurde  hiebei  von  einigen 
Forschern  die  sogenannte  »anatomische  Methode«,  die 
hauptsächlich  in  der  Untersuchung  des  Verlaufes  der  Gefäss- 
bündel  in  den  einzelnen  Organen  besteht,  benutzt^  Dieselbe 
sollte  Aufschluss  geben  über  den  morphologischen  Bau  der 
Blüthe,  nämlich  über  die  Dignität  der  einzelnen  Organe  und 
über  die  im  Laufe  der  Phylogenie  entstandenen  Veränderungen 
derselben.  Dieser  Richtung  gehört  J.  Kleines  Abhandlung  »Der 
Bau  der  Cruciferenblüthe  auf  anatomischer  Grundlage«  ^  an. 
Diese  Arbeit  brachte  in  jüngster  Zeit  eine  mit  allen  Thatsachen 
gut  in  Einklang  stehende  Theorie  über  die  viel  umstrittene 
Entstehung  der  Cruciferenblüthe  und  stützte   sich  bezüglich 


1  Vergl.  insbesondere:    VanTieghem,  Recherches  sur  la  structur  du 
pisül  et  sur  l'anatomie  comparee  de  la  fleur.  Paris,  1871. 

2  Berichte  der  deutschen  botanischen  Gesellschaft,  Bd.  XII,   1894,  S.  18 
bis  24;  1.  Taf. 


270  G.  W.  Maly, 

der  Anwendbarkeit  der  Methode  auf  eine  andere  frühere  Ab- 
handlung des  Verfassers:  »Untersuchungen  über  Bildungs- 
abweichungen an  Blättern«.^ 

Die  Anwendung  der  anatomischen  Methode  beruht  im 
Wesentlichen  auf  der  Überlegung,  dass  es  wahrscheinlich  ist, 
dass  in  dem  Falle,  wenn  ein  Organ  durch  Verwachsen  der  An- 
lage zweier  entsteht,  die  schon  bei  der  Anlage  vorhandenen 
oder  vorgebildeten  Zuleitungsbahnen,  d.  i.  die  Gefässbündel, 
erhalten  bleiben  und  so  im  fertigen  Zustande  die  Verwachsung 
andeuten.  Anderseits  ist  es  a  priori  wahrscheinlich,  dass  bei 
vorkommenden  Spaltungen  die  secundären  Organe  durch  pri- 
märe ihre  Nahrung  erhalten,  dass  also  auch  hier  der  Ursprung 
der  Gefässbündel  auf  den  der  Organe  hindeutet.  Durch  Unter- 
suchung von  individuell  auftretenden  Verwachsungen  oder 
Spaltungen  muss  es  sich  zeigen,  wie  die  Gefässbündel  sich 
hiebei  verhalten;  nur  dann,  wenn  die  Verhältnisse  den  vor- 
stehenden Voraussetzungen  entsprechen,  kann  angenommen 
werden,  dass  auch  in  der  Phylogenie  vor  sich  gegangene  Ver- 
änderungen durch  den  Gefässbündelverlauf  sich  erklären  und 
nachweisen  lassen. 

J.  Klein  hat  bei  seinen  bereits  citirten  Untersuchungen 
über  Bildungsabweichungen  an  Blättern,  welche  einen  Beitrag 
zur  Beantwortung  derselben  Frage  liefern  sollten,  nur  Laub- 
blätter in  den  Gang  seiner  Untersuchung  gezogen.  Die  in  Hin- 
blick auf  die  hier  in  Betracht  kommende  Frage  wichtigsten 
Resultate  hat  er  in  folgenden  Satz  zusammengestellt  (I.e.  S.61): 
»Man  findet  Blätter,  die  an  einem  Stiele  eine  mehr  oder  weniger 
stark  in  zwei  Theile  —  jeder  mit  entsprechendem  Mittelnerv  — 
gesonderte  Spreite  tragen  und  findet,  dass  in  diese  Blätter 
doppelt  so  viele  oder  doch  mehr  Gefässbündel  eintreten,  als  in 
die  gewöhnlichen;  es  sind  dies  also  wirkliche  Doppelblätter, 
die  aus  der  Vereinigung  zweier  Blätter  hervorgegangen  sind. 
Daneben  kommen  dann  äusserlich  ähnlich  aussehende  Blätter 
vor,  die  oft  bis  in  den  Stiel  in  zwei  Theile  getrennt  sein  können, 
in  welche  aber  dennoch   nur  die  den  gewöhnlichen  Blättern 


1  Pringsheim,  Jahrbücher  für  wissenschaftliche  Botanik,   Bd.  XXIV, 
Heft  3  (1892). 


Verwachsungen  und  Spaltungen  von  Blumenblättern.  27  1 

entsprechende  Anzahl  von  Gefassbündeln  eintritt  und  die  daher 
nur  als  getheilte  Blätter  aufgefasst  werden  können«. 

Aus  den  Untersuchungen  von  Laubblättern  scheint  sich 
daher  zu  ergeben,  dass  die  Voraussetzungen,  von  denen  die 
anatomische  Methode  ausgeht,  berechtigt  sind.  Da  diese  Methode 
auch  nach  den  Untersuchungen  Klein's  nicht  ohne  Widerspruch 
blieb,^  dürfte  es  nicht  überflüssig  sein,  durch  weitere  Unter- 
suchungen in  dieser  Richtung  die  Richtigkeit  dieser  entwickelten 
Ansicht  und  Methode  zu  prüfen.  Über  derartige  Untersuchungen, 
zu  denen  ich  durch  Prof.  Dr.  Richard  R.  v.  Wettstein  angeregt 
und  darin  auf  jede  Weise  unterstützt  wurde,  soll  im  Folgenden 
berichtet  werden.  Zugleich  bringen  die  folgenden  Zeilen  einen 
Nachtrag  zu  den  Untersuchungen  Klein's,  da  sie  sich  auf 
Blüthenblätter  im  weiteren  Sinne  des  Wortes  beziehen. 

Als  ich  die  im  Vorstehenden  präcisirte  Aufgabe  auf  mich 
nahm,  handelte  es  sich  vor  Allem  um  die  Beschaffung  eines 
diesbezüglichen  brauchbaren  Materials.  Ich  begann  meine 
Untersuchungen  mit  Blüthen  von  Primula-Avten,  die  sich 
gewiss  in  mancher  Beziehung  als  recht  brauchbar  erwiesen 
haben  würden,  wenn  nicht  die  Spärlichkeit  des  Materiales  das 
Gewinnen  allgemeinerer  Resultate  verhindert  hätte.  Die  weiter- 
hin untersuchten  Blüthen  von  Syringa  setzten  wegen  der  Com- 
plicirtheit  des  Gefässbündelverlaufs  und  der  undeutlichen  An- 
ordnung der  einzelnen  Bündel  im  Kelch,  dem  Studium  ein  zu 
grosses  Hinderniss  entgegen.  Endlich  fand  ich  in  Weigelia 
rosea  ein  Material,  das  den  meisten  Anforderungen  vollkommen 
entsprach.  Man  findet  relativ  häufig  bei  dieser  Pflanze  eine 
grosse  Zahl  der  verschiedensten  Abnormitäten  besonders  in 
Bezug  auf  die  Zahl  der  Blattorgane;  diese  mögen  wohl  grössten- 
theils  dadurch  bedingt  sein,  dass  die  Blüthen  sowohl  penta- 
als  auch  tetramer  angelegt  werden  ^  (natürlich  letzteres  weit 
seltener).  Diejenigen  Fälle,  welche  also  eine  Vermehrung  oder 
Verminderung  der  Blattorgane  zeigten  und  so  auf  eine  vor  sich 
gegangene  Spaltung  oder  Verwachsung  schliessen  Hessen, 
gaben  bei  unseren  Untersuchungen  das  geeignete  Material  ab. 

^  Vergl.  z.B.  Celakovsky  L.  in  Sitzungsber.  der  k.  böhm.  Gesellsch. 
der  Wissensch.  1894,  Nr.  III,  S.  85. 

2  Vergl.  auch  Eichler,  Blüthendiagramme,  I,  S.  266  (1875). 
Siub.  d.  mathem.-naturw.  Gl.;  CV.  Bd.,  Abth  I.  18 


272  G.  W.  Maly, 

Die  Methode  der  Untersuchung  erstreckte  sich  einerseits 
auf  die  mehr  makroskopischen  Verhältnisse  der  Blüthe  und 
Zeichnung  derselben  mittelst  Zeis'schen  Zeichenapparates; 
ferner  auf  die  Herstellung  von  Serienschnitten  von  dem  unteren 
Theil  der  CoroUenröhre  und  des  Kelches  durch  den  langen 
unterständigen  Fruchtknoten  bis  zum  Anfang  des  eigentlichen 
Blüthenstiels.  Die  Schnitte  wurden  in  einigen  Fällen  aus  freier 
Hand,  in  anderen  mittelst  Mikrotom  nach  vorangegangener 
Paraffineinbettung,  hergestellt  Bei  letzterer  bediente  ich  mich 
des  von  Koch  eingehend  beschriebenen  Verfahrens.^ 

Der  anatomische  Bau  der  normalen  Blüthe  von  Weigelia 
rosea  (Taf.  I,  Fig.  1  A, B)  ist  im  Allgemeinen  sehr  einfach;  Kelch 
und  Corolle  bestehen  je  aus  5  Blättern,  in  welche  je  ein  Gefass- 
bündel  eintritt;  zwischen  den  Corollenblättern  regelmässig  inter- 
polirt  stehen  5  Stamina.  Die  Blumenkronröhre  ist  ziemlich  lang, 
sie  geht  nach  unten  in  den  sehr  Hangen,  stielähnlichen,  unter- 
ständigen Fruchtknoten  über.    Die  Gefässbündel  des  Kelches 
und  der  Stamina  (Fig.  \A;S,K)  entspringen    aus  denselben 
Strängen  (Fig.  1  B;  K-hS);  diese  bilden  mit  denen  der  Corolle 
(Fig.  1  A,  B;  Co)  10  regelmässig  in  einen  Kreis  angeordnete  Ge- 
fässbündelstränge.  Diese  10  Bündel  sind  allein  an  der  Basis  der 
Kronenröhre  zu  finden.  Das  Gynoeceum  ist  zweiblätterig;  die 
zuführenden  Gefässbündel  verlaufen  getrennt  von  den  anderen. 
Die  anscheinend  regelmässige  Blüthe  bildet  einen  Übergang 
von  der  actinomorphen  zur  zygomorphen  Blüthe.  Zu  erkennen 
ist  die  Zygomorphie  an  einem  meist  etwas  grösser  entwickelten 
Blatte.  In  dieses  Blatt  treten  in  der  Regel  accessorische  Gefäss- 
bündel, die  sich,   im  Vergleiche  mit  den  anderen   seitlichen 
Nebengefässbündeln  der  CoroUenblätter,  ziemlich  tief  abzweigen 
und  seitlich  einstrahlen. 

Ich  will  nun  im  Folgenden  die  Beschreibung  einer  Anzahl 
abnormer  Blüthen,  die  ich  über  ihren  Gefässbündelverlauf  unter- 
sucht habe,  folgen  lassen  und  darzulegen  versuchen,  inwieweit 
ein  Zusammenhang  zwischen  dem  Gefässbündelverlauf  und  der 


1  Vergl.  Koch  L. :  Die  Paraffineinbettung  und  ihre  Verwendung  in  der 
Pflanzenanatomie.  Pringsheim's  Jahrb.  für  wissenschaftl.  Botanik,  XXI,  Heft 
Nr.  3,  1890. 


Verwachsungen  und  Spaltungen  von  Blumenblättern.  273 

Art  der  Abnormität  besteht.  Bei  den  bezüglichen  Beobachtungen 
haben  sich  zwei  Gruppen  von  Fällen  ergeben;  in  die  eine  sind 
die  Fälle  zu  stellen,  welche  sich  ohne  weiteres,  d.  h.  ohne  Zu- 
hilfenahme von  mehr  oder  weniger  gewagten  Annahmen  er- 
klären lassen,  die  dabei  in  unserem  Falle  die  wichtigsten  sind. 
In  die  zweite  Gruppe  sind  dann  die  Fälle  gebracht,  welche,  an 
und  für  sich  unklar,  sich  auf  Grund  der  in  der  Gruppe  ge- 
wonnenen thatsächlichen  Erfahrungen  erklären  lassen.  Sie  sind 
also  nur  insoferne  als  Belege  für  den  Werth  der  anatomischen 
Methode  zu  nehmen,  als  sie  zeigen,  dass  dieselbe  oft  eine  Er- 
klärung für  scheinbar  unverständliche  Fälle  abgibt. 

Erste  Gruppe. 

Blüthe  I  (Taf.  I,  Fig.  2  A,B.  Q  D).  Kelch  und  Corolle  vier- 
blätterig, 5  Stamina;  Kelch  wie  Corolle  besitzen  je  5  Gefäss- 
bündel.  Das  Blatt  der  Corolle,  in  das  zwei  Geiassbündel  ein- 
strahlen (Fig.  2  A,  a,  b),  ist  deutlich  gekerbt.  Die  Stamina  da- 
zwischen regelmässig  interpölirt;  in  der  Corollenröhre  10  Bündel 
(Fig.  2  B)\  der  fünfeckige  Kelchquerschnitt  zeigt  die  nahezu 
regelmässige  Anordnung  der  (inclusive  Kelch)  15  Bündel 
(Fig.  2  C),  die  durch  Vereinigung  des  Kelches  und  der  Stamina 
weiter  unten  auf  10  sich  reduciren  (Fig.  2  D)  und  so  auch 
getrennt  nach  abwärts  verlaufen.  Die  aus  dem  Gesammtaus- 
sehen  zu  entnehmende  Zurückführbarkeit  der  tetrameren 
Corolle  auf  die  Verwachsung  zweier  CoroUenblätter  findet  im 
Gefässbündel verlauf  ihre  Bestätigung;  mit  Verminderung 
der  Zahl  der  Organe  ist  keine  Verminderung  in  der 
Zahl  der  Gefässbündel  verbunden. 

Blüthe  II  (Fig.  3  A,  B,  Q  D,  E).  Dreiblätterige  Corolle  mit 
5  Hauptgefässbündeln  (Fig.  3  A)\  5  regelmässig  interpolirte 
Stamina;  der  dreiblätterige  Kelch  mit  einem  vierten  zarten, 
kleinen  Zipfel  enthält  vier  Gefässbündel  (Fig.  3  E).  Anordnung 
der  Bündel  im  Kelchquerschnitt  regelmässig  und  normal  bis 
auf  das  fehlende  des  Kelches  (Fig.  3  C);  weiter  unten  die  nor- 
male Zahl  von  10  Bündeln  (Fig.  3  D).  Die  Form  des  Quer- 
schnittes trotz  der  dreiblätterigen  Corolle  annähernd  fünfeckig. 
Dieser  Fall  ist  dem  ersten  sehr  ähnlich  und  bildet  nur  einen 
höheren  Grad  der  Verwachsung  von  Corollenblättern.   Auch  in 

18* 


274  G.  W.  Maly, 

diesem  Falle  hat  das  Verwachsen  von  Blättern  keinen 
Einfluss  auf  die  Zahl  der  Gefässbündel,  welche  die  ur- 
sprüngliche Zahl  der  Blüthentheile  noch  anzeigen. 

Blü the  III  (Fig.  4  A,  B,  C,  A  E,  F,  G).  Vierblätterige  Corolle, 
fünfspaltiger  Kelch,  5  Stamina;  jeder  dieser  drei  Kreise  von 
Blattorganen  erhält  5  Gefässbündel  in  regelmässiger  Anordnung 
(Fig.  4  A,  B).  Die  Verwachsung  von  zwei  Corollenblättern  zu 
einem  ist  wegen  der  starken  Kerbung  leicht  zu  erkennen.    Der 
Querschnitt  durch   die  Kronenröhre   zeigt  vollständig    regel- 
mässigen Bau;  10  Gefässbündel  im  Kreise  geordnet  (Fig.  4  B). 
Gegen  den  unteren  Theil  der  Kronenröhre  und  weiter  im  Frucht- 
knoten nähern  sich  zwei  Bündel  (Fig.  4  D,  E,  b,  c)  so  sehr,  dass 
sie  zu  einem  grösseren  verschmelzen   (Fig.  A  F,G{b  c]).     Die 
bedeutendere  Querschnittsfläche  dieses  Bündels  berechtigt  zu 
der  Annahme,  dass  es  sich  hier  nicht  um  eine  Spaltung  des 
Bündels,  sondern  um  den  anfänglich  vereinten  Verlauf  zweier 
Bündel  handelt.  Mit  dieser  wohl  richtigen  Annahme  haben  wir 
wieder  einen  der  Blüthe  I  analogen  Fall,  bei  dem  ohne  Ände- 
rung in  Zahl  und  Anordnung  der  Gefässbündel  eine 
Verwachsung  zweier  Corollenblätter  eintritt. 

Die  besprochenen  drei  Fälle  sind  Beispiele  von  Ver- 
wachsung von  Blattorganen,  die  aus  der  blossen  Beobachtung 
der  Thatsachen  deutlich  zu  ersehen  ist.  In  allen  Fällen  zeigte 
es  sich,  dass  die  Zahl  der  Gefässbündel  der  regel- 
mässigen CoroUe  entsprach,  dass  mithin  die  Ver- 
wachsung auf  die  erblich  festgehaltene  Anordnung 
der  Gefässbündel  keinen  Einfluss  hat. 

Reine  Spaltungen  von  Blüthentheilen,  die  sich  natürlich 
nur  an  mehr  als  fünfgliedrigen  Blüthen,  also  meist  an  sechs- 
blätterigen (siebenblätterige  sehr  selten  schon  und  von  com- 
plicirterem  Verhalten)  Blüthen  beobachten  lassen,  kommen 
nicht  häufig  vor.  Vielfach  zeigen  diese  Spaltungsfälle  mehr  oder 
weniger  unregelmässige  Verhältnisse,  die  sich  nur  unter  Zu- 
grundelegung verschiedener  Annahmen  erklären  lassen  und 
die  ich  daher  in  der  schon  erwähnten  zweiten  Gruppe  theil- 
weise  anführe. 

Blüthe  IV  (F^ig.  5  A,  B,  C,  D,E).  Sechsgliedrige  Blüthe; 
die  einzelnen  Glieder  der  drei  äusseren  Blattkreise  annähernd 


Verwachsungen  und  Spaltungen  von  Blumenblättern.  275 

gleich;  jeder  Blattkreis  erhält  sechs  Hauptgefässbündel(Fig.5>B). 
Am  Kelch  sind  zwei  Blätter  etwas  länger  miteinander  ver- 
wachsen. An  der  Blüthe  sind  zwei  Stamina  von  ihrem  An- 
heftungspunkt  an  der  CoroUe  aneinander  etwas  genähert,  so 
dass  das  Gefässbündel  zwischen  diesen  zum  entsprechenden 
Blatt  verlaufend,  gedeckt  wird,  hier  aber  noch  nicht  zur  Ver- 
einigung kommt  (vergl.  Fig.  5  -4,  die  Gefässbündel  a,  b,  c).  An 
den  obersten  Schnitten  sind  in  der  Corollenröhre  12  Gefäss- 
bündel enthalten  in  (bis  auf  die  zwei  genäherten  Bündel)  regel- 
mässiger Anordnung  (Fig.  5  B). 

Ein  wenig  tiefer,  aber  noch  bevor  die  Bündel  des  Kelches 
sich  mit  denen  der  Stamina  vereinigen,  treten  die  zwei  ge- 
näherten zu  einem  zusammen,  wodurch  eine  Reduction  auf  1 1 
stattfindet  (Fig.  5  C,  D,  a^b).  Erst  ziemlich  tief  unten  im  Faicht- 
knoten  findet  eine  abermalige  Vereinigung  zweier  Bündel  statt 
(Fig.  5  D,  E,  d,  e).  Somit  ist  man  auf  die  normale  Zahl  von  10 
gekommen;  dies  findet  doch  noch  oberhalb  der  Stelle  statt,  an 
der  sich  die  gesammten  Bündel  zu  einem  Fibrovasalring  ver- 
einigen. Aus  der  Untersuchung  dieses  Falles  geht  also  klar 
hervor,  dass  das  Entstehen  einer  sechsgliedrigen  Blüthe 
aus  einer  pentamer  angelegten,  durch  Spaltung  einzelner 
Glieder  sich  im  Gefässbündelverlauf  deutlich  aus- 
drückt. 

Blüthe  V  (Fig.  6  A,  B,  C,  D,  E,  F,  G),  Sechsspaltiger  Kelch; 
sechsblätterige  Corolle;  sechs  Staubgefässe,  von  denen  drei  mit 
dem  Griffel  eng  zu  einem  Bündel  verwachsen  sind,  an  welches 
sich  auch  die  anderen  Stamina  weiter  unten  theilweise  an- 
schliessen  (vergl.  Fig.  6  A,  und  B  ein  Schnitt  durch  den  unteren 
Theil  der  Corolle).  Die  ganze  Blüthe  ist  ziemlich  klein  und 
macht  den  Eindruck  vollständiger  Unregelmässigkeit,  die  sich 
aber  löst  bei  Untersuchung  von  Schnitten  durch  Kelch  und 
Fruchtknoten.  Bei  Fig.  6  C  ist  schon  annähernd,  bei  Fig.  6  D 
schon  vollständige  Ordnung  in  der  Anordnung  der  Gefässbündel 
eingetreten;  wir  finden  hier  12  Hauptgefässbündel,  nur  haben 
sich  an  drei  Ecken  des  sechseckigen  Querschnittes  die  Bündel 
der  Stamina  und  des  Kelches  noch  nicht  vollständig  vereinigt. 
Weiter  unten  in  Fig.  6  E  findet  eine  zur  Vereinigung  führende 
Näherung  der  Bündel  c  und  d  statt;  endlich  vereinigt  sich  nicht 


276  G.  W.  Maly, 

viel  oberhalb  des  Zusammentretens  sämmtlicher  Bündel  zum 
Fibrovasalring  (Fig.  6  F,  G)  das  Bündel  a  mit  dem  kleineren  b. 
Dieser  dem  vorhergehenden  ähnliche  Fall  zeigt  wieder,  dass 
aus  einer  fünfgliedrigen  Anlage  einer  Blüthe  durch  Spaltung 
eine  sechsgliedrige  entstehen  kann  und  sich  dies  im  Gefäss- 
bündelverlauf  deutlich  zu  erkennen  gibt.  Interessant  ist 
hier  auch  der  Befund,  dass  auch,  wie  aus  den  Querschnitten 
des  Gynoeceums  hervorgeht,  dieses  weiter  oben  aus  3  CarpeJI- 
blättern  (Fig.  6  F)  besteht,  während  unten  die  zwei  normalen 
sich  vorfinden  (Fig.  6  G).  Dies  spricht  dafür,  dass  in  diesem 
Falle  auch  die  Fruchtblätter  eine  Spaltung  aufweisen. 

Blüthe  VI  (P^ig.  7  A,  5,  C  A  E,  F,  G,  H,  I).  Dieser  F^all,  ein 
Beispiel  einer  multiplen  Spaltung,  gehört  eigentlich  schon  in  die 
zweite  Gruppe  nicht  so  klar  übersehbarer  Fälle;  er  wurde  nur 
mit   Berücksichtigung    des    Gefässbündelverlaufs    im     oberen 
Theil  der  Blüthe  und  im  Fruchtknoten  hierhergestellt.    Kelch 
fünfspaltig,  von  den  Zipfeln  zwei  länger  miteinander  verwachsen, 
erhält   aber   sechs   Hauptgefässbündel    nebst    einigen    acces- 
sorischen,  die  sich  nach  unten  bald  vereinigen.   Corolle  rein 
sechsblätterig  mit  sechs  regelmässig  interpolirten  Staubgefässen 
(Fig.  7  A),   Ein  Schnitt  durch   den  oberen  Theil  des  Kelches 
zeigt  in  diesem  und  der  Corollenröhre  das  Bild  einer  regel- 
mässigen sechsgliedrigen  Blüthe  (Fig.  7  B).  Weiter  unten,  wenn 
wir  die  Schnitte  von  oben  nach  unten  vorschreitend  ansehen, 
erfolgt  eine  mannigfaltige  Vereinigung  von  den  18  letztgebildeten 
Bündeln.  Diese  Vereinigung  findet  nicht  in  der  einfachen  Weise 
statt  wie  bei  den  beiden  früher  besprochenen  Fällen,  sondern 
es  treten  Verschiebungen  auf,  welche  eine  leichte  Übersicht 
schwer  machen.  Eine  eingehende  Schilderung  dieser  Vorgänge 
dürfte   aber  überflüssig  sein,  da  das  Wesentliche  leicht  aus 
einem  Vergleiche  der  Querschnitte  zu  entnehmen  ist  (Fig.  7  C, 
D,  E,  F,  G,  H),  Die  Bündel,  die  aus  der  Spaltung  eines  ent- 
standen sind,  wurden  mit  punktirten  Linien  umzogen,  um  die 
Übersicht  zu   erleichtern.   In  Fig.  7  /  endlich,   einen  Schnitt 
durch  den  Fruchtknoten,  zeigen  sich  8  Gefässbündel   (abge- 
sehen von  denjenigen  zweien,  welche  zu  den  Carpellblättern 
gehen),  welche  acht  sich  durch  den  ganzen  Fruchtknoten  herab 
bis  zum  Beginne  des  Stiels  verfolgen  lassen.  Es  liegt  also  hier, 


Venvachsungen  und  Spaltungen  von  Blumenblättern.  277 

wenn  man  (nur)  das  Anfangs-  und  Endresultat  der  Unter- 
suchung berücksichtigt,  ein  Beispiel  complicirter  Spaltungsvor- 
^änge  vor,  durch  welche  aus  einer  viergliedrigen  Anlage  eine 
sechsblätterige  Blüthe  sich  entwickelt.  Trotz  der  Complication 
ist  aber  der  Gesammtbau  aus  einer  Betrachtung  des  Gefäss- 
bündelverlaufes  im  untersten  und  obersten  Theil  der  Blüthe 
leicht  zu  enträthseln. 

Diese  angeführten  Fälle  zeigen,  dass  früh  eintretende 
Spaltungen  und  damit  Vermehrung  von  Blüthentheilen, 
nicht  zur  Anlage  einer  entsprechenden  vermehrten 
Zahl  getrennter  primärer  Gefässbündel  führen,  son- 
dern dass  auch  in  diesen  Fällen  die  der  betreffenden 
Blüthe  zukommende  Zahl  von  Gefässbündeln  fest- 
gehalten wird.  Eine  Vermehrung  in  der  Zahl  von  Blatt- 
organen wird  nur  durch  Spaltung  primärer,  wenn  auch  kurz 
nach  der  ersten  Anlage,  herbeigeführt. 

Im  Anschluss  an  die  im  Vorstehenden  besprochenen  Bei- 
spiele von  Verwachsung  und  Spaltung,  die  schon  bei  oberfläch- 
licher Betrachtung  der  Blüthe  ganz  offenbar  waren  und  daher 
zur  Prüfung  der  hier  behandelten  Frage  von  Werth  waren, 
möchte  ich  noch  einige  Fälle  anführen,  bei  welchen  die  vor- 
kommenden Abnormitäten  nicht  an  und  für  sich  leicht  ver- 
ständlich wären,  für  die  aber  mit  Zugrundelegung  der  im  Vor- 
stehenden gewonnenen  Resultate  und  Erfahrungen  eine  Er- 
klärung versucht  werden  soll,  da  die  Möglichkeit  des  Auffindens 
einer  befriedigenden  Erklärung  immerhin  auch  als  Beweis  für 
die  Verwendbarkeit  der  Methode  angesehen  werden  kann. 

Z^veite  Gruppe. 

Blüthe  VII  {Fig.  8  A,  B,  Q  D),  Kelch  und  Corolle  vier- 
blätterig; 4  Stamina  regelmässig  den  CoroUenblättern  interpolirt 
(Fig.  8-4).  Wenn  wir  die  Querschnitte  durch  die  Corolle  unter- 
suchen, so  finden  wir  zwei  getrennte,  den  übrigen  annähernd 
gleich  grosse  Gefässbündel  a,  b  für  das  eine  Staubgefäss 
(Fig.  8  B),  die  in  dieses  einstrahlen  und  auch  an  der  Blüthe  mit 
einfacher  Lupenvergrösserung  sichtbar  sind.  Die  übrigen  Ge- 
fässbündel sind  gemäss  der  Tetramerie  regelmässig  angeordnet 
und  die  Form  des  Querschnittes  viereckig  (Fig.  8  C).  Die  beiden 


278  G.  W.Mal y. 

erwähnten  Gefässbündel  a  und  b  vereinigen  sich  weiter  unten, 
so  dass  wir  im  Fruchtknoten  8  regelmässig  vertheilte  Bündet 
haben  (Fig.  8  D.) 

Was  für  einen  Schluss  kann  man  daraus  ziehen?  Die 
Blüthe  war  tetramer  angelegt;  das  Androeceum  aber  behielt  die 
erblich  festgehaltene  Pentamerie,  was  in  der  Weise  zum  Aus- 
druck kam,  dass  sich  ein  fünftes  Gefässbündel  des  inneren 
Kreises  abspaltete,  das  dazugehörige  Blattorgan  sich  aber 
wegen  Platzmangel  nicht  ausbilden  konnte  und  so  mit  dem 
ersteren  innig  verwuchs. 

Blüthe  VIII  (Fig.  9^5,  QD,E).  Kelch  und  Corolle  vier- 
blätterig; 5  Stamina,  von  welchen  zwei  ein  längeres  Stück  des 
freien  Theils  verwachsen  sind;  das  dazugehörige  Corollenblalt 
besitzt  zwei  Hauptgefässbündel  und  ist  am  Aussenrand  ein 
wenig  gekerbt  (Fig.  9  A).  Wie  aus  den  Querschnitten  (Fig.  9  Ä 
C,  D,  E)  zu  ersehen  ist,  entspringen  durch  Spaltung  die  zwei 
Bündel  des  Corollenblattes  a  und  b,  ferner  auch  das  des 
zwischen  ihnen  befindlichen  Stamens  c  aus  einem  gemein- 
schaftlichen Bündel  e  (Fig.  9  £;  a+^-t-^  =  e).  Auf  diese  Weise 
lässt  sich  die  ganze  Anlage  auf  eine  tetramere  zurückführen, 
mit  welcher  auch  die  Vierseitigkeit  des  letzten  Querschnittes 
übereinstimmt.  Dieser  Fall  ist  dem  vorher  beschriebenen  einiger- 
massen  analog;  es  hat  sich  hier  das  erbliche  Festhalten  an  der 
Pentamerie  auch  auf  die  Corolle  erstreckt  und  weiter  ausge- 
bildet (der  Kelch  ist  jedoch  vierspaltig  geblieben)  und  die 
wegen  Raummangel  folgende  Verwachsung  ist  nicht  so  innig 
geworden  wie  im  vorangehenden  Fall. 

Blüthe  IX  (Fig.  10^,5,  QD,E,F),  Corolle  vierblätterig: 
Kelch  fünfzipfelig;  vier  Staubgefässe.  In  das  eine  Corollenblatt, 
das  am  Rande  deutlich  gekerbt  ist,  laufen  zwei  Gefässbündel 
getrennt  ein.  Das  dazwischengehörige  Stamen  fehlt  (Fig.  10  A,B). 
An  den  Kelchschnitten  mangelt  dementsprechend  das  Gefäss- 
bündel für  dieses;  wohl  aber  ist  das  correspondirende  Kelch- 
bündel (Fig.  10  C,  r)  an  seinem  Platze  und  zu  beiden  Seiten  die 
zwei  des  Corollenblattes  a,  b.  Die  Anordnung  der  anderen 
Bündel  ist  regelmässig;  weiter  unten  die  normalen  10  Bündel 
(Fig.  10£),  von  denen  das  eine  (c),  nur  dem  Kelchblatt  ent- 
sprechend, bedeutend  schwächer  ist.    Es  kam  also  hier  wahr- 


Verwachsungen  und  Spaltungen  von  Blumenblättern.  279 

scheinlich  zur  Verwachsung  der  zwei  Corollenblätter  in  Folge 
des  Ausfalles  eines  Stamens  sammt  Gefässbündel  und  in  Folge 
des  dadurch  bedingten  Aneinanderrücken  der  ersten  Anlagen 
dieser  Corollenblätter. 

Versuche  ich  es  nun,  die  Resultate  der  im  Vorstehenden 
tnitgeth eilten  Untersuchungen  zu  präcisiren,  so  lauten  sie: 

1.  Der  Gefässbündelverlauf  ist  in  der  normalen 
Blüthe  von  Weigelia  rosea  ein  ganz  regelmässiger  und 
gleichbleibender.  Es  treten  in  die  Blüthe  so  viele 
Gefässbündel  ei n,  dassjedes  Glied  des  Kelch-CoroUen- 
Staubblattkreises  je  ein  Hauptgefässbündel  erhält; 
die  Staminal- und  Kelchbündel  verlaufen  eine  grosse 
Strecke  vereinigt. 

2.  Dieser  normale  Gefässbündel  verlauf  bleibt  auch 
in  solchen  Blüthene rh al te n,  indenen  durch  Spaltungen 
oder  Verwachsungen  Abweichungen  in  der  Zahl  der 
Blüthentheile  zu  Stande  kommen,  so  dass  derselbe 
Anhaltspunkte  zur  Beurtheilung  der  stattgehabten 
Veränderungen  abgibt. 


280  G.W.  Maly,  Verwachs,  und  Spalt,  von  Blumenblättern. 


Figuren-Erklärung. 


Die  mit  A  bezeichneten  Figuren  stellen  an  einer  Seite  aufgeschlitzte 
Corollen  von  Weigelia  rosea  dar.  Dieselben  wurden  bei  siebenfacher  Vergrösse- 
rung  nach  Behandlung  mit  Kalilauge  mittelst  des  Zeiss'schen  Zeichen- 
apparates gezeichnet  und  hierauf  auf  eine  Vergrösserung  von  l^!^  reducirt 
Durch  ununterbrochene  rothe  Linien  wurden  die  in  die  Staubblätter  verlaufenden 
Gefässbündel  gekennzeichnet,  unterbrochene  rothe  Linien  deuten  den  Gefass- 
bündelverlauf  in  den  Corollenblättern  an. 

Die  Figuren  B — I  zeigen  Querschnitte  durch  basale  TheUe  der  Blüthe 
der  mit  denselben  Nummern  versehenen  Corollen  in  absteigender  Folge.  Es 
wurden  aus  den  Querschnittserien  nur  einzelne  markante  Schnitte  zur  Darstel- 
lung ausgewählt.  —  K  bedeutet  in  allen  Fällen:  in  ein  Kelchblatt  verlaufendes 
Gefässbündel;  Co  =  Gefässbündel  eines  Corollenblattes ;  5  =  Gefässbündel 
eines  Staubblattes. 


G.W.Haly :  VerwadisuiigBRU.Spaltaiigen  von  Blumenblätteni 


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Sitzungsberichte  d. kais.  Akad.  d.  Wiss.,  math.-naturw.Qasse,  Bd.CV.  Abth.1. 1896. 


&  .W-Haily: Verwachsimgeii u  Spaltungen  von BlumenbläUem .  Taf.Il 


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Sitzungsberichte  d.kais.  Akad.  d.  Wiss.,  math.-naturw.Classe,  Bd.CV.  Abth  I.  1H96. 


281 


Ober  einige  Lathyrus -Arten  aus  der  Seetion 
Eulathyrus    und  ihre    geographische    Ver- 
breitung 

von 
stud.  phil.  August  Ginzberger. 

(Mit  1  Tafel,  2  Kartenskizzen  und  1  Textfigur.) 

Die  Artengruppe  des  Lathyrus  silvestris  L.  wurde  von 
jeher  als  die  typische  Seetion  der  Gattung  Lathyrus  betrachtet 
und  demgemäss  von  allen  Autoren,  die  überhaupt  den  Sections- 
namen  Eulathyrus  acceptirt  haben,  dieser  Gruppe  beigezählt, 
obwohl  im  Übrigen  der  Umfang  der  mit  dem  Namen  Eulathyrus 
bezeichneten  Artengruppe  bei  verschiedenen  Botanikern  ein 
sehr  verschiedener  ist.  Der  Name  Eulathyrus  findet  sich  zum 
erstenmale  in  De  Candolle*s*  Prodromus.  Seringe,  der 
Autor  des  Namens,  gibt  für  seinen  Eulathyrus  folgende  Merk- 
male an:  Vexillum  basi  edentatum;  foliola  opposita  vel  abortu 
nuUa;  petiolus  anguste  alatus.  In  diesem  Sinne  umfasst  Eula- 
thyrus  eine  sehr  grosse  Anzahl  von  Arten;  es  sei  hier  nur 
erwähnt,  dass  darunter  nicht  nur  ausdauernde,  sondern  auch 
einjährige  Arten  vorkommen. 

Viel  weniger  umfangreich  ist  Alefeld's*  Eulathyrus,  doch 
umfasst  auch  dieser  einige  einjährige  Arten  (z.  B.  Lathyrus 
annuus).  Nyman^  dagegen  versteht  unter  Eulathyri  nur  aus- 
dauernde Arten  mit  folgenden  Merkmalen:  Stylus  tortus  arcua- 
tusque,  inferne  tubulosus;  flores  magni  vel  majusculi.  Ungefähr 


J  Pars  II  (1825),  p.  369. 

-  Ȇber  Vicieen<  in  Bonplandia,  IX  (1861),  S.  150. 

3  Conspectus  flor.  Europ.,  p.  201. 


282  A.  Ginzberger, 

dieselben  Merkmale  gibt  Boissier^  für  Eulathyrus  an;  er  fügt 

aber  noch   hinzu:  vexillum  basi  non  callosum, petioli 

omnes  foliiferi.  Taubert  gibt  in  seiner  Bearbeitiyig  der  Legu- 
minosen in  »Engler  und  Prantl,  Natürliche  Pflanzenfamilien  ^- 
für  Eulathyrus  dieselben  Merkmale  an. 

Die  amerikanischen  Arten  der  Section  Eulathyrus  im  Sinne 
Nymans,  Boissier's  und  Taubert*s,  welche  alle  von  den 
europäisch-orientalischen  erheblich  abweichen,  habe  ich  von 
vornherein  ausgeschlossen;  keine  der  letzteren  kommt  zugleich 
in  Amerika  vor. 

Von  den  europäisch-orientalischen  Arten  blieben  zunächst 
zwei  unberücksichtigt,  bei  denen  der  Blattstiel  nicht  in  eine 
Wickelranke,  sondern  in  eine  oft  etwas  gekrümmte  Stachel - 
spitze  endigt;  es  sind  Lathyrus  roseus  Steven  und  Lathyrus 
nervosus  Boissier.  Auch  die  übrigen  Arten  mit  ungeflügelten, 
respective  sehr  schmal  geflügelten  Stengeln  {Lathyrus  tube- 
rosus  L.,  Lathyrus  grandißorus  Sibth.  und  Sm.)  wurden  aus- 
geschlossen. 

Die  sonach  verbleibenden  Arten  der  Section  Eulathyrus 
(im  Sinne  Nyman's,  Boi ssiers  und  Taubert's)  gehören  zur 
näheren  Verwandtschaft  des  Lathyrus  sylvestris  L.;  sie  allein 
sind  Gegenstand  der  vorliegenden  Arbeit.^  Es  sind  perennirende 
Pflanzen  mit  einem  vierkantigen  bis  rundlich  -  vierkantigen 
Stengel,  der  eine  mehr  oder  minder  stark  zickzackförmige 
Gestalt  erkennen  lässt;  derselbe  ist  namentlich  im  unteren 
Theile  der  Länge  nach  gerillt.  Er  ist  bei  den  meisten  Arten 
niederliegend  und  klettert  vermittelst  seiner  Ranken,  nur  bei 
Lathyrus  pulcher  Gay  ist  er  aufrecht.  Seine  Verästelung  ist 
wenigstens  im  oberen  und  mittleren  Theile  gering.  An  zwei 
gegenüberliegenden  Kanten  des  Stengels,  und  zwar  jenen,  an 
welchen  keine  Blätter  entspringen,  verläuft  je  ein  blattartiger 
Flügel,  welcher  gegen  den  unteren  Theil  des  Stengels  immer 
schmäler   wird  und    ganz    unten    verschwindet.    Die  Stengel- 


1  Flora  Orient.,  tom.  II,  p.  600. 
^  L.  c.  III,  3,  p.  354. 

3  Man  könnte  diese  Arlengruppe  mit  dem  Gesammtnamen  PUrygocladi 
bezeichnen. 


LaihyntS'  Arten  aus  der  Section  Enlathynis.  283 

tlügel  sind  übrigens  bei  den  verschiedenen  Arten  von  sehr 
verschiedener  Breite,  fehlen  aber  niemals  ganz.  Ihr  Rand  ist 
entweder  glatt  oder  mit  vereinzelten  bis  sehr  dicht  stehenden 
Zähnchen  besetzt,  auf  deren  Spitze  man  bisweilen  ein  feines 
Haar  bemerkt. 

Die  Blätter  sind   wechselständig.   Der   Blattstiel   ist  von 
seinem  Insertionspunkt  am  Stengel  an  bis  zum  ersten  Blättchen- 
paar jederseits  mit  einem  blattartigen  Flügel  besetzt,  welcher 
sich  im  übrigen  so  wie  der  Stengelflügel  verhält.  Er  liegt  stets 
in  der  Ebene  der  Blättchen.  Der  über  dem  letzten  Blättchen- 
paare   liegende  Theil  des  Blattstieles   ist   bei  den    untersten 
Blättern   in   eine   kurze   Spitze   verwandelt,    welche   bei   den 
nächst  höheren  in  eine  einfache  Ranke  übergeht.  Die  mittleren 
und    oberen    Blätter   tragen   an  der  Hauptranke  meist  1  —  2, 
seltener  3   Paare   von   Nebenranken,   welche   als    modificirte 
Blättchen  zu  betrachten  sind.  Wie  die  Nebenranken  sind  auch 
die    Blättchen,    welche    übrigens   an    allen    Blattstielen   vor- 
kommen, meist  gegenständig.  Normalerweise  stehen  an  einem 
Blattstiel  bei  den  meisten  Arten  nur  je  zwei  stets  ungestielte 
oder  sehr  kurz  gestielte  Blättchen,  nur  Lathyrns  heterophyllus 
L.  \xnd  Lathyrus  cirrhosns  Set  Inge  machen  davon  eine  Aus- 
nahme. Die  Blättchen  an  den  Seitenästen  sind  meist  erheblich 
kleiner  als  die  des  Hauptstammes,  pie  Gestalt  der  Blättchen 
ist  ausserordentlich  verschieden;  alle  Formen  von  lineal  bis 
fast  kreisrund  sind  vertreten.  Ein  Stachelspitzchen   ist  stets 
vorhanden.  Der  Rand  der  Blättchen  zeigt  niemals  irgendwelche 
Einschnitte.  Sehr  charakteristisch  ist  die  Nervatur  (siehe  Tafel, 
Fig.  1  —  7).  Bei  allen  Arten  mit  Ausnahme  von  Lathyrns  rotundi- 
folins  Willd.    und    zum   Theile    auch    Lathyrns    cirrhosns 
Seringe  sind  die  Blättchen  wenigstens  dreinervig  (Fig.  1—3), 
d.  h.  von  den  am  Grunde  des  Blättchens  entspringenden  Nerven 
sind  wenigstens  die  zwei  dem  Mittelnerv  benachbarten  so  stark 
als  dieser  und  laufen,  ohne  Schlingen  zu  bilden,  also  ohne  von 
ihrer  Richtung  abzuweichen,  bis  zur  Spitze  des  Blättchens,  in 
welcher  sie  endigen;  nur  ganz  nahe  der  Spitze  bilden  sie  öfter 
eine  oder  zwei  schwache  Schlingen.  Im  ganzen  laufen  5  bis 
9  Nerven  der  Länge  nach  durch  das  Blättchen,  aber  nur  die 
drei  mittleren  haben  die  eben  erwähnten  Eigenschaften;  nament- 


284  A.  Ginzberger, 

lieh  gilt  letzteres  für  breite  Blättchen  (Fig.  3),  während  in 
schmalen  Blättchen  auch  die  übrigen  Nerven  ohne  Schlingen- 
bildung die  Spitze  erreichen  (Fig.  1,  2).  Zwischen  den  Läng^s- 
nerven  ist  ein  ziemlich  dichtes  Adernetz  ausgebreitet.  Mit 
Rücksicht  auf  das  etwas  abweichende  Verhalten  der  beiden 
oben  genannten  Arten  Lathyrus  roiundifolius  Willd.  und 
cirrhosus  S  e  r  i  n  g  e  muss  hier  kurz  auf  die  Nervatur  der 
Blättchen  des  Lathyrus  tuberosus  L.  und  grandiflorus  Sibth. 
et  Smith  eingegangen  werden  (Fig.  4,  5).  Dieselben  sind  im 
Gegensatze  zu  jenen  der  übrigen  Arten  entschieden  als  ein- 
nervig zu  bezeichnen.  Die  zwei  ersten  Seitennerven  ent- 
springen zwar  auch  fast  immer  am  Grunde  des  Blättchens, 
sind  aber  nie  .so  stark  wie  der  Mittelnerv  und  bilden  überdies 
schon  im  ersten  Drittel  oder  in  der  ersten  Hälfte  des  Blättchens 
grosse  Schlingen.  Lathyrus  rotundifolius  Willd.  nun  nimmt 
bezüglich  der  Nervatur  eine  intermediäre  Stellung  ein  (Fig.  6). 
Bei  dieser  Art  nähern  sich  die  Seitennerven  bezüglich  ihrer 
Stärke  dem  Mittelnerv  zwar  mehr,  als  dies  bei  Lathyrus  tube- 
rosus L.  und  grandiflorus  Sibth.  et  Smith  der  Fall  ist,  zeigen 
aber  in  der  zweiten  Hälfte  des  Blättchens  deutliche  Schlingen- 
bildung; daher  erscheinen  die  Blättchen  grösstentheils  ein- 
nervig. Minder  ausgesprochen  und  nicht  immer  findet  man 
dieses  intermediäre  Verhalten  bei  Lathyrus  cirrhosus  Se ringe 
(Fig.  7). 

Die  Nebenblätter  sind  stets  vorhanden  und  immer  halb- 
pfeilförmig.  Beide  Theile  des  Nebenblattes  sind  zugespitzt, 
übrigens  von  sehr  verschiedener  Gestalt;  an  ihrer  Grenze,  der 
Insertionsstelle  gegenüber  steht  oft  ein  kurzer  Zahn.  Der  nach 
vorne  (oben)  gerichtete  Theil  des  Nebenblattes  ist  stets  länger 
und  breiter  als  der  andere. 

Bei  allen  Arten  sah  ich  bei  Betrachtung  mit  der  Lupe  die 
Blättchen,  namentlich  an  der  Oberseite,  bei  einigen  auch  die 
anderen  blattartig  entwickelten  Organe  (Flügel,  Nebenblätter) 
dicht  besäet  mit  helleren,  fast  weisslichen  Punkten,  eine  Er- 
scheinung, die  auf  die  sehr  lockere,  grosslückige  Beschaffenheit 
des  Mesophylls  zurückzuführen  ist. 

Die  Blüthen  stehen  in  einseitswendigen,  blattwinkelstän- 
digen  Trauben,  welche   sich   vornehmlich    am  Hauptstamme 


Laihy ms -Arten  aus  der  Section  Eulathynts.  285 

finden.  Die  Blüthenstiele  sind  rund  und  fein  gerillt.  Mindestens 
die  untere  Hälfte  jedes  Blüthenstiels  ist  frei  von  Blüthen.  Die 
Blüthenstielchen  sind  durch  schmal-lanzettliche  bis  borstliche 
Bracteen  gestützt,  welche  zuweilen  sehr  kurz  sind.  Die  Blüthen 
stehen  oft  zu  zweien  dicht  neben  einander.  Die  Zahl  der  an 
einem  Blüthenstiele  stehenden  Blüthen  ist  niemals  kleiner  als 
zwei;  die  grösste  beobachtete  Blüthenzahl  war  16. 

Die  Kelchzähne  sind  stets  mehr  oder  weniger  ungleich; 
die  oberen  sind  am  kürzesten,  der  untere  am  längsten. 

Die  Farbe  der  Blumenkrone  ist  nie  gelb  o'der  gelblich, 
sondern  enthält  verschiedene  Nuancen  von  Roth,  bei  manchen 
.Arten  mit  starker  Beimengung  von  Grün.  Übrigens  ist  aus  den 
Herbarexemplaren  bezüglich  der  Blüthenfarbe  kaum  etwas 
zu  erkennen. 

Der  Griffel  ist  stets  stärker  oder  schwächer  gekrümmt,  und 
zwar  einfach,  seltener  S-förmig.  Auf  der  flachen  Oberseite  der 
Spitze  ist  er  gebartet  (Fig.  8);  da  er  jedoch  um  seine  Axe 
gedreht  ist,  so  ist  die  gehärtete  Seite,  wenn  man  die  in  ihrer 
natürlichen  Lage  befindliche  Blüthe  von  vorne  betrachtet,  nach 
links  gewendet.  Der  Griffel  bleibt  auch  noch  nach  dem  Ver- 
blühen stehen  und  fehlt  erst  an  reifen  Hülsen  in  den  meisten 
Fällen.  Dabei  ändert  er  seine  Lage  zu  den  Hülsen  in  auffälliger 
Weise.  Denn  während  er  an  noch  jungen  Früchten  nach  auf- 
wärts gerichtet  ist  und  mit  der  Axe  derselben  beiläufig  einen 
rechten  Winkel  einschUesst,  ist  er  an  mittelgrossen  gerade 
vorgestreckt,  bei  erwachsenen  nach  abwärts  gerichtet. 

Die  reifen  Hülsen  sind  länglich,  mehrmals  länger  als  breit 
und  haben  entweder  gerade  und  parallele  Ränder  oder  sind 
nach  vorne  verbreitert.  Auch  können  die  Ränder  etwas  ge- 
schwungen sein.  Die  Hülsen  sind  mehr  oder  weniger  stark 
seitlich  zusammengedrückt,  stets  vollkommen  kahl  und  stärker 
oder  schwächer  erhaben  netzaderig.  Am  Grunde  sind  sie 
bleibend  vom  Kelche  umschlossen,  am  Ende  aber  von  einer 
etwas  gekrümmten  Spitze,  dem  Reste  des  abgefallenen  Griffels, 
gekrönt.  Längs  der  Rückennath  verläuft  zwischen  zwei  Längs- 
nerven eine  ziemUch  hohe,  am  Rande  oft  schwach  wellig  ge- 
zähnte Längsleiste.  Beim  Aufspringen  dreht  sich  jede  der 
beiden  Hälften  der  Hülse  schraubig  zusammen. 


286  A.  Ginzberger, 

Die  Samen  sind  Von  verschiedener  Grösse.  Die  Gestalt  ist 
kugelig,  walziich  oder  seitlich  zusammengedrückt,  die  Farbe 
braun  bis  schwarz.  Die  Oberfläche  ist  von  gröberen  oder 
feineren,  bisweilen  mit  freiem  Auge  nur  undeutlich  sichtbaren, 
stumpfen  Wülsten  dicht  bedeckt.  Der  Samennabel  ist  lineal, 
von  weisser  Farbe  und  im  Verhältniss  zum  Umfang  des  Samens 
von  verschiedener  Grösse. 

Sämmtliche  hier  behandelte  Arten  machen  auf  den  ersten 
Blick  den  Eindruck  ganz  kahler  Pflanzen;  erst   bei  näherer 
Betrachtung*  bemerkt   man   an   verschiedenen  Organen,    vor- 
nehmlich an  den  Spitzen  der  noch  unentwickelten  Blüthen- 
stiele  kurze  einzellige  Haare.  Auch  der  Saum  des  Kelches   ist 
meistens  flaumig  bis  kurzwimperig.  Ausser  den  Haaren  findet 
man  noch  bei  einem  Theil  der  Arten  an  verschiedenen  Organen, 
namentlich  Blättchen   und  Fruchtknoten,  sehr  kleine  braune 
Drüsen,  die  ohne  Lupe  selten  zu  sehen  sind  (Fig.  9 — 11).    Sie 
erzeugen  eine  feine,  mehr  oder  minder  dichte,  hellbraune   bis 
fast  schwarze  Punktirung  des  Organes,  welches  sie  trägt.   Bei 
Betrachtung  unter  dem  Mikroskop  erweisen  sich  diese  Drüsen 
als  keulenförmige  Trichome,  die  aus  einer  kurzen,  farblosen 
Stielzelle    und    zwei    umfangreicheren,   mit    einem    hell-    bis 
dunkelbraunen   Inhalt   —    häufig   zerfällt   derselbe    in    einen 
helleren  und  einen  dunklen  Theil  —  erfüllten  Zellen  bestehen. 
Trichome   von   ähnlicher  Beschaffenheit   hat   Fritsch^    bei 
einigen  gelbblühenden  Orobus-Arten  nachgewiesen;  dieselben 
haben  also  möglicherweise   unter  den  Vicieen   eine   weitere 
Verbreitung. 

Bevor  ich  zur  Schilderung  der  einzelnen  Arten  übergehe, 
möchte  ich  einige  von  mir  beobachtete  Fälle  von  Bildungs- 
abweichungen anführen.  Die  meisten  derselben  beziehen  sich 
auf  die  Umwandlung  von  Blättchen  in  Ranken  und  umgekehrt. 
Pen  zig  2  erwähnt  diese  Erscheinung  nur  von  L.  silvestris;  ich 
konnte  dieselbe  bei  anderen  Arten  constatiren.  In  einigen 
Fällen  (L.  pulcher,  heterophyllus,  cirrhosus)  ist  an  Stelle  eines 


1  ȟber  einige  Orobus-Kvien  und  ihre  geographische  V^erbreitung.  Ser.  I. 
Lutei.«  Diese  Sitzungsberichte,  Bd.  CIV,  Abth.  I,  Mai  1895,  S.  493. 

2  Ptlanzen-Teratologie,  Bd.  I,  S.  399. 


Lathyrus- Arien  aus  der  Section  Eulathyrtts.  287 

Blättchens  hie  und  da  eine  Ranke  ausgebildet,  und  zwar  ent- 
weder in  der  Weise,  dass  die  beiden  zu  einem  Paare  gehörigen 
Blättchen  in  Ranken  verwandelt  sind  (L,  heterophylhis  var.  tmi- 
jiigns)  oder  nur   eines   derselben  (L,  heterophylhis,  pnlcher, 
cirrhosiis).  In  letzterem  Falle  steht  also  einem  Blättchen  eine 
Ranke  gegenüber,  und  die  Zahl  der  Blättchen  ist  eine  ungerade. 
Ebenso  kann  bei  Arten,  die  gewöhnlich  nur  zwei  Blättchen 
haben,  eine  oder  zwei  Seitenranken  in  Blättchen  verwandelt 
sein  (L.  megalanthtis  vom  äar-Dagh,  L.  pulcher,  angustifolius). 
Zwischen  den  normal   entwickelten   Ranken  einer-  und   den 
Blättchen  anderseits  gibt  es  verschiedene  Übergänge.  Zuweilen 
endigt  der  über  die  Spitze  eines  sonst  normalen  Blättchens 
verlängerte  Mittelnerv  in  eine  kurze,  spiralig  eingerollte  Ranke 
(L.  silvestris,   L,  cirrhosus,  L.  pulcher,   L.  megalanthus  vom 
Sar-Dagh  [Fig.  12]);  bei  einem  Exemplar  von  L.  heterophyllus 
var.  unijugus  (Klädesholm)  fand  ich  eine  Ranke,  welche  auf 
der  einen  Seite  eine  halbe  Blattspreite  trug  (Fig.  13).   über- 
zählige Blättchen  sind  meist  sehr  schmal  (L.  heterophyllus)^ 
bei  L,  cirrhosus  fand  ich  sie  ziemlich  stark  gekrümmt.  Ab- 
weichungen von  der  gegenständigen  Stellung  der  Blättchen 
und  Seitenranken  traf  ich  bei  L.  heterophyllus  an;  auch  fehlte 
hier  von  den  zwei  Seitenranken  eines  Paares  die  eine  bisweilen 
gänzlich. 

Bei  dem  schon  mehrfach  erwähnten  L.  megalanthus  vom 
Sar-Dagh  fand  ich  ein  Blatt,  dessen  eines  Nebenblatt  viel 
kleiner  war  als  die  übrigen,  auch  eine  andere  Gestalt  hatte 
(Fig.  14).  Ein  anderes  Blatt  desselben  Exemplares  hatte  zwei 
solcher  kleinerer  Nebenblätter.  Bei  einem  Exemplar  von  L. 
pnrpureus  (Auch;  hb.  Keck)  ist  der  nach  rückwärts  gerichtete 
Theil  bei  mehreren  Nebenblättern  in  zwei,  bei  einem  sogar  in 
drei  spitze,  schmale  Zipfel  gespalten,  bei  einem  anderen  der- 
selben Art  (Lyon,  hb.  Z.)  der  vordere  Theil  in  einen  grösseren 
und  einen  kleineren  Zipfel  getheilt.  Den  Zahn  an  der  Grenze 
des  vorderen  und  hinteren  Theiles  des  Nebenblattes  fand  ich 
an  einem  Exemplar  von  L.  heterophyllus  (Cortina,  hb.  K.)  statt 
einfach  doppelt. 


Sitzb.  d.  maüiem.-naturw.  Gl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  19 


288  A.  Ginzberger, 

Lathyrus  silvestris  Linne,  sp.pl.,  ed. I  (1753),  tom.  II,  p.  733: 

non  Desfontaines,  Fl.  Atlantica  (1800).  tom.  II,  p.  161; 
non  Moris,  FI.  Sardoa  (1837),  tom.  I,  p.  679; 
non  Gussone,  Fl.  Siculae  prodr.  (1843),  tom.  11,  p.  415; 
non  Munby,  Flore  d'Algerie,  ed.  II  (1847),  p.  78; 
non  Visiani,  Fl.  Dalmat.  (1852),  vol.  III,  p.  329; 
non  Tornabene,  FL  Sicula  (1887),  p.  220. 
Sy n.  L.  variegaiusGiXihtvi,  Exercitia  phytolog.,  vol.  I,  plant.  Lithuan.  (1792), 

p.  260. 

non  Host,  Fl.  Austr.  (1827),  tom.  II,  p.  327; 

non  Grenier  et  Godron,  Flore  de  France  (1848),  tom.  I,  p.  485. 
L.  silvestris  var.  ß)  oblongus  Seringe,  in  DeCandolle,  Prodr.,  pars  II 

(1825),  p.  369. 
L.  silvestris  var.  a)  angustifolius  Reichenbach,  Fl.  Germ.  exe.  (1830 

bis  1832),  p.535;  Neilreich,  Fl.  v. Niederösterreich  (1859),  p.  967. 
L.  silvestris  a)  genuinus  Grenier  et  Godron,  Flore  de  France  (1848), 

tom.  I,  p.  483. 
L.  silvestris  und  var.  1.  vulgaris  und  2.  ensifolins  A.\t{t\d  in  Bonplandia, 

IX  (1861),  p.  153. 
L.  silvestris  var.  a)  typicus  Beck,  Fl.  v.  Niederösterreich  (1892),  2,1, 

p.  884. 
Icones.  Flor.  Danica,  Heft6  (1767),  tab.  325. —  English  botany,  vol.  III 

(1864),  tab.  402. 

Varietäten. 

a)  L.  silvestris  var.  platyphyllus  Retzius,  Flor.  Scandin.  prodr.,    ed.  II 

(1795),  p.  170;  sine  descriptione; 
non  L.  platyphyllus  Gouault  in  Revue  horticode,  scr.  IV,  tom.  III  (1854), 

p.  321. 
Syn.  L.  silvestris  var.  angustifolius  Schkuhr,  Botan.  Handbuch  (1796),  II, 

S.  355; 
L.  silvestris  var.  ß)  latifoUus  Grenier  et  Godron,  Flore  de  France, 

(1848),  tom.  I,  p.  483. 
X.  silvestris  var.  ß)  intermedius  La  motte,  Prodr.  de  la  flore  du  plateau 

central  de  la  France  (1877),  tom.  I,  p.  224. 
Icones.  Rivinus.  Introd.  in  rem  herb.  (1690),  2.  Theil,  Tab.  39;  als  L.  syl- 

vaiicus. 
Flor.  Danica,  Heft  14  (1780),  Tab.  785. 

b)  L.  silvestris  var.  tiroliensis  mihi.i 


1  Hieher  gehört  wohl  auch  Lathyrus  silvestris  var.  ensifolius  Buek,  nach 
Prof.  Aschersons  schriftlicher  Mittheilung  ein  Herbamame,  der  durch 
G  a  r  c  k  e  s  Flora  von  Nord-  und  Mitteldeutschland  in  die  Öffentlichkeit 
gelangte  und  sich  schon  in  der  4.  Auflage  (1858)  des  genannten  Werkes, 
vielleicht  aber  auch  schon  in  einer  früheren  findet. 


Laihyrtts -Arien  s^us  der  Section  Eulathyrus.  289 

S y n .  L,  silvestris  a)  cnsifolius  Seringe  in  De  Candolle,  Prodr.,  vol.  II 
(1825),  p.  369;  excl.  synon. 
L.  ^iwi/o/iM5  Reiche nbach,  Fl.  German.  excurs.  (1830—1832),  p.  535; 

z.  Th.; 
non  Badarö. 

Flügel  des  Stengels^  jederseits  IV2 — 4  {ß,d>y  mm 
breit,  die  der  Blattstiele^  2— 3mal  schmäler,  V2—IV2 
(2,  3)^  ntm  breit;  die  Zähnchen  an  denselben  meist  spärlich 
und  entfernt,  seltener  dicht  stehend  oder  ganz  fehlend. 

Blättchen^  lanzettlich  bis  lineal-lanzettlich,  (48)^ 
60—130  (140)  wm  lang,  (Sy^)  5—22  (45)  mm  breit,  (3)  6  bis 
IBmal  länger  als  breit,  zwischen  dem  ersten  Drittel  und  der 
Mitte  am  breitesten;  von  da  nach  der  Spitze  zu  entweder  so 
verschmälert,  dass  das  Blättchen  an  der  Spitze  nicht  zu- 
sammengezogen ist  und  das  Stachelspitzchen  nicht 
abgesetzt  erscheint,  oder  so,  dass  das  Blättchen 
vorne  etwas  zusammengezogen  und  das  Spitzchen 
deutlich  abgesetzt  ist.  Die  erstgenannte  Blattform  findet 
sich  mehr  bei  den  breiteren,  die  zweite  mehr  bei  den  schmäleren 
Blättchen;  bisweilen  trifflt  man  beide  Blattformen  an  einem 
Exemplar  an.  Farbe  oben  grasgrün,  unten  blasser  bis  bläu- 
lichgrün. 

Der  vordere  Theil  der  Nebenblätter^  schmal  lanzett- 
lich, 7—20  (24)  wf»  lang,  1  — 2V2  {Sy^)mm  breit,  vielmal 
schmäler  als  der  Stengel  sammt  den  Flügeln;  der  zu- 
gehörige Blattstiel^  V/^—4^/^mei\  so  lang,  selten  ebensolang. 
Blüthenstiele^  meist  etwas  kürzer,  so  lang  oder 
wenig  länger  (nur  manchmal  bis  über  zweimal  so  lang)  als 
der  zugehörige  Blattstiel  sammt  Blättchen,*  4  — 10- 
blüthig. 

1  Die  Masse  der  Flügel,  Blättchen  und  Nebenblätter  beziehen  sich  stets 
auf  den  mittleren  Theil  des  Stengels,  etwa  in  der  Gegend  der  untersten  Blüthen- 
stiele  und  etwas  tiefer. 

^  Eingeklammerte  Zahlen  bedeuten  (meist  vereinzelte)  Masse,  die  von 
den  für  die  überwiegende  Mehrzahl  der  Fälle  geltenden  Massen  erheblich 
abweichen,  also  in  die  Grenzen  einbezogen  ein  falsches  Bild  der  Grösse  des 
Organs  ergeben  würden. 

5  Selbstverständlich  stets  ohne  die  Ranke. 

■*  Gemessen,  wenn  alle  oder  die  meisten  Blüthen  aufgeblüht  sind. 

^  So  gemessen,  dass  das  Blättchen  die  Verlängerung  des  Blattstiels  bildet. 

19* 


290  A.  Ginzberger, 

Bracteen  sehr  kurz  bis  fast  so  lang  als  das  Blüthen- 
stielchen. 

Blüthen  14  — 18  w/fH  lang.^ 

Kelchzähne  (Fig.  15)  durch  runde  breite  Buchten 
von  einander  getrennt,  die  beiden  oberen  kurz  dreieckig, 
mit  öfter  gekrümmten  Spitzen;  die  übrigen  Kelchzähne 
pfriemlich;  die  beiden  mittleren  circa  IVgnial  so  lang 
als  die  oberen,  kaum  länger  bis  über  IVs^^al  so  lang  als 
breit;  der  untere  Zahn  etwas  länger  als  die  mittleren 
und  meist  etwas  kürzer,  seltener  etwas  länger  als 
die  Kelchröhre.2'* 

Griffel  stark  gebogen,  an  der  Spitze  kaum  erweitert. 

Reife  Hülsen  55 — 60mm  lang  und  8  — 10  mm  hoch. 

Samen  fast  kugelig,  ellipsoidisch  oder  walzlich,  ziemlich 
fein  bis  ziemlich  grob  g'erunzelt,  braun  bis  braunschwarz, 
4  — 5V2WW1  lang.  Nabel  die  Ober-  und  einen  grossen 
Theil  der  Hinter-,  bisweilen  auch  ein  kleines  Stück 
der  Vorderseite  des  Samens,  also  circa  V2  ^^^  ^^' 
fanges  desselben  einnehrhend.* 


^^r^Th"''"-!!?"''"         Kelchzahns. 
c  =  Breite  des  mittleren     ^ 


1  Stets  wurden  vollkommen  aufgeblühte  Blüthen  gemessen,  und  zwar 
die  Dimension  vom  Grunde  des  Kelches  bis  zum  Mittelpunkt  der  vorderen 
Rundung  der  dachförmig  zusammengelegten  Fahne. 

2  Die  Art,  wie  die  Theile  des  Kelches  gemessen  wurden,  ergibt  sich  aus 
nebenstehender  schematischer  Figur. 

a  =  Länge  des  oberen       \ 

d  =  Länge  des  unteren      ) 
e  =  Länge  der  Kelchröhre. 

Besonders  zu  beachten  ist,  dass  a  stets  vom 
Grunde  der  Bucht  zwischen  den  beiden  oberen 
Kelchzähnen  gemessen  wurde ;  dieser  liegt  nämlich 
höher  als  derjenige  der  Bucht  zwischen  den  oberen 
und  mittleren  Zähnen.  Femer  wurde  unter  Breite 
eines  Kelchzahnes  die  Entfernung  der  tiefsten 
Punkte  der  beiden  ihn  begrenzenden  Buchten  verstanden. 

3  Bei  dem  Exemplar  von  Strömstad,  welches  sich  durch  ausserordent- 
liche Üppigkeit  auszeichnet,  ist  der  untere  Kelchzahn  {"^j^—Vj^vmX  so  lang 
als  die  Röhre. 

•*  Der  Ausdruck  > Oberseite«  bedarf  keiner  Erklärung.  Mit  Vorder-,  respec- 
tive  Hinterseite  bezeichne  ich  mit  Alefeld  jene  Seite  des  Samens,  welche 
der  Spitze,  respective  dem  Grunde  der  Hülse  zugekehrt  ist. 


Lathynts -Arten  aus  der  Section  Eulathyrus.  291 

Über  die  Behaarung  siehe  unter  Lathyrus  pyrenaicus 
Jord  (S.25). 

Verbreitungsgebiet.  ^ 

Europa  von  West-Frankreich  und  England  bis  nach  Sieben- 
bürgen und  zur  oberen  Wolga,  und  vom  mittleren  Schweden 
und  der  Newa  bis  ins  südliche  Serbien,  nach  Triest  und  dem 
Nordwesten  Spaniens. 

Standortsverzeichniss.2 

I.  Spanien.  Cangas  de  Tineo,  in    sepibus  et    dumetis. 
(Durieu,    Plant,   select.   Hispan.  —  Lusitan.,   sect.   I   [1835], 
Asturicae,  No.  364;  als  L.  silvestris  L.  var.  pancißora;  hb.  B.).  — 
:<  Ad  vias  inter  Salos(?)  et  Cangas  de  Tineo  (hb.  B.).  —  X  Pyre 
naeae  occidentales  (Bentham;  hb.  B.). 

II.  Frankreich.  Basses -Pyrenees:  Dunes  d'Anglet,  pres 
de  la  Barre  de  TAdour  (Blanchet  in  Magnier,  Flor,  select. 
exsicc,  No  240;  hb.  H.,  hb.  M.,  hb.  U.).  —  Blanquefort,  Gironde; 
ad  aggeres  paludum  (Delbos;  hb.  Z.).  —  Vendee  (ex  herb. 
Delaunay;  hb.  M.).  —  f  S.  Efflam;  Cotes  du  Nord,  Bretagne 
(Miciol;  hb.  H.).  —  X  Loire,  bei  Veauche  (Basson;  hb.  H.). — 
t  Marmagne,  dep.  Cher;  bois  (hb.  B.;  Bore  au,  hb.  K.);  terrains 
tertiaires,  argiles  ä  silex  (Deseglise  in  Billot,  Fl.  exsicc.  Call, 
et  Germ.,  No  1466;  hb.  B.).  —  f  Bois  d'Holnon,  dep.  Aisne 
(Magnier,  Plant.  Gall.  et  Belg.;  hb.  U.).  —  Environs  de  Cha- 
mounix  (hb.  Keck^). 

III.  Schweiz.  Genthod  am  Genfer  See  (hb.  B). —  Bovernier, 
Wallis  (Chevenard;  hb.  H.). 

IV.  England.  Bei  Oxford  (ex  herb.  Oxon.,  No  402;  hb.  U.). 
-  Insel  Wight  (Salter;  hb.  M.). 


1  Nur  nach  den  von  mir  selbst  gesehenen  Exemplaren  zusammengestellt. 

2  Abkürzungen:  hb.  B.  =  Herbar  Boissier  (Genf);  hb.  H.  =  Herbar 
Halacsy  (Wien);  hb.  K.  =  Herbar  Kerner  (Wien);  hb.  M.  =  Herbar  des 
k.  k.  naturhistorischen  Hofmuseums  (Wien) ;  hb.  P.  =  Herbar  des  botanischen 
Institutes  der  deutschen  k.  k.  Universität  (Prag) ;  hb.  S.  =  Herbar  des  bosni- 
schen Landesmuseums  (Sarajevo);  hb.  Tr.  =  Herbat  des  civico  museo  (Triest); 
hb.  U.  =  Herbar  des  botanischen  Museums  der  k.k.  Universität  (Wien);  hb.  Z. 
=  Herbare  der  k.  k.  zoologisch-botanischen  Gesellschaft  (Wien). 

3  In  Wien  befindlich. 


292  A.  Ginzberger, 

V.  Scandinavien  und  Ostee -Inseln.  Helsingör  (Stern- 
berg; hb.  M.).  —  t  Scania  (Lind;  hb.  Z.);  Kuttaberg,  montes 
(Lidforss  in  coli.  fl.  Suecic.  der  »Linnaea«;  hb.  H.  —  Vestro- 
gothia,  Scania  (Andersson;  hb.  M.).  —  f  Göteborg,  St\Ts6 
(VVinslow;  hb.  M.).  —  f  Strömstad  (Neumann;  hb.  H.).  — 
f  Salem.s  soeben:  pä  Kuggelbode  holme,  Mälaren  (Wertberg; 
hb.  M.).  —  Uplandia  (Andersson;  hb.  K.). 

VI.  Deutsches   Reich  und  Sudetenländer,  f   Rhein- 
land, Thiergarten  bei   Blankenheim   (Arspissen;  hb.  H.)-  — 
Bonn,  Wälder  (hb.  M.).  —  Wetterau  (hb.  Z.).  —  München,  in 
umbrosis  (Zuccarini;  hb.  Keck).  —  In  saxosis  möntosis,  inter 
frutices  versus  Maling  et  Tegrheim  (hb.  M.).  —  Rosenthal   bei 
Jena  (Bogenhard;  hb.  M.).  —  Fliegenthal  bei  Wiche  (Oertel, 
Flor.Thuring.,  hb.  M.).  —  f  2.  Th.^  Leipzig  (Binder;  hb.  M.).  — 
Flora  von  Chemnitz:  f  Göhren  an  der  Mulde;  f  Schlossberg- 
bei  Sachsenburg  (Weicker;  hb.  M.).  —  f  Tharand  (hb.  M.)-  — 
Flora  von  Dresden:  f  Schiott witz  und  Gipfel  des  Präbenden- 
berges.  Gross- Cottaer  Spitzberg,  Hengstberg,  Rodeberger  Haide 
(hb.  M.).  —  t  Hartensteiner  Wald,  Erzgebirge  (Wanckel;  hb. 
M.).  —  +  Karlsbad  (hb.  P.).  —  Aussig,  Buschberge  (hb.  M.).-  — 
Tetschen  (Malnicky;  hb. Z.).  —  Prag:  X  Wälder  um  Bechovic 
(Polak;  hb.  H.);  Eisenbahndamm   im   Fiederholz  (A.  Reuss; 
hb.  M.);  Scharka  (hb.  P.).  —  In  silvis  ad  Aupam  fluvium  prope 
Ratebofice   (Fleischer;   hb.  M.).    —   f  Trockene   Stellen    in 
Waldungen  um  den  Hohenstein  bei  Simmersdorf,  Bezirk  Polna, 
Böhmen  (hb.  H.).  —  f  Rollberg  in  Böhmen  (Lorinser;  hb.Z.). — 
t  Holzschläge  am  Hohenstein  bei  Iglau  (Reichardt;  hb.2-)-  — 
Namiest  bei  Brunn,  Waldränder  (Roemer;  hb.  M.).  —  Olmütz 
(Hayne;  hb  M.).  —  Karlshöhe  bei  Gross-UUersdorf  in  Mähren 
(Oborny;  hb.  U.).  —  Wälder  um  Waltersdorf  (Oborny;  hb.  H.). 
—  Troppau  (Novotny;  hb.  Keck).  —  Wiesen  am  Buchberg 
bei  Görbersdorf  in  Schlesien  (Firle;  hb.  H.).  —  Bögleberge  bei 
Schweidnitz,  circa  1000'  (U echtritz;  hb. K.,  als  forma  ensifolius 
Buek).  —  Striegauer  Kreuzberg  (hb.  M.).  —  Jauer,  breiter  Berg 
bei  Poischwitz  (Scholz  in  Gallier,  Fl.  Siles.  exsicc,  No  23; 

1  »z.  Th.«  nach  den  Zeichen  f,  X  "•  s.  f.  bedeutet,  dass  von  mehreren 
vom  selben  Standort  und  aus  demselben  Herbar  stammenden  Exemplaren 
nur  ein  Theil  die  durch  das  Zeichen  angedeutete  Eigenschaft  besitzt. 


Lathyrus 'Arien  aus  der  Section  Eulathyrns.  293 

hb.  U.).  —  Frankfurt  a.  d.  Oder  (Buek;  hb.  U.).  —  Hinter- 
pommern; Chausseegraben  zwischen  Rigenwalde  und  Carzin 
iLüttichwagen;  hb.  Z.).  —  t  B^i  Königsberg  häufig  (Patze; 
hb.  M.). 

VII.  Österreichische  Alpenländer  (auch  ganz  Nieder- 

und   Ober- Österreich).  Bozen  (Hausmann;  hb.  M.).  ~  hins- 

bruck    (Hofmann,   hb.   S.;    f   Kerner,   hb.   H.);    *  Mühlau 

(Kern er;  hb.  K.);  *  beim  Bahnhofe  Patsch  häufig  (Hofmann; 

hb.  S.).  —  *  Grödnerthal,  300(y  (Kerner;   hb.  U.,  hb.  K.).  — 

T  Tirol.  Orient.   In   declivibus  petrosis   supra   Sexten   versus 

montem  »Helm«;  1000  w  (Schoenach  in  Fl.  exs.  Austr.-Hung., 

No  406;  hb.  M.,  hb.  U.,  hb.  H.).  —  *  Oberhalb  Brentonico  am 

Wege  zum  Monte  Baldo  (Schönach;  hb.  K.).  —  X  Buschige 

Berghänge  bei  Pranzo  unfern  Riva  (hb.  U.).  —  f  In  feuchten 

Wäldern  bei  Mauterndorf,  Lungau;  circa  1200  w  (Keller;  hb. 

Keller,  Wien).  —  Stiria  superior;  ad  margines  silvarum  prope 

Seckau,  circa  820 f»;  raro  (Pernhoffer;  hb.  U.).  —  Kasak  bei 

Marburg   (Dietl;   hb.  M.).   —    X   Gleichenberg   (hb.  Tr.).   — 

*z.Th.  X  z.Th.  Flitsch  (Tommasini;  hb.Tr.).  —Ad  silvarum 

oras   prope  Aistersheim  (hb.  Keck;  Keck,  hb.  U.).  —  Wels, 

Waldwiesen  (Braunstingel;  hb.  M.);  Oberthann  (J.  Kerner 

hb.  K.).  —  Schwertberg  (Keck;  hb.  Keck).  —  Kloster  Wald 

hausen  im  Mühlviertel  (Kern er;  hb.  K.).  —  Zwettl  (Zelenka 

hb.  Z.).  —  In  Gebüschen  am  Ufer  der  Thaya  bei  Raabs  (Kren 

berger;  hb.  H.).  —  f  X  z.Th.  Rossatz  a.  d.  Donau  (Kerner 

hb.  K.).  —  Langenlois  (Kalbrunner;  hb.  M.).  —  Am  Manharts- 

berge  (Kalbrunner;  hb.  Z.).  —  Waldränder  bei   Mauerbach 

(hb.  Z.).  —  Wegränder  im  Halter-Thal  bei  Hütteldorf  (H  eimerl; 

hb.  Z.).  —  Sophien -Alpe  und   Hohe  Wand  bei  Neuwaldegg 

(tz.Th.  J.Kern  er,  hb.  K.;  Halacsy,  hb.  H.;  Boss,  hb.  Z.).  — 

Im  Gehölz  auf  dem  Eichberg  bei  Gloggnitz  (Witting;  hb.Z.).  — 

Strasse  bei  Schmidsdorf  nächst  Payerbach  (Richter;  hb.  H.). 

VIII.  Karpathenländer   und  Kroatien.  Pressburg 

(Schmetter;   hb.  Z.).   —   f   Donau-Inseln    bei   Gran,   häufig 

(Feichtinger;  hb.  Z.).  —  St.  Georgen,  kleine  Karpathen  (hb. 

M.).  -~  Comitat  Gömör,  Murany-Vereskö,  an  Wegen  (Fabry; 

hb.  K.).  —  Matra,  Comitat  Heves,  in  Hecken  (Vrabelyi;  hb. 

K.).  — -Bei  Oravica  an  Zäunen  (Mierlitz,  als  var.  angnstifolins 


294  A.  Ginzberger. 

Schk.;  hb,  M.).  —  Agram  (Hofmann;  hb.  S.).  —  In  lapidosis 
inter  frutices  montis  »Rebro«  (ex  herb.  Vukotinovic;   hb.  M.V 

IX.  Karstländer.Idria:  xMayerhof  (Tommasini;  hb.Tr.); 
Kinnwerk  (Feriantschitsch;  hb.  M.,  hb.  Tr.).  —  Laibacher 
Schlossberg  (hb.  M.).  — -  Adelsberg,  f  Prewald,  Pieris,  Recca- 
Thal  (Tommasini;  hb.  Tr.).  —  Hecken  bei  Ranziano,  unweit 
Görz,  X  z.  Th.  Cormons  (Tommasini;  hb.  Z.,  hb.  Tr.).  — 
X  An  Hecken  im  Recca-Thale,  auch  anderwärts,  doch  nicht 
in  der  Küstenregion  (Tommas in i;  hb.  K.).  —  *  Aufstieg  nach 
dem  Matajur  (Send tn er;  hb.  Tr.). 

X.Balkan-Halbinsel,  f  Südserbien:  Pozsega(Ilic;  hb. 
U.);  Rudare(Ilic;hb.  S.). 

XI.  Galizien  und  Bukowina.  Poturzyca  (Rehmann; 
hb.  Z.).  —  Lemberg:  Winniki  und  Bednoröwka,  zwischen 
Sträuchern;  Lesienice  (Nowicki;  hb.  Z.).  —  Terescheny 
(Zipser;  hb.  Z.). 

XII.  Russland.  In  sandigen  Holzschlägen  um  Niankovv, 
Bezirk  Nowogrodek  in  Litthauen  (Dybowski,  Flor.  Polon. 
exsicc,  hb.  M.,  hb.  U.,  hb.  H.).  —  Ingermannland:  In  silvis  et 
fruticetis  regionis  elevatae  (hb.  M.);  um  Petersburg  (Herder; 
hb.  M.).  —  In  pratis,  collibus,  ad  margines  silvarum  prope 
Jaroslaw  (Petrowsky;  hb.  H.). 

Zur  Synonymie. 

Den  La/Ä)/r«5  5//i;^5/r/5Desfontaines'  kann  ich  nicht  für 
identisch  mit  Linne's  Pflanze  halten,  und  zwar  einerseits  mit 
Rücksicht  auf  Desfontaines*  Angabe  »stipulae  magnae*, 
anderseits  weil  unter  allen  aus  Algerien  stammenden  Lathyrns- 
Exemplaren  unserer  Gruppe,  die  ich  sah,  nicht  ein  Lathyrns 
silvestris  L.  sich  befand;  alle  gehörten  vielmehr  theils  zu 
Lathyrns  algericus  mihi,  theils  zu  Lathyrns  pnrpnrens  Gili- 
bert.  Derselbe  Grund  bewog  mich,  Munby's  La/Äyr«5  silve- 
stris^ für  verschieden  von  Linne's  Pflanze  zu  halten,  was  ich 
auch  von  Moris'  Lathyrns  silvestris  mit  ziemlicher  Sicherheit 
behaupten  zu  können  glaube.  Ich  habe  zwar  keinen  Lathyrns 
von  Sardinien  gesehen,  aber  auf  dem  benachbarten  Corsica 


Siehe  unter  Lathyrns  algericus  mihi. 


LaihyruS' Arien  aus  der  Section  Eulaihyrus.  295 

kommt  Lathyrus  silvestris  L.  meines  Wissens  nicht  vor;  auch 

das  von  Moris  angegebene  Merkmal  »stipulae petiolo 

aequales  paulove  breviores«  stimmt  für  Lathyrus  silvestris  L. 
nicht.  Die  genannten  Autoren  führen  auch  ausser  Lathyrus 
silvestris  L.  keine  andere  Lathyrus-Art  aus  unserer  Gruppe  an, 
was  gleichfalls  für  meine  Ansicht  spricht.  Für  Tornabene's 
Lathyrus  silvestris  gilt  dasselbe;  er  meint  damit  Lathyrus 
ntembranaceus  Presl.  Gussone's  Pflanze  gehört  gleichfalls 
zu  Lathyrus  ntembranaceus  Presl.  Doch  führt  Gussone 
ausserdem  noch  einen  Lathyrus  latifolius  an.  Visiani's  La- 
thyrus silvestris  \x\x\idiS>si  Lathyrus  megalanthus  Sie udel  und 
Lathyrus  memhranaceus  Presl. 

Den  Namen  Lathyrus  silvestris  var.  platyphyllus  hat 
Retzius  ohne  Beschreibung  publicirt,  aber  dazu  die  Abbildung 
in  Flora  Danica,  tab.  785  citirt.  Diese  zeigt  uns  nun  keineswegs 
diejenige  Pflanze,  die  gewöhnlich  als  Lathyrus  platyphyllus 
bezeichnet  wird  und  deren  richtiger  Name  Lathyrus  angusti- 
folius  [Roth]  ist,  sondern  einen  ziemlich  breitblätterigen  La- 
thyrns  silvestris  L.,  der  sich  durch  dieses  Merkmal  freilich  dem 
Lathyrus  angustifolius  [Roth]  nähert,  von  ihm  aber  durch  die 
Beschaffenheit  der  Blättchenspitze  unterscheidet. 

Gouault's  Lathyrus  platyphyllus  ist,  wie  aus  der  bei- 
gegebenen ziemlich  schlechten  Abbildung  hervorgeht,  Lathyrus 
megalanthus  Steudel. 

Grenier  und  Godron  citiren  als  Autor  ihres  Lathyrus 
silvestris  var.  ß)  latifolius:  Peter  mann,  Fl.  Lipsiensis  excurs., 
p.  545.  Ob  diese  Pflanze  die  breitblätterige  Varietät  des  Lathyrus 
silvestris  L.  oder  der  Lathyrus  angustifolius  [Roth]  ist,  weiss 

ich  nicht. 

Lathyrus  silvestris  L.  zeigt  bezüglich  der  relativen  Breite 
seiner  Blättchen  eine  ziemlich  grosse  Variabilität;  auch  die 
Form  derselben  ist,  wie  schon  aus  der  Beschreibung  hervor- 
geht, nicht  constant.  Die  darnach  unterscheidbaren  Formen 
können  wohl  nicht  als  selbständige  Arten  angesehen  werden, 
da  scharfe  Grenzen  nicht  auffindbar  sind;  sie  scheinen  aber 
zum  Theil  für  bestimmte  Gebiete  charakteristisch  zu  sein.  So 
findet  man  häufig  aus  West-Europa  (Frankreich)  stammende 
Exemplare  mit  ziemlich  breiten  Blättchen  (95  —  \2bntm  lang. 


296  A.  Ginzberger, 

10 — 22  mm  breit),  die  sich  auch  dadurch  auszeichnen,   dass 
ihre  breiteste  Stelle  stark  gegen   den  Grund  des  Blättchens 
verschoben   ist  und  dass  sie  in  die  Spitze  fast  gerade   und 
gleichmässig  verlaufen;  die  Stachelspitze  ist  kaum  oder  gar 
nicht  abgesetzt.  Gleichfalls  relativ  breitblätterige,  den  erwähnten 
französischen  sehr  ähnliche  Exemplare  sah  ich  aber  auch  aus 
Schweden,  Deutschland,  Tirol,  Salzburg,  Ober-  und  Nieder- 
österreich  u.  s.  f.,  nur  ist  bei  diesen  die  allmälige  und   fast 
gerade   Verschmälerung    gegen    die   Spitze   zu   minder    aus- 
geprägt; die  Blättchen  sind  vielmehr  öfter  in  der  Mitte   am 
breitesten  und  beiderseits  krummlinig  begrenzt;  das  Stachel- 
spitzchen  ist  meist  deutlich  abgesetzt.  Durch  die  erwähnten 
Merkmale  nähern   sich   die  zuletzt  genannten  Exemplare   oft 
gewissen  minder  ausgesprochenen  Formen  des  Lathyrus  an- 
gnstifoliiis   [Roth]    (s.  d.).    P'ür   die    bis   jetzt    besprochenen 
Formen  kann  der  Name  Lathyrus  silvestris  var.  platyphylUis 
Retzius  vollkommen  passend  gebraucht  werden.  Im  Standorts- 
verzeichniss  sind  die  zu  dieser  Varietät  gehörigen  Exemplare 
mit  t  bezeichnet. 

Anderseits  fand  ich   Exemplare,  welche  mir  durch   ver- 
hältnissmässig  kurze  und  schmale  Blättchen  (40 — 80  mtn  lang, 
3*5 — 6  mm  breit)  auffielen.  Die  hieher  gehörigen  Exemplare,  die 
grossentheils  aus  dem  österreichischen  Küstenlande  stammen 
sind  im  Standortsverzeichniss  mit  X  bezeichnet.^ 

Viel  ausgesprochener  und,  wie  es  scheint,  für  bestimmte 
Gebiete  charakteristisch  ist  eine  andere  gleichfalls  schmal- 
blätterige Form,  welche  zwar  in  der  Literatur  mehrfach  erwähnt, 
aber  immer  mit  bereits  anderweitig  verwendeten  Namen  be- 
zeichnet wird,  weshalb  ich  für  dieselbe  den  Namen  Lathyrus 
silvestris  var.  tiroliensis  vorschlagen  möchte.  Die  in  Rede 
stehende  Form  zeichnet  sich  durch  geringe  Breite  aller  blatt- 
artigen Organe  aus  (Stengelflügel  1 V2  ^^x,  Blattstielflügel  V2 
bis  ^4  wwi,  Nebenblätter  bis  1  mm  breit).  Die  Blättchen  sind 
75 — 95  mm  lang,  3 — b^/^  mm  breit,  17 — 30mal  so  lang  als  breit. 
Die  Hülsen  sind  bisweilen  auffallend  klein  (44  ww  lang,  7  mm 
breit).  Unsere   Pflanze   scheint   auf  Tirol   und  das  nördliche 

1  Über  die  Exemplare  aus  Spanien  vergl.  unter  Lathyrus  pyrenaictis 
Jordan. 


Laihyrus -Arien  aus  der  Section  Eulathyrns.  297 

Küstenland  beschränkt  zu  sein.  Die  hieher  gehörigen  Exem- 
plare sind  im  Standortsverzeichnis  mit  *  bezeichnet. 

Lathyrus    angustifolius    [Roth,  tent.    flor.    Germ.    (1793), 
tom.  II,  pars  II,  p.  178,  pro  var.  Laihyri  laiifolii]  mihi. 

Syn.  L,  latifqlius  Linne,  Fl.  Suec,  ed.  II  (1755),  p.  252;  excl.  Citate  (bis  auf 
Fl.  Suec,  1139); 

Schkuhr,  Botan.  Handbuch  (1796).  II,  p.  355  (z.  Th.); 

Sprengel,  Fl.  Halensis,  ed.  I  (1806),  p.  203. 
L.  intermeditts  Wall  rot  h,  Sched.  crit.  (1822),  p.  386. 
L.  silvestris  var.  ß)  /»/^rw^^itt^  Sprengel,  Fl.  Halensis,  ed.  II  (1832), 

sect  I,  p.  321. 
L.  platyphyllus  Koch,  Syn.  11.  Germ.,  ed.  II  (1843),  p.  443; 

Alefeld  in  Bonplandia,  IX  (1861),  p.  153  (z.  Th.). 
L.   silvestris  ß)  latifolitts  Neil  reich,  Fl.  von  Niederösterreich  (1859), 

p.  967. 
L.  silvestris  und  var.  ß)  latifolitts  Boissier,  Fl.  Orient.  (1872),  vol.  II, 

p.  611,  excl.  Citat. 

Flügel  des  Stengels  jederseits  IV2 — omm  breit,  die 
der  Blattstiele  fast  so  breit  bis  halb  so  breit,  1— 2V2  ^^^ 
breit,  die  Zähnchen  an  den  Blattstielflügeln  meist  fehlend 
oder  spärlich,  an  den  Stengelflügeln  oft  ziemlich  dicht. 

Blättchen  länglich-lanzettlich  bis  elliptisch,  65 
bis  100  (130) wfM  lang,  \2—40mm  breit,  3— 7 mal  (selten 
weniger,  bis  kaum  zweimaPj  länger  als  breit,  in  der  Mitte  am 
breitesten  und  gegen  die  beiden  Enden  allmälig  verschmälert 
oder  fast  der  ganzen  Länge  nach  nahezu  gleich  breit  und  an 
den  Enden  rasch  an  Breite  abnehmend;  stets  an  der  Spitze 
abgerundet,  abgestutzt  oder  sogar  ausgerandet,  mit 
einem  scharf  abgesetzten  Spitzchen.  Farbe  oben  gras-, 
unten  grau-  oder  bläulichgrün. 

Der  vordere  Theil  der  Nebenblätter  lanzettlich,  9—20 
(29)  mm  lang,  2—4  (6)  mm  breit,  zwei-  bis  mehrmal 
schmäler  als  der  Stengel  sammt  den  Flügeln;  der  zu- 
gehörige Blattstiel  IVg— 2mal  so  lang. 

Blüthenstiele  wenig  länger  bis  2V2rnal  so  lang 
als  der  zugehörige  Blattstiel  sammt  Blättchen,  5 — 15- 
blüthig. 

^  Dies  ist  bei  dem  Exemplar  von  Barby,  sowie  zum  Theil  bei  denen 
aus  Persien  der  Fall. 


298  A.  Ginzberger, 

Bracteen  meist  Vg  bis  72  ^^^  Länge  des  Blüthen- 
stielchens. 

Blüthen  lo  — 18 mm  lang. 

Kelchzähne  (Fig.  16)  durch  runde,  breite  Buchten 
von  einander  getrennt,  die  beiden  oberen  kurz  dreieckig, 
mit  gekrümmten  Spitzen;  die  übrigen  pfriemlich,  die 
beiden  mittleren  172"  bis  fast  2  mal  so  lang  als  die 
oberen,  wenig  länger  bis  172"^^!  so  lang  als  breit;  der 
untere  Zahn  so  lang  bis  etwas  länger  als  die  mittleren 
und  etwas  kürzer  bis  etwas  länger  als  die  Kelchröhre. 

Griffel  ziemlich  stark,  und  zwar  am  Grunde  am  stärksten 
gekrümmt,  an  der  Spitze  wenig  verbreitert. 

Reife  Hülsen  52 — 70mm  lang,  \0  —  12mm  hoch. 

Samen  meist  fast  kugelig,  seltener  seitlich  comprimirt, 
sehr  fein  gerunzelt,  S^/^—5  mm  lang,  dunkelbraun;  Nabel 
die  Ober- und  Hinterseite,  oft  auch  einen  kleinenTheil 
der  Vorderseite,  d.i.  circa  die  Hälfte  des  Umfanges 
des  Samens  einnehmend. 

Über  die  Behaarung  siehe  unter  Lathyrus  pyrenaicus 
Jordan  (S.  304). 

Verbreitungsgebiet. 

Südschweden;  von  Mittel -Deutschland  östlich  der  Saale 
und  Elbe  bis  nach  Ost-Galizien  und  Bessarabien;  von  Ungarn 
östlich  von  Pest  bis  nach  Siebenbürgen  einer-,  Macedonien 
anderseits;  Transkaukasien;  Nord-Persien. 

Standortsverzeichniss. 

I.  Schweden.  Hall,  boreal.,  Klädesholm  (Steurin;  hb.  B. 
als  Lathyrus  latifolios  L.  Suec.!,  non  spec.  pl.).^ 

II.  Provinzen  Sachsen  und  Brandenburg.  Barby, 
Wälder  an  der  Elbe  (hb.  M.).  —  Burgliebenau  (Hofmeister; 
hb.  M.).  —  Frankfurt  a.  d.  Oder  (Buek;  hb.  B.,  hb.  H.,  hb.  M, 
hb.  Tr.,  hb.  Z.). 

in.  Preussisch-Schlesien.  Breslau:  Pirscham  (Kionke 
in  Gallier,  Flor.  Siles.  exsicc,  Nr.  189;  hb.  U.);  nur  an  einer 


1  Die  Etiquette  trägt  weiters  die  Bemerkung:  Hie,  Lath^TUs  silvesiris  et 
Lathyrus  häerophyllns  apud  nos  omnino  confluere  apparent. 


Laihyrus- Arten  aus  der  Section  Eulathyrus,  299 

Stelle  am  buschigen  Ufer  der  Ohlau  in  der  Oderniederung 
oberhalb  Pirscham  (Uechtritz,  hb.  K.,  hb.  Keck;  Fritze,  hb. 
Keck). 

IV.  Galizien  und  Bukowina.  In  den  Wäldern  von 
Poturzyce  (Rehmann;  hb.  K.).  —  Im  Walde  bei  Kamena;  auch 
im  Gebüsche  bei  Derelui  und  gegen  Franzthal;  Terescheni; 
Bukowina  (Herbich;  hb.  Z.). 

V.  Russland.  Bessarabien;  Kartala(Zelenetzny;  hb.M.). 

VI.  Karpathenländer.  Insula  Csepel  (Kerner;  hb.  K.); 
e  fruticetis  prope  Ujfalu  (Tauscher;  hb.  H.,  hb.  K.,  hb.  Z.).  — 
P.  Peszer  bei  Also  Dabas  (Kerner;  hb.  K.,  hb.  H.).  —  Banat: 
Perjämos  (Wolfner;  hb.  Z.);  Oravica  (hb.  H.).  —  Transilvania: 
In  dumetis  et  silvis  montosis  (Schur;  hb.  H.);  in  pratis  ferti- 
libus  prope  Hermannstadt  (Schur;  hb.  M.);  in  pratis  et  dumetis 
prope  Giersau  (Fuss;  hb.  K.);  in  dumetis  prope  Langenthai 
(Barth;  hb.  U.). 

VII.  Balkan-Halbinsel.  Süd-Serbien  (Ilic;  hb.  U.). — 
Bulgarien,  Lovca  (Urumoff  in  Fl.  Bulgar.,  Nr.  100;  hb.  U., 
hb.  H.).  —  Macedonien,  mons  Pangaeus,  Pournur-Dagh,  1900  m 
(Charrel;  hb.  H.). 

VIII.  Transkaukasien.  In  fruticosis  montanis  ditionis 
Elisabethpol  Georgiae  Caucasicae  (Hohenacker  in  unio 
itiner.  1834;  hb.  Keck;  als  Lathyrus  rotundifolius  Willd.).  — 
Prope  Helenendorf  Georg.  Cauc.  (Hohenacker  in  unio  itiner. 
1838;  hb.  B.,  hb.  M.;i  als  Lathyrus  latifolius  L.). 

IX.  Persien.  Persia  borealis  (Szovits;  ex  herb.  hört.  bot. 
Petrop.;  hb.  M.,  hb.  U.,  hb.  B.). 

Zur  Synonymie. 
Der  Name  Lathyrus  angustifolius  kommt,  soviel  ich  in 
Erfahrung  bringen  konnte,  zum  erstenmale*  in  Medikus,  Bota- 

1  Die  Exemplare  in  hb.  M.  sind  von  Alefeld  eigenhändig  a4s  var.  helenen- 
dorfensis  bezeichnet  und  mit  der  Bemerkung:  »Abweichend  durch  gedrehte 
Griffel  und  sehr  kurze  KcIchzipfeU  versehen. 

2  Als  binärer  Name.  Der  Name  »angustifolius*  kommt  als  Varietätenname 
in  Haller,  enum.  plant  hört.  reg.  et  agr.  Gotting.  (1753),  p.  290  und  in  Zinn, 
catal.  plant,  hört,  academ.  et  agr.  Gotting.  (1757),  p.  354  vor.  In  keinem  der 
beiden  Werke  ist  die  binäre  Nomenclatur  eingeführt,  weshalb  ich  diese  Namen 
nicht  weiter  berücksichtigte. 


300  A.  Ginzberger, 

nische  Beobachtungen  (1783),  S.  220  vor.^  Die  daselbst  gegebene 
Beschreibung  ist  jedoch  höchst  unzulänglich.  Medikus   be- 
schreibt überhaupt  nur  die  Blüthe^  und  sagt  von  der  »Blumen- 
decke« (=:  Kelch),  dass  sie   »mit  jener  des  Lathyrus    Cicera 
vollkommen  übereinkomme«.  Nun  gleicht  aber  La/Äyn^s  Cicera 
in  Bezug  auf  die  Bildung  seines  Kelches,  von  der  Medikus 
eine  recht  gute  Beschreibung  gibt,  keiner  der  Arten   unserer 
Gruppe,  nur  die  Kelchform  von  Lathyrus  undulatus  Boissier 
und  Lathyrus  pnlcher  Gay  zeigt  einige  Ähnlichkeit  mit  der  von 
Lathyrus  Cicera.  Da  über  sonstige  Merkmale  kein  Wort  gesagt 
ist,  überdies  kein  Citat  angeführt  wird,  so  fehlt  jeder  Anhalts- 
punkt, was  Medikus  mit  seinem  Lathyrus  angustifolius  ge- 
mimt hat. 

Aus  den  erwähnten  Gründen  kann  erst  der  nächste  Autor, 
der  den  Namen  Lathyrus  angustifolius  verwendet,  nämlich 
Roth,  berücksichtigt  werden.  Er  hat  den  Namen  ganz  unab- 
hängig von  Medikus  aufgestellt.  Seine  Diagnose  passt  gut 
auf  unsere  Pflanze,  nur  die  Angabe  »flores  coeruleo-purpurei« 
ist  bedenklich. 

Der  Name  Lathyrus  latifolius  Linne  flor.  Suec.  wurde, 
obwohl  älter,  nicht  angewendet,  da  derselbe  in  spec.  plant, 
zwei  Jahre  früher  gebrauchte  Name  ganz  unklar  und  vieldeutig 
ist,  wie  später  bei  Lathyrus  megalanthus  Steudel  auseinander- 
gesetzt werden  wird.  Die  Citate  bei  Linne's  Namen  sind  aus- 
zuschliessen,  weil  sie  theils  unklar  sind,  theils  sich  Q,\ii Lathyrus 
megalanthus  Steudel  und  seine  Verwandten  beziehen. 

Lathyrus  latifolius  Schkuhr  ist  namentlich  mit  Rücksicht 
auf  die  von  ihm  angegebenen  Standorte  (Schlesien,  Barby) 
hieher  zu  rechnen. 

Die  Diagnose  für  Lathyrus  intermediusW eiUroth  passt 
bis  auf  die  Angabe  »foliolis  concoloribus«  auf  unsere  Pflanze.^ 

Meine  Ansicht,  dass  Boissier's  Lathyrus  silvestris  hieher 
zu  ziehen  ist,  gründet  sich  vornehmlich  darauf,  dass  er  ein 


1  An  der  vom  Index  Kewensis  citirten  Stelle:  Vorles.  d.  churpfälz. 
physik.-öconom.  Gesellsch.,  t.  II  (1787),  p.  358,  findet  sich  nur  der  Name  mit 
dem  Hinweis  auf  die  oben  citirte  Stelle. 

2  Das  Werk  ist  kein  systematisches,  sondern  ein  rein  morphologisches. 

3  Siehe  auch  unter  Lathyrus  heteropkyllus  L.  (S.  310). 


Lathy  ms 'Arten  aus  der  Section  Eulathyrus.  301 

Exemplar  von  Hohenacker  aus  Georgia  Caucasica  mit  !  citirt. 
Alle  Exemplare  nun,  die  ich  aus  diesem  Gebiete  sah,  stammten 
von    Hohenacker  und   gehören   sicher   hieher.   Die  var.  ß) 
gehört  schon  wegen  der  Angabe  »folia  latiora,  obtusiora«  zu 
Laihyms  angusiifolins  [Roth].  Lathyrus  angustifolius  [Roth] 
ist  von  breitblättrigen  Formen  des  Lathyrus  silvestris  L.  (var. 
platyphyllus  Retz.)  nicht  immer  vollkommen  scharf  zu  unter- 
scheiden. Trotzdem  habe  ich  mit  Rücksicht  auf  die  typischen 
Exemplare,  die  an  der  Beschaffenheit  der  Blättchenspitze  stets 
erkannt  werden    können,   Lathyrus  angustifolius  [Roth]  als 
selbständige  Art  aufgeführt;  auch  bewohnen  die  beiden  Arten 
Verbreitungsgebiete,  die  nur  theilweise  zusammenfallen. 

Recht  üppige,  mit  grossen  Nebenblättern  versehene  Exem- 
plare des  Lathyrus  angustifolius  [Roth]  sind  bisweilen  dem 
Lathyrus  heterophyllus  var.  unijugus  Koch  sehr  ähnlich;  doch 
entscheidet  in  diesem  Falle  die  Beschaffenheit  der  Kelchzipfel 
mit  Sicherheit. 

Lathyrus  pyrenaicus  Jordan,  Cat.  du  jard.  de  Dijon  (1848), 
p.  27,  sec.  Walpers,  Annal.  botan.  system.,  t  II  (1851  — 1852), 

p.  403 '.1 

Syn.  L.  sUvcsiris»  laiifolius,  heierophyllu$  Lapeyrouse,  Hist.  abr.  plant.  Pyr. 

(1813),  p.  416. 
L.  silvestris  Zetterstedt,  Plantes  vasculaires  des  Pyrenees  principales 

(1857),  p.  75;  z.  Th. 
L.  pyrenaetis  Lange,  Pugill.  plant.,  I— IV  (1860—1865),  p.  382. 

Varietät. 
Z.  pyrenaicus  var.  minor  mihi. 

Flügel  des  Stengels  jederseits  P/e — 2^l^mtn  breit,  die 
der  Blattstiele  halb  so  breit,  seltener  Vs  derselben, 
1  —  l^/^mm  breit;  Zähnchen  an  denselben  fehlend  bis  ziem- 
lich dicht. 

Blättchen  elliptisch  bis  länglich  lanzettlich,  48 
bis  80  ww  lang,  \0—2o  mm  breit,  3 — 6mal  so  lang  als  breit; 
vorne  abgerundet  oder  zusammengezogen,  oft  mit  auf- 
fallendem Fett-  bis  Glasglanz,  namentlich  an  der  Unter- 


^  Ich  sah  ein  cultivirtes  Exemplar  (vergl.  die  Erläuterungen). 


302  A.  Ginzberger, 

Seite.  Farbe  oben  gras-,  unten  graugrün.  Vorderer  Theil  der 
Nebenblätter  schmal  lanzettlich,  10 — 14(18)fww  lang,  1*/^ 
bis  2V2  ^ww  breit,  wenigstens  dreimal  so  schmal  als  der 
Stengel  sammt  den  Flügeln;  der  zugehörige  Blattstiel 
2 — 3  mal  so  lang. 

Blüthenstiele  meist  fast  so  lang  bis  etwas  länger  als 
der  zugehörige  Blattstiel  sammt  Blättchen,  seltener  circa  2 mal 
so  lang,  3—4-,  selten  öblüthig. 

Bracteen  Vs  ^^^  Blüthenstielchen  bis  fast  so  lang  als 
dieselben. 

Blüthen  16 — 19mm  lang. 

Kelchzähne  (Fig.  17)  durch  runde  breite  Buchten 
von  einander  getrennt,  die  beiden  oberen  kurz  drei- 
eckig, etwas  breiter  als  lang,  die  mittleren  dreieckig,  etwas 
breiter  als  lang  bis  fast  l'^rn^l  so  lang  als  breit,  der  untere 
Zahn  etwas  länger  und  schmäler  als  die  mittleren,  kürzer 
als  die  Kelchröhre. 

Griffel  ziemlich  stark  gekrümmt,  an  der  Spitze  kaum 
verbreitert. 

Reife  Hülse  52  mm  lang,  9  mm  hoch.^ 

Samen*  kugelig  oder  seitlich  oder  von  vorne  nach  hinten 
abgeplattet,  mit  stumpfen  Runzeln,  schwarzbraun,  3 — 4'5fnm 
lang;  Nabel  auf  die  Oberseite  beschränkt  oder  ausser- 
dem noch  einen  Theil  der  Hinterseite,  also  Va  t>is  fast 
V2  dös  Samenumfanges  einnehmend. 

Über  Behaarung  siehe  die  Erläuterungen  (S.  303  f.). 

Verbreitungsgebiet. 

Central-Pyrenäen. 

Standortsverzeichniss. 

Pyrenees  (Juste,  f  Bordere,  f  Godron;  hb.  B.).  —  f  In 
subalpinis  Pyrenaeorum,  Bareges  (Dupuy;  hb.  U.).  —  Dep. 
Hautes-Pyrenees,  Gedre  (Bordere,  hb.  B.,  hb.  Z.,  hb.  K.,  hb. M.; 
ex  herb.  Deseglise,  hb.  K.;  Lagger  [?],  hb.  Keck;  f  z.  Th.  ex 
herb.  Mouillefarine;  hb.  Z.);  1000  w  (Bordere  in  Baenitz, 


J  An  einem  cultivirten  Exemplar  38 — 42  mm  lang,  7  mm  hoch. 
2  Nur  von  cultivirten  Exemplaren. 


Laihynts -Arten  aus  der  Section  Eulathyrus.  303 

Herb.  Europ.,  hb.  K.,  hb.  H.);  Taillis  granitiques  de  Morere;  alt. 
1000  w  (Bordere  et  Billiet  in  Magnier,  Fl.  exsicc,  No  1656; 
hb.  M.,  hb.  H.).  —  f  Gorge  de  Luz  (Huguenin;  hb.  U.).  — 
f  Cauterets,  Pyr.  centr.  (de  Jouffroy;  hb.  Keck).  —  f  Basses- 
Pyrenees,  Eaux  bonnes  (Ripart;  hb.  K.). 

Zur  Synonymie. 

Die  kurze,  von  Willdenow  übernommene  Diagnose  des 
Lathyrus  heterophyllus  bei  Lapeyrouse  passt  zwar  auf  La- 
thyrus  heterophyllus  L.;  dennoch  dürfte  mit  Rücksicht  auf  die 
angeführten  Standorte,  von  denen  wenigstens  der  eine  (St.  Beat, 
der  übrigens  von  Lapeyrouse  auch  für  seinen  Lathyrus 
silvestris  und  Lathyrus  latifolius  angegeben  wird)  in  den 
Central-Pyrenäen  liegt,  wo  meines  Wissens  nur  Lathyrus 
pyrenaicus  iovdQ.n  vorkommt,  nicht  Linnens  Pflanze  gemeint 
sein,  sondern  Lathyrus pyrenaicus  Jordan. 

Dass  Zetterstedt,  der  die  drei  Lapeyrouse'schen  Arten 
in  eine  zusammenzieht,  mit  dieser,  seinem  Lathyrus  silvestris^ 
auch  unsere  Pflanze  gemeint  hat,  geht  schon  daraus  hervor, 
dass  er  ausserdem  keinen  anderen  Lathyrus  aus  der  vor- 
liegenden Gruppe  anführt.  Ferner  gibt  er  Standorte  an,  von 
denen  ich  Lathyrus  pyrenaicus  Jordan  selbst  gesehen  habe. 
Endlich  erwähnt  er,  dass  die  Pyrenäen  pflanze  durch  »feuilles 
courtes«  von  der  schwedischen  abweiche. 

In  den  Pyrenäen  findet  man  mehrere  Formen  aus  der 
Verwandtschaft  des  Lathyrus  silvestris  L.  Unter  diesen  scheint 
mit  Rücksicht  auf  die  Angabe  »foliis  oblongis«  Jordan  vor- 
nehmlich diejenige  verstanden  zu  haben,  deren  Merkmale  in 
der  obigen  Beschreibung  enthalten  sind.  Von  mir  untersuchte 
Exemplare  (hb.  Tr.),  welche  aus  von  Jordan  gesammelten 
Samen  cultivirt  und  von  ihm  selbst  als  Lathyrus  pyrenaicus 
bezeichnet  sind  (also  Originalexemplare),  zeigen  Blätter,  die 
5— 6  mal  so  lang  als  breit  sind. 

Die  in  Rede  stehende  Pflanze  ist  auch  durch  ihren  Reich- 
thum  an  Drüsen  vor  allen  in  dieser  Arbeit  behandelten  Arten 
ausgezeichnet.  Diese  Drüsen,  deren  morphologische  Verhält- 
nisse bereits  in  der  allgemeinen  Einleitung  besprochen  wurden, 
kommen  an  fast  allen  Organen  mehr  oder  minder  dicht  und 

Sitzb.  d.  mathem.-natunv.  Cl.:  CV.  Bd.,  Alnh.  I.  20 


304  A.  Ginzberger, 

zahlreich  vor.  Ich  fand  sie  an  Stengeln,  Ranken,  Blatt-  und 
Blüthenstielen,  Flügeln  der  Stengel  und  Blattstiele,  Kelchen, 
Hülsen,  besonders  zahlreich  aber  an  beiden  Seiten  der  Blättchen, 
vornehmlich  der  jüngeren. 

Ausser  durch  die  drüsige  Bedeckung  ist  Lathyrus  pyre- 
naicus  Jordan  auch  durch  das  verhältnissmässig  ausgedehnte 
Vorkommen  gewöhnlicher  einzelliger,  meist  unter  die  Drüsen 
gemischter  Haare  ausgezeichnet.^  Dieselben  bedecken  zerstreut 
Dis  ziemlich  dicht  nicht  nur,  wie  dies  auch  bei  anderen  Arten 
der  Gruppe  vorkommt,  die  noch  wenig  entfalteten  Spitzen  der 
Sprosse,  sondern  auch  junge,  ja  sogar  ältere  Blättchen.  Auch 
am  Rande  der  Flügel,  welche  Stengel  und  Blattstiele  einsäumen, 
trifft  man  bisweilen  ziemlich  dicht  stehende  Haare.  Die  Zahl 
der  Drüsen  ist  stets  viel  grösser  als  die  der  Haare;  oft  kommt 
es  auch  vor,  dass  ein  Blättchen  oder  ein  anderes  Organ  zwar 
mit  Drüsen  bedeckt  ist,  aber  der  Haare  ganz  entbehrt. 

Von  der  nächstverwandten  Art,  dem  Lathyrus  angnsti- 
folins  [Roth],  ist  Lathyrus  pyrenaicus  Jordan  durch  die 
schmäleren  Stengel-  und  Blattstielflügel,  die  schmäleren  Neben- 
blätter und  kleineren  Blättchen,  die  armblütigen  Trauben  und 
die  drüsige  Bedeckung  verschieden.  Bei  Lathyrus  angustifolius 
[Roth]  fehlen  nämlich  die  Drüsen  fast  immer,  nur  bei  wenigen 
Exemplaren  habe  ich  sie  an  den  Blättchen  vereinzelt  vor- 
gefunden. Auch  die  Behaarung  ist  bei  Lathyrus  angustifolius 
[Roth]  viel  spärlicher,  indem  selbst  die  noch  wenig  entfalteten 
Spitzen  der  Triebe  meist  kahl  sind,  und  nur  hie  und  da 
Behaarung  aufweisen. 

In  der  Cultur  erhält  Lathyrus  pyrenaicus  }  ov  dein  alle  Merk- 
male, nur  die  drüsige  Bedeckung  und  die  Behaarung  waren  bei 
einem  der  cultivirten  Exemplare,  die  ich  sah,  relativ  stark  reducirt. 

Ausser  dem  Lathyrus  pyrenaicus  Jordan  findet  sich  in 
den  Pyrenäen  noch  eine  sehr  nahe  verwandte,  von  jener  nicht 
scharf  geschiedene  Form,  die  ich  aber  doch  verschiedener 
Eigenthümlichkeiten  wegen  als  var.  minor  besonders  anführen 
möchte.  Die  dieser  Form  angehörenden  Exemplare  sind  im 
Standortsverzeichnis  mit  f  bezeichnet. 


1  Vergleiche  die  Einleitung,  S.  286. 


Lathy  ms -Arten  aus  der  Section  Eulalhyrus.  305 

Dieselbe  unterscheidet  sich  vor  allem  durch  schmälere 
Blättchen  (30— 65 iMW  lang,  4— 8w/w  breit,  [5-],  6V2  — lOmal 
so  lang  als  breit);  dieselben  sind  lanzettlich,  vorn  stumpf, 
seltener  allmälig  in  die  Spitze  verschmälert.  Nebenblätter 
kleiner  (der  vordere  Theil  8  —  lOmm  lang,  1  —  P/e^^w*  breit). 
Blüthenstiele  2—5-,  meist  3blüthig.  Blüthen  kleiner 
(12  —  lo  mm  lang);  Hülsen  60 — 65  mm  lang,  \0  mm  breit. 
Bezüglich  der  drüsigen  Bedeckung,  sowie  der  Behaarung 
ist  zu  erwähnen,  dass  dieselbe  bei  der  var.  minor  stets  in 
geringerem  Masse  auftritt  als  beim  typischen  Lathyrus  pyre- 
naicns  Jordan. 

Wie  vom  typischen  Lathyrus  pyrenaicns  3 ordarij  so  ist 
unsere  Pflanze  auch  von  Formen  des  Lathyrus  silvestris  L.  mit 
kleinen  Blättchen  nicht  immer  vollkommen  scharf  zu  trennen. 
Von  den  typischen  Exemplaren  des  Lathyrus  silvestris  L. 
unterscheidet  sie  sich  durch  kleinere  Blättchen,  sowie  auch 
durch  die  Form  derselben,  ferner  durch  die  klein-  und  arm- 
blüthigen  Blüthenstiele.  Dagegen  sind  in  der  Bedeckung  mit 
Drüsen  sowde  in  der  Behaarung  kaum  Unterschiede  gegenüber 
Lathyrus  silvestris  L.  zu  beobachten.  Manche  Exemplare  der 
letztgenannten  Pflanze  (so  alle  der  var.  tiroliensis  m.  angehörigen 
aus  Tirol)  scheinen  zwar  der  Drüsen  ganz  zu  entbehren,  bei 
den  meisten  Exemplaren  aber  findet  man  wenigstens  eine 
spärliche,  bei  einigen  sogar  eine  recht  reichliche  Bedeckung 
mit  Drüsen.  Dieselben  kommen  hauptsächlich  an  der  Unter- 
seite der  Blättchen,  der  jungen  wie  der  erwachsenen  vor,  doch 
beobachtete  ich  sie  auch  an  Blüthenstielen.  Behaarung  trifft 
man  bei  Lathyrus  silvestris  L.  oft  an  den  Spitzen  der  unent- 
wickelten Triebe,  vereinzelt  auch  an  der  Unterseite  der  Blättchen, 
sowie  an  Blüthenstielen. 

Zur  näheren  Beleuchtung  der  Beziehungen  des  Lathyrus 
pyrenaicus  var.  minor  m.  sei  noch  einiges  über  die  Beschaffen- 
heit der  von  mir  gesehenen  Exemplare  des  Lathyrus  silvestris  L. 
aus  benachbarten  Gegenden  angeführt. 

Die  nord-  und  mittelfranzösischen  Exemplare  des  Lathyrus 
silvestris  L.  sind  durch  die  in  den  Erläuterungen  zu  dieser 
Pflanze  oben  (S.  295f.)  beschriebene  Beschaffenheit  ihrer  Blätt- 
chen ausgezeichnet.  Spärliche  Drüsen  fand  ich  nur  an  einigen 

20 


306  A.  Ginzberger, 

Blältchen.    Diese    Exemplare    sind    der   var.   minor   m.    sehr 
unähnlich. 

Viel  ähnlicher  sind  die  Exemplare  des  Lathyrtis  silvestris  L. 
aus  dem  Departement  Basses-Pyrenees  durch  ihre  kleinen 
Blättchen  (55 — 65  mm  lang);  sie  unterscheiden  sich  aber  von 
der  var.  minor  durch  die  lang  zugespitzte  Gestalt  der  Blättchen 
und  durch  5 — 7blüthige  Blüthenstiele.  Ich  stellte  sie  deshalb 
zu  Lathyrus  silvestris  L. 

Aus  dem  cantabrischen  Gebirge  sah  ich  Exemplare  des 
Lathyrus  silvestris  L.,  welche  in  der  Gestalt  und  Grösse  der 
Blättchen  mit  den  typischen  Exemplaren  dieser  Species  ziemlich 
übereinstimmen,  die  3 — 4blüthigen  Blüthenstiele  aber  mit  der 
var.  minor  m.  des  Lathyrus  pyrenaicus  Jordan  gemeinsam 
haben.  Drüsen  spärlich.  Blüthen  14  — 15  mm  lang.  Diese  Exem- 
plare gehören  zu  den  Mittelformen  zwischen  Lathyrus  sil- 
vestris L.  und  Lathyrus  pyrenaicus  var.  minor  m.  Ich  führe  sie 
im  Standortsverzeichnisse  des  ersteren  an.^ 

Es  gibt  in  den  Pyrenäen  und  im  cantabrischen  Gebirge 
auch  recht  schmalblättrige  Exemplare  des  Lathyrus  silvestris  L. 
(Blättchen  circa  12  — 15 mal  so  lang  als  breit).  Die  beiden 
Exemplare,  die  ich  sah,^  zeigen  grosse  Ähnlichkeit  mit  den 
übrigen  klein-  und  schmalblättrigen  Exemplaren  des  Lathyrus 
silvestris  L.,^  haben  aber  meist  nur  3 — 4,  bei  einem  Exemplare 
jedoch  an  zwei  Blüthenstielen  je  6  Blüthen.  Drüsen  konnte  ich 
nicht  finden. 

Lathyrus  heterophyllus   Linne,   spec.  pl.,  ed.  I  (1753), 

tom.  II,  p.  733; 

Alefeld  in  Bonplandia,  IX  (1861),  p.  151; 
non  Lapeyrouse,  Hist.  abr.  plant.  Pyren.  (1813),  p.  416. 
Syn.    L.   latifolius  var.    a)    Reichenbach,    Fl.    Germ.    exe.    (1830—1832), 
p.  535;  z.  Th. 

Va  r  i  e  t  ä  t. 
L.  heterophyllus  var.  ß)  unijngns  Koch,  Syn.  fl.  Germ.,  ed.  II  (1843), 
p.  224. 


^   Siehe  I.),  Spanien,  1.  Exemplar  (S.  291). 

-  Siehe  unter  L.  silvestris  L.  I.),  Spanien,  2.  und  3.  Exemplar  (S.  291). 

3  Im  Standortsverzeichnisse  mit  X  bezeichnet. 


Lathyrus- Arten  aus  der  Section  Eulathyrns.  307 

Flügel  des  Stengels  jederseits  2 — 2^^l^mm  breit;  die 
Blattstielflügel  sind  nur  am  ersten  Gliede  des  Blatt- 
stieles (d.  h.  vom  Grunde  desselben  bis  zum  Insertionspunkte 
des  ersten  Blättchenpaares)  wohl  ausgebildet,  hier  jederseits 
2 — bmm  breit  und  daselbst  ungefähr  so  breit  bis  fast 
zweimal  so  breit  als  die  Stengelflügel;  an  den  übrigen 
Gliedern  des  Blattstieles  (d.h.  zwischen  den  einzelnen  Blättchen- 
paaren) ersetzt  eine  schmale  Leiste  die  blattartigen  Flügel. 
Die  einzelnen  Blattstielglieder  sind  g^gen  einander  unter  sehr 
stumpfen  Winkeln  knieförmig  abgeknickt.  Die  Zähnchen  an 
den  Flügeln  meist  ziemlich  dicht,  seltener  ganz  fehlend. 

Untere  Blätter  meist  mit  nur  zwei,  die  übrigen  meist 
mit  vier,  seltener  sechs  Blättchen,  von  denen  die  zwei 
obersten  manchmal  sehr  schmal  und  wenig  entwickelt  sind.^ 

Blättchen  oval  bis  lanzettlich,  die  des  ersten 
Paares  stets  relativ  breiter  als  die  des  zweiten,  erstere 
45— lOo^wm  lang,  8 — S4  mm  breit,  2^/^ — 8mal  so  lang  als 
breit,  letztere  35 — 85  mm  lang,  6—22  mm  breit,  (272")  4 — 9mal 
so  lang  als  breit;  entweder  von  der  Mitte  nach  beiden  Enden 
allmälig  verschmälert  oder  fast  überall  nahezu  gleich  breit  und 
erst  an  den  Enden  sich  rasch  verschmälernd,  stets  an  der 
Spitze  stumpf  oder  abgerundet.  Farbe  oben  gras-,  unten  bläu- 
lichgrün. 

Der  vordere  Theil  der  Nebenblätter  lanzettlich  bis 
eilanzettlich,  19 — 29  (37)  mm  lang  und  4^2  —  15  mm  breit, 
2— 5mal  so  lang  als  breit,  ^/^—\^/^ma\  so  breit  als  der 
Stengel  sammt  den  Flügeln;  das  erste  Glied  des  zu- 
gehörigen Blattstieles  etwas  kürzer  bis  1^4 mal  so  lang. 

Blüthenstiele  ungefähr  so  lang  bis  2-  (3V3-)mal  so  lang 
als  der  zugehörige  Blattstiel  sammt  einem  Blättchen  des  ersten 
Paares  (als  gerade  Fortsetzung  gemessen),,  5 — I2blüthig. 

Bracteen  sehr  kurz  bis  ^4  ^^^  Länge  des  Blüthen- 
stielchens. 

Blüthen  15 — 21  mm  lang. 

Kelchzähne  (Fig.  18)  durch  schmale  stumpfe 
Buchten    von    einander   getrennt,  die    beiden    oberen    fast 


•   Vergl.  auch  die  Einleitunt?  (S.  287). 


308  A.  Ginzberger, 

viereckig,  mit  kurzer  Stachelspitze,  die  mittleren  drei- 
eckig,^fast  dreimal  so  lang  als  die  oberen  und  IV2  t>is 
2V4mal  so  lang  als  breit;  der  untere  Zahn  meist  schief 
abstehend,  schmäler  als  die  mittleren,  circa  l^/^—l^/^ma\ 
so  lang  als  diese  und  (IV2")  f^^t  2 — 2V2nial  so  lang  als 
die  Kelchröhre. 

Griffel  (Fig.  8)  ziemlich  stark,  und  zwar  hauptsächlich 
am  Grunde  gebogen,  bisweilen  schwach  S-förmig  gekrümmt, 
vorne  kaum  erweitert. 

Reife  Hülsen  67—75  mm  lang,  9V2 — 1 1  wtw  hoch. 

Samen  kugelig  oder  seitlich  mehr  oder  weniger  zu- 
sammengedrückt oder  fast  walzlich,  ziemlich  grob-  und  stumpf- 
oder  feinrunzelig,  4—6  mm  lang,  hellbraun  bis  schwarz;  Nabe  1 
auf  die  Oberseite  des  Samens  beschränkt,  seltener 
ausserdem  einen  kleinen  Theil  der  Hinterseite(?)  desselben, 
d.  i.  circa  Yg  des  Samenumfanges  einnehmend. 

Drüsen  fand  ich  einmal  auf  jungen  Hülsen  zahlreich. 
Im  übrigen  ist  die  Pflanze  ganz  kahl,  bis  auf  kurze  Härchen 
am  Kelchrand,  ferner  zerstreute  Härchen  an  den  noch  unent- 
wickelten Spitzen  der  Blüthenstiele;  einmal  fand  ich  an  der 
Unterseite  eines  Blättchens  auf  dem  Mittelnerv  einige  Haare. 

Verbreitungsgebiet. 

Süd -Schweden;  West-Alpen  bis  nach  Wallis;  Central- 
und  Süd -Tirol;  ganzer  Jura;  Harz,  Thüringen;  Nord-Böhmen; 
Preussisch  Schlesien;  Siebenbürgen. 

Standortsverzeichniss. 

I.  Schweden.  E  Westro  Gothia  (Wikström;  hb.  M.).  — 
X  Hall,  boreal.,  Klädesholm  (Steurin;  hb.  M}).  —  Jett  äker- 
garde  norr  om  Öglanda  pä  Billingen  (Lagerheim;  hb.  M.).  — 
Smäland,  Krigsdala  (Arrhenius;  hb.  M.,  hb.  B.).  —  Scania 
(Andersson;  hb.  M.). 

IL  West-Alpen,  a)  Schweiz.  Bex  (Thomas;  hb.  Tr.; 
*  z.  Th.,  t  z.  Th.  hb.  M.;  hb.  B.);  Lautennay  (Reichenbach  fil.; 


1  Siehe  das  E.xemplar  vom  gleichen  Standorte  unter  Lathyrus  angnsli- 
folins  [Roth](S.  298). 


Laihyr US -Arten  aus  der  Section  Eulatkyrus.  309 

hb.  \I.).  —  Frenieres  sur  Bex;  prairie,  800  m  (ex  herb.  M  ort  hier; 
hb.  H.).  — .  Pres  Gryon  (hb.  B.,  hb.  Tr.).  —  Vallee  de  Ferret 
(Reuter;  hb.  B.).  —  Valais;  Liddes,  bords  des  champs  (hb.  M.). 
—  Wallis;  Bourg-St.  Pierre,  Böschungen  an  der  Strasse  (Des- 
eglise;  hb.  K.).  —  Dans  les  moissons  de  St.  Pierre  en  montant 
au  Gr.  S.  Bernhard  (ex  herb.  Leresche;  hb.  Tr.).  —  Hauderes, 
vallee  d'Herens,  Leuker-Bad  (Rion;  hb.  M.).  —  *  Entre  Sierre 
et  Loeche  (Churin[?];  hb.  B.). 

bj  Frankreich.  Saint-Ange  pres  de  Grenoble  (Verlot; 
hb.  H.).  —  Lautare t,  Villard -d'Arene,  Hautes -Alpes;  amas  de 
pierres  dans  les  champs;  alt.  1900  w  (Arvet-T.  abb.  Cha- 
boisseau,  abb.  Faure  in  Societe  dauphinoise,  1882,  No  3256; 
hb.  B.). 

c)  Italien.  Piemont:  f  Vinadio  (Reichenbach  fil;  hb. 
M.);  Alpes  Vinadii  (Reuter;  hb.  B.). 

III.  Französisch-schweizerischer  Jura.  *  Pres  boises 
ä  Levier;  dep.  Doubs  (Garnier  in  Billot,  Fl.  Gall.  et  German. 
exsicc,  No  965;  hb.  B.).  —  *  Pontarlier;  dep.  Doubs  (Garnier; 
hb.  U.).  —  La  Cornee;  in  pascuis  montanis,  3600^  (Lerch; 
hb.  U.,  hb.  H.,  hb.  Z.).  —  An  Felsen,  im  Gerolle,  in  Gebüschen 
der  Lägern;  Ct.  Zürich,  Jura-Formation  (Jäggi;  hb. K.). 

IV.  Tirol,  t  z.  Th.  Bergwiesen  westlich  von  Steinach 
(Kern er;  hb.  K.,  hb.  H.).  —  Livina  Longo  (=  Buchenstein) 
(hb.  M.).  —  Tirol,  austr.-orient.;  Ampezzo,  in  pratis  pinguibus 
montanis,  supra  Cortina,  solo  calcar.;  4000^  (Huter;  hb.  K.); 
*  Sexten  Pustariae  med.,  in  declivibus  apricis  silvaticis,  solo 
schistaceo;  4400—4600'  (Hut er;  hb.  M.).  —  Tirol,  meridion.- 
orient.;  Pustaria;  in  declivibus  sterilibus  apricis  ad  Innervill- 
graten; solo  schistaceo,  1500— 1600 fw  (Gander  in  Flor.  exs. 
Austr.-Hung.,  No  1604,  I;  hb.  U.,  hb.  H.,  hb.  M.,  hb.  Z.).  — 
Pusterthal  (Gander;  hb.  Z.).  —  X  Val  Vestino:  zwischen 
Turano  und  Moerna,  in  Kastanienhainen  und  an  Buschwerk; 
Kalk,  3000^  (Huter;  hb.M.);  aufwiesen,  900  m  (Porta;  hb.  Z.). 
—  X  Val  di  Tendo  (Reichenbach  fil.,  hb.M.). 

V.  Canton  Schaffhausen  und  Süd-Deutschland. 
Clairieres  du  Längenberg,  sur  l'ancien  chemin  de  Schaff  hausen 
ä  Merishausen;  550  m  (Tripet;  hb.  H.).  —  *  Donaueschingen 
(Bauer[?];  hb.M.).  —  X  Balingen  in  Württemberg  (v.  Entress- 


310  A.  Ginzberger, 

Fürsteneck;  hb. Z.).  —  *  Schalksburg  bei  Balingen  (Fischer; 
hb.  M.). —  f  An  einem  Ackerrain  bei  Lautlingen  nächst  Balingen 
(v.  Entress-Fürsteneck;  hb.  M.).  —  Donnstetten;  schwäbi- 
sche Alb;  auf  Bergwiesen  (Kemmler;  hb.  Keck,  hb.  Z.,  hb.  H., 
hb.M.).  —  In  montibus  calcareis  prope  Ratisbonam  (Ruf;  hb.B.). 

VI.  Harz  und  Thüringen.  X  Harz  (hb.  M.).  —  X  In 
nemoribus  montis  Hercyniae;  solo  calcareo  (hb.M.).  —  X  Hag 
am  Unterharz  (hb.  M.).  —  An  Zäunen  und  Hecken  am  Frauen- 
berge bei  Sondershausen  (Ekart;  hb.  M.).  —  *  Eremitage  bei 
Arnstadt  (hb.  M.).  —  *  Ritterstein  bei  Arnstadt  (Jung;  hb.  M.). 
-—  Jena  (Bogenhard;  hb.  M.).  —  In  der  Wöllmiss(?)  bei  Jena 
(Wilms,  hb.  K.;  X  Bogenhard,  hb.  M.). 

VII.  Böhmen.  Inter  frutices  in  monte  Hrusina  prope 
Waltsch  (Öelakovsky  in  Fl.  exs.  Austr.-Hung.,  No  1604,  II; 
hb.  U.,  hb.  M.,  hb.  H.).  —  In  lichten  Berggehölzen  am  Göltsch- 
berge  bei  Auscha  (Mayer;  hb.  Z.). 

VIII.  Preussisch  Schlesien.  Geiersberg  (Schumann; 
hb.  M.).  —  *  Geiersberg  bei  Schweidnitz  (Reichenbach  fil., 
hb.  M.).  —  Elsenberge  bei  Zobten  (hb.  M.). 

IX.  Siebenbürgen  (Schur;  hb.  Keck). 

Zur  Synonymie. 

Warum  Lathyrus  heterophyllus  Goüan,  Hort.  Monspel. 
(1762),  p.  370  nicht  identisch  mit  Lathyrus  heterophyllus  L. 
sein  soll,  wie  der  Index  Kewensis  angibt,  sondern  mit  »Lathyrus 
latifolius  L.«,  ist  nach  der  Diagnose  nicht  einzusehen.  Die  als 
Standorte  angegebenen  Orte  habe  ich  nicht  finden  können. 

Manche  Autoren  (Alefeld,  Grenier  et  Godron)  citiren 
zu  Lathyrus  heterophyllus  L.  als  Synonym  Lathyrus  inter- 
medius  Wallroth,  Sched.  crit.  (1822),  tom.  I,  p.  386.  Dazu 
dürfte  wohl  die  Angabe  »foliola  bijuga«,  die  sich  in  den 
Erläuterungen  zur  Diagnose  findet,  bewogen  haben,  obwohl 
diese  selbst  ausdrücklich  von  »cirrhi  diphylli«  spricht. 
Doch  ist  zu  bedenken,  dass  Lathyrus  heterophyllus  L.  in  der 
Umgebung  von  Halle,  aufweiche  sich  Wallroth's  Schedulae 
beziehen,  kaum  vorkommen  dürfte.  Ferner  passt  die  Angabe 
Wallroth 's  »stipulae  lineares  ....  angustissimae«  sehr  selten 
auf  Lathyrus  heterophyllus  L. 


Laihyrits -Arten  aus  der  Section  Eulalhyrns.  311 

Lathyrus  heterophyllus  L.  zeigt  einige  beachtenswerthe 
Formen.  Zunächst  sei  eine  Form  erwähnt,  welche  sich  von  den 
typischen  Exemplaren  durch  die  geringe  Grösse  ihrer  Blättchen 
(erstes  Paar  45 — 65  mm  lang,  7 — 12  mm  breit,  zweites  Paar 
35 — 46  mm.  lang,  5 — 7  mm  breit)  auszeichnet.  Diese  Form 
scheint  nicht  im  ganzen  Verbreitungsgebiete  der  Art  vorzu- 
kommen; am  ausgesprochensten  ist  das  erwähnte  Verhältniss 
bei  den  Exemplaren  aus  den  Westalpen  und  dem  Jura.  Die  zu 
dieser  Form  gehörigen  Exemplare  sind  im  Standortsverzeichniss 
mit  *  bezeichnet. 

Eine  zweite  Form  zeichnet  sich  durch  auffallend  schmale, 
denen  des  Lathyrus  silvestris  L.  ähnliche  Blättchen  aus  (circa 
8  —  lOmal  so  lang  als  breit).  Die  hieher  gehörigen  Exemplare 
sind  mit  f  bezeichnet.  Keine  der  beiden  Formen  ist  vom  Typus 
scharf  zu  trennen. 

Auch  di^  Zahl  der  Blättchen  unterliegt,  wie  bereits  erwähnt, 
manchen  Schwankungen.  Meist  sind  deren  zwei  Paare  an  einem 
Blatte  vorhanden,  doch  findet  man  auch  Exemplare,  an  denen 
alle  oder  die  meisten  Blätter  ein  Paar  (var.  unijngus  Koch)  oder 
drei  Paare  von  Blättchen  tragen.  Die  zu  ersterer  Form  zu 
rechnenden  Exemplare  sind  im  Standortsverzeichniss  mit  X 
bezeichnet,  zu  letzterer  gehört  ein  Theil  der  Exemplare  von 
Hauderes,  Canton  Zürich,  Steinach  (Tirol)  und  das  Exemplar 
aus  dem  Vallee  de  Ferret. 

Besonders  bemerkenswerth  ist  die  Varietät  unijugus  Koch, 
da  sich  dieselbe  durch  den  Mangel  des  zweiten  Blattpaares 
anderen  Arten  der  Gruppe  nähert,  vor  allem  dem  Lathyrus 
angnstifolius  [Roth],  von  welchem  sie  sich  jedoch  durch 
die  grösseren  Nebenblätter  und  die  stark  ungleichen  Kelch- 
zipfel  unterscheidet.  Von  den  Exemplaren  des  Lathyrus  megal- 
anthus  Steudel  mit  schmäleren  Blättchen  ist  die  var. 
unijugus  Koch  durch  die  an  der- Spitze  meist  mehr  abgerundeten 
Blättchen  mit  schwächer  hervortretender  Nervatur,  die  schmä- 
leren Stengelflügel,  das  Verhältniss  der  Länge  des  unteren 
Kelchzahnes  zu  derjenigen  der  Kelchröhre,  sowie  auch  durch 
den  Habitus  zu  unterscheiden.  Lathyrus  heterophyllus  var. 
nnijugus  Koch  scheint  für  gewisse  Gebiete  charakteristisch 
zu  sein,  so  für  Südtirol  und  den  Harz;  in  letzterem  Gebirge 


312  A.  Ginzberger, 

kommt   nach    meinen  Erfahrungen  überhaupt  nur  diese  Va- 
rietät vor. 


Lathyrus  Cirrhosus  Seringe  in  De  CandoUe,  Prodr., 
pars  II  (1825),  p.  374. 

Flügel  des  Stengels  jede rs ei ts  1 — 2ntm  breit;  Blatt- 
stielflügel nur  am  ersten  Gliede^  des  Blattstieles 
wohl  ausgebildet  und  hier  jederseits  bis  Intm  breit, schmäler 
bis  höchstens  so  breit  als  die  des  Stengels;  das  zweite  und 
die  folgenden  Glieder^  des  Blattstieles  haben  statt 
der  Flügel  nur  schmale  Leisten.  Zähnchen  an  denselben 
meist  fehlend,  selten  einige  sehr  entfernt  stehende  vorhanden. 

Unterste  Blätter  bisweilen  nur  mit  zwei,  die  übrigen 
mit  meist  sechs,  doch  auch  vier  oder  acht  Blättchen. 

Blättchen  elliptisch,  in  der  Mitte  am  breitesten,  an  der 
Spitze  stumpf  oder  abgerundet,  mit  meist  deutlich  abgesetztem 
Stachelspitzchen ;  Blättchen  des  nämlichen  Blattes  nach  der  Spitze 
desselben  an  Grösse  abnehmend,  also  das  erste  Blättchen- 
paar am  grössten,  21  —  48  mm  lang,  8  — 16  ww  breit,  2V4- 
bis  4Varnal  so  lang  als  breit.  Farbe  oben  grasgrün,  unten 
blasser  bis  graugrün.  Über  die  Nervatur  siehe  Einleitung  (S.  284). 

Vorderer  Theil  der  Nebenblätter  lanzettlich  bis  lineal- 
lanzettlich,  5  — 11  mm  lang,  1  —  2V2  ^^^  breit,  2  —  3  mal 
schmäler  als  der  Stengel  sammt  den  Flügeln;  das 
erste  Glied  des  zugehörigen  Blattstieles  l^/^ — 3 mal  so  lang. 

Blüthenstiele  ungefähr  zweimal  so  lang  als  der  zu- 
gehörige Blattstiel  sammt  einem  Blättchen  des  ersten  Paares,^ 
4—8  blüthig. 

Bracteen  sehr  kurz  bis  V2  ^^^  Länge  des  Blüthen- 
stielchens. 

Blüthen  16  — 17  wm  lang. 

Kelchzähne  (Fig.  19)  durch  breite  gerundete  Buchten 
von  einander  getrennt;  die  beiden  oberen  kurz  dreieckig, 
die  mittleren  circa  2mal  so  lang,  dreieckig-pfriemlich, 
fast  2 mal  bis  etwas  über  2 mal  so  lang  als  breit;  der  untere 


^  Vergleiche  hierüber  das  bei  Lathynis  hcterophyllus  L.  (S.  307)  Gesagte. 


I 


Laihyrus 'Arien  aus  der  Section  Eulathyrtts.  313 

circa  Vg  länger  als  die  mittleren  und  circa  P^nial  so  lang 
als  die  Kelchröhre. 

Griffel  ziemlich  stark  gekrümmt,  an  der  Spitze  nicht 
verbreitert. 

Reife  Hülsen  42 — AT  mm  lang,  7 '5  mm  hoch. 

Samen  kugelig  bis  kurzwalzlich  (cult.^),  oder  seitlich 
comprimirt  (wild  2),  auffallend  grob-  und  stumpf  runzelig  (cult.^) 
oder  ziemlich  fein  gerunzelt  (wild  ^),  hellbraun,  3V2 — 4V2  ^w/ 
lang;  Nabel  nur  die  Oberseite,  und  zwar  zum  grössten 
Theile  einnehmend,  d.  i.  circa  V4  ^^s  Sameoumfanges. 

Drüsen  fand  ich  an  jungen  Blüthenknospen;  sonst  ist  die 
Pflanze  bis  auf  den  meist  flaumigen  Kelchsaum  ganz  kahl. 

Verbreitungsgebiet. 

Departement  Pyrenees-orientales. 

Standortsverzeichniss. 

Pyrenees  orientales  (Aunier;  hb.  M.).  —  Bords  de  la  Tet, 
pres  de  Mont-Louis  (Companyo  in  assoc.  vogeso-rhenane; 
hb.  U.).  —  Entre  Mont-Louis  et  Olette  (Huet  du  Pavillon; 
hb.  B.,  hb.  M.).  —  Font  pedronie  pres  Olette  (Cosson[?];  hb. 
Keck).  —  Prades  (ex  hb.  Jordan;  hb.  B.,  hb.  Tr.,  hb.  Z.). 

Lathyrns  cirrhosus  Str'xngQ  unterscheidet  sich  von  allen 
anderen  Arten  der  Gruppe  durch  seine  meist  dreipaarig  ge- 
fiederten Blätter  und  die  Nervatur  der  Blättchen.  Durch  das 
erstgenannte  Merkmal  nähert  er  sich  gewissen,  nicht  hieher 
gehörigen  Lathyrtts -ArteUj  z.  B.  Lathyrus  palustris  L.,  von 
denen  er  sich  aber  durch  den  gekrümmten  und  gedrehten 
Griffel  scharf  unterscheidet. 

Lathyrus  undulatus  Boissier,  Diagn.  plant.  Orient,  nov.. 
ser.  II,  fasc.  2  (1856),  p.  41. 

Syn.  L.  /^///o//«s  Sibthorp  und  Smith,  Flor.  Graec.  prodr.  (1813),  vol.  11, 
p.  69. 
L.  latifoUus   und   ß)  clongaltts   Grisebach,   Spicileg.   flor.  Rumel.   et 
Bithyn.  (1843),  vol.  I,  p.  70. 


1  Von  einem  cultivirten  Exemplar. 

2  Von  einem  wilden  Exemplar  (nur  einen  Samen  gesehen). 


•^14  A.  Ginzberger, 

L.  Xoüanus  Alcfeld  in  Bonplandia,  IX  (1861),  p.  152. 
L.  Sibthorpii  Baker  in  the  gardeners  chronicle,  III.  ser.,  vol.  VII  (Jan. 
to  Jun.  1890),  p.  704. 

Flügel  des  Stengels  jederseits  1  —  2  mm  breit;  die 
der  Blattstiele  bis  1  mm  breit,  meist  jedoch  durch  eine 
schmale  Leiste  .ersetzt;  Zähnchen  an  denselben  fehlen. 

untere  Blätter  in  eine  Vs — ^^U^^^  lange,  vorne  etwas 
blattartig  verbreiterte,  spitze  Granne,  die  übrigen  in  eine 
meist  einfache,  seltener  2-  oder  3-  (einmal  4-)  spaltige 
Ranke  endigend. 

Blättchen  elliptisch  bis  breit  lanzettlich,  die 
unteren  manchmal  verkehrt  eiförmig,  38—65  (71)  mm  lang, 
13—32  (41  — 48)  ww  breit,  V/^—a^/^meil  so  lang  als  breit, 
gegen  den  Grund  stets  verschmälert,  an  der  Spitze  aber  spitz, 
stumpf  oder  abgerundet,  seltener  etwas  ausgerandet;  Rand 
der  Blättchen  kleinwellig  gekräuselt,  seltener  fast  un- 
gekräuselt und  nur  hie  und  da  mit  einör  kleinen  Biegung. 
Farbe  oben  grasgrün,  unten  graugrün. 

Vorderer  Theil  der  Nebenblätter  lanzettlich,  9 — 21 
(26)  mm  lang,  P/s — 4V2  ^^w  breit,  3V3— 8  mal  so  lang  als  breit, 
kaum  halb  so  breit  bis  so  breit  als  der  Stengel  sammt 
den  Flügeln;  der  zugehörige  Blattstiel  kürzer  bis  zweimal 
so  lang. 

Blüthenstiele  2 — 372^^1  so  lang  als  der  zugehörige 
Blattstiel  sammt  Blättchen,  5  — lOblüthig. 

Bracteen  pfriemlich,  manchmal  nur  schuppenförmig,  kurz 
dreieckig;  stets  viel  mal  kürzer  als  das  Blüthenstielchen. 

Blüthen  (18)  21  — 23  mm  lang. 

Kelch  Zipfel  (Fig.  20)  durch  spitze  oder  etwas  rundliche, 
stets  aber  schmale  Buchten  von  einander  getrennt;  die 
beiden  oberen  kurz  dreieckig,  mit  feiner  Spitze,  die 
mittleren  dreieckig,  circa  Y3  länger  als  die  oberen, 
zweimal  so  lang  als  breit;  der  untere  Zahn  wenig  länger, 
aber  schmäler  als  die  mittleren,  ungefähr  so  lang  oder 
etwas  kürzer  als  die  Kelchröhre. 

Griffel  (Fig.  21)  sehr  schwach  gekrümmt,  gegen 
die  Spitze  stark  verbreitert,  geflügelt,  vorne  ab- 
gestutzt oder  etwas  ausgerandet. 


Laihvnts -Arien  aus  der  Section  Eulalkyrns.  315 

Reife  Hülse  60  mm  lang,  7  mm  hoch  (cultivirtes  Exem- 
plar), 75  mm  lang,  \\  mm  breit  (wildes  Exemplar);  erstere 
vorne  stark  aufwärts  gebogen,  letztere  von  gewöhnlicher  Form. 

Samen  ^  walzlich,  vorn  und  hinten  etwas  abgerundet, 
feinrunzelig,  schwarz,  6V2  — 7  f«w  lang,  4V2  *wm  dick;  Nabel 
nur  die  vordere  Hälfte  der  Oberseite  einnehmend. 

Behaarung.  Drüsen  fand  ich  an  einem  Exemplar  an  der 
Unterseite  einiger  Blättchen,  ferner  häufig  auf  den  Neben- 
blättern. Diese,  sowie  die  Blattstiele  am  Rande  oft  mit 
Wimpern  besetzt,  welche  bei  letzteren  gegen  den  Grund 
des  Blattstieles  zu  am  dichtesten  stehen.  Sonst  ist  die 
Pflanze  kahl,  auch  der  Kelchsaum  und  die  Spitzen  der  noch 
unentwickelten  Blüthenstiele. 

Verbreitungsgebiet. 

Umgebung  von  Constantinopel. 

Standortsverzeichniss. 

Turquie  d'Europe  (Thirke;  hb.  B.  als  Lathyrus  latifolhis). 
—  Constantinopel  (Fontenay,  hb.  B.;  Noe;  hb.  B.;  Aucher, 
hb.  M.).  —  Bujuk-Dere  (Nemetz;  hb.  U.).  -—  In  silvis  ad 
Bosporum  prope  Bujuk-Dere  (Pichler,  PI.  exsicc.  flor.  Rumel. 
et  Bithyn.;  hb.  K.,  hb.  H.).  —  Therapia;  Hügel,  Gebüsch  (Mer- 
genthaler;  hb.  Z.).  —  In  silvarum  marginibus  prope  Jeni  Keui 
Bospori  Rumelici  (Murmang[?];  hb.  B.).  —  In  agro  Byzanthino, 
in  silvis  Belgradensibus  (Degen,  It.  Orient.  1890;  hb.  M.). 

Zur  Synonymie. 

Lathyrus  latifolhts  Sibthorp  und  Smith  wird  schon  von 
Boissier  als  Synonym  zu  seinem  Lathyrus  undulatus  citirt, 
was  mit  Rücksicht  auf  die  Standortsangabe  »ad  ripas  Bosphori* 
wohl  richtig  ist;  denn  daselbst  kommt  ausser  Lathyrus  undu- 
latus Boissier  kaum  eine  andere  Art  vor.  Aufweiche  Pflanze 
sich  der  zweite  in  Sibthorp  und  Smith  1.  c.  für  Lathyrus 
latifolins  angegebene  Standort  »in  Laconia«  bezieht,  vermag 
ich  nicht  zu  sagen. 


'  Nur  vier  Stück  bei  einem  cultivirten  Exemplar  gesehen. 


316  A.  Ginzberger, 

Auch  Grisebach's  Exemplare  aus  Bithynien  werden  von 
Boissier  mit  !  zxxLathyrtiS  undulatus  citirt;  die  var.  elongafns 
Grisebach  ist  nur  eine  üppige,  reichblüthige  Form. 

Mit  Rüci<sicht  auf  das  Gebiet,  aus  welchem  der  Lathyrus 
Noeanus  Ale  fe\d  stammen  soll  (Georgien,  Kurdistan),  kommen 
zwei  Arten  in  Betracht:  Lathyrus  angtistifolins  [Roth]  und 
Lathyrus  rotundifolius  WiWdenow.  Von  den  Meri<malen,  die 
Alefeld  angibt,  passen  aber  fast  alle  auf  eine  dritte,  in  dem 
genannten  Gebiete  nicht  nachgewiesene  Art,  nämlich  auf 
Lathyrus  undulatus  Boissier;  ein  Merkmal  (»Stengel  nur 
ganz  oben  mit  einer  Spur  von  Flügeln«)  passt  auf  keine  Art 
aus  unserer  Gruppe,  ein  anderes  (»Blattstiel  ungeflügelt«)  auf 
Lathyrus  rotuudifolius  Willdenow  und  Lathyrus  undulatus 
Boissier  nur  dann,  wenn  man  eine  schmale  Leiste  nicht  als 
»Flügel«  bezeichnen  will.  Das  Merkmal  »foliola  2— 3  mal  so 
lang  als  petiolus«  passt  am  besten  auf  Lathyrus  angustifolins 
[Roth],  trifft  aber  auch  bei  den  beiden  anderen  hie  und  da  zu. 
Aus  den  erwähnten  Gründen  stehe  ich  nicht  an,  Lathyrus 
Noeanus  Alefeld  hieher  zu  ziehen;  besonders  bestimmt  mich 
hiezu  die  Beschreibung  des  Griffels,  durch  den  sich  Lathyrus 
undulatus  Boissier  in  geradezu  auffallender  Weise  von  allen 
anderen  Arten  der  Gruppe  unterscheidet. 

Gänzlich  im  Widerspruch  zu  meiner  Ansicht  steht  freilich 
der  Umstand,  dass  Alefeld  zwei  Exemplare  aus  Helenendorf 
(Georgia  Caucasica),  von  H  o  h  e  n  a  c  k  e  r  als  Lathyrus  lati- 
folius  L.  bestimmt,  zu  seinem  Lathyrus  Noeanus  citirt.  Ich  sah 
selbst  solche  Exemplare;  diese  gehörten  aber  zu  Lathyrus 
angustifolius  [Roth],  auf  den  jedoch  die  Diagnose  absolut 
nicht  passt.^  Diesen  Widerspruch  vermag  ich  nicht  zu  lösen. 

Die  Originalbeschreibung  des  Lathyrus  Sibthorpii  Baker 
passt  bis  auf  die  Angabe  »caulibus  late  alatis«  ganz  auf 
Lathyrus  undulatus  Boissier.  Die  Angabe  für  die  Blütenfarbe 
»mauve-red,  fading  to  violett*  dürfte  sogar  nur  für  Lathyrus 
undulatus   Boissier    zutreffen.    Auch   die   Bemerkung,   dass 


1  Diese  Exemplare  mögen  Boissier  auch  wohl  veranlasst  haben,  in  Fl. 
Orient.,  II,  p.  611  Lathyrus  Noeanus  Alefeld  zu  semQm  Lathyrus  silvesiris 
zu  ziehen. 


Z,ij///vr//.'» -Arten  aus  der  Section  Enlathynts.  317 

Lathyrtis  Sibthorpii  Baker  im  Garten  ungefähr  einen  Monat 
früher  blüht  als  Lathyrtis  rotuudifolius  Willdenow,  spricht 
für  die  Identität  des  ersteren  mit  Lathyrtis  tmdtilattis  Boissier, 
der  übrigens  auch  in  Freiheit  viel  früher  blüht  als  Lathyrtis 
rottind if oliiis  WWldenow.  Baker  führt  femer  an,  dass  Sib- 
thorp,  nach  welchem  die  Pflanze  benannt  wurde,  wahrschein- 
lich derjenige  war,  der  die  Samen  derselben  nach  England 
gebracht  hat.  Nun  citirt  Boissier,  auf  den  sich  Baker  bezieht, 
in  seiner  »Flora  Orientalis«  den  Namen  Sibthorp  nur  im  Stand- 
ortsverzeichniss  des  Lathyrtis  tmdtilattis^  nicht  aber  in  dem  des 
Lathyrtis  rottmdifolitis  Willdenow.  Endlich  führt  Baker  zwei 
vonAucher  »vor  50  Jahren«  bei  Constantinopel  gesammelte 
Exemplare  an,  die  mit  seinem  Lathyrtis  Sibthorpii  überein- 
stimmen sollen.  Im  hb.  M.  sah  ich  nun  drei  solche  Exemplare 
welche  ganz  sicher  zu  Lathyrtis  tmdtilattis  Boissier  gehören. 
Lathyrtis  undtilattis  Boissier  weicht  durch  die  Beschaffen- 
heit des  Randes  seiner  Blättchen  und  den  Bau  seines  Griffels 
von  allen  Arten  unserer  Gruppe  sehr  stark  ab.  In  der  Beschaffen- 
heit des  Griffels  zeigt  die  folgende  Art  einige  Ähnlichkeit. 

Lathyrus  rotundifolius  Willdenow,  Spec.  plant.  (1800), 
tom.  III,  pars  II,  p.  1088. 

Syn.  L,  pcdttncularis  Poiret,  Encycl.  method.,  suppl.  (1811),  II.  p.  775. 

L.  roinndtfolius  var.  1)  genuinus  .Alefeld  in  Bonplandia,   IX  (1861), 
p.  151. 
Icones.  M.  a  Bieberstein,  Centur.  plant,  rar.  Ross.  merid.  (1810),  pars  I, 
tab.  22. 

Varietät. 
L.  rotundifolius  var.  ellipUcus  Seringe  in   De  Cand.   Prodr.,  tom. 
(1825),  p.  370. 

Alel'eld  in  Bonplandia,  IX  (1861),  p.  151. 
L.  rotundifolius  var.   M.  a  Bieberstein,  Flor.   Taur.-Caucas.  (1819) 

tom.  III,  suppl.,  p.  466  (Beschreibung  ohne  Namen). 
L.  miniatns   M.  a  Bieberstein    in    Steven,   Verzeichniss    der   taur 
Pflanzen  in  Bullet,  de  la  soc.  imper.  des  naturalistes  de  Moscou, 
tom.  XXIX  (1856),  No  III,  p.  161;  Sep.  (1857),  p.  140.1 
Icones.  Curtis,  Botanical  magazine,  Ille  ser.,  vol.  XXXVI  (1880),  tab.  6522. 


1  Gartennamen:  Lathyrus  rotundifolius  ß)  sanguineus  hört.  Prag,   und 
Lathyrus  rotuudifolius  ß)  ovalifolius  Fenzl  hört.  Vindob. 


318  A.  Ginzberger, 

Flügel  des  Stengels  jederseits  1  —  3  mm  breit,  die  der 
Blattstiele  erheblich  schmäler,  entweder  einen  V2  ^^^ 
V/^mm  breiten  Flügel  oder  nur  eine  schmale  Leiste 
darstellend.  Zähnchen  fehlen. 

Blättchen  meist  elliptisch,  nach  beiden  Enden  gleich- 
massig  verschmälert,  seltener  fast  kreisrund  oder  verkehrt  ei- 
förmig, 32—52  (65)  wm  lang,  (13)  20—32  (46)  mm  breit,  17^- 
bis  2V3  (3-)  mal  so  lang  als  breit.  Obere  Blättchen  relativ- 
schmäler  oder  breiter  als  die  mittleren,  die  untersten  manchmal 
fast  lanzettlich  (4  [6-]  mal  so  lang  als  breit).  Farbe  oben  gras-, 
unten  blaugrün.  Rand  der  Blättchen  hie  und  da  etwas  ge- 
kräuselt.^ Vorderer  Theil  der  Nebenblätter  lanzettlich  bis 
breitlanzettlich,  fein  zugespitzt,  15  —  2\  mm  lang,  4  —  9  innt 
breit,  27» — 4  mal  so  lang  als  breit,  etwas  schmäler  bis  so  breit 
als  der  Stengel  sammt  den  Flügeln;  der  zugehörige  Blattstiel 
etwas  kürzer  bis  2 mal  so  lang. 

Blüthenstiele  wenig  länger  bis  2mal  so  lang  als 
der  zugehörige  Blattstiel  sammt  Blättchen,  5  — 12- 
blüthig. 

Bracteen  pfriemlich,  meist  Vs"  Vs  ^^s  Blüthenstielchens. 

Blüthen  \7—23mm  lang. 

Kelchzähne  (Fig.22)  durch  rund  liehe,  meist  schmale 
Buchten  von  einander  getrennt,^  die  beiden  oberen  fast 
viereckig  bis  kurz  dreieckig,  breiter  als  lang  bis  fast 
2mal  so  breit  als  lang,  die  mittleren  dreieckig,  IV2"  t>is 
fast  2  mal  so  lang  als  die  oberen  und  V/^rnsii  so  breit 
als  lang  bis  172"^^!  so  lang  als  breit;  der  untere  Zahn 
etwas  schmäler  und  174-  t>is  über  P/sirial  länger  als  die 
mittleren,  so  lang  oder  etwas  kürzer  bis  fast  nur  7^ 
so  lang  als  die  Kelchröhre. 

Griffel  (Fig.  23)  selten  S-förmig  gekrümmt,  meist  fast 
gerade,  an  derSpitze  etwas  gekrümmt,  daselbst  etwas 
bis  löffeiförmig  verbreitert  und  nur  sehr  spärlich 
behaart. 

Reife  Hülsen  50— 68  wm  lang,.  7  — 9  mm  hoch,  nach 
vorne  manchmal  verbreitert. 


1  Über  die  Nervatur  der  Blättchen  vergl.  die  Einleitung  (S.  284). 

-'  Nur  die  Bucht  zwischen  den  oberen  und  mittleren  Zähnen  ist  oft  breit. 


Lathyrus 'Arten  aus  der  Section  Eulathyrus.  319 

Samen  fast  würfelförmig,  mit  abgerundeten  Kanten  und 
Flächen,  oder  seitlich  comprimirt,  dunkelbraun,  3V2 — ^Vs  ^«* 
lang,  ziemlich  fein  gerunzelt;  Nabel  nur  die  Oberseite  des 
Samens,  d.  i.  circa  74  des  Umfanges  einnehmend. 

Behaarung.  Drüsen  sehr  zerstreut,  an  jungen  und  er- 
wachsenen Ranken  und  Nebenblättern,  an  Stengel-  und  Blatt- 
stielflügeln hie  und  da.  Kelchsaum  kurzvvimperig,  sonst  alles 
kahl  (auch  die  Spitzen  der  noch  unentwickelten  Blüthenstiele). 

Verbreitungsgebiet. 

Von  dem  Gebirge  der  Krim  durch  den  Kaukasus  bis  in 
den  westlichen  Eiburs,  ins  nördliche  Armenien  und  nordöst- 
liche Kleinasien.* 

Standortsverzeichniss. 

I.Halbinsel  Krim.  Tauria  (Steven;  hb. M.).  —  Simferopol, 
Berge  bei  Neusatz  (Gallier  in  Herb.  Rossicum,  No  37;  hb.  U., 
hb.  H.,  hb.  M.). 

II.  Kaukasus  (X  hb.  P.;  Steven,  Trinius,  hb.  M.).  — 
X  Beschtau  (ex  hb.  Dr.  v.  Hoefft;  hb.  M.). 

III.  Transkaukasien  und  Armenien.  In  fruticosis  mon- 
tanis  ditionis  Elisabethpol  Georgiae  Caucasicae  (Hohenacker 
in  un.  itinerar.,  1834;  hb.  P.,  X  hb.  B.,  X  z.  Th.  hb.  M.).  — . 
Iberia  Caucasica  (ex  hb.  Jacquin,  hb.  M.;  Hohenacker,  hb 
B.).  —  X  Armenien  (Huet  du  Pavillon;  hb.  B.).  —  Armenia 
Rossica  (Szovits;  hb.  Keck,  hb.  H.,  hb.  M.).  —  Armenia 
Turcica:  Szandschak  Gümüschkhane,  Kirkpauli  (Sintenis,  it. 
Orient.,  1894,  No  5958;  hb.M.,  hb.U.);  X  Montes  inter  Gümüsch- 
khane et  Baibons  (Bourgeau;  hb.  B.).  —  Lazistan,  vallee  de 
Djimil,  vers  2000  metres  d'altitude;  moissons  (Balansa,  Plantes 
d'Orient,  1866;  hb.M.,  X  hb.  B.).  —  Ersemm  (Calwert;  hb.B.). 
—  .armenia  Turcica;  Sipikor:  in  silvaticis  prope  Siaret  (Sin- 
tenis,  it.  Orient.,  1 890,  No  30 1 5 ;  hb.  U.,  hb.  M.).  -  Zazolorhane  (?) ; 
Armenien  (Huet  du  Pavillon;  hb.  B.). 


1  Wird  von  Boissier  in  Flora  Oriental.  (mit  !)  auch  für  Constantinopel 
angegeben;  für  die  Richtigkeit  dieser  Angabe  mangelt  mir  jeder  Beweis.  Viel- 
leicht beruht  dieselbe  auf  einer  Verwechslung  mit  breitblättrigen  Exemplaren 
dQs  Lathyrus  undulattis  Boissier,  da  Boissier  ein  wichtiges  Merkmal  des 
Lalhyrus  unäulaltis,  den  Bau  des  Griffels,  nicht  gekannt  hat. 
Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Cl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  21 


320  A.  Ginzberger, 

IV.  Nordpersien.  In  agris  cultis  pagi  Assadbar  parte 
occidentali  montium  Eiburs  (Kotschy,  pl.  Pers.  bor.,  No  452; 
hb.  B.,  hb.  M,). 

V.  X  Betchenag  ^  (Buhse;  hb.  B.). 

Zur  Synonymie. 

Im  hb.  M.  liegen  zwei  Exemplare  von  Lathyms  roseus 
Steven,  von  Hohenacker  1834  gesammelt.  Die  beigegebene 
gedruckte  Etiquette  enthält  in  Klammern  die  Bemerkung 
»Lathyms  rotunäifolius  Will d,  sec.  Steven  litt,  ad  Hohen- 
acker«. Es  ist  jedoch  nicht  einzusehen,  warum  Willdeno  w 
mit  seinem  Lathyms  rotnndifolius  die  dort  vorliegende  Pflanze 
gemeint  haben  soll,  auf  welche  das  Merkmal  »internodia 
membranacea«  gar  nicht  passt. 

Was  Poiret  unter  Lathyms  pedtmcularis  verstanden  hat, 
ist  mir  nicht  ganz  klar  geworden.  Auch  Steven*  bezeichnet 
Lathyms  pedtmcularis  als  »planta  dubia«.  Die  Beschreibung 
passt  bis  auf  die  Angabe  »pedunculis  longissimis»  so  ziemlich 
auf  Lathyms  rottindifolhis  Willdenow.  Auch  die  von  Poiret 
angegebene  Heimat  (Taurien)  spricht  für  die  Identität  der 
Pflanze  mit  Lathyms  rotmidifolius  Willdenow,  da  nach 
Steven  daselbst  kein  anderer  Vertreter  unserer  Artengruppe 
vorkommt.  —  Marschall  v.  Bieberstein  gibt  zwar*  auch 
Lathyms  latifolitts  L.  an,  citirt  jedoch  dazu  Rivin's  Ab- 
bildung,* welche  eine  sehr  schmalblättrige  Pflanze  darstellt, 
auf  die  Poiret's  Beschreibung  nicht  passt.  Steven  sagt,  er 
habe  Lathyms  latifolins  L.  aus  der  Krim  nicht  gesehen. 

Zu  Lathyms  rotnndifolius  Willdenow  ist  vielleicht  auch 
der  in  the  gardeners  chronicle,  new  series,  vol.  VI  (Jul. — Dec. 
1876),  p.  16,  ohne  Beschreibung  publicirte  Name  LatJtyms 
Drummondii  zu  ziehen;  denn  Baker,  der  die  Pflanze  sah, 
sagt  l.  c,  III.  series,  vol.  VII  (Jan.— Jun.  1890),  p.  704,  dass  er 
Lathyms  Drummondii  von  Lathyms  rotundifolins  Wi  1 1  d,  nicht 
unterscheiden  könne. 


1  Die  Lage  dieses  Ortes  konnte  ich  nicht  finden. 

2  Vergl.  Verzeichniss  der  Sjnonyma  (S.  317). 
«  Flor.  Taur.-Caucas.  (1808),  II,  p.  157. 

•*  Introd.  gener.  in  rem  herbar.,  pars  II  (1691),  tab.  40. 


Lathyrus 'Arien  aus  der  Section  Eulathyrus.  32 1 

Viele  Exemplare  des  Lathyrus  rofnndifolins  Willd.  sind 
durch  breitere  Flügel  und  Nebenblätter  von  den  taurischen,  die 
nebst  anderen  den  Typus  repräsentiren,  verschieden.  Sie 
entsprechen  der  var.  elliptica  Seringe,  welche  sich  nach 
dessen  Beschreibung  überdies  durch  den  Mangel  kreisrunder 
und  das  ausschliessliche  Vorkommen  elliptischer  Blättchen 
auszeichnet  (siehe  auch  M.  a.  Bieberstein,  1.  c).  Die  hieher 
gehörigen  Exemplare,  die  hauptsächlich  dem  Kaukasus  und 
Armenien  angehören,  sind  im  Standortsverzeichniss  mit  X 
bezeichnet.  —  Ich  fand  jedoch  auch  Exemplare,  die  Merkmale 
der  Stammform  mit  solchen  der  Varietät  combinirten.  Die  einen 
hatten  zwar  schmale  Flügel  und  kleine  Nebenblätter,  aber 
elliptische  Blättchen,^  die  anderen  breitere  Flügel  und  grosse 
Nebenblätter,  aber  rundliche,  stumpfe  Blättchen.^ 

Anmerkung.  Im  hb.  U.  befindet  sich  ein  dem  Lathyrus 
rotundifolius  Willdenow  nahestehendes  Exemplar,  das  aller- 
dings in  der  Form  der  Blättchen  sehr  von  der  genannten  Art 
abweicht.  Die  Blättchen  sind  elliptisch,  bisweilen  etwas  eiförmig, 
18 — 27  mm  lang,  7 — 10mm  breit,  circa  2V2iT)al  so  lang  als 
breit,  vorne  stumpf.  Auffallend  sind  ferner  die  (vielleicht  ab- 
normen) Samen.  Dieselben  sind  in  der  Gestalt  von  denen  aller 
übrigen  hier  behandelten  Arten  verschieden,  mehr  bohnen- 
förmig,  7  mm  lang,  3  Va — 4  mm  breit,  matt,  aber  nicht  gerunzelt. 
Der  Nabel  nimmt  ungefähr  Vs  ^^^  Oberseite  ein. 

Die  Pflanze  ist  als  ^Lathyrus  rotundifolius  M.  B.  var. 
ellipticus  =  Lathyrus  giganteus  Steindachner«  bezeichnet, 
wurde  im  Wiener  botanischen  Garten  im  Jahre  1868  cultivirt, 
und  zwar  aus  Samen,  welche  Steindachner  nach  einer 
mündlichen  Mittheilung  im  Jahre  1865  im  .botanischen  Garten 
zu  Orotava  (Tenerife)  kaufte.  In  den  Samenkatalogen  des 
Wiener  botanischen  Gartens  aus  den  Jahren  1866,  1869,  1871 
publicirt,  gelangten  die  Samen  unter  Anderem  an  Boissier,  in 
dessen  Herbar  ein  »sous  le  nom  de  giganteus«  cultivirtes 
Exemplar  liegt,  welches  von  dem  in  hb.  U.  befindlichen  sehr 


1  Z.  B.  die  Exemplare  von  Simferopol  (hb.  M.),  Kaukasus  (Trinius, 
hb.  M.),  Elisabethpol  (hb.  P.),  Iberia(hb.M.).ArmeniaRossica(hb.  Keck,  hb.M.). 

-  Z.  B.  die  Exemplare  von  Kaukasus  (Steven;  hb.  M.),  Armenia Turcica 
<hb.  M.),  Sipikor  (hb.  U.),  Zazolorhane  (hb.  B.),  Nord-Persien  (hb.  B.,  hb.  M.). 

21* 


322  A.  Ginzberger, 

abweicht  und  in  der  Form  der  Blättchen,  sowie  im  übrigen 
ganz  dem  typischen  Lathyrus  rotundifolius  Willdenow 
gleicht;  nur  die  geringe  Grösse  seiner  Nebenblätter  ist  auffällig. 
Mehr  konnte  ich  üh^v Lathyrus giganteus  Siexn^eLChner ^ 
der  übrigens  im  Index  Kewensis  fehlt,  nicht  erfahren;  da  der 
Ort,  von  welchem  die  Samen  nach  Orotava  kamen,  unbekannt 
ist,  so  habe  ich  die  betreffenden  Exemplare  nicht  weiter 
berücksichtigt. 

Lathyrus   megalanthus  Steudel,  Nomencl.  botan.,  ed.   I 
(1841),  pars  II,  p.  14  (ohne  Beschreibung). 

Syn.  L.  latifolius  [Linne.  Spec.  pl.,  ed.  I  (1753),  tom.  II,  p.  733]  autor.  mu  1 1. 
L.  grandiflorus  Läng,  Syll.  Ratisbon.,  I  (1S24),  p.  182!; 

non  Sibthorp  et  Smith,  Fl.  Graec.  prodr.  (1813),  vol.  II,  p.  67. 
L.  latifolius  var.  ß)  et  f)  rotundifolius,  L.  silvestris  var.  y)  grandißonts 

Reichenbach,  Fl.  Germ,  excurs.  (1830  —  1832),  p.  535. 
L.  silvestris  var.  y)  latifolius  V i s i a  n i ,  Flor.  Dalmat.  ( 1 852),  vol.  III,  p.  329 . 
L.  rotundifolius  Janka,  adnotationes,  in  Linnaea,  XXX  (1859— 1860). 

p.  565 ; 

non  Willdenow,  Spec.  plant.  (1800),  tom.  IIl,  pars  II,  p.  1088. 
X.  brachyteruSj  L,  latifolius  var.  2)  genuinus  z.  Th.  .Alefeld  in  Bon- 

plandia,  IX  (1861),  p.  151!,  resp.  152. 
L.  brachyphyllus  Schur  in  österr.  botan.  Zeitschr.,  XI   (1861).   S.  S.') ; 

Beschreibung  in  Enum.  plant.  Transsilv.  (1866),  p.  176. 
L. grandifolius  Schur,  Enum.  plant.  Transsilv.  (1866),  p.  176. 
Icones.  Bauhinus,  Hist.  (1651),  II,  p.  303. 

Morison,  Hist.  (1715),  pars  II,  sect.  II,  tab.  II,  Fig.  3. 
Miller,  Illustrat.  System,  sexual.  Linn.,  ed.  II  (1792),  tab.  62.1 
Revue  horticole,  ser.  IV,  tom.  III  (1854),  tab.  bei  p.  321. 
Engl,  botany,  vol.  III  (1864),  tab.  403. 

Varietät. 
L.  [latifolius]  megalanthus  var.  ß)  lanceolatus  Freyn  in  Verh.  der  zool.- 
bot.  Gesellsch.,  tom.  XXVII  (1878),  S.  326. 

Flügel  des  Stengels  jederseits  2^/^ — Q  mm  breit,  die 
der  Blattstiele  so  breit  bis  nahezu  doppelt  so  breit 
als  die  des  Stengels,  jederseits  3 — ^mm  breit;  Zähnchen 
meistens  vorhanden  und  mehr  oder  weniger  dicht 
stehend. 


1  Bei  dieser  Abbildung  sind  die  Blüthen  auffallend  gro^s. 


Lathy ms 'Arien  aus  der  Section  Eulathyrns.  323 

Blättchen  elliptisch  bis  länglich,  entweder  nach 
beiden  Enden  sich  allmälig  verschmälemd  oder  vorne  stumpf, 
zugerundet  oder  sogar  ausgerandet,  38—90  {\00)  mm  lang, 
14  -48ww  breit,  IV3— öVs^^al  so  lang  als  breit.  Farbe 
oben  grasgrün,  unten  bläulich  bereift.  Rand  der  Blättchen  bis- 
weilen mit  Zähnchen  besetzt. 

Vorderer  Theil  der  Nebenblätter  meist  breitlanzett- 
lich,  selten  eiförmig,  stets  fein  zugespitzt,  (15  — 17)  25 — 42 
(55)  mm  lang,  (4)  6—22  mm  breit,  (1 V3-2-)  "^V^-^^U  (6-)mal 
so  lang  als  breit,  Y3  <ier  Breite  des  Stengels  sammt  den  Flügeln 
bis  etwas  breiter  als  derselbe;  der  zugehörige  Blattstiel 
etwas  kürzer  bis  V3  länger,  selten  doppelt  so  lang. 

Blüthenstiele  2—^^l^mei\  so  lang  als  dei  zugehö- 
rige Blattstiel  sammt  Blättchen,  (6-)  8  — Hblüthig. 

Bracteen  pfriemlich,  vielmal  kürzer  als  die  Blüthen- 
stielchen  bis  Vg  derselben;  seltener  bis  fast  so  lang  als  die 
Blüthenstielchen. 

Blüthen  16  — 19  (20— 21)  ww  lang. 

Kelchzähne  (Fig. 24)  durch  ziemlich  schmale,  rund- 
liche Buchten  von  einander  getrennt,  die  beiden  oberen 
kurz  dreieckig  bis  fast  trapezförmig,  die  mittleren 
gleichschenkelig  dreieckig,  2^/^ — 3 mal  so  lang  als  die 
oberen,  V/^ — 2 mal  so  lang  als  breit;  der  untere  Zahn 
etwas  schmälerund  IV4 — 1 V2  ^^^  länger  als  die  mittleren, 
meist  IY2 — ly^mal  so  lang  als  die  Kelchröhre,  selten 
nur  wenig  länger  als  dieselbe. 

Griffel  am  Grunde  ziemlich  stark  gebogen,  an  der 
Spitze  etwas  erweitert. 

Reife  Hülsen  62— 75  wm  lang,  9  — lOmw  hoch,  6—8- 
mal  so  lang  als  hoch. 

Samen  4 — 5V2  ^^^^^^  Jang,  kugelig  oder  kurzwalzlich,  sehr 
grob  gerunzelt,  hell- bis  dunkelbraun;  Nabel  auf  die  Ober- 
seite beschränkt,  circa  Vg  des  Samenumfanges  ein- 
nehmend. 

Behaarung.  Drüsen  an  unreifen  Hülsen  regelmässig  und 
zahlreich.  Kelchsaum  meist  flaumig  oder  kurzwimperig;  an  den 
Spitzen  noch  unentwickelter  Sprosse  selten  einige  Härchen; 
sonst  alles  kahl. 


324  A.  Ginzberger, 

Verbreitungsgebiet 

Vom  nördlichen  Mahren  durch  das  östliche  Niederöster- 
reich und  das  Küstenland  bis  ans  tyrrhenische  Meer;  Theile 
Italiens;  Westhälfte  der  Balkanhalbinsel,  mit  Ausschluss  von 
Serbien  und  Griechenland;  jonische  Inseln;  Theile  von  Ungarn 
und  Siebenbürgen.^ 

Standortsverzeichniss. 

I.  Italien.  Piemonte;  ne  siti  declivi  tra  Viagi(?)  e  Tubbine; 
Monferrato  (Moris;  hb.B.).  — Castelluccio;  Appennino  centrale 
(Batelli;hb.M.,  hb.  H.). 

II.  Süd-Tirol.  Zwischen  Ala  und  Brentonico  am  F'usse 
des  M.  Baldo  (Kern er;  hb.  K.). 

III.  Krain  und  Litorale,  sammt  Inseln.  X  Idria 
(Freyer;  hb.  M.).  ~  *  Karst  bei  St.  Peter  (Haläcsy;  hb.  H.).  — 
Auf  Waldwiesen  im  Litorale  häufig  (Tommasini;  hb.  U.).  — 
t  Auf  bewaldeten  Wiesen  vom  Küstensaume  bis  1 SOC/  (T o  m  m  a- 
sini;  hb.K.).  —  tGoritia  (ex  hb.  Wulfen;  hb.M.).  —  t  In  Hecken 
bei  Görz  (Jabornegg;  hb.  M.).  —  X  Sta.  Croce— Nabresina 
(ex  hb.  Heufler;  hb.  Z.).  —  Im  Ferdinands-Walde  bei  Triest 
(Tommasini;  hb.  Z.).  —  Trebic,  X  z.  Th.  Zaule,  X  Dolina 
(Tommasini;  hb.  Tr.).  ~  Pola  (Weiss,  hb.  Tr.;  f  Wavvra, 
hb.  M.).  —  Pola:    X  in  valle  Lovina  (Tommasini;  hb.  Tr.); 

*  Wiesen  am  Pra  grande  (Witting;  hb.  M.);  f  Monte  Serbo 
(Kerner;  hb.  K.);  f  Macchien  beim  Bradamante;  Kalk,  15  w 
(Freyn;  hb.  K.).  —  Fiume  (hb.  U.;  f  Noe,  hb.  M.;  f  A.  M.  Smith, 
hb.  M.).  —  f  In  collibus  silvaticis  prope  Fiume  (A.  M.  Smith; 
hb.  K.).  —   Sandinsel    Sansego    (Tommasini;    X   hb.  Tr., 

*  hb.  M.). 

IV.  Nieder-Österreich  (südöstlicher  Theil).  Kahlen- 
berg  (ex  hb.  Portenschlag;  hb.  M.).  —  In  marginibus  silvarum 
montis  Kahlenberg  (Braun;  hb.  Z.).  —  Leopoldsberg  (X  z.  Th. 

1  Die  Pflanze  wird  von  Garcke  auch  für  den  Harz  als  wildwachsend 
angegeben.  Doch  erscheint  mir  diese  Angabe  sehr  zweifelhaft,  da  alle  von  mir 
gesehenen  Exemplare  aus  dem  Harz,  die  man  allenfalls  hieher  rechnen  könnte, 
zu  Lathyrus  hetcrophyllns  L.  var.  nnijttgus  Koch  gehören  (v.  p.  311  f.).  —  Ein 
Exemplar  des  Lathyrus  megalanthtts  Steudel  von  Schade  aus  Karlshof  bei 
Wrietzen  (Brandenburg,  hb.  Tr.)  kann  nach  einer  schriftlichen  Mittheilung  von 
Prof.  Ascherson  nur  ein  Gartenexemplar  sein. 


Lalhynts -Arten  aus  der  Section  Ettlathyrns.  325 

ex  hb.  de  Kremer,  hb.  Z.;  Juratzka,  hb.  Tr).  —  Rohrerhütte 
bei  Dornbach  (hb.  Z.).  —  Neuwaldegg  bei  Wien  (J.  Kerner; 
hb.  K.).  —  Steinige  buschige  Hügel,  auf  dem  Schafberg  bei 
Neuwaldegg  (Kronfeld,  hb.  AI.;  Halacsy,  hb.  H.).  —  In 
dumetis  prope  Hütteldorf  (ex  hb.  Zahlbruckner;  hb.  P.).  — 
X  Halter -Thal  (Spreitzenhofer;  hb.  Z.).  —  Simmeringer 
Wäldchen  (hb.  M.).  —  Zwischen  Hecken  im  Laaer  Wäldchen 
(hb.  Z.).  —  Mauer  bei  Wien  (Wiesbaur;  hb.M.).  —  X  Kalksburg 
bei  Wien;  auf  sonnigen  Hügeln  an  Ackerrändem  (Halacsy 
hb.  M.);  auf  Bergwiesen,  Kalk  (Wiesbaur;  hb.  M.).  —  An 
Gebüschen  bei  Perchtoldsdorf  (Juratzka;  hb.  Z.).  —  X  Giess- 
hübel  bei  Perchtoldsdorf  (Keck;  hb.  Keck).  —  Bei  Velm,  an 
der  Bahn  (Halacsy;  hb.  H.).  —  Gumpoldskirchen  (ex  hb. 
Richter;  hb.  H.).  —  Baden  bei  Wien  (ex  hb.  Zahlbruckner; 
hb.M.). —  Gaden  gegen  Siegenfeld  (Aichinger;  hb.M.). — 
Zvveierwiese  bei  Fischau  (So n klar;  hb.  Tr.,  X  z.  Th.  hb.  U.).  — 
Kleine  Gahnswiese,  1000  w  (ex  hb.  Richter;  hb.  H.). 

V.  Mähren.  Bei  Auspitz;  auf  einer  Hügelwiese  zwischen 
Kreppic  und  Gardau  (Ansorge;  hb.  M.).  —  Grasiger  Abhang 
bei  Zalc  nächst  Wischau  (Spitzner;  hb.  U.). 

VI.  Ungarn.  X  Eisenstadt  (Winkler;  hb.  Keck).  — 
X  Pressburg  (Schneller;  hb.  Z.).  —  X  Prata  montana  vallis 
Bosacensis  in  comitatu  Trencin  (Holuby;  hb.  M.).  —  Auf  Vor- 
bergen bei  Gran  (ex  hb.  Krzisch;  hb.  Keck).  —  Auf  Bergwiesen 
zu  Helemba  nächst  Gran  (Grund  1;  hb.  M.).  —  X  In  Holz- 
schlägen um  Ofen,  Waizen,  Erlau  (Lang;  hb.M.;  spec.  origin. 
Lathyri  grandiflori  Lang).  —  Ofen  (Henter[?],  hb.  P.;  ex 
hb.  Lang,  hb.  U.,  spec.  origin.  Lathyri  grandiflori  Lang). 
—  Ofen:  X  in  silvis  (ex  hb.  Lang,  hb.  P.,  spec.  origin.  La- 
thyri grandiflori  Lang);  X  ad  saepes  inter  vineas  (ex  hb. 
Läng;  hb.  M.;  spec.  origin.  Lathyri  grandiflori  Läng); 
Auwinkel,  Normabaum  (Kerner;  hb.  K.,  hb.  H.);  Schwabenberg 
(Kerner;  hb.  K.);  Schwabenberg,  Kalk,  200m  (Bohatsch  in 
Baenitz,  Herb.  Europ.,  No  3364;  hb.  K,  hb.M.,  hb. H.);  sonnige 
Stellen  des  Wolfsthaies  (Stein itz,  hb.  M.;  ex  herb.  Schiffer 
hb.M.);  X  bei  der  »schönen  Schäferin«  (Kerner;  hb.  K).  — 
Särhegy  bei  Gyöngyös  (Janka;  hb.  B.).  —  Holzschläge  bei 
Grosswardein  (Krzisch;  hb.M.).  — Banat,Perjamos (Wolfner; 


326  A.  Ginzberger, 

hb.  Z.).  —  X  Karpathen  (Krzisch;  hb. M.).  —  X  Farkasvölgy- 
Janoshegy  (Filarsky  und  Schilbersky;  hb.  U.). 

VII.  Siebenbürgen.  Comitat  Kolos;  Bergwiesen  bei  Boos; 
tertiärer  Tegel,  420  w  (Freyn;  hb.Z.).  —  In  dumetis  ad  silvarum 
margines  Transilvaniae;  Hammersdorf  (Schur;  hb.  M.). 

VIII.  Slavonien.  Zv^ecovo  bei  Pozega  (hb.  Z.). 

IX.  Dalmatien.  X  Dalmatia  (ex  hb.  Kosteletzky;  hb. 
R).  —  t  Litoral-Pflanze;  in  Weingärten,  an  Hecken,  um  Spalato, 
Salona  (Fetter  in  Flor.  Dalmat.  exs.,  No  220;  hb.  M.,  hb.  Z.).  — 
Ragusa  (f  Adamovic,  hb.  M.;  X  Rubricius,  hb.  Tr.). 

X.  Bosnien.  *  Bosnie  (Sendtner,  No  1036;  hb.  B.).  — 
X  Koprivnica  (Sostaric;  hb.  U.).  —  Zenica  (Breindl;  hb.  M.). 

—  X  In  valle  r.  Buca  prope  Serajevo  (B  e  c  k ;  hb.  U.).  —  Buschige 
Anhöhen  nördlich  von  DolnjaTuzla;  Kalk  (Wettstein;  hb. U.). 

—  Ost-Bosnien;  Berg  Udrc  bei  Drinjaca;   Kalk  (Wettstein; 
hb.  U.). 

XI.  Hercegovina  und  Montenegro,  f  In  dumetis  et 
cultis  ad  vicum  Radesic  prope  castellum  Konjsko;  distr.  Tre- 
binje  (Vandaz;  hb.  M.).  —  X  z.  Th.,  *  z.  Th.  In  dumetis  pagi 
Orahovo  (Szyszylowicz,  iter  Montenegr.,  1886;  hb.  M.).  — 
*  In  incultis  pagi  Niegus  (Szyszylowicz,  iter  Montenegr., 
1886;  hb.  M.).  —  Montenegro  (hb.  Tr.). 

XII.  Albanien  und  Macedonien.  Albania:  Scardus,  in 
pratis  ad  vicum  Vaica,  circa  1200  w  (Dörfler,  iter  Türe,  1890; 
hb.  U.,  t  hb.  H.).  —  Macedonien;  Cozlik  (Friedrichsthal:  hb. 
M.;  spec.  origin.  Lathyri  brachyteri  Alefeld). 

XIII.  Jonische  Inseln.  X  In  silvaticis  Corcyrae  et  Leu- 
cadiae  (Mazziari;  hb.  M.). 

Zur  Synonymie. 

Lathyrus  inegalanthns  Steudel  heisst  bei  den  Autoren 
ganz  allgemein  Lathyrus  latifoUns  L.,  Sp.  pl.,  non  Flor.  Suec* 
Doch  hat  Linne  schon  in  der  ersten  Ausgabe  der  »Species 
plantarum«  unter  Lathyrus  latifoUns  sicher  mehrere  verschie- 
dene Arten  zusammengefasst.  In  der  Diagnose  kann  die  Angabe 
»foliolis  lanceolatis<^  zum  wenigsten  nicht  auf  die  breitblättrigen 
Exemplare,  wie  sie  sich  in  Ungarn,  Bosnien  u.  s.  w.  finden, 

1  Lathyrus  LitifoUus L.,  Flor. Suec.  =  Lalhvrus atti^tistifoUus [Roth] (s. d.). 


Laihyrtts -Arten  aus  der  Section  Eulathyrus.  327 

bezogen  werden.  Diese  Angabe  könnte  höchstens  auf  Lathyrus 
angttstifolitis  [Roth]  passen,  was  auch  dadurch  bestätigt  wird, 
dass  Linne  Lathyrus  latifolius  auch  in  der  Flora  Suecica^  an- 
führt; in  Schweden  kommt  aber  ausser  Lathyrus  silvestris  L. 
und  Lathyrus  heterophyllus  L.  nur  Lathyrus  angustifolius  [Roth] 
vor.   Auf  ihn  bezieht  sich  auch  die  Angabe:  ^  »Differt  a  Lathyro 
Fl.  Suec,  598.'  Folia  enim  ovato  —  lanceolata  nee  linearia. . .  . 
Petioli  margine  laeves  nee  ita  scabri«.  Die  zweite  Pflanze,  die 
Linne  unter  Lathyrus  latifolius  meinte,  ist  Lathyrus  membra- 
naceus  Presl.  Denn  Linne  citirt^  als  Abbildung  zu  seinem 
Lathyrus  latifolius  das  Bild  in  Garidel,  Hist.  des  plantes  de 
la  Prov.  (1715),  tab.  108.  Ferner  begreift  Linne  auch  den  Lathy- 
rus latifolius  aut  unter  dem   erwähnten  Namen.  Auf  diese 
Pflanze  beziehen  sich  nämlich  die  von  Linne  citirten  Abbil- 
dungen^ Bauh.  hist.,  II,  p.  303  und  Morison,  Hist.,  pars  II, 
sect.  II,  tab.  II,  fig.  3.  Später  hat  Linne  auch  einen  Theil  der 
Exemplare  des  Lathyrus  heterophyllus  L.,  und  zwar  die  breit- 
blättrigen, unter  dem  Namen  Lathyrus  latifolius  begriffen.  Er 
sagt  nämlich  in  Flora  Suecica,  ed.  II,  p.  252  bei  Lathyrus  lati- 
folius: »Variat  foliolis  in  petiolo  quaternis«;  dies  könnte  sich 
zwar  allenfalls  auch   auf  Lathyrus  angustifolius  [Roth]  be- 
ziehen, wogegen  jedoch  die  ebenda  befindliche  Angabe:  »stipu- 
lae  etiam  caule  latiores«  spricht.  Auch  nennt  er  an  derselben 
Stelle  die  Blättchen  des  Lathyrus  heterophyllus  L.  »caule  paulo 
latiora,  ensiformia«,  die  des  Lathyrus  latifolius  dagegen  »ellip- 
tica,  caule  multoties  latiora«.  Schliesslich  findet  sich  bei  Lathy- 
rus latifolius  in  Iter  Scan.,  p.  251^  auch  eine  Angabe:  »foliola 
lanceolata.  .  .  .caule  angustiora;  margines  caulis  et  petiolorum 

scabri «,  die  sich  am  ehesten  auf  Lathyrus  silvestris  L. 

beziehen  lässt. 

Da  also,  wie  sich   aus  dem  Gesagten  ergibt,  der  Name 
Lathyrus  latifolius  L.  schon  in  der  ersten  Ausgabe  der  »Spec. 


J   ed.  11  (1755),  p.  252. 

2  hart.  Upsal.,  p.  217,  No  7. 

•*  Es  ist  damit  Lathyrus  silvestris  gemeint. 

*  In  Sp.  pl.,  1.  c. 

•'•  Citirt  in  Sp.  pi.,  1.  c,  rcspect.  hört.  Clifton.,  I.  c. 

<5  Citirt  in  Sp.  pl.,  1.  c. 


328  A.  Ginzberger, 

plant.«  vieldeutig  ist,  so  habe  ich  denselben  ganz  vermieden 
und  dafür  den  Namen  Lathyrus megalanthus  Steudel  gewählt. 

Steudel  hat  diesen  Namen  ohne  Beschreibung  veröffent- 
licht, jedoch  als  Synomym  dazu  Lathyrus  grandiflorns  Läng 
citirt,  welcher  Name  auf  Etiquetten  ungarischer  Exemplare 
sehr  häufig  zu  lesen  ist.  Nun  stimmt  diese  Pflanze,  von  der  ich 
auch  Original exemplare  sah,  mit  Lathyrus  latifolius  autor.  voll- 
kommen überein;  daher  kann  der  Name  Lathyrus  megalanthus 
Steudel  für  Lathyrus  latifolius  autor.  angewendet  werden. 

In  der  Beschreibung  des  Lathyrus  grandiflorus  Läng  ist 
die  Angabe,  dass  die  Pflanze  drei  Blättchen  an  einem  Blattstiel 
tragen  soll,  sehr  befremdend,  da  diese  Eigenschaft  geradezu 
als  Charakter  der  Art  hingestellt  wird.  An  einer  anderen  Stelle 
der  Beschreibung  sind  die  Blattstiele  wieder  zweiblätterig 
genannt;  letzteres  war  auch  bei  den  von  mir  gesehenen  Ori- 
ginalexemplaren der  Fall. 

Ob  sich  Janka's  Angabe  über  das  Vorkommen  des  Lathy- 
rus fotundifolius  Willdenow  in  Siebenbürgen  wirklich  auf 
diese  Pflanze  oder  auf  einen  Lathyrus  megalanthus  Steudel 
bezieht,  ist  mir  zweifelhaft  geblieben.  Im  ersteren  P'alle  könnte 
nur  eine  verwilderte  Pflanze  gemeint  sein,  da  für  das  Vor- 
kommen des  Lathyrus  rotundifolius  Willdenow  in  Sieben- 
bürgen keinerlei  sonstige  Belege  vorliegen.  Schur*  citirt 
Janka*s  Angabe  ohne  weitere  Bemerkung;  Fuss^  fügt  eine  Be- 
schreibung bei,  die  auf  den  echten  Lathyrus  rotundifolius  VsJ  WV 
denow  passt;  durch  den  Zusatz  »non  novi«  aber  wird  dieselbe 
für  den  vorliegenden  Fall  ganz  werthlos.  Simonkai  ^  citirt 
Janka's  Pflanze  als  Synonym  zu  seinem  Lathyrus  latifolius^ 
womit  er  natürlich  Lathyrus  megalanthus  Steudel  meint. 

MW.  Lathyrus  brachyterus  hat  Alefeld,  wie  aus  den  von 
mir  in  hb.  M.  gesehenen  Originalexemplaren  zu  erkennen  war, 
nichts  anderes  als  Exemplare  des  Lathyrus  megalanthus 
Steudel  mit  ziemlich  breiten  (iVa  bis  etwas  über  zweimal  so 
langen  als  breiten)  Blättchen  gemeint.  Dieselben  sind  aber  im 
übrigen  von  Lathyrus  megalanthus  Steudel  nicht  zu  unter- 

1  Enum.  plant.  Transilv.,  p.  176. 
-  Flor.  Transilv.  excurs.,  p.  182. 
•*  Enum.  flor.  Transilv.,  p.  197. 


Laihynts 'Arien  aus  der  Section  Enlathyrtts,  329 

scheiden;  auch  hat  Alefeld  später  seine  Art  eingezogen  und 
nur  mehr  als  Varietät  des  Laihyrns  latifoUus  autor.  (=:  megal- 
anthus  SitnditX)  behauptet;  eine  Publication  darüber  scheint 
zwar  nicht  zu  existiren,  aber  auf  den  Etiquetten  aller  von  mir 
gesehenen  Originalexemplare  findet  sich  die  Bemerkung:  »La- 
thyrus  latifoUus  L.  var.  brachyterus  Alefeld  später  ~  Lathyrus 
brachytertis  Alefeld  früher«. 

Die  Beschreibung  des  Laihyrns  brachyphyllus S chxxv  ^diSsi 
(bis  auf  das  Merkmal  »foliola  subemarginata*,  das  übrigens 
bei  anderen  Exemplaren,  z.  B.  aus  Bosnien  gelegentlich  zu- 
trifft) ganz  auf  die  Exemplare  des  Laihyrns  megalanihus 
Steudel  aus  der  Umgebung  von  Wien,  wo  Schur  seinen 
Laihyrns  brachyphyllus  gefunden  hat.  Die  Exemplare  aus 
Wien  unterscheiden  sich  aber  nicht  von  denen  aus  Ungarn,  auf 
welche  sich,  wie  oben  ausgeführt  wurde,  der  Name  Laihyrns 
megalanihns  Steudel  bezieht. 

Der  Name  Laihyrns  grandifo lins  Schur  ist  nur  durch 
einen  Schreibfehler  aus  Laihyrns  grandiflorns  entstanden; 
denn  Schur  citirt  Lang,  Syll.  Ratisbon.,  I,  p.  182,  wo  von  einem 
Laihyrns  grandif Ol  ins  gar  nicht  die  Rede  ist. 

Als  Herbarnamen  für  Laihyrns  megalanihns  Steudel 
wären  Laihyrns  Langii  Kosteletzky  herb,  instit.  bot.  univ. 
Germ.  Prag,  femer  Laihyrns  orbicnlaris  Sändor  und  Laihyrns 
deftiicnlains  Kitaibel  herb.  hört.  bot.  Budap.  zu  nennen.  Im 
herb.  M.  sind  die  Exemplare  vom  Kahlenberg,  Simmeringer 
Wäldchen,  »sonnige  Stellen  des  Wolfsthaies«  und  »ad  vineas 
Budae«  von  Alefeld  eigenhändig  als  Laihyrns  laiifolins  var. 
medins  bezeichnet. 

Laihyrns  megalanihns  St  ende  \  variirt  sehr  stark  in  der 
relativen  Breite  seiner  Blättchen.^  Um  überhaupt  eine  Scheidung 
in  Formen  zu  ermöglichen,  habe  ich  jene  Exemplare,  deren 
mittlere  Blättchen  mehr  als  dreimal  so  lang  als  breit  sind,  als 
zu  einer  schmälerblättrigen  Form  gehörig  betrachtet  und  im 
Standortsverzeichniss  mit  X  bezeichnet.  Die  angenommene 
Grenze  ist  willkürlich;  die  relative  Breite  der  Blättchen  liegt  bei 


1  .Man  muss  überall  die  mittleren  Blättchen  betrachten,  da  die  oberen 
und  unteren  an  demselben  Exemplar  relativ  schmäler  sind. 


330  A.  Ginz berger, 

vielen  Exemplaren  gerade  in  der  nächsten  Nähe  von  3.  Deshalb, 
sowie  weil  die  betreffenden  Exemplare  gelegentlich  überall 
vorkommen  und  nicht  für  bestimmte  Gebiete  charakteristisch 
sind,  halte  ich  die  Einführung  eines  Namens  für  überflüssig. 
Die  schmälerblättrigen  Exemplare  sind  übrigens  auch  dadurch 
ausgezeichnet,  dass  ihre  Blättchen  häufiger  nach  beiden  Seiten 
verschmälert  als  vorne  stumpf  oder  abgerundet  sind. 

Stärker  als  die  schmälerblättrigen  Exemplare  weicht  eine 
Form  ab,  die  ich  nur  von  der  istrianischen  Insel  Sansego  sah. 
Dieselbe  macht  wegen  ihrer  lanzettlichen  Blättchen  (72 — 90  mm 
lang,  11 — \7  mm  breit,5— 7mal  so  lang  als  breit)  und  ihrer 
schmalen  (circa  10  mal  so  langen  als  breiten)  Nebenblätter  den 
Eindruck  eines  Lathyrus  silvestris  L.,  hat  aber  die  Blüthen 
eines  echten  Lathyrus  megalanihus  Steudel;  auch  sind  die 
Stengelflügel  wenig  breiter  als  die  der  Blattstiele. 

Neben  der  Form  mit  schmäleren  konnte  ich  auch  eine 
solche  mit  relativ  kleinen  Blättchen  unterscheiden.  Ich  rechnete 
hieher  jene  Exemplare  mit  breiten  (d.  h.  weniger  als  3 mal  so 
langen  als  breiten)  Blättchen,  deren  Länge  40  mm,  sowie  jene 
Exemplare  mit  schmalen  (d.  h.  mehr  als  3 mal  so  langen  als 
breiten)  Blättchen,  deren  Länge  50  mm  nicht  übersteigt.  Diese 
Abgrenzung  ist  zwar  an  sich  ganz  künstlich,  hat  aber  doch 
den  Vortheil,  dass  auf  die  angegebene  Weise  eine  Form  ab- 
getrennt wird,  welche  für  die  ganze  Ostküste  der  Adria  von 
Görz  bis  Montenegro  sehr  charakteristisch  ist,  und  neben  der 
die  gewöhnliche  Form  mit  grossen  Blättchen  nur  spärlich 
vorkommt.  Die  Merkmale  unserer  Form,  die  in  der  Haupt- 
beschreibung nicht  berücksichtigt  wurde,  sind  folgende: 

Stengel-  und  Blattstielflügel  ungefähr  gleich  breit, 
1 — 2^l^mm  breit;  Blättchen  15 — 50mm  lang,  ob -—IT  mm 
breit,  2V4 — 572niaP  so  lang  als  breit,  die  schmäleren 
Blättchen  meist  nach  beiden  Seiten  gleichmässig  verschmälert, 
die  breiteren  vorne  stumpf  oder  abgerundet. 

Vorderer  Theil  der  Nebenblätter,  5 — 20mm  lang, 
IV2 — \4mm  breit.  Blüthenstiele  3 — 4mal  so  lang  als  der 
zugehörige  Blattstiel  sammt  Blättchen. 


1  Selten  weniger  denn  2  mal  so  lan;?  als  breit. 


Lnihynis -Arten  aus  der  Section  Eulathynis.  331 

Blüthen  14—16  mm  lang.  Hülsen  52 — 62  mm  lang, 
6V2 — 7V2  w/w/  hoch.  Samen  wie  beim  Typus,  bei  einem 
Exemplar  6  mm  lang  und  seitlich  comprimirt.  Die  Grösse 
mancher  besonders  kleiner  Exemplare  unserer  Form  beträgt 
nicht  über  20 cm. 

Frey n  hat  in  seiner  »Flora  von  Südistrien«  die  vorliegende 
Form  mit  dem  Namen  var.  laticeolatus  belegt,  der  auch  an- 
standslos beibehalten  werden  kann.  Die  hieher  gehörigen 
Exemplare  sind  im  Standortsverzeichniss  besonders  bezeichnet, 
und  zwar  die  breitblätterigen  mitf,  die  schmalblätterigen  mit*. 


Im  südwestlichen  Europa  und  nordwestlichen  Afrika  finden 
sich  mehrere  Formen  aus  der  nächsten  Verwandtschaft  des 
Lathyrus  megalanihns  Steudel;  manche  der  aus  dem  erwähnten 
Gebiete  stammenden  Exemplare  (so  ein  Theil  derjenigen  von 
der  Pyrenäen-Halbinsel)  sind  von  den  osteuropäischen  kaum 
sicher  zu  unterscheiden;  der  grössere  Theil  der  Exemplare 
dagegen  gehört  zu  zwei  Formen,  die  sich  zwar  bisweilen  auch 
an  die  osteuropäischen  Formen  anschliessen,  in  typischen 
Exemplaren  jedoch  von  diesen  recht  auffallend  verschieden 
sind.  Ich  werde  dieselben  hier  beschreiben  und  ihre  Ver- 
breitung erläutern,  wage  es  jedoch  nicht,  ihre  Artberechtigung 
mit  Sicherheit  zu  behaupten. 

Die  eine  dieser  Formen  kann  mit  dem  Namen  Lathyrus 
purpnretis  Gilibert  bezeichnet  werden. 

Lathyrus  purpureus  Gilibert,  Exercitia  phytologica,  vol.  I, 
Plant.  Lithuan.  (1792),  p.  260; 

non   Desfontaines   in  Annal.  du  miiseum  d'hist.   natur.,  XII  (1808), 

p.  56;  ic.  tab.  VII; 
non  Presl,  del.  Prag.  (1822),  vol.  I,  p.  39. 
Syn.  L.  silvestris  Desfontaines,  Fl.  Atlant.  (1800),  tom.  II,  p.  161. 

L.  neglcctns  Puel,  Catal.  des  plantes  du  Lot  (1845 — 1852),  p.  179. 

L.  latifolius  aut.  Gall. 

L.  latifoUns  a)  gennimis  Grenier  etGodron,  Flore  de  France  (1848), 

tom.  I,  p.  484. 
L.  platyphylliis  z.  Th.  und  L.  latifolius  z.  Th.  Alefeld  in  Bonplandia, 

IX  (1861),  p.  153,  resp.  152. 
L.  latifolius  Gremli,  Excursionsfl.  der  Schweiz  (1878),  p.  132. 
L.  latifolius  rj)^  ^),  i)  z.  Th..  1)  z.  Th.(?),  Willkomm  et  Lange,  Prodr. 

n.  Hisp.  (1880),  vol.  III,  p.  316. 


332  A.  Ginzberger, 

L.  latifolins  var.  angustatus  Gremli,    Neue   Beiträge    zur   Flora   der 

Schweiz,  lU  (1883),  p.  7. 
L.  latifolins  var.  pallidiflortts  Lange  in  Willkomm,  Suppl.  prodr.  flor. 

Hisp.  (1893),  p.  240. 
Icones.  Rivinus,  Introd.  gener.  in  rem  herb.,  pars  II  (1691),  tab.  40  (stellt 

ein  sehr  schmalblättriges  Exemplar  dar). 

Stengelflügel  \^l^'-2^^l^  mm  breit,  die  der  Blatt- 
stiele etwas  schmäler  bis  etwas  breiter,  2 — 'i^j^mm 
breit;  Zähnchen  meist  entfernt  stehend  oder  ganz 
fehlend,  seltener  ziemlich  dicht. 

Blättchen  lanzettlich  bis  breitlanzettlich,  meist 
spitzlich,  (33—45)  50—85  (94, 108)  mm  lang,  11  — 26  mm  breit, 
3— 6(8— 9)  mal  so  lang  als  breit. 

Vorderer  Theil  der  Nebenblätter  lanzettlich  bis  ei- 
lanzettlich,  lang  zugespitzt,  (13)  18— 35ww  lang,  (178)4  bis 
I3V2  w^^  breit,  2—6  (9-)  mal  so  lang  als  breit,  meist  etwas 
schmäler  (bis  Vs)  ^Is  der  Stengel  sammt  den  Flügeln,  aber  auch 
gleichbreit  oder  erheblich  breiter;  der  zugehörige  Blatt- 
stiel meist  P/g — iV^nnal  so  lang,  seltener  gleichlang  oder 
2  mal  so  lang. 

Blüthenstiele  (IV2-)  2— 278mal  so  lang  als  der  zu- 
gehörige Blattstiel  sammtBlättchen;  8 — 14(16-)blüthig. 

Bracteen  mehrmals  kürzer  bis  fast  so  lang  als  die 
Blüthenstielchen. 

Blüthen  20— 26  ww  lang. 

Kelchzähne  (Fig.  25)  durch  schmale,  stumpfe  bis 
spitzliche  Buchten  von  einander  getrennt,  die  beiden 
oberen  kurz  dreieckig  bis  fast  trapezförmig,  die  mitt- 
leren dreieckig,  lang  zugespitzt,  circa  2 mal  so  lang  als 
die  oberen,  173—2  mal  so  lang  als  breit;  der  untere  Zahn 
174 — l^l^vaeil  so  lang  als  die  mittleren,  IVg-  bis  fast 
2mal  so  lang  als  die  Kelchröhre.^ 

Griffel  am  Grunde  ziemlich  stark  gebogen,  an  der 
Spitze  wenig  verbreitert. 


1  Das  Exemplar  von  Pamplona  (hb.  B.)  hat  relativ  sehr  kurze  Kelchzipfel 
mit  ziemlich  breiten,  runden  Buchten;  der  untere  Zahn  ist  nur  so  lang  als  die 
Kelchröhre  (Fig.  26).  Ähnlich  verhält  sich  das  Exemplar  von  Alais  (hb.  Z.) 
und  das  von  der  Sierra  de  Ronda  (hb.  H.). 


Lathvrus 'Arien  aus  der  Section  Enlathyrus.  333 

Reife  Hülsen  78— 95  (108)fww  lang,  8  — lOww  hoch, 
8  —  lOY^mal  so  lang  als  hoch. 

Samen  bmm  lang,  kugelig  bis  etwas  walzlich,  braun, 
stark- und  stumpfrunzelig.  Nabel  die  Oberseite  des  Samens 
fast  ganz  einnehmend,  d.  i.  circa  Vg  des  Umfanges. 

Behaarung.  Drüsen  an  jungen  Hülsen  zahlreich,  ver- 
einzelt am  Stengel,  an  seinen  Knoten  und  den  Nebenblättern. 
Härchen  hie  und  da  auf  der  Spitze  der  Zähnchen  der  Stengel- 
und  ßlattstielflügel.  Kelchsaum  kurzwimperig.  Sonst  alles 
kahl. 

Verbreitungsgebiet. 

Westlichste  Schweiz  und  Frankreich  von  der  Loire-Mün- 
dung und  dem  Genfer-See  bis  zum  Mittelmeer  und  den  Pyrenäen; 
nordöstliches  Spanien;  Umgebungen  von  Lissabon,  Ronda 
(Andalusien),  Palermo,  Algier  und  Constantine. 

Standortsverzeichniss. 

I.  West-Schweiz.  Valleyres(?)  bei  Orbe  (hb.  B.). 

II.  Frankreich.  Albertville  (Huguenin;  hb.  K.).  —  Montes 
Nicaeenses  (Fontan;  hb.  B.).  —  A'nnot,  le  bois  (Reverchon; 
hb.  B.).  —  Le  Lue,  depart.  Var  (hb.  M.).  —  Vigues  ä  Tain;  depart. 
Drome  (Miciol;  hb.  H.).  —  Lyon  (ex  hb.  Jordan;  hb.  Z.).  — 
Lyon,  ä  la  Pape  (ex  hb.  Jordan;  hb.  B.,  X  hb.  Tr.).  —  Bois  ä 
Couzon,  depart.  Rhone  (C.  Martin,  PI.  des  environs  de  Lyon, 
1851;  hb.  M.).  —  Couzon,  Lyon  (Bourgeaux;  hb.  B.).  —  Gieu; 
Loire  (Delastre;  hb.  M.).  —  Clermont-Ferrand,  haies  ä  Chau- 
turgues;  argiles,  500  w  (Gautier  in  Gautier-Lacroze,  Fl. 
Arvern.  exs,;  hb.  H.).  -—  Lozere,  les  haies,  les  taillis  (Prost; 
hb.  M.).  —  Alais,  depart.  Gard  (ex  hb.  Jordan;  hb.Z.).  —  Collines 
calcaires  dans  les  broussailles  au  Vigan,  depart.  Gard  (Tucz- 
kiewick  in  de  Billot,  Fl.  Gall.  et  Germ,  exs.,  No  3366;  hb. 
B.).  —  Foret  de  St.  Gemme,  Vendee  (Pontarlier;  hb.  M.).  — 
t  Bordeaux  (hb.  M.).  —  Agen;  depart.  Lot-et-Garonne;  in  dumetis 
(hb.  Z.).  —  Les  Mazes,  pres  Layrac;  depart.  Lot-et-Garonne; 
haies,  broussailles  (Arnaud  in  Soc.dauphinoise,1884,  No  4083, 
SilsLathyrus  latifolms  var.  angtistifolius  Grenier  et  Godron.) 
—  In  Sil  vis  prope  Auch  et  ad  ora  fluvii  le  Gers  (D  u  p  u  y ;  hb.  K  e  c  k. 


334  A.  Ginzberger, 

hb.  M.).  —  t  A  Pech-David  (Cauvet,  PI.  Tolosan  et  Pyrenaeor.; 
hb.  M.). 

III.  Pyrenäen-Halbinsel.  Pamplona  (ex  hb.  Fauche; 
hb.  B.).  —  Barcinone,  in  dumosis  ad  sepes  regionis  inferioris 
usque  ad  montanam;  50 — 500  w  (Mapö;  hb.  H.).  —  Sierra  de 
Ronda,  lieux  ombrages  et  calcaires  (Reverchon,  Plantes  de 
TAndalousie,  1889;  als  Lathyrtis  latifolius  var.  pallidiflorus 
Lange;  hb.  H.,  hb.  U.).  —  f  Arredores  de  Lisboa:  de  Carca- 
vellos  a  Oeiras  (Dave au  in  Fl.  Lusitan.  exsicc,  No  1290;  als 
LathyrtiS  silvestris   L. ;  hb.  U.). 

IV.  Sicilien.  Palermo:  in  dumetis  (Todaro;  hb.  Z.):  ad 
sepes  (Todaro,  Fl.  Sicul.  exs.,  No  1563;  als  Lathyrus  silvestris: 
hb.  H.);  sotto  Monreale,  ad  sepes  (Todaro,  Fl.  Sicul.  exs., 
No  338;  als  Lathyrus  latifolius;  hb.  H.). 

V.  Algerien,  f  Alger  (Monard;  hb.  B.).  —  Buissons  dans 
les  atterissements  de  la  riviere  des  Chiens,  pres  de  Constantine 
(Choulette  in  Fragm.  flor.  Alger.  exs.,  II.  serie,  No  131;  hb.  B.). 

Zur  Synonymie. 

Unter  dem  Namen  Lathyrus  purpureus  wollte  Gilibert 
nicht  etwa  eine  neue  Art  b'eschreiben,  sondern  gemäss  seinem 
Principe,  die  Arten  in  Localfloren  nach  recht  charakteristischen 
Merkmalen  zu  benennen,  nur  einen  neuen  Namen  einführen. 
Die  dem  Namen  beigesetzte  Beschreibung  passt  recht  gut  auf 
die  in  Rede  stehende  Pflanze  Süd-  und  Mittelfrankreichs,  nach 
der  die  Diagnose  auch  wohl  angefertigt  ist.  (Gilibert  ver- 
gleicht nämlich  die  Pflanzen  Litthauens  mit  denen  Südfrank- 
reichs.) Dass  die  Pflanze  Litthauens  von  Gilibert  für  identisch 
mit  derjenigen  der  Dauphinee  gehalten  wurde,  beweist  der  am 
Ende  der  Beschreibung  stehende  Zusatz:  Delphinalis. 

Dass,  wie  ich  eine  Zeitlang  glaubte,  Gilibert  unter  seinem 
Lathyrus  purpureus  den  Lathyrus  megalanthus  Steudel  ge- 
meint hat,  ist  nicht  gut  denkbar;  denn  dieser  kommt  in  Frank- 
reich sicher  nicht  vor;  auch  aus  Russland  sah  ich  ihn  nicht; 
manche  Autoren  (Ledebour^)  geben  zwar  einen  Lathyrus  lati- 
folius für  Russland  an,  andere  jedoch  ziehen  die  für  letzteren 


1   Flor.  Ross.,  I,  p.  684. 


Laihyrus 'Arten  aus  der  Section  Eulathynts.  335 

angegebenen  Standorte  und  Citate  ganz  oder  zum  Theile  zu 
Lathyrus  silvestris  oder  einer  Varietät  desselben.  Ruprecht^ 
zieht  den  Lathyrus  latifolius  aut.  Flor.  Petrop.  zu  seiner  var. 
*  Lathyrus  silvestris  latifolius  in  Lathyrus  latifolius  L.  Flor. 
Suec,  non  sp.  pl.«,  welche  er  vom  Typus  nur  durch  die  breiteren 
Blättchen  unterscheidet.  Aber  auch  Ledebour  meint  1.  c,  dass 
ein  Tbeil  der  von  ihm  zu  Lathyrus  latifolius  gezogenen  Syno- 
nyma zu  einer  Varietät  des  Lathyrus  silvestris  gehöre.  Traut- 
vetter ^  zählt  den  Lathyrus  latifolius  nur  für  Abchasien  auf; 
Lehmann  ^  citirt  alle  früheren  Angaben  von  Lathyrus  latifolius 
zu  Lathyrus  silvestris  L. 

Aus  dem  Gesagten  dürfte  hervorgehen,  dass,  da  für  das 
Vorkommen  des  Lathyrus  megalanthus  Steudel  in  Russland 
keine  sicheren  Angaben  vorliegen,  die  Pflanze  Litthauens 
welche  Gilibert  mit  derjenigen  der  Dauphinee  verglich,  ent- 
weder eine  breitblätterige  Varietät  des  Lathyrus  silvestris  L. 
(var,  platyphyllus  Reiz.)  oder  vielleicht  ein  Lathyrus  angusti- 
folius  [Roth]  war.  Da  jedoch  die  Beschreibung  auf  diese 
Formen  gar  nicht  passt,  so  glaube  ich,  den  Namen  Lathyrus 
purpureus  Gilibert  für  die  in  Rede  stehende  Pflanze  Frank- 
reichs in  Anspruch  nehmen  zu  dürfen. 

Lathyrus  silvestris  Desfontaines  dürfte  namentlich  mit 
Rücksicht  auf  die  Angabe  »stipulae  magnae«  hieher  gehören. 

Die  Originaldiagnose  von  Lathyrus  neglectus  Puel  war 
mir  nicht  zugänglich.  Doch  fand  ich  in  Boreau,  Flore  du  centre 
de  la  France,  ed.  III  (1857),  tom.  IV,  p.  178  eine  Angabe,  nach 
der  sich  Laihyrus  neglectus  von  Lathyrus  latifolius  durch 
schlankere  Proportionen,  schmälere  Flügel  und  Blättchen, 
kleinere  Nebenblätter  und  Blüthen,  welch  letztere  aber  gleich- 
falls schön  rosenroth  sind,  unterscheidet. 

Gremli  gibt  Lathyrus  latifolius  in  seiner  »Excursions- 
flora«  nur  für  Waadt  und  Neuenburg  an.  Aus  dem  ersteren 
Lande  sah  ich  Exemplare.  Ich  glaube  mit  Rücksicht  auf  diese 
die  Varietät  angustatus  hieher  ziehen  zu  dürfen. 


1  Flor.  Ingr.,  p.  284. 

3  Catalog.  Viciearum  Rossic.  in  act.  hört.  Petropol.,  tom  III  (1875),  p.  62 
3  Flora  von  Polnisch  Livland,  p.  428. 
Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Ol.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  22 


336  A.  Ginzberger, 

Anmerkung.  Der  Index  Kewensis^  führt  einen  Lathyrus 
magmßortis  Miller,  Gardeners  dictionary,  ed.  VIII  (1768),  n.  14 
an.  Ein  solcher  Name  existirt  nicht,  wohl  aber  findet  sich  an 
der  genannten  Stelle  ein  »Lathyrus  (magno  flore)  pedunculis 
multifloris,  cirrhis  diphyllis,  foliolis  ovato-lanceolatis,  internodiis 
membranaceis«.  Derselbe  dürfte  hieher  gehören. 

Als  Herbarname  wäre  Lathyrus  latifolius  var.  megalanthus 
Alefeld  in  herb.  M.  zu  nennen. 

Diese  Form,  durch  die  schmalen  Blättchen,  grossen  Blüthen 
und  die  (im  Vergleich  zum  Blattstiel)  verhältnissmässig  kurzen 
Nebenblätter  von  dem  Lathyrus  megalanthus  Steudel  Ost- 
europas verschieden,  findet  sich  nach  meinen  Erfahrungen 
in  ihrer  typischen  Ausbildung  nur  im  westlichsten  Theile  der 
Schweiz  (Canton  Waadt)  und  im  südlichen  und  mittleren 
Frankreich  bis  an  die  Loire.  Ein  ziemlich  ähnliches  Exemplar 
sah  ich  aus  Algerien  (Constantine),  doch  waren  bei  diesem  die 
Nebenblätter  wenig  kürzer  bis  so  lang  als  der  Blattstiel.  Freilich 
findet  man  unter  den  Exemplaren  aus  Frankreich  und  der 
westlichen  Schweiz  ab  und  zu  auch  solche,  die  durch  breite 
(weniger  als  3  mal  so  lange  als  breite)  Blättchen  ^  oder  kleine 
(unter  20  mm)  Blüthen  ^  eine  Annäherung  an  Lathyrus  megal- 
anthus Steudel  zeigen.  Dennoch  ist  das  genannte  Gebiet 
durch  die  beschriebene  Form  gut  charakterisirt. 

Aus  der  Umgebung  von  Palermo  in  Sicilien  sah  ich  Exem- 
plare, die  wir  auch  zu  Lathyrus  purpureus  Gilibevt  rechnen 
können,  wenngleich  sie  den  Typus  nicht  so  gut  repräsentiren 
wie  viele  der  französischen  Exemplare.  Blüthen  20 — 22  mm 
lang.  Blättchen  z.  Th.  auffallend  lang  (108  mm),  bei  2  Exem- 
plaren vorne  so  stumpf  wie  die  des  Lathyrus  angustifolius 
[Roth]. 

Eine  grosse  Mannigfaltigkeit  der  Formen  herrscht  auf  der 
Pyrenäenhalbinsel.  Einige  Exemplare  sind  durch  abweichende 
Bildung  des  Kelches  ausgezeichnet  (s.  Beschr.  S.  332,  Anm.  l)."* 


1  Fase.  III,  p.  38. 

2  Im  Standortsverzeichniss  mit  X  bezeichnet. 

3  Im  Standortsverzeichniss  mit  f  bezeichnet. 

^  =  Lathyrus  latifolius  8)  Willkomm  et  Lange,  Flor.  Hisp.  prodr., 
vol.  III,  p.  316. 


LathymS'Arien  aus  der  Section  Eulathyrus.  337 

Ein  Theil  (Pamplona,  Barcinone)  schliesst  sich  im  ganzen 
an  die  französisciien  Exemplare  an,  erreicht  aber  nicht  die 
Grösse  der  Blüthen  jener;  jedoch  sind  dieselben  über  20  mm 
lang.  Bei  anderen  bleibt  die  Grösse  der  Blüthen  selbst  hinter  dieser 
Zahl  zurück  (Coimbra,  Lisboa).  Ist  dies  schon  eine  Annäherung 
an  Laihyrns  megalanthus  Steudely  so  finden  wir  eine  andere 
Form  derselben  darin  ausgesprochen,  dass  bei  einigen  Exem- 
plaren (Coimbra,  hb.  U.;  Marbella)  die  Blättchen  weniger  als 
3  mal  so  lang  als  breit,  also  auffällig  breit  sind.  Das  Exemplar 
von  Marbella  zeigt  überdies  die  oben  erwähnte  abweichende 
Beschaffenheit  der  Kelchzipfel  in  ausgezeichneter  Weise.  Einige 
Exemplare  (Sierra  de  Ronda,  hb.  H.;  Coimbra,  hb.  H.)  erinnern 
durch  kleine  Blättchen  (29 — 45  mm  lang,  6V2 — 9  ^ww  breit)  an 
entsprechende  Formen  des  Lathyrus  megalanthus  Steudel. — 

Die  andere  bemerkenswerthe  Form  ist  bisher  nicht  unter- 
schieden worden.  Willkomm  und  Lange  führen  sie  unter 
Lathyrus  latifoliuso)  auf*;  auch  Mwnhy' s Lathyrus silvestris^ 
dürfte  hieher  gehören.  Ich  schlage  für  die  Pflanze  den  Namen 
Lathyrus  algericus  vor.  Ihre  Merkmale  sind  folgende: 

Stengelflügel  P/a — X^l^mmbvQit,  die  der  Blattstiele 
ebenso  breit  oder  etwas  schmäler,  1  — 174  mm  breit. 
Zähnchen  meist  fehlend,  selten  sehr  entfernt. 

Blättchen  lanzettlich,  vorne  wenig  zusammengezogen, 
32—50  (75)  mm  lang,  5—11  Vg  mm  breit,  473-6  (ZV^- 9)  mal 
so  lang  als  breit. 

VordererTheilderNebenblätterlanzettlich,  Q— 25w/w 
lang,  1 V2—3V2  ^«^w  breit,  6 — 8mal  so  lang  als  breit,  Ve^Vs 
so  breit  als  der  Stengel  sammt  den  Flügeln;  der  zugehörige 
Blattstiel  P/g — 2  mal  so  lang. 

Blüthenstiele  2— 3mal  so  lang  als  der  zugehörige  Blatt- 
stiel sammt  Blättchen,  5 — 7blüthig. 

Bracteen  sehr  kurz. 

Blüthen  (15)  17—19  mm  lang. 

Kelchzähne  durch  rundliche,  nicht  sehr  schmale 
Buchten    von   einander   getrennt,   die   oberen  kurz  drei- 


1  Prodr.  n.  Hispan.  (1880),  vol.  III,  p.  316. 

2  Flore  de  l'Algerie,  ed.  II  (1847),  p.  78. 

22* 


338  A.  Ginzberger, 

eckig,  die  mittleren  gleichschenklig  dreieckig,  IV2 — 272  mal 
so  lang  als  die  oberen,  iVs — l^/s^^^  so  lang  als  breil;  der 
untere  Zahn  circa  IVs^^Q^l  so  lang  als  die  mittleren, 
iVt — 2V8mal  so  lang  als  die  Kelchröhre. 

Reife  Hülsen  72 — 75  mm  lang,  S—^S^/^mm  hoch. 

Samen^  flach  gedrückt,  sehr  schwach  gerunzelt,  b  tfint 
lang,  röthlichbraun. 

Behaarung.  Drüsen  hie  und  da  an  den  nicht  grünen 
Stellen  der  Stengelknoten  und  Blättchengelenke.  Noch  unent- 
wickelte Spitzen  der  Sprosse  etwas  behaart;  Kelchsaum  meist 
flaumig,  sonst  alles  kahl. 

Verbreitungsgebiet. 
Sierra  Nevada;  Provinz  Alger  (Algerien). 

Standortsverzeichniss. 

I.  Spanien.  Sierra  Nevada  (hb.  B.;  Willkomm,  hb.  M.). 

II.  Algerien.  Province  d*Alger  (Lefebvre;  hb.  M.).  — 
Broussailles  pres  la  Maison-carree;  Alger  (Gugon;  hb.  M.).  — 
Bords  des  chemins  de  Chaiba  et  de  Teftschoun;  province 
d 'Alger  (Lefebvre;  hb.  M.). 

Unsere  Pflanze  ist  dem  klein-  und  schmalblättiigen 
Lathyrns  megalanthus  Steudel  aus  Istrien,  Montenegro  sehr 
ähnlich.  Über  die  Unterschiede  lässt  sich  kein  allgemein 
giltiges  Bild  entwerfen.  Die  Exemplare  der  istrisch-montenegri- 
nischen  Pflanze  haben  z.  Th.  grössere  und  breitere  Neben- 
blätter, die  auch  so  lang  sein  können  als  der  Blattstiel,  femer 
oft  reicherblüthige  Trauben.  Auch  sind  bei  ihnen  die  Stengel- 
und  Blattstielflügel  meist  mehr  oder  weniger  dicht  gezähnt 

Von  relativ  kleinblättrigen  Exemplaren  des  Lathyrns 
pnrpurens  Gilibert  (Annot,  hb.  B.;  Alais,  hb.  Z.;  Clermont, 
hb.  H.)  ist  Lathyrns  algericus  m.  durch  die  schmalen  Neben- 
blätter, oder,  wenn  dieses  Merkmal  nicht  genug  ausgeprägt 
ist,  durch  die  kleineren  Blüthen  zu  unterscheiden;  auch  die 
Breite  der  Stengel-  und  Blattstielflügel  ist  ein  ziemlich  gutes 
Merkmal.  — 


1  Nur  von  einem  Exemplar,  und  da  vielleicht  unreif  oder  verkümmert. 


Lathy ms -Arien  aus  der  Scction  Eulathyrus.  339 

Wir  sehen  also,  dass  aus  der  Fülle  der  Formen,  die  das  süd- 
westliche Europa  und  nordwestliche  Afrika  bewohnen,  nur  zwei 
so  charakteristisch  sind,  dass  wir  sie  mit  grösserer  Sicherheit 
unterscheiden  können.  Sie  sind  es  auch  allein,  die  ich  in 
grösserer  Individuenzahl  in  den  Herbarien  auffand.  Von  den 
übrigen  nur  in  einzelnen  Individuen  vorgefundenen  Formen 
habe  ich  das,  was  mir  interessant  erschien,  angegeben,  wage 
es  aber  nicht,  einzelne  Formen  zu  unterscheiden  oder  gar  zu 
benennen.  Vielleicht  hat  Willkomm  das  Richtige  getroffen, 
wenn  er  alle  Lathyrtis  Spaniens,  die  in  die  Nähe  der  in  Rede 
stehenden  Arten  gehören,  unter  einem  Namen  (Lathyrus  lati- 
folius)  zusammenfasst  und  nach  den  Verschiedenheiten  im 
Kelch  und  in  den  Blättchen  eine  Anzahl  von  Varietäten  unter- 
scheidet, ohne  sie  jedoch  zu  benennen.  Dass  er  auch  Lathyrus 
membranaceus  Presl  und  Lathyrus  pulcher  Gay  einbezogen 
hat,  kann  ich  freilich  nicht  billigen. 

Jene  Exemplare  von  der  Pyrenäenhalbinsel,  welche  ich 
weder  zu  Lathyrus  purpureus  Gilibert,  noch  zu  Lathyrus 
algericus  m.  rechnen  kann,  will  ich  in  einem  besonderen 
Verzeichniss  aufführen. 

I.  Spanien.  X^  Marbella,  regnum  Granatense  (hb. B.). 

IL  Portugal.  Coimbra:  Balea(Moller  in  fl.Lusitan.exsicc, 
No  335,  als  Lathyrus  latifolius;  X^  hb.  U.,  f^  hb.  H.). 

Lathyrus  membranaceus  Presl,  del.  Prag.  (1822),  p.  40. 

Syn.  L.  ensifolius  Badarö,  Mem.  in  diar.  phys.-chem.  Ticin.  bim.  V  (1824), 

n.  13;  ex  Moretti,  Botanico  italiano,  I  (1826),  p.  38; 

Reichenbach,  Fl.  Germ,  excurs.  (1830  —  1832),  p.  535;  2.  Th.; 

nori  Gay,  Ann.  d.  seienc.  nat.,  ser.  IV,  VIII  (1857),  p.  313. 
L.  longifolius  Tenore^  Ind.  sem.  hört  Neapol.  (1825),  p.  12. 
L.  silvestris  &)  cnsifolius  Seringe  in  De  Cand.  prodr.,  pars  II  (1825), 

p.  369. 
L.  silvestris  Gussone,  Fl.  Siculae  prodr.  (1828X  tom.  II,  p.  413; 

Tornabene,  Fl.  Sicula  (1887),  p.  220. 
L.  latifolius  var.  a)  Reichenbach,   Fl.  Germ,   excurs.  (1830—1832). 

p.  535;  z.  Th.2 

1  Bedeutung  der  Zeichen  wie  in  dem  Standortsverzeichniss  des  Lathyrus 
purpureus  Gilibert. 

2  Hieher  vielleicht  das  üppige  breitblättrige  Exemplar  aus  Pola.  Siehe 
die  Erläuterungen  (S.  343  f.). 


340  A.  Ginzberger, 

L.  silvestris  und  var.  angustifolins  Moris,  Fl.  Sardoa  (1837),  tom.  I, 

p.  579; 
L.  silvestris  var.  g)  Bertoloni,  Flor.  Ital.  (1847),  vol.  VII,  p.  465. 
L.  latijolius  ß)  angusiifolius  Koch,  Syn.  fl.  Germ.,  ed.  II  (1843),  p.  224; 

Grenier  etGodron,  Flore  de  France  (1848),  tom.  I,  p.  484. 
L.  silvestris  var.  a)  Doäonaei^  und  ß)  ensifolius  Visiani,  Flor.  DalmaL 

(1852),  vol.  III,  p.  329. 
L.  latifolius  var.  ß)  z.  Th.,  y),  C)!  Willkomm  et  Lange,  Prodr.  fl.  Hisp. 

(1880),  vol.  III,  p.  316. 
L.  monspeliensis  Delile  (in  herb.)  in  Loret  et  Barrandon,  Flore  de 

Montpellier,  ed.  II  (1886),  p.  147. 
Icones.  Garidel,  Hist.  des  plantes  d'Aix  et  de  la  Provence  (1715),  tab.  108. 

(Stellt  ein  sehr  breitblättriges  Exemplar  dar.) 

Flügel  des  Stengels  jederseits  ^U—^^l^ntm  breit,  die 
der  Blattstiele  etwas  schmäler  bis  etwas  breiter,  1 — 3V2  ^^^ 
breit;  Zähnchen  fehlend  bis  ziemlich  dicht. 

Blättchen  lineal -lanzettlich  bis  lineal,inder  Mitte 
oder  im  ersten  Drittel  am  breitesten,  entweder  allmälig 
in  die  Spitze  verlaufend  oder  vor  derselben  zusammengezogen, 
(53)  70— 120(145  — 150)  f«fw  lang,  2  — lOVg  (13V2)  ^^w  t>reit, 
(9V2-)  11  —  40mal  so  lang  als  breit.  Farbe  oben  grasgrün, 
unter  blässer  bis  graugrün. 

Vorderer  Theil  der  Nebenblätter  lanzettlich,  fein 
zugespitzt,  lV2~3mal  so  lang  als  der  hintere;  ersterer 
1172 — 41  fwm  lang,  l^/^^S  {\\)mm  breit,  fast  3  — 11  mal  so 
lang  als  breit,  halb  so  breit  bis  ebenso  breit  als  der  Stengel 
sammt  den  Flügeln;  der  zugehörige  Blattstiel  selten  kürzer  als 
der  vordere  Theil  der  Nebenblätter  (V^  desselben),  meist  länger 
bis  etwa  2 V4  mal  so  lang  als  derselbe. 

Blüthenstiele  so  lang  bis  2  mal  so  lang  als  der 
zugehörige  Blattstiel  sammt  Blättchen,  5 — 14blüthig. 

Bracteen  sehr  kurz  bis  V2  ^^^  Blüthenstielchens,  selten 
länger. 

Blüthen  16—24  (meist  18— 22)  fum  lang. 

Kelchzähne  durch  ziemlich  schmale,  rundliche 
Buchten  von  einander  getrennt,  die  beiden  oberen  kurz 
dreieckig  bis  fast  trapezförmig,  ungefähr  ebenso  lang 


1  Hieher  vielleicht  das  üppige  breitblättrige   Exemplar  aus  Pola.  Siehe 
die  Eriäuterungen  (S.  343  f.). 


Latkyrus 'Arien  aus  der  Section  Eulathyriis.  341 

als  breit,  die  mittleren  gleichschenklig  dreieckig,  spitz, 
lV2—2V2nial  so  lang  als  breit  und  174—278"^^^  so  lang 
als  die  oberen;  der  untere  Zahn  IV3 — IVs"^^'  ^^  lang 
als  die  mittleren,  spitz,  wenig  länger  bis  174^^1  so 
lang  als  die  Röhre. 

Griffel  besonders  am  Grunde  ziemlich  stark  gekrümmt, 
an  der  Spitze  kaum  erweitert. 

Reife  Hülsen  (60)  77— 86  mw,  lang,  6-5—11  mm  hoch, 
8 — 10  mal  so  lang  als  hoch. 

Samen  4—5  mm  lang,  walzlich  oder  seitlich  stark  zu- 
sammengedrückt, dunkelbraun  bis  schwarz,  selten  blassbraun; 
stark-  und  stumpfrunzelig;  Runzeln  manchmal  ziemlich  un* 
zusammenhängend;  Nabel  die  Oberseite  des  Samens  ein- 
nehmend, bisweilen  etwas  auf  die  Hinterseite  übergreifend, 
V3  des  Samenumfanges  umfassend. 

Behaarung.  Drüsen  an  jungen  Hülsen.  Saum  des  Kelches 
meist  kurzwimperig;  sonst  alles  kahl. 

Verbreitungsgebiet. 

Umgebung  von  Lissabon;  nordöstliches  Spanien;  Süd- 
Frankreich  bis  zur  Vendee;  Corsica,  Sicilien,  Italien;  Süd-Istrien 
und  die  istrianischen  Inseln. 

Standortsverzeichniss. 

I.  Portugal,  t  In  vineis  Estremadurae  prope  Belem  agri 
Olisiponensis  (hb.  B.).  —  f  Arredores  de  Lisboa:  de  Carcavellos 
a  Oeiras  (Dave au  in  Flor.  Lusit.  exsicc,  No  1290,  als  Lathyrns 
silvestris;  hb.  H.). 

II.  Spanien.  In  sepibus  prope  Olave  in  Navarra  raro,  in 
montibus  inter  fluvios  Aragon  et  Gallego  in  Aragonia  copiose 
(Willkomm,  It.  Hispan.  sec,  1850,  No  231;  hb.  M.,  f  hb.  B., 
t  hb.  Keck;  spec.  origin.  Lathyri  latifolii  C)  Willkomm 
et  Lange).  —  f  Aragonia  superior  (Willkomm,  it.  Hispan» 
sec,  1850,  No  231;  hb.  M.).  —  fCorba  (Bordere;  hb.  K.). 

III.  Frankreich.  Broussailles  des  rochers  calcaires  ä 
Chaille-les-Marais;  Vendee  (Letourneux  in  Billot,  Fl.  Gall. 
et  Germ,  exsicc,  No  3365;  hb.  B.).  —  Alais,  depart.  Gard  (ex 
hb.  Jordan;  hb.  Z.).  —  Bouches  du  Rhone:  La  Couronne  pres 


342  A.  Ginzberger, 

de  Martigues,  dans  les  haies  (Autheman,  hb.  H.,  als  Lathyrus 
silvestris);  S.  Marcel  (Miciol;  hb.  H.).  —  Montpellier  (ex  hb. 
Jordan,  hb. Tr.;  t  Martius,  hb.  K.).  —  Ad  vias  inter  San  Martine 
di  Lentosca  et  Lucerame  (hb.  B.). 

IV.  Corsica.  Bastia  (Sieber;  f  z.  Th.  hb.  M.,  X  hb.  P.).  — 
Sommet  du  Pigno  ä  Bastia  (Mabille,  herb.  Corsic,  No  71,  als 
Lathyrus  latifolins  var.  angtistifolius  GrenieretGodron;  hb. 
B.,  hb.  M.).  —  X  In  summo  monte  Pigno  (hb.  U.).  —  Bastia; 
paturages  sur  les  pentes  du  Pigno  (Debeaux,  PI.  de  Corse; 
hb.  M.).  —  Porto,  buissons  (Reverchon,  PI.  de  Corse,  1885, 
No  444;  hb.M.,  hb.H.).  —  Ajaccio  (Requieu;  hb.B.).  —  f  Ajaccio, 
dans  les  champs  (Thiriaux;  hb.  B.). 

V.  Sicilien.  In  silvaticis  prope  Palermo  (hb.  Z.).  —  In 
collibus  calcareis  ditionis  inferioris  Madoniarum  prope  Isnello 
(Strobl,  Flora  Nebrodensis;  hb.M.,  hb.  B.,  f  hb.  K.).  —  In 
dumetis  prope  Randazzo  (Huet  du  Pavillon,  PI.  Siculae; 
hb.  B.). 

VI.  Italien,  f  Flora  Picena  (ex  hb.  Orsini;  hb.  B.).  — 
Subasio,  Umbria  (Batelli;  hb.H.).  —  Broussailles  pres  Solmona, 
Abbruzzen  (Boissier;  hb.  B.).  —  Basilicata;  inter  sepes  ad 
rupes  et  muros  prope  Lauria;  solo  calcareo,  400 — 500  w  (Hute r, 
Porta,  Rigo,  ex  itin.  III.  Ital.,  No  808;  hb.  K.). 

VII.  Küstenland.  X  Istria;  X  in  Istria  australi  (Tomma- 
sini;  hb.  B.).  —  f  Pola,  Inseln  (Wawra,  Flor,  mediterr.,  No  212; 
hb.  M.).  —  Cherso  (Tommasini;  hb.  Z.).  —  X  Beilei  auf 
Cherso  (Sendtner;  hb.  Tr.).  —  Sansego  (Sendtner,  hb.  Tr, 
t  Tommasini,  hb.  Tr.). 

Zur  Synonymie. 

In  der  Diagnose  des  Lathyrus  membranaceus  Presl  findet 

sich  die  Angabe  »foliola 2— 3-pollicaria«.  Mit  Rücksicht 

darauf  dürften  Presl  ziemlich  kurzblättrige  Exemplare  vor- 
gelegen sein.  Unter  den  von  mir  gesehenen  Exemplaren  ent- 
spricht das  von  Solmona  (Abbruzzen)  dieser  Angabe  am  besten. 

Zu  Lathyrus  eusifolhts  fand  ich  einmal  das  Citat:  Brotero, 
Phytographia  Lusitan.  selectior  (1816).  In  dem  genannten 
Werk  ist  jedoch  von  einem  Lathyrus  eusifolius  gar  nicht  die 
Rede.  Auch  der  Name  Lathyrus  membranaceus^  der  im  Prager 


Z^/Ävr«s -Arten  aus  der  Section  Eulathyrus.  343 

Herbar  mit  dem  Automamen  Brotero  vorkommt,  findet  sich 
weder  in  dem  genannten  Werke  noch  in  »Flora  Lusitanica«. 

Lathyrus  silvestrisa)  ensifolius  Seringe  gehört  mit  Rück- 
sicht auf  das  Synonym  Lathyrus  ensifolius  Badarö  möglicher- 
weise zum  Theile  hieher.  (Vergl.  auch  die  Synonymie  von 
Lathyrus  silvestris  var.  tiroliensis  m.  [p.  288].) 

ijhev  Lathyrus  silvestris  Gussoney  Tornabene,  Moris 
vergleiche  das  in  den  Erläuterungen  zur  Synonymie  des  La- 
thyrus silvestris  L.  Gesagte  (p.  294  f.). 

Ob  Willkomm*s  Lathyrus  latifolius  C)  hieher  zu  rechnen 
ist,  ist  mir  nicht  ganz  klar;  die  Beschreibung  stimmt  nicht 
ganz  für  Lathyrus  membranaceus  Presl;  das  von  Willkomm 
zu  seiner  var.  C)  citirte  Exemplar  »Willkomm,  exs.  1850, 
n.  231«  gehört  jedoch  sicher  hieher. 

Eine  Beschreibung  des  Lathyrus  fnonspeliensis  [Delile  in 
herb.]  Loret  et  Barrandon  fand  ich  nicht;  dass  ich  den 
Namen  hieher  ziehe,  hat  seinen  Grund  nur  darin,  dass  Loret 
und  Barrandon  ihn  1.  c.  als  Synonym  zu  Lathyrus  ensifolius 
citiren.  Grenier  und  Godron  ziehen  ihn  als  Synon^'m  zu 
ihrem  Lathyrus  latifolius  ß)  angustifolius. 

Lathyrus  membranaceus  Presl  variirt  stark  in  der  Breite 
der  Blättchen,  sowie  in  der  Länge  und  Breite  der  Nebenblätter; 
Exemplare,  welche  relativ  breite  (1 1  — 18  mal  so  lang  als  breit) 
Blättchen  mit  grossen  Nebenblättern  vereinigen,  sind  im  Stand- 
ortsverzeichniss  mit  f  bezeichnet.  Diese  Form  ist  von  der  ge- 
wöhnlichen, schmälerblättrigen  nicht  scharf  zu  unterscheiden; 
es  gibt  z.  B.  sehr  schmalblättrige  Exemplare  mit  recht  grossen 
Nebenblättern  (Chaille-les-Marais);  auch  die  Verbreitungsge- 
biete der  beiden  Formen  sind  nicht  getrennt.  Sehr  breitblättrige 
Exemplare  (Blättchen  circa  9 mal  so  lang  als  breit)  sind  von 
sehr  schmalblättrigen  des  Lathyrus  purpureus  Gilibert  vor 
allem  dadurch  zu  unterscheiden,  dass  bei  ersteren  die  breiteste 
Stelle  des  Blättchens  meist  im  ersten  Drittel,  bei  letzteren 
dagegen  stets  in  der  Mitte  desselben  liegt. 

Durch  die  ausserordentlich  üppige  Entwicklung  aller  blatt- 
artigen Theile  zeichnet  sich  das  Exemplar  von  »Pola,  Inseln 
(Wawra;  hb.  M.)«  aus.  Flügel  des  Stengels  4^1^,  die  der 
Blattstiele  Q>  mm  breit;  vorderer  Theil  der  Nebenblätter 


344  A.  Ginzberger, 

48  mm  lang,  21  mm  breit;  Blättchen  100 — 108  mm  lang, 
19 — 22  wiw  breit,  4V2  — 573 mal  so  lang  als  breit,  breiteste 
Stelle  im  ersten  Drittel  gelegen;  nach  vorne  ganz  allmälig  ver- 
schmälert. Hauptsächlich  wegen  dieser  Gestalt  der  Blättchen 
und,  da  die  Blüthenstiele  nur  ebensolang  bis  IVgmal  so  lang 
als  der  zugehörige  Blattstiel  sammt  Blättchen  sind,  was  bei 
Lathyrns  megalanthns  Steudel  niemals  vorkommt,  rechnete 
ich  dieses  Exemplar,  dessen  Massverhältnisse  als  nach  jeder 
Richtung  ungewöhnlich  zu  bezeichnen  sind,  zu  Lathyrus  mem- 
branaceus  Presl. 

Sehr  auffallend  ist  auch  eine  Form  unserer  Pflanze,  die 
sich  durch  zwerghafte  Entwicklung  aller  Theile  auszeichnet. 
Die  Höhe  mancher  Exemplare  beträgt  nicht  mehr  als  25  cm, 
Stengelflügel  \  —  \^l^mm,  die  des  Blattstieles  circa  \  mm 
breit;  vorderer  Theil  der  Nebenblätter  9  —  \2  mm  lang, 
iVs — 2  mm  breit;  Blättchen  lineal,  25 — 50  (60)  mm  lang, 
2 — S'bmm  breit,  10  —  17mal  so  lang  als  breit;  Blüthenstiele 
5 — 6blüthig;  Blüthen  19 — 21  mm  lang.  Ich  sah  auch  Über- 
gangsformen von  gewöhnlichen  zu  Zwergexemplaren. 

Die  meisten  der  Zwergexemplare  stammen  aus  der  Um- 
gebung von  Bastia  (Corsica),  und  zwar  meist  vom  Gipfel  des 
Berges  Pigno,  andere  aus  Istrien  und  von  der  Insel  Cherso. 
Im  Standortsverzeichniss  sind  alle  Zwergexemplare  mit  X  be- 
zeichnet 

Lathyrus  puicher  Gay  in  Annal.  d.  sciences  natur.,  ser.  IV, 
VIII(1857),  p.  311!; 

non  Salisbury,  Prodr.  stirp.  in  hört,  ad  Chapel  Allerton  vigentium 
(1796),  p.  338;  sec.  Index  Kewens.,  fasc.  III.,  p.  38. 
Syn.  L.  Jatifolins  ß)  z.  Th.,  t)  z.  Th.!  Willkomm  et  Lange,'  Prodr.  flor. 

Hisp.  (1880),  vol.  III,  p.  316. 
L.  ehgans  Porta,  et  Rigo  in  Porta,  vegetabilia  in  itin.  Tberic.  lecta, 

p.  23;  separat  ex  attf  dell'I.  R.  accademia  degli  agiati,  IX  (1891)!; 

non  Vogel  in  Linnaea,  XIII  (1839),  p.  30. 
L.  tremolsianus  Pau  in  rev.  de  botanique,  X  (1892),  p.  693. 
L.  Jatifolins  ß)  angnstifolius  Willkomm,  Suppl.  prodr.  fl.  Hisp.  (1893), 

p.  240;  z.  Th.;i 

non  Grenier  et  Godron,  Flore  de  France  (1848),  tom.  I,  p.  484. 

^  Hiezu  citirt  Willkomm  das  von  mir  gesehene  Exemplar  von  Pueg 
Campana. 


Laihyrus -Arien  aus  der  Section  Eulathyrus.  345 

Flügel  des  Stengels  jederseits  ^4 — 2  wm  breit,  die 
der  Blattstiele  meist  schmäler  (bis  halb  so  breit),  selten 
ebenso  breit,  V2 — ^  ^***  breit;  Zähnchen  an  den  Flügeln 
fehlend. 

Ranken  einfach  oder  dreitheilig. 

Blättchen  lanzettlich-lineal,^  meist  im  ersten  Drittel 
am  breitesten  und  nach  vorne  allmälig  in  die  nicht  abgesetzte 
Stachelspitze  verlaufend;  selten  vorn  stumpf  und  mit  ab- 
gesetzter Stachelspitze;  57 — \Q0  mm  lang,  2  —  4  (o^/^)  mm 
breit,  (14-)  21 — 46mal  so  lang  als  breit.  Farbe  oben  gras- 
grün, unten  gleichfarbig  oder  etwas  blässer. 

Hinterer  Theil  der  Nebenblätter  sehr  kurz,  viel- 
mal kürzer  als  der  vordere;  dieser  13  — 25(30)  wm  lang, 
1 — 3  (5)  mm  breit,  5—12  mal  so  lang  als  breit,  etwas  schmäler 
bis  halb  so  breit  als  der  Stengel  sammt  den  Flügeln;  der  zu- 
gehörige Blattstiel  so  lang  bis  IV^nial  so  lang. 

Blüthenstiele  P/s — 2V2  (378) "^^^  so  lang  als  der  zu- 
gehörige Blattstiel  sammt  Blättchen,  meist  drei-,  selten 
zwei-  oder  vierblüthig.  Der  oberste  der  sehr  kräftigen 
Blüthenstiele  drängt  öfters  den  über  seinem  Insertionspunkt 
befindlichen  Theil  des  Stengels*  zur  Seite  und  ist  dann  schein- 
bar endständig. 

Bracteen  sehr  kurz,  vielmal  kürzer  als  die  Blüthen- 
stielchen,  selten  circa  Vg  derselben. 

Blüthen  23  — 28mm  lang. 

Kelchzipfel  (Fig.  27  und  28)  durch  schmale,  rund- 
liche bis  spitzliche  Buchten  von  einander  getrennt,  alle 
dreieckig,  fein  zugespitzt;  die  oberen  IV2-  t)is  über 
2mal  so  lang  als  breit,  die  mittleren  wenig  länger  bis 
IVsrnal  so  lang  als  die  oberen,  über  IV2-  bis  fast  2  mal 
so  lang  als  breit;  der  untere  Zahn  wenig  länger  bis 
P^n^al  so  lang  als  die  mittleren,  P/s — ^Vs"^^^  so  lang 
als  die  Kelchröhre. 

Griffel  nur  am  Grunde  oder  S-förmig  gekrümmt,  an  der 
Spitze  etwas  verbreitert. 


Untere  Blättchen  oft  lanzettlich. 

Bezüglich  der  Gestalt  des  Stengels  vergl.  Einleitung  (S.  282). 


34(3  A.  Ginzberger, 

Erwachsene  Hülse  70 mm  lang,  8  mm  hoch. 

Samen ? 

Behaarung.  Drüsen  an  verschiedenen  Organen  zerstreut, 
am  zahlreichsten  und  regelmässig  an  den  nicht  grünen  Stellen 
der  Stengelknoten  und  Insertionspunkten  der  Blättchen  am 
Blattstiel.  Saum  des  Kelches  manchmal  flaumig  bis  kurz- 
wimperig;  sonst  alles  kahl. 

Verbreitungsgebiet. 

Spanien,  Provinzen  Valencia  und  Murcia. 

Standortsverzeichniss. 

I.  Valencia.  Sierra  de  Segorbe  ä  Montemalo;  lieux  om- 
brages  et  herbeux,  sur  le  calcaire,  500  w;  rare  (Reverchon, 
PI.  d'Espagne,  1892,  No  679;  hb.  Keck,  hb.  H.,  hb.  U.).  — 
Segorbe,  500 fw  (Reverchon  in  Baenitz,  Herb.  Europ.;  hb. 
H.,  hb.  M.).  —  Chiva  (Boissier,  hb.  B.;  Willkomm,  hb.  M., 
hb.  P.).  —  Sierra  de  Chiva,  in  fruticetis  vallis  Barranco  de 
Andijas  (Willkomm;  hb.  M.).  —  In  coUibus  apricis  Sierrae  de 
Ayora  et  prope  Bocairente;  solo  calcareo,  700 — 800  w  (Porta 
et  Rigo,  Iter  III.  Hispan.,  1891,  No  733  [163];  hb.  H.,  hb.  U.; 
specim.  origin.  Lathyri  elegantis  Porta  et  Rigo).  — 
In  collibus  apricis  circa  pagum  Boccariente;^  solo  calcareo, 
400  — lOOOw  (Porta  et  Rigo,  Iter  II.  Hispan.,  No  431,  als 
*Lathyrus  Hngitanns  ß)  uniflorus  Seringe  ap.  D.  C.  prodr., 
t.  III,  p.  314«^).  —  t  Prov.  Alicantina;  ad  radices  septentrionales 
montis  Pueg  Campana  (Hegelmaier;  hb.  Keck).  —  Sierra  de 
Segobia;  in  locis  graminosis,  umbrosis;  solo  calcareo,  500  f« 
(Reverchon  in  Dörfler,  hb.  norm.,  No  3024;  hb.U.,  hb.M.), — 
Sierra  de  la  Cueva  santa;  lieux  ombrages  (Reverchon;  hb. 
Keck);  dans  les  mäquis  herbeux,  dans  le  calcaire  marneux: 
700  fw,  rare  (R  e  v  e  r  c  h  o  n ,  PI.  d'Espagne,  1 89 1 ;  prov.  de  Valence, 
No  679;  hb.  H.). 

IL  Murcia.  Padron  de  Bien  Servida  pres  Riopar  (Gay  in 
Bourgeau,  PI.  dTspagne,  1850,  No  980;  hb.B.;  spec.  origin. 
Lathyri  pulchri  Gay). 


1  Wohl  =  Bocairente. 

2  Das  richtige  Citat  lautet  tom  II,  p.  374. 


Laihy  ms -Arten  aus  der  Section  Eulathyrns.  347 

Zur  Synonymie. 

Die  Originaldiagnose  des  Lathyrtis  pulcher  Salisbury 
war  mir  nicht  zugänglich.  Nach  dem  Index  Kewensis  soll 
Lathyrus  pulcher  Salisbury  =  Lathyrtis  Hngitantis  L.  sein. 
Da  nun  Salisbury's  Name,  soviel  ich  weiss,  nie  von  einem 
anderen  Autor  gebraucht  worden  ist,  so  scheint  er  wirklich  nur 
ein  Synonym  zu  sein;  daher  möchte  ich  vorschlagen,  den 
Namen  Lathyrus  pulcher  Gay,  der  mit  einer  sehr  guten  Dia- 
gnose versehen  ist,  beizubehalten. 

Dass  Lathyrus  latifolius  ß)  Willkomm  und  Lange  unter 
anderem  auch  unsere  Pflanze  umfasst,  schien  mir  besonders 
aus  der  Angabe  »stipulis  minoribus,  auricula  saepe  abbreviata« 
hervorzugehen. 

Ob  Lathyrus  tremolsianus  Pau  hieher  gehört  oder,  wie 
Willkomm^  will,  zu  Orobus  canescens  L.  fil.  zu  ziehen  ist, 
ist  nicht  sicher.  Pau  sagt,  1.  c,  dass  sich  seine  Pflanze  von 
Lathyrus  silvestris  L.,  mit  dem  er  sie  früher  verwechselt  hatte, 
durch  ihre  zweiblüthigen,  sehr  verlängerten  Blüthenstiele,  ihre 
Schmallinealen  Blättchen  und  die  Nebenblätter,  welche  so  lang 
als  der  Blattstiel  sind,  unterscheide;  alles  dies,  auch  der  von 
Pau  angegebene  Standort  (Segorbe),  passt  ei\xi  Lathyrus  pulcher 
Gay.  Dagegen  weist  die  Angabe  Pau's,  dass  die  Pflanze  mit 
Orobus  canescens  var.  ^«5//b//«5  Colmeiro*  gut  übereinstimmt, 
auf  einen  Orobus  hin,  da  das  von  Colmeiro  citirte  Bild^  einen 
Orobus  darstellt. 

Das  im  Standortsverzeichniss  mit  f  bezeichnete  Exemplar 
ist  durch  seine  zwerghafte  Entwicklung  ausgezeichnet.  Höhe 
der  Pflanze  circa  35  cm\  Blättchen  40 — 70 mm  lang,  2V2  bis 
3  wfw  breit;  Blüthen  (schlecht  präparirt)  circa 20— 21  mmlang. 
Diese  Pflanze  hat  im  Habitus  grosse  Ähnlichkeit  mit  der  Zwerg- 
form  des  Lathyrus  membranaceus  Presl;  wegen  der  arm- 
blüthigen  Blüthenstiele  und  der  Beschaffenheit  des  Kelches, 
sowie  mit  Rücksicht  auf  den  Fundort  gehört  sie  jedoch  hieher. 


1  Suppl.  prodr.  flor.  Hispan.,  p.  241. 

8  Enumeracion  y  revision  (1886),  tom.  IL,  p.  283. 

3  Mem.  du  mus.  d'hist.  natur.,  II.  (1815),  tab.  12. 


348  A.  Ginzberger, 

Schlussbemerkungen. 

Fassen  wir  das  Wichtigste  von  dem,  was  über  die  einzelnen 
Arten,  besonders  bezüglich  der  Verbreitung  derselben  gesagt 
wurde,  zusammen,  so  kommen  wir  zu  folgenden  Ergebnissen  : 

Lathyrus  silvestris  L.  (1)^  hat  von  allen  Arten  das  weiteste 
Verbreitungsgebiet.  Seine  Ostgrenze  dürfte  in  Wirklichkeit  viel 
östlicher  liegen,  als  dies  auf  der  Karte  ersichtlich  ist  Die  Pflanze 
fehlt  der  Mediterranregion  gänzlich;  die  Angaben,  welche  über 
das  Vorkommen  des  Lathyrus  silvestris  L.  (1)  in  Sicilien, 
Algerien  u.  s.  w.  vorliegen,  beziehen  sich  meist  auf  Lathyrus 
mcmbranaceus  Presl  (11)  oder  Lathyrus  purpureus  Gili- 
bert(9). 

Das  Gebiet  der  nächstverwandten  Art,  Lathyrus  angusti- 
folius  [Roth]  (2)  fällt  zum  grössten  Theile  mit  dem  des  Lathyrus 
silvestris  L.  (1)  zusammen,  reicht  aber  im  Südosten  weiter  als 
dieses.  Abgetrennte  Verbreitungsbezirke  sind  Süd-Schweden, 
Transkaukasien  und  Nord-Persien. 

Ausser  dieser  Art  dürfte  sich  von  Lathyrus  silvestris  L.  (1) 
auch  Lathyrus  pyrenaicus  Jordan  (3)  abgezweigt  haben,  eine 
Gebirgspflanze  der  Central-Pyrenäen,  der  die  Lathyrus  silvestris- 
Exemplare  der  Nachbargebiete  oft  recht  ähnlich  sind. 

Etwas  vereinzelt  steht  Lathyrus  heterophyllus  (4)  da,  der 
mit  seinen  mehr  als  einpaarig  gefiederten  Blättern  wohl  einen 
älteren  Typus  darstellt.  Er  gleicht  in  mancher  Hinsicht  dem 
Lathyrus  megalanthus  Steudel  (8).  Er  bewohnt  die  mittel- 
europäischen Gebirge;  getrennte  Bezirke  seiner  Verbreitung 
sind  Tirol  und  das  südliche  Schweden,  wo  er  mit  Lathyrus 
angustifolius  [Roth]  (2)  und  Lathyrus  silvestris  L.  (1)  zu- 
sammen vorkommt. 

Noch  isolirter  steht  der  im  Vorlande  der  Ostpyrenäen 
endemische  Lathyrus  cirrhosus  Seringe  (5),  der  in  mancher 
Hinsicht  sehr  an  Lathyrus  pyrenaicus  Jordan  (3)  erinnert  und 
durch  mehr  als  zweipaarige  Blätter  ein  höheres  Alter  zu 
beweisen  scheint. 


1  Die  eingeklammerte  Zahl  hinter  dem  Namen  bedeutet  die  Nummer  der 
betreffenden  Art  auf  den  Karten. 


Lafh^THS -Arien  aus  der  Section  Eitlathyrtts.  349 

Der  im  Gebiete  von  Constantinopel  endemische  Latkyrus 
undulatus  Boissier  (6)  zeigt  zwar  manche  Anklänge  an 
Lathyrus  megalanthus  Steudel  (8),  mit  dem  er  unter  dem 
Namen  Lathyrus  latifolius  L.  öfter  verwechselt  wurde,  steht 
aber,  namentlich  was  die  äusserst  auffallende  Bildung  seines 
Griflfels  anbelangt,  eher  dem  Lathyrus  rotundifolius  Willd.  (7) 
nahe,  einer  Pflanze,  welche  die  Gebirgsgegenden  der  Kaukasus- 
länder und  der  Krim  bewohnt  und  in  der  Nervatur  ihrer 
Blättchen  zur  Gruppe  der  Arten  mit  einnervigen  Blättchen 
hinüberleitet.  (Vergl.  die  Einleitung,  S.  284.) 

Der  sehr  v\Q\gesiQ\i\gQ  Lathyrus  megalanthus  SiewdeX  (8) 
der  Lathyrus  latifolius  der  Autoren  Mitteleuropas,  ist  eine 
Pflanze  der  pontischen  und  mediterranen  Gebiete.  In  die  Gebirge 
geht  er  nur  selten;  im  Nordwesten  und  Westen  reicht  sein 
Gebiet  nicht  über  die  Alpen  hinaus. 

Mit  ihm  steht  in  naher  Beziehung  der  sich  nach  Westen 
zu  anschliessende  Lathyrus  purpureus  Gilibert  (9),  der 
Lathyrus  latifolius  mancher  Autoren,  namentlich  derjenigen 
Frankreichs.  In  diesem  Lande  findet  man  auch  die  typischesten 
Exemplare.  Ausserdem  bewohnt  die  Art  Sicilien  und  Algerien. 
Auf  der  Pyrenäenhalbinsel  herrscht  eine  grosse  Mannigfaltigkeit 
von  Formen,  die  theilweise  auch  an  Formen  des  Lathyrus 
megalanthus  Steudel  (8)  erinnern. 

Einer  solchen  ist  auch  der  Lathyrus  alger icus  m.  (10)  der 
Sierra  Nevada  und  Algeriens  ähnlich. 

Sowohl  im  Verbreitungsgebiet  des  Lathyrus  megalanthus 
Steudel  (8),  als  auch  des  Lathyrus  purpureus  Gilibert  (9) 
Hegen  die  Standorte  des  Lathyrus  membranaceus  Fr es\  (11), 
der  durch  seine  sehr  schmalen  Blättchen  ausgezeichnet  ist. 
Er  dürfte  von  beiden  Arten  oder  einer  Stammform  derselben 
abzuleiten  sein.  Er  ist  eine  entschiedene  Mediterranpflanze,  die 
auch  Gebiete  bewohnt,  in  denen  die  zwei  genannten  Arten 
fehlen. 

Ihm  in  manchen  Exemplaren  habituell  sehr  ähnlich  und 
oft  mit  ihm  verwechselt,  aber  durch  scharfe  Merkmale  unter- 
schieden und  geographisch  getrennt,  bewohnt  Lathyrus  pulcher 
Gay  (12)  die  Provinzen  Valencia  und  Murcia;  durch  ver- 
schiedene Merkmale  steht  er  ziemlich  isolirt  da. 


15'     . 

25'  .  » 

25'     . 

35'  .  » 

35'     » 

45'  »  . 

45'     . 

55'  »  . 

55'     » 

65'  »  » 

65'     » 

75'  .  > 

östlich  von 

75'  .  . 

350  A.  Ginzberger, 

Betrachten  wir  nun  die  Vertheilung  der  Arten   in  west- 
östlicher Richtung,  so  finden  wir  Folgendes: 

Zwischen    5**  und  15**  ö.  L.  von  Ferro  gibt  es  4  Arten 

»  •  »  S  * 

»  »  »  o  » 

»  »  »  4  * 

»  »  »   4  * 

»  »  »   3  * 

»  »  »   2  » 

»  j»  »  0  » 

Man  sieht  also,  dass,  abgesehen  von  der  Westhälfte 
Spaniens,  wo  die  Zahl  der  Arten  relativ  klein  ist,  die  Mannig- 
faltigkeit der  Formen  nach  Osten  hin  stetig  abnimmt,  östlich 
vom  75.  Meridian  ö.  L.  von  Ferro  fand  ich  überhaupt  keine  Art 
dieser  Gruppe  mehr  vor.  Wir  haben  es  also  hier  mit  einem 
Formenkreise  zu  thun,  der  im  Südwesten  Europas  seine  grösste 
Mannigfaltigkeit  entwickelt.  Dies  deutet  darauf  hin,  dass  die 
Urheimat  dieser  Gruppe  nicht,  wie  es  sonst  so  oft  der  Fall  ist, 
im  Osten  Europas,  sondern  im  Westen  dieses  Erdtheiles, 
respective  auf  der  hypothetischen  »Atlantis«  Unger's^  gelegen 
ist.  Dort  dürften  manche  der  Arten,  die  sich  jetzt  nur  an 
vereinzelten  Punkten  finden,  einst  eine  grössere  Verbreitung 
gehabt  haben. 


Unger,  »Die  versunkene  Insel  Atlantis«  (Vortrag).  Wien,  1860. 


Laihy  ms -Arien  aus  der  Section  Enlathynts, 


351 


Erläuterung  zu  den  beigegebenen  Karten. 


Die  Verbreitungsbezirke  der  einzelnen  Arten  sind  nur  nach  den  von  mir 
selbst  gesehenen  Exemplaren  gezeichnet,  und  zwar  in  der  Weise,  dass  die 
äussersten  Standorte  miteinander  verbunden  wurden.  Sehr  wenig  ausgedehnte 
oder  in  ihren  Grenzen  ganz  unsichere  Verbreitungsbezirke  ^  wurden  einfach 
mit  einem  Ring  umgeben.  Die  äussersten  Standorte,  von  denen  ich  Exem- 
plare sah,  sind  durch  Ziffern,  die  meist  in  die  Grenzen  der  Verbreitungsbezirke 
eingeschaltet  wurden,^  bezeichet,  und  zwar  bedeutet: 


1 

Laihy  ms  silvestris  L.,                              \ 

2 

»         angu st ifoliii s  \Roi\\],              > 

Karte  I. 

3 

»        pyrenaicus  Jordan,               ) 

4 

.....          »        heterophyllus  L.,                      ( 

Nebenkarte 

5 

»         c/rr/i05«5  Seringe,                f 

auf  Karte  II. 

6 

»         ««^«/di///s  Boissier,              \ 

7 

»         rotundifolius  W  i  1 1  d  e  n  o  w,   j 

8 

»        ntegalanthus  S\.Q\idQ\,           f 

9 

>        pttrpurcus  Q'\\\h tri,          '    > 

Karte  II. 

10 

»        alger iciis  m.,                             l 

11 

»         mcmhranaceus  Presl,              i 

12 

>        pulcher  G&y.                           J 

1  Zu  ersteren  gehören :  3,  5,  6,  sowie  abgetrennte  Gebiete  von  2  (Schwe- 
den), 9  (Lissabon,  Südspanien,  Sicilien),  1 1  (Lissabon^,  zu  letzteren :  2  (Nord- 
persien), 4  (Siebenbürgen). 

2  Eine  Ausnahme  hievon  wurde  gemacht  und  die  Ziffer  in  die  Mitte  des 
Verbreitungsgebietes  geschrieben:  a)  in  den  sub  Anmerkung  1  genannten 
Fällen,  b)  bei  12,  wo  der  Verbreitungsbezirk  nicht  willkürlich  (durch  einen 
Ring)  umgrenzt  wurde,  aber  zu  klein  war,  um  die  Ziffern  an  den  Stellen  der 
äussersten  Standorte  einzutragen. 


Sitzb.  d.  maihem.-natiirw.  Cl.;  CV.  Bd.  Abth.  I. 


23 


352       A.  Ginzberger,  La/ hvnis -Arien  aus  der  Section  Eulathyrus. 


Erklärung  zur  Tafel. 


Fig.    1.  Lathyrus  silvestris  L.;  Blättchen. 
»2.         »         ang-usUfolitiS  [Roth];  BVäitchen. 

>  3.         »         megalanthus  Steudel;  Blättchen. 
»4.         »         ttiberosus  L.;  Blättchen. 

»5.         > '       grandiflorus  S  i  b  t  h.  et  Smith;  Blättchen. 
»6.         »         rotttftdifoUns  W i II d. ;  Blättchen. 

>  7.         »         c/rrÄ05r/s  Seringe;  Blättchen. 
»8.         >         heterophylltts  L.\  Griffel. 

»9.         »         pyrenaicus  Jordan;  Stück  der  Oberhaut  des  Blättchens  mit 
einem  gewöhnlichen  Haar  (a)  und  einer  Drüse  {b). 
►         pyrenaicus  Jordan;  einzelne  Drüse. 


10. 
11. 
12. 

13. 


14. 

15. 
16. 
17. 
18. 
19. 
20. 
21. 
22. 
23. 
24. 
25. 
26. 

27. 

28. 


megalanthus  Steudel;  Blättchen,  dessen  Spitze  in  eine 
Ranke  endigt. 

heterophyllus  L.  var.  unijugits  Koch;  Stück  des  Blatt- 
stieles (a)  mit  2  Seitenranken  (bj,  deren  eine  einseitig  mit 
Blattsubstanz  besetzt  ist. 

megalanthus   Steudel;    Blattgelenk    mit    zwei   ungleichen 
Nebenblättern. 
silvestris  L. ;  Kelch. 
angusti/olius  [Roth]]  Kelch. 
pyrenaicus  Jordan;  Kelch. 
heterophyllus  L.;  Kelch. 
arrÄos//s  Seringe;  Kelch. 
undulatus  B  o  i  s  s  i  e  r ;  Kelch. 
»  »         ;  Griffel. 

rotundifolius  Willd.;  Kelch. 
>  »       ;  Griffel. 

megalanthus  Sit\x<it\\  Kelch. 
purpureus  Gilibert;  Kelch. 

>  »        ;     Kelch    mit    ausnahmsweise    kurzen 

Zähnen. 

pulcher  Gay;  Kelch  von  der  Seite. 
»  >  »        »    oben. 


Fig.  8  und  23  zweimal,  Fig.  20  und  21  etwas  vergrössert;  Fig.  9—11: 
Reichert  Obj.  7a,  Ocul.  2,  eingezogen  (V'ergr.  255).  Alle  anderen  Figuren  in 
natürlicher  Grösse. 


II 


A,  Ginzberger:  Geographische  Verbreitung  einiger  Laihyru^ 


7     I 
4      ' 


^^  ^^ £f  i^  SwJm^  gtf^JtftTT^         i&         ts      t^       SM 


Sitzungsterichte  d.  Iwais^  Alwd.  d^ 


IS  der  Section  Eulathyrus. 


Karte  I 


1 


»ath,-nnturw.  Classe,  Bd.  CV,  Abth.  \,   lg96. 


A.  Ginzberger:  Geographische  Verbreitung  einiger  Lathyrus -Arten  a 


£{f  jf£  lü  Svtintr  Atti^Tvl        iü        JS     tO      r^ 


&  w.Ltatye>Oa.l.v.FmriM  S 


Sitzungsberichte  d.  kais.  Akad.  d.  Wiss.,  m 


s  der  Section  Eulathyrus. 


Karte  II. 


ith.-naturw.  Classe,  Bd.  CV,  Abth.  I,  1896. 


A  .Giiiz))erger :  L athyrus  -.Arteii  aus  der  Secüon  Eulathynis . 

Mm 


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23. 

A.StM*r(i-r)«c 

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Lith  AnM  V  Th  BannwarÜiWisn . 


r^  tzungsberichte  d.kais.Akad.  d.Wiss.,  math.-naturw. Ciasse,  Bd. CV,  Abth.1, 1896. 


353 


XI.  SITZUNG  VOM  23.  APRIL  1896. 


Erschienen:  Sitzungsberichte,  Bd.  105,  Abth.  II.  a,  Heft  I  (Jänner  1896). 

Das  w.  M.  Herr  Regierungsrath  Prof.  E.  Mach  überreicht 
eine  Abhandlung  von  Prof.  Dr.  G.  Jaumann  an  der  k.  k. 
deutschen  Universität  in  Prag  unter  dem  Titel:  »Elektro- 
statische Ablenkung  der  Kathodenstrahlen«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  H.  Weidel  überreicht  eine  Arbeit  aus 
dem  I.  chemischen  Universitätslaboratorium  in  Wien:  »Über 
das  Phenylhydrazon  und  Oxim  des  Protocatechu- 
aldehyds«,  von  Dr.  Rud.  Wegscheider. 


Die  Sitzungsberichte  der  mathem.-naturw.  Classe 
erscheinen  vom  Jahre  1888  (Band  XCVII)  an  in  folgenden  vier 
gesonderten  Abtheilungen,  welche  auch  einzeln  bezogen 
werden  können: 

Abtheilungl.  Enthält  die  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 
Mineralogie,  Krystallographie,  Botanik,  Physio- 
logie der  Pflanzen,  Zoologie,  Paläontologie,  Geo- 
logie, Physischen   Geographie  und  Reisen.  . 

Abtheilung  II.  a.  Die  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 
Mathematik,  Astronomie,  Physik,  Meteorologie 
und  Mechanik. 

Abtheilung  II.  b.  Die  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 
Chemie. 

Abtheilung  III.  Die  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 
Anatomie  und  Physiologie  des  Menschen  und  der 
Thiere,  Sowie  aus  jenem  der  theoretischen  Medicin. 

Dem  Berichte  über  jede  Sitzung  geht  eine  Übersicht  aller 
in  derselben  vorgelegten  Manuscripte  voran. 

Von  jenen  in  den  Sitzungsberichten  enthaltenen  Abhand- 
lungen, zu  deren  Titel  im  Inhaltsverzeichniss  ein  Preis  beigesetzt 
ist,  kommen  Separatabdrücke  in  den  Buchhandel  und  können 
durch  die  akademische  Buchhandlung  Carl  Gerold*s  Sohn 
(Wien,  I.,  Barbaragasse  2)  zu  dem  angegebenen  Preise  bezogen 
werden. 

-Die  dem  Gebiete  der  Chemie  und  verwandter  Theile  anderer 
Wissenschaften  angehörigen  Abhandlungen  werden  auch  in  be- 
sonderen Heften  unter  dem  Titel  »Monatshefte  fürChemie 
und  verwandte  Theile  anderer  Wissenschaften«  heraus- 
gegeben. Der  Pränumerationspreis  für  einen  Jahrgang  dieser 
Monatshefte  beträgt  5  fl.  oder  10  Mark. 

Der  akademische  Anzeiger,  welcher  nur  Original-Auszüge 
oder,  wo  diese  fehlen,  die  Titel  der  vorgelegten  Abhandlungen 
enthält,  wird,  wie  bisher,  acht  Tage  nach  jeder  Sitzung  aus- 
gegeben. Der  Preis  des  Jahrganges  ist  1  tl.  50  kr.  oder  3  Mark. 


INHALT 

des  5.  bis  7.  Heftes  Mai  bis  Juli  1896  des  CT.  Bandes,  Abtheilung-  I 
der  Sitzungsberichte  der  mathem.-naturw.  Classe. 

Seite 

XII.  Sitzung  vom  7.  Mai  1896:  Übersicht 357 

XUI.  Sitzung  vom  15.  Mai  1896:  Übersicht 359 

Luksch  J.,  Vorläufiger  Bericht  über  die  physikalisch -oceano- 
graphischen  Untersuchungen  im  Rothen  Meere.  October 
1895  bis  Mai  1896.  (Mit  2  Kartenskizzen.)  [Preis:  60  kr.  = 

1  Mk.  20  Pfg.] 36 1 

XIV.  Sitzung  vom  21.  Mai  1896:  Übersicht 393 

XV.  Sitzung  vom  11.  Juni  1896:  Übersicht ^397 

Adensamer  Th.^  Über  Ascodipterou  phyllorhinae  (n.  gen.,  n.  sp.), 
eine  eigenthümliche  Pupiparenform.  (Mit  2  Tafeln.)  [Preis: 
40  kr.  =  80  Pfg.]     .    .     • 400 

Fuchs  Th.,  Vorläufige  Mittheilung  über  einige  Versuche,  ver- 
schiedene, in  das  Gebiet  der  Hieroglyphen  gehörige  pro- 
blematische Fossilien  auf  mechanischem  Wege  herzustellen. 
[Preis:   20  kr.  =  40  Pfg.] 417 

XVI.  Sitzung  vom  18.  Juni  1896:  Übersicht 433 

Steiner  J.,  Beitrag  zur  Flechtenflora  Südpei-siens.  [Preis:  15kr.  = 

30  Pfg.] 436 

Gjokic  G.,  Zur  Anatomie  der  Frucht  und  des  Samens  von  Viscum. 

(Mit  1  Tafel.)  [Preis :  30  kr.  =  60  Pfg.]       .     .         .....    447 

XVII.  Sitzung  vom  2.  Juli  1896:  Übersicht .    467 

XVIII.  Sitzung  vom  9.  Juli  1896:  Übersicht .    .    469 

Eitittgshausen  C,  Freih.  v.,  Über  neue  Pflanzenfossilien  in  der 
Radoboj-Sammlung  der  Universität  Lüttieh.  (Mit  5  Tafeln 
und  4  Text-figuren.)  [Preis:  80  kr.  =  i   \^i^    «q  p-    ,  ^    473 

Hilber  V„  Geologische  Reise  in  Nord-Griechenland  und  Türkisch- 

Epirus  1895.  (Vorläufiger  Bericht.)  [Preis:  20  kr.  =  40  Pfg-l    ^^^ 

Nestler  A.,  Untersuchungen  über  die  Ausscheidu«.^ 

'S   Von  vVassc^* 
tropfen  an  den  Blättern.  (Mit  2  Tafeln. >     rp-   •    .    -  _ 


1  Mk. 


521 


i       lüi^/ 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


MATHEMATISCH  -NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CV.  BAND.  V.  HEFT. 


ABTHEILUNG  I. 

ENTHÄLT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  MINERALOGIE, 

KRYSTALLOGRAPHIE,  BOTANIK,  PHYSIOLOGIE  DER  PFLANZEN,  ZOOLOGIE, 

PALÄONTOLOGIE,  GEOLOGIE,  PHYSISCHEN  GEOGRAPHIE  UND  REISEN. 


24 


357 


XII.  SITZUNG  VOM  7.  MAI  1896. 


Erschienen:  Monatshefte  für  Chemie,  Heft  II  (Februar  1896). 

Das  k.  u.  k.  Reichs-Kriegs-Ministerium  (Marine- 
Section)  übermittelt  ein  vom  Commando  S.  M.  Schiff  »Pola< 
eingelangtes  Telegramm,  laut  welchem  dieses  Schiff  nach  Ab- 
schluss  der  wissenschaftlichen  Expedition  im  nördlichen  Theile 
des  Rothen  Meeres  am  29.  v.  M.  im  Golfe  von  Suez  eingelaufen 
ist  und  nach  sechstägigem  Aufenthalt  daselbst  die  Rückreise 
nach  dem  Hafen  von  Pola  antreten  wird. 

Se.  Excellenz  der  Herr  Minister  für  Cultus  und  Unter- 
richt übermittelt  ein  Exemplar  der  Regierungsvorlage  des 
Staatsvoranschlages  für  das  Jahr  1896,  Capitel  IX  »Ministerium 
für  Cultus  und  Unterricht  -4,  B,  C«,  sowie  des  Finanzgesetzes 
vom  28.  März  1 896,  mit  dem  Beifügen,  dass  die  ordentlichen 
Ausgaben  der  kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien 
mit  64.0000.  und  die  ausserordentlichen  mit  1 8.000  fl.  genehmigt 
worden  sind. 

Herr  Prof.  Dr.  L.  Weinek,  Director  der  k.  k.  Sternwarte 
in  Prag,  übermittelt  als  Fortsetzung  seiner  Moridarbeiten  acht- 
zehn weitere  photographische  Mondvergrösserungen  nach  den 
neuesten  Aufnahmen  der  Li ck-Stern warte  mit  hierauf  bezüg- 
lichen Erläuterungen. 

Herr  Franz  Rechnowski,  Ingenieur  in  Lemberg,  über- 
sendet einen  Bericht  über  seine  Entdeckung  eines  neuen  Grund- 
stoffes, welchen  derselbe  »Electroid«  nennt. 

Herr  Albin  Belar,  Assistent  für  Chemie  an  der  k.  u.  k. 
Marine-Akademie  inFiume,  übermittelt  ein  versiegeltes  Schreiben 


358 

behufs  Wahrung   der  Priorität   mit   der  Aufschrift:    »Unter- 
suchungen des  Lichtes  phosphorescirender  Körper«. 

Das  w.  M.  Herr  Oberbergrath  Dr.  E.  v.  Mojsisovics 
überreicht  eine  für  die  Denkschriften  bestimmte  Abhandlung: 
»Beiträge  zur  Kenntniss  der  obe rt riadischen  Cephalo- 
podenfaunen  des  Himalaya«. 

Das  w.  M.  Herr  Regierungsrath  Prof.  F.  Mertens  über- 
reicht eine  Abhandlung  von  Dr.  Konrad  Zindler,  Docent  an 
der  k.  k.  technischen  Hochschule  in  Wien,  betitelt:  »Eine 
Methode,  aus  gegebenen  Configurationen  and  e  re 
abzuleiten«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  V.  v.  Ebner  überreicht  eine 
Abhandlung:  Ȇb^r  die  Wirbel  der  Knochenfische  und 
die  Chorda  dorsalis  der  Fische  und  Amphibien«. 

Das  w.  M.  Herr  Regierungsrath  Prof.  E.  Mach  überreicht 
eine  Abhandlung  des  Herrn  E.  Oekinghaus,  Lehrer  an  der 
königl.  Baugewerbeschule  in  Königsberg:  »Über  die  Schall- 
geschwindigkeit beim  scharfen  Schuss«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  V.  v.  Lang  übergibt  eine 
für  die  Sitzungsberichte  bestimmte  Mittheilung:  »Über  die 
Symmetrieverhältnisse  der  Krystalle«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  Ad.  Lieben  überreicht  eine 
Abhandlung  von  Dr.  Victor  Kulis ch  in  Wien:  »Zur  Kennt- 
niss des  Lophins  und  der  Glyoxaline«. 


359 


XIII.  SITZUNG  VOM   15.  MAI   1896. 


Se.  Excellenz  der  Herr  Curator-Stellvertreter  theilt 
mit,  dass  Seine  k.  u.  k.  Hoheit  der  durchlauchtigste  Curator  der 
kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften,  Herr  Erzherzog  Rainer, 
gnädigst  bekanntgegeben  habe,  dass  Höchstderselbe  bei  der 
am  3.  Juni  abzuhaltenden  diesjährigen  feierlichen  Sitzung  der 
kaiserl.  Akademie  weg^n  Abwesenheit  in  Dienstesangelegen- 
heiten zu  erscheinen  verhindert  sei. 

Das  c.  M.  Hofrath  Prof.  A.  Bauer  übersendet  eine  im 
Laboratorium  für  analytische  Chemie  an  der  k.  k.  technischen 
Hochschule  in  Wien  ausgeführte  Arbeit  von  Dr.  Julius  Zellner, 
betitelt:  »Zur  Kenntniss  der  Rapinsäure«. 

Der  Commandant  S.  M.  Schifif  »Pola«  Herr  k.  u.  k.  Linien- 
schififs-Capitän  Paul  Edler  v.  Pott  übermittelt  aus  Suez  ddo. 
5.  Mai  1.  J.  einen  Thätigkeitsbericht  über  die  Missions- 
reise S.  M.  Schiff  »Pola«  im  Rothen  Meer  während  der 
Campagne  1895—1896. 

Herr  Regierungsrath  Prof.  J.  Luksch,  Mitglied  der  wissen- 
schaftlichen Expedition  S.  M.  Schiff  »Pola«,  übersendet  aus 
Port Tewfik (Suez),  ddo.  I.Mail.  J.,  einen  vorläufigen  Bericht 
über  die  physikalisch  -  oceanographischen  Unter- 
suchungen im  Rothen  Meere  vom  October  1895  bis 
Mai  1896. 

Schliesslich  theilt  der  Vorsitzende  einige  briefliche 
Nachrichten  mit,  welche  ihm  von  dem  Leiter  der  wissenschaft- 
lichen Arbeiten  der  Expedition  im  Rothen  Meere,  Herrn  Hof- 
rath Director  Steindachner,  über  den  Erfolg  und  Abschluss 
dieser  Expedition  zugekommen  sind. 


361 


Vorläufiger  Berieht 

über  die  physikalisch-oeeanogfraphischen 

Untersuchungen  im  Rothen  Meere. 

October  1895  bis  Mai  1896 


von 


Josef  Luksch, 

*.  k.  Rcgierungsrath  und  Marineakademieprofessor  i.  R. 
(Mit  2  Kartenskizzen.) 

Der  nachfolgende  Bericht  beabsichtigt  in  gedrängter  Weise 
eine  Darstellung  der  während  der  Untersuchungsfahrten  im 
Rothen  Meere  vorgenommenen  Arbeiten  auf  physikalisch- 
oceanographischem  Gebiete,  sowie  des  hiebei  gewonnenen 
Materials  zu  geben.  Da  das  letztere  erst  einer  vollständigen 
Sichtung  und  Bearbeitung  unterzogen  werden  muss,  wäre  es 
verfrüht,  schon  jetzt  endgiltige  Schlüsse  ziehen  zu  wollen 
und  bleibt  dies  einer  späteren  Schrift  vorbehalten.  In  diesem 
Sinne  sind  auch  die  aus  dem  Gesammtmaterial  da  und  dort 
eingestreuten  Daten  und  Zahlen  aufzufassen,  welche  nur 
bezwecken  sollen,  das  in  den  einzelnen  Abschnitten  Gesagte 
vorläufig  zu  erläutern. 

Das  von  der  k.  u.  k.  Marine-Section  im  Vereine  mit  der 
kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften  gewählte  Untersuchungs- 
gebiet umfasst  denjenigen  Theil  des  Rothen  Meeres,  welcher 
sich  vom  Breitenparallel  Dschiddas*  (2r29'0''  N.)  bis  zu 
jenem  von  Suez  (29°  b&O")  erstreckt.  Es  bildet  dieser  Abschnitt 


1  Im  Texte  sind  die  örtlichkeiten  im  Sinne  der  Aussprache  der  Indigenen 
gegeben,  auf  der  Skizze  jedoch  —  da  die  englische  Admiralitätskarte  derselben 
zur  Unterlage  diente  —  ist  die  englische  Transcription  beibehalten  und  die 
deutsche  in  Klammern  beigefügt. 


36  2  J.  Luksch, 

die  nördliche  Hälfte  des  gedachten  Meeres  einschliesslich  der 
beiden  Golfe  von  Suez  und  von  Akaba.  Gleichwie  auf  den 
früheren  Forschungsfahrten  im  Mittelmeere  —  1890  bis  1893  — 
sollten  sowohl  zoologische,  als  auch  physikalisch -oceaxio- 
graphische  und  chemische  Untersuchu  ngen  gepflogen,  dann 
aber  auch  auf  einer  erheblichen  Anzahl  von  Landstationen 
sowohl  an  der  arabischen,  wie  auch  an  der  ägyptisch-nubischen 
Gegenküs  te  relative  Schwerebestimmungen,  erdmagnetische 
Messungen,  sowie  astronomische  Ortsbestimmungen,  weiter 
meteorologische  Beobachtungen  und  ,  wo  es  Zeit  und  Ver- 
hältnisse gestatteten,  geodätische  Aufnahmen  vorgenommen 
werden.  Zur  Bewältigung  dieses  reichen  Arbeitsprogrammes 
wurde  ein  Zeitraum  von  7  bis  8  Monaten  in  Aussicht  genommen 
und  in  Anbetracht  des  Klimas  und  der  ungünstigen  sommer- 
lichen Sanitäts- und  Navigationsverhältnisse  die  Herbst-,  Winter- 
und  Frühjahrszeit  für  die  Durchführung  der  Arbeiten  gewählt. 

Die  Fahrt  wurde  mit  S.  M.  Schiff  »Pola«,  welches  Schiff 
mit  allen  nöthigen  Hilfsmitteln  versehen,  sowie  mit  Instru- 
menten und  Vorrichtungen  auf  das  Befriedigendste  ausgerüstet 
war,  am  6.  October  1895  Abends  von  dem  Centralhafen  Pola 
aus  angetreten  und  endeten  die  Arbeiten  am  29.  April  1896,  an 
welchem  Tage  das  Expeditionsschiff  in  Suez  eintraf,  um  die 
Rückfahrt  nach  Europa  anzutreten.^ 

In  der  beifolgenden  Skizze  I,  für  welche  ich  als  Unterlage 
die  Generalkarte  des  Rothen  Meeres,  herausgegeben  von  der 
englischen  Admiralität  (Red  Sea),  benützte,  wurden  alle  jene 
Momente,  welche  zur  Orientirung  über  den  Verlauf  der  Fahrt 
und  über  die  Wahl  der  Beobachtungsstationen  zur  See  und  zu 
Lande  dienlich  sein  können,  eingezeichnet.  Überdies  ist  in 
dieser  Skizze  eine  vorläufige  Darstellung  des  Seebodenreliefs 
durch  Isobathen  gegeben,  wie  solche  sich  auf  Grund  des  neu- 
gewonnenen Sondenmaterials  combinirt  mit  jenem,  welches  in 
der  früher  genannten  englischen  Karte  bereits  verzeichnet  war, 


1  Der  Verlauf  der  Reise,  sowie  die  hiebei  genommenen  Routen  wurden  in 
diesem  Berichte  nicht  aufgenommen,  da  ein  diesen  Gegenstand  behandelnder 
Specialbencht  durch  das  k.  u.  k.  Schiffs-Commando  an  die  kaiserl.  Akademie 
der  Wissenschaften  gelangen  wird.  Die  Routen  sind  überdies  aus  den  bei- 
gegebenen Skizzen  zu  ersehen. 


Physikal.-oceanograph.  Untersuchungen  im  Rothen  Meere.  363 

herausstellten.  Die  Bezeichnung  der  Beobachtungsstationen  zu 
Lande,  sowie  die  besondere  Hervorhebung  der  Küstenriffe 
sollen  deren  Einfluss  auf  die  Wahl  der  genommenen  Routen 
markiren,  die  beigegebene  Zeichenerklärung  und  Anmerkung 
aber  eine  schnellere  Orientirung  ermöglichen. 

Die  horizontale  Gestaltung  des  Untersuchungsgebietes. 

Eingeschlossen  von  den  Gestadelandschaften  Ägyptens  im 
Westen  und  Arabiens  im  Osten,  bildet  das  Untersuchungs- 
gebiet ein  im  Allgemeinen  von  Nordwest  nach  Südost  orien- 
tirtes  Meeresbecken  von  etwa  600  Seemeilen  Axenlänge  und 
180  solcher  Meilen  Maximalbreite,  Etwa  unter  dem  28.  Breiten- 
parallel, wo  die  eigentliche  Hochsee  des  Rothen  Meeres  ab- 
schliesst,  zweigen  sich  von  derselben  zwei,  durch  die  Halb- 
insel Sinai  getrennte  Golfe,  der  von  Suez  im  Westen  und  jener 
von  Akaba  im  Osten,  ab.  Ersterer  besitzt  etwa  180  Seemeilen 
Länge  und  20  Meilen  Breite  (im  Maximum),  letzterer  ist  kürzer 
und  schmäler  und  dringt  bei  einer  grössten  Breite  von  etwa 
15  Meilen  nur  90  Meilen  in  das  Festland  vor.  Die  Festlands- 
küsten des  in  Rede  stehenden  Meeres  haben  vorwiegend  eine 
flache  und  schmale  Strandregion,  während  dem  Inneren  zu  im 
leichten  Übergang  durch  Korallen-  und  Sandhügel  sich  Gruppen 
von  kahlen  Bergkuppen  aufbauen,  deren  Aufzüge  häufig  den 
Hochgebirgscharakter  annehmen.  Die  Küsten  sind  durchwegs 
öde,  ohne  alle  perenne  Süsswasserzuflüsse,  arm  an  Vegetation 
und  an  Thieren  und,  vereinzelte  Örtlichkeiten  ausgenommen, 
nahezu  menschenleer. 

Der  von  uns  befahrene  Theil  des  Rothen  Meeres  besitzt 
nur  wenige  brauchbare  Häfen  und  Ankerplätze.  Die  den  Ufern 
bis  über  25  Seemeilen  hinaus  vorgelagerten  Korallenriffe  er- 
schweren überdies  den  Zugang  zur  Küste  in  hohem  Masse, 
schliessen  nicht  nur  das  Ein-  und  Auslaufen  bei  Nacht  voll- 
kommen aus,  sondern  gestatten  dies  auch  bei  Tage  nur  dann, 
wenn  sich  die  Sonne  im  Rücken  des  ein-,  respective  aus- 
laufenden Schiffes  befindet,  weil  nur  unter  dieser  Beleuchtung 
die  vorliegenden  Riffe  erkennbar  werden.  Die  Navigation  in  den 
in  Besprechung  stehenden  Gewässern  ist  in  Folge  der  vorge- 
führten Umstände,   dann   des  Mangels   an  Leuchtfeuern   (im 


364  J.  Luksch, 

ganzen  Gebiete  der  Hochsee  von  Dschiddah  nordwärts  finden 
sich  nur  zwei  Leuchtthürme,  und  zwar  jener  von  Brothers 
Island  und  jener  von  Dädalus)  bei  den  häufig  wehenden 
schweren  Winden  aus  dem  ersten  und  vierten  Quadranten, 
welche  einen  zwar  kurzen,  aber  relativ  hohen  Seegang  erzeugen, 
eine  höchst  schwierige  und  bedingt  selbst  bei  Verwendung 
eines  erfahrenen  einheimischen  Piloten  ausserordentlicher  Um- 
sicht und  Aufmerksamkeit. 

Das  Seebodenrelief. 

Die  Seekarten  der  englischen  Admiralität  gestatteten  schon 
vor  Antritt  der  Expedition  eine  allgemeine  Vorstellung  über  die 
Tiefenverhältnisse,  speciell  in  der  Axe  der  Hochsee,  wie  auch 
im  Golfe  von  Suez.  In  der  Hochsee  fanden  sich  bereits  drei 
Lothungslinien,  entsprechend  dem  Verlauf  der  unterseeisch 
führenden  Telegraphenkabel,  vor.  Die  einzelnen  Sonden  liegen 
etwa  in  Abständen  von  15  Seemeilen  eine  von  der  anderen  ab. 
Eine  Reihe  von  weiteren  Tiefenangaben  fanden  sich  im  süd- 
lichen Theil  des  Untersuchungsgebietes,  zwischen  dem  22. 
und  23.  Breitengrade,  sowie  im  nördlichen  Theil  seewärts  der 
Halbinsel  Sinai  verzeichnet.  Der  Golf  von  Suez  war  vor  Beginn 
der  Expedition  bereits  so  reich  mit  Tiefenangaben  versehen, 
dass  eine  Vermehrung  derselben  kaum  mehr  nöthig  erschien, 
dagegen  entbehrte  der  Golf  von  Akaba  —  wenige  vereinzeinte 
Küstenlothungen  ausgenommen  —  aller  Tiefenangaben  und 
fanden  sich  weitere  bedeutende  Lücken  20  bis  25  Seemeilen 
seewärts  von  der  arabischen  und  ägyptischen  Küste  vor.  Es 
gehörte  daher  zu  den  Aufgaben  der  Expedition,  die  angedeu- 
teten sondenarmen  Räume  in  der  Hochsee,  sowie  den  aller 
Tiefenangaben  fast  haaren  Golf  von  Akaba  mit  einer  ent- 
sprechenden Anzahl  von  Sonden  zu  versehen. 

Von  den  durch  S.  M.  Schiff  »Pola«  ausgeführten  103 
Lothungen  entfallen  auf  die  Hochsee  57,  auf  den  Golf  von 
Suez  7  und  auf  den  Golf  von  Akaba  39,  die  Hafenlothungen 
selbstverständlich  ausgeschlossen,  und  sind  diese  Lothungen 
in  dem  beifolgenden  Verzeichniss  unter  Angabe  ihrer  geo- 
graphischen Lage  aufgenommen.  Die  Beschaffenheit  des  Meeres- 
grundes erscheint  mit  einigen,  ihre  Art  und  Farbe  beschreiben- 


Physikal.-oceanograph.  Untersuchungen  im  Rotlien  Meere.  36o 

den  Worten  ch«irakterisirt,  während  die  Grundproben  selbst 
zur  seinerzeitigen  wissenschaftlichen  Untersuchung  aufbewahrt 
wurden. 

Die  durch  das  Expeditionsschiff  neugewonnenen  Sonden, 
combinirt  mit  jenen,  welche  bereits  vorhanden  waren,  dürften 
nun  ziemlich  ausreichen,  um  mittels  der  in  den  beifolgenden 
Skizzen  verzeichneten  Isobathen^  von  200,  500,  1000,  1500 
und  2000  fw  die  Gestalt  des  Seebodens  zum  Ausdrucke  zu 
bringen. 

In  der  Hauptsache  gibt  ein  Blick  auf  die  Kartenskizze  eine 
Vorstellung  über  die  Seebodengestalt  des  in  Rede  stehenden 
Untersuchungsgebietes  und  dürften  daher  wenige  erläuternde 
Worte  genügen. 

Die  Hochsee. 

Von  Ras  Mohammed  (Südspitze  der  Sinai-Halbinsel)  bis 
zur  geographischen  Breite  von  Dschidda  lassen  sich  zwei 
Depressionsgebiete  über  1000  m  Tiefe  unterscheiden,  welche 
durch  eine  unterseeische  Bodenschwelle  von  585  m  höchster 
Erhebung  unter  dem  Meeresspiegel  —  etwa  in  der  geographi- 
schen Breite  von  25°  30'  Nord  —  getrennt  sind.  Im  Norden 
dringt  diese  über  lOOOfw  betragende  Senkung  einerseits  bis  nahe 
zur  Einfahrt  nach  dem  Golf  von  Akaba,  anderseits  bis  zu  jener 
von  Suez  vor.  Während  man  jedoch  im  Golf  von  Akaba  gleich- 
falls Tiefen  über  1000  m  vorfindet  und  die  Depression  der 
Hochsee  von  jener  des  genannten  Golfes  durch  eine  unter- 
seeische Erhebung  von  128  m  getrennt  ist,  steigt  der  Seeboden 
im  Golf  von  Suez  fast  unvermittelt  von  etwa  500  m  der  Hoch- 
see bis  zu  79  m  der  Golftiefe  an.  Das  nördliche  der  früher 
erwähnten  zwei  Depressionsgebiete  von  lOOOfw  misst  in  der 
Längenaxe  etwa  160  Seemeilen,  ist  zwischen  20  und  40  Meilen 
breit  und  hat  als  tiefste  Stelle  1168w  unter  26 ''S'  Nord- 
breite und  25**  27'  Ostlänge  n.  Gr.  (gemessen  von  S.  M.  Schiff 
»Polac  am  13.  Jänner  1896).  Das  südliche  Gebiet  besitzt  eine 


J  Die  zur  Herstellung  der  Isobathen  erforderlichen  Interpolationen  ge- 
schahen nicht  mittels  Rechnung,  sondern  mittelst  Curven,  welche  als  Vertical- 
profile  des  Meeresbodens  aufzufassen  sind. 


360  J.  Luksch, 

wechselnde  Breite  von  20  bis  60  Meilen  und  erstreckt  sich 
von  Nordwest  gegen  Südost  über  die  geographische  Breite 
von  Dschidda,  also  über  das  von  der  »Pola«  untersuchte  See- 
gehtet,  hinaus.  In  diesem  Gebiete  findet  man  drei  an  Umfang 
kleinere  und  eine  an  solchem  grössere  Senkung  von  1500«« 
lind  innerhalb  der  letzteren  noch  eine  weitere  Depression  von 
über  2000  m  mit  der  in  diesem  Theile  gemessenen  tiefsten 
Stelle  von  2190  w  unter  22**7'  Nordbreite  und  38^0'  Ostlänge 
fgclothet  von  S.  M.  Schiff  »Pola«  am  6.  December  1895). 

Die  Isobathen  von  500  und  200  m  Tiefe  verlaufen  in  der 
Hochsee  des  Rothen  Meeres  relativ  nahe  den  Küsten,  mitunter 
nur  wenige  Seemeilen  von  den  vorgelagerten  Korallenriffen 
entfernt.  Es  möge  hier  bemerkt  werden,  dass  Lothungen 
dicht  unter  diesen  Riffen  ziemlich  selten  sind  und  man  auf 
Grund  der  von  dem  Expeditionsschiffe  da  und  dort  constatirten 
raschen  Abstürze  der  See  zu  geneigt  ist,  anzunehmen,  dass 
die  früher  genannten  Linien  von  200  und  500  m  wohl  noch 
näher  dem  Lande  liegen  mögen,  als  dies  die  Interpolation  ergab. 

Was  die  Tiefen  innerhalb  der  Korallenwelt  —  in  den  sich 
hier  häufig  vorfindenden  Canälen  —  anbelangt,  so  sind  dieselben 
mitunter  ganz  erhebliche,  bis  zu  100  w  und  darüber,  doch 
konnte  es  nicht  Aufgabe  der  Expedition  sein,  die  zur  ein- 
gehenden Erkenntniss  dieser  Verhältnisse  nöthigen  zahlreichen 
Lothungen  vorzunehmen,  welche  auszuführen  eigenen  Küsten- 
vermessungsschiffen vorbehalten  bleibt,  da  hiefür  ein  weitaus 
längerer.  Zeitraum  beansprucht  wird,  als  der  Expedition  zu- 
ü^emessen  war. 

Die  Golfe  von  Suez  und  von  Akaba. 

Im  Früheren  wurde  bereits  erwähnt,  dass  von  der  Hoch- 
see des  Rothen  Meeres  aus  der  Seeboden  nach  dem  Golfe  von 
Suez  fast  unvermittelt  von  Tiefen  bis  500  w  zu  solchen  bis 
79  m  (in  der  Jubal-Strasse)  aufsteigt.  Von  der  Jubal-Strasse 
nordwärts  bis  Suez  flacht  sich  der  gedachte  Golf  allmälig  ab, 
überschreitet  nirgends  eine  Tiefe  von  82  w  und  liegt  die  Tiefen- 
RXCj  soferne  von  einer  solchen  gesprochen  werden  kann,  etwa 
gleichweit  von  beiden  Ufern  entfernt.  In  der  geographischen 
Brcit<3  von    Tor  wird    diese    Axe    durch    eine  Bank    —  jene 


I 


L 


Physikal.-oceanograph.  Untersuchungen  im  Rothen  Meere.  367 

von  Tor  —  unterbrochen,  welche  im  Maximum  bis  auf  7  m 
vom  Wasserspiegel  aufsteigt  und  den  Golf  in  ein  nördliches 
und  in  ein  südliches  Tiefenbecken,  ersteres  72,  letzteres  82  m 
im  Maximum  tief,  scheidet.  Auch  im  Golfe  von  Suez  sind  die 
Abfälle  von  den  Ufern  und  Korallenbänken  der  See  zu  vor- 
wiegend steil  und  unvermittelt. 

Golf  von  Akaba.i 

Wesentlich  verschieden  stellen  sich  die  Tiefenverhältnisse 
des  zweitgenannten  Golfes  —  jenes  von  Akaba  —  dar.  Ist  der 
erstere  auffallend  seicht,  so  kann  der  letztere,  angesichts  der 
geringeren  Längen-  und  Breitenausdehnung,  auffallend  tief 
genannt  werden.  Da,  wie  eingangs  erwähnt,  bis  nun  ausser 
vereinzelten  Küstenlothungen,  nichts  über  die  Gestaltung  des 
Bodenreliefs  bekannt  war  und  keine  der  von  dem  englischen 
Schiffe  »Palinurus*<  2  vorgenommene  Sonden  bis  zum  Meeres- 
grunde ausgeführt  wurde,  fiel  es  S.  M.  Schiff  »Pola«  zu,  diese 
Lücke  nach  Thunlichkeit  auszufüllen.  Im  Laufe  des  Monates 
April  wurden  nun  zu  diesem  Zwecke  39  Tiefseelothungen  vor- 
genommen und  ergaben  dieselben  Folgendes. 

Der  Golf  von  Akaba  ist  durch  eine  unterseeische  Boden- 
schwelle von  128  m  unter  dem  Meeresspiegel  in  der  Zugangs- 
strasse von  Tiran  und  durch  eine  zweite  Barriere,  welche 
bis  auf  36  m  zur  Meeresoberfläche  reicht  und  zwischen  dem 
arabischen  Festlande  und  der  Insel  Tiran  liegt,  von  der  Hoch- 
see des  Rothen  Meeres  abgeschieden.  Die  Isobathen  von  200 
und  500  w  liegen  fast  ausnahmslos  dicht  unter  den  Küsten,  oft 
nur  1 — 2  Seemeilen  von  denselben  entfernt  und  schmiegen 
sich  in  ihrem  Verlaufe  den  Ufercontouren  an.  Im  mittleren 
und  südlichen  Theile  des  Golfes  fällt  der  Seeboden  auf  der 
arabischen  Seite  (Ostküste)  schon  2  Seemeilen  von  derselben 
bis  über  1000  m  ab,  während  die  Gewässer  der  Sinai-Seite 
(Westküste)  massigere  Tiefen  aufweisen.  Die  Tiefenaxe  liegt 


1  Vergl.  die  beigegebene  Skizze  II. 

2  Vergl.  Red  Sea  and  Gulf  of  Aden  Pilot,  fourth  Edition,  1892,  S.  260, 
wo  Capitän  Moresby  die  Verhältnisse  in  diesem  berüchtigten  Golfe,  welchen 
er  im  Jahre  1833  untersucht  hatte,  in  Kürze  darlegt. 


368  J.  Luksch, 

also  dem  arabischen  Ufer  näher  als  jenem  der  Sinai-Halb- 
insel. Bis  auf  10  Seemeilen  vor  dem  nördlichen  Abschlüsse 
des  Golfes  —  bei  dem  Orte  Akaba  —  trifft  man  noch  immer 
über  800  fw.  Das  von  der  lOOOw-Linie  umschlossene  Gebiet 
füllt  den  mittleren  und  südlichen  Theil  des  Golfes  in  einer 
Längenausdehnung  von  etwa  50  und  einer  Maximalbreite  von 
etwa  10  Seemeilen  aus.  Die  gelothete  tiefste  Stelle  im  genannten 
Golf  ergab  \2S7m  in  34M2-2'  östl.  Länge  v.  Gr.  und  28**  39 -2' 
Nordbreite,  etwa  in  der  Mitte  der  Längenausdehnung  desselben 
und  ziemlich  gleichweit  von  beiden  Ufern  abstehend.  Bemerkens- 
werth  erscheint  es,  dass  man  grosse  Tiefen  häufig  unter  flachen 
Ufern,  geringere  Tiefen  aber  unter  Steilufern  zu  messen  Gelegen- 
heit hatte.  An  dieser  Stelle  sei  auch  noch  hervorgehoben,  dass 
der  Golf  von  Akaba,  im  Gegensatze  zu  den  sonst  aus- 
gesprochenen Ansichten,  an  seinen  Küsten  mit  Riff- 
korallen mehrfach  besetzt  ist,  was  zu  constatiren  das 
Expeditionsschiff  mehrfach,  so  bei  Dahab,  Nawibi,  Akaba, 
Bir  al  Mashiya  und  Scherm  Mujawan  etc.  die  Gelegenheit 
hatte. 

Die  Seetemperatur,  das  speciflsche  Gewicht  und  der  Salz- 
gehalt im  Rothen  Meere. 

Die  Temperaturverhältnisse,  sowie  jene  des  specifischen 
Gewichtes  und  des  Salzgehaltes  im  Rothen  Meere  waren  bis  zu 
Beginn  der  Expedition  noch  wenig  erforscht.  Wohl  lagen  die 
Resultate  der  werth vollen  Untersuchungen  von  Pullen  (engl. 
Schiff  »Cyclop«)  1858,  Shortland  (engl.  Schiff  »Hydra«)  1868, 
Kropp  (österr.  Schiff  »Narenta«)  1872,^  Makaroff  (russ.  Schiff 
»Vitiaz«)  1889,*  so  wie  der  vom  Londoner  Meteorologischen 
Amte  1895  herausgegebene  Atlas  des  rothen  Meeres,  in 
welchem  die  von  den  Dampfern  seit  1869  gesammelten  Daten 
zusammengestellt   und    bearbeitet   erscheinen,   vor,   doch   be- 


^  Vergl.  Beiträge  zu  den  Segelanweisungen  und  zur  physikalischen  Geo- 
graphie des  Rothen  Meeres.  Mit  4  Hafenplänen  und  12  meteorologischen 
Tabellen.  Von  Wilhelm  Kropp,  k.  k.  Corvettencapitän.  Wien,  1872.  31  Seiten. 

-  Vergl.  Reise  der  k.  russischen  Corvette  »Vitiaz«,  1889  etc.  (franz.  und 
russisch). 


Physikal.-oceanograph.  Untersuchungen  im  Rothen  Meere.  369 

ziehen  sich  diese  Ergebnisse  der  Mehrzahl  nach  nur  auf  die 
Curslinien  der  Schiffe  in  der  Hauptaxe  des  rothen  Meeres 
und  auf  die  obersten  Wasserschichten  desselben.  Es  oblag 
sonach  der  Pola-Expedition,  nach  dieser  Richtung  hin  ein- 
gehendere Untersuchungen  zu  pflegen,  und  dürften  die  auf  den 
beigegebenen  Skizzen  verzeichneten  Beobachtungsstationen  in 
See  ihrer  Anzahl,  sowie  ihrer  Venheilung  nach  Anhaltspunkte 
bieten,  wie  man  der  vorgesteckten  Aufgabe  gerecht  zu  werden 
versuchte. 

Es  wurden  auf  den  Hauptstationen  —  wo  gleichzeitig 
Lothungen  stattfanden  —  sowie  an  jenen  Örtlichkeiten,  wo 
man  vor  Anker  lag,  die  Temperaturen  und  die  specifischen 
Gewichte  des  Seewassers,  sowohl  der  Oberfläche,  als  auch  des 
Grundes  und  der  Zwischentiefen  untersucht,  auf  den  zur  Her- 
stellung der  Continuität  in  den  Beobachtungen  (vorwiegend 
während  der  Nachtfahrten)  eingeschalteten  Nebenstationen  aber 
wurden  diese  Untersuchungen  auf  das  Oberflächenwasser  be- 
schränkt. 

Bei  Besprechung  der  auf  diesen  Stationen  gewonnenen 
Daten  wird  es  sich  empfehlen,  die  einzelnen  Gebiete  des 
Rothen  Meeres  —  die  Hochsee,  den  Golf  von  Suez  und  jenen 
von  Akaba  — -  gesondert  zu  behandeln,  weil  die  bezüglichen 
Untersuchungen  zu  verschiedenen  Jahreszeiten  vorgenommen 
wurden  und  die  Daten  daher  nur  theilweise  zu  einander  in 
Beziehung  gebracht  werden  können.  Selbst  die  Hochsee  für 
sich  bedarf  dieser  Trennung,  und  zwar  in  einem  südlichen  und 
einem  nördlichen  Abschnitte,  da  von  ersterem  nur  Beobach- 
tungen aus  den  Monaten  November  und  December  (1895),  also 
dem  diesen  Breiten  entsprechenden  Herbste,  für  letzteren  jedoch 
nur  solche  aus  den  Monaten  Jänner  und  Februar  (1896),  sohin 
aus  der  Winterzeit  vorliegen. 

Seetemperatur.   Abschnitt  von  der  geographischen  Breite  Dschiddas  bis 
zu  jener  von  Jambo  (November  und  December  1895). 

a)  Die  Seetemperatur  in  diesem  Meeresgebiete  zeigte  eine 
Abnahme  von  der  Oberfläche  dem  Grunde  zu,  jedoch  nur  bis 
zurTi^fe  von  700  w.  Von  da  ab  war  eine  Temperaturänderung 
nicht  mehr  nachweisbar  und  das  Thermometer  hielt  sich  unver- 


370  J.  Luksch, 

ändert  auf  21*5*'  C.  Der  Betrag  der  Abnahme  von  der  Ober- 
fläche bis  zu  700  m  Tiefe  belief  sich  im  Maximum  auf  8,  im 
Minimum  auf  5°  C. 

h)  Sowohl  in  den  Gewässern  an  der  arabischen,  wie  auch 
in  jenen  an  der  ägyptischen  Küste  fand  eine  Abnahme  der 
Temperatur  in  allen  Wasserschichten  —jene  des  homothermen 
Gebietes  ausgenommen  —  mit  dem  Vorschreiten  gegen  Norden 
hin  statt,  eine  Erscheinung,  welche  auch  in  der  Hochsee  nach- 
weisbar war. 

c)  Die  Gewässer  an  der  arabischen  Küste  zeigten  im  All- 
gemeinen unter  gleichen  Breitenparallelen  eine  höhere  Durch- 
wärmung als  jene  an  der  ägyptischen  Gegenküste,  die  Gewässer 
der  Hochsee  hielten  in  dieser  Erscheinung  die  Mitte. 

d)  Der  tägliche  Gang  der  Temperatur  von  der  Oberfläche 
dem  Grunde  zu  machte  sich  bis  zur  Tiefe  von  100  w  und 
darüber,  doch  nicht  in  grossen  Beträgen,  erkennbar. 

e)  Als  Maximaltemperaturen  wurden  in  der  eingangs  ange- 
führten Beobachtungszeit  gemessen: 

An  der  arabischen  Küste: 
Seestation  47,  am  14.  November  1895,  2^  10'"  p.  m. 

In  0  w. .  .29-5°  C.       \0m.  .  .29-0°  C.        70  w 27  o'  C. 

1  ...29-5  20     ...290  100     25-6 

2  ...29-5        '     40     ...28-8  590     Grund  21  «6 

An  der  ägyptischen  Küste: 
Seestation  44,  am  13.  November  1895,  2''p.  m. 

In0w.,.28-5°C.      10fw...28-r  C.        70  w 27*0^  C. 

1  ...28-5  20     ...27-5  100     24'1 

2  ...28-5  40      ...27-3  300     23-3 

690     Grund  21-6 

f)  Als  Minimaltemperaturen  dagegen: 

An  der  arabischen  Küste: 
Seestation  95,  am  21.  December  1895,  8*40"  a.  m. 

In  Om..  .26-5°C.      10  w.  .  .26-4°  C.        10  m 25-6'' C. 

1  ...26-5  20     ...26-4  100     25-4 

2  ...26-5  40     ...26-2  611     Grund  21-6 


Physikal.-oceanograph.  Untersuchungen  im  Rothen  Meere.  37 1 

An  der  ägyptischen  Küste: 
Seestation  73,  am  30.  November  1896,  2^  12-  p.  m. 

In  0  w. .  .26-4'  C.      10  w. .  .26-3'  C.        70m 26*0°  C. 

1  ...26-4  20     ...26-2  100     25-4 

2  ...26-3  40     ...26-1  820     21-5 

Abschnitt  von  der  geographischen  Breite  von  Jambo  bis  zum  Ras 
Mohammed  (Südspitze  der  Sinai -Halbinsel).  Jänner  und  Februar  1896. 

a)  Eine  Abnahme  der  Seetemperatur  von  der  Oberfläche 
dem  Grunde  zu  zeigte  sich  zwar  auch  in  diesem  Meeres- 
abschnitte während  der  Monate  Jänner  und  Februar  1896, 
doch  in  so  geringem  Masse,  dass  man  die  ganze  Wasser- 
masse als  nahezu  gleichmässig  durchwärmt  hinstellen  kann. 

b)  Ebenso  fand  eine  Abnahme  der  Temperatur  aller 
Wasserschichten  —  die  homotherme  Schichte  ausgenommen, 
welche  auch  in  diesem  Meeresabschnitte  für  alle  Tiefen  von 
700  w  abwärts  21*5''  C.  betrug  —  mit  dem  Vorschreiten  von 
Süden  nach  Norden  statt. 

c)  Die  für  den  früher  erwähnten  Meeresabschnitt  hervor- 
gehobene Erscheinung  einer  grösseren  Durchwärmung  der 
Küstengewässer  an  den  arabischen  Gestaden  gegenüber  jenen 
von  Ägypten  ist  auch  in  dem  in  Rede  stehenden  Gebiete  für 
die  Zeit  von  Jänner  und  Februar  ausgeprägt. 

d)  Ein  täglicher  Gang  der  Temperatur  von  der  Oberfläche 
dem  Grunde  zu  ist  zwar  —  jedoch  in  einem  kaum  nennens- 
werthen  Betrage  —  nachzuweisen. 

e)  Als  Maximaltemperaturen  wurden  in  den  Monaten 
Jänner  und  Februar  1896  gemessen: 

An  der  arabischen  Küste: 
Seestation  120,  am  8.  Jänner  1896,  3^7'"  p.  m. 

In  0  w. .  .25-9°  C.      \0m.  .  .25-9*'  C.        70m 25-6"  C. 

1  ...25-9  20     ...25-6  100     25*1 

2  ...26-0  40     ...25-6  828     Grund  21-5 

An  der  ägyptischen  Küste: 
Seestation  136,  am  19.  Jänner  1896,  S«"  20'"  p.m. 

In0m...23-5**C.   10m..  .23-4**  C.    70m 23- rc 

1  ...23-5     20  ...23-4      100  23-0 

2  ...23-5     40   ...23-4     600  21-6 

1135  Grund  21-5 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Cl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  25 


o  ^^ 


372  J.  Luksch, 

f)  Als  Minimaltemperaturen  dagegen: 

An  der  arabischen  Küste: 

Seestation  151,  am  5.  Februar  1896,  6"  34*  a.  m. 

InOw...22-8'C.      10w...23-r  C.        70  w 22-9*C. 

1  ...22-9  20     ...23-1  100     22-9 

2  ..^S-O  40     ...23-1  400     21-6 

764     Grund  21-5 

An  der  ägyptischen  Küste: 

Seestation  166,  am  17.  Februar  1896,  3M0"  p.m. 

In  0  m. .  .22-2"  C.      lOw. .  .22-3'^  C.        70  w 22-2^  C. 

1  ...22-4  20     ...22-3  100     22-2 

2  ...22-6  40     ...22-1  564     Grund  21-6 

Die  Seetemperaturen  im  Golfe  von  Suez  und  von  Akaba. 

In  beiden  Golfen  wurden  im  Verlaufe  der  Untersuchungs- 
fahrt eine  grössere  Anzahl  von  Seetemperaturen  in  den  ver- 
schiedensten geographischen  Örtlichkeiten  und  Tiefen  beob- 
achtet. Da  Suez  als  Ausgangspunkt  für  die  dritte,  vierte  und 
fünfte  Kreuzung  diente,  so  wurde  der  Golf  gleichen  Namens 
mehrfach  durchfahren  und  liegen  für  denselben  vereinzeinte 
Beobachtungen  aus  den  Monaten  October,  Jänner,  Februar, 
April  und  Mai,  eingehendere  jedoch  für  den  Monat  März, 
in  welchem  dieser  Golf  Gegenstand  specieller  Untersuchung 
war,  vor.  Aus  diesen  Beobachtungen  lässt  sich  entnehmen, 
dass 

a)  die  Temperatur  des  Seewassers  im  gedachten  Golfe 
eine  relativ  sehr  niedere  ist, 

h)  von  Süden  nach  Norden  rasch  abnimmt  und 

c)  die  Differenzen  in  der  Wärme  von  der  Oberfläche  dem 
Grunde  zu  in  jenen  Jahreszeiten,  in  welchen  von  S.  M.  Schiff 
»Pola«  Beobachtungen  vorgenommen  wurden,^  sehr  geringe 
sind. 

In  der  Station  Suez  wurden  während  des  mehrmaligen 
Aufenthaltes,  so  oft  dies  anging,  Untersuchungen  der  Tem- 


i  In  den  Monaten  Juni,  Juli,  August,  September,  dann  November  und 
December  wurde  im  Golf  von  Suez  nicht  beobachtet. 


Physikal.-oceanograph.  Untersuchungen  im  Rothen  Meere. 


373 


peratur  und  des  specifischen  Gewichtes  vorgenommen,  und  es 
stellte  sich  die  erstere  für  die  verschiedenen  Monate  und  für  die 
oberen  Meeresschichten  wie  folgt: 


October 

Jänner 

Februar 

März 

Mai 

1895 

1896 

1896 

1896 

1806 

InOfM. 

.  .23-2''  C. 

14-7»  C. 

15-8*  C. 

17-4"  C. 

21-5' C 

1      . 

.  .23-2 

14-8 

15-7 

17-4 

21-5 

2     . 

.  .23-2 

14-9 

15-7 

17-4 

21-5 

5     . 

..23-3 

14-9 

15-4 

17-2 

20-8 

Grund  8     . 

..233 

14  9 

150 

16-9 

20-8 

Im  Monate  März,  wo,  wie  früher  bemerkt,  der  Golf  von 
Suez  Gegenstand  specieller  Untersuchungen  war,  fand  man  als 
Maximaltemperaturen : 


Am  südlich 
gange  des 

en  Aus- 
Golfes 

In  der 
Mitte 

A 
Er 

m  nördlichen 
ide  des  Golfes 

Station  188, 
am  12.  März 
e'SS-a.  m. 

Station  197, 
am  19.  März 
5'  20-  p.  m. 

Station  178 
am  4.  März 
10' 50-  a.  m. 

In  Om. 

20-9' 

c. 

17 •9» C. 

17-r  C. 

1      . 

20-9 

17-9 

17-0 

2     . 

20-9 

17-9 

16-9 

10 

20-8 

17-2 

16-9 

20 

20-8 

17-1 

16-8 

30 

20-7 

17-1 

16-8 

Grund  58 

20-6 

Gr.  58 ' 

m  16-8  Gr. 45w  16-8 

Der  Golf  von  Akaba. 

Der  Golf  von  Akaba,  wie  mehrfach  angedeutet,  bis  nun 
noch  gar  nicht  physikalisch  durchforscht,  wurde  während  des 
Monates  April  einer  speciellen  Untersuchung  —  nach  allen 
Richtungen  hin  —  unterworfen.  Dem  im  Anfange  guten  Wetter, 
welches  —  bei  dem  üblen  Rufe,  in  welchem  dieser  Golf  steht  — 
nach  Kräften  ausgenützt  wurde,  ist  es  zu  danken,  dass  die 
Ergebnisse  sehr  befriedigend  genannt  werden  können.  Man 
lothete  und  beobachtete  auf  39  Seestationen  —  die  Anker- 
plätze nicht  eingerechnet,  welche,  weil  zumeist  ungeschützt 
und  mit  der  offenen  See  in  directer  Verbindung,  gleichfalls 


374  J.  Luksch, 

werthvolle  Angaben  lieferten.  Allerdings  beziehen  sich  diese 
Untersuchungen  nicht  wie  in  den  anderen  Gebieten  des  Rothen 
Meeres  auf  längere  Zeiträume,  sondern,  wie  bereits  angeführt, 
nur  auf  die  im  Monate  April  1896  obwaltenden  Verhältnisse. 
Aus  den  gewonnenen  Temperaturreihen  lässt  sich  vorder- 
hand Folgendes  entnehmen: 

a)  Die  Seetemperatur  im  Monate  April  war  eine  in  allen 
Wasserschichten  und  im  ganzen  Gebiete  des  Golfes  ziemlich 
gleichförmige,  indem  auf  allen  Stationen  in  See  als  Maximum 
23*2**  C,  und  zwar  dies  nur  einmal  für  die  Oberfläche,  als 
Minimum  aber  21*2*  C.  gemessen  wurde. 

b)  Eine  Abnahme  der  Temperatur  von  der  Oberfläche  dem 
Grunde  zu  prägte  sich  indess  immerhin  noch  aus.  Desgleichen 
lässt  sich  aus  den  Daten  erkennen,  dass  das  Wasser  unter  den 
arabischen  Ufern  höhere  Temperaturen  aufweist  als  unter  den 
Gestaden  der  Sinai-Halbinsel. 

Die  nachfolgenden,  aus  dem  gesammelten  Materiale  heraus- 
gegriffenen Temperaturreihen  mögen  das  Vorgenannte  enveisen. 

Arabische  Gewässer: 
Seesttttion  215,  am  3.  April  1896  um  1^45-  p.m. 

Om...22-7'C.         40f« 21-8'C. 

1  ...22-7  70      21-5 

2  ...22-7  100      21-4 

10     ...22-4  685     Grund  21-2 
20     ...22-3 

Sinai-Gewässer: 
Seestation  212,  am  3.  April  1896  um  SMS-  a.  m. 

Owf.  .  .22-4**C.         40 w 21 -7**  C. 

1  ...22-1  70     21-6 

2  ...22-2  100     21-3 

10     ...21-8  392     Grund  21-3 
20     ...21-7 

c)  Von  Süden  nach  Norden  vorschreitend  nimmt  die  Tem- 
peratur des  Seewassers  im  Golfe  von  Akaba  ab,  und  zwar 
zeigte  sich  dies  trotz  des  Umstandes,  dass  die  Beobachtungen 


Physikal.-oceanograph.  Untersuchungen  im  Rothen  Meere.  375 

mit  dem  Vorschreiten  in  die  wärmere  Jahreszeit  vorgenommen 
wurden.  Die  folgenden  Daten  mögen  für  das  eben  Gesagte  als 
Beleg  dienen. 

Im  Süden  des  Golfes 

Seestation  208,  am  2.  April  1896  um  11  "30-  a.  m. 

0w...22-8*C.         20m 22- TC. 

1  ...22-5  40     22-0 

2  ...22-5  70     22-0 

10     ...22-2  100     21-5 

534     Grund  21-2 

Mitte  des  Golfes 
Seestation  220,  am  7.  April  1896  um  IMO"  p.  m. 


Om. 

.21-8' 

C. 

20 »M. .. 

...21-9°C 

1      . 

.220 

40     ... 

...21-9 

2     . 

.22-0 

70     ... 

...21-8 

10     ., 

.22-0 

100     ... 
500     ... 

...21-4 
...21-2 

1287     Grund  21-2 

Im  Norden  des  Golfes 
Seestation  243,  am  15.  April  1896  um  10"  35-  a.  m. 

Ow...21-5''C.  20  w 21-6^0. 

1  ...21-5  40     21-6 

2  ...21-5  70     21-4 

10     ...21-6  100     21-3 

509     Grund  21-2 

d)  Die  homotherme  Schichte  beginnt  im  Golfe  von  Akaba 
bereits  bei  500  w,  von  welcher  Tiefe  ab  dem  Grunde  zu  das 
Wasser  die  Temperatur  von  21*  2"*  C.,  also  etwa  um  0*3  weniger 
als  dies  in  der  Hochsee  für  die  unveränderliche  Temperatur 
von  700  m  ab  der  Fall  ist,  beibehält.  Die  höhere  geographische 
Lage  des  Golfes,  sowie  der  Umstand,  dass  derselbe  —  wie  ein- 
gangs bereits  hervorgehoben  —  durch  eine  bis  auf  128fw  zum 
Meeresspiegel  reichende  unterseeische  Bodenschwelle  von  den 


376  J.  Luksch, 

Gewässern  der  Hochsee  getrennt  ist,  erklären  die  bemeldete 
Erscheinung  zur  Genüge. 
So  fand  man 

auf  Station  212  in  392  w  noch  21-3**  C, 
212   »  500    schon  21*2 
243   »  500  21-2 

»       215   »  685  21-2 

220   »  500  21-2 

220   »1287  21-2         u.s.w. 

auch  auf  allen  übrigen  Seestationen,  auf  welchen  Tempera- 
turen in  Tiefen  über  500  m  gemessen  wurden.^ 

Speciflsches  Gewicht  und  Salzgehalt. 

Untersuchungen  des  specifischen  Gewichtes  wurden  auf 
allen  gewonnenen  Stationen  in  See  für  das  Wasser  der  Ober- 
fläche, der  Zwischentiefen  und  des  Grundes  vorgenommen  und 

17*5*  C 
nach  Reduction  auf  '   der  Salzgehalt  abgeleitet* 

Für  die  Beurtheilung  der  in  Rede  stehenden  Verhältnisse 
liegen  für  das  gesammte  Untersuchungsgebiet  691  Daten  vor. 
Zur  möglichsten  Sicherstellung  der  Werthe  wurde  jede  Wasser- 
probe zwei-  bis  dreimal  auf  ihr  specifisches  Gewicht,  und  zwar 
sowohl  mit  den  bereits  im  Mittelmeere  verwendeten  Aräo- 
metern (mittlerer  Satz  —  4  Dec.-Stellen),  als  auch  mit  jener  des 
grossen  Satzes  (5  Dec.-Stellen),  endlich  auch  mit  dem  »Doppel- 
bild-Refractometer«  untersucht,  und  lässt  sich  schon  dermalen 
aussprechen,  dass  bei  den  weitaus  meisten  Fällen  volle  Überein- 
stimmung innerhalb  der  erlaubten  Fehlergrenze  erzielt  werden 
konnte. 


1  Es  mag  an  dieser  Stelle  bemerkt  werden,  dass  man  zur  vollen  Sicher- 
stellung der  Grundtemperaturen  nicht  nur  im  Golfe  von  Akaba,  sondern  auch 
in  den  übrigen  Theilen  des  Rothen  Meeres  stets  zwei,  mitunter  auch  drei 
Tiefseethermometer  verschiedenen  Systems  auf  den  Grund  versenkte. 

2  Es  wird  Gegenstand  seinerzeitiger  Untersuchungen  sein,  ob  der  für  die 
Adria  und  für  das  östliche  Mittelmeer  verwendete  Umrechnungscoefficient  131 
auch  für  die  Gewässer  des  Rothen  Meeres  aufrecht  erhalten  werden  kann.  Die 
in  diesem  Berichte  gebrachten  Salzgehalte  dürften  sodann  eventuell  eine,  wenn 
auch  wahrscheinlich  sehr  geringe  Änderung  erfahren. 


I 

Physikal.-oceanograph.  Untersuchungen  im  Rothen  Meere.  377 

Zu  den  Ergebnissen  übergehend,  sei  vorausgeschickt,  dass 
von  einer  Theilung  der  Hochsee  in  ein  südliches  und  ein  nörd- 
liches Gebiet,  wie  dies  bei  Besprechung  der  Seetemperatur 
geschehen,  bei  dem  Umstände,  als  die  Salzgehaltverhältnisse 
stabilere  sind  als  jene  der  Temperatur,  abgesehen  wurde. 

Die  Hochsee  des  Rothen  Meeres. 

a)  Das  specifische  Gewicht  des  Seewassers  im  Rothen 

Meefe  ist  relativ  zu  jenem  in  anderen  Meeren  ein  sehr  hohes. 

h)  Dasselbe  nimmt  von  Norden  nach  Süden  an  Höhe  ab, 

1 7  •  5  °  C. 
erreicht  im  Norden  der  Hochsee  das  Maximum  S  —^  r  o  a>    — 

17-5    C. 

1- 03 125,  im  Süden,  in  der  geographischen  Breite  von  Dschidda 

17.50  (^ 
das  Minimum  S~      o  ^   =  1*02980,  einem  Salzgehalte  von 

4-09Vo>  beziehungsweise  3*907o  entsprechend. 

c)  Das  specifische  Gewicht,  beziehungsweise  der  Salz- 
gehalt nehmen  von  der  Oberfläche  nach  dem  Grunde  hin  zu. 

d)  Das  Wasser  unter  der  arabischen  Küste  ist  weniger 
versalzen  als  jenes  unter  der  ägyptischen;  das  Wasser  in  der 
Mitte  der  Hochsee  bildet  den  Übergang.  So  findet  man  an  der 
ägyptischen  Küste  im  südlichen  Abschnitte  der  Hochsee  schon 
an  der  Oberfläche  4-00%  Salz,  den  gleichen  Betrag  aber  in 
der  Mitte  der  Hochsee  erst  in  100  und  an  der  arabischen 
Küste  erst  in  500  m  Tiefe.  Im  nördlichen  Abschnitte  trifft  man 
an  der  Oberfläche  schon  über  4 -0270  an  der  ägyptischen  Küste, 
während  der  gleiche  Salzgehalt  in  der  Mitte  der  Hochsee  und 
an  der  arabischen  Küste  erst  in  100  w  Tiefe  angetroffen  wurde. 

Einige  diesbezügliche  Daten  mögen  hier  ihren  Platz  finden. 


Speci 

ifisches  Gew 

icht  und  Salzgehalt. 

Im  südlichen  Theile  der  Hochsee 

In     0«....Sj^.5. 

C. 

c. 

=  1  02985  entsp 

,3-91»/o 

Salz 

»    10 

,  ,  ,            » 

=  1-02985     . 

3-91 

« 

»100 

•  •  •            » 

=  103030     . 

3-97 

>» 

am 

Grunde  512 

.  •  •            » 

=  103082     . 

4-04 

» 

378 


In     Om,,.S 


J.  Luksch, 

Im  nördlichen  Theile  der  Hochsee 
17-5**  C. 


*    10 

»100 

am  Grunde  986 


In     Ow. 


am  Grunde 


10 

100 

2 


In       Om 

•      10 

>    100 

»  1200 

am  Grunde  1804 


In     Om. 

^    10     . 
*  100     . 
am  Grunde  820 


17-5"  C. 


1- 03083  entsp.  4-04VoSalz 


=  103090  »  4-05 
=1 1-03092  »  4-05 
=  1-03096     »      4-06 

Arabisches  Küstenwasser 

.  S  41-^^  =  1  •  02978  entsp.  3  •  907o.Salz 


17-5'' C. 


=  1  02978 
=  1  02980 
=  1- 03080 


90 
90 
03 


Hochseewasser 


5  1^'^,  ^'  =  1  •  03025  entsp. 3 •  967o Salz 

=:  1-03035  »  3-97 

=  103055  »  4-00 

=  103055  »  4-00 

=  103090  »  4-05 

Ägyptisches  Küstenwasser 

•  •  -^  \l%  %  =  1  ■  0305 1  entsp. 4 •  OO»/« Salz 

1  /  '  O       V-/. 


=  1  03055 

»      4-00 

=  1  03085 

.      4-04 

=  1-03088 

.      4-05 

Der  Golf  von  Suez. 

aj  Im  Golfe  von  Suez  fand  man  die  absolut  höchsten 
specifischen  Gewichte  im  ganzen  Bereiche  des  Untersuchungs- 
gebietes ^    und   erreichten   dieselben    im   Norden   des   Golfes 


1  Es  mag  hier  bemerkt  werden,  dass  der  Canal  von  Suez  als  Ver- 
bindungsglied des  Rothen  und  des  Mittelmeeres  nicht  einbezogen  erscheint. 
Derselbe  wurde  beim  Passiren  nach  dem  Rothen  Meere  gleichfalls  untersucht 
und  sind  bei  der  Durchfahrt  nach  dem  Mittclmeere  neuerdings  Beobachtungen 
in  Aussicht  genommen.  Man  wird  nicht  unterlassen,  seinerzeit  über  die 
gewonnenen  Ergebnisse  entsprechend  Mittheilung  zu  machen. 


Physikal.-oceanograph.  Untersuchungen  im  Rothen  Meere. 


379 


17*5**  C 
S  '  =  1-03263,  entsprechend  4 -2770  Salz,  im  Süden  des 

17-5**  C 
Golfes  noch  immer  S  .^,^0  ^^    —  1031 18,  entsprechend  4*08% 

1 7  *  D     O. 

Salz  am  Grunde.  Die  Erscheinung  einer  Abnahme  der  Salinität 
von  Norden  nach  Süden  ist  somit  auch  hier,  gleichwie  in  der 
Hochsee,  ausgeprägt. 

b)  Wie  in  der  Hochsee  nimmt  auch  hier  das  specifische 
Gewicht  und  der  aus  demselben  abgeleitete  Salzgehalt  von 
der  Oberfläche  dem  Grunde  hin  zu,  doch  wurde  diese  Zu- 
nahme nur  auf  einzelnen  Stationen  stärker  ausgesprochen 
wahrgenommen. 

c)  Höhere  specifische  Gewichte  in  den  ägyptischen  Küsten- 
gewässern gegenüber  von  jenen  an  der  Sinai-Halbinsel  findet 
man  —  analog  wie  in  der  Hochsee  —  auch  im  Golfe  von 
Suez. 

Die  nachfolgenden  Daten  mögen  das  Gesagte  erläutern: 


In     Om. 

>    10     . 

»100     , 

am  Grunde  564     . 


Südgolf  (Ausgang) 

•  -5  !!!^«^'  =  1'03082 entsp. 4 •  03»/o Salz 

1  /  *  D     v-/. 


=  1-03081 
=  1-03085 
=  1-03085 


4-03 
403 
4-04 


In  Om...S 


am  Grunde 


10 
20 
50 


Mitte  des  Golfes 
17-5°  C. 


17-5' C. 


=  1  •  03 1 24  entsp.  4  -  OQ»/«  Salz 


=  1-03127 
=  1-03127 
=  1-03132 


4-10 
4-10 
4-10 


In    Om. 


am  Grunde 


10 
40 
48 


Nordgolf 

, ,  s\\'^,,^  =  1  03246  entsp.  4  •  25Vo  Salz 
1  /  *  o    o. 


=  103240 
=  1  03245 
=  1- 03263 


4-24 
4-25 
4-27 


380 


J.  Luksch, 


Der  Golf  von  Akaba.^ 

a)  Der  Golf  von  Akaba  zeigte  zwar  für  April,  in  welchem 
Monate  beobachtet  wurde,  hohe  Salzgehalte,  jedoch  bei  einer 
weitaus  gleichmässigeren  Vertheilung  als  dies  für  den  Golf  von 
Suez  der  Fall  ist. 

b)  Das  niederst  bezifferte  specifische  Gewicht  war 
17.5»  r 

S-^-^r^-=  103075  entsp.  einem  Salzgehalte  von  4-047o» 

^^  17  5"C 

das  höchste  S  '  =  103125  entsp.  4-097o  Salz. 

1 7  '  O     O. 

c)  Eine  Zunahme  des  specifischen  Gewichtes  von  Süden 
gegen  Norden  ist  nicht  ausgesprochen,  desgleichen  keine  Ver- 
schiedenheit der  Durchsalzung  an  den  beiden  Küsten,  wie  dies 
in  der  Hochsee  und  im  Golfe  von  Suez  wahrzunehmen  ist. 

ä)  Von  der  Oberfläche  dem  Grunde  zu  nimmt  das  speci- 
fische Gewicht,  wenn  auch  zumeist  in  massigem  Grade,  zu. 
Es  folgen  hier  einige  Daten. 

Südgolf 
In     0 w ... 5  !!'?.  ^'  =  1  03092 entsp. 4 * 05 Vo Salz 


17-5"  C. 


*    10     . 

»  100     . 

am  Grunde  534     . 

In     Om, 

»    10     . 
»  100     . 
am  Grunde  671 

In     Om. 

.    10     . 
>  100     . 
am  Grunde  509 


=  103100 
=1103110 
z=:l-03113 


4-06 
4-07 
4-08 


Mitte  des  Golfes 


. S  !!'?'£-  =  1  •  03085 entsp. 4 •  047„ Salz 


17-5'"C. 


=:  1  03081 
=  1- 03095 
=  1  03098 


404 
4-05 
4-06 


Nordgolf 


. 5  !!'?„^"  =  1  03098 entsp. 4 •  06Vo Salz 


17  5''C. 


=  103106 
=  103101 
=  1-03104 


407 
4-06 
4-07 


1  Über  die  Erscheinung  von  angesüsstem  Küstenwasser  bei  Akaba  wird 
seinerzeit  berichtet  werden. 


Physikal.-oceanograph.  Untersuchungen  im  Rothen  Meere.  381 

Untersuchungen  über  die  Durchsichtigkeit  und  Farbe  des 
Seewassers.    Wellenbeobachtungen.    Meteorologische   Auf- 
zeichnungen. 

Die  Durchsichtigkeit  des  Seewassers. 
Untersuchungen  über  die  Transparenz  des  Wassers  wurden 
auf  allen  Hauptstationen  bei  entsprechendem  Wetter  gepflogen 
und  liegen   hiefür  98  Beobachtungen  vor.  In  Bezug  auf  den 
V^organg  hielt  man  sich  an  die  während  den  Expeditionen  im 
östlichen  Mittelmeere  erprobte  Methode,  da  gewichtige  Gründe 
zur  Änderung  nicht  vorlagen.  Die  Zeit  der  Beobachtung,  der 
Sonnenstand,   die   meteorologischen  Verhältnisse,   ferner  das 
specifische  Gewicht  und  die  Temperatur,  sowie  die  Farbe  des 
Seewassers  wurden  festgestellt  und  notirt.  Man  versenkte  die 
Scheiben  sowohl  in  den  verschiedensten  geographischen  ört- 
lichkeiten, als  auch  zu  verschiedenen  Tagesstunden  und  unter 
verschiedenen  Beleuchtungs-  und  Wetterverhältnissen.  Wenn 
nun  auch  erst  die  genauere  Analyse  der  gewonnenen  Daten 
abzuwarten  ist,  so  kann  doch  schon  jetzt  mit  einiger  Sicher- 
heit ausgesprochen  werden,  dass  die  Transparenz  des  See- 
wassers   im   Rothen   Meere   jene    des    östlichen   Mittelmeer- 
wassers, speciell  der  Syrischen  See,  nicht  zu  erreichen  scheint. 
So    findet    sich    unter   sämmtlichen    gewonnenen   Sichttiefen 
nur    eine    einzige,    welche    50  w    überschreitet    (bei    35"* 49' 
Sonnenhöhe  51  m),   dagegen    solche  bei  ähnlichem  Sonnen- 
stande von  nur  10  bis  Mm  (unter  Land).  Aus  einer  bei  der 
Insel  St.  John  am  21.  November  1895  vorgenommenen  Unter- 
suchung, bei  welcher  die  Scheibe  während  eines  ganzen  Tages 
von  Stunde  zu  Stunde  zur  Versenkung  gelangte,  ging  hervor, 
dass  die  höchste  Sichtlichkeitstiefe  um  Mittag,  also  beim  höch- 
sten Sonnenstande,  nur  35  m  betrug  und  die  Schwankung  in 
derselben  sich  innerhalb  der  Grenze  von  \0m  bewegte.  Der 
Einfluss  der  Wellenbewegung,  der  Bewölkung  und  des  Sonnen- 
standes, im  Besonderen  aber  der  Farbe  des  Wassers  konnte 
gleich  wie  im  Mittelmeere  nachgewiesen  werden. 

Die  Farbe  des  Seewassers. 
Ergaben  die  Untersuchungen  über  die  Transparenz  des 
Seewassers  im  Rothen  Meere  geringere  Sichttiefen  wie  jene. 


382  J.  Luksch, 

welche  im  Mittelmeere  gefunden  wurden,  so  lieferten  die 
zahlreichen  Bestimmungen  der  Meeresfarbe  das  Ergebniss, 
dass  dieselbe  weitaus  nicht  jenes  schöne  und  intensive  Blau 
zeigt,  wie  dies  im  letztgenannten  Meere  der  Fall  ist.  Während 
im  Mittelmeere  die  Nummern  1,  2  und  3  (1,  2  und  3  Theile 
gelb  zu  99,  98  und  07  Theilen  blau)  der  Forel'schen  Scala  ^  — 
sehr  wenige  Fälle  ausgenommen  —  vorherrschen,  kamen  im 
Rothen  Meere  die  Nummern  1,  2  und  3  nur  21mal,  dagegen  4 
und  5  (4  und  5  Theile  gelb,  96  und  95  blau)«  170mal  in  der 
Hochsee  zum  Vergleiche.  Im  Golfe  von  Suez  ergaben  24  Beob- 
achtungen nur  die  Nummern  4  und  5,  in  jenem  von  Akaba 
wurde  die  Meeresfarbe  nur  7mal  mit  der  Nummer  2,  dagegen 
32 mal  mit  4  und  5  classificirt.  Die  Farbe  des  Seewassers  im 
Rothen  Meere  neigt  sonach  schon  in  der  Hochsee  in  etwas 
zum  Grün,  in  den  Küstengewässern  und  in  den  beiden  Golfen 
von  Suez  und  Akaba  schon  merklicher  —  in  den  von  Korallen- 
riffen besetzten  Gebieten  aber  ganz  ausgesprochen  zu  der 
erwähnten  Farbe.  Die  geringe  Transparenz  scheint  sonach  mit 
der  Färbung  des  Wassers  in  Beziehung  zu  stehen. 

Beobachtungen  über  den  Seegang. 

Obwohl  das  Wetter  im  Verlaufe  der  Zeit,  in  welcher  S.  M. 
Schiff  »Pola«  in  .See  stand,  ein  im  Allgemeinen  günstiges 
genannt  werden  konnte,  so  ergab  sich  doch  zeitweise  —  bei 
erhöhtem  Seegang  —  die  Gelegenheit,  die  Elemente  der  Wellen- 
bewegung zu  messen.  Man  beobachtete  sowohl  dann,  wenn 
sich  das  Schiff  in  Fahrt,  als  auch  dann,  wenn  sich  dasselbe 
in  hoher  See,  gelegentlich  vorzunehmender  anderer  Beob- 
achtungen still  liegend,  befand.  Es  wurde  ausnahmslos  nur 
dann  beobachtet,  wenn  sich  ein  ziemlich  ausgebildeter  See- 
gang ergab  und  das  Schiff  senkrecht  auf  den  Kammlinien  der 
Wellen  stand,  letzteres,  um  die  Einbeziehung  der  Winkel, 
welche  sonst  die  Wellen  mit  der  Kielrichtung  einschliessen,  aus 


1  In  etwas  modificirt,  vergl.  darüber  die  Berichte  über  die  Mittelmeer- 
Expeditionen  für  1892  und  1893. 

2  In  den  Korallengebieten  kamen   häufig  noch   höhere  Nummern  zum 
Vergleiche. 


Physikal.-oceanograph.  Untersuchungen  im  Rothen  Meere.  383 

dem  Calcul  eliminiren  zu  können.  Selbstverständlich  notirte  man 
während  dieser  Untersuchungen  die  nöthigen  meteorologischen 
Daten  und  wenn  das  Schiff  in  Fahrt,  dessen  Fahrgeschwindig- 
keit etc.  Im  Allgemeinen  kann  dermalen  nur  bemerkt  werden, 
dass  der  Seegang  im  Rothen  Meere  das  Charakteristische  an 
sich  hat,  sich  sehr  rasch  auszubilden  und  ebenso  rasch  sich 
zu  legen,  dass  die  einzelnen  Wellen  relativ  hoch  und  sehr 
steil  geböscht  sind  und  massige  Längen. bei  kurzen  Perioden 
besitzen. 

Strömungen. 
Schon  die  Segelhandbücher  gedenken  der  Mannigfaltig- 
keit der  Strömungen  nach  Richtung,  Stärke  und  Dauer  im 
Bereiche  des  Rothen  Meeres.  In  der  That  zeigten  dieselben 
ein  schwer  zu  entwirrendes  Bild,  welches  übrigens  in  der 
eigenthümlichen  Gestaltung  der  Küsten  und  der  denselben 
—  wie  eingangs  gesagt  —  häufig  bis  25  Seemeilen  und  darüber 
vorgelagerten  Korallenriffe  eine  theilweise  Erklärung  findet. 
Abgesehen  von  den  Gezeitenströmungen,  welche  speciell  im 
Golfe  von  Suez  und  in  jenem  von  Akaba  eine  grosse  Regel- 
mässigkeit aufweisen  und  scharf  zu  erkennen  sind,  spielen  die 
herrschenden  nördlichen  Winde,  endlich  aber  auch  der  Wasser- 
austausch, vorwiegend  zwischen  dem  Indischen  Ocean  und 
dem  Rothen  Meere,  bei  den  Wasserbewegungen  eine  ent- 
scheidende Rolle.  Man  unterliess  es  daher  nicht,  der  gedachten 
Erscheinung  ein  besonderes  Augenmerk  zu  schenken  und  war 
bemüht,  die  zahlreich  eingetretenen  Stromversetzungen,  wie 
solche  sich  sowohl  während  der  Fahrt,  als  auch  während  des 
längeren  Stillliegens  auf  den  Beobachtungsstationen  in  See 
zu  erkennen  gaben,  zu  verzeichnen.  Es  wird  sich  dann  wohl 
wieder  die  Möglichkeit  ergeben,  durch  die  sachliche  Verbindung 
der  beobachteten  Stromversetzungen  mit  dem  gewonnenen 
reichlichen  Material  über  die  Seetemperatur  und  den  Salz- 
gehalt auf  die  dauernden  Wasserverschiebungen  zu  schliessen. 
Dass  man  auch  diesmal  auf  directe  Strommessungen  ver- 
zichtete, weil,  wie  schon  a.  a.  O.  gesagt,^  die  Ergebnisse  dieser 

1  Vergl.  die  Vorberichte  an  die  kaiseii.  Akademie  der  Wissenschaften  für 
die  Mittelmeer-Expeditionen,  speciell  jenen  für  die  Fahrt  1893  im  Agäischen 
Meere,  Sitzungsbericht,  vorgelegt  am  12.  October  1893. 


384  J.  Luksch, 

Beobachtungen  in  hoher  See,  ohne  Land  in  Sicht  und  nicht 
verankert,  schwankend  sind;  innerhalb  der  Korallenwelt  aber, 
wo  eine  Verankerung  zuweilen  möglich  war,  in  Folge  der 
veränderlichen  Einflüsse  des  Windes  und  des  sich  mitunter 
mannigfaltig  gestalteten  Fluthphänomens,  endlich  der  ver- 
wickelten Canalbildung,  sich  das  Strömungsbild  sehr  wechsel- 
voll und  unbeständig  gestaltet  und  sohin  vereinzeinte  Beob- 
achtungen wenig  oder  gar  nichts  auszusagen  vermögen,  sei 
hier  nochmals  hervorgehoben. 

Meteorologische  Beobachtungen. 

Da  die  Vornahme  meteorologischer  Beobachtungen  zur  See 
und  die  Installirung  von  Landstationen  zu  diesem  Zwecke  in 
die  Hände  eines  der  Herren  des  Schiffsstabes  gelegt  waren,  so 
konnte  ich  mich  darauf  beschränken,  auf  den  gewonnenen 
Stationen  in  See  —  daher  fallweise  —  jene  Aufzeichnungen  vor- 
zunehmen, welche  geeignet  waren,  die  Witterungsverhältnisse 
während  der  vorgenommenen  physikalischen  Untersuchungen 
zu  charakterisiren,  und  es  wurden  hiebei  notirt:  Temperatur 
der  Luft  nach  Schleuderthermometer,  der  Barometerstand, 
der  Wind  nach  Richtung  und  Stärke,  die  Bewölkung  und  end- 
lich der  Seegang. 

Instrumente  und  Vorrichtungen. 

Dass  S.  M.  Schiff  »Pola«  bei  der  Abfahrt  zur  Expedition 
mit  allen  den  Zwecken  derselben  dienenden  Instrumenten  und 
Vorrichtungen  bestens  versehen  war,  wurde  bereits  eingangs 
betont.  Dieselben  bewährten  sich  gleich  wie  auf  den  früheren 
Forschungsfahrten  auch  diesmal  vorzüglich.  Die  grosse  Loth- 
maschine  —  System  Le  Blanc  —  functionirte  stets  tadellos, 
doch  glaubt  man  mit  Rücksicht  auf  die  mehrjährige  Ver- 
wendung derselben  einrathen  zu  sollen,  diese  Maschine  durch 
eine  kundige  Hand  auf  ihre  weitere  Widerstandsfähigkeit 
prüfen  zu  lassen,  um  eventuellen  Schäden  rechtzeitig  vor- 
beugen zu  können. 

Der  Lothdraht  bewährte  sich  gleichfalls  ausgezeichnet. 
Das  einmalige  Reissen  desselben,  während  der  ganzen  Expedi- 


Physikal.-oceanograph.  Untersuchungen  im  Rothen  Meere.  385 

tionsdauer,  kann  nur  auf  eine  schadhaft  gewesene  Stelle  zurück- 
geführt werden. 

Die  sonst  verwendeten  anderen  histrumente,  wie  Tiefsee- 
thermometer verschiedenen  Systems,  Aräometer,  Tiefsee-Schöpf- 
apparate, sowie  der  Refractometer  zur  Bestimmung  des  speci- 
fischen  Gewichtes  des  Seewassers  etc.  Hessen  bei  ihrem  Ge- 
brauche nur  wenig  zu  wünschen  übrig  und  war  überdies  ein 
so  reicher  Vorrath  vorhanden,  dass  bei  eingetretener  fraglicher 
Functionirung  eines  der  Instrumente  sofort  Ersatz  geschaffen 
werden  konnte. 

Die  Instandhaltung  des  Instrumentenparks  ist  eine  voll- 
kommen zufriedenstellende  gewesen  und  danke  ich  dies  dem 
mir,  gleich  wie  auf  den  früheren  Expeditionen,  auch  diesmal 
zugetheilten  Steuermannsmaat  Franz  Vidulich,  welcher  mich 
überdies  auch  unermüdlich  bei  den  vorzunehmenden  Beobach- 
tungen unterstützte. 

Mit  Rücksicht  auf  die  lange  Dauer  der  Expedition  und  das 
zeitweise  weniger  günstige  Wetter  —  mitunter  höherer  See- 
gang etc.  —  ist  der  Verlust  an  Instrumenten  und  Vorrichtungen 
ein  sehr  massiger  zu  nennen  und  bewegt  sich  in  demselben 
Rahmen  wie  während  der  früheren  Untersuchungsfahrten. 

Verloren  gingen:  1  Belknap-Loth  und  1  Umkehr-Tief- 
seethermometer (System  Zambra-Negretti)  gelegentlich  des 
Reissens  des  Drahtes,  sowie  1  Sigsbec-Schöpfapparat. 

Unbrauchbar  wurden:  1  Tiefseethermometer  (System 
Zambra-Negretti),  2  Minimum-  und  Maximum -Tiefseethermo- 
meter (System  Miller-Casella),  1  gewöhnliches  Thermometer 
zum  Messen  von  Oberflächenwasser,  weiters  2  Aräometer  und 
endlich  1  Schleuderthermometer. 

An  Lothdraht  wurden  420  m  eingebüsst  und  200  weitere 
Meter  der  Sicherheit  halber  von  der  Bruchstelle  ab  aus- 
geschaltet. 

Die  von  Seite  der  kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften 
nach  Suez  dirigirten  2  Stück  Aräometer  sammt  Thermometer 
zeigten  sich  bei  der  commissionellen  Eröffnung  als  zerschlagen 
und  wurden  von  mir  dem  Herrn  Hofrath  Dr.  Franz  Stein- 
dachner  übergeben,  welcher  diese  Instrumente  nach  Wien 
zurücksendete. 


386  J.  Luksch, 

Die  Ursache,  dass  dieselben  in  gebrochenem  Zustande 
ankamen,  dürfte  in  der  mangelhaftenVerpackung  zu  suchen  sein. 

Übersicht  des  gewonnenen  Beobachtungsmateriales. 

Anzahl  der  Hauptstationen  in  See 184 

»         »    Nebenstationen  »     >    80 

Lothungen  im  tiefen  Wasser 103 

Seetemperaturen  in  allen  Wasserschichten  und  am 

Grunde 1243 

Specifische  Gewichte  von  Wasserproben 691 

Beobachtungen  über  die  Durchsichtigkeit  des  See- 
wassers        98 

Beobachtungen  über  die  Farbe  des  Seewassers 254 

Wellenmessungen 22 

endlich  meteorologische  Beobachtungen  auf  sämmtlichen 
264  Seestationen. 

Indem  ich  meinen  Bericht  schliesse,  sei  es  mir  gestattet, 
dem  Commandanten  S.  M.  Schiffes  »Pola«,  Herrn  k.  u.  k. 
Linienschiffscapitän  Paul  Edlen  v.  Pott  für  die  vielfache  Unter- 
stützung, welche  mir  bei  meinen  Arbeiten  zu  Theil  wurde, 
den  verbindlichsten  Dank  zu  sagen  und  weiters  erlaubt  aus- 
zusprechen, dass,  wenn  das  gesammelte  physikalisch-oceano- 
graphische  Materiale  ein  ergiebiges  genannt  werden  darf,  ich 
dies  in  nicht  zum  geringen  Theile  dem  grossen  Interesse  zu 
danken  habe,  welches  den  bezüglichen  Untersuchungen  von 
Seite  des  k.  u.  k.  Schiffscommandos  und  der  Herren  des  Stabes 
S.  M.  Schiffes  »»Pola«  entgegengebracht  wurde. 

Port  Tewfik  bei  Suez,  am  1.  Mai  1896. 


Physika!. -oceanograph.  Untersuchungen  im  Rothen  Meere. 


387 


Lothdaten,. 

gewofine^n   während  ^  der  Expedition'  Sj  Mi  Schiffes'f»Pola«   1895   auf  1896   im 
I  Rothen  Meere. 


1  o 

Geogra 
Posi 

>hische 
tion 

N.- Breite 

C    c 

'Grundprobe 

Anmerkung 

5  c 

1- 

Laufci 
Zah 

Ö.-Länge 
V.  Gr. 

1 

32*^29' 

29''37' 

48 

Sand  und  Muscheln 

12 

1 

1        2 

34  2 

27  24-5 

547 

Sand  und  Muscheln 

18 

3 

34  50-5 

26   10-8 

G5 

Sand  und  Muscheln 

Dicht  unter  der 

Insel  Brothers, 

i/i  Kabel  vom  Land 

21 

4 

34  50-5 

26   10-8 

92 

Sand  und  Muscheln 

7n  der  gleichen 
Position,  nur 
ungeschwait 

22 

1 

5 

34  35 

25  58 

620 

Lichtgelber  zäher 
Schlamm 

27' 

1    ' 

36   15 

24  25 

io'ö 

.    . 

Lothung  nicht  bis 
zum  Grund  aus- 
geführt 

30 

.       7 

37  37 

23  21 

791 

Sand  und  Schlamm 

33 

8 

37  22 

21   27 

700 

Sand  und  Schlamm 

42 

i       9 

37     5 

21   39 

690 

Sand  und  Schlamm 

44 

'     10 

38   19 

22     6 

870 

Sandiger  Schlamm 

46 

1     11 

36  45 

22  26 

845 

Gelber  Schlamm 
mit  Sand 

55 

12 

36  20 

23   16 

780 

Graugelber  Schlamm 
mit  Sand 

57 

13 

1 

36     9-7 

23  35-8 

105 

Sand  und  Schlamm 

3  Kabel  südlich 
der  Insel  St.  Johns 

58 

!4 

36     9-7 

23  35-8 

73 

Sand  und  Schlamm 

In  der  gleichen 
Position,  nur 
ungeschwait 

59 

15 

35  54 

23  46 

900 

Schlamm  und  Sand 

67 

'     16 

37     3 

23     4 

725 

Schlamm  und  Sand 

69 

17 

37  23 

23  41 

747 

Schlamm  und  Sajid 

70 

18 

37     9 

23     6 

1150 

Schlamm  und  Sand 

72 

19 

36  28 

22  59 

820 

Schlamm  und  Sand 

73 

20 

37  48 

22  35 

1804 

Dunkelbrauner 

Schlamm,  Sand  und 

Muscheln 

75 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Cl. ;  CV.  Bd.,  Abth.  I. 


26 


388 


J.  Lukscli, 


■5 

3N 


Geographische 
Position 


ö. -Länge 
V.  Gr. 


N.- Breite 


.s  e 


Grundprobe 


Anmerkung 


o  0 

iii 


21 

22 

23 

24 

25 
26 

I     27 

I     28 

I 

!     29 

1 

I  '' 

I     3^ 

! 

I     32 

i  33 

35 

i 

'     36 

,     37 

38 

39 

40 


38« 19' 

38  29 

38     0 

38     0 

38  33 
38     9 

37  45 

36   18 

35  37 

35  25 

34  55 

35  41 

36  10 
36  35 
36  51 
36  8 
35  27 
34  49 
34  27 
34  41-5 


23«12* 
22  42 
22     4 

22  7 

21   36 

23  40-5 

24  5 
24  8 
24   15 

24  47- 1 

25  23 
25  22 

25  43 
24  55 
24  35 

26  19 
26     8 
26   16-7 
26  28 
26  48 


600 

512 

2160 

2190 

902 
611 

700 

1200 

562 

535 

582 

910 

780 

990 

828 

880 

1168 

806 

760 

1135 


Gelber  Schlamm 
und  Sand 

Gelber  Schlamm 
mit  Sand 

Rothbrauner 
Schlamm,  Sand 

Rothbrauner 
Schlamm,  Sand 

Sand  und  Schlamm 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

Lichtgelber 
Schlamm  und  Sand 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

Gelber  Schlamm 
mit  Sand 

Gelber  Schlamm 
mit  Sand 

Lichtgelber        1 
Schlamm  mit  Sand  | 

Lichtgelber 
Schlamm  mit  Sand  1 

Lichtgelber        | 
Schlamm  mit  Sand  | 

Lichtgelber        \ 
Schlamm  und  Sand  1 

Grauer  Schlamm,    ' 
viel  Sand  I 

Lichtgelber         , 
Schlamm  und  Sand  1 

Gelber  Schlamm    j 
und  Sand  ' 


Tiefgelothete  Stelle 
im  Rothen  Meer 


I 


76 
79 
85 

86 

88 
95 

99 

I 

101  , 

I 

102  ' 

104  I 
110  I 
113  ! 

114 

I 

119  ! 

120  ' 
125 
128 

! 

129  ' 

J 

131  ! 

i 
136  I 


Physikal.-oceanograph.  Untersuchungen  im  Rothen  Meere.  389 


s 

1«^ 

Geographische 
Position 

Grundprobe 

Anmerkung 

•a  o 

a  « 

* 

ö. -Länge 
V.  Gr. 

N.- Breite 

41 

32»43'5 

29*»24»2 

62 

Grauer  Schlamm 

145 

42 

34  30 

27  25 

1082 

Gelber  zäher 
Schlamm  und  Sand 

149 

1 

43 

35   17 

27  24 

764 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

151 

! 

44 

34  47 

27  43 

900 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

153 

45 

35   17-5 

26  53 

740 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

155 

46 

34  54 

27   11 

986 

Gelber  zäher 

Schlamm,  Sand  und 

Muscheln 

156 

47 

35  34 

26  34 

825 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

160 

48 

34  10 

27     4 

1012 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

165 

49 

34     2 

27  25 

564 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

166 

50 

32  35-6 

29  43-7 

45 

Grauer  Schlamm, 
wenig  Sand 

178 

51 

32  56 

29     7-6 

50 

Grauer  Schlamm, 
wenig  Sand 

179 

52 

33     6-4 

28  44-5 

50 

Grauer  Schlamm, 
wenig  Sand 

183 

53 

33  35-3 

28     9-3 

58 

Grauer  Schlamm, 
wenig  Sand 

188 

54 

33  20-6 

28     9-1 

72 

Lichtgrauer 

Schlamm,  wenig 

Sand 

189 

55 

32  34-3 

29  28-5 

58 

Zäher  grauer       1 
Schlamm,  ohne  Sand' 

197 

56 

33  43 

27  50 

73 

Wenig  lichtgelber 
Schlamm  und  Sand 

202 

57 

34     3 

27  37 

878 

Etwas  Sand 

203 

58 

34  31 

28   11 

1077 

Gelber  Schlamm 
und  Sand          | 

207 

59 

34  27-2 

28   14-4 

534 

Gelber  Schlamm,    '                                  |208  j 

wenig  Sand 

26* 


388 


3N 


Geographische 
Position 


Ö.-Länge 
V.  Gr. 


N.- Breite 


J.  Lukscil, 


Grundprobe 


Anmerkung 


■5g 

i  S 


21 

22 

23 

24 

25 
26 


I 


I     27 

[     28 

I 

t  29 
30 
31 

32 

i 

I     33 

I 

'     34 

I 

'     35 

!     36 

;   37 

I 

38 

t 

39 

40 


38« 19' 

38  29 

38     0 

38     0 

38  33 
38     9 

37  45 

36   18 

35  37 

35  25 

34  55 

35  41 

36  10 
36  35 
36  51 
36  8 
35  27 
34  49 
34  27 
34  41-5 


23*»12' 
22  42 
22     4 

22  7 

21   36 

23  40-5 

24  5 
24  8 
24  15 

24  47- 1 

25  23 
25  22 

25  43 
24  55 
24  35 

26  19 
26     8 
26   16-7 
26  28 
26  48 


600 

512 

2160 

2190 

902 
611 

700 

1200 

562 

535 

582 

910 

780 

990 

828 

880 

1168 

806 

760 

1 1 35 


Gelber  Schlamm 
und  Sand 

Gelber  Schlamm 
mit  Sand 

Rothbrauner 
Schlamm,  Sand 

Roth  brauner 
Schlamm,  Sand 

Sand  und  Schlamm 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

Lichtgelber 
Schlamm  und  Sand 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

Gelber  Schlamm 
mit  Sand 

Gelber  Schlamm 
mit  Sand 

Lichtgeiber 
Schlamm  mit  Sand 

Lichtgelber 
Schlamm  mit  Sand 

Lichtgelber 
Schlamm  mit  Sand 

Lichtgelber 
Schlamm  und  Sand 

Grauer  Schlamm, 
viel  Sand 

Lichtgelber 
Schlamm  und  Sand  I 

Gelber  Schlamm    j 
und  Sand 


Tiefgelothete  Stelle 
im  Rothen  Meer 


76  ' 

I 

79, 

85  I 

I 

86  I 

88  I 
95  I 

I 
99  , 

101 

102  ' 

104  j 

I 
110  I 

I 
113 

114 

119  , 

120  j 

I 
125 

128  I 

i 

129  I 
131  I 
136  I 


Physikal.-oceanograph.  Untersuchungen  im  Rothen  Meere.  389 


Geographische 
Position 

•se 
PS 

Grundprobe 

Anmerkung 

•a  0 

Ö.-Länge 
V.  Gr. 

N.- Breite 

41 

32«43'5 

29^24^2 

62 

Grauer  Schlamm 

1 

145  1 

42 

34  30 

27  25 

1082 

Gelber  zäher 
Schlamm  und  Sand 

149 

43 

35   17 

27  24 

764 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

151 

44 

34  47 

27  43 

900 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

153 

45 

35   17-5 

26  53 

740 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

155 

46 

34  54 

27   11 

986 

Gelber  zäher 

Schlamm,  Sand  und 

Muscheln 

156 

47 

35  34 

26  34 

825 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

160 

48 

34  10 

27     4 

1012 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

165 

49 

34     2 

27  25 

564 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

166 

50 

32  35-6 

29  43-7 

45 

Grauer  Schlamm, 
wenig  Sand 

178 

51 

32  56 

29     7-6 

50 

Grauer  Schlamm, 
wenig  Sand 

179 

52 

33     6-4 

28  44-5 

50 

Grauer  Schlamm, 
wenig  Sand 

183 

53 

33  35-3 

28     9-3 

58 

Grauer  Schlamm, 
wenig  Sand 

188 

54 

33  20-6 

28     9M 

72 

Lichtgrauer 

Schlamm,  wenig 

Sand 

189 

55 

32  34-3 

29  28-5 

58 

Zäher  grauer 
Schlamm,  ohne  Sand 

197 

56 

33  43 

27  50 

73 

Wenig  lichtgelber 
Schlamm  und  Sand 

202 

57 

34     3 

27  37 

878 

Etwas  Sand 

1203 

58 

34  31 

28   11 

1077 

Gelber  Schlamm 
und  Sand          | 

207 

59 

34  27-2 

28   14-4 

534 

Gelber  Schlamm, 
wenig  Sand 

208  1 

26* 


>90 


CS' 


Geographische 
Position 


Ö.-Länge  i 
V.  Gr.     i 


N.-Breite 


J.  Luksch, 


Grundprobe 


Anmerkung 


i-S  g! 


60 
61 
62 
63 
64 
65 
66 
67 
68 
69 

70 

71 
72 
73 
74 
75 
76 
77 


34*»29' 
34  34-5 
34  31 
34  33-4 
34  39 
34  41-8 
34  45-2 
34  48 
34  37-4 
34  42-8 

34  48-6 

34  44-5 
34  42 
34  46-5 
34  50-5 
34  43-4 
34  46 
34  49-5 


28''20'2 
28  21-2 
28  25 
28  30-2 
28  30-2 
28  23-5 
28  30-8 
28  37-2 
28  37-7 
28  39-2 

28  44-5 


792 

978 

725 

392 

1175 

1150 

1090 

685 

917 

1287 

582 

1090 


28  49-2 

I 
28  5r8J  521 

28  53-6    940 

29  3 
29     0-8 

28  58-5 

29  7-5 


910 
545 
671 
920 


Gelber  Schlamm, 
wenig  Sand 

Gelber  Schlamm, 
Sand  und  Muscheln 

Gelber  Schlamm 
mit  Sand 

Hellgelber  Schlamm, 
wenig  Sand 

Gelber  Schlamm 
mit  Sand 

Gelber  Schlamm 
mit  Sand 

Gelber  Schlamip 
mit  Sand 

Gelber  Schlamm 
mit  Sand 

Braungelber 
Schlamm  mit  Sand 

Braungelber 

Schlamm,  wenig 

Sand 

Gelbbrauner 

Schlamm,  wenig 

Sand 

Gelbbrauner 
Schlamm  und  Sand 

Gelbbrauner 
Schlamm  und  Sand 

Gelbbrauner 
Schlamm  und  Sand 

Gelbbrauner 
Schlamm  und  Sand 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

Gelber  Schlamm 
mit  Sand 

Gelber  Schlamm, 
wenig  Sand         1 


f 


[209 

|210 

I 
211   , 

i  I 

.212  I 

213  j 

1  I 


Tiefste  Stelle  im 
Golfe  von  Akaba 


'214  I 

I 

^215 

i 

216 

I 

219 

I 

'220 

I 

'221 

I 

222 

1 
225 

1         I 
226  I 

'227  I 

'228 

1         i 
229 

!     i 

230  ' 


•  Physikal.-oceanograph.  Umersuchungen  im  Rothen  Meere.  391 


I      Geographische    - 
«      !  Position 


1 5§  iÖ.-Länge 
;      ,     V.  Gr. 


N.-Breite 


Grundprobe 


/r-  *LÜ 


Anmerkung 


i-si 


'78 
79 
80 

81 
82 

83 

•  84 

85 

86 


88 

89 

90 
91 

92 

93 

94 
95 


34°44'6 
34  43-7 
34  54-5 

34  47-7 
34  49-5 

34  52-8 

34  56  9 

34  57-5 

34  47-8 
34  48-8 

34  39-3 

o4  38 

34  38-5 
34  30 

34  26-2 

34  22 

34  22 
34  28-8 


29*^  4' 4 

28  58-6 

29  ,11:8 

29   12-7 
29  18-2 

29  18-1 

29  17-8 

29  22 

29  13-5 
28  48-8 

28  44-3 

28   18 

28   13 
28     2-5 

27  51-2 

27  50  2 

27  44-3 
27  44-6 


792 
314 
558 

168 
508 

874 

600 

842 

350 
821 

826 

1198 

1180 
958 

1100 

877 

1042 
1022 


Gelber  Schlamm 
'  und  Sand 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

Gelbbrauner 

Schlamm,  wenig 

Sand 

Muscheln  und  Sand 

Gelber  Schlamm 
•und  Sand 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

Gelbbrauner 
Schlamm  und  Sand 

•  Gelbbrauner 
Schlamm,  wenig 

Sand 

•  Gelbbrauner 
Schlamm  und  Sand 

Gelbbrauner 

Schlamm,  wenig 

Sand 

Gelber  Schlamm 
und  Sand 

Gelber  Schlamm, 
etwas  Sand 

Schlamm  und  Sand 

Schlamm,  etwas 
Sand 

Wenig  Sand,  gelber 
zäher  Schlamm 

Zäher  gelber 

Schlamm,  wenig 

Sand 

Gelber  Schlamm, 
wenig  Sand 

Gelber  Schlamm, 
wenig  Sand 


231 
232 
233 

2ä4 
235 

236 

237 

238 

244 
247 

248 

249 

250 
252 

255 

256 

258 
259 


392     J.  Luksch,  Physik.-oceanogr.  Untersuchungen  im  Rothen  Meere. 


JS 


Ö.-Länge 
V.  Gr. 


Geographische 
Position 


N.-Breite 


Grundprobe 


Anmerkung  * 


«> 

B 

B 


9d 

97 

98 

99 

100 

101 
102 
103 


34^25 '2 

34  28-3 
34  28-3 
34  28-2 
38  32-5 

34  55-4 
34  56-5 
34  58-7 


27»39'4 

27  57-7 
27  57-5 
27  57*3 
22  26-5 

29  23-5 
29  25-4 
29  27-7 


990|       Zäher  gelber 
I    Schlamm,  wenig 
Sand 

170     Gelber  Schlamm 
und  Sand 

141     Gelber  Schlamm 
und  Sand 

250     Gelber  Schlamm 
und  Sand 

590  Schlamm  und  Sand 


652         Braungelber 
Schlamm,  wenig 
Sand 

668         Braungelber 
Schlamm,  wenig 
Sand 

509         Braungelber 
Schlamm,  wenig 
Sand 


260 


1    In  der  Strasse 
f  von  Tiran  (Akaba- 

iGolQ,  mit 
Thomson-Loth 
gemessen 

Station  47  gehört 
zwischen  die 
laufenden 

Nummern  10  und  1 1 


\ 


Einzureihen 
zwischen  den 

laufenden 

Nummern  85 

und  86 


47 


241 


242 


243 


1  Hafenlothungen  sind  in  diesem  Verzeichnisse  nicht  aufgenommen. 


J.Lukscli:Ph)raf 
32*o.v.G. 


W 


2S»-- 


»»-- 


27»-- 


3=n=T 


SUEZli 


194,19S 


1 


393 


XIV.  SITZUNG  VOM  21.  MAI  1896. 


Der  Vicepräsident  der  Akademie  Herr  Prof.  E.  Suess 
führt  den  Vorsitz. 


Der  Vorsitzende  gibt  der  tiefen  Trauer  Aus- 
druck über  das  am  19.  Mai  erfolgte  Ableben  des 
Ehrenmitgliedes  der  kaiserlichen  Akademie  der 
Wissenschaften 

Seiner  kaiserlichen  und  königlichen  Hoheit 
des  durchlauchtigsten  Herrn 

ERZHERZOGS  KARL  LUDWIG. 

Die  Mitglieder  nehmen  stehend  diese  Trauer- 
kundgebung entgegen. 


394 

Erschienen:  Sitzungsberichte,  Bd.   105,  Abth.  I,  Heft  I— II  (Jänner   und 
Februar  1896). 

Das  k.  u.  k.  Reichs-Kriegs-Ministerium  (Marine- 
Section)  übermittelt  ein  vom  Commando  S.  M.  Schiff  »Pola* 
eingelangtes  Telegramm,  laut  welchem  die  Expedition  aus 
dem  Rothen  Meer  am  9.  Mai  6*"  45™  v.  M.  glücklich  nach  dem 
Hafen  von  Pola  zurückgekehrt  ist. 

Der  Commandant  S.  M.  Schiff  »Pola«  Herr  k.  und  k. 
Linienschiffs-Capitän  Paul  Edler  v.  Pott  übersendete  aus  Suez 
ddo.  5.  Mai  1.  J.  einen  kurzgefassten  Reise-  beziehungsweise 
Thätigfkeitsbericlit  der  wissenschaftlichen  Expedi- 
tion S.  M.  Schiff  »Pola»  in  das  RotheMeer  im  Jahre  1895 
bis  1896. 

Das  w-  M.  Herr  Hofrath  Prof.  J.  Wies n er  überreicht  eine 
im  pflanzenphysiologischen  Institute  der  k.  k.  Wiener  Univer- 
sität von  Herrn  G.  Gjokic  ausgeführte  Arbeit,  betitelt:  »Zur 
Aa^tomiÄ -cier  Frucht  und  des  Samens  von  Viscum^. 

1        Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  Ad.  Lieben  legt  eine  Ab-? 

handlung  von  Herrn  R.  Segalle  aus  dem  Czernowitzer  Uni-* 

versitätslaboratorium  »Über  einige  Halogensubstitution?-f 

producte.  des  Res^cetophenons   und  seines  DiäthyN' 

äthers«   vor. 

^  '  '  '  '         ' 

Das   w.  M.  Herr   Prpf.  H.  WeideL  überreicht   eine    im 

t  Laboratorium  der  k^  k.  Universität  in  Wien  ausgeführte  Arbeit 

Yxjn  Herrn  Friedrich  Hirsch:  »Über  den  Chininsäureestdr 

Und  dessen  Überführung  in  /7-Oxykynurin«. 

Herr  Prof.  Dr.  J. -Latschenberger  in  Wien  überreicht 
eine  Arbeit,  betitelt:  »Das  physiologische  Schicksal  Jdöi^ 
FJlutkörperchen  d^s  Hämoglobinblutes«. 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTER 


MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CV.  BAND.  VI.  HEFT. 


ABTHEILUNG  I. 

ENTHÄLT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  MINERALOGIE, 

KRYSTALLOGRAPHIE,  BOTANIK,  PHYSIOLOGIE  DER  PFLANZEN,  ZOOLOGIE, 

PALÄONTOLOGIE,  GEOLOGIE,  PHYSISCHEN  GEOGRAPHIE  UND  REISEN. 


y  \ 


397 


XV.  SITZUNG  VOM  11.  JUNI  1896. 


Erschienen:  Monatshefte  für  Chemie,  Bd.  17,  Heft  III  (März  1896). 

Der  Vorsitzende  gibt  Nachricht  von  dem  am  28.  Mai  1.  J. 
erfolgten  Ableben  des  ausländischen  correspondirenden  Mit- 
gliedes dieser  Classe  Herrn  Gabriel  Auguste  Daubree  in 
Paris. 

Die  anwesenden  Mitglieder  erheben  sich  zum  Zeichen  des 
Beileides  von  ihren  Sitzen. 

Der  Secretär  legt  das  im  Auftrage  Sr.  k.  u.  k.  Hoheit  des 
durchlauchtigsten  Herrn  Erzherzogs  Ludwig  Salvator, 
Ehrenmitgliedes  der  kaiserl.  Akademie,  durch  die  Buchdruckerei 
Heinrich  Mercy  in  Prag  übersendete  Druckwerk:  »Die  Lipari- 
schen  Inseln.  VI.  Alicuri«  vor. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  Claus  übersendet  eine  Ab- 
handlung von  Dr.  Tad.  Garbowski  in  Wien  unter  dem 
Titel:  »Hyperienartige  Amphypoden  des  Mittel- 
meeres«. Monographisch  bearbeitet  auf  Grund  des  während 
der  fünf  Expeditionen  S.  M.  Schiffes  »Pola«  gesammelten 
Materiales  (1890— 1894).  I.  Theil.  »Die  Sciniden.« 

Das  c.  M.  Prof.  Franz  Exner  übersendet  eine  in  seinem 
Institute  ausgeführte  Arbeit  des  Herrn  F.  Hasenöhrl:  »Über 
den  Temperaturcoefficienten  der  Dielektricitätscon- 
stante  in  Flüssigkeiten  und  die  Mosotti-Clausius'sche 
KormeN. 

Herr  Dr.  K.  A.  Pen  ecke,  Privatdocent  an  der  k.  k.  Uni- 
versität in  Graz  übersendet  eine  Abhandlung,  betitelt:  »Marine 
Tertiärfossilien  aus  Nord-Griechenland  und  dessen 
türkischen  Grenzländern«. 


398 

.    Der  Secretär  legt  folgende  eingesendete  Abhandlungen 
vor: 

1.  »Die  Gravitations-Constante,  die  Masse  und  mitt- 
lere Dichte  der  Erde,  nach  einer  neuen  experi- 
mentellen Bestimmung«,  von  P.  Dr.  C.  Braun,  S.  J. 
in  Mariaschein  (Böhmen). 

2.  Ȇber  die  Condensation  des  Benzaldehyds  mit 
Acetessigester  mittelst  aromatischer  Amine<',  von 
Prof.  Dr.  Br.  Lachowicz  in  Lemberg. 

3.  »Über  zwei  trigonometrische  Reihen  für  Sonnen- 
flecken, Kometen  und  Klimaschwankungeo«.  Vor- 
läufige Mittheilung  von  Herrn  J.  Unterweger,  Landes- 

.  bürgerschullehrer  in  Judenburg. 

Ferner  legt  der  Secretär  ein  versiegeltes  Schreiben 
behufs  Wahrung  der  Priorität  von  Herrn  Theodor  Scheim- 
pflug,  k.  u.  k.  Linienschiffs-Fähnrich  in  Wien,  vor,  welches  die 
Aufschrift  führt:  »Eine  Methode,  das  Licht  zur  Zimmer- 
Arbeit  bei  der  Photogrammetrie  zu  verwenden«. 

Das  w.  M,  Herr  Prof.  C.  Grobben  überreicht  eine  Arbeit  aus 
dem  zoologische!?  Institute  der  k.  k.  Universität  in  Wien  von 
Dr.  Theodor  Adensamer:  Ȇber  Ascodipteron  phyllorhinae 
(nov.  gen.,  nov.,  spec),  eine  eigenthümliche  Pupiparen- 
form«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Friedrich  Brauer  überreicht  eine 
vorläufige  Mittheilung  des  c.  M.  Herrn  Directors  Th.  Fuchs: 
Über  einige  Versuche,  verschiedene,  in  das  Gebiet 
der  Hieroglyphen  gehörige  problematische  Fossilien 
auf  mechanischem  Wege  herzustellen. 

Ferner  überreicht  Herr  Prof.  Brauer  eine  Arbeit  von 
Dr.  Rudolf  Sturany  in  Wien,  betitelt:  »Brachiopoden«, 
gesammelt  auf  den  Expeditionen  S.  M.  Schiffes  »Pola« 
1890-1894. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Sigm.  Exner  legt  eine  Abhandlung 
von  Prof.  L.  Schenk  vor:  Ȇber  Anomalien  an  Eiern  von 
Echinodermen  nach  der  Befruchtung«. 


-399 

Herr  Hofrath  Prof.  Dr.  v.  Lang  legt  eine  Abhandlung  der 
Herren  Regierungsrath  Dr.  J.  M.  Eder  und  E.  Valenta  über 
»Spectralanalytische  Untersuchung  des  Argons«  vor, 
worin  dieselben  genaue  Wellenlängenbestimmungen  der  drei 
verschiedenen  Spectren  des  Argons  und  von  Übergangsformen 
derselben  geben. 

Herr  Prof.  Dr.  Ed.  L  i  p  p  m  a  n  n  überreicht  eine  ipi 
III.  chemischen  Laboratorium  der  k.  k.  Universität  in  .Wien 
von  Dr.  P.  Cohn  und  F:-  Fl eiss her  ausgeführte  Arbeit:.  »Über 
die  Trennung  des  Palladiums  von  Platin«. 

Herr  Dr.  Ign.  Schütz  in  Göttingen  übersendete  eine 
Mittheilung:  »Über  das  Verhältniss  des  Princips  der 
geradesten  Bahn  zum  Princip  der  kleinsten  Wirkung*. 


Selbständige  Werke  oder  neue,  der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

Erzherzog  Ludwig  Salvator,  Die  Liparischen  Inseln. 
VI.Alicuri.  Präg,  1896. 


400 


Über  Aseodipteron  phyllorhinae  (n.  gen.,  n.  sp.), 
eine  eigenthümliche  Pupiparenform 

von 
Dr.  Theodor  Adensamer  in  Wien. 

(Mit  2  Tafeln.) 

Beim  Bestimmen  der  Fledeimäuse,  die  ich  aus  Holländisch- 
Indien  mitgebracht  habe,  machte  mich  Herr  Dr.  L.  v.  Lorenz, 
Custos  am  naturhistorischen  Hofmuseum  in  Wien,  auf  einen 
Parasiten  einer  Phyllorhina  aus  Java  aufmerksam,  deren  Species 
mit  den  hiesigen  Hilfsmitteln  nicht  genauer  bestimmt  werden 
konnte.  Dieser  Parasit  war  fast  vollständig  in  die  dorsale  Flug- 
haut seines  Wirthes  eingebohrt,  nur  ein  knopfartiger  Theil  des 
Körpers  ragte  frei  hervor.  Bei  näherer  Untersuchung  erwies 
sich  derselbe  als  eigenthümliche  neue  Pupiparenform,  welche 
ich  Aseodipteron  phyllorhinae  (nov.  gen.,  nov.  spec.)  benennen 
will,  da  es  vorläufig  nicht  gelang,  diese  Form  in  eine  bestehende 
Gattung  einzureihen.  Leider  war  es  mir  bis  jetzt  nicht  möglich, 
ein  zweites  Exemplar  zu  erlangen,  so  dass  ich  bei  meinen  Beob- 
achtungen auf  ein  einziges  Individuum  beschränkt  war. 

Bevor  ich  zum  eigentlichen  Thema  übergehe,  drängt  es 
mich,  denjenigen  Herren  einige  Dankesworte  zu  widmen,  welche 
mich  bei  meinen  Untersuchungen  unterstützten:  Vor  Allem  den 
Herren  Professoren  Dr.  C.  Grobben,  in  dessen  Institute  die 
Arbeit  ausgeführt  wurde,  und  Dr.  Fr.  Brauer,  die  mir  durch  ihre 
Rathschläge  und  Mittheilungen  in  so  vielfacher  Weise  geholfen 
haben;  ferner  dem  Herrn  Custos  Dr.  L.  v.  Lorenz,  der  mir 
gestattete,  alle  in  Alkohol  conservirten  Fledermäuse  des  natur- 
historischen Hofmuseums  auf  Parasiten  zu  untersuchen,  ebenso 


Ascoäipteran  phyllorhinae,  40 1 

wie  Herrn  Prof.  L.  v.  Graff,  welcher  mir  dieselbe  Erlaubniss 
für  das  zoologische  Institut  an  der  Grazer  Universität  gab.  All* 
den  Herren  meinen  wärmsten  Dank ! 

Die  äussere  Gestalt. 

Der  Körper  von  Ascodipteron  phyllorhinae  ist  bilateral- 
symmetrisch,  flaschenförmig  und   zeigt   keine  Segmentirung 
(Fig.  1  und  2).  Der  aufgetriebene  Abschnitt  desselben  erscheint 
ventral  stärker  gewölbt,  der  halsartig  verengte  geht  in  eine 
knopfartige  Erweiterung  über,  welche  allein  aus  der  Phyllorhina- 
Haut  hervorragte,  während  der  Körper  sonst  in  der  Haut  ein- 
gebohrt lag.   Am  Halstheile  verläuft  knapp  unter  der  knopf- 
artigen Erweiterung  eine  ringförmige  Einschnürung,  hervor- 
gerufen durch  den  vorspringenden  Rand  der  den  Parasiten  auf- 
nehmenden Hautgrube  des  Wirthes.  Der  Körper  des  Thieres  ist 
farblos,  nur  der  frei  hervorragende  knopfartige  Körpertheil  zeigt 
zufolge  der  dort  sich  befindenden  Chitingebilde,  welche  später 
genauer  beschrieben  werden,  eine  braune  Färbung.  Die  weitere 
Untersuchung  lehrt,  dass  dieser  knopfartige  Theil  das  hintere 
Körperende  bildet.  Auf  derselben  ist  ein  transversaler  Spalt  zu 
erkennen  (Fig.  6,  Tsp.),  in  welchem  Darm  und  Geschlechtsgang 
münden,  dorsal  von  demselben  liegt  eine  parallel  verlaufende 
Querfurche  (Fig.  6,  Tf.).  In  der  Umgebung  beider  finden  sich 
acht  Chitinringe  in  bilateral-symmetrischer  Anordnung:  zwei 
zwischen  Querspalte  und  Querfurche  bilden  Wälle  um  Chitin- 
borsten (Fig.  6,  Chr^.),  die  anderen  sechs,  welche  an  Grösse  die 
vorigen  übertreffen,  sind  Stigmen  (Fig.  6,  Chrg.):  vier  liegen 
dorsal  von  der  Querfurche,  und  zwar  zwei  näher  aneinander 
knapp  über  derselben,  zwei  mehr  entfernt,  zwei  liegen  ventral. 
Ausserdem  treten  in  der  Nachbarschaft  der  Chitinringe  einzelne 
Chitinborsten   auf;  zahlreiche  gleiche  Borsten  finden  sich  in 
fünf  parallel  laufenden  Reihen  im  Umkreis  des  knopfartigen 
Körperendes.   Am  entgegengesetzten  Ende  verjüngt  sich  der 
Körper  zu  einem  deutlich  abgesetzten,  mehr  dorsal  gelegenen 
Zapfen,  in   dessen  Mitte  eine  von  faltigem  Rande  umgebene 
Grube  liegt;  in  der  Tiefe  der  letzteren  Hessen  sich  eine  kleine 
Platte  und  vier  stilettartige  Leisten  undeutlich  erkennen  (Fig.  4). 
Diese  Grube  bildet,  wie  man  auf  Schnitten  sieht,  den  Eingang 


402  Th.  Adensamer, 

ZU  einem  Atrium,  in  welchem  Kopf  und  Brust  des-  Thieres  ein- 
gezogen liegen.  Kopf  und  Brust  bilden  einen  Abschnitt,  der 
durch  eine  enge  Verbindungsstelle  am  Grunde  des  Atriums  in 
dessen  Wand  übergeht  (Fig.  3  und  7). 

Vorne  am  Kopf  bemerken  wir  die  Mundwerkzeuge  (Fig.  3 
und  7):  einen  Rüssel  und  zwei  tasterähnliche  Gebilde.  Ersterer 
ist  ein  gekrümmtes  Chitinrohr,  das  am  Grunde  erweitert  ist  und 
an  der  Spitze  Chitinborsten  trägt  (R.).  An  der  Basis  desselben 
münden  Oesophagus  und  Speichelrohr  ein  (S.).  Rechts  und 
links  vom  Rüssel  liegen  die  tasterartigen  Gebilde  (T.).  Dieselben 
bestehen  aus  einem  starken  Basalgliede,  dem  ein  kleineres 
Glied  gelenkig  aufsitzt;  ersteres  hat  kurze,  nach  hinten  ge- 
richtete Stacheln  und  aufrechtstehende  Borsten.  Das  zweite 
Glied  erscheint  mit  Haken  versehen.  Diese  Anhänge  dürften  als 
Schutzvorrichtung  für  den  eingezogenen  Rüssel  dienen.  An 
den  Rüssel  schliesst  sich  nach  hinten  zu  ein  Schlundgerüst 
an,  das  aus  einer  oberen  und  unteren  muschelähnlichen  Platte 
mit  zwei  Seitenfortsätzen  besteht  (Fig.  3,  Fpo.,Fpu.).  Ein  Muskel- 
paar zieht  von  der  dorsalen  Kopfwand  zur  oberen  Platte  (P'm.). 

Genaueres  konnte  ich  von  den  Mundtheilen  aus  den  Prä- 
paraten nicht  erkennen,  da  diese  harten,  chitinigen  Theile  beim 
Schneiden  brachen  und  die  umliegenden  Gewebe  zerrissen. 
Doch  schon  aus  diesen  wenigen  Angaben  lässt  sich  eine  grosse 
Ähnlichkeit  mit  den  Mundwerkzeugen  der  Pupiparen  con- 
statiren,  so  vor  Allem  was  den  Rüssel  und  das  Schlundgerüst 
betrifft,  wie  aus  dem  Vergleiche  mit  den  übrigen  Pupiparen 
hervorgeht.  Es  wird  wohl  anzunehmen  sein,  dass  der  Rüssel 
von  Ascodipteron  aus  Oberlippe,  Stechborste  und  Unterlippe 
sich  aufbaut.  Die  tasterartigen  Anhänge  dürften  den  Maxillar- 
tastern  homolog  sein  und  verhalten  sich  auch  functionell  bei 
meiner  Form  in  gleicher  Weise  wie  die  von  Melophagus  ovinus,^ 
nämlich  als  Scheide  des  Rüssels. 

An  der  dorsalen  Wand  des  Kopfes  inserirt  sich  jederseits 
eine  wenig  vorspringende,  kurze  Antenne  (Fig.  3  und  7,  An.), 
die  in  einer  Grube  des  Kopfes  eingesenkt  liegt,  wie  es  bei 
Pupiparen  der  Fall  ist. 

»  Vergl.  H.  Müggenburg,  1892,  S.  296,  297. 


Ascodipteron  phyllorhinae.  403 

Augen  vermochte  ich  nicht  zu  beobachten,  wohl  aber 
ein  Nervenpaar  (Op.),  welches  einem  rudimentären  Opticuspaar 
entsprechen  dürfte.  Auf  diesen  Punkt  komme  ich  noch  später 
zurück. 

An  der  Grenze  zwischen  Kopf  und  Thorax  finden  sich 
Chitinleisten,  die  das  Hinterhauptloch  umfassen.  Als  ventrale 
Anhänge  trägt  die  Brust,  soweit  dies  aus  den  Schnitten  ersicht- 
lich war,  zwei  Paar  rudimentärer  dreigliedriger  Extremitäten. 
Eine  Segmentirung  des  Thorax  ist  nicht  angedeutet  (Fig.  3 
und  7). 

Aus  der  eben  gegebenen  Darstellung  folgt,  dass  der 
flaschenförmige  Theil  des  Thieres  als  Abdomen  anzusehen  ist, 
in  welchem  Kopf  und  Brust  eingezogen  liegen.  Die  sackförmige 
Gestalt  des  Abdomens,  wie  sie  auf  S.  4Ö1  beschrieben  wurde, 
die  Lage  der  Stigmen  und  der  vielen  Borsten  am  hinteren 
Körperende,  sowie  der  Mangel  der  Segmentirung  sind  Merk- 
male, die  in  Folge  der  parasitischen  Lebensweise  erworben 
sein  dürften  (Fig.  1  und  2). 

Die  Körpermaasse  sind  folgende: 

Länge  des  Abdomens 4*5  mm 

Breite  des  Abdomens  (aufgetriebener  Theil) 3*0 

Breite  des  Halses 1*3 

Breite  des  Knopfes 1*8 

Breite  des  Zapfens 1*8 

Die  Haut. 

Der  Körper  wird  von  einem  Epithel  bedeckt,  das  als  Matrix 
nach  aussen  eine  dünne  Chitincuticula  absondert  (Fig.  5  und  7, 
Cu.).  Die  Matrixzellen  sind  kegelförmig  gestaltet  (Maz.)  —  die 
Spitzen  der  Kegel  nach  innen  gerichtet  —  und  hängen  durch 
Fortsätze  mit  der  Scheide  der  knapp  darunter  verlaufenden 
Ringmuskel  zusammen  (Rmb.).  Der  Inhalt  der  Matrixzellen  ist 
in  den  proximalen  Theilen  granulirt  und  enthält  an  dieser  Stelle 
den  Kern  (K.);  die  distalen  Partien  derselben  weisen  eine  Fase- 
rung senkrecht  zur  Körperoberfläche  auf.  Diese  faserige  Diffe- 
renzirung  dürfte  durch  den  Zug  verursacht  sein,  welcher  bei 
der  Muskelcontraction   auf  die   Matrixzellen    in   Folge   ihres 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Gl.;  CV.  Bd..  Abth.  I.  27 


404  Th.  Adensamer, 

Zusammenhanges  mit  der  Musculatur  ausgeübt  wird.  An  dem 
eingestülpten  Vorderkörper  nimmt  die  Matrix  bedeutend  an 
Stärke  ab.  Die  Ausstattung  des  Integumentes  mit  Borsten  wurde 
bereits  früher  rücksichtich  ihrer  Verbreitung  besprochen. 

Die  Körpermusculatur. 

Die  Körpermusculatur  ist  am  kräftigsten  im  Abdomen  ent- 
wickelt. Hier  trifft  man  unter  den  Hypodermiszellen  starke 
Ringmuskeln  an  (Fig.  5  und  7,  Rmb.),  die  eine  einzige  Lage 
bildend,  nebeneinander  im  ganzen  Hinterleib  verlaufen,  wie 
Schnitte  klar  erweisen.  Eine  Contraction  dieser  Muskeln  bewirkt 
jedenfalls  die  Ausstülpung  von  Kopf  und  Brust.  Ferner  dürfte 
die  Ringmusculatur  im  Zusammenwirken  mit  den  Längsmuskeln 
zugleich  der  Athmung  dienen.  Die  Längsmuskeln  treten  im  Ab- 
domen unterhalb  der  Ringmuskeln  auf  (Fig.  5  und  7,  Lm.),  Sie 
erstrecken  sich  ohne  irgendwelche  segmentale  Anordnung  vom 
hinteren  Körperende  fast  bis  an  den  vorderen  Rand  der  Atrium- 
wand und  zeigen  an  ihren  Insertionsstellen  vielfach  Veräste- 
lungen. Ausserdem  gibt  es  im  Abdomen  noch  zwei  Muskeln, 
die  als  Retractoren  des  ausgestülpten  Vorderkörpers  fungiren. 
Sie  inseriren  sich  am  Grunde  des  Atriums  lateral  vom  Dann 
und  ziehen  schräg  nach  unten  und  hinten  zur  ventralen  Körper- 
wand. 

Von  den  Muskeln  im  Kopf  und  Thorax  habe  ich  solche 
der  rudimentären  Extremitäten  und  Mundwerkzeuge  unter- 
scheiden können  (Fig.  5  und  7). 

In  histologischer  Beziehung  weisen  die  Muskeln  Quer- 
streifung auf.  Ihre  Kerne  liegen  mit  dem  nicht  zu  contractiler 
Substanz  umgewandelten  Plasma  axial  (Fig.  5,  Kg.). 

Wie  schon  erwähnt,  sind  die  Ringmuskelbündel  mit  ihren 
Scheiden  an  den  Hypodermiszellen  befestigt.  Die  Längsmuskeln 
dagegen  hängen  an  ihren  Insertionsstellen  mit  ersteren  zu- 
sammen (Fig.  5,  Lm.);  zuweilen  stehen  sie  jedoch  auch  direct 
mit  den  Matrixzellen  in  Verbindung. 

Das  Nervensystem. 

Das  centrale  Nervensystem  liegt  bei  diesem  Thiere  im  ein- 
gestülpten Vorderkörper  (Fig.  3  und  7).   Das  obere  Schlund- 


Ascodipieron  phyllorhinae.  405 

ganglion  (Go.)  bildet  eine  rundliche  Masse  mit  beiderseitigen 
schwachen  Anschwellungen  und  steht  durch  eine  Commissur, 
die  rechts  und  links  vom  Oesophagus  verläuft,  mit  dem  unteren 
Schlundganglion  in  Verbindung  (Gn.).  An  dieses  schliesst  sich 
eine  grosse  Ganglienmasse,  welche  den  verschmolzenen  Tho- 
racal-  und  Abdominalganglien  entsprechen  dürfte  (Gt.),  wie  sich 
dieselbe  auch  sonst  bei  Dipteren  findet.  Diese  Ganglienmasse 
liegt  ventral  vom  Anfangstheil  des  Mitteldarmes  in  der  Brust 
und  lehnt  sich  nach  hinten  zu  an  eine  ventral  entspringende 
Chitinleiste  an. 

Zu  innerst  liegt  in  den  Ganglien  die  Fasersubstanz,  darauf 
folgt  nach  aussen  eine  mehr  oder  minder  dicke  Lage  von 
Ganglienzellen,  zu  äusserst  eine  Hülle. 

Vom  oberen  Schlundganglion  gehen  zwei  Nervenpaare  ab: 

1.  eines  nach  vorne  und  oben  bis  unter  das  Integument  (Op.),  wo 
beide  Nerven  kolbig  anschwellen.  Ich  glaube  diese  zwei  Nerven 
als  Optici  deuten  zu  dürfen.  Für  diese  Vermuthung  vermag 
ich  bloss  die  Ursprungsstelle  der  Nerven  als  Begründung  anzu- 
führen, da  ich  eine  Andeutung  eines  Auges  nicht  sehen  konnte. 

2.  Ein  zweites  Nervenpaar,  die  Antennennerven  (N^.),  entspringt 
näher  der  vorderen  Wand  des  Gehirnes  (siehe  S.  402).  Ein 
drittes  von  der  Schlundcommissur  ausgehendes  Nervenpaar 
verläuft  über  dem  Oesophagus  und  dürfte  als  Oberlippennerv 
anzusprechen  sein  (Ng.).  Den  Verlauf  weiterer  Nerven  konnte 
ich  nicht  verfolgen. 

Der  Darm. 

Die  Mundöffnung  liegt  an  der  Basis  des  Rüssels.  Die 
Nahrung  gelangt  durch  den  letzteren  zwischen  die  beiden 
Schlundplatten,  welche  bereits  dem  Oesophagus  angehören 
(Fig.  3  und  7,  Oe.).  Dieser  macht  im  Kopfe  eine  S-förmige 
Windung,  ein  Umstand,  der  darauf  hindeutet,  dass  der  Rüssel 
nicht  ganz  ausgestülpt  sein  dürfte.  Hinter  dem  oberen  und 
unteren  Schlundganglion  im  Thorax  ist  die  Speiseröhre 
zapfenförmig  in  eine  Erweiterung  des  Vorderdarmes,  den  so- 
genannten Vormagen,  eingestülpt  (Fig.  3  und  7,  Pv.).  Letzterer 
ist  weiter  als  der  Oesophagus,  verengt  sich  aber  beim  Durch- 
tritt durch  den  Verbindungsspalt  zwischen  Thorax   und  Ab- 

27* 


406  Th.  Adensamer, 

dornen  ganz  beträchtlich.  Die  Zellen  des  Vorderdarmes,  die 
abgesehen  vom  Schlundgerüst  eine  zarte  Intima  abscheiden, 
sind  im  Oesophagus  klein.  Am  hinteren  Ende  des  Zapfens 
werden  dieselben  zu  einem  Cylinderepithel,  nehmen  aber  in 
der  Wand  des  Proventriculus  an  Höhe  wieder  ab.  Die  Ring- 
musculatur  der  Speiseröhre  bildet  vor  dem  Vormagen  eine  Art 
Sphincter.  Im  Abdomen  geht  der  Vormagen  in  den  Mitteldarm 
über  (Fig.  7,  Md.).  Die  Grenze  zwischen  beiden  ist  durch  eine 
schwache  Einschnürung  kenntlich.  Der  Mitteldarm  steigt  dem 
Rücken  zu,  verläuft  dort  unter  dem  Herzen  bis  in^den  halsartig 
verengten  Theil  des  Thieres  nach  hinten,  biegt  von  da  ventral- 
wärts  nach  vom  und  wendet  sich  in  einer  scharfen  Biegung 
nach  hinten;  dorsal  vom  Uterus  geht  er  in  den  Enddarm  über. 
Wird  der  Vorderkörper  ausgestülpt,  so  erleiden  diese  Win- 
dungen selbstredend  eine  Veränderung,  da  in  diesem  Falle  der 
ganze  Darmtractus  nach  vorne  gezogen  wird.  Seine  grösste 
Weite  erreicht  der  Mitteldarm  in  der  dorsalen  Schlinge  unter 
dem  Herzen. 

Der  Mitteldarm  wird  von  grossen  Zellen  ausgekleidet,  die 
im  Anfang  und  Ende  desselben  höher  als  in  dessen  Mitte  sind. 
Hie  und  da  ist  eine  zarte  Intima  zu  sehen.  Meist  erscheinen 
die  Zellen  gegen  das  Lumen  unregelmässig  gelappt.  Aussen  ist 
der  Darmwand  eine  Muskelschichte  aufgelagert 

Der  kurze  Enddarm  schliesst  sich  an  den  Mitteldarm  an 
(Fig.  7,  Ed.),  zieht  in  gerader  Richtung  zur  Afteröffnung,  Welche 
am  hinteren  Körperende  dorsal  von  der  Geschlechtsöffnung  mit 
letzterer  am  Grunde  der  früher  erwähnten  Transversalspalte 
ausmündet  (Fig.  7,  Af.).  Sein  Lumen  ist  enger  als  das  des 
Mitteldarmes.  Die  den  Enddarm  auskleidende  chitinige  Intima 
nimmt  gegen  den  After  an  Dicke  zu,  wo  sie  mit  der  darunter- 
liegenden kleinzelligen  Matrix  in  die  äussere  Körpen\'andung 
übergeht  Auf  das  Epithel  folgt  eine  Längs-  und  Ringmuskel- 
lage. Die  vier  »boutons  charnus«,  welche  Dufour  (1845,  p.  70) 
im  Rectum  der  Pupiparen  angibt,  fand  ich  hier  nicht 

In  der  Umgebung  des  Vorder-  und  theilweise  auch  des 
Mitteldarmes  in  Kopf,  Brust  und  Abdomen  liegen  drei  Paar 
Speicheldrüsen.  Das  eine  Paar  befindet  sich  im  Abdomen  zu 
beiden  Seiten  der  ersten  aufsteigenden   Biegung  des  Mittel- 


Ascodipteron  phyllorhinac.  407 

darmes,  ventral  vom  vorderen  Herzabschnitt;  es  besteht  aus 
zwei  Schläuchen,  deren  Enden  keulenförmig  angeschwollen 
sind  (Fig.  7,  Sd^.).  Grosse  gestreifte  Drüsenzellen  bilden  die 
Wandung  eines  solchen  Drüsenschlauches  und  schliessen  ein 
enges  Lumen  ein.  Durch  die  verengte  Stelle,  welche  Abdomen 
und  Thorax  verbindet,  setzt  sich  das  schmale  distale  Drüsen- 
ende in  einen  Ausführungsgang  fort:  letzterer  durchzieht  zu 
beiden  Seiten  des  Verdauungsrohres  und  des  unteren  Schlund- 
ganglions Brust  und  Kopf  und  endigt  in  einer  Blase  (Fig.  7,  Sr.). 

Histologisch  weist  der  Ausführungsgang  eine  chitinige 
Intima  auf,  die  eine  schwache  Ringelung  zeigt.  Die  Wandung 
der  oben  erwähnten  Blase,  eine  Art  Speichelreservoir,  ist  dick 
und  springt  in  zahlreichen  Falten  gegen  ihre  Höhlung  vor.  Die 
Ausführungsgänge  der  beiderseitigen  Speichelreservoire  ver- 
einigen sich  vorne  zu  einem  einzigen  Speichelrohr  (Fig.  3,  S.), 
welches  in  den  Rüssel  eintritt.  Ob  dabei  eine  Schliessvorrichtung 
vorkommt,  wie  Müggenburg  (1892,  S.  304)  eine  solche  bei 
Hippobosciden  und  Nycteribiden  beschrieben  hat,  konnte  ich 
an  meinen  Schnitten  nicht  entscheiden-  Ebensolche  Speichel- 
drüsen, wie  das  beschriebene  Paar,  hat  Dufour  (1845,  S.  67) 
bei  Pupiparen  gefunden. 

Das  zweite  Speicheldrüsenpaar  ist  acinös  und  liegt  zu 
beiden  Seiten  des  Vorderdarmes  im  eingestülpten  Körpertheil. 
Jeder  Acinus  besteht  aus  mehreren  Zellen,  welche  ihr  Secret 
in  einen  Hohlraum  ergiessen,  aus  dem  es  der  schmale  Aus- 
führungsgang abführt  Von  letzteren  vereinigen  sich  mehrere 
zu  einem  grösseren  Canal,  von  denen  wieder  jederseits  ein 
Sammelgang  gebildet  wird.  Diesen  konnte  ich  bis  an  dfe  Spitze 
des  basalen  Tastergliedes  verfolgen,  seine  Ausmündung  ^hin- 
gegen sah  ich  nicht.  Die  Gänge  dieser  Drüse  zeigen  eine  deut- 
liche ringförmige  Verdickung  der  Intima,  so  dass  man  leicht 
in  die  Lage  kommen  kann,  dieselben  mit  Tracheen  zu  ver- 
wechseln. 

Vam  dritten  Speicheldrüsenpaare  (Fig.  3,  Sdg.)  sind  die 
runden  Drüsenzellen  zwischen  dem  vorigen  Drüsenpaare  und 
den  übrigen  Geweben  in  Kopf  und  Brust  zerstreut.  Von  jeder 
solchen  Z^lfe  geht  ein  dünnes  Canälchen  aus;  alle  diese 
Canälchen  führen  zu  einem  weiten  Sammelrohr.  Die  Intima  der 


408  Th.  Adensamer, 

Gänge  ist  glatt.  Auch  hier  vermag  ich  nicht  die  Ausmündungs- 
stelle anzugeben. 

An  der  Grenze  von  End-  und  Mitteldarm  münden  die 
Malpighi 'sehen  Gefässe  ein  (Fig.  7,  Mp.).  Ob  es  jederseits  eines 
oder  zwei  sind,  konnte  ich  nicht  mit  Sicherheit  constatiren, 
doch  glaube  ich  der  letzteren  Zahl  den  Vorzug  geben  zu  dürfen. 
Die  polygonalen  Zellen  der  Malpighi'schen  Gefässe  besitzen 
grosse  Kerne,  ihr  Inhalt  färbte  sich  mit  Borax-Carmin  intensiv. 
Nach  innen  zu  ist  eine  Intima,  nach  aussen  eine  stärkere  Basal- 
membran sichtbar. 

Das  Circulationssystem. 

Das  Herz  ist  schlauchförmig,  liegt  im  Abdomen  dorsal  vom 
Mitteldarm  (Fig.  7,  H.).  Mit  letzterem  steigt  es  dem  Rücken  zu, 
biegt  dann  mit  dem  Darm  analwärts  um  und  verläuft  knapp 
über  demselben  bis  zu  seiner  Abbiegung  nach  unten.  Von  da 
erstreckt  es  sich  weiter  über  den  Anfang  des  Enddarmes 
in  den  halsartig  verengten  Theil  vom  Abdomen.  Nach  vorne 
durch  den  Verbindungsspalt  von  Abdomen  und  Thorax 
entsendet  es  in  den  eingestülpten  Vorderkörper  die  Aorta 
(Fig.  3,  A.),  welche  ich  bis  zum  oberen  Schlundganglion  ver- 
folgen konnte.  Mehrere  seitliche  Spaltöffnungen  am  Herzen, 
denen  vorne  und  hinten  grosse  Kerne  anliegen,  stellen  die 
Communication  zwischen  Herz  und  dem  Pericardialsinus  her, 
der  durch  eine  ventral  vom  Herzen  ausgespannte  Membran 
nach  unten  abgeschlossen  wird  (Fig.  7,  Sm). 

Das  Respirationssystem. 

Das  Tracheensystem  mündet  durch  sechs  am  hinteren 
Körperende  liegende  Stigmen,  deren  Lage  ich  bereits  früher 
angab,  nach  aussen.  Es  besteht  aus  zwei  Paaren  von  Längs- 
stämmen, einem  dorsalen  und  ventralen,  von  denen  das  erstere 
zu  beiden  Seiten  des  Herzens  und  das  letztere  rechts  und  links 
vom  Uterus  nach  vorne  zieht.  Die  gleichseitigen  Tracheen- 
Stämme  beider  Paare  hängen  hinten  durch  eine  kurze  Ana- 
stomose zusammen.  Jeder  dorsale  Stamm  spaltet  «ich  hinter 
der  Queranastomose  in  zwei  Aste,  welche  zu  den  vier  dor- 
salen Stigmen  verlaufen,  während  das  ventrale  Tracheenpaar 


AscodipUroH  phyllorhinae.  409 

in  den  zwei  ventral  von  derQuerfurche  gelegenen  Stigmen  aus- 
mündet. Leider  kann  ich  bezüglich  des  Tracheenverlaufes  nichts 
Genaueres  angeben,  da  die  stellenweise  defecten  Schnitte  eine 
Untersuchung  in  dieser  Richtung  unmöglich  machten.  Dennoch 
lässt  sich  schon  aus  diesen  lückenhaften  Beobachtungen  er- 
kennen, dass  den  beschriebenen  Verhältnissen  das  Respirations- 
system der  Pupiparenlarven  am  nächsten  kommt,  vor  Allem 
was  Lage  und  Zahl  der  Stigmen  betrifift   So  sagt  Leuckart 
(1858,  S.  178):  »Zu  den  Seiten  dieses  oo  förmigen  Hornstückes 
bemerkt  man,  wie  schon  Leon  Dufour  angegeben  hat,  noch 
zwei  kleinere  und  schmälere,  gleichfalls  braune  Chitinringe  von 
0-05  ww  im  Durchmesser,  die  in  gleicher  Weise  wie  die  oben 
beschriebenen  grossen  und  breiten  Ringe  eine  grubenförmige, 
nur  viel  seichtere  Vertiefung  in  sich  einschliessen.   Aber  der 
Boden  dieser  Vertiefung  ist  nicht  vollkommen  glatt,  sondern  in 
der  Mitte  von  einer  deutlichen  Querspalte  (0-015  ww)  durch- 
brochen, die  von  einem  braunen,  schmalen  und  lippenförmigen 
Wulste  eingefasst  wird  und  sich  durch  ihren  Zusammenhang 
mit  dem  Tracheensystem  der  Larve  als  ein  Stigma  zu  erkennen 
gibt.  Leon  Dufour  hat  dieses  Stigma  bereits  richtig  erkannt; 
er  irrt  nur  darin,  dass  er  dasselbe  für  das  einzige  hält,  das 
unseren  Thieren  zukommt.  Nach  meiner  Untersuchung  besitzen 
die  Larven  von  Melophagus  auch  noch  zwei  andere  Stigmen- 
paare, und  zwar  im  Innern  der  zuerst  beschriebenen  grossen 
und  sackförmigen  Grube  am  Hinterleibsende*. 

Man  sieht  daraus,  dass  die  Larve  von  Melophagus  ovinus 
zu  einer  bestimmten  Zeit  sechs  Luftlöcher  am  Hinterleibsende 
besitzt.  Bei  manchen  anderen  Cycloraphenlarven  tritt  nach  der 
zweiten  Häutung  wohl  auch  dieselbe  Stigmenzahl  am  letzten 
Abdominalsegment  auf,  gleichzeitig  aber  ist  ein  Stigmenpaar 
am  Prothorax  entwickelt  oder  wenigstens  angedeutet.  Da 
letzteres  bei  Ascodipteron  phyllorhinae  nicht  beobachtet  wurde, 
so  stimmt  hier  das  Verhalten  der  Stigmen  am  meisten  mit 
jenem  der  Pupiparenlarven  überein. 

Der  Fettkörper  und  die  Oenocyten. 

Den  Fettkörper,  ebenso  wie  die  Oenocyten  trifft  man  bei 
diesem  Parasiten  im  Abdomen.  Ersterer  besteht  aus  rundlichen 


410  Th.  Adensamer, 

Zellen,  die  meist  regellos  —  nur  manchmal  erscheinen  sie 
perlschnurartig  angeordnet  —  nebeneinanderliegen  und  die 
Lücken  zwischen  den  Organen  ausfüllen.  Der  Zellinhalt  ist 
granulirt  und  enthält  Fetttropfen.  Die  Kerne  treten  in  einer  Zelle 
gewöhnlich  zu  zweien  auf.  Die  Zweikernigkeit  der  Fettzellen 
stellt  Wielowiejski  (1886,  S.  534)  für  Melophagus  und  Apis 
als  Regel  auf  im  Gegensatz  zu  Musca,  deren  Fettzellen  fast 
stets  mehrere  Kerne  enthalten,  und  den  übrigen  Insecten  mit 
einkernigen  Fettzellen. 

In  den  kleineren  zwischen  dem  Fettkörper  liegenden  Zellen 
glaube  ich  die  Oenocyten  gefunden  zu  haben.  Ihr  Protoplasma 
ist  fein  granulirt  und  enthält  einen  bis  mehrere  Kerne.  Auch  hier 
ist  keine  Regelmässigkeit  in  der  Anordnung  dieser  Zellen  zu 
beobachten. 

Der  weibliche  Geschlechtsapparat. 

Meine  Ansicht,  dass  dieser  Fledermausparasit  zu  den 
pupiparen Dipteren  zu  stellen  ist,  wird  in  ausgezeichneterweise 
durch  den  Bau  des  weiblichen  Geschlechtsapparates  gestützt, 
welcher,  verglichen  mit  Leu ckart^s  Angaben  über  die  weib- 
lichen Genitalien  von  Melophagus  ovinusy  eine  vielfache  Über- 
einstimmung mit  letzteren  zeigt  (1858). 

Die  Ovarien  (Fig.  7  und  9  Ov.)  liegen  zu  beiden  Seiten 
des  Mitteldarmes  ventral  von  seiner  letzten  Biegung.  Wie  bei 
allen  Insecten  bestehen  sie  auch  hier  aus  Eiröhren,  und  zwar 
ist  die  Zahl  derselben  sehr  gering:  so  weist  das  rechtsseitige 
zwei,  das  linksseitige  drei  Eiröhren  auf.  In  den  Eiröhren  selbst 
liegen  nur  wenig  Eizellen.  Jede  der  letzteren  ist  von  einer  An- 
zahl Nährzellen  umschlossen;  beide,  Ei  und  Nährzellen,  werden 
von  Follikezellen  epithelartig  umgeben.  Die  Eiröhren  jedes 
Ovariums  sind  in  einer  musculösen  Hülle  gelegen,  welche  aus 
Längs-  und  Ringmuskeln  besteht.  Der  einzige,  allerdings  gering- 
fügige Unterschied  zwischen  den  Ovarien  von  Ascodipteron 
phyllorhinae  und  jenen  von  Melophagus  ovinus  wäre  die  bei 
ersterer  Form  auftretende  Asymmetrie  in  der  Anzahl  der 
Eiröhren. 

An  die  Ovarien  schliessen  sich  die  ziemlich  engen  Eileiter 
an  (Od.),  die  sich  bald  zu  einem  kurzen,  unpaaren  Gang  ver- 


AscodipUron  phyllorhinae.  4 1 1 

einigen.  In  histologischer  Beziehung  folgt  auf  eine  zarte  Intima 
ein  Cylinderepithel,  dem  ein  Muskelbelag  aufliegt. 

In  der  Mittellinie  zwischen  beiden  Oviducten  mündet  in 
den  unpaaren  Theil  des  Eileiters  ein  birnförmiges  Säckchen 
(Rs.)  ein.  Seine  Wandung  besteht  im  Vergleich  mit  jener  des 
Oviductes  aus  noch  höheren  Zellen,  die  nach  innen  zu  eben- 
falls eine  chitinige  Membran  absondern.  Aussen  liegt  eine 
kräftige  Ring-  und  Längsmusculatur.  Knapp  vor  der  Ein- 
mündung in  den  Eileiter  ist  ein  stärkerer  Sphincter  zu  beob- 
achten. Ich  glaube  dieses  Täschchen  als  Receptaculum  seminis 
ansehen  zu  können,  da  sich  überdies  seine  innere  Cavität  mit 
dünnen,  zu  einer  Masse  zusammengeballten,  fadenartigen  Ge- 
bilden erfüllt  zeigte,  welche  an  Spermatozoon  erinnern. 

So  wäre  Melophagus  ovinus  gegenüber  die  Samentasche 
unseres  Parasiten  eine  höhere  Differenzirung,  da  bei  ersterer 
Form  der  obere  erweiterte  Theil  des  unpaaren  Eierganges 
zur  Aufbewahrung  des  Spermas  dient.^  Während  daher  bei 
Melophagus  das  reife  Ei  auf  dem  Wege  nach  der  Vagina  den 
Samenbehälter  selbst  passiren  muss,  wird  es  bei  Ascodipteron 
ira  Vorbeigleiten  an  dem  Receptaculum  befruchtet. 

Auf  den  unpaaren  Theil  des  Oviductes  folgt  nach  hinten 
zu  die  Vagina  (V.);  sie  liegt  ventral  vom  Enddarm.  An  der 
Grenze  zwischen  Eileiter  und  Scheide  erheben  sich  eine  dorsale 
und  ventrale  Falte,  die  gegeneinander  vorspringen  und  nur  eine 
kleine  ÖJBfnung  als  Verbindung  zwischen  beiden  lassen.  EHe 
Scheide  zerfällt  in  zwei  Theile:  einem  hinteren  schmalen,  i.  e. 
die  Scheide  im  engeren  Sinne,  und  einem  oberen  in  der  Trans- 
vcrsalebene  doppelt  so  breiten,  der  als  Uterus  dienen  dürfte 
(Fig.  9).  In  dorso-ventraler  Richtung  zeigt  letzterer,  wie  aus 
Medianschnitten  zu  ersehen  ist,  eine  bedeutende  Ausdehnung, 
iodetn  er  die  Scheide  an  Weite  um  das  Fünffache  übertrifft 
(Fig.  7).  Nach  aussen  mündet  die  Scheide,  wie  schon  erwähnt, 
ventral  vom  After  in  einer  Querspalte  gemeinsam  mit  letzterem. 
Was  die  Gewebe  der  Vagina  betrifft,  so  setzt  sich  ihr 
Epithel  aus  kleinen  2iellen  zusammen,  nur  in  der  Mitte  der 
ventralen  Uteruswandung  wird   es  zu  einem  Cylinderepithel. 


1  Vergl.  Leuckart  (1858,  S.  166). 


412  Th.  Adensamer, 

Die  Ringmusculatur  des  Fruchtbehälters  nimmt  gegen  den  ver- 
engten Scheidentheil,  dessen  Mündung  in  den  ersteren  an 
seiner  dorsalen  Wand  gelegen  ist,  an  Stärke  bedeutend  zu,  und 
zwar  gesellen  sich  zu  der  einfachen  Muskellage  des  Uterus 
ungefähr  in  der  Mitte  seiner  dorsalen  und  hinteren  Wandung 
allmälig  mehrere  dazu.  Letztere  gehen  schliesslich  in  die  Ring- 
musculatur der  engen  Vagina  über,  wobei  sich  zwischen  Epithel 
und  Ringmuskeln  eine  Längsmuskelschichte  einschiebt.  Die 
Intima  verdickt  sich  auch  allmälig,  bis  sie  sammt  Epithel  an 
der  Geschlechtsöffnung  in  die  äussere  Körperbedeckung  über- 
geht. 

Der  Uterus  und  die  Vagina  werden  durch  Muskeln  fixirt 
(Fig.  7),  die  sich  zwischen  diesen  Organen  und  der  Körpervvand 
ausspannen.  Diejenigen  Muskeln,  die  zur  Befestigung  des  Uterus 
dienen,  inseriren  sich  an  der  dorsalen,  ventralen,  sowie  hinteren 
Wand  desselben  und  ziehen  nach  hinten,  wo  sie  sich  an  der 
Körperwand  in  der  Umgebung  der  Geschlechtsöffnung  ansetzen. 
Die  anderen  Muskeln  durchqueren  den  knopfartigen  Körper- 
abschnitt, indem  sie  knapp  vor  der  Geschlechtsöffnung  von 
der  Vagina  nach  oben  und  unten  zu  der  seitlichen  Körper- 
wandung verlaufen. 

Von  Anhangsdrüsen  des  Genitalapparates  konnte  ich  ein 
Paar  finden  (Fig.  7  und  9,  And.),  und  zwar  dasjenige,  welches 
dem  unteren  stärkeren  bei  Melophagus  ovinus  entspricht.  Ein 
zweites  Paar  war  nicht  zu  sehen,  ein  nicht  schwerwiegender 
Unterschied  den  Pupiparen  gegenüber,  wenn  man  berück- 
sichtigt: 1.  dass  Bratila  coeca,  die  ja  auch  zu  dieser  Abtheilung 
gehört,  nur  ein  Paar  Anhangsdrüsen  besitzt,  und  2.  dass  das 
obere  Drüsenpaar  des  weiblichen  Geschlechtsapparates  bei 
Melophagus  ovinus  sehr  klein  ist,  ja,  ich  möchte  fast  sagen 
rudimentär  erscheint.  Diese  Anhangsdrüsen  sind  bei  unserem 
Parasiten  acinös  gebaut,  besitzen  eine  ansehnliche  Ausdehnung 
und  erfüllen  im  Abdomen  jederseits  von  der  Medianebene  alle 
Lücken  zwischen  den  übrigen  Organen.  Functionen  dürften  sie 
dieselbe  Bedeutung  haben,  ein  Secret  zur  Ernährung  der 
Embryonen  zu  liefern,  wie  dies  Leuckart  (1858,  S.  153)  für 
die  Drüse  der  Pupiparen  angibt.  Die  Acini  werden  von  flachen 
Zellen   gebildet,  die  einen  grossen  Secretraum  umschliessen 


Ascodipteron  phyllorhinac.  4 1 3 

(Fig.  8).  Der  Inhalt  der  Zellen  ist  grobkörnig,  gegen  das 
Lumen  weist  das  Zellplasma  eine  cuticulaähnliche  Grenzlage 
auf.  Das  Drüsenlumen  ist  mit  glänzenden  Secretkörnchen  erfüllt. 
Die  Acini  sind  aussen  von  einer  Tunica  propria  umgeben. 
Solche  Acini  sitzen  dichtgedrängt  an  den  Sammelgängen,  in  die 
sich  ihre  Lumina  öffnen.  Jederseits  vereinigen  sich  diese  Gänge 
zu  einem  grösseren  Canal;  die  beiden  letzteren,  i.  e.  der 
rechts-  und  linksseitige,  bilden  dorsal  vom  Receptaculum  einen 
gemeinsamen  Ausführungsgang,  der  auf  der  dorsalen  Falte  an 
der  Grenze  von  Oviduct  und  Uterus  einmündet. 

Das  kleinzellige  Epithel  des  Ausführungsganges  dieser 
Anhangsdrüsen  sondert  gegen  das  Lumen  eine  Cuticula  mit 
ringförmigen  Verdickungen  ab,  durch  welche  man  an  die 
Speichelcanäle  und  Tracheen  erinnert  wird;  knapp  vor  der  Ein- 
mündung besitzt  der  Drüsencanal  eine  starke  Ringmusculatur 
(Fig.  7).  In  letzterer  Beziehung  weicht  Ascodipteron  phyllorhinac 
von  Melophagus  ovinus  ab.^ 

Äussere  Geschlechtsanhänge  gibt  es'  nicht. 

Schluss. 

Fassen  wir  die  im  Vorhergehenden  gewonnenen  Resultate 
bezüglich  Ascodipteron  phyllorhinac  zusammen,  so  finden  wir 
Folgendes: 

Während  äusserlich  kein  hervorstechendes  Merkmal  zu 
erkennen  ist,  nach  welchem  der  eigenthümliche  Parasit  in  eine 
bestimmte  Thiergruppe  einzuordnen  wäre,  mit  Ausnahme  der 
Zutheilung  desselben  zu  den  luftlebenden  Arthropoden,  zeigt 
sein  innerer  Bau  eine  grosse  Übereinstimmung  mit  der  Organi- 
sation von  pupiparen  Dipteren.  Die  auffallendste  Ähnlichkeit 
mit  letzteren  liegt  in  den  weiblichen  Genitalorganen.  Die  geringe 
Anzahl  der  Eiröhren  mit  ihrer  verhältnissmässig  kräftigen 
Muskelhülle,  der  erweiterte  Scheidentheil,  welcher  als  Fruchtbe- 
hälter dient,  die  colossale  Anhangsdrüse,  welche  in  Folge  ihrer 
wichtigen  Function  nur  bei  Pupiparen  diese  grosse  Ausdehnung 
erreicht,  alles  dies  stimmt  mit  den  Verhältnissen  bei  Melophagus, 
Hippobosca  u.  A.  überein.  Betrachtet  man  die  Mundwerkzeuge, 


1  Vergl.  Leuckart,   1858,  S.  169. 


414  Th.  Adensamer. 

SO  sieht  man,  dass  der  Rüssel,  in  dem  Oesophagus  und  Speichel- 
rohr endigen,  die  Taster  und  das  Schlundgerüst  bei  der  genannten 
Fliegenabtheilung  grosse  Übereinstimmung  aufweisen.  Feme: 
kommen  drei  Stigmenpaare,  wie  sie  bei  Ascodipieron  auftreten, 
nur  am  hinteren  Körperende  bei  bestimmten  Stadien  der 
Pupiparenlarven  vor. 

Nachdem  nun  feststeht,  dass  Ascodipieron  phyllorhifuu 
zur  Gruppe  der  pupiparen  Dipteren  zu  stellen  ist,  fragt  es  sich, 
in  welche  der  vier  Pupiparenfamilien  dieses  Thier  einzureihen 
ist.  Leider  besitze  ich  nur  dies  eine  weibliche  Exemplar.  Die 
besonderen  Eigenthümlichkeiten  von  Ascodipieron,  die  offenbar 
mit  der  parasitischen  Lebensweise  zusammenhängen,  sind  unter 
den  Pupiparen,  soweit  mir  bekannt  ist,  ohne  Analogon.  Es 
Hesse  sich  mit  einer  gewissen  Berechtigung  aus  dem  Wirthe 
auf  die  Familie  des  Parasiten  schliessen;  freilich  ein  etwas 
unsicherer  Schluss.  Unter  den  Pupiparen  sind  die  Nycteri- 
biden  und  Strebliden^  Chiropterenparasiten.  Es  wird  daher 
angenommen  werden'  können,  dass  das  beschriebene  Thier  als 
Fledermausschmarotzer  in  eine  dieser  beiden  Familien  gehören 
dürfte.  Noch  schwieriger  wird  es  zu  entscheiden,  welcher  dieser 
Familien  Ascodipieron  zuzutheilen  ist,  da  sowohl  bei  den 
Nycteribiden,  als  bei  den  Strebliden  Phyllorhina  als  Wirtiis- 
thier  vorkommt.  Es  wird  eine  nähere  Bestimmung  erst  dann 
möglich  sein,  wenn  das  zugehörige  Männchen,  welches  höchst- 
wahrscheinlich freibeweglich  ist,  aufgefunden  sein  wird. 


Literatur. 


1845.  L.  Dufour:  Etudes  anatomiques  et  physiologiques  sur 
les  Insectes  Dipteres  de  la  famille  des  Pupipares.  Ann.  cL 
Sc.  nat.  3.  Serie  Zool.,  Bd.  III. 

1858.  R.  Leuckart:  Die  Fortpflanzung  und  Entwicklung  der 
Pupiparen.  Abhandl.  d.  naturf.  Gesellsch.  in  Halle,  4.  Bd. 


1  Es  soll  nur  bemerkt  werden«  dass  die  auf  einer  Fledermaus  beobachtete 
als  LipopUna phyllostomatis  beschriebene  Form  zu  den  Strebliden  und  nicht 
wie  sonst  die  Lipoptenen  zu  den  Hippobosciden  gehören  dürfte 
(Kolenati,  1863,  S.  19  und  98). 


AscodipUron  phyllorhinae.  4 1 5 

1863.  F.  A.  Kolenati:  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Phthirio- 

myiarien.  Versuch  einer  Monographie  der  Aphanipteren, 

Nycteribiden  und  Strebliden. 
1886.  H.v.Wielowiejski:  Über  das  Blutgewebe  der  Insecten. 

Zeitschr.  f.  wiss.  Zool.  Bd.  43. 
1892.  F.  H.  Müggenburg:  Der  Rüssel  der  Diptera  pupipara. 

Arch.  f.  Naturg.  58.  Jahrg. 


416 


Th.  Adensamer,  Ascodipleron  phyllorhinae. 


Tafelerklärung. 


A.  Aorta. 

Af.  After. 

An.  Antenne. 

And.  Anhangsdrüse. 

Chrj.  Chitinring. 

Chr2.  Stigma. 

Cu.  Cuticula. 

Ed.  Enddarm. 

Fm.  Fulcrummuskel. 

Fpo.  Obere  Fulcrumplatte. 

Fpu.  Untere  Fulcrumplatte. 

Gnf.  Genitalöffnung. 

Go.  Oberes  Schlundganglion. 

Gt.  Thoracalganglion. 

Gu.  Unteres  Schlundganglion. 

H.  Herz. 

K.  Kern. 

Lm.  Längsmuskeln. 

Maz.  Matrixzellen. 

Md.  Mitteldarm. 


Mp.  Malpighi'sches  Gefäss. 

N.  Nerv. 

Od.  Oviduct. 

Oe.  Oesophagus. 

Op.  Opticus. 

Ov.  Ovarium. 

Pv.  Proventriculus. 

R.  Rüssel. 

Rmb.  Ringmuskelbündel. 

Rs.  Receptaculum  seminis. 

S.  Speichelrohr. 

Sd.  Speicheldrüse. 

Sm.  Pericardialmembran. 

Sr.  Speichelreservoir. 

T.  Taster. 

Tf.  Transversalfurche. 

Tsp.  Transversalspalte. 

V.  Ventralseite. 

Va.  Vagina. 


Fig.  1. 
>  2. 
»     3. 

»     4. 
»     5. 

*     6. 


Tafel  I. 

Ascodipteron  phyllorhinae  in  der  Seitenansicht. 

Dasselbe  in  der  Dorsalansicht. 

Medianschnitt    durch   den    eingezogenen   Kopf    und   Thorax    (Con- 

structionsbild  aus  mehreren  Schnitten). 

V'orderes  Körperende  von  vorne  gesehen  mit  dem  Eingange  in  das  Atrium. 

Hautepithel  mit  der  darunterliegenden  Musculatur;  die  Ringmuskel - 

bündel  erscheinen  im  Querschnitte. 

Hinteres  Körperende  von  hinten  gesehen. 


Tafel  II. 

Fig.  7.     Medianschnitt  durch  das  ganze  Thier  (combinirt). 
»     8.     Querschnitt  durch  Acini  der  Anhangsdrüse  des  weiblichen  Geschlechts- 
apparates. 
>     9.     Construirtes  Schema  des  weiblichen  Geschlechtsapparates. 


Th.AdeTisaTner :  Ascodipteron  phyllorhinae. 


2. 


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Taf.l 


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Autor  del  Lith  An  »t  y  Th  Bannwanh>'\  en 

Sitzungsberichte  d.kais.  Akad.  d.  Wiss.,  math.-naturw.CIasse, Bd.CV.  Abth.  I.  1896. 


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Tk  Adens  am  er:  Ascodipteron  pliyl^orhinae. 


Taf.n. 


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Gnr 


Lith  Aus»  vTh  BannwartK  Wim 


Sitzungsberichte  d.kai.s.Akad.  d.Wiss.,  math.-naturw. Ciasse,  Bd. CV.  Abtli.  I.  1896. 


417 


Vorläufige  Mittheilung  über  einige  Versuche, 
verschiedene,  in  das  Gebiet  der  Hieroglyphen 
gehörige  problematische  Fossilien  auf  mecha- 
nischem Wege  herzustellen 


Theodor  Fuchs, 

c.  M.  k.  Akad. 

Im  Verfolge  meiner  Hieroglyphenstudien  ist  es  mir  ge- 
lungen, einen  grossen  Theil  der  hieher  gehörigen  problemati- 
schen Fossilien  durch  sehr  einfache  Mittel  auf  mechanischem 
Wege  herzustellen. 

Nachdem  der  Abschluss  meiner  diesbezüglichen  Versuche 
indess  noch  voraussichtlich  längere  Zeit  in  Anspruch  nehmen 
wird,  ich  dieselben  aber  bereits  zahlreichen  Fachgenossen 
vorgezeigt  habe,  halte  ich  es  für  angezeigt,  in  gedrängter 
Kürze  eine  vorläufige  Mittheilung  über  diesen  Gegenstand  zu 
machen. 

Meine  Versuche  zerfallen  nach  den  hiebei  angewendeten 
Mitteln  in  mehrere  Gruppen. 

Versuche  durch  Blasen. 

Nimmt  man  eine  flache  Schüssel,  giesst  in  dieselbe  eine 
dünnflüssige  Masse  feingeschlemmten  Thones  und  bläst  nun 
mit  einem  feinen  Röhrchen  unter  einem  schwachen  Winkel 
schräge  gegen  die  Oberfläche  des  Thones,  indem  man  das 
Rohr  gleichzeitig  langsam  nach  rückwärts  bewegt,  so  bleibt 
auf  der  Oberfläche  des  Thones  eine  bandförmige  Zeichnung 
zurück,  welche  aus  sichelförmigen  Gliedern  besteht. 


418  Th.  Fuchs, 

Ganz  identische  Bänder  findet  man  nicht  selten  auf  der 
Oberfläche  von  Flyschplatten,  und  wurden  solche  z.  B.  von 
Heer  unter  dem  Namen  Münsteria  cretacea  und  Hoessi  be- 
schrieben. 

Wiederholt  man  diesen  Versuch  in  der  Weise,  dass  man 
das  Rohr  steiler  hält  und  kräftiger  bläst,  so  erhält  man  ein 
etwas  modificirtes  Product.  Der  Luftstrom  bohrt  sich  tief  in 
den  Schlamm  ein,  erzeugt  daselbst  einen  Wirbel,  und  indem 
man  das  Rohr  langsam  nach  rückwärts  führt,  bemerkt  man, 
wie  sich  vorne  dünne,  sichelförmige  Thonlamellen  schief,  dach- 
ziegelförmig  übereinander  legen.  Das  Resultat  dieses  Verfahrens 
ist  ebenfalls  ein  aus  dicht  gedrängten,  sichelförmigen  Gliedern 
bestehendes  Band.  Dieses  Band  ist  aber  in  diesem  Falle  keine 
bloss  oberflächliche  Zeichnung,  sondern  es  erscheint  gewisser- 
massen  aus  dünnen,  sich  (schief)  dachziegelförmig  deckenden 
Lamellen  zusammengesetjst,  welche  bis  zu  einer  gewissen 
Tiefe  schief  in  die  Masse  des  Thones  eindringen. 

Ich  habe  in  einer  früheren  Arbeit  diese  im  Reiche  der 
Hieroglyphen  so  häufig  wiederkehrende  Structur  mit  der 
Structur  von  Fischkiemen  verglichen  und  »Kiemenstructur« 
genannt. 

Die  langen  bandförmigen  Fortsätze  von  Spirophyton  zeigen 
stets  diese  Kiemenstructur  und  stimmen  überhaupt  in  allen 
Punkten  vollkommen  mit  den  vorgeschilderten,  durch  Blasen 
erzeugten  Bildungen  überein. 

Ändert  man  den  letzten  Versuch  in  der  Weise  ab,  dass 
man  das  Rohr  nicht  rückwärts,  sondern  vorwärts  führt,  so 
bleibt  eine  sehr  zierliche,  federförmige  Zeichnung  zurück.  Die 
Rachis  erscheint  flach  vertieft,  die  Fahne  zweizeilig  aus  nach 
hinten  convexen,  bogenförmigen  Fransen  gebildet. 

Führt  man  das  Rohr  zuerst  rückwärts  und  dann  auf 
derselben  Linie  wieder  vorwärts,  so  erhält  man  ebenfalls 
eine  federförmige  Zeichnung,  doch  erscheinen  in  diesem  Falle 
die  Fransen  nicht  nach  vorne,  sondern  nach  rückwärts  ge- 
richtet. 

Ganz  ähnliche,  federförmige  Zeichnungen  kommen  im 
Bereiche  der  Spirophyton-  und  Jao««r«5- artigen  Bildungen 
nicht  selten  vor. 


Hieroglyphen.  419 

Führt  man  das  Rohr  während  des  Blasens  weder  vorw^ärts 
noch  rückwärts,  sondern  horizontal  seitwärts,  d.  h.  beiläufig 
senkrecht  auf  die  Richtung  des  Luftstromes,  so  erhält  man  eine 
hohlkehlenartige  Fransenzone  mit  Kiemenstructur,  welche  voll- 
ständig der  einen  Seite  eines  Nemertilites  gleicht.  Bläst  man 
auf  der  anderen  Seite  eine  correspondirende  Fransenzone, 
jedoch  in  der  Weise,  dass  zwischen  diesen  beiden  Zonen  ein 
bandförmiger  Zwischenraum  bleibt,  so  hat  man  das  Bild  eines 
Nemertilites  Strozzi  mit  hohlen  Fransenzonen,  wie  er  sich  auf 
der  oberen  Fläche  von  Flyschplatten  zeigt. 

Bläst  man  die  beiden  Fransenzonen  knapp  an  einander,  so 
dass  sich  dieselben  unmittelbar  berühren,  so  erhält  man  einen 
hohlen,  Bilobites-eirtigen  Körper,  gleichsam  das  Negativ  zur 
Erzeugung  eines  Bilobiten. 

In  diesen  beiden  Fällen  wurden  die  beiden  Fransenzonen 
in  der  Weise  erzeugt,  dass  das  Rohr  sich  gewissermassen  auf 
derselben  Linie  bewegte  und  nur  das  einemal  nach  links  und 
das  anderemal  nach  rechts  gewendet  wurde. 

Führt  man  das  Rohr  jedoch  auf  zwei  verschiedenen,  in 
einer  gewissen  Entfernung  von  einander  parallel  verlaufenden 
Linien  und  bläst  in  der  Weise,  dass  die  beiden  Luftströme 
gewissermassen  convergiren,  so  erhält  man  einen  gewölbten 
Wulst  mit  einer  medianen  Furche  und  schöner  Kiemenstructur. 

Auch  derartige  Bildungen  wurden  unter  dem  Namen  »Bilo- 
hites^  beschrieben. 

In  diesem  Falle  ist  der  Bilobites- artige  Körper  aber  eine 
primäre  Bildung  und  muss  auf  der  oberen  Fläche  der  Stein- 
bänke gefunden  werden,  während  im  vorhergehenden  Falle 
nur  Abgüsse  vorliegen,  die  naturgemäss  nur  auf  der  unteren 
Fläche  der  Bänke  vorkommen  können. 

Rührt  man  mit  einem  Stabe  in  einem  dünnen  Thonbrei 
herum,  jedoch  in  der  Weise,  dass  man  das  Centrum  der  kreis- 
förmigen Touren  allmälig  verschiebt,  so  bleibt  bekanntlich  ein 
System  von  concentrischen,  bogenförmigen  Wülsten  zurück, 
welche  an  die  Sculptur  einer  Inoceramenschale  erinnern. 

Führt  man  genau  dieselbe  Bewegung  mit  der  Glasröhre 
aus,  während  man  zugleich  durch  dieselbe  bläst,  so  erhält  man 
ein  System  von    concentrischen  bogenförmigen  Wülsten,  an 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Gl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  28 


420  Th.  Fuchs, 

welche  sich  regelmässige  Fransenzonen  mit  Kiemenstructur 
anschliessen. 

Es  ist  dies  genau  jene  Structur,  welche  z.  B.  Taonurus 
procertis  bei  Heer  zeigt. 

Hält  man  während  des  Blasens  die  Röhre  nicht  schief, 
sondern  senkrecht  auf  die  Ebene  der  Thonfläche,  so  erhält  man, 
je  nach  der  Stärke  des  Blasens,  eine  mehr  oder  weniger  tiefe, 
einfache  Furche  mit  wulstigen  Rändern. 

Ist  der  Thon  bereits  etwas  dicker  und  steifer  geworden, 
so  erhält  man  auch  bei  schiefem  Blasen  nur  eine  einfache 
Furche.  Bewegt  man  hiebei  die  Röhre  in  der  Richtung  des 
Stromes  vorwärts,  so  zeigt  das  Ende  der  Furche  eine  sehr 
charakteristische,  kegelförmige  hohle  Spitze. 

Eine  Reihe  anderer  Bildungen  erhält  man,  wenn  man 
nicht  continuirlich,  sondern  stossweise  bläst. 

Nimmt  man  einen  etwas  dickeren  Thon  und  bläst  in  ein- 
zelnen kräftigen  Stössen  schief  gegen  seine  Oberfläche,  so 
erhält  man  ohrförmige  Bildungen  mit  wulstigem  Rande,  welche 
vollständig  mit  dem  sogenannten  Fucoides  auriformis  aus 
dem  Medina-Sandstein  übereinstimmen. 

Reiht  man  durch  entsprechendes  Blasen  derartige  ohr- 
förmige Bildungen  zweizeilig  längs  einer  Furche  an  einander,  so 
erhält  man  eine  Nereites-  oder  Phyllochorda- ähnliche  Bildung. 

Eine  höchst  auffallende  Erscheinung  ergibt  sich,  wenn 
man,  anstatt  aus  dem  Munde  zu  blasen,  irgend  ein  kräftigeres 
constantes  Gebläse  verwendet  und  mit  der  Röhre  sehr  rasch 
über  den  Thon  hinfährt. 

In  diesem  Falle  erhält  man  nämlich  stets  ausserordentlich 
regelmässig  und  zierlich  gegliederte  Figuren. 

Hält  man  die  Röhre  senkrecht  auf  die  Oberfläche,  so  ent- 
steht eine  zierlich  gegliederte  Furche. 

Hält  man  die  Röhre  schief  nach  vorne  und  zieht  sie  rasch 
zurück,  so  erhält  man  äusserst  zierlich  und  regelmässig  ge- 
bildete, federähnliche  Figuren,  welche  vollständig  mit  jenen 
Bildungen  übereinstimmen,  welche  von  Hall  in  seiner  Geology 
of  New  York,  Organic  Remains  No.  68  als  »Filicites^  und  von 
demselben  Autor  in  seiner  Palaeontology  of  New  York,  vol.  11, 
pl.  Xlll,  fig.  1  a  als  »Trails  of  Annelidae«  abgebildet  wurden. 


Hieroglyphen.  42 1 

Hält  man  die  Röhre  schief  und  bewegt  sie  nicht  in  der 
Richtung  des  Stromes,  sondern  seitlich,  so  erhält  man  Zonen 
mit  der  schönsten  und  regelmässigsten  »Kiemenstructur«. 

In  allen  diesen  Fällen  ist  es  ein  unerlässliches  Erforderniss, 
dass  man  die  Röhre  sehr  rasch  bewegt,  und  zwar  um  so 
rascher,  je  kräftiger  der  Strom  ist. 

Es  macht  den  Eindruck,  als  ob  der  Luftstrom,  obwohl  er 
ein  anscheinend  constanter  ist,  doch  aus  einer  grossen  Anzahl 
rasch  aufeinander  folgender  Sfeösse  bestehen  würde  und  die 
im  Luftstrome  bewegte  Luft  gewissermassen  senkrecht  auf 
ihre  Bewegungsrichtung  geschichtet  wäre. 

Bewegt  man  die  Röhre  in  einem  solchen  Falle  nur  langsam, 
so  erhält  man  nur  einfache  Furchen  oder  sehr  unregelmässige 
Bildungen. 

Erst  bei  einer  gewissen  Schnelligkeit  tritt  die  regel- 
mässige Gliederung  auf,  und  zwar  erscheint  dieselbe  zuerst 
sehr  dicht  und  sodann  immer  mehr  und  mehr  auseinander- 
gezogen, je  rascher  man  die  Röhre  bewegt. 

Bei  kräftigen  Luftströmen  ist  die  ganze  Erscheinung  sehr 
auffallend,  man  erhält  dann  lange,  regelmässig  gegliederte 
Furchen,  federförmige  Streifen  oder  lange  Bänder  mit  zier- 
licher Kiemenstructur  gewissermassen  blitzähnlich,  mit  einem 
Schlage. 

Versuche  unter  Anwendung  eines  Wasserstrahles. 

Ein  Wasserstrahl  übt  auf  weichen  Thon  eine  ausser- 
ordentlich kräftige  Wirkung  aus. 

Man  kann  mit  einem  feinen  Strahl  sehr  tiefe  Furchen 
erzeugen,  welche  fast  wie  Einschnitte  aussehen. 

Hält  man  beim  Spritzen  die  Spitze  der  Röhre  nahe  an  den 
Thon,  so  erhält  man  eine  einfache  Furche. 

Spritzt  man  aus  einiger  Entfernung,  so  erhält  man  eine 
gegliedert^  oder  perlschnurähnliche  Furche. 

Aus  noch  weiterer  Entfernung  löst  der  Strahl  sich  in 
Tropfen  auf  und  man  erhält  nur  die  bekanntenSpuren  derTropfen. 

Unter  den  von  M.  Kenny  Huges  in  seiner  Arbeit:  »On 
some  tracks  of  terrestrial  and  freshwater  animals«  (Quart. 
Journ.  Geol.  Soc.    London  1884)    auf  Taf.  X,   Fig.  3    und  4 

28* 


422  Th.  Fuchs, 

abgebildeten  Spuren  kommen  mehrere  vor,  welche  auffallend 
an  solche  »Spritzfurchen«  erinnern. 

Lässt  man  einen  sehr  schwachen  Wasserstrom  unter 
Wasser  auf  die  Oberfläche  von  weichem  Thon  austreten»  so 
erhält  man  ebenfalls  vertiefte  Furchen.  Dieselben  sind  flach 
bandförmig,  mit  scharfen  Rändern. 

Versuche  mit  dem  Rinnen  einer  zähflüssigen  Substanz. 

Lässt  man  einen  mit  kaltem  Wasser  angemachten  dünnen 
Stärketeig  tropfenweise  auf  Löschpapier  tropfen,  so  breitet 
jeder  Tropfen  sich  scheibenförmig  aus  und  erhält  in  der  Mitte 
eine  flache  Vertiefung. 

Lässt  man  ihn  hingegen  in  einem  continuirlichen  Faden 
austreten,  so  breitet  sich  derselbe  zu  einem  flachen  Bauch  aus, 
welcher  eine  mediane  Furche  zeigt. 

Reiht  man  zahlreiche  Tropfen  weiter  oder  enger  anein- 
ander, so  erhält  man  weiter  oder  enger  gegliederte  Bänder 
mit  medianer  Furche. 

Nimmt  man  einen  dickflüssigen  Teig  und  lässt  einzelne 
Tropfen  in  dickflüssigen  Leim  fallen,  so  bilden  die  einzelnen 
Tropfen  rundliche  kugelige  Körper,  welche  im  Leim  suspendirt 
schweben  und  nach  oben  zu  in  eine  kurze  Spitze  aus- 
gezogen sind. 

Lässt  man  den  Teig  in  einem  continuirlichen  Strom  aus- 
treten und  hält  die  Spitze  der  Röhre  einige  Zeit  auf  denselben 
Punkt,  so  kann  man  grössere  rundliche  oder  eiförmige  Körper 
erzeugen. 

Reiht  man  mehrere  derartige  Körper  aneinander,  so  bleiben 
sie  oben  durch  einen  Faden  verbunden,  und  man  erhält  so  einen 
Strang,  an  welchem  unten  eine  Reihe  von  kugeligen  oder  birn- 
förmigen  Körpern  befestigt  ist. 

Es  ist  dies  ganz  das  Bild  gewisser  Schneckenlaiche. 

Lässt  man  den  Stärketeig  anstatt  in  eine  dickflüssige,  in 
eine  dünnflüssige  Leimlösung  tropfen,  so  sinkt  jeder  Tropfen 
zu  Boden,  breitet  sich  daselbst  scheibenförmig  aus  und  zeigt 
in  der  Mitte  eine  kleine  knopfförmige  Erhebung. 

Reiht  man  mehrere  derartige  Tropfen  in  der  Weise  anein- 
ander, dass    sie    sich    eben    berühren,    so   erhält  man  selbst 


Hieroglyphen.  423 

verständlich  einen,  aus  scheibenförmigen  Gliedern  zusammen- 
gesetzten bandförmigen  Körper. 

Lässt  man  die  Tropfen  jedoch  in  der  Weise  aufeinander 
fallen,  dass  sie  sich  theilweise  decken,  so  werden  die  vorher- 
gehenden Tropfen  von  den  *  nachfolgenden  halbmondförmig 
auseinander  gepresst  und  man  erhält  einen  aus  halbmond- 
förmigen Gliedern  bestehenden,  wurmartigen  Körper  mit  einem 
axialen  erhabenen  Strang. 

Dieser  axiale  Strang  entsteht  aus  dem  Zusammenfliessen 
der  centralen  Erhebungen  der  einzelnen  Tropfen. 

Decken  sich  die  einzelnen  Tropfen  nur  zum  kleinen  Theile, 
so  erhält  man  einen  wurmförmigen  Körper,  der  aus  einem 
axialen  Strange  und  zweizeilig  geordneten,  gegenständigen 
Blättern  besteht  und  vollständig  einer  sogenannten  Phyllo- 
chorda  gleicht. 

Lässt  man  dünnflüssiges  Harz  in  einzelnen  Tropfen  in 
Wasser  fallen,  so  breiten  die  Tropfen  im  Fallen  sich  scheiben- 
förmig aus,  brechen  in  der  Mitte  durch  und  fallen  endlich  als 
Ringe  zu  Boden. 

Die  Ringreihen,  welche  man  häufig  auf  den  Glarner  Fisch- 
platten findet,  sind  wahrscheinlich  auf  ähnliche  Weise  ent- 
standen. 

Reiht  man  die  einzelnen  Tropfen  jedoch  sehr  dicht  anein- 
ander, so  werden  die  einzelnen  Glieder  zu  förmlichen  feinen 
Fäden  auseinander  gepresst,  und  man  erhält  einen  beiderseits 
von  Fransen  besetzten  axialen  Strang. 

Indem  man  dieses  Verfahren  in  verschiedener  Weise  com- 
binirt,  erhält  man  die  mannigfachsten  und  zierlichsten  Körper, 
welche  auf  das  täuschendste  gewissen  Anneliden  oder  aber 
auch  gewissen  Hieroglyphen  gleichen. 

Ganz  besondere  Verhältnisse  zeigen  sich,  wenn  man  dick- 
flüssige Stärke  in  einem  continuirlichen  Strom  aus  einer  Röhre 
oder  aus  einem  Trichter  fliessen  lässt. 

Beobachtet  man  einen  derartigen  ausfliessenden  Strom, 
während  die  Mündung  des  Trichters  3 — 4  cm  von  der  Unter- 
lage entfernt  ist,  so  sieht  man,  wie  der  Strom  in  einem  glatten 
Faden  ausfliesst,  der  sich  unten  etwa  kegelförmig  verbreitert 
(Stadium  I). 


424  Th.  Fuchs, 

Hebt  man  den  Trichter  um  einige  Centimeter,  so  bemerkt 
man,  wie  sich  an  Stelle  der  kegelförmigen  Verbreiterung  ein 
kleiner  kreisförmiger  Wirbel  bildet. 

Der  Stärkefaden  rollt  sich  gewissermassen  spiral  auf,  wie 
ein  rasch  niedersinkendes  Seil  (Stadium  II). 

Hebt  man  den  Trichter  noch  höher,  so  geht  die  kreis- 
förmige Spiralbewegung  in  eine  scheinbar  pendelnde  Bewegung 
über  (Stadium  III). 

Lässt  man  den  Strom  schliesslich  aus  grösserer  Höhe, 
etwa  40 — 50  cm  oder  darüber  ausfliessen,  so  löst  er  sich 
schliesslich  in  einzelne  Tropfen  auf  (Stadium  IV). 

'  Lässt  man  nun  den  Strom  im  Stadium  I,  d.  i.  als  glatten 
Faden  austreten,  so  kann  man  mit  demselben  selbstverständlich 
nach  Belieben  die  mannigfachsten  Figuren  und  Muster  zeichnen, 
ganz  wie  dies  die  Zuckerbäcker  beim  Verzieren  (Beeisen) 
ihrer  Torten  thun. 

Wendet  man  den  austretenden^Faden  jedoch  im  Stadium  II 
an,  d.  h.  wenn  er  einen  kreisförmigen  Wirbel  beschreibt,  und 
führt  den  Trichter  während  des  Ausfliessens  langsam  seitwärts, 
so  erhält  man  zuerst  eine  Kette  aus  kreisförmigen  Schlingen 
und  bei  rascherer  Bewegung  eine  solche  aus  halbkreisförmigen 
Bogenstücken  zusammengesetzt. 

Versetzt  man  das  Ende  des  Fadens  in  das  Stadium  III 
(pendelnde  Bewegung)  und  führt  den  Trichter  dabei  zugleich 
seitlich,  so  erhält  man  eine  äusserst  regelmässige  und  zierliche 
Wellenlinie  mit  engeren  oder  weiteren  Windungen,  je  nachdem 
die  seitliche  Bewegung  eine  langsamere  oder  raschere  ist. 

Mit  einem  und  demselben  Trichter  lassen  sich 
daher  unter  sonst  ganz  gleichen  Umständen  die  man- 
nigfachsten Muster  erzeugen,  je  nachdem  man  den 
Trichter  tiefer  oder  höher  hält,  langsamer  oder 
schneller  bewegt. 

Fast  alle  die  auf  solchem  Wege  erzeugten  Muster  finden 
aber  ihre  genauen  Analoga  in  gewissen  Hieroglyphen  (Grapho- 
glypten). 

Bei  den  vorhergehenden  Versuchen  wurde  angenommen, 
dass  der  abrinnende  Stärkefaden  auf  ein  sehr  stark  saugendes 
Fliesspapier  fiel.  Saugt  das  Fliesspapier  nicht  stark  genug,  so 


Hieroglyphen.  425 

erfolgt  sofort  nach  dem  Auffallen  des  Fadens  eine  eigenthüm- 
liche  Contraction,  durch  welche  die  Form  desselben  dermassen 
modificirt  wird,  dass  die  niedergefallene  Bordüre  nicht  mehr 
aus  wellenförmig  geschwungenen,  sondern  aus  gerad- 
linigen, eckigen,  ja  aus  dornigen  Elementen  zusammen- 
gesetzt erscheint. 

Auf  diese  Weise  entstehen  die  zierlichsten  und  regel- 
mässigsten  Zick-Zack-Linien,  welche  in  allen  Details  mit  den 
bekannten,  von  Heer  als  Cylindrites  zick-zack  beschriebenen 
Hieroglyphen  übereinstimmen. 

In  anderen  Fällen  erhält  man  eckig-domige  Bordüren, 
welche  vollkommen  den  sogenannten  Palaeomaeandron -Arten 
gleichen. 

Schliessen  sich  zufällig  mehrere  Zick-Zack-Linien  anein- 
ander, so  erhält  man  eine  Reihe  von  polygonalen  Zellen,  ein 
vollkommenes  Palaeodiciyum. 

Verfertigt  man  sich  ein  Gefäss,  aus  welchem  in  bestimmten 
Entfernungen  mehrere  Fäden  gleichzeitig  austreten,  so 
erhält  man  die  zierlichsten  Palaeodictynrn-KoLnder. 

Lässt  man  die  vorerwähnten  Bordüren  auf  eine  Unterlage 
fallen,  welche  gar  nicht  saugt,  so  ist  die  Contraction  der  Masse 
eine  noch  kräftigere,  und  der  niedergefallene  zierliche  Faden 
verwandelt  sich  im  Nu  in  eine  Reihe  einzelner  Tropfen. 

Auch  solche  Tropfenreihen  finden  sich  unter  den 
>Graphoglypten«  nicht  selten. 

Es  ist  hier  noch  ausdrücklich  hervorzuheben,  dass  die 
vorbeschriebenen  Bewegungen  deis  ausrinnenden  Fadens  nicht 
etwa  durch  eine  unwillkürlich  zitternde  Bewegung  der  Hand 
her\'orgerufen  werden,  sondern  in  genau  derselben  Weise  auf- 
treten, wenn  man  den  Trichter  auf  einem  Gestelle  flxirt. 

Wenn  man  in  einem  solchen  Falle  Streifen  stark  saugenden 
Fliesspapiers  mit  wechselnder  Geschwindigkeit  in  verschie- 
denen Distanzen  von  der  Ausflussöffnung  unter  dem  abrinnenden 
Faden  durchführt,  erhält  man  alle  die  vorerwähnten  Bordüren 
in  regelmässigster  und  zierlichster  Form,  ja  man  hat  damit 
zugleich  ein  Mittel  an  der  Hand,  die  Beschaffenheit  und  Structur 
des  abrinnenden  Fadens  in  seinen  verschiedene;!  Stadien  auf 
das  Genaueste  zu  analysiren. 


426  Th.  Fuchs, 

Eine  Reihe  anderer  Erscheinungen  zeigt  sich,  wenn  man 
den  Stärkefaden  nicht  auf  eine  feste  Unterlage,  sondern  in  eine 
dünne  Leim-  oder  Gummilösung  rinnen  lässt. 

Erzeugt  man  auf  diese  Weise  im  Stadium  I  einen  einfachen 
Faden,  so  sinkt  derselbe  in  der  Gummiauflösung  unter,  indem 
sich  während  des  Sinkens  an  seiner  oberen  Seite  ein  scharfer 
Kiel  bildet. 

Auf  dem  Boden  angelangt,  flacht  der  Faden  sich  etwas 
bandförmig  ab,  während  der  vorerwähnte  Kiel  sich  zu  einem 
scharf  ausgeprägten  axialen  Strang  umbildet. 

Wendet  man  das  Stadium  II  des  ausrinnenden  Fadens  an 
und  bewegt  den  Trichter  hiebei  langsam  vorwärts,  so  legen 
sich  die  einzelnen  Ringe  in  ähnlicher  Weise  dachziegelförmig 
übereinander  wie  dicht  aufeinander  fallende  Tropfen,  und  es 
entstehen  auch  ganz  ähnliche  Körper  wie  in  diesem  Falle,  d.  h. 
wurmförmige  Körper  mit  sehr  schmalen  Ringen,  welche  seitlich 
in  fadenförmige  Fortsätze  ausgehen. 

In  der  Mitte  entwickelt  sich  auch  in  diesem  Falle  ein 
axialer  Strang. 

Lässt  man  den  Faden  im  Stadium  III  ausfliessen  und 
bewegt  die  Röhre  so  langsam  vorwärts,  dass  die  entstehenden 
Schlingen  sich  berühren,  so  entsteht  ein  Körper,  der  vollständig 
mit  gewissen  Phyllochorda-  oder  Nereites-Arien  übereinstimmt. 

Es  entsteht  nämlich  auch  in  diesem  Falle  ein  axialer 
Strang,  zu  dessen  beiden  Seiten  die  Schlingen  äusserst  zierliche, 
zweizeilig  geordnete  Blättchen  bilden. 

Die  so  gebildeten  Körper  haben  auf  den  ersten  Blick  sehr 
viel  Ähnlichkeit  mit  jenen,  welche  durch  aneinandergereihte 
Tropfen  gebildet  werden.  Während  aber  in  letzterem  Falle  die 
Blättchen  genau  gegenständig  sind  und  einen  flachen  Rand 
besitzen,  zeigen  in  dem  vorliegenden  Falle  die  Blättchen  eine 
wechselständige  Anordnung  und  einen  wulstig  ver- 
dickten Rand. 

Der  sogenannte  Nereites  Cambriensis  Sedgw.  zeigt  genau 
diese  Charaktere,  und  es  ist  mir  gelungen,  Körper  herzustellen, 
welche  morphologisch  in  allen  Punkten  auf  das  Genaueste  mit 
diesem  Fossile  übereinstimmen. 


Hieroglyphen.  427 

Hebt  man  die  Röhre  noch  etwas  höher,  bis  die  pendelnde 
Bewegung  des  Fadenendes  zugleich  eine  unregelmässig  wir- 
belnde wird,  und  bewegt  die  Röhre  nur  sehr  langsam  vorwärts, 
so  dass  sie  gewissermassen  einige  Zeit  über  einem  Punkt 
stehen  bleibt,  so  erhält  man  eigenthümliche  breite  Bänder, 
welche  aus  einem  dichten  Gewirre  von  feinen  Fadenschlingen 
zusammengesetzt  erscheinen. 

Ein  solcher  Körper  gleicht  äusserlich  ausserordentlich 
gewissen  Siphoneen,  namentlich  der  Gattung  Codium. 

Ganz  ähnliche  Structurformen  finden  sich  auch  bei  manchen 
sogenannten  »Fucoiden«  des  Flysches. 

Eine  eigenthümliche  Zwischenstellung  zwischen  Tropfen 
und  continuirlich  ausrinnendem  Faden  kann  man  dadurch 
erzielen,  dass  man  den  Faden  zwar  continuirlich  ausfliessen 
lässt,  jedoch  von  Zeit  zu  Zeit  länger  an  einem  Punkte  ver- 
weilt. 

Auf  diesem  Wege  ist  man  im  Stande,  mit  einer  engen 
Ausflussöffhung  dicke  und  voluminöse  wurmförmige  Körper 
zu  erzeugen. 

In  einigen  Fällen  erhielt  ich  auf  diese  Weise  wurmförmige 
Körper,  deren  einzelne  Glieder  dütenförmig  in  einander  zu 
stecken  schienen,  ähnlich  wie  dies  bei  der  sogenannten  Dictyota 
spiralis  Ludw.  der  Fall  ist. 

Füllt  man  ein  Gefäss  4 — 5  cm  hoch  mit  einer  etwas 
dickeren  Gummilösung  und  lässt  auf  die  Oberfläche  derselben 
einen  A^^m/^5- förmigen  Körper  fallen,  so  lässt  sich  Folgendes 
beobachten: 

Der  wurmförmige  Körper  beginnt  zu  sinken;  während  er 
aber  niedersinkt,  hinterlässt  er  auf  dem  Wege,  welchen  er 
passirt,  etwas  von  seiner  Substanz  in  Form  eines  dünnen 
Häutchens  oder  Schleiers. 

Ist  der  A^^m/^5- förmige  Körper  am  Boden  zur  Ruhe  ge- 
langt, so  sieht  man  auf  der  Oberfläche  der  Gummilösung  noch 
ganz  deutlich  die  Spur  des  »Nereiten«,  am  Boden  liegt  der 
»Nereit«  selbst  in  genau  derselben  Lage,  welche  die  Spur 
an  der  Oberfläche  zeigt,  und  zwischen  beiden  ist  ein  feines 
Häutchen  ausgespannt,  welches,  von  der  oberen  Spur  aus- 
gehend, die  Gummilösung  senkrecht  durchsetzt  und  sich  unten 


428  Th.  Fuchs, 

mit  dem  axialen  Strange  des  am  Boden  liegenden  »Nereiten« 
verbindet. 

Kurz,  wir  haben  einen  Körper  vor  uns,  welcher  alle 
wesentlichen  Eigenschaften  einer  Diciyodora  aufweist 

Man  kann  den  ursprünglichen  »Nemertiliten«  auf  der 
Oberfläche  der  Gummilösung  natürlich  so  anlegen,  dass  seine 
Windungen  sich  nach  Belieben  mehrfach  schneiden,  und 
scheinen  sich  dann  selbstverständlich  auch  die  beim  Nieder- 
sinken entstehenden  Schleier  gegenseitig  zu  durchdringen. 

Würde  eine  solche  Gummilösung  erstarren,  so  würde  man 
an  ihrer  Oberfläche  eine  scheinbare  Wurmspur  sehen.  Würde 
man  die  Masse  aber  schichtenweise  abtragen,  so  würde  man 
immer  wieder  dieselbe  Spur  finden,  bis  man  in  einer  gewissen 
Tiefe  auf  den  wurmförmigen  Körper  selbst  stösst,  der  genau 
dieselbe  Lage  hat  wie  die  Spur  an  der  Oberfläche. 

Bewegt  man  die  Röhre,  während  der  Faden  abrinnt, 
rascher  seitlich,  so  lösen  sich  die  Schlingen  in  enge  oder  weite 
Wellenlinien  auf,  und  man  kann  auf  diese  Weise  in  endloser 
Mannigfaltigkeit  die  zierlichsten  Bordüren  erzeugen. 

Nimmt  man  ein  Gefass  mit  mehreren  Löchern,  aus  denen 
gleichzeitig  mehrere  Fäden  ausrinnen,  so  kann  man  die 
zierlichsten  Spitzenmuster  erzeugen. 

Eckige  oder  aus  geradlinigen  Elementen  zusammengesetzte 
Muster  erhält  man  jedoch  auf  diese  Weise  nicht,  da  in  der 
Gummilösung  keine  Contraction  des  Fadens  stattfinden  kann. 

Nimmt  man  eine  dünnere  Stärkelösung  und  lässt  dieselbe 
tropfenweise  in  eine  dünne  Gummilösung  fallen,  in  der  Weise, 
dass  man  den  Punkt  des  Einfallens  langsam  verschiebt,  so 
erhält  man  Bildungen,  welche  vollständig  mit  dem  Zoophycus 
pedemontanus  Sacco^  oder  auch  dem  Hydrancyclus  Oosteri 
F.  Ooster  übereinstimmen. 


Es  ist  wohl  einleuchtend,  dass  durch  die  erwähnten  ein- 
fachen Mittel  eine  geradezu  endlose  Mannigfaltigkeit  ver- 
schiedenartiger Zeichnungen  und  körperlicher  Bildungen  erzeugt 
werden  kann. 


1  Atti  Soc.  ital.  Sc.  nat.,  XXXI,  1888,  Tav.  I. 


Hieroglyphen.  429 

Wie  bereits  erwähnt,  kann  man  unter  sonst  vollständig 
gleichen  Verhältnissen  eine  fast  unbegrenzte  Menge  verschie- 
denartiger Zeichnungen  hervorrufen,  einfach  dadurch,  dass  man 
die  Röhre  höher  oder  tiefer  hält,  langsamer  oder  rascher,  conti- 
nuirlich  oder  ruckweise  bewegt. 

Eine  weitere  Quelle  der  Abänderungen  ergibt  sich  aus 
der  verschiedenen  Qualität  und  Consistenz  der  angewendeten 
Materialien,  sowie  aus  der  Verschiedenheit  des  Mediums,  in 
welchem  die  Versuche  ausgeführt  werden. 

Bei  alledem  lassen  sich  aber  gewisse  Charakterzüge  er- 
kennen, welche,  in  verschiedener  Weise  combinirt,  in  allen 
diesenBildungen  wiederkehren  und  ihnen  eine  gewisse  Familien- 
ähnlichkeit aufdrücken,  so  zwar,  dass  man  bei  all  der  unend- 
lichen Mannigfaltigkeit  im  Detail  doch  wieder  eine  Reihe  von 
Grundtypen  erkennen  kann,  welche  durch  gemeinsame  Charak- 
tere gewissermassen  zu  einer  systematischen  Einheit  ver- 
bunden sind. 

Genau  dieselbe  Erscheinung  bieten  uns  aber  bekanntlich 
auch  die  Hieroglyphen. 

Es  ist  hiebei  ein  sehr  bemerkenswerther  Umstand,  dass 
Hieroglyphen,  welche  auf  ganz  verschiedene  Weise  gebildet 
werden,  sich  äusserlich  sehr  ähnlich  sehen  können,  während  um- 
gekehrt durch  ganz  dieselben  Mittel  mitunter  Bildungen  erzeugt 
werden,  welche  sich  so  unähnlich  sind,  dass  niemand  ahnen 
würde,  dass  sie  durch  dieselben  Mittel  hervorgebracht  wurden. 

Ein  durch  Blasen  entstandener  Nemertilites  oder  Bilobites, 
sowie  manche  durch  Tropfen  oder  Rinnen  von  Stärke  erzeugten 
wurmartigen  Körper  sehen  sich  auf  den  ersten  Blick  sehr 
ähnlich,  und  doch  sind  es  himmelweit  verschiedene  Dinge,  die 
auf  ganz  verschiedenen  Wegen  und  durch  ganz  verschiedene 
Mittel  entstanden. 

Vergleicht  man  anderseits  einen  mit  Hilfe  rinnender  Stärke 
entstandenen,  zierlich  gegliederten  Nereites  Cambriensis  mit 
einem  geraden  oder  wellenförmig  geschlungenen  Faden  oder 
mit  einer  Reihe  an  einer  Schnur  befestigten  Eiern,  oder  aber 
mit  einer  künstlichen  Dictyodora,  so  sind  dies  scheinbar  gänz- 
lich verschiedene  Dinge,  und  von  vornherein  könnte  gewiss 
Niemand    auf   den    Gedanken    kommen,    dass   alle    diese    so 


430  Th.  Fuchs, 

verschiedenen  Gebilde  durch  genau  dieselben  Mittel  und  durch 
ein  ganz  ähnliches  Verfahren  entstanden  sind. 

Wenn  wir  nun  annehmen  wollen,  dass  die  in  der  Natur 
vorkommenden  »Hieroglyphen«  wirklich  auf  dieselbe  oder  ähn- 
liche Weise  entstanden  sind,  wie  die  künstlichen  Nachbildungen, 
so  drängt  sich  naturgemäss  die  Frage  auf,  an  was  für  Vorgänge 
wir  hiebei  zu  denken"  haben. 

Dass  die  Vorgänge  der  anorganischen  Natur  nicht  aus- 
reichen, um  derartige  Bildungen  hervorzubringen,  ist  wohl  auf 
den  ersten  Blick  einleuchtend. 

Durch  Blasen  des  Windes,  durch  einfach  strömendes 
Wasser,  durch  den  Regen,  durch  die  Wirkungen  des  Druckes 
oder  durch  andere  derartige  Vorgänge  können  solche  Bildungen 
unmöglich  entstehen. 

Es  scheint  mir  unerlässlich,  dass  Thiere  hiebei  im  Spiele 
waren,  welche  gewissermassen  die  Stelle  des  Menschen  vertraten. 

Cephalopoden  schwimmen  bekanntlich  mit  dem  Trichter 
nach  unten  gekehrt  und  stossen  aus  demselben  in  rhythmischer 
Folge  kräftig  einen  Wasserstrahl  aus. 

Schwimmen  dieselben  nun  nahe  am  Boden  hin,  so  ist  es 
leicht  denkbar,  dass  der  austretende  Strom  eine  bestimmte 
Zeichnung  auf  dem  Boden  erzeugt. 

Dasselbe  kann  auch  durch  den  Wasserstrom  entstehen, 
der  beim  Athmen  der  Fische  beiderseits  aus  den  Kiemen  tritt 
und  würden  auf  diesem  Wege  zweizeilige  Furchen  entstehen 
müssen.  Es  wäre  denkbar,  dass  z.  B.  Nemertilites  Strozzi  auf 
diese  Weise  gebildet  wird. 

Männliche  Fische  spritzen  das  Sperma  kräftig  aus,  und 
zwar  mitunter  vor  der  Eierablage  der  Weibchen. 

Schwimmende  Salpen  oder  Salpenketten  stossen  ebenfalls 
in  rhythmischer  Folge  Wasser  aus. 

Viele  Gasteropoden  legen  ihre  Eier  bekanntlich  in  gallertigen 
Schnüren  und  Bändern  ab.  Die  Prosobranchier  halten  hiebei 
ihre  Legeröhren  in  die  Höhe  und  lassen  die  Laichschnur  von 
oben  auf  den  Boden  fallen. 

Es  ist  dies  ein  Vorgang,  der  vollständig  den  Versuchen 
entspricht,  welche  mit  dem  Rinnen  einer  zähflüssigen  Masse 
gemacht  wurden. 


Hieroglyphen.  43 1 

Thatsächlich  ist  auch  die  Übereinstimmung,  welche  ge- 
wisse Schneckenlaiche  mit  vielen  »Hieroglyphen«  zeigen,  eine 
ganz  ausserordentliche. 

Bereits  Ehlers  hat  vor  längerer  Zeit  auf  diesen  Umstand 
aufmerksam  gemacht,  indem  er  namentlich  darauf  hinwies, 
dass  viele  bandförmige,  gegliederte,  annelidenartige  Hiero- 
glyphen sehr  grosse  Ähnlichkeit  mit  den  Kapselschnüren 
mancher  Prosobranchier  zeigen. 

Ich  habe  neuerer  Zeit  diesen  Punkt  eingehender  behandelt 
und  namentlich  darauf  hingewiesen,  dass  die  von  mir  so 
genannten  »Graphoglypten«  in  ganz  auffallender  Weise  die 
Laichformen  der  Nudibranchier  wiederholen. 

Als  Ehlers  gewisse  Hieroglyphen  mit  Schneckenlaich 
verglich,  hatte  er  die  Nereites-  und  Phyllochorda- artigen  Bil- 
dungen vor  Augen  und  hob  deren  Ähnlichkeit  mit  den  Kapsel- 
schnüren mancher  Prosobranchier  hervor. 

NereiteS'  und  Phyllochoräa-avilge  Bildungen  werden  aber 
künstlich  dadurch  erzeugt,  dass  man  den  schleimigen  Faden 
aus  einer  gewissen  Höhe  herabrinnen  lässt,  und  es  stimmt  mit 
dieser  Thatsache  vollkommen  überein,  dass  auch  die  Proso- 
branchier ihren  Laich  aus  der  Spitze  der  ausgestreckten  Lege- 
röhre, mithin  aus  einer  gewissen  Höhe  herabfallen  lassen. 

Die  Nudibranchier,  welche  keine  Legeröhre  (Athemröhre) 
besitzen,  erzeugen  zumeist  nur  einfache  glatte  Schnüre  und 
Bänder,  wie  man  sie  künstlich  nachmachen  kann,  wenn  man 
die  Ausflussöffnung  unmittelbar  an  die  Unterlage  anhält. 

Es  muss  hier  noch  darauf  hingewiesen  werden,  dass 
auch  viele  Fische  ihren  Laich  in  schleimigen  Schnüren  und 
Bändern  oder  in  mannigfach  gestalteten  Hornkapseln  ablegen 
und  manche  der  Hieroglyphen  daher  möglicherweise  auch 
Fischlaich  sein  können. 

Die  Fossilien,  welche  unter  dem  Namen  Spiranginm  be- 
schrieben wurden,  und  welche  im  Grunde  auch  zu  den  »Hiero- 
glyphen« gestellt  werden  können,  haben  sich,  wie  bekannt,  als 
Eierkapseln  von  Knorpelfischen  erwiesen. 

Die  von  Schnecken  gelegten  Laiche  haben  die  Eigenschaft, 
unmittelbar  nachdem  sie  gelegt  wurden,  durch  Aufnahme  von 
Wasser  ausserordentlich  anzuschwellen,  so  zwar,  dass  manche 


432  Th.  Fuchs,  Hieroglyphen. 

Laichhaufen  oder  Laichschnüre  ihrem  Volumen  nach  die  ganze 
Schnecke  sammt  ihrem  Gehäuse  vielfach  übertreffen,  und  man 
es  anfangs  in  vielen  Fäulen  gar  nicht  verstehen  konnte,  wie  ein 
so  grosser  Laichhaufen  von  einem  so  kleinen  Thiere  erzeugt 
sein  konnte. 

Diese  Eigenthümlichkeit  scheint  mir  in  Bezug  auf  die 
Dicfyodora-Frsige  von  Wichtigkeit  zu  sein. 

Ich  habe  vorhin  gezeigt,  dass  ein  in  einem  weichen  Medium 
niedersinkender  wurmartiger  Körper  eine  Bildung  hervorruft, 
welche  in  allen  wesentlichen  Punkten  vollkommen  einer  Dictyo- 
dora  gleicht. 

Immerhin  blieb  dabei  jedoch  noch  eine  Verschiedenheit 
übrig. 

Bei  dem  im  Vorhergehenden  beschriebenen  Experimente 
hat  die  an  der  Oberfläche  zurückgebliebene  Spur  und  der  am 
Boden  liegende  wurmförmige  Körper  genau  dieselbe  Form  und 
Grösse,  und  die  dazwischen  ausgespannte  Haut  durchsetzt  das 
Medium  senkrecht. 

Bei  der  Didyodora  jedoch  ist  die  obere  Spur  zwar  dem 
in  der  Tiefe  liegenden  wurmartigen  Körper  der  Gestalt  nach 
ähnlich,  aber  sie  ist  um  vieles  kleiner,  und  die  Spreite,  welche 
diese  beiden  Bildungen  verbindet,  geht  daher  nicht  senkrecht 
durch  das  Gestein,  sondern  bildet  eine  mehr  weniger  steile 
Kegelfläche. 

Stellt  man  sich  nun  aber  vor,  dass  die  von  der  Schnecke 
ursprünglich  gelegte  kleine  Laichschnur  während  des  Ver- 
Sinkens  anschwoll  und  sich  ausdehnte,  so  haben  wir  eine  voll- 
ständige Erklärung  auch  für  diese  sonderbare  Eigenschaft  von 
Didyodora,  welche  sich  künstlich  allerdings  wohl  kaum  nach- 
machen lassen  wird. 

Bei  manchen  Fischen  (Amphioxus)  pflegt  das  Männchen 
zuerst  seinen  Samen  in  eine  Furche  auf  dem  Boden  zu  spritzen, 
und  das  Weibchen  legt  erst  hinterher  seinen  Laich  in  diese 
Furche.  Durch  derartige  Vorgänge  könnten  eventuell  auch 
complicirte  Bildungen  entstehen. 


433 


XVI.  SITZUNG  VOM  18.  JUNI  1896. 


Erschienen:   Sitzungsberichte,  Bd.  105,   Abth.  II.  b,  Heft  III— IV   (März 
bis  April  1896). 

Der  Secretär  legt  Dankschreiben  für  bewilligte  Sub- 
ventionen von  den  Herren  Prof.  Dr.  E.  Heinricher  in  Innsbruck, 
Prof.  S.  L.  Schenk  und  Adjuncten  J.  Liznar  in  Wien  vor. 

Ferner  legt  der  Secretär  eine  Abhandlung  von  Prof.  Dr. 
J.  Blaas  in  Innsbruck:  Ȇber  die  Lage  der  Schnittlinie 
von  Terrainflächen  und  geologischen  Ebenen«  vor. 

Das  c.  M.  Prof.  Franz  Exner  übersendet  zwei  für  die 
Sitzungsberichte  bestimmte  Arbeiten: 

1.  Ȇber  die  ultravioletten  Funkenspectra  der  Ele- 
mente«, III.  Mittheilung  von  F.  Exner  und  E.  Haschek. 

2.  »Über  die  Abhängigkeitder  Polarisation  der  Platin- 
elektroden von  der  Temperatur«  von  F.  Erben. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Director  A.  Ritter  K ern er  v.  Mari- 
lau n  überreicht  eine  Abhandlung  von  Prof.  Dr.  Julius  Steiner 
in  Wien,  betitelt:  »Beitrag  zur  Flechten-Flora  Süd- 
persiens«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  L.  Boltzmann  überreicht  eine  Ab- 
handlung von  Dr.  Hans  Benndorf  in  Wien,  betitelt:  »Weiter- 
führung der  Annäherungsrechnung  in  der  Maxwell- 
schen  Theorie  der  Gase«. 


434 


Selbständige  Werke  oder  neue,  der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

Reutter  Enzio.  Über  die  Palpen  der  Rhopaloceren. 
Ein  Beitrag  zur  Kenntniss  der  verwandtschaftlichen  Be- 
ziehungen unter  den  Tagfaltern.  (Mit  6  Tafeln.)  (Acta 
Societatis  Scientiarium  Fennicae.  Tom.  XX,  Nr.  1.) 
Helsingfors,  1896;  4^ 

Societe  des  Sciences  Naturelles  de  TOuest  de  la 
France.  Bulletin.  Tome  5,  I.  Nantes,  1895;  8^. 


Preisaufgabe 

für  den  von  A.  Freiherm  v.  Baumgartner  gestifteten 

Preis. 

(Ausgeschrieben  am  3.  Juni  1 896.) 

Die  mathem.-naturw.  Classe  der  kaiserlichen  Akademie 
der  Wissenschaften  hat  in  ihrer  ausserordentlichen  Sitzung 
vom  1.  Juni  1896  beschlossen,  für  den  A.  Freiherr  von  Baum- 
gartner*schen  Preis  folgende  neue  Aufgabe  zu  stellen: 

»Ausdehnung  unserer  Kenntnisse  über  das  Ver- 
halten der  äussersten  ultravioletten  Strahlung.« 

Der  Einsendungstermin  der  Concurrenzschriften  ist  der 
31.  December  1898;  die  Zuerkennung  des  Preises  von  1000  ü. 
ö.  W.  findet  eventuell  in  der  feierlichen  Sitzung  des  Jahres 
1899  statt. 

Zur  Verständigung  der  Preisbewerber  folgen  hier  die  auf 
Preisschriften  sich  beziehenden  Paragraphe  der  Geschäftsordnung 
der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften: 

»§.  57.  Die  um  einen  Preis  werbenden  Abhandlungen  dürfen 
den  Namen  des  Verfassers  nicht  enthalten,  und  sind,  wie  allge- 
mein üblich,  mit  einem  Motto  zu  versehen.  Jeder  Abhandlung  hat 
ein  versiegelter,  mit  demselben  Motto  versehener  Zettel  beizu- 
liegen,  der  den  Namen  des  Verfassers  enthält.  Die  Abhandlungen 
dürfen  nicht  von  der  Hand  des  Verfassers  geschrieben  sein.« 


435 


»In  der  feierlichen  Sitzung  eröffnet  der  Präsident  den  ver- 
siegelten Zettel  jener  Abhandlung,  welcher  der  Preis  zuerkannt 
wurde,  und  verkündet  den  Namen  des  Verfassers.  Die  übrigen 
Zettel  werden  uneröffhet  verbrannt,  die  Abhandlungen  aber  auf- 
bewahrt, bis  sie  mit  Berufung  auf  das  Motto  zurückverlangt 
werden.« 

»§.59.  Jede  gekrönte  Preisschrift  bleibt  Eigenthum  ihres 
Verfassers.  Wünscht  es  derselbe,  so  wird  die  Schrift  durch  die 
Akademie  als  selbständiges  Werk  veröffentlicht  und  geht  in  das 
Eigenthum  derselben  über. .  .« 

»§.  60.  Die  wirklichen  Mitglieder  der  Akademie  dürfen  an 
der  Bewerbung  um  diese  Preise  nicht  Theil  nehmen.« 

Ȥ.  6  I.Abhandlungen,  welche  den  Preis  nicht  erhalten  haben, 
der  Veröffentlichung  aber  würdig  sind,  können  auf  den  Wunsch 
des  Verfassers  von  der  Akademie  veröffentlicht  werden.« 


Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Gl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  29 


436 


Beitrag*  zur  Fleehtenflora  Südpersiens 


Prof.  Dr.  J.  Steiner. 

Den  grösseren  Theil  des  Flechtenmateriales,  welches 
Dr.  Stapf  auf  seiner  Reise  in  Persien  in  den  Jahren  1885  und 
1886  sammelte,  hat  Prof.  Dr.  J.  Müller  Arg.,  dessen  Ableben 
während  des  reichsten  Schaffens  für  die  Lichenologie  einen 
sehr  schweren  Verlust  bedeutet,  in  Hedwigia  1892  bearbeitet. 
Ein  kleiner  Theil  davon,  durchaus  in  der  Umgebung  von 
Buschir  selbst  gesammelt,  befindet  sich  im  k.  k.  Universitäts- 
herbar zu  Wien  und  bildet  die  Gamdlage  für  die  nachfolgende 
Aufzählung. 

Alle  hier  angeführten  Arten  besiedeln  theils  festeren,  theils 
leicht  zerreiblichen  und  fast  erdigen  Nummulitenkalk. 

1.  Psorotichia  lugubris  Krb.  Par.  p.  436  —  Mass.  Mise.  p.  10 
sub  Stenhammara. 

Var.  Btischirensis  n.  var. 

Thallus  tenuis,  granulosus,  nigricans  formatur  coenobiis 
gonidiorum  hyphis  irretitis,  iis  Psorot.  lugubris  omnino  simi- 
lantibus  et  supra  hypothallum  longum  et  densum,  endolithicum 
dispersis.  Apothecia  nigra  magnitudine  et  structura  interna 
cumiisspecieicongruunt,  sed  margine  lecideino  leviterporrecto, 
a  thallo  nunquam  vestito,  instructa  nee  umquam  immersa  sunt 

Benetzt  erinnert  die  Flechte  der  Apothecien  wegen  stark 
an  Plac.  tremniacum.  Die  Gonidiengruppen  sind  dieselben  wie 
bei  Ps.  lugubris,  doch  scheinen  sie  sich  hier  nicht  zu  ver- 
grössern  und  nie  krustenartig  zu  verwachsen. 

Nur  ein  Exemplar,  aber  mit  gut  entwickelten  Apothecien. 


Flechtenflora  Südpersiens.  437 

2.  Psorotichia  frustulosa  Anzi.  Long.  n.  388. 

Die  Apothecien  stimmen  in  ihrem  äusseren  und  inneren 
Bau  mit  Anzi  n.  388  überein;  der  Thallus  dagegen  ist  zwar 
ebenso  körnig,  die  Körner  aber  nicht  zerstreut,  sondern  inselartig 
zusammengedrängt.  Ich  glaube  aber,  dass  der  Grund  dieser 
Wachsthumsart  nur  darin  liegt,  dass  die  Flechte  hier  in  Lücken 
zwischen  Verr.nigrescens  und  auf  Sarcopyne prutnosa  wächst. 

3.  Anema  nummularia  Nyl.    Flora  1879,  p.  354.  —  Du  f.  in 
Herb.  Th.  Fr.  sub  Collema. 

Rara  et  sterilis  p.  p.  supra  thallum  Verr.  nigrescentis. 

4.  Heppia  lobulata  Müll.  Arg.  Hedw.  1892,  p.  152. 

Areolae  thalli  omnino  cum  descriptiore,  a  cl.  Dr.  Müller 
1.  c.  data,  congruunt,  madefactae  obscurius  v.  dilutius  olivascunt, 
sed  etiam  fuscescentes,  vel  pro  parte  fuscescentes  immixtae 
sunt. 

Apothecia  solitaria  primum  immersa  dein  thallum  aequan- 
tia,  diam.  ad  0-4  mm  v.  minora,  disco  eodem  modo  ac  areola 
convexo,  minime  marginato,  sicco  thallo  concolore  et  vix  cer- 
nendo,  madefacto  obscure  rufo.  Asci  late  lanceolati  70 — 80|xlg. 
20-24 [JL  lt.  superiore  parte  incrassati.  Sporae  incolores  simplices, 
ellipticae  ad  lOOinasco,  4— 5  |x  lg.,  2—3 (xlt.Paraphyses  filiformes, 
partim  conglutinatae  partim  magis  liberae,  crassiores  etseptatae. 
Epithecium  luteo  v.  rufo-fuscescens.  J  ope  hymenium  aurantiace 
lutescit  V.  sanguineo  rubet,  praesertim  pars  incrassata  ascorum. 
Pycnides  immersae.  Sterigmata  tenuia,  simplicia.  Pycnoconidia 
parva,  recta,  elongato-oblonga  2  v.  vix  3  |x  lg.,  0*5  »Ji  lt. 

Am  Rande  und  auf  der  Unterseite  eines  Kalkstückes.  Eine 
schöne  Art,  welche  ebensosehr  durch  die  anfangs  runden  und 
leicht  gewölbten,  fast  einem  biatorinen  Apothecium  ähnlichen, 
später  vom  Rand  her  lappig-tuberculös  sich  differenzirenden 
Areolen,  als  durch  die  F'orm  der  Apothecien  gekennzeichnet  ist. 
Die  theilweise  Braunfärbung  der  Areolen  weist  sicher  nicht  auf 
Heppia  hepaticella  Müll.  1.  c.  hin,  sondern  scheint  mir  erst 
nachträglich  beim  Liegen  im  Kasten  erworben  zu  sein.  Sie 
zeigt  sich  da,  wo  die  sonst  sattblaugrüne  Farbe  des  Gonidien- 

29* 


438  J.  Steiner, 

Inhaltes  verschwunden  ist,  welche  in  normalem  Zustande  mit 
dem  Gelbbraun  der  Häute  der  Rindengonidien  die  dunkle  Misch- 
farbe erzeugt. 

Caloplaca  (Sect  Amphiloma)  aurantia  —  Pers.  in  Ust.  Ann.  d. 
Bot.  Stück  1 1  (neue  Ann.  St  5)  p.  14  sub  Lichene. 

Synon.:  sympagea  Ach.  Prodr.  p.  105  sub  Lichene,  Univ. 
p.  437  sub  Lecanora.  Comp.  Müll.  Arg.  Hedwigia  1892. 

Thallus  und  Apothecien  sehr  schön  und  reich,  Sporen  da- 
gegen nur  selten  entwickelt.  An  einigen  Stellen  der  var.  cdl- 
lopisma  Ach.  Univ.  p.  437  (sub  Lecanora)  nahekommend. 
Dr.  Stapf  schrieb  der  Fundortsangabe  in  einem  Falle  bei: 
»Gemeinste  Flechte,  allenthalben  auf  den  freiliegenden  Feld- 
steinen, anstehenden  Felsen,  den  Grabsteinen  der  mohammeda- 
nischen Friedhöfe  aus  dem  13.  Jahrhundert  u.  s.  w.« 

5.  Caloplaca  pyracea  Th.  Fr.  Arct.  p.  120  —  Ach.  Meth.  p.  176 

sub  Parm.  cerina  C. 

Var.:  pyrithroma  Ach.  Univ.  p.  206. 

Reichlich  vorhanden,  sowohl  auf  dem  Kalke,  als  auch 
auf  verschiedenen  Flechtenlagern,  besonders  auf  Verrucaria 
Btischirensis  m.  Äusserlich  sehr  schön  entwickelt,  aber  meist 
spornlos. 

6.  Caloplaca   (Sect.    Pyrenodesmia)  variabilis   Th.   Fr.   Gen. 

heterol.  p.  71  —  Pers.  in  Ust.  Ann.  d.  Bot.  1794,  p.  26. 

Var.  Candida  Stitz.  Lieh.  Afric.  (Separ.)  p.  101. 

Auf  mehreren  Stücken  in  grösseren  und  kleineren  Inseln; 
öfter  mit  Diplot.  venustum  so  zusammengewachsen,  dass  eine 
Grenze  zwischen  den  beiderseitigen  Areolen  nur  durch  das 
Vorhandensein  der  Apothecien,  den  reichlich  nachrückenden 
Pycniden  der  Caloplaca  und  der  etwas  grösseren  Glätte  ihrer 
Rindenschichte  gegeben  scheint  (ob  der  innere  Vorgang  der 
Lagerentwicklung  dem  bei  Lecan.  atriseda  nach  Malmen  und 
der  Protrophie  nach  Minks  entspricht,  wurde  bisher  nicht  fest- 
gestellt). Ebenso  auf  einem  anderen  Kalkstücke  mit  Lecan. 
calcarea  var.  concreta  Schär.  Die  Areolen  der  Caloplaca  sind 
hier  auffallend  dick,  lösen  sich  leicht  los  und  an  den  Stellen, 


Flechtenflora  Südpersicns.  439 

WO  sie  ausgefallen,  wächst  ihrThallus  in  normaler  Dicke  nach, 
Caloplaca  articulaia  Bagl.  Enum.  Lig.  sub  Rinodina  unter- 
scheidet sich  nach  einem  Originalexemplar  im  Herbar  Eggerth 
(Univ.  Wien)  von  var.  Candida  Stitz.  nur  durch  den  auch  in 
trockenem  Zustande  braunlichen  Discus,  dürfte  von  Candida 
kaum  zu  trennen  sein  und  besitzt  dann  die  Priorität. 

7.  Caloplaca  (Sect.  Pyrenodesmi^  interveniens  Müll.    Arg. 

Rev.  myc.  1884,  p.  18. 

Pycnides    tuberculiformes    atrae.     Sterigmata    articulata, 
pycnoconidia  late  elliptica  2-5— 3*2  |x  lg.  1  -3—1  -6  (jl  lt. 
Spärlich. 

8.  Rinodina  Bischofüi  Krb.  Par.  p.  75  —  Hepp.  Eur.  n.  81  sub 

Psora. 

Ein  kleines  Exemplar  der  normalen  Pflanze,  vollständig 
mit  Hepp  n.  81  übereinstimmend. 

9.  Lecanora  (Sect.  Aspicilia)  calcarea  Smrf.  Suppl.  p.  102  — 

Linn.  Sp.  plant  (1753)  1 140  sub  Lichene. 

Var.  concreta  Schär.  Spie.  p.  73. 
Pycnoconidia  recta  7 — 10  [x  lg.,  ca.  0*5  |i  lt. 
Auf  einem  Stücke  ausgebreitet  mit   Cal.  variabilis  var. 
Candida,  neben  Lecanora  Cheresina. 

10.  Lecanora  (Sect.  Aspicilia)  Cheresina  Müll.  Arg.  Rev.  myc. 

1880,  p.  75. 

Einige  kleine  Exemplare  mit  zartgelappter  Randzone. 

11.  Lecania  (Sect.   Placolecania,    Synon.:   Ricasolia   Mass.) 

asperatula  n.  sp. 

Thallus  tenuis  lurido  cinereus  (madef.  dilutior)  squamu- 
losus,  infra  concolor  parce  rhicinosus.  Squamae  parvae  (0*5 
usque  1  mm  vix  ultra)  planiusculae  adpressae,  coralloideo  in- 
cisae,  repandae,  vel  circa  apothecia  conglobatae  vel  supra 
thallum  alienum  (Verr,  nigrescens)  orbillos  diam.  V2  ^^»  ^^^' 
fluentes  1  cm  formantes.  Partes  adultiores  squamarum  granulis 
obscuris  exasperatae:  Cortex  granulorum  coeruleo-violascens 


440  J.Steiner, 

et  rhicinae  KOH  adh.  intense  violascunt.  Gonidia  luteo  viridia 
subrotunda,  majora  (diam.  16— 20|i).  Apothecia  mox  convexula 
margine  depresso  ad  0-6  mm  diam.  v.  minora,  nigricantia, 
madefacta  rufo-fusca.  Paraphyses  filiformes  conglutinatae,  supra 
clavatae.  Epithecium  obscure  cerasino-fuscum,  superior  pars 
hymenii  dilutius  codem  modo  tincta,  inferior  et  hypothecium 
incoloria;  sub  hypothecio  gonidia  adsunt.  Asci  elongato-clavati. 
Sporae  8  hyalinae  v.  tanifem  subhyalinae,  elongato-ellipticae, 
1-septatne  14-  16  |i  lg.,  5—6  |i  lt. 

Pycnides  non  vidi. 

Die  Apothecien  haben  nichts  Charakteristisches,  es  ist  der- 
selbe Bau,  der  in  dieser  Gruppe  oft  wiederkehrt.  Eigenthümlich 
ist  der  Thallus  mit  seinen  dünnen,  flach  angedrückten,  läng- 
lichen, oft  gekrümmten,  zierlich  gekerbten  und  zertheilten 
Blättchen  und  deren  kleinen,  dunklen,  zerstreuten,  oder  bei 
kreisförmigem  Wachsthum  in  eine  innere  Zone  zusammen- 
gedrängten, cephalodienartigen  Höckerchen. 

Auf  zwei  Kalkstücken.  Sowohl  auf  dem  Kalk  selbst,  als 
besonders  an  mehreren  Stellen  auf  der  Kruste  von  Verr. 
nigrescens. 

12.  Lecania(Sect.  Dimerospora)  albariella  Arid.  Jura  sub  n.  202. 

Pycnides  subimmersae  atrae,  sterigmata  simplicia  (v.  uno 
alterove  septo),  pycnoconidia  subrecta,  arcuata  v.  flexuosa  10 
usque  14  (j.  lg.,  0-6  (jl  lt.  Thallus  partim  optime  areolatus  partim 
evanescens,  quae  sit  var.  ecrustacea  Nyl.  Aeg.  p.  5. 

Var.  subcaesia  Nyl.  Aeg.  p.  5. 

Apothecia  convexa,  plus  minus  pruinosa. 

Beide  Formen  nicht  häufig,  aber  gut  entwickelt 

13.  Lecania  (Sect.  Dimerospora)  detractula  Arid.    Jur.  Sep. 

p.  125  —  Nyl.  Fl.  1874,  p.  444  sub  Lecanora. 

Thallus  endolithicus.  Apothecia,  habitu  omnino  biatorino, 
primum  dilutius  fusca,  deinde  obscurata,  convexa. 

Die  Apothecien  sind  etwas  grösser  als  bei  der  normalen 
detractula  Nyl.;  die  übrigen  Merkmale  stimmen  übereiru  Nur 
ein  Exemplar. 


Flechtenflora  Sudpersiens.  44 1 

14.  Diploschistes  actinostomus  Zahlbr.  Hedw.  1892,  p.  34  — 

Ach.  Univ.  p.  288  sub  Urceolaria. 

Var.  calcaretis  Müll.  Arg.  Rev.  myc.  1884,  p.  18. 

Planta  optime  evoluta  cum  Arid.  exs.  n.  1437  omnino  con- 
gruens.  Thallus  CaHgO^  roseo  tingitur  colore,  KHO  vel  I  (ut  in 
Arid.  n.  1437)  non  mutatur.  Sporae  4— 8  in  asc.  21—30(1  lg., 
12 — 19(1  lt.  apicibus  rotundatis,  membranae  minus  adhuc  in- 
fuscatae  I  coerulescunt. 

Pycnoconidia  recta  apicibus  plus  minus  ättenuatis  6  usque 
8-6  {1  lg.,  1— 1-5(1  It 

Da  zu  den  thallodischen  Merkmalen  das  Fehlen  der 
7-Reaction  dazukommt,  dürfte  es  richtiger  sein,  Dipl.  calcareus, 
bisher  nur  aus  Nordafrika  und  nun  aus  Persien  bekannt,  als 
eigene  Art  zu  bezeichnen.  Die  Kalkform  von  Dipl.  actinostomus 
liegt  in  der  var.  electus  Stnr.  Diese  Sitzungsb.,  Bd.  ClI,  Abth.  I 
p.  165,  vor. 

15.  Biatorella  (Sect.  Sarcogyne)  pruinosa  Mudd.   Brit.  Lieh, 
p.  191  —  Smrf.  in  Engl.  Bot.  XXX,  tab.  2244,  sub  Lichene. 

Apothecia  mediocria,  pruinosa  parum  emergentia.  Pycnides 
immersae,  deplanatae,  fuscidulae.  Sterigmata  simplicia  (septo 
uno  alterove),  teneriora.  Pycnoconidia  elongato-elliptica  2  vix 
3(1  lg.,  0-8  [1  lt. 

Nur  ein  Exemplar. 

16.  Toninia  aromatica  Mass.  Symm.  p.  54  —  Smrf.  in  Eng. 

Bot.  XXV,  tab.  1777  sub  Lichene. 

Var.  acervulata  Th.  Fr.  Scand.  p.  332. 

Thallus  optime  aromaticus.  Areolae  tumidae,  dissipatae  v 
subacervulatae  p.  m.  p.  farinoso-albae,  raro  fuscidulae.  Apo- 
thecia normalia.  Pycnides  nigrae,  tuberculiforme  emersae,  pars 
colorata  sub  micr.  e  rufo-fusco  in  coeruleo-viride  vergens. 
Sterigmata  fertilia  simplicia,  tenuiora,  ramosa,  sterilia  elongata 
immixta.  Pycnoconidia  arcuata  16 — 22  (i  lg.,  vix  0*5  (i  lt. 

Auf  einem  fast  erdigen  Kalkstücke  schön  und  reich  ent- 
wickelt, auf  anderen  als  einzelne  Areolengruppen  zerstreut 
Nicht  selten. 


442  J.  Steiner, 

17.  Arthonia  depressula  n.  sp. 

Thallus  Simplex  formatur  hyphis  hyalinis  supra  thallum 
alienum  (Calopl.  pyraceae)  vigentibus.  Hyphae  I  ope  rubescunt 
Gonidia  palmellea.  Apothecia  minima  v.  parva  O'l — O'Siwm 
diam.  tumida  et  subtus  constrictiuscula,  sed  centro  disci  leviter 
depresso.  Paraphyses  omino  irreguläres  supra  modice  incras- 
satae  nee  arcte  conglutinatae.  Hymenium  in  sectione  minus 
tenui  coeruleo-virens,  hypothecio  humili  umbrino-fusco,  ex- 
cipulo  nullo.  In  sectione  tenui  epithecium  (raris  immixtis  para- 
physium  apicibus  fuscis)  et  hypothecii  pars  superior  coeruleo- 
virens,  cujus  pars  inferior  umbrino-fusca.  Asci  late  ovati,  bre- 
viter  stipitati  et  supra  incrassati  ad  38 — 40  |i  lg.,  21  (j.  lt.  Sporae 
octonae  incolores  1-septatae,  11  —  15|ilg.,  4'3— 5-8[JLlt  non 
constrictae  cellula  altera  paullo  latiore  rarius  etiam  breviore. 
Hymenium  I  primum  violascit  mox  vinose  rubet.  Pycnides 
non  vidi. 

Auf  zwei  Kalkstücken  in  kleinen  Gruppen.  Die  Flechte 
gehört  zum  Stamme  der  Arth,  vagans  Almq.  und  steht  der 
Arth,  aähaer ens  MüU.  Arg.  Rev.  myc.  1880,  p.  80,  am  nächsten, 
unterscheidet  sich  aber  durch  die  Form  der  Apothecien,  das 
reiner  grüne  Epithecium  und  durch  das  Hypothecium,  welches 
sehr  an  das  der  Catill.  chalybaea  erinnert. 

18.  Leciographa  insidens  n.  sp. 

Planta  syntrophica.  Magnitudo  et  habitus  apotheciorum  iis 
Leciog.  parasiiicae  Mass.  v.  monspeliensis  Nyl.  simillima,  sed 
interna  structura  alia.  Hymenium  altum,  paraphyses  irreguläres 
supra  solubiles  vix  incrassatae.  Epithecium  obscure  fuscum 
paullo  in  olivaceum  vergens,  hymenium  tandem  plus  m.  fus- 
cescens,  hypothecium  fuscum.  Asci  facile  separati,  elongato 
clavati  in  stipitem  sensim  attenuati  supra  incrassati  80 — 107  |t 
lg.,  20 —-24  [X  lt.  Sporae  8  (raro  pauciores)  3-septatae,  membrana 
crassa  (2  [t  hie  inde  3  |j.  crass.)  instructae,  diu  hyalinae  tandem 
olivaceo  fuscescentes  18 — 26  [x  lg.,  6 — 10  (t  It.  I  asci  et  inferior 
pars  hymenii  vinose  rubent. 

Auf  verschiedenen  Krusten  {Verr.  Buschirensis,  Calopl. 
pyracea,  CalopL  variahilis  var.  Candida)  einzeln  oder  in  kleinen 
Gruppen. 


Flechtennora  Südpersiens.  443 

Die  Art  ist  besonders  durch  die  Sporen,  doch  auch  durch 
die  Form  der  Paraphysen  und  die  Farbe  des  Epitheciums  von 
den  übrigen  Arten  der  Gattung,  besonders  auch  von  Lecan. 
centrifuga  Mass.  und  von  Opeg.  aegyptiaca  Müll.  Arg.  Hev. 
myc.  1880,  p.  80,  deutlich  geschieden. 

Verrucaria  (Sect.  Lithoicea)  nigrescens  Nyl.    Pyren.  p.  23  — 
Pars,  Ust.  Annal.  1795,  p.  36  p.  p. 

Häufig,  theils  mit  dünnem,  theils  mit  dickem,  gross- 
gefelderten,  rothbraunen  Thallus  und  normalen  Apothecien. 
Vergl.  Müller  in  Hedw.  1892. 

19.  Verrucaria  (Sect.  Amphoridium)  Buschirensis  n.  sp. 

Thallus  endolithicus  supra  politus,  colore  dilute  argillaceo 
hinc  inde  in  lateritium  vergente  (similis  ac  in  v.foveolata  Mass. 
Ric.  p.  172)  rimis  raris,  rectis  tenerrimis  sed  profundis  fissus, 
per  quas  perithecia  emergunt.  Perithecia  minora^  (ad  0*45  mm 
V.  minora)  integra,  apice  emergentia  pertusa,  atra.  Interna 
structura  ut  in  Verr,  iniegra  vel  dolomitica.  Sporae  octonae 
hyalinae,  serius  non  aror  fuscidulae,  ellipticae  apicibus  attenuatis. 
22 — 34  (t  lg.,  12  — 16  [X  lt.  (raro  latiores  apic.  magis  rotundatis 
22— 24  |i  lg.,  16 — 18|Jilt.).  Pycnides  tuberculiformes  emersae 
atrae  (sub  micr.  nigro-purpureae)  non  raro  seriatae  (lineas 
marginales  mentientes).  Pycnoconidia  recta  v.  raro  subcurvata 
4 — 6  [JL  lg.,  0'8 — l-3(j.  lt.  (ut  in  dolomitica).  Hymenium  I 
coerulescit,  deinde  p.  m.  vinose  rubet. 

Der  Thallus  ist  vollständig  endolithisch;  Gonidienschichte 
und  Rinde  bilden  aber  mit  dem  eingelagerten  Kalk  eine  ge- 
glättete Decke.  Beim  Durchbrechen  der  Perithecien  reisst  diese 
obere  Schichte  wie  eine  spröde  Schale  auf  und  indem  die  feinen 
Risse  sich  schneiden,  entstehen  grössere  Schollen,  welche  im 
Verlaufe  abfallen,  den  untersten  Theil  der  Apotheciengruben 
und  Reste  des  Hypothallus  zurücklassend,  die  einen  gesuchten 
Boden  für  andere  Flechten  bilden. 

Ausser  dem  Habitus,  der  die  Flechte  leicht  kenntlich 
macht,  veranlassten  mich  besonders  die  allerdings  nur  unter- 
geordnet vorkommenden,  mehr  breiten  und  abgerundeten  Sporen 


444  J.Steiner, 

die  Form  nicht  als  Var.  zu  dolomitica  Mass.  zu  stellen.   Nach 
den  vorhandenen  Proben  gewiss  häufig. 

Verrucula  n.  gen. 

Perithecia,  quorum  interna  structura  ac  sporae  ut  in  genere 
Verrucaria,  sed  thallus  in  aliis  lichenibus  vigens,  gonidiis 
destitutus. 

Schon  in  Verrucula  cahirensis  Stnr.  (diese  Sitzungsber., 
Bd.  CII,  S.  171,  sub  Carliä)  lag  ein  durch  die  Perithecien  der 
Galtung  Verrucaria  entsprechender  Ascophyt  vor,  der  mit  den 
veränderten  Areolen  der  Calop,  gilvella  (vide  1.  c.)  ein  Syn- 
trophium  (Minks)  bildet,  welches  das  Aussehen  eines  klein- 
scholligen Placidium  besitzt. 

Ein  ähnliches  Syntrophium  bildet 

20.  Verrucula  aegyptiaca  Stnr.  —  Müll.  Arg.  Rev.  myc.  1880, 
p.  82,  sub  Verrucaria,  1.  c.  1884,  p.  20  sub  Endopyrenio, 

Mehrere  Thallusinselchen  entsprechen  mit  ihren  kleinen 
(circa  OXontm)  aber  stark  vortretenden  Perithecien  der 
Diagnose  von  Müller  1.  c.  vollständig.  Ausserdem  befindet  sich 
.auf  demselben  Gesteinsstücke  ein  Thallus  von  Calopl.  intcr- 
veniens  Müll.,  dessen  Randareolen  ringsum  intact  und  mit 
normalen  Apothecien  und  Pycniden  besetzt  sind,  während  eine 
inselartige  Gruppe  im  Centrum  vollständig  die  Form  des 
Enäopyr.  aegyptiacum  angenommen  hat  und  dessen  Perithecien 
besitzt.  Die  Areolen  der  Calopl.  interveniens,  welche  dem  ver- 
änderten Abschnitte  zunächst  liegen,  zeigen  die  schrittweise 
Umwandlung  deutlich,  welche  durch  das  Eindringen  der  braunen 
Hyphen  des  Gastes  vom  Hypothallus  her  in  die  Markschichte 
des  Wirthes  eingeleitet  wird. 

21.  Thrombium  stereocarpum  n.  sp. 

Thallus  endolithicus,  macula  argillacea  indicatus.  Hyphae 
hypothallinae  praesertim  superiore  parte  crebre  subcateniforme 
incrassatae  contentu  eximie  oleoso.  Gmtidia  palmellea.  Peri- 
thecia sedentia  subintegre  nigra  (centro  tantum  partis  basalis 
dilutiore)  opaca,  subglobosa  i.  e.  infra  constricta,  diam.  ad 
0-35wfM  V.  minora,   tandem    poro  simplici   pertusa,   minima 


Flechtenflora  Südpersiens.  445 

collabentia.  Perithecium  sub  micr.  obscure  fuscum,  paraphyses 
distinctissime  capillares,  ramosae,  retiforme  connatae.  Asci 
primum  elongato  elliptici,  deinde  cylindrice  elongati  v.  supra 
paullo  attenuati  ad  apicem  et  ad  latera  incrassati  90 — 120  |i  lg., 
18 — 24  fji  It  Sporae  octonae,  simplices,  incolores,  ellipticae  v. 
elongato-ellipticae  v.  altero  apice  sensim  distincte  attenuati  sub- 
pyriformes,  18— 26  |i  lg.,  7 — 10  [i  lt.  I  adh.  membrana  ascorum 
vix  spurie  rubescit,  contentus  luteo-fuscescit. 

Nur  auf  einem  Kalkstücke. 

Durch  die  Form  der  Perithecien  und  des  Thallus  von  den 
bekannten  Arten  weit  abstehend,  im  inneren  Fruchtbau  dem 
Thromb.  epigaeum  ähnlich  genug. 

22.  Tichothecium  calcaricolum  Arid.    Verh.  zool.-bot.  Ges. 
Wien,  1873,  S.  521  —  Mudd.  Man.  p.  306,  sub  Microthelia, 

Perithecia  minima  ad  0*  1  mm.   Sporae  apicibus  subrotun- 
datis  V.  magis  rhomboideae  1 1  *  8  —  1 3  [x  lg.,  5  •  4 — 7  |i  lt. 
Auf  Verr.  nigrescens, 

23.  Tichothecium  pygmaeum  Krb.  Par.  p.  467,  Syst.  p.  374 

sub  Microthelia. 

Auf  CalopL  (Amphil.)  aurantia  häufig,  auf  dem  Thallus 
sowohl,  als  auf  dem  Discus. 

24.  Tichothecium  erraticum  Mass.  Symm.  p.  94. 
Auf  dem  Thallus  der  Lecania  albariella  Nyl.  reichlich. 

25.  Cercidospora  epipolytropa  Arid.  Fl.  1874,  p.  154  —  Mudd. 
Man.  of  Br.  Lieh.  p.  298,  sub  Thelidio. 

Planta  normalis.  Adsunt  etiam  pycnides  magnitudinis 
peritheciorum  minorum,  supra  coeruleo-virides,  sterigmatibus 
simplicibus,  tenuibus,  ramosis  et  pycnoconidiis  rectis  4 — 7|ilg., 
0'6— 1  [X  lt.  Ad  Cercidosporam  pertineant. 

Häufig  auf  dem  Thallus  der  Calop.  aurantia  und  Calop, 
vulgaris  var.  Candida. 

Durch  den  vorliegenden  Nachtrag  wachsen  also  der 
Lichenenflora  von  Buschir  25  sp.,  der  von  Persien  21  sp.  zu. 


446  J.  Steiner,  Flechtenflora  Südpersiens. 

Abgesehen  von  Lecan.  esculenta  wurden  zuerst  durch 
Buhse  persische  Flechten  bekannt.  In  »Buhse  und  Boissiers 
Aufzeich,  der  auf  einer  Reise  durch  Transkaukasus  und  Persien 
ges.  Pflanzen,  1860«  legte  er  das  Ergebniss  seiner  Sammlung, 
welche  sich  nur  auf  den  Norden  des  Landes  bis  Asterabad 
erstreckte,  mit  47  sp.,  wovon  28  auf  Persien  entfallen,  nieder. 
Ausser  dem  Vorkommen  von  Lecan.  esculenta^  die  er  aber  bei 
Nachitschewan  in  Armenien  fand,  zeigt  die  Aufzählung  keinen 
Zug,  welcher  nicht  ebensogut  auf  eine  Berggegend  des  mittleren 
Europa  passte.  Anderes  lehrt  die  Sammlung  von  Dr.  Stapf, 
welcher  das  Land  von  Buschir  aus  durchquerte. 

Unter  den  59  Arten,  welche  Müller  in  Hedw.  1892  anführt, 
von  welchen  3  schon  von  Buhse  angeführt  werden,  sind  9  sp. 
und  1  var.,  also  eine  verhältnissmässig  sehr  grosse  Zahl,  neu, 
und  anderseits  tritt  der  Zusammenhang  mit  der  afrikanischen 
Flora  durch  Omphal.  arabica,  Acarosp.  interrupta,  Lecania 
brachyspora,  Rinod.  Bischofß  var.  aegyptiaca  und  Diplot,  inter- 
medium  unverkennbar  hervor. 

Nach  beiden  Richtungen  wird  dieser  Eindruck  durch  den 
Nachtrag,  welcher  die  Artenzahl  der  bisher  bekannten  persischen 
Flechten  von  84  auf  105  sp.  erhöht,  noch  verstärkt.  Calopl. 
interveniens  Müll.,  Lecan.  Cheresina  Müll.,  Dipl.  actinost.  var. 
calcareus  Müll.,  Verr.  aegyptiaca  (Müll.)  waren  bisher  als 
endem.  ägyptisch-algerische  Formen  zu  betrachten  und  der 
Verbreitungsbezirk  der  übrigen,  mit  Ausnahme  der  neuen  und 
von  Psorot.  lugubris  und  fr ustulosa,  erstreckt  sich  von  Europa 
nach  Afrika. 

Die  persische  Flechtenflora  erscheint  also  als  Übergangs- 
flora. Die  pflanzengeographische  Bedeutung  der  neuen  Arten 
ist  erst  dann  zu  würdigen,  wenn  die  umliegenden  Gebiete 
lichenologisch  bekannt  werden. 


447 


Zur  Anatomie  der  Frucht  und  des  Samens 

von  l/iscum 

von 
G.  Gjokic  aus  Sarajevo. 

Aus  dem  pflanzenphysiologischen  Institute  der  k.  k.  Universität  in  Wien. 

(Mit  1  Tafel.) 
(Vorgelegt  in  der  Sitzung  am  21.  Mai  1896.) 

Die  Keimung  von  Viscunt  alhum  ist  durch  eine  Reihe  von 
Besonderheiten  ausgezeichnet.  Seit  längerer  Zeit  weiss  man, 
dass  die  Samen  dieser  Pflanze  in  Dunkelheit  nicht  zum  Keimen 
zu  bringen  sind.^  Durch  Untersuchungen  vonWiesner^  ist 
nachgewiesen,  dass  namentlich  zum  Keimungsbeginn  eine 
nicht  unbeträchtliche  Intensität  des  Lichtes  erforderlich  ist,  so- 
wie, dass  die  Samen  erst  nach  einer  langen  Ruheperiode 
keimen.  Es  ist  bis  jetzt  nicht  gelungen,  die  Samen  dieser  Pflanze 
vor  Ende  März  oder  Anfang  April  zum  Keimen  zu  bringen. 

Ferner  ist  von  Wies n er ^  nachgewiesen  worden,  dass  die 
Samen  von  Viscum  album  völlig  befreit  vom  Schleim  der  Beere 
ohne  Zufuhr  von  Wasser  auf  trockenem  Substrat  keimen 
können.    Ja,    selbst   im   Exsiccator   über  Schwefelsäure   auf- 


1  J.  Wiesner,  Die  heliotropischen  Erscheinungen.  I.;  Denkschriften  der 
kais.  Akad.  der  Wiss.  in  Wien,  Bd.  39,  1878,  S.  143. 

2  J.  Wiesner,  Photometrische  Untersuchungen  auf  pflanzenphysio- 
logischem Gebiete.  Erste  Abh.:  Orientirende  Versuche  etc.  Diese  Sitzungsber., 
Bd.  CII,  Abth.  I.  1893,  S.  291. 

5  J.  Wiesner,  Vergleichende  physiologische  Studien  über  die  Keimung 
europäischer  und  tropischer  Arten  von  Viscum  und  Loranthus.  Diese  Sitzungs- 
berichte, Bd.  cm,  Abth.  I.  S.  416. 


448  G.  Gjoki6. 

gestellte  Samen  entwickeln  Hypocotyle  der  Keimlinge  bis  zu 
einer  bestimmten  Grenze. 

»Mit  welcher  Kraft  dieses  für  die  Keimung  der  Mistel- 
samen unentbehrliche  Wasser  von  den  Geweben  derselben 
zurückgehalten  wird,  mag  aus  der  Thatsache  zu  entnehmen 
sein,  dass  ein  schwaches  Keimen  selbst  dann  noch  eintritt,  wenn 
die  Samen  sich  im  Exsiccator  befinden«.^ 

Während  also  die  Samen  von  Viscum  album  das  Wasser, 
welches  sie  zum  Keimen  benöthigen,  in  reifem  Zustande  in 
ihrem  Gewebe  enthalten,  sind  die  Samen  der  tropischen  Visctitn- 
Arten  ohne  Zufuhr  von  Wasser  nicht  zum  Keimen  zu  bringen, 
selbst  in  einer  mit  Wasserdampf  nahezu  gesättigten  Atmosphäre. 
Auch  keimen  die  Samen  der  tropischen  Viscum- kviQx\,  ohne 
eine  Ruheperiode  durchzumachen;  sie  keimen  auch  in  voll- 
kommener Finsterniss.^ 

Dass  die  merkwürdigen  Eigenthümlichkeiten,  welche  bei 
der  Keimung  von  Viscum  album  zu  Tage  treten,  Anpassungen 
an  die  äusseren  Vegetationsbedingungen  sind,  ist  von  vorne- 
herein höchst  wahrscheinlich  und  von  Wiesner^  auf  das 
Bestimmteste  nachgewiesen  worden. 

Er  zeigte  unter  Anderem,  dass  in  der  Zeit,  in  welcher 
Viscum  album  bei  uns  keimt,  daselbst  häufig  eine  so  lange 
andauernde  regenlose  Periode  herrscht,  dass  die  im  Samen 
angesammelte  und  hier  mit  Hartnäckigkeit  festgehaltene,  zur 
Keimung  erforderliche  Wassermenge  verständlich  wird. 

Auf  Veranlassung  des  Herrn  Hofrathes  J.  Wiesner  habe 
ich  es  unternommen,  die  Eigenthümlichkeiten  des  anatomischen 
Baues,  welche  mit  diesem  exceptionellen  Transpirationsschutz 
in  Zusammenhang  stehen,  zu  untersuchen,  wobei  selbstver- 
ständlich auch  auf  die  analogen  Verhältnisse  der  Samen  der 
tropischen  Viscmn-\vitn  Rücksicht  genommen  wurde. 

Bevor  ich  auf  meine  eigenen  Untersuchungen  eingehe, 
schicke  ich  einige  morphologische  Bemerkungen  über  die 
Mistelbeere  voraus. 


1  J.  Wiesner,  Vergleichende  physiol.  Studien  etc.  I.  c.  S.  422. 

2  J.  Wies n er,  Vergleichende  physiol.  Studien  etc.  1.  c.  S.  410. 
"•  J.  Wiesner,  Vergleichende  physiol.  Studien  etc.  1.  c. 


Frucht  und  Samen  von  Vtscum.  449 

Die  Entwicklung  der  Mistel  war  Gegenstand  älterer  und 
neuerer  Untersuchungen  vieler  Botaniker,  wie  Decaisne/ 
Meyen,^  Schacht,^  Karsten/  Treviranus,^  Hofmeister,^ 
van  Tieghem,'  Treub,^  Jost®  u.  A.,  so  dass  man  jetzt 
darüber  ganz  im  Klaren  ist. 

Ich  werde  versuchen,  in  Kürze  die  charakteristischen 
Momente  der  Blüthenentwicklung  der  Mistel  zu  reproduciren. 

Die  weibliche  Blüthe  hat  zwei  zweigliedrige  Kreise  von 
Perigonblättern.  In  der  Mitte  erheben  sich  zwei  Carpelle, 
welche  so  mit  dem  Blüthenboden  verwachsen,  dass  sie  eine 
homogene  Masse  darstellen.  Die  Zellen  um  den  Grund  der  ehe- 
maligen Spalte,  welche  die  zwei  Carpelle  bildeten,  erleiden  eine 
Theilung.  Eine  Ausnahme  machen  nur  einige  durch  ihre  Grösse 
und  dunklen  Inhalt  auffallende  Zellen.  Das  sind  die  Embryo- 
sackmutterzellen. Gewöhnlich  werden  sie  in  der  Anzahl  von 
sieben  oder  neun  angelegt.  Der  Kern  der  Embryosackmutter- 
zellen theilt  sich  erst  später  und  es  tritt  eine  Querwand  auf. 
Die  Mehrzahl  dieser  so  getheilten  Zellen  verharrt  in  diesem 
Stadium;  höchstens  zwei  oder  drei  entwickeln  sich  weiter:  die 
unlere  der  beiden  Schwesterzellen  vergrössert  sich  nämlich 
und  bildet  sich  zum  Embryosack  aus. 


1  M.  Dccaisne,  Sur  le  pollen  et  Tcvule  du  gui.  Ann.  sc.  nat.,  2.  ser., 
t.  XIII,  1840,  p.  291  ff. 

-  Meyen,  Noch  einige  Worte  über  Befruchtungsact  und  Polyembryonie 
bei  den  höheren  Pflanzen.  Berlin,  1840. 

3  H.  Schacht,  Das  Mikroskop.  2.  Aufl.  Berlin,  1855,  F.  6—9. 

*  H.Karsten,  Beitrag  zur  Entwicklungsgeschichte  der  Loranthaceen. 
Bot.  Zeitung,  1852,  S.  305  ff. 

•'*  L.  C.  Treviranus,  Über  Bau  und  Entwicklung  der  Eychen  und  Samen 
der  Mistel.  Abhandl.  der  math.-phys.  Cl.  der  kgl.  bayr.  Akad.  der  Wiss.  VII, 
1855,  S.  153—177. 

6  H.  Hofmeister,  Neue  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Embryobildung  der 
Phanerogamen.  Abhandl.  der  kgl.  sächs.  Gesellsch.  der  Wiss.  Bd.  VI.,  1859, 
S.  553—563. 

'  Van  Tieghem,  Anatomie  des  fleurs  et  du  fruits  du  gui.  Ann.  sc.  nat. 
5.  ser.,  t.  XII,  1869,  p.  101. 

8  Treub,  Observations  sur  les  Loranthacees.  Ann.  du  jardin  botanique 
de  Buitenzorg.  II.  54—76  t.  VIII.— XV.,  III.  1  —  12  t.  I.-Il. 

»  Jost,  Zur  Kenntniss  der  Blüthenentwicklung  der  Mistel.  Bot.  Zeitung, 
1888,  S.  323  ff. 


450  G.  Gjokic, 

In  einem  jeden  Embryosack  kommt  ein  Embryo  zur  Ent- 
wicklung und  je  nach  der  Zahl  der  Embryosäcke  hat  der  so- 
genannte Samen  ein,  zwei  oder  drei  Embryonen. 

Bei  Viscum  kommt  es  nicht  zur  Samenknospenbildung, 
sogar  die  Placenta  wird  nicht  entwickelt,  sondern  die  Embryo- 
säcke entstehen  direct  im  Gewebe  der  Axe.  Einem  jeden 
Embryosack  entspricht  ein  Samen,  dessen  Ausgliederung  unter- 
blieben ist.  Man  kann  also  hier  weder  von  Samenschale,  noch 
von  Samenhaut  sprechen,  da  solche  sich  aus  den  Integumenten 
der  Samenknospe  ausbilden  müssten.  Bei  Viscum  kommt  es 
aber  nicht,  wie  schon  erwähnt  wurde,  zur  Samenknospenbildung. 

Der  Kern  der  Beere  von  Viscttm  alhum  wird  gewöhnlich 
als  Samen  bezeichnet,  was  natürlich,  vom  streng  moi*pho- 
logischen  Standpunkte  betrachtet,  nicht  richtig  ist.  Wenn  man 
aber  die  Beerenkerne  bloss  vom  physiologischen  Standpunkte 
betrachtet,  so  kann  man  sie  als  Samen,  die  Scheinbeere  der 
Mistel  als  Beere  oder  überhaupt  als  Frucht  bezeichnen. 

Die  reifen  Beeren  von  Viscum  album  haben  eine  fast  rein- 
weisse  Farbe  und  auf  ihrem  Scheitel  sind  noch  Reste  von  der 
vertrockneten  Narbe  und  von  den  Perigonblättern  zu  erkennen. 

Die  F/5CWW- Beeren  variiren  in  ihrer  Grösse  ziemlich  stark. 
Sie  bestehen  aus  der  fleischigen  Hülle  und  dem  Kern,  dem  so- 
genannten Samen,  der  wiederum  in  sich  ein,  zwei  oder  drei 
Embryonen  einschliesst. 

Die  fleischige  Hülle  besteht  aus  zwei  Schichten,  von  denen 
die  innere  so  verschleimt  ist,  dass  sie  für  das  unbewaffnete 
Auge  eine  homogene,  schleimige  Masse  darstellt.  Die  äussere, 
sowie  die  innere,  die  sogenannte  Viscinschicht,  entwickelt 
sich  aus  dem  Gewebe  der  becherförmigen  Blüthenaxe. 

Betrachtet  man  diese  schleimige,  stark  klebende  Masse 
unter  dem  Mikroskope,  so  sieht  man,  dass  sie  vorwiegend  aus 
langgestreckten,  mit  spiraligen  Verdickungen  versehenen  Zellen 
besteht.  Diese  Zellen  führen  reichlich  Protoplasma,  sowie  eine 
kleine  Menge  Stärkekörner.  Im  Schleime  kommen  auch  Kry- 
stalle  von  oxalsaurem  Kalk,  und  zwar  in  grösseren  Mengen 
vor.  Es  sind  dies  wohlausgebildete,  kleinere  und  grössere  ein- 
zelne Krystalle.  Krystalldrusen  trifft  man  sehr  selten  in  dem 
Viscinschleim  an. 


Frucht  und  Samen  von  Visctim.  45 1 

Wenn  man  der  Beere  möglichst  behutsam  den  Schleim 
entnimmt,  ohne  ihn  in  Fäden  auszuziehen,  und  ihn  mit  Chlor- 
zinkjod behandelt,  so  färbt  er  sich  nach  einiger  Zeit,  und  zwar 
nur  am  Rande,  violett.  Die  Zellen  treten  daselbst  jetzt  deutlicher 
hervor:  ihre  Verdickungen  sind  gefärbt,  während  die  äussere 
Membranschichte  nicht  zu  unterscheiden  ist  (Fig.  7).  Das 
Reagens  dringt  sehr  schlecht  in  den  Schleim  ein.  Bei  halbein- 
getrocknetem Schleim  geht  die  Färbung  etwas  schneller  vor 
sich,  aber  noch  immer  färbt  sich  nur  ein  kleiner  Theil  desselben. 

Der  Viscinschleim  besitzt  die  Eigenschaft,  sich  in  Fäden 
ausziehen  zu  lassen,  welche  an  der  Luft  schnell  trocknen. 

Behandelt  man  so  in  Fäden  ausgezogenen  Schleim  mit 
Chlorzinkjod,  so  färbt  er  sich  schnell  und  ganz  violett.  Bei 
einem  schwachen  Drücken  auf  das  Deckglas  zerfallen  die 
Fäden  in  noch  feinere,  parallel  verlaufende.  Selbst  diese  sind 
nicht  gleich  dick.  Ein  jeder  Faden  nun  entspricht  einer  Zelle 
und  nachdem  einige  Zellen  mehr,  einige  weniger  ausgedehnt 
sind,  erscheinen  sie  verschieden  dick.  Bei  minder  ausgezogenen 
sind  die  spiraligen  Verdickungen  sichtbar,  was  bei  stark  aus- 
gezogenen nicht  der  Fall  ist.  Man  ^ieht  selbst  an  einer  und  der- 
selben Zelle,  wie  eine  Hälfte  derselben  sich  in  einen  langen, 
dünnen  Faden  auszog,  während  die  andere  nur  eine  schwache 
Veränderung  erlitt. 

Lässt  man  Jodtinctur+ Schwefelsäure  auf  den  in  Fäden 
ausgezogenen  Schleim  einwirken,  so  färbt  er  sich  blau. 

Mit  Corallinsoda  färbt  er  sich  roth.  Mit  Rutheniumroth  * 
(Rutheniumsesquichlorür)  färbt  er  sich  schwachroth,  d.  h.  so 
weit  wie  die  reine  Baumwolle. 

In  Kalilauge  quillt  er,  aber  löst  sich  nicht  auf. 

Salzsäure  übt  gar  keine  Wirkung  aus.  In  Schwefelsäure, 
sowie  in  Kupferoxydammoniak  löst  sich  der  Viscinschleim  auf. 
In  kaltem  und  in  heissem  Wasser  ist  er  unlöslich.  Er  verhält 
sich  also  gegen  die  genannten  Reagentien  ganz  so 
wie  gewöhnliche  Cellulose. 

Härtet  man  die  Beere,  und  zwar  allmälig  in  schwachem, 
schliesslich  in  absolutem  Alkohol,  so  gelingt  es,  Schnitte  durch 

J  L.  Mangln,  Compt.  r.  hebd.  Seances  de  Tacadcmie  des  sciences.  Paris 
1893,  I.  semestre.  Tome  CXVI. 

Sitzb.  d.  raathem.-naturw.  Cl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  30 


452  G.  Gjokic, 

die  fleischige  Hülle  zu  machen,  ohne  das  Gewebe  allzustarker 
Schrumpfung  auszusetzen.  Auf  diesen  Schnitten  sieht  man 
schon  der  Farbe  nach,  dass  die  fleischige  Hülle  aus  zwei 
Schichten  besteht.  Die  äussere  ist  schmutzigweiss,  während 
die  innere  eine  schneeweisse  Farbe  besitzt. 

Die  Epidermis  der  äusseren  Schicht  ist  verdickt  und  cuti- 
cularisirt.  Die  Zellen  sind  parenchymatisch  und  sehr  dünn- 
wandig. Sie  führen  einen  grossen  Zellkern,  sowie  eine  kleine 
Menge  von  Stärke-  und  Chlorophyllkörnern.  In  einer  gewissen 
Entfernung  von  der  Oberfläche  verlaufen  die  Gefassbündel. 

Auch  diese  Zellen  der  äusseren  Schichte  der  fleischigen 
Hülle  sind  ziemlich  verschleimt  und  gänzlich  verschleimt  sind 
jene,  die  an  die  Viscinschichte  angrenzen.  Letztere  besteht  aus 
oben  erwähnten  Elementen,  welche  radiär  gegen  den  Samen 
angeordnet  sind. 

Setzt  man  einen  Tropfen  Wasser  zu  einem  solchen  Schnitt, 
so  quellen  die  Zellen  so  stark  auf,  dass  sie  manchmal  nicht 
mehr  sichtbar  sind. 

Schon  in  der  älteren  Literatur  finden  sich  einige  Angaben 
über  den  Schleim  der  Mistelbeeren.  Treviranus^  glaubte, 
dass  die  klebende  Materie  »Viscine«  in  verlängerten  farblosen 
Schläuchen  sich  befinde,  welche  strahlenförmig  von  allen 
Punkten  des  Umfanges  gegen  das  »Ei<  zu  gelagert  sind. 

H.  Schacht^  gibt  über  das  Viscin  an,  dass  es  keine 
besondere  Verbindung  ist,  sondern  zunächst  ein  Zersetzungs- 
product  des  Zellstoffs  der  Wand  derjenigen  Zellen  bilde,  welche 
den  Mistelsamen  umgeben.  Er  spricht  auch  von  der  spiraligen 
Verdickung  der  Zellen. 

Die  Ansichten  Karsten's^  haben  bloss  historischen  Werth. 

DieViscinschicht  dient  zur  Anheftung  der  Früchte  der  Mistel 
an  die  Nähräste.  Der  Samen  ist  von  einer  dünnen,  weissen, 
silberglänzenden  Haut,  dem  sogenannten  Endocarp,  umgeben. 


1  L.  C.  Treviranus,  l.  c.  p.  158. 

2  H.  Schacht,  Lehrbuch  der  Anatomie  und  Physiologie  der  Gewächse. 
I,  S.  67. 

^  H.  Karsten,  Über  die  Entstehung  des  Harzes,  Wachses,  Gummis  und 
Schleims  durch  assimilirende  Thätigkeit  der  Zellmembran.  Bot.  Zeitung,  1857, 
S.  316  ff. 


Frucht  und  Samen  von  Viscum.  453 

Auf  dem  Grunde  des  Samens  befindet  sich  eine  Collenchym- 
scheide,  welche  ebenfalls  vom  Endocarp  umhüllt  ist.  Sie  besteht 
aus  sehr  stark,  manchmal  bis  zum  Verschwinden  des  Lumens 
verdickten  Zellen,  welche  eine  concentrische  Schichtung  zeigen. 

Das  Endocarp  besteht  aus  zweierlei  Elementen:  Erstens 
aus  abgeplatteten  Zellen,  deren  Zellwände  netzförmig  verdickt 
sind  (Fig.  6);  die  unverdickten  Stellen  verlaufen  in  einer  Rich- 
tung und  jene  der  Nachbarzellen  weichen  sehr  wenig  von  der 
Richtung  der  ersteren  ab.  Ferner  besteht  es  aus  Spiralgefässen, 
die  überall  durch  das  Gewebe,  welches  die  netzförmig  ver- 
dickten Zellen  bilden,  verlaufen,  besonders  zahlreich  um  den 
Rand  des  platten  Samens.  Beiderlei  Elemente  des  Endocarps 
sind  verholzt.  Bei  Gefässen  scheint  die  Verholzung  weiter  fort- 
geschritten zu  sein,  als  bei  den  Netzfaserzellen,  da  sie  nach 
Behandlung  mit  Phloroglucin -4- Salzsäure  oder  Anilinsulfat  eine 
intensivere  violette,  beziehungsweise  gelbe  Farbe  zeigen  als 
die  ersteren. 

Rutheniumroth  (Ruthenium  sesquichlorür)  färbt  die  netz- 
förmig verdickten  Zellen  roth.  Sie  enthalten  also  Pectinkörpei*. 
Wiesner^  beobachtete,  dass  das  Endocarp  in  grosser  Luft- 
feuchtigkeit und  bei  Einwirkung  liquiden  Wassers  einen  zäh- 
schleimigen Charakter  annimmt.  Es  dient  wahrscheinlich  auch 
dazu,  das  liquide,  dem  Samen  durch  Regen  oderThau  zugeführte 
Wasser,  wenn  auch  nur  für  kurze  Zeit,  zu  erhalten  und  so  dazu 
beizutragen,  den  Samen  vor  Austrocknung  zu  bewahren.  Wenn 
die  fleischige  Hülle  derViscumbeeren  von  Vögeln  verzehrt  oder 
irgendwie  beseitigt  wird,  dann  bleibt  anstatt  der  gesammten 
Gewebe  der  »Beere«  das  Endocarp  als  einzige  den  Samen  vor 
schädlichen  äusseren  Einflüssen  schützende  Hülle  zurück. 

Treviranus^  gibt  von  dem  dünnen  Häutchen,  welches 
den  Samen  umhüllt,  an,  dass  es  nichts  anderes  sei,  als  die 
innerste,  der  >Viscine«  entbehrende  Schichte  der  Frucht- 
substanz. 

Van  Tieghem^  erkannte  in  dem  Endocarp  verholzte 
Elemente,  aber  sprach  sich  nicht  über  die  Art  derselben  aus. 

^  J.  Wiesner,  Vergleichende  physiol.  Studien  etc.  1.  c.  S.  420. 
2  L.  C.  Treviranus,  1.  c.  S.  160,  161. 
^  Van  Tieghem,  1.  c.  S.  101. 


454  G.  Gjokic, 

In  frischem  Zustande  der  Frucht  haftet  das  Endocarp  fest 
an  dem  Samen  und  es  lässt  sich  nicht  abreissen,  was  sogar 
von  selbst  erfolgt,  wenn  die  Früchte  trocken  sind. 

Der  Samen  ist  seiner  Form  nach  sehr  verschieden,  je  nach- 
dem er  einen,  zwei  oder  drei  Embryonen  einschliesst.  Im  ersten 
Falle  hat  er  eine  flache,  elliptische  Form  und  der  Embryo  liegt 
in  der  Richtung  der  grossen  Axe,  die  zwei  Cotyledonen  nach 
dem  Grunde  richtend  und  das  Hypocotyl  nach  oben,  welches 
am  Ende  kopfförmig  verdickt  ist. 

Der  Embryo  liegt  ganz  im  Endosperm  mit  Ausnahme  des 
Scheitels  des  Hypocotyls,  der  frei  aus  dem  Endosperm  ragt 
und  nach  aussen  vom  Endocarp  wie  der  ganze  Samen 
bedeckt  ist. 

Sind  zwei  Embryonen  vorhanden,  so  hat  der  Samen  bei- 
nahe die  Form  eines  gleichseitigen  Dreiecks.  Die  Hypocotyle 
sind  nach  zwei  Ecken  des  Dreiecks  gerichtet,  während  die 
Cotyledonen,  aneinandergedrückt,  sich  zu  dem  dritten  Ecke 
des  Dreiecks  wenden.  Dieses  Eck  bezeichnet  die  Stelle,  an 
welcher  der  »Same«  in  der  »Beere«  befestigt  ist.  Der  Samen  ist 
hier  durch  Verwachsung  von  zwei  Embryosäcken  entstanden. 
In  einem  jeden  Embryosack  hat  sich  ein  eigenes  Endosperm 
entwickelt,  und  so  stellt  der  Samen  zwei  Endosperme  dar, 
welche  auf  der  oberen  Seite  nicht  ganz  miteinander  verwachsen 
sind  und  oben  eine  Einbuchtung  bilden.  Dadurch  bekommt  der 
Samen  eine  herzförmige  Form. 

Im  dritten  Falle,  wenn  drei  Embryonen  vorkommen,  liegen 
zwei  wie  im  früheren  Falle  und  der  dritte  zwischen  ihnen  der- 
art, dass  dessen  Cotyledonen  zwischen  den  Cotyledonen  der 
beiden  anderen  Keimlingen  gleichsam  eingekeilt  sind.  Die  Axen 
aller  drei  Embryonen  liegen  in  einer  Ebene.  In  diesem  Falle 
kann  die  Frucht  die  Form  eines  Vierecks  annehmen. 

Van  Tieghem  gibt  an,  dass  auch  solche  mit  vier  Em- 
bryonen vorkommen,  aber  das  muss  man  als  eine  sehr  seltene 
Abnormität  betrachten.  Nach  einigen  Autoren  soll  auf  die  Zahl 
der  Embryonen  der  Standort  einen  gewissen  Einfluss  ausüben: 
so  gibt  z.  B.  Solms-Laubach^  für  die  coniferenbewohnenden 

J  Solms- Laubach,  Cber  den  Bau  und  Entwicklung  der  Ernährungs- 
organe parasitischer  Phanerogamen.  Pringsheim's  Jahrb.  f.  Bot.,  VI,  S.  604. 


Frucht  und  Samen  von  Vt'scum.  455 

Mistelformen  einen  Embryo  an,  für  die  auf  Laubhölzern  lebende 
zwei  oder  mehrere.  Kronfeld^  dagegen  findet  auch  auf  Ahorn 
und  Pappel  einen  grossen  Procentsatz  einsamiger  Früchte.  Ich 
bin  ebenso  wie  Kronfeld  der  Ansicht,  dass  der  Standort  diesen 
Einfluss  auf  die  Pflanze  nicht  ausübt,  da  ich  öfters  in  den 
Samen  von  einem  und  demselben  Aste  alle  drei  Fälle  gefunden 
habe. 

Auf  Querschnitten  durch  Samen  sieht  man,  dass  die 
Zellen  des  Endosperms  gross  und  parenchymatisch  sind.  Sie 
sind  voll  von  Stärkekörnern  und  führen  Zellkern  und  eine 
grosse  Menge  Chlorophyllkömer.  Diese  Thatsache  hebt  De- 
caisne*  hervor  und  sagt,  dass  es  das  einzige  Beispiel  ist, 
dass  so  tief  im  Gewebe  eine  so  grosse  Masse  von  Chlorophyll- 
körnern erzeugt  wird. 

Die  Zellwände  sind  reichlich  mit  einfachen  Tüpfeln  ver- 
sehen. Sie  besitzen  auch  Intercellularräume,  welche  oben 
gegen  die  Oberfläche  viel  seltener  und  enger  sind,  als  gegen 
das  Innere  des  Samens.  Die  Epidermiszellen  sind  convex, 
nach  aussen  und  auf  den  Seitenwänden  sehr  verdickt  (Fig.  1). 

Sie  führen  auch  Chlorophyll-  und  Stärkekörner  wie  die 
anderen  Zellen  des  Endosperms.  Behandelt  man  die  Schnitte 
mit  Chlorzinkjod,  so  färben  sich  die  Zellwände  des  Endo- 
sperms und  die  äussere  Wand  der  peripherischen  Zellen 
differenzirt  sich  in  drei  Schichten. 

Die  erste  von  innen  färbt  sich  violett  wie  die  übrigen 
Zellen  des  Endosperms.  Sie  ist  also  eine  Celluloseschichte. 
Nach  dieser  kommt  eine  andere,  welche  zwei  bis  dreimal  so 
dick  ist  (Fig.  1  c).  Diese  färbt  sich  mit  dem  genannten  Reagens 
braun.  Die  äusserste  wird  gelb  bis  gelblichbraun  gefärbt.  Nach 
längerer  Einwirkung  des  Reagens  färbt  sich  die  mittlere 
Schichte  tief  braun  und  die  äusserste  (die  später  zu  nennende 
Wachsschichte)  braun.  Die  Schnitte,  mit  concentrirter  Schwefel- 
säure behandelt,  lösen  sich  ganz  mit  Ausnahme  der  mittleren 


1  Kronfeld,  Zur  Biologie  der  Mistel.  Biolog.  Centralblatt,  VII,  Nr.  15 
(1887),  S.  459. 

2  M.  Decaisne,  Sur  le  poUen  et  l'ovula  du  gui.    Ann.  sc,  nat.  2.  ser. 
t.  XIII  (1840),  p.  291. 


456  G.  Gjokic, 

Membranschichte  der  Epidermiszellen.  Diese  wird  braun  ge- 
färbt und  rollt  sich  bei  Einwirkung  des  Reagens  zusammen. 
Concentrirte  Kalilauge  färbt  diese  Schichte  gelb. 

Chromsäure  löst  dieselbe  nicht  auf.  Mit  Alkannareagens 
färbt  sie  sich  roth,  so  wie  die  äusserste  Schichte. 

Das  Schulze*sche  Gemisch  lässt  sie  deutlicher  hervor- 
treten, während  das  übrige  durchsichtiger  wird.  Diese  mitt- 
lere Zellwandschichte  gibt  also  alle  Reactionen,  wie 
die  gewöhnliche  Cuticula.  Sie  ist  ziemlich  mächtig  ent- 
wickelt und  ist  scharf  abgegrenzt  von  der  übrigen  Zellhaut. 
Diese  so  mächtige  Cuticula  trägt  viel  dazu  bei,  dass  das  im 
Inneren  des  Samens  enthaltene  Wasser  nicht  verdunstet.  Es 
ist  eine  bekannte  Thatsache,  dass  die  Verdickung  und  Cuti- 
cularisirung  der  Aussenwandungen  der  Epidermiszellen  ge- 
wöhnlich gleichen  Schritt  hält  mit  der  Schutzbedürftigkeit  der 
darunter  liegenden  Gewebe  gegen  Austrocknung. 

Die  Pflanzen,  welche  in  regenarmen  Klimaten  wachsen, 
besitzen  meistens  solche  Verdickung  und  Cuticularisirung  der 
äusseren  Zellwände  der  Epidermis,  welche  die  Transpiration 
der  Pflanzen  auf  ein  sehr  geringes  Ausmass  einzuschränken 
vermögen. 

Die  Viscnm-Ssimen  werden  auf  Ästen  mit  Viscinschleim 
angeklebt  und  ihre  Keimung  fällt  eben  in  eine  Zeit,  während 
welcher  die  Niederschläge  am  spärlichsten  sind,  und  die  Luft 
selbst  ziemlich  trocken  ist.  Sie  sind  also  nur  auf  das,  vor  der 
Fruchtreife  in  ihrem  Innern  enthaltene  Wasser  angewiesen. 
Dieses  Wasser  schützen  sie  durch  die  cuticularisirte  Schichte 
vor  Verdunstung.  Wir  werden  gleich  sehen,  dass  das  genannte 
Gewebe  noch  in  anderer  Weise  die  Samen  vor  Verdunstung 
schützt.  Es  liegt  über  der  Cuticula  noch  eine  Schichte,  welche 
noch  dicker  ist  (Fig.  1  fv).  Sie  ist  nicht  so  solid  gebaut, 
sondern  sie  zeigt  viele  radiär  verlaufende  Spalten  und  Risse. 
Sie  färbt  sich  durch  Chlorzinkjod,  wie  schon  erwähnt  wurde, 
gelb  bis  gelblichbraun.  Sie  wird  in  Äther  nach  längerer  Ein- 
wirkung fast  ganz  gelöst.  In  absolutem  Alkohol  löst  sie  sich 
theilweise.  Nach  24  stündiger  Einwirkung  des  Alkohols  bleibt 
noch  immer  ein  Theil  derselben  ungelöst.  Weiter  löst  sie  sich 
in  Terpentinöl,  Schwefelkohlenstoff  und  Benzol,  sowie  auch  in 


Frucht  und  Samen  von  Viscum.  457 

Nelkenöl.  Nach  Einwirkung  dieses  Öles  tritt  besonders  schön 
die  Differenzirung  der  cuticularisirten  und  Celluloseschichte 
hervor. 

Durch  Alkannareagens  färbt  sie  sich  roth.  Von  concen- 
trirter  Schwefelsäure  wird  sie  sofort  angegriffen.  Während  der 
Einwirkung  der  Säure  werden  die  Spalten  und  Risse  in  dieser 
äussersten  Schichte  der  Wandverdickung  grösser  und  die 
ganze  Schichte  scheint  aus  Stäbchen  zu  bestehen.  Diese 
Stäbchen  verschwinden  sodann  allmälig.  Alles  Reactionen, 
welche  auf  einen  fett-  oder  wachsartigen  Körper 
schliessen  lassen. 

Dieser  fettartige  Körper  stimmt  ganz  mit  dem  von  de 
Bary^  und  von  Wiesner  ^  als  Wachs  bezeichneten,  der  als 
Überzug  auf  der  Epidermis  von  Blättern,  Stengeln  und  Früchten 
vieler  Pflanzen  aufgelagert  ist.  Wie  reichlich  der  Wachsüberzug 
dem  genannten  Gewebe  aufgelagert  ist,  geht  daraus  hervor, 
dass  ein  auf  einer  Glasplatte  liegender  Mistelsamen,  mit  einigen 
Tropfen  Alkohol  übergössen,  auf  dem  Glase  einen  reichlichen 
Fettüberzug  zurücklässt. 

Der  hier  bei  Viscum  album  vorkommende  stimmt  der 
Form  nach  mit  keinem  von  de  Bary  und  Wiesner  beschrie- 
benen ganz  überein.  Am  ähnlichsten  ist  er  dem  Stäbchen- 
überzug. Seine  Stäbchen  sind  theils  ganz  verschmolzen,  theils 
bleibt  noch  eine  Spalte  zwischen  ihnen.  Betrachtet  man  den 
Wachsüberzug  in  polarisirtem  Lichte,  so  erweist  er  sich  als 
doppelbrechend.  Für  einige  Wachsüberzüge  wurde  dieses  Ver- 
halten vor  langer  Zeit  von  Wiesner^  constatirt  und  dieser 
Forscher  wies  nach,  dass  die  Wachsüberzüge  krystallinischen 
Charakter  haben  und  keine  organisirten  Formelemente  sind, 
wie  dies  vordem  de  Bary  behauptet  hatte. 

Um  den  Schmelzpunkt  des  Wachses  ungefähr  zu  bestim- 
men, bediente  ich  mich  zweier  Methoden.  Einige  durch  Samen 


1  De  Bary,  über  die  Wachsüberzüge  der  Epidermis.  Bot.  Zeitung,  1871, 
S.  128  ff. 

3  J.  Wiesner,  Beobachtungen  über  die  Wachsüberzüge  der  Epidermis, 
Bot.  Zeitung,  1871,  S.  769. 

8  J.  Wiesner,  über  die  krystallinische  Beschaffenheit  der  geformten 
Wachsüberzüge  pflanzlicher  Oberhäute.  Bot.  Zeitung,  1876,  S.  225  ff. 


458  G.  Gjokic, 

ausgeführte  und  mit  Alkannin  gefärbte  Schnitte  wurden  auf 
einen  Objectträger  gelegt  und  in  einen- Trockenschrank  ge- 
geben. 

Er  wurde  nun  geheizt  und  ich  controlirte  von  Zeit  zu  Zeit 
durch  mikroskopische  Untersuchung,  ob  bereits  ein  Schmelzen 
eingetreten  war.  Als  das  Thermometer  eine  Temperatur  von 
95**  C.  zeigte,  war  das  Wachs  ganz  geschmolzen. 

Es  waren  ausserhalb  und  innerhalb  der  Zellen  kleine 
rothe  Tropfen  zu  sehen.  Diese  Temperatur  dürfte  w^ohl  wegen 
der  Unvollkommenkeit  der  Methode  etwas  zu  hoch  gefunden 
worden  sein.  Die  zweite  Methode  bestand  in  folgendem  Vor- 
gang: Ein  vom  Endocarp  befreiter  Samen  wurde  auf  einem 
Objectträger  mit  absolutem  Alkohol  Übergossen.  Das  Wachs 
wurde  theilweise  gelöst  und  nach  Verdunstung  des  Alkohols 
blieb  ein  krystallinischer  Rückstand  zurück.  Das  Erhitzen 
geschah  durch  Eintauchen  des  Objectträgers  in  ein  mit  heissem 
Wasser  gefülltes  Becherglas,  welches  mit  einem  Thermometer 
adjustirt  war.  Das  Wachs  begann  bei  80"*  C.  zu  schmelzen  und 
war  bei  85"*  C.  beinahe  vollkommen  geschmolzen.  Bei  der 
trockenen  Destillation  des  Wachses  entsteht  Acrole'fn,  zum 
Beweise,  dass  auch  dieses  »Pflanzenvvachs«  aus  Fetten  (Gly- 
ceriden)  besteht  oder  enthält,  was  bezüglich  zahlreicher 
Wachsüberzüge  pflanzlicher  Hautgewebe  zuerst  von  Wiesner 
nachgewiesen  wurde.^ 

Erst  jetzt  ist  klar,  in  welchen  Einrichtungen  der  so  grosse 
Transpirationsschutz  der  Viscum-Seimen,  der  dieselben  auch 
im  Exsiccator  keimen  lässt,  besteht.  Der  sogenannte  Samen  ist 
also  von  einer  stark  verkorkten  und  einer  Wachsschichte 
umhüllt,  die  eine  starke  Verdunstung  des  im  Samen  enthaltenen 
Wassers  unmöglich  macht.  Nur  durch  diese  Einrichtung  ist  es 
der  Pflanze  möglich  geworden,  sich  in  den  Gegenden  ihres 
jetzigen  Verbreitungsbezirkes  zu  erhalten. 

Führt  man  so  die  Schnitte  durch  den  Samen,  dass  das 
Hypocotyl  quer  durchschnitten  wird,  so  sieht  man,  dass  die 
Zellen  desselben  parenchymatisch  sind,  aber  kleiner  als  die  der 
Cotyledonen,  voll  von  Chlorophyllkörnern,  welche  dem  ganzen 

1  L,  c.  s.  225  ff. 


Frucht  und  Samen  von  Visctttn.  459 

Hj'pocotyl  eine  dunkelgrüne  Farbe  geben  und  sehr  viel  Proto- 
plasma enthalten. 

Die  peripherischen  Zellen  sind  nicht  isodiametrisch,  son- 
dern scheinen  im  Querschnitte  etwas  radiär  gestreckt  zu  sein. 
Sie  sind  stark  verdickt  und  cuticularisirt  (Fig.  2  c). 

Diese  starke  Cuticularisirung  der  Epidermis  des  Hypo- 
cotyls  beschützt  dasselbe  vor  allzugrosser  Austrocknung  und 
natürlich  auch  vor  anderen  Einflüssen,  wenn  es  aus  dem 
Samen  hinaustritt. 

Um  das  Hypocotyl  ist  noch  eine  Lage  verschleimter 
Zellen  (Fig.  2  s)  zu  beobachten.  Auf  durch  Samen  geführte 
Längsschnitten  sieht  man,  dass.  der  Schleim  erst  an  der  Seile, 
wo  das  Stengelchen  an  die  Cotyledonen  grenzt,  nach  oben  sich 
verbreitert.  Sein  Maximum  findet  sich  dort,  wo  das  Hypocotyl 
aus  dem  Nährgewebe  herausragt  (Fig.  3). 

Beiderseits  vom  Stengelchen  befindet  sich  eine  Einbuch- 
tung und  die  verdickte  Epidermis  reicht  in  dieselbe  auf  zwei 
oder  drei  Zellenlängen  hinein  (Fig.  3  c).  Es  kann  keinem 
Zweifel  unterliegen,  dass  sich  diese  schleimige  Masse  aus  dem 
Endosperm  ausgebildet  hat.  Die  Zellen  des  Endosperms  sind 
gar  nicht  abgegrenzt  von  diesem  Schleim,  vielmehr  sieht  man, 
wie  die  Zellen  allmälig  in  denselben  übergehen:  die  Zellwände 
werden  immer  dünner,  bis  sie  kaum  mehr  erkennbar  sind.  Im 
Schleim  selbst  erkennt  man  die  Contouren  der  Zellen.  Pitra^ 
konnte  sich  nicht  entscheiden,  ob  dieser  Schleim  aus  den 
Endospermzellen  entstanden  ist  oder  ob  er  aus  dem  Hypocotyl 
ausgeschieden  ist. 

In  der  Einbuchtung  zwischen  dem  Hypocotyl  und  der 
Epidermis  des  Nährgewebes  finden  sich  einige  verschleimte 
Zellen  (Fig.  3).  Wahrscheinlich  sind  das  noch  nicht  ganz  ver- 
drängte Zellen  der  Blüthenaxe. 

Am  Scheitel  des  Hypocotyls  befindet  sich  auch  dieser 
Schleim.  Er  färbt  sich  mit  Chlorzinkjod  gelb  und  mit  Ruthenium- 
sesquichlorür  roth.  Dieser  Schleim  erleichtert  dem  Hypocotyl 
das  Hinaustreten  aus  dem  Nährgewebe  während  des  Wachs- 


^  A.  Pitra,  Über  Anheftungsweise  einiger  phanerogamer  Parasiten  an 
ihre  Nährpflanzen.  Bot.  Zeitung,  1861,  S.  54. 


460  G.  Gjokic, 

thums  und  schützt  das  Nährgewebe  vor  zu  starker  Tran- 
spiration. 

Durch  das  Stengelchen  verläuft  ein  aus  Spiralgefassen 
bestehendes  Gefässbündel,  das  sich  in  zwei  Bündel  theilt, 
welche  in  die  Cotyledonen  gehen. 

Jeder  Embryo  hat  zwei  Cotyledonen,  die  so  knapp  an- 
einanderliegen,  dass  die  Wände  der  sich  berührenden  Zellen 
an  vielen  Stellen  verwachsen.  Die  Spitzen  der  Cotyledonen 
sind  in  der  Regel  frei,  obwohl  auch  hier  die  Verwachsung  vor- 
kommt. 

Die  Cotyledonen  fallen  durch  ihre  grünlichweisse  Farbe 
ins  Auge,  während  ihr  Stengelchen  dunkelgrün  erscheint  und 
der  ganze  Embryo  liegt  in  grünem  Endosperm. 

Sind  zwei  oder  drei  Keimlinge  in  dem  Samen  vorhanden, 
dann  verwachsen  sie  in  der  Regel  so,  wie  die  zwei  Cotyledonen 
eines  und  desselben  Keimlings,  aber  nie  so  weit,  dass  die  Coty- 
ledonen ein  homogenes  Gewebe  darstellen.  Decaisne^  war 
der  Meinung,  dass  die  Cotyledonen  in  unreifem  Zustande  ver- 
verwachsen, in  reifem  dagegen  frei  sind.  Dieser  Meinung  trat 
Treviranus^  entgegen  und  behauptete,  dass  beide  Coty- 
ledonen, wenn  ein  Keimling,  alle  vier,  wenn  zwei  Keimlinge 
vorhanden  sind,  in  der  vollständig  ausgebildeten  Frucht  voll- 
kommen so  miteinander  verwachsen,  dass  man  keine  weitere 
Spur  der  vormaligen  Trennung  als  eine  leichte  Ausrandung 
wahrnimmt,  inwendig  aber  eine  vollkommene  Continuität  der 
Substanz  stattfindet. 

Auch  diese  Angabe  kann  ich  nicht  in  Allem  bestätigen. 
Vollkommene  Verwachsung  der  Cotyledonen  habe  ich  nirgends 
gesehen,  aber  eine  partielle,  und  zwar  in  der  Nähe  der  Spitzen 
habe  ich,  obwohl  sehr  selten,  doch  bestimmt  beobachtet.  Die 
äussere  Schichte  der  Cotyledonen  bildet  eine  Oberhaut  aus, 
deren  Zellen  sich  bezüglich  der  Wandverdickung  gar  nicht  von 
den  darunterliegenden  Zellen  unterscheiden. 

An  den  Spitzen  der  Cotyledonen  ist  das  Zellgewebe  be- 
sonders zart  und  fällt  schon  durch  seine  hellere,  fast  weisse 


1  M.  Decaisne,  Mem.  s.  1.  Gui.  Mem.  d.  Bruxelles  XIII. 
*^  L.  C.  Treviranus,  1.  c,  p.  161. 


Frucht  und  Samen  von  Viscitm.  46 1 

Farbe   auf.   Durch  die  Zellen  der  Cotyledonen  geht  das  Auf- 
saugen der  Nährstoffe  aus  dem  Endosperm  vor  sich. 

Viscum  orkntale. 

Um  die  Einrichtungen,  welche  dem  Transpirationsschutze 
der  Samen  von  Viscum  album  zu  Grunde  liegen,  vollständig 
zu  untersuchen,  war  es  nöthig,  auch  einige  Samen  der  tro- 
pischen Arten,  welche  dieses  Transpirationsschutzes  entbehren 
in  Untersuchung  zu  ziehen. 

Das  Untersuchungsmaterial  bestand  zum  Theil  aus  in 
Alkohol  conservirten,  theils  getrockneten  Exemplaren  der 
genannten  Art,  welche  Herr  Hofrath  J.  Wiesner  im  Jahre  1893 
in  Java  gesammelt  hat. 

Die  Beeren  von  Viscum  Orientale  sind  der  Farbe  und  der 
Grösse  nach  den  Früchten  von  Loranihus  europaeus  sehr  ähn- 
lich. Bei  der  fleischigen  Hülle  ist  die  Viscinschicht  im  Vergleiche 
zu  Viscum  album  sehr  schwach  entwickelt.  Ihre  Elemente  sind 
der  Form  nach  denjenigen  von  Viscum  album  gleich  und  sind 
gerade  so  radiär  gegen  den  Samen  angeordnet. 

Der  Viscinschleim  färbt  sich  mit  Chlorzinkjod  oder  mit 
Jodtinctur-4- Schwefelsäure  violett  oder  blau  und  verhält  sich 
überhaupt  gegen  Reagentien  wie  gewöhnliche  Cellulose. 

Die  äussere  Schichte  der  fleischigen  Hülle  stimmt  sehr  mit 
der  von  Viscum  album  überein. 

Der  sogenannte  Samen  hat  die  herzförmige  Gestalt,  wie 
die  mit  zwei  Embryonen  versehenen  Samen  von  Viscum  album, 
nur  ist  er  relativ  dicker  und  abgerundeter.  Er  besitzt  stets  einen 
seitlich  gelegenen  Embryo.  Auf  den  Querschnitten  durch  den 
Samen  kann  man  beobachten,  dass  die  Epidermiszellen  des 
Endosperms  radiär  gestreckt  sind  und  dass  sie  nach  aussen 
eine  schwache  Verdickung  im  Vergleiche  mit  der  von  Viscum 
album  erfahren  haben  (Fig.  4). 

In  mit  Chlorzinkjod  behandelten  Schnitten  färben  sich  die 
Zellwände  violett,  nur  die  äussere  Schichte  der  verdickten  Epi- 
dermis braun.  Letztere  wird  in  concentrirter  Schwefelsäure 
nicht  gelöst,  sondern  braun  gefärbt.  Mit  Alkannin  färbt  sie  sich 
roth.  Diese  Schichte  verhält  sich  also  wie  die  Cuticula  einer 
Oberhaut. 


462  G.  Gjokic, 

Der  Samen  entbehrt  jenes  bei  V.  album  beschriebenen 
Wachsüberzuges.  Es  wurde  keine  Spur  von  demselben,  weder 
bei  den  Samen  aus  Alkoholmaterial,  noch  bei  den,  welche 
dem  Herbarium  entnommen  wurden,  aufgefunden.  Die  Samen 
von  tropischen  Viscum-hrien  brauchen  keinen  Transpirations- 
schutz, da  sie  sich  in  sehr  feuchter  Luft  während  der  Keimung 
befinden,  und  es  steht  ihnen  auch  reichlich  liquides  Wasser 
zur  Verfügung. 

Die  Epidermiszellen  sind  sehr  protoplasmareich  und  führen 
keine  Stärkekörner,  wie  ich  es  bei  Viscum  albnnt  beschrieben 
habe.  Die  übrigen  Zellen  des  Endosperms  sind  von  Stärke- 
körnern erfüllt.  Die  Zellwände  sind  mit  einfachen  Tüpfeln  ver- 
sehen und  bilden  regelmässig  Intercellularräume. 

Um  das  Stengelchen  hatte  der  Schleim  an  meinem  Material 
seine  Klebrigkeit  in  Alkohol  so  weit  eingebüsst,  dass  er  nicht 
mehr  im  Stande  war,  den  KeimUng  während  des  Schneideni^ 
festzuhalten,  sondern  derselbe  fiel  gleich  heraus. 

Die  Epidermiszellen  des  Stengelchens  sind  verdickt,  aber 
relativ  schwächer  als  bei  Viscum  album.  Die  Elemente  des 
Endocarps  sind  parenchymatische  Zellen  und  Spiralgefässe. 

Die  ersteren  sind  weder  netzförmig  verdickt,  noch  verholzt 
wie  bei  Viscum  album  und  führen  viele  Krystalldrusen  von 
oxalsaurem  Kalke. 

Viscum  articulatum. 

Die  Beeren  sind  beinahe  kugelrund,  klein  und  gleich  denen 
von  Viscum  Orientale  sehr  arm  an  Viscinschleim.  Derselbe  ist 
an  den  flachen  Seiten  des  Samens  reicher  angelagert  als 
anderswo.  Der  Samen  ist  linsenförmig  gestaltet  und  besitzt 
nur  einen  Embryo,  der  an  der  Seite  mit  seinem  Stengelchen 
austritt. 

Der  Same  ist  ebenso  frei  von  Wachsüberzug  wie  der  von 
Viscum  Orientale. 

In  allen  anderen  anatomischen  Einzelheiten  ist  er  ähnlich 
jenem  von  Viscum  Orientale. 

Zusammenfassung  der  Ergebnisse. 

1.  Die  beim  Öffnen  einer  Mistelbeere  sich  bildenden  Viscin- 
schleimfäden    sind    künstlich  ausgezogene  Zellen,  welche  je 


Frucht  und  Samen  von  Viscnm.  463 

nachdem,  ob  sie  stark  ausgezogen  sind  oder  nicht,  ihre  spiralige 
Wandstructur  erkennen  lassen  oder  nicht.  Sie  geben  alle 
Reactionen  der  gewöhnlichen  Cellulose  und  lösen 
sich  in  Kupferoxydammoniak. 

2.  Die  verholzten  Elemente  des  Endocarps  von  V.  albtim 
sind:  Netzförmig  verdickte  abgeplattete  Zellen  und  Spiral- 
gefässe. 

3.  Der  das  Hypocotyl  umgebende  Schleim  ist  verschieden 
von  dem  Viscinschleim.  Mit  Chlorzinkjod  wird  er  gelb,  mit 
Ruthenium  sesquichlorür  schön  roth  gefärbt.  Er  bildet  sich 
durch  Verschleimung  der  Endospermzellen  und  büsst  seine 
Klebrigkeit  in  Alkohol  ein. 

4.  Die  Epidermis  der  Samen  von  Viscnm  albnm  ist  sehr 
verdickt  und  cuticularisirt  und  besitzt  einen  mächtig  ent- 
wickeltendoppeltb rechenden  krystallinischen  Wachs- 
überzug, welcher  häufig  radiär  verlaufende  Risse  und 
Spalten  zeigt. 

Der  Schmelzpunkt  des  Wachses  liegt  zwischen  80—90*"  C. 

5.  Die  Cotyledonen  von  zwei  oder  drei  Embryonen  ver- 
wachsen in  der  Regel  nicht  so,  dass  sie  ein  homogenes  Gewebe 
darstellen,  sondern  es  ist  ihre  Begrenzung  an  der  Verwach- 
sungsstelle sichtbar. 

6.  Die  Samen  der  tropischen  Viscnm- Äxten:  V.  Orientale 
und  V.  articnlaium  entbehren  jenes  Wachsüberzuges,  und 
selbst  die  Cuticula  ist  schwächer  entwickelt  als  bei  Viscnm 
albnm. 

7.  Das  Endocarp  bei  tropischen  Viscnm-Avien  unterscheidet 
sich  dadurch  von  dem  des  Viscnm  albnm,  dass  die  abgeplatteten 
Zellen  weder  netzförmig  verdickt,  noch  verholzt  sind. 

8.  Der  exceptionell  starke,  von  Wiesner  zuerst  experi- 
mentell nachgewiesene  Transpirationsschutz  der  Samen  von 
Viscnm  albnm  wird  bewerkstelligt  durch  starke  Cuticularisirung 
der  Epidermis  des  Endosperms  und  durch  einen  mächtig  ent- 
wickelten, diese  Epidermis  überdeckenden  Wachsüberzug.  Der 
Transpirationsschutz  wird  weiter  vervollständigt  durch  die  Cuti- 
cularisirung der  Epidermis  des  Hypocotyls  und  durch  die  Ver- 
schleimung der  dasselbe  umgebenden  Endospermzellen. 


464  G.  Gjokic,  Frucht  und  Samen  von  Viscum. 


Erklärung  der  Abbildungen. 


Fig.  1.  Querschnitt  durch  einen  Samen  von  Viscum  album.  Vergr.  305.   ir  = 

Wachsschicht  mit  radiären  Rissen,  C=  Cuticula. 
Fig.  2.  Querschnitt  durch  das  Hypocotyl  im  Endosperm  von  Viscufn  album. 

Vergr.  305.  C=  Cuticula,  5  =  Schleim  um  das  Hypocotyl,  ^  =  an  den 

Schleim  anstossende  EndospermzcUen. 
Fig.  3.  Längsschnitt  durch  das  Hypocotyl  sammt  Endosperm.  Viscum  album. 

Vergr.  140.  5  =  Schleim  um  das  Hypocotyl,  C=  Cuticula  der  peri- 
pherischen Endospermzellen.  Viscum  album. 
Fig.  4.  Querschnitt  durch  den  peripheren  Theil  (Endosperm)  des  Samens  von 

Viscum  Orientale.  Vergr.  610.  C=  Cuticula,  b  =  Epidermiszellen. 
Fig.  5.  Querschnitt  durch  den   Samen  von  Viscum  ariiculalum.  Vergr.   610. 

C=  Cuticula. 
Fig.  6.  Netzförmig  verdickte  Zellen  des  Endocarps.  Flächenansicht  von  Viscum 

album.  Vergr.  610. 
Fig.  7.  Ein  Stück  etwas  ausgezogener  Viscinzelle  aus  Viscutn  album.  Vergr.  305. 


G.Gjokic:  Frucht  undSamen  von  Yiorum. 


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5. 


Autor  del  l.ith  Anit  v  Tli  Bunnwarth  Wien 

Si  tzungfsberichte  d.kais  Akad.  d.  Wiss.,  math.-naturw.Classe,  Bd.CV.  Abth.  I.  1h96. 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


MATHEMATISCH  -  NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CV.  BAND.  VII.  HEFT. 


ABTHEILUNG  I. 

ENTHALT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  MINERALOGIE, 

KRYSTALLÜGRAPHIE,  BOTANIK,  PHYSIOLOGIE  DER  PFLANZEN,  ZOOLOGIE. 

PALÄONTOLOGIE,  GEOLOGIE,  PHYSISCHEN  GEOGRAPHIE  UND  REISEN. 


467 


XVII.  SITZUNG  VOM  2.  JULI  1896. 


Erschienen:  Monatshefte  für  Chemie,  Bd.  17,  Heft  IV  (April  1896). 

Herr  Prof.  P.  Lenard  in  Aachen  dankt  für  die  ihm  von 
der  kaiserl.  Akademie  zuerkannte  Hälfte  des  A.  Freiherr 
V.  Baumgartner'schen  Preises. 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  Franz  Exner  übersendet  eine  in 
seinem  Institute  ausgeführte  Arbeit  des  Herrn  Dr.  A.  Lampa: 
Ȇber  die  Brechungsexponenten  einiger  Substanzen 
für  sehr  kurze  elektrische  Wellen«. 

Ferner  übersendet  Herr  Prof.  Exner  eine  gleichfalls  in 
seinem  Institute  ausgeführte  Arbeit  des  Herrn  A.  Hauke: 
»Über  die  Refractionsäquivalente  der  Elemente.« 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  H.  Moli  seh  in  Prag  übersendet  eine 
Abhandlung  von  Dr.  J.  Stoklasa:  Ȇber  die  Verbreitung, 
und  physiologische  Bedeutung  des  Lecithins  in  der 
Pflanze«. 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  W.  Wirtinger  in  Innsbruck  über- 
sendet eine  Abhandlung:  Ȇber  eine  Eigenschaft  des 
Potentials  bei  Annahme  eines  Green*schen  Wirkungs- 
gesetzes«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  Wiesner  überreicht  eine 
unter  Mitwirkung  der  Herren  Dr.  Figdor,  Dr.  Krasser  und 
Dr.Linsbauer  ausgeführteUntersuchung  über  das  photo- 
chemische Klima  von  Wien,  Buitenzorg  und  Cairo. 

Silzb.  d.  mathem.-naturw.  Cl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  31 


468 

Das  \v.  M.  Herr  Prof.  Friedr.  Brauer  macht  die  Mit- 
theilung, dass  es  ihm  im  Vereine  mit  Herrn  Assistenten  Anton 
Handlirsch  durch  die  freundliche  Mitwirkung  des  Herrn 
Alois  Kraus,  Inspector  der  kaiserl.  Menagerie  zu  Schönbrunn, 
gelungen  ist,  den  bisher  nur  im  Larvenzustande  bekannten 
Oestriden  des  indischen  Elephanten  (Cobboldta  elephantis  C oh.) 
zur  Verwandlung  zu  bringen. 

Das  w.  M.  Prof.  H.  Weidel  überreicht  drei  Arbeiten  aus 
dem  I.  ehem.  Laboratorium  der  k.  k.  Universität  in  Wien: 

1.  »Studien   über   die   Phtaleine«    von   J.  Herzig    und 
H.  Meyer. 

2.  »Über  das  Y-Acetacetylchinolin«  von  H.  Weidel. 

3.  »Über  das  a-Acetacetylpyridyl«  von  C.  Micko. 

Der  Vorsitzende  legte  das  erste,  aus  sechs  Tafeln  und 
einem  begleitenden  Text  bestehende  Heft  des  photographi- 
schen Atlas  des  Mondes  vor,  dessen  Herausgabe  die 
Pariser  Sternwarte  unternommen  hat. 


Selbständige  Werke  oder  neue,  der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

Koelliker  A.,  Handbuch  der  Gewebelehre  des  Men- 
schen. (Sechste  umgearbeitete  Auflage.)  II.  Bd.,  II.  Heft. 
Nervensystem  des  Menschen  und  der  Thiere.  (Mit 
Textfiguren  Nr.  549—845,  nebst  Titel  und  Inhalt  zum 
II.  Band.)  Leipzig,  1896;  8<>. 

Loewy  M.  und  Puiseux  J.,  Atlas  photographique  de  la 
Lune.  Public  par  l'Observatoire  de  Paris.  Premier  fascicule 
(comprenant  Introduction  et  6  Planches).  Paris,  1896;  gr. 
Folio. 


469 


XVIII.  SITZUNG  VOM  9.  JULI  1896. 


Erschienen:  Sitzungsberichte,   Bd.  105,  Abth.  11.  a.,  Heft  11 — IV  (Februar 
bis  April  1896). 

Der  Secretär  legt  Dankschreiben  für  bewilligte  Subven- 
tionen von  den  Herren  Prof.  Dr.  V.  U  h  1  i  g  und  Prof.  Dr.  F.  B  e  c  k  e 
in  Prag  vor. 

Herr  Prof.  Dr.  L.  Weine k,  Director  der  k.  k.  Sternwarte  in 
Prag,  übermittelt  als  Fortsetzung  seiner  photographischen 
Mondvergrösserungen  19  weitere  Blätter  von  speciellen 
Gegenden  des  Mondes  mit  hierauf  bezüglichen  Erläuterungen. 

Das  c.  M.  Herr  Regierungsrath  Prof.  Dr.  C.  Freiherr  von 
Ettingshausen  übersendet  eine  Abhandlung:  Über  neue 
Pflanzenfossilien  in  der  Radoboj-Sammlung  der  Uni- 
versität Lüttich«. 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  Franz  Exner  übersendet  eine  in 
Gemeinschaft  mit  Herrn  E.  Haschek,  stud.  phil.,  ausgeführte 
Arbeit:  Ȇber  die  ultravioletten  Funkenspectra  der 
Elemente«  (IV.  Mittheilung). 

Herr  Dr.  Max  Bamberger  in  Wien  übersendet  eine  Arbeit: 
Ȇber  den  Nachweis  von  Argon  in  dem  Gase  einer 
Quelle  in  Perchtoldsdorf  bei  Wien«. 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  Dr.  Zd.  H.  Skraup  übersendet  eine 
Abhandlung:  »Über  die  Cincholoiponsäure«. 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  Guido  Goldschmiedt  übersendet 
folgende  sechs  Arbeiten  aus  dem  chemischen  Laboratorium  der 
k.  k.  deutschen  Universität  in  Prag: 

31* 


470' 

1.  Ȇber  die  Einwirkung  von  Jodmethyl  auf  Papa- 
verinsäure«  von  G.  Goldschmiedt  und  A.  Kirpal. 

2.  »Über    Allentricarbonsäureester«    von    G.    Gold- 
schmiedt und  G.  Knöpfer. 

3.  »Über  Indolinone«,  von  Prof.  Karl  Brunner. 

4.  »Über  ß-Benzoylpicolinsäure  und  ß-Phenylpyri- 
dylketon«,  von  Dr.  Berthold  Jeiteles. 

5.  »Zur  Kenntniss  derArachinsäure«,  von  Max 
Baczewski. 

6.  »Zur    Kenntniss    der    Wirkung    des    Aluminium- 
chlorids«, von  Dr.  Moriz  Freund. 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  Dr.  H.  Molisch  übersendet  eine  im 
pflanzenphysiologischen  Institute  der  k.  k.  deutschen  Uni- 
versität in  Prag  von  dem  Herrn  Privatdocenten  Dr.  A.  Nestler 
ausgeführte  Abhandlung,  betitelt:  »Untersuchungen  über 
die  Ausscheidung  von  Wassertropfen  an  den  Blättern«. 

Der  Secretär  legt  eine  Abhandlung  von  Prof.  E.  Waelsch 
an  der  k.  k.  technischen  Hochschule  in  Brunn:  Ȇber  die 
Lame*schen  Polynome  zweiter  Ordnung  einer  Form 
fünfter  Ordnung«  vor. 

Herr  Dr.  Alfred  Burgerstein  in  Wien  übersendet  eine 
Arbeit, betitelt:  »Weitere  Untersuchungen  über  den  histo- 
logischen Bau  des  Holzes  der  Pomaceen  nebst  Be- 
merkungen über  das  Holz  der  Amygdaleen«. 

Die  Herren  Professoren  Dr.  J.  Mauthner  und  Dr.W.  Suida 
\n  Wien  übersenden  eine  gemeinsam  ausgeführte  Arbeit  unter 
dem  Titel:  »Beiträge  zur  Kenntniss  des  Cholesterins« 
(IV.  Abhandlung). 

Herr  Prof.  Dr.  V.  Hilber  in  Graz  übersendet  eine  Ab- 
handlung, betitelt:  »Geologische  Reise  in  Nord-Griechen- 
land und  Türkisch-Epirus   1895«. 

Das  w.  M.  Herr  Regierungsrath  Prof.  E.  Mach  überreicht 
eine  Abhandlung  von  Dr.  Ludwig  Mach,  betitelt:  »Weitere 
Versuche  über  Projectile«. 


471 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  Boltzmann  legt  folgende 
drei  Abhandlungen  vor: 

Die  erste  von  ihm  selbst  unter  dem  Titel:  Ȇber  die 
Berechnung  der  Abweichungen  der  Gase  vom  Boyle- 
Charles'schen  Gesetz  und  die  Dissociation«. 

Die  zweite  von  Herrn  Prof.  Ignaz  Klemencic  in  Inns- 
bruck: >Über  permanente  Magnete  aus  steirischem 
Wolframstahl«. 

Die  dritte  von  Herrn  Theodor  Wulf  in  Innsbruck:  Ȇber 
Rückstandsbildung  und  Oscillationen  bei  verschie- 
denen Condensatoren«. 

Das  w.M.  Herr  Hofrath  Director  F.  Steindachner  legt 
einen  kurzen  vorläufigen  Bericht  über  die  zoologischen 
Arbeiten  im  Rothen  Meere  während  der  Expedition 
Sr.  Majestät  Schiff  »Pola«  in  den  Jahren  1895  und  1896 
(von  October  1895  bis  Ende  April  1896)  vor. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  Ad.  Lieben  überreicht  eine 
in  seinem  Laboratorium  ausgeführte  Untersuchung  von  Dr.  Fritz 
Blau:  Ȇber  die  Einwirkung  von  Brom  auf  Chlor- 
wasserstoff saure  Salze  und  ein  Verfahren  zur  ex  acte  n 
Bestimmung  der  beiden  Halogene  nebeneinander«. 

Femer  überreicht  Herr  Hofrath  Lieben  noch  zwei  andere 
Arbeiten  aus  seinem  Laboratorium,  nämlich: 

1.  »Studien  über  den  Desoxaläther«,  von  A.  Steyrer 
und  W.  Seng. 

2.  »Löslichkeitsbestimmungen   von  Salzen  der  Ca- 
pronsäure  und  önanthylsäure«,  von  E.  Altschul. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Sigm.  Exner  legt  eine  Untersuchung 
vom  Herrn  Privatdocenten  Dr.  L.  Rethi  vor,  welche  im  physio- 
logischen Institute  der  Wiener  Universität  ausgeführt  wurde, 
betitelt:  »Experimentelle  Untersuchungen  über  den 
Schwingungstypus  und  den  Mechanismus  der  Stimm- 
bänder bei  der  Falsettstimme«. 

Herr  Prof.  Sigm.  Exner  überreicht  ferner  eine  Abhandlung 
von   stud.  med.  Friedrich  Schenk,    Demonstrator  am   zahn- 


472 

ärztlichen    Institute    der    k.  k.  Universität   in  Wien,  betitelt 
*Die  erste  Unterkiefer-  und  Alveolenanlage«. 

Das  w.  M.  Herr  Director  E.  Weiss  überreicht  eine  Ab- 
handlung des  Universitäts-Docenten  und  Adjuncten  der  k.  k. 
Sternwarte  in  Prag  Dr.  Rudolf  Spitaler,  betitelt:  »Bahn- 
bestimmung des  Kometen   1890  VII  (Spitaler). 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  H.  Weidel  überreicht  zwei  Arbeiten 
aus  dem  I.  chemischen  Laboratorium  der  k.  k.  Universität  in 
Wien: 

1.  »Studien    über    Quercetin    und    seine   Derivate,« 
(XII.  Abhandlung),  von  Dr.  J.  Herzig. 

2.  »Über  zwei  isomere  Nitrosophloroglucindiäthyl- 
äther,«  von  D.  Moldauer. 

Herr  Dr.  Heinrich  Albrecht  in  Wien  überreicht  eine 
Arbeit,  betitelt:  »Beitrag  zur  vergleichenden  Anatomie 
des  Säugethierkehlkopfes«. 


473 


Ober  neue  Pflanzenfossilien  in  der  Radoboj- 
Sammlung  der  Universität  Lüttieh 


Prof.  Dr.  Constantin  Freih.  v.  Ettingshausen, 

c.  M.  k.  Akad. 

(Mit  5  Tafeln  und  4  Textfiguren.) 

Herr  G.  Dewalque,  Professor  an  der  Universität  in  Lüttich, 
hatte  die  Güte,  die  in  dem  dortigen  geologischen  Institut  auf- 
bewahrte Sammlung  von  Pflanzenfossilien  aus  Radoboj  in 
Croatien  mir  zur  Untersuchung  zu  senden. 

Diese  Sammlung  ist  schon  insofern  von  nicht  geringem 
Interesse,  als  sie  zu  einer  Zeit,  bevor  Franz  Unger,  Adolf 
V.  Morlot  und  ich  die  genannte  paläontologisch  wichtige 
Fundstätte  betraten,  zu  Stande  gekommen  ist. 

Die  Untersuchung  der  Pflanzenfossilien  lieferte  eine  Reihe 
von  Ergänzungen  der  fossilen  Flora  von  Radoboj.  Es  haben 
sich  neue  Arten  der  Gattungen  Myrica,  Qnercus,  Apocyno- 
phyllum,  Pterocelastrns,  Celastrns,  Vitis  und  Crataegus  ge- 
funden. Bisher  bestandene  Zweifel  über  das  Vorkommen  einiger 
Arten  in  dieser  Flora,  z.  B.  Arundo  Goepperti  Heer,  Myrica 
Ugnttnm  Ung.,  Ficus  lanceolata  Heer,  Daphnogene  paradi- 
siaca  Ung.,  Acer  trilobatum  A.  Braun,  Sapindus  Pythii  Ung., 
Podogoninm  Knorii  Heer  und  Cassia  Phaseolites  U n g.,  konnten 
beseitigt  werden;  endlich  ist  die  genauere  Kenntniss  mehrerer 
Arten,  wie  von  Cystoseira  communis  \Jn g.,  Xylomites  umbili- 
catns  Ung.,  Callitris  Brongniartii  Endl.,  Ulmus  bicornisUng.y 
Oka  OsirisJJng.,  Apocynophyllufn  Amsonia  Ung.,  Magnolia 
Dianae  Ung.,  Acer  campylopteryx  Ung.,  Banisieria  Centan- 
rornm  Ung.  und  Sapindus  Unger i  Ett.  durch  die  Untersuchung 
instructiver  Exemplare  gefördert  worden. 


474  C.  V.  Ettingshausen, 

Die  vom  Verfasser  in  den  Beiträgen  zur  fossilen  Flora  von 
Radoboj  (Sitzungsber.,  LXI.  Band,  I.  Abth.,  1870)  aufgestellten 
allgemeinen  Resultate  finden  durch  das  neue  Material  ihre 
Bestätigung.  Dass  die  Pflanzen  dieser  Flora  von  verschiedenen 
Standorten  herstammen,  beweist  das  Vorkommen  einer  MyTtca- 
Art,  entsprechend  der  M.  Gale  L.  und  das  einer  tropischen 
Apocynacee.  Erstere  wuchs  als  gemässigte  Art  auf  einem 
Gebirge  zusammen  mit  Arten  von  Betula,  Fagtis,  UJmus,  Popnlus^ 
Acer  u.  A.;  letztere  im  Thale  zusammen  mit  Arten  von  Canna- 
ceen,  Palmen,  Ficus^  Artocarpeen,  Cinchonaceen,  Sapotaceen, 
Ebenaceen,  Bombaceen,  Cedrelaceen,  Malpighiaceen,  Sapinda- 
ceen,  Engelhardtia,  Caesalpinien  u.  A.  Dazwischen  waren  die 
subtropischen  und  wärmeren  gemässigten  Arten,  wie  die  von 
Myrtaceen,  Laurineen,  Magnoliaceen,  Oleaceen,  Celastrineen, 
Ilicineen,  Rhamneen  u.  A.  verbreitet. 

Beschreibung  der  Arten. 

Thallophyta. 

Algfae. 

Cystoseira  communis  Ung.  sp. 

Syn.  Cystoseirites  communis  Ung.  Chloris  protogaea,  p.  125,  t.  38,  f.  1,  2.  — 
C.  affinis  Ung.,  I.  c.  p.  126,  t.  39,  f.  3.  —  C.  graciiis  Ung.,  1.  c.  p.  126, 
t.  39.  f.  2. 

Es  ist  schon  in  meinen  oben  citirten  Beiträgen  zur  fossilen 
Flora  von  Radoboj  bemerkt  worden,  dass  Cystoseira  affinis  und 
C.  graciiis  aus  den  Schichten  von  Radoboj  von  C  communis 
der  Art  nach  nicht  verschieden  sind  und  höchstens  als  Varie- 
täten der  letzteren  gelten  können.  In  der  Sammlung  der  Uni- 
versität Lüttich  befinden  sich  deutliche  Übergangsformen 
zwischen  C.  communis  und  C.  affinis. 

Fungi. 
Xylomites  umbilicatus  Ung. 
Unger,  Chloris  protogaea,  p.  3,  t.  1,  f.  2. 

Auf  einem  Blatte  der  Olea  Osiris  Ung.  kommt  ein  Pilz 
vor,  welcher  mit  dem  a.  a.  O.  beschriebenen  so  viel  überein- 


Pflanzenfossilien  der  Radoboj-Sammlung.  475 

Stimmt,  dass  ich  die  Gleichartigkeit  beider  annehmen  zu  können 
glaube.  Ob  ein  ähnlicher,  auf  einem  Blatte  von  Apocyttophyllum 
ilw5oma  Ung.  vorkommender  Pilz  ebenfalls  dahin  gehört,  ist 
zweifelhaft,  jedoch  nicht  sehr  unwahrscheinlich,  da  der  von 
Unger  abgebildete  auf  einem  Blatte  in  Erscheinung  tritt, 
welches  weder  zu  Olea,  noch  zu  Apocynophylltim  gehört, 
somit  dieser  Pilz  jedenfalls  auf  verschiedenen  Dicotyledonen- 
Blättern  seinen  Wohnsitz  hatte. 

Cormophyta. 

Gymnospermae. 

Coniferae. 

Callitris  Brongniartii  Endl. 

Syn.  Thuites  callitrina\3nz.  Chloris  protogaea,  p.22,  t.  6,  f.  1—8;  t.  7,  f.  1  —  1 1. 

Unger  hat  nur  an  einem  Exemplar  dieser  Art  (1.  c.  t.  7,  f.  3) 
eine  männliche  Blüthe  nachgewiesen.  In  der  Lütticher  Univer- 
sitätssammlung befindet  sich  ein  Zweigchen  dieser  Art  mit 
fünf  solchen  Blüthen  an  den  Enden  der  Verzweigungen. 

Libocedrus  salicomioides  Ung.  sp. 

Syn.  Thuiies  salicomioides  Ung.  1.  c.  p.  11,  t.  2,  f.  1—4,  7. 

Von  den  gegliederten  Ästen  dieser  Cupressinee,  welche 
gleich  denen  der  analogen  jetzt  lebenden  Libocedrus -hritn 
leicht  zerbrechlich  waren,  finden  sich  im  Biliner  Tertiärbecken 
und  anderwärts  nicht  selten  einzelne  Glieder,  welche  man  für 
mit  schmalen  Flügeln  versehene  Samen  halten  könnte  und 
daher  manchmal  zu  Täuschungen  Anlass  gegeben  haben.  Es 
liegt  mir  ein  7  mm  langes  und  am  oberen  Ende  4  mm  breites, 
flaches  Fossil,  das  ein  solches  Glied  repräsentirt,  aus  genannter 
Sammlung  vor. 

Angiospermae. 
Monocotyledones. 

Gramineae. 
Arundo  Goepperti  Heer. 
0.  Heer,  Tertiärflora  der  Schweiz,  Bd.  I,  S.  62,  Taf.  22,  Fig.  3;  Taf.  23. 

Die  von  Unger  unter  der  Benennung  jBafw^/5/«f«  sepuUnm 
I.e.  p.  128,  t.  40,  Fig.  I,  2   beschriebenen   und   abgebildeten 


476  C.  V.  Ettingishausen, 

Gramineen-Reste  aus  Radoboj  sind  von  O.  Heer  als  Arufiäo- 
Reste  erklärt  und  obiger  Art  einverleibt  worden.  Die  in  der 
Sammlung  der  Universität  Lüttich  enthaltenen  Gramineen-Reste 
von  ebendaher,  Halmbruchstücke  theils  mit,  theils  ohne  Blatt- 
fragment, passen  am  besten  zu  Arunäo,  daher  ich  die  Ansicht 
Heer's  auch  hiernach  bestätigen  kann. 

Dicotyledones. 

Apetalae. 

Myricaccae. 

Myrica  lignitum  Ung.  Forma  angustifolia. 

Taf.  1,  Fig.  3. 

Etlingsh.  u.  Standf.,  Über  Myrica  lignitum.  Denkschriften,  LIV.  Bd.,  S.  256, 
Taf.  I,  Fig.  8—11. 

Weder  Unger  noch  ich  konnte  diese  Art  in  der  fossilen 
Flora  von  Radoboj  bis  jetzt  nachweisen,  obgleich  die  Annahme 
nahe  lag,  dass  zu  den  zahlreichen  Arten,  welche  diese  Flora 
mit  anderen  Tertiärfloren  gemein  hat,  auch  die  in  der  Tertiär- 
formation so  weit  verbreitete  Myrica  lignitum  sich  finden 
werde.  Es  ist  daher  das  zweifellose  Vorkommen  eines  Blattes 
dieser  Art  unter  den  Radoboj -Fossilien  der  Lütticher  Univer- 
sitäts-Sammlung von  besonderem  Interesse. 

Das  Blatt  kann  mit  denen  von  Qnercns  Lonchitis  Ung. 
leicht  verwechselt  werden,  daher  die  Abbildung  und  eine 
genauere  Beschreibung  desselben  hier  wohl  am  Platze  ist.  Der 
Abdruck  verräth  eine  derbe  lederartige  Textur,  wie  solche  an 
den  Blättern  der  Myrica  lignitum  stets  zu  beobachten  ist,  und 
ausserdem  die  für  die  Blattfossilien  dieser  Art  charakteristische 
feinkörnige  Structur,  welche  von  den  dichtgedrängten  Drüsen 
herrühren.  Die  Form  der  Lamina  ist  schmallanzettlich,  gegen 
Spitze  und  Basis  gleichmässig  verschmälert.  Letztere  ist  leider 
vor  dem  Beginn  des  Stieles  abgebrochen;  doch  lässt  sich  ent- 
nehmen, dass  die  Basis  daselbst  nicht  abgerundet  war,  wie  bei 
dem  Blatte  der  Qttercus  Lonchitis  und  der  ihr  analogen  jetzt- 
lebenden Q.  lanceolata.  Sehr  charakteristisch  ist  die  Zahnung 
des  Randes.  Die  spärlichen,  unregelmässig  vertheilten  und 
ungleichen   Zähne   entspringen    unter   spitzen    Winkeln,  sind 


Pllanzenfossilien  der  Radoboj-Sammlung.  '^17 

daher  nach  vorn  geneigt  und  schliessen  sehr  spitze  Buchten 
ein,  wodurch  die  gezähnte  Myrica  lignitum  von  allen  ähnlichen 
Eichenblättem  unterschieden  werden  kann.  Die  Nervation  ist 
zwar  mangelhaft  erhalten,  man  bemerkt  jedoch  deutlich  einen 
an  der  Basis  hervortretenden,  gegen  die  Spitze  zu  allmälig 
verfeinerten  Primärnerven  und  unter  wenig  spitzen  Winkeln 
entspringende  feine  Secundärnerven,  was  zur  Nervation  der 
genannten  Art  vollkommen  stimmt.  Es  bleibt  nur  noch  die 
Beantwortung  der  Frage  übrig,  ob  die  zwei  von  Unger  für  die 
Flora  von  Radoboj  aufgestellten  Arten,  M.  integrifolia  und 
M.  salicina  noch  Geltung  haben  oder  mit  der  Forma  angusti- 
folia  der  M  ligniium,  welche  auch  ungezähnte  Blätter  auf- 
weist, vereinigt  werden  sollen.  Um  das  zu  entscheiden,  müsste 
ein  reichlicheres  Material  derselben  aus  den  Schichten  von 
Radoboj  vorliegen,  was  künftigen  Forschungen  vorbehalten 
bleibt. 

Myrica  Palaeo-Gale  sp.  n. 

Taf.  I,  Fig.  2. 

M.  foliis  subcoriaceis,  breviter  petiolatis,  obovato-cuneatis, 
apice  subobtuso  paullo  angustatis,  integerrimis;  nervatione 
mixta,  craspedo-camptodroma;  nervo  primario  recto,  basi  pro- 
minente, apicerri  versus  valde  attenuato,  nervis  secundariis 
tenuissimis,  sub  angulis  60 — 70°  orientibus,  superioribus  cras- 
pedodromis,  inferioribus  camptodromis;  nervis  tertiariis  vix 
conspicuis. 

Bei  der  Bestimmung  dieses  kleinen  Blattfossils  müssen 
mehrere  Ordnungen,  in  welchen  mehr  oder  weniger  ähnliche 
Blätter  vorkommen,  in  Betracht  gezogen  werden.  Die  Merk- 
male, welche  hiebei  besonders  zu  beachten  sind,  betreffen  die 
ziemlich  derbe,  fast  lederartige  Consistenz,  den  auffallend  kurzen 
Stiel,  in  dem  die  Lamina  sich  nur  wenig  verschmälert,  die  Form 
der  letzteren,  welche  länglich-verkehrt-eiförmig  erscheint  und 
daher  auch  als  nahezu  keilförmig  gelten  kann,  die  fast  ab- 
gerundet-stumpfliche Spitze,  von  welcher  gegen  die  Mitte  der 
Lamina  herab  die  Randzähne  ziehen,  deren  stumpfliche  Spitzen 
nach  vorn  gekehrt  sind,  während  von  da  an  gegen  die  Basis 
zu  der  Rand  ungezähnt  ist  Die  Nervation  zeigt  einen  geraden. 


478  C.  V.  Ettingshausen, 

bis  zur  Mitte  des  Blattes  hervortretenden,  dann  aber  gegen  die 
Spitze  zu  sehr  verfeinerten  Primämerven  und  sehr  feine,  ein- 
ander ziemlich  genäherte,  schwach  bogenförmige,  zum  Theil 
etwas  geschlängelte  Secundämerven,  welche  in  den  Rand- 
zähnen endigen,  am  unteren  Theil  jedoch,  wo  diese  fehlen,  vor 
dem  Rande  verfeinert  endigen.  Von  Tertiämerven  sind  nur 
Spuren  erkennbar,  welche  auf  kurze,  von  der  Aussenseite  der 
Seeundären  unter  spitzen  Winkeln  abgehende  Nerven  hin- 
weisen. Ein  Blattnetz  hat  sich  nicht  erhalten. 

Kleine  Blätter  von  den  angegebenen  Eigenschaften  finden 
wir  bei  Myrica,  Quercus,  Ulmus,  Salix,  Protaceen,  Phillyraea, 
Myrsine,  Arbutus^  Vaccinium,  Weinntannia,  Ceratopeialmn, 
Cunonia,  Ternstroemia,  CelastrnSyHartogiayIlex,Euphorbisiceen, 
Pomaceen,  Rosaceen,  Amygdaleen,  also  in  zahlreichen  Fällen, 
vertheilt  auf  alle  Abtheilungen  der  Dicotyledonen,  und  es  musste 
eine  sorgfältige  Vergleichung  der  Eigenschaften  vorgenommen 
werden,  deren  Resultate  hier  in  Kürze  folgen.  Zunächst  habe 
ich  über  die  Vergleichung  der  lebenden  Arten  zu  berichten.  In 
der  Gattung  Myrica  kommt  keine  Art  so  nahe  der  fossilen  als 
M.  Gale  L.  Aus  der  Reihe  der  Blattformen  dieser  Art,  welche 
in  meiner  Abhandlung  »Beiträge  zur  Phylogenie  der  Pflanzen- 
arten«, Denkschriften,  XLIII.  Band,  Taf.  11,  in  Naturselbstdruck 
wiedergegeben  sind,  stimmen  Fig.  17 — 23  und* Fig.  32 — 34  mit 
dem  Fossil  in  allen  Eigenschaften  am  besten  überein.  Das  Blatt 
Fig.  34  ist  mit  diesem  fast  congruent,  nur  scheint  die  Textur 
beim  fossilen  etwas  derber  zu  sein.  Bei  Quercus  kommt  eine 
Reihe  kleinblätteriger  Arten  vor,  von  denen  Q,  pJtillyreoides, 
Q.Fenzlii  und  Q,  Calliprinos  die  meiste  Ähnlichkeit  mit  unserem 
Fossil  bieten.  Es  unterscheiden  sich  aber  dieselben  von  letz- 
terem durch  die  viel  derbere  Textur,  die  stets  breitere  Basis 
der  Lamina  und  durch  die  oft  mit  Domspitzen  versehenen 
Zähne  des  Blattes  (von  solchen  ist  beim  Fossil  keine  Spur) 
auffallend. 

Bei  Ulmus  ist  U.  japonica  Sieb,  als  Ähnlichkeit  in  dem 
Blatte  anzuführen,  wo  aber  eine  andere  (meist  schiefe  und 
breitere)  Basis  der  Lamina,  dann  grössere,  stumpfere,  bis  zur 
Basis  herabreichende  Randzähne  einen  wesentlichen  Unter- 
schied bilden.  Die  kleinblätterigen  Arten  von  Salix,  wie  S.arbnS' 


Pflanzenfossilien  der  Radoboj-Sammlung.  479 

cula  L,  S.  ambigua  Ehrh.  u.  A.  stimmen  zwar  in  der  Form 
und  Randzahnung  des  Blattes  mit  dem  Fossil  überein,  unter- 
scheiden sich  aber  von  demselben  durch  die  Nervation,  da 
sie  längere  und  stärkere,  mehr  bogenförmige  Secundämerven 
besitzen. 

Protaceen  bieten  in  Arten  von  Banksia,  Hakea,  Grevillea, 
Bellendenia  u.  A.  nur  entfernte  Ähnlichkeiten  mit  unserem 
Fossil,  die  theils  durch  die  derbe  lederartige  Structur,  theils 
durch  die  Randzahnung  von  demselben  leicht  unterschieden 
werden  können.  Phillyraea  media  und  andere  Arten  dieser 
Gattung  entfernen  sich  von  unserem  sonst  in  der  Randzahnung 
und  Nervation  nahekommenden  Fossil  durch  die  lederartige 
Textur  und  die  breitere  Blattbasis.  Kleinblätterige  Myrsine- 
Arten,  wie  Af.  reiusa,  M.  africana,  M,  variabüis  u.  A.  stimmen 
mit  unserem  Fossil  zum  Theil  in  der  Nervation  und  Blattform 
überein,  unterscheiden  sich  aber  von  demselben  in  der  Rand- 
zahnung und  Textur.  Dasselbe  gilt  von  den  ähnlichen  Blättern 
einiger  Arten  von  Vaccinium,  Arbutus,  Weinmannia,  Cerato- 
petalum  und  Cunonia.  Die  übrigen  oben  genannten  Gattungen 
und  Ordnungen  stehen  in  den  Merkmalen  der  Blattbildung,  mit 
Ausnahme  einiger  Arten  von  Celastrns  unserem  Fossil  ent- 
fernter. Bei  letzterer  Gattung  aber  kommen  C.  bnxifolius, 
C,  spathephylluSy  C.  empleurifolitis  und  C  rupestris  bezüglich 
der  Blattform,  zum  Theil  auch  in  der  Zahnung  und  Textur 
unserem  Fossil  sehr  nahe,  weichen  jedoch  durch  die  Nervation, 
insbesondere  die  stärkeren,  unter  spitzen  Winkeln  entsprin- 
genden Secundämerven  bedeutend  ab. 

Diese  Vergleichungen  führen  entschieden  zur  Gattung 
Myrica,  wo  die  oben  genannte  M.  Gale  mit  unserem  Fossil  so 
sehr  übereinstimmt,  dass  man  geneigt  sein  könnte,  die  Identität 
der  Art  anzunehmen,  was  jedoch  erst  dann  gestattet  sein 
kann,  wenn  ein  reichlicheres  Material  von  der  fossilen  Pflanze 
zur  Vergleichung  vorliegt. 

Von  den  bis  jetzt  beschriebenen  fossilen  Pflanzen  kommen 
Blattformen  d^r  Myrica  ligniinm,  und  zwar  die  F.  parvifolia  und 
brevifolia  unserem  Fossil  in  allen  Eigenschaften  am  nächsten. 
Man  könnte  geneigt  sein,  letzteres  zu  einer  dieser  Formen, 
besonders  zu  M.  lignHtim  brevifolia  zu  stellen,  wenn  nicht  die 


480  C.  V.  Eltingshausen, 

Basis  des  Blattes  wegen  der  viel  geringeren  Verschmälerung, 
und  der  Primärnerv  wegen  seiner  Zartheit  von  allen  Blattformen 
der  Af.  lignitum  überhaupt  abweichen  würden.  Es  sind  noch 
andere  fossile  Myrica- Arten,  vorkommend  in  den  Tertiär- 
schichten Frankreichs  und  Nordamerikas,  als  Ähnlichkeiten  zu 
nennen,  welche  jedoch  von  unserem  Fossil  abweichen,  und 
zwar  M,  arguta  Saport a,  fitudes,  I,  1,  Taf.  6,  Fig.  3  durch  eine 
stärkere  Zahnung  und  mehr  längliche  Form;  M.  zachariensis 
Sap.  1.  c.  2,  Taf.  5,  Fig.  1  durch  grössere,  schärfer  gezähnte 
Blätter,  endlich  M  Bolanderi  Lesq.,  Tertiary  Flora  etc.,  Taf.  1 7, 
Fig.  17  durch  die  grössere  Verschmälerung  der  Basis  und  die 
unter  spitzeren  Winkeln  entspringenden  Secundärnerven. 

Kleinere  Blätter  von  Quercus  Lonchitis  Ung.,  welche  aus 
den  Schichten  von  Parschlug  mir  vorliegen,  kommen  dem 
beschriebenen  Fossilen  in  den  meisten  Merkmalen  sehr  nahe, 
unterscheiden  sich  aber  von  demselben  sicher  durch  die  Form 
der  spitzeren  Zähne  und  durch  die  Nervation.  Celastnis  casshie- 
folitis  Ung.  kommt  in  kleineren  Blättern,  wie  sie  Heer  in  der 
»Tertiärflora  der  Schweiz«,  III.  Band,  Taf.  121,  Fig.  24—26 
abbildete,  ebenfalls  nahe;  doch  sind  bei  der  genannten  Art  die 
Zähne  stumpfer  und  ist  die  Lamina  breiter. 

Von  den  übrigen  bis  jetzt  beschriebenen  fossilen  Dicotyle- 
donen  sind  hier  nur  entferntere  Ähnlichkeiten  zu  beobachten, 
von  denen  ich  Myrsine  celastroides  Ett.,  Tert.  Flor.  v.  Haering, 
Taf.  21,  Fig.  3  und  Heer  1.  c.  Taf.  103,  Fig.  14  durch  die 
stumpferen  und  weiter  herabziehenden  Randzähne,  Myrsine 
spinulosa  Sap.  1.  c.  1, 1.  Abth.,  Taf.  1 1,  Fig. 4  durch  die  schärferen, 
mit  Dornspitzen  versehenen  Zähne;  Celastrns  salyensis  Sap., 
Dem.  Adj.,  Abth.  2,  Taf.  15,  Fig.  3;  C.  Adansoni  Sap.  1.  c.  Fig.  1,2, 
endlich  Rhamnus  alaternoides  Heer  in  Lesquereux' Tertiary 
Flora,  Taf.  52,  Fig.  11,  sämmtlich  durch  eine  andere  bogen- 
läufige  Nervation  abweichend,  hervorhebe. 

Myrica  sp. 

Taf.  I,  Fig.  4. 

Das  hier  abgebildete  kurz-cylindrische  Blüthenkätzchen 
stimmt  mit  den  weiblichen  Kätzchen  von  Myrica  vollkommen 
überein  und  bringt  eine  Bestätigung  des  Vorkommens  dieser 


Pflanzenfossilien  der  Radoboj-Sammlung.  48 1 

Gattung  in  der  fossilen  Flora  von  Radoboj.  Es  lässt  sich  jedoch 
vorläufig  nicht  angeben,  zu  welcher  der  hier  vorkommenden 
Arten  dasselbe  gehört  und  muss  die  Entscheidung  hierüber 
späteren  Forschungen  vorbehalten  bleiben. 

Cupuliferae. 
Quercus  Dewalquei  sp.  n. 

Taf.  I,  Fig  l,Iö. 

Q.  foliis  coriaceis,  oblongo-lanceolatis,  apice  breve  niucro- 
natis  basi  angustata  petiolatis,  margine  undulatis,  nervatione 
camptodroma,  typo  Prae-Pasaniae;  nervo  primario  prominente, 
basi  valido,  apicem  versus  sensim  attenuato,recto;  nervis  secun- 
dariis  sub  angulis  45 — 70*  orientibus,  prominentibus,  leviter 
curvatis,  marginem  versus  subflexuosis,  inferioribus  usque  13, 
superioribus  4 — lOmm  inter  se  distantibus;  nervis  tertiariis  e 
latere  interno  secundariorum  sub  angulo  recto,  e  latere  externo 
sub  angulis  acutis  egredientibus,  flexuosis  ramosisque,  nervis 
quarternariis  angulis  variis  acutis  vel  obtusis  insertis,  rete  valde 
evolutum  formantibus. 

Der  stark  hervortretende  Blattrand  und  die  Spuren  der 
verkohlten  Substanz  lassen  eine  derbe  lederartige  Textur 
erkennen.  Der  Stiel  erreicht  die  Länge  von  1 2  fwfw,  die  Lamina 
die  Länge  von  \04  mm  und  die  Breite  von  36  mm.  Die  Basis 
ist  etwas  mehr  als  die  Spitze  verschmälert,  letztere  mit  einer 
kurzen  Stachelspitze  versehen;  der  Rand  am  oberen  Theile  der 
Lamina  wellenförmig.  Die  bogenläufige  Nervation  zeigt  einen 
fast  bis  zur  Mitte  der  Lamina  stark  hervortretenden,  geraden 
Primärnerven,  welcher  sich  jedoch  gegen  die  Spitze  zu  beträcht- 
lich verfeinert  und  jederseits  10  —  12  scharf  hervortretende 
Secundärnerven  entsendet.  Diese  sind  am  unteren  Theil  stärker 
gekrümmt  und  daselbst  unter  60—70*  entspringend.  Die  Tertiär- 
nerven verästeln  sich  stark  und  bilden  ein  unregelmässiges 
lockermaschiges  Netz,  welches  ein  zartes,  aus  viereckigen 
Maschen  bestehendes  Quarternärnetz  einschliesst,  das  theilweise 
erhalten  ist. 

Der  Vergleich  mit  den  ähnlichen  bis  jetzt  bekannt  gewor- 
denen grösseren  Blattfossilien  der  Radoboj-Sammlung  führt  zu 
Magnolia  primigenia  Ung.,   Banisteria   Centanrornm   Ung., 


482 


C.  V.  Kttingshausen, 


Malpighiastrum  Procrustae  Ung.  und  Cupania  grandis  Ung. 
(sämmtlich  abgebildet  in  Unger's  Sylloge,  I),  endlich  zu  Anona 
macrophylla  Ung.,  Syll.,  III,  Taf.  14,  Fig.  3.  Es  konnte  jedoch 
mit  keinem  dieser  Blätter  eine  Übereinstimmung  in  allen  Merk- 
malen gefunden  werden.  Dagegen  ergab  sich  aus  der  Ver- 
gleichung  des  beschriebenen  Blattfossiis  mit  den  ähnlichsten 


Fig.  1.  Qiiercus  Ilcx. 

Süd-Europa. 


Fig.  2.   Querctis  virens  Ait. 
Forma  oloidcs.  Nord-.\merika. 


Blättern  der  Jetztflora  eine  grosse  Übereinstimmung  mit  Eichen- 
blättern. Insbesondere  zeigt  sich  diese  Übereinstimmung  in 
der  Nervation,  wie  man  aus  der  Vergrösserung  der  Nervation 
Fig.  1  a  und  den  hier  in  Naturselbstdruck  dargestellten  Blättern 
Fig.  1  und  2  entnehmen  kann. 

Das  Fossil  passt  aber  zu  keiner  der  aus  den  Tertiär- 
schichten bis  jetzt  zum  Vorschein  gekommenen  Quercus-AxiQTi^ 
muss  daher  einer  besonderen  Art  angehören,  welche  ich  zu  Ehren 


Pflanzenfossilien  der  Radoboj-Sammlung.  483 

des   um  die  Wissenschaft  hochverdienten  Professors  der  Geo- 
logie an  der  Universität  Lüttich,  Herrn  G.  Dewalque  benannte. 

Ulmaceae. 
Ulmus  bicomis  U  n  g. 

Taf.  I,  Fig.  5—7. 
Unger,  Chloris  protogaea,  p.  91.  t.  24,  f.  1  —4. 

Von  dieser  durch  die  tiefe  Spaltung  der  Flügelspitze  und 
die  dadurch  entstandenen  lanzettförmig  zugespitzten  Lappen 
des  Flügels  von  allen  bis  jetzt  bekannt  gewordenen  fossilen 
UlfHHS-Arien  auffallend  verschiedenen  Art  liegt  eine  wohl- 
erhaltene Frucht  in  Ab-  und  Gegendruck  vor,  welche  in  Fig.  7 
abgebildet  ist.  Dieselbe  zeigt  das  Stielchen,  den  Kelchrest  und 
die  Nervation  des  Flügels  deutlicher  als  die  von  Unger  a.  a.  O. 
abgebildete  Frucht.  Was  die  erwähnte  Nervation  betrifft,  so 
nimmt  man  einige  ästige  Nerven  wahr,  die  zu  einem  lockeren 
Netze  verbunden  sind,  wie  die  Vergrösserung  7  a  zeigt.  Die 
Sammlung  enthält  auch  zwei  Abdrücke  von  Blättern  (Fig.  5 
und  6),  die  den  Charakter  von  Ulmns  an  sich  tragen.  Sie  haben 
etwas  kleinere  Randzähne  als  das  von  Unger  1.  c.  Fig.  4  ab- 
gebildete Blatt  und  nähern  sich  dadurch  mehr  den  Blättern  von 
U.  Braunii,  Die  hier  abgebildeten  Blätter  geben  ferner  Auf- 
schluss  bezüglich  einer  zweifelhaften  Bestimmung  des  als 
Theilblättchen  von  Engelhardtia  macroptera  bezeichneten  und 
in  Unger's  Sylloge  plantarum  fossilium,  III,  t.  16,  f.  12  ab- 
gebildeten Fossils  von  Radoboj.  Mit  diesem  Blattfossil  stimmt 
unsere  Fig.  6  in  der  Grösse  und  Form  der  Lamina,  welche  eine 
geringe  Asymmetrie  zeigt,  ganz  und  gar  überein,  während  die 
Zahnung  dieselbe  ist  wie  bei  dem  Blatte  Fig.  4  1.  c.  von  Unger's 
Ulmus  bicomis.  Hieraus  ergibt  sich,  dass  das  citirte  Blatt  Fig.  12 
besser  zu  U.  bicomis  zu  stellen  ist.  Von  den  jetztlebenden  Arten 
zeigt  U.  montana  Wi  th.  f.  rtigosa  Taf.  V,  Fig.  4  dem  Blatte  nach 

viel  Ähnlichkeit. 

Moreae. 

Ficus  lanceolata  Heer. 

Ttf.  I,  Fig.  8. 
0.  Heer,  Tertiärflora  der  Schweiz,  IL  Bd.,  S.  62,  Taf.  81,  Fig.  2—5. 

In   den  Beiträgen  zur  Kenntniss  der  fossilen  Flora  von 
Radoboj  l.  c.  S.  26  habe  ich  bereits  auseinandergesetzt,  dass 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Cl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  32 


484  C.  V.  Ettingshausen, 

einige  der  von  Unger  als  Myrsine  Centaurorum  bezeichneten 
Blattfossilien  von  Radobqj  besser  bei  Ficus  lanceolata  Platz 
finden.  Das  hier  Fig.  8  abgebildete  Blattfossil,  welches  in  der 
Grösse,  Form  und  Nervation  mit  dem  Blatte  Fig.  3,  Taf.  81  in 
Heer's  Tertiärflora,  bezüglich  der  vorgezogenen  Basis  aber 
mit  dem  Fig.  5  daselbst  abgebildeten  Blatte  der  F.  lanceolata 
auffallend  übereinstimmt,  bestätigt  diese  Annahme,  wie  über- 
haupt das  Vorkommen  der  genannten  Art  in  der  fossilen  Flora 
von  Radoboj.  Von  dem  grossen  Blatte  Fig.  17,  Taf.  20  der 
Sylloge  plant,  foss.,  III,  welches  Unger  als  Ficus  Troglody- 
tarum  bezeichnete,  jedoch  von  mir  1.  c.  zu  Ardisia  gestellt 
worden  ist,  unterscheidet  sich  dasselbe  durch  die  entfernter 
stehenden,  stark  hervortretenden  Secundärnerven,  während  bei 
dem  genannten  Blatte  die  Secundärnerven  sehr  fein  sind,  so 
dass  sie  in  der  Abbildung  kaum  deutlich  wiedergegeben  werden 

konnten. 

Laurineae. 

Daphnogene  paradisiaca  Ung. 

Taf.  II,  Fig.  5. 
Unger,   Fossile  Flora  von  Sotzka,  S.  167,  Taf.  38,  Fig.  1—7. 

Diese  merkwürdigen,  zuerst  von  Unger  zu  den  Laurineen 
gestellten  Blattfossilien  von  Radoboj  sind  später  von  O.  Heer 
und  mir  für  Zizyphus-Blätier  gehalten  worden,  da  bei  den 
Laurineen  gezähnte  Blätter  nicht  vorkommen  und  nur  aus- 
nahmsweise solche,  die  an  der  Basis  schief  sind,  während 
letztere  bei  Zizyphus  als  normal  gelten  können.  Es  haben  aber 
die  bezeichneten  Radoboj-Blätter  eine  auffallend  derbe  leder- 
artige Textur,  die  man  bei  Zizyphus  vermisst.  Schon  hiernach 
kann  die  Annahme  der  letzteren  Gattung  in  vorliegendem  Falle 
nicht  zweifellos  sein.  Wenn  man  nun  die  Nervation  in  Betracht 
zieht,  so  spricht  diese  entschieden  gegen  Zizyphus  und  für 
die  Ordnung  der  Laurineen.  Die  spitzläufige  Nervation  kommt 
zwar  auch  bei  Zizyphus  vor,  doch  findet  man  daselbst  ein 
ganz  anderes  Netz.  Unger*s  Abbildung  desselben  in  Fig.  7,  J 
1.  c.  zeigt  das  quarternäre  Maschennetz,  welches  aus  rechtwin- 
kelig entspringenden  Nervenästchen  besteht,  die  quadratische 
Maschen  bilden  wie  bei  den  echten  Laurineen.  Bei  einem  hieher 
gehörigen  Blatte  der  mir  vorliegenden  Sammlung  ist  auch  das 


PflanzenfossiUen  der  Radoboj-Sammlung.  485 

quintemäre  Netz  erhalten,  welches  ich  in  Fig.  5  zur  Darstellung 
bringe.  Dasselbe  zeigt  ebenfalls  rechtwinkelig  von  einander  ab- 
stehende Nervenästchen,  wie  dies  bei  Cinnamomum  und  anderen 
Laurineen-Gattungen  vorkommt,  während  bei  Zizyphus  cotini- 
folins  (Ettingsh.  BlattskeL  der  Dicotyledonen  Taf.  70,  Fig.  8), 
einer  Art,  die  hier  in  erster  Linie  in  Betracht  kommen  würde, 
beiderlei   Nervenästchen    schiefwinkelig   eingefügt   sind    und 
ein    aus   mehr   oder   weniger  querelliptischen  Maschen   zu- 
sammengesetztes Netz  bilden.  Diese  Erwägung  hat  mich  nun 
veranlasst,  der  Auffassung,  welche  Unger  von  den  erwähnten 
Blattfossilien  aus  Radoboj  ursprünglich  hatte  (er  änderte  die- 
selbe später  in  seiner  »fossilen  Flora  von  Radoboj«  1.  c.  S.  167 
zu  Gunsten  der  Heer'schen  Deutung),  beizupflichten.  Auch  die 
Gattung  Daphnogene  möchte  ich  für  diese  Fossilien  beibehalten, 
denn  die  gezähnten  Laurineen-Blätter  passen  in  keine  der  jetzt- 
-weltlichen  Gattungen,  sondern  in  eine  besondere  ausgestorbene 
Gattung,  welche  aber  dem  Cinnamofnum  am  nächsten  steht. 
Ob  die  von  Unger  a.a.O.  Taf.  37,  Fig. 8—1 1  als  Daphno- 
gene paradisiaca  bezeichneten  Blätter  von  Sotzka  hieher  ge- 
hören, erscheint  mir  zweifelhaft   Dieselben   sind  viel  kleiner 
als    die   Radoboi-Blätter,    was   auch   Unger   hervorhebt;   die 
Zahnung  des  Randes  ist  mehr  undeutlich,  doch  erscheinen  die 
Zähne  viel  kleiner  und  einander  mehr  genähert  Bei  Fig.  9  sind 
■dieselben  sehr  ähnlich  denen  von  Zizyphus  Ungeri  Heer,  einer 
Art  der  fossilen  Floren  von  Sotzka  und  Häring.  Von  der  Nervation 
sind  nur  bei  den  Fig.  9  und  11   Spuren  jener  feinen  quer- 
läufigen   Tertiärnerven    wahrzunehmen,    welche    sowohl    bei 
Zizyphus  als  auch  bei  Cinnamomum  vorkommen.  Es  erscheint 
mir  mehr  wahrscheinlich,  dass  diese  Blätter  zu  der  genannten 
ZizyphuS'Art  gehören. 

Gamopetalae. 

Oleaceae. 
Olea  Osiris  Ung. 

Taf.  II,  Fig.  1,1a. 
Unger,  Sylloge  plant,  foss.,  I,  p.  21,  t.  8,  f.  10—13. 

Das  hier  abgebildete  Blatt  aus  der  Lütticher  Universitäts- 
Sammlung  hält  die  Mitte  einerseits  zwischen  dem  in  Fig.  10, 

32* 


486  C.  V.  Ettingshausen, 

anderseits  zwischen  den  in  Fig.  12  und  13  a.  a.  O.  abgebildeten 
Blättern,  was  die  von  Unger  ausgesprochene  Ansicht,  dass  das 
in  der  Form  von  den  übrigen  zu  Olea  Osiris  gestellten  Blättern 
abweichende  Blatt  Fig.  10  ebenfalls  dahin  gehört,  bestätigt.  Die 
Nervation,  welche  an  dem  in  Rede  stehenden  Fossil  besser  er- 
halten ist  als  an  dem  in  der  Sylloge  abgebildeten,  zeigt  einen 
bis  zur  Mitte  hervortretenden  geradlinigen  Primärnerven,  welcher 
sich  in  seinem  weiteren  Verlauf  plötzlich  verfeinert  Aus  diesem 
entspringen  jederseits  5 — 6  feine,. etwas  geschlängelte  Secundär- 
nerven  unter  Winkeln  von  45 — 55".  Die  Distanz  derselben  be- 
trägt 7 — 12  mm.  Eine  Schlingenbildung  der  endständigen  Äste 
ist  deutlich  wahrnehmbar.  Die  Tertiärnerven  entspringen  an  der 
Aussenseite  der  secundären  unter  spitzen,  an  der  Innenseite 
unter  stumpfen  Winkeln,  sind  kurz,  verästelt  und  umschliessen  ein 
lockeres,  aus  ovalen  Maschen  zusammengesetztes  Quartemär- 
netz. (Siehe  die  Vergrösserung  der  Nervation  Fig.  1,  a).  Die 
beschriebene  Nervation  ist  ausserordentlich  ähnlich  der  von 
Picconia  (Olea)  excelsa  D.  C,  wie  die  Vergleichung  mit  dem 
Naturselbstdruck  des  Blattes  Fig.  10,  Taf.  23  in  Ettingsh. 
Blattskelete  der  Dicotyledonen  erkennen  lässt. 

Apocynaceae. 
Apocynophyllum  Amsonia  Ung. 

Taf.  II,Fig.  2,  2a. 
Unger,  Sylloge  plantarum  foss.,  III,  p.  14,  t.  4,  f.  4  —  8. 

Es  liegt  ein  Blatt  dieser  Art  in  Ab-  und  Gegendruck  vor, 
welches  in  Bezug  auf  die  Form,  mit  Ausnahme  der  etwas 
weniger  vorgezogenen  Spitze,  und  bezüglich  der  Länge  des 
Blattstieles  mit  dem  a.  a.  O.  Fig,  7  abgebildeten  Blatte  genau 
übereinstimmt.  Bei  letzterem  ist  das  Tertiärnetz  theilweise 
erhalten  und  von  Unger  in  Fig.  8  I.e.  vergrössert  dargestellt 
worden.  Bei  dem  hier  Fig.  2  abgebildeten  Blatte  hat  sich  jedoch 
auch  ein  diesem  eingeschaltetes  Quarternärnetz  erhalten,  welches 
in  der  Vergrösserung  der  Nervation  Fig.  2  a  zur  Anschauung 
gebracht  ist.  Die  Maschen  desselben  sind  durchaus  mehr  quer- 
oval, was  ich  bei  mehreren  recenten  Apocynaceen,  als  z.  B. 
Cerbera  parviflora,  Allamanda  verticillaia^  Hunteria  corymbosüy 


Pflanzenfossilien  der  Radoboj-Sammlung.  487 

Aspidosperma  oblongifolia,  Aganosnia  caryophyllata^  Echites- 
Arten  und  anderen  beobachtete.  Es  spricht  dies  sowie  auch  viele 
anderen  Eigenschaften  des  Blattes  für  die  Richtigkeit  der  Be- 
stimmung als  Apocynacee,.  obgleich  keine  Gattung  namhaft 
gemacht  werden  kann,  zu  welcher  das  Fossil  zweifellos  zu 
stellen  wäre.  Wie  schon  in  vielen  früheren  Fällen  muss  ich 
auch  hier  wieder  auf  die  Vereinigung  von  Mefkmalen  lebender 
Arten,  sogar  verschiedener  Gattungen  hinweisen,  welche  an 
Blättern  vorweltlicher  Arten  nicht  selten  in  Erscheinung  tritt. 

Apocynophyllum  Ungeri  sp.  n.     / 

Taf.  II,  Fig.  3. 

A  foliis  coriaceis,  e  basi  lata  suborbiculari  integerrima 
longe  petiolata  rotundo-ellipticis;  nervatione  biiochidodroma, 
nervo  primario  basi  valido,  piano,  apicem  versus  sensim  atte- 
nuato,  subflexuoso ;  nervis  secundariis  prominentibus,  sub  angulis 
60 — 80*  orientibus,  rectis  et  flexuosis,  apice  rajmosis,  ramis 
inter  se  anastomosantibus;  nervis  tertiariis  sub  angulis  variis 
egredientibus,  ramosis,  rete  laxum  macrosynamm^tum  forman- 
tibus. 

Das  Blattfossil  verräth  eine  derbe  lederardge  Substanz. 
Vom  Stiel  ist  ein  13  mm  langes  Stück  erhalten,  die  ganze 
Länge  desselben  aber  unbestimmbar,  da  der  Stiel  am  Gesteins- 
rand abgebrochen  ist  Die  ganzrandige  Basis  der  Lamina  ist 
gegen  den  Stiel  nur  sehr  kurz  vorgezogen,  im  Übrigen  aber 
breit,  fast  rundlich;  die  Form  lässt  sich  zu  einer  rundlich-ellip- 
tischen ergänzen.  Die  Nervation  zeigt  einen  an  der  Basis  fast 
2  mm  breiten,  in  seinem  Verlaufe  nur  wenig  verschmälerten 
und  etwas  hin-  und  hergebogenen  Primärnerven,  von  welchem 
ungleich  hervortretende  5 — 11  mm  von  einander  abstehende, 
an  ihren  Enden  mehr  oder  weniger  verästelte  Secundäre  unter 
wenig  spitzem  oder  fast  rechtem  Winkel  entspringen.  Die  Aste 
derselben  sind  gegen  den  Rand  zu  durch  Schlingen  verbunden. 
Die  Tertiärnerven  treten  noch  verhältnissmässig  stark  hervor 
und  bilden  ein  grossmaschiges  Netz,  in  welchem  sich  Spuren 
von  Quarternärnerven  erkennen  lassen. 

Der  Habitus  des  Blattes  und  die  Nervation,  insbesondere 
der  Milchsaft  verrathende  flache  Primärnerv  sprechen  für  eine 


488  C  V.  Ettingshausen, 

ApocynaceCy  und  zwar  für  eine  Art  der  Gattung  Apocynopkyllum, 
wo  A,  Cynanchnm  Ung.,  Sylloge  III,  p.  14,  t  4,  f.  18  aus  der 
fossilen  Flora  von  Bilin  als  eine  sehr  nahe  kommende  sich 
erweist  Es  besteht  aber  ein  Unterschied,  nämlich  bei  der  Art 
von  Bilin  ist  die  jedenfalls  breitere  Blattbasis  fast  herzförmig 


Fig.  3.  Tabernaemontana  laurifolia  L.  Weslindien. 

ausgeschnitten,  der  Primärnerv  sehr  rasch  und  beträchtlich 
verfeinert;  die  Secundärnerven  sind  feiner  als  bei  der  be- 
schriebenen neuen  Art  und  mehr  geschlängelt;  die  Textur  ist 
zarter,  fast  krautartig.  Es  ist  daher  das  Blatt  Fig.  3  von  Radoboj 
jedenfalls  einer  besonderen  Art  zuzuweisen. 


Pflanzenfossilien  der  Radoboj-Sammlung.  489 

Auch  diese  Art  einer  Apocynacee  vereinigt  in  ihrem  Blatte 
Merkmale  lebender  Arten  verschiedener  Gattungen,  so  von 
Tabernaemontana,  Aganosma  und  Echites,  Zum  Vergleiche  ist 
hier  in  Fig.  3  ein  Naturselbstdruck  von  Tabernaemontana 
luttrifolia  L.  (Westindien)  beigefügt. 


Dialypetalae. 

Magnoliaceae. 

Magnolia  Dianae  U  n  g. 

Taf.  III,  Fig.  3,  4,  4  a. 
Unger,  Sylloge  plant,  foss.,  I,  p.  28,  t.  11,  f.  1—4;  III,  p.  44,  t.  14,  f.  4—7. 

Die  hier  abgebildeten  Blätter,  welche  zu  dieser  Art  gestellt 
werden  können,  seh  Hessen  sich  zwar  den  von  Unger  a.a.O. 
abgebildeten  enge  an,  weichen  jedoch  in  einigen,  wenn  auch 
nur  ausserwesentlichen  Eigenschaften  von  denselben  ab.  Fig.  4 
zeigt  eine  vollständig  erhaltene  Lamina,  welche  in  der  Grösse 
und  Form  mit  Fig.  2  l.  c.  am  meisten  übereinstimmt.  Die  Spitze 
ist  jedoch  breiter,  abgerundet-stumpf  und  nicht  vorgezogen  wie 
bei  dem  erwähnten  Blatte.  Die  Nervation  ist  viel  besser  erhalten 
und  lässt  an  einer  Stelle  die  tertiären  und  theilweise  auch  die 
quartemären  Nerven  deutlich  erkennen  (siehe  die  Vergrösserung 
Fig.  4  a).  Die  Secundärnerven  sind  schon  von  der  Mitte  an  gegen 
die  Basis  zu  am  Ursprünge  divergirend  gebogen,  während  das 
Blatt  Fig.  3  nur  an  der  Basis  solche  Nerven  zeigt.  Im  Ganzen 
passt  die  Nervation  gut  zu  Magnolia  oder  wenigstens  zu  den 
Magnoliaceen,  wo  bei  der  genannten  Gattung  und  bei  Man- 
glietia  divergirend  gebogene  Basalnerven  vorkommen.  Bei 
Talauma  piimila  haben  auch  in  der  Mitte  der  Lamina  die 
Secundärnerven  einen  divergirenden  Ursprung.  Dasselbe  gilt 
von  den  auf  der  Tafel  14  a.  a.  O.  dargestellten  Blättern.  Das  auf 
unserer  Taf.  111,  Fig.  3  abgebildete  Blatt  hat  eine  mehr  läng- 
liche Form  und  ist  schmäler  als  die  von  Unger  abgebildeten, 
stimmt  aber  in  der  Nervation  mit  diesen,  insbesondere  mit 
Fig.  4  l.  c.  überein. 


490  C.  V.  Ettingshausen, 

Acerineae. 
Acer  trilobatum  A.  Braun. 

Taf.  III,  Fij?.  I. 

Heer,  Terliärflora  der  Schweiz,  HI.  Bd.,  S.  47,  Taf.  110,  Fig.  16— 21;  Taf.  111, 
Fig.  1,  2,  5—14,  16,  18—21;  Taf.  112,  Fig.  1—8,  II  — 16,  Taf.  113-115. 

Es  war  bisher  einigermassen  auffallend,  dass  diese  in  fast 
allen  Miocänfloren  Europas  und  Nordamerikas  vorkommende 
Art  in  der  fossilen  Flora  von  Radoboj,  die  wir  zum  Miocän 
zählen,  fehlen  soll.  Der  Fund  der  charakteristischen  Flügelfrucht 
Fig.  1  in  Radoboj,  welche  zweifelsohne  zu  Acer  trilobatum 
gehört,  ist  daher  von  nicht  geringem  Interesse.  Das  abgebildete 
Exemplar  gleicht  am  meisten  einem  aus  der  fossilen  Flora  von 
Parschlug  zum  Vorschein  gekommenen,  stimmt  aber  auch  mii 
den  a.  a.  O.,  Taf.  111,  Fig.  6  und  8  abgebildeten  Früchten  ge- 
nannter Art  viel  überein.  Der  Körper  der  Halbfrucht  ist  fast 
kugelig,  der  ansehnliche  Flügel  länglich,  mit  aufsteigenden  gabel- 
theiligen  Nerven  geziert.  Die  Frucht  steht  der  von  Acer  mega- 
lopteryx  Ung.  Chloris  protogaea,  t.  44,  f.  8  und  Sylloge  III,  1. 15. 
f.  6  sehr  nahe,  so  dass  sich  die  Frage  aufwirft,  ob  diese  Art 
vielleicht  mit  A.  trilobatum  zu  vereinigen  sei.  Es  ist  jedoch  der 
Körper  der  Halbfrucht  bei  A.  megalopteryx  eckig,  mit  einem 
kleinen  Vorsprung  versehen  und  der  Flügel  etwas  breiter.  Um 
diese  Frage  endgiltig  zu  entscheiden,  müssen  jedenfalls  mehrere 
Exemplare  der  Frucht  vorliegen  und  auch  die  Blätter  berück- 
sichtigt werden,  welche  letztere  aber  bis  jetzt  aus  den  Schichten 
von  Radoboj  noch  nicht  zum  Vorschein  gekommen  sind. 

Acer  campylopteryx  Ung. 

Taf.  in,  Fig.  2. 
Ung  er,  Chloris  protogaea,  p.  134,  t.  44,  f.  1,  2. 

Von  dieser  Art,  welche  sich  durch  den  an  der  Basis  scharf 
abgeschnittenen  Körper  der  Halbfrucht  und  den  fast  rhombischen 
am  Grunde  ausgeschnittenen  Flügel  charakterisirt,  ist  bisher 
nur  ein  Blatt  und  das  von  Unger  a.  a.  O.  abgebildete  Frucht- 
fossil bekannt  geworden.  Von  dieser  seltenen  Art  hat  sich  in 
der  Lütticher  Universitäts-Sammlung  ein  Fruchtexemplar  vor- 
gefunden. Bis  auf  den  etwas  kleineren  Fruchtkörper  und  den 


Pflanxenfossilien  der  Radoboj-Sammlung.  491 

geringeren  Ausschnitt  des  P'lügels   stimmt  dasselbe  mit  dem 
Original  der  Unge raschen  Abbildung  vollkommen  überein. 

Unger  hat  diese  Art  wohl  nur  aus  Versehen  in  das  Ver- 
zeichniss  sämmtlicher  Arten  der  fossilen  Flora  aus  Radoboj\ 
Denkschriften  XXIX.  Band  S.  159  nicht  aufgenommen.  Heer 
spricht  S.  56  seiner  Tertiärflora  der  Schweiz  die  Ansicht  aus, 
dass  diese  Art  zu  Acer  platyphyllum  A.  Braun  gehören  könnte. 
Von  Letzterer  ist  jedoch  nur  ein  Blatt  im  Öninger  Schiefer  zum 
Vorschein  gekommen,  welches  von  dem  als  A,  campylopteryx 
bezeichneten  gänzlich  verschieden  ist,  während  dieses  mit  der 
Frucht  gut  zu  A.  tataricnm  L.,  der  analogen  Art  der  Jetztflora, 
passt. 

Malpighiaceae. 

Banisteria  Centaurorum  Ung. 

Taf.  II.Fig.  4,  4i7. 

Unger,  Sylloge  plant  foss.  L,  p.  29,  t.  12,  f.  1 — 3.  —  Syn.  Myrsine  Cen- 
taurorum Ung.  1.  c.  in,  p.  22,  t.  7,  f.  15—17;  Foss.  Flora  von  Radoboj. 
Denkschriften,  XXIX.  Bd.,  S.  143,  Taf.  2.  Fig.  4,  5. 

Von  dieser  Art  sind  zwar  schon  a.  a.  O.  mehrere  Blatt- 
fossilien zur  Abbildung  gelangt,  da  jedoch  die  Bestimmung 
dieser  Reste  noch  als  zweifelhaft  bezeichnet  werden  muss,  so 
durfte  das  hier  abgebildete  Blattfossil,  welches  zweifelsohne 
mit  den  erwähnten  gleichartig  ist,  nicht  unberücksichtigt  bleiben, 
umso  mehr  als  dasselbe  nach  seinen  Eigenschaften  für  die  ge- 
wählte Bestimmung  einigermassen  zu  sprechen  scheint.  Die 
Textur  des  Blattes  ist  deutlich  lederartig,  die  lanzettliche  La- 
mina  nach  beiden  Enden  verschmälert  und  vollkommen  ganz- 
randig.  In  diesen  Merkmalen  stimmt  dasselbe  mit  den  a.  a.  O. 
Taf.  7,  Fig.  17  und  Taf.  2,  Fig.  4  abgebildeten  Blattfossilien  von 
Radoboj  am  besten  überein.  Die  Nervation  ist  bogenläufig;  aus 
einem  bis  zur  Mitte  der  Lamina  stark  hervortretenden,  gegen 
die  Spitze  zu  bedeutend  verschmälerten  Primärnerven  ent- 
springen verhältnissmässig  dünne,  aber  nicht  geschlängelte 
(wie  meist  bei  Myrsine)  Secundärnerven,  welche  unter  wenig 
spitzen  Winkeln  in  ziemlich  gleichen  Abständen  von  einander, 
in  langem  Bogen  gegen  den  Rand  hin  und  an  demselben 
hinaufziehen,  ohne  sich  in  Äste  zu  theilen.  Die  Tertiärnerven 


492  C.  V.  Ettingshausen, 

sind  schwach;  ein  feineres  Blattnetz  ist  kaum  wahrzunehmen, 
was  durch  einen  dichten  Filzüberzug  (wie  er  bei  den  Blättern 
von  Banisteria  und  anderer  Malpighiaceen  häufig  vorkommt) 
verursacht  sein  kann.  Eine  Stelle  (in  Fig.  Aa  vergrössert  darge- 
stellt), an  welcher  einige  Tertiärnerven  sichtbar  sind,  Hess  sich 
mit  der  Nervation  von  B.  laurifolia  L.  Taf.  V,  Fig.  3  vergleichen. 
Dieselben  sind  sehr  fein,  einander  genähert  und  entspringen  an 
beiden  Seiten  der  Seeundären  unter  nahezu  rechten  Winkeln. 
Die  weiteren  Verzweigungen  aber,  die  jedenfalls  vorhanden 
waren,  und  die  quinternären  Nerven  konnten  nur  unvollständig 
verfolgt  werden.  Mit  Ausnahme  des  Blattnetzes,  welches  in 
Unger's  citirten  Abbildungen  keine  Aufnahme  fand,  stimmt 
auch  die  beschriebene  Nervation  mit  den  daselbst  gegebenen 
Darstellungen  gut  überein. 

Unger  hat  zuerst  diese  Blattfossilien  als  zu  den  Mal- 
pighiaceen gehörig  betrachtet  und  der  Gattung  Banisteria  ein- 
gereiht, später  aber  aber  zu  Myrsine  gestellt  Bei  letztererfindet 
man  aber  eine  ganz  andere  Nervation,  und  sogar  die  Myrsine 
nmbellata,  deren  Blatt  Unger  als  Analogon  der  fossilen  an- 
gegeben hat  (vergl.  die  Abbildung  desselben  in  der  Sylloge  III. 
Taf.  7,  Fig.  18),  zeigt  verästelte,  in  ungleichen  Distanzen  ent- 
springende unregelmässig  geschlängelte  Secundämerven,  die 
zu  denen  unseres  Fossils  durchaus  nicht  passen.  Es  könnte  da 
eher  die  Annahme  einer  Laurinee  zulässig  sein,  doch  müsste 
ein  kahles  Blatt  vorausgesetzt  werden,  dessen  mehr  oder  weniger 
kräftiges  Netz  aber  viel  deutlicher  hervortreten  würde.  Es  bleibt 
daher  nur  übrig,  zu  Unger's  erster  Auffassung  zurückzugreifen. 
Die  Mehrzahl  der  Banisteria-BVeitter  stimmt  in  Form  und  Ner- 
vation noch  am  besten  mit  dem  beschriebenen  überein.  Ausser- 
dem sind  vollkommen  sichere  Belege  der  Vertretung  der  Mal- 
pighiaceen in  der  Tertiärflora  aus  anderen  Localitäten  zum 
Vorschein  gekommen,  wie  z.  B.  Früchte  von  Tetrapteris  von 
Sotzka,  Sagor  und  Bilin,  Früchte  von  Banisteria  von  Sagor 
u.  A.  Endlich  lieferten  auch  die  Schichten  von  Radoboj  noch 
andere  Pflanzenfossilien,  die  zu  den  Malpighiaceen  gestellt 
werden  konnten,  so  Banisteria  giganium  Ung.  und  mehrere 
von  Unger  zur  SeiVC\vc\e\gQi\.\xng  Malpighiastrtim  gebrachte  Blatt- 
fossilien.  Dass   auch  einige  der  als  P/«M5-Samen  gedeuteten 


Pflanzenfossilien  der  Radoboj-Sammlung.  493 

Pflanzenreste  von  Radoboj  eher  als  Banisieria-Früchte  zu  be- 
trachten wären,  da  ihre  Flügel  von  deutlichen  Nerven  durch- 
zogen sind,  wie  z.  B.  Fig.  h  auf  Taf.  20  der  Sylloge  III,  darf 
hier  ebenfalls  nicht  unerwähnt  bleiben, 

Sapindaceae, 
Sapindus  Pythii  Ung. 

Taf.  IV,  Fig.  1. 

Unger,  Sylloge  plant,  foss.  I,  p.  33,  t.  14,  f.  6— 17;  III,  p.  51,  t.  16,  f.  6,  7;  Foss. 
Flora  von  Radoboj,  1.  c.  S.  147,  Taf.  2,  Fig.  20. 

Während  man  bei  dem  in  Unger's  Foss.  Flora  von 
Radoboj  dargestellten  Blatte,  dem  einzigen,  welches  sich  bis 
jetzt  in  Radoboj.  von  dieser  Art  gefunden  hat,  noch  zweifeln 
konnte,  ob  dasselbe  zu  der  obigen  in  Parschlug  nicht  selten 
vorkommenden  Art  gehört,  so  ist  bei  dem  Blattfossil  Fig.  1 
auf  unserer  Tafel  IV  jedes  Bedenken  ausgeschlossen.  Dieses 
Fossil  passt  bezüglich  seines  langen  Stieles  und  der  schiefen 
Basis  sehr  gut  zu  den  Theilblättchen  Fig.  13  und  15  der  Sylloge, 
bezüglich  der  grösseren  Lamina  aber  zu  dem  Blattfossil  Fig.  8 
ebendaselbst. 

Sapindus  Ungeri  m. 

Taf.  m,  Fig.  5. 

Ettingsh.  in  Unger's  Sylloge  plant,  foss.  I.,  p.  34,  t.  20,  f.  1-6. 

Das  hier  abgebildete  Theilblättchen  dieser  Art  stimmt  mit 

Fig.  3  der  Sylloge  am  meisten  überein,  zeigt  aber  ein  auffallend 

dickeres   Stielchen,    an    dem   die   Lamina   einseitig   sich   als 

schmaler  Flügel  herabzieht.   Bei  Fig.  4  1.  c.  nimmt  man  einen 

solchen  Flügel  an  beiden  Seiten  des  viel  dünneren  Stielchens 

wahr. 

Celasirineae. 

Celastrus  Morloti  sp.  n. 

Taf.  IV,  Fig.  5,  5  a. 

C.  foliis  coriaceis  late  lanceolatis  acuminatis,  basi  attenuatis, 
margine  subtiliter  crenulatis;  nervatione  camptodroma,  nervo 
primario  ad  apicem  usque  prominente,  recto;  nervis  secundariis 
sub  angulis  45 — 55**  orientibus,  tenuibus  subrectis,  marginem 
versus  furcatis  vel  ramosis;  nervis  tertiariis  e  latere  externo 


494  C.  V.  Ettingshausen. 

secundariorum  sub  angulis  acutis,  e  latere  interne  sub  obtusis 
egredientibus,  ramosis,  rete  quarternarium  e  maculis  rhom- 
boideis  formatum  includentibus. 

Das  Fossil  macht  deutlich  den  Eindruck  eines  derben, 
lederartigen  Blattes.  Die  Form  der  Lamina  ist  etwas  oberhalb 
der  Mitte  am  breitesten  und  verschmälert  sich  gegen  die  Spitze 
zu  schneller  als  gegen  die  Basis.  Der  Rand  ist  nur  auf  einer 
Seite  theilvveise  erhalten  und  zeigt  daselbst  eine  sehr  feine,  nur 
mittelst  der  Lupe  deutlich  wahrnehmbare  Kerbung.  Der  gerad- 
linige Primärnerv  ist  verhältnissmässig  breit  und  tritt  bis  zur 
Spitze  stark  hervor.  Die  dünnen  Secundärnerven  heben  sich 
von  der  verkohlten  Blattsubstanz  wenig  deutlich  ab  und  ver- 
laufen fast  geradlinig  gegen  den  Rand  zu,  vor  welchem  sie  in 
Gabeln  getheilt  oder  mehr  verästelt  sich  verlieren.  Die  Tertiär- 
nerven sind  sehr  fein,  nur  dem  bewaffneten  Auge  wahrnehm- 
bar, netzläufig.  Es  lassen  sich  an  einer  Stelle  auch  noch 
Quarternärnerven  unterscheiden,  die  zu  einem  sehr  zarten,  aus 
querrhombischen  Maschen  bestehenden  Netz  verbunden  sind 
(siehe  die  Vergrösserung  der  Nervation  Fig.  5  a). 

Das  beschriebene  Blatt  ist  in  der  Form,  Textur  und  Nerva- 
tion sehr  ähnlich  denen  von  Celastrtis  europaeus  Ung.  Sylloge 
plant,  foss.  II,  p.  10,  t.  2,  f.  10—15  einer  von  Unger  zuerst  in 
den  Schichten  von  Parschlug  und  von  Radoboj  entdeckten  Art 
Diese  hat  jedoch  ganzrandige  oder  nur  mit  wenigen  verein- 
zelten Zähnen  besetzte  Blätter  und  muss  daher  ersteres  der 
gänzlich  abweichenden  Randbeschaflfenheit  wegen  einer  be- 
sonderen Art  zugewiesen  werden.  Dieselbe  erinnert  an  C  tri- 
gymis  D.C.  Taf.  V,  Fig.  5. 

Ich  widmete  diese  Art  dem  Andenken  des  verdienten  Geo- 
logen Adolf  V.  Morlot,  welcher  zur  erfolgreichen  Ausbeutung 
der  Pflanzen-  und  Insectenreste  bergenden  Schichte  von  Radoboj 
viel  beigetragen  hat. 

Pterocelastrus  radobojanus  sp.  n. 

Taf.  IV,  Fig.  3. 

P.  foliis  petiolatis  rigide  coriaceis,  rotundato-ovatis,  utrinque 
obtusiusculis,  margine  integerrimis;  nervo  primario  firmo^  recto 
excurrente;  nervis  secundariis  inconspicuis. 


Pnanzenfossiiien  der  Radoboj-Sammlung.  495 

Ein  kleines  gestieltes  Blatt,  welches  eine  auffallend  feste, 
lederartige  Textur  durch  seine  scharfe  Contour  und  den  tiefen 
Eindruck  im  Gestein  verräth.  Ausser  einem  geraden,  verhält- 
nissmässig  dicken,  stark  ausgeprägten,  gegen  die  Spitze  zu 
kaum  verschmälerten  Primärnerven  sind  keinerlei  Blattnerven 
wahrnehmbar.  Die  grösste  Breite  der  rundlich  eiförmigen 
Lamina  ist  oberhalb  ihrer  Mitte;  Spitze  und  Basis  sind  fast 
gleich  stumpf.  Von  Zähnchen  ist  keine  Spur  zu  sehen;  der 
stark  hervortretende  Rand  zeigt  keine  Einrollung,  wie  z.  B.  bei 
Vacciniuniy  Andromeda  und  anderen  Ericaceen.  Bei  günstiger 
Beleuchtung  lassen  sich  Runzeln  wahrnehmen,  welche  von  der 
Oberhaut  gebildet  zu  sein  scheinen,  was  auf  gewisse  leder- 
artige Blätter  von  besonders  dicker  Consistenz  hinweiset.  Hält 
man  nämlich  unter  den  ähnlichsten  Blättern  der  lebenden 
Pflanzen  Umschau,  so  findet  man,  dass  die  dicken,  lederartigen, 
nur  mit  einem  hervortretenden  Primärnerven  und  wenigen 
schwachen  Secundärnerven  versehenen  Blätter  von  süd- 
afrikanischen Pierocelasirus- Arteriy  z.  B.  P.  arhoreus  Walp., 
P.  stenopiernsW a\p.  u.  A.  hier  am  meisten  in  Betracht  gezogen 
werden  müssen.  Es  ist  auch  schon  eine  Pterocelastrtis-hri 
(P.  elaenus)  von  mir  für  die  fossile  Flora  von  Leoben,  Denk- 
schriften, LIV.  Bd.,  S.  344,  nachgewiesen  worden,  welche  sich 
jedoch  durch  grössere  und  schmälere  Blätter  von  der  be- 
schriebenen Art  unterscheidet.  Die  genannte  Art  ist  auch 
in  Sotzka,  Sagor,  Bilin,  Parschlug  und  in  Localitäten  der 
Schweizer  Tertiärflora  gefunden  worden.  Ausserdem  sind  noch 
Pterocelastrus  oreophilus  Ung.  sp.  für  die  fossile  Flora  von 
Sotzka,  P  pachyphyllns  m.  für  die  von  Häring  und  P,  Oreonis 
für  die  von  Bilin  nachgewiesen  worden,  welche  aber  alle  von 
P.  radobojanus  ebenfalls  in  der  Blattform  abweichen. 

Ampeiideae. 
Vitis  Gilkeneti  sp.  n. 

Taf.  V,  Fig.  2. 

V.  foliis  palmato-  3 — 5-lobis,  basi  subaequali  profunde 
cordatis,  lobis  abbreviatis,  latis,  acutis,  margine  denticulatis; 
nervatione  actinodroma;  nervis  primariis  3 — 5,  subaequalibus, 
medio  recto  vel  paululum  flexuoso,   lateralibus  corivergentim 


496  C.  V.  Ettingshausen, 

curvatis;  nervis  secundariis  utrinque  5 — 6,  sub  angulis  40 — 55** 
orientibus,  prominentibus,  rectis  vel  saepe  convergentim  arcua- 
tis,  apice  furcatis,  craspedodromis;  nervis  tertiariis  distinctis, 
latere  interno  secundariorum  sub  angulis  obtusis,  latere  externo 
sub  angulis  acutis  egredientibus,  percurrentibus,  simplicibus, 
rarius  furcatis;  nervis  quarternariis  angulo  subrecto  insertis. 
Dass  dieses  wohlerhaltene  Blattfossil  einer  ViHs-Art  an- 
gehört, unterliegt  keinem  Zweifel;  es  scheint  sich  den  bis  jetzt 
bekannt  gewordenen  Blattformen  der  ViHs  teutonica  A.  Braun 
anzureihen,  so  z.  B.  dem  kleineren  Blatte  Fig.  4  auf  Taf.  9  in 
Unger's  Sylloge  plant,  foss.  I,  insbesondere  den  von  Ludwig 
im  VIII.  Bande  der  Palaeontographica,  Taf.  46,  Fig.  2,  3, 5  und  7 
abgebildeten  und  als  Vitis  Braunii  bezeichneten  Blättern, 
welche  ich  aber  für  Formen  der  V,  teutonica  halte,  worauf  ich 
schon  in  meiner  Abhandlung  über  die  fossile  Flora  der  älteren 
Braunkohlenformation  der  Wetterau,  Sitzungsber.,  LVU.  Band, 
S.  63,  hingewiesen  habe.  Bei  genauerer  Vergleichung  ergibt 
sich  jedoch,  dass  das  beschriebene  Blattfossil  von  den  Blättern 
der  genannten  Art  in  der  Form  und  Randzahnung  sowohl,  als 
auch  in  der  Nervation  auffallend  abweicht,  wesshalb  dasselbe 
einer  besonderen  Art  angehören  dürfte.  Die  Merkmale,  auf 
welche  sich  die  letztere  stützt,  sind:  Die  tief  herzförmig  ein- 
geschnittene Basis;  die  kaum  deutlich  hervortretenden  kleinen 
Zähne;  die  auffallend  kurzen  Lappen;  endlich  die  einander 
mehr  genäherten  Secundärnerven,  welche  gegen  die  Basis 
mehr  herabreichen.  Mit  den  übrigen  bis  jetzt  bekannt  ge- 
wordenen fossilen  F///5-Arten  kann  unsere  Art  nach  der  oben 
gegebenen  Charakteristik  nicht  verwechselt  werden.  Von  den 
jetztlebenden  Arten  bietet  die  nordamerikanische  V,Labrusca  L. 
Taf.  V,  Fig.  2,  eine  bemerkenswerthe  Ähnlichkeit. 

Pomaceae. 
Crataegus  radobojana  sp.  n. 

Taf.  rv,  Fig.  4. 

C.  foliis  petiolatis  subcoriaceis,  rhombeis,  basi  obtusis, 
marginis  parte  posteriore  serratis,  anteriore  crenato-dentatis; 
nervatione  craspedodroma,  nervo  primario  distincto,  recto; 
nervis    secundariis   sub    angulis    30—40**    orientibus,    rectis, 


Pflanzenfossilien  der  Radoboj-Sammlung 


497 


inferioribus  nervös  externos  prominentes  emittentibus;  nervis 
tertiariis  angulo  recto  insertis,  simplicibus  et  furcatis;  rete 
tenerrimo  vix  conspicuo. 

Das  beschriebene  Blattfossil  gehört  ohne  Zweifel  einer 
Crataegus-Art  an  und  nähert  sich  in  seinen  Eigenschaften 
einigen  bisher  bekannt  gewordenen  fossilen  Craiaegus-Blättern, 
C.  Warthana  Heer  aus  der  Tertiärflora  von  Nord-Grönland 
(der  Schichten  von  Atanekerdluk),  Flora  foss.  arct  I,  p.  126, 
t.  50,  f.  3,  4,  zeigt  sehr  ähnliche  Blätter,  welche  sich  von  dem 
Blattfossil  von  Radoboj  nur  durch  die  unter  spitzeren  Winkeln 
abgehenden  Secundärnerven  und  die  verschmälerte,  mehr  keil- 
förmige Basis  unterscheiden.  C  Kornerupi  Heer,  1.  c.  VII, 
p.  136,  t.  67,  f.  1,  aus  dem  rothen 
Thon  von  Kardlunguak  in  Grön- 
land hat  ebenfalls  ähnliche  Blätter, 
die  jedoch  durch  ihre  elliptische 
Form,  die  schärfer  ausgesprochene 
doppelte  Randzahnung  und  die 
mehr  bogenförmigen  Secundär- 
nerven abweichen.  Ferner  ist  C. 
incisa  Weber  aus  dem  Rotter 
Schiefer  der  niederrheinischen 
Braunkohlenformation,  Palaeonto- 
graphica,  IL  Band,  Taf.  7,  Fig.  7, 
als  analog  zu  bezeichnen,  weicht 
aber  durch  eingeschnitten  ge- 
zähnte, fast  gelappte  Blätter  ab. 
Das  von  R.  Ludwig  im  VIII.  Bande 
der  Palaeontographica,  Taf.  59, 
Fig.  9,  als  C  incisa  abgebildete 
CrataeguS'BldXi  aus  den  Schichten 
von  Münzenberg  der  älteren  Wetterauer,  Tertiärformation 
zeigt  keine  eingeschnittene,  sondern  nur  eine  doppeltgezähnte 
Lamina  und  hat  cpnvergirend  gebogene  Secundärnerven, 
wesshalb  ich  dasselbe  zu  einer  anderen  Art  bringe,  welche 
sich  hauptsächlich  durch  letzteres  Merkmal  von  der  Rado- 
bojer  Art  unterscheidet.  Endlich  ist  noch  C  teutonica  Ung. 
Sylloge  plant,  foss.  III,  p.  60,  t.  19,  f.  24,  25,  aus  der  fossilen 


Fig.  4. 
Craiaegiis  sp.  Texas. 


498  C.  V.  Ettingshausen, 

Flora  von  Parschlug  zu  erwähnen,  deren  Blätter  jedoch  nur  in 
der  rhombischen  Form  der  Lamina  mit  C.  radobojana  über- 
einstimmen, durch  die  kleineren  Randzähne,  insbesondere  durch 
die  geschlängelten  und  mehr  verästelten  Secundärnerven  und 
die  dünnere  membranöse  Textur  aber  sich  wesentlich  von  der- 
selben unterscheiden.  Das  beschriebene  Craiaegus-Bleitt  muss 
demnach  einer  besonderen  Art  zugewiesen  werden,  deren 
Blätter  denen  der  C.  parvifolia  Ait.  aus  Nordamerika,  ins- 
besondere aber  denen  einer  in  Texas  vorkommenden,  noch 
unbeschriebenen  Art  (siehe  das  Fig.  4  beigegebene  Blatt  der- 
selben in  Naturselbstdruck)  sehr  nahe  kommen. 

Caesalpinieae. 
Podogonium  Knorrii  Heer. 

Taf.  IV,  Fig.  7. 

6.  Heer,  Tertiärllora  der  Schweiz,   III.  Band,   S.  !44,   Taf.  84,  Fig.  22  —  26 
Taf.  85;  Taf.  86,  Fig.  1-9. 

Die  Reste  dieser  fossilen  Pflanze,  welche  zuerst  von 
0.  Heer  in  den  Schichten  von  öningen  entdeckt  wurden,  wo 
ihre  Blättchen  und  Hülsenfrüchte  häufig  vorkommen,  wurden 
von  mir  auch  in  den  Schichten  von  Bilin,  Schoenegg  und 
Parschlug  gefunden.  In  Radoboj  aber  sind  dieselben  weder  von 
Unger,  noch  von  mir  gesehen  worden.  Das  hier  abgebildete 
Theilblättchen  aus  Radoboj  gehört  nach  allen  seinen  Eigen- 
schaften unstreitig  zu  Podogonium  Knorrii  und  stimmt  am 
meisten  mit  den  a.a.O.,  Taf.  85,  Fig.  26,  abgebildeten  Blättchen 
überein.  Diese  Art  ist  demnach  in  das  Verzeichniss  der  fossilen 
Flora  von  Radoboj  aufzunehmen.  Es  ist  damit  auch  neuerdings 
festgestellt,  dass  Podogonium  Knorrii  nicht  bloss  in  den  oberen 
Schichten  der  Tertiärformation  vorkommt,  wie  Heer  angab, 
sondern  dass  diese  Art  auch  den  mittleren  Schichten  nicht  fehlt, 
wie  schon  früher  durch  das  Vorkommen  derselben  in  Bilin  und 
Schoenegg  ausgesprochen  werden  konnte. 

Cassia  Phaseolites  Ung. 

Taf.  IV,  Fig.  6. 
Unger,  Fossile  Flora  von  Sotzka,  S.  188,  Taf.  65,  Fig.  1—5. 


Pflanzenfossilien  der  Radoboj-Sammlung.  499 

Die  a.  a.  O.  Taf.  66  unter  der  Bezeichnung  Cassia  Phaseo- 
lites  abgebildeten  Blattfossilien  von  Radoboj  halte  ich  für  Theil- 
blättchen  von  Sapindus  Ungeri,  was  ich  bereits  in  den  Bei- 
trägen zur  fossilen  Flora  von  Radoboj,  Sitzungsber.,  LXI.  Band, 
S.  38,  begründet  habe.  Es  erschien  mir  daher  bis  jetzt  zweifel- 
haft, ob  erstere  Art  in  dieser  fossilen  Flora  enthalten  ist.  Das 
hier  in  Fig.  6  abgebildete  Blattfossil  von  Radoboj  ist  ein  Theil- 
blättchen,  welches  in  allen  Eigenschaften  mit  den  Blättchen  der 
echten  Cassia  Phaseolites  aus  den  Schichten  von  Sotzka,  ins- 
besondere mit  Fig.  2  und  5  I.e.  übereinstimmt.  Auf  Grund  dieser 
Xhatsache  ist  das  Vorkommen  der  C.  Phaseolites  in  Radoboj 
ohne  Bedenken  anzunehmen. 


Sitzb.  d.  mathem.-natiinv.  CK;  CV.Bd.,  Ahth.I.  ^3 


5(X)     e.V.  Ettingshausen,  Pflanzenfossilien  der Radoboj-Sammlung. 

Erklärung  der  Tafeln. 


Tafel  I. 
Fig.  1.  Blatt  von  Qutrcus  Dcwalqnei  n.  sp.   1  a.  Die  Nervation  desselben  ver- 

grössert  dargestellt. 
Fig.  2.  Myrica  Palaeo-GaJe  sp.  n.  Blatt. 
Fig.  3.  Myrica  lignitum  U  n  g.  Forma  angustifolia.  Blatt. 
Fig.  4.  Weibliches  Kätzchen  von  Myrica  sp. 
Fig.  5—7.  Ulmus  bicornis  Ung.  5,  6  Blätter;  7  und  vergrössert  7  a  Frucht. 

Tafel  II. 

Fig.  1.  Olea  Osiris  Ung.  Blatt;  1  a  Vergrösserung  der  Nervation. 

Fig.  2.  Apocynophylliint  Amsonia  Ung.  Blatt;  2  a  die  Nervation  desselben  ver- 
grössert. 

Fig.  3.  Apocynophyllum  Un^cri  sp.  n.  Blatt. 

Fig.  4.  Banisteria  Ceniaurorum  Ung.  Blatt;  4a  die  Nervation  vergrössert  ge- 
zeichnet. 

Fig.  ").  Vergrösserung  der  Nervation  eines  Blattes  von  Daphnogcne  paradisiaca 
Ung. 

Tafel  III. 

Fig.  1.  Acer  trilobaUtm  A.  Braun.  Flügelfrucht. 

Fig.  2.  Acer  campylopteryx  Ung.  Flügelfrucht. 

Fig.  3,  4.  Mognolia  Dianae  Ung.  Blätter;  4a  Vergrösserung  der  Nervation. 

Fig.  5.  Sapindus  Ungeri  m.  Theilblättchen. 

Tafel  IV. 
Fig.  1 .  Sapindus  Pythii  Ung.  Theilblättchen. 
Fig.  2.   Vitis  Gilkeneti  sp.  n.  Blatt. 
Fig.  3.  Pterocelastrus  radobojanus  sp.  n.  Blatt. 
Fig.  4.   Crataegus  radobojana  sp.  n.  Blatt. 

Fig.  5.   Cclastrus  Morloti  sp.  n.  Blatt;  5  a  Vergrösserung  der  Ner\''ation. 
Fig.  6.   Cassia  Phaseolitcs  Ung.  Theilblättchen. 
Fig.  7.  Podogonium  Knorrii  \\QQTT\\Q\\'b\ix\Xc\\en. 

Tafel  V. 

Fig  1.   C>i7^i7^^«5 ^an'//b//a  A it.  Nordamerika. 

Fig.  2.   Viiis  Labrusca  L.  Nordamerika. 

Fiu:.  3.  Banisteria  laurifolia  L.  Von  der  Ipsel  Martinique. 

Fig.  4.   Ulmus  ntontana  With.  forma  rugosa  Cult. 

Fig.  5.   Celastrus  tngynus  De  Cand.  Von  Madagaskar. 


I 


e.V.  Eliingshausen:  Pflanzenfossilien  von  Radoboj. 


Tafl. 


I  : 


Sitzungsb.  d.  Kais.  Akad.d.W  math.nat.Cl.  Bd.CV.  Aklh  1. 1896. 


C.v.Etlingshausen:  Pflanzenfossilien  von  Radoboj. 


Taf.n. 


Sitzungsb.  d.  Kais.  Akad.d.W  math  nat.Cl.  Bd.CV.  Ablh  1. 1896. 


C.v.Effingshausen:  Pflanzeiifossilien  von  Radoboj. 


TafBL 


Silzungsb.  d.  Kais. Akad. d.W.  math.nat.Cl.  Bd.CV.  Ablh  L 1896. 


e.V.  Etiingshauscn:  Pflanzeitfossilien  von  Radobqj. 


Tat  IV. 


Sitzungsl).  d.  Kais;  Akad.  d.W.  math.na1.Cl.  Bd.CV.  Ablh  1. 1896. 


;   C.  V.  Ettlngshausen :  Pflanzenfossilien  von  Radoboj. 


Taf.  V. 


Sütiirsclbstdriick. 


Aus  der  k.  k.  //<»/-  und  SUuitsdmckirn. 


SitzundTsbcrichtc  d.  kais.  Akad.  d.  Wiss.,  math.-naturw.  Clause.   lid.  CV.   Abth.  I.   1  SiH). 


501 


Geologische  Reise  in  Nord-Grieehenland  und 
Türkiseh-Epirus  1895 

(vorläufiger  Bericht) 


Vincenz  Hilber. 

Die  Reise  wurde  wieder  im  Auftrage  der  kais.  Akademie 
mit  Hilfe  der  Boue-Stiftung  unternommen.  Wegen  eines 
Malaria-Rückfalles  konnte  ich  erst  am  19.  Juli  von  Graz  ab- 
reisen und  kam  deshalb  erst  am  5.  November  zurück.  Ich  schiffte 
mich  am  20.  in  Triest  ein  und  langte  am  23.  in  Prewesa  an,  wo 
ich,  nachdem  ich  in  Graz  monatelang  vergebens  gewartet  hatte, 
durch  unsere  Botschaft  in  Constantinopel  eine  Empfehlung  an 
die  türkischen  Behörden  seitens  der  ottomanischen  Regierung 
erhalten  sollte.^  Ich  fand  aber  nicht  einmal  eine  Nachricht.  Unter 
diesen  Umständen  entschloss  ich  mich  zunächst  zu  einer 
längeren  Reise  in  die  mir  noch  unbekannten  und,  wie  sich 
zeigte,  ungenügend  untersuchten  Gegenden  Nord-Griechen- 
lands und  fuhr  nach  der  Stadt  Lefkas  auf  der  gleichnamigen 
Insel.  Von  hier  ging  ich  zuerst  in  östlicher  Richtung  durch 
die  ganze  Breite  von  Nord-Griechenland  (Akamanien,  Ätolien, 
Phthiotis). 

I.  Quer  durch  Akarnanien  und  Ätolien. 

(Lefkas — Wonitsa — Katüna — Mytika — Karpen  isi.) 

Bis  Wonitsa  herrschen  Breccienkalke  und  dichte  weisse 
Kalke.  Von  hier  im  Südosten  folgt  Conglomerat  und  Schutt,  bis 
südwestlich  von  Ajios  Wassflios  Hieroglyphensandsteine  und 
eine  mächtige  Schuttbedeckung  mit  Blöcken  von  Nummuliten- 
kalken  und  von  Kalken  mit  Rudistentrümmern  auftreten.  Diese 


1  Die  Reisen    in    der  Türkei    führte    ich   dann   ohne  jegliche  derartige 
Empfehlung  durch,  wie  ich  schon  1893  gcthan  hatte. 

33* 


502  V.   Hilber, 

hält  bis  Wustri  an.  Ich  fand  darin  an  drei  Stellen  Nummuliten 
(von  der  Passhöhe  zwischen  Wönitsa  und  Katüna  hatte  schon 
Philippson  Nummuliten  angegeben).  Bei  Wustri  und  weiter 
südöstlich  herrscht  Flysch,  welcher  Bänke  klotzigen  und 
schichtungslosen  Kalkes  mit  Hornsteinkugeln  und  grossen 
Höhlen  einschliesst.  Zwischen  Katüna  und  Mytika  liegen  Num- 
mulitenkalk  mit  Hornsteinschichten  im  Hieroglyphensandstein 
und  Mergel.  Rund  um  den  Meerbusen  von  Mytika  erheben  sich 
graue  Eocänkalke  (aus  dem  gleichen  Gestein  scheint  die 
gegenüberliegende  Insel  Kalamos  zu  bestehen),  welche  an  dem 
Wege  nach  Papadhäton  von  Flysch  überlagert  werden. 

Südlich  vom  Riwios-See  fand  ich  an  der  Strasse  ein  neues 
Vorkommen  weisser  levantinischer  Mergel  (wie  solche  von 
Stamna,  30  km  im  Süden  und  von  Niköpolis  bei  Prewesa  be- 
kannt sind),  und  zwar  zu  »Vrumoneri«  unter  80**  N  70  0  fallend, 
südöstlich  von  Chan  Gwara  hingegen  flach  liegend.  Diese  jung- 
tertiären Schichten  haben  also  auch  an  der  Gebirgsfaltung  theil- 
genommen,  obgleich  die  Beckennatur  ihres  Grundgebirges 
deutlich  erhalten  geblieben  ist.  Von  Fossilien  fand  ich  Mela- 
nopsis  Aetolica  Neum.  häufig,  Übergang  vom  Typus  zu  var. 
Stamnana  Opp.  häufig,  Melanopsis  n.  sp.  ?,  Melattopsis  tuher- 
culata  Müll.,  Hydrohia  acutecarinata  Neum.,  Planorhis,  Neri- 
tina  cf.  ahnormis  Jenk. 

Im  Dorfe  Lepenü  sammelte  ich  in  den  bereits  bekannten, 
dem  Flysch  eingelagerten  Nummulitenkalken.  Von  hier  ging 
ich  durch  das  Flyschgebiet  an  den  den  Flysch  überlagernden 
Kalkzug  der  Küt(u)pa,^  wo  ich  in  einem  abgestürzten  Block 
Nummuliten  fand.  Im  Norden  von  Karawana  sammelte  ich  im 
Flyschsandstein  einen  Zweig  von  Sequoia  cf.  Sternbergi^^  einer 
eocänen  Art.  Flysch  und  Kalk  werden  getrennt  durch  eine 
mächtige  Reihe  von  rothen  tuffähnlichen  Schiefern  und  zumeist 


1  Das  (n)  kaum  hörbar.  Die  Schreibart  ist  phonetisch,  das  nichtgespro- 
chenc  Anlaut-f/  weggelassen,  die  Diphthonge  sind  durch  die  entsprechenden 
Vocale  ersetzt,  iv  vor  Vocalen  und  vor  Consonanten  statt  f,  dh  und  tk  =  den 
englischen  meist  so  bezeichneten  Lauten,  ndy  wie  es  gesprochen  wird,  statt  «/ 
des  Griechischen,  5Ä  ^  gezischtem  .s<://;  phonetisch  ist  auch  Dshumerka  statt 
TsLimerka  zu  schreiben  u.  s.  w. 

*-  Bestimmung  von  F'reiherrn  v.  Ettingshausen. 


Geologische  Reise  in  Nord-Griechenland.  503 

rothen  Hornsteinen.  Dieses  im  westlichen  Nord-Griechenland 
ausserordentlich  verbreitete  Niveau  ist  im  Pindos  sowohl,  als 
hier  in  den  ätolischen  Bergen  ausserdem  bezeichnet  durch  das 
Auftreten  von  Conglomeraten,  puddingartig  mit  Gerollen  ver- 
mischten Thonen,  Resten  von  Landpflanzen  in  den  begleitenden 
Sandsteinen  und  das  Auftreten  dünner  Kohlenschichten,  lauter 
Hinweise  auf  Strandfacies.  In  der  besprochenen  Gegend  kommen 
dünne  Schieferkohlen  nach  Erkundigung  auf  der  Küt(u)pa  und 
nach  meinen  eigenen  Funden  schwarze  Brandschiefer  in  der 
Schlucht  im  Norden  von  Marathiä  (Pan-Machalassh)  vor. 

Auf  dem  Wege  von  Marathiä  nach  Karpenisi  sieht  man 
beim  Abstieg  zum  FIuss  Megdowa  nach  West  fallenden  und 
weiterhin  senkrechten  Flysch  und  jenseits  des  Flusses,  beim 
Aufstieg  nach  Osten,  die  östlich  fallenden  Hornsteinschichten, 
darauf  Kalksteine  und  gegen  die  Passhöhe  lichte  Mergel  und 
Sandsteine,  darüber  die  Hornsteinschichten  und  endlich  Kalk- 
stein. Die  Wiederholung  der  Reihe  scheint  durch  Bruch  ver- 
ursacht. Das  Hauptstreichen  ist  in  der  besprochenen  Gegend 
nordnordwestlich. 

II.  Die  Gebirge  zwischen  den  Ebenen  des  Sperchiös  und  des 
östlichen  Thessaliens. 

1.  Karpenisi-Lamia.  Ich  folgte  zunächst  der  Strasse 
Karpenisi-Lamia,  überschritt  den  weiter  nördlich  im  Welüchi 
culminirenden  Kalkzug  und  gelangte  in  die  grünlichen  Sand- 
steine der  breiten  östlichen  Flyschzone.  Vom  Meridian  von 
Wariböpi  beginnen,  wie  ich  auf  einem  später  gemachten  Wege 
sah,  die  Othrysgesteine.  Ich  verliess  die  durch  das  Sperchiös- 
Thal  führende  Strasse  erst  bei  Lianoklädi,  von  wo  ich  nordwärts 
nach  Styrfaka  ging.  Nordöstlich  vom  Dorf  sah  ich  in  der  Schlucht 
vier  Stollen  im  ophitischen  Diabas,^  welcher  nach  herausge- 
förderten Stücken  Quarzgänge  zu  enthalten  scheint;  hier  wurden 
nach  einer  Mittheilung  des  Herrn  Schlehan,  Betriebsleiters  in 
Kalanörevma,  Schwefel-  und  Kupferkiese  gefunden. 

Auch  in  Tshupanlates  bestehen  Versuchsstollen,  und  zwar 
auf  Chromeisenstein.  Auch  Mangan  kommt  vor,  wie  mir  Herr 

1  Die  Bestimmungen  der  Eruptivgesleine  rühren  von  Herrn  A.  Ippen, 
Assistenten  am  mineraloglsolien  Institut  der  Universität  in  Graz,  her. 


504  V.  Hilber, 

Schlehan  mittheilte  und  Herrippen  selbständig  in  meinen 
Gesteinsproben  fand.  Nicht  selbst  gesehen  habe  ich  die  mir  von 
Herrn  Schlehan  genannten  Chromerzvorkommen  von  Beki 
(Lamia  W)  und  Lamia  N  (an  der  Strasse  mehrere  Hundert 
Schritte  ausser  dem  letzten  Garten  links). 

Über  Taratsha  ging  ich  nach  der  an  einem  Rudistenkalk- 
Berg  gelegenen  Stadt  Lamia. 

Von  Lamia  aus  besuchte  ich  in  einem  Tagesausfluge  das 
Thermalbad  Ypati  (Schwefelquelle  32 — 35°  C.,  je  nach  dem 
zusit^enden  Grundwasser,  ich  fand  34")  und  das  gleichnamige 
Städtchen  im  Westsüdwesten  von  Lamia.  Hier  stehen  erz- 
führende Serpentine  in  Verbindung  mit  Kalken  an.  Die  nach 
den  vorliegenden  Karten  nahe  im  Westen  verlaufende  Flysch- 
grenze  fand  ich  in  dieser  geringen  Entfernung  nicht. 

2.  Von  Lamia  durch  die  östliche  Othrys  nach  Wölo. 
Von  Lamia  wandte  ich  mich  durch  ein  Gebiet  von  Eruptiv- 
gesteinen mit  aufsitzenden  Kalken  über  Limogardi  nach  dem 
Bergwerk  Kalanörevma,  wo  ich  von  Herrn  Adolf  Schlehan 
geführt  wurde.  Hier  werden  Quarzgänge  mit  Kupferkies  und 
Malachit  in  mächtigem  umgewandelten  Diabas  mittest  Stollen 
aufgesucht,  welche  hauptsächlich  durch  Wiederöffnung  der 
von  den  Alten  angelegten  entstehen.  Die  meisten  alten  Stollen 
streichen  NO  (Gangstreichen!).  Alte  Schlackenfelder  berichten 
von  der  seinerzeitigen  Verhüttung  des  Malachites,  während 
der  Kupferkies  belassen  wurde.  Man  weiss  noch  nicht,  ob  sich 
ein  Abbau  lohnen  wird,  obwohl  eine  Gesellschaft  bereits  mit 
einem  Aufwände  von  700.000  Drachmen  ein  stattliches  Werks- 
gebäude, ein  eigenes  Haus  für  das  chemische  Laboratorium 
und  eine  Fahrstrasse  nach  Stylida,  dem  Hafen  von  Lamia. 
gebaut  hat. 

Die  überlagernden  Kreidekalke  enthalten  hier  und  weiter 
im  Osten  bei  Longitshi  eine  Fülle  von  Hippuriten.  Die  Grenze 
der  Diabase  gegen  den  Rudistenkalk  streicht  nordsüdlich. 

Weiter  östlich,  zu  Neraida,  fand  ich  umgewandelten  Diabas 
und  Diabasmandelstein,  geschichtete  tuffähnliche  Gesteine  und 
in  der  nach  Süd  laufenden  Schlucht  mit  dem  Kloster  Ajios 
Geörgios  senkrecht  stehende  Grünschiefer  mit  WNW-Streichen. 
Ostsüdöstlich    vom    Kloster   überstie^^j   ich   den   Rücken.   Dort 


Geologische  Reise  in  Nord-Griechenland.  50.) 

Streichen  geschichtete  Hornsteine  NNW  bis  N.  In  dieser  Rich- 
tung streicht  auch  die  Grenzfläche  der  Eruptivgesteine  gegen 
den  Kreidekalk. 

Ich  stieg  hinunter  nach  Niköwa  (in  dem  nördlich  gelegenen 
Tshemowiti  sollen  Erze  vorkommen),  ging  nach  Raches,  immer 
im  Eruptivgebiet,  und  stieg  hier  wieder  nordöstlich  hinan  nach 
Gardiki  (grüne  zersetzte  Schiefer,  Serpentin,  geschichtete  Horn- 
steine, Rudistenkalk,  alte  Schlackenhalden). 

Nordwestlich  von  Gardiki  streichen  geschichtete  Horn- 
steine NW,  darüber  folgt  Serpentin  und  auf  der  Höhe  Kalk. 
Auf  dem  Ruinenberg  Lärissa  Kremasti  fand  ich  Blöcke  eines 
tertiären  Süsswasserkalkes,  Reste  der  antiken  Bausteine.  Zu 
Gardiki  Machalassh  kommen  auch  jungtertiäre  Thone  vor. 
Hinter  dem  Kalkzug  des  Dorfes  stossen  weisse  feldspatreiche 
Gneisse,  Chloritschiefer  und  Marmor  mit  durchschnittlich  ost- 
westlichem Streichen  an  die  Serpentinformation,  deren  Streichen 
ein  nordsüdliches  ist.  Durch  das  Gebiet  jener  krystallinen 
Gesteine  ging  ich  weiter  nach  Ajios  Theödoros  (Amphibol- 
Serpentinschiefer,  dessen  Beziehung  zu  den  Gneissen  nicht 
wahrnehmbar)  nach  dem  auf  den  vorliegenden  Karten  nicht 
angegebenen  Dermöna,  welches  S  35  W  von  Sürpi  auf  dem 
entgegengesetzten  Gehänge  des  Hauptthaies  liegt.  Damit  er- 
reichte ich  wieder  das  Gebiet  der  Serpentine  mit  den  über- 
lagernden Kalken.  Ich  reiste  über  Vrineta  nach  Platanos,  dann 
über  Almyrös  nach  Akitsh. 

Im  Norden  dieses  Tschiftliks  treten  Süsswasserkalke  auf, 
welche  jenseits  der  Schlucht  von  einem  Basaltstrom  überlagert 
werden.  Südlich  von  Pirsufli  treten  aus  Gabbro  entstandene 
Serpentine  mit  Chloritschiefem  und  Blöcken  des  von  Lepsius 
beschriebenen  Basaltes  auf.  Trotz  freundlicher  brieflicher  Mit- 
theilung der  Direction  der  thessalischen  Eisenbahn,  welche  das 
Stationshaus  aus  dem  Gestein  gebaut  hatte,  und  Erkundigungen 
bei  dem  Stationspersonal  konnte  auch  ich  den  Steinbruch  nicht 
finden,  sondern  nur  Felsen  bei  der  Quelle  Dervisshani  (Station 
Pirsufli  S),  welche  möglicherweise  aus  dem  Serpentin  ragenden 
Gangresten  entsprechen. 

Von  Pirsufli  ging  ich  nordöstlich  über  die  Berge  nach 
Wolo.  Hier  herrschen   quarzreiche  Chloritschiefer  mit   unter- 


506  V.  Hilber, 

geordneten  Thonschiefern  und  Kalken  mit  bald  nördlicher,  bald 
östlicher  Streichrichtung. 

3.  Von  Wölo  über  Welestino,  den  südöstlichen 
Kara-Dag,  die  tsiragiotischen  und  kassidiarischen 
Berge  und  die  westliche  Othrys  nach  Lamia.  Bis  Weles- 
tino herrschen  wieder  die  Chloritschiefer,  hier  mitMarmorlagem, 
Auch  tertiäre  Süsswasserkalke  kommen  vor.  Nordfallen  herrscht 
weitaus  vor.  Auf  dem  Übergang  über  den  Kara-Dag  von  Weles- 
tino nachDuwlatän  sieht  man, wahrscheinlich  cretacische,  Kalke, 
darunter  Serpentin,  auch  Bronzit-Serpentin  und  Gabbro,  welche 
von  Thonschiefern  unterlagert  werden.  Nordwestlich  vom  Dorfe 
Aiwali  ragt  eine  Kuppe  von  Bronzit- Olivin-Serpentin  aus 
talkreichem  grünlichen  Quarzschiefer.  Auf  den  Feldern  beim 
Dorfe  fand  ich  Blöcke  schlackigen  olivenreichen  Basaltes, 
dessen  Vorkommen  als  Fels  den  Einwohnern  nicht  bekannt 
ist.  Einen  Block  ähnlichen  schlackigen  Basaltes  fand  ich  auch 
im  Dorfe  Tshangli. 

Dieses  Dorf  liegt  südöstlich  von  Duwlatan  auf  Serpentin. 
Daselbst  wird  Chromeisenstein  durch  40 — 50  Arbeiter  stein- 
bruchmässig  gewonnen.  Der  Chromit  ist  von  einem  lauchgrünen 
gefältelten  Schiefergestein  umgeben,  nach  Ippen  einem  ge- 
schieferten Bronzit-Serpentin. 

Über  den  Serpentin  folgen  zu  Kitiki  Rudistenkalke  und 
darüber  Sandsteine,  welche,  muldenförmig  gelagert,  auf  dem 
Wege  nach  Koloklömbashi  wieder  ihre  (andersartige)  Unterlage 
(Discordanz),  ein  dichtes  Schiefergestein  (Grünschiefer)  mit 
Serpentingängen,  hervortreten  lassen.  Vor  letztgenanntem  Dorfe 
fand  ich  Süsswasserkalk  (oder  Kalktuff?)  mit  Helixarten  und 
einer  Cyclostoma,  dann  auf  dem  Wege  zum  Dorf  hinauf  zer- 
reibliche  Kalke  und  darüber  Sande,  horizontal  gelagert.  An 
dem  Wege  nach  Kislär  herrschen  WSW  streichende  Sand- 
steine. Flysch  (Sandsteine  mit  weissen  Mergeln)  erstreckt  sich 
südwärts  über  Paleo-Dhereli  nach  Mandasshia. 

Im  Süden  von  Dramäla  treten  wieder  die  Serpentingesteine 
der  Othrys  auf.  Südwestlich  von  Dramala  wurden  mir  in  einer 
Wand  Kupfererze  mit  Quarz  im  Serpentin  gezeigt.  Alte  Stollen 
und  Schlackenhalden  befinden  sich  in  der  Nähe.  Neben  dem 
Serpentin  folgt  auf  dem  Berge  im  Süden  rudistenerfüllter  Kalk. 


Geologische  Reise  in  Nord-Griechenland.  507 

Von  hier  ging  ich  nach  dem  durch  Neumayr  bekannt  gewor- 
denen Hippuritenfundort  Andinitsa-Kloster,  wo  der  Kalkstein 
in  der  Wand  über  der  Quelle  ein  Nest  gut  erhaltener  Hippuriten 
enthält.  Hier  läuft  die  nordsüdliche  Grenzlinie  des  Kalkes 
gegen  den  Serpentin  horizontal,  senkt  sich  aber  dann  gegen 
Lamia,  wo  der  früher  erwähnte  Schlossberg  den  unterlagernden 
Serpentin  nicht  mehr  zeigt 

4.  Von  Lamia  zum  Xyniassee,  südwärts  zum  Sper- 
chiös  (Archäni).  nach  Käto-Agoriani  in  der  thessa- 
lischen  Ebene  und  über  Dranista  zum  Katachloron. 
Von  Lamia  verfolgte  ich  zunächst  die  Fahrstrasse  durch 
das  Serpentingebiet  nach  Chan  Abdorachmänaga.  Wie  früher 
erwähnt,  soll  sich  nördlich  von  Lamia  ein  Chromitvorkommen 
befinden.  Grossentheils  serpentinisirte  Eruptivgesteine  (zum 
Theil  mit  cyclopischer  Maschenbildung)  herrschen  vor.  Unter- 
geordnet sind  mehr  oder  weniger  zersetzte  krystalline  Schiefer, 
Hornsteine,  Tutfe  und  Kalkbänke.  Das  herrschende  Streichen 
ist  hier  zunächst  NNO  und  dann  N;  auch  NW- Streichen  kommt 
vor.  An  einer  Stelle  fand  ich  Diabas-Variolith  und  an  zwei 
anderen  ein  grünes  Gestein,  welches  Herr  Prof.  Doelter  unter 
dem  Mikroskop  als  der  (triadischen)  Pietra  verde  der  Südalpen 
vollkommen  gleichartig  erkannte.  Bei  der  Quelle  Derwen  sah 
ich  Einschlüsse  von  Brocken  krystallinen  Kalkes  im  Serpentin. 
Ich  verfolgte  die  Strasse  weiter  bis  Chan-Palama  und  wandte 
mich  dann  durch  die  Fortsetzung  des  Serpentingebietes  nach 
Neserö  am  Xyniassee. 

Von  hier  ging  ich  südwärts  nach  Archani  am  Gehänge  des 
Sperchiös -Thaies.  Der  Aufstieg  zeigt  bis  Kürnowo  von  unten 
bis  oben  Serpentin  mit  Hornsteinschichten  und  rothen  tuffahn- 
lichen  Schiefern,  welche  steil  SSO  bis  SSW  fallen.  Das  Ser- 
pentingebiet verquerl  man  weiter  beim  Abstiege  südwärts  bis 
Archani.  NW  von  diesem  Dorfe  fand  ich  krystalline  Schiefer 
(viel  Glimmer  und  weissen  Feldspat)  klippenähnlich  aus  dem 
ihn  von  drei  Seiten  umschliessenden  Serpentin  herausragen. 
Im  NW  des  Dorfes  kommt  auch  Amphibol-Augit-Schiefer  vor. 
Noch  weiter  nordwestlich  von  Archäni,  in  der  Schlucht  an  dem 
Wege  nach  Aswest,  sah  ich  den  Flyschsandstein  der  östlichen 
Pindoszone' bis  auf  zehn  Schritte,  in  welcher  Breite  das  Gehänge 


Ö08  V.  H  über, 

durch  Schutt  verhüllt  war,  an  den  Serpentin  herantreten.  Der 
Sandstein  fällt  dort  steil  vom  Serpentin  weg  nach  SW.  Zwischen 
der  Mühle  Rüsha  und  Aswest  beobachtete  ich  die  Serpentin- 
Sandstein-Grenze  noch  einmal.  Man  kommt  aus  gegen  den 
Serpentin  fallendem  Sandsteine  in  den  Serpentin.  Ebenso  sah 
ich  die  Grenze  wieder  knapp  westlich  von  Aswest  (Flysch- 
fallen  WSW). 

Auf  dem  Wege  von  Archani  nach  Aswest  schlug  ich  ein 
Serpentinhandstück  mit  Opal  und  Asbest.^  In  dem  höher  ge- 
legenen Paleaswest  kommt  Gabbro  in  Verbindung  mit  Serpentin 
vor.  Nahe  nordöstlich  von  Paleaswest  kennt  man  auf  dem 
Rücken,  wo  die  alte  Grenze  verläuft,  im  Amphibol-Serpentin- 
schiefer  und  Serpentinschiefer  noch  immer  Olivingestein.  Auch 
Gabbro  tritt  hier  auf. 

Ich  stieg  nach  Dereli,  am  Abhänge  gegen  den  Xynias 
hinab.  Mich  nordwärts  wendend,  erreichte  ich  zu  Käto-Agoriani 
die  thessalische  Ebene  (auf  dem  Wege  Bronzit- Serpentin, 
darüber  Hornstein,  SW  fallend  und  zu  oberst  eine  etwa  1  km 
breite  Zone  krystallinen  Kalkes). 

Im  Südwesten  des  Dorfes,  zwischen  Kato-  und  Ano-Ago- 
riani,  fand  ich  mächtige  augitführende  Homblendeschiefer  und 
Serpentine,  überlagert  von  röthlichem  Kalk  mit  Anwitterungen 
von  Rudisten.  Auch  im  wasserreichen  Thal  des  Pendämylon 
sah  ich  Serpentin,  bankig  abgesondert  mit  Ost- West-Streichen 
und  Grünschiefer  mit  der  gleichen  Streichrichtung.  Zwischen 
Ano-  und  Käto-Dränista  geht  wieder  die  Serpentin-Flysch- 
grenze  durch  (in  der  Schlucht  unten  Serpentin,  auf  der  Höhe 
Sandstein  und  Kalkbreccien  mit  Rudistentrümmern). 

III.  Vom  Katächloron  nach  Smökowo  und  Paliüri  in  der 
thessalischen  Ebene  und  über  Rentfna  zur  Aspros-Brücke 

Tatärna. 

Von  Kato-Dränista  ging  ich  am  Katachloron  (Serpentin) 
vorüber  nach  Bad  Smökowo.  In  der  Nähe  des  gleichnamigen 
Dorfes  wird  Flysch  von  Kalkstein  überlagert.  Die  40 -5  gradigen 
Schwefelquellen  des  Bades  kommen  aus  weisslichem  Flysch- 

'   Der  Ortsname  dürfte  nicht  von  diesem  Worte  hergeleitet  sein. 


Geologische  Reise  in  Nord-Griechenland.  509 

mergel,  ähnlich  wie  zu  Vrumoneri  bei  Konitsa  in  Türkisch- 
Epirus. 

Mein  Zickzackweg  durch  das  Gebirge  führte  mich  wieder 
über  die  Flysch-Serpentingrenze  nach  Paliüri  am  Rande  der 
thessahschen  Ebene,  wo  Serpentin  von  Kalk  überlagert  wird. 
Von  hier  ging  ich  in  das  Gebirge  zurück  über  Apidhia  nach 
Rentina  und  weiter  durch  die  ostätolische  Flyschzone,  welche 
sich  bis  zum  Dorfe  Arachowitsa  erstreckt. 

Westlich  vom  Dorfe  schreitet  man  über  eine  Wechsel- 
lagerung von  hornsteinführenden  Kalken  und  Mergeln  aufwärts 
in  das  Kalkhochgebirge.  Die  Schichten  fallen  ostwärts.  Von 
hier  an  bildet  Kalk  mit  mächtigen  Homsteinschichten  und 
untergeordneten  Sandsteinen  eine  breite,  N-streichende,  von  den 
Flüssen  Megdowa,  Agrafiötikos  und  Äspros  durchfurchte  Zone. 

Im  SW  von  Kerässovo,  in  der  Gegend  Xerögambos,  wird 
der  Agrafiötikos  von  einer  50  w  hohen  Terrasse  (Aneroid- 
messung)  begleitet,  welche  zum  kleinen  Theile  aus  Fels,  zum 
anderen  aus  Flussschotter  besteht,  welche  bis  zur  genannten 
Höhe  anhalten.  Ein  Rücken  (mächtige  Hornsteine,  darüber 
Sandstein  und  Kalk)  trennt  diese  Gegend  von  der  Äspros- 
Ebene  bei  der  Tatärna-Brücke. 

IV.  W^iederholte  Verquerungen  der  Arta-Flyschzone  und  des 
Gdbrowo-Dshumörka-Zuges. 

Zwischen  Chan  Magüla  in  der  Äspros-Ebene  und  der 
Tatarna- Brücke  bricht  rechtsseitig  ein  starker  klarer  Fluss 
(H""  C.,  7.  September  Abends)  in  mehreren  Armen  aus  dem 
Kalkstein  und  ergiesst  sich  in  den  Aspros.  Es  ist  offenbar  der 
Abfluss  aus  dem  wasserarmen  verkarsteten  Bergrücken,  der 
vom  Gabrowo  her  westlich  vom  Äspros  nach  SSO  zieht. 

Bei  der  Brücke  liegt  Flysch  auf  dem  von  Philippson 
entdeckten  Nummulitenkalk.  Hier  fand  ich  neben  grossen 
Nummuliten  Alveolinen.  Unter  den,  wie  der  F'lysch,  ostwärts 
fallenden  Nummulitenkalken  sah  ich  auf  dem  Wege  westwärts 
über  den  Rücken  nach  Chalkiopülo  Rudistenkalk  anscheinend 
concordant  (gleiche  Fallrichtung)  folgen.  Auf  der  einfach 
»gämbos«  (Ebene)  genannten  eingesenkten  Hochfläche  bei 
Chalkiopülo  liegen   unter  den  von  Rudisten  erfüllten  grauen 


510  V.  Hilber, 

Kalken  fast  horizontale  Flyschmergel.  Die  Grenze  ist  auf  der 
Ost-  und  Westseite  des  Kessels  gut  aufgeschlossen  und  an 
keiner  Stelle  die  Spur  einer  Reibung  oder  Stauchung  (etwaige 
Überschiebung)  sichtbar;  von  überstürzter  Lagerung  fand  ich 
in  der  Gegend  keine  Anzeichen,  so  dass  dieser  Flysch  als 
wahrscheinlich  cretacisch  zu  betrachten  ist.  Im  Westen  von 
Chalkiopülo  setzen  die  Rudistenkalke  fort.  Ich  verfolgte  sie. 
den  Patiöpulos-Bach  übersetzend,  bis  Dünista  und  den  Bach 
wieder  kreuzend  bis  Synteknon,  wo  ich  eine  Nerinea  fand. 

Hier  liegt  die  Ostgrenze  der  westlichen  Flyschzone,  dt^r 
Fortsetzung  der  Arta-Zone.  Ich  wandte  mich  wieder  ostvväns 
über  das  noch  als  Sommerdorf  erhaltene  Paleochöri-Synteknon, 
wo  Flysch  in  einer  (tektonischen)  Kalkmulde  liegt.  Ich  ging 
nach  SO  über  den  Gabrowozug  nach  Sukaretshi.  Der  Rücken 
ist  verkarstet.  Grosse  Wannen  mit  natürlichen  Abzuglöchem, 
im  Sommer  maisbepflanzt  oder  Weiden,  füllen  sich  im  Winter 
zu  Seen.  Die  Kalke  gehören  im  Westen  und  auf  der  Höhe  des 
Zuges  der  Kreide  an  (Rudisten),  auf  der  Ostseite  dem  Eocün 
(Nummuliten,  schon  von  Philippson  entdeckt  und  auch  von 
mir  häufig  gefunden).  Diese  ganze  Ostseite  ist  ausserordentlich 
wasserarm,  so  dass  die  Bewohner  im  Spätsommer,  wenn  die 
Quellen  versiegt  sind,  stundenweit  bis  zum  Äspros  um  Wasser 
gehen  müssen.  Die  Nummulitenkalke  halten  nordwärts  bis  in 
die  Nähe  von  Simerü  an  (diese  Ortschaft  ist  auf  den  vor- 
liegenden Karten  an  unrichtiger  Stelle  eingezeichnet;  sie  liegt 
näher  bei  Awlaki  als  bei  Botsh,  kaum  1  km  nördlich  von  der 
alten  Grenze).  Bei  Simerü  treten  die  Kreidekalke  weit  östlich 
gegen  den  Aspropötamos  vor.  Ich  überschritt,  wieder  westwärts 
ziehend,  den  Rudistenkalk  des  Gabrowo,  auf  dessen  Westseite 
Schollen  von  Flysch  mit  Kalkgeröllen,  westlich  fallend,  dem 
Rudistenkalk  auflagern.  Auch  bei  Welentshikö  liegt  der  Flysch 
westlich  fallend  auf  Rudistenkalk,  ohne  Dazwischentreten  dts 
Nummulitenkalkes. 

Von  hier  aus  wollte  ich  längs  der  Flysch-Kalk-Grenze 
nordwärts  gehen,  musste  aber  wegen  des  für  Lastthiere  un- 
geeigneten Weges  zunächst  nach  Ano-Kalenü'ni  hinabsteigen. 
(Daselbst  hatte  Anfang  September  ein  kleines  Erdbeben  statt- 
gefunden.) Durch  das  vorwiegend  aus  Thon  bestehende  Flysch 


Geologische  Reise  in  Nord-Griechenland.  51  1 

land  ging  ich  aufwärts  nach  Wurgareli  und  an  der  Südgrenze 
des  Kalkzuges  der  Dshumerka  über  das  Gebirge  bis  zum 
Aspros. 

Zwischen  Wurgareli  und  Mijeri  sah  ich  ripple-marks  im 
Flyschsandgestein  und  die  Thäler  derselben  von  verkohlten 
Pflanzenresten  ausgefüllt.  Abwärts  von  Mijeri  (an  einer  Seiten- 
schlucht gelegen)  fliesst  der  Aspros  in  einer  schmalen  Schlucht, 
in  welcher  thoniger  Flysch  unter  dem  Kalk  gegen  diesen  fallend 
herauskommt. 

Von  Wurgareli  ging  ich  durch  die  ganze  westliche  Flysch- 
zone  westlich  hinab  zum  Arta-Fluss,  nach  Kryoneri.  Die  Hiero- 
gl3'phen  der  Sandsteinbänke  im  Thon  beobachtete  ich  stets  an 
der  Unterseite  der  Sandsteinbänke,  ein  Beweis,  dass  über- 
stürzte Lagerung  nicht  vorliegt.  Bei  Kryoneri  liegen  dünne 
Kohlenschmitzen  im  Thon,  auch  tritt  daselbst  eine  Schwefel- 
quelle in  einem  Seitenbach  aus  dem  Thon  des  Bachgrundes 
heraus. 

Von  Kryoneri  ging  ich  wieder  aufwärts  durch  die  ganze 
Flyschzone,  aber  in  nordöstlicher  Richtung,  nach  Skoretsara. 
Bei  Lipianä  überstieg  ich  eine  nach  meiner  Aneroidmessung 
50  m  hohe,  gegen  den  Arta-Fluss  hinablaufende  Terrasse  mit 
ebener,  sich  westlich  zum  Fluss  senkender  Oberfläche;  die 
Terrasse  besteht  aus  einem  Gemisch  v^on  grossen  Kalkblöcken 
und  Erde. 

Von  Skoretsana  bestieg  ich  noch  einmal  den  höchsten 
Dshumerka-Gipfel,  »Katafidhi«  (die  frühere  Besteigung  im  Jalire 
1893  geschah  von  der  entgegengesetzten  Seite).  Bei  dieser 
Gelegenheit  fand  ich  die  rothen  Hornsteinschichten  mächtig 
entwickelt  (bis  jetzt  auf  der  Westseite  der  Dshumerka  nicht 
bekannt),  darüber  eine  zweite,  geringer  mächtige  rothe  Lage 
aus  rothem  Schiefer,  beide  im  Kalk  des  Hochgebirges  ein- 
gelagert. Dieser  enthält  auf  der  Spitze  mit  der  Pyramide 
Rudistentrümmer.  In  einem  losen  Stück  hatte  ich  beim  Auf- 
stieg Nummuliten  gefunden.  Erst  in  der  Nachmittagsbeleuch- 
tung, beim  Abstieg,  konnte  ich  sehen,  dass  die  Schichten  des 
Gipfels  nicht  die  höchsten  des  Zuges  sind,  sondern  dass  die 
Schichten,  welche  eine  nordöstliche  Neigung  haben,  in  der 
nördlich  folgenden  Senkungsstelle  der  Kammlinie  von  anderen 


512  V.  Hitber, 

muldenförmigen  Kalkbänken  überlagert  werden.  Diese  Schichten 
ziehen  sich,  in  der  Thesis  »Angath«  beginnend,  über  die  »Pre- 
shina«,  *Jerano  vvüni«  bis  zur  Thesis  »Mega  pläji«,  wo  die 
höchsten  Schichten  des  Zuges  liegen.  Aus  diesen  überlagernden 
Schichten  stammt  vielleicht  der  lose  Block  mit  den  Nummuliten 
Bei  der  ebenfalls  von  Skoretsana  aus  unternommenen 
Besteigung  der  Kuppe  Kastri  fand  ich  unmittelbar  über  Flyscb 
Breccienkalke,  darüber  die  rothen  Hornsteinschichten  und  oben 
Breccienkalke  mit  Rudistentrümmern.  Auch  hier  liegen  die 
Hieroglyphen  auf  der  Unterseite  der  Sandsteinbänke. 

V.  Von  der  Dshumörka  über  den  Xerowüni  nach  Jänina. 

Von  Skoretsana  ging  ich  nach  Agnanda  und  dann  west- 
wärts zu  den  Militärstationen  »Pläka«  an  der  Grenze.  In  der 
Nähe  der  türkischen  Station,  zu  Wrodhö,  enthält  derFlysch  am 
Abhänge  gegen  den  Ärta-Fluss  Salzlager  mit  Gyps,  welche  zur 
Zeit  All  Paschä's  ausgebeutet  worden  sind.  Vor  20 — 25  Jahrer 
machten  die  Besitzer  des  Dorfes  einen  neuen  Versuch  der 
Verwerthung;  sie  suchen  gegenwärtig  einen  ausländischen 
Unternehmer,  weil  nach  ihrer  Angabe  ihre  Mittel  nicht  hin- 
reichen und  sie  auch  die  Erlaubniss  der  Regierung  zum  Abbau 
nicht  erhalten  können.  Bezüglich  ihrer  weiteren  Angabe,  dass 
der  Transport  auf  dem  Arta-Fluss  sehr  leicht  wäre,  ist  zu  be- 
merken, dass  dieser  Fluss  eine  andere  Beförderungsart  als  da> 
Triften  nicht  zulässt.  Hinsichtlich  der  Ergiebigkeit  lässt  sich 
aus  dem  blossen  Augenschein  kein  Urtheil  fällen,  da  der  ganze 
Abhang  von  verrutschten  Flyschthonen  mit  Gypsbrocken  über- 
kleidet ist. 

Hier  liegt  Flysch  auf  nummulitenreichen  Kalksteinen. 
weiche  unter  etwa  45''  nach  Osten  fallen.  Ich  schliesse  mich 
deshalb,  da  für  eine  Überschiebung  des  Flysches  über  der 
Kalkstein  keine  Anzeichen  vorliegen,  meine  frühere,  auf  die 
von  mir  festgestellten  Lagerungsverhältnisse  an  der  Dshu- 
merka  begründete  Anschauung  von  dem  cretacischen  Alter  de^^ 
Flysches  westlich  von  der  Dshumerka  aufgebend,  der  Ansicht 
F^hiiippson's  von  dem  eocänen  Alter  dieses  Flysches  an, 
obwohl  in  diesem  den  Dshumerkakalk  (mit  Rudistentrümmern 
unterlagernden     Flysch    noch    keine    Nummuliten    gefunden 


Geologische  Reise  in  Nord-Griechenland.  513 

worden  sind.  Das  Lagerungsverhältniss  am  Dshumerka-Zug 
(eocäner  Flysch  unter  Kalk  mit  Rudistentrümmmern)  ist  erklär- 
bar, und  zwar  zunächst  (1 — 4)  bei  cretacischem  Alter  des 
Kalkes:  1.  Durch  überstürzte  Lagerung  der  ganzen  Schicht- 
folge. Diese  Annahme  ist  ausgeschlossen  durch  die  Hiero- 
glyphen an  den  Unterseiten  der  Sandsteinbänke.  2.  Durch  Über- 
faltung des  ganzen  Hangenden  (Hornsteinreihe  und  Breccien- 
kalk)  über  normal  liegenden  Flysch.  Das  ist  nicht  anzunehmen, 
weil  die  Hornsteinreihe  stets,  so  wie  hier,  an  der  unteren 
Grenze  der  Hochgebirgs-Kalkmassen  liegt,  also  umgekehrte 
Lagerung  des  Hangenden  auszuschliessen  ist.  Die  Concordanz 
wäre  allerdings  durch  isokline  Faltung  zu  erklären.  3.  Durch 
Überfaltung  der  Breccienkalke  über  den  Complex  Hornstein- 
Flysch;  das  ist  sehr  unwahrscheinlich,  weil,  wie  unter  2.  er- 
wähnt, die  Aufeinanderfolge  Hornstein — Hochgebirgskalk  die 
regelmässige  ist.  4.  Durch  Überschiebung  der  Schichtfolge 
über  den  Flysch^  (Philippson  zur  Erklärung  der  von  mir 
festgestellten  Lagerung);  sie  ist  ausgeschlossen  durch  den  hier, 
am  Mitschikeli,  in  Agrafa  u.  a.  O.  von  mir  beobachteten  con- 
cordanten  Anschluss  ohne  Spur  einer  mechanischen  Wirkung 
auf  den  Flysch.  5.  Durch  Annahme  des  eocänen  Alters  der 
Breccienkalke  mit  den  Rudistentrümmern  ^  sammt  der  regel- 
mässig die  Grenze  zwischen  Flysch  und  Kalk  bildenden  Horn- 
reihe.  Diese  Annahme  scheint  mir  gegenwärtig  geringeren 
Schwierigkeiten  als  die  übrigen  zu  begegnen.  Die  Lösung  der 
Frage  wird  durch  Aufsuchung  massgebender  Fossilien  in  dem 
Theile  der  Hochgebirgskalke  unmittelbar  über  der  mächtigen 
Masse  rother  Hornsteine  anzustreben  sein. 

In  Bezug  auf  5.  ist  zu  beachten,  dass  die  die  orographische 
Fortsetzung  des  Dshumerka-Zuges  bildenden  Kalke  des  Gä- 
browo-Zuges  mit  Schalen  von  Rudisten  und  Nerineen  von  den 
Breccienkalken  petrographisch  abweichen  und  sowohl  im  Osten, 
als  im  Westen  von  Flysch  überlagert  werden. 


1  Überschiebung  des  Breccienkalkes  allein  aus  dem  gleichen  Grunde 
wie  bei  3.  nicht  anzunehmen. 

-  Stets  nur  kleine  Schalentrümmer,  nie  ein  grosses  Fragment  oder  eine 
ganze  Schale. 


ÖU  V.  Hilber, 

Ich  Überschritt  den  Xerowüni-Zug  und  konnte  feststellen, 
dass  er,  mindestens  in  seinem  nördlichen  Theile,  eine  Anti- 
klinale bildet,  deren  Scheitel  etwas  östlich  vom  geographischen 
Scheitel  liegt.  Auch  auf  der  Westseite  des  Zuges  sah  ich  dem 
Schichtenbau  entsprechend  Flysch,  und  zwar  westlich  fallend 
auf  Kalk  liegend.  Auf  dem  weiteren  Wege  nach  Jänina  fand 
ich  noch  bei  Läshani  Nummuliten  im  Kalk. 

VI.  In  den  nordgriechischen  Pindos. 

Von  Janina  über  die  westliche  Pindoskette  (Syrakii. 
Matsüki)  nach  Tshürtsha  am  Äspros,  von  hier  über 
die  mittlere  nach  Kastania,  durch  die  östliche  nach 
Kalambaka  und  zurück,  nordwärts  nach  Kutsüfli  und 
über  Metsovo  nach  Jänina. 

Auf  der  Strecke  von  Janina  nach  Kontowrachi  fallen 
Kalke  mit  Rudistentrümmern  nach  Westen.  Sie  sind  wahr- 
scheinlich mit  den  ebenfalls  Rudistentrümmer  führenden  Kalken 
des  Peristeri  zu  einer  Antiklinale  zu  verbinden.  Vor  Konto- 
wrachi sah  ich  ausgedehnte  Kesselthäler,  welche  im  Winter 
zu  Seeen  anschwellen.^ 

In  den  auf  dem  Wege  von  Kontowrachi  nach  Syraku  auf- 
geschlossenen Sandsteinbänken  sah  ich  die  Hieroglyphen  stetN 
auf  der  Unterseite  der  Schichtflächen,  wie  früher  erwähnt,  ein 
Beweis,  dass  die  Schichten  nicht  überstürzt  sind. 

In  der  Schlucht  zwischen  Syraku  und  Kalaryte  sind  die 
Hornsteine  mächtig  entwickelt.  In  der  östlich  von  KalarV'te 
befindlichen  Seitenschlucht  Karlimbo  sah  ich  unter  den  Horn- 
steinen  dickbankige  Kalke,  über  den  Hornsteinen  kleintrümme- 
rige  Breccienkalke  mit  Hornsteintrümmerchen.  Auch  zu  Matsüki 
sind  die  Hornsteine  mächtig  entwickelt. 

Von  dem  genannten  Dorfe  aus  überschritt  ich  den  Ge- 
birgskamm,  wo  mächtige  rothe  Kalkschiefer,  wie  auf  der 
Dshumerka,  mit  mächtigen  Kalken  liegend,  herrschen.  Hier  sah 
ich  zwei  Antiklinalen  mit  winkelig  geknickten  Scheiteln  imKalk. 
Als  oberstes  Glied  folgen  hier  Sandsteine. 

1  Genetisch  gleichwerthig  ist  der  See  von  Janina,  nur  ist  er  dauernd 
gefüllt. 


Geologische  Reise  in  Nord-Griechenland.  515 

Beim  Abstieg  gegen  Osten,  nach  Tshürtsha,  sieht  man  in 
der  Schlucht  von  Tshürtsha,  nahe  beim  Dorfe,  gefältelte 
Kalksteine  mit  ungefältelten,  gleichgeneigten  Hornsteinen, 
welche  ihrerseits  gleichfalls  ungefältelte  Kalksteinbänke  ent- 
halten; über  den  Kalken  liegen  hier  Flyschsandsteine. 

Am  rechten  Gehänge  des  Aspros-Thales  ging  ich  nord- 
wärts nach  Myla.  Von  hier  bis  Kastaniä  herrschen  die  Sand- 
steine, wie  in  der  ostätolischen  Flyschzone,  während  der  Arta- 
flysch  vorwiegend  Thon  enthält.  Beim  Übergang  von  der 
Gegend  von  Krania  nach  Kastaniä  beobachtete  ich  die  von 
Philippson  erwähnten Nummulitenkalke.  Hier  liegt  eine  dünne 
Kalkbank  im  Hieroglyphensandstein  mit  bräunlichen  Schiefern. 
Bei  VVendista  sah  ich  im  Flyschgebiet  »exotische«  Granit- 
blöcke (wie  ich  deren  schon  1893  in  der  Gegend  gefunden 
hatte). 

Zu  Kastaniä,  wo  ich  1893,  wie  in  meinem  bezüglichen 
Berichte  erwähnt,  die  Beobachtungen  an  den  Eruptivgesteinen 
auf  einen  Morgen  beschränken  musste,  konnte  ich  wichtige 
Ergänzungen  derselben  vornehmen.  In  dem  Rücken,  welcher 
nördlich  von  Kastaniä  nach  Osten  zum  Thale  hinabzieht, 
wechsellagert  steilgestellter  eocäner  Sandstein-Flysch  in  ver- 
schiedener iMächtigkeit  mit  fünf  verschieden  mächtigen  Serpen- 
tinlagern, welche  ihrerseits  Lager  von  Bronzitserpentin  und 
Variolit- Diabas  einschliessen.  Das  östlichste  Serpentinlager 
ist  das  mächtigste.  Eine  der  Flyschlagen  enthält  in  grosser 
Häufigkeit  Nummulites  perforatus}  Im  Osten  grenzt  der  letzte 
Flyschstreifen  an  eine  mauerähnlich  aufragende  Wand  von 
Rudistenkalk.  Das  Streichen  des  Flysches  ist  N  bis  NNW.  Die 
Lagerungsv^erhältnisse  lassen  keinen  anderen  Schluss  zu,  als 
dass  die  Serpentinlager  während  der  Flyschbildung  entstanden, 
also  eocän  sind,  welches  Alter  ich  schon  nach  meinem  ersten 
flüchtigen  Besuche  angenommen  hatte. 

Ähnliche  Lagerungsverhältnisse  sieht  man  sehr  schön  in 
der  Schlucht  nördlich  des  genannten  Rückens,  auf  der  Nord- 


1  Philippson  sammelte  hier  Nummuliten,  aber  nicht  unmittelbar  in 
anstehendem,  wenn  auch  zersetztem  Flysch,  wie  er  als  Gegensatz  zu  meinen 
in  der  Nähe  gemachten  Funden  behauptet,  sondern  in  von  der  Höhe  herab- 
geschwemmten Stücken. 

Sltzb.  d.  mathem.-natunv.  Cl.:  CV.  Bd.,  Abth.  I.  34 


516  V.  Hilber, 

Seite  der  Schlucht,  wo  Serpentinlager  steilgestellt  beiderseitig 
vom  Flysch  eingeschlossen  sind.  Die  Serpentinmassen  ent- 
halten hier  Marmorblöcke. 

Bei  dem  Abstecher  nach  Kalambaka  beobachtete  ich  bei 
Tseresani  im  Peneosthal  links  Serpentin  unter  Flysch,  femer 
westlich  von  Glinowö  die  Tuff- Hornstein-Reihe  mehrere  Hundert 
Meter  mächtig,  flach  unter  Kalk  liegend. 

Von  Kastania  aus  durchzog  ich  das  Serpentingebiet  nord- 
wärts bis  zur  Grenze  beim  Dorfe  Kutsüfli.  Bei  Dsheneralis  sah 
ich  Sandstein  als  Einschluss  im  Serpentin  stecken.^  Vor  Kutsüfli 
beobachtete  ich  Thon  mit  untergeordneten  Sandsteinen  flach 
auf  einer  Serpentinkuppe  liegen  und  die  Schichten  an  den 
Serpentingrenzen  scharf  aufwärts  geknickt  (Durchbruch?). 

In  Kutsüfli,  wo  aufgelagerte  Flyschmassen  an  Serpentin 
grenzen,  überzeugte  ich  mich  zunächst,  dass  die  Erscheinung, 
welche  ich  bei  meinem  ersten  Durchzug  aus  der  Entfernung 
für  Durchbrüche  von  Diabas  durch  Flysch  gehalten  hatte, 
darauf  beruht,  dass  zwei  zersetzte  Eruptivmassen  von  frischem 
schwarzen  Diabas  durchsetzt  werden.  Südwestlich  vom  Dorf 
liegen  die  mächtigen  Diabas-,  Serpentin-  und  Gabbro-Massen, 
deren  Grenze  gegen  den  Flysch  westsüdwestlich  streicht.  West- 
lich vom  Dorf  stecken  gewaltige  Kalkklippen  im  Serpentin. 
Rudistenführende  Gerolle  in  der  Schlucht  stammen  wahrschein- 
lich von  diesen  Klippen.  Eine  derselben  wird  für  einen  Kalk- 
ofen abgebaut.  Die  grösste  Klippe  misst  60  Schritte  in  der 
Länge,  20  Schritte  in  der  Breite  und  12  w  in  der  Höhe. 

Hippuriten  und  andere  Rudisten  fand  ich  auch  in  den 
Gerollen  an  dem  Wege  von  der  Militärstation  von  Kutsüfli. 
»Periländsa«,  nach  dem  türkischen  Dorfe  Miliä.  Die  Gerolle 
stammen  aus  einer  von  Westen  kommenden  Seitenschlucht. 
Beim  Dorfe  Milia  fällt  Sandstein  unter  Serpentin  ein,  der  auch 
hier  Kalksteinblöcke  enthält. 

Von  Miliä  ging  ich  nach  Metsowo.  Auf  der  Höhe  Fiu, 
zwischen  Chan  Chortära  und  Metsowo,  sah  ich  Nummuliten- 
kalkbänke  im   Flysch.  Zwischen  Metsowo  und  Tria  Chänia 


1  Ähnliches  gibt  Boue  vom   Sygos  an,  wo  auch  ich   1894  Sandstein- 
trümmer im  Serpentin  gesehen  habe. 


Geologische  Reise  in  Nord-Griechenland.  517 

fand  ich  Nummuliten  im  Flyschsandstein  selbst.  Zwischen 
Tria  Chania  und  Chan  Baldüma  sah  ich,  wie  früher  schon 
Philippson,  im  Flysch  Nummuliten-Breccienkalk.  Auch  beob- 
achtete ich  hier  eine  nach  Osten  übergelegte  Falte.  Beim  Auf- 
stieg SSW  vom  Chan  Baldüma  fand  ich  Nummuliten  im  (nach 
Westen  fallenden)  Sandstein. 

Am  Südostende  des  Sees  von  Janina  sind  im  Kalkstein 
Rudistentrümmer  nicht  selten. 

VII.  Von  Jänina  über  Filipiädha  durch  die  Tschamurei  nach 
Pärga  am  jonischen  Meere. 

Ich  folgte  zunächst  dem  Westabfalle  des  Xerowuni  und 
fand  übereinstimmend  mit  meinen  unter  V.  mitgetheilten  Beob- 
achtungen die  Kalkschichten  nach  Westen  fallen.  An  der  Strasse 
findet  man  in  den  fortlaufenden  Kalkwänden  der  Gehänge  bald 
Nummulitenkalk,  bald  Kalkstein  mit  Rudistentrümmern.  So 
südlich  vom  Chan  Mejschö  Nummulitenkalk,  vor  Karaül  Kaneta 
Rudistentrümmer  in  einem  unter  den  Nummulitenkalk  fallenden 
Kalkstein,  ebenso  zu  Feriekisi  Rudistentrümmer  im  Kalkstein, 
dann  V2  Stunde  nördlich  vom  Chan  Eminaga,  wie  die  Ein- 
wohner sagen,  oder  Delmiraga  nach  der  Karte,  Breccienkalk  mit 
zahlreichen  Nummuliten.  Südlicher  folgt  weicher  Flyschsand- 
stein, welcher  unter  dem  Chan  concordant  unter  dem  Kalk 
nach  Osten  fällt,  während  der  Kalk  im  Westen  dementsprechend 
seine  Schichtflächen  zeigt. 

Von  Muskiowitsa,  abwärts  von  Chan  Wyros,  fallen  plattige 
und  dickbankige  Kalksteine  mit  Rudistentrümmern  und  zahl- 
reichen grauen  Hornsteinbänken  nach  Westen.  Bei  Chan 
Kukules  sammelte  ich  in  den  von  Philippson  entdeckten 
Juraschichten.  Unter  Chan  Karwassarä  fand  ich  Breccienkalk 
mit  Rudistentrümmern. 

VonFilipiadha  verfolgte  ich  die  dem  Höhenrücken  folgende 
Strasse  bis  zum  Ende  dieses  theils  aus  jungem  Schutt  und 
Conglomerat,  theils  aus  altem  Kalkstein  bestehenden  Rückens 
und  wandte  mich  hier  ostwärts  über  Lüros  nach  Kanaläki.  Von 
Lüros  westlich  bis  zum  jonischen  Meere  herrschen  jungtertiäre 
Schichten  über  da  und  dort  hervortretenden  schrundigen  alten 
Kalksteinen.  Zwei  Stunden  nordwestlich  von  Lüros  fand  ich 

34* 


518  V.  Hilber. 

gestörte  marine  Mergel  mit  schlecht  erhaltenen  Fossilien,  die 
zu  einer  Stufenbestimmung  nicht  hinreichen.  Das  Fallen  ist 
sehr  unregelmässig,  SW,  O,  SO.  In  dem  Dorfe  Schendiele, 
1  V2  Stunden  nordöstlich  von  Pärga,  treten  stark  geneigte  tertiäre 
Thone  und  jung  aussehende  gelbliche  Breccienkalke  auf.  Auch 
bei  Pärga,  dessen  Festung  auf  Kalkstein  und  bräunlichen  Horn- 
steinmauern  steht,  sieht  man  mächtige  Tertiärschichten  im 
Steilrande  gegen  die  westliche  Bucht.  Auch  das  Teske  steht 
auf  geschichteten,  thonigen  Massen,  welche  mir  aus  der  Ent- 
fernung ungefähr  unter  35''  nach  Westen  zu  fallen  schienen. 


Unter  den  Ergebnissen  der  Reise  möchte  ich  mehrere  her- 
vorheben. Erstens  konnte  nachgewiesen  werden,  dass  krystal- 
line  Schiefer,  welche  nach  den  vorliegenden  Untersuchungen 
in  Mittel-Griechenland  auf  den  äussersten  Osten  beschränkt 
erschienen,  durch  die  ganze  Othrys  bis  zur  Breite  von  Wari- 
bopi  reichen,  eine  von  den  bisherigen  Beobachtern  vollkommen 
übersehene  Erscheinung.  Gleichfalls  im  Gegensatze  zu  den  bis- 
herigen Beobachtern  konnte  ich  das  Vorherrschen  der  nörd- 
lichen Streichrichtung  der  Schichten  in  der  südlichen  und 
der  hohen  Othrys  feststellen  (Rechtwinkeligkeit  von  Schicht- 
und  Kammstreichen).  Jene  Gesteine  sind  nach  den  mikros- 
copischen  Untersuchungen  des  Herrn  A.  Ippen  Talk-Chlorit- 
schiefer,  Amphibol-Augitschiefer,  Amphibol-Serpentinschiefer 
und  Serpentinschiefer.  Auch  das  Mitvorkommen  der  aus  der 
südalpinen  Trias  bekannten  Pietra  verde  verdient  hervorgehoben 
zu  werden,  ebenso  wie  auch  die  verbreiteten  Diabase  für 
die  Othrys  neu  sind.  In  jenen  Gesteinen  liegen  mächtige 
Diabas-  und  Serpentin-Lager  und  Gänge  mit  Chromeisenstein 
und  Kupfererzen.  Wo  immer  ich  sichere  Kreidekalke  in  diesen 
Gebieten  wahrnehmen  konnte,  liegen  sie  über  der  Schichten- 
reihe der  krystallinen  Schiefer  mit  Serpentin,  Gabbro,  Diabas 
und  Diabasmandelstein. 

Auch  in  den  sich  nördlich  an  die  Othrys  anschliessenden 
tsiragiotischen  Bergen  konnte  ich  die  gleiche  Gesteinsreihe 
nachweisen.  (Das  bei  Archani  in  der  südwestlichen  Othrysecke 
von  mir  gefundene  Gneissvorkommen  macht  wohl  den  Eindruck 


Geologische  Reise  in  Nord-Griechenland.  519 

anstehenden  Gesteins,  kann  aber  auch  eine  durch  Eruptivmassen 
emporgerissene  Scholle  sein,  da  es  der  Serpentin  von  drei 
Seiten  umhüllt.) 

Anders  verhalten  sich  die  Serpentine  des  Pindos,  mit  Aus- 
nahme der  Vorberge  in  der  westthessalischen  Ebene.  Die  Augit- 
und  Chloritschiefer  fehlen  vollständig,  nur  die  Serpentine, 
ebenfalls  mit  Gabbro  und  Diabas,  jedoch  ohne  die  Kupfererze, 
lagern  theils  unmittelbar  unter,  theils  auch  zwischen  und  über 
eocänen  Sandsteinen  und  Thonen.  Während  die  Othrys- 
serpentine  (Amphibolserpentine  und  Olivinserpentine)  eine  röth- 
liche  Landschaftsfarbe  verursachen,  herrscht  in  den  Serpentin- 
bergen des  Pindos  (lediglich  Olivinserpentine)  die  schwarze 
Farbe.  Es  ergeben  sich  zwei  verschiedene  Serpentinniveaus 
in  Nord-Griechenland,  von  welchen  das  eine,  im  Osten,  sicher 
nicht  jünger,  wahrscheinlich  älter  als  cretacisch,^  das  andere, 
im  Westen,  eocän  ist.  (Dahin  gehören  auch  die  Olivinserpentine 
des  makedonischen  Pindos.) 

Weiters  ist  die  Erkenntniss  zu  betonen,  dass  die  ost- 
ätolische  von  der  epirotisch-akarnanischen  Flyschzone  petro- 
graphisch  wesentlich  verschieden  ist.  Während  die  erstere 
hauptsächlich  aus  grünen,  auch  glimmerreichen  Sandsteinen 
mit  untergeordneten  Thonen  besteht,  ist  die  letztere  vorwiegend 
aus  Thonen  mit  untergeordneten  grauen  glimmerarmen  Sand- 
steinen zusammengesetzt.  Obwohl  auch  die  erstere,  wie  ich 
mich  nunmehr  überzeugt  habe,  vorwiegend  eocän  ist  (Kreide- 
flysch  im  Gabrowo-Zug),  lässt  jener  Umstand  auf  Zugehörigkeit 
zu  verschiedenen  Horizonten  schliessen;  ein  blosser  Facies- 
wechsel  ist  nach  dem  Verlauf  der  Grenzen  nicht  anzunehmen. 

Ein  neuer  Fund  ist  auch  der  Basaltstrom  über  tertiären 
Süsswasserkalk  an  der  von  Pirsufli  südlich  nach  Almyrös 
führenden  Strasse;  der  Basalt  gleicht  petrographisch  nach 
Ippen  dem  der  Blöcke  bei  der  Station  Pirsufli  (von  Lepsius 
beschrieben). 

Erwähnung  verdienen  auch  der  neue  Fundort  von  ge- 
störten Melanopsidenmergeln   am  ambrakischen  See  in  Akar- 


J   Die  Othrysserpentine  ähneln  durch  ihre  Begleitgesteine  den  Serpentinen 
EwHa's  (Euböa's),  welche  Teller  in  die  Kreideformation  eingereiht  hat. 


520  V.  Hilber,  Geologische  Reise  in  Nord-GriechenJand. 

nanien,  sowie  die  Berge  neogener  Meeresschichten  im  Osten 
von  Parga  am  jonischen  Meere. 

Auch  wurden  wieder  Höhenmessungen  durch  das  Aneroid 
mitSiedethermometer-Controle  und  photographische  Aufnahmen 
gemacht.  Die  Berechnung  der  ersteren  hat  Herr  Oberst  Hartl 
zu  den  ihm  früher  übergebenen  in  Aussicht  gestellt. 


521 


Untersuchungen  über  die  Ausscheidung"  von 
Wassertropfen  an  den  Blättern 

von 

Dr.  A.  Nestler. 

Aus   dem   pflanzenphysiologischen  Institute   der  k.  k.   deutschen  Universität 

in  Prag. 

vMit  2  Tafeln.) 
I. 

Jene  Blattstellen,  an  welchen  unter  günstigen  Umständen 
eine  Ausscheidung  liquiden  Wassers  stattfindet,  haben  in  der 
Mehrzahl  der  bisher  bekannten  und  näher  untersuchten  Fälle 
mehr  weniger  eigenthümlich  gestaltete  oder  gruppirte  Spalt- 
öffnungen —  Wasserspalten  —  mit  oder  ohne  einem  unter  den- 
selben liegenden,  differenzirten  Gewebe,  Epithem. 

Man  kann  im  Allgemeinen  zwei  extreme  Fälle  unter- 
scheiden: 

1.  Die  letzten  Ausläufer  der  Gefässbündel  in  den  Spitzen 
der  Blattzähne,  Blattkerben,  etc.,  die  Endtracheiden,  münden 
insgesammt  oder  wenigstens  zum  Theil  direct  an  die  Wasser- 
höhlen unterhalb  der  Wasserspalten  {Siningia  Lindenii,  Cine- 
raria  rugosa,  Vicia  sepium,  Gräser  etc.) 

2.  Zwischen  den  Wasserspalten  und  Gefässbündelenden 
liegt  ein  von  dem  benachbarten  Gewebe  sich  scharf  abhebendes 
Gewebe  (Saxifraga^  Fuchsia,  Oenothera,  Ficus  etc.). 

Innerhalb  dieser  beiden  Grenzen  gibt  es  eine  Anzahl  von 
Übergängen  je  nach  der  Qualität  und  Quantität  des  zwischen 
Wasserspalten  und  Gefässbündelenden  liegenden  Gewebes. 

Der  Vorgang  der  Tropfenausscheidung  ist  bei  den  sub  1 
genannten  Pflanzen  ein  sehr  einfacher  und  klarer:  Das  Wasser 


522  A.  Nestler, 

wird  durch  den  Wurzeldruck  in  dem  Holztheile  der  Gefäss- 
bündel  emporgetrieben  und  gelangt,  nachdem  es  durch  die 
Endtracheiden  hindurch  filtrirt  wurde,  in  die  VVasserhöhlen  und 
von  hier,  eine  von  Wasserdampf  erfüllte  Atmosphäre  voraus- 
gesetzt, in  sichtbaren  Tropfen  an  die  Luft. 

Eine  derartige,  einfache  Druckfiltration  kommt  auch  in 
allen  jenen  Fällen  vor,  wo  zwischen  Wasserspalten  und  End- 
tracheiden ein  Gewebe  liegt,  das  sich  wenig  oder  gar  nicht  von 
dem  übrigen  Mesophyll  unterscheidet  {Ribes  alpinunt,  Hib- 
bertia  tetrandra  u.  A.).  Einige  hierher  gehörende  Fälle  werden 
im  Folgenden  des  Näheren  besprochen  werden.  Es  liegt  von 
vornherein  kein  Grund  vor,  diesem  zwischen  Wasserporen 
und  Gefässbündelenden  liegenden  Parenchym  eine  besondere 
Bedeutung  zuzuschreiben;  die  diesbezüglich  angestellten  Ver- 
suche lassen  auch  keinen  Zweifel  darüber  aufkommen. 

Anders  ist  es  bei  den  Blättern  mit  einem  scharf  differen- 
zirten  Epithem,  welchem  gewiss  eine  Rolle  im  Haushalte  der 
betreffenden  Pflanzen  zukommt.  Dass  es  mit  der  liquiden 
Secretion  in  irgend  einem  Zusammenhange  steht,  ist  nach  der 
Lagerung  desselben  wohl  zweifellos;  es  fragt  sich  nur,  ob  es 
eine  active  oder  passive  Aufgabe  zu  erfüllen  hat  und  worin 
diese  fragliche  Aufgabe  des  Näheren  besteht. 

Von  diesen  Hydathoden^  mit  Epithem  und  Wasserspalten 
hat  Habe rl and t^  eingehend  die  bei  Conocephalus ovatus, Ficus- 
und  Fit chsia- Arten  vorkommenden  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung des  bisher  räthselhaften  Epithems  untersucht  Er 
bepinselte  die  Wasserausscheidungsstellen  der  Blätter  von 
Conocephalus  und  Fiats  rnit  0*  1  procentiger  alkoholischer 
Sublimatlösung  und  schloss  aus  dem  Nichtausscheiden  des 
Wassers  an  diesen  vergifteten  Stellen,  ferner  aus  dem  in  den 
Epithemzellen  nachgewiesenen  Plasmakörper  und  den  relativ 
grossen  Zellkernen  auf  die  active  Betheiligung  dieses  Gewebes 
bei  der  Tropfenausscheidung:  es  functionirt  als  Wasserdrüse. 

i  Unter  *Hydathoden«  versteht  Haberlandt  (Sitzungsber.  der  kais 
Akad.  der  Wissensch.  zu  Wien  Bd.,  CHI,  S.  494)  sämmtliche  Apparate  und 
Stellen  der  Wasserausscheidung  an  den  verschiedenen  Pflanzenorganen,  vor 
allen  den  LaubbUittern. 

'-*  Sitzungsber.  der  kais.  Akad.  der  Wissensch.  Bd.  CIV,  S.  58  ff. 


Ausscheidung  von  VVassertropfen  an  Blättern.  523 

Bei  Fuchsia^  aber  konnte  weder  Bepinselung  mit  Alkoholi- 
scher Sublimatiösung  und  Jodalkohol,  noch  Einpressung  von 
öprocentiger  Kupfervitriollösung,  desgleichen  Chloroformirung, 
Kälte-  und  Wärmestarre  das  Austreten  des  Wassers  in  Tropfen- 
form durch  die  Hydathoden  der  Blattzähne  verhindern.  Da 
aber  auch  die  Zellen  dieses  Epithems  einen  Plasmakörper  und 
relativ  grosse  Zellkerne  haben,  so  ist  Haberlandt  der  Ansicht, 
dass  demselben  auch  hier  eine  active  Thätigkeit  zuzuschreiben 
ist,  indem  es  höchst  wahrscheinlich  die  Aufgabe  haben  soll, 
»durch  seine  secretorische  Thätigkeit  das  hitercellularsystem, 
welches  von  den  Tracheidenenden  bis  zur  Wasserhöhle  unter 
der  Spaltöffnung  reicht,  behufs  Abschlusses  der  trachealen 
Leitungsbahnen  dauernd  mit  Wasser  zu  erfüllen «.^  Die  tropfbar- 
flüssige Ausscheidung  dagegen  wird,  wie  nach  den  erwähnten 
Experimenten  nicht  anders  zu  erwarten  ist,  als  blosse  Druck- 
filtration erklärt,  also  gleich  dem  Vorgange  der  Ausscheidung 
bei  Pflanzen  ohne  oder  mit  mangelhaft  ausgebildetem  Epithem. 

Das  Vorhandensein  von  relativ  grossen  Zellkernen  und 
Plasmamassen  in  den  Epithemzellen  scheint  mir  für  die  An- 
nahme einer  Drüse  nicht  ausreichend  zu  sein,  weil  »Drüse« 
einerseits,  »Zellkern«  und  »Plasma«  anderseits  keine  Wechsel- 
begriffe sind  und  das  Urtheil  »Drüsen  haben  grosse  Zellkerne 
und  reichlich  Plasma«  sich  nicht  rein  umkehren  lässt. 

Aber  angenommen,  das  Epithem  bei  Fiichsia  sei  thatsäch- 
lich  eine  Drüse,  so  zeigen  die  folgenden  Untersuchungen,  dass 
es  auch  Pflanzen  gibt,  bei  denen  die  tropfbare  Ausscheidung, 
wie  bei  Fuchsia,  eine  blosse  Druckfiltration  ist,  deren  scharf 
differenzirte  Epitheme  aber  kleinere  Zellkerne,  als  die  des  an- 
grenzenden Mesophylls,  und  ein  unbedeutendes  Plasma  besitzen, 
ein  drüsiger  Charakter  dieses  Gewebes  also  nicht  zu  erkennen 
ist.  Daraus  ist  zu  schliessen,  dass  zum  Mindesten  nicht  alle 
Epitheme  der  Hydathoden  Drüsen  sind. 

Das  Ausbleiben  der  Wasserausscheidung  bei  älteren 
Blättern  und  häufig  auch  an  einzelnen  Zähnen  jüngerer  Blätter^ 
kann  deshalb  kein  Beweis  für  die  Drüsennatur  des  Epithems 

'  Haberlandt,  1.  c.  S.  79. 

2  HaberlandL,  1.  c.  S.  86. 

3  Haberlandt,  1.  c.  S.  76. 


524  A.  Nestler, 

bei  Fuchsia  sein,  weil  genau  dieselbe  Erscheinung  bei  solchen 
Pflanzen  zu  beobachten  ist,  welche  kein  Epithem  haben,  z.  B. 
bei  Cineraria  rngosa.  Hier  gehen  die  Tracheidenenden  theil- 
weise  bis  unmittelbar  unter  die  Wasserspalten,  beziehungs- 
weise bis  an  die  Wasserhöhlen  derselben.  —  Während  die 
jungen  Blätter  unter  günstigen  Umständen  an  den  Spitzen  der 
Blattkerben  je  einen  grossen  Tropfen  zeigen  und  einen  sehr 
zierlichen  Anblick  gewähren,  ist  bei  älteren  Blättern  selbst 
unter  den  besten  Bedingungen  keine  Spur  einer  Ausscheidung 
zu  bemerken.  Über  die  muthmasslichen  Ursachen  dieser  auf- 
fallenden Erscheinung  werde  ich  mich  bei  Besprechung  der 
Hydathode  von  Cineraria  äussern. 

Über  das  Austreten  von  Tropfen  an  den  Blattzähnen  ab- 
geschnittener FwcÄsm-Zweige,  welche  im  Wasser  standen  und 
mit  einer  Glasglocke  bedeckt  waren,^  ist  Folgendes  bezüglich 
der  activen  Function  des  Epithems  zu  sagen: 

Zweige  mit  Blättern,  welche  Drüsen  haben,  z.  B.  von 
Prunus  laurocerasus,  wo  dieselben  bekanntlich  auf  der  Unter- 
seite der  Blattspreite  in  der  Nähe  der  Basis  unmittelbar  an  dem 
Hauptnerven  vorkommen,  oder  von  Prunus  avium  u.  a.,  zeigen, 
auch  wenn  sie  erst  längere  Zeit  nach  dem  Abschneiden  in  Wasser 
gestellt  worden  sind,  tagelang  auch  ohne  jede  Bedeckung  und 
in  trockener  Luft  Secretion  dieser  echten  Drüsen.  Bei  Fuchsia 
jedoch  konnte,  wie  Haberlandt*  angibt,  selbst  in  von  Wasser- 
dampf erfülltem  Räume  an  den  Blattzähnen  nur  sehr  selten  und 
sehr  spärlich  Wasserausscheidung  beobachtet  werden.^  Alle  von 
mir  angestellten  Versuche  mit  F/icrÄs/a-Sprossen  hatten  einen 
negativen  Erfolg.  Dagegen  gelang  das  Experiment  mit  einem 
unter  Wasser  abgeschnittenen  Zweig  von  Tropaeolum  majus, 
welcher,  in  Wasser  stehend,  unter  eine  innen  mit  Fliesspapier 
belegte  Glasglocke  gebracht  worden  war;  dieselbe  war  unten 
mit  Wasser  abgesperrt.  Nach  12  Stunden  zeigten  sich  zwei 
ganz  kleine  Tröpfchen  an  dem  Rande  eines  sehr  jungen  Blattes. 
Ganz    abgesehen    davon,    dass    die  Tropfenausscheidung  bei 

1  Haberlandt,  1.  c.  S.  76. 

2  Haberlandt,  1.  c.  S.  85. 

•J  Nach  Pfeffer  (Pflanzenphysiologie  1881,  S.  175)  spricht  schon  dieser 
rmstand  gegen  eine  ansehnliche  Activität  des  Epithems. 


Ausscheidung  von  Wassertropfen  an  Blättern.  525 

Tropaeolum  eine  einfache  Druckfiltration  ist,  wie  ich  weiter 
unten  nachweisen  werde,  kann  die  beobachtete.  Secretion  an 
dem  abgeschnittenen  Tropaeolum-Spross  nicht  nur  nicht  als 
Beweis  für  die  Activität  des  Epithems  herangezogen  werden, 
sondern  spricht  geradezu  dagegen,  weil  bei  diesem  Blatte  kein 
scharf  differenzirtes  Epithem  vorliegt:  die  Zellen  unter  den 
Wasserspalten  sind  kleiner,  als  die  des  angrenzenden  Meso- 
phylls, zu  welchem  ein  allmäliger  Übergang  zu  bemerken 
ist,  und  enthalten  Chlorophyll,  so  dass  sie  in  ihrer  Gesammt- 
heit  keineswegs  den  Eindruck  eines  besonderen  Gewebes 
machen.  Von  den  Zellkernen  dieses  Epithems^  gilt  dasselbe, 
was  oben  von  Ftuhsia  gesagt  wurde.  Zudem  kann  man 
Tropfenausscheidung  an  abgeschnittenen  Sprossen,  und  zwar 
an  den  Stellen  der  normalen  Secretion  solcher  Blätter  beob- 
achten, welche  gar  kein  Epithem  haben,  so  bei  Ribes  auretim, 
Vitis  vinifera,^  bei  Gräsern  etc. 

Aus  allen  diesen  angeführten  Gründen  lässt  sich  meiner 
Meinung  nach  noch  nicht  auf  den  Drüsencharakter  des  Epi- 
thems im  Allgemeinen  schliessen. 

Ob  ein  scharf  differencirtes  oder  ein  nur  schwach  aus- 
gebildetes oder  gar  kein  Epithemgewebe  vorhanden  war,  stets 
erwies  sich  in  den  folgenden,  näher  untersuchten  Fällen  der 
Vorgang  der  Tropfenausscheidung  als  eine  blosse  Druck- 
filtration, wie  bei  Fuchsia,  ohne  active  Betheiligung  irgend  eines 
Gewebes.  Wenn  zwischen  Wasserspalten  und  Endtracheiden 
der  Gefässbündel  ein  aus  mehr  weniger  zahlreichen  kleinen 
Zellen  bestehendes  Gewebe  liegt,  das  sehr  kleine  Intercellular- 
räume  aufweist,  so  ist  schon  dadurch  an  und  für  sich  ein 
besserer  Abschluss  der  trachealen  Leitungsbahnen  hergestellt, 
als  bei  Pflanzen  ohne  Epithem,  ohne  dass  es  nothwendig  er- 
scheint, diesem  Gewebe  noch  eine  active  Thätigkeit  zuzu- 
schreiben. Solange  die  liquide  Secretion  stattfindet,  sind  natürlich 
auch  die  Intercellularen  des  Epithems  mit  Wasser  erfüllt;  dieses 
Wasser  wird  sich  in  diesen  überaus  engen  Räumen  auch  dann 
noch    ganz    oder   wenigstens    theilweise    erhalten,   wenn    die 

1  Haberlandt,  1.  c.  S.  86. 

2  Vergleiche:  Kraus,  »Über  Blutung  aus  parenchymatischen  Geweben«. 
Bot.  Ctbl.  t.  XXI,  1885.  S.  217  und  245. 


Ö2()  A.  Nestler. 

sichtbare  Ausscheidung  aus  den  Wasserspalten  aufgehört  hat 
und  in  den  Wasserleitungsbahnen  ein  negativer  Druck  herrscht. 
Dass  das  Epithemgewebe  sich  von  dem  übrigen  Mesophyll 
mehr  oder  weniger  unterscheidet  und  insbesondere  durch  seine 
Chlorophyllarmuth  auffallt,  lässt  sich  vielleicht  ontogenetisch 
erklären.  Es  ist  eine  Thatsache,  dass  die  Zellen  des  Epithems 
unter  anderen  Verhältnissen  wachsen,  als  die  übrigen  Meso- 
phyllzellen: während  die  Intercellularen  dieser  dem  Gasaus- 
tausch dienen,  ist  in  den  Intercellularen  des  Epithems  besonders 
in  der  frühesten  Jugend  des  Blattes  liquides  Wasser,  welches 
durch  die  noch  vor  den  Luftspalten  angelegten  Wasserspalten 
austritt.  Dieses  ausgeschiedene  Wasser  ist  bekanntlich  niemals 
ganz  rein,  sondern  enthält  gewisse  Beimengungen  (Kalk-  und 
Magnesiacarbonat  u.  a.)  in  geringerer  oder  grösserer  Menge. 
Es  erscheint  mir  denkbar,  dass  die  unter  solchen  Umständen 
sich  ausbildenden  Zellen  andere  morphologische  Eigenschaften 
aufweisen  werden,  als  die  vorherrschend  der  Assimilation  oder 
der  Stoff'leitung  dienenden  Zellen. 


Bei  der  folgenden  Untersuchung  der  Hydathoden  einiger 
Pflanzen  habe  ich  zunächst  die  Frage  zu  beantworten  gesucht, 
ob  hier  die  liquide  Secretion  ein  blosser  Filtrationsvorgang  sei 
oder  nicht.  Das  Epithem  der  untersuchten  Blätter  ist  entweder 
scharf  abgesetzt  gegenüber  dem  angrenzenden  Gewebe  {Bryo- 
phyllum,  Ranunculns  auricomns  etc.)  oder  nur  schwach  aus- 
gebildet. 

Daran  schliesst  sich  die  Besprechung  von  bisher  nicht 
näher  untersuchten  oder  unbekannten  Hydathoden  einiger 
Pflanzen,  welche  mehr  oder  weniger  ausgebildete  Wasserspalten 
und  kein  Epithem  besitzen  {Agapanthns  umbellattis  L'Her., 
Tradescantia  viridis  hortorum  u.  a.).  Dass  sich  auch  manche 
Keimblätter  wie  jene  Laubblätter  verhalten,  welchen  ein 
schwach  ausgebildetes  Epithem  zukommt,  wurde  durch  einige 
Beispiele  nachgewiesen. 

In  allen  diesen  untersuchten  Fällen  ist  die  liquide  Aus- 
scheidung eine  blosse  Druckfiltration,  indem  das  Wasser  an 
den    Stellen    des   geringsten   Widerstandes    durch    die    Spalt- 


Ausscheidung  von  Wassertropfen  an  Blättern.  527 

Öffnungen  austritt.  Selbst  bei  Phaseolns  multißorus,  als  dessen 
Hydathoden  keulenförmige  Trichome  angesehen  werden,  dürfte 
die  Tropfenausscheidung  entweder  allein  oder  gleichzeitig  mit 
den  Keulenhaaren  durch  Spaltöffnungen  erfolgen,  wie  die  an- 
gestellten Druckversuche  zeigen. 

Um  den  Ausscheidungsapparat,  insbesondere  das  Epithem- 
gevvebe  auf  die  eventuell  vorhandene,  active  Thätigkeit  zu 
prüfen,  wurden  die  Secretionsstellen  der  Blätter  durch  Bepinse- 
lung  mit  0*  l7o  alkoholischer  Sublimatlösung  (1^  Sublimat  in 
\0Q0  cm^  967o  Alkohol)  ^^^^  mit  Jodtinctur  vergiftet  und  die 
betreffenden  Pflanzen  nach  vollständiger  Eintrocknung  der  an- 
gewandten Flüssigkeit  unter  eine  mit  Wasser  abgesperrte  Glas- 
glocke gestellt.  Zu  demselben  Zwecke  wurde  in  abgeschnittene 
Zweige  oder  Blätter  eine  57o  Kupfervitriollösung  mittelst 
Quecksilberdruck  eingepresst.  Zur  luftdichten  Verschliessung 
des  betreffenden  Objectes  in  dem  mit  einem  Gummischlauch 
versehenen  kürzeren  Schenkel  eines  U- förmig  gebogenen 
Glasrohres  wurde  Blumendraht  und  ein  Gemisch  von  einem 
Gewichtstheil  Colophonium  mit  zwei  Gewichtstheilen  Wachs  ^ 
mit  sehr  gutem  Erfolge  angewendet.  Der  vollständige  Verschluss 
bereitet  bei  Anwendung  der  genannten  Mittel  selbst  bei  zarteren 
Objecten  niemals  eine  Schwierigkeit.  Ist  der  Stengel  oder  Blatt- 
stiel nicht  rund  (z.  B.  bei  Phaseolus\  so  macht  man  denselben 
vor  dem  Einführen  in  den  Gummischlauch  durch  aufgelegtes 
Wachs  stielrund.  Zur  Bedeckung  des  in  dem  kürzeren  Rohr- 
ende befestigten  Pflanzentheiles  wurde  eine  Glasglocke  ver- 
wendet, welche  am  offenen  Rande  einen  kleinen  Ausschnitt 
besitzt;  dieser  Ausschnitt  hat  den  Zweck,  das  Glasrohr  beim 
Bedecken  mit  der  Glocke  vor  Druck  und  leicht  eintretender 
Zertrümmerung  zu  bewahren.  Ausserdem  kann  man  auf  diese 
Weise,  wie  bei  ähnlichen,  aber  meist  sehr  kostspieligen  Appa- 
raten, den  Quecksilberdruck  beliebig  erhöhen,  ohne  die  übrigen 
Verhältnisse  irgendwie  zu  stören,  da  das  längere  Rohr  ausser- 
halb der  Glasglocke  sich  befindet  und  durch  ein  Stativ  vertical 
gehalten  werden  kann. 


1  Wiesner  und  Molisch,  Untersuchungen  über  die  Gasbewegung  in 
der  Pflanze.    Diese  Sitzungsber.,  Bd.  XCVIII,  Abth.  I,  S.  679. 


528  A.  Nestler, 

II. 
Bryophyllum  calycinum  Salisb. 

Die  liquide  Secretion  der  Blätter  dieser  Crassulacee  wurde 
bereits  von  C ramer  beobachtet  und  von  Berger*  des  Näheren 
untersucht.  An  dem  Ende  jeder  Blattkerbe,  und  zwar  auf  der 
Unterseite  derselben  liegen  bei  erwachsenen  Blättern  auf  dem 
Grunde  einer  kleinen  Vertiefung  einige  Spaltöffnungen,  ich 
zählte  als  Maximum  7,  welche  sich  weder  durch  ihre  im  aus- 
gebildeten Zustande  noch  deutlich  erkennbare  Entwicklung, 
noch  durch  ihre  Grösse  von  den  übrigen  Stomaten  unter- 
scheiden. Die  Schliesszellen,  welche  kein  Schliessvermögen 
zeigen  und  von  Stärkekörnern  erfüllt  sind,  haben  einen  kleiner, 
runden  Porus.  Die  durch  die  vorbereitenden  Theilungen  ent- 
standenen, jene  Stomaten  begrenzenden  Epidermiszellen  sinJ 
kleiner  als  die  der  nächsten  Umgebung,  welche  mehr  wenige: 
radial  gestreckt  und  spaltöffnungsfrei  sind.  Unter  den  VVasser- 
spalten  liegt  das  Epithemgewebe;  es  nimmt  im  ausge- 
wachsenen Blatte  einen  seitlich  von  Gefässbündelsträngen 
begrenzten,  ungefähr  dreieckigen  Raum  ein  (Taf.  I,  Fig.  1)  und 
besteht  aus  im  Verhältniss  zu  den  benachbarten  Mesophyü- 
zellen  sehr  kleinen,  runden  Zellen  mit  spärlichen  Chlorophyll- 
körnern und  kleinen  Zellkernen,  welche  erst  bei  Anwendung 
von  Tinctionsmitteln  sichtbar  werden  (Fig.  4).  In  der  Mitte  de^ 
Epithems  sieht  man  bisweilen  einen  grossen,  verschieden 
gestalten  Intercellularraum.  Auch  gegen  die  Blattoberseite  zu 
ist  das  Epithem  von  den  zwei  bis  drei  Schichten  darüber 
lagernden  Parenchymzellen  scharf  abgesetzt  (Taf.  I,  Fig.  4  . 
Die  angrenzenden  Gefässbündel  gehören,  wie  aus  der  Fig.  1 
zu  ersehen  ist,  drei  grösseren  Stämmen  an,  zu  denen  kleinere 
Zweige  stossen;  a  und  b  sind  Zweige  der  grossen  Rand- 
bündel c  und  d  und  schliessen  durch  ihr  Zusammentreffen  den 
Epithemraum  bogenförmig  nach  aussen  hin  ab. 

Zahlreiche  Tracheiden  gehen  von  diesen  Strängen  aus  und 
durchsetzen  radienartig  das  Epithemgewebe. 


^  Berg  er  H.,    Beiträge    zur  Entwicklungsgeschichte  von  Bryophyllun 

colycininn,  Zürich  1877. 


Ausscheidung  von  Wassertropfen  an  Blättern.  ^29 

Bei  ganz  jungen  Blättern  (von  5— lOww  Länge)  sieht 
man  in  den  Blattkerben  drei  Gefässbündel  sich  vereinigen,  von 
denen  zwei  seitliche  Äste  mit  zahlreichen  Endtracheiden  und 
ebenso  dem  mittleren  Stamme  entsprechend  einzelne  Tracheiden 
gegen  die  Spitze  der  Blattkerbe  gerichtet  sind,  wo  3— 4  Wasser- 
spalten liegen  (Taf.  I,  Fig.  3).  Erst  später  vereinigen  sich  die 
beiden  seitlichen  Stämme  und  schliessen  das  Epithem,  wie 
bereits  oben  angegeben  wurde,  gegen  den  Blattrand  hin  voll- 
ständig ab. 

Bringt  man  ein  Bryophyllnm  in  einen  von  Wasserdampf 
erfüllten  Raum,  so  zeigen  sich  bereits  nach  kurzer  Zeit  Tropfen 
auf  der  Unterseite  der  Blattkerben.  Um  das  Epithemgewebe  auf 
seine  eventuell  vorhandene  active  Bedeutung  für  die  Tropfen- 
ausscheidung zu  prüfen,  bepinselte  ich  die  Blattkerben  je  eines 
Randes  einiger  mittelgrosser  Blätter  auf  der  Unterseite  mit 
0'1'Vo  alkoholischer  Sublimatlösung,  die  anderen  Ränder 
blieben  zur  Controle  intact  Die  ganze  Pflanze  kam,  nachdem 
die  bepinselten  Stellen  vollständig  trocken  waren,  unter  eine 
unten  mit  Wasser  abgesperrte  Glasglocke.  Nach  12  Stunden 
zeigten  die  vergifteten,  wie  die  intacten  Blattkerben  an  der 
Stelle  der  Wasserspalten  je  einen  grossen  Wassertropfen. 

Um  die  Ausscheidung  bei  künstlichem  Drucke  an  Stelle 
des  Wurzeldruckes  zu  prüfen,  wurde  zunächst  destillirtes 
Wasser  in  ein  Blatt  eingepresst.  (Hier,  wie  bei  allen  folgenden 
Druckversuchen  steht  der  verwendete  Pflanzentheil  stets  unter 
einer  Glasglocke  in  mit  Wasserdampf  erfülltem  Räume.)  Schon 
bei  einem  Drucke  von  10  cm  Quecksilberhöhe  gelangte  das 
Wasser  nach  wenigen  Secunden  durch  den  Blattstiel  in  die 
Lamina,  wie  ich  mit  blossem  Auge  beobachten  konnte:  dieselbe 
hellte  sich  von  der  Basis  angefangen  allmälig  auf,  und  da  das 
vertical  stehende  Blatt  seine  Fläche  dem  Lichte  zukehrte,  konnte 
das  rapide  Fortschreiten  des  Wassers  leicht  verfolgt  werden. 
Bald  zeigten  sich,  hie  und  da  auf  beiden  Blattflächen  zerstreut, 
vereinzelte  grosse  Tropfen,  welche  wahrscheinlich  durch  ver- 
letzte Stellen  ausgetreten  waren,  ebenso  an  den  Stellen  der 
Wasserspalten,  doch  nicht  auf  allen  Blattkerben.  Nach  Verlauf 
von  3  Stunden  war  das  ganze  Blatt  mit  Ausnahme  eines  kleinen 
centralen  Theiles  an  dem  Hauptnerven  vollständig  injicirt  Dass 


530  A.  Nestler, 

die  eingepresste  Flüssigkeit  sich  nicht  nur  im  Holztheile  de: 
Gefässbündel,  dem  normalen  Wasserwege,  sondern  auch  — 
und  wahrscheinlich  vorherrschend  und  weit  rascher  als  in  den 
Bündeln  —  in  den  Intercellularen  des  Blattparenchyms  bewegte, 
davon  zeigen  die  folgenden  Experimente: 

Druckversuch  mit  einer  ö^o  Tanninlösung;  nach  3  Stunder. 
zeigte  sich  die  Ausscheidung  in  analoger  Weise,  wie  bei  An- 
wendung reinen  Wassers.  Die  mikroskopische  Untersuchunc 
ergab,  dass  sich  diese  Lösung  nicht  nur  in  dem  Holztheile  des 
grossen,  centralen,  im  Querschnitt  bogenförmigen  Gefässbündeh 
des  Blattstieles  bewegte,  sondern  auch  in  den  vielen  kleinen 
Gefässbündeln  um  den  centralen  Strang  und  in  den  Inter- 
cellularen des  Grundgewebes.  Ebenso  zeigten  sich  alle  Inter- 
cellularen der  Spreite,  auch  die  Athemhöhlen  der  Luft- 
spalten vollständig  infiltrirt.^ 

Einpressung  von  öprocentiger  Kupfervitriollösung  in  einen 
Spross  mit  5  Blättern.  Quecksilberhöhe  =  13  cm.  Bei  den 
älteren,  wie  bei  den  jüngeren  Blättern  traten  auf  einigen  Blati- 
kerben,  nicht  auf  allen,  an  den  Stellen  der  normalen  Wasser- 
secretion  Tropfen  aus,  welche  als  Kupfervitriol  nachgewiesen 
wurden  (Streifen  von  Filtrirpapier  mit  4procentiger  Ferroc^^an- 
kaliumlösung  getränkt  färben  sich,  mit  den  ausgetretenen 
Tropfen  in  Berührung  gebracht,  kupferroth). 

Demnach  ist  die  liquide  Secretion  bei  Bryophylluw 
calycinum  ein  blosser  Filtrationsprocess  ohne  active 
Betheiligung    des    reichlich    vorhandenen    Epithems. 

Ich  erwähne  noch  die  unter  günstigen  Umständen  in  sehr 
schöner  Weise  sich  zeigende  Tropfenausscheidung  bei  Bryo- 


i  Ähnliche  Verhältnisse  zeigen  ältere  und  jüngere  Blätter  von  Primula 
sinensis  Li  ndl.:  Schon  nach  wenigen  Minuten  werden  die  Intercellularen  des 
Blattes  bei  einem  Drucke  von  10  cm  Quecksilberhöhe  injicirt,  ohne  dass  die 
eingepresste  Flüssigkeit  durch  die  Hydathoden  der  Blattzähne  austritt.  Die  ange- 
wendete Flüssigkeit  (dest.  Wasser,  Tanninlösung,  KupfervitrioUösung)  bewegt 
sich  nicht  nur  im  Holztheile  der  Gefässbündel,  sondern  auch  in  den  relativ 
grossen  Intercellularen  des  Grundparenchyms  des  Blattstieles.  Der  Durchmesser 
dieser  Intercellularen  betrug  bei  einem  jungen  Blatte  0*  1 — 0*15  mm.  Vergleiche 
auch  »Moll,  Über  Tropfenausscheidung  und  Injection  bei  Blättern.«  Bot 
Zeitung,  1880. 


Ausscheidung  von  Wassertropfen  an  Blättern.  o3 1 

phyllum  proltfernm,  indem  dadurch,  dass  die  Ränder  der  ein- 
zelnen Fiederlappen  etwas  nach  aufwärts  gekrümmt  sind,  die 
Ausscheidungsstellen,  wie  bei  Br,  calycinum  gelagert  und 
gebaut,  dem  Auge  leicht  sichtbar  sind.  Auch  hier  konnte  durch 
Vergiftung  der  Secretionsstellen  (Bepinselung  mit  alkoholischer 
Sublimatlösung  und  Einpressung  von  Kupfervitriollösung)  die 
Ausscheidung  nicht  gehindert  werden. 

Es  wurde  bei  dieser  Species  auch  bisweilen  die  Beob- 
achtung gemacht,  dass  bei  intacten  Pflanzen  unter  der  Glas- 
glocke anstatt  auf  der  Unterseite,  ein  Wassertropfen  auf  der 
Oberseite  des  Blattrandes  genau  über  dem  Epithem  sichtbar 
war.  Ob  hier  die  Ausscheidung  durch  Spaltöffnungen  oder  auf 
andere  Weise  stattfand,  konnte  nicht  eruirt  werden. 

Aucuba  japonica  T  h  b  g. 

Die  länglich-ovalen  oder  breit-lancettlichen  Blätter  dieser 
bekannten  Zierpflanze  sind  mehr  weniger  deutlich  gezähnt;  in 
jeden  Zahn  mündet  ein  starkes  Gefässbündel,  mit  welchem  seit- 
lich je  ein  kleineres  mit  dem  ersteren  durch  Anastomosen  ver- 
bundenes Bündel  sich  vereinigt.  Das  Ende  dieser  Gefässbündel- 
vereinigung  ist  flach  pinselartig  ausgebreitet.  Jede  Zahnspitze 
zeigt  auf  der  Blattoberseite  eine  längliche,  erhabene,  gelblich- 
vveisse  Stelle,  den  Sitz  von  20 — 30  Wasserspalten,  von  denen 
einige  auch  auf  der  äussersten  Spitze  vorkommen.  Es  sind  dies 
die  einzigen  Spaltöffnungen  der  Oberseite;  sie  sind  etwas 
grösser  als  die  Luftspalten  der  Unterseite  (Wasserspalten  :=z 
49  :  41,  Eisodialöffnung  =  20  :  13;  —  Luftspalten  =  32  :  26, 
Eisodialöffnung  =z  16:8),  ihre  Verschlussvorrichtungen  nur 
schwach  angedeutet,  die  Centralspalte  eng,  die  Eisodialöffnung 
weit  und  öfters  mit  einer  schwarzen,  körnigen  Substanz  ange- 
füllt. Unter  der  Region  der  Wasserspalten  liegt  ein  relativ 
mächtiges  Epithem,  das  aus  verhältnissmässig  grossen,  ge- 
buchteten Zellen  mit  deutlichen  Intercellularen  besteht.  Chloro- 
phyll fehlt  oder  ist  nur  in  geringer  Menge  vorhanden;  die  Zell- 
kerne, welche  bei  Anwendung  von  Methylgrün-Essigsäure 
sichtbar  wurden,  sind  ebenso  gross,  wie  die  des  übrigen  Meso- 
phylls. 

Sitzb.  d.  mathem.  naturw.  Cl.;  CV.  Bd.,  .A.bth.  I.  35 


332  A.  Nestler. 

So  oft  durch  künstlichen  Druck  destillirtes  Wasser  in  einen 
Zweig  eingepresst  wurde,  zeigte  sich  die  Ausscheidung  wohl 
an  allen  Blättern,  aber  niemals  an  allen  Zähnen  eines  Blattes; 
einige  blieben  selbst  bei  gesteigertem  Drucke  (bis  zu  35  cm 
Quecksilberhöhe)  trocken.  Um  die  Ursache  dieser  Erscheinung 
kennen  zu  lernen,  wurde  eine  5procentige  Tanninlösung  in 
einen  Zweig  mit  6  Blättern  eingepresst,  von  denen  das  grösste 
7  cm  lang  war.  Schon  nach  2  Stunden  zeigten  sich  bei  einem 
Drucke  von  Ibcm  Quecksilberhöhe  auf  der  Mehrzahl  der  Blatt- 
zähne an  den  Stellen  der  Wasserspalten  deutliche  Tropfen, 
welche  sich  unter  Anwendungeines  mit  Eisenchlorid  getränkten 
Streifens  von  Filtrirpapier  als  Tanninlösung  nachweisen  liessen. 
Die  nicht  ausscheidenden  Zähne  befanden  sich  an  verschiedenen 
Stellen  der  Blätter,  bald  näher  der  Basis,  bald  näher  der  Spitze. 
Die  Tanninlösung  bewegte  sich,  wie  leicht  zu  erkennen  war, 
in  dem  Holztheile  der  Gefassbündel  durch  alle  Adern  der 
Blätter  und  bei  vorhandener  Ausscheidung  durch  die  Inter- 
cellularen  des  Epithems  und  die  Wasserspalten  nach  aussen. 
Bei  nicht  erfolgter  Secretion  war  das  Epithem  verschieden  be- 
schaffen: die  Intercellularen  desselben  waren  entweder  ganz 
oder  theilweise,  oder  auch  gar  nicht  mit  der  eingepressten 
Lösung  erfüllt;  im  letzteren  Falle  konnte  das  Tannin  bis  in  die 
Endtracheiden  verfolgt  werden.  Die  Wasserspalten  auf  den  aus- 
scheidenden Zähnen  waren  grösstentheils  geöffnet  und  frei  von 
der  oben  erwähnten  russigen  Masse,  welche  nur  hie  und  da 
eine  Eisodialöffnung  erfüllte;  dagegen  zeigten  die  Wasser- 
spalten auf  den  nicht  secernirenden  Zähnen  insgesammt  oder 
grösstentheils  eine  geschlossene  Centralspalte,  bisweilen  sogar 
vollständig  geschlossene  Eisodialöffnung  oder  eine  Verstopfung 
derselben.  Es  scheint  somit  die  Ursache  des  Ausbleibens  der 
Wasserausscheidung  an  manchen  Blattzähnen  dieser  Pflanze 
in  der  Beschaffenheit  der  Wasserspalten  zu  liegen. 

Um  diese  Erscheinung  des  Näheren  zu  prüfen  und  eine 
eventuelle  active  Thätigkeit  des  Epithems  zu  eruiren,  wurde 
folgendes  Experiment  gemacht: 

Von  drei  Blättern  eines  frischen  Zweiges  wurden  die 
Wasserspalten  der  Zähne  je  eines  Blattrandes  durch  einen 
Flächenschnitt  vorsichtig  abgeschnitten,  was  ohne  Schwierig- 


Ausscheidung  von  Wassertropfen  an  Blättern.  533 

keit  gelingt,  hierauf  alle  Zähne  dieser  drei  Blätter,  die  verletzten 
wie  die  unverletzten,  durch  Bepinselung  mit  O-P/o  Alkohol- 
sublimat vergiftet.  Von  den  übrigen  vier  Blättern  wurden  zwei 
vollständig  intact  gelassen,  bei  den  beiden  anderen  die  Wasser- 
spaltenregionen, d.  h.  die  betreffenden  Epidermisstücke,  durch 
Schnitte  entfernt.  Bei  Anwendung  eines  Quecksilberdruckes 
von  \6cnt  Höhe  zeigten  sich  die  Tropfen  des  eingepressten 
destillirten  Wassers  bereits  nach  einer  halben  Stunde  an  allen 
jenen  Blattzähnen,  denen  die  Wasserspalten  fehlten;  erst  nach 
Verlauf  einer  weiteren  halben  Stunde  trat  die  Ausscheidung 
auch  auf  den  nicht  durch  das  Messer  verletzten  vergifteten  und 
nicht  vergifteten  Zähnen  ein,  doch  nicht  bei  allen;  so  zeigte  das 
eine  intacte  Blatt  nur  an  einem  Rande  die  Secretion,  an  anderen 
Blättern  wechselten  ausscheidende  und  nicht  ausscheidende 
Zähne  ab.  Die  mikroskopische  Untersuchung  dieser  ergab  das- 
selbe Resultat  wie  oben.  Die  Austrittsstellen  des  Wassers,  die 
Wasserspalten,  können  bei  dieser  Pflanze  entweder  offen  oder 
geschlossen,  theilweise  auch  verstopft  sein.  Eine  Tödtung  der- 
selben durch  Sublimat  hindert  die  Ausscheidung  nicht;  eine 
Entfernung  derselben  begünstigt  die  Ausscheidung.  Da  das 
Epithem  selbst  nach  erfolgter  Vergiftung  die  Tropfenaus- 
scheidung nicht  hindert,,  so  kann  es  hier  keine  active  Rolle 
spielen.  Dies  beweist  auch  die  Einpressung  einer  öprocentigen 
Kupfervitriollösung  in  einen  frischen  Zweig:  bei  15^;«  Queck- 
silberhöhe zeigten  die  Blattzähne  nach  einer  halben  Stunde 
Tropfen  der  verwendeten  Flüssigkeit. 

Benthamia  fragifera  Ldl., 

auch  zu  den  Corneae  gehörig,  hat  ganzrandige  Blätter,  Bei  An- 
wendung künstlichen  Druckes  erscheinen  hie  und  da  an  den 
Rändern  Tropfen,  welche  durch  Wasserspalten  austreten.  Ein 
Epithem  konnte  nicht  nachgewiesen  werden.  Bei  Anwendung 
einer  Tanninlösung  kann  man  sich  leicht  überzeugen,  dass  die 
eingepresste  Flüssigkeit  sich  nicht  nur  im  Holztheile  des  Gefäss- 
bündels  des  Stengels,  sondern  auch  in  den  Intercellularen  des 
Mark-  und  Rindenparenchyms  aufwärts  bewegt  und  dass  alle 
Intercellularen  des  Blattmesophylls  injicirt  werden.  Eine  be- 
sonders starke  Leitungsbahn  stellt  der  in  unmittelbarer  Nähe 

35* 


534  A.  Nestler, 

des  Blattrandes  verlaufende  Strang  dar,  der  aus  einem  kleine:: 
Bast-  und  Holztheile  besteht;  an  letzteren  schliesst  sich  seitlicn 
eine  Gruppe  von  TracheVden  (oder  Tracheen?)  an,  welche  seh: 
verdickte  Spiralbänder  besitzen  (Taf.  II,  Fig.  14).  In  diesen 
Tracheiden,  welche  im  Blattquerschnitt  wie  Sklerenchymfasen 
aussehen,  bewegt  sich  ein  relativ  mächtiger  Strom  der  ein- 
gepressten  Flüssigkeit.  Wie  die  Verbindung  desselben  mit  der 
randständigen  Wasserspalten  hergestellt  ist,  wurde  nicht  nähe: 
untersucht.  Wahrscheinlich  grenzen  die  Seitenwände  dieser 
Spiraltracheiden  direct  an  die  Wasserhöhlen  der  Spaltöffnungen, 
ein  Verhältniss,  wie  es  bei  der  später  zu  besprechenden  Tra- 
descantia  viridis  {hortorttm)  nachgewiesen  wurde  (Taf.  II, 
Fig.  15). 

Ranunculus  auricomus  L. 

Sowohl  die  rundlichen,  grundständigen,  als  auch  di^- 
schmalen  Lappen  der  stengelständigen  Blätter  zeigen  unter 
günstigen  Umständen  im  Freien  liquide  Secretion.  Der  Ort  der 
Ausscheidung  an  den  Enden  der  Zähne  und  Lappen  erschein 
hier  (wie  bei  sehr  vielen  Ranunculus- Avien^)  als  gelblich- 
brauner oder  weisslicher  Fleck,  welcher  6 — 8  grosse,  runde, 
bei  ausgewachsenen  Blättern  starre  Wasserspalten  mit  weil 
geöffnetem  Porus  trägt.  Unter  denselben  liegt  ein  ziemlich 
scharf  von  dem  übrigen  Mesophyll  sich  abhebendes  Epithem 
(Taf.  II,  Fig.  13),  dessen  zahlreiche,  kleine,  sehr  schwach  chloro- 
phyllhaltige  Zellen  rundlich  oder  schwach  gebuchtet  sind  und 
sehr  kleine,  aber  deutlich  erkennbare,  dreieckige  oder  vier- 
eckige Intercellularen  zeigen.  Bei  Anwendung  von  Tinctions- 
mitteln  wurden  in  manchen  Epithemzellen,  nicht  in  allen,  Zell- 
kerne von  normaler  Grösse  sichtbar.  In  einen  Spross  mi: 
mehreren  sitzenden  Blättern  wurde  eine  öprocentige  Kupfer- 
vitriollösung eingepresst;  Quecksilberhöhe  ■=  13  cm\  schon 
nach  einer  Viertelstunde  zeigten  sich  an  den  Enden  der  Blatt- 
lappen kleine  Tropfen  der  verwendeten  Flüssigkeit;  nach  einer 

1  Nestler,  Der  anatomische  Bau  der  Laubblätter  der  Gattung /?a«ttl»r«/w.^ 
.Nova  acta  Bd.  LXIII,  Nr.  2,  S.  296. 


Ausscheidung  von  Wassertropfen  an  Blättern.  o3o 

halben  Stunde  vom  Beginne  des  Versuches  an  trat  durch  die 
Wasserspalten  aller  Blätter  die  Kupfervitriollösung  aus. 

Andere  Vergiftungen  des  Epithems  durch  Bepinselung  dei 
Secretionsstellen  mit  0*  1  und  1^  ^  alkoholischer  Sublimatlösung, 
ferner  mit  Jodalkohol  wurden  an  im  Freien  stehenden  Pflanzen 
vorgenommen,  über  welche  nach  vollständiger  Eintrocknung 
der  angewandten  Flüssigkeit  eine  Glasglocke  gestülpt  wurde. 
Die  Ausscheidung  zeigte  sich  zu  derselben  Zeit  und  in  der- 
selben Stärke,  wie  bei  den  intacten  Blättern. 

Oenothera  biennis  L. 

Der  ganze  Wasserausscheidungsapparat  mit  seinem  com- 
pacten Epithemgewebe  und  je  einer  grossen  Wasserspalte  auf 
jedem  Blattzahne  wurde  von  Volkens^  genau  beschrieben, 
Experimente  und  Resultate  wie  bei  Rantmculus  auricomus. 
Die  Kupfervitriollösung  trat  bei  \0  cm  Quecksilberhöhe  bereits 
nach  einer  Viertelstunde  aus  den  Zähnen  des  angewandten 
Blattes  aus. 

Tropaeolum  majus  L 

Die  seit  Mettenius^  und  De  Bary^  bekannten  Aus- 
scheidungsstellen dieser  Blätter  besitzen  zwischen  den  Wasser- 
spalten und  den  letzten  Tracheiden  ein  kleinzelliges,  chloro- 
phyllhaltiges  Gewebe,  das  allmälig  aus  den  grösseren  Meso- 
phyllzellen hervorgeht  und  von  deutlichen  Intercellularen  durch- 
setzt ist. 

Fünf  Blätter  einer  kräftig  wachsenden  Pflanze  wurden  an 
den  Secretionsstellen  durch  Bepinselung  mit  0  •  1  'Vq  alkoholischer 
Sublimatlösung  vergiftet.  Schon  nach  2  Stunden  trat  unter  der 
Glasglocke  an  den  vergifteten,  wie  an  den  intacten  Blättern  die 
Tropfenausscheidung  ein.  Sogar  eine  Vergiftung  durch  l'Vo 
Sublimatlösung,  durch  welche  die  betreffenden  Stellen  gelblich- 


1  Über  WasserausscheiJung  in  liquider  Form  an  den  Blättern  höherer 
Pflanzen.  Jahrbuch  des  bot.  Gartens,  11,  S.  195. 

2  Filices  horti  Lipsiensis,  S.  8  — 10. 

3  De  Bary,  Vergl.  Anat.  S.  391 


336  A.  Nestler, 

braun    wurden,    vermochte    die    liquide    Secretion    nicht    zu 
hindern. 

Ein  weiterer  Beweis  für  die  nichtactive  Betheiligung  dieses 
Epithems  an  der  liquiden  Secretion  ist  folgender  Druckversuch: 
In  ein  ausgewachsenes,  frisch  abgeschnittenes  Blatt  von  7  cm 
Spreitendurchmesser,  dessen  Stiel  lOcm  lang  war,  wurde  eine 
5%  Kupfervitriollösung  eingepresst;  Quecksilberhöhe  bei  Be- 
ginn des  Druckes  =:  \0  cm.  Schon  in  der  überraschend  kurzen 
Zeit  von  7  Minuten  nach  Einleitung  des  Experimentes  zeigten 
sich  an  allen  Enden  der  Gefässbündelbahnen  kleine  Tropfen, 
welche  schon  durch  ihre  Farbe,  deutlicher  bei  Anwendung  von 
Ferrocyankalium,  sich  als  KupfervitrioUösung  erwiesen. 

Mimulus  moschatus  L. 

Auf  den  äussersten  Spitzen  der  Blattzähne  liegt  je  eine 
sehr  grosse  Wasserspalte  mit  weitgeöffnetem  Porus  und  relativ 
grosser  Wasserhöhle.  Die  Zellen  des  chlorophyllarmen  Epithems 
sind  zwischen  und  über  den  letzten  Tracheiden  des  pinsel- 
förmigen Endes  der  vereinigten  Gefässbündel  mehr  weniger  in 
die  Länge  gestreckt,  an  der  Wasserhöhle  rundlich  gestaltet; 
man  sieht  in  denselben  bisweilen  auch  ohne  Tinctionsmittei 
grosse  Zellkerne  (Taf.  I,  Fig.  5). 

Die  wässerige  Ausscheidung  an  den  Spitzen  der  Blatt- 
zähne geht  in  grossen  Tropfen  vor  sich.  Ausserdem  bemerkt 
man  auf  beiden  Blattseiten  eine  grosse  Anzahl  kleiner  Tröpf- 
chen, welche  von  langgestielten  Drüsenhaaren  abgesondeit 
werden.  Im  Sommer  werden  durch  dieses  klebrige  Secret  öfters 
kleine  Insecten  festgehalten.  Neben  diesen  langen,  secernirenden 
Trichomen  kommen  noch  kleine  Haare  vor,  deren  vierzelliges 
Köpfchen  von  einem  einzelligen,  kurzen  Stiel  getragen  wird. 
Ob  dieselben  ebenfalls  jene  klebrigen  Tropfen  secerniren  oder 
eine  andere  Function  haben,  wurde  nicht  untersucht. 

Bepinselt  man  die  Spitzen  der  Blattzähne  mit  O-r'/o 
alkoholischer  Sublimatlösung,  so  werden  dieselben  bräunlich 
gefärbt,  zeigen  aber  in  von  Wasserdampf  erfülltem  Räume 
schon  nach  kurzer  Zeit  wieder  grosse  Wassertropfen.  —  Ein 
beblätterter   Zweig   einer   intacten    Topfpflanze    wurde   einen 


Ausscheidung  von  Wassertropfen  an  Blättern.  o37 

Moment  in  jene  Sublimatlösung  getaucht,  worauf  die  ganze 
Pflanze  nach  vollständiger  Verdunstung  der  anhaftenden  Flüssig- 
keit unter  eine  Glasglocke  gestellt  wurde.  Auch  an  den  Blättern 
dieses  so  vergifteten  Zweiges  fand  liquide  Secretion  in  gleicher 
Stärke  wie  bei  den  unverletzten  Blättern  statt;  die  Drüsenhaare 
dagegen  secernirten  nicht  mehr. 

Chelidonium  majus  L. 

Die  Enden  der  stumpfen  Blattzähne  oder  Lappen  sind 
nach  unten  umgeschlagen  und  haben  auf  diesem  Theile,  also 
auf  der  morphologischen  Oberseite  des  Zahnes  3 — 5  durch 
ihre  Grösse  auffallende  Wasserspalten.  Unter  denselben  liegt 
das  verbreiterte  Ende  dreier  hier  zusammenstossender  Gefäss- 
bündel  und  einige  wenige  chlorophyllfreie  mit  kleinen  Inter- 
cellularen  versehene  Zellen  als  ein  schwach  ausgebildetes 
Epithem,  welches  einen  allmäligen  Übergang  zu  dem  lacunösen 
Schwammparenchym  aufweist.  Vergiftung  der  Ausscheidungs- 
stellen junger  und  alter  Blätter  durch  Sublimat,  während  die 
sonst  intacte  Pflanze  unter  einem  Glassturze  steht,  hindert  die 
Secretion  nicht.  Die  Bepinselung  mit  Sublimat  muss  sehr  vor- 
sichtig vorgenommen  werden,  da  sonst  sehr  leicht  ein  grösserer 
Theil  des  Blattes  vollständig  vernichtet  wird.  In  diesem  Falle 
findet  keine  Ausscheidung  statt. 

Hibbertia  tetrandra. 

Diese  zu  den  Dilleniaceen  gehörige  Pflanze  zeigt  unter 
günstigen  Umständen,  und  zwar  auf  der  morphologischen 
Oberseite  der  Blattzähne  sehr  zierliche  Wassersecretion.  Auf 
je  einem  Zahne  liegen  5—6  Wasserspalten  und  unter  denselben 
ein  schwach  ausgebildetes,  schwammparenchymartiges,  fast 
chlorophyllloses  Epithem  mit  deutlichen  Intercellularen. 

Bepinselung  der  Zähne  mit  Sublimat  oder  Jod-Alkohol 
hindert  die  liquide  Secretion  nicht. 

Cyclamen  hederifolium  G. 

Epithem  an  den  Enden  der  kleinen  Blattzähne  unterhalb 
einiger  Wasserspalten  gering  ausgebildet,  doch  von  den 
grösseren,  dickwandigeren  Zellen  des  angrenzenden  Mesophylls 


r)38  A.  Nestler, 

deutlich  unterscheidbar.  Vergiftung  des  ganzen  Randes  junger 
Blätter  durch  Sublimat:  Ausscheidung  genau  so  stark,  wie  bei 
intacten  Blättern  derselben  Pflanze.  Die  Cyclamenblätter  ge- 
hören zu  jenen,  welche  sowohl  bei  vorhandenem  Wurzeldruck 
in  von  Wasserdampf  erfülltem  Räume,  als  auch  bei  Anwendung 
künstlichen  Druckes  (10  —  \d  cm  Quecksilberhöhe)  eine  voll- 
ständige Injicirung  der  Intercellularen  der  Spreite  zeigen.  Fresst 
man  eine  schwache  Tanninlösung  in  ein  Blatt,  so  kann  man 
sich  leicht  davon  überzeugen,  dass  dieselbe  nicht  nur  im  Holz- 
theile  der  Gefässbündel,  sondern  auch  in  den  Intercellularen 
des  Grundgewebes  des  Blattstieles  emporsteigt  und  in  die 
Intercellularen  der  Spreite  gelangt. 

Aquilegia  vulgaris  L. 

Ausscheidung  an  den  Enden  der  Blattkerben  am  Grunde 
der  seichten  medianen  Einkerbung,  wo  drei  grössere  und  zwei 
kleinere  Gefässbündel  sich  vereinigen  und  ihre  letzten  Trache- 
iden  ausbreiten.  Am  Grunde  der  genannten  Einbuchtung  liegen 
einige  wenige  (3 — 5)  Wasserspalten  von  runder  Gestalt  mit 
kleinem  runden  Porus.  Die  Epithemzellen  sind  länglich  ge- 
streckt, seitlich  gewellt,  gegen  die  Wasserspalten  zu  mehr 
rundlich  mit  kleinen  Ausbuchtungen;  ihre  Zellkerne  sind  eben- 
so gross  oder  kleiner,  als  die  der  übrigen  Mesophyllzellen.  Die 
Epidermiszellen  rings  um  die  Ausscheidungsstelle  und  die 
vorderen  Epithemzellen  sind  mit  Anthokyan  erfüllt. 

Einpressung  von  öprocentiger  Kupfervitriollösung;  Queck- 
silberhöhe =  12  cm;  Ausscheidung  schon  nach  einer  halben 
Stunde. 

Eranthis  hiemalis  Salisb. 

Auf  den  Spitzen  der  3  — 7theiligen  grundständigen  Blätter, 
aber  noch  auf  der  morphologischen  Oberseite,  2 — 3  runde 
Wasserspalten  mit  weit  ge(*)ffnetem  Porus.  Es  vereinigen  sich 
hier  drei  Gefässbündel  und  senden  ihre  letzten  Tracheiden  in 
die  Spitze.  Epithem  schwach  ausgebildet,  aus  gebuchteten 
schwammparenchymartigen  Zellen  bestehend,  welche  relativ 
Lrrosse  Zellkerne  erkennen  lassen. 


Ausscheidung  von  Wassertropfen  an  Blättern.  539 

Einpressung  von  oprocentiger  Kupfervitriollösung;  Queck- 
silberhöhe =  lOcm;  Ausscheidung  nach  1  Stunde. 

Dass  manche  Keimblätter  bezüglich  des  Baues  und  der 
Function  der  Hydathoden  sich  analog  den  Laubblättern  ver- 
halten, zeigen  die  folgenden  Untersuchungen. 

Helianthus  annuus  L. 

Am  äussersten  vorderen  Rande  der  Keimblätter  befindet 
sich  eine  grössere  Anzahl  von  typischen  Wasserspalten  und 
unter  denselben  ein  kleinzelliges,  allmälig  aus  den  grösseren 
Mesophyllzellen  hervorgehendes  Epithem,  zwischen  dessen 
Kiementen  die  letzten  Tracheiden  der  hier  vereinigten  drei 
Gefässbündel  liegen.  Das  Epithem  besteht  nur  aus  wenigen 
Lagen  runder,  mit  deutlichen  Intercellularen  versehenen  Zellen. 
Vergiftung  der  Secretionsstelle  hindert  die  Ausscheidung  nicht. 
Ebenso  verhalten  sich  die  Cotyledonen  von  Bryonia  alba  L., 
welche  am  vorderen,  schwach  gebuchteten  Rande  secerniren. 
1  Taf.  I,  Fig.  6.) 

Eschscholtzia  californica  Cham. 

Starke  Ausscheidung  an  den  Spitzen  der  zweispaltigen 
Keimlappen,  wo  je  drei  Gefässbündel  sich  zu  einem  kurzen, 
dicken  Stamme  vereinigen,  welcher  ohne  Ausbreitung  seiner 
Elemente  Ol  mm  vor  der  Spitze  endigt.  Hier  liegen  2  —  3  grosse 
VVasserspalten;  zwischen  denselben  und  dem  Bündelende  ein 
lockeres  Mesophyll,  eine  Art  Epithem.  Sublimatvergiftung  hin- 
dert die  Secretion  nicht. 

Ricinus  comniunis  L. 

An  dem  Rande  der  Cotyledonen  auf  der  morphologischen 
Oberseite  derselben  findet  unter  günstigen  Umständen  eine 
reiche:  Wasserausscheidung  durch  Druckfiltration  statt.  Die 
hier  sich  befindlichen  Wasserspalten  (Taf.  I,  Fig.  8)  sind  nicht 
grösser  als  die  Luftspalten,  aber  kreisrund  oder  breiter  als  lang 
und  von  einer  relativ  grossen  Anzahl  von  Epidermiszellen  um- 
geben. Da  die  Zahl  und  Anordnung  der  Tracheiden  am  Ende 
des  Hauptnerven  ebenso  beschaffen  ist,  wie  an  dem  der  Seiten- 
nerven, welche  freie  Bündelenden  gegen  den  Rand  senden,  so 


540  A.   Nestler, 

ist  die  gleichmässige  Ausscheidung  an  dem  ganzen  Blattrande 
erklärlich;  es  ist  an  keiner  Stelle  eine  besondere  Anhäufung 
von  Tracheidenenden  wahrzunehmen.^ 

Cineraria  rugosa  (hortorum). 

Die  liquide  Secretion  an  den  Blättern  dieser  Pflanze  kommt 
unter  günstigen  Umständen  sehr  stark  und  in  sehr  zierlicher 
Weise  zum  Ausdruck.  Auch  bei  einer  Temperatur  von  nur 
3 — 5**  C.  konnten  viele  Wochen  hindurch  in  den  Morgenstunden 
wenigstens  an  den  jüngsten  Blättern  stets  grosse  Tropfen 
beobachtet  werden.  Auf  den  Spitzen  der  grossen  Blattkerben 
liegen  bis  zu  sechs  grosse  weitgeöffnete  Wasserspalten,  deren 
Schliesszellen  einen  reichen  Chlorophyllgehalt  haben;  es  sind 
dies  die  einzigen  Stomata  der  Blattoberseite.  Auch  auf  den 
kleinen  Spitzen  am  Rande  des  Blattes  zwischen  den  grossen 
Kerben  kommen  einige  wenige  Wasserspalten  vor,  durch 
welche  aber  seltener  eine  liquide  Secretion  stattfindet  Die 
Epidermiszellen  in  der  Region  der  Wasserspalten  zeigen  nebst 
einer  cuticularen  Längsstreifung  noch  eine  eigenthümliche 
Streifung  der  Aussenmembran  normal  zu  den  Seitenwänden. 
In  jedem  Zahne  stossen  drei  starke  Gefässbündel  zusammen, 
deren  Tracheidenenden  fast  bis  zu  den  Wasserspalten  reichen; 
sie  sind  von  denselben  in  den  meisten  Fällen  durch  2 — 3  Lagen 
mehr  weniger  runder,  schwach  chlorophyllführender  Zellen  mit 
drei-  oder  viereckigen  Intercellularen  getrennt;  ein  Epithem  ist 
somit  nicht  vorhanden.  Bei  den  kleinen  Zähnen  grenzen  die 
Enden  der  Tracheiden  oft  bis  an  die  Athemhöhle  einer  Wasser- 
spalte. 

Bringt  man  eine  gut  beblätterte,  intacte  Pflanze  in  einen 
von  Wasserdampf  erfüllten  Raum,  so  tritt  nach  einer  gewissen 
Zeit  die  Ausscheidung  zunächst  bei  den  jüngsten  Blättern  ein; 


1  Auf  der  Ober-  und  Unterseite  der  Cotyledonen  sieht  man  zwischen  den 
kleinen  Epidermiszellen  grössere  Zellen,  welche  entweder  mit  einem  kömigen 
Inhalt  oder  scheinbar  mit  Anthokyan  erfüllt  sind.  Lässt  man  auf  diese  rothen 
Zellen  Kalilauge  einwirken,  so  schiessen  nach  dem  Verschwinden  der  rothen 
Farbe  augenblicklich  eigenthümliche  Krystalle  zu  einer  Form  zusammen,  welche 
am  besten  mit  einer  Feuerwerkssonne  vergleichbar  ist.  Dieselben  sind  unlöslich 
in  conc.  Alkohol,  Salzsäure;  dagegen  löslich  in  Wasser. 


Ausscheidung  von  Wassertropfen  an  Blättern.  o41 

allmälig  zeigen  auch  die  tiefer  stehenden  deutliche  Wasser- 
tropfen; die  ältesten  Blätter  aber  scheiden  selbst  unter  den 
günstigsten  Bedingungen  nicht  aus/  eine  auffallende  Erschei- 
nung, die  auch  bei  anderen  Pflanzen  beobachtet  wurde.  Fresst 
man  unter  Anwendung  künstlichen  Druckes  in  einen  gut  be- 
blätterten Zweig  eine  verdünnte  Tanninlösung,  so  zeigt  die 
anatomische  Untersuchung,  dass  auch  bei  den  ältesten  Blättern, 
Nvelche  selbst  unter  den  günstigsten  Umständen  keine  liquide 
Secretion  erkennen  Hessen,  die  Flüssigkeit  bis  in  die  Trache- 
idenenden  gelangt  war.  Da  die  Wasserspalten  wenigstens  zum 
Theil  vollständig  geöffnet  sind,  den  Austritt  der  angewandten 
Lösung  also  nicht  hindern,  so  scheint  dasNichtausscheiden  der 
älteren  Blätter  auf  irgend  einer  Verstopfung  der  Tracheiden- 
enden  zu  beruhen;  aber  selbst  eine  genaue  Untersuchung 
derselben  ergab  keinen  näheren  Grund.  Schneidet  man  die 
Spitzen  der  Zähne  derartiger  unter  günstigen  Verhältnissen 
nicht  mehr  secernirenden  Blätter  auf  eine  Länge  von  2— 3  mm 
ab,  um  das  unbekannte  Hindemiss  der  Ausscheidung  zu  be- 
seitigen, so  gelingt  es  oft,  aber  keineswegs  immer,  die  Secretion 
herzustellen.  Das  aber  steht  fest,  dass  man  das  Nichtaus- 
scheiden  älterer  Blätter  nicht  als  Beweis  für  die  Activität  des 
Epithems  anführen  kann,  da  genau  dieselbe  Erscheinung  bei 
Pflanzen  vorkommt,  welche  gar  kein  Epithem  haben. 

Tradescantia  viridis  (hortorum). 

Die  Blätter  dieser  monocotylen  Pflanze,  bei  welcher  meines 
Wissens  bisher  liquide  Secretion  nicht  beobachtet  worden  ist, 
zeigen  unter  günstigen  Bedingungen  —  unter  der  Glasglocke 
oder  auch  in  einem  wasserdampfreichen  Treibhause  —  auf  der 
morphologischen  Oberseite,  und  zwar  in  unmittelbarer  Nähe 
des  Randes  in  mehr  weniger  gleichen  Abständen  grosse,  in 
einer  Reihe  stehende  Wassertropfen. 

Der  äusserste  Rand  trägt  kleine,  conische  Trichome,  welche 
aus  je  einer  etwas  über  die  Epidermis  emporragenden  Basal- 
zelle und  einer  daraufsitzenden,  kurzen,  spitz  zulaufenden  Zelle 
bestehen;  beide  zeigen  je  einen  deutlichen  Zellkern.  Sie  sind  in 
zwei  Reihen  vorhanden,  von  denen  die  eine  näher  der  Ober- 
seite, die  andere  näher  der  Unterseite  des  Blattes  verläuft.  Dass 


.'>42  A.  Nestler, 

dieselben  nicht  die  Organe  der  Secretion  sind,  geht  schon  aus 
der  makroskopischen  Betrachtung  der  Tropfen  hervor,  welche, 
wie  gesagt,  stets  auf  der  Oberseite  des  Blattes  ausgeschieden 
werden.  Hier*  also  in  unmittelbarer  Nähe  des  Randes,  liegt  eine 
Reihe  von  Spaltöffnungen,  es  sind  die  einzigen  der  Oberseite, 
und  zwar  in  Abständen  von  0-2  — 0-4  fnnt  angeordnet.  Bezüg- 
lich der  Entwickelung  zeigen  dieselben  keine  Unterschiede  zu 
den  Luftspalten  der  Blattunterseite,  dagegen  im  Bau  und  in 
der  Lage;  in  der  Flächenansicht  erscheinen  sie  rund  mit  kleiner 
Eisodialöffnung  (Taf.  II,  Fig.  16);  während  die  Luftspalten  in 
gleichem  Niveau  mit  der  Epidermis  liegen,  sind  die  Wasser- 
spalten tief  eingesenkt  (Taf.  11,  Fig.  15),  so  dass  eine  äussere 
Wasserhöhle  gebildet  wird. 

Das  Organ,  von  welchem  diese  Wasserspalten  das  Wasser 
erhalten,  ist  ein  aus  Spiraltracheiden  bestehender  unter  jener 
Spaltöffnungsreihe  befindlicher  Randstrang,  welcher  O'lß  mm 
vom  äussersten  Rande  verläuft.  (Taf.  II,  Fig.  15.) 

Die  Spaltöffnungen  liegen  genau  über  diesem  Strang, 
seltener  um  ein  Minimum  seitlich  von  demselben  und  zwar 
ujegen  das  Innere  der  Blattfläche  zu.  Bemerkenswerth  ist  femer 
die  Thatsache,  dass  auf  der  Blattunterseite,  dort,  wo  der  Rand- 
strang verläuft,  keine  Spaltöffnungen  liegen,  eine  Erscheinung, 
die  auch  bei  vielen  anderen  Pflanzen  beobachtet  werden  kann, 
deren  Wasserspalten  die  einzigen  Stomata  der  Oberseite  sind.' 

Agapanthus  umbellatus  L'  H  e  r. 

Joly  ^  hat  bereits  die  Tropfenausscheidung  an  den  Blatt- 
spitzen dieser  monocotylen  Pflanze  erwähnt.  Ich  beobachtete 
dieselben  durch  viele  Tage  an  einem  Exemplar,  welches  ohne 
Bedeckung  an  einem  nach  Süden  gelegenen  Fenster  eines 
Arbeitszimmers  des  Institutes  in  einer  sehr  trockenen  Lult 
stand,  und  zwar  bei  einer  Temperatur  von  15°  — 19°  C,  also 
imter  Umständen,  welche  bekanntlich  einer  liquiden  Wasser- 


^  Nestler,  Kritische  Untersuchungen  über  die  sogenannten  Wasser- 
Spalten.  Nova  acta,  Bd.  LXIV,  Nr.  3,  S.  147. 

-  Mem.  de  l'acad.  des  sciences  de  Toulouse,  7.  s.,  t.  VIII,  p.  414.  (Cit. 
nach  Burgerstein,  Materialien  zu  einer  Monographie,  betreffend  die  Er- 
scheinungen der  Transpiration  der  Pflanzen;  S.  92. 


Ausscheidung  von  Wassertropfen  an  Blättern.  o43 

secretion  sehr  ungünstig  sind.^  Die  Erscheinung  fand  den 
ganzen  Tag  hindurch  statt.  Es  zeigt  sich  je  ein  grosser  Tropfen 
am  Ende  jedes  Blattes,  auch  der  vollständig  ausgewachsenen, 
entweder  auf  der  Oberseite  oder  auf  der  Unterseite,  bald  näher, 
bald  entfernter  von  der  Spitze  oder  am  Blattrande.  Tupft  man 
die  Tropfen  mit  Fliesspapier  ab,  so  erscheinen  sie  in  einigen 
Secunden  wieder  an  denselben  Stellen. ^ 

Die  Epidermis  an  der  Secretionsstelle  zeigt  keinen  beson- 
deren Bau:  es  befinden  sich  auf  der  Ober-  und  Unterseite  der 
Blattspitze  einige  zerstreut  liegende  Spaltöffnungen,  welche 
sich  nur  durch  die  etwas  grössere  Eisodialöffnung  von  den 
übrigen  Stomaten  unterscheiden.  Unter  Einwirkung  von  lOpro- 
centiger  Chlornatriumlösung  schliesst  sich  die  Centralspalte 
vollständig.  Die  parallel  verlaufenden  Gefässbündelstränge  ver- 
einigen sich  allmälig  an  der  Blattspitze,  indem  sie  in  seichtem 
Bogen  ineinander  übergehen. 

Das  einzige  freie  Gefässbündelende,  bestehend  aus  wenigen 
(bei  den  untersuchten  Blattspitzen  schliesslich  nur  aus  zwei) 
kurzen  Tracheiden  (Taf.  I,  Fig.  7),  ist  von  der  äussersten  Spitze 
des  Blattes  durchschnittlich  noch  Olomm  entfernt;  dasselbe 
ist  von  chlorophyllhaltigen  Zellen  umgeben,  zwischen  denen 
deutliche  Intercellularräume  sichtbar  sind;  bisweilen  grenzen 
die  letzten  Tracheiden  direct  an  einen  Intercellularraum. 

Der  einfache  Vorgang  der  Ausscheidung  ist  der,  dass  das 
Wasser  in  Folge  des  Wurzeldruckes  durch  die  Endtracheiden 
in  jene  Intercellularräume  und  von  da  je  nach  dem  leichteren 
Zusammenhange  derselben  an  verschiedenen  Stellen  der  Blatt- 
spitze verschiedener  Blätter  durch  die  Spaltöffnungen  nach 
aussen  gelangt,  daher  öfters  auf  der  Unterseite  als  auf  der 
Oberseite  des  Blattes,  weil  hier  weniger  Spaltöffnungen  vor- 
kommen, als  dort.  Vergiftungen  der  Blattspitzen  können  die 
Ausscheidung  nicht  verhindern;  Blattspitzen,  welche  wenige 
Secunden  in  heisses  Wasser  getaucht  werden,  scheiden  nicht 


1  Unter  ähnlichen  Verhältnissen  habe  ich  nur  noch  bei  einigen  unbe- 
deckten Gräsern  (Hordeum,  Triticum,  Seeale  etc.)  Tropfenausscheidung  beob- 
achtet, solange  die  Pllänzchen  eine  Höhe  von  3  — 4  cm  nicht  überschritten 
liatten;  die  Luft  war  sehr  trocken,  die  Temperatur  durchschnittlich  17°  C. 


')46  A.  Nestler, 

Winkeln  der  Blattnerven,  also  genau  so,  wie  bei  einer  intacten 
Pflanze  unter  dem  Glassturze.  Der  Nachweis  der  ausgeschie- 
denen Flüssigkeit  geschah  sehr  leicht  mittelst  Ferrocyankalium- 
papier. 

Dass  die  Drüsenhaare  eine  Kupfervitriollösung  durch  active 
Thätigkeit  ausscheiden,  ist  gewiss  nicht  der  Fall;  dass  dieselben 
aber  auch  nicht  passiv  der  genannten  Lösung  den  Durchtritt 
ermöglichen,  geht  daraus  hervor,  dass  in  keinem  derselben  eine 
Spur  von  Kupfervitriol  nachgewiesen  werden  konnte.  Es  mus? 
deshalb  diese  Ausscheidung  auf  andere  Weise,  wahrscheinlich 
durch  Stomata,  vor  sich  gehen.  Bei  aufmerksamer  Unter- 
suchung findet  man  über  die  Blattfläche  zerstreut,  insbe- 
sonders  an  den  Seiten  der  Blattrippen  der  Unterseite  Spalt- 
öffnungen, welche  durch  ihre  Form  ausserordentlich  an  typische 
Wasserspalten  erinnern  (Taf.  I,  Fig.  9);  dieselben  sind  voll- 
ständig rund  oder  breiter  als  lang,  sehr  oft  mit  grossem,  weit 
geöffnetem  Perus,  bisweilen  auf  einem  kleinen  Zellhügel  liegend 
(Taf.  I,  Fig.  10). 

Von  zehn  derartigen  Experimenten  mit  dem  gleichen  Er- 
folge will  ich  noch  eines  des  Näheren  beschreiben: 

Normaler  Spross  mit  sechs  Blättern,  von  denen  die  unteren 
vollständig  ausgewachsen  waren;  Quecksilberdruck  =  15  cw: 
schon  nach  zwei  Stunden  einzelne,  kleine  Tröpfchen  auf  der 
Unter-  und  Oberseite  der  Blätter,  welche  als  Kupfervitriollösung 
nachgewiesen  wurden.  Nach  vier  Stunden  v^om  Beginne  des 
X'ersuches  an  (Quecksilberdruck  =  10  cm)  reichliche  Secretion 
an  der  Unterseite  der  Blätter,  ebenso  an  den  Nebenblättern  und 
den  Blattstielen.  Das  Reagenspapier  wurde  bei  Berührung  mit 
den  Secrettropfen  stark  kupferroth  gefärbt. 

Die  nähere  Untersuchung  dieser  Blätter  zeigte,  dass  die 
eingepresste  Flüssigkeit  sich  nur  im  Holztheile  der  Gefäss- 
bündel  bewegte  und  bis  in  die  feinsten  Blattadern  vorgedrungen 
war.  Auch  in  den  Athemhöhlen  einiger  Spaltöffnungen  konnte 
mit  Sicherheit  das  Kupfervitriol  erkannt  werden. 

Eine  neue  Illustration  der  Thatsache,  dass  auch  an  abge- 
schnittenen Pflanzentheilen  grosse,  osmotische  Druckkräfte  zum 
\'orschein  kommen  können,  liefern  in  ganz  ausgezeichneter 
W-eise  die  Blätter  von  PItaseolns  mtiltißonis.  Dieselben  können 


Ausscheidung  von  Wassertropfen  an  Blättern.  547 

auch  ohne  Wurzeldruck  und  ohne  Anwendung  eines  künstlichen 
Druckes   sehr  stark  secerniren,  wie  folgender  Versuch  zeigt: 

Abgeschnittene  ausgewachsene  Blätter  einer  kräftigen,  im 
Freien  cultivirten  Pflanze  wurden  in  Brunnenwasser  gestellt 
und  in  den  feuchten  Raum  unter  die  Glasglocke  gebracht. 
Nach  sechs  Stunden  trat  eine  so  reiche  Wasserausscheidung 
ein,  wie  ich  sie  selten  an  intacten  Pflanzen  beobachtet  hatte; 
dieselbe  zeigte  sich  vorherrschend  auf  der  Blattunterseite, 
welche  mit  zahlreichen  Tröpfchen  verschiedener  Grösse  be- 
deckt war;  auch  die  Blattstiele  und  die  Nebenblättchen  zeigten 
dieselbe  Secretion,  wie  eine  bewurzelte  Pflanze  im  feuchten 
Räume. 

Es  ist  gleichgiltig,  ob  man  die  Blätter  untfer  Wasser  ab- 
schneidet oder  in  der  Luft  und  erst  später  in  das  Wasser  stellt, 
der  Beginn  und  die  Stärke  der  Secretion  sind  unter  sonst 
gleichen  Umständen  immer  dieselben. 

Wenn  man  auf  die  halbe  Unterseite  ausgewachsener 
Blätter  eine  0*  1  procentige  alkoholische  Sublimatlösung  durch 
ein  einmaliges  Bepinseln  einwirken  lässt  und  die  so  behandelten, 
in  Brunnenwasser  stehenden  Blätter,  nachdem  sie  vollständig 
trocken  geworden  sind,  in  den  feuchten  Raum  bringt,  so  scheiden 
nur  die  nicht  vergifteten  Blattflächen  aus. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  der  mit  Sublimat  be- 
pinselten Epidermis  lässt  erkennen,  dass  fast  alle  Keulenhaare 
coUabirt  sind;  aber  auch  alle  Spaltöffnungen  sind  vollständig 
geschlossen,  ein  Beweis,  dass  die  ganze  Epidermis  durch  das 
Sublimat  mehr  weniger  beeinflusst  wurde;  auch  in  der  Mehr- 
zahl der  Schwammparenchym-Zellen  erscheint  der  Inhalt  con- 
trahirt. 

Die  vergifteten  Fiederblättchen  fallen  bisweilen  schon  nach 
48  Stunden  ab,  während  die  intacten  abgeschnittenen  Blätter 
zehn  Tage  und  länger  eine  starke  Secretion  zeigen.  Dieselben 
Erscheinungen  wurden  auch  nach  Bepinselung  mit  0-01 7o 
alkoh.  Sublimatlösung  beobachtet.  Es  lassen  somit  derartige 
Experimente  nicht  erkennen,  ob  die  Secretion  durch  die  active 
Thätigkeit  der  Keulenhaare  oder  durch  andere  Zellen  vor  sich 
geht.  Der  oben  angeführte  Druckversuch  bei  Anwendung  von 
Kupfervitriol  lässt  aber  vermuthen,  dass  es  die  Spaltöffnungen 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Cl.;  CV.  liJ.,  Abth.  [.  36 


548  A.  Ncstler. 

sind,   durch   welche   das  Wasser   seinen   Weg   nach   aussen 
nimmt. 

III. 

Zusammenfassung. 

Die  unter  günstigen  Umständen  eintretende  Tropfenaus- 
scheidung an  den  Blättern  von  Bryophyllnm  calicinmn  Salisb., 
Ranunculus  auricomus  L.,  Oenothera  biennis  L.  und  Aucuba 
japonica  Thbg.  beruht  auf  blosser  Druckfiltration  ohne  active 
Betheiligung  des  hier  deutlich  differenzirten  Epithems.  Die 
bisher  für  die  Drüsennatur  dieses  Gewebes  angeführten  Gründe 
sind  nicht  beweiskräftig.^  Es  ist  daher  sehr  wahrscheinlich, 
dass  das  Epithem  im  Allgemeinen  keine  active  Thätigkeit 
besitzt  und  weder  die  liquide  Secretion  nach  aussen  hin  be- 
sorgt, noch  die  sehr  kleinen  Intercellularen  zwischen  den 
Epithemzellen  mit  Wasser  erfüllt. 

Die  Lage  eines  solchen  Gewebes  zwischen  Endtracheiden 
und  Wasserspalten  bildet  an  und  für  sich  einen  guten  Ab- 
schluss  der  trachealen  Leitungsbahnen,  der  in  allen  jenen 
Fällen  fehlt,  wo  die  Endtracheiden  bis  an  die  Wasserhöhlen 
reichen. 

.  Auch  bei  jenen  Pflanzen,  wo  ein  Epithem  schwächer  aus- 
gebildet ist,  beruht  die  sichtbare  Tropfenaus&cheidung,  wie  die 
durchgeführten  Sublimatvergiftungen  und  Einpressungen  von 
Kupfervitriol  lehren,  weder  auf  der  activen  Thätigkeit  des 
Epithems,  noch  der  der  Wasserspalten. 

AgapanthiirS  utnbellatus  V Her,  hat  weder  Epithem,  noch 
Wasserspalten,  aber  an  der  Spitze  der  Blätter  einige  wenige, 
frei  endende  Tracheiden,  welche  theilweise  direct  an  Inter- 
cellularräume  grenzen.  Die  Wassertropfen  treten  theils  auf  der 
morphologischen  Oberseite,  theils,  und  zwar  häufiger  auf 
der  Unterseite  des  Blattendes  aus,  weil  hier  die  Spaltöffnungen 
und  Intercellularen  zahlreicher  sind,  als  dort  und  das  Wasser 


1  Siehe  I.  Abth.  dieser  Arbeit,  S.  523—525.  Der  in  der  letzten  Zeitsich 
verbreitenden  Ansicht,  dass  bei  der  Wasserausscheidung  solcher  Pflanzen, 
welche  zwischen  Wasserspalten  und  Tracheidenenden  ein  Epithem  haben, 
dieses  letztere  Gewebe  mehr  weniger  activ  thätig  sei,  kann  ich  auf  Grund 
meiner  Untersuchungen  nicht  beipflichten. 


Ausscheidung  von  Wassertropfen  an  Blättern.  549 

an  den  Orten  des  geringsten  Widerstandes  austritt.  Blattspitzen, 
welche  einige  Secunden  in  heisses  Wasser  getaucht  wurden, 
schieden  nicht  mehr  aus;  dagegen  konnte  Sublimatvergiftung 
die  Secretion  nicht  hindern. 

Die  Blätter  der  Gräser  scheiden  in  der  Jugend  durch  an 
der  Spitze  liegende  Wasserspalten,  später  durch  Risse  liquides 
Wasser  aus.  Verhindert  man  die  Ausscheidung  der  jugendlichen, 
mit  Wasserspalten  versehenen  Blätter  dadurch,  dass  man  die 
Blattspitzen  mit  einem  für  Wasser  undurchlässigen  Stoff  über- 
zieht, also  die  Wasserspalten  verklebt,  oder  dadurch,  dass  man 
dieselben  in  heisses  Wasser  taucht,  so  tritt  die  Secretion  an 
verschiedenen  Stellen  des  Blattes  mehr  weniger  entfernt  von 
der  Spitze  in  der  unmittelbaren  Nähe  des  Blattrandes  ein  und 
erfolgt  wahrscheinlich  durch  Luftspalten. 

Bemerkenswerth  ist  die  Wasserausscheidung  bei  Trades- 
cantia  viridis  (hortorum)  durch  Wasserspalten,  welche  auf  der 
Blattoberseite  in  einer  Reihe  am  Rande  des  Blattes  über  einem 
Randstrang  angeordnet  sind;  es  sind  die  einzigen  Spaltöffnungen 
der  Blattoberseite.  Zu  denselben  verlaufen  keine  freien  Bündel- 
enden; sie  erhalten  das  Wasser  durch  an  die  Wasserhöhlen 
grenzende  Seitenwände  der  Tracheiden  des  Randstranges.  — 
Der  starke  Randstrang  der  ganzrandigen  Blätter  von  Benthamia 
fragifera  Ldl.,  der,  wie  die  nähere  Untersuchung  lehrt,  eine 
besondere  Rolle  bei  der  Wasserleitung  spielt,  scheint  in  ähn- 
licher Weise,  wie  bei  Tradescantia,  die  liquide  Secretion  am 
Kande  des  Blattes  zu  veranlassen. 

Die  Cotyledonen  von  Helianthus  annmts  L.,  Eschscholtzia 
californica  Cham,  und  Bryonia  alba  L.  verhalten  sich  wie 
Laubblätter  mit  schwach  ausgebildetem  Epithem.  Auch  hier 
liegt  am  vorderen  Rande  zwischen  Gefässbündelenden  und 
Wasserspalten  eine  Art  Epithem,  welches  ebenfalls  nicht  acti\ 
bei  der  Secretion  liquiden  Wassers  betheiligt  ist,  wie  die  aus- 
geführten Sublimatvergiftungen  zeigen. 

Bei  den  Blättern  von  Phaseolus mnlfißorusWil  1  d.  scheinen 
nicht  die  Keulenhaare  die  Wasserausscheidung  zu  besorgen, 
da  bei  relativ  geringem  Quecksilberdrucke  eine  dreiprocentige 
Kupfervitriollösung  genau  in  derselben  Weise  zum  Austritte 
gelangt,  wie  destillirtes  Wasser,  und  die  eingepresste  Flüssig- 

36* 


550  A.  Nestler, 

keit  in  den  genannten  Trichomen  nicht  nachgewiesen  werden 
kann.  Vergiftung  durch  Bepinselung  mit  0*  1 — O'Olprocentiger 
alk.  Sublimatlösung  und  dadurch  erzielte  Verhinderung  der 
Wasserausscheidung  beweist  nicht  die  active  Thätigkeit  der 
Haare,  weil  durch  solche  Behandlung  nicht  nur  diese  Trichome, 
sondern  auch  die  Spaltöffnungen  und  theilweise  das  Mesophyll 
getödtet  werden.  Derartige  Blattfiedem  mit  bepinselter  halber 
Unterseite  fallen  im  feuchten  Räume-  bisweilen  schon  nach 
48  Stunden  ab.  Dass  auch  an  abgeschnittenen  Pflanzentheilen 
grosse,  osmotische  Druckkräfte  zum  Ausdrucke  kommen 
können,  zeigen  in  ausgezeichneterweise  abgeschnittene  Blätter 
dieser  Pflanze,  welche  im  feuchten  Räume  in  gleicher  Weise  und 
ebenso  stark  viele  Tage  hindurch  Wassertropfen  ausscheiden, 
wie  eine  intacte  Pflanze  unter  gleichen  Bedingungen. 


Herrn  Prof.  Dr.  H.  Molisch,  welcher  durch  vielfache  An- 
regung meine  Untersuchungen  in  ausserordentlicher  Weise 
förderte,  spreche  ich  meinen  besten  Dank  aus. 


AJiestler  lAissoheidung  vönWassertropfen  an  Blättern. 


Taf.L 


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Antor  del 


Lith  Axst  r.Th  BaTimnir(K.vn«ii 

Sitzungsberichte  d.kais.  Akad.  d.  Wiss.,  math..naturw.Classe,Bd.CV.  Abth.I.  1896. 


ANestler  ij^sscheidun^  von  Wassertropfen  anBlättem. 


Taf.ir. 


Autor  d»l 


LiOt  Anst  vTK  Banroranh.Wien 


Sitzungsberichte  d.kais.Akad.  d.Wiss.,  math.-naturw. Gasse, Bd. CV.  Abth.I.  1896 


Ausscheidung  der  Wassertropfen  an  Blättern.  55 1 


Erklärung  der  Zeichnungen. 


Tafel  I. 

1.  2,  3,  4.  Bryophyllum  calicinum  Salisb.: 

1.  Epithem  {e)  mit  den  angrenzenden  Gefässbündeln  von  der  Blattunter- 
seite aus  gesehen.  V.  150. 

2.  Eine  Wasserspalte.  V.  350. 

3.  Gefassbündelverlauf  in  dem  Kerbzahne  eines  jungen  Blattes  (sche- 
matisirt);  das  Epithem  {e)  ist  durch  die  Stränge  a  b  noch  nicht  voll- 
ständig eingeschlossen;  «/=  Wasserspalt^n. 

4.  Ein  Theil  des  Querschnittes  durch  eine  Blattkerbe  an  der  Stelle  des 
Epithems  {e) ;  m  =  Mesophyll  gegen  die  Blattoberseite  zu.  V.  350. 

5.  Mimulus  moschatus  L.:  Medianer  Längsschnitt  durch  die  Spitze  eines  Blatt- 

zahnes. V.  350. 

6.  Bryonia  alba  L. :  Gefassbündelverlauf  im  distalen  Ende  des  Cotyledon ; 

tv  =  Region  der  Wasserspalten. 

7.  Agapanthus  umbellatus:  Freies  Bündelende  an  der  Blattspitze;  /  =  Inter- 

cellularraum.  V.  150. 

8.  Ricinus  communis  L. :  Wasserspalte  des  Cotyledon.  V.  300. 

9.  10,  11.  Fhaseolus  multiflorus  Willd.: 

9.  Wasserspalte  der  Blattunterseite  innerhalb  der  Nervenbahnen.  V.  250. 
10.  Wasserspalte  an  der  Seite  einer  Blattrippe,  auf  einem  Zellhügel  liegend. 
V.  250. 
11.  Luftspalte.  V.  250. 
12.  Hordeum  vulgare  L.:  Wasserspalte  auf  der  Blattspitze;  in  einigen  benach- 
barten Zellen  liegen  Anthokyankugeln.  V.  ^50. 

Tafel  n. 

\Z.  Ranunculus  auricomusL.i  Ein  Theil  des  medianen  Längsschnittes  durch 
die  Spitze  eines  Blattlappens.  V.  350. 

14.  Benthamia  fragifcra  Ldl. :  Querschnitt  durch  den  Blattrand;  o  =  Epidermis 

der  Oberseite,  u  =  der  Unterseite  des  Blattes.  V.  180. 

15,  16,  17.  Tradescantia  viridis  (hortorum): 

15.  Querschnitt  durch  den  Blattrand;  o  =  Oberseite,  w  =  Unterseite  des 
Blattes;  w  =  Wasserspalte.  V.  360. 

16.  Wasserspalte  in  der  Flächenansicht.  V.  360. 

17.  Luftspalte  in  der  Flächenansicht.  V.  360. 


OOJ 


Weitere  Untersuchungen  über  den  histo- 
logischen Bau  des  Holzes  der  Pomaceen,  nebst 
Bemerkungen  über  das  Holz  der  Amygdaleen 

von 
Dr.  Alfred  Burgerstein. 

Im  vorigen  Jahre  ( 1 895)  hatte  ich  die  Resultate  vergleichend- 
histologischer  Holzuntersuchungen  veröffentlicht,^  die  sich  auf 
85  Arten  (inclusive  Hybriden)  von  Pomaceen  bezogen,  und  die 
in  der  Absicht  vorgenommen  wurden,  um  zu  ermitteln,  ob  sich 
bestimmte  Gruppen  oder  Gattungen  der  Pomaceen  —  die  Be- 
grenzung der  letzteren  ist  bekanntlich  seitens  der  Botaniker 
eine  sehr  verschiedene  —  auf  Grund  eines  übereinstimmenden 
Holzbaues  xylotomisch  unterscheiden  lassen.  Ich  habe  gefunden, 
dass  einzelne  Gattungen  der  genannten  Familie  einen  so  über- 
einstimmenden und  charakteristischen  Holzbau  zeigen,  dass 
derselbe  als  diagnostisches  Merkmal  zu  betrachten  ist  und  als 
Classificationsmerkmal  für  solche  Formen  der  Pomaceen  ver- 
wendet werden  kann,  über  deren  Gattungszugehörigkeit  seitens 
der  Systematiker  getheilte  Ansichten  bestehen. 

So  habe  ich  unter  Anderem  gefunden,  dass  Cotoneaster 
xylotomisch  eine  wohl  begrenzte  Gattung  ist,  und  dass  z.  B. 
die  Einreihung  von  Pyracantha  seitens  Wenzig  und  Focke 
in  das  Genus  Cotoneaster  mit  Rücksicht  auf  den  Holzbau  un- 
zulässig ist,  ferner  dass  die  Abtrennung  der  Pyracanthen  von 
Crataegus  begründet  ist,  ebenso  die  Trennung  der  Mespilus 
germanica  von  Crataegus,  indem  das  Mispelholz  charakteri- 
stische Merkmale  zeigt,  die  bei  keiner  der  zahlreichen  Crataegus- 
Arten  vorkommen,  was  ich  deshalb  hier  anführe,  weil  Will- 


1  Vergleichend-histologische  Untersuchungen  des  Holzes  der  Pomaceen. 
Diese  Sitzungsber.,   104.  Bd.,  I.  Abth.  1895. 


Holz  der  Pomaceen.  553 

denow,  Koch,  Wenzig,  Pocke  u.  A.  unter  Auflassung  des 
Gattungsnamens  Crataegus  die  Weissdorne  mit  der  Mispel  in 
das  Genus  Mespilus  vereinigt  haben. 

Bezüglich  der  Hybriden  habe  ich  unter  Anderem  gefunden, 
dass  die  von  den  Systematikern  angenommene  Hybridität  von 
Pirus  Bollwilleriana  Bauh.  =:  Pirus  commnnisx  Sorhis  Aria 
auch  im  anatomischen  Bau  des  Holzes  begründet  ist,  dass 
ferner  Mespilus  grandißora  Sriiith  mit  Rücksicht  auf  den 
Holzbau  nicht  eine  distincte  Crataegus -Art  sein  kann,  wie  dies 
Koehne  und  Dippel  annehmen,  sondern  dass  sie  entweder 
eine  reine  Mespllus-Art  oder,  was  wahrscheinlicher  ist,  ein 
Bastard  von  Mespilus  germanica  mit  irgend  einem  Crataegus  \sO 

Schliesslich  habe  ich  eine  analytische  Bestimmungstabelle 
für  die  untersuchten  Pomaceengattungen  nach  holz-anatomi- 
schen  Merkmalen  zusammengestellt. 

Seit  dem  Erscheinen  meiner  ersten  Abhandlung  habe  ich 
neues  Holzmaterial  bekommen,  und  zwar  zunächst  verschiedene 
Holzproben  von  Eriobotrya,  Micromeles,  Photinia,  Stranvaesia 
und  Peraphyllum,  welche  Gattungen  ich  gelegentlich  meiner 
ersten  Arbeit  nicht  untersuchen  konnte;  ferner  erhielt  ich  von 
Prof.  G.  L.  Goodale  und  Prof.  E.  Koehne  mehrere  Arten  von 
Amelanchier^  von  welcher  Gattung  mir  im  vorigen  Jahre  nur 
.4.  canadensis  Botryapium  zur  Verfügung  stand. 

Weiters  erhielt  ich  von  verschiedenen  Seiten  Holzproben 
von  anatomisch  noch  nicht  untersuchten  Pomaceen,  im  Ganzen 
45  Arten,  so  dass  ich  mit  Hinzurechnung  der  in  der  ersten 
Abhandlung  angeführten  85  Arten  im  Ganzen  hundert  und 
dreissig  Arten  (inclusive  Varietäten  und  Hybriden)  von 
Pomaceen  xylotomisch  vergleichen  konnte.  Ausserdem  habe 
ich  theils  motu  proprio,  theils  auf  Anregung  von  Prof.  Koehne 
einzelne  frühere  Beobachtungen  an  neuem  Material  revidirt, 
und  zwar  bei  Cydonia  vulgaris,  Chaenomeles  japonica,  Mespilus 
germanica,  Pirus  betulifolia,  Crataegus  cordata  u.  A. 

Endlich  habe  ich  —  zum  Vergleiche  mit  den  Pomaceen  — 
diesmal  auch  das  Holz  mehrerer  Amygdaleen  untersucht. 

1  Prof.  Koehne  theilte  mir  brieflich  mit,  dass  er  jetzt  auch  zu  der 
Ansicht  neige,  dass  Mespilus  grandiflora  als  Hybride  von  Crataegus  oxyacantha 
oder  monogyna  mit  Mespilus  germanica  zu  deuten  sei. 


5t>4  A.  Burgerstein, 

Zu  aufrichtigem  Danke  für  mir  freundlichst  geschickte 
Holzproben  bin  ich  insbesondere  verpflichtet  Herrn  Thyselton 
Dyer,  Director  der  Royal  Gardes  in  Kevv,  Herrn  George  L 
Goodale,  Director  des  Botanischen  Museums  der  Har\-ard- 
Universität  im  Cambridge,  Herrn  Anton  Ritter  Kerner  v.  Mari- 
laun,  Director  des  Botanischen  Universitätsgartens  in  Wien. 
Herrn  Prof.  Emil  Koehne  in  Berlin,  ferner  den  Herren  Baum- 
schulbesitzern Ökonomierath  L.  Späth  in  Rixdorf,  Dr.  Dieck 
Gutsbesitzer  in  Zöschen  und  A.  C.  Rosenthal,  k.  u.  k.  Hof- 
Kunstgärtner  in  Wien. 

I.  Pirus,  II.  Malus. 

Im  vorigen  Jahre  untersuchte  ich  das  Holz  folgender  Arten: 

Pirus  Achras  Koch,  P.  amygdaliformis  Vi  11.,  P.  betuli- 
folia  Bunge  {Malus  beinlifolia  Wg.),  P.  elaeagrifolia  Fall., 
P.  heterophylla  Reg.,  P,  longipes  Coss.,  P.  Michauxii  Bo sc, 
P.  nivalis  Jacq.,  P.persica  Fers.,  P.  salicifolia  L.  fil.,  P.  sinensis 
Li  ndl.  und  P.  communis. 

Malus  baccata  Desf.,  M.  ccrasifcra  Spach,  M.  coronaria 
Mi  11,  M.floribnnda  Sieb.,  M.  Kaido  Sieb.,  M.  Niedwetzkyana 
Dieck,  3/.  microcarpa  Wendl.,  M. prunifolia  Spach,  M.Ringo 
Sieb.,  M.rivularisRoem., M.specfabilisDesf.und  M. communis. 

Als  xylometrische  Grenzwerthe *  wurden  gefunden: 

Pirus  Malus 

Gefässweite  - 30—40  {jl  ■*         40—50  jx  ♦*' 

Markstrahl-Zellhöhe 18— 15  |jl  13— 17-5  a 

MarkstrahlzahP 13-6— 16^  10—13-2 


^   Ks  sind  dies  Mitlelwerthe  aus  je  einer  grösseren  Zahl  von  Messuni^en. 

2  Der  innere  Durchmesser  der  Gefässe  des  Frühholzes. 

^  Die  Zahl  der  im  Holzquerschnitt  auf  1  mm  Länge  liegenden  Mark- 
strahlen. In  der  ersten  .Abhandlung  habe  ich  hiefür  öfter  den  eigentlich  nicht 
zutreffenden  Ausdruck  >Markstrahlabstand«  gebraucht,  jedoch  gleichzeitig 
erklärt,  was  ich  darunter  meine.  Markstrahlzahl  und  .Markstrahlabstand  sind 
reciprok.  Ist  z.  B.  die  Markstrahlzahl  gleich  12,  liegen  also  durchschnittlich 
12  Markstrahlen  in  der  Länge  eines  Millimeters  (im  Holzquerschnitt)  neben 
einander,  so  beträgt  der  mittlere  Abstand  zweier  Strahlen  J.,2"""- 

*  Im  Stammholze  der  cultivirten  Pirus  communis  bis  fast  0'0r»0  mm. 

'*  Im  Stammholze  der  Culturbirne  bis  13 '2  Markstrahlen. 

•'  Im  Stammholzc  des  cultivirten  Mtihis  communis  bis  70  «i.. 


Holz  der  Pomaceen. 


555 


Diesmal  wurden  geprüft: 

Pirus  cuneifolia  Guss  (wird  von  K.  Koch^  und  Koehne- 
zu  P.  persica,  von  Dippel  ^  und  Wenzig  I  ^  zu  P.  amygdali' 
forntis  gezogen). 

Pirus  heterophylla  Regel  (Koe.  245,  Dip.  362;  Malus 
hcierophylla  Spach  —  Dec.  155).  aj  Aus  dem  Arboret  Späth, 
bj  aus  dem  Arboret  Dieck. 

Pirus  Pashia  Hamilt.  (Dec.  152,  Wg.  I,  48,  Koe.  246; 
Malus  Pashia  Wg.  III,  292;  Pirus  variolosa  Wall.  Dip.  365). 

Pirus  salviaefolia  DC.  (von  Koch  216,  Wg.  I,  18,  Koe. 
244,  Dip.  360  zu  Pirus  nivalis  gezogen). 

Pirus  sinensis  Li  ndl.  (Dec.  152,  Koe.  245,  Dip.  359; 
Pirus  communis  var.  ussuriensis  Wg.  III,  289). 


Pirus 


Gefässweite 


Markstrahl- 
Zellhöhe 


Markstrahl- 
zahl 


cuneifolia |  36  •  5  jjl 

heterophylla  a) i  36  •  2 

heterophylla  ^y  ....  1  37  •  7 

Pashia 31-8 

! 

salviaefolia i  31-6 

sinensis i  34-8 


15-2p. 

14-0 

13-6 

15-1 

14-6 

13-8 


13-8 
13-9 
13-8 
16-0 
13-9 
15-3 


Malus   betulifolia   Wg.   (Wg.  III,  292;   Pirus  betulifolia 
Bunge,  Wg.  I,  50,  Dec.  152,  Koe.  246,  Dip.  365.) 


5  Dendrologie,  I,  1869. 

*  Diese  Abkürzung  bezieht  hier  sowie  an  anderen  Stellen,  wenn  nicht 
eine  andere  Angabe  gemacht  wird,  auf  des  Verfassers  »Deutsche  Dendro- 
logie«, 1893. 

3  Handbuch  der  Laubholzkunde,  3.  Theil,  1893. 

*  Es  bedeutet  Wg.l  die  Pomaceen-Abhandlung  von  Wenzig  in  Linnaea, 
38.  Bd.,  1374,  S.  1—206;  Wg.  ill  eine  zweite  Pomaceen-Abhandlung  desselben 
Verfassers  im  Jahrbuch  des  Botan.  Gartens  und  des  Botan.  Museums  Berlin, 
II.  Bd.,  1883,  S.  287  ff. 


556 


A.  Burgerstein, 


Malus  dioica  Loiseleur  (Wg.  III,  291,  Koe.  259;  Malus 
communis  var.  dioica  Dip.  396;  Pirns  dioica  form.  hört,  von 
P.  Malus  Wg.  I,  35;  Malus  apetala  Münchh.^). 

Malus  Halliana  Koehne;  Koe.  261,  Dip.  406;  Pirus 
Halliana  hört,  a)  Arboret  Späth,  b)  Arboret  Di  eck. 

Malus  rubellina  (Arboret  R  o  s  e  n  t  h  a  1). 

Malus  Sieversii  Ledeb.  (Dec.  154;  Pirus  Malus  var. 
Sieversii  Wg.  I,  32;  Malus  communis  seu  paradisiaca  var. 
Sieversii  Wg.  III,  291,  Dip.  396;  Malus  paradisiaca  var.  pumila 
Koe.  259;  Malus  pumila  Mi  11.). 

Malus  Toringo  Sieb.  (Dec.  155,  Koch  210,  Koe.  261, 
Dip.  406;  Pirus  rivularis  var.  Toringo  Wg.  I,  39;  Malus  rivu- 
laris  var.  Toringo  Wg.  III,  293;  Malus  Sieboldi  Regel. 


Malus 

Gefässweite 

Markstrahl- 
Zellhöhe 

Markstrahl- 
zahl 

bettilifoUa 

dioica 

35-2p. 

38-3 

46-1 

44-3 

42-0 

40-0 

41-3 

13-2p. 

14-8 

18-5 

19-0 

14-6 

15-2 

15-8 

12-5 
12-0 
11-2 
10-9 
13-0 
13-0 
12-1 

Halliana  a> 

Halliana  h) 

rubellina 

Sieversii 

Toringo 

Pirus  cuneifolia  Guss.  steht  holz-anatomisch  der  P.  per- 
sica  nahe. 

Die  Werthe,  welche  ich  für  Pirus  heterophylla,  »die  auch 
auf  Apfelunterlage  gepfropft,  gut  wächst«,^  heuer  erhalten  habe, 
stimmen  nicht  gut  mit  denen,  die  ich  in  meiner  ersten  Abhand- 
lung für  diese  Pirus  verzeichnet  habe.  Da  ich  jedoch  das  vor- 
jährige Exemplar  aus  dem  hiesigen  städtischen  Arboret  ohne 
Autorangabe  erhielt,  so  dürfte  es  wahrscheinlich  Pirus  amyg- 


1  Die  Blüthen  dieses  Baumes  haben  calycinische  Blumenblätter,  keine 
Staubblätter,  jedoch  15  Carpiden  mit  freien  Griffeln.  Den  Früchten  fehlen  die 
Samenkerne  (vergl.  die  Beschreibung  von  G.  Beck  in  Wiener  illustr.  Garten- 
zeitung, 1894). 

2  Wiener  illustr.  Gartenzeitung,  1886,  S.  271. 


Holz  der  Pomaceen.  5o7 

daliformis  var.  lobata  gewesen  sein,  von  der  Kühne  angibt, 
dass  sie  sich  in  manchen  Baumschulen  als  Pirus  heterophylla 
Steudel  findet.  Die  heuer  untersuchten  zwei  Holzproben 
waren  aber  gewiss  Pirus  heterophylla  Regel  et  Schmalh. 

In  meiner  ersten  Abhandlung  bemerkte  ich,  dass  Wenzig 
die  Pomaceen  Pirus  Pashia  Ham.,  Pirus  longipes  Coss.  et 
Dur.  und  Pirus  betulifolia  Bunge  zu  der  Gattung  Malus 
stellte,  während  sie  nach  den  Untersuchungen  von  Koehne^ 
echte  Pirus  sind,  mit  Ausnahme  der  Malus  (Pirus)  Pashia  var. 
sikkintensis.  Auf  Grund  der  xylotomischen  Daten,  die  ich  im 
vorigen  Jahre  iüv  Pirus  longipes  erhielt,  musste  ich  Koehne 
beipflichten.  Heuer  konnte  ich  nun  auch  eine  Holzprobe  von 
Pirus  Pashia,  die  ich  der  Güte  Prof.  Koehne's  verdanke, 
untersuchen;  es  ergab  sich,  dass  die  Pflanze  nach  dem  Holzbau 
zweifellos  eine  Pirus-Avt  ist.  Über  Pirus  betulifolia  werde  ich 
später  sprechen. 

Pirus  salviaefolia  DG.  wird  von  Koehne  (Dendrologie, 
S.  244)  gleich  Pirus  nivalis  als  eine  der  Stammarten  unserer 
Culturbirnen  bezeichnet.  Der  Holzbau  spricht  nicht  dagegen 
(vergl.  die  für  Astholz  von  P.  communis  gefundenen  Werthe  in 
der  I.  Abhandlung,  S.  735). 

Die  für  Pirus  sinensis  gefundenen  xylometrischsn  Werthe 
zeigen  eine  befriedigende  Übereinstimmung  mit  den  im  vorigen 
Jahre  an  einem  anderen  Exemplar  erhaltenen  Zahlen. 

Bezüglich  Pirus-Malus  betulifolia  (welche  Wenzig  als 
Malus,  Koehne  als  Pirus  auffasst),  bemerkte  ich  im  vorigen 
Jahre,  dass  diese  Pflanze  holz-anatomisch  eher  zu  Malus  als 
zu  Pirus  gerechnet  werden  könne.  Auf  Grund  genauer  Unter- 
suchung eines  zweiten  Exemplars  muss  ich  diese  Äusserung 
bezüglich  der  Gattungszugehörigkeit  der  genannten  Pomacee, 
nur  mit  grösserem  Nachdruck,  wiederholen.  Nach  der  Gefäss- 
weite  und  Markstrahl-Zellhöhe  könnte  die  Pflanze  holz-anato- 
misch ebenso  zu  Pirus,  wie  zu  Malus  eingereiht  werden.  Nach 
der  gefundenen  gegenseitigen  Entfernung  der  Markstrahlen 
am  Holzquerschnitt  muss  ich  aber  die  fragliche  Pomacee  zu 


i  Die  Gattungen  der  Pomaceen.  Wissenschaftl.  Beilage  zum  Programm 
des  Falk-Realgymnasiums  zu  Berlin,  1890,  S.  16. 


558  A.  Burgerstein. 

Malus  zählen.  Da  nach  meinen  Beobachtungen  die  > Mark- 
strahlzahl« für  alle  von  mir  untersuchten  echten  14  Pirus  und 
17  Afa/«5 -Arten  (von  denen  mehrere  wiederholt  an  verschie- 
denem Materiale  verglichen  wurden)  ein  Differentialmerkmal 
dieser  beiden  Gattungen  bildet,  so  kann  man  doch  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  annehmen,  dass  dies  auch  für  Malus  betuli- 
folia  stimmen  wird.  Falls  aber  Malus  betulifolia  nach  dem 
Blüthenbau  thatsächlich  eine  Pirus -Art  ist,  dann  würde  aller- 
dings daraus  folgen,  dass  die  »MarkstrahlzahN  kein  absolutes 
Differentialmerkmal  zwischen  Pirus  und  Malus  bildet.  Jedenfalls 
ist  PiruS'Malus  betulifolia  holz-anatomisch  ein  interessanter 
Baum. 

Malus  dioica,  jener  Obstbaum,  dessen  Blüthen  keine 
Pollenblätter  und  dessen  Früchte  keinen  Samen  besitzen,  ist 
holzanatomisch  eine  echte  Malus. 

Bezüglich  der  übrigen  Arten  ist  nichts  Besonderes  zu 
bemerken.  Malus  Halliana,  der  in  Gärten  meist  als  Pirus 
Halliana  erscheint,  steht  dem  Malus  rivularis  nahe. 

III.  Crataegus. 

Aus  dieser  Gattung  untersuchte  ich  im  vorigen  Jahre 
29  Arten,^  heuer  16  Arten,  darunter  15  neue. 

Crataegus  Celsiana  Bosc.  (Koe.  239,  Dip.  452). 

Crataegus  Celsiana  Dipp.  {Crat.  Dippeliana  F.  Lange  in 
litter.  ad  Koehne). 

Crataegus  cordata  Ait  (Koe.  239,  Dip.  437;  Mespilns 
cor  data  Mi  11.  Koch  138,  Phalacros  cordata  Wg.  I,  164,  V\'g. 
III,  304,  Colon easter  cordata  Focke^). 

Crataegus  glandulosa  Moench.  (Koe.  236,  Dip.  429, 
Mespilus  glandulosa  Koch  1 45 ^. 

Crataegus  Korolkowi  hovt (Cr.chlorosarca  Max.  Dip. 449). 

Crataegus  Lambertiana  Lange  (Cr.  nigra  X  songaricd 
Koe.  237,  Dip.  448), 


^  Aus  den  in  meiner  ersten  Abhandlung;  angeführten  30  Arten  ist  nämlich 
Crataegus  ßahelUfoUa  Spach  auszuscheiden. 

2  Pomoideae  in  Engl  er  und  Prantl  natüri.  Pflanzenfamilien,  1888.  Die 
Neubearbeitung  der  Pomaceen  für  dieses  bekannte  Werk  seitens  Prof.  E.  K  o  e  h  n  e 
wäre  sehr  wünschenswerth. 


Holz  der  Pomaceen. 


559 


Crataegus  macracantha  Loddig  (Koch  146,  Koe.  236; 
Cr.  coccinea  var.  macracantha  Dip.  435). 

Crataegus  mexicana  S  e  s  s.  et  M  o  c.  (K  o  e  h  n  e  230 ;  Mespilus 
mexicana  Koch  132,  Wg.  I,  121,  Wg.  III,  300;  Crat.  pubescens 
Regel,  Dip.  426). 

Crataegus  mollis  Scheele  (Koe.  232,  Dip.  436;  Mespilus 
coccinea  var.  mollis  Koch  151,  Wg.  I,  132,  Wg.  III,  301). 

Crataegus  monogyna  Jacq.  (Koe.  238,  Dip.  457;  Mespilus 
monogyua  Koch  159,  Wg.  I,  153,  Wg.  III,  303). 

Crataegus  pinnatiflda  Bunge  (Koe.  240,  Dip.  446;  Mespi- 
lus pimtatißda  Koch  152,  Wg.  III,  303;  Mespilus  pentagyua 
var.  pinnatißda  Wg.  I,  151). 

Crataegus  sanguinea  Pallas  var.  xanthocarpa  {Cr.  sau- 
guinea  Koe.  236,  Dip.  431;  Mespilus  sanguinea  Koch  151, 
Wg.  I,  134,  Wg.  III,  302). 

Crataegus  spathulata  Michx.  (Koe.  234,  Dip.  438;  Mespi- 
lus spaihulata  Koch  137,  Cotoneaster  spathulata  Wg.  I,  201). 

Crataegus  tomentosa  L.  (Koe.  236,  Dip.  433;  Mespilus 
leucophloeos  Mönch,  Koch  136,  Wg.  I,  129) 

Crataegus  uniflora  Duroi  (Koe.  231,  Dip.  424;  Mespilus 
unißora  Münchh.  Koch  141,  Wg.  I,  123,  Wg.  III,  300). 

Crataegus  viridis  L.  [Cr,  arborescens  EH.]  (Koe.  235, 
Dip.  437,  Mespilus  viridis  Koch  148;  Mesp.  coccinea  var.  viridis 
Wg.  I,  131,  Wg.  III,  301). 

Die  erhaltenen  xylometrischen  Werthe  sind  in  nach- 
stehender Tabelle  verzeichnet: 


Crataegus 


Gefäss- 
weitei 


Markstrahl-  I  Markstrahl-     Markstrahl- 
Zellhöhe  ^    1   Zellbreite  1   i         zahl 


Celsiana^osc |  395  14 

G?fc/a«aDipp |  37-2  I          U 

cordata '  42-2  ,          19 

glandnlosa I  38-4  19 

Korolkowi •  40-2  16 

Lambertiana I  38*0  15 


12-6 
12-0 
15-6 
14-0 
12-4 
12-8 


13-1 
14-0 
13-6 
14-6 
13-1 
13-1 


1   Mikromillimeter. 


560 


A.  Burgerstein, 


Crataegus 


Gefass-      1  Markstrahl- 
weite»      1    Zellhöhe  1 


Markstrahl-     Markstrahl- 
Zellbreite  i  zahl 


I 


tnacracantha  . . 
mcxicana  . . . . , 

mollis 

monogyna  . . . . 

pinnatifida 

xanihocarpa . . . 
spaihulata  . . . . 
iomenlosa, . . . . 

uniflora , 

viridis 


42-5 
42-3 
37-0 
38-4 
36-5 
40-0 
34-0 
32-8 
40-0 
32-8 


18-6 
14-6 
19-9 
15-8 
14-6 
18-5 
15-0 
13-9 
17-9 
15-4 


14-3 
12-1 
14-5 
12-1 
11-8 
15-5 
11-7 
10-3 
15-0 
12-1 


12-8 
14-9 
13*2 
13-4 
13-1 
13-0 
14-0 
13  2 
13-7 
14-4 


I 


Die  erhaltenen  Zahlen  fallen  innerhalb  der  Grenz- 
werthe,  welche  ich  bezüglich  der  im  vorigen  Jahre 
untersuchten  Arten  der  Gattung  Crataegus  gefunden 
habe;  nur  bei  Cr,  spaihulata  fällt  die  Markslrahlzahl  etwas 
unter  13.  Die  Gefässweite  war  diesmal  häufig  unter  0  •  040  #hw. 
Dies  kann  einen  zweifachen  Grund  haben:  erstens  haben 
manche  Crataegus  thatsächlich  relativ  kleine  Gefässe,  und 
zweitens  standen  mir  heuer  meist  Aststücke  mit  nur  3  bis 
4  Jahresringen  zur  Verfügung,  in  denen  die  Gefasse  einen 
kleineren  Durchmesser  besitzen  als  in  später  gebildeten  Ringen. 
Die  Höhe  der  Markstrahlzellen  bewegt  sich  bei  den  Crataegen 
überhaupt  zwischen  0*014— 0*020  ww.  Zu  den  hochzelligen 
gehören  Crataegus  cordata,  glandulosa,  macracanthay  mollis, 
Orientalis,  pectinata,  pentagona,  pontica,  sanquinea,  tanaceti- 
folia,  also  theils  nordamerikanische,  theils  südeuropäische  und 
orientalische  Arten. 

Von  Crataegus  cordata  Ait.,  die  von  Wenzig^  als  Pha- 
lacros  cordata  (nov.  gen.)  von  Pocke  *  als  Cotoneaster  cordata 
aufgefasst  wurde,  während  Koehne**  die  Aiton'sche  Bezeich- 


1  Mikromillimeter. 

2  Wg.  I,  S.  164. 

^  L.  c.  (Natürliche  PflanzenfamilienV 
^  Gattungen  der  Pomaceen,  p.  10. 


Holz  der  Pomaceen.  ^^1 

nung  als  richtig  erkannte,  konnte  ich  im  vorigen  Jahre  nur  ein 
2  ntfn  dünnes  Zweigstückchen  eines  Herbarexemplares  mikro- 
skopisch ansehen  und  fand  »die  Merkmale  einer  Crataegns- 
Art  mit  sehr  hohen  Markstrahlen«,  wie  sie  auch  bei  anderen 
Arten  dieser  Gattung  vorkommen.  Heuer  stand  mir  ein  stärkeres 
Zweigstück  mit  acht  Jahresringen  aus  dem  Hortus  Kewensis 
zur  Disposition,  und  ich  kann  nur  bestätigen,  dass  die  in  Rede 
stehende  Pomacee  eine  gute  Crataegus -Axi  mit  hohen  Mark- 
strahlen ist. 

Ferner  bemerkte  ich  in  meiner  vorjährigen  Abhandlung 
(S.  749),  dass  Pocke  auch  Crataegus  spathulata  Michx.,  Cr. 
herberifolia  Torr,  et  Gray  und  Crataegus  arborescens  Ell. 
{Crataegus  viridis  L.)j  die  nach  Koehne  in  jeder  Beziehung 
echte  Crataegen  sind,  als  Section  Pyracantha  der  Gattung 
Co/o«^a5/^r  anführt,  und  dass  die  mikroskopische  Untersuchung 
des  Holzes  sofort  zeigen  würde,  ob  die  fraglichen  Arten  zu 
Crataegus  oder  zu  Cotoneaster  gehören,  da  diese  beiden 
Gattungen  im  Holzbau  sich  auffallend  unterscheiden. 

Heuer  war  es  mir  nun  möglich,  Zvveigstücke  von  Crataegus 
spathulata  Mich,  und  Crataegus  arborescens  EH.,  die  ich 
direct  aus  Cambridge  von  Prof.  Goodale  erhielt,  zu  unter- 
suchen. Hiebei  ergab  sich  mit  aller  Bestimmtheit,  dass  von 
einer  Einreihung  der  Pflanzen  zu  Cotoneaster  keine  Rede  sein 
kann,  und  gleichzeitig,  dass  gegen  die  Auffassung  derselben 
als  echte  Crataegus -Avitn  vom  holzanatomischen  Gesichts- 
punkte nichts  einzuwenden  ist. 

Ferner  erwähne  ich  noch,  dass  mich  Prof.  Koehne  darauf 
aufmerksam  machte,  dass  Crataegus  Celsiana  Koehne  und 
Crataegus  Celsiana  Dippel  zwei  ganz  verschiedene  Pflanzen 
sind.  Erstere  stimmt,  wie  mir  Prof.  Koehne  brieflich  mittheilte, 
mit  dem  Spach'schen  Exemplar  aus  dem  Pariser  Botanischen 
Garten  überein,  dürfte  also  die  echte  Bosc'sche  Pflanze  sein. 
Crataegus  Celsiana  bei  Dippel  dagegen  ist  ein  Bastard  von 
Crat.  tanacetifolia,  vielleicht  mit  Crat.  punctata. 

Koehne  schickte  mir  freundlichst  beide  Crataegus  Cel- 
siana,  deren  Untersuchung  ergab:  a)  dass  sich  im  Holzbau  that- 
sächlich  greifbare  Unterschiede  vorfinden,  b)  dass  die  von  mir 
im  vorigen  Jahre  untersuchte  Pflanze  die  Bosc-Koehne'sche 


^Ö2  A.  Burgerstein, 

Crataegus  Celsiana  war,  und  c)  dass  die  Lange- DippeTsche 
Crataegus  Celsiana  xylotomisch  mit  Crataegus  punctata  ziem- 
lich übereinstimmt. 

IV.  Pyracantha. 

Über  den  charakteristischen  Holzbau  von  Pyracantha 
coccinea  Roem.  und  P.  crenulata  Roem.,  sowie  über  die  unter- 
scheidenden Merkmale  dieser  beiden  Pflanzen  von  Crataegus 
und  Cotoneaster  habe  ich  in  meiner  ersten  Pomaceen-Abhand- 
lung  ausführlicher  gesprochen.  Eine  wiederholte  Untersuchung 
eines  anderen  Zweiges  von  Pyracantha  coccinea  ergab  analoge 
Werthe  wie  im  Vorjahre: 

1895  1896 

Gefässweite 41  ja  39  pt 

(niedere  .  .  16  pt  16 ft 

Markstrahlzellen    hohe  ....  29  ft  30  ft 

'mittel  .  ..20ft  21  ja 

Markstrahl-Zellbreite 14|jl  15|i 

Markstrahlzahl 15*4  14*5 

Auch  sonst  stimmte  Alles  mit  dem  vorjährigen  Exemplar. 

V.  Stranvaesia. 

Stranvaesia  glaucescens  Li  ndl.  (Wg.  I,  204,  III,  307).  Es 
standen  mir  von  dieser  Pomacee,  die  ich  erst  heuer  untersuchen 
konnte,  zwei  Holzproben  zur  Verfügung;  die  eine  (I)  erhielt  ich 
von  Prof.  Koehne  (Berlin),  die  zweite  (II)  vom  DirectorTh.Dyer 
(Kew.).  Die  erhaltenen  Zahlen  waren: 

Stranvaesia  I        Stranvaesia  II 

Gefässweite 38  *  8  |x  40* 2  |i 

Tracheidenbreite  (radial) 12-4|x  12*9  [jl 

Strangparenchym-Zellbreite 20 'Oft  23-2  (i 

Markstrahl-Zellhöhe 25  •  2  |x  24 •  3  |x 

Markstrahl-Zellbreite 20- 1  ja  19-4  |i 

Markstrahlzahl 16-9  17-0 

Die  Gefässe  zeigten  nur  in  der  Tangentialansicht,  und  zwar 
in  einzelnen  Fällen  spurenweise  tertiäre  Streifung.  Auffallend 


Holz  der  Pomaceen.  563 

ist  bei  Stranvaesia  die  ausserordentlich  reiche  Ent- 
wicklung der  parenchymatischen  Gewebe,  sowohl  des 
Strangparenchyms  wie  auch  des  Strahlparenchyms. 
Die  Markstrahlen  sind  sehr  nahe  beisammenstehend  (wie  dies 
nur  bei  einzelnen  Cotoneaster-hxXtn,  z.  B.  Cot.  vulgaris  und 
Cot.  nigra  vorkommt),  ein-  oder  zweireihig,  und  zwar  (analog 
wie  bei  Cotoneaster)  viel  häufiger  ein-  als  zweireihig  und  aus 
dünnwandigen,  relativ  kurzen  Zellen  zusammengesetzt  Ausser- 
dem zeichnen  sich  die  Markstrahlzellen  im  Allgemeinen  durch 
eine  bedeutendeHöhe  —  die  grösser  ist,  als  bei  irgend  einer 
anderen  Pomacee  —  und  im  Besonderen  dadurch  aus,  dass  die 
Strahlparenchymzellen  eine  auffallend  ungleiche  Höhe  haben. 
Diese  Erscheinung  habe  ich  in  so  ausgeprägter  Weise  wie  hier 
nur  bei  Pyracantha  gesehen.  Wie  bei  dieser  Gattung,  kann  man 
auch  bei  Stranvaesia  die  Markstrahlzellen  in  niedere  (0-014 
bis  0-024  mm)  und  hohe  (0-030— 0*048  ww)  eintheilen.  Es 
ergab  sich  als  mittlere  Höhe  der 

(  95  gemessenen)  niederen  Markstrahlzellen I.  19*7  (jl 

(48  »  )  hohen  >  I.  36-7  |jl 

(118  »  )  niederen  »  II.  19-5|jl 

(50  »  )  hohen  »  II.  33-2  |jl 

Stranvaesia  zeigt  im  Holzbau  mehrfach  Analogien 
mit  Cotoneaster.  Diese  sind:  o^  die  geringe  gegenseitige  Ent- 
fernung der  Markstrahlen  am  Holzquerschnitt;  bj  die  sehr  un- 
gleiche Höhe  der  Zellreihen  im  Markstrahl;  c)  das  vorwiegende 
Auftreten  einreihiger  Markstrahlen.  Dennoch  kann  Stran- 
vaesia-Ho\z  von  Cotoneaster-Holz  histologisch  unter- 
schieden werden:  a)  durch  das  reichliche  Auftreten  breiter 
Holzparenchymreihen,  bJ  durch  die  Zartwandigkeit  der  Mark- 
strahlzellen, cj  durch  das  nur  hin  und  wieder  angedeutete 
Auftreten  tertiärer  Verdickungsschichten  in  den  Gefässen  und 
das  Fehlen  der  Schraubenbänder  in  den  Tracheiden. 

VI.  Peraphyllum. 
Peraphyllum  ramosissimum  Nuttal  (Wg.  I,  115,  Wg.  III, 
299,  Koe.  257,  Dip.  394).  Untersucht  wurde  ein  vierjähriger 
Zweig  (I)   aus  Cambridge   und  ein  dreijähriger  (II)  aus  dem 
Späth'schen  Arboret. 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Gl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  37 


364  A.  Burgerstein, 

I  li 

Gefässweite 32  •  0  |x  26  •  5  »x 

Tracheidenbreite 1 0  •  7  «x  1 0  •  6  »x 

Holzparenchymzellen Il-8»x  12-0{x 

Markstrahl-Zellhöhe 1 4  •  6  »x  1 4  •  6  |x 

Markstrahl-Zellbreite 1  T  9  »x  1 2  •  1  ;x 

Markstrahlzahl 16-5  16-8 

Die  tertiäre  Verdickungsschichte  in  den  Gelassen  i^t  so 
selten  und  so  undeutlich  sichtbar,  dass  man  Peraphylliim  unter 
jene  Pomaceen  einreihen  kann,  denen  die  Gefässstreifung  fehlt. 
Die  xylometrischen  Werthe  sind  ähnlich  jenen  von  Pirns\  es 
lässt  sich  jedoch  Peraphyllnm  von  Pirus  unterscheiden  a)  weil 
die  (dünnwandigen)  Markstrahlen  bei  Peraphyllnm  fast  aus- 
nahmslos einreihig,  jene  von  Pirus  in  der  Regel  zweireihig 
sind,  und  h)  weil  im  Holze  der  P/V//5-Arten  die  Markstrahlzahl 
den  Werth  von  16  nicht  überschreitet. 

VII.  Eriobotrya. 

Eriobotrya  japonica  Lindl.  (Wg.  1,98,  \Vg.  III,  297,  Koe., 
»Gattungen«,  p.  20). 

Ich  konnte  drei  Zweige  untersuchen,  von  denen  ich  zwei 
(I,II)  Herrn  Prof.Koehne,  das  dritte  (III)  meinem  Collegen  Herrn 
Dr.  Scholz  in  Görz  verdanke.    -  Die  gefundenen  Werthe  waren: 

Eriobotrya 
^  I  II  III 

Gefässweite    30-0|x  28*0|x  27-2jx 

Tracheidenbreite 12-0|x  11   ^jx  12-0|x 

Markstrahl-Zellhöhe 18-0[x  18-2[x  18-5  »x 

Markstrahl-Zellbreite 14-3{x  14-2|x  14-7  jx 

Markstrahlzahl 15-7  15-6  16*0 

Eriobotrya  zeigt  (neben  Peraphyllnm)  unter  allen  Pomaceen- 
Gattungen  die  engsten  Gefässe.  Die  tertiären  Verdickungs- 
streifen  sind  zart,  aber  deutlich  sichtbar.  Die  Markstrahlen  sind 
ein-  oder  zwei-,  seltener  dreireihig  und  dicht  nebeneinander- 
stehend; die  »Markstrahlzahl«  ist  fast  dieselbe  wie  bei  Micro- 
meles  und  Cofnneasler;   die  Markstrahlzellen  sind  relativ  hoch. 


Holz  der  Pomaceen.  o65 

Holzparenchym  ist  in  sehr  untergeordnetem  Grade  vorhanden; 
die  Weite  der  Parenchymzellen  beträgt  etwa  0*0145  mm. 

VIII.  Cydonia,  IX.  Chaenomeles. 

Im  Jahre  1895  untersuchte  ich  zwei  Hölzer  von  Cydonia 
vulgaris  und  ein  Aststück  von  Chaenomeles  japonica  und  kam 
zu  folgendem  Resultate:  »Der  Markstrahlabstand  bildet  das 
DifFerenzialmerkmal  von  Cydonia  und  Chaenomeles]  er  fällt 
bei  Cydonia  innerhalb  der  für  Malus,  bei  Chaenomeles  innerhalb 
der  für  Pirus  gefundenen  Grenz werthe.  Dippel  und  Koehne 
stellen  im  System  Cydonia  neben  Pirus  und  Chaenomeles  neben 
Malus,  Nach  dem  histologischen  Holzbau  rnüsste  man  aber 
Cydonia  neben  Malus  und  Chaenomeles  neben  Pirus  stellen«. 
(S.  755  meiner  Abhandlung.)  Nach  dem  Erscheinen  meiner 
histologischen  Untersuchungen  schrieb  mir  Prof.  Koehne: 
-Der  anatomische  Befund  von  Chaenomeles  und  Cydonia  ist 
höchst  auffallend,  da  er  im  schärfsten  Gegensatz  zu  dem 
sonstigen  Verhalten  beider  Gattungen  steht«. 

Ich  habe  darauf  hin  nicht  nur  die  drei  früheren  Hölzer 
nachuntersucht,  sondern  auch  noch  eine  Anzahl  von  neuen 
Holzproben  von  Cydonia  vulgaris  und  Chaenomeles  japonica 
verschiedener  Provenienz,  sowie  auch  Chaenomeles  chinensis 
und  Ch,  alpina  auf  den  Holzbau  geprüft: 

Cydonia. 

Cydonia  vulg.  I  a.  m.  D.^  54  min\  22  Jahresringe  (aus  dem 
Prager  Botan.  Garten;  Untersuchung  1895). 

Cydonia  vulg.  \b  (derselbe  Ast;  Nachuntersuchung  1896). 

Cydonia  vulg.  II  a.  m.  D.  30  mm\  15  Jg.  (aus  dem  Wiener 
Botan.  Garten;  untersucht  1895). 

Cydonia  vulg.  II  b,  (derselbe  Ast;  untersucht  1896). 

Cydonia  vulg.  III.  m.  D.  13  mm;  10  Jg.  (aus  dem  Wiener 
Botan.  Garten  1896). 

Cydonia  vulg.  IV.  m.  D.  13  mm;  6  Jg.  (aus  dem  Berliner 
Botan.  Garten). 


J   Mittlerer  Durchmesser  des  Astquerschnittes. 

37^ 


566 


A.  Burgerstein, 


Cydonia  vulg.  \\  m.  D.  87^  *wim;  5  Jg.  (aus  dem  hört, 
propr.  Koehne). 

Cydonia  vulg.  VI.  m.  D.  9  mm;  5  Jg.  (aus  dem  hort  propr. 
Koehne). 

Cydonia  vulg.  V'II.  Viereckiges  Holzstück  mit  15  Jahres- 
ringen aus  der  Sammlung  der  Wiener  Hochschule  für  Boden- 
cultur.  Standort  bei  Marburg  in  Steiermark. 

Cydonia  vulg.  VIII.  m.  D.  8  mm;  4  Jg.  (aus  dem  Arboret 
des  k.  u.  k.  Hofkunstgärtners  Rosenthal  in  Wien). 

Cydonia  vulg.  IX.  m.  D.  16  mm;  10  Jg.  (aus  einem  Privat- 
garten bei  Perchtoldsdorf  in  Niederösterreich). 

Cydonia  vulg.  X.  m.  D.  14  mm  9  Jg.  (aus  einem  Privat- 
garten in  Attersee  in  Oberösterreich). 

Hier  die  Resultate: 


Nr. 

Untersuchter 
Jahresring 

Gefäss  weite » 

Markstrahl- 
Zellhöhei 

Markstrahl- 
zahl 

la 

5,   10.  20 

38-3— 46  4 

13-3— 13-8 

10-5-11-6 

Ib 

4,  24 

38-2— 45-7 

13-6-13-8 

10-8—11-9 

IIa 

5.   10,   15 

38-4— 41-1 

13-1— 13-6 

10-6— 11-6 

Hb 

3,  5,   15 

36-6-38-0 

13-2-13-8 

11-0— 12-6 

III 

7—10 
4—6 
3—5 
3-5 

divers. 
3—4 

7-10 

40-1 
43-5 
35-8 
370 
41-8 
36-0 
38-2 

13-6 
14*0 
14-2 
13-8 
13-9 
14-3 
14-5 

12-4 
13-0 
13-3 
13-1 
12-4 
13-0 
13-1 

IV 

V 

VI 

VII 

VIII 

.X 

X 

5—9 

38-0 

13-8 

12-0 

Chaenomeles. 

Chaenomeles  japon.  I  a.  m.  D.   12  mm;  6  Jg.  (aus  dem 
Wiener  Botan.  Garten;  untersucht  1895). 

Chaenomeles  japon.  I  b,  (derselbe  Ast:  untersucht  1896). 


1  Mikromillimeter. 


Holz  der  Pomaceen. 


567 


Cbaenomeles  japon.  II.  m.  D.  12  mm;  7  Jg.  (aus  dem 
Wiener  Botan.  Garten;  anderer  Strauch). 

Cbaenomeles  japon.  III.  m.  D.  12  mm;  6  Jg.  (aus  dem  hört. 
prop.  Koehne). 

Cbaenomeles  japon.  IV.  m.  D.  S'^/^mm;  4  Jg.  (aus  dem 
hört.  prop.  Koehne;  anderer  Zweig). 

Cbaenomeles  japon.  V.  m.  D,9mm;  5  Jg.  (aus  dem  Berliner 
Botan.  Garten). 

Cbaenomeles  japon.  VI.  m.  D.  8^/2  mm;  4  Jg.  (aus  dem 
Arboret  des  k.  u.  k.  Hofkunstgärtners  A.  C.  Rosenthal  in 
Wien). 

Cbaenomeles  japon.  VII.  m.  D.  8  mm;  4  Jg.  (aus  dem 
Arboret  des  Baumschulbesitzers  W.  Klenert  in  Graz). 

Cbaenomeles  chinensis  Koehne  (Koe  262,  Dip.  408; 
Cydonia  chinensis  Thuin.  Wg.  I.  11,  III  288)  I  m.  D.  \4mm; 
7  Jg.  (aus  dem  Wiener  Botan.  Garten). 

Cbaenomeles  chinensis  II.  m.  D.  lOmm;  6  Jg.  (aus  dem 
Berliner  Botan.  Garten). 

Cbaenomeles  chinensis  III.  m.  D.  9  mm;  4  Jg.  (aus  dem 
Arboret  des  Ökonomierathes  Späth  in  Rixdorf). 

Cbaenomeles  alpina  Koehne  (Koe.  262  Dip.  408)  m.  D. 
5V2  ^^'y  3  Jg.  (aus  dem  Späth*schen  Arboret). 


Holzprobe 


Gefässweite 


Markstrahl- 
Zellhöhe 


Markstrahl- 
zahl 


Ch.  japonica  \a, 
\b., 
II  . 
III. 
IV. 
V  . 
VI 
VII 
.  chinensis  I . . 
II  . 
III. 

Ch.  alpina 


Ch 


33-8J1 

34-8 

34-7 

35-6 

34-0 

34-7 

34-6 

34-0 

34-0 

35.1 

33*5 

35-6 


13-6JJ. 

13-8 

14-1 

14'7 

14*6 

14-8 

15*0 

14-0 

15*5 

15-2 

15*5 

15-9 


14*8 
14-8 
14*4 
13*8 
14*0 
14*2 
13-2 
13-4 
13-5 
14-3 
13*8 
13-4 


568  A.  Burgerstein, 

Es  ergeben  sich  somit  folgende  Grenzwerthe: 

Gefässweite         Markstrahl-Zellhöhe        Markstrahlzahl 

ChaenomcJcs 34     35-6(i,        13-6— 16-0[x        13*2— 14-8 

Cydonia 36— 46/j.  13'  I  — 14-4(Ji        lOo— 13-3 

Es  wird  somit  die  von  mir  schon  in  der  ersten  Abhandlung 
ausgesprochene  Behauptung  bekräftigt,  dass  mit  Rücksicht 
auf  die  Zahl  der  Markstrahlen  im  Holzquerschnitt 
Cydonia  im  Holzbau  der  Gattung  Malus  unbedingt  näher 
steht  als  der  Gattung  Pirus,  hingegerfChaenomeles  der 
Gattung  Pirus  näher  steht  als  der  Gattung  Malus.  Auch 
ist  bei  Cydonia  das  Lumen  der  Gefässe  im  Allgemeinen  grösser 
als  bei  Chaetiomeles,  ebenso  wie  auch  die  Malus-Axi^n  weitere 
Gefässe  aufweisen  als  die  P/>//5-Arten.  Daraus  folgt  natürlich 
nicht,  dass  die  —  wenn  ich  so  sagen  kann  —  xylometrische 
Proportion  Malus  :  Pirus  =:  Cydonia  :  Chaenomeles  auch  in 
blütenmorphologischer  Beziehung  richtig  sein  muss. 

Rücksichtlich  der  querverlaufenden  tertiären  Verdickungs- 
streifen  in  den  Gefässen  sei  bemerkt,  dass  dieselben  sowohl  bei 
Cydonia  wie  bei  Chaenomeles  nur  schwach  entwickelt  sind. 
Weiters  muss  beigefügt  werden,  dass  bei  Chaenomeles  die 
Tracheiden  vielfach  tertiäre  Verdickungen  in  Form  zweier  steil 
aufsteigender  und  sich  kreuzender  dünner  Spiralbänder  zeigen. 

Durch  den  Vergleich  des  Holzbaues  ergibt  sich  ferner, 
dass  die  japanische  und  die  chinesische  Quitte  statt  Cydouiii 
japonica  Persoon  und  Cydonia  chinensis  Thuin  richtiger 
Chaenomeles  japonica  Lindley  und  Chaenomeles  chinen- 
sis Koehne  heissen  müssen. 

X.  Sorbus.  ]][ 

Zu  den  bereits  von  mir  untersuchten  Sorbeen^  sind 
folgende  hinzugekommen: 

Sorbus  americanaWilld.  (Dec.  158,  Koch  190,  Wg.  1,71, 
III,  296,  Koe.  247^  Dip.  368). 

Sorbus  flabellifolia  [Crataegus  flabellifolia  Spach]  (S. 
Aria,  ^flabellifolia  Wg.  III,  294;  Aria  flabellifolia  Koe.  250). 


1  Ancuparia,    Aria,    domcstica,    suecica,    lorminalis,   ferner   5.  fenHÜa. 
ßorentina,  hybriiia,  latifolia. 


Holz  der  Pomaceen. 


569 


Sorbus  graeca  C.  Koch  (K.  Koch  zu  5.  Aria  192;  S.  Aria 
V  graeca  Wg.  III,  294;  Aria  graeca  Dec,  Koe.  250;  Hahnia 
Aria  var.  graeca  Dip.  375.) 

Sorbus  Hosti  C.  Koch  (Koch  198;  S.  chamaemespilus 
^  sudetica  Wg.  65 ;  Aria  MotigeoiiXchantaefttespilus}  Koe.  25 1 ; 
Hahnia  Hostii  Dip.  378). 

Sorbus  meridionalis  Guss.  (ad  S.  Aria  Koch  192). 

Die  mikrometrisch  gewonnenen  Werthe  waren: 


! 

Sorbus 

Gefäss- 
weite 

Markstrahl- 
Zellhöhe 

Markstrahl- 
Zellbreite 

Markstrahl- 
zahl 

americana 

!  ßabellifolia 

1  ffraeca 

37-Ojj. 

38-2 

37-0 

40-5 

41-8 

16-4|i. 

19-0 

17-6 

20-8 

19-0 

10-3p. 

16-0 

12-4 

14-8 

15-6 

11-6 
11-8 
11-6 
12-6 
11-2 

1  «5    '**""* 

'  Hosii 

meridionalis 

1 

Diese  Zahlen  fallen  innerhalb  der  Grenzwerthe,  die  ich  in 
meiner  vorjährigen  Tabelle  für  die  Sorbeen  aufgestellt  habe, 
mit  Ausnahme  der  sehr  hohen  Mark  strahlzahlen  von  Sorbus 
Hosti.  Dieser  letzte  Umstand  scheint  mir  auf  eine  Hybridität 
der  genannten  Pomacee  hinzuweisen,  da  ich  annähernd  so  hohe 
Markstrahlzellen  auch  bei  Sorbus  fennica  C.  Koch  und  Sorbus 
Jatifolia  Pers.  beobachtet  habe. 

Allgemein  zeigten  alle  Gefässe  deutlich  sichtbare  Ver- 
dickungsschichten. 

Schliesslich  muss  ich  noch  eine  Richtigstellung  in  meiner 
früheren  Abhandlung  machen.  Ich  erhielt  nämlich  seinerzeit 
ein  Holzstüclvi  unter  dem  Namen  Pirus  corytnbosa.  Da  es  im 
histologischen  Bau  nicht  mit  Pirus,  wohl  aber  mit  Crataegus 
übereinstimmte,  und  Wen  zig  (I,  S.  55)  eine  Crataegus  coryni- 
bosa  horti  parisiensis  =  Sorbus  Aria  var.  ßabellifolia  Wg.  =: 
Crataegus  ßabellifolia  Spach  angibt,  so  stellte  ich  die  Pflanze 
in  die  Crataegus -Gruppe  unter  Beifügung  des  Synonyms  Aria 
ßabellifolia.  Nun  schrieb  mir  Koehne,  dass  Crataegus  ßabelli- 
folia Spach  unter  keinen  Umständen  ein  echter  Crataegus 
sein  kann,  sondern  eine  Aria  sein  muss,  überaus  ähnlich  der 


570  A.  Burgerstein, 

Aria  graeca.  Er  meinte,  ich  hätte  nicht  das  Holz  der  richtigen 
Pflanze  gehabt  und  schickte  mir  ein  Zweigstück  des  Crataegus 
fläbellifolia  Spach.  Die  mikroskopische  Prüfung  zeigte  sofort, 
dass  eine  Sorbus,  respective  Aria  vorliege.  Aria  fläbdlifolia 
Koehne  {Crataegus  fläbellifolia  Spach)  steht  in  der  »Mark- 
strahlzahl« thatsächlich  der  Aria  graeca  Dec.  sehr  nahe,  in 
der  Höhe  der  Markstrahlzellen  kommt  sie  jedoch  der  Aria 
suecica  Koehne  und  der  Sorbtis  (Aria)  meridionalis  Guss. 
am  nächsten.  ; 

XI.  Photinia. 

Untersucht  wurden  zwei  Aststücke  von 

Photinia  villosa  DC.  (Koe.  251,  Dip.  379;  Photinia  Arguta 
Wall.  var.  villosa  Wg.  I,  91,  Wg.  III,  297),  I  aus  dem  Berliner 
Botanischen  Garten,  II  aus  dem  Spät  haschen  Arboret. 

Photinia  I  Photinia  II 

Gefässweite  47'0|i  48*0  [j. 

Markstrahl-Zellhöhe 16-3[Ji  16-6{t 

Markstrahl-Zellbreite 14-0[ji  14-0(i 

Markstrahlzahl 12-0  11-2 

Die  Gefasse  zeigten  kräftige  tertiäre  Verdickungsschichten 
wie  Sorbus.  Überhaupt  zeigt  Photinia  villosa  einen  ähn- 
lichen Holzbau  wie  die  Sorbeen.  Noch  höhere  Mark- 
strahlzellen (0*018  ww),  analog  der  Aria-Gruppe  unter  den 
Sorbeen,  beobachtete  ich  bei  einem  dünnen  Zweigstück  einer 
im  hiesigen  Botanischen  Garten  cultivirten  Photinia  serrulata 
Lindl.  (Phot.  giabra  Maxim.). 

XII.  Amelanchier,  XIII.  Aronia. 

Von  Amelanchier  konnte  ich  im  vorigen  Jahre  nur  ein 
grösseres,  parallelopipedisch  zugeschnittenes  Holzstück  unter- 
suchen, welches  ich  aus  dem  Botanischen  Institute  der  Prager 
deutschen  Universität  leihweise  erhielt  und  welches  die  Eti- 
quette  *  Amelanchier  canadensis  var.  Botryapium*  trug. 

Da  ich  in  keinem  einzigen  der  —  verschiedenen  Theilen 
dieses  Holzes  entnommenen  —  Präparate  die  tertiären  Ver- 
dickungsstreifen  in  den  Gelassen  constatiren  konnte,  und  die 


Holz  der  Pomaceen.  57 1 

für  die  Gefässweite,  Markstrahl-Zellhöhe  und  Markstrahlzahl 
berechneten  Zahlen  innerhalb  der  für  Malus  gefundenen  Grenz- 
werthe  fielen,  welcher  Gattung  ebenfalls  die  Gefassstreifung 
fehlt,  so  kam  ich  zu  dem  Schlüsse,  dass  Malus  und  Amelanchier 
im  Holzbau  kaum  zu  unterscheiden  sind. 

Heuer  habe  ich  theils  von  Prof.  Goodale,  theils  von  Prof. 
Koehne  etwa  12  Holzproben  verschiedener  Amelanchier- 
Arten  erhalten;  alle  zeigten  in  den  Gefässen  ganz  deutlich  die 
Querstreifung.  Da  nun  das  vorjährige  Holzstück,  welches  aus 
dem  Stamme  oder  einem  stärkeren  Aste  herausgesägt  war, 
gewiss  richtig  determinirt  war  —  ich  wenigstens  zweifle  nicht 
daran  —  und  auch  die  für  die  histologischen  Elemente  ge- 
fundenen Zahlen  recht  gut  mit  jenen  stimmen,  welche  ich  heuer 
an  meist  3 — 5jährigen  Ästen  verschiedener  Amelanchier-Avten 
erhalten  habe,  so  kann  ich  nur  annehmen,  dass  in  später 
gebildeten  Jahresringen  älterer  Stämme  oder  Zweige  von  Ame- 
lanchier die  tertiäre  Gefässbildung  nicht  zur  Ausbildung  kommt. 
Ich  weise  darauf  hin,^  dass  die  Streifung  in  den  Spättracheiden 
(Herbstholzzellen)  von  Picea  excelsa  und  Larix  europaea  in  der 
Regel  nur  in  den  ersten  5  — 15  Jahresringen  sichtbar  ist. 

Amelanchier  rotundifolia,  die  ich  gleichfalls  im  Vorjahre 
untersuchte,  reihte  ich  zu  Aronia  ein,  da  die  Gefässe  Ver- 
dickungsstreifen  zeigten  und  ich  damals  der  Meinung  war, 
dass  letztere  den  Amelanchier -Axitn  fehlen.  Heute  muss  ich 
sagen,  dass  nicht  nur  Aronia  rotundifolia  Pers.  (die  bei  älteren 
Botanikern  auch  sub  genere  Crataegus^  Mespilus,  Pirus  und 
Sorbns  erscheint),  sondern  auch  Aronia  arbutifolia  Spach 
holzanatomisch  von  Amelanchier  kaum  zu  unterscheiden  ist. 
Ich  prüfte  folgende  Arten,  respective  Varietäten: 

Amelanchier  alnifolia  Nuttall  (Dec.  135,  Wg.  I,  113, 
Wg.  III,  298,  Koe.  256,  Dip.  389)  [Amel  canadensis  var.  a/«/- 
folia  Torr,  et  Gray]. 

Amelanchier  asiatica  Wal  pers  (Dec.  135,  Wg.  I,  109, 
Wg.  III,  298,  Koch  180,  Koe.  255,  Dip.  393)  [Amelanchier 
canadensis  var.  japonica  Miquel], 


1  Vergleichend-anatomische  Untersuchungen  des  Fichten-  und  Lärchen- 
holzes. Denkschr.  der  kais.  Akad.  der  Wissensch.,  60.  Bd.,  1893. 


O/Z 


A.  Burgerstein, 


Amelanchier  canadensis  Med.  (Koch  180,  Koe.  256, 
Dip.  392),  I  von  Prof.  Koehne,  II  aus  dem  pflanzenphysio- 
logischen  Institute  der  hiesigen  Universität  (23  Jahresringe) 
[welche  Varietät,  war  nicht  angegeben]. 

Amelanchier  Botryapium  Bork h.  (Wg.  1, 1 10,  Wg.  III,  298; 
Amel.  canadensis  var.  Botryapium  Torr,  et  Gray,  Koe.  256), 
I,  II  Aststücke  von  Prof.  Koehne,  III  Holzstück  von  an.  1895. 

Amelanchier  oblongifolia  m.  (AmeL  canadensis  var.  obo- 
valis  Sargent,  Koe.  256)  [Amel.  canadensis  var.  oblongifolia 
Torr,  et  Gray],  I  von  Prof.  Goodale,  II  von  ökonomierath 
Späth. 

Amelanchier  oligocarpa  Roem.  (Koe.  256,  Dip.  391). 

Amelanchier  rotundifolia  Dum.  de  Courset  (Koch  178, 
Wg.  I,  106,  Wg.  III,  298,  Koe.  255,  Dip.  389)  [Aronia  roimiäi- 
folia  Pers.],  I  von  Prof.  Goodale,  II  auf  den  Kalkbergen  um 
Baden  bei  Wien  gesammelt,  1895;  III  um  Perchtoldsdorf  bei 
Wien  gesammelt,  1896. 

Amelanchier  spicata  Koehne  (Koe.  256)  {Amelanchier 
canadensis  var.  spicata  Sargent). 

Aronia  arbutifolia  Spach  (Koe.  254,  Dip,  382;  Sorbus 
arbntifolia  C.  Koch,  Koch  185,  Wg.  I,  65,  Wg.  III,  294). 


Amelanchier 


Ge  fäss- 
weite 


alnifolid 

asiatica 

canadensis  I 

II  (5  Rg.) . . . . 

II  (20  Rg.) . . . 

BotrvapititH  I 

II 

III  (5  Jg.)  . . 

III  (10—20) 
oblongifolia  I 

II 

oligocatya 

rotundifolia  I 

II 

III 

spicata 

Aronia  arbulifolia 


4I-6|i 

35-7 

42-5 

42-5 

44-0 

36*2 

40-8 

39  0 

48-0 

38-2 

37-b 

43-5 

37-2 

34-0 

33-0 

41-0 

3()  •  8 


Markstrahl- 
Zellhöhe 


16-4}i. 

16-0 

16-6 

1(5-6 

16.2 

15-7 

160 

15-0 

15*5 

15-8 

15-0 

15-4 

17-1 

15  8 

15-2 

16-6 

15-7 


Markstrahl- 
Zellbreite 


13-5|x 

13*2 

13*8 

13-9 

13*7 

14*0 

14-2 

14*1 

14-3 

11-0 

10-4 

13-4 

14-5 

14-0 

12*3 

10-6 

11*5 


Markstrahl-' 
zahl       ' 


10-5 
11-4 

9-8 
11-2 
10*8 
10  8 
10-8 
10-7 

9*8 
11*6 
10*8 
100 
11*4 
12*0 
120 
10*1 
11-8 


Holz  der  Pomaceen.  573 

Es  ergibt  sich  durch  den  Vergleich  der  für  die  histo- 
logischen Elemente  gefundenen  Werthe,  dass  Antelanchier 
und  Aronia  holzanatomisch  von  den  Sorbeen  kaum  zu 
unterscheiden  sind.  Auch  Photinia  steht  im  Holzbau  dieser 
Gruppe  sehr  nahe. 

XIV.  Micromeles. 

Untersucht  wurde  Micromeles  alnifolia  Koehne  (Koe., 
252,  Dip.  381)  und  es  ergaben  sich  folgende  Werthe: 

Gefässweite 38  •  2  (x 

Tracheiden 10-7|x 

Strangparenchymzellen 17'0|x 

Markstrahl-Zellhöhe 14-6{i. 

Markstrahl-Zellbreite 12-5{x 

Markstrahlzahl 16*0 

Die  im  Jahresring  ziemlich  gleichförmig  vertheilten  Gefässe 
zeigten  deutlich  tertiäre  Verdickungsstreifen.  Infolge  der  hohen 
Markstrahlzahl  ist  Micromeles  von  Photinia,  Cydonia,  Aronia, 
Antelanchier  und  Sorbns  gut  unterscheidbar.  Von  Erioboirya 
und  Coloneaster,  denen  Micromeles  in  der  Markstrahlzahl  gleich- 
kommt, weicht  sie  durch  die  niederen  Markstrahlzellen  ab. 
Auch  von  Chaenomeles  differirt  Micromeles  durch  die  kräftigen 
Verdickungsstreifen  in  den  Gefassen  und  das  Fehlen  der 
Schraubenbänder  in  den  Tracheiden.  Ich  kann  daher  Koehne 
beipflichten,  wenn  er  (»Gattungen«,  S.  21)  Micromeles  für  eine 
sehr  wohl  begründete  Gattung  hält. 

XV.  Cotoneaster. 

'"'Zu  den  im  vorigen  Jahre  untersuchten  Arten:  C  acttti- 
JoliaLindl,  C.  bacillaris  Wall.,  C.  frigida  Wall,  C.  laxiflora 
Jaq.,  C  multiflora  Bunge,  C.  nigra  Wahlenbg.,  C  nummu- 
lär ia  Fisch.,  C  racemiflora  Koch,  C  tomentosa  Lindl.,  C  uni- 
ßora  Bunge  und  C  vulgaris  Lindl.  sind  heuer  noch  zwei 
hinzugekommen: 

Cotoneaster  horizontalis  Wa  1 1  i  c  h  ? 

Cotoneaster  microphylla  Wal  lieh  (Koch  177,  Wg.  I,  134, 
K  o  e.  227,  D  i  p.  420 ;  Colon,  tomentosa  y  microphylla  Wg.  III,  306). 


574 


A.  Burgerstein, 


Cotoueasier 

Gefass- 
weite 

Markstrahl-  {  Markstrahl- 
Zellhöhe     t    Zellbreite 

Markstrahl- 
zahl 

horizoHtalis 

microphylla 

32-6|A 
32-4 

22-Op.             14-2p. 
22-8                 15-2 

16-7 
15-5 

1 

Der  anatomische  Bau  des  Holzes  stimmte  bei  beiden 
Arten  mit  der  von  mir  schon  in  der  ersten  Abhandlung  (S.  758 
und  768)  angegebenen  Charakteristik  des  Cotoneaster-Holzes 
überein.  Wie  schon  früher  bemerkt,  ist  Cotoneaster  eine 
xylotomisch  gut  charakterisirte  Gattung,  und  die  Ein- 
reihung von  Crataegus  cordata  Ait.,  Crat,  spathulata  Michx. 
und  Anderer  in  das  Genus  Cotoneaster  seitens  Focke  ist  vom 
holzanatomischen  Standpunkte  unzulässig. 

XVI.  Mespilus. 

Als  eine  besondere  Eigenthümlichkeit  des  Holzes  von 
Mespilus  germanica  L.  (und  auch  desjenigen  von  Mespilus 
grandiflora  Sm.),  durch  die  sich  dasselbe  von  dem  Holze  aller 
anderen  Pomaceen  unterscheidet,  besteht  darin,  dass  die 
Markstrahlen  ein-  bis  vierschichtig  sind;  »namentlich 
kommen  in  später  gebildeten  Jahresringen  drei-  und  vierreihige 
Markstrahlen  häufig  vor;  hiebei  erscheinen  die  Markstrahlzellen 
in  der  Tangentialansicht  nicht  reihenweise  neben  einander 
laufend,  sondern  unregelmässig  neben-  und  übereinander  ge- 
lagert« (S.  761  meiner  ersten  Abhandlung). 

Ich  habe  nun  heuer  neuerdings  einen  Ast  von  Mespilus 
germanica  L.  untersucht,  der  aus  dem  Arboret  des  Hof-Kunst- 
gärtners Rosenthal  stammte.  Der  anatomische  Bau  stimmte 
im  Wesentlichen  vollkommen  mit  dem  der  beiden  im  Vorjahre 
analysirten  Mispelhölzer  (die  anderer  Provenienz  waren)  überein. 
Durch  die  ein-  bis  vierreihigen,  aus  unregelmässig 
geordneten  Zellen  bestehenden  Markstrahlen  bildet 
Mespilus  germanica  ein  Bindeglied  zwischen  den  Poma- 
ceen und  Amygdaleen. 

Über  die  Hybridität  von  Mespilus  grandiflora  habe  ich 
bereits  wiederholt  gesprochen  ^  und   führe  nachträglich  noch 


1  Vergl.  meine  vorjährige  Schrift,  S.  705 — 67. 


Holz  der  Pomaceen.  575 

Folgendes  an:  Gillot^  berichtet  über  das  Vorkommen  mehrerer 
Sträucher  bei  Sernin  du  Bois  (Saone  et  Loire),  die  sich  als 
Mespilns  grandiflora  Smith  (Mespilus  Smithii  Ser.  in  De 
Cand.  Prodr.)  erwiesen.  Er  beschreibt  die  Pflanze  sehr  ein- 
gehend und  vergleicht  den  morphologischen  Aufbau  derselben 
sowie  die  Form  und  die  Dimensionen  der  einzelnen  Organe 
mit  den  entsprechenden  Theilen  von  Mespilus  germanica  L. 
und  Crataegus  oxyacantha  L.,  die  beide  um  Sernin  du  Bois 
häufig  vorkommen.  Gillot  kommt  zu  dem  Resultate,  dass 
jene  Pomacee  ein  Bastard  zwischen  Mespilus  germanica  und 
Crataegus  oxyacantha  sei  und  nennt  sie  Crataegus  oxyacantha- 
germanica.  Mit  Rücksicht  auf  den  anatomischen  Bau  des  Holzes 
wäre  die  Pflanze  besser  Mespilus  germanica  -  oxyacantha  zu 
nennen.  Zutreffender  als  die  Bezeichnung  Mespilus  grandiflora 
Smith  wäre  der  Name  Mespilus  Smithii,  da  sowohl  der  Durch- 
messer der  expandirten  Blumenkrone,  wie  auch  die  Grösse  der 
Petalen  bei  M.  ^grandiflora^  kleiner  sind  als  bei  M.  germanica. 

Ergebnisse. 

Alle  untersuchten  Pomaceen  —  130  Arten  (inclusive 
Hybriden  und  Varietäten)  —  die  sich  auf  16  Gattungen  ver- 
theilen,^  zeigten  im  Wesentlichen  einen  übereinstimmenden 
Holzbau.  Die  unterscheidenden  Merkmale  liegen  in  den  Di- 
mensionen der  einzelnen  histologischen  Elemente,  in  dem 
Vorkommen  oder  Fehlen  der  tertiären  Verdickungsstreifen  in 
den  Gefässen,  in  der  grösseren  oder  geringeren  Entfernung  der 
Markstrahlen  von  einander  im  Querschnitt  und  in  der  Zahl  der 
Markstrahl-Zellreihen  im  Tangentialschnitt.  Xylotomisch  nicht 
oder  schwer  von  einander  unterscheidbar  sind  die  Genera 
Sorbus  (inclusive  Cormus,  Torminaria,  Aria),  Photinia,  Ame- 
lanchier  und  Aronia,  sowie  in  vereinzelten  Fällen  Pirus  und 
Crataegus. 


1  Etüde  sur  un  hybride   du  Mespilus  germanica  et  du  Crataegus  oxy- 
acantha. Bull.  Soc.  Bot.  de  France,  23.  Bd.,  1876,  S.  XIV. 

2  Aus  den  Gattungen:  Chamaemeles,  Docynia,  Eriolobus,  Hesperomeles 
Osteomeles  und  Rhaphiolepis  habe  ich  bisher  keine  Art  untersucht. 


578 


A.  Burgerstein, 


ß)  Gefässweite  0-035— 0-040  ww;  Markstrahl-Zellhöhe 
0-014 — 0-015fww.  Micromeles. 

Y)  Gefässweite  meist  0-033 — 0  040  wm;  Markstrahl- 
Zellhöhe  0-019 — 0'022  mm  (bei  Cotoneaster  micro- 
phylla  und  C.  tomentosa  bis  0*023  mm).  Markstrahlen 
meist  ein-,  seltener  zweireihig;  Tracheiden  mit  schrau- 
biger Verdickung.  Cotoneaster. 

IL  Markstrahlen  im  Tangentialschnitt  ein-  bis  vierreihig. 

13  — 14  Markstrahlen  auf  die  Millimeterlänge  im  Holz- 
querschnitt; Gefässweite  0-035— 0-037  tww;  Markstrahl-Zell- 
höhe 0-014 — 0-016  mm,  Markstrahlzellen  im  Tangentialschnitt 
häufig  nicht  reihenweise,  sondern  unregelmässig  geordnet: 
Gefässwände  mit  tertiären  Streifungen.  MespUus. 

Amygdaleen. 

Im  Anschlüsse  an  die  Pomaceen  habe  ich  das  Holz  mehrerer 
Prww«5 -Arten  ^  untersucht,  um  zu  erfahren,  welche  histologi- 
schen Unterschiede  im  Bau  des  Holzes  der  Amygdaleen  und 
Pomaceen  bestehen.  Zunächst  stelle  ich  die  gewonnenen  Zahlen 
tabellarisch  zusammen. 


Prunus 

Durch- 
schnittliche 

Maximale 

MarkstrahU 

Zellhöhe 

(mm) 

Markstrahl- 
Zellreihen 

Weite  der  Gefässe  (mm) 

amygdalus  S  t  o  k.  . . 

Armeniaca  L 

avium  L.  (cultiv.)  . . 
avium  L.  (wildw.) . . 
coccomilio  (Ten.)  . . 

domestica  L.  I 

domestica  L.  II  .... 
insiticia  L 

0-080 
0-046 
0-053 
0-046 
0-058 
0-046 
0-044 
0-045 
0-050 
0-080 
0-044 
0-053 

0-120 
0-070 
0-073 
0-060 
0-073 
0-063 
0-060 
0  060 
0-063 
0-107 
0-060 
0-083 

0-019 
0-021 
0-018 
0-019 
0-019 
0-018 
0-018 
0-022 
0-020 
0-024 
0-023 
0-018 

1^5 

1-5         ' 
1-4         i 
1-4         i 
1—4 

1—8         1 
1—10 
1  —  10 

Padus  L 

1     4 

persica  Sieb 

spinosa  L 

1—4 
1—4 

1—4 

1 

Mahaleh  L 

1  P.  Amygdalus,  Padus,  coccomilio  und  spinosa  stammten  aus  dem  hiesigen 
Botanischen  Universitätsgarten;  die  übrigen  Amygdaleen  aus  Privatgärten. 


Holz  der  Pomaceen.  579 

Betrachtet  man  den  Holzquerschnitt  einer  Amygdalee 
unter  der  Lupe,  so  sieht  man,  dass  die  Gefässe  im  Jahresring 
entweder  allmälig  an  Grösse  des  Lumens  abnehmen,  oder  dass 
die  Gefässzone  des  Frühholzes  als  ein  ziemlich  scharf  ab- 
gesetzter Ring  relativ  grosser  Poren  erscheint;  letzteres  ist  bei 
der  Mandel,  Pfirsich  und  Marille  der  Fall.  Die  mittlere  Weite 
der  Gefässe  im  Frühholze  (Mittel  aus  etwa  je  50  Messungen) 
betrug  bei  den  von  mir  untersuchten  Amygdaleen  0*044  bis 
0' 080 mm;  die  engsten  Gefässe  fand  ich  bei  Prunus  spinosa 
die  weitesten  bei  der  Mandel  und  der  Pfirsich.  Die  maximale 
Weite  einzelner  Gefässe  bewegte  sich  zwischen 006 — 012  ww. 

Da  die  mittler^  Gefassweite  bei  den  Pomaceen  0*03  bis 
0 •  05  ww  beträgt,  so  ergibt  sich,  dass  die  Amygdaleen  im 
Allgemeinen  weitere  Gefässe  besitzen  als  die  Poma- 
ceen. Auch  besitzen,  so  viel  ich  gesehen  habe,  die  Amygdaleen 
dickere  Gefässwände  als  die  Pomaceen.^ 

Während  bei  den  Pomaceen  die  Gefässe  immer  nur  einzeln 
auftreten,  findet  man  bei  den  Amygdaleen  in  der  Regel  ausser 
Einzeigefassen  auch  Zwillings-  und  Drillingsgefasse,  indem 
zwei  oder  drei  Gefässe  mit  an  der  Berührungsstelle  gemein- 
samer Wand  neben  einander  stehen.  Auch  Gruppen  von  vier 
bis  fünf  Gefassen,  die  meist  reihenförmig,  seltener  kreisförmig 
angeordnet  sind,  kann  man  fast  an  jedem  mikroskopischen 
Schnitt  beobachten.  Relativ  selten  tritt  die  Erscheinung  bei 
Amygdalus  und  Persica  auf. 

Der  Querschnitt  der  Holzgefässe  bei  den  Pomaceen  ist  in 
der  Regel  nahezu  elliptisch,  und  die  von  mir  angegebenen 
Zahlen  beziehen  sich  auf  die  Länge  der  grossen  Axe  der 
Ellipse;  die  Gefässe  der  Amygdaleen  sind  häufig  im  Quer- 
schnitt nahezu  kreisförmig  oder  unregelmässig  contourirt. 

Die  Gefässwände  aller  untersuchten  Amygdaleen  wären 
mit  behoften  Tüpfeln  und  kräftig  entwickelten,  querverlaufenden, 
ziemlich  weitläufigen  Verdickungsstreifen  versehen. 

Tracheiden  kommen  bei  den  Amygdaleen  allgemein  vor 
und  bilden  nebst  den  Gefassen  und  Markstrahlen  —  wie  bei 


^  Bei  Amygdalus  communis  fand  ich  die  Dicke  der  Gefässwand  gleich 
0-010— 1-017  ww. 

Sitzb.  d.  mathem.-Dttturw.  Gl. ;  CV,  Bd.,  Abth.  I.  38 


580  A.  Burgerstein, 

den  Pomaceen  —  die  Hauptmasse  des  Holzes.^  Das  in  ein- 
zelnen Faserzügen  vorkommende  Strangparenchym  spielt  — 
wie  dies  Strasburger*  für  Kirschholz  richtig  angibt  —  im 
histologischen  Aufbau  des  Amygdaleenholzes  nur  eine  unter- 
geordnete Rolle.  DieTracheidenwände  sind  nicht  selten  schraubig 
verdickt.  Die  Tüpfelschliesshäute  haben,  wie  E.  Strasburger* 
bei  Prunus  avium  beobachtete,  einen  deutlich  entwickelten 
Torus. 

Die  Markstrahlen  haben  verschiedene,  zum  Theil  be- 
deutende Höhen;  so  fand  ich  bei  Prunus  domestica  und  Pr. 
insiiica  1  mm  lange,  bei  Prunus  coccomüio  auch  1*4  mm  lange 
Strahlen,  während  bei  den  Pomaceen  die  Markstrahlen  kaum 
über  0*5  mm  lang  werden. 

Was  die  Höhe  der  Markstrahlzellen  betrifft,  so  berechnete 
ich  als  Grenzwerthe  für  die  Amygdaleen  O'OIS— 0*024  firi«, 
für  die  Pomaceen  0- Ol 3 — 0*02^  mm.  Um  Missverständnissen 
vorzubeugen,  bemerke  ich,  dass  nicht  etwa  das  Höhenminimum 
einer  Markstrahlzelle  oder  Markstrahl-Zellreihe  0'0\9t  mm  und 


»  Wenn  J.  Möller  in  seinen  > Beiträgen  zur  vergleichenden  Anatomie 
des  Holzes«  (Denkscbr.  der  kais.  Akad.  der  Wissensch.  in  Wien,  38.  Bd.,  1876) 
bezüglich  des  Holzes  der  Amygdaleen  (S.  405)  bemerkt:  >Die  Tracheiden  sind 
durch  die  zarte  spiralige  Verdickung  und  durch  ihre  dünnen  Membranen  mit 
Sfcbedieit  von  den  gleichCalls  behöft  getüpfelten,  aber  stark  verdickten  Libri- 
fonnfasem  zu  unterscheiden«,  so  bin  ich  nach  dieser  Definition  nicht  im  Stande, 
zu  sagen,  was  die  Faserzellen  der  Amygdaleen  und  Pomaceen  sind.  Dem 
Unterschied  von  Tracheiden  und  Li bri formfasern  nach  der  Wanddicke  kann 
ich  keinen  diagnostischen  Werth  beimessen,  da  man  sowohl  bei  Laub-,  als 
namentlich  bei  Naddhdlzern  mannigfache  Übergangsformen  der  Faserzellen 
hinsichtlich  der  Wanddicke  findet,  und  kein  bestimmtes  Maass  fiir  die  Stärke 
der  Verdickung  angegeben  werden  kann,  das  voilianden  sein  muss,  um  eine 
Prosenchymzelle  als  Tracheide  oder  als  Libriformfaser  anzusprechen.  Femer 
muss  ich  bemerken,  dass  die  spiraligen  (richtiger  schraubenförmigen)  Ver- 
dickungen ebenso  gut  bei  sehr  dickwandigen  Faserzellen  des  Holzkörpers 
vollkommen,  wie  sie  bei  dünnwandigen  Holzzellen  fehlen  können.  Ich  kann 
mich  bezüglich  der  Charakteristik  von  Tracheiden  und  Librifonnfasem  nur  der 
Definition  anscbüessen,  die  Wies ner  in  seiner  »Anatomie  und  Physiologie 
der  Pflanzen«  gibt:  Tracheiden  sind  (dünn>  oder  dickwandige)  fasedormige 
Zellen  des  Holzkörpers  mit  gefässartiger  Wandverdickung;  Li briform fasern 
sind  Faserzellen,  deren  (in  der  Regel  stark  verdickte)  Zellwand  entweder 
ungietüpüelt  ist -oder  mir  einfache,  spaltfomige  Poren  besitzt. 
«  Histologische  Beiträge,  III,  Bd.,  S.  278. 


Hole  d«r  Pomaceen.  58 1 

das  Maximum  0*024  mnt  ist,  sondern:  Bestimmt  man  bei  einer 
Holzprobe  die  Höhe  von  etwa  100  Markstrahlzellen  oder  Zeil- 
reihen am  Radialschnitte  und  rechnet  dann  das  arithmetische 
Mittel,  so  erhält  man  einen  Werth,  der  z.  B.  für  Prunus  dorne- 
stica  0-018  wf«,  für  Pr,  Amygdalus  0*019  ww,  Pr.  Padus 
0*02/0  mm,  Pr,  Armeniaca  0*021  mm,  Pr.  insUica  0*022,  Pr. 
spinosa  0-023  mm  und  für  Pr,  persica  0' 024  mm  beträgt, 
somit  bei  den  Amygdaleen  zwischen  O'OIS  und  0' 024  mm 
liegt.  Ich  zweifle  indess  nicht,  dass  man  bei  der  L^ntersuchung 
eines  grösseren  Materialcs  noch  niedrigere  und  auch  höhere 
Markstrahizellen  finden  wird. 

Nicht  selten  sind  die  Markstrahlen  kurz,  so  dass  sie  im 
Radialschnitt  fast  quadratisch  erscheinen.  Besonders  häufig  sah 
ich  dies  bei  Prunus  Armeniaca,  Mahaleh,  spinosa  und  cocco- 
ntilio. 

Eine  Eigenthümlichkeit  der  Amygdaleen-Mark- 
strahlen  besteht  darin,  dass  neben  ein-  und  drei- 
reihigen Strahlen  auch  solche  überaus  häufig  auf- 
treten, bei  denen  vier  und  mehr  Zellreihen  tangential 
neben  einander  liegen.  Während  ich  bei  den  vielen  unter- 
suchten Pomaceen-Stamm-  und  Asthölzern  nur  ein-  bis  drei- 
reihige Markstrahlen  gesehen  habe  —  mit  Ausnahme  von 
Mespilus  germanica  und  M.  grandiflora  Smith,  bei  denen 
ein-  bis  vierschichtige  Markstrahlen  auftreten,  —  erschienen 
die  Markstrahlen  der  Amygdaleen  am  Tangentialschnitt  aus 
1  —  4,  ja  bei  Prunus  domestica  und  Pr.  insiticia  aus  1  — 10  Zell- 
reihen zusammengesetzt.  Ein  solcher  Markstrahl  erscheint 
dann  in  der  Tangentialansicht  als  ein  Aggregat  vieler,  regellos 
neben-  und  übereinander  stehender  Zellen,  wie  ich  dies  im 
Wurzel  holze  mancher  Crataegus -Arien  gesehen  habe. 

Die  Unterschiede  im  histologischen  Bau  des  Holzes  bei 
Pomaceen  und  Amygdaleen  wären  demnach: 

Pomaceen.  '  Amygdaleen. 

Gefässe   einzeln   zwischen  den   '  Gefässe  einzeln,  oder  in  Gruppen 

Tracheidenfasern  verlaufend.  |  zu  2— 5  angeordnet. 

Gefässe  im  Querschnitt  eiförmig  Gefässe   im   Querschnitt   kreis- 

oder  elliptisch,  seltener  kreisförmig.  förmig,   elliptisch,   länglich   oder  un- 

;  regelmässig. 

38* 


582 


A.  Bürgerst  ein,'  Holz  der  Pomaceen. 


Mittlere  Weite  des  längsten 
Durchmessers  der  Gefässe  im  Früh- 
holze  0-03  bis  0'06mm. 

Tertiäre  Gefässverdickung  (Strei- 
fung) nicht  bei  allen  Gattungen  vor- 
handen. 

Mittlere  Höhe  der  Markstrahl- 
zellen 0  •  0 1 3— 0  •  026  mm. 

Markstrahlen  höchstens  0-5  mm 
lang  (hoch). 

Markstrahlen  ein-  bis  dreireihig 
(meist  ein-  oder  zweischichtig),  nur 
bei  Mespilus  ein-  bis  vierreihig.  Die 
Zellen  der  vierreihigen  Strahlen  im 
Fangentialschnitt  nicht  regelmässig 
n    Reihen  stehend. 


Mittlere  Gefassweite  (längster 
Durchmesser)  im  Frühholze  0-04  bis 
0-08  mm. 

Tertiäre  Gefässstreifung  bei  allen 
(untersuchten)  Arten  stark  entwickelt 

Mittlere  Höhe  der  Markstrahl- 
zellen 0-018— 0*024  i«»f. 

Markstrahlen  bis  X'Amm  hoch. 

Markstrahlen  ein-  bis  zehnreihig 
(meist  ein-  bis  vierschichtig);  Zellen 
der  mehr  als  dreireihigen  Strahlen  id 
Tangentialschnitt  nicht  reihenweise 
geordnet. 


Es  ergibt  sich  somit,  dass  im  Holzbau  zwischen  den 
Amygdaleen  und  Pomaceen  mehrfach  graduelle,  aber  keine 
absoluten  oder  wesentlichen  Unterschiede  bestehen. 


583 


Vorläufiger  Berieht  über  die  zoologischen  Ar- 
beiten im  nördlichen  Theile  des  Rothen  Meeres 
während  der  Expedition  Sr.  Majestät  Schiff 
„Pola"  in  den  Jahren  1895—1896 

(October  1895  bis  Ende  April  1896) 

von 

Dr.  F.  Steindachner. 

w.  M.  k.  Akad. 

Da  während  der  Expedition  Sr.  Majestät  Schiff  »Pola« 
nach  dem  rothen  Meere  dem  Programme  gemäss  das  Haupt- 
gewicht auf  relative  Schwerebestimmungen,  erdmagnetische 
Messungen,  astronomische  Ortsbestimmungen  und  geodätische 
Aufnahmen  gelegt  werden  musste,  die  einen  längeren  Auf- 
enthalt an  zahlreichen  Küstenpunkten  bedingten,  konnte  für 
die  zoologischen  Tiefsee-Forschungen  verhältnissmässig  nur 
wenig  Zeit  erübrigt  werden,  und  es  fanden  daher  die  Dred- 
schungen  mit  wenig  Ausnahmen  nur  während  der  Seefahrt 
von  einer  Küstenstation  zur  anderen  statt,  so  weit  es  die  leider 
nicht  immer  günstigen  Witterungsverhältnisse  gestatteten. 
Hinderlich  traten  ferner  den  Tiefseedredschungen  im  rothen 
Meere  die  längs  des  mittleren  Breitendrittels  versenkten  Kabel 
entgegen,  so  dass  überhaupt  in  den  tiefsten  Theilen  dieses 
Meeres,  die  wegen  der  sandig-schlammigen  Bodenbeschaffen- 
heit die  reichste  zoologische  Ausbeute  zweifellos  geliefert  hätte, 
nur  einmal  gedredscht  werden  konnte. 

Die  Zahl  der  ausgeführten  Tiefseedredschungen  blieb 
daher  weit  hinter  den  Erwartungen  des  Berichterstatters 
zurück,   dagegen    konnte   während  der  Kreuzungsfahrten  im 


584  F.  Steindachner, 

rothen  Meere  fast  tagtäglich  zweimal  (vor  Sonnenaufgang  und 
nach  Sonnenuntergang)  pelagisch  gefischt  werden,  da  nur  in 
seltenen  Fällen  ein  zu  hoher  Seegang  auch  diese  Fischerei 
unmöglich  machte.  Das  während  der  Expedition  gewonnene 
pelagische  Material  kann  als  sehr  reichhaltig  und  wissen- 
schaftlich werthvoll  bezeichnet  werden. 

Der  mehr  minder  lange  Aufenthalt  in  Suez  (49  Tage),  Tor 
(4V2  Tage),  Koseir  (6  Tage),  Jembo  (5Vj,  Tage)  und  Djedda 
(23  Tage),  in  den  Buchten  Abu  Zenima,  Abu  Somer,  Mersa 
Dhiba,  Shcrm  Sheich  (an  der  ägyptischen  Küste),  Berenice, 
Mersa  Halaib,  Sherm  Rabek,  Sherm  Habbam,  Sherm  Sheich 
(in  der  Jubal  Strasse),  ferner  in  Dahab,  Nawibi,  Akabah,  Bir-al 
Mashiya,  Sherm  Mujawan  im  Golfe  von  Akabah,  sowie  auf  den 
Inseln  Shadwan,  Senafir,  Noman,  Hassani,  the  Brothers  und 
St.  John  wurde  von  mir  und  Herrn  Custosadjuncten  Fritz 
Siebenrock  zu  zahlreichen  wissenschaftlichen  Excursionen 
längs  der  Küste,  auf  die  Korallenriffe  theilweise  auch  in  das 
Innere  der  Küstenstriche,  zu  Fischereien  mit  der  grossen  Tratta, 
dem  kleinen  Schleppnetze  und  mit  Fischkörben  benützt,  die 
ein  überaus  reiches,  zoologisches  Material  lieferten.  Die  grdsste 
Ausbeute  an  Korallen,  die  sich  an  den  sämmtlichen  während 
der  Expedition  von  uns  berührten  Localitäten  mit  Ausnahme 
von  Suez  und  dessen  nächster  Umgebung  vorfanden,  lieferten 
die  enorm  ausgedehnten  Korallenriffe  bei  Djedda,  die  an  zehn 
Tagen  auf  einem  Sambuk  mit  arabischen  Tauchern  genauer 
erforscht  wurden,  ferner  die  Riffe  bei  Sherm  Sheich  (Ägypten^ 
in  der  Bucht  von  Berenice  und  Mersa  Halaib,  endlich  bei  Dahab 
und  Nawibi  im  Golf  von  Akabah,  dessen  Küsten  ihrer  ganzen 
Ausdehnung  nach  in  Folge  der  mächtig  entwickelten  Korallen- 
riffe für  die  Schifffahrt  sehr  gefährlich  sind  und  die  Einfahrt  in 
manche  tiefe  Bucht  grösseren  Schiffen  gänzlich  unmöglich 
machen. 

Hunderte  von  lebenden  und  abgestorbenen  Korallen- 
stöcken wurden  zerschlagen,  um  die  in  ihnen  sich  verbergenden 
meist  kleinen  Fischarten,  Krebse,  Mollusken,  Anneliden,  See- 
sterne etc.  zu  gewinnen,  von  denen  ein  nicht  unbedeutender 
Theil  für  die  Wissenschaft  neu  oder  doch  äusserst  werthvoll 
sein  dürfte. 


Expedition  S.  M.  Schiff  »Pola«.  585 

Was  die  Sammlung  von  Strandfischen  anbelangt,  die 
theilvveise  angekauft,  theilweise  mit  einer  grossen  Tratta,  mit 
einem  Stehnetz  gefischt,  sowie  von  Bord  des  Expeditions- 
schififes  aus  mit  der  Angel  gefangen  wurden,  so  gehört  diese 
wohl  zu  den  bedeutendsten,  die  bisher  in  der  nördlichen  Hälfte 
des  rothen  Meeres  angelegt  wurde;  sie  enthält  nebst  vielen 
seltenen  Arten  mindestens  noch  ein  Dutzend  Arten,  die  bisher 
nicht  aus  dem  rothen  Meere  bekannt  sind  und  grösstentheils 
mit  der  Tratta  gefangen  wurden.  Die  Tratta-Züge  selbst 
wurden  mit  besonderer  Umsicht  und  Sachkenntniss  von  dem 
Commandanten,  Herrn  Linienschiffscapitän  Paul  Edlen  v.  Pott 
geleitet,  der  überhaupt  auf  jede  Weise  bemüht  war,  die  zoolo- 
gischen Arbeiten  während  unseres  Aufenthaltes  an  den  Anker- 
plätzen zu  fördern,  mich  öfters  auf  den  Strandexcursionen 
begleitete  und  das  von  ihm  selbst  gesammelte  Material  mir 
zur  beliebigen  Auswahl  zur  Verfügung  stellte. 

Herr  Schiffslieutenant  Cäsar  Arbesser  Ritter  v.  Rast- 
burg überliess  mir  seine  gesammte  ornithologische  Ausbeute, 
hauptsächlich  aus  Möven  bestehend,  und  Herr  Schiffslieutenant 
Anton  Edler  v.  Triulzi  den  grössten  Theil  derselben. 

Von  Reptilien  konnten  ob  der  geringen  Zahl  von  Excur- 
sionen  in  das  Innere  des  Landes  nur  eine  verhältnissmässig 
kleine,  aber  werthvolle  Sammlung  angelegt  werden,  die  durch 
einige  interessante  Funde  von  Seite  des  Herrn  v.  Arbesser 
und  des  Herrn  Schiff'sfähnrich  R  ö  s  s  1  e  r  vermehrt  wurde. 
Von  Beduinen  erhielt  ich  durch  Kauf  mehrere,  schöne, 
lebende  Exemplare  von  Uromastix  ocellatus  und  Uromastix 
spinipes  aus  der  Sinai-Halbinsel  bei  Sherm  Sheich,  Dahab 
und  Tor. 

Herr  Schiffslieutenant  Koss  unterstützte  mich  ferner 
wesentlich  durch  seine  ausgezeichneten  Kenntnisse  in  den 
orientalischen  Sprachen  bei  fast  sämmtlichen  Verhandlungen 
mit  den  Eingebornen,  und  ihm  verdanke  ich  viele  vortheilhafte 
Ankäufe  seltener  Objecte.  Sehr  bizarre  Orthopteren-Formen 
wurden  hauptsächlich  auf  Noman-Insel  und  in  der  Umgebung 
von  Nawibi  (an  der  Westküste  des  Golfes  von  Akabah)  er- 
beutet, Scorpione  fingen  wir  in  Unzahl  hauptsächlich  bei 
Mersa  Halaib  an  der  ägyptischen  Küste,  sowie  auf  der  Insel 


586  F.  Steindachner, 

Hassani  und  zwei  sehr  gut  erhaltene  Dugong-Schädel  fanden 
wir  an  der  Küste  des  Golfes  von  Akabah  bei  Dahab. 

Schnecken  und  Muscheln  fanden  sich  an  manchen  Strand- 
gebieten in  enormer  Individuenzahl  vor,  die  Zahl  der  Arten  aber 
war  stets  auffallend  gering;  am  ergiebigsten  waren  in  letzterer 
Beziehung  die  Uferstellen  •  bei  Koseir  und  die  Untiefen  bei 
Djedda,  ferner  Ras  Abu  Somer  und  der  südliche  Theil  der 
Noman-Insel  im  rothen  Meere,  endlich  Dahab  im  Golfe  von 
Akabah. 


Expedition  S.  M.  Schiff  »PoU«. 


587 


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F.  Steindachner, 


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Ausbeute  gering. 

Ausbeute     ziemlich 
reich. 

Nur  kurze  Zeit  wegen 
hohen      Seeganges 
gefischt,     Ausbeute 
gering. 

Ausbeute  gering,  meist 
Kieselschwämme. 

Ausbeute    sehr    reich 
an  Individuen,  arm 
an  Arten. 

Ausbeute  gering. 

Ausbeute  sehr  reich  an 
Individuen  u.  Arten. 

Wegen  bewegter  See 
nur  sehr  kurze  Zeit 
geschifft,   Ausbeute 

Grundprobe 

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Nördliche 
Breite 

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26  22 
26     7 

26     8 
26  26 

26  28 
26  56 
28  50 

Geographis 

Östliche 
Länge 

36**45' 

35  58 
35  32 

35  27 
35 

34  27 
34  35 
32  55 

Tiefe  in 
Metern 

00 

Pelagisches 
Fischen 

Nr. 

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Dredschung 

Nr. 

CO 
CM 

Datum 

8./1.  1896 

Abends 

V2-V48Uhr 

lO./l.  1896 
Morgens 

13./1.  1896 

13./1.  1896 

13./1.  1896 
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rgtrsUin  A.^    ^Veite^e  Untersuchungen  über  den  histologischen 
au  des    Holzes   der  Pomaceen,  nebst  Bemerkungen  über 
das  Holz   der  Amygdaleen.  [Preis:  30  kr.  =  60  P%.]  .   .    . 
SUmdachner    2^\,     Vorläufiger  Bericht  über  die  zoologischen  Ar- 
beiten   im    nördlichen  Theile  des  Rothen  Meeres  während 
der  ExpeaUion    Sr.  Majestfit  Schiff  »Pola«  in  den  Jahren 

1895 1806.    (October  1895  bis  Ende  April  1896.)  [Preis: 

20  kr.  ==   40  Pfg.]      


Seite 


552 


583 


Preis  des  gTÄXizen  Heftes:  2  fl.  75  kr.  =  5  Mk.  50  Pfg. 


Die  Sitzungsberichte  der  mathem.-naturw.  Clfl 
erscheinen  vom  Jahre  1888  (Band  XCVII)  an  in  folgenden 
gesonderten    Abtheilungen,  ^  welche    auch    einzeln    bezog 
werden  können: 

Abtheilung  I.  Enthält  die  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete 

Mineralogie,  Krystallographie,  Botanik,  Physiö??! 
logie  der  Pflanzen,  Zoologie,  Paläontologie,  Gec 
logie.  Physischen   Geographie  und  Reisen. 

Abtheilung  II.  a.  Die  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  derl 
Mathematik,  Astronomie,  Physik,  Meteorologie-, 
und  Mechanik. 

Abtheilung  II.  b.  Die  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  deir^-; 
Chemie. 

Abtheilung  III.  Die  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 
Anatomie  und  Physiologie  des  Menschen  und  der 
Thiere,  sowie  aus  jenem  der  theoretischen  Medicin: 

Dem  Berichte  über  jede  Sitzung  geht  eine  Übersicht  aller 
in  derselben  vorgelegten  Manuscripte  voran. 

Von  jenen  in  den  Sitzungsberichten  enthaltenen  Abband* 
lungen,  zu  derenTitel  im  Inhaltsverzeichniss  ein  Preis  beigesetzt 
ist,  kommen  Separatabdrücke  in  den  Buchhandel  und  können 
durch  die  akademische  Buchhandlung  Carl  Gerold's  Sohn 
(Wien,  1.,  Barbaragasse  2)  zu  dem  angegebenen  Preise  bezöge» 
werden. 

Die  dem  Gebiete  der  Chemie  und  verwandter  Theile  anderer 
Wissenschaften  angehörigen  Abhandlungen  werden  auch  in. 
besonderen  Heften  unter  dem  Titel:  »Monatshefte  fürChemie" 
und  verwandte  Theile  anderer  Wissenschaften«  heraus- 
gegeben. Der  Pränumerationspreis  für  einen  Jahrgang  dieser 
Monatshefte  beträgt  5  fl.  oder  10  Mark. 

Der  akademische  Anzeiger,  welcher  nur  Original-Auszüge 
oder,  wo  diese  fehlen,  die  Titel  der  vorgelegten  Abhandlungen. 
enthält,  wird,  wie  bisher,  acht  Tage  nach  jeder  Sitzung  aus- 
gegeben. Der  Preis  des  Jahrganges  ist  1  tl.  50  kr.  oder  3  Mark» 


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SITZUNGSBERICHTE 

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EMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


.'ÄATHEMATISCH-NATÜRWISSENSCHAFTLICHECLASSE. 


CV.  BAND.   VIII.  BIS  X.  HEFT. 
JÄHRQANG  1896.  —  OCTOBER  bis  DECEMBER. 

ABTHEILUNG  I. 

EITTHÄI^T   DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  MINERALOGIE, 

KRYSTALLOGRAPHIE,  BOTANIK,  PHYSIOLOGIE  DER  PFLANZEN,  ZOOLOGIE, 

PALÄONTOLOGIE,  GEOLOGIE,  PHYSISCHEN  GEOGRAPHIE  UND  REISEN. 


(MlT'9  TAFELN.) 


WIEN,  1896. 

AUS  DER    KAISERLICH-KÖNIGLICHEN  HOF-  UND  STAATSDRUCKEREL 
IN  COMMISSION  BEI  CARL  GEROLD'S  SOHN, 

BUCHHÄNDLER  DER  KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


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INHALT 

des  8.  bis  10.  Heftes  October  bis  December  1896   dos    CV.    Bandes, 
Abtheilung  I  der  Sitzungsberichte  der  mathem.-naturw.  Classe. 

Seilt 

XIX.  Sitzung  vom  8.  October  1896:  Übersicht 601 

Sioklasa  J.y  Über  die  Verbreitung  und  physiologische  Bedeutung^ 

des  Lecithins  in  der  Pflanze.  [Preis :  30  kr.  =  60  Pfg-l  .   .     .  604 

Molisch  //.,  Die  Ernährung  der  Algen.  (Süsswasseralgen,  FI.  Ab- 
handlung.) [Preis:  20  kr.  =  40  Pfg.]      633 

XX.  Sitzung  vom  15.  October  1896:  Übersicht 649 

XXI.  Sitzung  vom  22.  October  1896:  Übersicht 650 

Fintner  Th.,  Studien  über  Tetrarhynchen  nebst  Beobachtungen  an 
anderen   Bandwürmern.  (II.  Mittheilung.)     (Mit   4    Tafeln.) 

[Preis:  90  kr.  =  1  Mk.  80  Pfg.] 652 

Klapälek  Fr.,  Über  die  Geschlechtstheile  der  Plecopteren,  mit  be- 
sonderer Rücksicht  auf  die  Morphologie  der  Genitalanhänge. 

(Mit  5  Tafeln.)  [Preis:   1  fl.  40  kr.  =  2  Mk.  80  Pfg.]     ...  683 

XXII.  Sitzung  vom  5.  November  1896:  Übersicht     ...  .    .  741 

XXIII.  Sitzung  vom  1 2.  November  1 896 :  Übersicht  .     .     ,  .    .  743 

XXIV.  Sitzung  vom  19.  November  1896:  Übersicht       .     .  744 
XXV.  Sitzung  vom  3.  December  1896:  Übersicht       .     .  74; 

XXVI.  Sitzung  vom  10.  December  1896:  Übersicht  .  749 

XXVII.  Sitzung  vom  17.  December  1896:  Übersicht  .  750 

Preis  des  ganzen  Heftes:  2  fl.  50  k.p^  =  5  Mk 


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SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CV.  BAND.  VIII.  HEFT. 


ABTHEILUNG  1. 

ENTHÄLT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  MINERALOGIE. 

KRYSTALLOGRAPHIE,  BOTANIK.  PHYSIOLOGIE  DER  PFLANZEN,  ZOOLOGIE, 

PALÄONTOLOGIE,  GEOLOGIE,  PHYSISCHEN  GEOGRAPHIE  UND  REISEN. 


40 


601 


XIX.  SITZUNG  VOM  8.  OCTOBER  1896. 


Erschienen  sind  im  Laufe  der  akademischen  Ferien : 

Sitzungsberichte,  Bd.  105  (1896),  Abth.  I,  Heft  III  und  IV  (März  und  April); 

Abth.  II.  a,  Heft  V  und  VI  (Mai  und  Juni);  Abth.  II.  b,  Heft  V— VII  (Mai 

bis  Juli)  und  Abth.  III,  Heft  I— V  (Jänner  bis  Mai). 
Monatshefte  für  Chemie,  Bd.  17  (1896),  Heft  V— VII  (Mai  bis  Juli)  und 

Heft  VIII  (August). 
Denkschriften,  Bd. 63  (1896)  und  die  Collectiv- Ausgabe:  Tiefseeberichte 

(V.  Reihe);  ferner  der 
Akademische  Almanach,  46.  Jahrgang  (1896). 

Der  Vorsitzende,  Herr  Vicepräsident  Prof.  E.  Suess, 
begrüsst  die  Classe  bei  Wiederaufnahme  der  Sitzungen  nach 
den  akademischen  Ferien  und  heisst  das  neueingetretene  Mit- 
glied Herrn  Prof.  Franz  Exner  herzlich  willkommen. 

Hierauf  gedenkt  der  Vorsitzende  der  Verluste,  welche  die 
kaiserl.  Akademie  und  speciell  diese  Classe  seit  der  letzten 
Sitzung  durch  das  Ableben  zweier  ausländischer  correspon- 
dirender  Mitglieder  erlitten  hat,  und  zwar  am  9.  Juli  1.  J.  durch 
den  Tod  des  Geheimen  Bergrathes  Prof.  Dr.  Heinrich  Ernst 
Beyrich  in  Berlin  und  am  13.  Juli  1.  J.  durch  den  Tod  Jdes 
Herrn  Prof.  Dr.  August  Kekule  in  Bonn. 

Die  anwesenden  Mitglieder  geben  ihrem  Beileide  an  diesen 
Verlusten  durch  Erheben  von  den  Sitzen  Ausdruck. 

Der  Secretär  verliest  den  h.  Curatorial  -  Erlass  vom 
20.  August  1896,  Nr.  110,  in  welchem  mitgetheilt  wird,   dass 

40* 


602 

Se.  k.  und  k.  Hoheit  der  durchlauchtigste  Herr  Erzherzog 
Rainer  als  Curator  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissen- 
schaften die  von  derselben  in  ihrer  a.  o.  Gesammtsitzung  vom 
1.  Juni  d.  J.  beschlossenen  Änderungen  der  §§.  46,  64,  66,  67 
und  71  ihrer  Geschäftsordnung  mit  höchster  EntSchliessung 
vom  14.  August  d.  J.  genehmigend  zur  Kenntniss  genommen 
habe.  I 

Für  die  diesjährigen  Wahlen  sprechen  ihren  Dank  aus: 
die  Herren  Professoren  Zd.  H.  Skraup  in  Graz  und  F.  Exner 
in  Wien  für  ihre  Wahl  zu  wirklichen  Mitgliedern  und  Herr 
Prof.  J.  Pernter  in  Innsbruck  für  seine  Wahl  zum  inländischen 
correspondirenden  Mitgliede  dieser  Classe. 

Das  c.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  E.  Ludwig  übersendet  eine 
Arbeit  des  Herrn  Rudolf  Ziegelbauer  in  Graz:  Ȇber  das 
Ortho-Phenylenbiguanid«. 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  R.  v.  Wettstein  übersendet  eine 
Abhandlung,  betitelt:  »Die  europäischen  Arten  der 
Gattung  Gentiana  aus  der  Section  Endotricha  Froel.  und 
ihr  entwicklungsgeschichtlicher  Zusammenhang.« 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  Hans  Molisch  übersendet  eine 
Arbeit  unter  dem  Titel:  »Die  Ernährung  der  Algen« 
(Süsswasseralgen,  II.  Abhandlung). 

Der  Secretär  legt  folgende  eingesendete  Abhandlungen 
vor: 

1.  Ȇber  eine  neue  Folgerung  aus  der  MaxwelTschen 
Theorie  der  elektrischen  Erscheinungen«,  von  Dr. 
Anton  Seh  eye  in  Berlin. 

2.  »Über  regelmässige  und  unregelmässige  Körper«, 
von  Herrn  H.  Friedrich,  Ingenieur  in  Pilsen. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Friedrich  Brauer  legt  eine  genaue 
Beschreibung  mehrerer  exotischer  Oestriden-Larven  vor,  welche 
Herr  Oskar  Neumann  in  Afrika  gefunden  hat. 


603 

Selbständige  Werke  oder  neue,  der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

La  Prince  Albert  P*",  Prince  de  Monaco,  Resultats  des 
Campagnes  Scientifiques  accomplie  surSon  Yacht  »Hiron- 
delle*.  Publies  sous  la  direction  avec  le  concours  de 
M.  Jules  Richard,  Charge  des  Travaux  zoologiques  ä 
bord.  Fascicule  X.  Poissons  provenant  des  campagnes 
1885  —  1888  par  R.  Collett.  (Avec  6  planches.)  Monaco, 
1896;  Folio. 

Sevetinsky  J.,  Dejiny  Lesü  v  Cechach.  V  Pisku,  1895;  8®. 


604 


Über  die  Verbreitung  und  physiologische 
Bedeutung  des  Lecithins  in  der  Pflanze 

von 
Dr.  Julius  Stoklasa. 

Aus  dem  chemisch-analytischen  Laboratorium  der  k.  k.  böhmischen  technischen 
Hochschule  zu  Prag.* 

(Vorgelegt  in  der  Sitzung  am  2.  Juli  1896.) 

Zu  den  wichtigsten  und  bedeutsamsten  Vitalprocessen  im 
Pflanzenorganismus  gehört  die  Assimilation  der  Phosphorsäure 
und  ihre  combinirte  Metamorphose  im  Chemismus  der  Zelle. 

Auf  Grund  eigener  Wahrnehmungen  gelangte  ich  zu  der 
Anschauung,  dass  die  Phosphorsäure  in  den  Pflanzen  haupt- 
sächlich in  organischen  Formen  auftritt.  Und  zu  diesen 
organischen  Verbindungen,  welche  Phosphorsäure  enthalten, 
gehört  in  erster  Reihe  neben  Nucleinen  und  Nucleoalbuminen 
das  Lecithin. 

Aus  diesen,  auf  längeren  Beobachtungen  basirenden 
Studien,  die  ich  der  Öffentlichkeit  hiemit  übergebe,  ist  zu  er- 
sehen, dass  dem  Lecithin  im  Assimilations-  und  Dissimilations- 
processe  eine  wichtige  Rolle  zugedacht  ist. 

I. 
Die  Verbreitung  des  Lecithins  in  den  Pflanzen. 

Zur  richtigen  Erkenntniss  des  sich  vollziehenden  Stoff- 
wechsels und  des  hieran  betheiligten  Lecithins  erscheint  unum- 
gänglich die  Kenntniss  seiner  Verbreitung  in  den  verschiedenen 
Pflanzenorganen  erforderlich.  Die  betreffs  sämmtlicher  Haupt- 
bestandtheile    der    Pflanze    gewonnenen    analytischen   Daten 


1  Unter  Mitwirkung  von  ehem.  stud.  Herrn  Emil  Butta,  Fr.  Hanus  und 
Fr.  Uher. 


Das  Lecithin  in  der  Pflanze.      ^  605 

geben  Anhaltspunkte  über  die  bisher  ungekannte  physio- 
logische Bedeutung,  welche  dem  Lecithin  im  Organismus  der 
Pflanze  zukommt. 

Gang  der  Analyse. 

Die  Versuchspflanzen  wurden  in  Böhmen,  und  zwar  theils 
in  Pobof,  theils  in  Rusin  und  Königliche  Weinberge  cultivirt, 
die  Keimpflänzchen  im  Laboratorium  der  böhmischen  tech- 
nischen Hochschule  aus  Sandculturen  gewonnen. 

Das  Versuchsmateriale  wurde  sorgfältigst  in  eine  feine 
Form  gebracht,  bei  50**  C.  getrocknet  und  das  Lecithin  sodann 
in  folgender  Weise  bestimmt: 

Eine  abgewogene  Menge  von  10 — 18^  wurde  in  (zuvor 
mit  Äther  extrahirten) ^  SchilTsche  Papierhülsen  gebracht  und 
bis  40  Stunden  lang  mit  wasserfreiem  Äther  extrahirt.  Besonders 
die  Blätter  hatten  mitunter  eine  bis  60  Stunden  währende  Ex- 
traction  nothwendig.  Die  Trockensubstanz  wurde  sodann  in 
einen  2/  fassenden  Erlenmeyefschen  Kolben  mit  Rückfluss- 
kühler gebracht  und  auf  dem  Wasserbade  mit  absolutem 
Alkohol  immer  wenigstens  40  Minuten  lang  extrahirt.  —  Das 
Extract  wurde  filtrirt  und  die  Substanz  mit  dem  Filter  neuer- 
dings 40  Minuten  lang  in  absolutem  Alkohol  gekocht.  Diese 
Procedur  erfuhr  eine  5 — Zmalige  Wiederholung.  Die  klaren 
Extracte  wurden  auf  einer  Platinschale  bis  zum  Trockenwerden 
eingedampft  und  nach  Zusatz  von  Na^COg  und  NaNOg  ver- 
brannt. —  Die  verkohlte  Substanz  wurde  in  ein  Gefäss 
geschüttet  und  in  mit  HNOg  gesäuertem  Wasser  gekocht.  Im 
reinen  Filtrat  erfolgte  die  Bestimmung  von  PgO^  mittelst  der 
Molybdän-Methode,  die  Berechnung  des  Lecithins  aus  dem 
abgewogenen  MggPgO^  nach  der  Methode  Hoppe  —  Seyler's, 
Schulze's  und  seiner  Schüler,  die  Bestimmung  von  Gesammt- 
PgOj  in  der  sonst  üblichen  Weise. 

Schreiten  wir  vorerst  zur  Untersuchung  der  Vegetation 
von  der  Keimperiode  bis  zur  vollständigen  Entwicklung  und 
verfolgen  wir  die  Verwandlungen,  welche  mit  dem  Lecithin  im 
Stoffwechsel  vor  sich  gehen. 


1  Auch  die  zum  Verstopfen  dienende  Baumwolle  wurde  mit  absolutem 
Äther  extrahirt. 


606  J.  Stoklasa, 

A,  Beta  vulgaris. 

Sorgfältig  ausgeschälte  Samenkörner  wiegen  durchschnitt- 
lich: 

100  Stück 0-392^ 

PgOg  in  der  Trockensubstanz  ....  1  '4370 

Lecithin 0-457o 

100  Samenkörner  bargen  sonach 0*0056^  PgO^. 

Im  Samen  sind  an  Gesammt-Phosphorsäure  2'72^/q  P^O^ 
in  Form  von  Lecithin  enthalten. 

Erste  Periode.  Keimlinge  nach  fünftägiger  Entwicklung 
aus  nährstofflosen  Sandculturen: 

100  Pflänzchen  wogen  in  der  Trockensubstanz 0*  175^ 

Lecithin 5-227o 

Gesammt-PgOs 2-937o 

100  Keimlinge  enthalten  in  der  Trockensubstanz: 

PA 0-0051^ 

Lecithin 0-0091^. 

Der  ganze  Keimling  enthält  sonach  von  Gesammt-Phosphor- 
säure 167o  ^2^h  '"  Form  von  Lecithin. 

Zweite  Periode.  30  Tage  alte  Keimpflänzchen  aus  Sand- 
culturen bei  Vorhandensein  sämmtlicher  Nährstoffe: 

Die  Blätter  und  Blattstiele  von  100  Pflänzchen  wogen 

in  der  Trockensubstanz 8*80^ 

die  Wurzeln 1  •  49  ^. 

In  der  Trockensubstanz  enthalten  die  Blätter  und  Blatt- 
stiele: 

Gesammt-PgOg 1  -4370 

Lecithin   l'467o, 


die  Wurzeln: 


Gesammt-PgOs  . 1  -4970 

Lecithin   0-7827o 


Das  Lecithin  in  der  Pflanze.  607 

Es  enthalten  somit  die  Blätter  und  Blattstiele: 

P2O5 0-125^ 

Lecithin 0-128^, 

die  Wurzeln: 

PA 0-022^ 

Lecithin O'Oll^. 

Die  Blätter  und  Blattstiele  bargen  an  Gesammt-Phos- 

phorsäure  in  Form  von  Lecithin 97o» 

die  Wurzeln   4-67o. 

Es  enthalten  somit  die  Blätter  zweimal  so  viel 
Phosphorsäure  in  Form  von  Lecithin,  als  die  Wurzeln. 

Dritte  Periode.  Rübe  nach  60  Vegetationstagen. 

Die  Pflanzen  gediehen  auf  dem  Felde  bei  Einwirkung  von 
N,  K2O  und  P2O5,  und  zwar  pro  Ar  durchschnittlich: 

0-5  lig   P2O5, 
0-35       N, 
0-50       K2O. 

Pro  Pflanze  betrug  das  Durchschnittsgewicht: 

der  Blätter  und  Blattstiele 225-4^ 

der  Wurzel 98-3^. 

Das  Gewicht  der  Blätter  und  Blattstiele  in  der  Trocken- 
substanz betrug 28*30^ 

das  Gewicht  der  Wurzel  in  der  Trockensubstanz  betrug    8  •  20  ^. 

In  der  Trockensubstanz  enthielten  die  Blätter  und  Blatt- 
stiele: 

Lecithin 0-947o 

Gesammt-P^Oj 1  '3270, 

die  Wurzel: 

Lecithin 0-447o 

Gesammt-PgO^ 1  •  167(^. 

Eine  Pflanze  enthielt,  und  zwar  die  Blätter  und  Blattstiele: 

P2O5  0-373^ 

Lecithin 0-266^, 


608  J.  Stoklasa, 

die  Wurzel: 

P2O5 0-0951^ 

Lecithin 0-036^. 

Durch  physiologische  Processe  wurden  6 •  37o  <^^^  Gesammt- 
Phosphorsäure  in  den  Blättern  und  Blattstielen  in  Lecithin  ver- 
wandelt. 

Vierte  Periode.  Rübe  nach  110  Vegetationstagen  von 
Parcellen  bei  Vorhandensein   sämmtlicher  Pflanzennährstoffe. 

Durchschnittsgewicht  einer  Pflanze: 

Reine  Blattsubstanz 166-4^ 

Nervatur  und  Blattstiele 220-8^ 

Wurzel 616-2^. 

Gewicht  der  Trockensubstanz: 

Reine  Blattsubstanz 26-2^ 

Nervatur  und  Blattstiele 21-3^ 

Wurzel 115-4^. 

Die  Trockensubstanz  enthielt,  und  zwar  die  Blattsubstanz: 

Gesammt-PgOs 0-827o 

Lecithin l'027o, 

die  Nervatur  und  die  Blattstiele: 

Gesammt-PgOg 0-687o 

Lecithin 0-777o, 

die  Wurzel: 

Gesammt-PgOg 0-627o 

Lecithin 0-367o. 

In  der  reinen  Blattsubstanz  sind  10*97o  <ier  Gesammt- 
phosphorsäure  in  Form  von  Lecithin  verwandelt. 

In  der  Wurzel  wurden  bloss  57o  Phosphorsäure  in  Form 
von  Lecithin  —  im  Vergleiche  zur  Blattsubstanz  daher  die 
Hälfte  —  vorgefunden. 


Das  Lecithin  in  der  Pflanze.  609 

Die  Cultur  der  Zuckerrübe  im  Sande  bei  Abgang  von  FgOg. 

Der  Sand  wurde  in  einer  Mischung  von  Salpeter-  und  Salz- 
säure gründlich  ausgekocht  und  hierauf  mit  Wasser  durch- 
gewaschen. 

Er  enthielt  keine  Spur  von  nachweisbarer  Phosphorsäure. 

Die  Nährstofiflösung  war  gleichfalls  frei  von  nachweisbaren 
Phosphaten  und  enthielt  in  1000  ^fw*: 

KNO3 0-25^ 

CaS04 0-25 

MgSO^ 0-24 

Ca(N03)2 0-25    ' 

KCl 0-25 

NaCl 0-1 

Eisensilicat 0*25     (beigemischt) 

FeSO^ 003 

Entwickelte  Knäulchen  wurden  am  20.  Mai  gepflanzt,  und 
die  Pflanzen  zeigten  schon  im  ersten  Entwicklungsstadium  ver- 
kümmerten Wuchs  und  grüngelbe  Färbung  der  Blätter,  welche 
im  Monate  Juli  in  vollständiges  Gelb  überging.  Im  Juli  gingen 
die  meisten  Pflanzen  ein,  bei  einem  Durchschnittsgewichte  pro 
Pflanze  in  der  Trockensubstanz: 

Gewicht  der  Blätter  und  Blattstiele 0-062^ 

Gewicht  der  Wurzel 0*031  g. 

Die  Trockensubstanz  barg,  und  zwar  die  Blätter  und  Blatt- 
stiele: 

Gesammt-PgOg 0-337o 

Lecithin 0-457o, 

die  Wurzeln:^ 

Gesammt-PgOs 0* 267^ 

Lecithin 0-1027o. 


1  Die  geringen  Verluste  an  feinen  Würzelchen,  welche  bei  der  gewissen- 
haftesten Operation  unvermeidlich  sind,  fallen  nicht  in  die  Wagschale. 


610  J.  Stoklasa, 

So  bieten  uns  bei  100  Pflanzen: 

die  Blätter  und  Blattstiele 0-02^  PgO^ 

die  Wurzeln 0-0078^  P^O^ 

im  Ganzen  daher 0-0278^  Gesammt-PgO. . 

100  Samen  enthalten  0*0056^  ^2^5»  ^^  befanden  sich 
somit  nur  0*0022^  PgOg  in  den  Nährstoff lösungen,  welche 
durch  die  sehr  entwickelte  eklektive  Thätigkeit  der  Pflanzen 
für  die  nöthigen  Vitalprocesse  assimilirt  wurden.  Der  Versuch 
kann  daher  als  entschieden  gelungen  bezeichnet  werden. 

In  den  Blättern  und  Blattstielen  wurden  ll-87o<derGe- 
sammt-Phosphorsäurg  in  Form  von  Lecithin  vorgefunden,  daher 
dasselbe  Verhältniss  wie  bei  Pflanzen  normaler  Vegetation. 

Die  Elimination  der  Phosphorsäure  aus  dem  Nährstofi"- 
medium  war  zwar  von  einem  vollständigen  Nichterfolge  in  der 
Schaffung  lebendiger  Pflanzensubstanz  begleitet,  allein  behufs 
nothwendiger  Neubildung  von  Molekülen  wurden,  soweit  das 
geringe  Phosphorsäurequantum  aus  dem  Samen  eben  hin- 
reichte, dennoch  wie  bei  normalen  Pflanzen  circa  lO^o  ^2^5  ^^ 
Form  von  Lecithin  verwandelt.  Es  wurde  daher  im  Vital- 
processe selbst  diese  geringe  Menge  von  Phosphorsäure  — 
ebenso  wie  bei  Überfluss  an  Nährstoffen  —  zur  Assimilations- 
thätigkeit  verwendet. 

Untersuchung  der  Pflanzen  zu  Ende  der  Vegetationsthätigkeit. 

Die  äussersten  Blätter  werden  bei  anhaltender  Dürre  häufig 
gelb,  während  die  innere  Gruppe  derselben  grün  bleibt. 

Ich  sammelte  im  Jahre  1895  Anfang  August  (am  8.  August 
1895  um  2  Uhr  Nachmittags)  gelbliche  Blätter  normaler  Vege- 
tation und  bestimmte  in  den  grünen,  wie  auch  in  den  chloro- 
phyllosen  gelben  Blättern  desselben  Individuums  das  Lecithin. 
Es  enthielt  die  Trockensubstanz,  und  zwar: 

die  grünen  Blätter  mit  Chlorophyll 0*897o  Lecithin, 

die  gelben  Blätter  mit  Xanthophyll 0*  157o  Lecithin. 

Die  grünen  Blätter  zeigten  bei  mikroskopischer  Unter- 
suchung entwickelte  Pallisadzellen  und  sehr  zahlreiche  Chloro- 
phyllkörner. 


Das  Lecithin  in  der  Pflanze.  611 

Das  Äther-,  wie  auch  das  Alkoholextract  waren  intensiv 
grün. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  der  gelben  Blätter  zeigte, 
dass  die  Chlorophyllkörner  aus  dem  Mesophyll  thatsächlich 
verschwunden  waren,  denn  die  Pallisadzellen  enthielten  Chloro- 
phyllkörrier  nur  in  sehr  geringer  Menge.  Das  Äther- und 
Alkoholextract  färbte  sich  von  dem  aufgelösten  Xanthophyll 
prächtig  goldgelb. 

Aus  dieser  Untersuchung  geht  hervor,  dass  mit  der  Zer- 
setzung des  Chlorophylls  sich  auch  das  Lecithin  zersetzte  und 
—  im  Vergleiche  zu  den  grünen  Blättern  mit  voller  Chlorophyll- 
thätigkeit  —  dessen  Quantum  wesentlich  abnahm. 

Blätter  der  rothen  Zuckerrübe. 

Es  interessirte  mich  zu  erfahren,  welche  Lecithinmenge 
jene  Rübenblätter  enthalten,  welche  den  Eindruck  röthlicher 
Färbung  machten.  Wie  bekannt  sind  hier  im  Mesophyll  die 
Chlorophyllkörner  der  Pallisadzellen  durch  Zellen  verdeckt, 
welche  eine  grosse  Menge  Anthokyanfarbstoff  enthalten. 

Die  an  demselben  Tage  (8.  August  1895,  2  Uhr  Nachmit- 
tags) dem  gleichen  Felde  (wie  die  grünen,  zur  Analyse  be- 
stimmten) entnommenen  Blätter  wiesen  in  der  Trockensubstanz 
der  reinen  Blattsubstanz  0-47o  Lecithin  auf. 

Eine  interessante  Erscheinung  boten  das  Äther-  und 
Alkoholextract. 

Das  Ätherextract  färbte  sich  smaragdgrün,  während  das 
Alkoholextract  olivengrüne  Färbung  annahm.  Das  Vorhanden- 
sein von  Anthokyan  in  dem  Zellsafte  beeinflusste  daher  sicht- 
lich die  Lecithinbildung  in  den  Blättern  der  rothen  (Salat-)  Rübe. 
Bemerkt  sei  noch,  dass  die  Vegetationsdauer  sowohl  der 
gewöhnlichen,  als  auch  der  rothen  (Salat-)  Rübe  die  gleiche  war. 

Albinismus  der  Blätter  von  Beta  vulgaris. 

Nicht  selten  sind  die  Blätter  der  Beta  vulgaris  entweder 
zur  Hälfte  mit  weissen  Flecken  besäet  oder  ganz  weiss,  oder  sie 
haben  einen  schwach  grünlichen  Anflug.  Die  mikroskopische 
Untersuchung  derselben  zeigt,  dass  die  Chlorophyllkörner  ent- 
weder  gar   nicht,   oder  nur  in  sehr  geringer  Menge  in  den 


612  J.  Stoklasa, 

Pallisadzellen  des  Mesophylls  vertreten  sind.  Die  Ursachen 
dieser  interessanten  pathologischen  Erscheinung  sind  uns  aller- 
dings nicht  bekannt. 

Zimmermann  fand  in  den  vom  Albinismus  betroffenen 
Blättern  sehr  wenig  entwickelte  Leukoplasten.  Church  hält 
das  Vorhandensein  löslicher  Oxalsäure  für  die  Ursache  dieser 
Erscheinung  und  will  seine  Hypothese  damit  begründen,  dass 
die  albikaten  Blätter  von  Qnercus  rubra  weniger  Calciumoxyd 
enthalten,  als  die  gesunden,  normalen. 

Unsere  Beobachtungen  ergaben  das  Resultat,  dass  die 
Blätter  factisch  eine  grössere  Menge  löslicher  Oxalate  ent- 
hielten; ob  jedoch  die  sonst  so  höchst  verderbliche  Wirkung 
der  Oxalate  auf  das  Chlorophyllkorn  und  den  Zellkern  auch  den 
Albinismus  der  Blätter  bedingt,  lässt  sich  mit  absoluter  Gewiss- 
heit nicht  behaupten.  Thatsache  ist,  dass  die  Assimilations- 
fähigkeit bei  albikaten  Blättern  äusserst  beschränkt,  wenn  nicht 
vollends  aufgehoben  ist. 

Die  Analyse  ergab  folgende  Daten: 

In  derTrockensubstanz  der  reinen  Blattsubstanz: 

Die  vollends  grünen  Blätter  enthielten 0*957o  Lecithin, 

die  vollends  albikaten  Blätter  enthielten 0*227o  Lecithin. 

Der  Unterschied  ist  so  erheblich,  dass  man  unwill- 
kürlich an  eine  nahe  Beziehung  zwischen  Chlorophyll  und 
Lecithin  denkt. 


B.  Avena  sativa. 

Hier  folgen  unsere  Beobachtungsresultate  hinsichtlich  des 
Hafers  Avena  sativa. 

Zu  den  Vegetationsversuchen  wurden  womöglich  gleich- 
artige Früchte  annähernd  gleichen  Gewichtes  gewählt. 

100  Früchte  wogen 3-25^. 

Die  Früchte  enthielten  in  der  Trockensubstanz: 

Gesammt-PaOr, 0-6897^, 

Lecithin 0-787o. 


Das  Lecithin  in  der  Pflanze.  613 

100  Früchte  bargen  somit: 

an  Gesammt-PgOg 0-0224^ 

an  Lecithin 0*0253^. 

Es  enthält  daher  die  Frucht  an  Gesammt-PgOg  10%  in 
Form  von  Lecithin. 

Gehen  wir  nun  zu  den  Keimlingen  über: 

Die  Höhe  des  Halmes  betrug 11*6  cm 

die  Länge  der  Wurzel  betrug 10*5  cm. 

100  Keimlinge  in  der  Trockensubstanz  wogen  2*81  ^. 
Die  Keimlinge  enthielten  in  der  Trockensubstanz: 

Lecithin 0-75% 

Gesammt-PgOg 0 -67370. 

In  100  Keimlingen  waren  sonach  0*021^  Lecithin  ent- 
halten. 

Das  Lecithin  hat  sich  also  während  des  Keimung s- 
processes  nicht  zersetzt. 

Das  Verhältniss  der  Phosphorsäure  in  Form  von  Lecithin 
blieb  merkwürdigerweise  unverändert;  9*87o  P2O5  der  Ge- 
sammt-Phosphorsäure  haben  sich  in  Lecithin  verwandelt. 

Ein  interessantes  Bild  über  die  in  den  verschiedenen 
Pflanzenbestandtheilen  vorhandene  Lecithinmenge  bot  die 
Analyse  des  Hafers  zur  Zeit  seiner  Blüthe;  hier  Hess  sich 
bereits  constatiren,  welche  Organe  das  meiste  Lecithin  und 
welche  die  meiste  Phosphorsäure  in  organischer  Form  ent- 
halten. 

Avena  sativa  zur  Zeit  der  Blüthe. 

Die  Hafercultur  befand  sich  in  einem  Ackerboden  von 
gleichartiger  Zusammensetzung,  welcher  überdies  pro  Hektar 
rhit  40  kg  P2O5  gedüngt  war. 

Der  Hafer  vegetirte  vortrefflich  und  brachte  eine  gute 
Ernte. 

Die  Pflänzchen  wurden  auf  verschiedenen  Stellen  des 
Versuchsfeldes  vorsichtig  dem  Boden  entnommen,  die  feinen 
Würzelchen  möglichst  intact  erhalten  und  die  Wurzeln  sauber 
abgeputzt. 


614  J.  Stoklasa, 

I.  Die  Wurzel. 

Die  Trockensubstanz  der  Wurzeln  enthielt: 

Lecithin 0'35^/q 

Gesammt-PaOg 0-  267o. 

Berechnen  wir  nun  das  Phosphorsäurequantum,  welches 
im  Lecithin  enthalten  ist,  so  finden  wir  bei  den  Wurzeln 
8'77o  <iör  Gesammt-PaOg  in  Form  von  Lecithin  vor. 

II.  Der  Halm. 

Die  Trockensubstanz  der  Halme  enthielt: 

Lecithin 0*42% 

Gesammt-PgOg 0-397o. 

9 '270  der  Gesammt-PaOj  finden  sich  daher  in  Form  von 
Lecithin  vor. 

III.  Die  Blätter. 

Die  Trockensubstanz  der  Blätter  enthielt: 

Lecithin 0-7807o 

Gesammt-PgOj 0-  2077o. 

32 -870  der  Gesammt-P^O^  in  den  Blättern  tritt  daher  in 
Form  von  Lecithin  auf. 

IV.  Die  Blüthe. 

Die  behutsam  abgenommenen  Blüthen  sammt  Staub- 
gefässen  und  Stempel  bargen  in  der  Trockensubstanz: 

Lecithin 2-387o 

Gesammt-PgOg 0-637o. 

33-  l7o  der  Gesammt-P205  in  der  Blüthe  finden  sich  daher 
in  Form  von  Lecithin  vor. 

Die  so  gewonnenen  Zahlen  führen  demnach  zu  der  Er- 
kenntniss,  dass  die  Blätter  und  Blüthen  das  meiste  Lecithin 
enthalten  und  dass  auch  mehr  als  307o  ^2^5  ^^^  Gesammt- 
Phosphorsäure  in  organischer  Form,  d.h.  in  Form  von  Lecithin, 
vorhanden  sind. 


Das  Lecithin  in  der  Pflanze.  615 

Sowie  nach  der  Befruchtung  das  Korn  zu  reifen  und  die 
Blätter  gelb  zu  werden  beginnen,  nimmt  das  in  den  Halmen 
und  Blättern  vorhandene  Lecithin  —  es  ergibt  sich  dies  aus 
den  angeführten  Beobachtungen  ^  —  immer  mehr  an  Menge  ab 
und  geht  in  den  Samen  über,  wo  es  sich  theils  als  Lecithin, 
theils  als  Nukle'in-  und  Nukleoalbumin -Verbindungen  und  viel- 
leicht auch  als  Phosphat  ablagert. 

Dies  ergibt  sich  aus  nachstehenden  Beobachtungen: 

In  Sandculturen  wurden  verschiedene  Hafersorten  von 
Avena  sativa  theils  nur  bis  zur  Blüthe,  theils  bis  zur  voll- 
ständigen Reife  belassen. 

Das  Nährstoffmedium  wies  sämmtliche  anorganische  Nähr- 
substanzen auf. 

A.  Analyse  ganzer  Pflanzen  zur  Zeit  der  Blüthe. 

Die  Trockensubstanz  einer  Pflanze  wog  26  •  4  ^. 
Die  Trockensubstanz  barg: 

Gesammt-PgOj  0-  327^ 

Lecithin 0-667o. 

Es  enthielt  sonach  eine  Pflanze: 

an  Gesammt-P^Og 0-084^ 

an  Lecithin 0*  174^. 

In  der  ganzen  Pflanze  finden  sich  daher  18-1%  ^2^5  cier 
Gesammt-Phosphorsäure  in  Form  von  Lecithin  vor. 

B.  Analyse  von  Pflanzen  aus  Wasserculturen  bei  Vorhanden- 
sein von  Phosphorsäüre  nach  beendeter  Vegetation. 

Analyse  der  ganzen  Pflanz-en  ohne  Samen. 

Die  Trockensubstanz  einer  Pflanze  wog  20'7  g. 
Die  Trockensubstanz  barg: 

Gesammt-P^Oß 0-237o 

Lecithin 0-llVo. 


1  Siehe  die  weiter  unten  folgenden  Beobachtungen  über  die  Bedeutung 
des  Lecithins  in  der  Blüthe. 

Sitzb.  d.  mathcm.-naturw.  Gl. ;  CV.  Bd.,  Abth.  I,  41 


616  J.  Stoklasa, 

Es  enthält  sonach  eine  Pflanze : 

an  Gesammt-PgOj 0-047^ 

an  Lecithin 0022^. 

Analyse  der  Samen. 

Aus  einer  Pflanze  wurden  durchschnittlich  8  •  63  ^  Samen 
erzielt. 

Die  Trockensubstanz  der  Samen  barg: 

Gesammt-PaOg 0-64^ 

Lecithin   0-78^. 

8 '63^  Samen  enthielten  sonach: 

an  Gesammt-PgOg 0-055^ 

an  Lecithin 0*067^. 

Es  fanden  sich  daher  in  der  ganzen  Pflanze  nach  der 
Reife: 

Gesammt-PgOj 0- 102^ 

und 

Lecithin 0089^ 

vor. 

Die  frappanten  Unterschiede  zwischen  der  Menge  an 
Gesammtphosphorsäure  und  Lecithin  zur  Zeit  der  Blüthe  und 
jener  nach  beendeter  Vegetation  in  der  einzelnen 
Pflanze  zeigt  uns  nachstehende  Übersicht: 

Zur  Zeit  der  Nach  beendeter 

Blüthe  Vegetation 

Gesammt-PgOs 0  •  084  ^  0  •  102  ^ 

Lecithin 0-174^  0-089^ 

Zvyeifellos  hat  sich  das  Lecithin  in  den  einzelnen  Pflanzen- 
organen nach  der  Befruchtung  allmälig  zersetzt,  wobei  der  in 
den  Samen  sich  ablagernde  Phosphor  (neben  den  bereits 
erwähnten  Nukleo-Albuminen)  andere,  uns  bisher  noch 
wenig  bekannte  Formen  annahm,  —  Es  spielt  daher  das 
Lecithin  seine  Hauptrolle  während  des  Wuchses,  bei  der 
Assimilation  und  der  Befruchtung,  während  später  bei  der 
Fruchtbildung  seine  Function  aufhört  und  die  Hälfte  seines 
ursprünglichen  Quantums  der  Zersetzung  anheimfällt. 


Das  Lecithin  in  der  Pflanze.  617 

Die  ganze  Pflanze  und  die  Früchte  enthalten  nach  be- 
endeter Vegetation  nur  die  Hälfte  des  zur  Zeit  der  grössten 
und  vollsten  Entwicklung  vorhandenen  Lecithinquantums. 
Weiters  ersehen  wir,  dass  die  Pflanze  (es  versteht  sich  von 
selbst,  dass  nur  solche  Pflanzen  ausgewählt  wurden,  welche  in 
Entwicklung  und  Alter  möglichst  gleichartig  waren)  von  der 
Blüthezeit  angefangen  behufs  Bildung  neuer  lebender  Moleküle 
nur  0-018^  PgOj  dem  Nährstoffmedium  entnahm. 

Es  ist  die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen,  dass  sich  das 
gesammte  vor  der  Blüthe  vorhandene  Lecithin  bereits  zersetzt 
hatte  und  erst  dann,  bei  weiterer  Assimilation  von  PgOg,  nach 
stattgefundener  Befruchtung  und  anlässlich  der  Samenbildung 
sich  aus  dem  neu  assimilirten  Phosphorsäurequantum  von 
0*  Ol  8^  wieder  frisches  Lecithin  in  den  Samenzellen  gebildet  hat. 

IL 
Entstehung  des  Lecithins  in  den  Pflanzenkeimlingen. 

In  dem  Samen  erscheint  die  Phosphorsäure  zumeist  in 
organischer  Form  vertreten.^ 

Prüfen  wir  den  Samen  auf  seinen  Lecithingehalt,  so  finden 
wir,  dass  das  Lecithin  in  grösserer  Menge  vorhanden  ist,  wenn 
in  dem  Samen  auch  grössere  Mengen  von  Eiweissstoffen  ver- 
treten sind. 

So  z.  B.  enthalten  Leguminosensamen  bis  27o,  Graminaeen- 
samen  dagegen  höchstens  bis  0-87o  Lecithin;  in  ersterem  sind 
5— 77o,  in  letzterem  2— 2-57o  Stickstoff  vorhanden. 


1  A.  F.  W.  Schimper  schreibt  (Zur  Frage  der  Assimilation  der  Mineral- 
salze durch  die  grüne  Pflanze,  Flora,  1890,5.222): 

>Von  einer  Aufspeicherung  anorganischer  Salze  in  Samen  kann  kaum  die 
Rede  sein,  indem  die  in  demselben  reichlich  vertretenen  Phosphate  von  Kali, 
Kalk  und  Magnesia  mit  organischen  Bestandtheilen  in  lockerer  Verbindung 
stehen.  Es  ist  bekannt,  dass  phosphorsaures  Kali  einen  Bestandtheil  gewisser 
eiweissartiger  Verbindungen  des  Samens  bildet  und  die  Phosphate  von  Kalk 
und  Magnesia  sind,  wie  Pfeffer  zeigte,  in  den  Globoiden  mit 
einer  organischen  Säure  gepaart.  Es  war  mir  unmöglich,  ausschnitten 
trockener  oder  zuerst  1—2  Tage  aufgeweichter  Samen  die  p205-Reaction  mit 
MgS04,  NH4CI  und  NH3  zu  erhalten;  auch  die  Molybdänreaction  blieb  ohne 
Erfolg,  so  dass  die  Anwesenheit  anorganischer  Phosphate  ausge- 
schlossen ist«. 

41* 


618  J.  Stoklasa, 

Samen  mit  grösserem  Fettstoffgehalte  kennzeichnen  sich 
durch  geringere  Lecithinmengen,  so  z.  B.  Brassica  oleracea, 
Sinapis  arvensis,  Beta  vulgaris  u.  A. 

Die  genaue  Feststellung  dieses  Verhältnisses  bildet  noch 
Gegenstand  weiterer  Forschungen,  wesshalb  ich  mich  hier  auf 
die  blosse  Erwähnung  der  Existenz  eines  solchen  Verhältnisses 
beschränke, 

Was  geschieht  mit  dem  Lecithin  während  der  Keimungs- 
periode, in  welcher  der  Pflanzenkeimling  nicht  in  der  Lage  ist, 
Kohlensäure  zu  assimiliren  und  seine  Ernährung  den  Sub- 
stanzen des  Endosperms  oder  der  Samenlappen  verdankt? 

Versuche  mit  Beta  vulgaris. 

Der  Same  wurde  in  Sandculturen  gepflanzt  (der  Sand 
wurde  sorgfältig  mit  Salzsäure  und  später  mit  Salpetersäure 
ausgekocht,  hierauf  mit  destillirtem  Wasser  durchgewaschen 
und  ausgetrocknet). 

Die  zu  untersuchenden  Keimlinge  waren  9  Tage  alt  und 
hatten  noch  beide  Cotyledonen  in  der  Samenschale  verborgen. 

Gewicht  von  100  Keimlingen  in  der  Trockensubstanz. .  0*228^ 

Lecithin  in  der  Trockensubstanz 1  •  78% 

Gewicht  von  100  Samen  in  der  Trockensubstanz 0*392^ 

Lecithin  in  der  Trockensubstanz 0-457o- 

Aus  diesen  Versuchen  mit  Beta  vulgaris  ist  zu  ersehen 
dass  sich  das  Lecithin  während  der  Keimung  nicht  zersetzt. 

Diese  Ziffern  gelten  aber  für  Keimlinge,  deren  Blätter  noch 
nicht  selbständig  COg  assimilirten,  sondern  noch  von  Reserxe- 
stoffen  lebten.  Dasselbe  konnte  ich  für  die  Samen  und  Keim- 
linge von  Polygonum  fagopyrum  feststellen. 

Die  aus  diesen  Samen,  welche  2 -6270  Stickstoff  enthielten, 
hervorgegangenen  Keimlinge  ergaben  nachstehende  Werthe: 

100  Samen  wiegen  in  der  Trockensubstanz 1  -821  ^ 

Die  Samen  enthalten  Lecithin O'öl^o 

8  Tage  alte  Keimlinge  ohne  Chlorophyll  wiegen  in  der 

Trockensubstanz,  und  zwar  100  Stück 0*924^ 

Enthalten  Lecithin 1  'OSVo- 

1  Ohne  Samenschale. 


Das  Lecithin  in  der  Pflanze.  619 

Daher  wiederum  ein  Beweis,  dass  sich  das  Lecithin  nicht 
zerset2rt  hat. 

Die  Versuche  E.  Schulzens  und  seiner  Schüler  ergaben, 
dass  sich  das  Lecithin  während  des  Keimungsprocesses  bei 
manchen  Leguminosen  zersetzte.  Diesbezüglich  sei  beispiels- 
'w^eise  die  Vicia  sativa^  angeführt.  —  Beim  Keimen  des  Pisttm 
sativum  konnte  thatsächlich  eine  Zersetzung  des  Lecithins 
constatirt  werden. 

10  Tage  alte  etiolirte  Keimlinge  von  Beta  vulgaris. 

Gewicht  von  1000  Keimlingen  in  der  Trockensubstanz.  .2*210^ 
Darin  Lecithin  in  der  Trockensubstanz 0-847^. 

1000  Pflänzchen  bergen  somit  0'0185^  Lecithin. 

10  Tage  alte  Keimlinge,  gezogen  im  Lichte. 

Gewicht  von  1000  Keimlingen  in  der  Trockensubstanz  . .  2-60^ 
Darin  Lecithin  in  der  Trockensubstanz 1  •  477o- 

1000  Pflänzchen  bargen  somit  0-0382^  Lecithin. 

Hieraus  ist  zu  ersehen,  dass  sich  Lecithin,  wenn  keine 
Gelegenheit  zur  Chlorophyllbildung  gegeben  ist,  nicht  ent- 
wickelt. 

Etiolirte  Keimlinge  von  Pisum  sativum. 

Gewicht  von  100  Keimlingen  in  der  Trockensubstanz  . .  .  14*48^ 
Darin  Lecithin  in  der  Trockensubstanz 0*387o- 

100  Keimlinge  bergen  sonach  in  der  Trockensubstanz 
0-055^  Lecithin. 

Keimlinge,  gezogen  im  Lichte. 

Gewicht  von  100  Keimlingen  in  der  Trockensubstanz  ...  15*2^ 
Darin  Lecithin  in  der  Trockensubstanz 0-697o- 

100  Keimlinge  bergen  sonach  in  der  Trockensubstanz 
0-104^Lecithin. 


1  Die  landwirthschaftlichen  Versuchsstationen,  1894.  Zur  Kenntniss  der 
Keimungsvorgänge  bei  Vicia  sativa.  Von  D.  Prianisniko  v. 


620  J.  Stoklasa, 

Auch  dieser  Fall  war  ein  Beleg  dafür,  dass  sich  im  Lichte 
hier  zweimal  soviel  Lecithin  entwickelt,  als  wie  bei  etiolirten 
Keimlingen. 

Darüber  besteht  kein  Zweifel,  dass  sich  das  Le- 
cithin in  den  etiolirten  Keimlingen  zersetzt  hat. 

Die  Zersetzung  des  Lecithins  fand  wahrscheinlich  unter 
Ausscheidung  von  Cholin,  Glycerin — Phosphorsäure  und  der 
Fettsäuren  (öl-,  Palmitin-  und  Stearinsäure)  statt. 


III. 

Die  Entstehung  des  Lecithins  in  den  Blättern. 

Verfolgen  wir  die  Entwicklung  der  Blätter  von  ihrem  An- 
beginn, so  finden  wir,  dass  mit  derselben  auch  die  Entwick- 
lung des  Lecithins  zusammenhängt. 

Die  reinen  Laubknospen  der  Rosskastanie  (Aesculus  hippo- 
castanus)  bergen  in  der  Trockensubstanz  0-40Vo  Lecithin, 

Die  vollständig  entwickelten,  schön  grünen  Blätter  zur 
Zeit  der  Blüthe  enthalten  in  der  Trockensubstanz  0'947o 
Lecithin. 

Die  gelben  Blätter  zur  Zeit  der  Fruchtreife  enthalten  in 
der  Trockensubstanz  0*  187o  Lecithin. 

Es  sei  hier  ausdrücklich  bemerkt,  dass  die  Versuchsproben 
durchwegs  einem  und  demselben  Baume  entnommen  waren. 

Die  reinen  Laubknospen  der  gemeinen  Esche  (Fraxinus 
excelsior)  enthalten  in  der  Trockensubstanz  0-327o  Lecithin, 
die  vollständig  entwickelten  Blätter  hingegen  in  der  Trocken- 
substanz 0-787o  Lecithin. 

Schon  an  der  Hand  der  früher  besprochenen  Versuche  mit 
Beta  vulgaris  und  Avena  sativa  konnte  gefolgert  werden,  dass 
das  sich  bildende  Lecithinquantum  sein  Maximum  in  den 
Blättern  bei  voller  Entwicklung  der  Assimilationsthätigkeit 
erreicht,  vorausgesetzt,  dass  die  Pallisadenzellen  des  Meso- 
phylls reich  mit  Chlorophyllkörnern  gefüllt  sind.  Mit  der  Ab- 
nahme des  Chlorophylls  und  dem  Hervortreten  des  in  den 
Blättern  bereits  vorhandenen  Xantophylls  in  alternden  Blättern 
zersetzt  sich  das  Lecithin  und  seine  Menge  geht  rapid  zurück. 


Das  Lecithin  in  der  Pflanze.  621 

Wir  sehen  auch,  dass  die  Laubknospen  nur  die  Hälfte  des 
Lecithinquantums  aufweisen,  welches  in  den  vollentwickelten 
Blättern  enthalten  ist. 

Offenbar  entwickelt  und  vermehrt  sich  das  Lecithin  mit 
der  Bildung  der  Chlorophyllkörner  in  den  Blättern. 

Dass  übrigens  die  Lecithinbildung  thatsächlich  von  der 
Einwirkung  des  Sonnenlichtes  und  der  Thätigkeit  der  Chloro- 
phyllapparate bedingt  ist,  ersehen  wir  aus  folgendem  Versuche: 

Von  schön  entwickelten  Rübenexemplaren  wurden  im  Juli 
um  4  Uhr  Nachmittags  und  ein  anderesmal  um  4  Uhr  Früh  die 
Blätter  abgeschnitten.  In  der  reinen  Blattsubstanz  sowohl  der 
Nachmittags,  als  auch  der  Früh  abgeschnittenen  Blätter,  von 
welcher  je  16 — 22  g  abgewogen  wurden,  bestimmte  ich  in  der 
Trockensubstanz  das  Lecithin  und  fand  nach  mehrfach  wieder- 
holten Versuchen  um  4  Uhr  Nachmittags  0*96  —  l'057o  ^"^ 
um  4  Uhr  Früh  0-607o  bis  0-687o  Lecithin  vor. 

Bemerkt  sei  noch,  dass  der  ganze  Versuch  gleichmässig 
ausgeführt  wurde. 

Dieser  Versuch  beweist,  dass  das  Auftreten  des 
Lecithins  im  grünen  beleuchteten  Blatte  mit  der 
Koh len säure assimilation  in  irgend  welcherBeziehung 
steht,  ja  es  ist  sogar  nicht  die  Möglichkeit  ausge- 
schlossen, dass  das  Lecithin  im  Chlorophyllkorn 
selbst  als  Assimilationsproduct  entsteht. 

Von  diesem  Standpunkte  aus  interessirte  mich  die  Frage, 
was  mit  dem  Lecithin  in  verdunkelten  Blättern  geschieht? 

Um  diese  Frage  zu  beantworten,  wählte  ich  vor  Allem 
gleich  alte  Sandculturen  von  Avena  sativa  zur  Blüthezeit,  als 
nämlich  in  den  Blättern  die  Lecithinmenge  ihr  Maximum  er- 
reicht hatte.  Sechs  Gefösse  wurden  finster  gestellt  und  sechs 
andere  im  Sonnenlichte  belassen.  Die  Culturen  wurden  gleich- 
mässig mit  Nährstoff  lösung  begossen,  die  Verdunkelung  dauerte 
etwa  12  Tage. 

Die  Lecithinbestimmung  in  der  Trockensubstanz  der  Blätter 
ergab  folgendes  Resultat: 

Die  verdunkelten  gelblichen  Blätter  enthielten  0-367o  Lecithin, 
die  grünen  Blätter  der  Normalculturen 0-78%  Lecithin. 


622  J.  Sloklasa, 

Ein  ähnlicher  Versuch  wurde  mit  Blättern  der  Weinrebe 
angestellt. 

Versuche  mit  dem  Weinstocke  Vitis  vinifera. 

Ein  Ast  mit  jungen,  noch  unentwickelten  Blättern  wurde 
in  eine  aus  Blech  angefertigte  Dunkelkammer  gebracht,  der 
ganze  übrige  Theil  des  Weinstockes  dagegen  der  Wirkung 
des  Tageslichtes  überlassen.  Dieser  Versuch  wurde  mit  mehreren 
Weinstöcken  einigemale  wiederholt,  die  Verdunkelung  währte 
jedesmal  10  Tage. 

Die  Trockensubstanz  der  grünen,  nicht  verdunkelten  Blätter 
von  annähernd  gleicher  Grösse  enthielt  l*247o  Lecithin,  die 
Trockensubstanz  der  verdunkelten  Blätter  von  demselben 
Stocke  0-47Vo  Lecithin. 

Diese  Versuche  zeigen  wieder,  dass  bei  Verdunkelung 
grüner  Blätter  Lecithin  verschwindet 

Die  zu  untersuchenden  Blätterproben  wurden  jedesmal 
um  4  Uhr  Nachmittags  beschafft. 

Aus  den  vorangehenden  Daten  ist  weiter  ersichtlich,  dass 
mit  dem  Aufhören  der  physiologischen  Function  der  Blätter, 
mit  dem  Absterben  des  Assimilationsapparates,  des  Chlorophylls 
im  Mesophyll  und  mit  dem  Hervortreten  des  in  den  Blättern 
bereits  vorhandenen  Xantophylls  das  Lecithin  sozusagen 
völlig  verschwindet. 

Prüfen  wir  die  Blätter  auf  die  Menge  des  in  denselben  vor- 
handenen Lecithins,  so  finden  wir,  dass  das  grösste  Quantum 
in  der  reinen  Blattsubstanz,^  der  weitaus  geringere  Theil  in  der 
Nervatur  und  den  Stielen  enthalten  ist. 

So  enthalten  die  Blätter  der  Beta  vulgaris^  und  zwar: 

die  reine  Blattsubstanz  (Lamina) 1  'Ob^l^  Lecithin, 

die  Nervatur 0*627o  Lecithin, 

der  Blattstiel 0-687o  Lecithin. 

Wahrscheinlich  ist  das  Lecithin  in  den  Chlorophyllkörnern, 
und  zwar  am  reichlichsten  in  den  Pallisadenzellen  enthalten. 


1  Unter  der  »reinen  ßlaltsubstanz«  sind  die  der  Nervatur  behutsam  ent- 
ledigten Blätter  zu  verstehen. 


Das  Lecithin  in  der  Pdanze.  623 

Meine  chemischen  und  physiologischen  Beobachtungen 
über  das  Chlorophyll  und  seine  Derivate  bestärken  mich  in  der 
Annahme,  dass  das  Chlorophyll  nichts  anderes  ist  als  Lecithin, 
wobei  die  fetten  Säuren  durch  eine  bestimmte  Gruppe  von 
Chlorophyllansäuren  ersetzt  erscheinen.  Auf  ähnliche  Chloro- 
phyllanverbindungen  hat  zuerst  Hoppe-Seyler  1879 — 1881 
in  der  »Zeitschrift  für  physiologische  Chemie«  (3.  340,  4.  193, 
5.  75)  aufmerksam  gemacht.  Er  gewann  ein  krystallinisches 
Chlorophyllan,  welches  folgende  Zusammensetzung  hatte: 

C  =  73 -3450/0,  P  =  1-380% 

H  z=    9-725  Mg  1=  0-340 

N  =    5-685  O  =  9-525. 

Obwohl  ich  beim  Isoliren  von  Chlorophyllan  dieselbe 
Methode  anwandte  wie  Hoppe-Seyler,  so  ist  es  mir  doch 
nicht  geglückt,  jene  krystallinische  Form  zu  erzielen,  welche 
die  Analyse  Hoppe-Seyler's  ergab.  Die  Versuche  mit  reinem 
sattgrünem  Grase  sind  noch  nicht  beendet  und  das  Isoliren  von 
Chlorophyllan  wird  weiter  fortgesetzt.  Bemerken  will  ich  nur, 
dass  ich  frisches,  sowohl  gepresstes  (bei  250  Atmosphären), 
als  auch  ungepresstes  Gras  als  Versuchsobject  wählte. 

Nachdem  die  Isolirung  von  krystallinischem  Chlorophyllan 
nicht  glücken  wollte,  setzte  ich  meine  Versuche  mit  frischen, 
ungepressten  Grasblättern  fort  —  geradeso,  als  handelte  es 
sich  mir  um  die  Gewinnung  von  reinem  Lecithin. 

Hiebei  operirte  ich  wie  folgt: 

Frisches,  reines  Gras  im  Gewichte  von  circa  8  kg  wurde 
zuerst,  und  zwar  möglichst  vollständig  mit  Äther  und  nachher 
mit  absolutem  Alkohol,  und  zwar  bei  50—60°  C.  extrahirt.  Gleich 
zu  Beginn  wurde  behufs  Neutralisirung  der  organischen  Säuren 
etwas  CaCOg  zugesetzt.  Die  Alkoholextracte  wurden  im 
Vacuum  bei  40 — 50*  C.  abgedampft  und  der  Verdampfungs- 
rückstand mittelst  Äther  digerirt.  Die  Ätherlösung  wurde 
neuerdings  abgedampft,  der  Verdampfungsrückstand  in  Al- 
kohol aufgelöst,  diese  Lösung  mit  Wasser  nach  G.  Kraus^ 


1  G.  Kraus,   Zur  Kenntniss  der  Chlorophyllfarbstoffe   und   ihrer   Ver- 
wandten. Stuttgart,  1872. 


624  J.  Stoklasa, 

verdünnt  und  mittelst  Benzol  das  sogenannte  Kraus'sche 
»KyanophylU  abgeschieden.  Der  dunkelgrüne  Extract  wurde 
mit  Benzol  abgedampft,  aufs  Neue  im  Alkohol  aufgelöst,  mit 
Wasser  verdünnt  und  mittelst  Benzol  neuerdings  Kyaoo- 
phyll  abgeschieden.  Diese  Procedur  erfuhr  eine  dreimalige 
Wiederholung  und  hatte  den  Zweck,  womöglich  das  Xanto- 
phyll  in  der  Alkohollösung  abzuscheiden.  Endlich  wurde  das 
dunkelgrüne  Extract  in  Äther  aufgelöst  und  mit  Wasser, 
welchem  Chlornatrium  zugesetzt  wurde,  geschüttelt.  Auf  diese 
Weise  vollzog  sich  sehr  leicht  die  Absonderung  der  Ather- 
schichte  von  der  Wasserschichte.  Die  reine  Ätherlösung  wurde 
abgedampft  und  mit  absolutem  Alkohol  behandelt.  Von 
unlöslicher  Substanz  erübrigte  im  Alkohol  eine  beträchtliche 
Menge.  Durch  Abkühlung  sonderte  sich  aus  der  Alkohollösung 
ein  compacter  Niederschlag  von  metallischem  Glänze  und 
schwarzgrüner  Färbung  ab.  Der  Niederschlag  wurde  abermals 
in  absolutem  Alkohol  aufgelöst,  die  so  entstandene  Lösung  auf 
mehrere  Glasschalen  vertheilt  und  in  Exsiccatoren  über 
Schwefelsäure  dem  Krystallisationsprocesse  ausgesetzt.  Kry- 
stalle  haben  sich  wohl  keine  gebildet,  dafür  aber 
Schollen  von  metallischem  Glänze  und  schwarzgrüner  Farbe, 
welche  bei  Annahme  eines  constanten  Gewichtes  alsogleich 
der  Analyse  unterzogen  wurden.  Die  Analyse  ergab,  dass  diese 
in  Alkohol,  Benzol  und  Äther  bei  schöner,  sattgrüner  Verfärbung 
lösliche  Substanz  3-377o  Phosphor  enthält 

Der  Theorie  nach  erfordert  das  Lecithin,  je  nachdem  es 
das  Radical  der  Öl-,  Palmitin-  oder  Stearinsäure  einschliesst, 
folgendes  Phosphorquantum: 

Dipalmityl— Lecithin 4- 127^ 

Dioleyl— Lecithin 3-867o 

Distearyl— Lecithin 3 -8470. 

Durch  weitere  Zersetzung  mit  Ba(0H)2  nach  Hoppe- 
Seyler's  Methode  wurde  bewiesen,  dass  diese  Substanz 
Cholin,  Glycerinphosphorsäure  und  einige  Chloro- 
phyllangruppen  enthält,  deren  genaue  Bestimmung  noch 
aussteht. 


Das  Lecithin  in  der  Pflanze.  625 

Diese  mit  dem  Namen  Chlorolecithin  belegte  Substanz 
unterscheidet  sich,  wie  ersichtlich  ist,  von  Hoppe-Seyler's 
Chlorophyllan  durch  ihren  Phosphorgehalt.  Chlorophyllan 
nach  Hoppe-Seyler  enthält  l-387o>  Chlorolecithin  dagegen 
3 -3770  Phosphor.! 

Richtig  bemerkt  L.Marchlevski  in  seiner  ausgezeichneten 
Publication  »Die  Chemie  des  Chlorophylls«: 

»Das  Product  dieser  vermeintlichen  Oxydation,  das  Chloro- 
phyllan, ist  nach  Hoppe-Seyler  als  ein  Lecithin  zu  betrachten, 
in  welchem  sich  Glycerin  und  Cholin  in  Verbindung  mit 
Phosphorsäure  befinden,  das  Glycerin  aber  ausserdem  (ent- 
weder allein  oder  zugleich  mit  fetten  Säuren)  mit  Chlorophyllan- 
säure verbunden  ist.  Daraus  ginge  hervor,  dass  das 
Studium  der  Chlorophyllfrage  mit  dem  der  Lecithine 
überhaupt  eng  verbunden  ist  und  dass  die  Chloro- 
phyllansäure, respective  Phyllocyaninsäure  oder 
schliesslich  Phyllotaonin  den  färbenden  Bestandtheil 
der  Chlorophyllmoleküle  ausmachen  würde«. 

Nach  den  Ergebnissen  meiner  gegenwärtigen  fortgesetzten 
Beobachtungen  besteht  kein  Zweifel  mehr,  dass  die  Ent- 
stehung des  Chlorophylls  mit  dem  Vorhandensein  von 
Phosphor  zusammenhängt.  Ohne  Phosphorkein  Leci- 
thin —  und  auch  kein  Chlorophyll! 

Höchst  belehrende  Belege  ergaben  diesbezüglich  die  Vege- 
tationsversuche, bei  denen  im  Nährstoffmedium  P^Og  aus- 
geschieden wurde.  Trotz  Vorhandenseins  von  Nitraten  und 
allen  übrigen  Nährstoffen  waren  die  Pflanzen  dennoch  unent- 
wickelt und  gelb,  wie  bereits  eingangs  dargelegt  wurde.^ 

Der  wichtige  Befund  Molisch's,^  dass  der  Chloro- 
phyllfarbstoff kein  Eisen  enthält  und  dass  dieses  mit  der 

1  Über  Chlorolecithin  gedenke  ich  demnächst  eine  selbständige  Arbeit 
zu  veröffentlichen. 

2  O.  Loew  äussert  sich  (über  die  physiologischen  Functionen  der  Phos- 
phorsäure. Biolog.  Centralblatt  1891):  Die  Vegetation  der  Phosphatalgen  nahm 
einen  viel  grösseren  Raum  ein  als  die  der  Controlalgen,  und  das  schöne  Dunkel- 
grün der  ersteren  contrastirte  sehr  mit  dem  Gelblichgrün  der  letzteren  (bei 
Abgang  der  P2O5). 

3  Die  Pflanze  in  ihren  Beziehungen  zum  Eisen.  Von  Prof.  Dr.  H.  Moli  seh, 
Jena,  1892. 


626  J.  Sto'klasa, 


jir. 


Intensität  der  grünen  Farbe  nichts  gemein  hat,  gewinnt  umso- 
mehr  ah  Interesse,  da  wir  nunmehr  zu  der  Erkenntniss  gelangt 
sind,  dass  Phosphor  iein  Best  an  dth  eil  des  Chlorophylls 
ist  und  dass  ohne  ihn  die  Entwicklung  des  Chloro- 
phylls, respective  die  Entstehung  der  Chlorophyll- 
körner eine  Unmöglichkeit  ist. 

Schliesslich  sei  noch  bemerkt,  dass  die  Proben  sämmt- 
licher  Pflanzenbestandtheile  als  Vergleichsmaterial  behufs  Fest- 
stellung des  Lecithingehaltes  jedesmal  um  4  Uhr  Nachmittags 
entnommen  wurden,  zu  welcher  Zeit  nämlich  die  Blätter  das 
meiste  Lecithin  enthalten. 

IV. 

Ober  die  Bedeutung  des  Lecithins  in  der  Blüthe. 

Schon  die  vorangehenden  Darstellungen  haben  ergeben, 
dass  die  Blüthe  lecithinreich  ist  und  dass  die  Blüthenstiele  als 
Leiter  des  Lecithins  aus  den  Blättern  in  die  Blüthe  fungiren. 

Was  für  eine  Rolle  spielt  nun  das  Lecithin  in  der  Blüthe 
bei  der  Befruchtung  und  Samenbildung? 

Um  diese  Frage  zu  beantworten,  wollen  wir  die  Blüthe 
des  Apfelbaumes  Pirtis  malus  von  ihrer  ersten  Entwicklung 
an  einer  näheren  Betrachtung  unterziehen. 

Pirus  malus. 

1. 

Die  Blüthenstiele  zur  Zeit  der  Blüthen- 
knospen  am  20.  April  enthalten  in  der 
Trockensubstanz 0-557o  Lecithin. 

Die  Kronenblätter  zur  Zeit  der  Blüthen- 
knospen  enthalten  in  der  Trockensub- 
stanz   0-847o  Lecithin. 

2. 

Die  Blüthenstiele  zur  Zeit  der  vollen 
Blüthe  am  10.  Mai  enthalten  in  der 
Trockensubstanz 0-627o  Lecithin. 

Die  Kronenblätter  zur  Zeit  der  vollen 
Blüthe  enthalten  in  der  Trockensub- 
stanz     0-867o  Lecithin. 


Das  Lecithin  in  der  Pflanze.  627 

3. 
Die  Blüthenstiele  zur  Zeit  des  Blüthen- 

abfalles  nach  der  Befruchtung  enthalten 

in  der  Trockensubstanz 0*587o  Lecithin. 

Die  Kronenblätter  zur  Zeit  des  Blüthen- 

abfalles  nach  der  Befruchtung  enthalten 

in  der  Trockensubstanz 0'227o  Lecithin. 

4. 

Die  Blüthenstiele  am  28.  Juli  vor  völliger 
Früchtreife  enthalten  in  der  Trocken- 
substanz   0-327o  Lecithin. 

Die  Blüthenstiele  im  Monate  September 
nach  der  Fruchtreife  enthalten  in  der 
Trockensubstanz 0-  lOSVo  Lecithin. 

Weitere  analytische  Belege  gewann  ich  an  der  rothen 
Rose  Rosa  centifolia: 

Die  Kronenblätter  enthielten  in  der 
Trockensubstanz  im  Stadium  der  völlig 
entwickelten  Knospen 0*967o  Lecithin. 

Die  abfallenden  Kronenblätter  ent- 
hielten in  der  Trockensubstanz  zur  Zeit 
der  Scheinfrucht O'SP/o  Lecithin. 

Interessant  ist  die  Wahrnehmung,  dass  die  Kronenblätter 
in  der  Trockensubstanz  an  Gesammt-P^Oj  0-7517o  ^^i^^ 
hielten. 

Im  Stadium  der  völlig  entwickelten  Knospen  sind  daher 
in  den  Kronenblättern  circa  11 7o  ^^r  Gesammt-P^Og  in  Form 
von  Lecithin  enthalten. 

Die  inneren  Organe  der  entwickelten  Blüthe. 
Pirus  malus. 

Die  Staubfäden  enthalten  in  der  Trocken- 
substanz   0*737o  Lecithin. 

Die  Staubbeutel  enthalten  in  der  Trocken- 
substanz     2*997o  Lecithin. 


628  J.  Stoklasa, 

Die  Pol  1  en  k ö  rn  er  enthalten  in  derTrocken- 

substanz^ ö*867o  Lecithin. 

Beobachten  wir  nun  die  inneren  Organe  anderer  Pflanzen: 

Die  Staubfäden  der  Rosskastanie  Aesculus 

hippocastanufn  enthalten  zur  Zeit  der  \ 

ersten    Blüthe-Entwickelung    in    der 

Trockensubstanz 0-627o  Lecithin. 

Die  Staubbeutel  enthalten  in  der  Trocken- 
substanz     3-427o  Lecithin. 

Die  Pollenkörner  enthalten  in  der  Trocken- 
substanz     5-  167o  Lecithin. 

Beta  vulgaris. 

Die  Pollenkörner  enthalten  in  der  Trocken- 
substanz    6-047o  Lecithin. 

Aus  den  Untersuchungen  der  Blüthenbestandtheile  geht 
hervor,  dass  die  Kronenblätter  das  meiste  Lecithin  vor  der 
Befruchtung  enthalten.  Die  Kronenblätter  sind  berufen,  als 
Vorrathskammem  des  Lecithins  bis  zur  Fruchtbildung  zu 
dienen. 

Nachdem  die  Fruchtbildung  stattgefunden  hat,  verliert 
sich  rapid  das  Lecithin  aus  den  Kronenblättern. 

Vom  biologischen  Standpunkte  aus  ist  interessant, 
dass  die  Pollenkörner  bis  67o  Lecithin  enthalten.  (Bei 
unseren  Analysen  handelte  es  sich  nur  darum,  bei  dem  Auf- 
blühen der  Blüthenknospen  die  Antheren  und  die  Pollenkömer 
zu  gewinnen). 

Als  erwiesene  Thatsache  gilt,  dass  die  thierischen  Sper- 
matozoen  nebst  Lecithin  auch  Nukleine  enthalten,  und  inter- 
essant ist  es,  dass  Zacharias  auch  in  den  nämlichen  Befruch- 
tungsorganen der  Pflanze  Nuklein  constatirte.  Zacharias 
gelangt  zu  folgenden  Resultaten: 

»Vergleicht  man  die  männlichen  Sexualzellen  mit  den 
weiblichen  zunächst  bei  den  Farnen,  so  ergeben  sich  erhebliche 

1  Eine  abgewogene  Menge  von  2— 3g  wurde  im  Erlenmeyer'schen 
Kolben  (mit  Rückflusskühler)  mit  absolutem  .Äther  und  Alkohol  extrahirt. 


Das  Lecithin  in  der  Pflanze.  629 

Verschiedenheiten,  insbesondere  in  der  Beschaffenheit  des  Zell- 
kerns. Der  Kern  der  männlichen  Zelle  (welcher  das  Zoosperm 
erzeugt)  enthält  keinen  Nucleolus  und  besteht  scheinbar  aus 
einer  homogenen,  im  Wesentlichen  aus  Nuklei'n  zusammen- 
gesetzten Masse.  Der  Kern  der  weiblichen  Zelle  hingegen 
besitzt  grosse  Nucleolen,  während  sich  Nuklein  nicht  in  ihm 
nachweisen  lässt,  sondern  ein  Netzwerk  oder  Gerüst  mit  den 
Reactionen  des  Plastin«. 

Dass  ein  geringer  Nukleingehalt  für  den  Eikern  dennoch 
wahrscheinlich  ist,  suchte  Zacharias  nachzuweisen.  »An 
Masse  steht  der  Spermakern  (generative  Kern)  dem  Eikern 
nach,  hingegen  scheint  ersterer  im  Verhältnisse  zum  Zellproto- 
plasma mehr  Masse  zu  besitzen,  als  der  Eikern,  besonders 
wenn  man  das  hintere  Bläschen  des  Spermatozoids,  welches 
vor  der  Befruchtung  abgeworfen  wird,  nicht  berücksichtigt. 
Das  Spermatozoid  (Zoosperm)  ist  percentual  viel  reicher  an 
Nuklein  als  das  Ei,  und  das  befruchtete  Ei  muss  percentual 
mehr  NukleYn  enthalten  als  das  unbefruchtete.  —  Das  gleiche 
gilt  auch  für  die  Moose.  —  Bei  den  Gymnospermen  kehren  hin- 
sichtlich der  Kerne  ähnliche  Verhältnisse  wieder.  —  Dasselbe 
traf  bei  den  untersuchten  Angiospermen  zu,  wenn  auch  hier 
die  Differenzen  von  Spermakern  und  Eikern  minder  gross  zu 
sein  scheinen  als  bei  den  Farnen,  Moosen  und  Gymnospermen«. 

»Vergleicht  man  nun«,  so  schliesst  Zacharias,  »die  Ei- 
zellen mit  theilungsfähigen  Gewebezellen,  so  fällt  im  Allge- 
meinen die  Nukleinarmuth  der  Eizellen  auf.  Es  würde  demnach 
die  Vermuthung  naheliegen,  dass  die  Eizelle  ohne  Befruchtung 
sich  desshalb  nicht  weiter  entwickeln  kann,  weil  sie  zu  nu  kl  ein- 
arm ist,  und  dass  ferner  die  thatsächlich  beobachtete 
Vermehrung  des  Nukleingehaltes  durch  das  eindrin- 
gende männliche  Element  die  Eizelle  in  den  Stand 
setzt,  sich  zum  Embryo  auszubilden. 

Untersuchungen  über  die  chemische  Zusammensetzung 
thierischer  Spermatozoen  ergaben  einen  auffallend  hohen 
Lecithingehalt. 

So  constatirte  Miescher  in  100  Gewichtstheilen  orga- 
nischer Stoffe  des  reinen  Lachssperma  48-687o  NukleYn  und 
7 -4770  Lecithin. 


630  J.  Stoklasa, 

Aus  meinen  Analysen  folgt,  dass  auch  den  männ- 
lichen Geschlechtszellen  höherer  Phanerogamen  ein 
sehr  grosser  Lecithingehalt  zukommt,  womit  eine 
neue  chemische  Ähnlichkeit  zwischen  thierischen 
und  pflanzlichen  Zellen  zum  Vorschein  kommt. 

Natürlicherweise  drängt  sich  uns  nun  die  Frage  auf,  wo- 
her denn  das  Lecithin  in  der  Blüthe  seinen  Ursprung  hat? 
Schon  die  Analyse  der  Blüthenstiele  hat  dargethan,  dass  das 
Lecithin  in  der  Blüthe  von  ihrer  ersten  Entwicklung  an  bis  zur 
Zeit  der  Fruchtreife  sehr  rege  circulirt.  Es  ist  die  Möglich- 
keit nicht  ausgeschlossen,  dass  das  in  den  grünen 
Blättern  vorhandene  Lecithin  auch  nach  der  Blüthe 
hin  circulirt  und  die  wesentlichen  Bestandtheile  der- 
selben Kronenblätter,  Staubgefässe  und  Fruchtknoten 
anfüllt.  Namentlich  im  Stadium  der  Fruchtreife  ver- 
liert sich  das  Lecithin  rapid  aus  den  Blättern  und 
übersiedelt  in  die  Samen,  wo  es  sich  zumeist  in  ganz 
veränderten  Formen  ablagert. 

Damit  ist  jedoch  keineswegs  gesagt,  dass  ich  die  grünen 
Blätter  gewissermassen  nur  als  Producenten  des  Lecithins 
betrachten  würde;  wie  aus  den  Forschungen  über 
die  Vitalprocesse  der  Hyphomyceten,  Bakterien  u.A. 
hervorgeht,  kann  die  lebendige  Zelle  Lecithin  auch 
ohne  Chlorophyll  reproduciren. 


Zusammenfassung  der  Resultate  nebst  Schlussbetrachtungen. 

Was  zunächst  das  Vorkommen  des  Lecithins  in  der  Pflanze 
anbelangt,  so  ergaben  zahlreiche  Analysen  für  die  verschiedenen 
Organe  Folgendes: 

L  Wurzel. 

Einjährige  Pflanzen  enthalten  in  ihrer  Wurzel  sebr 
wenig  Lecithin,  sein  Quantum  beträgt  maximal  0-37o-  Nach 
beendeter  Vegetation  sinkt  diese  Menge  auf  0*  1  Vo- 

In  den  Wurzeln  zweijähriger  oder  perennirender 
Pflanzen  ist  zu  Ende  der  Vegetationszeit  stets  eine  grössere 
Lecithinmenge  vorhanden,  welche  eine  beachtenswerthe  Re- 
servesubstanz zur  Bildung  neuer  Zellen  darstellt. 


Das  Lecithin  in  der  Pflanze.  631 


II.  Stamm. 


Der  Stengel  enthält  0-3— 0 -470  Lecithin.  Nach  der  Frucht- 
reife  geht  dieses  Quantum  ungemein  rasch  zurück,  so  dass  es 
bei  einjährigen  Pflanzen  in  dieser  Periode  höchstens  O-P/o 
beträgt. 

ni.  Blätter. 

In  den  Blättern  ist  stets  eine  grössere  Menge  Lecithin  vor- 
handen. Nach  stattgefundener  Befruchtung  und  während  der 
Fruchtbildung  schwindet  das  Lecithin  aus  den  Blättern,  zumal 
wenn  diese  zu  vergilben  beginnen  und  der  gelbe  Blattfarbstoff 
in  Erscheinung  tritt  Die  reine  Blattsubstanz  ist  unter 
allen  Pflanzenbestandtheilen  mit  Ausnahme  der  An- 
thera  sammt  den  Pollenkörnern  zur  Zeit  der  Blüthe 
an  Lecithin  am  reichsten.  Es  enthalten  die  Blätter  an 
Gesammt-PgOß  bis  407©  in  Form  von  Lecithin. 

Da  ich  beobachten  konnte,  dass  mit  der  Ent- 
stehung und  Zerstörung  des  Chlorophyllfarbstoffes 
auch  die  Entstehung  und  Zerstörung  des  Lecithins 
parallel  geht,  und  ^a  ich  es  ferner  für  höchstwahr- 
scheinlich Annehmen  konnte,  dass  der  Chlorophyll- 
farbstoff eine  dem  Lecithin  entsprechende  Phosphor- 
menge enthält,  so  bin  ich  der  Meinung,  dass  das 
Chlorophyll  selbst  ein  Lecithin  ist. 

IV.  Blüthe. 

Aus  den  Untersuchungen  der  Blüthenbestandtheile  geht 
hervor,  dass  die  Blumenblätter  das  meiste  Lecithin  im 
Stadium  völligerKnospenentwicklung  enthalten;  nach 
der  Befruchtung  und  zur  Zeit  der  Fruchtbildung  nimmt  das 
Lecithin  ab. 

Die  männlichen  Geschlechtsorgane,  Staubfäden  und  die 
Anthera  mit  den  Pollenkörnern  sind  die  lecithinreichsten  Be- 
standtheile  der  Blüthe. 

Das  lecithinreichste  Organ  der  ganzen  Pflanze 
aber  ist  entschieden  das  Pollenkorn;  das  in  demselben 
enthaltene  Lecithinquantum  erreicht  bis  67o-  Diese 
Thatsache  verdient   umsomehr  Beachtung,   als   man 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Gl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I  42 


632  J.  Sloklasa,  Das  Lecithin  in  der  Pflanze. 

auch    im    Sperma    höherer    Thiere    einen    auffallend 
hohen  Gehalt  an  Lecithin  aufgefunden  hat. 


Wenn  wir  den  Lecithinprocess  der  Phanerogamen  in  der 
Pflanze  von  der  Keimung  angefangen  bis  zur  völligen  Ent- 
wicklung verfolgen,  so  finden  wir,  dass  sich  das  Lecithin  bis 
zur  Zeit  der  Befruchtung  in  sämmtlichen  Organen  ansammelt, 
zur  Zeit  der  Fruchtbildung  aber  zu  schwinden  beginnt,  um 
sich  schliesslich  im  Samen  in  Form  anderer  phos- 
phorhältiger  und  wahrscheinlich  ausschliesslich  or- 
ganischer Verbindungen  abzusetzen. 

Dass  neben  Lecithin,  Nuklein  und  Nukleoalbumin  auch  bis- 
her unbekannte  organische  stickstoffhaltige  und  phosphorreiche 
Substanzen  existiren,  ist  sehr  wahrscheinlich.^ 

Es  wurde  constatirt,  dass  das  Lecithinquantum  in  der 
ganzen  Pflanze  zur  Zeit  der  Blüthe  ein  viel  grösseres  ist,  als 
nach  der  Entwicklung  und  Reife  der  Früchte.  Femer  dass  das 
Lecithin  in  der  Pflanze  circulirt  und  zur  Bildung  neuer  Pflanzen- 
substanz  disponibel  gemacht  wird. 

Dafür,  dass  das  Lecithin  thatsächlieh  in  der  Pflanze  circu- 
lirt, liefert  unter  Anderem  auch  einen  Beleg  der  Blutungssaft 
der  Birke  im  Monate  April. 

In  1000 cw*  Blutungssaft  waren  9*3^  Trockensubstanz 
enthalten,  welche  wieder  0*105^  Lecithin  enthielt.  Das 
Lecithin,  dieser  treue  Begleiter  der  Eiweissstoffe,  geht  bei  Ein- 
tritt der  Samenreife  aus  den  übrigen  Pflanzenorganen  in  den 
Samen  über,  dient  zu  dessen  Ausbildung  oder  wandert  bei 
zweijährigen  und  perrenirenden  Pflanzen  in  deren  Wurzel  und 
Stamm. 

Es  sei  mir  erlaubt  an  dieser  Stelle  dem  Herrn  Prof.  Dr. 
H.  Molisch  für  die  Rathschläge,  die  er  mir  während  meiner 
Arbeit  ertheilt  hat,  meinen  tiefsten  Dank  auszusprechen. 


1  In  letzter  Zeit  veröffentlichte  E.Schulze  und  E.  Winterstein:  »Über 
einen  phosphorhaitigen  Bestandtheil  der  Samen  von  Sinapis  nigra  (Zeitschrift 
für  physiol.  Chemie,  1896).€ 


633 


Die  Ernährung  der  Algen 

(Süsswasseralgen,  IL  Abhandlung) 

von 

Hans  Molisch, 

c.  M.  k.  Akad. 

Aus  dem  pflanzenphysiologischen  Institute  der  k.  k.  deutschen  Universität 

in  Prag. 

In  meiner  ersten  Abhandlung^  über  diesen  Gegenstand 
habe  ich  vor  Allem  festzustellen  versucht,  welche  Nährelemente 
die  Süsswasseralgen  benöthigen;  es  hat  sich  hiebei  heraus- 
gestellt, dass  viele  Algen  derselben  Elemente  bedürfen  v^ie  die 
höhere  grüne  Pflanze,^  jedoch  mit  einer  höchst  auffallenden 
Einschränkung  bezüglich  des  Calciums,  welches  sich  für  einige 
Algen {Vaucheria,Spirogyra)  als  noth wendig,  für  andere  (Micro- 
thamnion,  Stichococcus^  Ulothrix,  Protococcus)  als  unnöthig 
erwies. 

In  der  vorliegenden  zweiten  Abhandlung  strebte  ich  vor 
Allem  die  Lösung  folgender  drei  Fragen  an: 

1.  Welche  Reaction  soll  eine  Nährlösung  für  Algen  haben  .^ 

2.  Ist  bei  der  Ernährung  der  Algen  das  Kalium  durch  seine 
nächsten  verwandten  Elemente  ersetzbar? 

3.  Ist  Phosphor  durch  Arsen  vertretbar? 


1  H.  Moli  seh,  Die  Ernährung  der  Algen.  (Süsswasseralgen,  I.  Ab- 
handlung.) Diese  Berichte,  Bd.  CIV,  Abth.  I,  1895.  Im  Folgenden  will  ich  diese 
Arbeit  kurz  »Molisch  I«  citiren. 

2  Ob  die  Diatomeen  nicht  vielleicht  im  Gegensatz  zu  den  anderen 
Algen  für  den  Aufbau  ihrer  Zellhaut  die  Kieselsäure  benöthigen,  vermag  ich 
vorläufig  nicht  zu  sagen,  da  es  mir  bisher  nicht  gelingen  wollte,  die  Diatomeen 
im  Laboratorium  gut  zu  cultiviren. 

42* 


634  H.  Molisch, 

I.  Welche  Reaction  soll  eine  Algennährlösung  haben? 

So  wie  die  Reaction  der  Nährflüssigkeit  bei  Pilzen  oft  von 
entscheidender  Bedeutung  für  Gedeihen  oder  Nichtgedeihen 
ist,  so  auch  bei  den  Algen.  Ich  habe  bei  meinen  Versuchen 
diesbezüglich  nicht  selten  unangenehme  Erfahrungen  gemacht, 
denn  mitunter  wollten  Algen,  deren  Cultur  mir  sonst  keine 
Schwierigkeiten  machte,  in  gewissen  Nährlösungen  nicht  nur 
nicht  gedeihen,  sondern  sie  gingen  sogar  zu  Grunde.  Bei  plan- 
mässig  angestellten  Experimenten  stellte  sich  dann  heraus, 
dass  die  Art  der  Reaction  der  Nährflüssigkeit  daran  Schuld 
war.  Die  Algen  benöthigen  in  der  Regel  eine  ganz 
schwach  alkalische  Reaction  der  Nährflüssigkeit, 
saure  Reaction  hemmt  die  Entwicklung  oder  tödtet 
die  Algen. 

Bringt  man  Spirogyra-,  Vaucheria-,  Cladophora-,  Oedo- 
goniwm  oder  Oscillaria -Arten  in  eine  Nährlösung  von  folgender 
Zusammensetzung: 

1000^  H^O 
0-2^NO3K 
0-2^PO,KH, 
0-2^SO,Mg 
0-2^SO,Ca 
Spur  Eisenvitriol, 

so  gehen  die  Algen  nach  1 — 3  Tagen  entweder  zu  Grunde 
oder  sie  beginnen  zu  kränkeln.  Diese  Lösung  reagirt  nämlich 
schwach  sauer.  Ersetzt  man  in  derselben  nur  das  sauer  reagi- 
rende  Monokaliumphosphat  durch  das  alkalisch  reagirende 
Dikaliumphosphat,  so  erhält  die  Lösung  hiedurch  schwach 
alkalische  Reaction  und  die  Algen  bleiben  gesund.  Desgleichen 
wird  die  schädigende  Wirkung  der  Nährlösung  aufgehoben, 
wenn  man  das  Monokaliumphosphat  belässt,  jedoch  kohlen- 
sauren Kalk  brs  zu  schwach  alkalischer  Reaction  hinzufügt* 


1  In  solcher  Nährlösung  keimen  auch  die  Sporen  von  Equisetum  arvense 
sehr  gut,  hingegen  nicht  in  der  sauer  reagirenden  von  der  angegebenen  Zu* 

sammensetzung. 


Ernährung  der  Algen.  635 

Lehrreich  ist  auch  folgender  Versuch:  Neun  Culturgefässe 
werden  mit  sehr  schwach  sauer  reagirender  Nährflüssigkeit 
von  der  erwähnten  Zusammensetzung  versehen,  drei  davon 
unverändert  belassen,  je  eines  von  den  übrigen  jedoch  mit 
einer  der  Substanzen  Soda,  kohlensaures  Kali,  Ätzkalk,  Kalium- 
hydroxyd und  Borax  versetzt,  und  zwar  mit  gerade  so  viel, 
dass  die  Reaction  der  Culturflüssigkeit  ganz  schwach  alkalisch 
wurde,  beziehungsweise  ein  hineingeworfenes  rothes  Lackmus- 
papier sich  nach  etwa  10 — 20  Minuten  deutlich  bläute.  Spiro- 
gyra  und  Osctllaria,  welche  ich  sodann  in  die  Gefässe  brachte, 
gingen  in  der  sauren  Nährlösung  nach  1 — 3  Tagen  unter  Weiss- 
werden vollständig  zu  Grunde,  während  sie  sich  in  den  alkalisch 
gemachten  Lösungen  wochenlang  am  Leben  erhielten,  ja  theil- 
weise  stark  vermehrten. 

In  Übereinstimmung  mit  diesen  Befunden  steht  die  That- 
sache,  dass  natürliche  Wässer,  wie  sie  in  Tümpeln,  Bächen, 
Teichen  und  Seen  vorkommen  und  in  welchen  Algen  an- 
getroffen werden,  in  der  Regel  sehr  schwach  alkalisch  reagiren. 
Ich  habe  mich  zu  wiederholten  Malen  überzeugt,  dass  rothes 
Lackmuspapier,  welches  ich  in  solche  natürliche  Wässer  warf, 
sich  nach  einiger  Zeit  (15 — 60  Minuten)  bläute,  in  harten 
Wässern  begreiflicherweise  rascher  und  stärker  als  in  weichen. 
Die  Ursache  dieser  Alkalescenz  des  Wassers  ist  in  erster  Linie 
der  kohlensaure  Kalk,  welcher  dem  Wasser  die  Eigenschaft 
verleiht,  Säuren  zu  neutralisiren,  d.  h.  er  macht  das  Wasser 
alkalisch.^ 

Nun  wird  auch  die  von  Migula  gemachte  Beobachtung,"^ 
derzufolge  verschiedene  Algen  gegen  geringe  Mengen  organi- 
scher und  anorganischer  Säuren  sehr  empfindlich  sind  und 
geschädigt  werden,  um  so  begreiflicher.  Der  genannte  Autor 
bot  seinen  Algen  freie  Säuren,  aus  meinen  Versuchen  geht 
aber  hervor,  dass  selbst  schon  saure  Salze  verschiedene  Algen 
tödten  oder  ihr  Gedeihen   hemmen.  Viel  früher  hatte  schon 


1  Wanklyn  J.  A.,  Analyse   des  Wassers.  Übersetzung  der  8.  Auflage 
von  H.  Borckert.  Charloltenburg  1893,  S.  89. 

2  Migula  W.,  Über  den  Einfluss  stark  verdünnter  Säurelösungen  auf 
Algenzellen.  Inaugural-Dissertation,  Breslau  1888. 


636  H.  Molisch, 

O.  Loevv  die  Schädlichkeit  saurer  Substanzen  für  das  Prot*> 
plasma  der  meisten  Algen  betont.^ 

Unter  den  verschiedenen  Algen,  die  ich  gelegentlich 
meiner  nunmehr  dreijährigen  Ernährungsversuche  im  Labora- 
torium cultivirt  habe,  kam  mir  keine  einzige  unter,  welcher 
eine  schwach  alkalische  Nährlösung  nicht  zugesagt  hätte. 
Es  erscheint  dies  um  so  verständlicher,  als  ja,  wie  Klebs- 
zuerst  für  Zygnemen  fand  und  wie  ich  für  sehr  viele  Algen 
bestätigen  kann,  Algen  die  Fähigkeit  besitzen,  im  Sonnenlichte 
unter  den  Bedingungen  der  Kohlensäureassimilation  Nähr- 
lösungen alkalisch  zu  machen,  mithin  wenigstens  während 
ihrer  Beleuchtung  für  die  Alkalescenz  ihres  Mediums  Sorge 
tragen  und  in  einem  solchen  auch  gedeihen.  Doch  soll  damit 
keineswegs  gesagt  sein,  dass  es  unter  den  Algen  nicht  auch 
solche  gibt,  welche  nicht  mit  einer  neutralen  oder  schwach 
sauren  Nährlösung  vorlieb  nehmen,  denn  ich  selbst  habe  in 
Stichococcns  und  Protococcus  derartige  Algen  kennen  gelernt 
In  Wässern  der  Torfböden,  welche  ihres  relativ  hohen  Gehaltes 
an  Humussäuren  wegen  bekanntlich  sauer  reagiren,  dürften 
noch  andere  Gattungen  gefunden  werden,  welche  eine  schwache 
Acidität  des  Mediums  vertragen.^ 

II.  Ist  das  Kalium  durch  seine  nächstverwandten  Elemente 

ersetzbar? 

Die  einschlägigen  Versuche  wurden  unter  ganz  denselben 
Vorsichten  durchgeführt  wie  meine  früheren  Experimente, 
weshalb  ich  einfach  auf  den  Abschnitt  »Methodisches«  in 
meiner  ersten  Algenarbeit '^  verweise.  Es  sei  hier  nur  kurz 
betont,  dass  Ernährungsversuche  über  die  Vertretbarkeit  eines 


J  Loew  0.,  Sind  Arsenverbindungen  ein  Gift  für  pflanzl.  Protoplasma? 
Pflüger's  Archiv,  1883,  S.  112. 

-  Klebs  G.,  Über  die  Organisation  der  Gallerte  bei  einigen  Algen  etc. 
Untersuch,  aus  dem  bot.  Inst,  zu  Tübingen,  II.  Bd.,  S.  340. 

3  Das  Bedürfniss  nach  einer  bestimmten  Reaction  des  Nährmediuras 
muss  für  die  Verbreitung  von  Algen  und  Pilzen  neben  anderen  Factoren  gleich- 
falls von  massgebender  Bedeutung  sein.  Es  ist  dies  meiner  Ansicht  nach  ein 
Beweis  dafür,  dass  neben  physikalischen  Ursachen  auch  chemische  die 
V'ertheilung  der  Gewächse  auf  der  Erde  bestimmen. 

■*  H.  Molisch,  1,  1.  c.  S.  6  des  Separatabdruckes. 


Ernährung  der  Algen.  637 

Elementes,  zumal  des  Kaliums,  durch  verwandte  die  grösste 
Sorgfalt  von  Seite  des  Experimentators  erheischen,  und  dass 
auch  diesmal  alles,  was  ich  über  die  Reinigung  des  Nähr- 
materials und  die  Verwendung  von  Glasgefässen  gesagt  habe, 
streng  eingehalten  wurde.  Die  Alkalisalze  standen  mir  zum 
Theil  in  einer  Reinheit  zur  Verfügung,  die  nicht  so  leicht  über- 
troffen  werden  dürfte. 

Herr  Prof.  Dr.  R.  Godeffroy  (Wien)  hatte  nämlich  seiner- 
zeit unter  Berücksichtigung  der  Methoden  von  Bunsen  und 
eigenen  Erfahrungen  sich  mehrere  Alkalisalze  dargestellt,  um 
damit  das  Atomgewicht  von  Rubidium  und  Caesium  zu  be- 
stimmen.^ Der  genannte  Forscher,  der  inzwischen  dem  Leben 
leider  entrissen  wurde,  hatte  im  vorigen  Jahre  die  besondere 
Güte,  mir  von  diesen  reinen  Salzen  Rubidiumsulfat  und  Cäsium- 
alaun für  meine  Untersuchungen  zur  Verfügung  zu  stellen.  Da 
die  Salze  aus  dem  Jahre  1876  stammten,  so  wäre  es  nicht  un- 
möglich gewesen,  dass  sie  inzwischen  bei  der  Aufbewahrung 
mit  Spuren  von  anderen  Alkaliverbindungen  verunreinigt 
wurden.  Sie  wurden  daher  nochmals  spectraliter  geprüft  und 
erwiesen  sich  als  frei  von  anderen  Alkalimetallen.  Die  anderen 
benützten  Alkalisalze  stammten  aus  den  Fabriken  von  Merck 
und  Trommsdorff  und  wurden  vor  ihrer  Verwendung  noch 
zweimal  umkrystallisirt. 

Versuche  mit  Protococcus  inßtsionum  (Schrank)  Krch. 
und  Stichococcus  haccilaris  Nägeli. 

Die  kaliumfreie  Nährlösung  hatte  die  Zusammensetzung:  * 

500^  H^O 

0-4^PO,(NHJ3 

0-2^SO,Mg 

2  Tropfen  einer  P/o  Eisenvitriollösung. 


1  R.  Godeffroy,  Bestimmung  der  Atomgewichte  von  Cäsium  und 
Rubidium.  Liebig's  Annalen  der  Chemie,  Bd.  181,  1876,  S.  176. 

2  Die  Lösung  trübt  sich  etwas,  weil  etwas  phosphorsaure  Ammon- 
magnesia  ausfällt.  Für  unsere  Versuche  ist  dies  ohne  Bedeutung.  Diese  sowie 
die  später  verwendeten  Nährlösungen  enthielten  keinen  Kalk.  Ich  wollte  damit 
neue  Beweise  dafür  erbringen,  dass  gewisse  Algen  des  Kalkes  nicht  bedürfen. 
Vergl.  darüber  »Molisch,  I,«  S.  12. 


638  H.  Molisch, 

Damit  wurden  21  Paraffin-Erlenmeyer-Kolben  versehen. 

Kolben  Erhielt  als  Zusatz:     • 

1  Nichts. 

2 
3 

4  O-OOeVo  RbaSO^  (Godeffroy) 

5  »  »  » 

6  »  »  » 

7  0-0067o  (SOJ3AI2 .  SO^Cs^  .  24  H.O  (Godeffroy) 

8  »  »  * 

9  »  » 
10            0-006  7o  SO^Cs, 

11 

12 

13  0-0067o  Li'aSO^ 

14 

15 

16  0-0067o  Na^SO^ 

17  »      •        . 
18 

19  o-ooeVo  I<2S04 

20 
21 

Jedes  Gefäss  —  die  Nährflüssigkeit  betrug  je  50  cm^  — 
wurde  schliesslich  mit  einer  Nadelspitze  voll  von  mit  destil- 
lirtem  Wasser  gewaschenen  Protococais  infusionum  (Schrank) 
Krch.,  welcher  sich  auf  einer  sehr  kaliumarmen  Lösung  nahezu 
in  Reincultur  entwickelt  hatte,  geimpft. 

Beginn  des  Versuches  am  20.  Mai  1896,  Ende  14.  Juli  1896. 

Am  4.  Juni  waren  die  Kaliumculturen  deutlich  grün,  und 
zwar  nur  diese.  Am  16.  Juni  fielen  die  Kaliumculturen  schon 
von  Weitem  durch  ihre  intensiv  grüne  P'arbe  auf.  Mit  Ausnahme 
einer  kaliumfreien  Cultur,  welche  schwach  grün  war,  waren 
alle  anderen  farblos.  Am  23.  Juni  alles  im  Wesentlichen  ebenso. 
In  den  Kaliumculturen  hatte  sich  inzwischen  eine  geschlossene 
tief  grüne  Haut  und  ein  reichlicher  Bodensatz  von  Protococais 
crebildet. 


Ernährung  der  Algen.  639 

Das  Resultat  dieser  Versuchsreihe  darf  als  ein  ziemlich 
präcises  hingestellt  werden,  denn,  wenn  man  von  der  einen 
»kaliumfreien«  Cultur  absieht,  in  welcher  sich  die  Alge  offenbar 
geringer  Kaliumspuren  wegen,  die  die  Nährflüssigkeit  enthielt, 
ziemlich  vermehrt  hatte,  so  fand  eine  schöne  und  deutliche 
Entwicklung  der  Alge  nur  in  den  Kaliumculturen  statt,  mit 
anderen  Worten,  nach  dieser  Versuchsreihe  wäre  Kalium  durch 
seine  nächsten  Verwandten  nicht  vertretbar.  Um  darin  sicherer 
zu  sein,  stellte  ich  ganz  dieselbe  Versuchsreihe  an,  jedoch 
mit  dem  Unterschiede,  dass  von  den  Alkaliverbindungen  nur 
0 -00270  hinzugefügt  wurde. 

Das  Ergebniss  bei  Anwendung  von  Paraffingefässen  war 
dasselbe  wie  bei  der  vorhergehenden  Versuchsreihe.  Beginn 
des  Versuches  am  26.  Mai  1896,  Ende  am  16.  Juli  1896.  Zehn 
Tage  nach  Beginn  des  Experimentes  zeigten  die  kaliumhältigen 
Nährlösungen  einen  grünen  Stich,  nach  16  Tagen  eine  grüne 
Algenhaut;  alle  anderen  Culturen  blieben  farblos^  erst  gegen 
Ende  des  Versuches,  also  nach  etwa  172  Monaten,  trat  in  einer 
Rubidiumcultur  eine  Spur  von  Algenentwicklung  auf. 

In  den  beiden  eben  geschilderten  Versuchsreihen  wurden 
Paraffingefasse  verwendet.  Cultivirt  man  jedoch  die  Algen  in 
gewöhnlichen  Erlenmeyer-Kölbchen  ohne  Paraffin,  so  ist  das 
Ergebniss,  namentlich  bei  langer  Versuchszeit,  offenbar  weil 
Kalispuren  aus  dem  Glas  herausgelöst  werden,  ein  weniger 
präcises.  Um  davon  eine  Vorstellung  zu  geben,  theile  ich  aus 
meinen  Aufzeichnungen  folgende  Versuchsreihe  mit  Proto- 
coccus  inftisiomtm  mit. 

Zusammensetzung  der  kaliumfreien  Nährlösung  wie  vorher. 
Zahl  der  Kölbchen  18. 

Kölbchen  Erhielt  als  Zusatz 

2  ;  Nichts. 


3) 

6) 


5  0-005'Vo  RbjSO^ 


640  H.  Molisch, 

Kölbchen  Erhielt  als  Zusatz: 

n 

8  ^  O-OOSVoCSgSO^ 

9  ) 
10) 

11  ^  0 -00570  LigSO^ 

12  ) 
13) 

14  '  O-OOöVo  Na^SO^ 

15  ) 
16) 

17  ^  0-0057o  KgSO^ 

18  ) 

Beginn  des  Versuches  3.  Juni,  Ende  15.  Juli.  Nach  7  Tagen 
Cultur  16 — 18  schwach  grün,  alle  anderen  farblos.  Nach 
15  Tagen  16  — 18  deutlich  grün,  1  —  3  schwach  grün,  13—15 
schwach  grün,  aber  etwas  schwächer  als  1  —  3. 

Nach  23—32  Tagen: 

1 — 3  deutlich  grün,  eine  geschlossene  Algenhaut, 

4—6  sehr  schwach  grün, 

7 — 9  farblos, 
10 — 12  sehr  schwach  grün, 

13—  15  deutlich  grün,  eine  geschlossene  Algenhaut, 
16 — 18  tief  grün,  eine  geschlossene  Algenhaut. 

Auch  aus  dieser  Versuchsreihe  folgt,  dass  das  Kalium  die 
besten  Culturen  ergibt.  Kalium  ermöglicht  rasche  und  reich- 
liche Entwicklung.  Cäsium  Hess  die  Algen  überhaupt  nicht 
aufkommen.  In  den  anderen  Gefässen  war  aber  dennoch  Ent- 
wicklung eingetreten,  in  dem  »kaliumfreien«  merkwürdiger- 
weise eine  bessere  als  bei  Zusatz  von  Rubidium  und  Lithium, 
eine  Thatsache,  die  nicht  sehr  für  die  Vertretbarkeit  des  Kaliums 
durch  die  beiden  genannten  Elemente  spricht,  sondern  eher  auf 
eine  schädigende  Einwirkung  dieser  hindeutet.  Die  Culturen 
mit  Zusatz  von  Na  waren  ungefähr  den  kaliumfreien  gleich. 

Man  könnte  nun  einwenden,  dass  die  Concentration,  in 
welcher  die  Alkali  Verbindungen  geboten  wurden  (O'0057o)> 
schon  zu  gross  war  und  in  Folge  dessen  giftig  wirkt,  dass  aber 


Ernährung  der  Algen.  641 

geringere  Mengen  der  Alkalimetalle  eine  gleiche  Wirkung  wie 
Kalium  ausgeübt  hätten.  Dem  gegenüber  bemerke  ich,  dass  in 
der  zweiten,  auf  S.  7  mitgetheilten  Versuchsreihe  die  Concen- 
tration  nur  mehr  0 -00270  war,  ohne  dass  das  Ergebniss 
wesentlich  anders  gewesen  wäre.  Auch  sei  bemerkt,  dass  bei 
weiterer  Verringerung  der  Alkalidosen,  d.  h.  wenn  man  den 
Gehalt  der  Rubidium-,  Cäsium-  und  Lithiumverbindungen  bis 
auf  0*001  oder  0 -000570  in  der  Nährlösung  herabdrückt,  diese 
auch  dann  nicht  Kaliumverbindungen  zu  ersetzen  vermögen; 
es  tritt  nun  dann  die  hemmende  Wirkung  mit  sinkendem  Alkali- 
gehalt allerdings  zurück,  und  derartige  Culturen  gleichen  dann 
mehr  oder  weniger  den  »kaliumfreien«.  Als  bei  Wiederholung 
dieser  Versuchsreihe  die  Alkalimetalle  anstatt  in  Form  der 
Sulfate  in  Form  von  Chloriden  geboten  wurden,  war  das  Er- 
gebniss im  Wesentlichen  dasselbe. 

Wenn  ich  alle  meine  Versuche  über  den  Werth  der  Alkali- 
verbindungen überschaue,  so  glaube  ich  zu  dem  Schlüsse 
berechtigt  zu  sein,  dass  das  Kalium  für  die  normale  Entwick- 
lung meiner  Versuchsalge  Protococcus  nothwendig  ist,  und 
dass  dieses  Element  durch  Rubidium,  Lithium,  Cäsium  oder 
Natrium  nicht  ersetzt  werden  kann.  Dies  stimmt  im  Wesent- 
lichen auch  mit  den  Erfahrungen,  die  bereits  früher  O.  Loew 
bei  Versuchen  über  die  Vertretbarkeit  des  Kaliums  durch 
Rubidium  mit  Polygonnm  fagopyrum,  also  einer  phanero- 
gamen  Pflanze  gemacht  hat,  denn  hier  konnte  Rubidium 
weder  als  Nitrat^  noch  als  Chlorid  die  Stelle  der  entsprechenden 
Kalisalze  in  den  bei  Kali  als  günstig  befundenen  Nähr- 
salzgemischen vertreten.^  In  jüngster  Zeit  hat  W.  Benecke  ^ 
die  Nothwendigkeit  des  Kaliums  auch  für  Schimmelpilze  und 
deren  Verwandte  erwiesen  und  die  gegentheiligen  Angaben 
Wehmer's  damit  wohl  widerlegt.^ 


^  O.  Loew,  Kann  das  Rubidium  die  physiologische  Function  des  Kaliums 
in  der  Pflanzenzelle  übernehmen?  Die  landw.  Versuchsstationen,  Bd.  XXI,  1878, 
S.  395. 

••i  W.  Be  necke,  Die  Bedeutung  des  Kaliums  und  Magnesiums  für  Entwick- 
lung und  Wachsthum  des  Aspergillus  niger  etc.  Botan.  Zeitung,  I,  1896,  S.  97. 

3  Bei  dieser  Gelegenheit  möchte  ich  bemerken,  dass  ich  an  meiner  Auf- 
fassung, derzufolge  gewisse  niedere  Pilze  Eisenspuren  zu  ihrer  normalen  Ent- 


642  H.  Molisch, 

III.  Über  die  angebliche  Ersetzbarkeit  der  Phosphate  durch 

Arseniate. 

O.  Loevv^  beobachtete,  dass  verschiedene  Algenarten  in 
P/o  Lösung  von  arsensaurem  Kalium  sich  am  Leben  erhalten, 
hingegen  in  einer  ebenso  starken  neutralisirten  Lösung  von 
arsenigsaurem  Kali  nach  6  — 10  Tagen  abstarben. 

Auch  die  höheren  Pflanzen  scheinen  ein  ähnliches  Ver- 
halten den  beiden  Arten  von  Arsensalzen   gegenüber  aufzu- 


wicklung  benöthigen,  auch  jetzt  noch  festhalte  und  dass  ich  diese  meine 
Ansicht  so  lange  nicht  für  widerlegt  betrachten  werde,  bis  es  Jemandem 
gelungen  sein  wird,  die  Ergebnisse  meiner  Versuche  als  unrichtige  zu  erweisen 
und  bis  es  gelungen  sein  wird,  Pilze  zu  ziehen,  in  deren  Asche  kein  Eisen 
vorhanden  ist.  Am  wenigsten  kann  ich  mich  jedoch  für  widerlegt  halten  durch 
Versuche,  wie  sie  C.  Wehmer  gegen  mich  geltend  zu  machen  sucht,  denn 
dessen  wenige,  ursprünglich  zu  einem  ganz  anderen  Zwecke  durchgeführten 
Experimente  entbehren  der  gerade  in  unserer  Streitfrage  so  nothwendigen 
Exactheit  —  in  ähnlichem  Sinne  sprach  sich  auch  bereits  W.  Benecke  in 
einem  Referat  über  die  einschlägige  Arbeit  Wehmer's  aus:  Botan.  Zeitung  1896, 
II,  S.  12  —  und  können  eben  deshalb  keinen  Anspruch  auf  ernste  Beachtunj; 
erheben. 

Diejenigen,  welche  die  Nothwendigkeit  des  Eisens  zu  bestreiten  geneigt 
sind,  mache  ich  darauf  aufmerksam,  dass  auch  Algen  in  sorgfaltig  dar- 
gestellten Nährlösungen,  denen  man  keine  Eisenverbindung  beigegeben  hat, 
sich  namentlich  bei  längerer  Versuchsdauer  ebenso  wie  Pilze  schwach  ent- 
wickeln, und  doch  wird  man  auf  der  Gegenseite  sich  schwerlich  zu  dem 
Schluss  entschlicssen  wollen,  dass  Algen  des  Eisens  nicht  bedürfen.  Man  wird 
vielmehr  annehmen,  dass  hier  Algenentwicklung  auf  Kosten  von  Eisenspuren 
erfolgte,  von  denen  man  sich  eben  in  Anbetracht  der  allgemeinen  Verbreitung 
von  sehr  geringen  Eisenmengen  derzeit  nicht  losmachen  kann.  Von  vornherein 
ist  man  geneigt,  die  Wirksamkeit  solcher  Eisenspuren  zu  unterschätzen,  ob  mit 
Recht,  wird  vielleicht  die  Zukunft  lehren.  Vor  zwei  Jahren  hätte  es  Niemand 
für  wahrscheinlich  gehalten,  dass  Jod  ein  normaler  Bestandtheil  der  mensch- 
lichen Schilddrüse  ist  und  dass  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  für  den  normalen 
Zustand  und  die  normale  Function  derselben  das  Jod  unerlässlich  ist.  Heute 
jedoch  sind  wir  auf  Grund  der  interessanten  Befunde  Baumann's  (Zeitschrift 
für  physiologische  Chemie,  1896)  in  dieser  Hinsicht  anderer  Meinung,  obwohl 
die  allgemeine  Verbreitung  von  Jod  in  der  uns  umgebenden  Natur  trotz  der 
empfindlichen  Reactionen  auf  Jod  derzeit  noch  gar  nicht  nachgewiesen  ist. 

1  Loew  0.,  Ein  natürl.  System  der  Giftwirkungen.  München,  1893,  S.  19, 
Vergl.  auch  dessen  Abhandlungen  in  Pflüger's  Archiv,  1883,  S,  111  und  1887, 
S.  444. 


Ernährung  der  Algen.  643 

weisen,  denn  während  nach  Nobbe^  arsenigsaures  Kali  noch 
in  grossen  Verdünnungen  Erbsenkeimlinge  tödtet,  fand  Knop,* 
dass  Maispflanzen  0*05^  arsensaures  Kali  pro  Liter  Nähr- 
lösung nicht  nur  vertragen,  sondern  darin  normalen  Samen 
entwickeln. 

Was  über  Beziehungen  zwischen  Arsenverbindungen  und 
den  Organismen  bisher  bekannt  geworden  ist,  hat  Loew  im 
Wesentlichen  in  seinem  trefflichen  Buche  über  Giftwirkungen 
zusammengestellt,  weshalb  ich,  um  Wiederholungen  zu  ver- 
meiden, einfach  darauf  hinweise.  Vor  Kurzem  hat  auch  J. 
Stoklasa  auf  Grund  zahlreicher  Versuche  dargethan,  dass 
bei  höheren  Phanerogamen  Arsen  den  Phosphor  nicht  zu 
ersetzen  vermag,  und  dass  arsenige  Säure  hier  viel  giftiger 
wirkt  als  Arsensäure.^ 

Worauf  ich  aber  hier  genauer  eingehen  will,  ist  die  von 
Bouilhac*  vor  zwei  Jahren  aufgeworfene  Frage,  ob  bei 
den  Algen  die  Arsenate  die  Phosphate  vertreten  können.  Der 
genannte  Autor  hat  auf  Grund  seiner  Versuche  diese  Frage 
bejaht.  Er  säete  im  Gefässe,  die  in  der  Nährlösung  anstatt  der 
Phosphate  verschiedene  Mengen  von  arsensaurem  Kali  ent- 
hielten, Stichococcus  baccilaris  aus  und  fand  nach  einiger  Zeit, 
dass  sich  Stichococcus  entwickelte,  dass  aber  neben  dieser 
Alge  bald  andere  Algen  {Protococcns  infusionum,  Ulothrix 
tenerrpma, Phorntidium  Valäerianum),  deren  Keime  durch 
die  Atmosphäre  in  die  Gefässe  hineingelangten,  sich 
breit  machten.  In  den  Culturen  mit  Arsen  war  die  Vegetation 
reichlich,  während  sie  in  den  Controlgefässen  ohne  Arsen 
schwächlich  blieb.  Aus  diesen  und  ähnlichen  Versuchen  schliesst 
der  Verfasser,  dass  bei  den  genannten  Algen  der  Phosphor 
durch  Arsen  ersetzt  werden  kann. 

Ich  habe  schon  in  meiner  ersten  Abhandlung  über  Algen- 
ernährung auf  einige  Thatsachen   hingewiesen,  welche  mich 


5  Nobbe,  Landw.  Versuchsstationen,  37,  381. 

2  Knop,  ßotan.  Centralbl.,  1885,  S.  35. 

3  J.  Stoklasa,  Über  die  Bedeutung  des  Arsens  in  der  Pttanzenproduction. 
Chemiker-Zeitung,  Nr.  10,  1896. 

•^  Bouilhac  R.,  Influence   de   l'acide  arsenique   sur  la  Vegetation   des 
algues.  Comptes-rendus,  CXIX,  1894,  No.  22,  p.  929. 


644  H.  Mülisch, 

an  der  Richtigkeit  des  Bouilhac'schen  Ergebnisses  zweifeln 
Hessen.  Jedermann,  der  sich  mit  der  Untersuchung  über  die 
Vertretbarkeit  von  Elementen  bei  der  Ernährung  beschäftigt 
hat,  weiss,  mit  welch  grosser  Sorgfalt  Nährlösungen  zu  solchen 
Zwecken  hergestellt  werden  müssen.  Bouilhac  erwähnt  aber 
die  Herstellung  seiner  verwendeten  Nährlösungen  mit  keinem 
Worte,  er  spricht  nicht  davon,  dass  er  das  für  die  Culturen 
benützte  destillirte  Wasser  und  die  Nährsalze  einer  besonderen 
Reinigung  unterzogen  hätte,  ja  er  scheint  seine  Versuchs- 
gefässe  gar  nicht  mit  Baumwollpfropfen  verschlossen  und  vor 
atmosphärischem  Staub  geschützt  zu  haben,  denn  er  sagt  von 
seinen  Siichococcus-Cultuven:  *Mais,  bientot,  ils  furent  envahis 
par  des  alges  divers,  dont  les  germes  avaient  ete  apportes  par 
l'atmosphere«.  Nichtsdestoweniger  könnte  aber  der  erwähnte 
Autor  doch  im  Rechte  sein,  und  eine  Entscheidung  in  unserer 
Frage  war  nur  von  neuen  Versuchen  zu  erwarten. 

Die  zu  den  folgenden  Experimenten^  verwendete  Nähr- 
lösung hatte  die  Zusammensetzung: 

500^  HgO 

0-4^NO3K 

0-2^SO,Mg 

Eisenvitriol  (2  Tropfen  einer  1%  Lösung). 

Die  Nährlösung  war  also  phosphorfrei.  27  Erlenmeyer- 
Kolben  wurden  damit  versehen,  drei  blieben  ohne  jeden  Zusatz, 
je  drei  andere  erhielten  Zusätze  (gewöhnlich  0'027o)  von 
AsO^Kg  (0-02  und  0-067o),  AsOgKg,  AsO^CNHJg,  AsOjCNHJ, 
oder  PO^(NHJg  und  endlich  drei  einen  Zusatz  von  PO^CNHJj 
und  AsO^Kg. 

Alle Kölbchen  wurden  mit  Protococcus  infusionum  Schrank 
(Kirchner)  geimpft  und  mit  Baumwolle  verschlossen.  Beginn 
des  Versuches  18.  März  1896. 

Schon  nach  12  Tagen  begannen  die  Culturen,  welche 
Phosphor  enthielten,  zu  ergrünen,  und  nach  weiteren  7  Tagen 
stachen  diese  durch  ihre  tiefgrüne  Farbe  hervor,  während  alle 


1  Bei  diesen  Versuchen  war  eine  Auskleidung  der  Erlenmeyer-Kolben  mit 
Paraffin  unnöthjnr. 


Ernährung  der  Algen.  645 

anderen  Culturen,  weil  auch  nicht  eine  Spur  einer  Entwicklung 
zu  bemerken  war,  farblos  geblieben  waren.  So  verhielt  sich  die 
Sache  bis  zum  Ende  des  Versuches,  dem  1.  Mai  1896.  In  den 
Phosphorculturen  schwamm  zu  dieser  Zeit  eine  geschlossene, 
faltige,  grüne  Haut  von  Protococcus  auf  der  Oberfläche  und  am 
Boden  reichlicher  Satz  davon.  In  den  phosphorfreien  Nähr- 
lösungen war,  abgesehen  von  der  Spur  Impfmasse,  nichts  von 
der  Alge  zu  sehen. 

Obwohl  dieser  Versuch  bei  der  Wiederholung  ganz  das- 
selbe Resultat  lieferte,  machte  ich  doch  noch  weitere  Versuche, 
und  zwar  auch  mit  derjenigen  Alge,  mit  welcher  Bouilhac 
arbeitete,  mit  SHchococcus  haccilaris  Nägeli. 

Die  Nährlösung  hatte  dieselbe  Zusammensetzung  wie  vor- 
her. Zahl  der  Versuchsgefässe  15. 

Versuchskölbchen  1 — 3  erhielt  keinen  Zusatz. 


4—6      » 

als  Zusatz  0-02»/, 

,  AsO^K,, 

7-9      . 

» 

.       002 

PO,(NH,), 

10—12     . 

» 

.       0-02 

PO,(NH,), 

+0-02 

AsO.Kj 

13—15    . 

» 

»       0-02 

PO^CNH,), 

+0-02 

AsOgK, 

Nach  16  Tagen  zeigte 

1 — 6  keine  Spur  einer  Entwicklung, 

7 — 12  eine  geschlossene  Haut  von  tiefgrüner  Farbe  und  mosaik- 
artigem Aussehen, 
13 — 15  keine  Spur  einer  Entwicklung. 

Nachdem  der  Versuch  noch  weiter  einen  Monat  stehen 
geblieben  war,  zeigte  er  ganz  dieselben  Erscheinungen. 

Es  kann  also  nach  dem  Gesagten  keinem  Zweifel  unter- 
liegen, dass  von  einem  Ersatz  des  Phosphors  durch 
Arsen  bei  den  von  Bouilhac  verwendeten  Algen  keine 
Rede  sein  kann  und  dass  ohne  Phosphor  eine  Ent- 
wicklung oder  Vermehrung  dieser  Algen  nicht  statt- 
findet. 

Es  muss  demnach  bei  den  Bouilhac'schen  Experimenten 
irgend    ein   Fehler   unterlaufen    sein;   am   wahrscheinlichsten 


646  H.  Molisch, 

dünkt  es  mir,  dass  die  Nährlösungen  des  genannten  Forschers, 
weil  nicht  mit  der  nöthigen  Genauigkeit  dargestellt,  durch- 
wegs Phosphorverbindungen  enthielten  und  dass  die  Haupt- 
masse dieser  durch  Arsenate,  welche  mit  Phosphor  verunreinigt 
waren,  in  die  Culturflüssigkeit  Eingang  fand.  Aus  meiner  letzten 
Versuchsreihe  folgt  aber  überdies,  dass  das  arsensaure  Kalium 
von  den  Algen  ganz  gut  vertragen  wird,  nicht  aber  das  arsenig- 
saure  Kali,  denn  in  den  Kölbchen  10  — 12  fand  reichliche  Ent- 
wicklung bei  Gegenwart  von  AsO^Kg  statt,  hingegen  auch 
nicht  spuren  weise  bei  Anwesenheit  von  AsOgKg.  Dies  stimmt 
mit  den  einschlägigen,  vorhin  mitgetheilten  Versuchen  von 
0.  Loew.  Es  ist  ganz  merkwürdig,  wie  verschieden  sich  Algen 
den  beiden  erwähnten  Arsensalzen  gegenüber  verhalten  und 
welch'  grosse  Mengen  von  arsensaurem  Kalium  gewisse  Algen 
noch  vertragen.  Als  Beleg  dafür  noch  folgende  Versuchsreihe. 
Nährlösung: 

1000^  HgO 

l^NOgK 

0-5^SO^Mg 

O-ö^PO^HKg 

Spur  Eisenvitriol 

Zahl  der  Versuchskölbchen  18.  Versuchsalge:  Stichococcus 


baccilaris. 

Kölbchen 

Erhielt  als  Zusatz : 

1—2 

Nichts 

3 

o-ooiVo 

AsO^Kj 

4 

0-005 

» 

5 

0-01 

» 

6 

0-05 

» 

7 

0-1 

■» 

8 

0-5 

» 

9 

1 

» 

10 

2 

» 

11 

0-001 

AsOjK, 

12 

0-005 

» 

13 

0-01 

» 

14 

0-05 

» 

Ernährung  der  Algi 

sn. 

Kölbchen 

Erhielt  al 

ü  Zusatz 

15 

o-i7o 

ASO3K3 

16 

0-5 

» 

17 

1 

» 

18 

2 

» 

647 


Nach  7  Tagen  zeigten  I  —  8  eine  grüne  Haut,  bei  9  — 11 
war  schwache  Entwicklung  zu  merken,  bei  12  — 18  gar  nichts. 

Nach  16  Tagen  vom  Beginn  des  Versuches  an:  Die  Culturen 
1  —  9  tief  grün,  8 — 9  etwas  schwächer  als  1  —  7,  auch  in  10 
ganz  schwache  Entwicklung,  11  schwach  grün,  12  — 18  farb- 
los, weil  ohne  jede  Entwicklung. 

Auch  diese  Versuchsreihe  zeigt  wieder  die  Unschädlich- 
keit der  Arsensäure  und  die  Giftigkeit  der  arsenigen  Säure. 
Selbst  in  der  27o-Lösung  von  arsensaurem  Kali  trat  noch 
Entwicklung  ein.  Wenn  diese  Entwicklung  hier  und  in  den 
Gefässen  mit  höherem  Zusätze  von  Kaliumarsenat  gehemmt 
war,  so  ist  dies  bei  der  hohen  Concentration  des  Nährmediums 
nicht  zu  verwundern. 

Zusammenfassung  der  Resultate. 

1.  Die  Reaction  einer  Algennährlösung  soll  in  der  Regel 
eine  sehr  schwach  alkalische  sein.  Es  gibt  zwar  auch  Algen, 
welche  entweder  in  neutraler  oder  schwach  saurer  Nährflüssig- 
keit fortkommen  (Stichococcns,  Protococctts),  doch  sagt  auch 
diesen  Algen  eine  schwach  alkalische  Nährlösung  zu. 

2.  Die  untersuchten  Algen  entwickelten  sich  nur  rasch 
und  reichlich  bei  Gegenwart  von  Kaliumverbindungen.  Das 
Kalium  konnte  hier  durch  die  nächst  verwandten  Elemente 
Natrium,  Rubidium,  Caesium  und  Lithium  nicht  ersetzt  werden. 

3.  Die  Angabe  R.  Bouilhac's,  derzufolge  Arsenverbin- 
dungen die  Phosphorverbindungen  bei  der  Ernährung  von 
Algen  ersetzen  können,  hat  sich  bei  der  Nachuntersuchung 
mit  dem  von  dem  genannten  Forscher  verwendeten  Algen- 
material als  unrichtig  herausgestellt. 

Es  ist  erstaunlich,  welch*  grosse  Mengen  von  Arsenaten 
Algen  vertragen  können  (bis  über  27o)J  Arsenite  wirken  hin- 
gegen schon  in  relativ  geringen  Concentrationen  giftig. 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  CK;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  43 


648  H.  Moli  seh,  Ernährung  der  Algen. 

4.  Von  Zeit  zu  Zeit  taucht  in  der  Literatur  immer  wieder 
die  Behauptimg  auf,  dass  irgend  ein  Nährelement  durch  ein 
nahe  verwandtes  ersetzt  werden  kann.  Derartige  Behauptungen 
haben  sich  wenigstens  bisher  bei  kritischer,  auf  genauen  Unter- 
suchungen beruhender  Prüfung  als  unberechtigt  erwiesen. 

Erst  vor  Kurzem  konnte  ich  den  Nachweis  erbringen,  dass 
das  Magnesium  für  Pilze  (entgegen  der  Ansicht  von  Nägeli) 
und  für  Algen  unentbehrlich  ist  und  dass  von  einem  Ersatz 
dieses  Elementes  durch  verwandte,  etwa  durch  Calcium  bei 
Pilzen,  nicht  die  Rede  sein  kann. 

Jüngst  konnte  W.  Benecke  zeigen,  dass  die  von  Wehmer 
behauptete  Vertretbarkeit  von  Kaliumsalzen  durch  Natrium- 
salze nicht  besteht.  Meine  vorliegende  Abhandlung  erbringt, 
wie  bereits  bemerkt  wurde,  den  Beweis,  dass  Kalium  und 
Phosphor  für  die  untersuchten  Algen  unerlässlich  sind  und 
dass  diese  Elemente  von  ihren  nächsten  verwandten  nicht  ver- 
treten werden  können. 

Alle  hieher  gehörigen  Erfahrungen  überschauend,  leugne 
ich  zwar  nicht  die  Möglichkeit,  dass  bei  der  Ernährung  der 
Pflanze  manche  Elemente  durch  nahe  verwandte  partiell 
ersetzt  werden  können,  ja  ich  konnte  sogar  darthun,  dass  bei 
gewissen  Algen  und  bei  höheren  Phanerogamen  Strontium- 
verbindungen Calciumverbindungen  eine  Zeit  lang  that- 
sächlich  vertreten  können,  aber  ich  halte  es  nach  dem  der- 
zeitigen Stand  unseres  Wissens  für  höchst  unwahrscheinlich, 
dass  ein  Nährelement  der  Pflanze  durch  ein  verwandtes  voll- 
ends ersetzt  zu  werden  vermag. 

5.  Zahlreiche  anlässlich  der  vorliegenden  Abhandlung 
durchgeführte  Versuchsreihen  bestätigen  neuerdings  die  von 
mir  aufgefundene  Thatsache,  dass  der  Kalk  für  gewisse  Algen 
unnöthig  ist,  ebenso  wie  für  die  von  mir  daraufhin  seinerzeit 
untersuchten  Pilze. 


649 


XX.  SITZUNG  VOM  15.  OCTOBER  1896. 


Herr  Prof.  G.  G.  Stokes  in  Cambridge  spricht  den  Dank 
aus  für  seine  Wahl  zum  ausländischen  Ehrenmitgliede  dieser 
Classe. 

Herr  Prof.  Dr.  Ed.  Lippmann  übersendet  folgende  zwei 
Arbeiten  aus  dem  III.  chemischen  Laboratorium  der  k.  k. 
Universität  in  Wien  von  Dr.  Paul  Cohn: 

1.  »Über  Chinolin-Phenoläther«. 

2.  Ȇber  die  Aufspaltung  des  Cyclophenylenbenzyl- 
idenoxyds«. 

Herr  Dr.  Friedrich  Junker  in  Urach  (Württemberg)  über- 
sendet eine  Abhandlung  unter  dem  Titel:  »Die  symmetri- 
schen Functionen  der  gemeinschaftlichen  Variablen- 
paare ternärer  Formen.  Tafeln  der  ternären  sym- 
metrischen Functionen  vom  Gewicht  1  bis  6«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  Ad.  Lieben  überreicht  eine 
Arbeit  aus  seinem  Laboratorium:  Ȇber  die  Einwirkung 
von  wässeriger  Kalilauge  und  gesättigter  Pottasche- 
lösung auf  Isobutyraldehyd«  von  M.  Brauchbar. 


43* 


650 


XXI.  SITZUNG  VOM  22.  OCTOBER  1896. 


F'ür  die  diesjährigen  Wahlen  sprechen  ihren  Dank  aus  die 
Herren  Professoren  Dr.  J.  v.  Hepp erger  in  Graz  für  seine 
Wahl  zum  inländischen  correspondirenden  Mitgliede  und  Dr. 
J.  H.  van  't  Hoff  in  Berlin  für  seine  Wahl  zum  ausländischen 
correspondirenden  Mitgliede  dieser  Classe. 

Herr  Dr.  Emil  Holub  übersendet  eine  Abhandlung  des 
Herrn  Fr.  Klapalek,  k.  k.  Gymnasiallehrer  in  Wittingau: 
-Ȇber  die  Geschlechtstheile  der  Plecopteren,  mit 
besonderer  Rücksicht  au  fdie  Morphologie  der  Gen  i  tal- 
anhänge«. 

Der  Secretär  legt  folgende  eingesendete  Abhandlungen 
vor: 

1.  »Elementare  Bestimmung  der  Punkttransforma- 
tionen des  Raumes,  welche  alle  Flächeninhalte 
invariant  lassen«,  von  Herrn  Karl  Carda,  Assistent  an 
der  k.  k.  technischen  Hochschule  in  Brunn. 

2.  »Über  die  Theilung  der  Geraden  und  der  Winkel«, 
von  Herrn  Anton  Nadachowski,  Ingenieur  der  k.  k. 
Staatsbahnen  in  Ebensee. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  C.  Grobben  überreicht  eine  Arbeit 
des  Herrn  Dr.  Th.  Pintner  in  Wien,  betitelt:  »Studien 
an  Tetrarhynchen  nebst  Beobachtungen  an  anderen 
Bandwürmern.  IL  Mittheilung:  Über  eine  Tetrarhynchen- 
larve  aus  dem  Magen  von  Heptanchtis  nebst  Bemer- 
kungen über  das  Excretionssystem  verschiedener 
Gestoden«. 


651 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  Ad.  Lieben  überreicht  eine 
in  seinem  Laboratorium  ausgeführte  Arbeit  des  Herrn  Dr. 
A.  Franke:  Ȇber  die  Einwirkung  von  alkoholischem 
Natron  auf  Isobutyraldehyd«. 

Herr  Prof.  Lieben  überreicht  ferner  eine  Abhandlung  des 
Herrn  Dr.  Ad.  J  oll  es:  Ȇber  eine  qu  an  titativeMethode  zur 
Bestimmung  des  Bluteisens  zu  klinischen  Zwecken«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  L.  Boltzmann  überreicht 
folgende  fünf  Abhandlungen: 

1.  »Magnetisirung  nach  zwei  Dimensionen  und 
magnetische  Hysteresis  im  Drehfelde«,  von  Prof. 
August  Grau  und  Dr.  Richard  Hiecke. 

2.  »Über  die  Grenzen  des  stereoskopischen  Sehens«, 
von  Dr.  Friedrich  Wächter. 

3.  Ȇber  die  Bestimmung  der  Temperatur  einer  ver- 
änderlichen Wärmequelle  in  einer  bestimmten 
gegebenen  Zeit«,  von  Herrn  Oberst  Alois  Indra. 

4.  »Zur  Theorie  der  Zustandsgieichung  der  Gase«, 
von  Dr.  Gustav  Jäger. 

5.  »Ein  mechanisches  Polycykel  als  Analogon 
der  Inductionswirkungen  beliebig  vieler  Kreis- 
ströme«, von  Herrn  Fritz  Hasenoehrl. 


652 


Studien  über  Tetrarhynehen 

nebst  Beobachtungen  an  anderen  Bandwürmern. 

(II.  Mittheilung.) 

Über  eine  Tetrarhynchenlarve  aus  dem  Magen  von  Hept- 
anchus,  nebst  Bemerkungen  über  das  Excretionssystem  ver- 
schiedener Cestoden 

von 
Dr.  Theodor  Pintner. 

(Mit  4  Tafeln.) 

Im  Magen  eines  Heptanchus  {Notidanus  einer etis  Cuv.) 
fand  ich  während  meines  Neapeler  Aufenthaltes  drei  Exemplare 
einer  Tetrarhynchenlarve,  die  wegen  ihrer  Durchsichtigkeit  zu 
den  schönsten  Formen  gehört,  welche  mir  untergekommen 
sind.  Sie  lagen  ziemlich  fest  eingebettet  in  Muskelstücken 
eines  anderen,  offenbar  grösseren  Fisches,  der  eben  durch  den 
Verdauungsprocess  in  Zerfall  begriffen  war.  Man  glaubte  in 
der  zoologischen  Station  diese  Reste  mit  annähernder  Sicher- 
heit als  von  Lepidopus  herrührende  bezeichnen  zu  können. 
Ich  habe  alle  drei  Stück  gefärbt  und  in  Canadabalsam  ein- 
geschlossen. Sie  lieferten  ohne  Anwendung  ungewöhnlicher 
Sorgfalt  Präparate  von  einer  Übersichtlichkeit  und  Klarheit, 
wie  man  sie  selten  zu  erzielen  vermag.  Ein  Individuum  wurde 
nachträglich  in  Schnittserien  zerlegt. 

Bei  der  im  Folgenden  gegebenen  kurzen  Beschreibung 
dieser  Präparate  kommt  es  mir  darauf  an,  im  Anschlüsse  an 
meine  I.  Mittheilung  das  Typische  und  das  Abweichende  haupt- 
sächlich des  Blasenkörpers  der  Larve  hervorzuheben.  Dabei 
werde  ich  Angaben  zu  machen  haben  über  ein  allem  Anscheine 
nach    vollkommen    unbekanntes    und    noch    durchaus 


Studien  an  Tetrarhynchen.  653 

räthselhaftes  Organsystem.  Auf  den  Scolex  werde  ich  nur 
ganz  kurz  zu  sprechen  kommen,  soweit  es  zur  Bestimmung 
der  F'orm  nothwendig  ist.  Die  Zugehörigkeit  der  Larve  zu  einer 
grossen  und  häufigen  Geschlechtsform,  die  ich  später  ausführ- 
lich zu  beschreiben  beabsichtige,  ist  mir  nämlich  durchaus 
nicht  mehr  zweifelhaft,  doch  kann  ich  hierüber  aus  bei  anderer 
Gelegenheit  zu  besprechenden  Gründen  noch  keine  Mittheilung 
machen. 

Alle  drei  Individuen  hatten  eine  auch  schon  vor  der  Prä- 
parirung  sehr  stark  abgeplattete  Gestalt,  so  dass  ohne  Weiteres 
die  ausgesprochenen  Rücken-  und  Bauchflächen  nach  oben 
und  unten  zu  liegen  kamen.  Sonst  zeigen  die  Thiere  Keulen- 
form. Bei  einer  Länge  von  ungefähr  11*5,  9*5,  7  mm  beträgt 
die  grösste  Breite  circa  3,  2*5,  3  mm.  Diese  Breite  tritt  bald 
hinter  dem  kreisbogenfOrmig  abgerundeten  Vorderende  ein  und 
bleibt  die  grössere  Hälfte  des  Körpers  über  gleich,  um  dann 
langsam  in  das  mehr  oder  weniger  verschmälerte,  ebenfalls 
abgerundete  Hinterende  überzugehen. 

Wie  bei  Tetrarhynchtts  smaridnm  baut  sich  auch  hier 
der  Körper,  wie  schon  angedeutet,  bilateral-symmetrisch  oder, 
wenn  man  will,  zweistrahlig-radiär  auf,  das  letztere  Symmetrie- 
verhältniss  allein  gestört  durch  die  bekannte  Ungleichheit  der 
Lumina  der  beiden  Hauptgefässe  des  Excretionssystems,  weiche 
Ungleichheit  die  Homologisirung  der  Rücken-  und  Bauch- 
fläche der  Larve  mit  den  entsprechenden  Körperflächen  einer 
geschlechtsreifen  Cestoden-Strobila  ermöglicht.  Am  vordersten 
Ende  liegt  die  Öffnung  des  Receptaculums^  sammt  dem  zuge- 
hörigen ganz  kurzen  Canal  verhältnissmässig  weit.  Das  Hinter- 
ende wird  durch  die  Mündung  der  Harnblase  bezeichnet  (Taf.  I, 
Fig.  1). 

Form  des  Receptaculums  und  Lage  des  Scolex  in  dem- 
selben weichen  in  nicht  unwesentlichen  Punkten  von  Tetra- 
rhyiichns  smaridnm  ab.  Das  Receptaculum  ist  kein  kugeliger 
Hohlraum,    sondern   hat  eine   mehr  schlauchförmige   Gestalt. 


1  Hier  wie  in  der  1.  Mittheilung  (Nr.  12)  verstehe  ich  unter  Receptaculum, 
ohne  Rücksicht  auf  die  etwas  abweichende  Definition  Lcuckart's,  nur  allein 
den  Hohlraum,  in  dem  der  Scolex  eingeschlossen  liegt. 


654  Th.  Pintner, 

Seine  Wand  legt  sich  allenthalben  ziemlich  genau  dem  Scolex 
an,  der  nicht  zweimal,  sondern  nur  einmal,  ungefähr  in  der 
Mitte  des  Rüsselscheidentheiles,  umgeknickt  erscheint  (Taf.  I, 
Fig.  1,  2).  Es  hat  eine  Gesammtlänge  von  circa  2*16 — 3*33  nttn 
bei  einer  Breite  des  hinteren  röhrenförmigen  Theiles  von  l'Oö 
bis  1*14  fnm. 

Worin  sich  aber  der  Scolex  seiner  Lage  nach  wesentlich 
von  T.  smaridum  unterscheidet,  ist  der  Umstand,  dass  der- 
selbe keineswegs  vollkommen  im  Receptaculum  eingeschlossen 
erscheint,  sondern  mit  einem  nicht  unbedeutenden  Stücke  der 
Rüsselkolben  über  das  hintere  durch  einen  queren  Kreis  abge- 
schnittene Ende  des  Receptaculums  (Taf.  I,  Fig.  2,  hu)  in  das 
massive  Parenchym  des  Blasenkörpers  eingebettet  liegt  (Fig.  1 , 2), 
Bei  genauerer  Betrachtung  bemerkt  man  aber  noch  mehr.  Genau 
dort,  wo  der  streng  röhrenförmige  hintere  Theil  des  Recepta- 
culums beginnt,  ist  seine  Wand,  im  Gegensatze  zur  Wand  des 
vorderen  Theiles,  auffällig  verdickt  und  dunkler  gefärbt.  Die 
zelligen  Elemente  lagern  hier  viel  dichter  als  im  übrigen  Paren- 
chym der  Blase.  Die  Zone,  in  welcher  das  statt  hat,  ist  gerad- 
linig und  scharf  gegen  das  übrige  Parenchym  abgegrenzt,  ohne 
aber  etwa  durch  eine  Membran  oder  gar  einen  Spaltraum  davon 
getrennt  zu  sein.  Nach  vorne  bricht  diese  Verdickungszone 
ganz  plötzlich  ab,  und  in  Folge  dessen  erscheint,  wie  am 
hinteren  Receptaculumende,  auch  am  Vorderrand  des  röhren- 
förmigen Stückes  die  Projection  einer  kreisförmigen  Grenzlinie 
(Fig.  2,  vn). 

Bei  Vergleichung  der  drei  vorliegenden  Präparate  ergab  sich 
deutlich  ein  gegenseitiges  Verhältniss  zwischen  den  Längen 
der  eben  beschriebenen  manchettenförmigen  Verdickungszone 
und  den  nach  rückwärts  hervorragenden  Stücken  der  Muskel- 
kolben der  Rüssel: 

Ungefähre  Länge  der  freien  Kolbenstücke  0  9,   0*6,   0*4  wm 
Länge  der  Verdickungszone 0'13,  0*12,  0*7 

Es  war  die  letztere  umso  schmäler,  je  weniger  die  Rüssel- 
kolben nach  hinten  vortraten. 

Noch  ist  ein  wichtiger  Umstand  hervorzuheben:  Die  Kolben- 
enden sind  keineswegs  ohneweiters  in  das  eigentliche  Blasen- 


Studien  an  Tetrarhynchen.  655 

parenchym  eingebettet,  sondern  jene  dunkler  gefärbten  Gewebs- 
massen,  welche  die  Manchette  bilden,  ziehen  von  deren  hinterem 
Rande  nach  den  Kolbenenden  und  umhüllen  dieselben  mützen- 
förmig,  wie  ein  ziemlich  straff  über  sie  gezogenes  Tuch. 

Es  drängt  sich  nun  die  Frage  nach  der  Bedeutung  dieser 
Verhältnisse  auf.  Schon  die  erwähnte  Correlation  zwischen 
Länge  der  Manchette  und  der  freien  Rüsselkolbenenden  deutet 
darauf  hin,  dass  diese  Theile  zu  einander  in  Beziehung  stehen. 
Und  thatsächlich  ist  die  Verdickungszone  nichts  Anderes,  als 
das  gleich  einem  umgekrempelten  Ärmel  zurückgeschlagene 
Ende  des  Scolex,  dessen  median  gelegene  Gewebstheile  zelt- 
artig über  den  Kolben  ausgebreitet  verblieben  sind.  Der  vordere 
Manchettenrand  ist  das  spätere  primäre 'Ende  des  losgelösten 
Scolex,  das  aber  nach  der  Trennung  eingezogen  wird  und 
die  Innenfläche  der  Harnblase  bildet.  Die  langen  cuticularen 
Härchen,  die  bei  Tetrarhynchenlarven  häufig  das  Hinterende 
des  noch  in  der  Finne  eingeschlossenen  Scolex  bekleiden 
(vergl.  T,  smaridum,  Nr.  12,  Taf.  I,  Fig.  7,  Taf.  2,  Fig.  28),  sind 
dieselben,  die  später  die  Harnblase  des  freien  Scolex  aus- 
kleiden, ebenso  wie  ja  auch  die  Harnblase  der  Finne  bisweilen 
von  langen  Haaren  ausgekleidet  erscheint  (Taf.  I,  Fig.  1 1). 

Das  Larvenstadium,  welches  hier  vorliegt,  repräsentirt  in 
Bezug  auf  die  Lage  der  Rüsselkolben  eigentlich  vollkommen 
das  Larvenstadium  von  T.  smaridum  in  Nr.  12  auf  Taf.  IV, 
Fig.  55,  an  dem  allerdings  noch  die  Differenzirung  der  inneren 
Scolexorganisation  weit  zurückgeblieben  ist.  Man  sieht  also 
bei  T.  smaridum  mit  der  vorschreitenden  Organdifferenzirung 
das  Heraustreten  des  Scolex  aus  dem  Finnenblasenparenchym 
in  den  Hohlraum  des  Receptaculums  gleichen  Schritt  halten, 
bei  der  vorliegenden  Larvenform  den  ersten  Vorgang  sich  viel 
rascher  abwickeln  als  den  zweiten.  Noch  auffallender  ist  dies, 
wie  ich  schon  einmal  vorübergehend  erwähnte,  bei  T.  elongatns 
aus  der  Leber  von  Orthagoriscus  mola  der  Fall,  einer  Form, 
bei  welcher  die  Muskelkolben  völlig  in  der  Manchette  liegen, 
so  dass  sie  ihr  späteres  Hinterende  nach  vorne  kehren.  Auch 
bei  den  Tetrarhynchen  entstehen  also  gewisse  Theile  des 
Scolex  in  jener  eingestülpten  und  umgekehrten  Lage,  die  aus 
der  Taenienentvvicklung  allgemein  bekannt  ist,  nicht  aber  der 


636  Th.  Pintner, 

vorderste  Abschnitt  des  Kopfes,  wie  bei  T,  smaridnm  gezeigt 
worden  ist. 

Die  Umstülpung  der  Verdickungszone  in  ihre  spätere  defini- 
tive Lage  kann,  wenn  die  Entwicklung  einen  bestimmten  Grad 
erreicht  hat,  künstlich  herbeigeführt  werden,  durch  Heraus- 
drücken des  Scolex  aus  der  Finne.  Dann  geschieht  jener  Process 
in  einem  Augenblick,  der  unter  natürlichen  Umständen  wahr- 
scheinlich langsam  reift.  Es  ist  indessen  nicht  ausgeschlossen, 
dass  er  auch  da,  unter  Einwirkung  der  sauren  Magensäfte, 
die  vielleicht  adstringirend  wirken,  in  raschem  Zuge  bewerk- 
stelligt wird.  Dabei  ist  im  Auge  zu  behalten,  dass  der  obere 
Manchettenrand,  längs  welchem  die  Cuticula  des  Scolex  von 
der  des  Receptaculurhs  abreisst,  also  ein  sehr  grosser  Kreis, 
fast  zu  einem  Punkte  im  Inneren  der  Harnblase  zusammen- 
schnellt. Nur  innerhalb  dieses  kleinen  Kreises  brauchte  eine 
Vernarbung  stattzufinden.  Die  übrigen  Gewebe  des  Scolex,  die 
in  der  Larve  mit  weiten  Flächen  den  gleich  weiten  Flächen 
des  Finnenparenchyms  anliegen,  machen  dieses  Zusammen- 
schnellen in  der  Art  mit,  dass  keinen  Augenblick  in  den 
Geweben  des  Scolex  ein  Spaltraum  entsteht,  der  etwa  erst  durch 
Aneinanderlagerung  der  Wände  vernarben  müsste,  sondern  die 
Gewebe  fliessen  nach  Art  einer  zähflüssigen  Masse  in  die  neue 
Form  zusammen. 

Aus  dem  Gesagten  ergibt  sich  nun  für  die  Morphologie 
der  vorliegenden  Larve,  dass  der  mit  dem  Receptaculum  von 
T.  smaridutn  gleichwerthige  Hohlraum  nur  bis  zum  vQrderen 
Rande  der  Verdickungszone  (Taf.  1,  Fig.  2,  vn)  reicht;  der  cylin- 
drische  Hohlraum  von  hier  ab  nach  hinten  stellt  die  Höhlung 
einer  Falte  des  auf  sich  selbst  umgestülpten  Scolex  dar. 

Die  Gewebe,  aus  welchen  sich  die  F'innenblase  aufbaut, 
sind  die  gleichen  wie  bei  Tetrarhynchns  sntaridttm.  Man  bemerkt 
leicht  die  Cuticula,  unter  derselben  die  Radiärfibrillen  und 
die  Längsmusculatur  des  Hautmuskelschlauches,  die  Sub- 
cuticularzellen,  endlich  das  den  ganzen  Innenraum  füllende 
Parenchym  mit  den  Kalkkörperchen.  Hiezu  kommen  die 
Längsmuskel  des  Parenchyms,  wie  bei  der  genannten  Art 
in  kleinen,  lockeren  Bündeln  beieinander  stehend.  Auch  hier 
theilen  sich  die  Fasern  dieser  Bündel  häufig  und  entsenden 


Studien  an  Tetrarhynchen.  657 

Zweige  zu  den  F'asern  der  nächstgelegenen  Bündel,  wobei, 
wie  dort,  häufig  jene  Schleier-  oder  vorhangartigen  feinen 
Platten  in  denTheilungswinkeln  auftreten.  Die  Dorsoventral- 
musculatur  des  Parenchyms  nimmt  wiederum  meist  die 
Region  um  das  Mittelstück  der  Blase  ein  und  zeigt  jenen  für 
sie  charakteristischen  stark  welligen  Verlauf  mehrerer  dicht 
neben  einander  parallellaufender  Fasern,  der  auf  Totopräpa- 
raten in  dunkelgefärbten,  zu  mehreren  bei  einander  stehenden 
Doppelpunkten  und  Schleifen  zum  Ausdruck  kommt.  Auf  dem 
Totüpräparate  sieht  man  auch  zahlreiche  feine  und  gröbere 
Fibrillen  von  rechts  nach  links  verlaufen:  keine  Frage,  dass 
viele  derselben  contractile  Fibrillen  vorstellen;  die  weitaus 
meisten  der  feinen,  glatt  und  scharf  contourirten  Fäden  aber 
sind  collabirteTrichtercapillaren,  die  Hunderten  und  Hunderten, 
allenthalben  mit  seltenster  Deutlichkeit  sichtbaren  Flimmer- 
trichtern zugehören.  Es  ist  kein  Grund  vorhanden,  hier  auf  alle 
diese  Gewebe  genauer  einzugehen. 

Zu  erwähnen  wäre  aber  noch  Folgendes.  Die  plasma- 
tischen Leisten,  Stränge  und  Platten  des  Parenchyms  sind  bei 
der  in  Rede  stehenden  Larve  äusserst  zart  und  dünn,  das 
Parenchym  nimmt  einen  besonders  grossblasigen  Charakter 
an,  die  Kerne  sind  sehr  spärlich.  Diese  Umstände  dürften  die 
grosse  Durchsichtigkeit  der  Präparate  bedingen.  Es  ist  auch 
ein  centraler,  im  Leben  natürlich  mit  Flüssigkeit  gefüllter 
Hohlraum  vorhanden,  aber  von  sehr  bescheidenem  Umfange. 
Er  ist  auf  meinen  Schnitten  dorsoventral  zusammengedrückt. 
Dies  kommt  zum  grossen  Theile  daher,  dass  das  zerschnittene 
Exemplar  schon  früher  als  Balsampräparat  eingeschlossen  war, 
jedenfalls  dürfte  aber  ein  Theil  der  Abplattung  der  natürlichen, 
oben  angegebenen  Körperform  entsprechen.  Die  Zwischensub- 
stanz des  Parenchyms  bleibt  natürlich  fast  ungefärbt,  man 
möchte  wohl  sagen:  ganz  ungefärbt.  Dass  dies  letztere  aber 
doch  nicht  völlig  zutrifft,  zeigen  deutlich  in  den  Schnitten  vor- 
handene Risse:  an  ihren  Rändern  sieht  man  die  Zwischen- 
substanz immerhin  einen,  wenn  auch  sonst  unmerklichen  Ton 
annehmen.  Ich  bin,  wie  früher,  noch  heute  der  Meinung,  dass 
man  diese  Zwischensubstanz  nicht  ohneweiters  als  Flüssigkeit 
bezeichnen  darf,  sondern  dass  sie   eine  ziemlich  festflüssige, 


658  Th.  Pintner, 

vielleicht  an  die  Medusengallerte  erinnernde  Beschaffenheit  hat. 
Es  könnte  also  meiner  Ansicht  nach  z.  B.  keine  Rede  davon 
sein,  dass  die  im  centralen  Blasenraum  vorhandene  Flüssig- 
keit auch  zwischen  die  Hohlräume  der  Parenchymzellen  vor- 
dringt, sondern  diese  Flüssigkeit  ist  in  dem  ihr  zukommenden 
Räume  völlig  und  sicher  eingeschlossen,  an  jeder  Circulation 
zwischen  den  Geweben  behindert.  Die  »Blasen«  und  »Waben* 
des  Parenchyms  aber  sind  somit  nicht  als  wirkliche,  mit  einer 
Flüssigkeit,  die  möglicherweise  auch  ausrinnen  könnte,  gefüllte 
Höhlungen  zu  betrachten,  sondern  als  discrete,  allerseits  von 
den  Plasmasträngen  und  Platten  der  Parenchymzellen  umhüllte 
Gallertklümpch^n  oder  als  mehr  oder  minder  zusammenhän- 
gende Gallertmasse,  in  der  jene  Leisten  und  Wände  eingebettet 
liegen.  Ich  komme  auf  diesen  Punkt  unten  noch  einmal  zurück. 
Das  Nervensystem,  das  für  den  blasenartigen  Theil  der 
Cestodenlarven  zum  erstenmale  bei  T.  smaridum  aufgefunden 
worden  ist,  hat  hier  genau  die  gleiche  Gestalt  wie  bei  der  eben 
genannten  Form.  Es  bildet  einen  feinen,  im  Ganzen  gleich- 
förmig starken  und  ungefähr  drehrunden,  langen  Strang,  der 
bis  circa  0' 02  mm  im  Durchmesser  erreicht  und  am  äussersten 
Rande  der  Blase,  rechts  und  links  ausserhalb  der  Excretions- 
canäle  entlang  läuft.  Er  ist  bis  an  das  Hinterende  in  die  Nähe 
der  Harnblase  zu  verfolgen,  wo  er  ganz  allmälig  dünner  wird 
und  sich  endlich  der  Beobachtung  entzieht.  Nach  vorne  ver- 
läuft er  bis  dicht  zum  Rande  der  Receptaculumöffnung  (Taf.  I, 
Fig.  3,  «),  biegt  hier  in  weitem  Bogen  nach  der  Innenwand  um, 
läuft  sodann  geradlinig  fort,  tritt  in  die  Verdickungszone  ein 
und  ist  erst  von  deren  Ende  ab  nicht  wieder  auffindbar.  Doch 
ist  es  kaum  zu  bezweifeln,  dass  er  auch  hier  wieder  umbiegt 
und  in  den  Scolex  eintritt,  wo  er  wahrscheinlich  mit  dem 
äusseren  Längsnerven  sich  in  Verbindung  setzt.  Er  wäre 
dann  mit  diesem  identisch,  als  eine  bis  an  das  Ende  des 
Larvenkörpers  verlaufende  Fortsetzung  desselben  anzusehen. 
Das  Nervenstämmchen  zeigt  eine  äusserst  zarte  feinfibrilläre 
Structur,  auf  Querschnitten  ein  ganz  fein  punktirtes  Aussehen. 
Zwischen  den  Punkten  sieht  man  winzige  Kreise,  wie  Röhr- 
chenquerschnitte, jedenfalls  die  Durchschnitte  etwas  stärkerer 
Nervenfibrillen  (Taf.  I,  Hg.  5,  ;;).  In  seinem  Verlauf  erscheinen 


Studien  an  Tetrarhynchen.  659 

nur  wenige  Zellen  mit  länglichen  Kernen  eingeschaltet,  die 
sich  in  nichts  auffallender  von  Parenchymkernen  unterscheiden 
(Taf.  I,  Fig.  4).  Von  Zeit  zu  Zeit  zweigen  kleine  Ästchen,  meist 
viel  dünner  als  der  Hauptstamm,  von  ihm  ab,  die  sich  nur 
kurze  Strecken  ins  Parenchym  verfolgen  lassen.  Immer  stehen 
je  zwei  solcher  Ästchen  einander  gegenüber  und  zugleich 
senkrecht  auf  dem  Hauptstamme,  so  dass  dieser  ein  hühner- 
leiterähnliches Aussehen  bekommt.  Diese  Ästchen  verlaufen 
aber  nicht  etwa  in  der  Transversalebene,  sondern  parallel  zur 
Medianebene,  so  dass  sie  beinahe  reifenartig  nach  der  Rücken- 
und  Bauchseite  übergreifen  und  nicht  auf  Frontal-,  sondern 
auf  Sagittalschnitten  sichtbar  werden  (Fig.  4). 

Vom  Excretionssystem  findet  man  an  jeder  Körperseite, 
rechts  und  links,  die  beiden  bekannten  Hauptcanäle,  welche 
übereinander,  dorsal  und  ventral,  in  geraumem  Abstände  vom 
Rande  des  Körpers  verlaufen.  Sie  bilden  jederseits  vorne,  rechts 
und  links  knapp  an  der  Receptaculummündung,  Schlingen, 
laufen  dicht  an  der  Wand  des  Receptaculums  nach  hinten, 
treten  am  vorderen  Manchettenrande  in  das  Scolexparenchym, 
biegen  am  hinteren  Manchettenrande  nach  innen  und  wiederum 
nach  vorne  um  und  gehen  hier  in  den  frei  ins  Receptaculum 
ragenden  Scolextheil  über.  An  den  Seiten  der  Finnenblase  ver- 
laufen sie  nach  hinten,  um  in  die  Harnblase  zu  münden. 

In  der  Nähe  der  Receptaculummündung  sind  die  beiden 
Canäle  in  der  Dicke  wenig  voneinander  unterschieden  (Taf.  I, 
Fig.  3,  e,  e').  Im  Verlaufe  nach  hinten  zu  wird  der  eine  bedeu- 
tend enger  als  der  andere  (Taf.  II,  Fig.  11,  18,  e,  e').  Ebenso 
besteht  ein  ausgesprochener  Volumunterschied  beim  Übertritt 
in  das  Scolexparenchym  (Taf.  I,  Fig.  8,  e,  e')  und  während  des 
gesammten  Verlaufes  daselbst,  der  sich  überdies  durch  eine 
auffällige  Geradlinigkeit  auszeichnet. 

Die  Canäle  {e,  e'  und  x,  siehe  unten)  messen  ungefähr: 

e  c'  X 

In    der  Verdickungszone   vor  dem 

Eintritt  in  den  freien  Scolextheil  0  02  0-013  — 

An  der  Receptaculumwand  vor  dem 

Eintritt  in  die  Verdickungszone..        0023  001  — 

In  der  Nachbarschaft  der  Recepta- 
culummündung   0-0I3-002       001  —0-013  — 


660  Th.  Pintner, 

c  e'  X 

Am  Rande  der  Finnenblase  im 
Niveau  des  hinteren  Rüsselkol- 
benendes     002-0026  0-013  0-007-«m  l- 

Am  Rande  der  Finnenblase  weiter 

nach  hinten 0-02-0-026     0007-0-01  OOli 

Am  Rande  der  Finnenblase  in  der 

Nähe  der  Harnblase 0026-0033  0007  O-04-'J  t  > 

Der  engere  Canal  hat  eine  entschiedene  Neigung  zu  In-e.- 
bildungen,  auch  scheint  er  hie  und  da,  im  Ganzen  nicht  häunii. 
dünne,  kurze  Blindästchen  abzugeben  (Fig.  11).  Vielleicht  sirc 
es  secundäre  Mündungen,  vielleicht  auch  kleine  Schlingen,  vcn 
denen  man  den  rücklaufenden  Theil  nicht  sieht;  man  muss 
bei  der  Beurtheilung  solcher  Erscheinungen  ausserordentlich 
vorsichtig  sein;  es  ist  kaum  glaublich,  wie  leicht  man  sich 
täuschen  kann.  Beide  Canäle  verlaufen  geschlängelt,  der  grosse 
im  Ganzen  in  weiteren,  gleichförmigen,  der  kleine  in  etwas  mehr 
unruhigen  Windungen.  Der  grosse  zeigt  oft  harte,  winkelige 
Knickungen  und  scharfe  zipfelförmige  Ausbuchtungen.  W 
zwischen  den  beiden  Canälen  besondere  Volumunterschiece 
auftreten,  macht  sich  auch  ein  deutlicher  Dickenunterschied 
der  Canalwandung  bemerklich,  indem  der  breitere  Canal  durch- 
wegs eine  nicht  unbedeutend  dickere  Wand  zeigt  als  der 
feinere.  Sehr  deutlich  ist  dies  bisweilen  auch  an  Querschnitter 
zu  sehen,  wo  es  freilich  oft  zu  einem  etwas  carrikirten  Aus- 
druck dieser  Verhältnisse  kommen  mag,  indem  bei  der  fas: 
regelmässig  schiefen  Lage  der  Schnitte  durch  die  Excretions- 
canäle  die  Wand,  welche  von  Haus  aus  eine  erhebliche  Dicke 
besitzt,  noch  dicker,  die  dünne  Wand  des  kleineren  Canai> 
aber  unverändert  erscheint  (Taf.  I,  Fig.  5,  7,  ^,  e'). 

Der  grosse  Canal  tritt  mit  weitem  Lumen  zur  Harnblase 
heran,  die,  birn-  oder  sackförmig  im  Umriss,  an  ihrem  breiten 
Vorderende  zwei  Querzipfel,  wie  die  Aste  eines  T  zeigt,  die 
stets  seitlich  etwas  nach  hinten  gezogen,  in  das  Lumen  der 
grossen  Canäle  übergehen  (Taf.  II,  Fig.  9).  Die  kleineren  Canäle 
sieht  man  bis  dicht  an  die  Harnblase  herantreten,  ohne  dass  e^ 
auch  hier  wieder  gelänge,  ihre  wirkliche  Einmündung  in  einer 
jeden  Zweifel  ausschliessenden  Weise  aufzufinden.  Verengt 
sich  auch  das  Lumen  dieser  Canäle  noch  gegen  dieses  End- 


Studien  an  Tetrarhynchen.  66 1 

Stück  etwas,  so  darf  man  sich  jedoch  nicht  vorstellen,  dass  das- 
selbe nach  und  nach  haardünn  würde  und  sich  der  Beobachtung 
allmälig  entzöge;  im  Gegentheil:  es  ist  als  ganz  deutliches  und 
immerhin  beträchtliches  Canallumen  bis  in  die  Gegend  der 
beiden  T- förmigen  Zipfel  sichtbar  und  verschwindet  plötzlich 
in  dem  hier  dichteren  Gewebsgewirre.  Sicher  ist  aus  Schnitten 
zu  ersehen,  dass  der  kleine  Canal  sich  in  dieser  allerhintersten 
Region  noch  ein-  oder  zweimal  theilt.  Auch  diese  Theilcanäl- 
chen,  die  nicht  den  Eindruck  zufälliger  Inselbildungen,  sondern 
ganz  constanter  Verzweigungen  machen,  sind  noch  ganz  deut- 
lich sichtbar,  und  manchmal  wollte  es  mir  sehr  wahrscheinlich 
vorkommen,  als  ob  sie  von  hinten  her,  hinter  den  grossen 
Canälen,  etwa  in  der  Mitte  der  Länge  der  queren  Harnblasen- 
zipfel, sich  leicht  wieder  nach  vorne  wendend,  in  diese  Zipfel 
einmünden  würden. 

Von  den  Körperseiten  her  legen  sich  an  die  Harnblase 
stets  dicke  Schichten  der  Subcuticularzellen  an.  Sie  erscheint 
in  Folge  dessen  stets  in  lebhafter  Färbung  und  breiten,  ver- 
schwommenen Contouren.  Innen  ist  sie  mit  einem  dichten  und 
langen  Haarpelz  austapezirt  (Taf.  II,  Fig.  10).  Auf  den  von  mir 
angefertigten  frontalen  Längsschnitten  hat  sie  vasenförmigen 
Umriss.  Die  Cuticula  der  Seitenwände  ist  in  mächtiger  Dicke 
ausgebildet.  Nur  an  den  Seitenwänden  stehen  auch  die  langen, 
stark  tingirten  Haare.  Zwischen  diesen  Härchen  bemerkt  man 
bei  genauer  Untersuchung,  ziemlich  stark  gegen  das  Lumen 
vorspringend,  zart  umrissene,  ballenförmige  Massen  genau  von 
der  Färbung  der  Cuticula,  die  ganz  den  Eindruck  zwischen 
den  Härchen  erstarrten  Secretes  machen  (Fig.  10).  Ich  bemerke 
ausdrücklich,  dass  nicht  etwa  eine  Verwechslung  mit  ange- 
schnittenen Theilen  der  Cuticula  selbst  vorliegt,  was  ja  bei 
flacher  Lage  der  Durchschnitte,  die  hintere  oder  vordere  Theile 
der  Blasenwand  treffen,  leicht  geschehen  könnte.  Wo  die 
Seitenwände  in  den  T- förmig  ausgezogenen  Theil  übergehen, 
hört  die  Behaarung  und  die  Dicke  der  Cuticula  auf.  Die  vordere 
Blasenwand  ist  äusserst  dünn  und  zart,  die  schmale  Cuticular- 
zone  entbehrt  hier  in  eigenthümlicher  Weise  der  gewöhnlichen 
bestimmten  und  scharfen  Abgrenzung.  Auch  die  Kerne  der 
Subcuticularzellen  stehen  hier  nicht  annähernd  in  so  dichtem 


662  Th.  Pintner, 

Lager  wie  an  den  Seitenwänden.  Dagegen  sieht  man  oft  ziem- 
lich grosse,  secretähnliche  Ballen  im  Parenchym  selbst  liegen 
(Fig.  10,  b). 

In  einem  Präparate  fand  ich  den  einen  Hauptcanal  theil- 
weise  mit  jenen  feinkörnigen,  krümmeligen  Niederschlägen 
ausgefüllt,  denen  man  in  Excretionscanälen  der  Cestoden  nicht 
eben  selten  begegnet.  An  einer  anderen  Stelle  war  in  dem 
dünnwandigen  Canal  gleichfalls  ein  Niederschlag  zu  finden, 
jedoch  von  sehr  eigenthümlicher,  noch  nicht  beobachteter 
Form.  Eine  Strecke  des  Canals  zeigte  sich  nämlich  erfüllt  von 
winzigen,  vollkommen  kugeligen  Körnchen,  die  genau  im 
Centrum  einen  dunklen  Punkt  zeigten  (Taf.  I,  Fig.  7). 

Die  eingangs  erwähnte  seltene  Durchsichtigkeit  der  Ge- 
webe dieser  Larven,  welche  nur  in  den  Phyllobothrienköpfen 
ein  Seitenstück  findet,  hat  zur  Folge,  dass  man  auf  den  Prä- 
paraten Hunderte  und  Hunderte  von  Flimmertrichtern  sieht 
Immer  tritt  der  Kern  der  Trichterzelle  und  der  Flimmerlappen 
als  lebhaft  roth  oder  violett  gefärbter  Strichpunkt  stark  hervor 
(Taf.  I,  Fig.  1 1).  Die  Trichterzelle  selbst  bleibt  unsichtbar,  aber 
die  collabirte  Capillare  ist  in  vielen  Fällen  als  glatter,  scharf- 
randiger,  stark  lichtbrechender  Faden  ohne  jedwede  Anlagerung 
granulirter  Substanz  oder  gefärbter  Kerne  in  geradlinigem  oder 
bogig  geschwungenem  Verlaufe  sichtbar. 

Die  allgemeine  Form  des  Scolex,  die  Grössenverhältnisse 
seiner  einzelnen  Theile  und  ihre  Gestalt  sind,  soweit  dies  zur 
Sicherung  des  Wiedererkennens  der  Art  nöthig  ist,  aus  den 
Abbildungen  Taf.  I,  Fig.  1  und  2  genügend  zu  entnehmen. 
Genau  gekennzeichnet  wird  die  Art  neben  dem  ganzen  äusseren 
Habitus  besonders  durch  drei  Charaktere:  1.  die  Form  der 
Rüsselhaken  (Taf.  I,  Fig.  12,  13,  14);  2.  die  Beschafifenheit  des 
Retractors.  Derselbe  setzt  sich  nämlich  bereits  im  vordersten 
Theile  der  Rüsselmuskelkolben  seitlich  an  der  Wand  derselben 
fest  (Taf.  I,  Fig.  2).  Die  Rüsselmuskelkolben  enthalten  also 
nicht  wie  gewöhnlich  in  der  Mitte  ihres  Lumens  den  Retractor- 
strang,  wohl  aber  zieht  sich  von  dem  Befestigungspunkte  des- 
selben eine  schmale  lineare  Zellreihe  an  der  Innenwand  des 
Kolbens  gerade  entlang.  Ferner  sind  die  Bildungszellen  der 
Retractorfibrillen   zwischen    den    Fibrillen    gleichförmig,    aber 


Studien  an  Tetrarhynchen.  663 

ohne  bestimmte  Anordnung  vertheilt;  3.  endlich  sind  die  Rüssel- 
muskelkolben aus  ungefähr  50  Muskelschalen  zusammen- 
gesetzt. 

Die  bisherige  Beschreibung  entspricht  vollkommen  dem, 
was  man  vom  Bau  einer  Tetrarhynchenlarve  im  Vorhinein 
erwarten  musste.  Es  gilt  dies  auch  ganz  besonders  vom  Excre- 
tionsgefässsystem,  welches  in  seinem  gesammten  Verlaufe  deut- 
lich und  klar  ist  und  keinen  seiner  charakteristischen  Bestand- 
theile  vermissen  lässt.  Höchstens  könnte  man  annehmen,  dass 
sich  ein  oberflächliches  Gefässnetz,  wie  ein  solches  so  häufig 
vorkommt,  der  Beobachtung  zu  entziehen  vermochte.  Aber  auch 
dieser  Zweifel  erscheint  sofort  unbegründet,  da  man  auf  den 
Schnitten,  z.  B.  in  den  Haftscheiben  und  den  Hautpartien  des 
hinteren  Kopftheiles,  grosse  Theile  eines  derartigen  Gefass- 
netzes  deutlich  erblickt,  somit  ein  solches  Canalsystem  in  dem 
durchsichtigen  Blasenparenchym  noch  weniger  der  Beobach- 
tung entgehen  könnte. 

Umso  überraschender  berührt  nach  air  dem  Gesagten  das 
Auftreten  eines  Organes,  zu  dessen  Beschreibung  ich  nunmehr 
gelange,  eines  Organes,  das,  so  leicht  es  bei  oberflächlicher 
Beurtheilung  als  ein  Theil  des  Excretionssystems  betrachtet 
werden  könnte,  doch  nach  genauerer  Untersuchung  nicht  nur 
einer  solchen  Erklärung  völlig  unzugänglich  bleibt,  sondern 
sich  vorläufig  in  jeder  Hinsicht  einer  halbwegs  sicheren  Deutung 
entzieht. 

Stellt  man  am  Körperrande,  auf  jener  Seite,  auf  der  sich 
der  weitere  Excretionscanal  befindet,  sehr  hoch,  fast  auf  die 
Körperoberfläche  ein,  so  wird  man  bald  unmittelbar  über  den 
beiden  Gefässen  des  Excretionssystems,  bald  zwischen  diesen 
lind  dem  noch  weiter  lateral  verlaufenden  Nervenstrang  einen 
Canal  erblicken  (Taf.  II,  Fig.  11,  18,  ;r),  dessen  Volumen  je  nach 
der  Körperregion  bedeutend  wechselt.  Derselbe  ist  ungemein 
zartwandig  und  deshalb  keineswegs  leicht  zu  sehen.  Seine 
Wände  zeigen  sich  auf  dem  Totopräparate  wie  aus  einer  ganz 
besonders  feinen  Haut  gebildet,  die  den  Eindruck  macht,  als 
ob  sie  unter  dem  Einflüsse  der  Conservirungsmittel  geschrumpft 
und  in  unzählige  kleine,  knitterige,  scharf  geknickte  Fältchen 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Gl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  44 


664  Th.  Pintner, 

gelegt  wäre  (Taf.  II,  Fig.  11,  18,  15).  Meist  hat  es  den  Anschein, 
als  ob  direct  in  dieser  Wand  Kerne  eingelagert  wären  (Fig.  11, 
15),  sie  also  eine  zellige  Structur  besässe,  doch  lässt  sich  am 
unzerschnittenen  Object  nicht  sicherstellen,  ob  diese  Kerne 
nicht  etwa  dem  Parenchym  angehören. 

Verfolgt  man  den  Canal  in  seinem  Verlaufe,  so  lässt  sich 
Folgendes  erkennen:  In  den  vorderen  Körpertheilen  zu  den 
Seiten  des  Receptaculums  hat  er  meistens  ein  geringeres 
Volumen,  ungefähr  wie  das  breitere  Excretionsgefäss  an  den 
gleichen  Stellen.  Doch  ist  er  hier  im  Ganzen  etwas  mehr 
parallelwandig,  verliert  zum  Theil  auch  jenes  oben  geschilderte 
charakteristische  Aussehen,  kurz  er  würde,  nur  in  dieser  Region 
allein  beobachtet,  keineswegs  als  etwas  vom  Excretionssystem 
Verschiedenes  betrachtet  werden  müssen.  Er  ist  deutlich  bis  in 
den  äussersten  Zipfel  beim  Receptaculum  zu  verfolgen,  macht 
hier  einen  Bogen,  wie  die  Excretionsgefässe  und  das  Nerven- 
system, greift  aber  mit  seinem  Bogen  weit  über  diese  Organe 
bis  an  den  äussersten  Rand  hinaus  (Taf.  I,  Fig.  3,  x).  Er  biegt 
ebenso  wie  die  letzteren  gegen  die  innere  Receptaculumwand 
ein,  entzieht  sich  hier  aber  bald  der  weiteren  Beobachtung. 

Verfolgt  man  ihn  von  der  Receptaculumregion  am  Rande 
der  Blase  nach  hinten,  so  findet  man,  dass  er  langsam  an 
Volumen  zunimmt  und  nunmehr  jenes  geschilderte  charak- 
teristische Aussehen  erhält,  zu  dem  als  ebenso  charakteristisch 
die  zwei  weiteren  Umstände  hinzutreten,  dass  er  einmal  den 
geschlängelten  Verlauf  der  Excretionsstämjne  vermeidet,  viel- 
mehr im  Allgemeinen  gerade,  stellenweise  sogar  schnurgerade 
(Fig.  11)  verläuft,  und  dass  er  zweitens  nicht  jene  typische 
Parallelwandigkeit  zeigt  wie  diese.  Bald  bauchig  aufgetrieben, 
bald  eng  zusammengezogen,  sendet  er  häufig  kleine,  schmale 
Nebencanälchen  mit  hauchartig  zarten  Wandungen  aus,  die, 
nachdem  sie  eine  kleine  Insel  umlaufen  haben,  zum  Haupt- 
canal  zurückkehren  (Taf.  II,  Fig.  18).  Solcher  Inseln  legen  sich 
oft  mehrere  nebeneinander  (Taf.  II,  Fig.  15).  Dann  entsendet  er 
mitunter  wieder  ein  dünnes  Canälchen  gegen  den  Körperrand 
oder  gegen  die  Mittellinie  zu,  das  meist  nach  kurzem,  oft  aber 
nach  ganz  beträchtlich  langem  Verlaufe  blind  zu  endigen 
scheint  (Fig.  18,   15).   Je  mehr   man    sich   der  Schvvanzblase 


Studien  an  Tetrarhynchen.  665 

nähert,  desto  breiter  wird  der  Canal  (vergl.  die  Massangaben 
oben  unter  x),  desto  zahlreicher  werden  die  dem  Hauptstamme 
henkeJförmig  angesetzten  Nebenzweige,  desto  weiter  breiten 
sich  die  Netzbildungen  aus.  In  der  Gegend  der  Harnblase 
scheint  —  wie  ich  nach  wiederholten  Beobachtungen  glauben 
möchte,  ohne  aber  dessen  ganz  sicher  zu  sein  —  eine  Art 
Capillarnetz  von  ausserordentlicher  Zartheit  zu  liegen,  das  sich 
gegen  die  Körpermitte  hinzieht  und,  wie  mir  schien,  wenigstens 
mit  einem  dünnen,  dem  T- Balken  der  Harnblase  parallelen 
Quercanal  mit  dem  der  anderen  Körperseite  in  Verbindung 
tritt.  Der  Hauptcanal  ist  in  dieser  Region  zu  geradezu  lacunen- 
artiger  Breite  angeschwollen  und  in  plexusähnliche  Netze  auf- 
gelöst und  scheint  sich  über  das  vordere  Stück  der  Harn- 
blase hinaus  noch  weiter  gegen  das  hinterste  Körperende  zu 
erstrecken.  Die  in  Taf.  II,  Fig.  9  angedeuteten  dunklen  Streifen 
dürften  die  Zone  sein,  in  der  er  sein  Ende  findet.  Die  Verhält- 
nisse dieser  Region  sind  selbst  mit  den  besten  Systemen  nicht 
mehr  recht  entwirrbar,  und  der  Verlauf  des  fraglichen  Organs 
daselbst  stellt  auch  jene  oben  erwähnte  Schwierigkeit  dar, 
über  die  Endigungsweise  des  dünneren  Excretionscanals  etwas 
Sicheres  zu  sagen. 

Zu  diesen  Ergebnissen  der  Beobachtung  des  Totoprä- 
parates kommen  die  überraschendsten  Resultate  durch  Unter- 
suchung von  Schnitten  hinzu.  Ich  entschloss  mich  nämlich, 
wenn  auch  nicht  leicht,  eine  der  beiden  Larven,  an  denen  der 
räthselhafte  Canal  in  voller  Deutlichkeit  zu  sehen  war,  zu  zer- 
schneiden. Ich  löste  sie  aus  dem  Canadabalsam  durch  Toluol 
aus,  zerlegte  sie  der  Länge  nach  in  mehrere  Theile  und  diese 
Theile  in  Querschnitte  und  in  frontale  und  sagittale  Längs- 
schnitte. Die  beiden  letzteren  Schnittrichtungen  liefern  nicht 
wesentlich  von  einander  verschiedene  Bilder,  nur  erscheint  der 
Canal  auf  frontalen  Schnitten  breiter. 

Schon  bei  schwacher  Vergrösserung  betrachtet,  zeigen 
Längsschnitte  sofort,  dass  jenes  knitterige,  faltelige  Aussehen 
des  unzerschnittenen  Canals  nicht  auf  Schrumpfungserschei- 
nungen zurückzuführen,  sondern  der  Ausdruck  der  eigenthüm- 
lichen  Structurverhältnisse  in  dem  räthselhaften  Organ  ist 
(Taf.  II,  Fig.  16).  Die  Wände  des  Canals  bilden   nicht  scharfe 

44* 


666  Th.  Pintner, 

und  —  von  den  Schlängelungen  des  Verlaufes  abgesehen  — 
gerade  Linien  wie  bei  den  Excretionscanälen,  sondern  sind 
ganz  unregelmässig,  bald  mehr  gerade,  bald  bogig  oder  wellig, 
bald  springen  sie  kuppen-  und  zackenförmig  gegen  Lumen 
und  Parenchym  vor,  oder  sie  sind  da  zipfelförmig  ausgezogen 
und  dort  wieder  eingedrückt  u.  dergl.  m.  Eine  Membran,  die 
die  plasmatischen  Theile  der  Wand  gegen  das  Lumen  oder  das 
Körperparenchym  abgrenzen  würde,  fehlt  gänzlich.  Aber  noch 
mehr!  Allenthalben  springen  plasmatische  Leisten  und  Platten 
in  das  Lumen  selbst  ein  und  durchqueren  dasselbe  oft  voll- 
kommen und  in  allen  möglichen  Richtungen.  Noch  deutlicher 
sieht  man  Alles  dies  natürlich  mit  Hilfe  stärkerer  Vergrösse- 
rungen  (Taf.  II,  Fig.  17,  Taf.  111,  Fig.  18,  20).  Man  erkennt  dabei 
aufs  Sicherste,  dass  die  Kerne,  die  schon  am  unzerschnittenen 
Organ  aufgefallen  waren,  thatsächlich  den  Wänden  desselben 
angehören,  dass  der  ganze  Canal  gebildet  wird  von  den  Leibern 
syncytial  zusammengeflossener  Zellen,  deren  Plasma  eben  mit 
jenen  Brücken  und  Strängen  den  inneren  Hohlraum  regellos 
durchsetzt  und  oft  vollkommen  abschliesst,  so  dass  ein  System 
von  Waben,  Höhlen,  längeren  und  kürzeren  Canälchen  ent- 
steht, die,  in  der  mannigfachsten  Weise  über- und  durcheinander 
liegend,  dennoch  in  ausgesprochener  Längsrichtung  aneinander 
gereiht  und  gepresst  eben  den  Längscanal  zusammensetzen. 
Die  Richtigkeit  dieser  aus  Längsschnitten  gewonnenen 
Vorstellung  vom  Bau  der  räthselhaften  Canäle  bestätigen  auch 
die  Bilder  der  Querschnitte  (Taf.  I,  Fig.  5),  die,  selbst  in  der 
unmittelbaren  Aufeinanderfolge  einer  lückenlosen  Reihe  be- 
trachtet, stets  lebhaft  wechseln  und  dadurch  die  fortwährenden 
V^olumänderungen  und  die  Unregelmässigkeit  des  Canalquer- 
schnittes  zeigen. 

Gegen  das  Parenchym  sind  die  Wandzellen,  deren  Kerne 
mir  oft  etwas  grösser  zu  sein  schienen  als  gewöhnliche  Paren- 
chymkerne,  oft  auf  längere  Strecken  glatt  abgesetzt,  wenn  sich 
auch  Ausläufer  der  Parenchymwaben  an  sie  anlegen.  Dann 
kommen  wieder  Strecken,  wo  die  Wandzellen  ganz  unmittelbar 
mit  dem  Parenchymgewebe  verbunden  zu  sein  scheinen.  In  der 
That  ist,  wenn  man  die  Sache  recht  bedenkt,  der  Canal  nichts 
Anderes  als  eine  viel  grössere,  gröbere  und  derbere  Wieder- 


Studien  an  Tetrarhynchen.  667 

holung  des  Parenchyms,  ein  langgezogener  Strang  weniger 
zarten  Parenchymgewebes,  der  in  seinem  Gesammtverlaufe 
den  Ausdruck  eines  allerseits  deutlich  abgegrenzten  Canals 
darbietet.  Aber  ein  wesentlicher  Unterschied  zwischen  dem 
Bau  des  Canals  und  des  Parenchyms  besteht  gleichwohl:  Die 
Waben  und  Röhrchen  des  Canals  scheinen  wirklich  hohl, 
scheinen  Löcher  zu  sein,  was,  wie  oben  betont,  beim  Paren- 
chym  nicht  der  Fall  ist. 

Diesen  Bau  behält  der  Canal  auch  in  jenen  Regionen  bei, 
wo  er  auf  dem  Totopräparate  fast  völlig  das  Bild  eines  Excre- 
tionscanals  gewährt,  also  in  der  Nähe  der  Receptaculum- 
mündung,  nur  liegen  hier  weniger  Röhrchen  und  Hohlräume 
nebeneinander,  auf  einem  einzelnen  Querschnitte  etwa  2 — 3. 
Aber  auch  diese  Querschnitte  unterscheiden  sich,  wie  nach 
dem  Gesagten  begreiflich,  sofort  und  leicht  von  den  Quer- 
schnitten der  Excretionsgefässe. 

Wie  die  Schnitte  neue  Aufschlüsse  in  Bezug  auf  den  Bau 
des  Organs  geben,  so  auch  in  Bezug  auf  dessen  Ausdehnung. 
Der  Canal  ist  nämlich,  sich  immer  mehr  vereinfachend,  deut- 
lich an  der  Wand  des  Receptaculums  entlang  zu  verfolgen  und 
tritt  endlich  in  die  Verdickungszone,  also  in  den  Scolex  ein. 
Freilich  verändert  sich  hier  sein  Aussehen  gründlich.  Wie  näm- 
lich alle  Zellen  und  das  gesammte  Parenchym  im  hintersten 
Theile  des  Scolex  weitaus  plasmareicher  werden  als  im  vor- 
deren Theile  und  vollends  in  der  Finnenblase  —  ein  Ausdruck 
der  hier  ausserordentlich  lebhaften  Zellvermehrung  —  so  auch 
die  Wandzellen  des  räthselhaften  Canals,  die  hier  zu  einem 
mächtigen  plasmareichen  Epithel  werden  (Taf.  III,  Fig.  19, 
x—x\  Taf.  IV,  Fig.  24,  30).  Der  Canal,  der  hier  fast  durch- 
wegs als  einfaches,  sogar  ziemlich  parallelwandiges  Röhrchen 
erscheint,  zeigt  erheblich  dicke  Plasmawandungen,  in  diesen 
dicht  gelagerte  Kerne,  oft  ganz  regelmässig  in  einschichtiger 
Lage.  Selbst  Zellgrenzen  wurden  hie  und  da  (Taf.  III,  Fig.  19 
bei  x'  und  Taf.  IV,  Fig.  24),  wenn  auch  nicht  allzu  scharf  und 
deutlich,  sichtbar. 

Es  unterliegt  übrigens  nach  Bildern,  die  ich  an  Längs- 
schnitten sah,  keinem  Zweifel,  dass  sich  der  Canal  nach  seinem 
Eintritt  in  das  Scolexparenchym  verdoppelt,  so  dass  rechts 


668  Th.  Pintner, 

und  link«  je  zwei  solcher  im  Übrigen  untereinander  überein- 
stimmender Canäle  verlaufen.  Die  Verdopplung  scheint  genau 
an  der  Grenze  zwischen  Scolex-  und  Blasenparenchym  ein- 
zutreten, wo  auch  auf  kurze  Strecken  eine  starke  Erweiterung 
des  ursprünglichen  Canallumens  zu  bemerken  ist. 

Leider  konnte  ich  die  Canäle  im  Scolex,  wo  vielleicht  der 
Schlüssel  zur  Lösung  des  Räthsels  zu  finden  ist,  nicht  weiter 
verfolgen.  An  dieser  Stelle  begann  gerade  eine  Serie  von  Quer- 
schnitten, und  auf  diesen  waren  die  Canäle,  die  hier  im  Blasen- 
theile  schön  und  klar  hervortreten,  im  Scolextheile  nur  ganz 
unsicher  oder  gar  nicht  zu  erkennen. 

Noch  möchte  ich  eines  Umstandes  kurz  erwähnen.  Im 
Blasentheile  (Taf.  III,  Fig.  20)  sowohl,  wie  im  Scolex  (Taf.  IV, 
Fig.  30)  zeigt  das  Plasma  der  Canäle  auf  Längsschnitten  in 
gewissen  Partien  bisweilen  eine  unverkennbare  Längsstreifung. 
Ich  glaube,  dass  dieselbe  der  Ausdruck  angeschnittener  Längs- 
muskelfibrillen  ist,  die  man  häufig  in  dichtester  Nachbarschaft 
der  Canäle  findet  (Taf.  II,  Fig.  11,  w). 

Es  ist  natürlich  ebenso  wohlfeil,  Vermuthungen  über  dieses 
räthselvolle  Organ  aufzustellen,  als  es  unmöglich  ist,  eine  dieser 
Vermuthungen  durch  Gründe  soweit  zu  stützen,  dass  sie  nur 
einigermassen  discutabel  würde.  Wer  sich  mit  Cestoden  nicht 
speciell  beschäftigt  hat,  könnte  leicht  denken,  einen,  vielleicht 
modificirten,  Theil  des  Excretionssystems  vor  sich  zu  haben. 
Da  kann  ich  nur  sagen:  Nie,  unter  den  Tausenden  von  Bildern 
dieses  Organssystems,  die  mir  zu  Gesicht  gekommen  sind, 
habe  ich  halbwegs  Ähnliches  beobachtet.  Alles  spricht  gegen 
die  Zulässigkeit  einer  solchen  Annahme:  1.  sind  die  Stücke  des 
Excretionssystems,  die  bei  einer  Tetrarhynchenlarve  voraus- 
gesetzt werden  müssen,  neben  diesem  Organ  alle  vorhanden: 
2.  gibt  es  nicht  Excretionscanäle  von  solchem  Charakter: 
Zusammensetzung  der  Wand  aus  grossgekernten,  plasma- 
reichen Zellen,  die  mit  Trabekeln  das  Lumen  durchsetzen, 
Mangel  einer  Membran  nach  innen  und  aussen,  nicht  paralleler 
Verlauf,  Auftreibungen,  blindsackartige  Ausstülpungen  der 
Wände  etc.  Morphologisch  und  histologisch  ist  also  die  Zuge- 
hörigkeit des  beschriebenen  Organs  zum  Excretionssystem 
völlig   abzulehnen    (natürlich    zu  den    uns   bisher  bekannt 


Studien  an  Tetrarhynchen,  669 

gewordenen  Theilen  des  Excretionssystems).  Man  könnte 
noch  fragen,  ob  Trichtercapillaren  in  den  Canal  einmünden 
oder  nicht?  Es  ist  jedoch  an  Totopräparaten  getödteter  Thiere 
(und  meist  nicht  minder  an  Schnitten!)  ganz  unmöglich,  dies 
auch  nur  mit  annähernder  Sicherheit  festzustellen.  Selbst  bei 
den  Excretionscanälen  hängt  die  Beantwortung  dieser  Frage 
im  positiven  Sinne  von  einem  zufälligen  Befunde  an  einem 
glücklichen  Object  ab,  im  negativen  Sinne  ist  sie  fast  unmög- 
lich; und  wenn  heute  Jemand  wissen  will,  ob  z.  B.  bei  Tetra- 
bothrien  oder  Taeniaden  die  Capillaren  gleichmässig  in  beide 
Äste  der  jederseitigen  Excretionsschlinge,  oder  nur  in  den 
weiteren,  oder  nur  in  den  engeren  Ast  sich  ergiessen:  ich  weiss 
keine  präcise  Antwort  auf  diese  Frage  und,  ich  fürchte,  auch 
sonst  Niemand. 

Nicht  völlig  ungereimt  möchte  bei  Betrachtung  des  be- 
schriebenen räthselhaften  Organs  etwa  noch  der  Gedanke  an 
ein  in  Rückbildung  begriffenes  Canalsystem  scheinen,  sei  es 
an  ein  ontogenetisch  vorhergehendes  embryonales  Excretions- 
system,  sei  es  an  Darmrudimente  oder  an  eine  Art  lymphatischer 
Canäle;  Annahmen,  die  alle  miteinander  ein  Gemeinsames 
haben:  den  Mangel  jeglicher  Möglichkeit,  sie  wahrscheinlich 
zu  machen. 

Anschliessend  an  vorstehende  Beschreibung  möchte  ich 
über  zu  verschiedenen  Zeiten  gemachte  Beobachtungen  an 
einigen  Cestoden  berichten,  die  nur  dadurch  etwa  zusammen- 
gehören, dass  sie  sich  alle  auf  das  Excretionssystem  be- 
ziehen. 

Ich  beginne  mit  einer  Angabe  über  das  Excretionssystem 
der  P'innen  von  Taenia  solium  und  saginata. 

Die  Kenntniss  vom  Bau  dieser  Larvenstadien  ist  noch  eine 
nicht  gerade  sehr  tiefgehende.  Wir  wissen  nicht  einmal,  ob  bei 
denselben  ein  Rechts  und  Links  zu  unterscheiden  ist,  wir 
wissen  nicht,  wie  das  —  zweifellos  vorhandene  —  Nerven- 
system der  Blasenwand  aussieht;  selbst  dass  wirklich  keine 
Endblase  des  Excretionssystems  zur  Ausbildung  kommt  — 
was  allerdings  sehr  wahrscheinlich  —  ist  kaum  irgendwo 
sicher  ausgesprochen.  Die  ganze  Gestaltung  des  letztgenannten 


670  Th.  Pintner, 

Apparates  bietet,  wie  sofort  ersichtlich  sein  wird,  noch  eine 
Menge  unbeantworteter  Fragen  von  Bedeutung.  Ich  bin  auch 
keineswegs  in  der  Lage,  diese  Punkte  in  dem  Nachfolgenden 
aufklären  zu  können,  obzwar  ich  wiederholt  Finnen  der  beiden 
Bandwürmer  in  solchen  Richtungen  untersucht  habe.  Dagegen 
scheint  mir  eine  —  vielfach  weiterer  Vervollständigung  be- 
dürftige —  Beschreibung  des  Excretionssystems  der  Blasen- 
wand schon  wegen  des  eigenthümlichen  Typus  eines  Theiles 
dieses  Organsystems  mittheilenswerth.  Die  Beobachtung  stammt 
schon  aus  dem  Jahre  1886  und  wurde  jetzt  nur  nochmals 
bestätigt,  und  zwar  an  Exemplaren,  die  in  Formol  conservirt 
waren.  Diese  Flüssigkeit  eignet  sich  nämlich  zur  Untersuchung 
des  Excretionssystems  der  Finnen  in  vorzüglichster  Weise, 
ebenso  zur  Conservirung  derselben  überhaupt,  zu  schöner  Dar- 
stellung ihrer  eigentlichen  Form  bei  Aufstellung  in  Samm- 
lungen. Die  Blase  bleibt  prall  und  glatt,  schrumpft  nicht  im 
mindesten,  quillt  vielleicht  eher  ein  klein  wenig,  bleibt  durch- 
scheinend und  zeigt  deutlich  die  Kopfanlage  als  weissliches 
Knötchen.  Man  kann  zur  Untersuchung  der  Blasenwand  die 
Finne  mit  der  Scheere  aufschneiden,  den  harten  Kopf  entfernen 
und  nun  die  ganze  Blase  am  Objectträger  schön  ausbreiten. 
Bei  allmäligem  Glycerinzusatz  kann  man  sie  nach  und  nach 
bis  in  concentrirtes  Glycerin  überführen  und  sieht  dann  die 
Gefässe  in  vollster  Klarheit. 

Man  findet  da  bald  zwei  übe  reinander  liegende  Canal- 
systeme,  wie  schon  Leuckart  sehr  richtig  angegeben  hat.^ 
Diese  beiden  Canalsysteme  zeigen  aber  ein  wesentlich  ver- 
schiedenes Aussehen. 

Ist  die  Aussenseite  der  Blasenwand  dem  Auge  zugekehrt, 
so  sieht  man  ein  tiefer  liegendes,  also  ein  inneres  Netz  von 
Canälen  (Taf. III,  Mg. 21,/)  mit  sämmtlichen  charakteristischen 
Eigenschaften  der  Cestodenexcretionscanäle.  Die  Canäle  sind 
von  den  stark  lichtbrechenden,  doppelt  contourirten  Canal- 
wänden  begrenzt  und  sind  im  Grossen  und  Ganzen  parallel- 
wandig.  Sie  haben  überall  ungefähr  die  gleiche  Weite,  wobei 
nicht  zu  vergessen  ist,  dass  die  Contraction  der  Blasenwand 

»  Nr.  4,  S.  436. 


Studien  an  Tetrarhynchen.  b/  1 

Stets  in  Betracht  kommt.  Ist  diese  irgendwo  ausgebuchtet  oder 
aufgetrieben  und  sind  in  Folge  dessen  die  Canäle  hier  stark 
in  die  Länge  gezogen,  so  erscheinen  sie  natürlich  oft  ganz 
erheblich  verschmälert,  im  entgegengesetzten  Falle  etwas  an- 
geschwollen. Die  Contraction  der  Wand  bedingt  auch  einen 
bald  geradlinigen,  bald  wieder  geschlängelten  Verlauf.  Die 
Canäle  verzweigen  sich  stets  streng  dichotomisch, 
man  sieht  stets  nur  drei  Canäle  in  einem  Knoten  der  Netz- 
maschen zusammenlaufen.  Überall  münden  die  Zweige  wieder 
in  das  Netz  ein,  es  gibt  keine  blindsackartigen  Zipfel 
und  Ausläufer,  dagegen  allenthalben  grössere  oder  kleinere, 
meist  einzelne,  bisweilen  zu  kleinen  Gruppen  vereinigte  Insel- 
bildungen. Diese  Canäle  liegen  auch  annähernd  in  einer  Ebene, 
in  der  gleichen  Schicht.  Sie  erscheinen  oft  von  äusserst  feinen, 
scharfrandigen  Fibrillen  förmlich  umsponnen;  diese  feinen 
Fibrillen  sind  grösstentheils  nichts  Anderes  als  die  collabirten 
Wände  der  Trichtercapillaren.  Das  Hauptstratum  der  Flimmer- 
trichter scheint  ganz  in  der  Tiefe,  dem  flüssigkeiterfüllten 
Binnenrayme  der  Blase  am  nächsten  zu  liegen.  Die  Maschen 
dieses  Netzes  bilden  oft  auf  weiten  Strecken  ziemlich  regel- 
mässige Polygone.  Sie  sind  natürlich  an  Grösse  sehr  ver- 
schieden, doch  kann  man  wohl  sagen,  dass  die  Mehrzahl 
eine  gewisse  Durchschnittsgrösse  einhält  und  dass  der  Dia- 
meter einer  solchen  Masche  im  Verhältniss  zu  dem  der  sie 
umgrenzenden  Canäle  ein  sehr  grosser  ist. 

Alles  das  verhält  sich  anders  an  dem  zweiten  oberfläch- 
lichen Netz,  dessen  Canäle  überhaupt  vom  Typus  der 
Excretionscanäle  derCestoden  völlig  abweichen.  Sie 
bilden  Netzmaschen  wie  die  vorigen;  aber  schon  die  Weite 
dieser  Canäle,  die  an  vielen  Stellen  ganz  überraschend  an- 
schwillt und  zu  der  Grösse  der  umschlossenen  Gewebsinsein 
nicht  in  einem  so  verschwindenden  Verhältniss  steht,  verändert 
ganz  den  Charakter  des  Netzes:  es  nimmt  oft  ein  völlig  lacu- 
näres  Aussehen  an  (Taf.  III,  Fig.  21,  ä,  Fig.  22).  Dies  wird 
wesentlich  unterstützt  durch  den  Umstand,  dass  die  Canäle 
weit  entfernt  sind,  parallele  Wandungen  zu  haben.  Unter  fort- 
währender Änderung  der  Weite  ihres  Lumens  erscheinen  sie 
bald  bauchig  aufgetrieben,  bald  wieder  verengt,   sogar  bis  zu 


672  Th.  Pintner, 

capillar  dünnen  Röhrchen.  Von  irgendeiner  Dichotomie,  über- 
haupt einer  Regelmässigkeit  in  der  Verzweigung  kann  keine 
Rede  sein.  Wo  einige  Canäle  zusammentreffen,  tritt  gewöhn- 
lich eine  Erweiterung,  oft  eine  blasenförmige  oder  kugelige 
Bucht  auf,  und  in  diese  münden  dann  drei,  vier  und  noch 
mehr  Canälchen,  sternförmig  von  verschiedenen  Richtungen 
zusammenlaufend  und  abwechselnd  mit  weitem  oder  verengtem 
Durchmesser.  Ebenso  kommen  zipfelige  Aussackungen  der 
Canäle,  lange,  blindsackartige  Fortsätze,  die  nicht  wieder  ana- 
stomosenartig  zu  einem  anderen  Canal  zurückkehren,  hier 
häufig  und  typisch  vor.  Solche  blind  geschlossene  Äste  steigen 
auch  sehr  häufig  bis  hart  an  die  Cuticula  auf,  was  man  an 
optischen  und  wirklichen  Schnitten  in  zahlreichen  Phallen  beob- 
achten kann.  Doch  vermochte  ich  mich  nie  von  einer  wirk- 
lichen Ausmündung"  zu  überzeugen.  Ich  möchte  hier  darauf 
hinweisen,  dass  man  nach  Schnitten  mit  der  Annahme  von 
Ausmündungen  auch  dann  noch  sehr  vorsichtig  sein  muss, 
wenn  man  den  Canal  bis  dicht  an  die  Cuticula  herantreten, 
diese  aber  nicht  wirklich  durchbrechen  sieht,  weil  .man  über 
die  Lage  des  äussersten  Randes  bei  der  warzigen,  häufig 
gewulsteten  Oberfläche  meist  im  Unklaren  bleibt  und  durch 
eine  Wendung  des  Canals,  der  in  der  Region  der  unmittelbar 
folgenden  Schnitte  auch  in  Folge  einer  starken  Verengerung 
des  Lumens  ganz  verschwinden  kann,  besonders  bei  in  grosser 
Zahl  nebeneinander  liegenden  Canalquerschnitten  fast  sicher 
Täuschungen  ausgesetzt  ist. 

Der  Verlauf  der  Canäle  des  oberflächlichen  Netzes  kann 
weder  als  geradlinig,  noch  als  wellig,  sondern  muss  als  ganz 
unregelmässig  bezeichnet  werden.  Ganz  unregelmässig  sind 
auch  die  eingeschlossenen  Felder. 

Was  die  Canalmembran  anlangt,  kann  ich  gegen  die 
Canäle  des  tieferen  Netzes  keinen  wesentlichen  Unterschied 
finden.  Bisweilen  allerdings  schien  mir  diejenige  der  oberfläch- 
lichen Canäle  etwas  dicker  und  etwas  stärker  gefärbt.  Das 
Umsponnensein  mit  Trichtercapillaren  findet  man  bei  ihnen 
nie.  Ob  solche  in  die  Canäle  des  oberflächlichen  Netzes  über- 
haupt einmünden,  kann  ich  nicht  sagen,  gesehen  habe  ich 
es  nie. 


Studien  an  Tetrarhynchen.  673 

Die  wunderlichen  Formen,  die  diese  Gefässe  auf  Schnitten 
zeigen  (Taf.  III,  Fig.  23,  ä)y  entsprechen  dem  immerwährenden 
Volumwechsel  in  jeder  Richtung  ihres  Durchmessers,  dürften 
zum  Theil  aber  auch  auf  Schrumpfungserscheinungen  der 
weiten,  verhältnissmässig  viel  Flüssigkeit  enthaltenden  Lumina 
zurückzuführen  sein. 

Ich  habe  nie  eine  Communication  zwischen  den  beiden 
beschriebenen  Canalsystemen  feststellen  können,  bin  aber  auch 
nicht  in  der  Lage,  eine  solche  leugnen  zu  können.  Ich  kann 
auch  nicht  sagen,  wie  sich  die  beiden  Netze  zu  den  in  den 
Scolex  eintretenden  Gefässstämmen  verhalten;  deren  Ursprung 
aus  dem  tiefer  gelegenen  Netze  scheint  mir  aber  beinahe 
gewiss  zu  sein.  Hier  überall  wäre  noch  ein  weites  Feld  für, 
wie  ich  glaube,  sehr  lohnende  Untersuchungen. 

Looss^  hat  die  Ansicht  ausgesprochen,  dass  das  grobe, 
reich  verzweigte  Gefässsystem  bei  Distoma  hepaticum  in  seiner 
Gesammtheit  die  Endblase  vorstelle.  Da  es  doch  höchst  unwahr- 
scheinlich ist,  dass  die  Harnblase  bei  den  Finnen  der  beiden 
grossen  Taenien  des  Menschen  bisher  übersehen  worden  sein 
sollte,  könnte  man  auf  den  Gedanken  kommen,  dass  hier  etwas 
Ähnliches  vorliege.  Der  Charakter  der  Wandungen  des  ober- 
flächlichen Netzwerkes  würde  hiefür  allerdings  kaum  sprechen : 
es  ist  keine  Spur  von  Musculatur  vorhanden,  und  der  Zellen- 
beleg der  Wände  ist  womöglich  noch  ärmer  als  der  der  eigent- 
lichen Excretionsgefässe.  Aber  die  von  dem  Typus  dieser 
letzteren  so  weit  abweichende  Form  scheint  zu  einer  solchen 
Annahme  aufzufordern,  ebenso  noch  ein  weiterer  Grund:  zwei- 
mal, einmal  an  einem  Totopräparate  und  einmal  an  einer 
Schnittserie,  fand  ich  das  oberflächliche  Netz  mit  einem 
eigenthümlichen  Inhalt  erfüllt,  wie  er  auf  Fig.  21  dar- 
gestellt ist.  Es  waren  tropfenförmige  Gebilde  der  verschieden- 
sten Grösse,  von  ganz  kleinen  Pünktchen  bis  zu  sehr  grossen 
Ballen,  dicht  gedrängt,  häufig  wie  an  den  Wänden  hängend, 
doch  ebenso  zahlreich  ganz  frei  im  Lumen.  Häufig  sperrten  sie 
das  letztere  völlig,  wie  ein  Flüssigkeitssäulchen  eine  Capillar- 
röhre,  dann  zeigten  sie  regelmässig  die  charakteristische  Ober- 


1  Nr.  5.  S.  171  ff. 


674  Th.  Pintner, 

flächenfigur  an  Glasröhrchen  adhärirender  Flüssigkeiten.  Die 
Tropfen  färbten  sich  lebhaft  in  Carmin  und  wurden  von  den 
Entwässerungs-  und  Aufhellungsmitteln  vollständig  durch- 
tränkt Ich  brauche  wohl  nicht  besonders  darauf  hinzuweisen, 
dass  dieser  Gefässinhalt  gar  nichts  mit  den  nicht  seltenen 
Niederschlägen  in  den  Excretionsgefässen,  die  den  Charakter 
eines  feinen  Pulvers  oder  Sandes  oder  einer  Incrustirung  der 
Wände  haben,  Gemeinsames  zeigt.  Solche  Erscheinungen  gibt 
es  in  den  excretorischen  Canälen  nie,  und  das  könnte  eben 
gleichfalls  zu  der  erwähnten  Annahme  führen. 

Noch  möchte  ich  erwähnen,  dass  man  Finnenblasen  findet 
—  es  scheinen  besonders  die  mit  stark  dilatirten  Wänden  zu 
sein  — ,  in  denen  die  beiden  Netze  nicht  so  scharf  unter- 
schieden erscheinen,  wie  im  Vorstehenden  beschrieben  wurde. 
Es  nähert  sich  dann  das  Oberflächennetz  in  seinem  Aussehen 
dem  tiefer  liegenden,  und  da  es  zugleich  nicht  so  sehr  sich  auf 
eine  schmale  Zone  zu  begrenzen,  sondern  häufig  in  die  des 
tieferen  überzugreifen  scheint,  könnten  leicht  solche  Finnen- 
blasen den  Eindruck  gewinnen  lassen,  als  bestehe  der  Unter- 
schied zwischen  beiden  Netzen  überhaupt  nicht.  Wird  man  es 
aber  nicht  bei  der  Untersuchung  eines  oder  zweier  Individuen 
bewenden  lassen,  so  wird  man  sich  gewiss  leicht  von  der 
Richtigkeit  des  Gesagten  überzeugen. 


Es  ist  im  Vorstehenden  wiederholt  vom  Charakter  der 
excretorischen  Gefässe,  und  zwar  speciell  der  Haupt- 
stämme (»Sammelröhren«  Looss)  die  Rede  gewesen.  Ich  finde 
denselben,  heute,  wie  in  meiner  ersten  Arbeit^  in  folgenden 
Punkten: 

1 .  Vollkommenes  Fehlen  dendritischer  Verzweigungen. 

2.  Strenge  Dichotomie  bei  Theilungen. 

3.  Parallele  Wandungen. 

4.  Epithelartige  Anlagerung  der  Zellen  von  der  Paren- 
chymseite  an  die  glashelle  Cuticula. 

Zu  Punkt  1  ist  zu  bemerken,  dass  hierin  der  Haupt- 
unterschied des  Charakters  der  Cestodengefässe  von 

1   Nr.  10,  S.  172—206. 


Studien  an  Tetrarhynchen.  67o 

denen  der  Trematoden  liegt.  Die  Trematoden  haben 
dendritisch  verzweigte  Sammelröhren,  bei  den  Cestoden 
mündet  jede  G'efässabzweigung  wieder  in  das  Muttergefäss 
oder  in  ein  benachbartes,  ist  also  durch  Insel-  oder  Ana- 
stomosenbildung  bedingt.  Theilungen  der  Gefässe  im  Verlaufe 
von  vorne  nach  hinten,  die  sich  nicht  wieder  vereinigen,  sondern 
am  augenblicklichen  Hinterende  selbständig  ausmünden,  sind 
durchwegs  auf  primäre  Inselbildungen  zurückzuführen,  wie  alle 
anderen  Gefasstheilungen,  die  eben  nicht  Anastomosen  sind. 
Auch  der  Mangel  kürzerer  oder  längerer  Seitenzweige,  die  blind 
endigen,  gehört  hieher.  Doch  gibt  es  in  diesem  Punkte  zahl- 
reiche Ausnahmen  bei  ganz  bestimmten  Formen.  Solche  habe 
ich  z.  B.  bei  Echinobothrien,^  Calliobothrien  etc.  beschrieben. 
Diese  Ausnahmen  beeinträchtigen  nicht  den  sonst  allgemeinen 
Charakter  der  Gefässe  und  stellen  durchwegs  zipfelförmige 
oder  blinddärmchenartige  Anhänge  von  ganz  unbedeutender 
Längsausdehnung  vor.  Zu  denselben  wären  dann  noch  die 
kurzen  Aste  hinzuzurechnen,  die  mit  secundären  Mündungen 
im  Verlaufe  des  Körpers  ausmünden.  Diese  Mündungen,  gleich- 
falls auf  ganz  bestimmte  Formen  beschränkt  —  wahrscheinlich 
ausschliesslich  auf  Fälle,  wo  die  Hauptstämme  durch  hoch- 
gradige Insel-  und  Anastomosenbildung  eine  sehr  complicirte 
Gestaltung  annehmen  —  scheinen  bei  Trematoden  gleichfalls 
vollkommen  zu  fehlen,  somit  eine  Eigenthümlichkeit  des  Excre- 
tionssystems  der  Bandwürmer  darzustellen. 

Zu  Punkt  2  ist  zu  sagen,  dass  Dichotomie  bei  den  Thei- 
lungen der  Gefässe  für  Cestoden  und  Trematoden  gleich  gilt. 
Freilich  gibt  es  bei  den  ersteren  auch  hierin  Ausnahmen, 
wiederum  bei  ganz  bestimmten  Formen  und  nur  solchen  mit 
complicirtem,  netzartigen  Verlauf,  aber  sehr  selten;  nicht  Alles, 
was  sich  auf  den  ersten  Blick  nicht  als  dichotomischeTheilung 
bezeichnen  lassen  zu  wollen  scheint,  ist  eine  wirkliche  Aus- 
nahme. Wenn  sich  bei  netzartigen  Stellen  der  Körper  con- 
trahirt,  rücken  oft  zwei  gegen  einander  über  liegende  Gefäss- 
einmündungen  sich  so  nahe,  dass  an  diesem  Punkte  eine 
mehr   als   dichotome  Theilung   stattzufinden   scheint.    Dehnt 


'  Xr.  U,  S.  16,  21,  24,  Taf.  II,  Fig.  14,  16,  21. 


676  Th.  Pintner, 

sich  der  Körper  aber  aus,  merkt  man  sofort,  dass  die  beiden 
Einmündungen  in  das  Mittelgefäss  nicht  genau  symmetrisch 
liegen,  sondern  doch  zwei  eng  hintereinander  folgende  dicho- 
tome  Theilungen  vorstellen. 

Auch  Punkt  3  gehört  ganz  entschieden  zu  dem  allgemeinen 
Typus  der  Cestodenexcretionsgefässe,  wenn  es  auch  hier  die 
meisten  Ausnahmen,  besonders  bei  weiten  Gefässen  gibt. 

Nicht  minder  halte  ich  an  Punkt  4  fest.  Nur  darf  man 
nicht  glauben,  dass  man  die  epithelartigen  Elemente  immer 
und  überall  leicht,  ja  überhaupt  nachweisen  kann,  eine  Eigen- 
schaft, die  aber  das  Epithel  der  Excretionsgefässe  mit  zahl- 
reichen anderen  Epithelien  gemeinsam  hat.  Sehr  schöne  epi- 
thelartige Bildungen  der  Excretionsgefässe  werde  ich  dem- 
nächst an  den  Gefässen  von  jungen  Tetrarhynchus  attenuatus 
zu  beschreiben  Gelegenheit  haben. 

So  viel  über  die  Hauptgefässe.  Aber  wie  bei  diesen  muss 
ich  auch  bei  den  Flimmertrichtern  in  jeder  Richtung  auf 
das  Allerbestimmteste  allen  seither  geäusserten  abweichenden 
Auffassungen  gegenüber  an  dem  festgehalten,  was  ich  schon 
in  meiner  ersten  Arbeit  hierüber  gesagt  habe.^  Ich  habe  die 
Flimmertrichter  in  letzter  Zeit  mit  den  stärksten  und  besten 
Systemen  wiederholt  und  an  verschiedenen  Formen  untersucht 
und  gebe  nach  diesen  Untersuchungen  neue  Abbildungen  der- 
selben für  Phyllohothrium  gracile  Wedl.  (Taf.  IV,  Fig.  25,  26), 
für  die  Finne  von  Taenia  solium  (Taf.  IV,  Fig.  27),  für  Cysti- 
cercus pisiformis  (Taf.  IV,  Fig.  28,  29)  und  für  die  eingangs 
beschriebene  Larve  (Taf.  IV,  Fig.  30).  Bei  verschiedenen  Formen 
ist  es  nunmehr  auch  gelungen,  an  mit  Formol  und  anderweitig 
sorgsam  getödteten  Thieren  die  Trichterzellen  deutlich  sichtbar 
zu  erhalten,  besonders  schön  bei  Cysticercus  pisiformis  (Fig.  29, 
30).  Allenthalben  sieht  man  an  den  Präparaten,  wie  sich  der 
oberste  Theil  des  Wimperlappens,  dort  wo  derselbe  aus  der 
Trichterzelle  entspringt,  kuppenförmig  von  dem  Hauptstück 
des  Lappens  dunkler  abhebt;  einmal  fand  ich  ihn  sogar  völlig 
von  dem  übrigen  Lappen  getrennt  (Fig.  30).  Beim  Lappen  fand 
auch  ich  nunmehr  häufig  die  seither  bei  Trematoden  vielfach 


1   Nr.  10,  S.  181  (19),  202  (40)  ff. 


Studien  an  Tetrarhynchen.  677 

beschriebene  Längsstreifung,  freilich  in  einer  Zartheit,  dass 
jede  Wiedergabe  in  der  Zeichnung  schon  an  Carricatur  grenzt. 
Was  ich  aber  auf  das  Nachdrücklichste  betonen  muss,  ist,  dass 
die  Wände  der  Capillaren  mit  scharfem  glattem  Rand  ohne  jede 
Anlagerung  plasmatischer  Körper  oder  Kerne  von  der  Trichter- 
zelle bis  zum  Punkte  der  Einmündung  verlaufen,  dass  selbst 
ganz  feine  zarte  Fäserchen  des  Parenchymnetzes  sich  nur  sehr 
selten  an  ihnen  ansetzten,  dass  sie  also  unbedingt  als  feine 
plasmatische  Ausführungsröhrchen  der  Trichterzelle  selbst  zu 
betrachten,  dass  sie  ein  Theil  derselben  sind.  Jede  anderweitige 
Auffassung  muss  nach  dem  mikroskopischen  Bilde  als  durch- 
aus unzulässig  zurückgewiesen  werden.  So  z.  B.  jene  in  der 
schematischen  Figur  bei  Hatschek,^  ebenso  diejenige,  die  an 
»Spalten  im  Parenchym«  denkt.  Ein  klarer  Beweis  dafür,  dass 
die  Annahme  solcher  Spalten  ganz  ausgeschlossen  erscheint,  ist 
auch  das  neuerdings  wiederum  von  mir  beobachtete  Abreissen 
der  Trichtercapillaren  von  der  Deckelzelle,  nach  welchem  dann 
jedesmal  jene  von  mir  schon  früher^  beschriebene  charakte- 
ristische Bewegungsweise  des  Wimperläppchens  folgt.  Es  ist 
selbstverständlich,  dass  eine  Spalte  nicht  abreissen  kann,  wohl 
aber  ein  selbständiges  Röhrchen.  Die  schönen  Zeichnungen 
der  Trichter  bei  Trematoden  in  den  Arbeiten  von  Looss^ 
bestätigen  mir,  trotz  der  abweichenden  Meinung  des  Verfassers 
im  Texte,  auf  das  Evidenteste,  dass  sich  die  Dinge  aber  auch 
hier  ganz  ebenso  verhalten  wie  bei  Cestoden.  Bei  Bilharzia 
sind  die  Kerne  der  Trichterzellen  in  sehr  merkwürdiger  Weise 
von  der  Basis  des  Flimmerlappens  längs  der  Seite  der  Capillare 
tief  hinabgerutscht,  und  das,  was  Looss  bei  Beschreibung 
dieses  Verhältnisses  sagt,*  wird  unschwer  als  fast  identisch 
mit  dem  erkannt  werden,  was  von  allem  Anfange  an  meine 
Ansicht  in  Bezug  auf  die  Flimmertrichter  war. 


1  Nr.  2,  Fig.  171  C  auf  S.  160. 

2  Nr.  10,  S.  14  —  15. 

3  Nr.  5,  Taf.  IV,  Fig.  84,  87;  Taf.  V,  Fig.  107,  108;  Taf.  VI,  Fig.  128  (!!!), 
Taf.  VII.  Fig.  150,  ferner  Nr.  8,  Taf.  II,  Fig.  15  und  Nr.  6,  Taf.  II,  Fig.  11,  end- 
lich Nr.  7,  Taf.  III,  Fig.  22!!;  Taf.  VI,  Fig.  59!!;  Taf.  VII,  Fig.  72;  Taf.  XIV, 
Fig.  154. 

4  Nr.  8,  S.  76  ff. 


678  Th.  Pintner, 

Sowie  aber  in  diesem  Punkte  glaube  ich  auch  in  Bezug 
auf  die  Beurtheilung  des  Körperparenchyms,  die  ja  mit 
der  der  Trichter  im  engsten  Zusammenhange  steht,  in  Looss' 
letzten  Arbeiten  die  erfreulichste  Annäherung  an  jenen  Stand- 
punkt finden  zu  dürfen,  den  ich  schon  früher  vertrat.  Die  Auf- 
fassung, für  die  ich  als  einer  der  ersten  1880  eingetreten  bin* 
und  die  noch  in  letzter  Zeit  durch  Anwendung  der  neuesten 
Methoden  durchaus  Bestätigung  fand,*  zeigt  sich  in  vielen  der 
Looss'schen  Abbildungen  auf  das  schärfste  wiedergegeben,' 
und  ich  glaube,  dass  auch  in  jenen  Fällen,  wo  das  Parench}!!! 
gewisser  Trematoden  scheinbar  eine  stärkere  Abweichung  von 
diesem  Typus  zeigt,  eine  schliessliche  Zurückführung  auf  die 
Grundform  gelingen  wird.  Diese  Zurückführung  hätte  von  ähn- 
lichen Voraussetzungen  auszugehen,  wie  Lang*  bei  seiner 
schematischen  Figur,  nur  dass  ich  an  das  Auftreten  zahlreicher 
Vaculolen  um  einen  mehr  central  gelegenen  Kern  denke,  so  dass 
die  aus  dem  ursprünglichen  dichten  Zellenlager  des  jugend- 
lichen Parenchyms  schliesslich  hervorgehenden  Stemzellen  der 
ausgebildeten  Form  dann  mit  den  Zipfeln  ihrer  Plasmastränge 
und  -Platten,  nicht  mit  den  Breitseiten  derselben  zusammen- 
stossen  würden  und  von  einem  Zusammenkleben  der  früheren 
Zellmembranen  ebensowenig  die  Rede  sein  könnte  wie  von  der 
Möglichkeit,  das  einstige  Territorium  der  Bildungszellen  noch 
zu  erkennen.  Jedenfalls  könnte  man  dann  nie  zu  einer  solchen 
Schematisirung  des  Parenchyms  und  der  Trichter  gelangen  wie 
MonticeMi,"»  während  die  Ansicht  Blochmann's*  von  dem 

1  Nr.  10,  S.  59-61  und  Fig. 

2  Nr.  13,  S.  96  —  101. 

3  Nr.  8,  Taf.  I,  Fig.  6;  Taf.  II,  Fig.  10,  1 1, 12,  16  und  besonders  Taf.  III, 
Fig.  25,  26,  27,  28.  Dort  aber,  wo  Looss,  wie  in  Fig.  26  auf  der  linken  Hälfte 
der  Zeichnung,  die  Kerne  plötzlich  statt  in  die  Knotenpunkte  der  Maschen  in 
die  Lücken  derselben  hineinzeichnet,  sind  diese  Kerne  als  nicht  in  der  durch 
die  übrige  Zeichnung  dargestellten  optischen  Ebene  liegend  zu  betrachten.  Die 
erfreuliche  Annäherung  unserer  Anschauungen  in  den  berührten  Punkten,  die 
durch  die  letzten  ausgezeichneten  Arbeiten  dieses  Autors  eingetreten  ist,  glaube 
ich  in  einer  mündlichen  Besprechung  im  Laufe  des  heurigen  Frühjahres  voll- 
kommen bestätigt  gefunden  zu  haben. 

^  Nr.  3,  S.  41,  Fig.  37. 

'•  Nr.  9.   S.  57. 

<J  Nr.  1,  S.  10  —  11. 


Studien  an  Tetrarhynchen.  bi  9 

Versenken  der  Canalepithelzellen  als  Trichter  in  das  Paren- 
chym  hinein  —  freilich  nur  eines  Theiles  der  Canalepithel- 
zellen! —  durchaus  mit  den  thatsächlichen  Verhältnissen  über- 
einstimmt. 

Im  Text  erwähnte  Schriften. 

N'r.  1.     Bloch  mann   F.,    Die  Epithelfrage  der  Cestoden    und 

Trematoden.  Hamburg,  1896. 
Nr.  2.     Hatschek  B.,    Lehrbuch  der  Zoologie,    2.   Lieferung. 

Jena,  1889. 
Xr.  3.     1-ang  A.,  Lehrbuch  der  vergleichenden  Anatomie.  Jena, 

1888.  1.  Abtheilung. 
Xr.  4.     Leuckart  R.,  Die  Parasiten  des  Menschen  und  die  von 

ihnen  herrührenden  Krankheiten.  1.  Band,  1.  Abtheilung. 

2.  Aunage.  Leipzig  und  Heidelberg,  1879  —  1886. 
Xr.  5.     Looss  A.,  Die  Distomen  uiiserer  Fische  und  Frösche. 

Neue  Untersuchungen  über  Bau  und  Entwicklung  des 

Distomenkörpers.  4^  Stuttgart,  1894,  296  S.,  9  Tafeln. 

Heft  16  der  Bibl.  zool.  Leuckart-Chun. 
Xr.  6.     Looss  A.,  Über  den  Bau  von  Distomiim  hcterophyes 

V.  Sieb,  und  Disiomnm  fralenuim  n.  sp.  Kassel,  1894. 
Xr.  7.     Looss   A.,    Recherches    sur    la    faune   parasitaire    de 

l'Egypte,    premiere    partie,    in:    Mem.    Inst.    Egyptien, 

Tome  3.  Caire,  1896,  4^  252  S.,  16  Tafeln. 
Xr.  8.     Looss  A.,  Zur  Anatomie  und  Histologie  der  Bilharzia 

haematobia  (Cobbold)  in:  Arch.  mikr.  Anat.  46.  Bd., 

S.  1  —  108,  Taf.  1  —  3. 
Nr.  9.     Monticelli  ¥r.  S.,   Studii  sui  Trematodi  endoparassiti. 

Zool.  Jahrb.  Supplement.  Jena,  1893. 
Nr.  10.  Pintner  Th.,  Untersuchungen  über  den  Bau  des  Band- 
wurmkörpers   mit    besonderer    Berücksichtigung    der 

Tetrabothrien   und  Tetrarhynchen.    Arb.  Z.  Inst.  Univ. 

Wien,  3.  Bd.  Wien,  1881. 
Nr.  11.  Pintner   Th.,    Neue   Untersuchungen    über   den    Bau 

des  Bandwurmkörpers.   I.  Zur  Kenntniss  der  Gattung 

Echinobothrium.  Arb.  Z.  Inst.  Univ.  Wien,  8.  Bd.  Wien, 

1889. 

Sitzb.  d.  mathem.-naiurw.  Gl.:  CV.  Bd.,  Abth.  I.  45 


680  Th.  Pintner, 

Nr.  12.  Pintner  Th.,  Studien  an  Tetrarhynchen  nebst  Beoh- 
achtungen  an  anderen  Bandwürmern.  (I.  Mittheilung.) 
Sitzungsber.  k.  Akad.  Wiss.  Wien.  Math.-naturw.  Cl., 
102.  Bd.,  S.  605—050,  Taf.  I-IV  (1893). 

Nr.  13.  Zernecke  E.,  Untersuchungen  über  den  feineren  Bau 
der  Cestoden  in  Z.  Jahrb.,  Anat.  Abth.  9.  Bd.  Jena.  189ö. 
S.  92  — 16 1,  Taf.  VIII— XV. 


Tafelerklärung. 


Tafel  I. 

Fig.  1.     Die  Tetrarhynchenlarve  aus  HeptanchtiSy  bei  massiger  Lupenvergrösi,e- 
rung  mit  dem  .-Xbbe'schen  Zeichenapparate  gezeiciinet. 

>  2.     Der  vordere  Theil  derselben  Larve,  ungefähr  21  mal  vergrössert.  n* 

Öffnung  des  Receptaculums,  hu  hinterer,  vu  vorderer  Rand  des  hand- 
schuhfingerförmig  umgestülpten  Scolex. 

»  3.  Die  an  die  Receptaculumöffnung  rö  angrenzende  Partie  des  Blasen- 
parenchyms  im  optischen  Querschnitte,  h  äussere  Körperhaut,  h'  die 
dem  Lumen  des  Receptaculums  zugewandte  Haut  der  Blasenwand. 
e  und  e'  die  beiden  Kxcretionscanäle,  x  der  räthselhafte  Canal,  n  das 
Nervensystem.  Vergr.  ungefähr  290 mal. 

»  4.  Ein  Stück  des  Nervensystems  der  Blasenwand,  von  der  Seite  gesehen, 
so  dass  die  rechts  und  links  abgehenden  Ästchen  dorsoventralen  Ver- 
lauf haben.  Vergr.  ungefähr  570 mal. 

»  f).  Ein  Stück  der  Blasenwand  am  Querschnitte,  h,  e^  e\  .r,  n  wie  oben. 
ka  Kalkkörperchen.  Vergr.  ungefähr  wie  Fig.  4. 

>  6.     Zwei  Flimmertrichter  der  Blasenwand  mit  den  zugehörigen  Zellkernen: 

bei  dem  einen  ist  die  obere  differente  Kuppe  des  Lappens  losgetrennt. 
Bei  sehr  starker,  über  1000 maliger  Vergr. 

»  7.  Querschnitt  durch  die  beiden  Excretionscanäle  der  Blasenwand,  stark 
vergr.;  der  eine  erscheint  mit  eigenthümlichen  Concretionen  erfüllt 

»  8.  Die  beiden  Excretionscanäle  an  der  Übertrittsstelle  aus  dem  umge- 
stülpten Scolextheile  in  den  frei  ins  Receptaculum  ragenden.  Vergr. 
wie  Fig.  3. 

Tafel  II. 

Fig.  9.     Das  hintere  Ende  der  Larve  mit  der  Harnblase.  Vergr.  ungefähr  62 mal. 
»    10.     Das  vordere  Stück  der  Harnblase  am  frontalen  Längsschnitt.  Gez.  bei 
Zeiss,  .Ap.  4*0  mm,  Oc.  6,  Cam. 


Studien  an  Tetrarhynchen.  68 1 

Fig.  11.  Die  beiden  Excretionscanäle  c  und  c\  der  räthselhafle  Canal  a'  und 
einige  begleitende  Muskelfibrillen  m  ungefähr  in  der  Mitte  der  Längen- 
ausdehnung der  Larve.  V'ergr.  wie  Fig.  3. 

•  12.    Ein  Stück  des  Rüssels  der  Larve.  Vergr.  ungefähr  103  mal. 

•  13.    Dasselbe.  Vergr.  ungefähr  290 mal. 

*■  14.  Einige  der  grössten  unter  den  Rüsselhaken  bei  derselben  Vergrösse- 
rung. 

»  15.  Ein  Stück  des  räthselhaften  Canals  aus  dem  hinteren  Körperabschnilte, 
wo  derselbe  bereits  grosse  Breite  erlangt  hat  und  in  lebhafter  Insel- 
bildung begriffen  ist.  Vergr.  ungefähr  175  mal. 

»  16.  Der  räthselhafte  Canal  auf  einem  frontalen  Längsschnitte;  ein  Stück 
aus  der  vorderen  Körperhälfte;  h  die  Körperhaut.  Das  Parenchymneiz 
ist  nicht  eingezeichnet,  nur  die  Zahl  und  Lage  der  Kerne  angedeutet. 
Vergr.  ungefähr  290  mal. 

»    17.    Derselbe,  gleichfalls  im  Längsschnitte,  570  mal. 

»  18.  Derselbe  auf  einem  Totopräparate  mit  den  beiden  Excretionsstämmen, 
um  die  feinen  Seitenzweige  und  Inseln,  die  er  bildet,  zu  zeigen.  Das 
feine  Canälchen  liegt  nach  der  Seite  des  Körperrandes  hin.  Vergr. 
wie  16. 

Tafel  III. 

Fig.  19.  Derselbe,  während  seines  Verlaufes  an  der  Innenseite  (Receptaculum- 
seite)  der  Blasenwand,  im  frontalen  Längsschnitt,  e,  e'  die  beiden 
Excretionscanäle.  Gez.  mit  Zeiss,  Ap.  4*0  ;«w/,  Oc.  6,  Abbe'schen 
Zeichenapparat. 

»  20.  Derselbe,  gleichfalls  im  Längsschnitt,  mit  einer  längsstreifigen  Stelle. 
Vergr.  wie  17. 

>  21.  Die  beiden  Canalsysteme  der  Finnenblasenwand  von  Cysticercus  cellti- 
losaCy  nach  einem  Formol-Glycerinpräparate.  ae  das  oberflächlich,  /  das 
tiefer  gelegene  Canalsystem.  Vergr.  ungefähr  250 mal. 

»  22.  Das  oberflächliche  System,  nach  einem  Pikrinsäure-Carminpräparate, 
in  welchem  sich  der  Inhalt  der  Gefässe  roth  färbte. 

»    23.    Die  beiden  Systeme  auf  einem  Schnitte.  Bezeichnung  wie  oben. 

Tafel  IV. 

Fig.  24.  Ein  Stück  des  räthselhaften  Canals  der  Tetrarhynchenlarve  aus  der 
Gegend  von  Fig.  19  bei  stärkster  Vergrösserung.  Zeiss,  Ap.  hom.  Imm. 
Oc.  6,  Abbe-Zeichenapparat. 

»  25.  Sammelcanal  und  Trichtercapillaren  von  PAy//o&o/Ar/Mm  ^r^c/7<r  Wedl 
aus  der  Spiralklappe  von  Torpedo  marmorata.  Bei  sehr  starker  Ver- 
grösserung nach  dem  lebenden  Thiere  gezeichnet. 

»  26.  Ein  einzelner  Flimmertrichter  dieser  Form  während  des  Absterbens 
des  Thieres,  und 

»  27.  Drei  solche  von  Cysticercus  cellulosae  nach  einem  Formol-Glycerin- 
präparate, mit  den  stärksten  Apochromat-Objectiven  von  Zeiss  ^i;e- 
zeichnet. 

45* 


082  Th.  Pintner,  Studien  an  Tetrarhynchen. 

Fig.  28.  Eine  Trichtercapillare  mit  Deckelzeile  und  das  mit  dei*seiben  in  Ver- 
bindung stehende  Gewebe  von  Cysticercus  pisiformis.  Nach  einem 
Sublimat-Osmiumpräparate.  Vergr.  wie  Fig.  26  und  27. 

•  29.  Ein  grösseres  Stück  solchen  Gewebes,  rz  die  dem  centralen  Qüssig- 
keitgefüllten  Hohlräume  zunächst  gelegenen  Zellen. 

»  30.  Stücke  des  räthselhaften  Canals  der  Tetrarhynchenlarve  aus  der 
Region  von  Fig.  24,  bei  derselben  Vergrüsserung,  sehr  flach  getroffen. 


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683 


Über  die  Gesehleehtstheile  der  Pleeopteren,  mit 

besonderer  Rüeksieht  auf  die  Morphologie  der 

Genitalanhänge 


Fr.  Klapälek, 

*.  k.  Gymnasialkhrcr  in  Wittingan. 
(Mit  5  Tafeln.) 

Vorwort. 

Zu  dem  Gedanken  die  Morphologie  der  Genitalanhänge 
systematisch  zu  bearbeiten  bin  ich  durch  das  Bedürfniss  den 
morphologischen  Werth  einzelner  Theile  derselben  zu  kennen 
geführt  worden,  welches  ich  bei  meinen  systematischen  Arbeiten 
gefühlt  habe;  denn  die  Systematik,  welche  bisher  nur  auf  die 
äusseren  Merkmale,  wie  Farbe,  Form  und  Nervatur  der  Flügel, 
die  Form  und  Gliederzahl  der  Fühler,  die  Form  der  Mundwerk- 
zeuge u.  a.  angewiesen  worden  war,  sucht  jetzt  auch  andere 
Charaktere  zu  ihren  Zwecken  zu  benützen.  Und  da  haben  sich 
in  einigen  Insektenordnungen  die  Genitalanhänge  sehr  wichtig 
und  hilfreich  gezeigt.  In  einigen  Ordnungen  ist  sogar  die  Unter- 
suchung der  Genitalanhänge  unentbehrlich,  da  alle  anderen 
Merkmale  für  die  Unterscheidung  der  Arten  keinen  festen  Halt 
bieten.  Zu  diesen  gehören  in  erster  Reihe  die  Pleeopteren;  doch 
glaube  ich  kein  strenges  Urtheil  zu  fällen,  wenn  ich  die  bisher 
benützte  Terminologie  dieser  Anhänge  als  unwissenschaftlich 
bezeichne,  denn  die  blosse  Lage  ist  für  den  morphologischen 
Werth  keineswegs  entscheidend,  und  es  unterliegt  keinem 
Zweifel,  dass  die  Namen  so  gewählt  werden  müssen,  dass  sie 
uns  schon  selbst  eine  Aufklärung  über  die  Bedeutung  des  An- 
hanges geben. 


084  Fr.  Klapälek, 

Als  ich  diese  Arbeit  begonnen  hatte,  habe  ich  keinen  bis- 
her unbetretenen  Pfad  gewählt,  doch  habe  ich  die  Sache  von 
einer  umgekehrten  Seite  gefasst.  Denn  man  hatte  bisher  für 
die  Untersuchung  sehr  zusammengesetzte  und  hoch  entwickelte 
Formen  gewählt,  die  einzelnen  Anhänge  gründlich  beschrieben, 
jeden  Theil  derselben  benannt  —  aber  auf  den  morphologischen 
Werth  meistentheils  vergessen.  Ein  einzig  richtiges  Vorgehen 
besteht  aber  darin,  zuerst  einfachere  Fälle  zu  wählen,  sie  genau 
zu  untersuchen,  die  Bedeutung  eines  jeden  Anhanges  klar  zu 
machen  und  erst  dann  die  schwierigeren  mit  den  einfachen  zu 
vergleichen. 

Diese  meine  Überzeugung  war  der  erste  Grund  dafür,  die 
Plecopteren  zum  Objecte  der  ersten  Reihe  dieser  morpholo- 
gischen Untersuchungen  zu  wählen.  Bei  ihnen  finden  wir  die 
äusseren  Genitalien  in  der  einfachsten  Form  ent- 
wickelt. Anderseits  ist  eben  jetzt  diese  Ordnung  in  einer  neuen 
systematischen  Bearbeitung  begriffen,  und  ich  hoffe  durch 
meine  Studie  mich  dabei  auch  hilfreich  zu  zeigen.  Herr  K.  J. 
Morton  hat  es  unternommen  die  Perliden  in  derselben  Weise 
zu  bearbeiten,  wie  es  schon  Herr  R.  Mc.  Lachlan  in  seiner 
vorzüglichen  Monographie  der  Trichopteren  durchgeführt  hat. 
Es  ist  ihm  aber,  wie  er  selbst  in  seinen  bisher  erschienenen 
Arbeiten  zugibt,  der  morphologische  Werth  der  Genitalanhänge 
unbekannt  geblieben.  Ich  will  also,  da  mir  das  Typenmaterial 
der  älteren  Autoren  unzugänglich  ist,  alle  rein  systematischen 
und  synonymischen  Fragen  bei  Seite  lassend,  nur  die  Morpho- 
logie der  Genitalanhänge  ins  Auge  fassen. 

Zu  diesem  Zwecke  wollen  wir,  mit  den  einfachsten  Formen 
anfangend,  zuerst  eine  ausführliche  und  möglichst  objective 
Beschreibung  derselben  geben  und  erst  dann  die  morpholo- 
gische Bedeutung  einzelner  Theile  suchen.  Die  hier  beschrie- 
bene Reihe  der  Perlidenarten  bietet  uns  fast  alle  wichtigsten 
Formen  der  Genitalanhänge;  ich  bedaure  nur,  dass  ich  nicht 
die  Gelegenheit  gefunden  habe  eine  Nemura-Xri  aus  der  Cine- 
r^a-Gruppe  zu  untersuchen;  sie  fehlt  dieser  flachen  und  ebenen 
Gegend. 

Mein  Vorgänger  in  Perliden  war  Dr.  A.  Gerstäcker,  der 
in  seiner  Arbeit:   Ȇber   das  Vorkommen   der  Tracheen- 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  685 

kiemen  bei  ausgebildeten  Insei<ten«  (Sieb.  Zeitschr., 
Bd.  XXIV)  nebst  dem  oben  angeführten  Thema  auch  die  Genital- 
anhänge bei  Nemura  lateralis  untersucht  hat.  Da  wir  zu  dieser 
Arbeit  mehrmals  noch  zurückkommen  werden,  will  ich  gleich 
hier  bemerken,  dass  die  von  Dr  Gerstäcker  untersuchte  Art 
nach  Morton  nicht  A^.  lateralis  Pict.,  sondern  A^.  marginata 
Pict.  ist.  Ich  will  nicht  die  Frage  der  Artenidentität  hier  ent- 
scheiden, da  der  Beschreibung  nach  Morton  die  Pictet'sche 
Art  richtig  identificirt  zu  haben  scheint,  anderseits  aber 
Dr.  Gerstäcker  behauptet,  seine  Exemplare  mit  originalen 
Pictet'schen  Typen  verglichen  zu  haben.  Für  unsere  Zwecke 
ist  übrigens  die  Identification  der  Art  nicht  unentbehrlich. 

Literatur. 

Von  der  einschlägigen  Literatur  führe  ich  nur  die  wich- 
tigsten, den  Gegenstand  direct  betreffenden  Schriften  an. 
Burmeister,  Handbuch  der  Entomologie  I.  und  II.  Theil. 
Pictet  F.  J.,  Histoire  naturelle  generale    et  particuliere  des 
insectes  Nevropteres.   I.   Monographie:   Familie   des  Per- 
lides. Geneve  1841  —  1842. 
Leon  Dufour,  Recherches  anatomiques  et  physiologiques  sur 
les   Orthopters,    les    Hymenopteres    et   les    Nevropteres. 
(Mem.  de  Tacademie  des  sciences  de  l'institut  de  France. 
T.  VII.  Paris  1841). 
A.  Gerstäcker:  Zur  Morphologie  der  Orthoptera  amphibiotica. 
(Berlin,  1873). 
^—  Über  das  Vorkommen  von  Tracheenkiemen  bei  ausgebil- 
deten Insekten  (Siebold,  Zeitschr.  Bd.  XXIV). 
Imhof,  O.    E.,    Beiträge    zur  Anatomie    der   Perla    maxima. 

(Aarau  1881). 
Morton  K.  J.,  Palaearctic  Nemourae.  (Trans.  Ent.  Soc.  Lond., 
1894). 
—  New  and  little  known  Palaearctic  Perlidae  (Ibid.  1896). 

Dictyopteryx  microcephala,  Pict. 

(Taf.  I.  Fig.  1  -8). 

Das  brachyptere  Männchen  ist  vollkommen  zum  Fluge 
unfähig.  Sein  Hinterleib  besteht  aus  10  deutlich  entwickelten 


686  Fr.  Klapalek, 

Segmenten,  Das  erste  von  ihnen  fliesst  auf  der  Bauchseite  mit 
dem  hinteren  Theile  des  Metasternum  zusammen;  sein  Dorsal- 
bogen ist  aber  deutlich  und  selbständig  entwickelt.  Die  Ventral- 
platte des  neunten  Ringes  ist  bedeutend  verlängert,  die  Dorsal- 
platte dagegen  sehr  kurz.  Übrigens  sind  die  Abdominalrin^e 
normal  entwickelt.  Das  zehnte  Segment  ist  vollkommen  ge- 
schlossen; sein  Hinterrand  ist  durchwegs  gerade,  nur  auf  der 
Rückenseite  in  einen  stumpfen  Winkel  ein  wenig  verlängert. 

Die  inneren  männlichen  Genitalien  (Tab.  K  F\g.  3) 
zeigen  sehr  zahlreiche,  kurz  eiförmige  Hodendrüsen,  die  dem 
gemeinschaftlichen  Ausführungsgange  in  kleinen  dicht  an- 
einander gestellten  Gruppen  so  aufsitzen,  dass  sie  nur  eine 
Seite  des  Ganges  bedecken,  die  andere  aber  ganz  von  ihnen 
frei  bleibt.  Jedes  Ende  dieses  gemeinsamen  Ganges  verlängert 
sich  in  einen  dünnen  Samenleiter  (vas  deferens):  diese  sind 
vielfach  gewunden  und  vor  ihrem  Ende  durch  einen  starken 
schlingartigen  Quergang  verbunden,  der  eine  Communication 
beider  Samenleiter  vermittelt.  Hinter  dieser  Schlinge,  die  ohne 
Zweifel  die  Samenblase  vertritt,  bleiben  die  Samenleiter  gerade, 
laufen  parallel  dicht  nebeneinander  und  münden  in  einen  er- 
weiterten, scheideartigen  Samenausführungsgang  ein,  der 
ohne  jede  besondere  Anhänge  sich  an  der  Basis  einer  durch 
das  Ende  der  neunten  und  den  Anfang  der  zehnten  Bauchplatte 
gebildeten  F'alte  nach  aussen  öffnet.  Zehnte  Ventralplatte  ist 
vollkommen  chitinisirt,  nur  an  der  Basis  ist  sie  ein  wenig 
weicher  und  ihr'  Chitinschildchen  erscheint  wie  geschlitzt. 
Ductus  ejaculatorius  ist  an  der  Einmündungsstelle  der  Vasa 
deferentia  auf  der  Bauchseite  in  zwei  kurze  ovale  Lobi  er- 
weitert. Auf  der  Rückenseite  (Taf.  1,  Fig.  4)  ruhen  fest  an  ihn 
gepresst  zwei  kurze,  aber  vielfach  gewundene  und  gekrümmte 
Schleimdrüsen. 

Das  zehnte  Segment  ist  auf  dem  hinteren  Ende  eingestülpt, 
so  dass  sein  Hinterrand  eine  Hautduplicatur  vorstellt,  die  nach 
aussen  stark  chitinisirt,  nach  innen  dagegen  weich  und  nur 
häutig  und  auf  der  Rückenseite  mit  feinen  Fühlbörstchen  be- 
setzt ist.  Innerhalb  dieser  Höhlung  (Taf.  I,  Fig.  1  und  LM 
erhebt  sich  die  hintere  Wand  als  zwef  halbwalzenförmige,  mit 
den  geraden   Flächen    gegeneinander   gekehrte    und  einander 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  687 

berührende  Fortsätze,  die  etwas  länger  als  zusammen  breit  und 
an  der  Spitze  zusammen  abgerundet  sind;  ihre  Aussenseiten 
sind  mit  einem  starken  Chitin  gedeckt,  die  Innenseiten  bleiben 
häutig.  Auch  auf  der  Bauchseite  befindet  sich  vor  der  Spitze 
eine  halbkreisförmige,  weiche  Stelle,  so  dass  hier  die  dunklere 
Chitinhaut  ausgeschnitten  erscheint.  Alle  häutigen  Flächen, 
insbesondere  diejenigen  auf  der  Bauchseite  sind  mit  feinen 
Fühlborsten  besetzt.  An  die  Aussenseite  dieser  Anhänge  stützen 
sich  die  langen,  fadenförmigen  Cerci,  deren  Wurzelglieder  von 
den  übrigen  dadurch  unterschieden  sind,  dass  sie  bedeutend 
kürzer  und  ein  wenig  breiter  sind.  Die  Wurzel  des  ersten  Ringes 
umfasst  ringsherum  ein  Chitinring,  der  zwar  mit  der  äusseren 
Chitinhaut  der  mittelständigen  Fortsätze  in  einer  festen  Ver- 
bindung steht,  aber  keineswegs  in  dieselbe  direct  übergeht  und 
deutlich  von  derselben  abgegliedert  ist;  es  sitzen  also  die 
Cerci  nicht  direct  auf  den  Fortsätzen,  welche  wir  demnach 
keineswegs  für  einen  Theil  derselben,  etwa  ein  modificirtes 
Grundglied  halten  dürfen  und  doch  ist  die  Verbindung  eine  so 
enge,  dass,  wenn  wir  den  Cercus  in  Bewegung  bringen,  auch 
die  Fortsätze  sich  gleichzeitig  bewegen.  Der  After  befindet  sich 
auf  der  unteren  Seite  am  Grunde  der  Fortsätze. 

Das  weibliche  Abdomen  (Taf.  I,  Fig.  5)  besteht 
ebenfalls  aus  zehn  deutlich  entwickelten  Ringen,  von  denen 
der  achte  die  Subgenitalplatte  bildet.  Der  letzte  Ring  ist 
vollkommen  geschlossen,  mit  einem  fast  vollkommen  geraden 
Hinterrande,  welcher  nur  auf  der  Rückenseite  massig  im 
stumpfen  Winkel  erweitert  ist.  Innerhalb  seines  Hinterendes 
entspringen  die  Cerci,  die  sich  an  die  Basis  der  kurzen,  subdrei- 
kantigen, an  der  Spitze  stumpfen  Lobi  stützen.  Zwischen  den 
zwei  Lappen  öffnet  sich  der  After  und  über  demselben  ist  die 
Hinterwand  des  Ringes  in  einen  flachen,  niedrigen  Höcker  er- 
hoben. 

Die  inneren  weiblichen  Geschlechtstheile  (Taf.  I, 
Fig.  6)  bestehen  aus  ungemein  zahlreichen  Eiröhren,  welche  in 
einen  gemeinschaftlichen  Gang  ausmünden,  der  an  jedem  Ende 
in  einen  selbständigen  Eiergang  übergeht;  diese  Oviducte  ver- 
birtden  sich  erst  an  der  gemeinschaftlichen  Öffnung  in  die  kurze, 
halbkugelige  Scheide,   deren  hintere  Wand   in   ein  kugclför- 


(388  Fr.  Klapälek. 

miges  Receptaculam  seminis  erweitert  ist.  Auf  der  unteren 
(ventralen)  Wand  des  Receptaculum  sind  acht  kurze  Drüsen, 
die  wir  für  nichts  anderes  als  Schleimdrüsen  halten  können. 
Die  Subgenitalplatte  hat  einen  etwa  querelliptischen  Um- 
riss  und  ist  an  dem  Hinterrande  herzförmig  ausgeschnitten; 
ihre  ganze  Oberfläche  ist  matt.  Sie  ist  bedeutend  verlängert 
und  reicht  bis  kurz  vor  den  Hinterrand  des  neunten  Ventral- 
bogens,  den  sie  grösstentheils  bedeckt. 

Die  reifen  Eier  (Taf.  I,  Fig.  7  und  8)  haben  die  Form 
eines  Tetraeders,  dessen  Basis  ein  wenig  bogenförmige  Seiten 
und  abgerundete  Kanten  hat.  Der  Gipfel  ist  fast  vollkommen 
dreiseitig,  aber  etwa  im  zweiten  Drittel  der  Höhe  fangen  die 
Seiten  an  abgerundet  zu  werden.  Die  Basis  ist  an  ihrem  Rande 
mit  einer  weisslichen  durchscheinenden  Krone  versehen;  die 
übrige  Oberfläche  ist  braun.  Besonders  schön  und  charak- 
teristisch ist  die  Ansicht  von  oben  (Fig.  8),  denn  auf  der  sphärisch 
dreieckigen  Projection  des  unteren  Theiles  des  Eies  sehen  wir 
ein  vollkommen  gleichseitiges  Dreieck,  das  ist  die  Projection 
der  stumpfen  horizontalen  Kanten,  die  sich  etwa  im  zweiten 
Drittel  der  Höhe  bilden,  wenn  die  Seiten  aus  abgerundeten  flach 
und  gerade  werden;  von  dem  Mittelpunkte  dieses  Dreieckes 
ziehen  sich  zu  seinen  Winkeln  die  Projectionen  des  obersten 
Theiles  der  Seitenkanten. 

Die  reifen  Eier  häufen  sich  in  dem  unteren  Theile  der 
Oviducte  an,  welche  sich  dadurch  stark  erweitern  und  eine 
sackartige  Form  annehmen;  sie  vertreten  also  in  ihrem  unteren 
Theile  einen  Fruchtbehälter.  Die  Eier  bleiben  so  lange  in  dem 
Eiergange  bis  alle  reif  sind,  dann  gehen  sie  rasch  durch  die 
Scheide  durch,  werden  befruchtet  und  häufen  sich  locker  zu- 
sammengekittet  und  einen  Ballen  bildend  an  der  Genitalöfifnung, 
indem  sie  durch  die  Subgenitalplatte  gehalten  werden. 

Aus  der  obigen  Schilderung  ist  leicht  zu  ersehen,  dass 
DictyopteryXy  was  die  Geschlechtsorgane  anbelangt,  eine  sehr 
niedrige  Stufe  einnimmt,  ja  ich  glaube  nicht  zu  rasch  zu  ur- 
theilen,  wenn  ich  dieses  Genus  als  eine  der  niedrigsten  Formen 
wenigstens  unterdenPterygogeneen  bezeichne.  Auf  dieseniedrige 
Entwicklungsstufe  weist  ebenfalls  die  Gleichartigkeit  aller  Ab- 
dominalsegmente, welche  insgesammt  als  einfache  vollkommen 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  689 

geschlossene  Ringe  entwickelt  sind.  In  Folge  dessen  finden 
wir  hier  auch  keine  äusseren  Copulationsanhänge,  und  beim 
Männchen  keine  Ruthe.  Die  Übertragung  des  Samens  geschieht 
einfach  dadurch,  dass  die  beiden  GenitalöfFnungen  aneinander 
gedrückt  werden. .  Wie  ich  einigemale  Gelegenheit  hatte  zu 
beobachten,  besteigt  das  cf  den  Rücken  des  Weibchens,  krümmt 
seinen  Hinterleib  an  der  rechten  oder  linken  Seite  nach  unten, 
biegt  sein  Ende  nach  oben  und  etwas  nach  vorne  und  presst 
die  Öffnung  des  Ductus  ejaculatorius  an  die  Öffnung  der  weib- 
lichen Scheide.  Die  Verbindung  ist  in  dieser  Weise  sehr  lose 
und  beide  Geschlechter  trennen  sich  bei  der  ersten  Berührung. 
Auch  die  inneren  Geschlechtstheile  zeigen  einen  sehr  primitiven 
Zustand,  da  die  Samen-  und  Eiergänge  ungefähr  bis  an  das 
Ende  getrennt  bleiben.  Beim  cT  ist  der  Ductus  ejaculatorius 
sehr  kurz;  eine  besondere  Vesicula  seminalis  fehlt  gänzlich 
und  ist  nur  durch  eine  einfache,  die  Endtheile  der  Samengänge 
verbindende  Schlinge  vertreten.  Beim  Weibchen  ist  das  Recep- 
taculum  seminis  sehr  einfach,  kugelig  und  sitzt  direct  auf  dem 
hinteren  Theile  der  Scheide,  damit  die  Versorgung  derselben 
mit  dem  nöthigen  Samen  leicht  geschehen  kann,  da  dem 
Männchen  die  zur  Einführung  desselben  nöthigen  Organe 
fehlen.  Eine  einzige  wichtigere  Abweichung  von  der  ursprüng- 
lichen Form  können  wir  darin  sehen,  dass  die  Geschlechts- 
drüsen einem  gemeinschaftlichen  Gange  aufsitzen.  Aber  eben 
die  Übereinstimmung  der  Anordnung  dieser  Drüsen  in  beiden 
Geschlechtern  bietet  uns  das  beste  Zeugniss  von  der  Ursprüng- 
lichkeit dieser  Form,  so  dass  wir  nicht  den  Zweifel  verhehlen 
können,  ob  wirklich  die  getrennten  Geschlechtsdrüsen  ein  noth- 
wendiges  Postulat  einer  niedrigen  Entwicklungsstufe,  wie  sie 
z.  B.  bei  den  Ephemeriden  zu  finden  ist,  vorstellen.  Wir  dürfen 
auch  nicht  die  langen  fadenförmigen  Cerci  mit  Schweigen  über- 
gehen, da  solche  auch  nur  den  niedrigen  und  ursprünglichen 
Formen  eigen  sind.  Von  den  übrigen  Anhängen  sehen  wir  nur 
die  Fortsätze,  die  jederseits  von  dem  After  sich  erheben  und 
zu  welchen  sich  ein  bei  dem  Weibchen  deutlicher  entwickelter 
flacher  Höcker  über  dem  After  gesellt.  Wir  wollen  diese  Theile 
im  Folgenden  als  die  unpaare  Supraanalklappe  und  die  beiden 
paarigen  als  Subanalklappen  bezeichnen. 


690  Fr.  Klapälek, 

Chloroperla  grammatica  Scop. 

(Taf.  I,  Fig.  9-18.) 

Das  männliche  Abdomen  (Taf.  I,  Fig.  9)  besteht  auf 
dem  Rücken  aus  zehn  deutlichen  Ringen,  auf  dem  Bauche  sind 
aber  nur  acht  Segmente  gut  sichtbar,  da  die  erste  Bauchplatte 
eng  mit  dem  Metasternum  verwachsen  und  die  letzte  durch  die 
Subgenitalplatte  verdeckt  ist.  Der  Hinterrand  der  siebenten 
Bauchplatte  ist  in  der  Mitte  etwas  chitinisirt;  derjenige  der 
achten  ist  eben  daselbst  stärker  verhornt  und  derartig  zweimal 
ausgeschnitten  (Taf.  I,  P'ig.  10),  dass  zwischen  den  Ausschnitten 
ein  flacher,  abgerundet  viereckiger,  quer  länglicher  Fortsatz 
entsteht.  Die  neunte  Bauchplatte  ist  etwa  zweimal  so  lang  wie 
die  correspondirende  Rückenplatte;  ihr  Hinterrand  ist  abge- 
rundet. Sie  stellt  uns  die  Subgenitalplatte  vor.  Vor  ihrem 
Ende  scheint  in  der  Mittellinie  ein  Chitinstreifen  durch,  der  den 
inneren  Genitalien  angehört.  Der  zehnte  Ring  (Taf.  I,  Fig.  II) 
ist  ringsum  vollständig  entwickelt,  obwohl  schwächer,  insbe- 
sondere auf  der  Bauchseite,  chitinisirt.  Seine  Rückenfläche  ist 
in  der  Mittellinie  mit  einem  schwachen  Längseindrucke  v^er- 
sehen  und  der  Hinterrand  in  der  Mitte  des  Rückens  deutlich 
verdickt.  Innerhalb  des  Ringes  sind  die  fadenförmigen  Cerci 
(Taf.  I,  Fig.  12)  eingeschlossen,  an  deren  Basis  sich  auf  der 
Innenseite  ein  dreieckiger  Anhang  anschliesst,  der  auf  der 
unteren  und  inneren  Fläche  chitinisirt,  mit  Borsten  besetzt  und 
mit  dem  engeren  Ende  nach  oben  gekwimmt  ist,  so  dass  jeder- 
seits  auf  dem  verdickten  mittleren  Theile  des  dorsalen  Hinter- 
randes einer  von  diesen  Anhängen  ruht. 

Die  inneren  männlichen  Genitalien  (Taf.  1,  Fig.  \S) 
haben  zahlreiche  bläschenartige  Geschlechtsdrüsen,  welche 
einem  gemeinschaftlichen  Gange  aufsitzen,  der  jederseits  in 
einen  dünnen,  langen  Samen  gang  übergeht.  Beide  \*asa 
deferentia  sind  vor  ihrem  Ende,  ähnlich  wie  bei  Dictyoptcryx 
durch  eine  starke  quere  Schlinge  verbunden,  die  auch  hier  die 
fehlende  Vesicula  seminalis  vertritt.  Die  Enden  der  Samengänge 
bleiben  bis  zu  ihrer  Einmündung  in  den  musculösen  Ductus 
ejacul  atorius  getrennt.  In  der  Nähe  ihrer  Einmündung  sind 
auf  der  Rückenseite    zwei    einfache,    röhrenförmige  Schleim- 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  691^ 

getasse.  Der  Samenaiisführungsgang  ist  (Taf.  I,  Fig.  14)  an 
dem  Anfange  der  Rückenseite  in  zwei  nebeneinander  stehenden, 
kugeligen  Lobi  gewölbt.  In  seinem  inneren  Lumen  sitzt  auf 
einem  eiförmigen,  musculösen  Läppchen,  das  sich  auf  der  Bauch- 
fläche erhebt,  eine  kurze  und  starke  hornige  Gräte  (Fig.  15), 
welche  hohl,  am  Grunde  abgerundet,  etwas  schwächer  als  an 
dem  Ende  und  auf  der  Bauchseite  bis  zur  Basis  gespalten  ist. 

Das  weibliche  Abdomen  (Taf.  I,  Fig.  16)  setzt  sich 
aus  zehn  Segmenten  zusammen;  erster  Ventralbogen  fliesst 
stark  mit  dem  Metasternum  zusammen,  wir  können  aber  doch 
an  den  Seiten  beobachten,  wie  er  sich  an  den  entsprechenden 
Dorsalbogen  anschliesst.  Das  zehnte  Segment  ist  auf  der 
Rücken-  und  Bauchseite  vollkommen  entwickelt  und  hat  auf 
der  Bauchseite  einen  geraden,  auf  der  Rückenseite  aber  einen 
stumpf  dreieckig  vorgezogenen  und  bedeutend  verdickten 
Hinterrand.  Die  achte  Bauchplatte  bildet  die  Subgenitalplatte, 
welche  massig  verlängert  und  an  dem  Hinterrande  abgerundet 
ist.  Cerci  sind  ebenfalls  wie  beim  Männchen  fadenförmig  mit 
ähnlich  entwickelten,  nur  etwas  breiteren  und  schwächer  chiti- 
nisirten  Subanalklappen. 

Die  inneren  weiblichen  Genitalien  (Taf.  I,  Fig.  17) 
haben  zahlreiche  Eiröhren,  welche  auf  einem  verhältnissmässig 
kurzen  gemeins6haftlichen  Gange  stehen;  jederseits  geht  der 
Gang  in  den  Eiergang  über,  welcher  bei  reifen  Weibchen  mit 
den  Eiern  vollgepfropft,  stark  erweitert  und  sackartig  ist.  Beide 
Oviducte  vereinigen  sich  kurz  vor  ihrer  Einmündung  in  die 
Scheide  zu  einer  kurzen,  starken  Röhre.  In  die  Scheide  öffnet 
sich  ein  massig  langes  am  Ende  ein  wenig  kugelig  erweitertes 
Receptaculum  seminis,  dessen  Ausführungsgang  einige  kurze, 
oft  gabelig  gespaltene  und  mit  einer  engen  Mündung  versehene 
Drüsen  trägt. 

Die  Eier  (Fig.  18)  haben  zwar  einen  eiförmigen  Umriss, 
sind  aber  auf  einer  Seite  eingedrückt,  wodurch  sie  eirie  kahn- 
förmige  Gestalt  annehmen.  An  dem  schmäleren  Ende  befindet 
sich  auf  einer  kronenartigen  Verlängerung  die  Mikropyle. 

Obwohl  Chloroperla  in  mancher  Hinsicht  mit  Didyopte- 
ryx  übereinstimmt,  so  sehen  wir  doch  einen  Fortschritt 
darin,    dass  die    Anhänge,    die    sich    an  die  Basis  der   Cerci 


.692  Fr.  Klapalek, 

anschliessen,  zwischen  welchen  der  After  sich  befindet  und 
welche  den  Subanalklappen  der  Dictyopteryx  entsprechen,  beim 
cT  zu  Copulationsanhängen  werden.  Besonders  bemerkenswerth 
ist  aber  die  Chitingräte,  welche  in  dem  letzten  Abschnitte  der 
c/'-Genitalien  eingeschlossen  ist.  Ihre  specielle  Aufgabe  ist  mir 
bis  jetzt  unklar,  obwohl  wir  voraussetzen  müssen,  dass  sie  bei 
der  Copulation  eine  wichtige  Rolle  spielt,  ob  sie  eine  Röhre 
bildet,  mittelst  welcher  der  Samen  in  das  weibliche  Recepta- 
culum  überführt  wird,  oder  nur  den  Weg  öffnet  und  als  ein 
Titillator,  wie  wir  ihn  bei  den  Orthopteren  finden,  dient.  Erstere 
Ansicht  könnte  sich  darauf  stützen,  dass  sie  mit  einem  starken 
Muskelsystem  verbunden  ist,  welches  sie  aus  derGenitalöfifnung 
hervorschieben  kann,  und  dass  sie  eine  röhrenartige  Gestalt  hat. 

Isopteryx  tripunctata  Pict. 
(Taf.  I,  Fig.  19—25). 

Das  männliche  Abdomen  hat  auf  dem  Rücken  zehn 
deutliche  Segmente,  wogegen  auf  der  Bauchseite  nur  neun 
Ringe  sichtbar  sind.  Die  Bauchplatte  des  neunten  ist  stark 
verlängert  und  erweitert  und  bildet  eine  in  der  Ansicht  von 
vorne  (Taf.  I,  Fig.  19)  sphärisch  dreieckige,  etwa  so  breite  wie 
lange  Genitalklappe,  welche  aber,  wenn  wir  sie  flach  drücken 
einen  abgerundet  fünfeckigen  Umriss  bekommt.  Der  Hinterrand 
des  neunten  Dorsalbogens  ist  in  der  Mitte  etwas  verdickt.  Der 
zehnte  Ring  (Fig.  20)  ist  zwar  vollkommen  entwickelt  und  rings- 
herum geschlossen,  aber  seine  Bauchpartie  ist  durch  die  Sub- 
genitalklappe  verdeckt.  Auf  der  Dorsalseite  ist  seine  vordere 
Partie  erhöht  und  in  eine  schwarze  stark  chitinisirte  Lamelle 
von  einem  abgerundeten  Umrisse  vorgezogen,  welche  nach 
hinten  gerichtet  ist.  Ihr  gegenüber  und  hinter  ihr  erhebt  sich 
ein  starker,  schwarzer  vorne  unterhalb  der  Spitze  in  der  Seiten- 
ansicht ausgekerbter  Zahn,  der  nach  vorne  durch  eine  bogen- 
förmige, schwarze  Chitinleiste  mit  der  Lamelle  verbunden  ist, 
nach  hinten  aber  zwei  eine  Gabel  bildende,  schwarze,  stark 
chitinisirte  Fortsätze  entsendet,  welche  in  der  Ansicht  von  oben 
besonders  deutlich  sichtbar  sind.  Unter  ihnen  ist  der  Hinterrand 
des  Ringes  stumpf  dreieckig  nach  hinten  gewölbt.  Cerci  sind 
lang,  und  stützen  sich  an  diestumpf  dreieckigen  Subanalklappen 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  693 

Die  männlichen  inneren  Genitalien  (Taf.  I,  Fig.  2 1 » 
haben  einen  gemeinschaftlichen  Hoden,  der  aus  einer  doppelten 
Reihe  von  bläschenartigen,  auf  einem  gemeinschaftlichen  Gange 
sitzenden  Drüsen  besteht:  der  Gang  verlängert  sich  jederseits 
in  einen  engen,  langen  Samengang.  Die  Vasa  deferentia  sind 
vor  ihrem  Ende  zuerst  durch  eine  starke,  in  dem  oberen 
Winkel  erweiterte  und  zusammenfliessende  Schlinge,  die  die 
Stelle  der  Vesicula  seminalis  vertritt,  verbunden  und  vereinigen 
sich  kurz  darauf  zu  einem  starken  Gange.  Dort,  wo  dieser 
letzte  Abschnitt  in  den  Samenausführungsgang  einmündet, 
welcher  hier  bedeutend  lang  ist  und  fast  die  Länge  des  gemein- 
samen Samenganges  sammt  der  Schlinge  erreicht,  finden  wir 
vier,  jederseits  zu  zwei  gestellte  Drüsen.  Gleich  unterhalb 
derselben  entspringen  im  inneren  Lumen  zwei  lange,  dünne 
Chitingräten  (Taf.  I,  Fig.  23),  welche  in  ihrer  ganzen  Länge 
dicht  aneinander  liegen,  die  Spitze  ausgenommen,  wo  sie  sich 
etwas  trennen;  jede  ist  an  den  Seiten  mit  einer  feinen,  schmalen 
Membran  gesäumt,  und  da  sie  an  den  gegen  einander  gekehrten 
Seiten  etwas  rinnenartig  ausgehöhlt  sind,  so  bilden  sie,  wie  sie 
aneinander  liegen,  ein  feines  Röhrchen;  der  Ductus  ejaculatorius 
mündet  nach  aussen  durch  eine  weite,  an  dem  Ende  der  Sub- 
genitalklappe  gelegene  Genitalöffnung,  durch  welche  auch  die 
Chitingräten  hervortreten  (Fig.  22). 

Das  9  Abdomen  (Fig.  24)  besteht  aus  zehn  deutlichen 
Ringen,  von  welchen  aber  der  erste  stark  mit  dem  Metasternum 
verwachsen  ist.  Die  Subgenitalklappe  ist  von  demachten 
Segmente  gebildet;  ihr  Hinterrand  ist  bogenförmig  erweitert, 
entlang  des  Randes  massig  vertieft,  wodurch  der  Rand  selbst 
ein  wenig  verdickt  erscheint.  Das  zehnte  Segment  ist  voll- 
kommen ringartig  entwickelt;  Cerci  und  die  Subanalklappen 
wie  beim  Männchen. 

Innere  Genitalien  (Taf.  I,  Fig.  25)  haben  nicht  sehr 
zahlreiche  Eiröhren,  die  auf  einem  kurzen,  starken,  gemein- 
schaftlichen Gange  gestellt  sind;  die  Eiergänge,  in  welche  sich 
jederseits  der  gemeinschaftliche  Gang  verlängert,  sind  ebenfalls 
nur  kurz  und  vereinigen  sich  erst  bei  ihrer  Einmündung  in  die 
kurze  eiförmige  Scheide.  Auf  dem  hinteren  Theile  der  Scheide 
finden  wir  einen  sehr  langen,  in  einen  Knäuel  zusammengerollten 


694  Fr.  Klapälek, 

Anhang,  der  anfangs  sehr  dünn,  gegen  das  Ende  ein  wenig 
erweitert  ist.  Seine  Lage  und  ganzes  Aussehen  macht  es  wahr- 
scheinlich, dass  wir  hier  mit  einem  so  verlängertem  Recepta- 
culum  seminis  zu  thun  haben,  obwohl  ich  nicht  Gelegenheit 
hatte  seine  Function  sicher  zu  stellen.  Es  kann  aber  dieser 
Anhang  noch  eine  andere  Bedeutung  haben,  weiche  von  der 
physiologischen  Aufgabe  der  Chitingräte  in  dem  Samenaus- 
führungsgange des  Männchens  abhängt.  Es  ist  auch  möglich, 
dass  diese  Chitingräte  in  diesen  Anhang  der  Scheide  einzu- 
dringen hat  um  nur  eine  festere  Verbindung  beider  Geschlechter 
zu  ermöglichen,  ohne  bei  der  Übertragung  des  Samens  behilflich 
zu  sein;  in  diesem  Falle  würde  sie  durch  den  Anhang  fest- 
gehalten. 

Vergleichen  wir  diese  Beschreibung  mit  beiden  früher  be- 
schriebenen Geschlechtern,  sehen  wir  wieder  einen  bedeutenden 
Fortschritt.  Dieses  Genus  übertrifft  die  Chloroperla  durch 
die  Concentration  der  Geschlechtsdrüsen,  sowohl  der  männlichen 
als  auch  der  weiblichen,  durch  einen  grösseren  Unterschied 
zwischen  den  Samengängen  und  der  unpaaren,  die  Vesicula 
seminalis  vertretenden  Schlinge  was  den  Umfang  anbelangt, 
und  nicht  minder  dadurch,  dass  beide  Samengänge,  bevor  sie 
in  den  Ductus  ejaculatorius  einmünden,  eine  unpaare  Röhre 
bilden.  Cerci  und  die  Subgenitalklappe  behalten  noch  fast  ihre 
ursprüngliche  Form,  die  Rückenplatte  des  zehnten  Segmentes 
zeigt  eine  wichtige  Modification,  indem  sie  Auswüchse  bildet, 
die  sicher  bei  der  Copulation  behilflich  sind.  Da  die  Verbindung 
beider  Individuen  sehr  locker  ist,  ist  sehr  schwer  die  Weise  zu 
beobachten,  wie  dies  zustande  kommt;  es  scheint  mir  aber 
höchst  wahrscheinlich,  dass  die  auf  dem  Rücken  des  zehnten 
Segmentes  gebildete  Zange  zum  Festhalten  des  Randes  der 
weiblichen  Subgenitalplatte  dient.  Diese  unsere  Vermuthung 
findet  eine  Bestärkung  darin,  dass  der  Rand  der  Subgenital- 
platte etwas  verdickt  ist,  wodurch  das  Festhalten  erleichtert 
wird. 

Eine  eigenthümliche  Bildung,  durch  welche  sich  Chloro- 
perla und  Isopteryx  von  Dictyopteryx  und  den  nach- 
folgenden Gattungen  unterscheiden,  stellt  uns  die  Chitingräte 
des  Samenausführungsganges  vor.  Wir  dürfen  nicht  unbemerkt 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  695 

bleiben  lassen,  dass  die  Länge  und  Stärke  dieser  Gräte  mit 
demjenigen  Anhang  der  weiblichen  Scheide  proportionirt  ist, 
welchen  wir  als  Receptaculum  seminis  bezeichnen. 

Leuctra  nigra  Oliv. 
(Taf.  II.  Fig.  1—8). 

Das    männliche    Abdomen    besteht   zwar   aus   zehn 
Ringen,  die  aber  nur  auf  dem  Rücken  alle  deutlich  entwickelt 
sind,  wogegen  auf  der  Bauchseite  der  zehnte  verkümmert  ist. 
Das  erste  Segment  ist  sehr  kurz,  nur  als  ein  schmaler  Ring  ent- 
wickelt. Auf  der  Dorsalseite  (Taf.  II,  Fig.  1)  sind  die  Ringe  von 
der  Mitte  des  Hinterleibes  anfangend  der  Länge  nach  ein  wenig 
vertieft;   der  sechste  und  achte  tragen  auf  der  Vorderseite  je 
ein  Paar  von  Auswüchsen  (Fig.  2),  welche  in  der  Seitenansicht 
die  Form  von  Dornen,  in  der  Ansicht  von  oben  aber  eine  spatel- 
artig erweiterte  und  abgerundete  Spitze  zeigen;  auch  an  dem 
Hinterrande  des  achten  Segmentes  ist  ein  Paar  von  niedrigen 
Höckern.  Die  neunte  Bauchplatte  ist  verlängert;  sie  trägt  nahe 
der  Wurzel  einen  kleinen,  an  der  Spitze  ein  wenig  erweiterten 
und   abgerundeten  Fortsatz  (Taf.  II,  Fig,  3).   Von  der  Basis 
dieses  Anhanges  zieht  sich  ein  flaches,  weniger  horniges  Feld 
von  parabolischen  Umrissen,  dessen,  den  Hinterrand  der  Bauch- 
platte selbst  bildender  Rand  ein  wenig  stumpf  dreieckig  vor- 
gezogen ist  Cerci  sind  stümmelartig,  aber  doch  ziemlich  lang 
und   stark  aus  einem  einzigen  Gliede  zusammengesetzt,  das 
aber  noch  ein  kleines  knopfförmiges  Glied  trägt;  sie  sind  mit 
zahlreichen  Borsten  besetzt    Der  Rückenbogen  des  zehnten 
Segmentes  ist  schmal,  in  der  Mitte  des  Hinterrandes  breit,  aber 
seicht  bogenförmig  ausgeschnitten  und  an  den  Seiten  allmälig 
verschmälert,  so  dass  er  kaum  unter  die  Cerci  reicht.  Die  hintere 
Wand  dieses  Ringes  ist  unterhalb  des  dorsalen  Abschnittes 
massig  erhöht  und  bildet  so  einen  dreiwinkligen  Höcker,  der 
im  Gegensatze  zur  übrigen  Fläche  mit  Borsten  besetzt  ist;  er 
stellt  uns  die  Supraanalklappe  vor.  Die  Griffelbasis  stützt  sich 
nach  aussen  an  den  Seitenrand  des  zehnten  Ringes.  Wenn  wir 
das  Hinterleibsende  von  unten  betrachten,  so  sehen  wir,  dass 
hinter  dem   Hinterrande  des  neunten  Segmentes  zwei  dicht 
neben  einander  stehende,  in  der  Mittellinie   gestellte  Chitin- 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Cl. ;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  46 


696  Fr.  Klapälek, 

gräten  (Fig.  4)  entspringen,  die  an  der  Basis  etwas  stärker  und 
an  den  gegen  einander  gekehrten  Seiten  am  Grunde  mit  einem 
weichen  Polsterchen  ausgelegt  sind  und  sich  gegen  die  stumpfe 
Spitze  ailmälig  verjüngen.  Jede  stützt  sich  an  der  Seite  auf 
ein  schmales,  dreieckiges  Chitinplättchen,  das  sich  gegen  den 
unteren  Rand  der  zehnten  Dorsalplatte  zieht.  Über  jedem  dieser 
Chitinplättchen  erhebt  sich  ein  zweites,  welches  in  der  Ansicht 
von  unten  dreieckig  ist,  einen  abgerundeten  Seitenrand  hat 
und  an  dem  gegen  die  Mittellinie  gekehrten  Ende  in  eine  kurze 
an  die  längeren  Chitingräten  sich  von  der  Seite  anlegende  Spitze 
ausläuft.  In  der  Seitenansicht  (Fig.  4)  finden  wir,  dass  diese 
zweiten  Chitinplättchen  eigentlich  schief  von  oben  und  aussen 
nach  unten  gegen  die  Mittellinie  gestellt  sind  und  dass  ihr 
Dorsalrand  eine  anfangs  bogenförmig  nach  unten  gekrümmte 
dann  wieder  nach  oben  gebogene  Chitinleiste  bildet,  die  in  die 
oben  beschriebene  Spitze  ausläuft  Die  Lage  und  das  Verhält- 
niss  zu  übrigen  Theilen  lässt  uns  urtheilen,  dass  wir  hier  mit 
den  modificirten  Subanalklappen  zu  thun  haben.  Über  ihnen 
und  unterhalb  der  Supraanalklappe  öffnet  sich  der  After. 

Die  inneren  Genitalien  (Fig.  5)  des  Männchens  sind 
paarig.  Wir  finden  hier  zwei  getrennte  Hoden,  welche  aus  acht 
bis  zehn  langen  Schläuchen  bestehen  und  an  dem  Anfange  des 
zuerst  schmalen,  dann  aber  etwas  erweiterten  verhältnissmässig 
kurzen  Samenganges  sitzen.  Die  Samengänge  vereinigen  sich 
erst  an  ihrer  Ausmündung,  wo  sich  zu  ihnen  ein  unpaarer  bläs- 
chenartiger länglich  eiförmiger  Anhang  gesellt;  es  ist  eine  ein- 
fache Vesicula  seminalis.  Die  Genitalöffnung  befindet  sich 
zwischen  beiden  Chitingräten  (Fig.  6). 

Beim  Weibchen  setzt  sich  das  Abdomen  (Fig.  7)  ebenfalls 
aus  zehn  Segmenten  zusammen,  von  denen  aber  das  erste  kurz 
und  das  letzte  auf  der  Bauchseite  ebenfalls  abgekürzt  ist;  die 
Rückenseite  des  Hinterleibes  ist  weich  und  häutig.  Die  Sub- 
genitalplatte  befindet  sich  auf  der  achten  Bauchplatte,  deren 
mittleres  Feld  ein  wenig  verlängert,  an  den  seitlichen  Hinter- 
ecken abgerundet  und  an  dem  Hinterrande  einmal  wellenförmig 
ausgeschnitten  ist.  Die  Griffel  sind  so  wie  beim  Männchen 
stümmelartig,  stark  und  verhältnissmässig  lang  aus  einem 
Gliede  bestehend.    Dieses  stützt  sich  auf  der.  Innenseite  auf 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  697 

einen  länglich  dreieckigen  Anhang,  dessen  Ende  ein  wenig 
nach  aussen  gebogen  ist,  weil  sein  innerer,  gegen  die  Median- 
linie gekehrter  Umriss  convex,  der  äussere  dagegen  concav 
bogenförmig  ist;  diese  Anhänge  sind  nichts  anderes  als  die 
Subanalklappen.  Über  ihnen  erhebt  sich  ein  unpaarer  Höcker, 
der  die  Supraanalklappe  vorstellt. 

Die  weiblichen  inneren  Geschlechtstheile  sind  ebenfalls 
paarig.  Die  Eiröhren  sind  zahlreich  und  stehen  auf  einer  kurzen 
gefässartigen  Röhre,  welche  bei  den  reifen  Exemplaren  sehr 
erweitert  und  mit  Eiern  gefüllt  ist.  Anfangs  ist  sie  zwischen 
den  mit  Eiern  gefüllten  Eiröhren  kaum  sichtbar;  je  mehr  sie 
sich  mit  den  Eiern  füllt  und  die  Eiröhren  sich  ausleeren  desto 
mehr  überwiegt  ihr  Umfang  die  Eiröhren,  bis  die  kleinen  Ei- 
röhren nur  als  zipfelartige  Anhänge  auf  dem  sackartig  erwei- 
terten Eiergange  stehen.  Die  Eiergänge  münden  getrennt  in 
die  längliche  Scheide,  die  auf  ihrem  Vorderende  kugelig  auf- 
getrieben ist  und  so  das  Receptaculum  seminis  bildet. 

Leuctra  cylindrica  D.  G. 

(Taf.  II,  Fig.  9—19). 

Beim  Männchen  sind  auf  dem  Hinterleibe  neun  Dorsal- 
und  Ventralbögen  vollkommen  entwickelt,  von  denen  aber  der 
erste  schmal  bleibt.  Vom  zehnten  Ringe  ist  nur  der  Dorsal- 
bogen vorhanden;  er  verschmälert  sich  an  den  Seiten  und  ist 
in  der  Mitte  des  Hinterrandes  dreieckig  ausgeschnitten.  In 
diesem  Ausschnitte  übergeht  er  in  eine  dachförmig  erhobene 
und  dreieckig  hinten  abgegrenzte  Supraanalklappe.  An  den 
schiefen  Seitenrand  des  X.  Dorsalbogens  stützt  sich  auf  der 
Bauchseite  (Taf.  II,  Fig.  13  und  14)  jederseits  eine  glatte  sub- 
trianguläre Chitinplatte,  deren  unterer  und  seitlicher  Rand  ein 
wenig  verdickt  ist  und  der  letztere  an  dem  distalen  Ende  in 
einen  kurzen,  stumpfen  Dorn  ausläuft.  Obwohl  sich  diese 
Platten  direct  an  den  Seitenrand  des  zehnten  Dorsalbogens  an- 
lehnen, wodurch  sie  uns  zu  der  Vermuthung  verleiten  könnten, 
dass  sie  die  zehnte  Bauchplatte  vorstellen,  müssen  wir  doch, 
wenn  wir  sie  mit  ähnlichen  Gebilden  bei  anderen  Arten  ver- 
gleichen und  dabei  auch  auf  das  Hintei  leibsende  des  Weibchens 

46* 


698  Fr.  Klapalek, 

gebührende  Rücksicht  nehmen,   sie  für  modificirte  Subanal- 
klappen  halten. 

Nebst  diesen  Anhängen  ist  das  männliche  Geschlecht  auch 
durch  verschiedene,  auf  dem  Rücken  ausgebildete  Fortsätze 
und  Höcker  (Fig.  9  und  10)  gekennzeichnet.  Die  Rückenfläche 
des  sechsten  Ringes  trägt  vor  ihrem  Hinterrande  ein  Paar  von 
hornigen  Auswüchsen,  die  von  vorne  und  hinten  abgeflacht, 
an  der  Spitze  abgerundet  sind  und  eine  sattelförmige  Vertiefung 
begrenzen.  Auch  auf  dem  siebenten  Segmente  finden  wir  eine 
Vertiefung,  welche  sich  aber  über  die  ganze  Länge  des  Ringes 
zieht:  ihre  Ränder  werden  von  vorne  nach  hinten  allmälig  höher 
bis  sie  an  dem  Hinterrande  in  je  einen  Fortsatz  auslaufen, 
die  länger  sind  als  jene  an  dem  vorhergehenden  Ringe,  eine 
ähnliche  Form  haben  und  deren  Enden  gegeneinander  geneigt 
sind.  Auch  auf  dem  achten  und  neunten  Segmente  ist  die 
Rückenfläche  entlang  der  Mittellinie  schwach  vertieft  und 
weniger  chitinisirt.  Auf  der  Bauchseite  ist  das  neunte  Segment 
verlängert  und  mit  einer  Kante  versehen,  die  ein  mittleres 
parabolisches  Feld  von  den  Seitenpartien  abgrenzt,  und  zwar 
an  den  Seiten  in  einer  Geraden,  vorne  in  einer  gebogenen  Linie. 
An  der  vorderen  Grenze  dieses  Feldes  erhebt  sich  in  der 
Mittellinie  ein  abstehender,  entweder  dreieckiger  oder  trape- 
zoider  Anhang  (Fig.  11).  Der  Hinterrand  des  Ringes  ist  fast 
gerade. 

Die  inneren  Geschlechtstheile  des  Männchens 
(Fig.  15)  bestehen  aus  zwei  getrennten,  gewöhnlich  aus  zehn 
länglichen  Drüsen  zusammengesetzten  Hoden,  die  dem  Anfange 
des  engen,  bald  aber  stark  erweiterten  Samenganges  aufsitzen. 
An  ihrer  Verbindungsstelle  gesellt  sich  zu  den  Samengängen  eine 
kleine  längliche  fast  keulenförmige  Samenblase.  Der  kurze 
Ausführungsgang  mündet  zwischen  zwei  Chitinstäbchen,  die 
sich  dicht  nebeneinander  unterhalb  des  Bauchrandes  des  neunten 
Ringes  erheben;  sie  sind  am  Grunde  stärker,  an  der  Spitze 
stumpf  und  überhaupt  im  Ganzen  stärker  als  bei  der  vorher- 
gehenden Art.  Auf  den  gegeneinander  gerichteten  Seiten  sind 
diese  Stäbchen  ausgehöhlt,  wodurch  sie  eine  Rinne  bilden, 
durch  welche  die  Samenflüssigkeit  herausfliessen  kano.  Ihre 
verdickte   Basis  ist  mit  einem  starken  Chitinringe  versehen. 


Geschlechtsthcile  der  Plecopteren.  699 

welcher  noch  mit  einem  starken  Chitingerüst  verbunden  ist; 
beide  Theile  dienen  als  Stütze  für  starke  Muskelbündel. 

Der  Rücken  des  Weibchens  ist  weich;  nur  die  Seitentheile 
und    die   Bauchfläche   sind   hornig.    Die    Subgenitalplatte 
(Fig.  18)  befindet  sich  auf  dem  achten  Segmente;  sie  ist  an  den 
Seiten  abgerundet,  nach  hinten  ein  wenig  stärker  als  nach  vorne 
verschmälert;   ihr  Hinterrand  ist  in  der  Mitte  viereckig  ausge- 
schnitten, und  zwar  in  der  Weise,  dass  der  mittlere  Theil  ein- 
gedrückt und  an  dem  Hinterrande  bogenförmig  abgerundet  ist, 
die    rhombischen   Seitenabschnitte^  dagegen   etwas   abstehen. 
Der    neunte  Ring    ist   vollkommen   geschlossen.    Der   zehnte 
(Taf.  II,  Fig.  16  und  17)  ist  nur  auf  dem  Rücken  entwickelt; 
er  biegt  sich  auf  jeder  Seite  nach  unten  um,  wo  er  sich  ver- 
schmälert und  endet,  ein  ganzes  Drittel  der  Bauchfläche  unbe- 
deckt lassend.  Es  fehlt  die  zu  ihm  gehörige  Bauchplatte  voll- 
kommen. In  der  Mitte  auf  der  Rückenseite  erhebt  sich  unterhalb 
des  Hinterrandes  vom  zehnten  Ringe  die  Supraanalklappe. 
die  einen  dreieckig  bogenförmigen  Umriss  hat  und  viel  mehr 
breit  als  lang  ist.  Auf  der  Bauchseite  befinden  sich  zwei  flache 
stumpfdreieckige  Löbi,  die  an  der  Medianlinie  sich  bogenförmig 
gegeneinander  neigen,  an  den  Seiten  aber  sich  an  die  Seiten- 
ränder des  zehnten  Segmentes  stützen.  Diesen  Anhängen  ent- 
sprechen bei  dem  Weibchen  die  dreieckigen,  in  eine  Spitze 
auslaufenden  Chitinplättchen;  wir  müssen  also  beide  Gebilde 
als  Subanalklappen  bezeichnen.  In  dem  zwischen  ihnen  und 
dem  Seitenrande  des  zehnten  Segmentes  gebildeten  Winkel 
stehen  Cerci.  Der  After  ist  durch  die  Supraanalklappe  ein  wenig 
verdeckt. 

Die  inneren  Genitalien  bestehen  aus  zwei  getrennten 
Ovarien,  die  sich  aus  zahlreichen  Eiröhren  zusammensetzen 
und  auf  einem  kurzen  Gange  sitzen,  der  in  einen  ebenfalls 
kurzen  Eiergang  übergeht.  Die  Eiergänge  sammt  dem  oberen 
Gange  füllen  sich  bei  älteren  Individuen  mit  reifenden  Eiern 
und  erweitern  sich  sackförmig.  Beide  Eiergänge  münden  ge- 
trennt in  eine  längliche  Scheide  (Fig.  19)  ein,  die  die  Länge 
von  zwei  Segmenten  einnimmt  und  auf  ihrem  Vordertheile 
einen  halbkugelig  gewölbten  Samenbehälter  trägt;  dieser  ist 
auf   die  Scheide    angewachsen    und    sein   Lumen,    was    wir 


700  Fr.  Klapalek, 

besonders  auf  frisch  präparirten  Exemplaren  gut  beobachten 
können,  verengt  sich  nach  hinten  und  öffnet  sich  in  die  Scheide 
nahe  der  Genitalöffnung. 

Obwohl  beide  hier  beschriebenen  Leuctra- Arien,  was  die 
Anordnung  der  Geschlechtstheile  anbelangt,  sich  gut  unter- 
scheiden, ist  ihre  Abweichung  von  den  bisher  geschilderten 
Genera  doch  weit  grösser  und  tiefgreifender.  Sehr  charakte- 
ristisch für  diese  Gattung  sind  die  Fortsätze  und  Auswüchse 
auf  dem  Rücken  des  Männchens.  Auf  dem  Körperende  ist  die 
Form  derSupraanalklappe  bemerkenswerth,  die  als  eine  niedrig 
konische  Warze  sich  unterhalb  des  Ausschnittes  der  letzten 
Dorsalplatte  auf  der  Hinterwand  des  zehnten  Segmentes  erhebt; 
auf  ihrer  oberen  Fläche  zieht  sich  fast  bis  auf  den  Gipfel  ein 
Chitinschildchen,  wogegen  die  übrige  Fläche  weich  bleibt  und 
nur  mit  steifen  kurzen  Börstchen  besetzt  ist.  Bei  den  bisher 
beschriebenen  Arten  erschien  die  obere  Afterklappe  als  eine 
einfache  Erhöhung  unterhalb  des  Hinterrandes  des  letzten 
Segmentes.  Eigenartig  ist  auch  die  Form  der  Subanalklappen, 
welche  ganz  kahl  sind  und  in  eine  stumpfe  Spitze  auslaufen. 
Beide  Chitingräten,  zwischen  welchen  die  Genitalöffnung  sich 
befindet,  erinnern  uns  sehr  an  ähnliche  Gebilde  innerhalb  des 
Samenausführungsganges  bei  Chloroperla  und  Isopteryx.  Ihre 
Homologie  wird  noch  mehr  auffallen,  wenn  wir  die  Länge  des 
Samenausführungsganges  selbst  in  Betracht  ziehen;  bei  Iso- 
pteryx und  Chloroperla,  die  innere  Chitingräten  besitzen,  ist  er 
lang,  bei  Leuctra  ganz  kurz.  Weiter  müssen  wir  auch  den 
ektodermalen  Ursprung  dieses  letzten  Abschnittes  der  männ- 
lichen Genitalien  im  Sinne  behalten;  sollte  sich  bei  Leuctra  ein 
Ductus  ejaculatorius  bilden,  so  müssten  beide  Gräten  in 
sein  Inneres  hinabsteigen.  Auch  die  Anordnung  der  Muskulatur 
zeugt  für  die  Homologie  beider  Gebilde.  Der  unpaare  Gang,  den 
beide  Samengänge  nach  ihrer  Vereinigung  bilden,  ist  keineswegs 
homologisch  mit  dem  Ausführungsgange  von  Chloroperla,  denn 
es  fehlt  ihm  die  starke  Muskulatur,  durch  welche  sich  dieser 
letzte  Abschnitt  auszeichnet.  Bei  Isopteryx  und  Chloroperla, 
sowie  bei  Leuctra  setzen  sich  an  die  Basis  der  Chitingräten 
starke  Muskeln  an.  Auch  die  inneren  Geschlechtstheile  zeigen 
viele  Besonderheiten.  Die  Geschlechtsdrüsen  sind  vollkommen 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  701 

getrennt,  ihre  Ausführungsgänge  sind  kurz,  aber  verhältniss- 
mässig  stark,  die  Eiergänge  dienen  schon  in  ihrem  obersten 
Theile,  auf  welchem  die  Eiröhren  sitzen,  als  ein  Behälter  für 
die  reifenden  Eier.  Beim  Männchen  ist  eine  selbständige,  un- 
paare,  eiförmige  Samenblase  entwickelt,  die  in  die  Verbindungs- 
stelle der  Samengänge  einmündet.  Die  Eiergänge  öffnen  sich 
getrennt  in  die  Scheide,  die  an  dem  Vorderende  einen  kugeligen 
Samenbehälter  trägt,  welcher  an  die  Oberwand  der  Scheide 
fest  angewachsen  ist.  Die  Schleimdrüsen  fehlen  beiden  Ge- 
schlechtern. Im  Ganzen  erscheint  also  Lenctra  niedrig  organi- 
sirt,  bildet  aber  eine  selbständige  Plecopteren-Gruppe.  Bei  der 
Copulation  dringen  wahrscheinlich  beide  an  der  Genitalöffnung 
stehenden  Chitingräten  sammt  den  Spitzen  der  Subanalklappen 
in  die  Scheidenöffnung  und  diese  letzteren  ermöglichen,  indem 
sie  sich  öffnen,  eine  festere  Verbindung  beider  Geschlechter. 

Capnia  nigra  Pict. 
(Taf.  III,  Fig.  1-7.) 

Das  Männchen  ist  apter;  es  hat  auf  dem  Rücken  neun 
deutliche,  ziemlich  gleich  lange  Segmente.  Der  Hinterrand  des 
letzten  ist  in  der  Mitte  stark  erhoben,  oben  abgerundet  und 
hinten  ausgehöhlt.  Auf  der  Bauchseite  ist  nur  der  zweite  bis 
neunte  Ring  deutlich  entwickelt;  der  erste  ist  an  den  Seiten  so 
abgekürzt,  dass  nur  der  mittlere  Theil  sichtbar  bleibt.  Der 
neunte  Ring  bildet  die  Subgenitalplatte  (Fig.  1),  welche 
einen  parabolischen  Umriss  hat  und  beiderseits  durch  tiefe» 
schwach  chitinisirte  Längsfalten  von  den  Seitentheilen  abge- 
schieden ist;  an  ihrer  Wurzel  erhebt  sich  ein  kurzer  niedriger 
Anhang  mit  einem  bogenförmigen  Vorderrande,  der  viel  breiter 
als  lang  ist.  Das  zehnte  Segment  ist  zwar  ringsum  entwickelt, 
aber  sehr  kurz;  auf  der  Rückenseite  ist  es  in  der  Mitte  noch 
mehr  abgekürzt  und  grübchenartig  vertieft;  auf  der  Bauchseite 
ist  es  durch  zwei  mit  feinen  Borsten  besetzten  Chitinplättchen 
repräsentirt,  welche  von  der  Mittellinie  nach  vorne  divergiren, 
und  an  den  Seiten  ähnliche  Plättchen  berühren,  welche  den 
Dorsalbogen  des  Ringes  bilden.  In  dem  durch  diese  Ventrai- 
und  Dorsaltheile  des  zehnten  Ringes  jederseits  gebildeten 
Winkel  steht  der  fadenförmige,  vielgliedrige  Cercus.  Auf  der 


702  Fr.  Klapälek, 

Rückenseite  unterhalb  des  Randes  des  zehnten  Segmentes  ist 
ein  horniger  Höcker,  welcher  auf  seinem  Hinterende  einge- 
drückt ist,  wodurch  er  die  Form  eines  querstehenden  Walles 
bekommt  und  übergeht  dann  in  einen  langen  ruthenförmigen 
zurück  nach  oben  gekrümmten  Fortsatz  (Taf.  III,  Fig.  1  und  2), 
welcher  deutlich  aus  zwei  Seitenklappen  besteht.  EHeser  Anhang 
ist  auf  der  Rückenseite  durch  eine  besondere,  quere  Sutur  von 
den  übrigen  Theilen  abgeschieden. 

Die  inneren  Geschlechtstheile  des  Männchens  (Fig. 5) 
haben  einen  unpaaren  Hoden,  der  auf  der  Rückenfläche  des 
Darmes  ruht;  er  besteht  aus  einem  ziemlich  starken  gemein- 
schaftlichen Gange,  auf  dessen  jeder  Seite  neun  bis  zehn  kleine 
bläschenartige  Hodendrüsen  sitzen.  Hinter  dem  letzten  Paare 
dieser  Bläschen  theilt  sich  die  einfache  Röhre  in  zwei  sehr 
dünne  Samengänge,  die  massig  lang  sind,  sich  jeder  auf  einer 
Seite  des  Darmes  nach  unten  ziehen  und  unterhalb  desselben 
in  eine  mächtige  Samenblase  einmünden.  Diese  hat  die  Form 
einer  Schleife  und  ihr  Lumen  ist  vielmals  grösser  als  jenes  der 
Samengänge.  Bei  jungen,  noch  unreifen  Exemplaren  ist  sie 
einfach  schlingenförmig  und  verbindet  in  der  bei  Dictyopteryx 
und  Chloroperla  beschriebenen  Weise  beide  Samengänge,  die 
gerade  zur  Genitalöffnung  sich  ziehen;  später,  in  dem  Grade, 
wie  sie  sich  mit  der  Samenflüssigkeit  füllt,  bekommt  sie  solches 
Übergewicht,  dass  sie  mit  den  Endabschnitten  der  Samengänge 
eine  starke  einmal  umgebogene  Röhre  bildet,  in  welche  etwa 
im  zweiten  Fünftel  der  Länge  die  dünnen  Samengänge  ein- 
münden. Bei  den  vollkommen  reifen  Individuen  füllt  die  Samen- 
blase die  Hinterleibshöhle  von  ihrem  Anfange  bis  ans  Ende  aus, 
so  dass  die  ausgeleerten  und  geschrumpften  Hodenbläschen 
sich  an  dem  Anfange  der  dünnen  Samengänge  fast  verlieren, 
und  es  kostet  viel  Arbeit  dieselben  bei  der  Zergliederung  auf- 
zufinden. Ein  selbständiger  Ausführungsgang  fehlt  hier 
gänzlich;  beide  Enden  der  Samenblase  münden  durch  eine 
gemeinschaftliche  Öffnung  in  ein  Chitinröhrchen  aus  (Taf.  III, 
Fig.  3  und  4),  welches  in  der  Mittellinie  am  Grunde  zwischen 
beiden  Plättchen,  die  die  zehnte  Bauchplatte  vorstellen,  sich 
erhebt.  Anfangs  ist  es  fest  hornig,  gegen  die  Spitze  zu  wird  es 
mehr  häutig;  ihre  Wurzel  ist  mit  einem  Chitinringe  versehen, 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  703 

der  als  Stütze  den  zahlreichen  Muskeln  dient  und  auf  der 
Bauchseite  in  einen  Dorn  ausläuft,  auf  welchen  sich  ebenfalls 
Muskeln  ansetzen.  Das  Ende  dieses  Röhrchens  biegt  sich  über 
den  unterhalb  der  Wurzel  des  dorsalen  Fortsatzes  befindlichen 
After  und  legt  sich  in  eine  Rinne,  die  sich  auf  der  Bauchseite 
des  Fortsatzes  zieht. 

Das  weibliche  Abdomen  (Fig.  6)  zeigt  auf  dem  Rücken 
und  Bauche  neun  deutliche  Segmente;  das  zehnte  ist  nur  als 
Dorsalbogen  vollkommen  entwickelt;  sein  Ventralbogen  ist 
sehr  abgekürzt.  Die  achte  Bauchplatte  ist  ein  wenig  gewölbt 
und  bildet  die  Subgenitalplatte,  welche  aber  das  Segment  nicht 
überragt  und  einen  flach  bogenförmigen  Hinterrand  hat.  Die 
ersten  sieben  Segmente  sind  auf  dem  Rücken  weich,  gelbbraun, 
welche  Farbe  auf  dem  achten  ins  schwarzbraune  übergeht, 
wobei  auch  die  Haut  fester  wird.  Der  Dorsalrand  des  zehnten 
Segmentes  ist  in  der  Mitte  in  einem  massigen  Bogen  vorgezogen 
und  unterhalb  desselben  befindet  sich  ein  kugeliger,  massig 
chitinisirter  Höcker.  Cerci  sind  ziemlich  lang,  fadenförmig  und 
vielgliedrig.  Zwischen  ihnen  erheben  sich  wie  gewöhnlich  zwei 
Subanalklappen  von  einer  breiten  subtriangulären  Form,  die 
aussen  hornig,  innen  weich  sind. 

Die  weiblichen  Genitalien  haben  getrennte  Eierstöcke, 
die  aus  zahlreichen  auf  einem  gemeinschaftlichen  Gange 
sitzenden  Eiröhren  bestehen.  Die  Eiergänge  sind  kurz  und 
dienen  sowie  die  obere  Röhre  als  Behälter  für  die  reifenden 
Eier  (Fig.  7),  wodurch  sie  sehr  erweitert  und  sackförmig 
werden  und  durch  ihre  Grösse  die  Eiröhren  sehr  übertreffen. 
Sie  münden  getrennt  in  die  längliche,  walzenförmige  Scheide 
ein,  welche  sich,  ohne  andere  Anhänge  zu  tragen,  durch  den 
unter  dem  Rande  der  Subgenitalplatte  verborgenen  Genital- 
porus  nach  aussen  öffnet 

Aus  dem  geschilderten  ersehen  wir,  dass  bei  Capnia  ein 
bedeutender  Unterschied  in  dem  Grade  der  Differentiation 
zwischen  Männchen  und  Weibchen  besteht.  Das  Weibchen 
scheint  eine  niedrigere  Entwicklungsstufe  einzunehmen,  was 
durch  die  einfache  Form  der  Geschlechtstheile,  durch  das 
Fehlen  von  Nebenanhängen  (Receptaculum  seminis  und 
Schleimdrüsen),    sowie    durch   die    einfache   Form    der   Sub- 


^02  Fr.  Klapiilek. 

Rückenseite  unterhalb  des  Randes  dc>  : .  j 

ein  horniger  Höcker,   welcher  auf  sein. 

drückt  ist,  wodurch  er  die  Form  eines  .;  .-  ' 

bekommt  und  übergeht  dann  in  einen  la:.., 

zurück  nach  oben  gekrümmten  Fortsatz  (T..* 

welcher  deutlich  aus  zwei  Seitenklappen  be>r : 

ist  auf  der  Rückenseite  durch  eine  besonder..  .  i 

den  übrigen  Theilen  abgeschieden. 

Die  inneren  Geschlechtstheile  des  M.. 
haben  einen  unpaaren  Hoden,  der  auf  der  li... 
Darmes  ruht;  er  besteht  aus  einem  ziemlich  -: . 
schaftlichen  Gange,  auf  dessen  jeder  Seite  neun  V  ^ 
bläschenartige  Hodendrüsen  sitzen.  Hinter  dem 
dieser  Bläschen  theilt  sich  die  einfache  Röhre  :., 
dünne  Samengänge,  die  massig  lang  sind,  sich  je 
Seite  des  Darmes  nach  unten  ziehen  und  unterlral'-    - 
in  eine  mächliLTe  Samenblase  einmünden.  Diese  h  ' 
einer  Schleife  und  ihr  Lumen  ist  vielmals  grösser 
Samengänge,   Bei  jungen,  noch  unreifen  Exempi 
einfach  schlingenförmtg  und  verbindet  in  der  bei  Üiay     i 
und  Ch!oropt*riä  beschriebenen  Weise  beide  SamcfliQkMH 
gerade  2ur  GenitaJöffnung  sich  ziehen;  spS^r.  {n  i}^^^ 
wie  sie  sich  mit  der  Samen flüssigkfiit  füUt,  bekommt  sie     4 
Übergewicht,  dass  sie  init  den  Endabscbnitteii  dcf  S 
eine  starke  einmal  umgebogene  Röhre  bildet  In 
m  zweiten  Fünftel  der  Lüngc  die  dünnen  S^i^ 
münden.  Bei  den  vollkommen  reife«  Individuen  filUtdic^ 
blase  die  Hinlerleibs  höhle  von  ih  nun  Aofar 
so  dass  die  Ausgeleerten  und  gc 

t^ich  m  dem  Anfange  der  dOmmi^ 

und  es  kostet  viel  Arbeit  dii 

3£ullndea    Em   selbständiger  ,\ 

gänzlich;  b<^iJe  Endr 

gcmein^chaü liehe  Oli^^ 

Fig,  3  und  4\  w4 

beiden  V\ 

ergebt  Aj 

mcJ:r 


••«■^  tinterhoib , 
•btsf  und  l^^ 
^M^  Fortsaues  m 
3««  Das  weiBl 
Mi   i  Bauche 
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mw^  bildet  die 
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ßmentes  Ist  m  i 
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KiJtintsiitcr  Hi>ck«>^ 
elgliedrig.  Zvm 
jbnnalklappcn    \ 
hornig,  inti- 
ji*  wciblici 
xBhlreirr 
Söea   Einührcri 

äovvie  die 
{Flg.  7).    VW 

und 
in Jen  ^ 
^lUcht-'  > 
ir  ilaiTi  KAiidt 


i\1«1IMIi^r 


«t  Piff ^i;i Plenen. 


703 


nscbildchen  bedeckt.  Von 

f)  Chitinschiidchen  ziehen 

lytrttiiVn  (Taf.  III,  Fig.  12). 

hinten  sich  umbiegen  und 

pn  der  Ansicht  von  unten 

iT-cn  und  dann  wieder  sich 

cn:   m   der  Seitenansicht 

',  gegen  die  recht  scharfe 

rn  massigen  Bogen  nach 

E-'ireten  die  Vcntralplatte 

tea  3i|id  die  abstehenden 

1  Grunde  beider  Chitin- 

Jlintervvand  des  letzten 

in  er  Basis  von  einander 

•pt  Jin   dem  After  endet» 

I    mit  spärlichen,  kurzen 

_'  \)  und  10)  sind  zwar 

:t;  sie  stützen  sich 

'  Ringes;  ihre  Basis 

:i 'kugeligen  Lobus 

-t  mit  zahlreichen 

:  «selbst  sind  in  der 

iiörmig,  in  der 

:en  die  Spitze 

.:  ihnen  vor  der 

♦Mn  Rudiment  des 

i    Ter  Griffel  und 

gen  den  After 

r  Spitze  tibge- 

i^riffelfÖrmiger 

iiese  Anhänge 

Es  bleibt  uns 

flrtesten   Theil    der 
Fortsatz,    zu   be- 
forden   ist,   bleibt   der 
^^s  weicht  senkt  sich 
ht  von  oben  dreieckig 
^Üi    wieder    nach    oben. 


704  Fr.  Klapälek, 

genitalplatte  angezeigt  wird,  wogegen  das  Männchen  manche 
Merkmale  trägt,  die  auf  eine  bedeutend  höhere  Stufe  zeigen. 
Obwohl  die  bis  ans  Ende  getrennten  Samengänge  und  der 
Mangel  eines  besonderen  Samenausführungsganges  auf  eine 
niedrigere  Stufe  deuten,  sehen  wir  den  grössten  Fortschritt  in 
den  äusseren  Theilen  des  Geschlechtsapparates.  Die  Genital- 
öffnung befindet  sich  auf  der  Spitze  eines  hornigen  Röhrchens, 
welches  also  eine  einfache  und  niedrigere  Form  der  Ruthe 
vorstellt,  von  welcher  sie  sich  besonders  dadurch  unterscheidet, 
dass  sie  nicht  zurückgezogen  werden  kann.  Die  eigene  Function 
der  Ruthe  obliegt  aber  hauptsächlich  dem  unpaaren,  aber  doppelt 
angelegten,  dorsalen  Fortsatze,  dessen  Ursprung  natürlich  mit 
der  Ruthe  nichts  gemeinschaftliches  hat.  Obwohl  hier  die 
zehnte  Bauchplatte  verhältnissmässig  gut  ausgebildet  ist,  so 
finden  wir  doch  keine  Subanalklappen;  es  liegt  die  Vermuthung 
sehr  nahe,  dass  sie  zur  Ausbildung  des  unpaaren,  penisartigen 
Fortsatzes  beigetragen  haben,  obwohl  sie  auf  diese  Weise  weit 
nach  oben  verschoben  sein  würden. 

Nemura  inconspicua  Pict. 
(Taf.  III.  Fig.  8  — 17.) 

Auf  dem  männlichen  Hinterleibe  sind  nur  neun  Seg- 
mente deutlich  entwickelt.  Das  neunte  ist  auf  dem  Rücken 
massig  dreieckig  ausgeschnitten  (Taf.  III,  Fig.  9);  sein  Ventral- 
bogen trägt  nahe  der  Wurzel  einen  schmalen,  länglichen  Fort- 
satz mit  fast  parallelen  Seiten  und  abgerundetem  Ende;  seine 
Fläche  ist  (Taf.  III,  Fig.  8  und  11)  ähnlich  wie  bei  anderen 
Nemura -Arten  in  drei  Felder  getheilt,  von  denen  das  mittlere 
in  einen  dreieckigen,  an  den  Seiten  ausgeschnittenen  und  am 
Grunde  eingedrückten  Zipfel  verlängert  ist  (Fig.  1 1).  Bei  Indivi- 
duen, die,  wenn  auch  nur  schwach  eingetrocknet  sind,  schiebt 
sich  dieser  mittlere  Zipfel  mit  seinem  eingedrückten  Grunde 
theilweise  unter  das  mittlere  Feld  des  neunten  Segmentes,  und 
es  scheint,  als  ob  er  einen  selbständigen  Abschnitt  bilden 
würde,  was  noch  dadurch  erhöht  wird,  dass  er  eine  rinnen- 
artige Form  annimmt.  An  seiner  Spitze  mündet  der  Ductus 
ejaculatorius.  Das  zehnte  Segment  bleibt  auf  dem  Rücken 
weich,  häutig,  auf  den  Seiten   ist  es   stark  geschwollen  und 


Geschlechlstheile  der  Plecopteren.  705 

mit  einem  stumpf  dreiecl^igen  Chitinschildchen  bedeckt  Von 
dem  ventralen  Rande  dieser  seitlichen  Chitinschildchen  ziehen 
sich  gegen  die  Mittellinie  zwei  Chitinstreifen  (Taf.  III,  Fig.  12), 
■  welche  an  der  Mittellinie  selbst  nach  hinten  sich  umbiegen  und 
in  zwei  Chitingräten  auslaufen,  die  in  der  Ansicht  von  unten 
stumpf  enden,  vom  Grunde  an  divergiren  und  dann  wieder  sich 
mit  den  Enden  gegeneinander  biegen;  in  der  Seitenansicht 
erscheinen  sie  am  Grunde  viel  stärker,  gegen  die  recht  scharfe 
Spitze  allmälig  verjüngt  und  in  einem  massigen  Bogen  nach 
oben  gekrümmt.  Beide  Chitinstreifen  vertreten  die  Ventralplatte 
des  zehnten  Ringes  und  die  Chitingräten  sind  die  abstehenden 
selbständigen  Abschnitte  derselben.  Vom  Grunde  beider  Chitin- 
gräten zieht  sich  in  der  Mittellinie  der  Hinterwand  des  letzten 
Ringes  eine  Furche,  die  die  Griffel  an  ihrer  Basis  von  einander 
trennt  und  unter  der  Supraanalklappe  an  dem  After  endet. 
Jederseits  von  dieser  Furche  ist  die  Haut  mit  spärlichen,  kurzen 
Börstchen  besetzt.  Die  Griffel  (Taf.  III,  Fig.  9  und  10)  sind  zwar 
nur  eingliedrig,  aber  sehr  mächtig  entwickelt;  sie  stützen  sich 
an  die  seitlichen  Chitinplättchen  des  zehnten  Ringes;  ihre  Basis 
ist  auf  der  Bauchseite  in  einen  grossen  halbkugeligen  Lobus 
erweitert,  welcher  ebenso  wie  Cerci  selbst  mit  zahlreichen 
Borsten  besetzt  ist.  Die  eigentlichen  Griffel  selbst  sind  in  der 
Ansicht  von  unten  und  von  der  Seite  walzenförmig,  in  der 
Ansicht  von  oben  ein  wenig  abgeflacht  und  gegen  die  Spitze 
erweitert;  in  der  Seitenansicht  bemerken  wir  auf  ihnen  vor  der 
Spitze  eine  kreisförmige,  weiche  Stelle,  die  ein  Rudiment  des 
zweiten  Gliedes  trägt.  Zwischen  den  Wurzeln  der  Griffel  und 
der  Furche,  welche  sich  von  den  Chitingräten  gegen  den  After 
zieht,  steht  jederseits  ein  lang  konischer,  an  der  Spitze  abge- 
stumpfter und  mit  kurzen  Börstchen  besetzter,  griffeiförmiger 
Anhang,  der  den  Subanalklappen  entspricht;  diese  Anhänge 
divergiren.  Der  After  befindet  sich  über  ihnen.  Es  bleibt  uns 
noch  übrig,  den  wichtigsten  und  complicirtesten  Theil  der 
Genitalanhänge,  nämlich  den  dorsalen  Fortsatz,  zu  be- 
schreiben. Wie  schon  oben  gesagt  worden  ist,  bleibt  der 
mittlere,  dorsale  Theil  des  zehnten  Ringes  weich,  senkt  sich 
nach  unten,  verengt  sich  in  der  Ansicht  von  oben  dreieckig 
und     sein    verengtes    Ende    biegt    sich    wieder    nach    oben. 


706  Fr.  Klapälek, 

Auf  der  Bauchseite  ist  er  mit  einer  glatten  Furche  versehen,  die 
sich  vom  Grunde  fast  bis  an  die  Spitze  zieht  und  mit  zwei 
starken  Chitinleisten  begrenzt  ist,  welche  ein  wenig  vor  der 
Spitze  des  Fortsatzes  stumpf  endigen.  Auf  jeder  Seite  des  Fort- 
satzes zieht  sich  ein  Chitinstreifen,  der  an  dem  Ende  die  Chitin- 
leisten etwas  überragt,  erweitert  ist  und  beide  zusammen  eine 
seichte  Grube  urnschliessen,  in  welche  die  Spitzen  der  Chitin- 
leisten ein  wenig  hineinragen  (Taf.  III,  Fig.  13).  Die  Dorsalfläche 
ist  einfach  und  zeigt  der  Länge  nach  keine  Theilung,  ist  schwach 
chitinisirt  und  nur  quer  über  die  Wurzel  zieht  sich  ein  drei- 
eckiges Chitinplättchen,  dessen  Hinterrand  mit  einigen  Spitzen 
besetzt  ist. 

Die  inneren  Genitalien  bestehen  (Taf.  III,  Fig.  14)  aus 
einem  büschelförmigen,  aus  etwa  14  länglichen  Drüsen  zu- 
sammengesetzten Hoden;  jede  Drüse  ist  gegen  die  Spitze 
etwas  dünner  und  mündet  durch  eine  schmale  Öffnung  in  den 
kurzen  gemeinschaftlichen  Gang  ein,  der  sich  sogleich  in  zwei 
dünnere,  massig  lange  Samengänge  theilt.  Diese  sind  in  ihren 
unteren Theilen  stärker,  wenden  sich  wieder  nach  vorne  zurück, 
und  indem  sie  sich  vereinigen,  bilden  sie  eine  kurze,  starke, 
quergehende  Röhre,  die  in  der  Mitte  ihrer  Hinterwand  in  ein 
kurzes,  dünnes  Röhrchen  übergeht,  welches  sich  in  eine  läng- 
lich elliptische  Samenblase  erweitert.  Die  Samenblase  verengt 
sich  dann  auf  dem  entgegengesetzten  Ende  in  einen  kurzen, 
ziemlich  starken  Samenausführungsgang,  der,  wie  oben  gesagt, 
an  der  Spitze  des  mittleren  Zipfels  des  neunten  Segmentes  nach 
aussen  mündet. 

Beim  Weibchen  setzt  sich  das  Abdomen  aus  zehn  deutlich 
entwickelten  Ringen  zusammen,  von  denen  aber  die  Ventral- 
platte des  letzten  theilweise  verdeckt  ist.  Die  Subgenital- 
platte  (Taf.  III,  Fig.  15)  ist  hier  auf  dem  siebenten  Segmente 
ausgebildet;  sie  ist  sehr  breit,  nimmt  die  ganze  Bauchfläche 
des  Ringes  ein  und  läuft  nach  hinten  in  einen  stumpf  drei- 
eckigen Zipfel  aus,  dessen  Ende  in  eine  längliche,  ihm  genau 
entsprechende  Vertiefung  des  achten  Segmentes  hineinpasst, 
dessen  horniges  Integument  durch  dieselbe  unterbrochen  ist 
und  in  ihr  häutig  wird.  Der  Hinterrand  desselben  Ringes  ist 
jederseits  von  der  Spitze  der  Subgenitalplatte  in  einen  niedrigen 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  707 

Höcker  erhoben.  Das  Hinterleibsende  ist  normal  entwickelt.  Die 
Dorsalplatte  des  zehnten  Segmentes  ist  auf  dem  Hinterrande 
stumpf  dreieckig  verlängert,  und  unter  dem  Rande  desselben 
erhebt  sich  die  höckerartige  Supraanalklappe.  Cerci  sind  kurz 
stümmelartig  und  eingliedrig;  die  Subanalklappen  breit,  drei- 
eckig an  der  Spitze  abgestumpft. 

Die  inneren  Genitalien  haben  sehr  zahlreiche  Eiröhren, 
die  auf  der  Ober-  und  Aussenseite  der  beiden  mit  ihren  Vorder- 
enden verwachsenen  Eiergänge  gestellt  sind;  die  Eiergänge 
selbst  münden  getrennt  in  die  Scheide  ein  (Taf.  III,  Fig.  16 
und  17),  zu  deren  Hintertheile  sich  der  Samenbehälter  gesellt; 
dieser  ist  röhrenartig,  zieht  sich  an  der  rechten  Seite  der  Scheide 
nach  hinten,  wendet  sich  wieder  nach  vorne,  dann  wieder  nach 
hinten  und  ist  zuletzt  spiralförmig  eingewickelt.  Die  mittlere 
Biegungsstelle  ist  fest  mit  der  Hinterwand  der  Scheide  ver- 
bunden. 

Nemura  lateralis  Pict. 
(Taf.  IV,  Fig.  1  —  7.) 

Das  männliche  Abdomen  besteht  aus  zehn  Ringen,  von 
denen  aber  nur  die  ersten  neun  deutlich  sind.  Das  erste  Segment 
zeigt  auf  der  Bauchseite  eine  Querfurche,  die  zwei  Abschnitte 
bildet;  der  erste  von  beiden  entspricht  dem  hinteren,  hinter  der 
Insertionsstelle  der  Hinterbeine  liegenden  Theile  des  Meta- 
sternum,  der  zweite  ist  die  eigentliche  erste  Bauchplatte.  Der 
neunte  Ventralbogen  (Fig.  1)  ist  durch  zwei  tiefe  Längsfalten  in 
drei  Felder  getheilt;  das  mittlere  ist  dunkler  (dunkelbraun,  die 
seitlichen  sind  heller  braun),  hat  die  Form  eines  symmetrischen 
Fünfeckes  und  trägt  auf  dem  Grunde  einen  verhältnissmässig 
langen  und  schmalen  Anhang,  dessen  Ende  abgerundet  ist,  und 
welcher  auf  der  äusseren  (Bauch-)  Seite  weiss  ist  und  einer 
hornigen  Cuticula  entbehrt  In  Folge  dessen  vertrocknet  stark 
auf  trockenen  Exemplaren  dieser  mittlere  Theil  und  der  Anhang 
erscheint  ausgehöhlt.  Der  zehnte  Ring  ist  bedeutend  abgeändert 
und  dem  Copulationszwecke  angepasst  Als  ein  Ring  ist  er  nur 
auf  dem  Rücken  und  an  den  Seiten  entwickelt.  Auf  dem  Rücken 
(Taf.  IV,  Fig.  3)  ist  er  ein  wenig  verlängert,  dreieckig  ausge- 
randet;  dann  neigt  er  sich  nach  unten  und  übergeht  in  den 


708  Fr.  Klapälek, 

dorsalen  Fortsatz;  auf  den  Seiten  ist  er  durch  eine  Querfurche 
in  zwei  Theile  geschieden,  von  denen  der  endständige  stumpf 
dreieckig  ist.  Auf  den  Seiten  endet  das  Chitinschildchen  des 
zehnten  Ringes  mit  abgerundeten  Rändern.  Cerci  haben  nur 
das  erste  Glied  entwickelt,  welches  aber  eine  merkwürdige 
Form  hat;  seine  Innenseite  ist  weich,  häutig,  die  Aussenseite 
und  das  Ende  sind  hornig;  seine  Basis  ist  ein  wenig  verdickt 
und  das  Ende  ist  auf  der  Aussenseite  in  einen  kurzen,  starken 
Zahn  verlängert.  Da  der  hornige  Theil  des  Integuments  vor 
dem  Ende  auf  der  Innenseite  bogenförmig  ausgeschnitten  und 
durch  ein  feines  Häutchen  vertreten  ist,  erscheinen  bei  trockenen 
Exemplaren  die  Cerci  viel  dünner  und  an  der  Spitze  jederseits 
in  einen  konischen  Zahn  ausgezogen;  denn  der  häutige  Theil 
schrumpft  vollkommen  zusammen.  Auf  der  Bauchseite  finden 
wir  ganz  vor  dem  Ende  eine  häutige,  kreisförmige  Stelle,  welche 
ein  kleines,  horniges  Höckerchen,  oder  sogar  ein  kurzes  Glied, 
auf  dessen  Ende  das  Höckerchen  sitzt,  trägt.  Die  Sub anal- 
klappen sind  bedeutend  gross,  stumpf  dreieckig  und  zwischen 
ihren  Grundtheilen  (Taf.  IV,  Fig.  4)  liegt  das  Endzipfel  des 
mittleren  Feldes  vom  neunten  Ventralbogen.  Der  dorsale  Fort- 
satz hat  eine  fingerförmige  Gestalt  (Taf.  IV,  Fig.  3,  5  und  6), 
ist  zweigliedrig,  am  Grunde  fast  walzenförmig,  weiter  aber  von 
oben  und  unten  etwas  zusammengedrückt.  Sein  Ende  (Taf.  IV, 
Fig.  6)  ist  tief  gespalten  und  jeder  Abschnitt  ist  für  sich  abge- 
rundet; die  Dorsalfläche  ist  mit  .einem  Chitinplättchen  bedeckt, 
dessen  Ränder  mit  5 — 6  Rückenhaken  bewehrt  sind.  Die  Bauch- 
fläche ist  etwas  vertieft  und  vom  unteren  Rande  dieser  Aus- 
höhlung erhebt  sich  ein  häutiger  Fortsatz,  der  am  Grunde  mit 
einer  Spalte  versehen  ist  und  sich  vor  dem  Ende  an  zwei  Chitin- 
streifen stützt.  Jeder  von  diesen  Streifen  zieht  sich  auf  der 
Innenseite  der  Vertiefung  und  läuft  an  dem  Ende  des  häutigen 
Fortsatzes  in  einen  kurzen,  aber  starken  Zahn  aus.  Der  ganze 
dorsale  Fortsatz  kann  nach  Belieben  verlängert  und  verkürzt, 
gehoben  und  gesenkt  w^erden. 

Wenn  wir  diese  letzten  Ringe  von  unten  betrachten,  so 
sehen  wir  zuerst  die  drei  Felder,  in  welche  die  neunte  Bauch- 
platte zerfällt;  auf  die  Seitenfelder  folgen  die  dreieckigen,  nach 
unten  reichenden  Seitentheile  des  zehnten  Ringes;  der  End- 


Geschlechtstheile  der  Flecopteren.  709 

Zipfel  des  Mittelfeldes  senkt  sich  zwischen  die  dreieckigen  Sub- 
analklappen,  welche  zwischen  den  Seitentheilen  des  zehnten 
Ringes  liegen.  Zwischen  ihnen  und  dem  Hinterrande  des 
zehnten  Ringes  sind  die  Griffel  eingefügt,  und  unter  allen 
diesen  Theilen  sehen  wir  die  quergerunzelte  Bauchfläche  des 
dorsalen  Fortsatzes.  In  der  Ansicht  von  oben  sehen  wir  in  der 
Mitte  das  Ende  des  dorsalen  Fortsatzes  auf  dem  dreieckigen 
Ausschnitte  des  zehnten  Ringes  ruhend. 

Die  inneren  Geschlechtstheile  (Taf  IV,  Fig.  7).  Der 
einfache  Hoden  besteht  aus  einem  Büschel  von  14  Samen- 
röhrchen,  die  auf  einem  kurzen,  gemeinschaftlichen  Gange 
sitzen,  welcher  sich  aber  gleich  in  zwei  Samengänge  theilt. 
Jedes  Hodenröhrchen  ist  gegen  die  Spitze  etwas  verjüngt, 
unten  auf  der  Wurzel  selbst  so  eingeschnürt,  dass  es  nur 
durch  eine  kleine  Öffnung  mit  dem  Gange  communicirt.  Die 
Samengänge  sind  massig  lang  und  verbinden  sich  zu  einem 
stärkeren  Ausführungsgange,  welcher  vor  dem  Ende  sich  noch 
einmal  zurückbiegt  und  dann  an  der  Spitze  des  Mittelfeldes 
vom  neunten  Ventralbogen  nach  aussen  mündet.  Dieses  Ende 
ist  zwar  stumpf,  aber  auf  der  Innenseite  kielförmig  verdickt 
und  mit  starken  Retractoren  versehen. 

Nemura  variegata  Oliv. 
(Taf.  IV,  Fig.  8—18.) 

Das  männliche  Abdomen  besteht  aus  zehn  Ringen,  von 
denen  aber  die  zwei  letzten  für  Fortpflanzungszwecke  modi- 
ficirt  sind.  Die  neunte  Bauchplatte  (Taf  IV,  Fig.  8)  ist  in  drei 
Felder  getheilt;  das  mittlere  ist  eiförmig  mit  zweimal  wellen- 
förmig ausgekerbten,  seitlichen  Umrissen  und  an  dem  Ende  in 
einen  dreieckigen,  zugespitzten  Zipfel  massig  verlängert;  der 
den  übrigen  hinteren  Umriss  des  neunten  Segmentes  über- 
ragende Theil  ist  querrunzelig.  Am  Grunde  entspringt  ein 
zungenförmiger,  länglicher  Anhang  mit  parallelen  Seitenrändern 
und  abgerundetem  Ende.  Von  den  Seitenfeldern  ist  dieses 
Mittelfeld  durch  tiefe  Längsfalten  abgesondert,  welche  aber 
nicht  bis  zum  Grunde  des  Segmentes  reichen.  Der  dorsale 
Theil  desselben  Ringes  (Taf  IV,  Fig.  12)  ist  sehr  verschmälert 
und  erweitert  sich  allmälig  gegen  die  Seiten,  so  dass  an  dem 


710  Fr.  Klapälek. 

Mittelfelde  die  Länge  der  Seitenfelder  die  grösste  ist.  Das 
zehnte  Segment  ist  nur  auf  dem  Rücken  entwickelt;  auf  den 
Seiten  endet  es  unter  den  Griffeln.  Sein  Hinterrand  ist  in  der 
Mitte  eingedrückt  und  jederseits  in  eine  stumpfe,  concave 
Kannte  gebrochen.  Auch  das,  dasselbe  bedeckende  Chitin- 
schildchen  ist  jederseits  in  einen  massig  scharfen  Winkel  aus- 
geschnitten. An  den  Seiten  unterhalb  der  Griffel  ist  derselbe 
Ring  wieder  dreieckig  erweitert,  es  ist  aber  durch  eine  seichte 
Furche  ein  dreieckiger  Theil  davon  abgeschnitten.  Die  Griffel 
(Taf.  IV,  Fig.  11)  sind  stark,  am  Grunde  massig  erweitert  und 
in  der  Seitenansicht  ist  ihr  einfach  zugespitztes  Ende  nach 
unten  gebogen.  In  der  Ansicht  von  oben  sehen  wir  aber,  dass 
auf  dem  oberen  Rande  das  Ende  auch  nach  innen  klauenartig 
verlängert  ist,  und  unter  ihm  etwas  vor  der  Spitze  die  Innen- 
fläche einen  weichen,  konischen  Höcker  bildet,  welcher  auf  der 
Bauchseite  noch  die  Spuren  der  übrigen  Glieder  in  der  Form 
eines  Chitinknöpfchens  zeigt.  Dieser  Höcker  ist  dicht  beborstet 
und  auf  der  Spitze  mit  einen  oder  zwei  kurzen,  starken  Domen 
versehen.  In  der  Ansicht  von  unten  sehen  wir,  dass  die  Spitze 
des  Mittelfeldes  vom  neunten  Ventralbogen  sich  zwischen  zwei 
subtrianguläre,  flache  Lobi  hineinschiebt  (Taf.  IV,  Fig.  14», 
an  deren  andere  Seiten  sich  die  Cerci  anlehnen;  ihre  Innen- 
kante ist  convex  bogenförmig,  das  Ende  stumpf  und  die 
äussere  Kante  unter  der  Spitze  einmal  zahnartig  ausge- 
schnitten und  unterhalb  des  Ausschnittes  concav  bogenförmig. 
Die  hornige  Fläche  dieser  Lobi  bildet  auf  der  Aussenseite  eine 
schmale  Verlängerung,  die  sich  zwischen  der  Griflfelwurzel  und 
dem  Hinterrande  der  Seitentheile  des  zehnten  Segmentes  zieht 
und  ein  klein  wenig  oberhalb  des  Griffels  auf  der  Rückenseite 
endet.  Von  oben  ist  nur  ein  schmaler  Streifen  von  diesem  Aus- 
läufer sichtbar,  der  sich  an  das  Häutchen  der  durch  den  einge- 
drückten Hinterrand  des  zehnten  Segmentes  gebildeten  Mulde 
beifügt,  was  darauf  hinweist,  dass  diese  Lobi  zu  dem  zehnten 
Ringe  als  eine  Bauchplatte  nicht  gehören,  sondern  einen  selbst- 
ständigen Anhang,  und  zwar  die  Subanalklappen  vorstellen.  Der 
dorsale  Fortsatz  ist  sehr  stark  und  breit  Sein  ventraler  End- 
zipfel ist  lanzettförmig  und  überragt  ein  wenig  den  Hinterrand 
der  durch  ihn  verdeckten  Vertiefung.  Die  Seitenränder  derselben 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  711 

sind  mit  Rückhaken  bewehrt  und  der  Hinterrand  ist  mit  spär- 
lichen, kleinen  Dornen  besetzt  Der  ganze  äussere  Rand  des 
queren  Chitinstreifens,  welcher  beide  Glieder  des  Fortsatzes 
theilt  und  in  der  Mittellinie  in  einen  scharfen  Winkel  nach 
vorne  ausläuft,  ist  mit  kleinen,  eine  feine  Säge  bildenden, 
Spitzen  versehen. 

Die  inneren  männlichen  Genitalien  der  iV.  variegata 
zeigen  dieselbe  Anordnung  wie  N.  lateralis. 

Auf  dem  Abdomen  des  Weibchens  finden  wir  zehn  Seg- 
mente. Wie  bei  iV.  lateralis  ist  hier  die  Subgenitalplatte  schon 
auf  dem  siebenten  Segmente  ausgebildet  (Taf.  IV,  Fig.  18). 
Diese  (Fig.  18)  ist  viereckig,  nach  hinten  etwas  schmäler  mit 
einem  im  stumpfen  Winkel  gebrochenen  Hinterrande;  sie  reicht 
bis  an  den  Vorderrand  des  neunten  Ringes.  Die  achte  Bauch- 
platte ist  in  der  Mittellinie  der  Länge  nach  gespalten  und  von 
der  Genitalöffnung  eingenommen.  Sein  Hinterrand  ist  sammt 
dem  Vorderrande  des  nächsten  Ringes  erhoben  und  bildet  so 
eine  untere  Lippe,  über  welche  sich  das  Ende  der  Subgenital- 
platte legt.  Wir  können  besonders  in  der  Seitenansicht  beob- 
achten, wie  mächtig  die  Subgenitalplatte  gewölbt  ist. 

Zufälligerweise  habe  ich  nur  junge  Weibchen  zergliedert, 
deren  Geschlechtstheile  noch  nicht  völlig  ausgebildet  waren. 
Die  sehr  zahlreichen  Eiröhren  sitzen  auf  einem  kurzen  gemein- 
schaftlichen Gange,  welcher  sich  in  zwei  getrennt  in  die  Scheide 
einmündende  Eiergänge  theilt.  Die  Scheide  ist  mit  sehr  starker 
Muskulatur  versehen,  und  von  einer  eiförmigen  Gestalt;  zu  ihr 
gesellen  sich  noch  zwei  Anhänge,  von  denen  der  vordere  eine 
weite  Mündung  hat,  auf  dem  vorderen  Theile  der  Scheide  sitzt 
und  schlüsseiförmig  ausgehöhlt  ist,  wodurch  er  die  Gestalt 
eines  ausgeleerten  und  geschrumpften  Bläschens  bekommt;  der 
andere,  welcher  sich  etwa  in  der  Mitte  der  Rückenfläche  inserirt 
besteht  aus  einem  stielartigen  Röhrchen,  welches  in  ein  ei- 
förmiges Bläschen  führt  Es  unterliegt,  glaube  ich,  die  Bedeutung 
beider  Anhänge  keinem  Zweifel;  der  hintere  ist  ein  Samen- 
behälter, und  der  vordere  kann  nichts  anderes  sein,  als  eine 
Bursa  copulatrix.  Er  stellt  eine  sackartige  Erweiterung  der  vor- 
deren Scheidenwand  dar,  welche  sicher  nothwendig  ist,  um  din 
ruthenartigen  dorsalen  Fortsatz  aufzunehmen  und  festzuhalten. 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Cl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  47 


712  Fr.  Klapälek, 

Wenn  wir  jetzt  noch  einen  Blick  auf  die  hier  geschilderte 
Organisation  der  Geschlechtstheile  von  den  drei  beschriebenen 
Nemura-Arten  werfen,  finden  wir,  dass  dieses  Genus  in  drei  gut 
begrenzte  und  charakterisirte  Gruppen  zerfällt:  1.  A^.  incon- 
spicnUy  2.  N.  varingata,  lateralis,  cambrica  und  Verwandte  und 
3.  N.  cinerea,  marginata,  Meyeri,  Ich  habe  leider  nicht  Gelegen- 
heit gehabt  die  Anatomie  einer  Art  aus  der  dritten  Gruppe  zu 
Studiren,  weil  die  ebene  Umgegend  von  Wittingau  das  nöthige 
Material  nicht  bietet,  doch  kann  ich  auf  die  Arbeit  von 
Dr.  Gerstäcker  »Über  das  Vorkommen  von  Tracheenkiemen 
bei  ausgebildeten  Insekten«  (Sieb.  Zeitschrift  XXIV.,  p.  239  u.  f.) 
hinweisen,welche  eine  gründliche  Beschreibung  der  Geschlechts- 
theile von  N.  marginata  Pict.  (aber  als  A^.  lateralis  Pict.  an- 
geführt) enthält. 

Ein  für  dieses  Genus  charakteristisches  obwohl  mit  dem 
Genus  Capnia  gemeinschaftliches  Organ  ist  der  ruthenförmige 
dorsale  Fortsatz.  Auch  dieses  Genus  bietet  uns  keine  directe 
Erklärung  seiner  morphologischen  Bedeutung  und  seines  Ur- 
sprunges, doch  so  viel  wenigstens  ist  sicher,  dass  die  Subanal- 
klappen  sich  an  seiner  Ausbildung  nicht  betheiligen,  da  beide 
bei  Nentitra  vollkommen  ausgebildet  vorkommen.  Da  der  After 
unterhalb  seiner  Wurzel  sich  öffnet  und  er  die  Lage  der  bei 
anderen  Geschlechtem  entwickelten  Supraanalklappe  einnimmt, 
so  sehen  wir  uns  genöthigt,  denselben  nur  als  eine  zu  Copu- 
lationszwecken  stark  modificirte  und  enorm  verlängerte  Supra- 
analklappe zubetrachten. Doch  wirdürfen  nicht  mitStillschweigen 
den  wichtigen  Umstand  übergehen,  dass  er  eine  paarige  Zu- 
sammensetzung aus  zwei  symmetrisch  gestellten  Theilen  zeigt, 
was  besonders  auf  seinem  Ende  sehr  auffallend  ist,  wogegen 
die  Supraanalklappe  bei  anderen  Arten,  wo  sie  nicht  so  mächtig 
entwickelt  ist,  als  ein  einfacher  unpaarer  Höcker  erscheint. 

Alle  drei  hier  beschriebenen  Arten,  so  wie  auch  die 
A^.  marginata  haben  das  gemeinschaftlich,  dass  der  zehnte 
Ring  nur  auf  den  Seiten  normal  chitinisirt  ist;  der  mittlere  Theil 
seines  Rückenbogens  bleibt  weich  und  häutig,  und  über  ihn 
legt  sich  in  der  Ruhe  das  Ende  des  ruthenartigen  Fortsatzes. 
Cerci  sind  beim  Weibchen  kurz  einfach  und  stümmelartig, 
beim  Männchen  sind  sie  verschiedenartig  modificirt  und  bieten 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  713 

sehr  gute  Artmerkmale.  Allen  Nemtira- Arten  ist  auch  der  Um- 
stand gemeinsam,  dass  sich  die  männliche  Geschlechtsöfifnung 
auf  der  Spitze  des  Zipfels  befindet,  welchen  das  Mittelfeld  der 
neunten  Ventralplatte  bildet.  Beide  Subanalklappen  sind  voll- 
kommen entwickelt  und  haben  bei  der  ersten  Gruppe  eine 
schmal  kegelförmige,  bei  den  zweiten  eine  abgerundet  drei- 
eckige Gestalt,  bei  der  dritten  sind  sie  in  eine  krumme  Spitze 
vorgezogen  und  legen  sich  von  den  Seiten  an  den  dorsalen 
Fortsatz  an.  Die  Weibchen  haben  das  Hinterleibsende  normal 
entwickelt,  aber  zeichnen  sich  vor  anderen  Arten  dadurch  aus, 
dass  die  Subgenitalplatte  schon  auf  dem  siebenten  Segmente 
sich  befindet,  wogegen  sie  bei  den  übrigen  auf  dem  achten  ist. 
Theilweise  lässt  sich  diese  Abweichung  dadurch  erklären,  dass 
die  Genitalöfifnung  bei  Nemura  in  Folge  des  sehr  voluminösen 
Begattungsapparates  sehr  weit  ist  und  fast  die  ganze  Länge 
des  achten  Segmentes  einnimmt;  es  reicht  bei  Nemura  der 
Hinterrand  der  Subgenitalplatte  ebenso  weit,  nämlich  an  die 
Basis  des  neunten  Ringes,  wie  bei  übrigen  Gattungen. 

Die  inneren  männlichen  Geschlechtstheile  unterscheiden 
sich  ebenfalls  von  denen  aller  vorhergehenden  Gattungen  da- 
durch, dass  die  Hodendrüsen  die  Form  von  blinden,  kurzen 
Gefassen  haben,  die  auf  einem  kurzen  gemeinsamen  Gange 
sitzen,  welcher  sich  in  zwei  selbständige  Samengänge  theilt. 
Es  ist  sehr  auffallend,  dass  Dr.  Gers  tack  er  bei  A^.  marginata 
die  Hoden  als  zwei  lange  Gefässe  schildert,  welche  sich  dann 
zu  einem  unpaaren  Ausführungsgange  verbinden,  welche  Form, 
so  weit  mir  bekannt  ist,  bei  Plecopteren  nicht  vorkommt. 

Ich  kann  nicht  die  Bemerkung  unterdrücken,  dass  es 
Dr.  Gers  tack  er  nicht  gelungen  ist,  die  ganzen  Genitalien 
heraus  zu  präpariren,  so  dass  die  Hoden  selbst  abgerissen 
und  die  langen  Gefässe  nur  ihre  Ausführungsgänge  sind.  Ich 
bedaure  noch  einmal,  dass  ich  nicht  Gelegenheit  gehabt  habe, 
selbst  diese  Art  zu  zergliedern  und  so  diese  interessante  Frage 
zu  lösen.  Der  unpaare  Theil  des  Samenganges  ist  bei  A^.  incon- 
spicua  in  eine  elliptische  Samenblase  erweitert.  Die  weiblichen 
Geschlechtstheile  haben  die  Ovarien  mittelst  eines  gemeinsamen 
Ganges  verbunden.  Wir  finden  grosse  Unterschiede  zwischen 
einzelnen  Gruppen  in  der  Zahl  und  Form  der  Scheidenanhänge. 

47* 


714  Fr.  Klapälek, 

Die  zweite  Gruppe  ist  durch  eine  mächtig  entwickelte  Bursa 
copulatrix  ausgezeichnet. 

Es  zeigen  also  die  drei  Gruppen  so  grosse  Unterschiede, 
dass  es  nothwendig  sein  wird,  diese  Gattung  in  drei  Sectionen 
zu  theilen,  welche  gewiss  später  zu  selbständigen  Gattungen 
erhoben  werden: 

I.  Gruppe:  Der  Dorsalfortsatz  ist  weniger  vollkommen 
entwickelt;  er  bleibt  dünn  und  ziemlich  flach;  die  SubgenitaU 
klappen  sind  kegelförmig;  die  Ventralplatte  des  zehnten  Seg- 
mentes ist  in  zwei  säbelförmige  Chitingräten  verlängert; 
Cerci  sind  länger;  der  Samenausführungsgang  ist  in  eine 
Samenblase  erweitert;  Receptaculam  seminis  lang  gefassartig. 

IL  Gruppe:  Der  Dorsalfortsatz  ist  stark  und  kurs:,  die 
Subgenitalklappen  flach  abgerundet,  dreieckig;  Cerci  länger 
von  verschiedener  Form;  die  Scheide  mit  einer  starken  Bursa 
copulatrix. 

III.  Gruppe.  Der  Dorsal fortsatz  ist  länger  und  schlanker; 
Subgenitalklappen  in  eine  Spitze  vorgezogen  und  an  den  Fort- 
satz eng  anliegend;  Cerci  kurz;  Hoden  einfach  gefässartig. 

Taeniopteryx  nebulosa  L. 

Taf.  V,  Fig.  1—11. 

Das  männliche  Abdomen  hat  auf  dem  Rücken  und 
Bauche  neun  vollkommen  entwickelte  Segmente.  Auf  der 
Bauchseite  ist  der  erste  Ring  sehr  kurz.  Die  Ventralplatte  des 
neunten  (Taf.  V,  Fig.  1)  bildet  die  Subgenitalplatte;  diese  ist 
jederseits  durch  eine  Längsfalte  begrenzt  und  hinten  halbkreis- 
förmig erweitert;  diese  Erweiterung  ist  aber  jederseits  von  dem 
Basaltheile  durch  eine  Querfalte  abgesondert,  die  sich  von  dem 
Seitenrande  gegen  die  Mittellinie  ziehen,  hier  aber  sich  nicht 
vereinigen,  sondern  ziemlich  weit  unterbrochen  bleiben,  so  dass 
der  mittlere  Theil  der  Ventralplatte  direct  und  ununterbrochen 
in  den  Endtheil  übergeht.  In  der  Seitenansicht  (Fig.  3)  scheint 
es  als  ob  der  Endtheil  ein  selbständiges  Segment  wäre,  welches 
die  Bauchplatte  des  zehnten  Segmentes  repräsentiren  würde. 
Dass  es  sich  nicht  so  verhält,  zeigt  uns  am  besten  die  Ansicht 
von  unten.  Etwa  im  ersten  Drittel  der  Länge  des  basalen  Theiles 
der  Subgenitalplatte  erhebt  sich  ein  thränenförmiger,  glänzender. 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  715 

glatter  und  brauner  Anhang,  welcher  mit  dem  dünneren  Theile 
angewachsen  und  mit  dem  stärkeren  direct  nach  hinten  gerichtet 
ist,  so  dass  er  nur  wenig  von  der  Bauchfläche  absteht.  Auf  der 
Rückenseite  ist  das  neunte  Segment  kurz  und  trägt  auf  seinem 
Hinterrande  in  der  Mitte  ähnlich  wie  auch  das  achte  eine  kleine 
knoplTörmige  Erhöhung.  Das  zehnte  Segment  (Taf.  V,  Fig.  2) 
ist  oben  sehr  kurz,  wird  aber  auf  den  Seiten  länger  und  endiget 
schief  dreieckig,  indem  es  neben  dem  Seitenrande  der  Sub- 
genitalplatte  schräg  zugeschnitten  ist.  Hinten  ist  es  durch  eine 
schiefe  Fläche  verschlossen,  welche  aus  drei  Theilen  besteht: 
aus  einem  trapezoiden  mittleren  und  jederseits  aus  einem 
seitlichen  dreieckigen  Theile;  zwischen  dem  mittleren  und 
den  beiden  seitlichen  Theilen  zieht  sich  von  dem  seitlichen, 
durch  den  Hinterrand  des  zehnten  Segmentes  gebildeten 
Winkel  neben  der  Wurzel  der  Cerci  bis  zum  hinteren  Umrisse 
des  mittleren  Feldes  eine  seichte  muldenartige  Vertiefung.  Die 
Seitentheile  umschliessen  mit  ihrer  unteren  Kante  die  Wurzel 
der  Cerci.  Unter  dem  Hinterrande  des  mittleren  Feldes  ist  die 
Hinterwand  eingedrückt,  so  dass  der  Hinterrand  selbst  als  eine 
Querkante  hervorragt,  unter  welcher  sich  der  mediane  Lobus 
(Fig.  5)  wieder  erhebt.  Er  ist  auf  seiner  Wurzel  ringsum  von 
einem  starken,  auf  der  Bauchseite  erweiterten,  Chitinreifen 
umschlungen,  welcher  auf  der  eingedrückten  Dorsalseite  in 
zwei  etwas  vorragende  mit  feinen  und  kurzen  Haaren  be- 
setzte und  an  dem  Gipfel  des  Höckers  sich  endigende  Chitin- 
'  streifen  verlängert  ist.  Der  Grundriss  von  diesem  Höcker  ist 
in  der  Ansicht  von  vorne  breit  eiförmig,  unten  bogenförmig 
gewölbt,  oben  massig  ausgeschnitten;  von  der  Seite  erscheint 
er  wie  ein  an  der  Spitze  kugelig  abgerundeter  Kegel.  Cerci 
sitzen  auf  einem  breiten  basalen  Theile  (Taf.  V,  Fig.  4), 
welcher  oben  rings  um  das  Grififelglied  durch  einen  starken 
Chitinstreifen  verstärkt  ist;  dieser  verlängert  sich  auf  der  gegen 
die  Mittellinie  gekehrten  Seite  bis  zu  dem  medianen  Lobus, 
und  auf  der  Aussenseite  bis  zu  der  Seitenkante  des  zehnten 
Ringes  in  einen  schmalen,  starken,  hornigen  Seitenstreifen. 
Auch  entlang  der  Basis  des  Grundtheiles  zieht  sich  ein  starker 
Chitinstreifen,  welcher  aber  auf  der  Innenseite  sich  im  rechten 
Winkel  wieder  nach  vorne  umbiegt  und  an  der  Spitze  von  der 


716  Fr.  Klapälek, 

Übrigen  Oberfläche  absteht,  wodurch  er  einen  starken,  dom- 
artigen, hornigen  Fortsatz  bildet,  welcher  in  der  Ansicht  von 
oben  aus  der  Spalte  zwischen  der  Subgenitalplatte  und  den 
oberen  Theilen  hervorragt.  Die  übrige  Fläche  dieses  Grund- 
theiles  ist  mit  langen  Borsten  besetzt.  Die  eigentlichen  Griffel 
bestehen  aus  einem  einzigen  walzenförmigen  Gliede,  welches 
mit  kurzen  Börstchen  besetzt  ist.  Auf  der  hinteren  Seite  ist  er 
abgeflacht  und  trägt  in  einer  seichten  Vertiefung  einen  kleinen 
Höcker. 

Die  inneren  Geschlechtstheile  (Taf.  V,  Fig.  6)  sind 
ähnlich  entwickelt  wie  bei  Taeniopteryx  irifasciaia,  mit  der 
Ausnahme,  dass  der  Ein-  und  Ausführungsgang  der  Samen- 
blase nicht  so  lang  verbunden  sind,  wodurch  die  Samenblase 
selbst  mehr  abgerundet  und  verhältnissmässig  breiter  wird.  Die 
Mündung  des  Ausführungsganges  der  männlichen  Genitalien 
öffnet  sich  auf  einem  kleinen  Wärzchen,  welches  zwar  mehr 
als  bei  T.  trifasciata  hervorragt,  aber  vor  der  Öffnung  selbst 
keine  besonderen  hornigen  Schildchen  trägt.  Über  ihr  und 
unterhalb  des  medianen  Höckers  öffnet  sich  der  After. 

Das  Weibchen  hat  einen  aus  zehn  deutlichen  Ringen 
bestehenden  Hinterleib;  auf  der  Bauchseite  sehen  wir  aber  nur 
neun  Ventralplatten,  da  der  letzte  Ring  nur  oben  hornig  ist; 
seine  verschmälerten  Seitenenden  reichen  bis  unter  die  Wurzel 
von  Cerci,  und  zwischen  diesen  Enden  ist  die  Cuticula  nur 
massig  chitinisirt  und  bildet  keinen  besonderen  Ventralbogen. 
Das  achte  Segment  trägt  den  Genitalporus  (Taf.  V,  Fig.  7),  und 
zwar  nicht  an  dem  Hinterrande,  sondern  vor  demselben  auf  der 
Fläche  selbst.  Es  bildet  sich  aber  keine  besondere  Subgenital- 
platte; die  Ventralplatte  bildet  eine  runde  Vertiefung,  deren 
Vorderrand  in  einen  kleinen,  harten,  viereckigen,  an  dem  Hinter- 
rande etwas  ausgeschnittenen  Fortsatz  verlängert  ist;  dieser 
bedeckt  von  oben  zwei  subtrianguläre,  weiche,  fein  warzige 
Läppchen  (Taf.  V,  Fig.  8),  nämlich  die  eigenen  Seitenlippen 
der  Geschlechtsöffnung,  welche  zwischen  ihnen  sich  befindet. 
Die  Bauchfläche  des  neunten  Ringes  ist  hinten  halbkreisförmig 
verlängert,  an  den  Seiten  und  vorne  durch  eine  Falte  begrenzt, 
in  der  Mitte  etwas  gewölbt  und  von  einem  breit  eiförmigen 
Umrisse;    durch    diese  Gestalt   erinnert  sie   auffallend   an  die 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  717 

Subgenitalplatte.  Unterhalb  des  Hinterrandes  des  zehnten 
Ringes  erhebt  sich  ein  eiförmiger,  stark  chitinisirter,  auf  der 
Rückenseite  eingedrückter  Höcker  (Taf.  V,  Fig.  9  und  10),  der 
in  seiner  Lage  und  Form  dem  medianen  Lobus  des  Männchens 
entspricht.  Jederseits  von  ihm  steht  auf  der  Bauchseite  ein  in 
der  Seitenansicht  massig  gewölbter  Lobus  von  einer  in  der 
Ansicht  von  unten  subtriangulärer,  auf  der  Aussenseite  im 
rechten  Winkel  ausgeschnittener,  auf  der  Innenseite  bogen- 
förmig gerundeter  Form.  In  dem  seitlichen  Ausschnitte  sitzen 
die  kurzen,  etwa  achtgliedrigen  Cerci.  Beide  diese  Ventral- 
lappen entsprechen  den  Subanalklappen,  weil  zwischen  ihnen 
und  dem  dorsalen  Lobus,  der  die  Supraanalklappe  bildet,  der 
After  sich  öffnet.  Alle  drei  Analklappen  sind  mit  kurzen 
Härchen  bedeckt. 

Die  inneren  Geschlechtstheile  bestehen  aus  zwei 
Ovarien,  die  am  Anfange  verwachsen  sind  und  von  denen 
jedes  einen  selbständigen  Eiergang  besitzt.  Die  Eiröhren  sind 
ungemein  zahlreich.  Die  Eiergänge  münden  getrennt  in  die 
Scheide  ein  und  dienen  als  Behälter  für  die  reifenden  Eier. 
Auf  ihrem  Hinterrande  mündet  in  die  Scheide  das  Recep- 
taculum  seminis,  welches  eine  kugelige  Gestalt  hat  und 
in  einen  blinden,  an  seinem  Grunde  wieder  etwas  kugelig 
erweiterten  Fortsatz  ausläuft. 

Taeniopteryx  trifasciata. 

(Tal.  V,  Fig.  12—25.) 

Das  Männchen  zeigt  auf  dem  Rücken  um  ein  Segment 
mehr  als  auf  dem  Bauche,  so  dass  wir  bis  zu  den  für  Fort- 
pflanzungszwecke modificirten  Segmenten  auf  dem  Rücken 
acht,  auf  dem  Bauche  nur  sieben  vollkommene  Ringe  zählen. 
Das  erste  Segment  hat  einen  schmalen  Dorsalbogen,  und  sein 
Ventralbogen  ist  mit  dem  hinteren  Theile  des  Metasternum 
verwachsen.  Der  neunte  dorsale  Ring  (Fig.  12)  ist  ebenfalls 
kurz,  nur  auf  den  Seiten,  wo  er  sich  an  den  Ventralbogen 
anschliesst,  ist  er  bedeutend  erweitert.  Der  zu  ihm  gehörige 
Ventralbogen  ist  sehr  verlängert  und  bildet  eine  grosse  Sub- 
genitalklappe,  welche  doppelt  so  lang  ist  wie  der  Seitenrand 
des  Dorsalbogens  und  alle  hinter  ihm  gelegenen  Theile  über- 


718  Fr.  Klapälek, 

ragt  Sie  trägt  am  Grunde  einen  in  der  Mittellinie  situirten, 
kleinen,  wenig  über  die  übrige  Fläche  erhobenen  und  nur  an 
der  Spitze  etwas  abstehenden,  blassen,  kahlen,  zungenförmigen 
Anhang;  der  Hinterrand  der  Subgenitalplatte  ist  lippenartig 
nach  oben  gebogen  und  durch  drei  seichte  Einschnitte  in 
niedrige  Läppchen  getheilt.  Das  zehnte  Segment  (Taf.  V,  Fig.  2) 
ist  nur  auf  dem  Rücken  theilweise  chitinisirt;  es  hat  die  Form 
eines  schmalen,  querliegenden  in  der  Mitte  in  ein  seichtes 
Grübchen  vertieften  Bogens,  an  dessen  Hinterrand  sich  jeder- 
seits  vom  Grübchen  ein  kurzes,  aber  breites,  stumpf  dreieckiges 
Chitinschildchen  ansetzt.  Dieses  ist  an  den  Seiten  mit  einem 
seitlichen,  weit  nach  hinten  reichenden  Chitinschildchen  eng 
verbunden,  so  dass  zwischen  beiden  nur  eine  schmale,  einem 
dreieckigen  Ausschnitte  ähnliche  Stelle  chitinfrei  bleibt.  Der 
übrige  Theil  des  Ringes,  bis  auf  kleine  Chitinplättchen,  auf  die 
sich  die  Griffel  stützen,  ist  weich,  und  zwar  hauptsächlich  aus 
dem  Grunde,  dass  er  grösstentheils  unter  der  grossen  Subgenital- 
platte verborgen  ist.  Auf  der  Rückenseite  senkt  sich  die  Hinter- 
wand des  Ringes  hinter  dem  mittleren  dorsalen  Grübchen  und 
bei  dpn  seitlich  von  ihm  liegenden  dreieckigen  Schildchen 
schief  nach  unten  und  innen.  Hinter  dem  Grübchen  selbst  ist 
eine  kleine  dreieckige  Stelle,  welche  etwas  mehr  chitinisirt  ist 
und  hinter  ihr  wieder  zieht  sich  in  die  Quere  ein  tiefer  Eindruck, 
aus  welchem  sich  ein  querellipsoider,  stark  chitinisirter,  glatter, 
glänzend  brauner  Lobus  (Fig.  16)  erhebt,  welcher  sich  hinten 
und  unten  in  einen  zungenförmigen  Fortsatz  verlängert;  dieser 
ist  ebenfalls  stark  chitinisirt,  derRuthe  von  einigen  Trichopteren 
nicht  unähnlich,  der  ganzen  Länge  nach  gleich  breit  und  krümmt 
sich  wieder  nach  oben.  Vor  seinem  Ende  ziehen  sich  auf  der 
Bauchseite  zwei  kurze  Längsleisten,  zwischen  welchen  sich 
eine  rinnenartige  Vertiefung  zieht.  Mit  seiner  Bauchseite  hängt 
sehr  eng  —  so  dass  er  mit  dem  ellipsoiden  Lobus  fortgerissen 
wird,  wenn  wir  diesen  wegpräpariren  wollen  —  ein  weicher, 
nur  auf  den  Seiten  schwach  chitinisirter  Anhang,  welcher  flach, 
an  der  Spitze  abgerundet  und  oben  etwas  vorgezogen  und  vor 
dem  so  gebildeten  Vorsprunge  mit  einer  Öffnung  versehen  ist, 
aus  welcher  drei  starke  Borsten  hervorragen.  Wenn  wir  den 
ellipsoiden  Lobus  sammt  seinen  Anhängen  herauspräpariren 


Geschlechtstheüe  der  Plecopteren.  719 

und  darauf  die  drei  Borsten  verfolgen,  finden  wir  in  der  Seiten- 
ansicht, dass  sie  sich  gleich  hinter  der  Öffnung  innerhalb  des 
untersten  Anhanges  wieder  vereinigen  und  eine  einfache  Chitin- 
gräte bilden,  welche  sich  in  den  ellipsoiden  Lobus  zieht,  dort 
eine  halbe  Windung  umschreibt  und  sich  an  der  rechten  Seite 
auf  der  dorsalen  Fläche  befestigt.  Ich  war  nicht  im  Stande  die 
Muskeln  zu  finden,  welche  sich  auf  dieselbe  ansetzen  und  sie 
bewegen  würden;  es  geschieht  wahrscheinlich  durch  die  Be- 
wegung des  ganzen  Lobus.  Auf  jeder  Seite  unterhalb  des 
medianen  Lobus  und  seiner  beiden  Anhänge  erheben  sich 
weiche  Seitentheile,  welche  auf  der  Bauchseite  eng  verwachsen 
sind  und  von  den  Seiten  die  zwischen  ihnen  gelegene  After- 
öffnung verdecken.  Wenn  wir  eine  lebendige  Taeniopteryx 
beobachten,  sehen  wir,  dass  diese  Theile  sehr  beweglich  sind, 
und  sich  oft  seitwärts  öffnen  und  gegen  die  Mittellinie  wieder 
schliessen.  Auf  ihrem  Seitenrande  sitzen  die  Cerci  (Fig.  15),  ihr 
Basaltheil  ist  nach  innen  und  oben  erweitert;  in  der  Seiten- 
ansicht erscheint  er  dütenartig  vertieft  und  trägt  auf  der  unteren 
und  äusseren  Seite  dieser  Vertiefung  ein  kleines,  kugeliges, 
horniges  Glied,  welches  auf  dem  Gipfel  gewöhnlich  noch  ein, 
aber  sehr  kleines,  wärzchenförmiges,  rudimentäres  Glied  trägt. 
Ringsherum  ist  das  erste  Glied  mit  steifen  Börstchen  besetzt. 
Den  interessantesten  Theil  aller  Anhänge  bildet  ein  paariger,  an 
dem  Hinterrande  nur  mittelst  einer  schmalen  Basis  befestigter 
Apparat.  Auf  dem  Hinterrande  der  rechten  Seite,  auf  der  unteren 
Fläche  des  zehnten  Ringes  sehen  wir  (Taf.  V,  Fig.  14  und  17) 
ein  eigenthümliches  Organ,  welches  aus  einem  kurzen  aber 
weiten,  auf  seiner  Oberfläche  chitinisirten  Röhrchen  besteht, 
welches  zwar  auf  der  Bauchseite  offen,  aber  durch  einen  drei- 
eckigen und  weichen  Zipfel  theilweise  verdeckt  ist;  die  Basis 
von  diesem  Zipfel  ist  mit  kurzen  Fühlborsten  besetzt.  Innerhalb 
des  Röhrchens  befindet  sich  die  zweimal  umgelegte  Basis  eines 
starken  peitschenformigen  Anhanges,  welcher  auf  der  Innen- 
seite weit  aus  dem  Röhrchen  hervorragt.  Wenn  wir  diesen 
Anhang  unter  stärkerer  Vergrösserung  untersuchen  (Taf.  V, 
Fig.  18),  sehen  wir,  dass  sich  auf  ihm  drei  spiralförmige, 
parallel  gewundene,  durchscheinende  Lamellen  ziehen,  welche 
ein  klein  wenig  oberhalb  der  Stelle  anfangen,  wo  der  Anfang 


720  Fr.  Klapalek, 

aus  dem  Röhrchen  hervorragt;  ihr  Rand  ist  mit  sehr  feinen 
Cilien  besetzt.  Auf  der  linken  Seite  befindet  sich  ein  Organ, 
welches  eine  ähnliche  Zusammensetzung  zeigt,  aber  kleiner 
bleibt,  nicht  so  stark  chitinisirt  ist  und  des  peitschenförmigen 
Anhanges  völlig  entbehrt.  Der  Zipfel,  welcher  auf  dem  recht- 
seitigen  Organe  den  offenen  Theil  des  Röhrchens  bedeckt,  ist 
zwar  bei  dem  linkseitigen  schmäler,  dafür  aber  länger,  ist  an 
dem  gegen  die  Mittellinie  gekehrten  Rande  mit  einer  Reihe  von 
starken  Borsten  besetzt  und  an  der  Basis  auch  mit  feinen  Fühi- 
borsten  versehen.  Wenn  wir  jetzt  die  grosse  Subgenitalplatte 
beseitigen,  indem  wir  dieselbe  mittelst  einer  Schere  abschneiden, 
können  wir  die  Bauchfläche  des  zehnten  Bauchringes  sehen. 
Es  ist  nämlich  die  Subgenitalklappe,  einen  schmalen  Streifen 
am  Grunde  ausgenommen,  vollkommen  frei,  und  auf  ihrer  Innen- 
seite ebenso,  wie  auf  der  Aussenseite  mit  steifen  Börstchen  be- 
setzt. Kurz  hinter  der  Stelle  wo  die  zarte  Innenwand  der  Sub- 
genitalplatte wieder  nach  hinten,  um  die  zehnte  Bauchplatle  zu 
bilden,  umbiegt,  finden  wir  zwei  symmetrisch  an  der  Mittellinie 
gelegene,  kleine,  dreieckige  Chitinplättchen,  welche  sich  etwas 
abbiegen  lassen.  Wenn  wir  sie  umbiegen  oder  abtrennen  und 
von  der  Rückenseite  betrachten,  sehen  wir,  dass  sie  von  beiden 
Seiten  die  Genitalöffnung  schützen  (Taf.  V,  Fig.  19).  Der  ven- 
trale und  dorsale  Rand  der  Geschlechtsöffnung  ist  in  ein  kleines 
rundliches  Läppchen  verlängert,  wodurch  sie  die  Form  von 
etwas  geöffneten  Lippen  bekommen. 

Die  Hoden  bestehen  aus  12 — 11  eiförmigen  Bläschen, 
welche  auf  der  dorsalen  Seite  des  ziemlich  starken  und  langen 
Samenganges  stehen;  beide  Samengänge  sind  an  ihrem  Anfange 
verwachsen.  Vor  dem  Ende  sind  sie  durch  eine  kurze  und  weite, 
schlingenförmige  Samenblase  verbunden;  diese  ist  sehr  stark 
und  übergeht  gleich  neben  der  Einmündung  jedes  Samenganges 
wieder  in  einen  Ausführungsgang.  Beide  Ausführungsgänge 
sind  bis  zur  Genitalöffnung  getrennt  und  mit  jedem  von  beiden 
verbindet  sich  ein  Ende  einer  ebenfalls  schlingenförmigen 
Schleimdrüse,  deren  Länge  die  Länge  der  Samenblase  einmal 
übertrifft. 

Das  weiblicheAbdomen  zeigt  auf  der  Dorsalseite  zehn, 
auf  der  Bauchseite  nur  acht  deutliche  Segmente,  weil  die  Ven- 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  721 

tralplatte  des  ersten  mit  dem  Metasternum  verwachsen  ist  und 
jene  des  letzten  fehlt.  Die  Genitalöffnung  (Fig.  21)  befindet  sich 
auf  dem  achten  Ringe,  aber  nicht  an  dem  Hinterrande,  sondern 
etwa  in  der  Mitte  seiner  Fläche;  sie  ist  durch  keine  besondere 
Anhänge  ausgezeichnet,  und  ist  durch  zwei  parallele,  quer- 
liegende, aber  nicht  vorspringende  Lippen  begrenzt,  zwischen 
welchen  die  Körperwand  vertieft  ist.  Die  Oberfläche  dieser 
Vertiefung  ist  mit  feinen  Wärzchen  besetzt  und  jederseits  von 
der  Öffnung  selbst  sind  die  weichen  Theile  mit  Fühlborsten 
versehen.  Eine  Subgenitalplatte  ist  hier  nicht  entwickelt.  Die 
Ventralplatte  des  neunten  Ringes  (Fig.  22)  ist  etwas  verlängert 
und  erinnert  uns  durch  ihre  Form  an  die  Subgenitalplatte  des 
Männchens,  besitzt  aber  keinen  basalen  Anhang.  Das  zehnte 
Segment  ist  nur  auf  dem  Rücken  als  ein  Chitinbogen  entwickelt; 
es  verengt  sich  allmälig  an  den  Seiten  und  verliert  sich  unter 
den  Seitenrändern  der  verlängerten  Ventralplatte  des  neunten 
Ringes.  Wenn  wir  aber  das  letzte  Segment  herauspräpariren, 
so  sehen  wir,  dass  es  sich  auch  auf  der  Bauchseite  von  dem 
neunten  deutlich  durch  eine  Cuticula  absetzt,  welche  ein  wenig 
stärker  chitinisirt  ist  als  an  anderen  weichen  Stellen.  Das  Hinter- 
ende des  zehnten  Segmentes  ist  oben  durch  einen  einfach 
halbkugeligen,  stark  chitinisirten  und  mit  Börstchen  besetzten 
Höcker  (homologon  des  ellipsoiden  Lobus  beim  Männchen) 
und  jederseits  durch  eine  niedrige  Erhöhung  geschlossen, 
welche  nur  aussen,  das  ist  auf  der  Bauchseite  chitinisirt  ist 
und  auf  der  äusseren  dorsalen  Seite  den  Cercus  trägt.  Die 
Griffel  sind  zwar  verkürzt  stümmelartig,  zeigen  aber  doch  an 
dem  Ende  eine  deutliche  Gliederung,  welche  drei  bis  vier 
Glieder  andeutet.  Unterhalb  des  mittleren  und  zwischen  beiden 
seitlichen  Höckern  befindet  sich  der  After. 

Die  Ovarien  bestehen  aus  zahlreichen  Eiröhren,  welche 
auf  zwei  ziemlich  starken  gefässartigen  Röhren  sitzen.  Diese 
sind  mit  ihren  Vorderenden  verwachsen  (Taf.  V,  Fig.  24)  und 
bilden  da  ein  kurzes  unpaares  Röhrchen;  ihr  Hinterende  ver- 
längert sich  in  die  Eiröhren,  welche  kurz  bevor  sie  in  die 
Scheide  einmünden  sich  zu  einem  unpaaren  Gange  verbinden. 
Die  Scheide  (Fig.  25)  ist  ellipsoid  und  trägt  auf  ihrem  hinteren 
Theile  den  Samenbehälter;   dieser  ist  ebenfalls  ellipsoid  und 


722  Fr.  Klapälek, 

ruht  auf  dem  Hinterende  der  Scheide.  Nach  vorne  entsendet  er 
einen  kurzen  muskulösen  Ausführungsgang,  welcher  sich  auf 
der  rechten  Seite  über  die  Scheide  nach  vorne  zieht,  dann 
wieder  nach  hinten  umkehrt  und  etwa  im  zweiten  Drittel  in 
die  Scheide  einmündet.  Die  in  den  Ausführungsgang  führende 
Öffnung  des  Receptaculum  ist  mit  einer  bogenförmigen,  eigent- 
lich gabeiförmigen  Chitinleiste  versehen,  von  deren  Mitte  sich 
noch  ein  unpaarer  Arm  wie  ein  Ansatz  auf  der  Fläche  des 
Receptaculum  nach  hinten  zieht. 

Die  Gattung  Taeniopteryx  bietet  uns  wieder,  und  zwar 
besonders  im  männlichen  Geschlechte  eine  selbständige  und 
von  übrigen  abweichende  Form  des  Fortpflanzungsapparates, 
so  in  seinen  inneren  wie  äusseren  Theilen.  Als  besonders 
charakteristisch  sind  folgende  Merkmale  zu  bezeichnen:  Die 
neunte  Ventralplatte  ist  wie  bei  den  meisten  Plecopteren  in 
eine  Subgenitalklappe  verlängert,  aber  sie  trägt  nicht  die 
Geschlechtsöffnung  an  der  Spitze,  sondern  diese  befindet  sich 
an  ihrer  inneren  Wurzel  selbst  und  ist  von  ihr  vollkommen 
verdeckt.  Die  Subgenitalplatte  selbst  ist  aussen  an  der  Wurzel 
mit  einem  kleinen  Anhange  versehen.  Cerci  sind  verkürzt,  und 
zwar  beim  cT  bis  auf  ein  einziges  Glied,  bei  9  auf  eine  kurze 
(bis  achtgliedrige)  Reihe  von  Gliedern.  Die  Supraanalklappe  ist 
als  ein  ellipsoider  Lobus  entwickelt,  welcher  entweder  einfach 
bleibt  (T,  nebulosaj,  oder  weiter  sich  differencirt  und  mit  ver- 
schiedenen Fortsätzen  versehen  ist,  deren  Ursprung  noch 
unbekannt  ist  (T.  trifasciata).  Beide  Subanalklappen  sind 
schwach  entwickelt,  niedrig  und  ihr  unterer  Theil  ist  besonders 
merkwürdig  modificirt.  Er  läuft  entweder  an  der  Mittellinie  in 
einen  starken  hornigen  Dorn  aus  oder  ist  asymmetrisch  und 
bildet  den  peitschenförmigen  Fortsatz  des  J.  trifasciata.  Ich 
war  anfangs  geneigt,  dieses  Organ  als  eine  Modification  des 
zehnten  ventralen  Bogens  selbst  anzusehen.  Seine  physio- 
logische Bedeutung  ist  schwer  zu  erforschen,  es  ist  aber  mehr 
als  wahrscheinlich,  dass  es  eine  wichtige  Rolle  bei  der  Über- 
führung des  Samens  in  das  Receptaculum  seminis  spielt.  Die 
inneren  männlichen  Geschlechtstheile  sind  fast  vollkommen 
paarig.  Die  Hoden  sind  bloss  auf  ihrem  Vorderende  ver- 
wachsen,  haben    aber   zwei    selbständige  Samengänge,    eine 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  723 

doppelte    schlingenförmige    Samenblase    und    eine    ebenfalls 
schlingenförmige  Schleimdrüse. 

Das  Weibchen  ist  dadurch  ausgezeichnet,  dass  sich  die 
Geschlechtsöffnung  auf  der  Fläche  der  achten  Ventralplatte 
befindet,  welche  keine  Subgenitalklappe  bildet.  Dafür  ist  die 
neunte  Ventralplatte  etwas  klappenartig  verlängert.  Auch  beim 
Weibchen  sind  die  Subanalklappen  schwächer  entwickelt  als 
bei  übrigen  Plecopteren,  und  die  Supraanalklappe  hat  die 
Form  eines  kugeligen  Höckers.  Auch  die  weiblichen  inneren 
Geschlechtstheile  sind  fast  durchgehends  paarig.  Die  Ovarien 
sind  nur  auf  dem  Anfange  verwachsen  und  die  Eiergänge 
münden  fast  getrennt  in  die  Scheide  ein,  da  sie  sich  erst  kurz 
vor  der  Einmündung  zu  einem  unpaaren  Gange  vereinigen.  Der 
Samenbehälter  ist  bei  beiden  Arten  gross. 

Morphologische  Betrachtungen. 

In  dem  Vorhergehenden  habe  ich  mich  bemüht,  die  Be- 
schreibungen der  äusseren  und  inneren  Genitalien  so  objectiv 
als  möglich  zu  geben  und  habe  mich  nicht  in  die  morpho- 
logische Beurtheilung  einzelner  Theile  eingelassen,  wo  es  nicht 
für  das  Verständniss  nothwendig  war,  um  die  benützte  Be- 
nennung zu  rechtfertigen.  Jetzt  will  ich  es  versuchen,  den 
morphologischen  Werth  einzelner  Theile  festzustellen,  inso- 
weit es  bei  unserer  jetzigen  Kenntniss  der  Insectenanatomie 
möglich  ist.  Dabei  werden  wir  auch  die  von  den  älteren  Autoren 
geäusserte  Meinung  gebührend  in  Betracht  ziehen. 

Die  erste  von  den  hier  vorkommenden  Fragen  ist,  wie  viele 
Segmente  den  Hinterleib  der  Plecopteren  bilden.  Die  Mehrzahl 
der  Autoren  und  mit  ihnen  Pictet  halten  das  Abdomen  beim 
Männchen  und  Weibchen  für  zehngliedrig;  von  den  Segmenten 
sind  allerdings  nicht  alle  als  vollkommene  Ringe  entwickelt. 
Dr.  Gerstäcker  hält  dagegen  das  Abdomen  von  Nemura 
lateralis  für  neungliedrig  und  stützt  sich  dabei  auf  den  Ver- 
lauf der  Tracheenkiemen,  obwohl  er  früher  schon  der  Gattung 
Pteronarcys  und  Diamphipnoa  zehn  Segmente  zuerkannt  hat. 
Ich  habe  nicht  die  Gelegenheit  gehabt,  die  frisch  ausgekrochenen 
Thiere  in  dieser  Hinsicht  zu  untersuchen,  darum  habe  ich  voll- 
kommen entwickelte  Larven  untersucht,  um  die  bei  ihnen  vor- 


724  Fr.  Klapälek, 

kommende  Segmentzahl  sicher  zu  stellen  und  habe  gefunden, 
dass  bei  allen  mir  bekannten  Gattungen  die  Zahl  zehn 
constant  bleibt,  und  dass  die  Segmente  sehr  ähnlich  wie  bei 
den  vollkommen  entwickelten  Insecten  ausgebildet  sind.  Da 
aber  die  Concentration  des  Körpers  keineswegs  —  auch  bei 
Nemura  —  so  fortgeschritten  ist,  dass  sich  keine  Spur  vom 
ersten  Segmente  zeigen  würde,  und  da  wir  im  Gegentheil  bei 
den  meisten  Arten  die  erste  Dorsalplatte  wohl  entwickelt,  wenn 
auch  etwas  verkürzt  sehen,  und  die  dazugehörige  Ventralplatte 
oft  gut  sichtbar  ist,  so  müssen  wir  in  allen  Fällen  zehn 
Abdominalsegmente  als  normal  halten.  Wenn  aber  der  erste 
Ventralbogen  zu  fehlen  scheint,  ist  es  immer  besser  eine  Ver- 
wachsung derselben  mit  dem  Metasternum  vorauszusetzen,  als 
die  erste  Dorsalplatte  als  eingeschaltet  zu  bezeichnen.  Die  Ver- 
schmelzung der  ersten  Bauchplatte  mit  dem  Metasternum  ist 
bei  verschiedenen  Gattungen  im  verschiedenen  Grade  vorge- 
schritten, aber  auch  dort,  wo  sie  am  grössten  ist,  können  wir 
die  Grenze  zwischen  beiden  Theilen  als  eine  seichte  Querfurche 
verfolgen. 

Die  übrigen  Segmente  sind  sehr  gleichmässig  entwickelt 
bis  auf  die  letzteren,  welche  in  eine  engere  Beziehung  zu  den 
Geschlechtstheilen  traten  und  bedeutend  modificirt  sind.  Bei 
den  Weibchen,  bei  welchen  die  Verhältnisse  immer  einfacher 
sind,  ist  es  das  siebente,  oder  achte,  oder  alle  beide  Segmente, 
und  in  einem  weit  geringerem  Masse  das  neunte.  Wir  können 
da  drei  verschiedene  Fälle  unterscheiden.  Bei  der  Mehrzahl  der 
Arten  ist  die  achte  Bauchplatte  mehr  oder  minder  verlängert 
und  klappenartig  entwickelt  und  ihr  Hinterrand  verdeckt  die  an 
dem  Ende  des  achten  Segmentes  befindliche  Genitalöffnung; 
die  neunte  Bauchplatte  ist  zwar  gewöhnlich  flach,  aber  übrigens 
normal  entwickelt.  Bei  der  Gattung  Taeniopteryx  befindet  sich 
die  Genitalöffnung  auf  der  Fläche  der  achten  Bauchplatte,  welche 
zu  diesem  Zwecke  grübchenartig  vertieft  ist  und  keine  Sub- 
genitalplatte  bildet;  aber  auch  das  vorhergehende  Segment 
bleibt  normal,  wogegen  die  neunte  Bauchplatte  ein  wenig 
klappenartig  verlängert  ist.  Ich  glaube,  dass  wir  hier  mit  einer 
Übertragung  der  männlichen  Merkmale  auf  das  Weibchen  zu 
thun  haben,  denn  die  cf  dieser  Gattung  zeichnen  sich  durch 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  725 

eine  mächtig  entwickelte  Subgenitalplatte  aus.  Bei  der  Gattung 
Nemura  ist  die  Geschlechtsöffnung  ebenfalls  auf  dem  achten 
Segmente,  aber  der  siebente  Ring  bildet  eine  lange  Subgenital- 
platte, welche  bis  an  die  Basis  des  neunten  Segmentes  reicht. 
Beim  Männchen  treffen  diese  Umbildungen  das  neunte 
Segment,  welches  immer  der  Träger  der  Geschlechts- 
öffnung ist.  Gewöhnlich  ist  die  Bauchplatte  dieses  Segmentes 
verlängert  und   bildet  die  Subgenitalplatte,  welche  eigentlich 
nur  eine  Duplicatur  seines  Integuments  ist.  Die  Öffnung  selbst 
befindet  sich  entweder  an  derSpitze  der  Subgenitalplatte,  welche 
in  diesem  Falle  gewöhnlich  in  einen  Zipfel  vorgezogen  ist,  oder 
ist  durch  die  Klappe  gänzlich  verdeckt  und  liegt  dort,  wo  ihre 
innere  Wand  in  die  Basis  der  zehnten  Ventralplatte  übergeht. 
In  selteneren  Fällen  bleibt  die  Subgenitalplatte  kurz  und  ver- 
deckt dann  allerdings  nicht  die  Geschlechtsöffnung  (Leuctra). 
In  meisten  Fällen  ist  die  männliche  Subgenitalplatte  an  ihrer 
Wurzel  mit  einem  kleinen  Anhange  von  länglicher  Form  ver- 
sehen, welcher  aber  bei  trockenen  Exemplaren  mit  der  ganzen 
Wurzel  der  Subgenitalplatte  so  unter  das  vorhergehende  Seg- 
ment eingezogen  ist,  dass  es  scheint  als  ob  er  dem  Hinterrande 
des  achten  angehöre,  was  wir  wirklich  bei  Dr.  Gerstäcker 
(1.  c.  S.  239)  angeführt  finden  (natürlich  mit  der  Bezeichnung 
dieses  Segmentes  als  des  siebenten).  Nur  bei  Dictyopteryx  ist 
der  Hinterrand  des  achten  Segmentes  so  ausgeschnitten,  als 
ob  auf  ihm  ein  ähnlicher  Anhang  entstehen  sollte.  Bei  allen 
anderen    Arten    sehen   wir,    wenn   wir   das  -neunte   Segment 
herauspräpariren,    dass    der   Anhang    nur   diesem    Segmente 
angehört  und  manchmal  (bei  Ta&niopteryx  nebulosa)  ziemlich 
weit  von  der  Wurzel  sich  befindet. 

Das  zehnte  Segment  stellt  uns  den  Analring  vor, 
denn  immer  mündet  auf  ihm  derVerdauungscanal  nach  aussen. 
Wenn  wir  seine  morphologischen  Elemente  kennen  lernen 
wollen,  müssen  wir  zuerst  das  Hinterleibsende  des  Weibchens 
untersuchen.  Hier  ist  es  in  der  Regel  vollkommen  ringförmig 
entwickelt  und  geschlossen;  selten  bleibt  die  Bauchseite  gänz- 
lich weich.  Bei  den  Männchen  dagegen  ist  es  auf  der  Bauch- 
.  Seite  gewöhnlich  verkümmert,  und  zwar  desto  mehr,  je 
mächtiger  die  Subgenitalplatte  entwickelt  ist;  nur  in  selteneren 


726  Fr.  Klapälek, 

Fällen  finden  wir  die  zehnte  Bauchplatte  vollkommen  ausge- 
bildet und  den  ganzen  Ring  geschlossen,  was  immer  als  ein 
Zeichen  einer  niedrigeren  Entwicklungsstufe  (Dictyopteryx)  zu 
nehmen  ist.  In  einigen  Fällen  macht  sich  die  zehnte  Ventral- 
platte  wenigstens  in  der  Weise  geltend,  dass  sie  zur  Ausbildung 
der  Genitalanhänge  beiträgt.  So  bei  Nemura  inconspicua  über- 
geht sie  in  zwei  säbelförmige  Chitingräten;  möglicherweise 
bildet  sie  bei  Taeniopteryx  nebulosa  zwei  Dornen,  bei  T,  tri- 
fasciata  die  zwei  jederseits  von  der  Medianlinie  ausgebildeten 
Organe,  was  noch  weiterer  Studien  und  besonders  derKenntniss 
anderer  verwandter  Arten  braucht. 

Von  den  abdominalen  Gliedmassen  sind  nur  die  Cerci 
entwickelt;  es  fehlen  die  Genitalfüsse,  welche  so  gut  bei  den 
Ephemeriden  und  Trichopteren,  ja  auch  bei  manchen  Ortho- 
pteren ausgebildet  sind,  den  Plecoptercn  vollkommen.  Die 
Griffel  (Cerci)  sind  oft  vielgliedrig  fadenförmig,  fühlerartig; 
in  einigen  Fällen  sind  sie  beim  cT  eingliedrig,  beim  9  aber  nur 
abgekürzt;  ein  anderesmal  sind  sie  bis  auf  ein  Glied  reducirt, 
welches  verschieden  gestaltet  und  an  der  Spitze  hakenförmig 
erweitert  ist,  um  beim  Ergreifen  und  Festhalten  des  weiblichen 
Abdomen  behilflich  zu  sein,  doch  finden  wir  auch  in  diesem 
Falle  immer  noch  die  Rudimente  der  nächstfolgenden  Glieder 
in  der  Form  eines  kleinen  knopfförmigen  Höckers,  der  auf  einer 
blassen  und  weichen  Stelle  sitzt,  oder  ist  das  Ende  des  Cercus 
geringelt. 

Nebst  den  Grifl*eln  trägt  das  Analsegment  noch  einige 
Anhänge,  die  man  aber  nicht  für  Gliedmassen,  sondern  für 
blosse  Erljebungen  und  Verlängerungen  der  Hinterwand  des- 
selben halten  muss,  und  welche  natürlich  beim  9  die  einfachste 
Form  haben.  Es  sind  die  drei  Afterklappen  (valvulae 
anales).  Die  obere  Afterklappe  erhebt  sich  als  ein  mehr  oder 
weniger  hoher  Höcker  unterhalb  des  Hinterrandes  des  zehnten 
Dorsalbogens,  der  gewöhnlich  in  einer  engen  Verbindung  mit 
dem  Rande  selbst  steht,  so  dass  er  oft  mit  ihm  zugleich  sich 
verlängert;  gerade  unter  ihm  öffnet  sich  der  After.  Auf  dem 
ventralen  Theile  der  Hinterwand  erhebt  sich  jederseits  vom 
After  ein  in  der  Regel  grösserer,  mehr  oder  weniger  flacher,  in 
der  Ansicht  von  der  Seite  subtriangulärer,    aussen  horniger, 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  727 

innen  häutiger  Anhang,  der  oft  als  ein  schmaler  Chitinstreifen 
zwischen  den  Cercus  und  den  Seitenrand  des  zehnten  Ringes 
reicht.  Der  obere  unpaare,  sowie  auch  diese  unteren  paarigen 
Anhänge  sind  beweglich,  lassen  sich  ein  wenig  einziehen  und 
hervorstrecken,  heben  und  senken.  Wir  wollen  den  oberen 
unpaaren  als  die  obere  Afterklappe  (valvula  supraanalis), 
und  die  zwei  unteren  als  die  unteren  Afterklappen  (valvulae 
subanales)  bezeichnen.  Am  besten  wird  uns  ihr  morphologischer 
Werth  klar,  wenn  wir  sie  mit  den  Anhängen  des  letzten  Seg- 
mentes bei  den  Orthopteren-  und  Libellenlarven  vergleichen, 
bei  welchen  letzteren  wir  allerdings  fünf  Spitzen  finden,  von 
denen  aber  die  zwei  seitlichen  den  Griffeln  entsprechen. 

Ich  habe  die  Afterklappen  als  blosse  Erhebungen  der 
Hinterwand  des  letzten  Ringes  bezeichnet;  man  könnte  aber 
noch  die  Frage  stellen,  warum  wir  sie  nicht  für  Rudimente  des 
11.  Ringes  halten  wollen.  Dem  steht  nach  meiner  Überzeugung 
ihre  grosse  Wandelbarkeit  im  Wege,  denn  sie  zeigen  alle 
Stufen  ihrer  Entwickelung,  ja  können  auch,  wie  dies  bei  ver- 
schiedenen Insectengruppen  vorkommt,  gänzlich  fehlen.  Und 
doch  müssen  wir  die  Segmentzahl  bei  den  Insecten  als  ziemlich 
constant  halten.  Bei  den  niederen  Gruppen  zeigt  sich  die 
Zahl  10  für  die  Abdominalsegmente  als  eine  feste.  Die  End- 
giltige  Entscheidung  in  dieser  Sache  gebührt  allerdings  der 
Embryologie. 

Bei  den  Männchen  finden  wir  in  seltensten  Fällen  die  After- 
klappen normal  entwickelt  (Chloroperla,  Isopteryx);  meisten- 
theils  erfahren  sie  bedeutende  Modificationen,  indem  sie  sich 
zu  Hilfsorganen  für  die  Copulation  umbilden,  und  zwar  ent- 
weder nur  die  unteren,  oder  häufiger  nur  die  oberen,  oder  endlich 
alle  beide.  Ein  Beispiel  der  ersteren  finden  wir  bei  Dicfyopieryx, 
wo  sie  vergrössert  und  verlängert  sind,  und  indem  sie  sich  fest 
an  einander  legen  einen  starken,  walzenförmigen,  an  der  Spitze 
abgerundeten  Fortsatz  bilden.  Auch  bei  der  Gattung  Leuctra 
haben  die  Subanalklappen  eine  Modificirung  erlitten,  indem  sie 
in  einen  kurzen  Dorn  auslaufen  und  sich  an  die  Chitingräten, 
zwischen  welchen  die  Genitalien  ausmünden,  fest  anlehnen 
Den  zweiten  Fall  sehen  wir  bei  Capnia,  Taeniopteryx  und 
einem  Theile  der  Gattung  Nemura,  bei  welchen  die  Supraanal- 

Sitzb.  d.  mathem.-naturw.  Cl.;  CV.  Bd.,  Abth.  I.  48 


728  Fr.  Klapälek, 

klappe  entweder  in  ein  langes  ruthenformiges  Organ  (Capnia, 
Nemura)  verlängert  ist  oder  einen  ellipsoiden  Höcker  bildet 
welcher  auf  seiner  Bauchseite  noch  besondere  Fortsätze  tragen 
kann  (Taeniopteryx).  Den  dritten  Fall  finden  wir  bei  der  Gattung 
Nemura^  und  zwar  bei  der  der  A^.  marginata  verwandten 
Gruppe. 

Oft  finden  wir  auch  die  Rückenfläche  der  Hinterieibs- 
Segmente  für  Erleichterung  der  Copulation  modificirt^  be- 
sonders bei  jenen  Arten,  welche  einen  mächtig  entwickelten 
ruthenartigen  Fortsatz  besitzen.  Bei  der  Gattung  L^M^ra  tragen 
die  hinteren  Hinterleibssegmente  verschiedene  -Fortsätze  und 
ihre  Fläche  selbst  ist  in  der  Mittellinie  vertieft;  welche  Aufgabe 
diese  Anhänge  haben,  können  wir  vermuthen,  wenn  wir  den 
starkgekrümmten  Hinterleib  des  cT  bei  Copula  beobacbtert  Sie 
bilden  eine  feste  Stütze  für  das  Ende  des  Abdomen,  und  bilden 
wahrscheinlich  mit  den  Spitzen  der  unteren  Afterklappen  eine 
Klemme,  welche  die  Subgenitalplatte  des  Weibchens  festhält. 
Eine  ganz  ähnliche  Function  hat  der  ruthenartige  Fortsatz, 
welcher  sich  weit  hinauf  gegen  den  Rücken  krümmen  kann, 
die  Subgenitalplatte  gegen  den  Rücken  drückt,  und  so  wie  in 
einer  Klemme  hält.  Bei  Isopieryx  ist  diese  Aufgabe  auf  den 
schwarzen  zahnartigen  Fortsatz  des  letzten  Segmentes  über- 
tragen. 

Der  Bau  der  inneren  Geschlechtstheile  zeigt  eine 
bedeutende  Mannigfaltigkeit,  und  wir  können  hier  verschiedene 
Formen  derselben  unterscheiden.  Unter  den  d"  Organen  sind 
jene  der  Dictyopteryx  und  nach  Imhof  auch  der  Perla  am 
einfachsten  und  wahrscheinlich  die  primitivsten,  und  können 
uns  als  ein  typisches  Beispiel  dienen.  Die  Hodendrüsen  haben 
wie  bei  den  meisten  Gattungen  {Nemura  und  Leuctra  ausge- 
nommen) die  Form  von  einfachen,  kugeligen  oder  eiförmigen 
Hodenbläschen,  welche  auf  einem  gemeinsamen  Gange  sitzen« 
welcher  aber  jederseits  in  einen  langen,  aber  dünnen  Samen- 
gang übergeht;  diese  bleiben  in  ihrer  ganzen  Länge  getrennt, 
und  sind  vor  ihrem  Ende  durch  ein  kurzes,  aber  starkes, 
unpaares  Gefäss  verbunden,  welches  schlingenartig  nach  vorne 
gebogen  ist,  und  welches  wir  für  die  Samenblase  halten  müssen, 
da  sich  dasselbe  bei  reifenden  Männchen  mit  der  Samenflüssig- 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  729 

keit  füllt  und  desto  mächtiger  entwickelt  ist,  je  reifer  das  Indivi- 
duum. Direct  vor  der  Geschlechtsöffnung  mündet  in  jeden  Samen- 
gang eine  vielfach  gewundene  Schleimdrüse. 

Bei  der  Gattung  Chloroperla  und  Isopteryx  sind  die  cf 
Genitalien  nach  demselben  Typus  gebaut,  aber  es  kommt  hier 
schon  ein  ektodermaler  letzter  Abschnitt  vor,  welcher  bei 
LHciyopteryx  vollkommen  fehlt,  da  beide  Samengänge  bis  zur 
Geschlechtsöffnung  selbst  getrennt  bleiben;  er  bleibt  bei  der 
ersten  von  beiden  Gattungen  kurz,  bei  der  anderen  ist  er  aber 
sehr  lang.  Dieser  Abschnitt  stellt  uns  den  Ductus  ejacula- 
torius  vor.  Dort,  wo  die  Samengänge  in  denselben  einmünden, 
ist  seine  Wand  sehr  verdickt  und  mit  einer  starken,  der  Be- 
wegung desselben  dienenden  Muskulatur  versehen;  in  dem 
inneren  Lumen  stehen  auf  einer  niedrigen  Erhöhung  die  zwei 
Chitingräten,  deren  Länge  der  Länge  des  Samenausführungs- 
ganges proportionirt  ist.  Wie  ich  schon  oben  bemerkt  habe,  ist 
ihre  Aufgabe  unsicher.  Man  ist  geneigt  zu  glauben,  da  sie  zu- 
sammen ein  dünnes  Röhrchen  bilden,  dass  sie  der  Überführung 
der  Samenflüssigkeit  in  den  weiblichen  Behälter  dienen.  Ihrem 
Ursprünge  nach  sind  sie  mit  dem  Titillator  der  Orthopteren  und 
mit  den  »Penis-sheaths«  der  Trichopteren  homolog.  Es  würde 
nichts  absolut  unmögliches  darin  sein,  wenn  sie  in  Ermangelung 
eines  besonderen  Penis  die  Function  desselben  übernommen 
hätten.  Für  die  Ruthe  selbst  können  wir  sie,  glaube  ich,  nicht 
halten,  da  dieselbe  den  letzten  Abschnitt  des  Samenausführungs- 
ganges bildet,  und  diese  Chitingräten  nur  dornartige  Bildungen 
desselben  sind. 

Bei  der  Gattung  Capnia  ist  der  Typus  der  Geschlechts- 
theile derselbe  wie  bei  Dictyopteryx,  ausgenommen  dass  der 
Hode  vollkommen  einfach  und  unpaarig  bleibt,  und  erst  der 
gemeinsame  Gang  in  zwei  selbständige  Samengänge  sich  theilt. 
Die  Samenblase  ist  mächtig  entwickelt. 

Bei  der  Gattung  Taeniopteryx  sind  die  Hoden  nur  an  dem 
Anfange  selbst  verwachsen;  eine  interessante  Abweichung 
bilden  die  Schleimdrüsen,  welche  mächtig  entwickelt  sind, 
und  zwar  ähnlich  wie  die  Samenblase  als  ein  schlingenförmig 
gebogenes  Gefäss,  dessen  jedes  Ende  in  das  Ende  eines  Samen- 
ganges mündet. 

48* 


730  Fr.  KUpalek, 

Bei  der  Gattung  Leuctra  und  Nemura  finden  wir  die  zweite 
Form  der  Hodendrüsen  —  nämlich  die  kurz  schlauchförmige. 
Bei  der  ersteren  von  beiden  Gattungen  sind  die  Hoden  voll- 
kommen getrennt  und  die  Samengänge  vereinigen  sich  in  einen 
unpaaren  gemeinsamen  Ausführungsgang,  welcher  zwischen  den 
Enden  beider  Samengänge  eine  länglich  ei-  oder  keulenförmige 
Samenblase  trägt.  Die  Geschlechtsöfifnung  befindet  sich  zwischen 
zwei  äusseren  Chitingräten,  welche  hier  zweifellos  die  Samen- 
flüssigkeit führen.  Doch  bilden  sie  noch  keine  Ruthe  in  dem 
eigenen  Sinne,  weil  sie  ebenfalls  nur  dornartige  Bildungen  des 
Integuments  sind.  Bei  der  Gattung  Nemura  ist  der  Hode 
einfach  unpaarig  und  besteht  aus  einem  Büschel  von  kurzen 
blinden,  auf  einem  gemeinschaftlichen  Gange  sitzenden  Hoden- 
schläuchen; die  Samengänge  sind  paarig  und  vereinigen  sich 
ziemlich  weit  vor  der  Geschlechtsöffnung  zu  einem  unpaaren 
Gange,  der  aber  keine  Samenblase  trägt,  sondern  selbst  als 
Samenbehälter  dient.  Die  von  Dr.  Gerstäcker  beschriebenen 
c/'  Geschlechtstheile  der  A^.  marginata  bilden  eine  genug  grosse 
Abweichung,  um  unseren  Zweifel  an  der  Richtigkeit  der  Beob- 
achtung zu  rechtfertigen;  sie  stellen  uns  einen  beiPlecoptören 
einzig  dastehenden  Fall  vor,  dass  die  Hoden  durch  einfache 
Schläuche  vertreten  sind. 

Eine  selbständige  Ruthe,  wie  wir  sie  bei  höheren  Ordnungen 
finden,  ist  bei  den  Plecopteren  nicht  entwickelt.  Bei  den 
meisten  Arten  finden  wir  ja  auch  keinen  ektodermalen  Samen- 
ausführungsgang, und  die  Geschlechtsöffnung  liegt  frei  ent- 
weder in  der  weichen  Haut  zwischen  dem  neunten  und  zehnten 
Segmente,  oder  am  Ende  von  Abschnitten  der  Ventralplatte  des 
neunten  Segmentes.  Dr.  Gerstäcker  hat  (l.  c.)  eben  solchen 
Abschnitt  bei  A^.  marginata  »Ruthe«  benannt,  doch  halte  ich 
dieses  Verfahren  nicht  für  richtig,  denn  dieser  Theil  entspricht 
keineswegs  der  Vorstellung  und  Definition  einer  Ruthe.  Bei 
Perla  maxima  glaubt  Dr.  Imhof  (1.  c.  S.  32)  einen  vorstreck- 
baren Penis  gefunden  zu  haben,  kann  aber  nichts  näheres 
darüber  berichten,  da  er  nur  auf  Querschnitten  die  Spitze  des- 
selben gesehen  hat.  Auch  in  diesem  Falle  handelt  es  sich 
gewiss  nur  um  den  vorgestülpten  Theil  des  Samenausführungs- 
ganges. 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  73 1 

Die  Eierstöcke  bestehen  aus  zahlreichen  Eiröhren  und  sind 
entweder  voUkommen  getrennt  (Letictra  und  Capnia),  oder  nur 
am  Anfange  verwachsen  (Nemura,  Taeniopteryx),  oder  es  sitzen 
die  Eiröhren  auf  einem  gemeinsamen  Gange,  der  in  zwei  selbst- 
ständige Eiergänge  übergeht  (Dictyopteryx,  Perla,  Isopteryx, 
Chloroperla),  Die  Eiergänge  haben  auch  die  Aufgabe  von  Eier- 
behältern; es  sammeln  sich  die  reifenden  Eier  in  ihnen,  bis  sie 
dann  auf  einmal  die  inneren  Geschlechtstheile  verlassen.  Die 
Kiergänge  münden  meistentheils  getrennt  in  die  Scheide  ein, 
ausnahmsweise  vereinigen  sie  sich  kurz  vor  der  Einmündung 
zu  einem  kurzen  Röhrchen.  Die  Scheide  selbst  ist  eine  ekto- 
dermale  Bildung  und  ist  durch  eine  kugelige,  länglich  eiförmige 
oder  elliptische  Vertiefung  der  Körperwand  selbst  gebildet.  Zu 
ihr  gesellt  sich  regelmässig  (nur  bei  Capnia  habe  ich  es  nicht 
gefunden)  ein  Receptaculum  seminis  von  sehr  verschie- 
dener Form.  In  seinen  Ausführungsgang  oder  die  Ausfuhrs- 
öffnung ergiessen  sich  oft  kleine  Schleimdrüsen.  Bursa 
copulatrix  ist  nur  bei  einigen  Arten  der  Gattung  Nemtira 
entwickelt  und  dient  zur  Aufnahme  des  voluminösen  ruthen- 
artigen Fortsatzes. 

Dr.  Gerstäcker  war  bemüht  (1.  c.  S.  249)  auch  die  Art 
zu  erforschen,  wie  die  Copulation  zu  Stande  kommt,  schliesst 
aber,  und  zwar  ungerechtfertigt,  aus  dem  Umstände,  dass  es 
ihm  nicht  geglückt  hat,  diesen  Act  bei  der  von  ihm  beschriebenen 
Nemnra-Avt  zu  beobachten,  auf  die  Unrichtigkeit  der  Angaben 
Pictets,  und  gibt  seine  eigenen  Ansichten  an.  Dieses  ist  aber 
nur  der  beste  Beweis  dafür,  wie  gefährlich  es  ist,  ein  Urtheil 
ohne  eigene  directe  Beobachtung  zu  fallen.  Ich  hatte  mehrmals 
die  Gelegenheit  bei  verschiedenen  Plecopteren-Gattungen 
die  Copulation  zu  beobachten  und  kann  die  Worte  Pictets 
vollkommen  bestätigen  und  einige  Details  beifügen.  Die  Copula- 
tion geschieht  in  der  That  immer  auf  verborgenen  Stellen  und 
der  ganze  Act  dauert  sehr  kurze  Zeit.  Das  Männchen  besteigt 
den  Rücken  des  Weibchens,  welches  sich  sehr  phlegmatisch 
und  ruhig  verhält,  biegt  seinen  Hinterleib  auf  einer  Seite 
(beliebig  auf  welcher)  nach  unten  unter  den  Bauch  des  Weib- 
chens und  streckt  ihn  stark  aus;  dann  krümmt  es  sein  Ende 


732  Fr.  Klapälek, 

wieder  nach  oben  und  vorne,  so  dass  seine  Bauchfläche  die 
Bauchfläche  des  Weibchens  berührt,  und  schiebt  jetzt  seine 
Copulationsanhänge  in  den  weiblichen  Genitalporus  ein,  und 
wenn  er  einen  Apparat  fürs  Festhalten,  die  sich,  wie  oben 
gesagt  worden  ist,  auf  dem  Rücken  befinden,  besitzt,  ergreift 
er  wie  mit  einer  Zange  die  weibliche  Subgenitalplatte.  Bei 
solchem  Vorgehen  ist  es  keinesfalls  nothwendig,  dass  sich  der 
ruthenartige  Fortsatz  auf  die  Bauchseite  krümme,  sondern, 
indem  er  in  die  Scheide,  respective  in  die  Bursa  copulatrix 
eindringt,  klammert  er  sich  fest  an  den  Rücken  des  d"  Hinter- 
leibes und  schliesst  auf  diese  Weise  die  Subgenitalplatte  fest; 
durch  die  Grübchen  und  Höcker,  die  auf  der  cf  Rückenfläche 
sich  befinden,  wird  dieses  Ergreifen  noch  fester.  In  Folge  dessen 
bleibt  die  Verbindung  doch  immer  nur  ziemlich  lose  und  für 
das  Männchen  sehr  ermüdend,  dauert  aber  dafür  nur  kurz,  und 
das  o^  kann  in  jedem  Momente  loslassen. 

Schlussbemerkungen. 

Wenn  wir  die  Form  der  inneren  Genitalien  und  ihre 
äusseren  Anhänge  mit  denen  der  übrigen  Ordnungen  ver- 
gleichen, können  wir  nicht  ihre  primitive  Entwicklungsstufe 
übersehen,  ja  ich  glaube,  dass  wir  in  dieser  Ordnung  weit 
einfachere  Verhältnisse  finden  als  bei  den  Apterygoten  selbst, 
die  doch  als  eine  der  ursprünglichsten  Formen  der  Insecten 
betrachtet  werden.  Es  wird  gewöhnlich  die  paarige  Ent- 
wicklung der  Genitalien  für  die  ursprüngliche  gehalten,  was 
sehr  natürlich  ist,  da  wir  bei  den  niederen  Arthropoden-Gruppen 
dieses  Verhältniss  finden.  Man  führt  demzufolge  gewöhnlich 
die  Genitalien  der  Ephemeride  n  als  ein  Beispiel  der  typischen 
Geschlechtstheile  an.  Ich  glaube  aber  im  Gegentheil,  ungeachtet 
der  grossen  Differencirung  der  Körpersegmente  selbst,  dass 
dieseGruppe  weit  höher  zu  stellen  ist  als  jene  derPlecopteren, 
oder  dass  sie  wenigstens  einen  ganz  anderen  Typus  vertritt. 
Um  diese  meine  Überzeugung  zu  begründen,  erlaube  ich  mir 
auf  zwei  Umstände  aufmerksam  zu  machen:  erstens,  dass  in 
der  Ordnung  Plecoptera  diejenigen  Arten,  welche  wir  als 
niedriger  organisirt  betrachten  müssen,  einfache,  schlingen- 
förmig    angelegte   Genitalien    besitzen,    und   zweitens,    dass 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  733 

diese    Form   der    bei    den  Myriopoden  normalen   Anordnung 
derselben  Organe  sehr  nahe  steht.  Bei  dieser  Classe  entwickehi 
sich  Ovarien  und  Hoden  meist  als  langgestreckte  Schläuche, 
die   aber  oft  paarige  Ausführungsgänge  haben.  Ja  bei  Scolo- 
pendra  complanaia  finden  wir  nax^h  Fahre  auch  eine  ähnliche 
schlingenförmige  Samenblase,  wie  sie  bei  den  Plecopteren  als 
eine  unter  den  Hexapoden  isolirte  Erscheinung  auftritt.   Wir 
können  uns  sehr  gut  vorstellen,  dass  die  Theilung  der  Samen- 
gänge so  weit  fortschreitet,  bis  die  Hodendrüsen  oder  Eiröhren 
auf  die  paarigen  Gänge  zu  stehen  kommen  und  diese  zuletzt 
einen  einzigen  gemeinsamen  Gang  bilden.  Die  Verhältnisse  bei 
Nemura  stehen  dem  Verhalten  der  Genitalien  bei  den  Myrio- 
poden sehr  nahe,  und  die  weiblichen  Organe,  welche  von  dem 
gemeinsamen  Eiergange  noch  einen  unpaaren  Gang  nach  vorne 
entsenden,  bilden  sozusagen  eine  Mittelstufe.  Doch  ich  will  die 
Sache  jetzt  nicht  ausführlich  behandeln,  da  ich  auf  dieselbe  in 
einer  künftigen  Arbeit  zurückzukommen  hoffe. 


^34  Fr.  Klapälek, 


Erklärung  der  Abbildungen. 


I.,  n.,  III.,. . .  .erstes,  zweites,  drittes  u.  s.  w.  Abdominalsegment 

A  =  Afrer. 

C=Cerci. 

D  =  Ductus  ejaculatorius. 

Gs  =  Schleimdrüsen. 

Li  =  Valvula  subanalis  (die  untere  Afterklappe). 

Ls  =  Valvula  supraanal is  (die  obere  Afterklappe). 

O  =  Ovarium. 

Od  =  Eiergang. 

P:=  Geschlechtsöffnung. 

Pg=  Chitingräten  bei  der  männlichen  Geschlechtsöffnung  (Titillator). 

Rs  =  Receptaculum  seminis. 

Sg=  Lamina  subgenitalis  (Subgenitalplatte). 

r=  Scheide. 

Vä  =■  Vas  deferens. 

Vs  =  Samenblase. 

Tafel  I. 
Fig.  1—8  DictyopUryx  microccphala  Pict. 
f.  Cerci  und  Subanalklappen.  Die  Ansicht  von  unten  28/1. 

2.  Ein  Griffel  und  Subanalklappe  heraus  präparirt  28/1. 

3.  Innere  Geschlechtsorgane  des  cf  8/1. 

4.  Ihr  Endabschnitt  mit  den  Schleimdrüsen  15/1. 

5.  Weibliches  Hinterleibsende  von  der  Bauchseite  15/1. 

6.  Scheide  mit  Receptaculum  seminis  15/1. 

7.  Ein  Ei  von  der  Seite  40  1. 

8.  Dasselbe  von  vorne  40/1. 

Fig.  9  —  18  Chloroperla  gramntatica  Scop. 
9.  Hinterleibsende  des  ^  von  der  Bauchseite  15/1. 

10.  Hinterrand  der  VIII.  Ventralplatte  bei  (^  40/1. 

11.  Letztes  Hinterleibssegment  des  ^  von  der  Bauchseite  .40/1. 

12.  Cercus  mit  der  Subanalklappe  60/1. 

13.  Letzter  Abschnitt  der  männlichen  Geschlechtsorgane  15,1. 

14.  Subgenitalplatte  und  Samenausführungsgang  20/1. 

15.  Titillator  100/1. 

16.  Weibliches  Hinterleibsende  von  der  Bauchseite  28/1. 

17.  Letzter  Abschnitt  der  weiblichen  Geschlechtsorgane  40  1. 

18.  Ei  40/1. 


Geschlechtstheile  der  Plecopteren.  735 

Fig.  19—25  Isopteryx  Iripunctata  Scop. 

19.  IX.  und  X.  männliches  Hinterleibssegment  von  der  Seite  60/1. 

20.  X.  männliches  Hinterleibssegment  von  oben  47/1. 

21.  Männliche  Geschlechtsorgane  15/1. 

22.  Männliche  Subgenitalplatte  und  Ductus  ejaculatorius  40/1. 

23.  Titillator  210/1. 

24.  Weibliches  Hinterleibsende  von  der  Bauchseite  40/1. 

25.  Letzter  Abschnitt  der  weiblichen  Geschlechtsorgane  15/1. 

Tafel  II. 
Fig.  1—8  Leuclra  nigra  Oliv. 

1.  Männliches  Hinterleibsende  von  der  Rückenseite  60/1. 

2.  Dasselbe  in  der  Seitenansicht  60/1. 

3.  Anhang  der  ^  Subgenitalplatte  60/1. 

4.  IX.  und  X.  männliches  Hinterleibssegment  von  der  Bauchseite  60/1. 

5.  Männliche  Geschlechtsorgane  15/1. 

6.  Geschlechtsöffnung  des  Männchens  210/1. 

7.  Weibliches  Hinterleibsende  von  der  Bauchseite  40/1. 

8.  Letzter  Abschnitt  der  9  Geschlechtsorgane. 

Fig.  9 — 19.  Leudra  cylindrica  De  Geer. 

9.  Männliches  Hinterleibsende  von  der  Rückenseite  60/1. 

10.  Dasselbe  von  der  Seite  60/1. 

11.  Anhang  der  Subgenitalplatte  60/1. 

12.  IX.  und  X.  männliches  Hinterleibssegment  von  der  Seite  60/1. 

13.  Dasselbe  von  der  Bauchseite  60/1. 

14.  Dasselbe  von  vorne  und  von  der  Seite  60/1. 

15.  Männliche  Geschlechtsorgane  6/1. 

16.  Weibliches  Hinterleibsende  von  der  Bauchseite  55/1. 

17.  Dasselbe  von  der  Rückenseite  55/1. 

18.  Subgenitalplatte  des  9  40/1. 

19.  Scheide  40/1. 

Tafel  m. 
Fig,  1  —7.  Capnia  nigra.  P. 

1.  Männliches  Hinterleibsende  in  der  Seitenansicht  60/1. 

2.  Dasselbe  von  vorne  60/1. 

3.  X.  Segment  von  der  Bauchseite. 

4.  Ausmündung  der  (^  Geschlechtsorgane. 

5.  Männliche  Geschlechtsorgane. 

6.  Weibliches  Hinterleibsende  von  der  Bauchseite. 

7.  Scheide. 

Fig.  8—17.  Ncmura  inconspicua  Pict. 

8.  Männliches  Hinterleibsende  von  der  Bauchseite  40/1. 

9.  Dasselbe  von  der  Rückenseite  40/1. 


736  Fr.  Klapalek, 

p 

10.  IX.  und  X.  männliches  Hinterleibsegment  nach  einem  ganz  frischen  Exem- 

plare von  der  Seite  40/1. 

11.  Subgenitalplatte  des  cf  40/1. 

12.  X.  Segment,  Subanalklappen  und  Griffel  von  der  Bauchseite  40/1. 

1 3.  Das  Ende  des  ruthenartigen  Fortsatzes  (Supraanalklappe)  von  der  Bauch 

Seite  60/1. 

14.  Letzter  Abschnitt  der  (^  Geschlechtsorgane  28/1. 

15.  Weibliches  Hinterieibsende  von  der  Bauchseite  28/1. 

16.  Scheide  mit  dem  Samenbehälter  von  der  Rückenseite  40/1. 

17.  Dasselbe  von  der  Seite  40/1. 

Tafel  IV. 
Fig.  1 — 7.  Nemura  lateralis  Pict. 

1.  Männliches  Hinterleibsende  von  der  Bauchseite  50/1. 

2.  Dasselbe  in  der  Seitenansicht  50/1. 

3.  Dasselbe  von  der  Rückenseite  60/1. 

4.  Griffel  und  Subanalklappe  von  der  Bauchseite  50/1. 

5.  Ruthenartiger  Fortsatz  (SupraanalkUppe)  von  der  Seite  60/1. 

6.  Das  Ende  desselben  von  der  Rückenseite  60/1. 

7.  Männliche  Geschlechtsorgane  19/1. 

Fig.  8 — 19.  Nemura  variegata  Oliv. 

8.  Männliches  Hinterleibsende  von  der  Bauchseite  40, 1 . 

9.  Dasselbe  in  der  Seitenansicht  50/1. 

10.  Dasselbe  von  der  Rückenseite  47/1. 

1 1.  Griffel  von  der  Bauchseite  60/1. 

1 2.  Subanal-  und  Supraanalklappen  und  Griffel  von  vorne  und  ein  wenig  von 

der  Rückenseite  60/1. 

13.  Dasselbe  von  der  Rückenseite.   Beide  zusammengedrückt,  um  die  gegen- 

seitige Lage  der  Chitintheile  besser  zu  zeigen  60/1. 

14.  Dasselbe  von  der  Bauchseite  40/1. 

15.  Das  Ende  des  ruthenartigen  Fortsatzes  von  der  Rückenseite  60/1. 

16.  Weibliches   Hinterleibsende    mit    geschlossener  Genital  Öffnung   von   der 

Seite  20/1. 

17.  Dasselbe  mit  offener  Genitalöflfnung  20/1. 

18.  Weibliches  Hinterleibsende  von  der  Bauchseite  20/1. 

19.  Scheide  mit  Receptaculum  seminis  und  Bursa  copulatrix  (B  C)  40/1. 

Tafel  V. 
Fig.  1  —  11.  Taeniopteryx  mbulosa  L. 

1.  Männliches  Hinterleibsende  von  der  Bauchseite  40/1. 

2.  Dasselbe  von  der  Rückenseite  60/1. 

3.  Dasselbe  in  der  Seitenansicht  40/1. 

4.  Griffel  und  Subanalklappen  von  der  Bauchseite  60/1. 

5.  Letzter  Abschnitt  der  männlichen  Geschlechtsorgane  15/1. 


Geschlechtslheile  der  Plecopteren.  737 

7.  Weibliches  Hinterleibsende  von  der  Bauchseite  40/1. 

8.  Weibliche  Geschlechtsöffnung  60/1. 

Ö.  Weibliches  Hinterleibsende  in  der  Seitenansicht  40/1. 
10.  Dasselbe  von  der  Rückenseite  40/1. 
1  1.  Letzter  Abschnitt  der  P  Geschlechtsorgane  28. 

Fig.  12 — 25.  TaeniopUryx  trifasciata  Pict. 

12.  Männliches  Hinterleibsende  von  der  Seite  40/1. 

13.  Dasselbe  von  der  Rückenseite  40/1. 

14.  Supraanalklappe,    Griffel   und   Subanalklappen;    Subgenitalplatte    abge* 

schnitten.  60/1. 

15.  Dasselbe  in  der  Seitenansicht  60/1. 

16.  Supraanalklappe  mit  ihren  Fortsätzen  in  der  Seitenansicht  60/1. 

17.  Modißcirte  Subanalklappen  von  der  Bauchseite  40/1. 

18.  Das  Ende  des  peitschenartigen  Fortsatzes  mit  spiralgewundenen  l^mellen. 

19.  Männliche  Geschlechtsöffnung. 

20.  Männliche  Geschlechtsorgane. 

21.  Weibliches  Hinterleibsende  von  der  Rückenseite  40/1. 

22.  Dasselbe  in  der  Seitenansicht  40/1. 

23.  Weibliche  Geschlechtsöffnung  40/1. 

24.  Anfang  der  Eierstöcke  40/1. 

25.  Letzter  Abschnitt  der  weiblichen  Geschlechtsorgane. 


738  Pr.  Klapdlek,  Geschlechtstheile  der  Plecopteren. 


Inhaltsverzeichniss. 


Seile 

Vorwort    . • 683 

Literatur 685 

Beschreibung  der  Geschlechtstheile  von : 

Diciyoptery X  microcephala? ict 685 

Chloroperla grammatica  Scop 690 

IsopUryx iripuHCtaia  Sc op 692 

Leuctra  nigra  Oliv 695 

Lcuctra  cylindrica  DeOeer 697 

Capnia  nigra  V\oi 701 

Nemura  inconspicua  Fiel 704 

Nemura  laUralis? \ci 707 

Ncmura  variegata  OVw 709 

TacniopUryx  nebulosa  L 714 

TaeniopUryx  trifasciata  P  i  c  t 717 

Morphologische  Betrachtungen 723 

Schlussbemerkungen 732 

Erklärung  der  Abbildungen 734 


6 


n. 


m 


738  Fr.  Klapälek,  Geschlechtstheile  der  Plecoptercn. 


Inhaltsverzeichniss. 


Seite 

Vorwort     . • 683 

Literatur 68:. 

Beschreibung  der  Geschlechtstheile  von : 

DictyopUry X  microcephala? ici 6JS5 

Chloroperla grammatica  Scop 69" 

Isopieiy X  iripunctata  Scop 6&2 

Leuctra  nigra  Oliv 695 

Leuctra  cylindrica  D  e  G  e  e  r 697 

Capnia  nigra  Pia 7ui 

Nemurainconspicua  Pia TCH 

Nemura  lateralis  Pia 707 

Nemura  variegata  Oliv * 709 

TacniopUryx  nebulosa  L 714 

Taenioplery X  trifasciata?  ici 717 

Morphologische  Betrachtungen 723 

Schlussbemerkungen 732 

Erklärung  der  Abbildungen 7;h 


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Taf.V. 


Autor  ( 


LiOvAnftt  rTK  BaniwrarÜi.Wiw 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN. 


MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CV.  BAND.  IX.  HEFT. 


ABTHEILUNG  I. 

ENTHALT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  MINERALOGIE. 

KRYSTALLOGRAPHIE,  BOTANIK,  PHYSIOLOGIE  DER  PFLANZEN,  ZOOLOGIE, 

PALÄONTOLOGIE,  GEOLOGIE,  PHYSISCHEN  GEOGRAPHIE  UND  REISEN. 


741 


XXII.  SITZUNG  VOM  5.  NOVEMBER  1896. 


Erschienen:  Sitzungsberichte,  Bd.  105,  Abth.  I,  Heft  V— VII  (Mai— Juli) 
1896. 

Für  die  diesjährigen  Wahlen  sprechen  den  Dank  aus  Herr 
geheim,  Medicinalrath  Prof.  E.  Hering  in  Leipzig  für  seine 
Wahl  zum  ausländischen  Ehrenmitgliede  und  Herr  Prof.  B. 
Hatschek  in  Prag  für  seine  Wahl  zum  inländischen  corre- 
spondirenden  Mitgliede  dieser  Classe. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  L.  Schmarda  übersendet  eine 
Abhandlung  von  Dr.  A.  Nalepa,  Professor  am  k.  k.  Elisabeth- 
Gymnasium  in  Wien,  betitelt:  »Zur  Kenntniss  der  Phyllo- 
coptinen«. 

Herr  Dr.  Karl  Kellner  in  Hallein  übermittelt  ein  ver- 
siegeltes Schreiben  behufs  Wahrung  der  Priorität,  mit  der  Auf- 
schrift: »Experimenteller  Beweis  über  die  Verwandel- 
barkeit  der  sogenannten  Grundstoffe«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  L.  Boltzmann  überreicht  eine 
Abhandlung:  Ȇber  die  Unentbehrlichkeit  der  Atomistik 
in  der  Naturwissenschaft«. 

Das  w.  M.  Herr  Regierungsrath  Prof.  F.  Mertens  über- 
reicht eine  Abhandlung:  Ȇber  die  Transcendenz  der 
Zahlen  e  und  ic«. 

Ferner  überreicht  Herr  Regierungsrath  Mertens  folgende 
zwei  Abhandlungen: 

1.  »Darstellung  der  scheinbaren  Beleuchtung 
krummer  Flächen.  (Directe  Construction  der  Isophen- 
gen)«,  von  Herrn  Julius  Mandl,  k.  u.  k.  Hauptmann  des 
Geniestabes  in  Wien. 


742 

2.  »Zur  additiven  Erzeugung  der  ganzen  Zahlen«, 
von  Herrn  Dr.  R.  Daublebsky  v.  Sterneck  in  Wien. 

Das  c.  M.  Herr  Prof.  V.  Uhlig  aus  Prag  spricht  über  die 
geotektonischen  Ergebnisse  seiner  Reise  in  die  Ost- 
karpathen,  die  er  im  Sommer  1896  mit  Subvention  der  kaiserl. 
Akademie  unternommen  hat. 

Herr  Dr.  Carl  Hillebrand,  Assistent  derk.  k.  Universitäts- 
Sternwarte  zu  Wien,  überreicht  eine  Abhandlung:  »Ober  den 
Einfluss  der  Elasticität  auf  die  Schwankungen  der 
Polhöhe«. 


Selbständige  Werke  oder  neue,  der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

Haeckel  E.,  Systematische  Phylogenie  der  wirbellosen 
Thiere  (Inveriebrata),  IL  Theil  des  Entwurfs  einer  syste- 
matischen Phylogenie.  Berlin,  1896;  8*. 

Jahrbuch  der  organischen  Chemie,  herausgegeben  von 
Gaetano  Minunni  (Palermo).  Zweiter  Jahrgang,  1894. 
Leipzig,  1896;  8**. 


743 


XXIII.  SITZUNG  VOM  12.  NOVEMBER  1896. 


Herr  Prof.  Dr.  O.  Tumlirz  an  der  k.  k.  Universität  in 
Czemowitz  übersendet  eine  Abhandlung,  betitelt:  »Die  Strom- 
linie beim  Abfluss  einer  Flüssigkeit  durch  eine  kleine 
Öffnung  im  Boden  des  Gefässes«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof  G.  Ritter  v.  Esch  erich  überreicht  eine 
Abhandlung  von  Prof.  Dr.  O.Biermann  an  der  k.  k.  technischen 
Hochschule  in  Brunn,  betitelt:  »Zur  Reduction  AbeTscher 
Integrale  auf  elliptische«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof  C.  Toldt  überreicht  eine 
Abhandlung  von  Dr.  Richard  Heller  und  Dr.  Hermann 
V.  Schrötter  in  Wien,  betitelt:  >Die  Carina  tracheae,  ein 
Beitrag  zur  Kenntniss  der  Bifurcation  der  Luftröhre 
nebst  vergleichend  anatomischen  Bemerkungen  über 
den  Bau  derselben«. 


Sitzb.  d.  matliem.-natunv.  CK;  CV  Hd..  Abth.I.  4i> 


744 


XXIV.  SITZUNG  VOM  19.  NOVEMBER  1896. 


Das  w.M.  Herr  Director  E.  Weiss  überreicht  eine  Abhand- 
lung von  Herrn  Leo  Brenner,  Director  der  Manora-Stemwarte 
in  Lussinpiccolo,  unter  dem  Titel:  »Jupiterbeobachtungen 
1895/1896«. 

Das  w.  M.  Herr  Prof.  Franz  Exner  legt  eine  in  Gemein- 
schaft mit  Herrn  E.  Haschek  ausgeführte  Arbeit  vor,  betitelt: 
»»Untersuchungen  über  die  ultravioletten  Funken- 
spectra  der  Elemente«  (V.  Mittheilung). 

Ferner  legt  Herr  Prof.  Exner  eine  in  seinen)  Institute  von 
Herrn  Dr.  St.  Meyer  ausgeführte  Arbeit:  »Über  die  Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeit eines  mechanischen  Im- 
pulses in  gespannten  Drähten«  vor. 


SITZUNGSBERICHTE 


DER 


KAISERLICHEN  AKADEMIE  DER  WISSENSCHAFTEN, 


MATHEMATISCH -NATURWISSENSCHAFTLICHE  CLASSE. 


CV.  BAND.  X.  HEFT. 


ABTHEILUNG  I. 

ENTHALT  DIE  ABHANDLUNGEN  AUS  DEM  GEBIETE  DER  MINERALOGIE, 

KRYSTALLOGRAPHIE.  BOTANIK,  PHYSIOLOGIE  DER  PFLANZEN,  ZOOLOGIE, 

PALÄONTOLOGIE,  GEOLOGIE,  PHYSISCHEN  GEOGRAPHIE  UND  REISEN. 


49* 


747 


XXV.  SITZUNG  VOM  3.  DECEMBER  1896. 


Erschienen:  Sitzungsberichte,  Bd.  105,  Abth,  IL  a,  Heft  VII  (Juli  1896); 
Monatshefte  für  Chemie,  Bd.  17,  Heft  IX  (November  1896). 

Der  Vorsitzende  gibt  Nachricht  von  dem  eben  erfolgten 
Ableben  des  ausländischen  correspondirenden  Mitgliedes  dieser 
Classe,  Herrn  Benjamin  Apthorp  Gould,  Astronom  zu  Cam- 
bridge (U.  S.). 

Die  anwesenden  Mitglieder  geben  ihrem  Beileide  durch 
Erheben  von  den  Sitzen  Ausdruck. 

Herr  Prof.  Dr.  L.  Weinek,  Director  der  k.  k.  Sternwarte  in 
Prag,  übermittelt  als  Fortsetzung  seiner  Mondarbeiten  weitere 
25  photographische  Mondvergrösserungen  mit  hierauf  bezüg- 
lichen Erläuterungen. 

Der  Secretär  legt  folgende  eingesendete  Abhandlungen 
vor: 

1.  »Die  Abweichung  des  gesättigten  Wasserdampfes 
vom  Mariotte-Gay-Lussac'schen  Gesetze«,  von  Prof. 
Dr.  O.  Tumlirz  an  der  k.  k.  Universität  in  Czernowitz. 

2.  Ȇber  die  cubischen  Raumcurven,  welche  die 
Tangentenfläche  einer  vorgelegten  cubischen 
Raumcurve  in  vier,  fünf  oder  sechs  Punkten  be- 
rühren«, von  Prof.  Dr.  Gustav  Kohn  an  der  k.  k.  Univer- 
sität in  Wien. 

3.  »Die  postmortale  Diagnose  mittelst  einer  neuen 
Art  von  schwarzen  Strahlen,  der  sogenannten 
Kritik-Strahlen«,  von  Herrn  E.  Friedrich  in  Elbing 
(Westpreussen). 


748 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  V.  v.  Ebner  überreicht  eine 
Abhandlung  von  stud.  med.  G.  Günther,  Demonstrator  am 
histologischen  Institut  der  k.  k.  Universität  in  Wien:  »Über 
ein  Krystalloid  der  menschlichen  Schilddrüse«. 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  L.  Boltzmann  überreicht 
eine  Abhandlung  von  Dr.  Gustav  Jäger:  »Über  die  Fort- 
pflanzung des  Schalles  in  bewegter  Luft«. 


749 


XXVI.  SITZUNG  VOM  10.  DECEMBER  1896. 


Herr  Dr.  K.  Brunner  v.  Wattenwyl,  k.  k.  Ministerial- 
rath  i.  R.  in  Wien,  spricht  den  Dank  aus  für  den  ihm  zur  Heraus- 
gabe seines  Werkes:  »Die  Farbenpracht  der  Insecten«  von 
der  kaiserl.  Akademie  gewährten  Druckkostenbeitrag. 

Das  w.  M.  Herr  Ober-Sanitätsrath  Prof.  A.  Weichsel- 
baum überreicht  eine  Arbeit  aus  dem  pathologisch-anatomi- 
schen Institute  der  k.  k.  Universität  in  Wien  von  Dr.  J.  Halban: 
Ȇber  die  Resorption  der  Bacterien  bei  localer 
Infection«. 


Selbständige  Werke  oder  neue,   der  Akademie  bisher  nicht 
zugekommene  Periodica  sind  eingelangt: 

Retzius  Gustaf,  Das  Menschenhirn.  Studien  in  der 
makroskopischen  Morphologie.  (Mit  96  Tafeln  in  Licht- 
druck und  Lithographie.)  I.  Text;  II.  Tafeln.  Stockholm 
1896;  Folio. 


750 


XXVII.  SITZUNG  VOM  17.  DECEMBER  1896. 


Das  c.  M.  Herr  Hofrath  Prof.  E.  Ludwig  übersendet  eine 
Arbeit  aus  dem  chemischen  Laboratorium  der  k.  k.  technischer* 
Hochschule  in  Graz  von  Prof.  F.  Emich:  Ȇber  die  Ent- 
zündlichkeit von  dünnen  Schichten  explosiver  Gas- 
gemenge«. (I.  Mittheilung.) 

Das  w.  M.  Herr  Hofrath  V.  v.  Lang  überreicht  eine  Arbeit 
von  Dr.  A.  Lampa  in  Wien:  Ȇber  die  Brechungsquo- 
tienten einiger  Substanzen  für  sehr  kurze  elektrische 
Wellen«.  (IL  Mittheilung.) 

Das  w.  M.  Herr  Ober-Sanitätsrath  Prof.  A.  Weichselbaum 
überreicht  eine  im  pathologisch-anatomischen  Institute  der 
k.  k.  Universität  in  Wien  ausgeführte  Arbeit  von  Dr.  Frederic 
J.  Cotton  aus  Boston,  betitelt:  »Ein  Beitrag  zur  Frage  der 
Ausscheidung  von  Bakterien  durch  den  Thierkörper«. 

Herr  Dr.  Ernst  Murmann  in  Wien  überreicht  eine  Ab- 
handlung: Ȇber  die  quantitative  Analyse  des  Werk- 
kupfers«. 


Die  Sitzungsberichte  der  mathem.-naturw.  Classe 
erscheinen  vom  Jahre  1888  (Band  XCVII)  an  in  folgenden 
vier  gesonderten  Abtheilungen,  welche  auch  einzeln  bezogen 
werden  können: 

Abtheilung  I.  Enthält  die  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 
Mineralogie,  Krystallographie,  Botanik,  Physio- 
logie der  Pflanzen,  Zoologie,  Paläontologie,  Geo- 
logie, Physischen  Geographie  und  Reisen. 

Abtheilung  II.  a.  Die  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 
Mathematik,  ,Astronomie,  Physik,  Meteorologie 
und  Mechanik. 

Abtheilung  II.  b.  Die  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 
Chemie. 

Abtheilung  III.  Die  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 
Anatomie  und  Physiologie  des  Menschen  und  der 
Thiere,  sowie  aus  jenem  der  theoretischen  Medicin. 

Dem  Berichte  über  jede  Sitzung  geht  eine  Übersicht  aller 
in  derselben  vorgelegten  Manuscripte  voran. 

Von  jenen  in  den  Sitzungsberichten  enthaltenen  Abhand- 
lungen, zu  deren  Titel  im  Inhaltsverzeichniss  ein  Preis  bei- 
gesetzt ist,  kommen  Separatabdrücke  in  den  Buchhandel  und 
können  durch  die  akademische  Buchhandlung  Carl  Gerold*s 
Sohn  (Wien,  I.,  Barbaragasse  2)  zu  dem  angegebenen  Preise 
bezogen  werden. 

Die  dem  Gebiete  der  Chemie  und  verwandter  Theile  anderer 
Wissenschaften  angehörigen  Abhandlungen  werden  auch  in  be- 
sonderen Heften  unter  dem  Titel:  »Monatshefte  für  Chemie 
und  verwandte  Theile  anderer  Wissenschaften«  heraus- 
gegeben. Der  Pränumerationspreis  für  einen  Jahrgang  dieser 
Monatshefte  beträgt  5  fl.  oder  10  Mark. 

Der  akademische  Anzeiger,  welcher  nur  Original- Auszüge 
oder,  wo  diese  fehlen,  die  Titel  der  vorgelegten  Abhandlungen 
enthält,  wird,  wie  bisher,  acht  Tage  nach  jeder  Sitzung  aus- 
gegeben. Der  Preis  des  Jahrganges  ist  1  fl.  50  kr.  oder  3  Mark. 


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