Sitzungsberichte
ler
philosophisch-philologischen und
historischen Classe
der
k. b. Akademie der Wissenschaften
zu IVEünchen.
^ .;
Jahrgang 1877.
München.
Akademische Buchdruckerei von
P.
Straub.
1877.
In CommiBsion bei G. Franz,
AS
MS23
1&77
Uebersicht des Inhalts.
Die mit * bezeichneten Vorträge sind ohne Auszug.
0 öffentliche Sitzung zur Feier des 118. Stiftungstages der
Akademie am 28. März 1877.
Seite
Verkündung der Z o g ra p h o s - Preisaufgabe 31
v. Prantl: Nekrologe 32
v. Giesebrecht: Nekrologe 64
Oeffeniliclie Sitzung zur Vorfeier des Geburts- und Namens-
festes Seiner Majestät des Königs Ludwig IL am 25. Jidi 1877.
Neuwahlen 233
Philo sophisch -philologische Classe.
Sitzung vom 13. Januar.
Brunn: die Sculpturen von Olympia 1
Sitzung vom 3. März.
*Lauth: Troja's Epoche 30
*v. Maurer: Norwegens Schankung an den heil. Olaf .... 30
Sitzung vom 5. Mai.
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax 87
Bursian: Mittheilungen des Hrn. Konst. Karapanos z. Z. in Paris
über Dodona und dessen Ruinen 163
Lauth: Augustus Harmals 175
IV
Sitzung vom 2. Juni.
Seite
♦Bursiaii: die Bedeutung und die Verdienste des Philologen Fr.
Aug. Wolf 226
Sitzung vom 7. Juli.
*v. Christ: die Theile der griechischen Chorgesänge und ihre Be-
deutung f. d. Vortrag 227
Brunn: Eine Zuschrift des Hrn. Sig. Mineyko in Janina . . . 227
Sitzung vom 3. November.
v. Maurer: Die Berechnung der Verwandtschaft nach altnorwegi-
schera Rechte 235
Augsherger: Die Aristophanesscholien und der Codex Venetus A 254
v. Prantl: Daniel Wyttenbach als Gegner Kant's 264
Sitzung vom 1. Dezember.
J. Jolly: Ueber das indische Schuldrecht 287
*v. Christ: Die rhythmische Continuität der griechischen Chor-
gesänge 324
Historische Olasse. 4
Sitzung vom 13. Januar.
♦Friedrich: Ueber eine an den römischen Stuhl gerichtete Denk-
schrift der bayerischen Regierung über Attentata et violentiae
ex parte ordinariatus Frisingensis (c. 1670) 29
Sitzung vom 3. Februar.
*Wegele: Würzburgisches Nekrologium 29
*v. D ruf fei: Ueber Herzog Albrecht V. von Bayern in seinen
früheren Regierungsjahren 29
Sitzung vom 3. März.
♦Preger: Der Streit Ludwig des Bayern mit dem Papstthume . 30
Sitzung vom 5. Mai.
♦Föringer: Ueber Joh. Albr. Widmanstadt « . . 226
Sitzung vom 2. Juni.
Seite
*Heigel: Die Correspondenzen des Kurfürsten und Kaisers Karl
Albert mit dem Grafen Franz v. Seinsheim 227
Sitzung vom 3. November.
* v. Giesebrecht: Beiträge zur Geschichte Kaiser Friedrich's I. 286
Sitzung vom 1. December.
Gregorovius: Ein deutscher Bericht über die Eroberung Roms
durch die kaiserl. Armee Karl's V. i. J. 1527, von dem
Augenzeugen Ambr. v Gumppenberg 329
Einsendungen von Druckschriften 82, 228, 325, 397
Sitzungsberi chte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch-philologische Classe
Sitzung vom 13. Januar 1877.
Herr Brunn hält einen Vortrag.
„Die Sculpturen von Olympia."
In meinem vorjährigen Vortrage über Paeonios und
die nordgriechische Kunst theilte ich aus dem weiteren
Umfange meiner kunstgeschichtlichen Studien einige Ab-
schnitte mit, von denen ich glaubte hoffen zu dürfen, dass
sie für die Beurtheilung der neuentdeckten Sculpturen von
Olympia nicht ohne Nutzen bleiben würden. Diese Erwar-
tung ist insofern getäuscht worden, als man sich bis jetzt
wenig Mühe gegeben hat, die von mir aufgestellten Gesichts-
punkte ernsthaft in Betracht zu ziehen. Unterdessen sind
Photographien und Gypsabgüsse zugänglich geworden, und
so ist auch mir die Möglichkeit gegeben, mit eigenen Augen
zu sehen und zu prüfen, wie sich meine auf das früher zu-
gängliche Material begründeten Ansichten zu den Resultaten
der neueren Funde verhalten.
Es bieten sich diesmal der Forschung Aufgaben dar,
wie sie der neueren Kunstgeschichte häufig , der alten bis-
her fast noch nie gestellt worden sind. Wir haben es hier
nicht mit einem, sondern mit mehreren Originalwerken eines
uud desselben Künstlers, aber offenbar nicht aus einer und
derselben Zeit zu thun, so dass uns zum ersten Male die
[1877. 1. Phil. hist. Cl. 1.] 1
2 Sitzung der philotf.-j)hiloh (Hasse vom 13. Januar 1877.
Möglichkeit gegeben ist, aus den originalen Werken auf
die individuelle Entwickeln ng des Künstlers zurückzuschlies-
seu. Dieser Künstler aber arbeitet nicht in seiner Heimath,
unbeirrt von jedem fremden Einflüsse, sondern in der Fremde
an einem Orte, der zwar selbst nicht Sitz einer eigenthüm-
lichen Kunstübung ist, wohl aber einen Mittelpunkt bildet,
in dem sich die Arbeiten verschiedener Kunstschulen in
grosser Anzahl sammeln. Er steht ausserdem an einem der
Wendepunkte der Kunstgeschichte, an dem sich der Fort-
schritt zu höchster Vollkommenheit mit fast nie gesehener
Schnelligkeit vollzieht. Ausser den Werken stehen uns da-
bei wohl einige sicher überlieferte historische Thatsachen
zu Gebote; andere dagegen sind so schwankender Art, dass
sie , statt Licht zu verbreiten , erst des Lichtes bedürfen.
Es kann daher nicht überraschen , wenn manche Erschei-
nungen uns zunächst fremdartig oder widerspruchsvoll ent-
gegentreten ; und es erklärt sich aus der Lückenhaftigkeit
des historischen Materials, dass manche Nachricht mit glei-
cher Wahrscheinlichkeit nach verschiedenen Seiten gedeutet
werden kann. Giebt es nun keinen Maassstab, an welchem
der Werth dieser schwankenden oder sich widersprechenden
Nachrichten gemessen werden kann ? Die Antwort ist eigent-
lich selbstverständlich, und doch wird so selten ihr entsprechend
gehandelt! Man beeifert sich besonders in den Kreisen der
deutschen Gelehrten, alle möglichen historischen Hypothesen
aufzustellen und vernachlässigt dabei über Gebühr das, was
doch die Hauptsache sein sollte : die Monumente selbst. Ich
spreche es nicht ohne Beschämung aus, dass der künstle-
rische Charakter der aus deutschen Ausgrabungen hervor-
gegangenen Sculpturen von Olympia bisher nur von Seiten
zweier englischer Gelehrten, C. T. Newton und Sidney Col-
vin, eine eingehendere Würdigung erfahren hat, die freilich
in bescheidener Zurückhaltung noch Anstand nimmt, die
weiteren historischen Consequenzen zu ziehen. Der Weg
Brunn: Die Sculpturen von Olympia. 3
jedoch , den sie eingeschlagen, ist der einzige, der schliess-
lich zum Ziele zu führen vermag, nämlich der einer ana-
lytischen Betrachtung der Werke selbst. Wir müssen zuerst
erforschen, was die untrüglichsten Zeugen, eben diese Werke,
in ihrer eigenen künstlerischen Sprache aussagen , ehe wir
an die Beantwortung der weiteren Frage gehen dürfen,
wie sich diese Aussagen zu unsern sonstigen Ueberliefe-
rungen verhalten. Es ist aber hierbei nicht gleichgültig,
von welchem Punkte wir ausgehen. Zuerst war die Nike
gefunden worden, und als ein für sich allein selbständiges
und wenigstens in seinem Hauptmotiv verständliches Werk
zog sie die Aufmerksamkeit hauptsächlich und weit mehr
auf sich, als die in einzelnen Statuenfragmenten gefundene,
im Ganzen lückenhafte Giebelgruppe. Ausserdem erschien
die Arbeit an der letzteren flüchtig und vernachlässigt ; man
meinte, dass mindestens die Ausführung untergeordneten
Händen anvertraut gewesen sei, und erachtete sich dadurch
wohl auch berechtigt, ihr genaueres Studium ebenso nach-
lässig betreiben zu dürfen. Und doch sind gerade diese
Sculpturen von einer so bestimmt hervortretenden Eigen-
thümlichkeit , dass sie vor allen uns zu einer besonderen
Prüfung auffordern müssen.
Wir beginnen dieselbe nicht an den organischen For-
men der Körper, sondern an dem todten Stoffe der Ge-
wänder. In der archaischen Kunst sind wir gewohnt zu
sehen , dass dieser Stoff entweder eng am Körper anliegt,
oder dass er ohne Rücksicht auf die Formen desselben in
künstliche Falten gelegt ist. Beides ist gewissermassen un-
abhängig von einander. Das Gewand soll den Körper, wo dieser
hervortritt, nicht beeinträchtigen ; das Gewand soll wieder, wo
es nicht anliegt, den eigenen Gesetzen folgen. Eine Vermitte-
lung ergiebt sich erst allmählich. Auf der Höhe aber , in
der freien Kunst des Phidias, ist jede Falte bedingt durch
die besondere Natur des Stoffes, durch seine Schwere, die
4 Sitzung der philos -philol. Classe vom 13. Januar 1877.
Art, wie er bricht, durch die Form des Körpers, von wel-
cher sie sich ablöst, und durch die mehr oder miuder hef-
tige Bewegung, welche den Stoff anspannt, fliegen, flattern
lässt. Alles steht hier in der lebendigsten, aber nicht min-
der in der streng gesetzmässigsten Wechselwirkung , die
für andere Zufälligkeiten keinen Raum lässt. Es herrscht
durchaus das, was wir eine strenge Stylisirung nennen, ein
Abstrahiren von der Einzelnerscheinung, ein Eingehen auf
die Gesetze des Stoffes, der Bewegung. Betrachten wir
die Gewandung der Giebelstatuen von Olympia, die des
Alpheios, des Knieenden, des sitzenden Jünglings und des
Alten: sie bildet nach der Seite der archaischen Kunst, die
das Gesetz sucht, wie der freien, die es erfüllt, den voll-
kommensten Gegensatz. Nicht wie sie fallen sollte, sondern
wie der Zufall sie geworfen hat , so liegt sie regellos da :
keineswegs unnatürlich, kein einziges Stück, keine Palte ist
so gebildet, dass sie sich nicht gerade so in Wirklichkeit
finden könnte: im Gegentheil, es würde nicht schwer sein,
jedes Detail gerade so an einem Modell zurechtzulegen.
Nur empfinden wir, an die im engeren Sinne „hellenische"
Kunst gewöhnt, den Mangel des Gesetzes im Ganzen, d. h.
in der Verbindung des Einzelnen zum Ganzen. Wir empfin-
den vor allem den Mangel specifisch plastischer Gesetz-
mässigkeit, die von innen heraus gestaltet, während uns
hier der äussere, zufällige Schein entgegentritt. Die Grund-
anschauung, von welcher der Künstler ausgeht, ist eine
nicht in den Modalitäten der Anwendung, sondern im Prin-
cip durchaus verschiedene.
Analoge Erscheinungen zeigen sich auch an den For-
men der Körper. Am Torso des Alpheios z. B. finden wir
grosse, breite, weiche Flächen; aber ist dies der weiche
fliessende Charakter, den wir am Flussgotte des Parthenon
bewundern ? Die Hauptmassen sind zwar gegliedert und von
einander geschieden, aber in flacher, richtiger in oberfläch-
Brunn: Die Sculpturen von Olympia. 5
licher Weise; dem Fleisch, den Muskeln fehlt die Schwel-
lung: was Weichheit scheint, ist matte Weichlichkeit. Am
Kladeos tritt allerdings eine grössere Zahl von Formen an
die Oberfläche und man glaubt zuerst, hier einen sehr durch-
gebildeten Körper vor Augen zu haben. Aber es ist eben
nur die besondere Lage, nicht eine besondere Thätigkeit,
welche hier die Formen zahlreicher auseinandertreten lässt.
Die Muskeln erscheinen wohl gedehnt, aber ohne energische
Elasticität; und auch in der Bezeichnung des Knochen-
gerüstes fehlt jegliche Bestimmtheit. Die Formenbehandlung
des am Boden sitzenden Jünglings kann nicht anders, denn
als lax and flau bezeichnet werden, und an der Gestalt
des sitzenden Alten steigert sie sich fast zu derber Plump-
heit. Was ist es nun, was wir überall hier vermissen? Schon
an den Aegineten haben wir uns gewöhnt, den menschlichen
Körper als einen festgegliederten Bau zu betrachten. Seine
Grundformen sind bedingt durch das Knochengerüst, das
durch die Bänder innerhalb bestimmter Grenzen der Be-
wegungsfähigkeit fest zusammengehalten wird. Die Bewe-
gung selbst vermitteln die Muskeln mit ihrer Fähigkeit des
sich Zusammenziehens und Wiederausdehnens. Dieses noch
mechanische Princip der Auffassung wird auf der höheren
Stufe, wie sie uns in den Sculpturen des Parthenon ent-
gegentritt, zu einem organisch-rhythmischen gesteigert:
alle Formen durchdringen sich von innen heraus mit orga-
nischem Leben und die formale Behandlung erhält ihren
Abschluss durch eine eingehende Berücksichtigung der Haut
und der unter ihr liegenden Fetttheile, welche regelnd und
mässigend auf die Bewegung der Muskeln einwirken und
doch ihr ineinander greifendes Wirken wie durch einen
halb durchsichtigen Schleier erkennen lassen. Was hier in
so hoher Vollendung geboten wird, gerade das fehlt den
Giebelsculpturen von Olympia. Wo tritt hier die Bedeu-
tung des Knochengerüstes so bestimmend hervor, wie selbst
6 Sitzung der philos.-philol. Clause vom 13. Januar 1877.
an der weichsten der männlichen Figuren des Parthenon,
dem Flussgotte? Ueberall ist die Fügung lax und schlaff.
Die Muskeln entbehren der elastischen energischen Span-
nung : der Unterschied von Muskelansätzen (Sehnen) und
Muskelkörper ist nicht betont ; selbst an so markirten Stel-
len, wie der Handwurzel, dem Knie, erscheinen die Formen
rundlich und unklar. Die Bedeutung der Fetttheile , die
Besonderheiten der Textur der Haut an den verschiedenen
Theilen des Körpers ist nicht erkannt. Letztere bildet einen
gleichmässigen Ueberzug, der sich nur bei stärkerer Bie-
gung des Körpers ganz mechanisch zu Falten zusammen-
schiebt. Es soll nun durchaus nicht behauptet werden,
class Paeonios seine Figuren nach der Natur unter Benut-
zung des lebenden Modells ausgeführt habe. Aber in der
besondern Art ihrer von verschiedenen Seiten betonten
„Natürlichkeit" machen sie einen Eindruck wie Arbeiten
eines Künstlers, der ohne viele Wahl aus der Menge ein
Modell herausgreift, dieses auch in seiner allgemeinen Er-
scheinung äusserlich nachbildet, nicht aber es plastisch zu
stylisiren d. h. die materiellen Formen nicht in die dem
künstlerischen Stoffe adäquaten Kunstformen zu übersetzen
versteht, weil ihm dazu das innere, tiefere Verständniss
fehlt. Euphranor nannte seinen Theseus mit Rindfleisch,
den des Parrhasios mit Rosen genährt: etwas trivialer,
aber vielleicht nicht minder bezeichnend würde der Ver-
gleich lauten, wenn wir sagen, auch die Parthenonfiguren
seien mit kräftigem Rindfleisch genährt, die Figuren des
Paeonios dagegen mit Kalbfleisch : daher der Charakter des
Unentwickelten, Unreifen, der Mangel an energischer, kräf-
tiger Durchbildung.
Richten wir jetzt den Blick von den einzelnen Formen
auf die Erfindung der ganzen Gestalten, so überrascht uns
dip „Natürlichkeit" der Stellungen und Motive, eine Na-
türlichkeit, für die es schwer ist, unter der Masse der uns
Brunn: Die Sculpturen von Olympia. 7
geläufigen Monumente Analogien zu finden. Die Aegineten
sind allerdings gebundener; aber wir empfinden, dass hier
aucli bei einem Fortschritt zur höchsten Freiheit die Spuren
strenger Zucht sich nicht würden verwischen lassen, in der
dieses Geschlecht menschlich wie künstlerisch erwachsen ist.
Was kann es aus der Blüthezeit Vollendeteres von natür-
licher Anmuth geben, als die im Schoosse der Schwester
ruhende weibliche Gestalt aus dem Giebel des Parthenon?
Und doch: die Eleganz dieser Natürlichkeit, wäre sie mög-
lich ohne vorhergegangene Zucht oder, sagen wir, ohne eine
Erziehung, die jeden Einfluss des Gemeinen fern gehalten,
immer das Edelste als Vorbild geboten hat? Selbst in dem
scheinbar so nachlässig daliegenden Flussgotte des Parthenon
verleugnet sich nicht eine gewisse Würde der Haltung.
Ganz anders z. B. bei dem Kladeos aus dem Giebel von
Olympia! Der Gott scheint fast platt auf dem Bauche ge-
legen zu haben und erhebt nun den Oberkörper auf den
vorgestreckten Armen, etwa wie ein ruhender Hirtenbursche,
dessen Aufmerksamkeit durch irgend welchen Umstand er-
regt wird und der nun, ohne sich gerade mehr als nöthig
zu rühren, den Grund der Störung seiner Ruhe zu erkennen
sucht. Aehnlich der am Boden sitzende Jüngling : auch
er scheint sich möglichst wenig aus seiner Ruhe bringen
lassen zu wollen und fragt daher wenig danach, wie sich
die einzelnen Gliedmassen zu einander stellen. Selbst ein
so zufälliges Motiv, wie dasjenige, dass die linke Hand die
Zehen des Fusses berührt, wie um an ihnen bei etwaigem
Schwanken des Körpers noch einen leichten Halt zu ge-
winnen , wird nicht verschmäht. Der Stallknecht kauert
eben, wie es ihm gerade bei seiner Arbeit am besten passt.
Nur der Torso des Pelops zeigt eine etwas strengere Haltung,
die aber zunächst dadurch bedingt ist, dass er ruhig steht.
Selbst hier aber deutet die auf die Hüfte gelegte Hand
darauf hin, dass er nicht wie ein Soldat unter Commando
8 Sitzung der phüos.-philol. (Jlasse vom IS. Januar 1877.
eine feste geschlossene Haltung bewahrt, sondern dass er
im Stehen halb ausruht. Alles athmet also eine grosse Un-
befangenheit der Auffassung, aber eben so auch — eine
grosse Nonchalance. Die Motive sind aus der Natur her-
übergenommen , wie sie der Zufall bot , ohne dass viel ge-
fragt würde, ob sie gewöhnlich, gemein oder edel. Weder
von jener Zucht der Aegineten, welche den Körper zum
wahrhaft freien und richtigen Gebrauch seiner Glieder erst
befähigen soll, noch von jener Freiheit der Parthenonstatuen,
welche durch die Erfüllung des Gesetzes geadelt ist, findet
sich hier eine Spur. Die Natürlichkeit, die uns hier ent-
gegentritt, ist also nicht eine künstlerisch geläuterte, ideale,
sonder ein Abbild der ungeschminkten Wirklichkeit.
Bei der Beurtheilung des geistigen Ausdrucks, wie er
sich in den Köpfen ausspricht, sind wir, solange die dies-
jährigen Entdeckungen in Deutschland noch nicht näher
bekannt sind, einzig auf den sitzenden Alten angewiesen.
Zwar hat man sogar bezweifeln wollen, ob derselbe über-
haupt zu den Giebelstatuen, ja ob er auch nur der Zeit
derselben angehöre. Allein die Behandlung der Gewandung,
wie die ganze Auffassung des feisten Körpers sprechen nur
zu deutlich für den engsten Zusammenhang, und der dem
ersten Eindrucke nach anscheinend so fremdartige Kopf
liefert die weitere Bestätigung Worauf beruht dieser Ein-
druck? Es ist wieder die „Natürlichkeit" in dem ganzen
Habitus, in der Gesammterscheinung dieses durch die Jahre
und die Last seines Körpers etwas nachdenklich gewordenen
ältlichen Mannes, die uns überraschen muss. Suchen wir
aber weiter ^u lesen in seinen Zügen, so gelangen wir zu
den gleichen Beobachtungen, die sich uns bei der formalen
Betrachtung der Körper aufdrängen mussten. Das Gesammt-
bild ist gegeben, aber nur in seiner äusserlichen, oberfläch-
lichen Charakteristik. Die Formen sind breit, derb und
Brunn : Die Sculpturen von Olympia. 9
leer : es fehlt der Person die geistige Vertiefung, dem Mar-
mor die feinere künstlerische Durchbildung.
Nach diesen Bemerkungen wird sich leicht ergeben,
was von der Ansicht zu halten, dass die Giebelstatuen des
Paeonios roh und nachlässig, eines Künstlers wie Paeonios
kaum würdig und daher etwa nach flüchtigen Skizzen des
Meisters von untergeordneten Arbeitern ohne Verstand niss
ausgeführt seien. Betrachten wir sie an und für sich allein,
so müssen wir gestehen , dass kein Theil mit dem andern,
keine Figur mit der andern, in Widerspruch steht, sondern
dass uns in ihnen eine besondere, ganz eigenartige Kunst-
übung entgegentritt, mit welcher unser Auge bisher kaum
vertraut war. Ich vermeide vorläufig mit Absicht den
Ausdruck ,, Kunststyl", indem die Eigen thümlichkeit dieser
Kunstübung eben darauf beruht, dass ihr eine klar bewusste,
eigentlich plastische Stylisirung gerade abgeht, ja von
ihr fast absichtlich gemieden erscheint. Selbst wenn in
der späteren Zeit die griechische Plastik naturalistisch wird,
bleibt sie doch immer in erster Linie Plastik. Hier dagegen
ist die Grundanschauung, von der der Künstler ausgeht,
eine durchaus malerische: sie ist auf den Schein, die äussere
Erscheinung der Dinge, nicht auf den Kern, das Wesen ge-
richtet. Wir dürfen diese Sculpturen kaum als selbständige
statuarische Werke betrachten, sondern als in den Rahmen
des Giebels gefasste, zwar rund ausgearbeitete, aber auf
einheitlichem Hintergrunde erscheinende Hochreliefgestalten,
und selbst das kaum im abstract plastischen Sinne. Denn
weit mehr als sonst ist hier die Wirkung der Bemalung in
Betracht gezogen worden; ja wir sagen vielleicht richtiger,
dass die Behandlung dieser Sculpturen geradezu unter dem
Einflüsse der Malerei auf der damaligen Stufe ihrer Ent-
wicklung stehe. Ist es auch schwerlich richtig, dass die
Malerei des Polygnot nur colorirte Zeichnung war, so ist
es doch sicher, dass ihr die volle Wirkung von Licht und
10 Sitzung der philos-philol. Clause vom 13. Januar 1876.
Schatten abging. Sie wird nicht Licht-, Schatten- und Re-
flextöne neben einander gesetzt und in einander verarbeitet,
sondern sich begnügt haben, auf deu Localton Licht und
Schatten mehr durch Schraffirung als durch eigentliche
Malerei aufzusetzen, so dass das Ganze mehr den Charakter
eines massig ausgeführten Aquarells als einer vollständigen
Malerei trug. Nor wenn eine ähnliche Wirkung auch bei
den Giebelsculpturen beabsichtigt war, erklärt es sich, dass
z. B an dem sitzenden Jüngling und ähnlich an dem Al-
pheios der Gewandsaum ganz flach aufliegt und der Länge
nach in einer Weise über den Schenkel geführt ist , dass
er bei der Entfernung des Beschauers sich nicht durch die
plastische Modellirung, sondern nur durch die Farbe vom
Körper loslöste. Ebenso ist gewiss die ganze wellige Ge-
wandbehandlung darauf berechnet, breite, farbige, nicht
durch starke Schatten unterbrochene malerische Flächen zu
gewinnen. Aber auch die Behandlung der Körperformen
wird uns jetzt in einem andern Licht erscheinen. Wir
müssen die specifisch plastischen Anforderungen vergessen,
die der Künster nicht erfüllen wollte, um dann zuzuge-
stehen, dass er seinen malerischen Gesichtspunkten voll-
kommen gerecht geworden ist.
Erst jetzt dürfen wir uns die Frage stellen, wohin der
Künstler im Zusammenhange der Kunstgeschichte zu setzen
sei. Man hat ihn in Verbindung mit der Schule des Phi-
dias bringen wollen. Allein es muss hier nochmals auf
das Nachdrücklichste betont werden, dass unsere literarischen
Quellen davon absolut nichts sagen. In der betreffenden
Stelle des Pausanias (V, 10, 8) wird Alkamen es, der Künst-
ler der hinteren Giebelgruppe, allerdings direct mit Phidias
zusammengestellt, Paeonios dagegen nur als aus Mende ge-
bürtig bezeichnet. Die Behauptuug eines Zusammenhanges
mit Phidias ist also eine reine Hypothese, der wir nach der
Entdeckung seiner Werke keinerlei Einfluss auf deren Be-
Brunn: Die Sculpturen von Olymyia. 11
urtheilung einzuräumen berechtigt sind, die vielmehr nur
dann erst wieder ausgesprochen werden dürfte, wenn sich
aus der Betrachtung eben dieser Werke eine nähere Ver-
wandtschaft ergäbe. Sprechen diese aber etwa dafür? Ich
denke, dass die vorhergehenden Erörterungen über die fun-
damentale Verschiedenheit ihres Charakters keinen Zweifel
mehr lassen werden. Die Frage, wohin Paeonios gehört,
ist also von Neuem zu stellen, und ehe wir uns mit neuen
Hypothesen in unbestimmte Fernen begaben, ist doch wahr-
lich das Nächstliegende, dass wir uns fragen, ob er denn
überhaupt von dem Boden loszulösen ist, auf dem er er-
wachsen. Noch vor wenigen Jahren würde es allerdings kaum
möglich gewesen sein, die richtige Antwort zu geben. Jetzt
aber besitzen wir (von zahlreichen Münzen abgesehen) einige
Sculpturen, wenn auch nicht aus Mende selbst, doch aus
den benachbarten nordgriechischen Provinzen. Aber, sagt
man, es sind deren noch zu wenige, als dass sich auf sie
ein (Jrtheil begründen Hesse. Zu wenige allerdings für den-
jenigen, welcher nicht in den Monumenten zu lesen ver-
steht oder etwa auch nicht les&n will. Würde in ähnlichem
Falle die Philologie, nachdem in Olympia das Ehrendecret
des Damokrates gefunden ist, sich das Armuthszeugniss
ausstellen, zu erklären , dass sie noch nicht im Stande sei,
über den allgemeinen Charakter der elischen Mundart zu
urtheilen? Jene Monumente sprechen aber eine nicht minder
deutliche Sprache als dieses Decret. Was nun die analy-
tische Betrachtung ihrer Formen anlangt, die ich in meinem
Aufsatze über Paeonios gegeben, so wird wahrlich niemand
behaupten können, dass sie tendenziös abgefasst sei, um
eine Uebereinstimmung mit den Giebelstatuen des Paeonios
zu erzielen, die damals noch gar nicht entdeckt waren. Wohl
aber können jetzt diese letzteren dazu dienen, manche Eigen-
thümlichkeiten der andern nordgriechischen Sculpturen in
ein noch schärferes Licht zu setzen. Es konnte z. B. wie
1 2 Sitzung der pnilos.-phüol. Clause vom 13. Januar 1877.
zufällig, wie eine Nachlässigkeit erscheinen, dass das Relief
der Philis aus Tbasos, die Kriegerstele aus Thessalonike
eine schiefe, unregelmässige Umrahmung haben. Jetzt, nach-
dem wir erkannt, dass Paeonias in den Giebelstatuen nichts
so sehr meidet, als Strenge und Herbigkeit der Linien,
werden wir auch in dieser Unregelmässigkeit eine gewisse
Absicht erkennen , umgekehrt aber auch wieder auf eine
Eigen thümlichkeit der Giebelstatuen aufmerksam werden,
nämlich die Vernachlässigung der Basen, die nur den ganz
materiellen Zweck zu haben scheinen, die Aufstellung der
Figuren zu ermöglichen, ohne irgendwie näher charakterisirt
zu sein. Gehen wir weiter, so werden wir für die flau wel-
ligen Gewänder der Statuen keine bessere Parallele finden,
als die „stylistisch unentwickelten" der Philis, besonders in
den Partieen am Schenkel, für den leichten Mantel des
Pelops keine bessere, als die Chlamys des Kriegers von Thes-
salonike. Der Charakter der Körperformen dieses letzteren
musste aber früher fast mit denselben Worten beschrieben
werden, wie der der Giebelstatuen : hier wie dort eine ge-
wisse maleiische Weichlichkeit, ein Mangel an plastischer
Durchbildung, an einem tieferen innerlichen Verständniss.
Genug, wer die Augen nicht absichtlich verschliessen will,
um sich alte Vorurtheile zu wahren, wird die Ueberein-
stimmung gerade in der innersten künstlerischen Eigen-
thümiichkeit der Auffassung wie der formalen Behandlung
nicht läugnen können ; und diese Uebereinstimmung erklärt
sich auf die einfachste und natürlichste Weise durch die
Nachbarschaft der Heimath der Künstler. Nichts also liegt
vor, soweit die Giebelstatuen in Betracht kommen, was
uns nöthigte, zur Erklärung ihres Kunstcharakters über
die Heimath des Paeonios hinauszugehen und fremden Ein-
flüssen nachzuspüren, von denen in den Werken selbst sich
auch keine Spur findet. Alles hat hier einen einheitlichen
:
Brunn: Die Sculpturen von Olympia. 13
Charakter: Tugenden und Fehler entstammen einer und
derselben Quelle.
Ich sagte : soweit die Giebelstatuen in Betracht kom-
men. Soll damit etwa angedeutet werden, dass ich die von
mir behauptete Beziehung der Metopen zu Paeonios jetzt
aufgebe ? Ich halte fest an dem, was ich über Herakles mit
dem Stier, über die „Nymphe" und mehr beiläufig über
den Löwen gesagt habe. Aber die durch die Ausgrabungen
erweiterte Anschauung verlangt auch hier manche genauere
Feststellungen. Vor allem die Frage: wie verhält sich zu
den früheren Funden die neuentdeckte Atlasmetope ? Prüfen
wir auch hier zuerst die Formen! Die Figuren des Herakles
und Atlas sind in der strengsten Weise in das Relief hin-
eincomponirt , streng zwischen die (ideelle) obere Fläche
und den Grund eingeschoben, nicht etwa äusserlich accom-
modirt, sondern so, dass die nach aussen gerundet hervor-
tretenden Theile der oberen Fläche stylistisch untergeordnet
sind. Der Aufbau der Körper beruht ganz auf der unver-
änderlichen Grundlage des Knochengerüstes nach seinen
Formen und seiner durch feste Bänder geschlossenen Zu-
sammenfügung. Dieser architektonische Grundton aber durch-
dringt auch die ganze Behandlung des Fleisches, der Mus-
keln. Alles ist hier von bestimmten Flächen umschrieben,
die nirgends leer oder flau erscheinen. Sie sind im Gegen-
theil belebt durch eine Fülle von fein und scharf nüancir-
tem Detail, das nicht etwa naturalistisch und in äusserlicher
Beobachtung nach der Wirklichkeit copirt ist, sondern
überall aus dem inneren Verständniss herauswächst Nir-
gends Laxheit, Unbestimmtheit, sondern überall Klarheit,
Sicherheit, Festigkeit im knappsten, strengsten Vortrag
echtester Plastik. Nur der kleinste Theil dieser Strenge
ist auf Rechnung der letzten Reste archaischen Styls zu
setzen; sie liegt vielmehr in der Schule, in der bestimmt
schulmässigen Durchbildung, welche sich den Körper
14 Sitzung der yhilos.-phüol. (lasse vom 13. Januar 1877.
in allen seinen Formen unterworfen hat. Die weibliche
Gestalt der Hesperide weicht hiervon nur scheinbar und
eigentlich nur dadurch ab, dass ihr Körper in Vorderansicht
gestellt und also nicht so streng dem abstracten Gesetz
des Reliefs untergeordnet ist. In anderer Beziehung tritt
sogar an ihr das mathematische, lineare Princip fast noch
stärker hervor, als an den männlichen Figuren, nämlich in
den Linien und Flächen des nicht organischen, sondern leb-
losen Stoffes der Gewandung. Es liegt in den senkrechten
Linien der gerade über den Schenkel herabfallenden Falten,
in der horizontalen des quer über den Körper laufenden
Randes, in den Schlangenlinien der nach den Hüften herab-
steigenden Säume ein ganz eigenthümlicher Zauber, der
weit entfernt ist von dem Reiz gewöhnlicher Natürlichkeit
und vielmehr auf der strengen Gesetzmässigkeit, dem Wal-
ten des mathematischen Princips beruht, fast möchte man
sagen, auf dem theoretischen Reiz gewisser linearer Com-
binationen.
Kein Zweifel also, dass der Styl dieser Metope mit
dem der Giebelstatuen in einem geradezu diametralen Gegen-
satze steht. Sie ist ein Meisterstück peloponnesischer Sculp-
tur, das schönste, welches wir bis jetzt aus der Zeit vor
Polyklet besitzen. Im Kopf des Atlas steckt bereits der
ganze Kopf des polykletischen Diadumenos, und wir lernen
den Polyklet erst recht verstehen, wenn uns hier die Vor-
stufen vor die Augen treten, auf denen er beruht, aus denen
er, wir dürfen sagen, mit Nothwendigkeit hervorgewach-
sen ist.
Trotz dieses scharf ausgeprägten Charakters hat man
behaupten wollen, dass der Styl der neuen Metope sich
von dem der früher gefundenen nicht entferne und es daher
nicht statthaft sei, die letzteren dem Paeonios zuzuschreiben.
Man behauptet, sie zeigten in der Ausführung einen här-
teren Meissel als die Giebelstatuen und die andern nord-
Brunn: Die Sculpturen von Olympia. 15
griechischen Sculpturen, an denen gerade eine gewisse Weich-
lichkeit sich fühlbar mache. Namentlich am Gewände der
Nymphe trete diese Härte ähnlich hervor wie an der Hes-
peride. Man weist sodann hin auf den kräftigen Körper
des Herakles in der Stiermetope und endlich auch auf die
Verwandtschaft im Typus der Heraklesköpfe. Es handelt
sich hier um allerlei feinere Unterscheidungen , für die wir
vielleicht unsern Blick schärfen, wenn wir von einer ganz
äusserlichen Thatsache ausgehen: die Atlasrnetope stammt
von der Vorderseite des Tempels , die pariser Hauptstücke
von der Rückseite. Es wird also die Möglichkeit ins Auge
zu fassen sein, dass die beiden Seiten nicht nur, wie die
Gruppen von Aegina , von verschiedenen Händen , sondern
sogar von verschiedenen Schulen ausgeführt waren, dass also
die Arbeit an der Rückseite vielleicht erst begann, als die
Vorderseite bereits vollendet war. Prüfen wir nun diese
vorläufig blos als eine Möglichkeit hingestellte Annahme
an den Thatsachen.
Kann das Gewand der Hesperide und das der Nymphe
das Werk derselben Hand, ja nur einer und derselben Kunst-
schule sein? Selten ist ein bestimmtes System der Falten-
behandlung so scharf und präcis ausgesprochen, wie im
Gewand der Hesperide. Es dominiren hier durchaus zwei
Flächen, eine untere und eine obere, die obere der Falten,
welche sich von der unteren parallel abheben. Am deutlich-
sten tritt dieses System uns entgegen an der langen Falte,
die über den ganzen linken Schenkel gerade herabfällt, im
Gegensatz zu der unbewegten Fläche zwischen den Beinen, oder
ähnlich auch an den beiden von den Brüsten herabfallenden
zwei Hauptfalten im Verhältniss zu der zwischen ihnen
liegenden wenig bewegten Fläche. Die Begrenzungen zwi-
schen ihnen sind fast mehr gezeichnet als modellirt, fast
nur bestimmt, zwischen der oberen und unteren Fläche die
nothwendige Verbindung herzustellen. Gerade umgekehrt
fcfl Sitzung der philos.-philol. ('Hasse oom 13. Januar 1877.
herrschen bei der Nymphe, natürlich abgesehen von dem
nur in den allgemeinsten Formen gehaltenen lederartigen
Ueberwurfe, die oberen, wenn auch abgerundeten Kanten
and die ihnen entsprechenden Tiefen, aus deren Verbindung
sich ein durchaus welliger Durchschnitt der Falten ergiebt.
Diesen Gegensatz, der sich etwa auf das einfache Schema
r"_r~: und ?t? w w zurückführen lässt , als einen fun-
damentalen nicht anerkennen zu wollen, wäre etwa dasselbe,
wie wenn ein Metriker den Gegensatz zwischen trochäischem
und iambischem Metrum, der Dialektiker den Unterschied
von 7tazQOQ und jcaxqdg abläugnen wollte. Wer aber an der
Hesperide einen nur individuellen Styl erkennen möchte,
dem bieten die Ausgrabungen von Olympia sofort noch
weiteres Material zu belehrenden Vergleichungen. Unter
ihnen findet sich ein überlebensgrosser , der Hestia Giu-
stiniani künstlerisch verwandter Torso (Taf. XIII und XIV
der Photographien), in dem man allgemein ein Werk pelo-
ponnesischer Kunst erkannt hat. Wir dürfen nun unbe-
denklich die Gleichung aufstellen, dass sich die Hesperide
zu diesem Torso verhält , wie die Nymphe zu dem knieen-
den Stallknecht aus dem Giebel. Eine etwas grössere Härte
des Meisseis an der Hesperide gegenüber dem letzteren darf
dabei immerhin zugegeben werden : sie lässt sich auf ver-
schiedene Weise erklären. Ich will nicht betonen, dass auch
an dem überlebensgrossen statuarischen Torso die einzelnen
Falten meist gerundeter sind, als an dem hohen, aber immer-
hin auf eine Fläche projicirten Relief der Hesperide. Wohl
aber mochte Paeonios für das Halblicht der Metopen eine
etwas schärfere Formbezeichnung angezeigt erachten, als
für die volle Beleuchtung der Giebelfiguren. Sodann aber
dürfen wir nicht voraussetzen, dass die Ausführung in Mar-
mor überall von der Hand eines und desselben Künstlers
und am wenigsten von der des Paeonios selbst sei. Er
mochte einige Gehülfen aus seiner Heimath mitgebracht
Brunn: Die Sculpturen von Olympia. 17
haben, konnte aber auch elische Arbeitskräfte besonders
für die in zweiter Linie stehenden Metopen verwenden, de-
nen die Weichheit des Meisseis, wie wir sie an den Giebel-
statuen finden, nicht geläufig sein mochte. Dass aber auch
in der nordgriechischen Heimath nicht alle Künstler sich
der gleichen Weichheit in der Ausführung befleissigten,
zeigt das Relief eines von einem Löwen niedergewor-
fenen Stiers (Clarac 223, 189; Abguss in Berlin N. 126),
dessen Herkunft vom Stadtthor von Akanthos in Make-
donien mir durch die freundlichen Nachforschungen der
HH. Cl. Tarral und Ravaisson iun. in den Archiven des
Louvre jetzt hinlänglich verbürgt ist. Jedenfalls ist die
Ausführung mit dem Meissel das Secundäre ; weit wichtiger
ist die geistige Auflassung, auf der das Ganze beruht. Was
diese aber anlangt, kann ich mich begnügen, auf die Dar-
legungen meiner früheren Arbeit zu verweisen: von jenen
mathematischen Flächen und Linien, aus denen sich die
Hesperide aufbaut, findet sich, an der Nymphe auch keine
Spur; sie stimmt in der malerischen Auffassung und in
der laxen Durchbildung der Form durchaus mit den Statuen
des Giebels überein.
Wir mögen aber auch noch die Stiermetope mit dem
Atlasrelief vergleichen. Dabei wird es aber doch wahrlich
keines Beweises bedürfen, dass der Stierbändiger mit dem
Himmelsträger in Hinsicht auf Relief styl in keiner Weise
auf gleiche Linie gestellt werden kann. Selbst wenn man
einen Zeitunterschied innerhalb einer und derselben Schule
statuiren wollte, würde man nicht behaupten können, dass
der Reliefstyl des einen aus dem des andern in natürlicher
Weise sich habe entwickeln können. Aber auch wenn wir
den Stierbändiger nach seinen einzelnen Formen betrachten,
werden wir an seinem Körper keine jener grösseren Flächen
finden, denen am Himmelsträger alles Detail so klar und
bestimmt untergeordnet ist. Die Formen treten, wie an den
[1877. I. Phil.-bist. Cl. 1.] 2
18 bitzung der phüott.-philol. Clause vom 13. Januar 1877.
Falten der Nymphe, gerundet hervor, jede für sich, aber
ohne jene knappe energische Spannung , wie am Himmels-
träger. Unser Auge ist für das Sehen plastischer Formen
ein weit schwächeres Instrument, als wir in der Regel an-
nehmen. Wir haben uns nur gewöhnt, unbewusst die Er-
fahrungen auf das Auge zu übertragen, die wir ursprünglich
mit dem Tastsinne gemacht haben. Kehren wir also , wo
wir etwa Ursache haben , unserem Auge zu misstrauen , zu
dem Urquell unserer Erkenntniss zurück, d. h. prüfen wir
einmal die Formen mit dem Finger, so werden wir im
vorliegenden Falle dadurch vielleicht schneller zur Klarheit
gelangen, als durch das Auge. Trotz der höher ausgear-
beiteten Muskeln am Stierbändiger werden sich doch die
Formen weichlicher, rundlicher anfühlen, als an dem Him-
melsträger, wo alles knapp , streng , ja hart , aber eben so
scharf, präcis und in den feinsten Modulationen ausge-
drückt ist.
Aber die Aehnlichkeit der Köpfe? Wenn ein Künstler
den Auftrag erhält, an der Rückseite eines Tempels den
Herakles darzustellen und er findet ihn an der Vorderseite
vielleicht bereits sechsmal wiederholt, wird er da nicht un-
willkürlich bestrebt sein, sich dem einmal gegebenen Typus
möglichst anzunähern? Dem Typus, sage ich; denn darauf
beschränkt sich die Verwandtschaft. Im Einzelnen wird ein
feineres Auge die Verschiedenheiten in der Schärfe der
Zeichnung, wie in der Behandlung der Flächen nicht ver-
kennen. Bei unmittelbarer Nebeneinanderstellung der Nymphe
und der Hesperide macht uns der Kopf der ersteren den
Eindruck eines schlichten unbefangenen Landmädchens,
während uns der der Hesperide in ernsteren, strenger styli-
sirten Formen entgegentritt. Ueberhaupt liegt in der Kunst
der Atlasmetope etwas Aristokratisches, vielleicht weniger
Frische und Unbefangenheit, aber dafür mehr von der ruhi-
Brunn: Die Sculpturen von Olympia. 19
gen, ernsten Gemessenheit, die, eine Folge guter Erziehung,
alles Unedle oder Triviale unbewusst von sich fern hält.
Wenn ich daher meine oben ausgesprochene Vermu-
thung über die Entstehung der Metopen an der Vorder- und
der Rückseite des Tempels durch die genauere Prüfung als
bestätigt erachte, so lässt sich vielleicht noch eine Art
Gegenprobe für meine Auffassung mit Hülfe einiger kleineren
Fragmente anstellen. Ich sagte in meiner früheren Abhand-
lung (S. 322): „Wo sie (Haar und Bart) plastisch mehr
ausgeführt sind, wie theilweise an einem fragmentirten weib-
lichen Kopfe (Clarac 145bis, Fig. f) , verrathen sie noch
deutliche Spuren archaischer Behandlung, die sich an der
Mähne eines Pferdes (Fig. D) zu hart architektonischer Sche-
matisirung steigert." Die Bemerkungen über die beiden
Fragmente passen eigentlich nicht in das Bild von der Kunst
des Paeonios, widersprechen aber durchaus nicht den Eigen-
tümlichkeiten der Atlasmetope. Die Erklärung ist jetzt
leicht gegeben: die beiden Stücke gehören zu den Metopen
der Vorderseite. Wer Gelegenheit hat , die Originale oder
nur die Abgüsse zu prüfen, wird aller Wahrscheinlichkeit
nach den Gegensatz in der Kunst der Vorder- und Rück-
seite auch an den Köpfen % (Ost) und &, l (West), ja selbst
an den Füssen m (Ost) und n (West) noch bis in das
Einzelnste zu verfolgen im Stande sein.
Mancher wird vielleicht der Ansicht sein, dass die Eleer
nicht gerade einen Beweis feinen Kunstgeschmackes ablegten,
als sie vor Künstlern der eigenen Heimath oder der benach-
barten Schulen , die so Vorzügliches leisteten , wie die At-
lasmetope, dem aus weiter Ferne gekommenen Paeonios den
Vorzug gaben. Aber um eine früher von mir gezogene
Parallele in etwas modificirtem Sinne anzuwenden: wenn
etwa Tizian um das Jahr 1510 nach Nürnberg gekommen
wäre, würde er nicht vielleicht auch im Urtheil der Menge
den Sieg über Dürer davongetragen haben? und in gewis-
20 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 13. Januar 1877.
sem Sinne mit Recht? Die Verhältnisse der griechischen
Kunst zur Zeit des Paeonios bieten manches Analoge. Die
Statuen von Aegina, das wichtigste uns erhaltene archaische
Werk, haben trotz ihrer relativ hohen formalen Vollendung
in ihrer Gesamraterscheinung etwas Kahles und Kaltes. Die
Behandlung ist zu abstract und einseitig formal-plastisch.
Selbst die Vorzüge der Atlasmetope wenden sich mehr an
unser künstlerisches Urtheil und Verständniss, als an unser
Gefühl und Empfinden. Es galt also nicht nur, die letzten
Spuren des Archaismus zu überwinden, sondern in die Pla-
stik ein neues , ihr bisher fehlendes Element einzuführen :
das malerische. Wie die Malerei nicht bloss Zusammen-
stellung von Farben ist , sondern die Wirkung der Farben
an besiimmten Formen zeigen muss, so kann die vollendete
Plastik, namentlich wo sie ihre Gestalten auf einem gemein-
samen Hintergrund, sei es als Relief, sei es als Giebelgruppe
darstellt, auch abgesehen von der eigentlichen Färbung,
doch die malerischen Gegensätze von Licht und Schat-
ten, das Abwägen von Licht und Schattenmassen nicht
wohl entbehren. Aber non omnia possumus omnes. Die
peloponnesischen Schulen, zunächst bestrebt, das innere
Wesen der Form zu ergründen , konnten nicht zugleich
ihre Aufmerksamkeit auf den Schein , die äussere Er-
scheinung richten. Indem die nordgriechische Kunst den
entgegengesetzten Ausgangspunkt nahm, war sie nicht nur
befähigt, die archaische Gebundenheit früher zu überwinden,
sondern musste unter relativer Vernachlässigung jener spe-
cifisch plastischen Forderungen zu der malerischen Auffas-
sung gelangen, die wir mehrfach hervorzuheben Gelegenheit
hatten. Keine der beiden Schulen aber vermochte ihre ur-
sprüngliche Natur zu verleugnen. Erst relativ spät ent-
wickelte sich eine dritte , weniger einseitig , aber gerade
dadurch befähigt, die Vorzüge der beiden andern in sich
aufzunehmen: die attische. Ihr war es vorbehalten, in dem
Brunn: Die Sculpturen von Olympia. 21
einen Geiste des Phidias die bisher getrennten Strömungen
zu vereinigen, zn läutern und dadurch das Höchste, in al-
len Zeiten Unerreichte zu leisten. Wie wir aber die um-
brische, florentinische, venetianische Schule nicht verachten,
weil sie durch Raphael in Schatten gestellt wurden, so
werden wir auch das relative Verdienst der nordgriechischen
Kunst nicht verkennen , die ein nothwendiges Glied in der
Kette der Entwicklung zur Vollkommenheit bildet. Zugleich
ergiebt sich aber hieraus die chronologische Stellung der
Sculpturen des Paeonios. Sie können nur vor Phidias, oder
genauer : vor den Sculpturen des Parthenon entstanden sein.
Hätte Paeonios in directen Beziehungen zu Phidias gestan-
den, so würde er seine immerhin einseitige Eigen thümlich-
keit nicht so rein haben bewahren können. Seine Arbeiten
müssten in plastischer Durchbildung vollendeter sein, aber in
demselben Verhältniss für uns weniger lehrreich. Ihr Haupt-
werth für uns beruht gerade darin, dass sie uns eine breite
Anschauung von einer Entwicklungsstufe der Kunst gewäh-
ren, die bisher kaum bekannt, uns erst das richtige und
volle Verständniss der höchsten Blüthe zu erschliessen vermag.
Erst jetzt ist es an der Zeit, dass wir uns der Be-
trachtung der Nike zuwenden, die in ihrer Eigenart die
Aufmerksamkeit fast zu sehr auf sich und von den andern
Sculpturen abgelenkt hatte. Es ist aber hier in ganz be-
sonderem Grade noth wendig, dass wir unser Auge klar und
von Vorurtheilen rein erhalten und ohne irgend welche Vor-
eingenommenheit an ihre Betrachtung gehen. Sprechen wir
es also zunächst ohne Rückhalt aus, dass ohne äussere
Zeugnisse wohl niemand die Nike und die Giebelstatuen
einem und demselben Meister zuzuschreiben wagen würde.
Die Zeugnisse sind aber diesmal klar und unzweifelhaft,
wir haben uns ihnen zu beugen und müssen uns daher
begnügen, nicht die Notwendigkeit, sondern nur die Mög-
lichkeit in der Entwickelung eines Künstlers, wie sie hier
22 Sitzung der philos.-philol Classe vom 13. Januar 1877.
vorliegt, einigermassen begreiflich zu machen. Den Raphael
des Sposalizio trennt von dem der Vision des Ezechiel nur
ein Zeitraum von sechs Jahren: wären uns alle Zwischen-
glieder zwischen den beiden Werken verloren gegangen, so
würde es uns vielleicht noch schwerer werden, an die Iden-
tität der Person des Künstlers zu glauben, als bei dem
Paeonios des Giebels und dem der Nike. Indem wir auch hier
den Weg der analytischen Betrachtung betreten , muss zu-
erst ganz nachdrücklich betont werden, dass dabei zwischen
Motiv, künstlerischer Erfindung und Ausführung in
bestimmtester Weise zu unterscheiden ist. Wir sprechen
zuerst nur von der Ausführung.
Es war durch die Forderungen des Gleichgewichts na-
mentlich bei einer Aufstellung in nicht unbedeutender Höhe
bedingt, dass im Rücken der Gestalt vom Gürtel abwärts
noch ein nach hinten aufgebauschter Mantel herabfiel. Es
mag unerörtert bleiben, ob der künstlerische Eindruck des
Ganzen dadurch gewann. Betrachten wir zunächst nur das
erhaltene untere Stück, das auf den Felsen aufstösst, so
wird es uns nicht ganz leicht werden, uns dasselbe in den
richtigen Zusammenhang mit den fehlenden Theilen zu
bringen. Namentlich an den Extremitäten gerade über dem
Adler köpf löst es sich nicht so von dem Felsen, wie wir
es bei dem Fluge der Gestalt erwarten sollten; es klebt
fest, und gerade an dieser Stelle möchten wir mehr als
anderswo den Paeonios der Giebelfiguren wiedererkennen.
Auch der Fels in seinen weichen und gerundeten Formen,
aus denen sich der Adler wenigstens auf der einen Seite
nur vermittelst der Farben losgelöst haben kann, darf uns
wohl an den Sitz der Nymphe auf der pariser Metope er-
innern. Ungewöhnlich ist die Anordnung des Gewandstückes
unter der linken Achsel. Es fällt etwas heraus aus dem
Zusammenhange der Linien, hat etwas nicht Nothwendiges,
sondern Zufälliges oder beliebig Arrangirtes, löst sich nicht
Brunn: Die ScuJpturen von Olympia. 23
frei, sondern klebt wieder am Körper. Die Falten, welche
von der rechten Brust nach dem Gürtel zu herabfallen,
leiden an einer gewissen Einförmigkeit und erscheinen
nicht so motivirt, wie sie in ihrer Beziehung zur Rundung
des Busens motivirt sein sollten. Am wenigsten gelungen
ist jedenfalls die vordere Rundung des Leibes mit den von
ihm sich ablösenden harten Falten, anter denen sich nament-
lich die von der linken Seite nach der Mitte zu laufende
in wenig angenehmer Weise bemerklich macht. Unklarheit
zeigt sich wieder in der Disposition der ganz flach gehal-
tenen Falten, die unter ihr hervor nach hinten sich ziehen.
Grössere Lebendigkeit herrscht allerdings in dem unteren
flatternden Theile des Chiton : der Körper tritt klar aus den
geschwungenen Linien der Falten hervor und im Allge-
meinen herrscht hier ein einheitlicher Zug, eine einheitliche
Bewegung. Und doch werden wir bei einer ins Einzelnste
gehenden Betrachtung z. B. bei der Ablösung der einzelnen
Falten von den Formen des Körpers gewisse Härten nicht
ableugnen können. Es fehlt in der Ausführung die fein-
empfindende Hand, die uns trotz archaischer Härte z. B.
in dem Relief der wagenbesteigenden Frau von der Akro-
polis anzieht ; es fehlt in den Formen des Körpers die volle
Frische, das innere schwellende Leben. Man wird sicher-
lich einwenden , dass ich ein kühn geniales Werk einer
kleinlich missgünstigen Kritik unterwerfe. Aber erste Pflicht
der Wissenschaft ist das absolute, durch keine Nebenrück-
sicht bedingte Streben nach Wahrheit; und die strengste
Kritik ist hier geboten, am zu unbefangener Würdigung
einer Behauptung zu gelangen, die man durch die erste
Ueberraschung geblendet zuversichtlich, aber ohne genügende
Prüfung ausgesprochen hat : dass nemlich die Nike des
Paeonios unter dem unmittelbaren Einflüsse des Phidias,
speciell der Parthenonsculpturen entstanden sei und der
Künstler desshalb als der Schule des Phidias angehörig be-
24 Sitzung der philos.-phüol. Gasse vom 13 Januar 1877.
trachtet werden müsse. Nichts pflegt der gerechten Aner-
kennung eines Kunstwerkes nachtheiliger zu sein, als Ueber-
schätzung, wie sie sich so leicht in der ersten Freude über
die Entdeckung neugefundener Werke einstellt. Sie muss
nothwendig eine Reaction im Urtheil hervorrufen und zwingt
die Kritik, Manches schärfer hervorzuheben als es sonst
nothwendig gewesen wäre. So kann ich nicht umhin, hier
in bestimmtester Weise auszusprechen, dass in der Aus-
führung die Nike des Paeonios den Statuen des Parthenon
weit nachsteht. Am leichtesten wird man sich davon über-
zeugen, wenn man gute Photographien beider Werke neben-
einanderlegt, so dass man sie mit einem Blicke übersehen
und dadurch in unmittelbarster Weise vergleichen kann.
Da erscheinen denn an den Parthenonstatuen die Körper
voll des innerlichsten Lebens, von innen herausgewachsen.
In der Gewandung sind die verschiedenen Stoffe auf das
Feinste und Schärfste durch den Bruch der Falten charak-
terisirt, diese aber stehen wieder in engster Beziehung zu
Körperform und Bewegung. Alles aber ist einem einzigen
einheitlichen Gedanken untergeordnet, nichts ist zufällig,
sondern bis in das Einzelnste wirkt das Gesetz mit Not-
wendigkeit. •
Nun wird man zwar sagen, dass ja die Nike nicht
durchaus auf gleiche Stufe gestellt werden solle mit diesen
Statuen, dass sie sich aber doch verhalten könne oder ver-
halte, wie das Werk des minder bedeutenden Schülers zu
dem des grösseren Meisters. Besitzen wir nun auch, ab-
gesehen von dem, was der laufende Winter in Olympia
ans Licht bringen mag, keine Werke bestimmter Schüler
des Phidias, so dürfen wir doch die Sculpturen von der
Balustrade des Niketempels und den Fries von Phigalia
als Arbeiten betrachten , die uns von der „Schule", dem
Charakter der Kunst unter den Nachfolgern des Phidias
einen Begriff geben. Es mag ihnen nun allerdings die
Brunn: Die Sculpturen von Olympia. 25
volle Frische und Unmittelbarkeit, jenes tief eindringende
innere Verständniss fehlen, welches die Parthenonsculpturen
unerreichbar macht. Aber die Künstler befinden sich im
Vollbesitze der reichsten Mittel, die ihnen die Schule über-
liefert hat, und so konnten die Künstler der Balustrade
ihre Virtuosität noch steigern in der Richtung einer fast
raffinirten Eleganz, während die, welche den Fries von
Phigalia ausführten, wohl unbesorgter, derber und äusser-
licher zu Werk gingen, aber mit grösster Bravour einen
um so flotteren Meissel führten. Mit andern Worten : nach
beiden Seiten hin werden die tieferen Eigenschaften, in
denen man dem Meister nicht gleichkommt, durch Praktik,
Routine ersetzt. Die Künstler erscheinen wie die reich ge-
borenen Söhne eines durch eigenes Verdienst reich gewor-
denen Vaters. Ist dies auch der Charakter des Künstlers
der Nike? Ein unbefangenes Urtheil, welches ohne histo-
rische Voreingenommenheit das Auge nur auf die Werke
selbst richtet, wird zugeben müssen, dass die Nike ihre
Stelle nicht nach den Parthenonsculpturen einnimmt, son-
dern vor denselben. Die einzelnen Formen sind noch ein-
facher, schlichter, herber. Die Linien greifen nicht so har-
monisch in einander ; der Künstler ist noch nicht im Voll-
besitz aller Mittel, sondern er sucht noch nach dem
adäquaten Ausdruck der Form. Wäre er in der Schule
des Phidias gewesen, so würde er dort bereits fertig vorge-
funden haben, was er noch brauchte.
Soviel über das Einzelne der Formen und ihre Aus-
führung. Fassen wir aber weiter die Verschiedenheiten der
Nike und der Giebelstatuen des Paeonios in's Auge, so
werden wir auch die Verschiedenheit der Aufgabe scharf
betonen müssen, die dem Künstler bei der ersteren gestellt
wurde. Nicht zu unterschätzen sind sogleich die äusseren
Umstände der Aufstellung. Das Band, welches selbst eine
Giebelgruppe noch mit der Malerei, und bei Paeoniosnoch fester
26 Sitzung der philo s.-phüol. Classe com 13. Januar 1877.
als sonst verknüpft, muss sich lösen bei einer Statue, die
für sich nicht nur frei, sondern frei auf hohem Postameut
gewisserinassen in der Luft schwebend erscheint. Hier
verlangen wir nicht malerische Flächen, sondern runde pla-
stische Formen, die durch den Gegensatz von Licht und
Schatten, von Höhen und Tiefen in der Luft hervortreten
sollen. Schon dadurch ist eine ganz andere Art der Mo-
dellirung, als bei dem malerischen Vollrelief der Giebel-
statuen bedingt. Nicht minder haben wir zu achten auf
den besonderen Gegenstand und das Motiv der Darstellung.
Auch ein geringerer Künstler als Paeonios würde es nie
wagen , einer so lax zusammengefügten Gestalt , wie etwa
dem Kladeos oder Alpheios, Flügel anzuheften. Das Schwe-
ben verlangt schlankere Proportionen , eine strengere Fü-
gung der Glieder, eine knappere schärfere Handhabung des
Meisseis in der Ausführung. Trotz dieser specifisch pla-
stischen Anforderungen ist aber doch wiederum gerade das
Grundmotiv der ganzen Composition ein so durchaus ma-
lerisches, dass es überhaupt nur durch gewisse Cautelen im
Aufbau für die Plastik verwendbar wurde. Niemand wird
hier dem Künstler wegen seiner eben so neuen wie kühnen
Erfindung seine Bewunderung versagen, und gern vergessen
wir gegenüber der glänzenden Gesammterscheinung die
früher hervorgehobenen formalen Unvollkommenheiten , die
nur dem Höchsten gegenüber geltend gemacht wurden.
Ist es nun aber reiner Zufall, dass nach einer von zwei
Ueberlieferungen aus dem Alterthum der Maler Aglaophon
aus Thasos, der Vater des Polygnot, es war, welcher zuerst
die Nike geflügelt dargestellt hatte? Wir werden dadurch
wieder nach Nordgriechenland zurückgeführt und haben
wenigstens nicht nöthig anzunehmen, dass Paeonios das
Grundmotiv seiner Erfindung anderswoher als aus seiner
Heimath entlehnt habe, selbst wenn Aglaophon die Nike
etwa nur erst beflügelt, aber noch nicht schwebend gebildet
Brunn: Die Sculpturen von Olympia. 27
haben sollte. Bei dem entschieden malerischen Charakter
der nordgriechischen Plastik erklärt sich sogar das Her-
übernehmen eines überwiegend malerischen Motives in die
Plastik hier weit leichter als irgend anderswo.
Aus den bisherigen Erörterungen ergibt sich also, dass
einen Schulzusammenhang des Paeonios mit Phidias anzu-
nehmen keineswegs mit Notwendigkeit geboten erscheint,
vielmehr bestimmte Anzeichen gegen einen solchen sprechen.
Andererseits liegen wenigstens hinlängliche Anknüpfungs-
punkte vor , • um uns auch die Nike auf dem Grunde der
heimathlichen Kunst erwachsen vorstellen zu können. Da-
bei soll allerdings die Möglichkeit nicht geleugnet werden,
dass Paeonios Werke das Phidias gekannt und allgemeine
Anregungen von ihnen erhalten haben könne, wie ja z. B.
auch Raphael den Einflüssen der Werke des Michelangelo sich
nicht verschloss, ohne dass von einem Schulzusammenhange
mit ihm die Rede wäre. Ich gestehe, dass ich selbst An-
fangs geneigt war, solche Einflüsse in weit grösserem Um-
faDge zuzugeben, als es sich bei genauerer Betrachtung als
nothwendig erwieseu hat. Namentlich, dass gerade die
Parthenonsculpturen auf Paeonios eingewirkt haben, darf
um so weniger behauptet werden , als dieselben , wie wir
gesehen, offenbar jünger oder höchstens der Nike gleich-
zeitig waren. Es ist aber schliesslich noch ein anderer
Punkt hier scharf zu betonen. Der älteren attischen Pla-
stik ist ein malerisches Element fast so fremd, wie der pe-
loponnesischen. Bei Phidias ist es vorhanden. Woher
stammt es bei ihm ? Wir dürfen mit Zuversicht antworten,
dass es durch Vermittelung der nordgriechischen Kunst des
Polygnot nach Athen gelangte. Sollen wir nun annehmen,
dass Paeonios, der Nordgrieche , gewisse Elemente seiner
Kunst den Attikern entlehnt habe, welche eben erst die-
selben Elemente aus Nordgriechenland bei sich eingeführt
hatten ? Auf das Lob der Einfachheit und Natürlichkeit
2 8 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 13. Januar 1877.
dürfte eine solche Annahme wahrlich keine Ansprüche er-
heben. Halten wir also vorläufig die Nike als ein nord-
griechisches Werk fest und überlassen wir es der Zukunft,
ob sich etwa durch weitere Entdeckungen die Mittel erge-
ben werden, über die Grenzen der heimathlichen Schule
hinaus auch Wechselwirkungen mit anderen Schulen nach-
zuweisen.
Historische Classe.
Sitzung vom 13. Januar 1877.
Herr Friedrich hielt einen Vortrag :
„Ueber eine an den römischen Stuhl ge-
richtete Denkschrift der bayerischen
Regierung über Attentata et violentiae
ex parte ordinariatus Frisingensis
(circa 1679)."
Sitzung vom 3. Februar 1877.
Herr Rockinger legte ein von Herrn Wegele in
Würzburg eingesandtes Würzburgisches Nekrologium vor.
Dasselbe wird in den Abhandlungen der Akademie ver-
öffentlicht werden.
Herr v. D ruf fei hielt einen Vortrag:
„Ueber Herzog Albrecht V. von Bayern
in seinen frühere n Regierungsjahren/1
30
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 3. März 1877.
Herr Lauth hielt einen Vortrag:
„Troja's Epoche/1
Derselbe wird in den Abhandlungen der Akademie ver-
öffentlicht werden.
Herr v. Maurer hielt einen Vortrag:
„Norwegens Schenkung an den heiligen
01af.u
Derselbe wird gleichfalls ebendort veröffentlicht werden.
Historische Classe.
Sitzung vom 3. März 1877.
Herr Preger hielt einen Vortrag:
„Der Streit Ludwig des Bayern mit dem
Papstthume."
Derselbe wird in den Abhandlungen der Akademie ver-
öffentlicht werden.
Oeffentliche Sitzung der k. Akademie der Wissen-
schaften
zur Feier des 118. S tiftu ngs tages
am 28. März 1877.
Der Präsident Herr v. Döllinger hielt eine Fest-
rede, welche dem Andenken des vor hundert Jahren ver-
storbenen Kurfürsten Max Joseph III., des Stifters der Aka-
demie, gewidmet war.
Hierauf verkündete der Herr Präsident Folgendes:
Die Akademie der Wissenschaften stellt zur Bewerbung
um den von Hrn. Christakis Zographos in Constan-
tinopel gestifteten Preis auf Vorschlag der philosophisch-
philologischen Classe folgendes Thema:
„Eingehende Untersuchung über den Umfang, den
„Inhalt und deD Zweck der auf Veranstaltung des
„Kaisers Konstantinos VII. Porphyrogennetos ge-
dachten Sammlungen von Excerpten aus den Werken
„älterer griechischer Schriftsteller."
Der unerstreckliche Einsendungs - Termin der Bearbeit-
ungen, welche nur entweder in deutscher oder in lateinischer
oder in griechischer Sprache geschrieben sein dürfen und an
Stelle des Namens des Verfassers ein Motto tragen müssen,
welches an der Aussenseite eines mitfolgenden den Namen
des Verfassers enthaltenden verschlossenen Oouverts wieder-
kehrt, ist der 31. December 1878.
Der Preis beträgt 1500 Mark, wovon die eine Hälfte
sofort nach Zuerkennung, die andere Hälfte erst dann zahl-
bar ist, wenn der Verfasser für die Druck- Veröffentlichung
seiner Arbeit genügende Sicherheit geboten hat.
32 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1877.
Der Classensecretär Herr v. Prantl erwähnte in Kürze
die im abgelaufenen Jahre verstorbenen Mitglieder der philos.-
philol. Classe, nernlich das ordentliche Mitglied Martin
Haug, und die auswärtigen Mitglieder Christian Lassen
in Bonn, Friedrich Diez in Bonn, Daniel Bonif.
v. Haneberg in Speier, Friedrich Ritschi in Leipzig,
Hermann Köchly in Heidelberg, Hermann Brockhaus
in Leipzig.
Wegen vorgerückter Zeit wurde das Nähere der hie-
mit folgenden Druck-Veröffentlichung vorbehalten:
Martin Haiig,
geb. am 30. Jan. 1827 in Ostdorf, Oberamts Balingen, in
Württemberg, zeigte bereits in der Elementarschule eine so
hervorragende Begabung, dass sein Vater, ein braver und
tüchtiger Bauer, sich endlich überreden Hess, dem ohne-
diess für die Feldarbeit etwas schwächlichen Jungen den
Uebertritt zum Schullehrerstande zu gestatten. Als „Schul-
incipient" aber und alsbald als Schullehrerpräparand ergriff
er jede sich bietende Möglichkeit, entweder für sich allein
aus Büchern oder unter Beihilfe älterer Kameraden die
antiken Sprachen zu erlernen, so dass er, als er (Nov. 1843)
Schulgehilfe in Unterensingen bei Nürtingen geworden war,
bereits Plato und Tacitus zu lesen vermochte. In gleicher
Stellung zu Grossbottwar bei Marbach verwendet (1844)
studirte er völlig autodidaktisch Sanskrit aus der Bopp'-
schen Ausgabe der Erzählung von Nala und Damajanti, in-
dem er nach der lateinischen Uebersetzung zunächst die
Eigennamen zur Zusammenstellung des Sanskrit- Alphabetes
benützte und so fort auf diesem mühevollsten Wege sich
selbst das ganze Sprach- Gebäude construirte. Auch während
v, Prantl: Nekrolog auf Martin Hang. 33
er (1845) als Lehrgehilfe in Beihingen bei Ludwigsburg
und bald hernach als Lehrer auf dem Hardthof (in der
Nähe von Stuttgart) wirkte, benutzte er emsigst jede freie
Stunde, um sich mittelst der wenigen Bücher, welche ihm
zu Gebot standen, zum Besuche der Universität vorzubereiten.
So erreichte er es,, dass er (März 1848) in die Oberclasse
des Stuttgarter Gymnasiums eintreten und im Herbste als
Studirender der Philologie in Tübingen immatriculirt werden
konnte, wo er zunächst bei Walz, Teuifel und Schwegler
hörte, in Bälde eine von der Facultät gestellte Preisaufgabe
über die Quellen der Plutarch' sehen Biographien mit glän-
zendem Erfolge bearbeitete, und dann unter Rud. Roth's
Leitung sich mit orientalischer Linguistik beschäftigte. Den
Lebensunterhalt musste er durch Ertheilung von Privat-
unterricht und durch Stipendien erreichen, wozu zum Glücke
die durch Ad. v. Keller vermittelte Aufnahme in den
,, Neuen Bauu kam. Am 1. März 1852 promovirte er auf
Grund der erwähnten Preis -Schrift und begab sich dann
nach Göttingen, wo er auch K. Fr. Hermann's Vorlesungen
besuchte, aber hauptsächlich Orientalia unter Benfey's und
insbesondere unter Ewald's Leitung betrieb, welch Letzterer
ihn aufforderte, iu eben diesen Studien seinen Lebensberuf
zu wählen. Der Wunsch, in Tübingen als Privatdocent
aufzutreten, fand am massgebenden Orte kein günstiges
Entgegenkommen, und so begab sich Haug nach Bonn, wo
er von Lassen freundlich aufgenommen am 9. Nov. 1854
mit einem Vortrage „Die Religion Zoroasters nach den
alten Liedern des Zendavesta" habilitirte. Schon durch seine
ersten literarischen Leistungen, besonders durch die „Zend-
studien" (1855 in der Zeitschr. d. deutschen morgenländ.
Gesellsch. Bd. IX) legitimirte er sich als einen höchst scharf-
sinnigen Forscher, und vor Allem wirkte seine Schrift
,,Ueber die Pehlevi- Sprache und den Bundehesch" (1854)
für dieses Gebiet bahnbrechend. Gedrückte äussere Lage
[1877. 1. Phil. bist. Cl. 1.] 3
34 Oeff'entliche Üitzung vom 28. März 1877.
veranlasste ihn 1856, die Stelle eines Privatsecretärs bei
Bunsen in Heidelberg anzunehmen, durch dessen Unter-
stützung es ihm auch ermöglicht wurde, Paris und London
zu besuchen; in Bunsen's Werk „Aegyptens Stelle in der
Weltgeschichte", Bd. V. (1856) ist von Haug's Feder „Das
erste Capitel des Vendidad übersetzt und erläutert11. Wäh-
rend er mit der Ausarbeitung des Werkes „Die fünf Gäthä's
oder Sammlungen von Liedern und Sprüchen Zarathustra V '
(1. Abth. 1858, 2. Abth. 1860) begonnen hatte, wurde an
ihn durch Dr. Pattison aus Oxford im Auftrage des Direc-
tors Howard in Bombay die Anfrage gerichtet (Mai 1858),
ob er eine Professur des Sanskrit in Poona, woselbst die
Brahmanen des Dekhan ihre Studien machen, annehmen
wolle. Haug löste nun das Verhältniss zu Bunsen und
kehrte, da die Verhandlungen mit der englischen Regierung
sich in die Länge zogen, wieder nach Bonn zurück, wo er
noch im folgenden Winter - Semester Vorlesungen hielt.
Nachdem im Juni 1859 die Unterhandlungen endlich ab-
geschlossen worden, trat er mit seiner Gattin, mit welcher
er sich am 13. Juni verbunden hatte, am 18. Juli die Reise
nach Indien an, wo er im November ankam. Als Professor
des Sanskrit und Superintendent der Sanskritstudien am
College zu Poona gab er dem Betriebe des Sanskrit und
desZend einen völlig neuen Impuls und brachte den deutschen
Namen zu höchster Ehre. Es war nicht bloss seine Ge-
lehrsamkeit, durch welche er grossen Erfolg, und Einfluss
errang, sondern er gewann auch durch sein humanes Wesen
und durch ein hervorragendes Umgangs -Talent das Ver-
trauen der Brahmanen in so hohem Grade, dass dieselben
ungeachtet der strengsten Vorschriften, wornach das Opfer-
Ritual geheim ^gehalten werden muss, sich dennoch herbei-
liessen, in seinem Hofe ein vedisches Opfer zu veranstalten.
Dazu kam als ein weiterer Gewinn, dass er durch befreun-
dete Brahmanen die Art der Recitation der Veden kennen
v. Prantl: Nekrolog auf Martin Hang. 35
lernte, und staunend müssen wir seine Ausdauer bewundern,
mit welcher er volle vierzehn Tage hindurch sich den Rig-
veda und den Atharvaveda recitiren liess. Eine reiche
wissenschaftliche Ausbeute fand er ferner, als er (1863) im
Auftrage der Regierung eine Reise in die Provinz Guzerat
unternahm, um Sanskrit-, Zend- und Pehlevi-Handschriften
zu kaufen; dort hörte er auch den Samaveda recitiren. In
Poona verfasste er die Schriften ,,Lecture on the origin of
the Parsee religion" (1862), „Essays on the sacred lan-
guage, writings and religion of the Parseesu (1862, eine
2. Auflage hievon hat er noch 1874 vorbereitet), „The
origin of Brahmanism" (1863), und bearbeitete sein Haupt-
werk „The Aitarey'a Brahmanam of the Rigveda" (2 Bdde.
1863), womit zusammenhing „A contribution towards a right
understanding of the Rigveda" (1863). Es handelte sich
ihm dabei um die Verwerthung des völlig neuen Materiales,
welches er durch den erwähnten Verkehr mit den Brah-
manen gewonnen hatte, und wenn auch die Ausschliesslich-
keit sowie die Ausdehnung seiner grundsätzlichen Motive
bei Fachgenossen Widerspruch gefunden hat, wird ihm Nie-
mand die Anerkennung des wirklich Verdienstlichen vor-
enthalten. Uebermässige Anstrengung und klimatische Ein-
flüsse hatten allmälig seine physischen Kräfte geschwächt,
so dass eine Aenderung seiner Lage als unumgänglich uoth-
wendig erschien. Förmlich überschüttet mit Auszeichnungen
und Adressen verliess er Poona und kehrte nach Deutsch-
land zurück (Febr. 1866), wo er sich zunächst in Reut-
lingen und dann in Stuttgart niederliess. Dort begann er
noch die Verarbeitung des reichen aus Indien mitgebrachten
Stoffes mit „An old Zand-Pahlavi glossary" (1867). Im
J. 1868 folgte er einem Rufe an die Universität München
als ordentlicher Professor des Sanskrit und der vergleichen-
den Sprachwissenschaft, und sowie ihm als Lehrer der un-
ermessliche Vortheil zur Seite stand, dass er in Folge
3*
36 Oeftentliche Sitzung vom 2ü. März 1877.
mehrjähriger Erfahrung mit dem Leben und den Anschau-
ungen jener Völker vertraut war, deren Sprache und Lite-
ratur er zum Gegenstande seiner Vorträge zu machen hatte,
so gelang es ihm auch, durch seine liebevolle und auf-
opfernde Thätigkeit Schüler heranzuziehen. Daneben aber
förderte er auch schriftstellerisch die Wissenschaft durch
zahlreiche Ergebnisse seiner Forschungen, namentlich in den
Publicationen unserer Akademie, welcher er seit 1866 als
Mitglied angehörte. Wir erwähnen hieraus besonders : ,,Ueber
die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Brahma" (1868),
„Ueber den Charakter der Pehlevi-Spracheu (1869), „Ueber
das Ardäi Viräf nämeh" (1870), „Brahma und die Brah-
lnanen" (1871), „Die Ahunavairya- Formel, das heiligste
Gebet der Zorastrieru (1872), „Ueber das Wesen und den
Werth des vedischen Accentes" (1873), „Vedische Rätbsel-
fragen und Räthselsprüche" (1876). Im Vereine mit an-
deren Gelehrten bearbeitete er „An old Pahlavi - Päzand
glossary" (1870) und „The book of Arda Viraf" (1872);
auch entwickelte er noch bei Gelegenheit des Londoner
Orient alisten-Congresses (1874) seine Grundsätze durch die
Schrift „On the interpretation of the Vedau. Hang, in
vollem Sinne des Wortes ein „seif made man", hatte mit
eiserner Willenskraft und rücksichtsloser Wahrheitsliebe
stets das Ziel verfolgt, in die letzten Tiefen der indischen
und der persischen Literatur und Cultur einzudringen; rast-
los rieb er in Forschung und Lehrthätigkeit seine Kräfte auf
und gelangte so in eine fast unnatürliche Nervenaufregung,
als deren Folge sein heftiges Gebahren und die Weise seiner
Polemik zu betrachten und zu entschuldigen sind. An
Charakter edel, schlicht und geradsinnig bewahrte er bei
allem Aufbrausen stets in seinem innersten Wesen eine
hingebende Gutmüthigkeit und humanstes Wohlwollen. Be-
reits im Winter 1875/76 hatte er in bedenklicher Weise
zu kränkeln begonnen, und während er im Frühjahre
v. Prantl: Nekrolog auf Martin Haug. 37
im Bad Ragaz Heilung seiner Leiden erhoffte, endete
dort sein Leben unerwartet schnell am 3. Juni 1877.
Näheres über ihn s. Allg. Zeitung, 1876, Beilage Nr. 182
(von unserem Collega Trumpp) und bei Adalb. Bezzenberger,
Beiträge z. Kunde d. indogerman. Sprachen, Bd. I, Heft 1,
S. 78 ff., wo auch ein durchaus vollständiges Verzeichniss
aller literarischen Arbeiten Haug's beigefügt ist; über die
in seinem Nachlasse enthaltenen orientalischen Handschriften,
deren Catalog ein Freund des Verstorbenen, Dr. West vor-
bereitet, s. Allg. Zeitung, 1876, Beilage Nr. 337 (woselbst
auch die Notiz, dass die Parsi-Priester in Guzerat die Be-
werkstelligung einer Haug-Stiftung beabsichtigen).
Christian Lassen,
geb. am 22. Oct. 1800 zu Bergen in Norwegen, studirte
zunächst classische Philologie in Christiania, hierauf in
Heidelberg und in Bonn, an welch letzterer Universität er
durch Aug. Wilh. Schlegel für das Gebiet der Sanskrit-
Studien gewonnen wurde. Diese befanden sich zu jener
Zeit noch in den ersten Anfangs - Stufen , und während
Schlegel selbst nicht einmal eine Vorstellung von dem Um-
fange derselben hatte, sah sich Lassen darauf hingewiesen,
bei jedem Schritte, auf welchem er die empfangene An-
regung wirken zu lassen gedachte, sich erst selbständig
neue Bahn zu brechen; durch ausdauernden Willen aber
und angespannteste Kraft gelangte er dazu, der Begründer
der indischen Alterthumskunde zu werden. In den Jahren
1824—26 hielt er sich in London und Paris auf, theils um
für eigenen Gebrauch Materialien zu sammeln, theils um
für Schlegel's Ausgabe des Rämäyana Collationen zu machen,
und durch die schwierige Aufgabe, das in Paris befindliche
38 Oeft entliehe Sitzung vom 28. März 1877.
auf Palmblätter geschriebene Exemplar desselben zu lesen,
legte er den Grund zu seinem späteren schweren Augen-
leiden. In Paris fand er durch Burnouf gediegene weitere
Anleitung, deren Frucht seine von der Societe Asiatique
veröffentlichte Erstlingsschrift „Essai sur le Pali" (1826)
war, woran sich noch „Observations grammaticales" (1827)
anreihten. Nach Bonn zurückgekehrt beschäftigte er sich
unter Frey tag' s Leitung mit arabischen Studien und erwarb
(1827) die Doctorwürde durch die ,,Commentatio geographica
atque historica de Pentapotamia Indica". Bald darauf ha-
bilitirte er sich als Privatdocent und veröffentlichte in ver-
einter» Arbeit mit Schlegel, in dessen Hause er einige Jahre
wohnte, die mit einem kritischen Commentare begleitete
Ausgabe des Hitopadesa (1829—31); in SchlegeFs „Indischer
Bibliothek" erschien (1830) sein Aufsatz „Ueber Bopp's
grammatisches System der Sanskritsprache", wobei er die
bisherigen schwachen Puncte des Sanskritstudiums aufzeigte
und auf die Notwendigkeit hinwies, die Original-Leistungen
der indischen Grammatiker zu studiren. Im J. 1830 wurde
Lassen ausserordentlicher und i. J. 1840 ordentlicher Pro-
fessor für altindische Sprache und Literatur; eine an ihn
(1841) ergangene Einladung nach Kopenhagen lehnte er
ab und wirkte eine lange Reihe von Jahren in Bonn als
sehr beliebter Lehrer einflussreichst durch seine Vorlesungen
über Sanskrit, Zend, indische Archäologie, iranische Alter-
thümer, alte Geographie und Geschichte der Sprachen, wo-
\:eben er während längerer Zeit auch Unterricht im Eng-
lischen ertheilte und Shakespeare, Milton und Pope erklärte.
Eine reiche schriftstellerische Thätigkeit gibt ein beredtes
Zeugniss seiner wissenschaftlichen Kraft und seines auf-
opfernden Strebens. Er veröffentlichte „Gymnosophista sive
Indicae philosophiae documenta" (1832) und „Malatima-
dhavae fabulae Bhavabhutis actus primus" (1832), womit er
seine schätzbaren kritischen Textausgaben der Sanskrit-
v. Prantl: Nekrolog auf Christian Lassen. 39
Literatur eröffnete; zur gleichen Zeit war er der erste,
welcher die umbrischen Sprachdenkmäler auszubeuten ver-
suchte durch seine ,, Beiträge zur Deutung der Eugubinischen
Tafeln11 (1833). Daneben wendete er sich, angeregt durch
Burnouf s Arbeiten zum Zend und zu den Keil-Inschriften
von Persepolis, wobei eine zufällige äussere Veranlassung
entscheidend mitwirkte; es hatte ihn nemlicn einer seiner
Schüler, welcher sich mit Klaproth's Apercu general des
trois royaumes und den dort veröffentlichten Entzifferungs-
Versuchen St. Martin's beschäftigte, um seine Meinung ge-
fragt, worauf Lassen demselben nach Ablauf von zwei
Tagen die volle Entzifferung zustellte. So veröffentlichte
er bald hernach „Die altpersischen Keil - Inschriften von
Persepolis" (1836), wovon später (1845) eine vermehrte
und verbesserte Auflage im 6. Bande der Zeitschrift für
Kunde d. Morgenlandes unter dem Titel ,,Ueber die Keil-
Inschriften der ersten und zweiten Gattung" zusammen mit
Westergaard's Essay erschien. Gleichfalls 1836 veröffent-
lichte er die bereits 1824 in London vorbereitete Ausgabe
von „Gita Govinda, Jayadevae poetae Indici drama lyricum",
und zur nemlichen Zeit sein massgebendes dreibändiges
Werk, welches fortan eine Hauptquelle für ältere indische
Volksdialekte blieb, nemlich die ,,Institutiones linguae
Pracriticae" (1836 u. 37), wozu Nie. Delius als Supple-
mentum die „Radices Pracritae" gab (1839). Zum Ge-
brauche für Vorlesungen publicirte er die „Anthologia
Sanscritica (1838), wovon Gildemeister eine 2. Auflage
(1868) besorgte, und später „Vendidad capita quinque prima"
(1852). Im J. 1838 erschien: „Zur Geschichte der griechi-
schen und indoskythischen Könige in Baktrien, Kabul und
Indien", wobei Lassen hauptsächlich die Kunde der betref-
fenden Münzen zu historischen Ergebnissen verwerthete.
Auch bearbeitete er die 2. Auflage von Schlegel's Ausgabe
der Bhagavadgita (1846). In der Zeitschrift f. Kunde d.
40 Oeff entliche Sitzung vom 28. März 1877.
Morgenlandes, deren Herausgeber er war, stammen aus
seiner Hand: „Ueber das Mahäbharäta" (1837), „Ueber die
Sprachen der Beluchen und Brahui" (1838), „De Taprobane
insulau (1842); und in der Zeitschrift der deutschen mor-
genländischen Gesellschaft erschienen seine Aufsätze „Ueber
die lykischen Inschriften und die alten Sprachen Klein-
asiensu (Bd. X) und „Ueber die altindische Handelsverfas-
sung" (Bd. XVI). Einzelne Beiträge lieferte er auch in
das Rheinische Museum, sowie in die Er seh -Gr über' sehe
Encyclopädie. Neben all dieser manigf altigen Thätigkeit
arbeitete er rüstig an seinem ruhmwürdigen Hauptwerke,
nemlich der „Indischen Alter thumskunde", in welchem er
wohl bei manchem Einzelnen, wie nicht anders möglich,
sich mittelst Compilation an Leistungen Anderer anlehnen
musste, aber hiemit nicht bloss das Verdienst einer ersten
zusammenfassenden Darstellung in Anspruch nehmen durfte,
sondern auch auf Grund eigenster Forschungen hauptsäch-
lich im Gebiete der Ethnographie und der ältesten Ge-
schichte Indiens bleibende Ergebnisse zu Tag förderte. Der
1. Band erschien bereits 1847, worauf ziemlich rasch der 2.
folgte (1849); nach längerer Pause reihten sich an der 3.
(1858) und der 4. (1861), welch letzterer bis in die Zeit
Mohammed's und der ersten portugiesischen Eroberungen
reicht. An weiterer Fortsetzung war Lassen durch schlimme
Gesundheits -Verhältnisse gehindert, nachdem zu einem
Augen -Uebel bereits seit 1840 ein Magenleiden getreten
war, welches allmälig seinen Körper derartig schwächte,
dass er meist das Sopha nicht verlassen konnte und auch
im Ppraeh -Vermögen gehemmt wurde. So musste er sich
seit 1860 immer mehr vom Lehramte zurückziehen und
1864 um gänzliche Enthebung von demselben bitten. Als
treue Pflegerin stand ihm seine Gattin (geb. Wiggers, mit
welcher er sich 1849 verbunden hatte) zur Seite, und unter
Beihilfe derselben, sowie eines Schülers entstand die zweite
v. Prantl: Nekrolog auf Christian Lassen. 41
Auflage der ersten 2 Bände der Indischen Alterthumskunde
(1867 und 1874). Auch bei seinen körperlichen Leiden
bewahrte er einen heiteren Sinn, ein frisches Gedächtniss
und lebhaftes Interesse für seine Wissenschaft , wobei er
sich der mündlichen Mittheilungen eines befreundeten Amts-
genossen erfreute. Ueber seine reiche Bibliothek verfügte
er bereits 1870 zu Gunsten der Universitäten Chris tiania
und Bonn und seiner Geburtsstadt Bergen. Lassen, welchen
fast sämmtliche gelehrten Gesellschaften unter ihre Mit-
glieder aufnahmen (unserer Akademie gehörte er seit dem
Jahre 1841 an), starb am 8. Mai 1876.
Friedrich Diez,
geb. zu Giessen am 15. März 1794, empfing die Grundlagen
geistiger Bildung am dortigen Pädagogium, wo er die treff-
lichste Anregung sowohl bezüglich der classischen als auch
der romanischen Literatur durch F. G. Welcker fand,
welcher um jene Zeit eben aus einem längeren Aufenthalte
in Rom und Italien zurückgekehrt war; und nachdem
Welcker (1809) eine Professur an der Universität über-
nommen hatte, ergab sich für die weitere Fortbildung des
jungen Diez eine erfreuliche Wiederholung der Einwirkung
des von ihm verehrten Lehrers. Diez aber unterbrach seine
Universitätsstudien, um (1813) als Freiwilliger eines hes-
sischen Corps den Befreiungskrieg mitzumachen. Zurück-
gekehrt widmete er sich zunächst dem Studium der Juris-
prudenz, gab aber dasselbe in Bälde auf, um sich der
spanischen und portugiesischen Literatur zuzuwenden. Da
(1816) Welcker einem Rufe nach Göttingen folgte, begab
sich Diez ebendorthin, wo er auch (1817) als Erstlings-
frucht eine metrische Uebersetzung spanischer Romanzen
42 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1877s
veröffentlichte. Im April 1818 ging er auf Reisen und
machte in Jena seinen Besuch bei Göthe, nachdem er dem-
selben die erwähnte Uebersetzung zugeschickt hatte. Göthe,
welcher sich soeben mit Raynouard's jüngst erschienenen
Publicationen („Choix des poesies originales des Trouba-
dours11) beschäftigt hatte, rieth dem Besucher dringlich,
gerade dieses Gebiet als Gegenstand seiner weiteren Be-
strebungen zu wähleu, — ein Rath, welcher, wie der ent-
scheidende Erfolg zeigte, trefflichst befolgt wurde. In den
Jahren 1819 und 1820 lebte Diez in Utrecht, wo er eine
Hofmeisterstelle übernommen hatte, 1821 kehrte er nach
Giessen zurück und promovirte dort (am 30. Sept.), 1822
wendete er sich nach Bonn, wo er sich als Privatdocent habi-
litirte und bereits nach Jahresfrist (1823) ausserordentlicher
und 1830 ordentlicher Professor wurde. Auf seine schon
1821 veröffentlichten „Altspanischen Romanzen" war 1825
die Schrift gefolgt „Beiträge zur Kennt niss der romanischen
Poesie" (wovon später De Roisin eine französische Ueber-
setzung publicirte unter dem Titel „Essais sur les Cours
d'amour". 1842). Es waren diess Vorarbeiten zur ersten
Gruppe der Hauptleistungen Diez's ; nemlich es erschien zu-
nächst „Die Poesie der Troubadours" (1826, — in fran-
zösischer Uebersetzung von De Roisin, 1845), worin er die
eigenthümliche poetische Physiognomie und die ästhetischen
Momente der provencalischen Dichter, sowie das Verhältniss
derselben zu verwandten anderen Literatur-Gattungen dar-
zulegen sich bemühte, und hierauf folgte „Leben und Werke
der Troubadours" (1829), wodurch die geforderte Ergänzung
in biographischer Beziehung, mit Einschluss der Liebes-
Abenteuer, und in literargeschichtlicher Richtung zur vorigen
Schrift hinzutrat. Hatte Diez auf diese Weise das Gebiet
der provencalischen Poesie als eine wichtige Literatur-
Erscheinung kritisch durchforscht und in ebenso klarer als
zuverlässiger Darstelluug förmlich neu eröffnet, so legte er
v. Prantl: Nekrolog auf Friedrich Diez, 43
seit 1830 die Hand daran, sich in einer zweiten Richtung
ein nicht minder grosses, ja wohl noch grösseres Verdienst
um die Wissenschaft zu erwerben. Angeregt nemlich durch
das von Jac. Grimm gegebene Vorbild wurde er der
Schöpfer einer romanischen Sprachwissenschaft im vollen
Sinne des Wortes. Schon als er (1831) in den Berliner
Jahrbüchern f. wissensch. Kritik die Schrift Diefenbach's
,,Ueber die jetzige romanische Schriftsprache" einer Be-
urtheilung unterzog, liess er die Mitwelt ahnen, was von
ihm zu erwarten sei, und nach Ablauf einiger Jahre er-
schien der erste Band seiner meisterhaften Arbeit. Die
„Grammatik der romanischen Sprache" (3 Bände, 1836 — 42),
ein Werk der gründlichsten Forschung, welche unter Ver-
meidung phantasievoller Hypothesen lediglich vom nüch-
ternsten Verstände gezügelt war und in durchsichtig klarer
Darstellungsweise zu Tag trat, wurde zum Ausgangspuncte
und zur Grundlage aller späteren romanischen Linguistik.
Und in rastlosem wissenschaftlichen Eifer beachtete er kaum,
dass Manche diese Grammatik ernstlichst für unübertrefflich
hielten, sondern in Bescheidenheit und Selbstverleugnung
suchte er sich selbst zu übertreffen, so dass die zweite Auf-
lage (1856—60) nahezu als ein neues Werk zu bezeichnen
ist, sowie auch die dritte (1869 — 73) abermals neue Er-
gebnisse sorgfältigster Erwägung enthält. Der Grammatik
stellte Diez etwas später das „Etymologische Wörterbuch
der romanischen Sprache" (1853) zur Seite, in welchem er
jeder etymologischen Spielerei fern bleibend besonnen und
vorsichtig auf den Grund der Gesetze der Lautlehre die Ab-
stammung des romanischen Sprachschatzes darlegte; auch
das Wörterbuch, welchem ein „Kritischer Anhang z. etym.
Wörterb." (1859) folgte, hat in zwei späteren Auflagen
(1862 u. 1870) die gründlichst verbessernde Hand erfahren.
Durch die beiden umfassenden Werke hatte sich Diez die
unangefochtene Stellung eines Meisters seiner Wissenschaft
44 Oeff entliche Sitzung vom 28. März 1877.
erworben und sowohl für Deutsche als für Romanen eine
unerschütterliche Grundlage der betreffenden Studien ge-
schaffen. Die Grammatik fand (1863) eine französische Be-
arbeitung durch Gaston Paris und A. Brächet, eine eng-
lische durch Cayley (1863), und bezüglich des Italienischen
eine excerpirende Bearbeitung durch Fornaciari (1872). Von
selbst verstand es sich, dass eine grosse Anzahl gelehrter
Gesellschaften eine Ehre darein setzte, Diez unter ihre Mit-
glieder aufzunehmen (unserer Akademie gehörte er seit 1854
an). Neben der wissenschaftlichen Lebensaufgabe, welcher
er in Ausführung, Erneuerung und steter Verbesserung der
Grammatik und des Wörterbuches oblag, veröffentlichte er
einige Arbeiten kleineren Umfanges, nemlich 1846 ^Alt-
romanische Sprachdenkmale" (d. h. „Die Eide von 842u
und das Eulalia- und Boecius-Lied) und 1852 „Zwei alt-
romanische Gedichte" (d. h. La passion du Christ und das
Gedicht St. Leger), bei welch beiden er dem kritisch her-
ausgegebenen Texte einen Commentar und eine literar-
geschichtliche Abhandlung beifügte. Dann folgte noch
1863 „Ueber die erste portugiesische Kunst- und Hof-
Poesie" und 1865 „Altromanische Glossare, berichtigt und
erklärt", welch letztere Schrift, ein Meisterwerk an Sorg-
falt und Kritik, bezüglich des primitiven Zustandes der ro-
manischen Sprachen die wichtigsten und belangreichsten
Aufschlüsse gibt. Ausserdem lieferte er auch einige Bei-
träge zu Haupt's Zeitschrift. Was er als Lehrer geleistet,
ist in dem dankbarsten Andenken zahlreicher Schüler nieder-
gelegt, und er selbst konnte hievon ein beredtes Zeugniss
in den allseitigen Huldigungen erfahren, welche ihm (1871)
bei der Feier seines Doctor - Jubiläums zu Theil wurden.
Durch wohlwollende Herzensgüte, liebenswürdige Bescheiden-
heit und edle Seelenreinheit fesselte er Alle an sich, welche
ihm näher traten, und indem er nicht eine eigentliche
Schule in dem Sinne eines specifischen Parteistandpunctes
v. Prantl : Nekrolog auf Friedrich Viez. 45
gründete, sondern in humanster Beurtheilung auch der ge-
ringeren Leistungen Anderer seinen Schülern stets vor
Augen führte , dass man nicht auf das Wort des Meisters
schwören solle, übte er durch seine Lehrthätigkeit eine
Wirkung aus, welche innigst parallel läuft mit seinen
schriftstellerischen Leistungen, durch die er der Altmeister
und Begründer der romanischen Philologie geworden, K\xi
der breiten, sicheren und klaren Grundlage, welche gegeben
zu haben sein Verdienst war, konnte nach längerer Zeit
eine jüngere Generation reichlich und rasch fortbauen, um
die Beschaffenheit und Geschichte der Sprache der roma-
nischen Völker allseitig zu ergründen. Diez selbst erfuhr
in den letzten Jahren des hohen Alters, welches er er-
reichte, eine körperliche und geistige Erschöpfung, und
Niemand wird es unerklärlich finden, wenn er als 81 jähriger
Greis nicht mehr auf der früheren Höhe seines Schaffens
stand, so dass sein letztes Werk „Romanische Wortschöpfung41
(1875), worin er die Frage erörterte, welche lateinische
Substantiva von den Romanen beibehalten und welche an-
derweitig von ihnen ersetzt wurden, von den Fachkundigen
nur als Frucht eines Spätsommers bezeichnet werden konnte.
Sein für die Wissenschaft erfolgreiches Leben endete am
29. Mai 1876.
Daniel Bonifacius v. Haneberg,
geb. am 16. Juni 1816 im Hofe ,,zur Tanne" (in der
Pfarrei Lenzfried bei Kempten) als Sohn schlichter ver-
möglicher Bauersleute, erhielt den ersten Unterricht von
seinem hiezu nicht unbefähigten Vater und besuchte dann
neben fortdauernder Verwendung zur Feldarbeit seit 1827
die Lateinschule und das Gymnasium zu Kempten, wo er
1
46 Oeff 'entliche Sitzung vom 28. März 1877.
an Begabung und Fleiss seine Mitschüler stets weit über-
ragte; das letzte Jahr aber des Gymuasialstudiums trat er
(1834) in München an dem damals sog. alten Gymnasium
an, wobei er die freien Stunden zum Besuche der Vor-
lesungen Allioli's über arabische und syrische Sprache be-
nützte. Als er an die Universität übergetreten war (1835),
fand er es in Folge seines ganz ausserordentlichen Sprach-
talentes möglich, neben dem Studium der Theologie sich in
ausgedehntem Masse linguistische Kenntnisse zu erwerben,
welche sich allmälig sowohl auf die romanischen Sprachen
und das Neugriechische als auch insbesondere auf das ganze
semitische und theilweise auf das arische Gebiet erstreckten.
Sowie er seinen Lehrern in der That ein Gegenstand der
Bewunderung geworden war, erklärt es sich als selbst-
verständlich, dass er unmittelbar nach absolvirter Universi-
tät (1839, zur selben Zeit, als er die Priesterweihe empfieng)
mit der Promotion alsbald die Habilitation verband und in
rascher Stufenfolge zum ausserordentlichen (1841) und or-
dentlichen Professor (1844) befördert wurde. Neben dem
Lehramte, in welchem er hauptsächlich die biblisch-orienta-
lischen Sprachen und die Exegese des alten Testaments ver-
trat, übernahm er die Stelle eines Universitäts-Predigers
und wurde auch bald in Folge seiner vortrefflichen Cha-
rakter-Eigenschaften der beliebteste Seelsorger und Beicht-
vater der vornehmen Stände. Seine Seelen-Reinheit, seine
Milde und an Demuth gränzende Bescheidenheit, sein muster-
giltiger Wandel hatten ihn zu einem Liebling der Bevöl-
kerung gemacht, sowie seine Gelehrsamkeit ihm in allen
gebildeten Kreisen höchstes Ansehen verlieh (i. J. 1848
wurde er Mitglied unserer Akademie). Unter Beibehaltung
seiner Professur trat er 1850 als Novize in das Benedic-
tiner-Kloster zu St. Bonifacius ein und wurde 1854 von den
Conventualen zum Abte gewählt (als solcher am 19. März
1855 installirt). Im Interesse seines Ordens unternahm er
v. PranÜ : Nekrolog auf Daniel Bonifacius v. llaneberg. 47
1861 eine Reise nach Algier und Tunis, um in letzterem
Lande für Errichtung einer Missions -Station zu wirken,
und 1864 gieng er über Constantinopel nach Palästina. Im
J. 1865 wurde er von der Curie zum Consultor der in Rom
neu errichteten Congregation für die orientalischen Riten
ernannt, und während der zum vaticanischen Concil getrof-
fenen Vorbereitungen hielt er sich (1869) in Rom auf,
wo er sich in den Bibliotheken seinen gelehrten Studien
hingab ; an dem Concil selbst aber nahm er nicht Theil.
Nachdem er bereits früher für mehrere Bischof sitze (Augs-
burg, Trier, Köln, Eichstädt) vergeblich in Aussicht ge-
nommen war, wurde er am 11. Sept. 1872 als Bischof von
Speier inthronisirt. Dort erlag er am 31. Mai 1876 einer
Lungenentzündung. Beschränken wir uns unter Beiseite-
lassung anderweitiger Verhältnisse und Vorkommnisse, welche
von den wissenschaftlichen Interessen der Akademie in weiter
Entfernung abliegen *), auf Haneberg's literarische Leistun-
gen, so eröffnet sich die Reihe derselben mit seiner Habili-
tationsschrift „De significationibus in Vetere Testamento
praeter literam valentibusa (1839), hierauf folgte „Ueber
die in einer Münchener Handschrift aufbewahrte arabische
Psalmen-Uebersetzung des Saadia Gaonu (1841); sodann be-
arbeitete er einen Gegenstand, welcher ihn hauptsächlich in
seinen Vorlesungen zu beschäftigen hatte, nemlich es er-
schien sein „Handbuch der biblischen Alterthuniskunde"
(1842), welches er nach einer langen Reihe von Jahren in
umgearbeiteter Form unter dem Titel „Die religiösen Alter-
thümer der Bibel" (1869) veröffentlichte. In Zusammen-
hang hiemit war bereits 1845 gestanden „Einleitung in das
*) Näheres s. bei M. Jocham (im 14. Hefte des Sammelwerke«
„Deutschlands Episcopat in Lebensbildern", 1876), sowie Allg. Zeitung,
1876, Beilage Nr. 178 ff., Kölner Zeitung, 1876, 3. Juni, und Deutscher
Merkur 1876, Nr 23.
48 Oeft'entliche Sitzung vom 28. März 1877.
alte Testament'1, welche Schrift in sehr erweiterter Gestalt
als „Versuch einer Geschichte der biblischen Offenbarung
als Einleitung in das alte und neue Testament" (1850) er-
schien, wovon noch drei weitere Auflagen (1853, 1863,
1874) noth wendig wurden. Zugleich aber hatte er seine
Studien auf die arabische Literatur und deren Beziehungen
zum lateinischen Mittelalter gelenkt, und auf die höchst
anregende Schrift ,,Ueber das Schul- und Lehr -Wesen der
Muhamedaner im Mittelalter" (1850) folgte „Erörterungen
über Pseudo-Wakidi's Geschichte der Eroberung Syriens"
(1860), sodann die äusserst gründliche Untersuchung „Zur
Erkenntnisslehre von Ibn Sina und Albertus Magnus" (1866),
hierauf „Das muslimische Kriegsrecht" (1871). Dazwischen
war erschienen „Renan's Leben Jesu beleuchtet" (1864)
und „Canones s. Hippolyti arabice e codicibus romanis"
(1870). Ausserdem war er 1866 — 70 Mitarbeiter am theo-
logischen Literatur blatte, auch übersetzte er Wiseman's
Schriften über die vornehmsten Lehren der kathol. Kirche
und über den Zusammenhang zwischen Wissenschaft und
Offenbarung, sowie Stanyhurst's Geschichte des Leidens und
Sterbens Jesu. Endlich sind auch einige seiner Predigten
und der von ihm gehaltenen Grabreden durch den Druck
veröffentlicht worden.
Friedrich Ritschi,
geboren als Sohn eines protestantischen Geistlichen am
6. April 1806 in Grossvargula bei Erfurt, besuchte das
Gymnasium letzterer Stadt und hierauf die Studien anstalt
zu Wittenberg, an welcher damals Nitzsch und insbesondere
Spitzner in trefflichster Weise wirkten, bezog hierauf 1825
die Universität Leipzig, wo er hauptsächlich unter Gottfr.
v. Prantl: Nekrolog auf Friedrich Mitschi. 49
Hermanns Leitung Philologie studirte und an der von dem-
selben gegründeten griechischen Gesellschaft Theil nahm;
im folgenden Jahre ging er nach Halle und schloss sich
dort an Reisig an, in dessen Privatissimum nur solche
Studirende Zutritt hatten, welche lateinische Arbeiten kri-
tischen Inhalts lieferten. Es war in der That eine Vor-
andeutung der ganzen spätem Entwicklung Ritschl's, dass
er mit einer „Schedae criticae" betitelten Dissertation (am
11. Juli 1829) promovirte, sowie die alsbald (in Aug.) fol-
gende Habilitationsschrift ,,De Agathonis vitau das hervor-
ragende Talent zu erschöpfender Einzeln - Untersuchung
kundgibt. Nachdem er 1832 in Halle Extraordinarius ge-
worden, kam er 1833 nach Passow's Tod in gleicher Eigen-
schaft nach Breslau, wo er 1834 ordentlicher Professor und
Vorstand des philologischen Seminares wurde. Er hatte
unterdess eine Ausgabe des Thomas Magister, Eclogae vo-
cum etc. (1832) und die Schrift „De Oro et Orione" (1834)
veröffentlicht, mit 1835 aber begann bereits seine nach-
haltige Beschäftigung mit Plautus. Neben einem Aufsatze
„Ueber die Kritik des Plautus" (im Rhein. Mus. 1835) er-
schien als Vorläufer späterer Leistungen die kritische Aus-
gabe der Bacchides (1835), und als Programm zum Antritte
der Professur der Eloquenz schrieb er ,,De Plauti Bacchi-
dibusu (1836). Daneben begann er eine Ausgabe des Me-
letius, de natura hominis (aus einem Krakauer -Codex, 1836;
eine Fortsetzung konnte unterbleiben nachdem Cramer's
Anecd. Oxon. Vol. III erschienen waren). In den Jahren
1836 und 1837 unternahm er eine wissenschaftliche Reise
nach Italien, als deren Ergebnisse sowohl die kleinern
Schriften „De amphora quadam Galassiana" (1837) und
„Etymologici Angelicani brevis descriptio" (1837) als auch
die Abhandlung „Ueber den Mailänder Palimpsest des
Plautus" (im Rhein. Mus. 1837) gehörten. Indem er in
Rom in einem Pergament - Codex des Plautus ein höchst
[1877. 1. Phil. hist. Cl. 1.] 4
50 Oeff entliehe Sitzung vom 28. März 1877.
wichtiges Scholion gefunden hatte, wurde er hiedurch auf
ein anderes scheinbar weit abliegendes Untersuchungs-Gebiet
geführt, woraus seine äusserst belangreiche Schrift entsprang
„Die alexandrinischen Bibliotheken unter den ersten Ptole-
mäern und die Sammlung der homerischen Gedichte durch
Pisistratus" (1838). Nach Breslau zurückgekehrt veröffent-
lichte er ein Programm über Dionysius Halicarn., Antiqu.
Rom. (1838), sowie ein anderes De emend. fabul. Terent.
(1838) und Spicilegium epigraphicum (1838). Im J. 1839
folgte Ritschi einem Rufe nach Bonn, wo die Stelle des
verstorbenen Näke zu besetzen war, als ordentlicher Pro-
fessor der classischen Literatur und der Beredtsamkeit ; er
wurde Mitdirector des philologischen Seminares neben Welcker,
übernahm später (1854) auch das Amt eines Oberbibliothe-
kares, wobei er Gelegenheit fand, durch manigfache Re-
formen bleibenden Nutzen zu stiften, und trat an die Spitze
des akademischen Kunstmuseums und des rheinischen Mu-
seums vaterländischer Alterthümer, sowie des Vereins der
Alterthumsfreunde des Rheinlandes. Mit der Ueber Siedlung
nach Bonn hatte die reichste und glänzendste Periode seiner
schriftstellerischen Thätigkeit und zugleich sein Ruhm als
akademischer Lehrer begonnen. Abgesehen von der Re-
daction der Neuen Folge des rhein. Museums, welche er
seit 1841 mit Welcker herausgab, fand er manigfachste Ge-
legenheit und Aufforderung zu literarischen Publicationen ;
er lieferte nicht nur mehrere Aufsätze in die Annali dell'
instituto archeologico zu Rom, sondern auch manche Ab-
handlungen in die Ersch- Gruber' sehe Encyclopädie, worunter
neben ,,Onomakritosu, ,,Oros und Orion", „Olympus der
Aulet" insbesondere der Artikel „Philologie'4 höchst be-
achtenswerth ist; vor Allem aber legte er in den von ihm
verfassten Universitäts - Programmen eine Menge kostbarer
Einzeln-Forsch ungen nieder. Dieselben betrafen zunächst
wieder Plautus, nemlich „De veteribus Plauti interpretibus"
v. Prantl: Nekrolog auf Friedrich Ritschi. 5l
(1839), dann in Anknüpfung an das oben erwähnte Scholion
und dessen weitere Polgen „Disputatio de stichometria" (1840)
und „Corollarium disputationis de bibüothecis Alexandrinis
deque Pisistrati curis Homericis" (1840), daneben aber
auch „De gemino exitu Andriae Terentianae" (1840), hier-
auf die berühmten Programme „De Plauti nominibus"
(1841 f.), sowie „De aetate Plautiu (1841) und „Die plau-
tinischen Didaskalien" (1841 im Rhein. Museum), dazwischen
„Die Verse des Porcius Licinius über Terentius" (1841
ebend.) und „De Urbis porta Metia" (1842), dann wieder
„Die fabulae Varronianae des Plautus" (1843 f.), ,,^e actae
Trinummi tempore" (1843) „De turbato scenarum ordine
Mostellariaeu (1843), „De interpolatione Trinummi" (1844)
und „Suetonius de viris illustr." (1843). Die meisten der
zuletzt genannten Abhandlungen gab Ritschi gesammelt
und mit Zusätzen versehen wieder heraus unter dem Titel
„Parerga zu Plautus und Terenz. 1. Bd." (1845). Gerecht-
fertigt war es, wenn ihm auf der Philologen- Versammlung
des Jahres 1844 Gottfr. Hermann öffentlich es als förm-
liche Aufgabe übertrug, der Sospitator Plauti zu werden.
Neben den Vorarbeiten aber zur Ausgabe des Plautus be-
schäftigte sich Ritschi mit Untersuchungen über Varro, wie
die Programme bezeugen: „De Ter. Varronis disciplinarum
libris" (1845) „De inscriptionibus logistoricorum Varronis"
(1845), „Quaestiones Varronianae" (1846), „De Varronis
satirarum et logistoricorum libris" (1846), woneben wieder
Forschungen über die Handschriften des Dionysius Hali-
carn. (1846 und 47), und ein Programm „De inscriptione
metrica lapidis Aeclani" (1847). Der erste Band nun der
längst erwarteten Ausgabe des Plautus erschien 1848; der-
selbe enthielt hochwichtige ausführliche „Prolegomena de
rationibus criticis grammaticis prosodiacis metricis emen-
dationis Plautinae", in welchen Ritschi sein ganzes Verfahren
begründete und rechtfertigte. Bekanntlich aber blieb das
52 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1877.
Unternehmen ein Torso, nachdem bis 1854 von den 20
Komödien des Plautus nur 9 ihre Bearbeitung gefunden
hatten (nebenherlaufend erschien jedesmal eine kleinere
blosse Text-Ausgabe); Ritschi hatte nemlich im Verlaufe
der Arbeit immer lebhafter das Bedürfniss empfunden, die
Erforschung der plautinischen Sprache historisch in die
älteren Sprachdenkmäler Rom 's und hiemit hauptsächlich in
die Inschriften der vorsullanischen Zeit zu vertiefen, wo-
durch sich ihm in der That überraschende Entdeckungen
ergeben mussten. So finden wir in seinen seit 1849 ver-
fassten Programmen neben anderen Einzeln -Gegenständen
häufig diesen Zweig der Forschung vertreten. Nemlich auf
„Hieronymus Stridon" (1849) und ,,Pentas versionum lat.
Homer." (1850) folgten „Legis Rubriae pars superstes" (1851),
„Titulus Mummianus ad fidem lapidis Vaticani" (1852),
„Monumenta epigraphica tria" (1852), „Inscriptio quae fertur
columnae rostratae Duellianae" (1852, über dieselbe aber-
mals 1854 und 1861), „Anthologiae latinae corollarium
epigraphicum" (1853), „De fictilibus literatis Latinorum
antiquissimis" (1853), „De sepulcro Furiorum Tusculano"
(1853), daneben eine Ausgabe der Septem c. Thebas des
Aeschylus (1853) und „Poesis saturniae spicilegium" (1854),
sodann „Observationes in titulum quendam Cambaesensem"
(1855), und wieder über anderweitige, besonders den Varro
und den Terentius betreffende Fragen: „De Idem pronominis
declinatione" (1855), „De ordine librorum Varronis qui in-
scribuntur De imaginibus" (1856), „De loco in Aesch. Sept.
c. Th. v. 254u (1857), „Epimetrum disputationis de Varronis
hebdomadum libris" (1858), „De aliquot locis Catulli"
(1858), „Licini de vita Terentii versus" (1859), „De poe-
tarum testimoniis, quae sunt in vita Terentii Suetoniana"
(1859), „In vitam Terentii commentarius" (1860), hierauf
abermals Epigraphisch -Linguistisches: „In leges Viselliam
Antoniam Corneliam observationes epigraphicae" (1860),
v. Prantl: Nekrolog auf Friedrich Bitschi. 53
„Elogium sepulcrale L. Cornelii Scipionis44 (1860), „De de-
cliuatione quadam latina reconditiore quaestio epigraphica44
(1861 nebst Supplenientum); „De titulo Aletrinate Betilieni
Variu (1861), „Die tesserae gladiatoriae der Römer4' (1864),
dazwischen ,,De cantico Sophocleo Oedipi Col.44 (1862). Zur
selben Zeit nun veröffentlichte er sein in diesem Gebiete
massgebendes Hauptwerk „Priscae latinitatis monumenta
epigraphica44 (mit 5 Supplementen 1862 — 64), worin er das
Verhältniss der Sprache der Inschriften zu einzelnen hervor-
ragenden Autoren darlegte. Endlich fällt noch in die
Bonner Zeit sein gemeinschaftlich mit Gildemeister an die
Philologen -Versammlung zu Hannover (1864) gerichteter
Gruss, in welchem eine dreifache sardinische Inschrift be-
handelt ist. Welch weitgreifende Wirkung aber er in
Bonn auch als Lehrer ausgeübt habe, erwies sich aufs deut-
lichste, als der Plan angeregt worden war, ihm schon nach
Ablauf einer 25jährigen dortigen Lehrthätigkeit eine Ova-
tion zu bereiten ; es erschienen nemlich als ein Gesammtbild
der Bonner Philologen-Schule „Symbola philologorum Bon-
nensium in honorem Friderici Ritschelii collecta44 (1864,
Fase. II 1867), in welchen 43 bereits im Lehramte stehende
Schüler Ritsch l's ihrer dankbarsten Verehrung Ausdruck
gaben. Sehr bald darauf aber wurde Ritschi von wider-
wärtigen Verhältnissen betroffen, iudem ein mit dem dama-
ligen preussischen Ministerium in näheren Beziehungen
stehender Amtsgenosse (Otto Jahn) hinter dem Rücken der
Pacultät dahin zu wirken sich bemühte, dass ein dritter
Vorstand des philologischen Seminars nach Bonn berufen
werde, woran sich erklärlicher Weise mancherlei unschöne
Vorgänge knüpften (Näheres hierüber in den zwei Schriften
Wilh. Brambach's „Friedr. Ritschi und die Philologie in
Bonn". Leipz. 1865 und „Das Ende der Bonner Philologen-
schule'4. Köln 1865). Die Folge davon war, dass der tief
gekränkte Ritschi seine Entlassung aus dem preussischen
54 Ocffentliche Sitzung vom 28. März 1877.
Staatsdienste nahm und einem alsbald an ihn ergehenden
Kufe nach Leipzig folgte. Dort wirkte er abermals mit
grösstem Erfolge als Lehrer, gründete eine philologische
Gesellschaft und übernahm auch die Leitung eines von der
russischen Regierung für die dort Philologie studirenden
Russen gegründeten Seminars. Ausser einer Schrift „Ino
Leukothea, zwei antike Bronzen von Neuwied und München1'
(1865) erschien eine Sammlung „Kleine philologische
Schriften" (1. Bd. Zur griech. Literatur, 1866, 2. Bd. Zu
Plautus und lat. Sprachkunde, 1868), ferner veröffentlichte
er „Neue plautinische Excurse. Sprachgeschichtliche Unter-
suchungen, 1. Heft. Auslautendes D im alten Latein'4
(1869) und als neue Auflage des 1. Heftes der Ausgabe des
Plautus den Trinummus mit einem Auszuge aus den Pro-
legomena (1871), sowie eine 2. Auflage der Sept. c. Theb.
des Aeschylus (1875). Ausserdem führte er die Redaction
der „Acta societatis philologae Lipsiensis (6 Bdde. 1871 —76).
Seine letzte Schrift, welche kurz vor seinem Tode erschien,
„Philologische UnVerständlichkeiten" (im Rhein. Mus. N. F.
Bd. XXXI) ist eine scharfe die Plautus- Kritik betreffende
Abwehr gegen Madvig. — Ritschi war stets durchdrungen
von der Einsicht in die Nothwendigkeit, alle Fragen jeder
Art, selbst die kleinen, in genauester Weise zu behandeln,
und indem er so auch das scheinbar Unbedeutende mit mög-
lichst tiefem und allseitigen Verständnisse und mit feurigem
Interesse zu verfolgen bestrebt war, wirkte er durch seine
mit strenger Wahrheitsliebe geführten Detail-Studien höchst
fördernd auf die Wissenschaft. Wenn er auch weder eine
Geschichte der älteren Sprache Roms noch eine Theorie der
Prosodik und Metrik der Römer geschrieben hat, so ist doch
jede seiner einzelnen Abhandlungen ein Baustein, welcher
bei künftiger Aufführung des betreffenden Gebäudes viel-
leicht noch irgendwie geändert werden muss, keinenfalls
aber bei Seite geschoben werden darf. Für Plautus wirkte
v. Prantl: Nekrolog auf Friedrich Bitschi. 55
er entschieden epochemachend, wenn auch seine Conjecturen
oft nur als freieste Divination oder als congeniale Nach-
dichtung bezeichnet werden können und daher zu offenem
Widerspruche reizen müssen. Es ist ja bei Ritschi über-
haupt die formelle Function der Kritik, worin er sich als
Meister bewährt, und darum wird Jeder, auch wenn er sich
schliesslich von ihm geschieden fühlt, zugleich zugestehen,
viel von ihm gelernt zu haben. In der Form der Unter-
suchung war er stets Virtuose, und sein kräftiger geistvoller
Stil, welcher jeden rhetorischen Schwulst und jeden Wort-
schwall einer pseudo-philosophischen Betrachtung vermeidet,
wirkt unmittelbar anziehend, ja fesselnd auf den Leser; ja
auch in seinem Latein, welches er gleichsam sich selbst erst
geschaffen hat, prägt sich seine individuelle Eigentümlich-
keit aus. Die gleichen Vorzüge standen ihm nach ein-
stimmigem Zeugnisse seiner Schüler auch bei seiner Lehr-
tätigkeit zur Seite; seine in der Form vollendeten Vor-
lesungen wirkten dadurch so mächtig, dass er die Denk-
operation in Gegenwart der Zuhörer vollzog und für die-
selbe stets den passenden individualisirten Ausdruck traf;
und im Seminare sowie in der philologischen Gesellschaft
verstand er es meisterhaft, nicht nur jeden Schüler auf das
besondere Gebiet hinzuweisen, in welchem das Talent des-
selben zur Geltung kommen konnte, sondern auch alle bei
den Einzeln-Uebungen derartig von Schritt zu Schritt zu
leiten, dass sie am Ziele glaubten , den Weg selbstständig
gemacht zu haben, und demnach mit Enthusiasmus wieder
weiteren Problemen sich zuwendeten. Indem er so die
Jüngeren zu einem formell kritischen Verfahren erzog,
wurde er das Haupt einer ausgebreiteten Schule, welche in
sich viele nach inhaltlicher Beziehung individuell verschie-
dene Männer vereinigt. — In unbeugbarer Pflichttreue war
Ritschi bis nahe an die Schwelle des Todes lehrend thätig.
Noch längst in Bonn hatte er seit 1847 an rheumatischen
56 Oeff entliche Sitzung vom 28. März 1877.
Schmerzen zu leiden begonnen, welche mit Zunahme der
Jahre sich» allmälig zur Heftigkeit steigerten und in den
letzten Monaten ein allgemeines Siechthum zur Folge hatten;
hiedurch aber Hess er, dessen Geisteskraft ungeschwächt ver-
blieb, sich nicht von den Vorlesungen abhalten, sondern
nöthigen Falls ordnete er an, in den Hörsaal getragen zu
werden. Doch am 31. Oct. 1876 sah rr sich, da körper-
liche Leiden überwältigend auf ihn einstürmten, zu seinem
schweren Bedauern genöthigt, die Vorlesungen einzustellen,
und bereits am 9. Nov. verschied er. — Während schon
bis jetzt eine förmliche Literatur über ihn angewachsen
ist*), wird, wie man erwartet, sein Leben und Wirken eine
einlässliche Darstellung durch 0. Ribbeck finden.
Hermann Köchly,
geb. zu Leipzig am 5 Aug. 1815, machte seine Gymna-
sialstudien an der Fürstenschule zu Grimma, wo er von
1827 bis 1832 verblieb und den anregenden Unterricht
Weichert's und Wunder's genoss, und bezog hierauf als
Studirender der Philologie die Universität seiner Vaterstadt.
Bereits 1834 erwarb er die Magister - Würde und gehörte
noch in den folgenden Jahren als Mitglied des philologischen
Seminares und der griechischen Gesellschaft zu den hervor-
*) Leipziger Tageblatt, 1876, Nr. 320. Ein Gedenkblatt von Fritz
Scböll (1876 b. Teubner). Deutsche allg. Zeitung, 1876, 10. Nov.
Augsb. Allg. Zeitung, 1876, 30. Nov. Liter. Rundschau, 1877, Nr. 2.
Ueber Land und Meer, 1876, S. 274. Athenaeum, 1876, 25. Nov. S. 689.
The Academy, 1876, 25. Nov., S. 520. Revue de philologie, 1877,
Janvier (von E. Benoist). Im neuen Reich, 1876, Band II, S. 1001 ff.
(von Schuster). Berliner Zeitschrift f. d. Gymnasialwesen, 1877, Febr.,
S. 124 ff. (von Scholtmüller).
v. Prantl: Nekrolog auf Hermann Köchly. 57
ragendes Schülern Gottfr. Hermann's. Im J. 1837 wurde
er Lehrer am Gymnasium zu Saalfeld, wo er (1838) seine
,,Observationes in Apollonium et Oppianum" und „Emen-
dationes et annotationes in Quintum Smyrnaeum" schrieb,
welche im 2. Bande der Acta societatis graecae erschienen.
Eine bewegtere und reichhaltigere Periode begann für ihn,
als er 1840 an die Kreuzschule zu Dresden versetzt wurde,
wo die ihm eigenthümliche vortreffliche Lehrgabe zur vollen
Geltung kam, während in gesellschaftlicher Beziehung ein
näherer Verkehr mit Semper, Devrient und Rieh. Wagner
manigfache Anregung brachte. Er trat nicht bloss mit
einer Vorlesung über die Antigone des Sophokles (1844)
und einem Vortrage über die Hekuba des Euripides (1846)
in die weitereu Kreise der Oeffentlichkeit, sondern fühlte
sich auch durch politische und literar-philosophische An-
sichten und Bestrebungen veranlasst, eine lebhafte Thätig-
keit für Reform des Unter richtswesens zu entwickeln, wobei
ihm Mager's Grundsätze vorschwebten. Auf seinen Antrag
wurde in der Philologen-Versammlung zu Darmstadt (1845)
zum ersten Male eine eigene pädagogische Section gebildet,
und zur gleichen Zeit begann er auch die Veröffentlichung
seiner Grundsätze, zuerst durch die Schrift „Ueber das
Princip des Gymnasial -Unterrichtes der Gegenwart" (1845),
worauf folgte „Zur Gymnasial - Reform , Theoretisches und
Praktisches" (1846), sodann „Vermischte Blätter zur Gymna-
sial-Reform" (1847). Im J. 1848 wurde er Mitglied einer
Commission, welche ein Schulgesetz für das Königreich
Sachsen ausarbeiten sollte, worüber er etwas später aus-
führlichere Mittheilungen gab in der Schrift „Der ursprüng-
liche Entwurf z. d. allg. Schulgesetze f d. Königr. Sachsen"
(1850). Er war in die zweite Kammer gewählt worden,
welche im Januar 1849 zusammentrat, und nachdem er
bei den Mai - Ereignissen als volltönender Redner auf dem
Rathhause die provisorische Regierung verkündet hatte,
58 Oeff entliehe Sitzung vom 28. März 1877.
wurde ihm von hoher Seite angerathen , aus Dresden zu
fliehen; über Hamburg und Oldenburg begab er sich
nach Holland, dann nach Brüssel, wo er die nöthige Seelen-
ruhe gewann, um zu ernstem Studium zurückzukehren. Im
Frühjahre 1850 gelangte er durch Berufung an die Univer-
sität Zürich zu einer Stellung, in welcher er neben Wieder-
aufnahme seiner Bestrebungen betreffs des Erziehungswesens
auch schriftstellerisch im Gebiete der classischen Philologie
vorzügliches leistete. Seine lebhafte Begabung ermöglichte
ihm, sowohl einen ausgedehnten Kenntniss - Reichthum zu
erwerben, als auch in scharfsinniger Auffassung rasch das
Richtige zu treffen; dabei galt ihm die Wissenschaft stets
als Leben, und sowie er sich für eine Wiedergeburt der
antiken Tragödie bemühte, so suchte er überhaupt An-
knüpf ungspunete des Antiken an die Gegenwart zu ver-
werthen, — ein Bestreben, welches besonders aus seiner
Beschäftigung mit der Kriegs-Literatur der Alten hervor-
leuchtet. Neben letzterer war seine Neigung den griechi-
schen Tragikern zugewendet, hauptsächlichst aber den Epikern,
welche er bis in die entlegeneren und in die letzten Phasen
der griechischen Literatur verfolgte. Die Aufgabe, welche
ihm als Programmatarius der Zürcher Universität oblag,
gab ihm Gelegenheit zu zahlreichen in elegantem Latein
geschriebenen Einzeln-Untersuchungen. Anknüpfend an eine
oben erwähnte Erstlings - Arbeit veröffentlichte er eine
mustergiltige Ausgabe der Posthomerica des Quintus Smyr-
naeus (1850, kleinere Ausgabe 1853), worauf er in der
Didot'schen Sammlung der Poetae bueolici et didactici
(1851) den Aratus, den Manetho und den Maximus besorgte.
Daneben waren ,,Emendationes Apollonianae (1850) er-
schienen und hatten die sieben „Dissertationes de Uiadis
carminibus" (1850 — 59) begonnen, sowie die ,,Coniectanea
epicau (1851 f. und 1856). Zugleich hatte er die Kriegs-
schriftsteller in Angriff genommen mit „De libris tacticis
v. Prantl: Nekrolog auf Hermann Köchly. 59
Arriani" (1851), worauf zunächst die gemeinschaftlich mit
Rüstow verfasste „Geschichte des griechischen Kriegswesens
von der ältesten Zeit bis aufPyrrhos" (1852) folgte, woran
sich die gleichfalls mit Rüstow veranstaltete Ausgabe der
„Griechischen Kriegsschriftsteller" (2 Bände 1853 u. 55, in
der Engelmann'schen Sammlung) anschloss ; dazu kamen noch
auf gleichem Gebiete: „De scriptorum militarium graec. co-
dice Bernensi" (1854), „Selecta ex ineditis Leonis Tactici
capita" (1854), „Anonymi Byzantini rhetorica militaris"
(1856, als Bd. II. der Opuscula academica, in deren erstem
Bande mehrere der obigen Dissertationen erneuten Abdruck
fanden), sodann wieder mit Rüstow zusammen eine deutsche
Uebersetzung Caesar's De bell. gall. (1856) und „Einleitung
zu Cäsar's gallischem Kriege" (1857). Yon ihm ist auch die
anonyme Bearbeitung der Rede des Demosthenes vom Kranze
(in der Engelmann'schen Sammlung, 1856.) Nun griff er wieder
auf die Epiker zurück und veröffentlichte, nachdem ein
Programm „De Nonni Dionysiacis" (1855) vorausgegangen
war, seine verdienstliche und wohl für lange Zeit abschlies-
sende Ausgabe des Nonnns (2 Bdde., 1858 f.) und zu
gleicher Zeit eine Text - Recension der Apotelesmata des
Manetho nebst den astrologischen Fragmenten des Dorotheus
und des Annubio (1858, als 7. Bd. des Corpus poet. epic.
graec). Daneben erschien „Ueber die Vögel des Aristo-
phanes" (1857) und bald hernach „Hektor's Lösung" (1859,
eine Festgabe der Universität Zürich an Welcker), sowie
wieder Pädagogisches, nemlich eine Schrift „ Ueber die Re-
form des Zürcher Gymnasiums'' (1859) und ausserdem die
höchst anregende Sammlung unter dem Titel „Akademische
Vorträge und Reden" (1859). Zur Jubelfeier der Univer-
sität Basel verfasste er die Gratulationsschrift „De diversis
Hesiodeae theogoniae partibus" (1860), während er gleich-
zeitig „Onosander, De imperatoris officio" herausgab (1860).
Hierauf folgten allmälig fünf Abtheilungen „Emendationum
60 Oefl 'entliehe Sitzung vom 28. März 1877.
in Eurip. Ipbig. Taur. 1860—64), womit eine Ausgabe
dieser Tragödie (mit deutschen Anmerkungen, 1863) zu-
sammeuhieng; dann „Iliadis carraiua XVI in usum schola-
rum restituta" (1861) und drei Dissertationen De Odysseae
carminibus (1862 f.). Im Sommer 1863 (zur selben Zeit
als ihn unsere Akademie in die Zahl ihrer Mitglieder auf-
nahm) ergieng an ihn ein Ruf an die Universität Heidel-
berg, und 1864 siedelte er dorthin um, woselbst er mit
seiner gewohnten zündenden Kraft des begeisternden Wortes
als Lehrer ebenso anregend, wie vordem in Zürich, wirkte
und als Mitglied des Aufsichtsrathes des dortigen Gymna-
siums und des Oberschulrathes bei der Reform des badischen
Unterrichswesens thätig eingriff, ohne über dem doppelten
Berufe die literarische Arbeit bei Seite zu setzen. Gelegent-
lich der Heidelberger Philologen- Versammlung erschien „De
Musaei grammatici codice Palatino" (1865), und bei gleicher
Veranlassung zu Würzburg hielt er einen Vortrag über
Pyrrhus und Rom (1868). Sodann begann er gemeinschaft-
lich mit Kinkel eine umfassende Ausgabe des Hesiodus, wo-
von eine erste Abtheilung (1870) erschien; eine kleinere
Ausgabe der Hesiodeischen Schriften (gleichfalls 1870) ist
von Köchly allein bearbeitet. Auf eine deutsche Ueber-
setzung der Reden Cicero' s für Sestius und für Milo (1871)
und einen Vortrag „Cäsar und die Gallier" (1871) folgte
noch die umfangreichere Schrift „Gottfr. Hermann, zu seinem
100jährigen Geburtstage" (etwas verspätet gedruckt, 1874),
worin er ebensosehr seinem ehemaligen Lehrer als sich
selbst ein ehrendstes Denkmal setzte. Die letzte Arbeit
Köchly's war ein in der Innsbrucker Philologen- Versamm-
lung (1874) gehaltener Vortrag über die Perser des
Aeschylus, und eben diese Tragödie war es, deren Auf-
führung an der Mannheimer Bühne zu verwirklichen ihm
noch in seinem letzten Lebensjahre vergönnt war. Gegen
Ende Sept. 1876 trat er mit dem Erbprinzen von Meinin-
v. Prantl: Nekrolog auf Hermann Köchly. 61
gen eine Reise nach Italien und Griechenland an; den Pe-
loponnes hatte die Gesellschaft glücklich durchschritten,
und in Athen lag Köchly ernsten Studien ob, welche auch
durch einen Sturz vom Pferde (17. Oct.) nur eine kurze
Unterbrechung fanden. Auf dem Weg8 aber nach Platää,
dessen Schlachtfeld besonders untersucht werden sollte, er-
griff ihn plötzlich eine Blasen -Entzündung; die Aerzte in
Athen riethen zur Reise nach Triest, und Köchly sein Ende
vorausempfindend schrieb sich in einem griechischen Disti-
chon seine Grabschrift. Nach einer qualvollen Ueberfahrt
erlag er in Triest seinen Leiden am 3. Dec. 1876. Die
Leiche wurde nach Heidelberg verbracht und am 12. Dec.
am Kirchhofe zu Neuenheim unter allgemeinster Theilnahme
beerdigt. Die Auszeichnung, welche ihm die Petersburger
Akademie zudachte, indem sie ihn einstimmig als correspon-
direndes Mitglied wählte, traf ihn nicht mehr unter den
Lebenden.
Hermann Brockhaus,
geb. am 28. Jan. 1806 in Amsterdam (wo sein Vater, der
berühmte Verleger Friedrich Arnold Brockhaus 1805 eine
Buchhandlung errichtet hatte, welche er später nach Alten-
burg und dann nach Leipzig verlegte), besuchte das Gym-
nasium zu Altenburg, wo er bereits eine innige bleibende
Freundschaft mit Hrn. v. d. Gabelentz schloss, und begab
sich dann behufs des Universitäts - Studiums zunächst nach
Leipzig, hierauf nach Göttingen, wo er durch Ueberanstreng-
ung seine Gesundheit gefährdete, und dann nach Bonn.
Hier schloss er sich insbesondere an Lassen an und wurde
durch denselben in die indische Literatur eingeführt. In-
dem hiedurch die Richtung seiner wissenschaftlichen Lauf-
bahn bestimmt war, begab er sich zu weiterer Ausbildung
auf Reisen nach Kopenhagen, Paris, London und Oxford,
62 Oef) 'entliehe Sitzung vom 28. März 1877.
woran sich persönliche Bekanntschaft mit Burnouf, Wilson
und Westcrgaard knüpfte. Als erste Frucht seiner Studien
veröffentlichte Brockhaus die fünf ersten Bücher der Märchen-
sammlung des Somadeva „Kathä sarit Sagara", sanskrit und
deutsch (1830, die deutsche Uebersetzung allein 1843), und
auf Grund dieser "Arbeit wurde er von der Leipziger Fa-
cultät zum Doctor promovirt und erhielt gleichzeitig einen
Ruf als ausserordentlicher Professor nach Jena (1839). Er
beschäftigte sich dort während einiger Zeit auch mit dem
Studium der gälischen Sprache und Ossian's, sowie des
finnischen Epos Kalewala, mit dessen Herausgeber E. Lönn-
rot er in näheren Verkehr trat. Im J. 1841 wurde er nach
Beer's Tod als Extraordinarius nach Leipzig berufen, wo er
1848 die ordentliche Professur für altindische Sprache und
Literatur erhielt. Mit seinem Eintritte hatte in Leipzig
das Sanskrit-Studium einen raschen Aufschwung zu nehmen
begonnen, zumal da die Studirenden auch durch G. Curtius
auf Sprachvergleichung hingewiesen wurden. Durch eine
wohlthueude einnehmende Persönlichkeit, durch ruhige Klar-
heit und milde Wärme wirkte Brockhaus, welcher mit
feinem Sinne für die allgemeinen culturgeschichtlichen Fäden
überall höhere und weitere Gesichtspuncte erfasste, in an-
regendster Weise auf seine Zuhörer, deren besondere Fähig-
keiten und Neigungen er schnell erkannte; er durfte sich
rühmen, Max Müller, Krehl und Windisch zu seinen Schülern
zu zählen. Seine eigenen Studien erweiterte er intensiver
in der Richtung des Persischen und beschäftigte sich später
unter Fleischer' s Leitung auch mit dem Türkischen. Bereits
1841 veröffentlichte er seine Schrift „Ueber den Druck
sanskritischer Werke mit lateinischen Buchstaben", deren
Grundsätze fast allgemein angenommen wurden und durch
ihn selbst nach längerer Zeit in der Abhandlung „Die
Transcription des arabischen Alphabetes" (1863 im 17. Bande
der Abhdlgn. f. d. Kunde d. Morgenlandes) eine weitere
v. Prantl Nekrolog auf Hermann Brockhaus. 63
Ausdehnung und Anwendung fanden. Es folgte dann eine
Ausgabe des Schauspieles Prabodha candrodaya von Krishna
Misra nebst indischen Scholien (1845) und gleichzeitig eine
Ausgabe von Nachschebi's persischer Bearbeitung der sieben
weisen Meister (1845). Nachdem bei der Philologen- Ver-
sammlung zu Dresden (1844) zum ersten Male auch die
Orientalisten zusammengekommen waren, wurde 1845 unter
Brockhaus' Mitwirkung die deutsche morgenländische Ge-
sellschaft gegründet, deren Publicationen er später 1852 — 65
als Redacteur mit ebenso viel trefflicher Klugheit als treuer
Hingebung leitete, so dass er wesentlich zur Blüthe dieses
Vereines beitrug; und als im J. 1846 die sächsische Gesell-
schaft der Wissenschaften ins Leben trat, war er eines
der ersten Mitglieder derselben und lieferte auch anfänglich
zu den von ihr veröffentlichten Berichten schätzenswerthe
Beiträge; seit 1859 war er neben Fleischer stellvertretender
Secretär derselben. Im J. 1850 erschien seine Ausgabe der
ersten drei Theile des Zendavesta, nemlich Vendidad, Yacna
und Vispered, nebst einem mit grossem Beifalle aufgenom-
menen Versuche eines Glossars der Zendsprache, und hierauf
folgte eine kritische Ausgabe der Lieder des Hans (3 Bände,
1854 — 61), wobei auch die türkischen Scholien des Sudi (ab-
gedruckt aus der Constantinopler Ausgabe von 1841) bei-
gezogen sind ; eine neue Ausgabe des Hans in Einem Bande
erschien 1863. Daneben war Brockhaus wieder zu dem
ersten Gegenstande seiner literarischen Thätigkeit, nemlich
zu Somadeva zurückgekehrt und veröffentlichte aus dem-
selben in verdienstlichster Weise die Sage von Nala und
Damayanti (1859), sowie Analysen des 6. bis 8. Buches
(1862 im 2. Bd. der Abhdlgn. f. d. Kunde d. Morgen-
landes) und des 9. bis 18. Buches (1860 ebend. im 4. Bd.).
Ausserdem war er seit 1856 auch an der Redaction der
Ersch-Gruber'schen Encyclopädie betheiligt. Zu zahlreichen
Auszeichnungen und Ehren, welche er erfuhr (1860 nahm
64 Oeß entliche Sitzung vom 28. März 1877.
ihn unsere, 1868 die Berliner Akademie unter ihre Mit-
glieder auf), kam 1873 die Ernennung zum Geh. Hofrath.
Im J. 1874 hatte er noch dem Orientalisten - Congresse zu
London beigewohnt, aber einige Zeit später machte sich
bei ihm allmälig eine Abspannung seiner körperlichen Kräfte
bemerklich und eine Lungenentzündung endigte sein Leben
am 5. Januar 1877.
Der 'Classensecretär Herr v. Giesebrecht verwies be-
züglich der verstorbenen Mitglieder der Classe gleichfalls
auf die hiemit folgende Druck- Veröffentlichung:
Die historische Classe hat im verflossenen Jahre eines
ihrer hiesigen ordentlichen Mitglieder, Hieronymus von
Bayer, zwei ihrer auswärtigen Mitglieder, Georg Hein-
rich Pertz in Berlin und Franz Palacky in Prag,
und eines ihrer correspondirenden Mitglieder, Johann
Georg Lehmann zu Nussdorf in der Rheinpfalz durch
den Tod verloren. Sie sind sämmtlich in hohem Alter nach
einer langen und vielfach ergiebigen Wirksamkeit abge-
schieden.
Am 13. Juli 1876 starb hierselbst Dr. Hieronymus
von Bayer, k. Geheimer Rath und resignirter Reichsrath,
o. ö. Professor des gemeinen und bayrischer Civil-Processes
an der hiesigen Universität, im Alter von 83 Jahren. Die
ausserordentlichen Verdienste, welche sich von Bayer in
mehr als fünfzigjähriger Amtsthätigkeit um die Ludwig-
Maximiliansuniversität erworben hat, stehen noch im
frischesten Andenken und haben am letzten Stiftungstage
der Universität in der Rede des Rectors gerechte Würdig-
ung gefunden. Ein hochgefeierter Lehrer, hat sich Bayer
zugleich in der juristischen Literatur einen sehr geachteten
v. Giesebrecht: Nekrolog auf Georg Heinrich Pertz. 65
Namen gemacht, und mehrere seiner Schriften haben zahl-
reiche Auflagen erlebt. Als der hochselige König Ludwig I.,
welcher die Verdienste Bayers um die Wissenschaft und den
bayrischen Staat in ihrem ganzen Umfange erkannte, ihn
im Jahre 1843 zum ordentlichen Mitglied unsrer Akademie
ernannte, glaubte er damit ihn und die Akademie in gleicher
Weise zu ehren. Diese Ehre ist von beiden Seiten ge-
würdigt worden, aber an den Arbeiten der historischen
Classe, die seinen eigentlichen Wirkungskreis wenig berühr-
ten, hat sich Bayer nicht unmittelbar betheiligt.
Am 7. Oktober 1876 starb in unsrer Stadt Dr. Georg
Heinrich Pertz, preuss. Geheimer Regierungsrath und
pensionirter Oberbibliothekar an der k. Bibliothek zu Berlin.
Seit dem Jahre 1836 auswärtiges Mitglied der Akademie,
hat er namentlich durch seine rege Theilnahme an den Ar-
beiten der historischen Commission unsre Bestrebungen per-
sönlich so lebendig unterstützt, dass wir wohl sagen kön-
nen: er war in vollem Sinne einer der Unsren.
Pertz, am 28. März 1795 zu Hannover geboren, war
der Sohn eines dortigen Buchbinders. Auf der Universität
Göttingen widmete er sich philologischen und vorzugsweise
historischen Studien; die erste literarische Frucht derselben
war die 1819 erschienene Geschichte der merovingischen
Hausmeier. Diese Erstlingsschrift zeugte nicht nur von
gründlicher Kenntniss der Quellen und gesunder Kritik,
sondern empfahl sich auch durch eine einfache, aber kräf-
tige und höchst wirksame Darstellungsweise. Heeren sagt
in der Vorrede, mit der er das Werk einführte: „Mögen
die Leser selber beurtheilen, zu welchen Erwartungen sie
der hier zum erstenmal auftretende Geschichtsforscher und
Geschichtschreiber für die Zukunft berechtigt."
Bald zog der junge Historiker die Aufmerksamkeit des
[1877.1. Phil. hist.Cl.1.] 5
06 Oeft 'entliehe Sitzung vom 28. März 1877.
Freiherrn Karl von Stein, des grossen deutschen Staats-
manns, auf sich, und schnell knüpfte sich die Verbind-
ung, die für Pertz's ganzes weiteres Leben entscheidend
werden sollte. Bekanntlich ging Stein damals mit dem
Plan einer umfassenden Quellensammlung für die ältere
deutsche Geschichte um und knüpfte an dieselbe die schönsten
Hoffnungen für die Belebung des patriotischen Sinnes in
Deutschland; zur Durchführung des Plans, der erst in den
allgemeinsten Umrissen entworfen war, hatte er die Gesell-
schaft für ältere deutsche Geschichtskunde begründet. Pertz
wurde nun zur Mitarbeit an dem grossen Unternehmen auf-
gefordert und übernahm sogleich bereitwillig die Heraus-
gabe der wichtigsten Quellenschriften aus der karolingischen
Periode. In den Jahren 1820 - 1823 unternahm er seine erste
Reise für die Sammlung, auf welcher er besonders die Biblio-
theken und Archive Oestreichs und Italiens durchforschte.
Diese Reise ist für das grosse Werk epochemachend ge-
wesen. Sie legte zuerst klar zu Tage, was durch dasselbe
geleistet werden könne und müsse, und sie wies zugleich
auf den Mann hin, der alle berechtigten Forderungen zu
erfüllen vermochte. Nach seiner Rückkehr wurde Pertz,
der inzwischen zum Archivsecretär in Hannover bestellt war,
denn auch sogleich die Redaction der Quellensammlung
selbst, wie der zu den Vorarbeiten bestimmten und bereits
seit mehreren Jahren fortgeführten Zeitschrift, des Archivs
der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, von
Stein übertragen. Schon im Jahre 1824 wurde durch Pertz
der definitive Plan für die Monumenta Germaniae historica
festgestellt; angesichts dieses Plans schrieb Niebuhr: „Pertz
ist ein ganz ausnehmend ausgezeichneter Mann, vor dem
ich im eigentlichsten Sinne Respect habe." Der erste
Band der Monumenta erschien 1826, dem Pertz nach Vol-
lendung einiger Reisen 1829 den zweiten folgen Hess, mit
dem er die Geschichtsschreiber der karolingischen Periode
v. Giesebrecht: Nekrolog auf Georg Heinrich Pertz. 67
abschloss. In glänzenderer Weise konnte das grosse Werk
nicht eröffnet werden. Was Pertz in diesen ersten Bänden
leistete , wurde nicht nur Vorbild für alle späteren Text-
ausgaben in den Monumenta selbst, sondern auch für alle
Werke verwandter Art, die später in Deutschland oder im
Auslande unternommen sind.
Ueber fünfzig Jahre hat Pertz die Redaction der Mo-
numenta Germaniae geführt. 25 Bände der Quellensamm-
lung und 7 Bände des Archivs sind unter seinem Namen
erschienen; ausserdem hat er sehr umfangreiche Vorarbeiten
für die Fortsetzung seinen Nachfolgern hinterlassen. Was
für unsere Geschichtswissenschaft in diesen Publicationen
erreicht ist, was Pertz selbst und was seinen Mitarbeitern,
vornehmlich seinem treuen Freunde Friedrich Böhmer, ver-
dankt wird, wie Pertz's Redactionsthätigkeit, erst im voll-
sten Masse allseitig anerkannt, in späterer Zeit vielfachen,
oft unberechtigten Angriffen ausgesetzt war: dies Alles ist
erst kürzlich aus bester Kenntniss von Waitz dargelegt
worden.*) Es ist hier nicht der Ort näher darauf einzu-
gehen , aber es darf wohl bemerkt werden , dass die Fülle
mittelalterlicher Handschriften, welche unsere Hof- und
Staatsbibliothek bewahrt, sich als eine fast unerschöpfliche
Fundgrube für die Arbeiten der Monumenta erwies. Wieder-
holentlich hat deshalb Pertz selbst hier gearbeitet und un-
ausgesetzt die Unterstützung unsres Collegen Föringer in
Anspruch genommen, dessen liebenswürdige und aufopfernde
Dienstwilligkeit er nie genug rühmen zu können glaubte.
In Allem, was Pertz für die Monumenta that, meinte
er lediglich die Absichten Steins auszuführen, wie er denn
auch das Werk selbst gleichsam als ein persönliches Ver-
mächtniss Steins an ihn ansah. Den patriotischen Gedanken,
*) Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichts-
kunde II. 8. 453 ff.
5*
68 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1877.
aus welchem das Unternehmen hervorgegangen war, hielt
er mit aller Entschiedenheit fest, aher es lag auf der Hand,
dass die lateinisch geschriebenen Quellen des Mittelalters
nur in deutschen Uebersetzungen der Mehrzahl der Nation
zugänglich gemacht werden konnten. Pertz trug sich des-
halb lange mit der Ausführung eines schon von Stein an-
geregten Gedankens, von den wichtigsten Quellen unsrer
älteren Geschichte Uebersetzungen zu veranlassen und in
einer wohlfeilen, bequemen Sammlung herauszugeben. Erst
im Jahre 1844 wurden für ein solches Unternehmen, indem
man König Friedrich Wilhelm IV. dafür zu interessiren
wusste, die nöthigen Geldmittel gewonnen, und 1849 er-
schien der erste Band der „Geschichtsschreiber der deutschen
Vorzeit4', dem später viele andere gefolgt sind. Die Ueber-
setzungen, die Pertz durch jüngere Gelehrte anfertigen
liess, sind ungleich, geben aber doch meist getreu den Sinn
der Originale wieder, und es unterliegt keinem Zweifel, dass
sie eine Kenntniss unsrer mittelalterlichen Geschichtswerke,
die früher nur bei einer kleinen Zahl von Gelehrten zu
finden war, in weitere Kreise verbreitet haben.
Pertz's Arbeiten für die Monumenta Germaniae, für
welche er überdiess fast Jahr für Jahr grössere oder kleinere
Reisen unternahm, verdienen um so mehr Anerkennung,
als ihm daneben stets ausgedehnte amtliche Geschäfte ob-
lagen. Bald nach dem Erscheinen des ersten Bandes der
Monumenta ernannte ihn König Georg IV. zum Bibliothekar
und Archivrath in Hannover, dann wurde er auch zum
Mitglied des Oberschulcollegiums und Historiograph des
Gesammthauses Braunschweig-Lüneburg bestellt. In mehr-
facher Beziehung war Pertz so ein Nachfolger Leibniz's
geworden, und dieser Stellung verdankt die gelehrte Welt
die von ihm veranlasste Sammlung von Leibniz's Schriften,
welche auch für unsere historische Literatur dadurch von
grossem Interesse wurde, dass Leibniz's, wenn auch unvoll-
v. Giesebrecht: Nekrolog auf Georg Heinrich Pertz. 69
endetes, doch hoch wichtiges Werk: Annales imperii occi-
dentis, welches über hundert Jahre im Verborgenen ge-
legen hatte, in derselben zuerst veröffentlicht wurde. Im
Jahre 1842 wurde Pertz mit dem Titel eines Geheimen Re-
gierungsraths als Oberbibliothekar nach Berlin berufen und
hat diese Stellung dann mehr als dreissig Jahre bis zu
seiner Quiescirung bekleidet. Mit musterhafter Gewissen-
haftigkeit hat er alle Interessen des grossen dort seiner
Leitung übertragenen Instituts wahrgenommen und für die
Bereicherung, Ordnung und Katalogisirung der Bibliothek
sehr Erhebliches geleistet; wie sehr er namentlich die Be-
nützung derselben erleichterte, wissen die am besten, welche
sich noch der früheren Schwierigkeiten erinnern können.
Wenn Pertz dem Rufe nach Berlin gefolgt war, hatten
ihn politische Motive zum grossen Theile bestimmt. Zu
sehr war er in den Ideenkreis des Freiherrn von Stein ein-
gegangen, als dass er nicht auch für die politischen Be-
wegungen der Zeit die lebhafteste Theilnahme hätte empfinden
und wünschen sollen, nach seinem Theile an der Herstellung
deutscher Staatsverhältnisse im nationalen Sinne mitzu-
wirken. Schon in Hannover hatte er in das politische
Leben eingegriffen. Im Jahre 1832 gehörte er der zweiten
Kammer der Hannoverschen Stände Versammlung an; er be-
sass wohl keine glänzende Rednergabe, aber er sprach „offen,
schlicht, verständig, ganz im deutschen Sinne.14 In dem-
selben Jahre begründete er die Hannoversche Zeitung. Es
waren die Ideen Stein's, die er und seine Freunde in dieser
Zeitung zu verbreiten und zur Geltung zu bringen suchten.
Das Blatt gewann sich durch seine freimüthige, mannhafte
Haltung in kurzer Zeit weit über die Grenzen Hannovers
hinaus Ansehen; als Pertz aber nach mehreren Jahren an
einer würdigen Fortführung der Zeitung verzweifelte, legte
er die Redaction nieder. Bald nahmen die Verhältnisse in
Hannover eine Wendung, in denen ein Mann von Pertz's
70 Oeff entliche Sitzung vom 28. März 1877,
Gesinnung dort nicht mehr am rechten Platze war. So
verliess er denn seine Heimath und schloss sich an Preussen
als den Staat an, an den auch Stein seine Hoffnungen für
Deutschlands Wiedergeburt geknüpft hatte.
Als Pertz nach Berlin kam, hat man seinen Rath in
politischen Dingen mehrfach in Anspruch genommen, na-
mentlich in Pressangelegenheiten. Bei verschiedenen Pro-
jecten, die theils von der Regierung selbst, theils von einer
der Regierung befreundeten Partei ausgingen, suchte man
seine Theilnahme zu gewinnen, und er leistete willig Bei-
stand, so weit er es vermochte. Aber alle diese Projecte
scheiterten erst an der Unklarheit der damaligen Verhält-
nisse, dann durch den Ausbruch der Revolution von 1848.
Wäre Pertz in den nächstfolgenden Jahren, wo das parla-
mentarische Leben in Deutschland zur üppigsten Entfaltung
gedieh, zur Mitwirkung berufen worden, er würde nach
seiner Natur politischen Kämpfen nicht ausgewichen sein.
Aber er war nicht der Mann, welcher die Gunst der Menge
suchte, und würde auch kaum inmitten der erhitzten Par-
teien jener Zeit für seine Ansichten in weiteren Kreisen
Zustimmung gefunden haben. Dennoch hat er auf das po-
litische Leben , wie es sich seitdem gestaltete , einen nicht
zu unterschätzenden Einfluss geübt. Gerade in jenen Jahren
der grössten politischen Aufregungen publicirte er die Denk-
schriften des Ministers Freiherrn von Stein über deutsche,
insbesondere preussische Verfassung (1848), verfasste er sein
grosses Werk: „Leben des Ministers Freiherrn von Stein14,
welches in 6 Bänden 1849—1855 erschien. Das Leben des
Feldmarschalls Grafen Neidhardt von Gneisenau, welches ein
Seitenstück zu Stein's Leben bilden sollte, hat er nicht
vollendet; nur 3 Bände sind in den Jahren 1864 — 1867 er-
schienen. Es sind manche und zum Theil begründete Aus-
stellungen gegen Pertz's Biographien gemacht worden, aber
unläugbar ist, dass durch das reiche > durchaus zuverlässige
v. Giesehrecht : Nekrolog auf Georg Heinrich Pertz. 71
Material, welches sie für die Geschichte der Wiedergeburt
Preussens und der deutschen Freiheitskriege erschlossen,
durch die warme Darstellung der Stein'schen Reformen und
Pläne, durch die gerechte Würdigung der preussischen Po-
litik unsre historische Literatur bestimmter eine Richtung
erhielt, die sich auch politisch fruchtbar erwiesen hat. Die
neue Erhebung Preussens und die Bildung des neuen deutschen
Reichs, welche Pertz noch erleben sollte, begrüsste er aus
voller Seele als Erfüllung von Hoffnungen, die sein ganzes
Leben getragen und bestimmt hatten.
Es hat Pertz an vielen und grossen Auszeichnungen
nicht gefehlt; sie sind ihm von Fürsten und von gelehrten
Körperschaften in Fülle zu Theil geworden; vielleicht ist
kein deutscher Historiker unserer Zeit im Auslande persön-
lich mehr gekannt und geachtet worden, als der vielreisende
Herausgeber der Monumenta Germaniae. Es gab auch eine
Zeit, wo er die Gunst der deutschen Gelehrtenwelt, wie
wenige Andere, besass. Aber in den letzten Jahrzehnten
musste er die schmerzliche Erfahrung machen, dass ihm die
Anerkennung, die er zu finden gewohnt war, in Deutschland
selbst von verschiedenen Seiten versagt wurde; er hatte
Anfechtungen zu erdulden, die nicht nur seinen Werken,
sondern auch seinem Charakter galten. Mochte er, der sich
bewusst war den Besten seiner Zeit genug gethan zu haben,
sich über die Feindseligkeiten der Epigonen erhaben glauben,
mochte er die ihm eigene feste Haltung und Ruhe äusser-
lich bewahren, jene Angriffe verbitterten doch sein Leben
und brachten ihn in eine gereizte Stimmung, in welcher
sich sein sonst so klarer Blick für das Richtige und Heil-
same nicht selten trübte.
Die Zerwürfnisse, in welche Pertz in seinen letzten
Lebensjahren vielfach selbst mit Männern gerieth, welche
seine grossen Verdienste im vollsten Masse anerkannten,
erklären sich zum Theil aus einer Eigenthümlichkeit seines
72 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1877.
Wesens, die leicht tief verletzen konnte. Wie er in seinen
Arbeiten schnell eine Ansicht ergriff, sie mit Consequenz
durchführte, sich selbst durch gewichtige Bedenken Andrer
nicht beirren Hess — er hat meines Wissens nie eine ein-
mal ausgesprochene wissenschaftliche Ansicht später recti-
ficirt — so behandelte er auch die Personen, mit denen ihn
das Leben zusammenführte, nach einer oft nicht ohne Vor-
urtheile gefassten Ansicht, die er mit Starrheit festhielt. In
Männern, welche den Bestrebungen, in denen er seine
Lebensaufgabe sah, hinderlich zu sein schienen, sah er gleich-
sam persönliche Feinde. Es beherrschten ihn Antipathien,
die unüberwindlich waren, und es scheiterten daran alle
Versuche der Ausgleichung unglücklicher Differenzen, die
bei leidenschaftsloser Erwägung leicht zu heben schienen.
Sehr irrten diejenigen, welche Pertz Kälte des Herzens
schuld gaben. Wie warm er fühlte, zeigt der lebendige
Patriotismus, den er in seinem ganzen Wirken bewährte*
sein glückliches Familienleben, die innige Freundschaft mit
so vielen trefflichen Männern, die ihr volles Vertrauen ihm
schenkten. Eher Hesse sich behaupten, dass sein Gemüth
wie in Zuneigung, so auch in Abneigung überschwänglich
war. Es ist nicht selten ein Fehler starker Naturen, der
ihnen selbst am verderblichsten wird, dass sie persönliche
Sympathien und Antipathien in dem Herzen zu üppig
wuchern lassen.
Sein Leben sollte Pertz in unsrer Stadt beschliessen, in
welcher er so oft und so gerne verweilt, in welcher er die
reichste Ausbeute für seine wissenschaftlichen Arbeiten und
zugleich vielfachen Kunst- und Lebensgenuss gefunden hatte.
König Maximilian II., welcher die Hebung der historischen
Studien in Deutschland als eine seiner Lebensaufgaben an-
sah, hatte dem gefeierten Begründer der Monumenta Ger-
maniae seine Aufmerksamkeit und Gunst zugewendet. Pertz
wurde unter die Ritter des Maximiliansordens aufgenommen,
v. Gicsebrecht: Nekrolog auf Georg Heinrich Pertz. 73
und er gehörte zu jenen deutschen Historikern, welche
der hochselige König 1858 nach München einlud, um die
historische Commission bei unsrer Akademie in das Leben
zu rufen. Da die Commission sich vor Allem mit der Auf-
findung und Herausgabe werthvollen Quellenmaterials für
die deutsche Geschichte beschäftigen sollte und hier Pertz's
Arbeiten als Vorbild angesehen werden mussten, war die
Theilnahme, welche er unausgesetzt den Bestrebungen der
Commission zugewendet hat, von dem grössten Nutzen. Bis
zum Jahre 1870 hatte er allen Plenar Versammlungen der-
selben beigewohnt und an den Verhandlungen stets den leb-
haftesten Antheil genommen. In den nächsten Jahren hin-
derten ihn theils dienstliche Geschäfte theils die Beschwerden des
Alters die Reise zu unternehmen. Aber im vorigen Jahre traf
er mit auffälligem Eifer schon vor Monaten alle Veranstal-
tungen, um zu der Plenarversammlung zu erscheinen.
Nachdem er mit seiner Familie die Sommermonate in Te-
gernsee zugebracht hatte, beeilte er sich schon mehrere
Tage vor Eröffnung der Versammlung hierher zu kommen ;
seine Gedanken waren ganz auf die Arbeiten der Commission
gerichtet. Aber kurz nach seiner Ankunft traf ihn der
Schlaganfall, der seinem Leben nach wenigen Tagen ein
Ziel setzen sollte.
Da man einen wohlthätigen Einfluss auf seinen Zustand
erwartete, wenn ich ihn versicherte, dass seine Anwesenheit
bei den Berathungen der Commission nicht geboten sei,
wurde ich an sein Krankenlager gerufen. Ich fand ihn
auf demselben gelähmt und sprachlos, aber er zeigte mir
dieselbe freundliche Miene, mit der er mir so oft entgegen-
getreten war; die Mittheilungen, welche ich ihm über die
Arbeiten der Commission machte, schien er zu verstehen
und ihnen mit Theilnahme zu folgen. Ich versprach, so-
bald die Plenarversammlung geschlossen sei, ihn von den
Resultaten derselben in Kenntniss zu setzen. Aber kaum
74 Oeffentliche Sitzung vom 28. März 1877.
war der Schluss der Versammlung eingetreten, so ging auch
sein Leben zu Ende. Nur kurze Zeit nach seinem letzten
Athemzuge stand ich wieder an seinem Lager. Die Züge
des Todten waren so wenig entstellt und zeigten eine solche
Ruhe, dass man glauben mochte, er sei nur in einen tiefen
Schlummer versunken.
Ueber dreissig Jahre habe ich mich seines Wohlwollens
und seiner Freundschaft zu erfreuen und ihm nicht nur die
fruchtbarsten Anregungen für meine Studien, sondern auch
die raanigfachsten Beweise herzlicher Güte zu danken ge-
habt. Ich stand ihm nahe genug, um zu sehen, dass auch
er von den Schwächen der menschlichen Natur nicht frei
war, aber zugleich nahe genug, um zu wissen, dass er nicht
nur ein Gelehrter von seltener Begabung, sondern auch ein
edler , auf ideale Ziele gerichteter Mensch war. Von der
grossen Zahl derer, die sich ihm bei seiner Lebensarbeit
für die deutsche Geschichte angeschlossen haben, haben nur
Waitz und ich ihn auf dem Sterbelager gesehen ; sein
Ende wird mir immerdar eine heilige Erinnerung bleiben,
und es wird so Entschuldigung finden, wenn dieser Nekrolog
eine persönlichere Färbung erhalten hat, als ihn meist diese
akademischen Nachrufe tragen. Aber auch in unsrer Aka-
demie wird der Name Pertz, mit dem neuen Aufschwünge
der deutschen Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung
untrennbar verbunden, nie vergessen werden können.
Am 26. Mai 1876 starb zu Prag Dr. Franz Palacky,
k. böhmischer Landeshistoriograph und Mitglied des öster-
reichischen Reichsraths. Allbekannt sind die Verdienste
dieses ausgezeichneten Gelehrten um die Geschichte Böh-
mens, welche durch seine Forschungen die erheblichsten Be-
reicherungen erfahren hat. Bei der engen Verbindung, in
welcher Böhmen seit einem Jahrtausend mit dem deutschen
v. Giesebrecht: Nekrolog auf Franz Palacky. 75
Staatsleben steht, mussten Palacky's Arbeiten auch unsern
historischen Studien vielfache Förderung gewähren und
seinem Namen um so mehr eine Ehrenstelle in unserer ge-
schichtlichen Literatur gewinnen, als ein grosser Theil seiner
Werke ursprünglich in unsrer Sprache geschrieben ist, die
er mit Meisterschaft zu gebrauchen wusste.
Palacky wurde am 14. Juni 1798 zu Hotzendorf (Hod-
slawitz) in Mähren geboren. Seine Familie gehörte der
mährischen Bruderunität an, in welcher sich die letzten
Traditionen des Hussitenthums erhalten haben; sein Vater
war der reformirte Schullehrer des Orts. Seine Universitäts-
studien machte Palacky in Pressburg und Wien ; obwohl er
sich die Jurisprudenz zum Fachstudium erwählt hatte, wandte
er sich doch bald mehr nach der Seite der Philologie, Li-
teratur und Aesthetik, und besonders fesselten ihn die bis
dahin noch wenig beachteten alten Denkmale der czechischen
Sprache und Literatur. Schon im Jahre 1818 gab er mit
Schafarik, mit dem er dann durch gemeinsame Bestrebungen
so lange verbunden blieb, anonym ein in böhmischer Sprache
abgefasstes Werk über die Anfangsgründe der czechischen
Poetik heraus. Im Jahre 1823 ging er nach Prag, wo ihn
die um die Förderung des wissenschaftlichen Lebens in
Böhmen hochverdienten Grafen Sternberg zu ihrem Archivar
bestellten und dadurch seinen Studien die besondere Rich-
tung auf die böhmische Geschichte gaben.
Mit Eifer und Glück durchforschte Palacky in den
nächsten Jahren viele Archive und Bibliotheken Böhmens,
Deutschlands und Italiens, um verborgene Quellen für die
ältere Geschichte Böhmens an das Licht zu ziehen. Die
Früchte dieser gelehrten Reisen traten in dem 1829 heraus-
gegebenen dritten Bande der Scriptores rerum Bohemicarum
und der 1 830 veröffentlichten Preisschrift : „Würdigung der
alten böhmischen Geschichtsschreiber41 hervor. Inzwischen
76 Oeff entliche Sitzung vom 28. März 1877.
hatte Palacky bereits 1827 auch die Redaction der deutschen
und der czechischen Zeitschrift des böhmischen Museums
übernommen und dadurch auf die Entwickelung der nationalen
Bewegung in Böhmen einen tiefgreifenden Einfluss gewonnen ;
die deutsche Zeitschrift ist im Jahre 1831 eingegangen, die
Redaction der czechischen hat Palacky über ein Jahrzehnt
fortgeführt. Trotz seiner Jugend galt er bereits für den
tüchtigsten Historiker Böhmens, und die böhmischen Stände
ernannten ihn, den reformirten Gelehrten, 1829 zum Landes-
historiographen, doch erhielt der Beschluss der Stände erst
acht Jahre später die Genehmigung Kaiser Ferdinands I.
Es war Palacky zunächst nur die Fortsetzung yon Pubitschka's
Chronologischer Geschichte Böhmens aufgetragen, aber eine
solche Arbeit entsprach seinem Genius nicht. Er legte den
Plan zu einem neuen selbstständigen Werke vor, welches
vorzugsweise auf urkundliches und handschriftliches Material
begründet werden sollte, und es gelang ihm für diesen Plan
die Zustimmung der Stände zu erwirken.
Im Jahre 1836 erschien der erste Band der „Geschichte
von Böhmen'1 in deutscher Sprache; die czechische Ueber-
setzung ist erst viel später an das Licht getreten. Dem
ersten Bande sind dann vier andere bis 1867 gefolgt; der
zweite, vierte und fünfte in zwei, der dritte in drei Ab-
theilungen. Die Darstellung ist bis zum Ende der Jagel-
lonenherrschaft in Böhmen fortgeführt, und wenn es jemals
ernstlich die Absicht des Verfassers gewesen ist, auch die
Zeiten der Habsburger zu behandeln, hat er diese doch
schon früh aufgegeben. Die grossen Vorzüge, welche Pa-
lacky's Werk vor allen verwandten Arbeiten über die ältere
Geschichte Böhmens auszeichneten, fanden nicht allein in
Böhmen und den slawischen Ländern, sondern aller Orten,
wo man an historischer Wissenschaft Antheil nahm, sogleich
die vollste Anerkennung. Auch in Deutschland hatte das
Werk einen durchschlagenden Erfolg, obwohl man sich
v. Giesebrecht: Nekrolog auf Franz Palacky. 77
nicht verhehlen konnte, dass trotz aller Versicherungen des
Verfassers, dass er nur nach historischer Wahrheit und
Treue strebe, durch Ueberschätzung der czechischen Natio-
nalität die Einflüsse des deutschen Wesens auf Böhmen
vielfach in ein falsches Licht gestellt waren. Wie sehr
man dies beklagen mochte, freute man sich doch des reichen
Ertrags, der aus den umfassenden Studien Palacky's auch
für wichtige Perioden der deutschen Geschichte gewonnen
war. Sein Name wurde bald denen unsrer ersten Historiker
zur Seite gestellt. Schon im Jahre 1836 wählte unsre
Akademie Palacky zu ihrem auswärtigen Mitglied.
Auch aus den zahlreichen andren Quellensammlungen
und Abhandlungen , welche Palacky theils neben seinem
Hauptwerk theils nach dem Abschluss desselben veröffent-
lichte, hat nicht nur die böhmische, sondern auch die
deutsche Geschichte grossen Gewinn gezogen. Es genügt
hier der Hinweis auf seine „Literarische Reise nach Italien
im Jahre 1837", die Abhandlung: ,, lieber Formelbücher,
zunächst in Bezug auf böhmische Geschichte" (1842), die
„Urkundlichen Beträge zur Geschichte Böhmens und seiner
Nachbarländer im Zeitalter Georgs von Podiebrad" (1860),
die „Documenta magistri Joannis Husu (1869), die „Ur-
kundlichen Beiträge zur Geschichte des Hussitenkriegs"
(1873). Eine mehr als fünfzigjährige literarische Wirksam-
keit von seltener Ergiebigkeit ist Palacky beschieden ge-
wesen. Die Resultate seiner Studien sind vielfach, nament-
lich von deutscher Seite, angefochten worden, aber auch
selbst seine Gegner werden sich dem Eindruck nicht haben
entziehen können, dass sie es mit einem wissenschaftlich
hochbedeutenden Mann zu thun hatten.
In dankbarer Erinnerung trage ich die Beweise per-
sönlichen Wohlwollens, die ich von ihm im Jahre 1843
erhielt. Nachdem ich ihn kurz zuvor im Berliner Archiv
78 Oeff entliche Sitzung vom 28. März 1877.
hatte kennen lernen, fand ich in seinem Hause zu Prag,
dort von Pertz eingeführt und begleitet, die freundlichste
Aufnahme. Es war dem jüngeren Manne ein erhebendes
Gefühl, seine Gedanken zwanglos austauschen zu können
mit den beiden Gelehrten, von denen jeder von dem be-
rechtigten Bewusstsein erfüllt war der Geschichtsforschung
seiner Nation eine neue Basis gegeben zu haben, die beide
damals in der Fülle der Manneskraft und im frischen
Glänze ihres Ruhms standen. In der hohen, kräftigen Ge-
stalt und der Festigkeit ihres Auftretens sich nicht unähn-
lich , in ihren Studien sich vielfach berührend , beide in
einem merkwürdigen Parallelismus des Lebensgangs aus un-
scheinbaren Verhältnissen zu einflussreicher Stellung gelangt,
schienen sie damals in ihren wichtigsten Interessen in voller
Harmonie mit einander zu stehen. Ich weiss nicht, ob
sie sich später wieder begegnet sind, aber an Dissonanzen
dürfte es dann kaum gefehlt haben.
Das Jahr 1848 verwickelte Palacky tief in das poli-
tische Leben, in welchem er dann bis zu seinem Tode eine
nicht immer glückliche, aber immer viel beachtete Rolle
gespielt hat. In den letzten dreissig Jahren galt er recht
eigentlich als der Repräsentant der czechischen Nationalität
und ihrer Interessen; als solcher ist er nicht nur in Schriften,
sondern auch in parlamentarischen Kämpfen vielfach wirk-
sam gewesen. Die Verehrung seiner Landsleute hat er sich
dadurch im hohen Grade erworben. Je kühner er sich
vorwagte, desto reichere Ehrenkränze fielen ihm zu. Wir
Deutsche mussten dagegen bedauern, dass die Politik ihn
immer weiter in eine einseitige Beurtheilung oder Ver-
urtheilung der deutschen Nationalität trieb.
v. Giesebrechti Nekrolog auf Johann Georg Lehmann. 79
Am 5. August 1876 starb zu Nussdorf bei Landau in
der Pfalz der protestantische Pfarrer Johann Georg
Lehmann, ein Gelehrter, der sich um die Geschichte seiner
Heimath sehr verdient gemacht hat. Seit 1860 war er
Correspondent unsrer Akademie.
Lehmann wurde am 24. December 1797 zu Dürkheim
an der Hardt geboren, wo sein Vater reformirter Pfarrer
war. Seine Gymnasialstudien machte er auf dem dortigen
College und bezog dann die Universität Heidelberg, um sich
der Theologie zu widmen. Neben seinem Fachstudium be-
trieb er schon damals mit Vorliebe die Geschichte und
namentlich die historischen Hilfswissenschaften der Archäo-
logie, Heraldik, Numismatik und Diplomatik. Schon als
Student begann er Sammlungen von Urkunden, Siegeln und
Münzen anzulegen, die dann, mehr als sechzig Jahre fort-
geführt und bereichert, zu einem sehr werthvollen Besitz
erwuchsen. Ein Theil dieser Sammlungen ist durch Kauf
an die Universität zurückgekommen, welche den Sammel-
eifer Lehmanns erregt hatte.
Lehmann war aber nicht nur ein emsiger Sammler,
sondern auch ein fleissiger, gründlicher Forscher, nament-
lich in der Geschichte seiner geliebten Heimath. Schon als
Pfarverweser in Ellerstadt gab er im Jahre 1822 die Ge-
schichte des Klosters Limburg heraus, und auch in seiner
späteren Amtstätigkeit, wo er nach einander die Pfarreien
in Altleiningen, Weissenheim, Kerzenheim und Nussdorf zu
verwalten hatte, blieb er stets seinen historischen Arbeiten
treu. Die Schwierigkeiten, welche ihm aus der Entfernung
vou grösseren Bibliotheken erwuchsen, schienen seinen Eifer
eher anzuspornen, als zu lähmen. Lehmann war ein sehr
fruchtbarer Autor. In seinen gedruckten Werken liegt nur
ein Bruchtheil seiner literarischen Thätigkeit vor; ausser
seinen meisten poetischen Arbeiten sind auch eine nicht
80 Oeff entliche Sitzung vom 28. März 1877.
geringe Anzahl seiner historischen Schriften Manuscript
geblieben.
Nachdem Lehmann vorher mehrere auf die pfälzische
Geschichte bezügliche Monographien veröffentlicht hatte,
begann er im Jahre 1857 sein Hauptwerk: „Urkundliche
Geschichte der Burgen und Bergschlösser der bayrischen
Pfalz" herauszugeben, von welchem bis 1866 fünf Bände
erschienen. Die Resultate langjähriger Studien sind in
diesem Buche niedergelegt, welches immer eine der ergiebig-
sten Fundgruben für die Lokalgeschichte der Pfalz bleiben
wird. Durch dieses Werk war Lehmann's Ruf als hervor-
ragender Kenner der Pfälzischen Geschichte gesichert. Als
König Maximilian II. die historische Commission beauf-
tragte historische Werke für die Pfalz zu veranlassen und
in dieser Hinsicht vornehmlich die Mitwirkung des verstor-
benen Häusser in Anspruch nahm, glaubte Häusser beson-
ders auf Lehmann's Arbeiten verweisen zu müssen. Mit
Unterstützung der historischen Commission ermöglichte dann
Lehmann den Druck seiner „Urkundlichen Geschichte der
Grafschaft Hanau-Lichtenberg11 (2 Bände 1862—1863). In
den nächsten Jahren arbeitete er auf Anregung Häussers
und mit Unterstützung der Commission die „Geschichte des
Herzogthums Zweibrücken" (1867) und die „Geschichte der
Grafen von Spanheim" (2 Theile 1869) aus. Es sind die
letzten grösseren Werke, die von Lehmann noch selbst in
den Druck gegeben werden konnten.
Lehmann's Schriften sind durchweg von den Gesichts-
puneten des Lokalhistorikers beherrscht und werden dess-
halb auf solche, welche der Heimath des Verfassers ferner
stehen , keine grosse Anziehungskraft üben ; auch in der
Pfalz selbst dürften sie kaum in weitere Kreise gedruugen
sein, da die Darstellung mehr einen gelehrten, als popu-
lären Charakter trägt. Aber sie ruhen auf einem zuver-
v» Giesebrecht : Nekrolog auf Johann Georg Lehmann. 81
lässigen und mit Gewissenhaftigkeit verarbeiteten Material,
wie es ausser Lehmann kaum ein Anderer beschaffen konnte.
Es sind überaus nützliche Arbeiten, welche kein Historiker,
den seine Studien auf die historischen Verhältnisse der
Pfalz führen, entbehren kann.
Bald nach einander hat die Rheinpfalz in Remling
und Lehmann die beiden Gelehrten verloren, welche für
die Erforschung ihrer Geschichte in den letzten Jahrzehnten
am thätigsten gewesen sind: möchten sie würdige Nach-
folger finden!
[1877. I.Phil.-liist. Cl. 1J
82 Einsendungen von Druckschriften.
Yerzeichniss der eingelaufenen Büchergeschenke.
Vom akademischen Leseverein in Graz-.
IX. Jahresbericht. 1876. 8.
Von der Akademie der Wissenschaften in Krakaui
Bibliographische Berichte über die Publikationen derselben. 1876. 8.
Vom Geschichtsverein für Kärnthen in Klagenfurt:
Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie. 13. Jahrgang.
1876. 8.
Vom fürstlich Fürstenbergischen Hauptarchiv in Donaueschingen:
Fürstenbergisches Urkundenbuch. I. Bd. Sammlung der Quellen zur
Geschichte des Hauses Fürstenberg und seiner Lande in Schwaben.
Tübingen. 1877. Gr. 4.
Von der Generaldirektion der k. Sammlungen für Kunst und Wissen-
schaft in Dresden:
Bericht über die Verwaltung der k. Sammlungen für Kunst und Wis-
senschaft. In den Jahren 1874 u. 1875. 4.
Vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich in Wien:
a) Blätter des Vereins. Neue Folge. X. Jahrg. 1876. 8.
b) Topographie von Niederösterreich. I. u. II. Bd. 1871—76. 4.
Vom Verein für hansische Geschichte in Leipzig:
Hansische Geschichtsblätter. Jahrg. 1873. 74. 75. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 83
Von der Gesellschaft für nordische Alterthumskunde in Copenhagen:
a) Aarböger for Nordisk OJdkyndighed eg Historie. Aargang 1874,
1875, 1876. 8.
b) Antiquites Busses d'apres les monuments historiques des Islandais
et des Anciens Scandinaves. Tom. I. IL 1850. 1852. gr. Fol.
Von der Asiatic Society of Bengal in Calcutta:
a) Journal. No. 200 -202. 204. 1875—76. 8.
b) Proceedings. No. I— VII. 1876. 8.
c) Bibliotheca Indica. OldSeries. No. 234. 235. New Series. No.328.
332—342. 344-348. 1876. 8.
Von der deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens
in Yokohama:
Das schöne Mädchen von Pao, eine Erzählung aus dem Chinesischen,
übersetzt von C. Arendt. Buch III. Kapitel III. u. IV. 1876. Pol.
Von der Societe Boyale des Sciences in Upsala:
Nova actaregiaesocietatis scientiarum Upsalensis. Ser. III. Vol. X. 1876. 4.
Vom Leseverein der deutschen Studenten in Wien:
Jahresbericht über d. J. 1875/76. 8.
Vom historischen Verein für Oberfranken in Bamberg:
38. Bericht über Bestand und Wirken im Jahre 1875. 8.
Vom Verein für Geschichte und Alterthumskunde in Frankfurt a/M.:
a) Neujahrsblatt f. d. J. 1875 u. 1876. 4.
b) Oertliche Beschreibung der Stadt Frankfurt a/M. von J. G. Batton.
Heft VII. 1875. 8.
- c) Tagebuch des Canonicus Wolfgang Königstein hsg. v. G. E. Steitz.
1876. 8.
Von der Südslavischen Akademie der Wissenschaften in Agram:
Starine. Bd. VIII. 1876. 8.
Von der Universität in Lund:
a) Acta Universitatis Lundensis. Tom. XI. 1874. 4.
b) Universitets-Biblioteks Accessions-Katalog 1874. 1875. 8.
6*
84 Einsendungen von Druckschriften.
Von der Literary and Fhilosophical Society in Manchester:
a) Memoirs. III. Series. Vol. 5. London 1876. 8.
b) Proceedings. Vol. XIII— XVI (1873/74-75/76). 8.
c) Catalogue of the Books in the Library of the Manchester Literary
and Philosophical Society. 1875. 8.
Vom Essex-Institute in Salem:
Bulletin Vol. VU. 1875. 8.
Vom historischen Verein für Niedersachsen in Hannover:
Zeitschrift. Jahrgang 1876. 8.
Von der Redaktion des Corre.?pondenzblattes für die Gelehrten- und
Realschulen Württemberg 's in Stuttgart:
Correspondenzblatt. Jahrgang 24. 1877. 8.
Vom Verein für Geschichte und Alterthumskunde Westfalens
in Münster:
Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Alterthumskunde. 4. Folge.
Bd. IV. 1876. 8.
Vom Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen zu Prag:
a) Mittheilungen, Jahrgang XV. 1876. 8.
b) Wilhelm von Wenden, ein Gedicht Ulrichs von Eschenbach, hsg.
von Wendelin Taischer.
c) Stadtbuch von Brüx bis zum Jahre 1526. Bearbeitet von Ludwig
Schlesinger. 1876. 4.
Vom Verein für Kunst- und Alterthum zu Ulm:
Correspondenzblatt 1877. 4.
Von der archäologischen Gesellschaft in Berlin:
35. Programm zum Winkelmannsfest: Georg Treu, griechische Thon-
gefässe. 1875. 4.
Von der allg. geschichtforschenden Gesellschaft der Schiveiz in Zürich:
Jahrbuch für Schweizerische Geschichte. 1. Band. 1877. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 85
Von der Akademie der Wissenschaften in Berlin:
Corpus Inscriptionum Latinarum. Vol. VI. Pars. I. 1876.
Vom germanischen Museum in Nürnberg:
Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Neue Folge. 23. Jahrgang
1876. No. 1—12. Januar— Dezemb. 4.
Von der Beale Accademia delle scienze in Turin:
Atti. Vol. XI. 1876. 8.
Von der Societe des arts et des sciences in Batavia:
a) Notulen van de Algemeene en Bestuurs-Vergaderingen. DeelXIV.
1876. 8.
b) Kawi Oorkonden Inleiding en transscriptie van A. B. Cohen
Stuart. Mit Atlas. Leiden 1875. Fol.
Von der Academie Imper. des sciences in Petersburg:
Bulletin Tom. XXIII. 1877. 4.
Von der Academie Boyale des sciences in Brüssel:
Bulletin. 46e annee. 2e Serie, Tome 43. 1877 8.
Vom Herrn Adolf Trendelenburg in Berlin:
Der Musenchor, Relief einer Marmorbasis aus Halikarnass. 36. Programm
zum Winkelmannsfest der archäologischen Gesellschaft zu Berlin.
1876. 4.
Vom Herrn Mathias Lexer in Würzburg:
Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 15. Lief. 1876. 8.
Vom Herrn Stanislas Sciennicki in Warschau:
Quelques mots pour servir ä l'histoire des cimetieres musulraans et des
mosquees tartares. 1876. 4.
Vom Herrn Alfred von Beumont in Bonn:
Geschichte Toscana's. Band 2. Gotha 1877. 8.
86 Einsendungen oon Druckschriften.
Vom Herrn F. Kielhorn in Poona (Ostindien):
Kätyäyana and Patanjali: their relation to each other and to Pänini.
Bombay 1876. 8.
Vom Herrn Garcin de Tassy in Paris:
La langue et la litterature hindoustanies en 1876. 8.
Vom Herrn Gaudenzio Claretta in Turin:
a) Adelaide di Savoia, Duchessa di Baviera e i suoi tempi. 1877. 8.
b) Sul regno di Carlo III. Duca di Savoja. Firenze 1876. 8.
c) Cronistoria del Municipio di Giaveno dal secolo VIII al XIX.
1875. 8.
d) Notizia storica sulla piü antica carta di Franchigia. 1874. 8.
e) .Sülle avventure di Luca Assarino e Gerolamo Brusoni. 1873. 8.
f) Sulla ricostituzione della scuola di paleografia negli archivi di
stato di Torino. Firenze 1872. 8.
Vom Herrn Adalbert von Keller in Tübingen:
Uhland als Dramatiker mit Benützung seines handschriftlichen Nach-
lasses. Stuttgart 1877. 8.
Vom Herrn Gozzadini in Bologna:
Intorno agli scavi 'archeologici fatti dal Sig. A. Arnoaldi Veli presso
Bologna. 1877. 4.
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Philosophisch-philologische Classe«
Sitzung vom 5. Mai 1877.
Herr Trumpp legte vor:
„Beiträge zur arabischen Syntax."
I.
Die passive Construction im Arabischen.
Das Arabische ist die einzige semitische Sprache, welche
ein regelmässiges Passiv von allen Verbalformen (die IX.
und XI— XV. Form ausgenommen) ausgebildet hat. Sogar
seine nächste Schwestersprache, das Aethio pi sehe, ist in
dieser Hinsicht auf einem älteren Standpuncte stehen ge-
blieben, indem es sich, wie die nordsemitischen Sprachen,
mit der Reflexivbildung begnügt hat, welche zugleich
die Functionen des eigentlichen Passivs auf sich genommen
hat. Von den nordsemitischen Sprachen ist nur das Hebräische
in seiner Entwicklung etwas weiter fortgeschritten , indem
es vom Pkel und Hifeil ein regelmässiges Passiv, das Pinal
und Hof?al ausgebildet hat, was deutlich zeigt, dass diese
Kraft der Passivbildung einst auch den nordsemitischen
Sprachen innegewohnt haben muss, obschon das Aramäisch-
[1877.1. Phil. hist.Cl. 2.] 7
88 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
Syrische, sowie das Assyrische keinen Ansaz zu einer Passiv-
bildung gemacht haben.
Im Arabischen ist der Gebrauch des Passivs, wie schon
seine formale Durchbildung andeutet, ein sehr häufiger, und
die Sprache weiss dasselbe sehr geschickt zu allerlei feinen
Redewendungen zu verwerthen. Die passive Construction
gehört daher zu den Eigenthümlichkeiten der arabischen
Syntax, die wir hier einer näheren Untersuchung unter-
ziehen wollen, da unsere bisherigen arabischen Grammatiken,
wie die von De Sacy, Ewald und Caspari, ja sogar die
neusten Ausgaben und Ueberarbeitungen der lezten von
Wright und A. Müller noch manches anbestimmt lassen
oder theilweise unrichtig aufgefasst haben, wie wir es später
im einzelnen nachweisen werden. Die gröbsten Irrthümer
sind zwar schon von Fleischer in seinen gelehrten „Bei-
trägen zur arabischen Sprachkunde" S. 270 sqq. bereinigt
worden, es ist aber noch manches übrig, was zur völligen
Klarstellung des syntactischen Gebrauchs des Passivs heraus-
gehoben zu werden verdient, was wir an der Hand der uns
zugänglichen arabischen Nationalgrammatiker hier zu thun
versuchen wollen.
In der Definition des Passivs stimmen alle arabischen
Grammatiker überein. Das Verb selbst, sofern es in der
passiven Form steht wird gewöhnlich JjxslJJ ^aÄJI JÄftJf
(das für das Object geformte Verb), oder ^-^•Jt Jaü!
Jj-gJsüJ (das für das unbekannte [nach seinem Activ-
Subject] geformte Verb) genannt l) ; andere umschreibende
Benennungen sind: Jjü Jl Jjü **-y° ^y° JjJaJ! JaaJ!
1) In türkischen und persischen Grammatiken wird daher das
Passiv schlechthin JotiJ! aüt-yo oder J^^JI xaa^ö , die Form
des Objects oder des Unbekannten, benannt.
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 89
- ^ - - >
(das von der Form J*i zu J*i abgewandelte Verb, Sama^sari),
ääxaj ^o JLxJI J^äaÜ (das von seinem natürlichen Ban
abgeänderte Verb, Ibn Ya?is), etc.
Nach der syntactischen Seite aber wird das Passiv da-
hin definirt, dass es ein Verb sei, dessen Activ-Subject
9
(JxU) weggenommen und an dessen Stelle das Ob je et
(JjAaJI ) ) gesezt worden sei, das Passiv- Verb heisst daher,
mit Rücksicht auf seine Bedeutung, jvwwo *J Lo Juü
ä-IäÜ, die Handlung, von der der Thäter nicht
genannt wird. Das Passiv - Subject dagegen wird, im
Gegensaz zum Activ-Subject, J^lftJf ^%x woLül, oder kürzer
J^cLftJf v^ob, oder J^tLail plä/o ^jÜdf, das an die Stelle
Ides Activ-Subjects Tretende genannt, auf welches
das (passive) Verb praedicativ bezogen wird (x-J! tXJuJ).
Der terminus technicus für das Passiv -Subject, yob
JxlaJf , ist nicht glücklich gewählt, da er zu allgemein ge-
halten ist und über das Wesen desselben eigentlich nichts
aussagt. Dies ist auch zum Theil von den arabischen
Grammatikern selbst gefühlt worden, wesswegen sie bemüht
sind, diesem Mangel durch Erklärungen nachzuhelfen (die
Alfiyyah z. B. V. 242 sagt : J^U ^ä xj Jyjuuo u^äj ,
** > *
und ähnlich Näsif im Näru-lqiril, p. Al JxUJf ^Jlst
o
ä^ Jyxsuo). Ueberdie mangelhafte Definition des Passiv-Subjects
7 y
1) J«jiaJI steht hier kürzer für: äj (ILäaJI.
7*
90 Sitzung der philoa.-philol. Classe vom 5, Mai 1877.
spricht sich Butrus al-bustäni im v^JLDI _Lyax> (Bairüt, 1854)
folgendermassen aus (p. tAf, Anm. 1): y*£ oboüJf \i\&
xäa. ^j^^ dLxft+Jf yA£. yt JxUJ! ^>jb ^1 *&+•>) JccLäJ!
&x>U£x> yc |*A*t? u^t*^ Ä-LtU ojiÄ. JyLftx ..# Jyü jj!
„Diese Definition ist nicht richtig, da sie (nur) von
der Handlung gilt, von der der Thäter nicht genannt wird
(i. e. vom passiven Verb), nicht von dem, was an die Stelle
des Fä?il tritt (i. e. vom Passiv-Subject), und die Vermuth-
ung zulässt, dass das J^lftJ! yob etwas anderes als das
Object (i. e. das Leidende) sei. Er hätte richtigerweise sagen
sollen: es ist das Object, dessen Activ - Subject aus irgend
einer Absicht *) ausgelassen worden und an dessen Stelle
es gesezt worden ist.u Dieser Einwand ist begründet, da
das Passiv-Subject, was auch seine äussere Form sein mag,
1) Als Grund, warum das Activ-Subject ausgelassen wurde, geben
2 S — ^ 6
die arabischen Grammatiker theils einen fJlhii \j6y£- » z B. \^f
(Kürze der Rede), *lhJJl ^>^Äj* (Richtigstellung der gebundenen
Rede, i. e. Verszwang), JcoLaJ! ^..wto J<£ äiaiLs? (Einhalten
S - o - s - -
der Proportion unter den Sazgliedern) , theils einen ^yjjuo \j&y£-
an, z.B. J^tLüt Sj-g-Xw (Bekanntsein des Activ-Subjects), &j Jh$^
(Unkenntniss desselben), i^Jo U^r^ Ü^1*^ i»*Vä (es nicht er-
wähnen wollen".
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 91
immer ein &j Jjjuuo sein muss. Auf der andern Seite je-
doch lässt sich nicht läugnen, dass mit diesem terminus
technicus, so unvollkommen er auch an sich ist, die
arabischen Grammatiker den Vortheil erlangten, gleich das
grammatische Wesen desselben andeuten zu können, da das
JxLftJf v^ob meist (so z. B. in der Alfiyyah) nach dem
Jxü abgehandelt wurde, vieles bekannte daher vorausgesezt
werden konnte.
9 ,
Mit dem Jxü hat das J*fcLü! v_ob nämlich das ge-
meinsam, dass es 1) immer im Nominativ stehen, 2) dem
Verbum, durch welches es in den Nominativ gesezt wird,
nachfolgen, und 3) nie ausgelassen werden darf.
Der erste Punct bedarf keiner weiteren Erläuterung.
Was den zweiten betrifft, so ist sehr darauf zu achten, dass
die arabischen Grammatiker nur das als JxlftJf y_*j>b gelten
lassen , was dem passiven Verb nachgestellt ist , z. B.
Jolo *^fi* (JJ^, „es wurde gegeben das beste von einem
Geschenk" (Alfiyyah); lautet aber der Saz umgekehrt: '^
J-u Job, so ist Job y^Ä. nicht mehr J^IaJI v_*Sb ,
sondern \ö£*a , dessen Praeclicat der Verbalsaz J-o ist, der
sein Passiv-Subjeet in sich selbst trägt, i. e. y* Jaj , ganz
wie bei der activeu Construction : Job o& Jb <>o\ .
Was den dritten Punkt anbelangt, dass das Passiv-
Subject nie ausgelassen werden dürfe, so ist dies sehr
92 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
wichtig für die richtige Auffassung der passiven Construc-
tion, wie wir gleich sehen werden.
s ,
Wie das Jxü so ist auch das J^lftJ! v^jb doppelter
6 - ' > 6- o >
Art, entweder y§bs> (ein offenbares Nomen), oder **-«d/>
(ein Pronomen) ; das leztere kann wieder JwOAko (absolutes
Pronomen), oder O^oXk (angehängt) sein, und als solches
6.- - o i 5 - • >
wieder \X* (offenbar, wie in v^woj, oder JüLwwue (ver-
borgen, wie in u^o).
Aus dem Bemerkten ergeben sich im einzelnen folgende
Regeln :
I. Die passive Construction ist im Arabischen nur da
anwendbar, wo der Thäter nicht genannt wird, z. B.
So- .. ,
<Xj\ u^o, „Zaid wurde geschlagen".
Dadurch unterscheidet sich das Arabische speciell von
seiner Schwestersprache, dem Aethiopischen , welches sich
die Möglichkeit bewahrt hat, bei der passiven Construction
auch das active Subject durch Hilfe von Praepositionen (wie
fl, h9°^' etc.) einzufügen, z. B.: h^Y ' 'bd^oo : ffHlUA :
(ih»Q9°fh ' )flj& s ) „da wurde erfüllt, was gesagt worden
war durch Jeremias, den Propheten11 (Matth. 2, 17). Auch
das Hebräische ist in dieser Hinsicht noch freier und kann
das handelnde Subject, wo es nöthig ist, vermittelst einer
Praeposition (b: , stärker noch durch |öj dem passiven Saze
unterordnen, z. B.: i:ji3 IpJ H.^VP Hin^D , „von Jehovah
werden die Schritte eines Mannes richtig gestellt" (Ps. 37,
23), während im Syrischen diese Construction (mit Hilfe
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 93
der Präpositionen le und men) schon ganz allgemein in
Gebrauch gekommen ist.
Mit Recht hat es daher Fleischer getadelt, wenn in
der bair fiter Uebersezung des Neuen Testaments Säze zu
finden sind, wie: U*)^ ^-^^ ij^ ^i *<5,&' ^V ^«^^ ^
(j^Lü! ^T^x» (jJtXjJ, „es (das Salz) ist darnach zu nichts
nüze, als dass es hinausgeworfen und von den Leuten zer-
treten werde" (Matth. 5, 13), oder: ^Lü! {jso !^i\^o .^j
„auf dass sie von den Leuten gepriesen werden" (Matth. 6,
2). In allen solchen Fällen sollte nach allgemeinem arab-
ischen Sprachgebrauch die active Construction zur An-
wendung kommen.
Bemerkenswerth sind daher in dieser Hinsicht Säze,
wie: Jvä^ JLo^lfj ^JjJLp L^i aJ ^-uo, nach der Les-
art einiger (Qur. 24, 36), wo nach dem Mufassal (p. tl* ,
ja-5 < jw-j
L. 10) aus dem passiven <&*+"** ein actives ^-^t als re-
gierendes Verb zu JIä^ logisch und grammatisch zu er-
gänzen ist. Man müsste also demgemäss übersezen : ,, Preis
wird ihm dargebracht in ihnen am Morgen und am Abend,
Männer (preisen ihn). Nach Sibavaih soll man darum
So- G Q~ - 9
auch sagen können: *♦£ (X?\ Vt^> ,,Zaid wurde ge-
f
schlagen , ?Amr (schlug ihn)", indem man aus <jy& eni
äJv^ö logisch ergänze. Dies beweist nur die strenge Ab-
grenzung der passiven Construction gegenüber der activen,
G
da, wenn das wirkliche ckcü genannt sein sollte, man es
94 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
vorzog, dasselbe als Nominativ folgen zu lassen, ohne
das active Verb herauszustellen, weil es sich aus dem pas-
siven leicht ergänzen Hess. Constructionen dieser Art sind
übrigens selten und theilweise angefochten.
Indessen finden wir doch auch im Arabischen einzelne,
wenn auch nur mehr dichterische Redewendungen, in denen
das Activ - Subject bei der passiven Construction eingefügt
worden ist. Ibn-?Aqil sagt in seinem Commentar zur Al-
fiyyah, V. 268, ausdrücklich: v^a^j au JjAäwJ *ij-3 ö3j
sL-LJf v^yü! ^y=* aJjB'^i ij^-yJI ^t Ale J^UJI,
,, manchmal wird das Object in den Nominativ und das
Fä?il in den Accusativ gesezt, wenn kein Missverständniss
zu befürchten ist, wie man sagt: „das Kleid wurde zerrissen
von dem Nagel.4* Er fügt übrigens hinzu: u^v-ä-»-? 3>j
-• - *—*"•*
cU-wJI J^ aui wöÄib Jo \dii> , „dies wird nicht als Regel
aufgestellt, sondern man beschränkt sich dabei auf den
Sprachgebrauch.*4 Dieterici freilich hat diese Bemerkungen
auf eine eigentümliche Weise missverstanden, wenn er das
angeführte Beispiel übersezt: „es zerriss das Kleid den
Nagel44 und die arabischen Worte demgemäss durch: haraqa
al-taubu 'Imismära, transcribirt.
Das von Ibn ?Aqil angeführte Beispiel ist für uns in-
sofern wichtig, als es uns zeigt, dass in einem solchen
Falle das handelnde Subject nicht durch eine Praeposition
dem passiven Saze untergeordnet wird, sondern im Accu-
sativ steht, der wohl am besten als >**♦$ gefasst wird
(das Kleid wurde zerrissen mit Beziehung auf den Nagel).
Aus dem Beispiele selbst scheint übrigens hervorzugehen,
dass eine solche Construction nur dann zulässig ist, wenn
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 95
das handelnde Subject ein Instrument ist, was sonst
durch die Praeposition uj untergeordnet wird, da es nicht
im eigentlichen Sinne als Activ - Subject betrachtet werden
kann. *) Hie und da aber findet sich die Praeposition v->
auch bei lebenden Wesen in passiver Verbindung, z. B.:
LgJjoU *j*+Ju> sli^ P)^Y°) <£t* ^^ d^£&2 \^T^ &&?)>
„die Provinzen (oder Districte) von Xaulän bestehen aus
Dörfern, (bebauteu) Feldern und Wassern, bevölkert durch
ihre Einwohner" (Arnold, Chrest. arab. p. 88, L. 3 v. u.).
Auch Lane (s. unter v*ä) übersezt L^-^L? durch: by its
people. Doch ist auch hier Lg-bßb nicht als eigentliches
Activ-Subject betrachtet, sondern mehr als Complement von
°isy+*jo , so dass v ebensogut durch „mit" übersezt werden
könnte.
II. Da das Passiv-Subject nie ausgelassen werden darf,
so geht daraus hervor, dass es im Arabischen eigentlich
keine impersonale Ausdrucksweise gibt 2), sondern dass
das passive Verb, sei das JxUJJ v_*ju ein * fra* +^1 oder
ein yXX*Mjo y+*&jo immer als individualisirt gefasst
1) Auch im Hebräischen findet sich eine solche lose Unterordnung
des Instruments in passiver Verbindung, wie: 2~)n 173NH » »inr
werdet vom Schwerte gefressen werden. S. Ewald's Hebräische Sprach-
lehre, p. 697.
2) Anders ist das im Hebräischen, wo man z. B. schon sagen kann :
QJTnjJ l??! »man gebar den Sohn"; ebenso im Aethiopischen :
inÜ9°^ s tlH° s »man nannte seinen Namen".
96 Sitzung der philos.-phüol. Classe com 5. Mai 1877.
werden muss, wesshalb auch sonst intransitive Zeitwörter
im Passiv immer wie active behandelt werden. Man kann
also im Arabischen nicht sagen v>^, wie das lateinische
ventum est; sein JxLäJI uob wäre y& als verborgenes
Pronomen, das aber hier, weil es sich auf keinen Objects-
Accusativ bezieht, für den es eintreten könnte, keinen voll-
ständigen Sinn gibt. Daraus folgt von selbst, dass man
ebenso wenig sagen kann: Jt£*w o^ , weil das ><X*a/o
&fy* (als (3<Ua* Jyxsuo) nichts dazu beiträgt, das ver-
borgene Passiv - Subject irgendwie näher zu bestimmen1),
auch nicht wenn es noch durch ein vjLo^ specialisirt ist,
wie ^-?jiö I v^w v^w . Anders verhält es sich bei an und
für sich transitiven Verben, wo man wohl sagen kann
y*^, oder v>«^ u^ö, oder 'iXiiX** Wt^ Vr^^ we^
- >
hier das Passiv-Subject y* schon an und für sich (aus dem
Zusammenhang) bestimmt ist. Was darum Wright (Arab.
Gram. IL ed., p. 291 ) und Caspari (§ 516 und 409), und
nach ihm A. Müller (neuste Ausgabe von Caspari, § 498,
und Anm. a) in dieser Hinsicht aufgestellt haben, stimmt
mit der Lehre der arabischen Grammatiker nicht überein.
Ist kein Passiv-Subject (nach unserer Auffassung) vor-
handen, so hilft sich das Arabische auf verschiedene Weise.
a) Es wird das vom Verbuin finitum abgeleitete Verbal-
1) Nasif sagt ausdrücklich 1. c. p. a1 , L. 2 v. u.: ^1 v^UtXJ*
Trump}) : Beiträge zur ardbischen Syntax. 97
nomen dazu gemacht und in den Nominativ gestellt *), aber
G o - - 9
nicht für sich allein, so dass man yvö Uvö sagen könnte,
wie Caspari (§ 409, Anm. b) angibt 2), sondern nur unter
den zwei Bedingungen, dass es entweder durch eine An-
nexion oder durch ein s-**^ (Qualificativ) näher bestimmt
sei, da das Verbalnomen für sich allein dem Begriff des
Verbums nichts hinzufügt, also auch nicht als Passiv-Sub-
ject eintreten kann3). Man sagt also: >£*™ u*i uwö,
- y
,,das Schlagen des Amirs wurde geschlagen", oder u^o
4>o<Xwu uwi , „ein heftiges Schlagen wurde geschlagen" ;
ebenso: tX^-yi y^ t£^j ,,ein Postreisen wurde gereist11,
f . r * • -* -
oder: J^^io j**w >x-w, ,,ein langes Reisen wurde gereist".
Etwas anderes ist es mit dem verbalen Einheitsworte
(äyo jM*T), das, weil es die Idee der Zahl in sich begreift
(t>tXc lN^iXä)), an sich schon determinirt ist und darum
auch ohne jede Nebenbestimmung zum Passiv -Subject er-
hoben werden kann, wie es ja auch in den Dual und Plural
treten kann, z. B. : iu wo vjj^5 , „ein einmaliges Schlagen
wurde geschlagen".
1) Ein Verbalnomen, auch wenn es näher bestimmt wäre, kann
daher nie zum Passiv -Subject gemacht werden, wenn es dem Sprach-
gebrauch gemäss nur im Accusativ vorkommt, wie xJUf 6uw .
2) Dieser Irrthum ist von Wright und A. Müller aus ihren Aus-
gaben gestrichen worden, nachdem Fleischer die Unstatthaftigkeit dieser
Ausdrucksweise nachgewiesen hatte.
3) Vergleiche Ibn tAqii's Commentar zur Alfiyyah, V. 250.
98 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
Aus dem vorhergehenden ist klar, dass wenn man nicht
^wo uvö sagen darf, auch Ausdrücke wie <*jiX££J , „es
o — ' ■ '
wird gestritten", nicht durch: o^LxiJ ^^-Lää.! erklärt
werden dürfen, wie dies noch Wright und A. Müller thun,
welche die betreffende Aufstellung Caspari's ohne nähere Prüf-
ung hingenommen haben. Dass die arabischen Grammatiker
selbst die Sache so darstellen, wie versichert wird, sollte doch
erst nachgewiesen werden. Die Alfiyyah und das Mufassal
sprechen sich über diesen Punct nicht aus, wohl aber das
wJUaJI ^Lyoxi und das Näru-lqirä.
Das erstere (p. tAf, Anm. 2) unterscheidet zwei Fälle:
in Säzen wie: jwU ItXjv ,jf *J*fc ist das JxLäJI v^oü
von |**x ein uyy* ***' , nämlich der durch ,jf eingeleitete
Saz. Der Saz dagegen: äÄjv-^o ^y> ^^aJu ^ «Uä ^«öJWj
„er schweigt aus Scham und es wird geschwiegen aus
Scheue vor ihmu, erklärt es folgendermassen : &*i v^jLÜU
y& (S*6X3) ^^AJlJIj &ÄjL^X> ^jjO üSyS ^ jd^O+)\ O^Ö
x^äf Lo fjXs>. iLd^fl <^f, „das an die Stelle (des Fäöil)
tretende ist darinnen das Pronomen des Verbalnomens,
nicht die Worte : aü^Lg-o ^jjo (aus Gründen, die wir weiter
unten beleuchten werden), und der Sinn ist: es, nämlich
das Schweigen (iLdÄ^I, nicht ^Lox!) wird geschwiegen,
und ebenso was dem ähnlich ist".
Ganz auf dieselbe Weise spricht sich Shai^ Näsif aus
(Näru-lqirä, p. 4», L. 9) indem &y sagt: y^-^ V.^ ***2
Trumpf): Beiträge zur arabischen Syntax. 99
*.. jS y -* y U
JutftJi, „manchmal kommt das Pronomen des Verbalnomens,
das sich aus dem Verbum versteht, indem es in demselben
verborgen ist, als Passiv-Subject vor, unter der Bedingung,
dass man es als durch das <Xjj*M ^ (den Artikel, der auf
etwas bekanntes zurückweist) oder durch ein ausgelassenes
Qualificativ als näher bestimmt supponirt, damit es das aus-
drücke, was das Verbum nicht ausdrückt". Er fährt dann
fort: „Sibavaih hat sich darüber ausgesprochen und als
Beispiel dafür angeführt fx3 und tX*j> =± ye ^ und
y& Juü> , d. h. der bekannte Schlaf und das bekannte Sizen,
oder z. B. der lange Schlaf und das schöne Sizen. Einige
Grammatiker erklären darnach das Passiv-Subject in Säzen,
°" ° ' T-l ' ' ' \f
wie: <X>y? yt, indem sie dazu das Pronomen von ))•*+**
machen (= tX^V5 ;jr^' V0)» dies ist die Lehrweise von
Durustavaih, von As-suhaili und von Ar-rundi. Ibn Mälik
sagt, dass das Passiv-Subject davon die Praeposition mit
dem im Genetiv stehenden Nomen sei (also <X?j-?), das
richtige aber ist, dass es das von der Praeposition regierte
Nomen allein ist, weil es dasjenige ist, was Objects-Accu-
sativ war, ehe das Activ - Subject ausgelassen wurde, also
besser zur Stellvertretung desselben taugt. Die Praeposition,
die vor das Nomen tritt, ist nur ein Mittel, den Begriff
des Verbums auf dasselbe hinzuleiten, sie gehört also zur
Kategorie des Regens, nicht zur Kategorie des Rectum, und
das ist die Lehrweise der meisten Grammatiker. Al-farrä
dagegen behauptet, dass dies nur die Praeposition sei."
Ganz abgesehen von den Ansichten Näsifs über das Passiv-
100 Sitzung der philo8.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
o- g y
Subject in Säzen, wie <X>w yo , die wir sogleich näher be-
leuchten werden, so geht aus dem angeführten soviel zur
Evidenz hervor, dass die arabischen Grammatiker das als
Passiv- Subject zu subintelligirende Verbalnomen als durch
den Artikel determinirt denken, weil, wie schon oben aus-
geführt worden ist, das leere Verbalnomen dem Begriff des
passiven Verbs nichts neues hinzufügen würde und darum
zur Stellvertretung ungeeignet ist. Das Passiv -Subject ist
daher nie unser impersonales ,,esu, sondern muss indivi-
dualisirt und abgegrenzt sein. Aus diesem inneren Triebe
ist die arabische Sprache sogar dahin gegangen, dass sie
auch intransitive Verba in das Passiv sezt und wie die
activen persönlich behandelt, wenn sie durch eine Praepo-
sition ein entfernteres Objeet sich unterordnen und da-
durch, jiach der Anschauung der arabischen Grammatiker,
in die Kategorie 1er transitiven Verba übergehen (s. sub c) ;
man sagt daher: lj\L*j ^3*1, „er wurde mit einem Diebe
<? v **' "■
angegangen == es wurde ein Dieb zu ihm gebracht *),
■ ' i ö.. s
(j^Lu (5-y-H (5*^ ) iAev Prophet wurde mit Leuten an-
gegangen = Leute wurden zu dem Propheten gebracht",
wie man im Activ sagt: u*Lo j-aäJ! *Iä> , ,,er gieng den
Propheten an mit Leuten".
O o -
b) Es wird ein oJo , d. h. ein Wort, das einen Zeit-
oder Ortsbegriff implicirt, zum Passiv-Subject gemacht. Da-
1) Das Beispiel, das Ewald, Gram. arab. II, p. 37, anfährt,
^wJo j-j'f, bedeutet darum nicht „donatus est vestibus", sondern:
„man brachte Kleider zu ihm". Wörtlich müssten solche Beispiele
übersezt werden: ,,er wurde zum Gegenstand des Kommens mit Kleidern
gemacht".
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 101
zu gehört aber nothwendig, dass das oJ& vollständig
flectirbar und au sich bestimmt sei, damit es zur
Stellvertretung tauge. Worte also, die nur im Accusativ
vorkommen, dürfen nicht als Passiv - Subject verwendet
werden; man kann nicht sagen: £/<X*x (j— U* *) noch
v^ ^ 2), weil es hier an einem bestimmten Passiv-
Subject fehlen würde, das sich aus dem Zusammenhang
nicht erschliessen liesse und man nicht (im Nominativ)
sagen kann : li/tX-i^ ^jhXs* uud <*& ^~) » was gegen den
Sprachgebrauch Verstössen würde. Dagegen sagt man :
iU+iJ j^j >-vw, „der Freitag wurde gereist (= man reiste
am Freitag), J^o v-y« , eine Meile wurde gereist (da J^
schon an sich bestimmt ist), aber nicht z. B. v^öj ^o ,
,,eine Zeit wurde gefastet", weil vs**J hier keinen bestimm-
ten Sinn geben würde, da es nicht specialisirt ist.
9 >«- 2. ^
c) Ein ^r=^j )W- übernimmt die Stellvertretung, so-
fern dadurch der Verbalbegriff concret bestimmt wird, z. B. :
4\jyj v/j , „es wurde an Zaid vorübergegangen", dagegen
1) JOlr (ebenso ^jJ) gilt den arab. Grammatiken nicht als
Üp-, sondern als (v4-y 0*Jb (als vage Ortsbestimmung). Al-
a/faä jedoch erlaubt solche Säze.
2) Im Sinne von &uuu ,*«j *^
102 Sitzung der philos.-phüol. (Masse vom 5. Mai 1877.
sagt man nicht: yö £ u**-*^? "es wurde in einem Hause
gesessen", weil dadurch keine bestimmte Idee erzeugt wird
Wir haben schon sub a) gesehen, dass die arabischen
Grammatiker über diesen Punkt verschiedener Meinuug sind.
Ibn Malik und sein Commentator Ibn ?Aqil (V. 250 und
2. - G >o-
Com.) wollen beides zusammen, das >U* und das >j v^>, in
solchen Fällen als das Passiv - Subject fassen, wenn kein
G
eigentliches *u dyüw vorhanden ist. Dies gründet sich
auf den Saz der Alfiyyah V. 272: ^ o^i dj$ <jLtj
„mache das intransitive Verb transitiv durch eine Prae-
positionu, was Ibn ?Aqil im Commentar dahin erläutert:
Joyj ^v° y£ y^ ^r3! *$y*J* <Jt <S^rt p)^' JuuU! jjf.
Ebenso spricht sich Sama^sari im Mufassal aus (p. IIa, L. 9):
> - * ' • GS
^iXääJI ^x*j l^Juüo Jxaxj Jil, „es gibt drei Mittel, das
Verb transitiv zu machen, diese sind das Hamzah (f), die
Verdoppelung des zweiten Radicals und die Praeposition,
diese drei werden mit dem intransitiven Verbum verbun-
den.u Wird nun ein solches halb- transitives Verb (wie wir
es nennen wollen), in das Passiv gesezt, so wird sein (ent-
fernteres) Object zum Passiv-Subject gemacht, sofern es an
sich bestimmt genug ist.
Die Basrenser, denen, wie wir schon gesehen haben,
auch Shai/ Näsif folgt, betrachten in diesem Falle nur das
G 9
))j3? als das J^cLaJ! v^b, we^ die Praeposition nur die
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 103
Vermittlung der Transitivität sei; damit ist jedoch die
Schwierigkeit keineswegs gehoben, da diese Distinction nur
eine nuzlose Haarspalterei ist. Die Frage ist vielmehr die,
inwiefern ein indirectes, durch eine Praeposition dem Ver-
bum untergeordnetes Object zum directen Passiv - Subject
gemacht werden könne? Einige arabische Grammatiker
haben die Sache dadurch klar zu stellen gesucht, so be-
sonders Durustavaih etc., wie wir schon gesehen haben, dass
sie in solchen Fällen das aus dem Verbum finitum ab-
geleitete determinirte Verbalnomen als eigentliches Passiv-
o- O > o - 9 99 |. OS 9
Subject supponirten, so dass cX^y? yo — &->.y? )}j+N y°
wäre. Diese Erklärung ist auch wohl logisch die rich-
tigste und dem Genius der Sprache am entsprechendsten,
der einer impersonalen Constroction, wie wir schon öfters
bemerkt haben, widerstrebt. Die Sprache hat die Sezung
des determinirten Verbalnomens in solchen Fällen für ent-
behrlich gehalten, da das im passiven Verb verborgene
Passiv- Subject y° hinlänglich durch das nachfolgende >Iä>
So-'
sy >32 j , auf das es bezogen ist , bestimmt und abgegrenzt
ist; dieses leztere ist daher im streng grammatischen Sinne
nicht das Passiv-Subject selbst, sondern nur die nähere Be-
stimmung desselben 1). Dem Sinne nach kommt allerdings
die Erklärung Ibn Mäliks so ziemlich auf dasselbe hinaus;
denn wenn nach seiner Auffassung in tX^y? v*> das ^->u
<^rUJI von ja das )^f^y )^ O^JW) ist, so müsste man
1) Dies geht auch daraus hervor, dass sich das Verbum in diesen
Fällen nie nach dem Geschlecht des indirecten Objects richtet. Näsif
(1. c. p. A4, L. 2 v. u.) sagt daher: 5 Iß^J 1?H^ <J^ '^'
[1877. 1. Phil. hist. Cl. 2.] 8
104 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
wörtlich übersezen: vorübergegangen wurde (das) an Zaid,
ebenso: xJ|>^! gereist wurde (das) zu ihm. Da aber
die arabische Sprache einer solchen Abstractauffassung nicht
günstig ist, so ziehen wir die andere Erklärung vor, die
sich allerdings einer gewissen impersonalen Construction zu
nähern scheint, aber doch nur scheinbar, und alle Schwie-
rigkeiten befriedigend löst; auf diese Weise lässt sich in
o-r- >-o — -o i'-~\? " Wh° ' "r
Säzen wie: *u-U cXjuoj —^ö *u*ä J^i! 3 \jfy2\ o^
o-r - ' - o »
der passive Ausdruck: *£>*£ <^*^? viel leichter durch
auXc ^mjucj' cXjuo-5 , „auf denen das Aufsteigen aufgestiegen
(— gemacht) wirda auflösen, als wenn man **-**£ als Passiv-
Subject betrachten wollte, was durchaus erkünstelt wäre.
Wie man nun aber auch diesen Punct fassen will, so
geht soviel daraus hervor, dass man z. B. nur sagen kann
fwjA*; axJ£ ^x^w , und nicht >-^ xxJJ o* , da nur Ein Pas-
siv-Subject im Saze im Nominativ stehen darf, das hier
j# , oder wenn man will, äxJI (^ta? , dem locus gramma-
ticus nach) ist, indem *&» für sich allein aus den schon
angegebenen Oründen dazu untauglich ist.
Nicht alle ^l>j~3? jedoch (um mit den Basrensern zu
reden) können die Stelle des Passiv - Subjects einnehmen.
Das vyJUaJf «-LyÄ* (p. Ud , Anm. 2) sagt in dieser Be-
ziehung: (J ^5<XJI y* cjf^w^Jf ^jjo abLy-^ J^Wj
i^. JoUij <\*f JUjüLw^I 3 ScX^U ääjJo *J jLif fT-M
03 ^ -»»
JüJütfJU o*U f<M ^j Xjfj r^JI^, „fähig zur Stell-
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 105
Vertretung (des Aetiv-Subjects) ist von den in den Genetiv
gesezten Wörtern nur dasjenige , an welches die Praeposi-
tion nicht auf eine einzige Weise im Gebrauche tritt, wie
t 9 \ o 9 O 9
tXx> und tXJwo , ^ und die Partikeln des Schwures und der
Ausnahme und dergleichen, und was nicht hinweist auf ein
Motiv, wie J , v-j und ^jjo , wenn sie zur Bezeichnung
des Motivs gebraucht werden" 1). Aehnlich spricht sich
1) &jo und JoLo , als den Genetiv regierende Praeposit^onen ,
zeigen nur den Zeitpunkt an, von dem eine Handlung ausgeht (joo^!),
und sind darum mit ihrem Complement, weil sie keinen abgeschlossenen
Begriff enthalten, zur Stellvertretung ungeeignet. u> , das die arab.
Grammatiker wunderbarerweise als Praeposition betrachten, ist ursprüng-
lich ein im Accusativ stehender Vocativ eines Nomens; daraus ergibt
. > - a 9 - 9
sich von selbst, dass man nicht sagen kann (>ä»n <->\ <OwO,
9 . 9 - Ö 9
mancher Mann wurde geschlagen, sondern nur v_>wO J^-) ^->) > (°^er
Dass die Partikeln des Schwures nicht in Frage kommen können,
ist aus ihrer interjectionalen Bedeutung ersichtlich.
Die Partikeln der Ausnahme, sofern sie einen Genetiv regieren,
können schon nach ihrem inhaerirenden Begriffe das Passiv - Subject
nicht ersezen, da sie das dadurch Ausgenommene regieren und ein an-
deres Subject voraussezen.
Auch das durch das x/JIä. &L (das den Zustand anzeigende v_>)
in den Genetiv Gesezte, wie: äjUuü Ju\ ^y^*- > sowie das Jula>o
&j , &jlo JyxJuo und das '-a*x> durch £jjo (wie : qhJü ^jo oüJo)
Bind von der Stellvertretung für das Fä*il ausgeschlossen.
8*
106 Sitzung der philo«. -philol. Classe vom 5. Mai 1877.
auch Shaix Nusif im Näru-lqirä (p. 1*, L. 1) aas: io^xo^
x-Ltli *Iax> »J^g ^ki Jjia-U , „bei der Praeposition gilt die
Bedingung, dass sie nicht zur Bezeichnung des Motivs
stehe, weil das durch sie in den Genetiv Gesezte der Grund
der Handlung ist, also nicht an die Stelle des Thäters der-
selben treten kann". Nichts desto weniger aber erklärt er
den Vers, dessen Halbvers wir schon oben citirt haben:
,,Er schweigt aus Scham und es wird aus Scheue vor
ihm geschwiegen;
es wird also nicht gesprochen ausser wenn er lächelt",
im Widerspruch mit seiner eigenen Aufstellung dahin, dass
keine Meinungsverschiedenheit darüber herrsche, dass im
ersteren Falle das Passiv-Subject das in den Genetiv Gesezte
allein sei, im zweiten aber das Pronomen des Verbalnomens.
Es bedarf wohl kaum eines Hinweises, dass das -Xj^gjq
v^JUaJI in diesem Punkte klarer gesehen hat.
s 2. -
In gewissen Fällen jedoch ist das ))y^ y y^ nicht als
das eigentliche Passiv-Subject zu fassen, wie z. B. in der
Redensart äaä ^as, »möge ihm vergeben werden!" Hier
ist es weit natürlicher, ein ausgelassenes, aber leicht ver-
standenes Passiv-Subject, i. e. *xto , zu suppliren, wie man
auch im Activ sagt: *^t> *aä Lää; ebenso in ivg-^D Jy] ,
„es wurde auf sie herabgesandt" (seil, das Wort oder die
Offenbarung).
In andern Fällen dagegen ist das Passiv-Subject im
Verbum selbst zu suchen, das persönlich construirt ist, so.
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 107
n
z. B. in &? ^*^? tXjvS, ein Führer, der gesandt wird in
ihm (in seiner Person), wie man im Activ sagt: &J w£a*j,
„er sandte (einen Boten) in ihm, in Seiner Person. Ebenso
ist *£-**£ (5*** zu erklären, und nicht durch: „eine Decke
wurde über ihn geworfen", wie dies Wright (II, p. 291)
thut; denn <*«*£■ bedeutet in diesem Falle nicht „bedeckenu,
sondern „dunkel machen, verdüstern" (der Muhcitu-lmuhcit
erklärt vo^l ajyki. durch sUai.) , xLlc ^5*^ bedeutet
darum wörtlich: „er wurde über sich verdüstert 2= L4^U
„er verlor das Bewusstsein". Dass das Passiv au-l^ &&&
persönlich zu fassen ist, geht auch zur Genüge aus dem
Parti cip passivi hervor, indem man sagt: *£-**£ ^Ax^J! ,
„der über sich verdüsterte11, im Femininum dagegen:
l^JJ^ ÄJuäJuJI . Wo dagegen das (determinirte oder in-
determinirte) Particip passivi nicht streng persönlich be-
zogen, sondern nach der obigen Auseinandersezung mehr im-
personell zu fassen ist, bleibt es im Sing. masc. stehen, ab-
gesehen vom Geschlecht und der Zahl des vorangehenden
Nomen s, auf das es (im gleichen Casus) bezogen wird, weil
es in diesem Falle an der Stelle des Verbum finitum steht
und der Artikel das Relativ vertritt; z. B. : ^^j-üJf gjäjJ
L^J! oLüJ! &L«JLl ,j.r Li^j „weil das Tanvin an die
w
Stelle des Sazes tritt, an den annectirt wird", — ^1
LgjJ! v-ajuö! ; L$jJ! i^yäf aL^uOS", „eine Kirche , zu der
108 Sitzung der philol.philos. Clause vom 5. Mai 1877.
gewallfartet wirdu, = LgjJf « . Wir haben nun noch zu
betrachten :
III. Wie sich in den Fällen, in welchen zwei
oder mehrere Objecte im Saze vorhanden sind,
die passive Construction zu gestalten hat?
o
Wir haben schon gesehen, dass wenn nur Ein **> Jyjuuo
im Saze vorhanden ist, dasselbe zum Passiv-Subject gemacht
wird und als solches im Nominativ steht, während alle an-
deren SaztheilS, wie das ^JJb und das ><X«a/e in dem
Casus bleiben, den sie im activen Saze eingenommen haben.
Denn wie das active Verbum nur Ein J^U in den No-
minativ stellt, so sezt auch das passive nur Ein tkcUJ! v^U
in den Nominativ; dieses ist das «lX+ä oder die Stüze des
Sazes, um welches sich die übrigen Glieder als accessorische
Bestandtheile {tv^aJ) gruppiren.
9
a) Wenn nun in einem Saze neben dem *u Jyjuuo
noch ein o Je , n<X«ox> und ))r^? ) )^ vorkommt, so ist
o
die Lehre der Basrenser, dass nur das &J Jy*Juo , als näch-
stes Object, zum Passiv-Subject gemacht werden dürfe. Ibn
?Aqil führt in seinem Commentar zur Alfiyyah V. 251 als
einschlagendes Beispiel den Saz an: W*-^ &&) V^ö
tuta £ *^°^t (*^ &*^i! *^j> IcXjJww, „Zaid wurde schwer
geschlagen am Freitag vor dem Amir in seinem Hause".
Das ckfclftJf yjb ist tX^S und steht als solches im No-
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 109
minativ , der qualificirte Infinitiv TtXjtX*« b wo steht im Ac-
cusativ als iXSyo stX^ax», ebenso das (jtoüf üJb, i. e.
iüüif *jj , und das ^jlx^J! oüs , i. e. v^y0^^ p^f i während
*sW d das ))f&} yJ* repräsentirt. Die küfischen Gram-
matiker gehen darinnen weiter und erlauben , auch wenn
ein xj JyJLAx vorhanden ist, etwas anderes zum Passiv-
Subjecte zu erheben, stehe es vor oder nach (dem eigent-
lichen Objecte). Nach ihnen kann man also auch sagen:
'&&) tXj<Xw u*^ Vr**' ,,Zaid wurde hart geschlagen"
(wörtlich: es wurde geschlagen ein hartes Schlagen in Be-
n c, -
- f
treff des Zaid), oder : tX^tX^ V r^ '^} Vr^ • Diese
Construction begründen sie mit der Lesart des Abu Ja?far
(Qur. 45, 13): ^^-a-m*Xj f^Jo Uj Uy> ^jsaJ, „damit den
Leuten (wörtlich : in Beziehung auf die Leute) vergolten
werde für das, was sie erwarben". Nach dieser Les-
art (die gewöhnliche ist: <^yivJ) wird nicht das un-
mittelbare Object (L*ji>) zum Passiv-Subject gemacht, son-
g 9 o- s. - t .-
dem das ))y^ ) )- i *• e- W und der davon abhängige
G.a:S> G o
Saz, der als u^yo **J zu fassen wäre *). Peruer führen
1) Baidävl (ed. Fleischer, II, p. %) führt zwei Lesarten auf
(neben der activen) : -»«ü ^ysaJ , und Uo.,2 ^ysü , die er fol-
gendermassen erklärt: «^Ltt ifyif }f V^ÜI 9^ 3^*"' <5y^ <*5^
110 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 5. Mai 1877.
sie dafür an den Vers l) :
„Nur ein Edler ist mit dem Hohen beschäftigt und nicht
heilt den Irrenden ausser der die rechte Leitung hat.u
Im Activ würde der Saz lauten : \ö^*j ^M iUJjtJi ^aj pJ ,
„das Hohe beschäftigt nur einen Edlenu; der Saz ist eine
G es- i "T- , o .
cv.ax) EUaÄaJ, d. h. eine rectionslos gelassene Ausnahme,
indem das, wovon ausgenommen wird, nicht genannt wird
(was nur bei negativen Säzen vorkommt). In diesem Falle
CS
muss das auf die Ausnahmepartikel ^M folgende Nomen in
dem Casus stehen, in welchem das ausgelassene Nomen
hätte stehen müssen (hier also I^XäI). In der passiven
Construction nun sollte es heissen: jM sLJjdb ^jju p
(Xf~w , indem das eigentliche &J JjJLftx> , i. e. !<>oJ und das
darauf bezogene !J.xa« Sl_, im Nominativ als Passiv-Subject
eintreten sollte; dies ist 'aber nicht geschehen, sondern das
oLuuo zl> , „d h, damit vergolten werde entweder das Gute oder das
Böse, oder die Vergeltung; damit meine ich das, womit vergolten wird,
nicht das Verbalnomen, denn die Beziehung (des Verbums) auf das
Verbalnomen (als sein Passiv-Subject), besonders wenn ein directes Ob-
ject vorhanden ist, ist schwach begründet."
Wenn er also hier gl ja. als zu subintelligirendes Passiv-Subject
vorschlägt, so meint er damit nicht Elya» als Verbalnomen, sondern als
\&j*uo *juJ (im Sinne von Belohnung),
1) S. Ibn »Aqll zur Alfiyyah V, 251 j Näsif, 1. c. p. II , L. 12.
Trwmpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 111
))j^ 2 )^ j i. e. ©LJjJL ist zum Passiv -Subject erhoben
worden, so dass in Folge davon ItX^u 5IJ hat im Aecusativ
bleiben müssen. Wörtlich müsste man also den so con-
struirten Saz übersezen: „(das) mit dem Hohen wird nicht
zum Gegenstand der Beschäftigung gemacht, ausser mit
Rücksicht auf einen Edlen. "
Obgleich solche Constructionen nicht gebilligt und auf
die Rechnung des Verszwanges gesezt werden, so kommen
sie doch vor und verdienen alle Beachtung, da sich gerade
darin die eigen thüinli che Auffassung der arabischen Sprache
recht deutlich zu erkennen gibt. Auch der Grammatiker
Al-a%fas tritt dafür als Zeuge auf, indem er sogar die Regel
9
aufstellte, dass wenn dem *o öyxsuo etwas anderes (also ein
Oj£> etc.) vorangehe, man das eine oder das andere
zum Passiv-Subject machen dürfe, z. B. fcX^S ^ftXJf £ y^o,
oder <X>\ JcNJI £ u«ö; wenn ihm aber nichts voran-
gehe, müsse es absolut zum JxLaJI yjü gemacht werden,
man dürfe also nicht sagen: >lt>J! £ !jl>\ u^o, sondern
nur : >tt>J! £ lXj\ o^ö .
Sama^sari (Mufassal, p. ||i , L. 10) stimmt mit den
Basrensern überein, indem er lehrt, dass wenn in einem
Saze ein unmittelbares und ein mittelbares (durch
eine Praeposition vermitteltes) Object vorhanden ist, das
erstere den Vorzug vor dem zweiten habe, das in diesem
Falle nicht als Passiv-Subject verwendet werden dürfe; man
dürfe daher nur sagen: <X>v j! JLJI iit>, „das Besizthum
wurde an Zaid übergeben", und nicht, indem man &*\ JJ
112 Sitzung der philos.-pliilol Classe vom 5. Mai 1877.
zum JxuJf v^ü mache: JUJ! <X>\ Jf /**^j ebenso nur:
xjLc ij»+±» vlljUa*^ «Ao, wörtlich: „mit deinem Geschenke
wurden fünf hundert (Dirhams) zum Gegenstande des Er-
reichens gemacht — dein Geschenk wurde auf fünf hundert
gebracht (das Activ wäre : ipLo g**.:*. vii^lkju *-b , er
kam mit deinem Geschenk auf fünf hundert = brachte es
auf etc.), und nicht : *Slx> (j»»»^» ^IjUsju *-L , durch Ein-
sezung von dloUuu als Passiv -Subject. Wenn jedoch das
unmittelbare Object nicht genannt ist, darf man wohl das
mittelbare zum Passiv- Subject erheben, wie <X>\ vi' /•***>
„es wurde Zaid übergeben'1, und: ^JoUaju *-b, „dein Ge-
schenk wurde gebracht."
Wo kein directes Object im Saze vorhanden ist, kann
man nach Belieben das o Jb , r<Xo-o oder das ))t^ ) *W
zur Stellvertretung heranziehen. Der active Saz z. B. :
f<X3<X& I w^w ^jjJ&yi \^*yr>. ^.'r? ^y*» » ,,ich reiste mit
Zaid zwei Tage, zwei Parasangen, eine gewaltige Reise"
kann folgen dermassen ins Passiv umgesezt werden:
1) indem <X>VJ als Passiv-Subject eingestellt wird:
2) Das qualificirte Verbalnomen t>o<Xwu ^xa«:
** •" So — o - — o -* o — o— o— —
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 113
3) Das ^^y» oJ: , i.e. <jU^ :
4) Das ^jKJI oJ:, i. e. c;»>*:
Ebenso kann der Saz (Muf. p. f|*| , L. 3 v. u.) behandelt
werden: f»Lx>? xt »-fl -»o !<X><Xcu lilA£\.*J tX^yj löj^wI
wyo^f , „Zaid wurde sehr verächtlich behandelt am Freitag
vor dem Amir", indem man das eine oder andere zum
JxLäJ! v^aSü erhebt, die andern Objecte dagegen im Accu-
sativ belässt.
b) Kommen in einem Saze zwei directe Objecte vor,
so ist zu unterscheiden, ob sie zur Kategorie von ^^
(oder ^5*^5), oder von ,jJo gehören.
«) Die Verba ^JiaI, ^*0 etc. sezen unmittelbar zwei
Objecte in den Accusativ , ohne dass sie zu einander im
Verhältnisse des Subjects und Praedicats stehen. Die all-
gemeine Regel ist in diesem Falle, dass das erste Object
zum Passiv -Subject gemacht werde, z. B. by> lXj\ <5**«j
„Zaid wurde mit einem Kleide bekleidet".
Die Alfiyyah und das Mufassal gestatten jedoch in
diesem Falle das eine oder das andere Object zum Passiv-
Subject zu machen, wenn keine Gefahr eines Missverständ-
i *-• G°" " i ü\
nisses vorliege ; man könne also sagen : UA^> j v*x ,J^' ■>
„*Amr wurde mit einem Dirham beschenkt", oder: ^5^!
114 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
*#}<> N-*^> „ein Dirham wurde dem *Amr geschenkt1)",
jedoch mit der Beschränkung, wie das Mufassal sagt, dass
es besser sei, das zum Passiv - Subject zu constituiren , was
dem Sinne nach das Jxli ist, wie in dem Saze: d^\ ~)\
(5ä.I ä-of , ,,Zaid wurde an die Tochter meines Bruders
verheirathet". Wo indessen die Möglichkeit eines Miss-
verständnisses eintreten könnte, darf nur das erste Object
zur Stellvertretung des Füöil herangezogen werden ; man
sagt also nur (von dem activen Saze ausgehend: o-uac!
\y+£. !Jo\, ,,ich habe dem Zaid den ?Amr geschenkt"):
\j+£. t\j\ j^a^l, weil, wie Ibn ^Aqil (Com. zu Alfiyyah
V. 252) hinzufügt, jeder der beiden der Nehmende sein
könne. Einige Grammatiker wollen sogar solche Säze, um
des möglichen Missverständnisses willen, ganz verbieten (so
z. B. Näsif, 1. c. p. <\\ , L. 1 v. u.).
Die küfischen Grammatiker wollen noch die besondere
Regel aufstellen, dass wenn das erste Object determinirt,
das zweite dagegen indeterminirt sei, nur das erste
zur Stellvertretung gebraucht werden dürfe, man dürfe also
nur sagen: *Uä> <X>\ ^^^S , und nicht JtX^S &aä. ouy*o .
Diese Restriction jedoch ist keineswegs durch den Sprach-
gebrauch ausgetragen. (S, Muf. p. fiv, L. 2.)
Aus der angedeuteten Neigung der Sprache, von zwei
Objecten dasjenige zum Passiv -Subject zu machen, welches
1) Eine ähnliche Umstellung des Passiv- Subjects trifft man auch
im Aethiopischen , wo man mit gleicher Freiheit sagen kann:
'höHMlYb ! W"A° ! , oder iHIMJnfc • tf"A° ' , »alles ist mir über-
geben".
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 115
G
das eigentliche <J*fcÜ ist, erklärt es sich leicht, wenn z. B.
^j'l in der passiven Verbindung nicht auf den Gegenstand,
sondern auf die Person bezogen wird, wie dies schon bei
^'f (s. p. 100) der Fall ist, z. B. ^Liü! JuoL-J y.j ^f ,
wörtlich : „die Kinder Israel wurden zu dem Buche kommen
gemacht, i. e. wurden mit demselben beschenkt1', da das
s
eigentliche Jxü die Kinder Israel sind, nicht das Buch.
ß) Regiert ein Verbum zwei Objecte, von denen das
erste zum zweiten im Verhältnisse des Subjects zum Prae-
05 r-
dicat steht (Verba der Kategorie ^Jb , halten für etwas),
so darf nur das erste Object (das eigentliche Subject) zum
Passiv -Subject gemacht werden, z. B. UoLa l\j\ <jJöj
„Zaid wurde für wahrhaftig gehalten". Die Alfiyyah jedoch
(V. 253) erlaubt auch das Praedicat zur Stellvertretung zu
verwenden, wenn kein Missverständniss zu befürchten sei,
so dass man also auch sagen dürfe : *jU *<X?\ ^jo , wört-
lich: angesehen wurde als Zaid (Accus.) ein Stehender'1; *)
So-*»©- es' 6o-
dagegen sei z. B. j y+& IJov ^b verboten , weil j v^ als
zweites Object (i. e. als Praedicat) zu fassen sei.
1) Das Aethiopische richtet sich im allgemeinen nach dem Ara-
bischen, indem es in der passiven Construction das Praedicat im Accu-
sativ beharren lässt, aber es hat sich doch auch schon die Möglichkeit
gewahrt, das Praedicat (neben dem Subject) in den Nominativ zu
stellen, was im Arabischen nicht möglich wäre; z.B.: *f*|Pj&tfD :
0)A^ s UVI " Vf'i'blb ' (Dillmann, Aeth. Gr. p. 346).
116 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 5. Mai 1877.
.f-
c) Regiert ein Verbum drei Objecte, wie ^1, JW
(und fünf andere, nämlich : c^lXä , oi. , v-^' , y^ und
yjf), von denen das zweite zum dritten im Verhaltniss
des Subjects zum Praedicat steht, so darf nur das erste
Object als Passiv - Subject eintreten, während die beiden
andern im Accusativ bleiben müssen, z. B. viL*^i tXjv *A£f
Lä.^wo; ,,Zaid wurde in Kenntniss gesezt, dass dein Pferd
gesattelt istu; (V^J v-UXä U-Lb <Xsj j^ J^ä-I cuaj
tXJtXi, „Ich wurde benachrichtigt, dass meine mütterlichen
Oheime, die Banü Yazid, tyrannisch handeln gegen uns, es
ist ein Geschrei über sie". (Muf. p. 5, L. 10.)
Die Alfiyyah jedoch (V. 253) will auch hier das zweite
Object zur Stellvertretung zulassen, wenn kein Missverständ-
niss zu befürchten sei; man dürfe also auch sagen: *XsS
Lä.wwu-c viLwji u\j\ , wörtlich: „es wurde angezeigt dem
Zaid dein Pferd als gesatteltes" 1). Ja sogar das dritte
Object wird von einigen als Passiv -Subject zugelassen,
z. B. : tr-f"** w^ujj ltX->\ *-**£'> wo die wörtliche Ueber-
sezung lauten müsste: „angezeigt wurde dem Zaid ein ge-
satteltes als dein Pferd". Sama^sari jedoch verbietet diese
Structur (Muf. p. ff4}, L. 6), lässt also die zweite indirect
noch zu.
1) Wir fügen absichtlich eine wörtliche Uebersezung bei, um die
arabische Structur unserem Denken zu vermitteln.
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 117
IL
es . e *
Ueber die Construction von ^J und <jl, und deren
Unterschied.
I. Um die Construction dieser beiden Partikeln ver-
stehen zn können, ist es nöthig, zuerst ihrer Etymologie
etwas näher zu treten.
Dass das arabische ,j| mit dem hebräischen Hä? ,
siehe! zusamenhänge, ist schon längst bemerkt worden.
Das hebräische run jedoch ist selbst wieder zusammen gesezt
aus ]n und PQ; die älteste Form ist daher ]n, an welche
das Deutewörtchen rü tritt, wodurch )H weiter zu ]n ver-
kürzt worden ist. Aber auch dieses ]H , mit welchem man
mit Recht das lateinische en und das griechische r\v verglichen
hat, ist keineswegs ein einfaches Deute wort, sondern selbst
wieder zusammengesezt aus den beiden Pronominalwurzeln
he und n (abgekürzt aus na).
Wir finden diese Pronominalstämme als ein Gemeingut
der semitischen und arischen Sprachen. Die ursprüngliche
Wurzel ist i , oder aspirirt hi (aramäisch imK t 7]"PX ,
Sanskrit ^+ ^5^ Persisch ^jj»} i-n, Lateinisch hi-c, w,
und in den indischen Prakrit - Sprachen yi , hi , e); mit
diesem Grundstamm hat sich eine andere Deutewurzel na
verbunden, die ebenfalls ein Gemeingut beider Sprachsippen
ist. Im Aramäisch-Syrischen liegt diese Wurzel noch klar
vor, wie in Nil. de-nä, hö-nö (oder hä-nä), dieser da, mo-
no, was = dem Arabischen 16 U; sonst ist na schon zu
n verkürzt worden (mit Abwerfung des finalen a), wie in
dem hektischen ]7\ ' ]3 (wörtlich: Aehnlichkeit von
I
118 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
dem), l) während in dem entsprechenden aethiopischen
1kt ! ? in Zusammensezungen wie "h^Yl^9" ' , siehe da ihr!
noch ene-kemmü gesprochen wird. Das sogenannte corro-
borative ] in den aramäischen Demonstrativis ist ebenfalls
hieher zu ziehen , wie in + 3K ; ebenso auch das n in dem
aethiopischen 11*}+ ' ze-n-tü , da der Accent auf ü ruht,
und nicht auf e, wie Dillmann angibt.
Ein weiterer Demonstrativstamm neben i, hi ist a oder
ha für das entfernter liegende, der sich übrigens in den
semitischen Sprachen nur noch zerstreut vorfindet 2). Dahin
rechnen wir das aramäische X oder NH und das arabische
T T
. - O^JO- . . -
u& (als J-y-o ^j=>), das sich auch in Compositis wie JtX#,
UjdUd vorfindet. Dieser Stamm kommt häufig in Zusam-
mensezungen mit dem schon erwähnten n(a) vor, wie in
dem aramäischen )? , )0 ; cf. das persische ^jf ), in v^jf an-ta,
du, (VÄj! an-tum, ihr; auch Qf, ich, ist wohl nur dieses
Demonstrativ (der da == ich); ebenso das hebräische ^K
an-i, der hier. Auch Bopp betrachtet den im Sanskrit
vorkommenden Demonstrativstamm 9FR als ein Composi-
tum aus ^f + ^ (Vergl. Gram. II, § 369).
1) Vergleiche auch das arabische .^üO == i**j "t" *$ , mit dem
hebräischen p'fcOi
2) Der Demonstrativstamm ha findet sich auch theilweise in den
arischen Sprachen; cf. das afgänische &*& ba-yah, jener.
Der Demonstrativstamm ü, hü, den die semitischen Sprachen noch
daneben aufweisen, ist offenbar nur eine Vertiefung von ä, hä. Auch
die späteren Präkritsprachen kennen ihn (hü, ü).
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 119
In den semitischen Sprachen ist dieses an weiter durch
Wechsel von n zu l *), in dl oder hol übergegangen.
Die semitischen Sprachen jedoch haben das Bewusst-
sein von der ursprünglichen Zusammensezung dieser Deute-
worte ganz verloren und betrachten en, hen, han, dl oder
hol als einfache Demonstrativstämme. An diese kann daher
nach Umständen eine weitere Deutewurzel treten, die aber
nur im localhin weisenden Sinne gebraucht wird, nämlich
im Hebräischen rieh, nah, wie Hin hin-neh, siehe da! Hin
hen-näh, hieher! hier! im Arabischen na oder na, an den
Stamm i-n angehängt: ^jf (dieses da! = siehe!), an
den Stamm a-n: ^j' an-na, das da! U# han-nä\ dort!
Im Hebräischen und Arabischen wird dieses Deute-
wörtchen neh, näh, na oder na nicht mehr für sich allein
gefunden, sondern nur noch als Encliticum eines andern
Demonstrativstammes, wohl aber im Aethiopischen , wo es
entweder mit dem a (ü =2 ha) der Richtung verbunden
1) Im Aethiopischen ist dieser Wechsel häufig, z. B. K AK :
hassen, — hebr. *Qti> ; fl'Jrt A ' , aram. "$¥?'& > aral)- J^**i-* •
Was speciell das Arabische betrifft, so ist bekannt, dass man in Yaman
statt al, am sprach (cf. Mufassal, p. tdfr", L. 8), indem dort n in m
übergegangen war, ein Wechsel, der sich auch sonst in den semitischen
Sprachen findet (vergl. die Pluralendung im und in). Dieser Ueber-
gang von l zu n (und vor Labialen zu m) findet sich auch noch heut-
zutage in der arabischen Volkssprache ; man sagt z B. _*Lyof , em-
bärehc, gestern (statt \UJf) etc.
Die arabischen Grammatiker selbst fühlten etwas heraus, dass der
Artikel eine Art von Compositum sein müsse, wesshalb z. B. Sibavaih
annahm, dass der Artikel eigentlich nur aus l bestehe und das a ein
Hamz der Verbindung sei (siehe darüber, Alfiyyah V. 106 mit dem
Com. des Ihn *Aqil).
[1877 I.Phil.hist.C1.2.] 9
120 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
wird, wie V0 s nä-?a oder V9' na- sä1), hieher! oder
aber mit Pronominalsuffixen , wie : V*P 8 n a - v - ä , da sie!
(ecce eam), VO"* nä-hu, da ihn! (ecce eum), Vfs nä-ya,
da mich! (=z fstl^' ^r können aus °^em Aethiopischen
noch deutlich die Bedeutung dieses Wörtchens erkennen.
Es ist ursprünglich ein Demonstrativpronomen (wie in nä-
?a), das aber bald den Sinn eines Deute wörtchens an-
genommen hat 2), und darum den Gegenstand , auf den es
hinweist, sich im Accusativ unterordnet, obschon dies im
Aethiopischen noch auf die Pronomina suffixa beschränkt
ist. Wenn die . Sprache dann weiter daraus einen regel-
rechten Imperativ gebildet hat (wie If0^- ne-ei , *>0- '
ne-?ü etc.), so kam das daher, dass das stets im auf-
fordernden Sinne gebrauchte V s leicht als Imperativ miss-
verstanden und demgemäss auch flectirt werden konnte,
doch ist sich die Sprache noch theilweise bewusst, dass Vs
kein eigentliches Verbum ist , wesshalb das Suffix der I.
Pers. Sing, noch in seiner Genetivform angehängt wird, wie
Vf s nä-ya. Ebenso schwankt noch das Arabische zwischen
ic M und (c^l , während das Hebräische nur die Accusativ-
form des Suffixes beibehalten hat, "^H .
Ein weiterer, aber naheliegender Schritt war es, wenn
die Sprache dieses Deutewörtchen dazu verwandte, dem
1) Dillmann hat ganz richtig gesehen, wenn er dieses Q nur als
stärkeren Trennungslaut für a betrachtet.
2) Als enclitisches Deutewörtchen der Richtung rindet es sich
auch theilweise im Aethiopischen, wie in KAM1 eska-na, bis — hin;
?lrh"t*2l s ahcäta-ne, zu einem hin , indem das tonlose na zugleich in
das betonte fc : übergegangen ist , um die hinweisende Kraft zu ver-
stärken, ähnlich wie das hebräische neh in n^H .
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 121
Verbum als nachgesezte Partikel einen hortativen Sinn mit-
zutheilen. So finden wir es im Hebräischen dem Irnperfect
(theils mit, theils ohne das n~ der Richtung) nachgesezt,
wie {O &CTJ, lasst uns doch fürchten! N3~rri"lK , ich
will doch herabsteigen! Ja selbst dem einfachen oder
verstärkten Imperativ kann es nachstehen, um eine in-
ständige Bitte auszudrücken, wie N}~nj? nimm doch!
N3T07, geh doch! In noch ausgiebigerer Weise ist es
im Arabischen zur Bildung des Modus energicus verwendet
worden, wobei das w, wie schon theilweise im Hebräischen,
der Emphasis wegen auch verdoppelt werden kann , wie :
i^-bsf oder ,jd*of , Imperat. j^-USf oder ,^-U3l ■
Aus dieser etymologischen Zusammensezung von ^[
und ,j! wird sich uns (fte Construction dieser beiden Par-
tikeln im Arabischen leichter ergeben. Wir sehen daraus
schon so viel, dass Sibavaih nicht so ganz Unrecht hatte,
ß ß^i
wenn er ^J und <j! im wesentlichen für identisch erklärte,
obschon ihm die Zusammensezung und ursprüngliche Be-
deutung derselben nicht bekannt war (cf. Ibn ?Aqil, Com.
zur Alfiyyah, V. 175). Beide Partikeln haben im Arab-
ischen nach und nach von ihrer ursprünglichen Deutekraft
verloren , indem sie mehr zur Bekräftigung und Be-
stätigung (ö^fS'yJJ) A) des Inhalts eines Sazes verwendet
1) jj£ kommt daher auch schon im Sinne von Jcif (ja) vor,
ß* 0^-
besonders bei Dichtern, wie .auch andererseits .j! im Sinne von JÜ
.(vielleicht) gebraucht wird.
ß %
Die Stämme Qais und Tamim sprechen ^»! auch diabetisch mit
ß -
122 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
wurden und dadurch in die Kategorie von Partikeln über-
traten, jedoch mit dem Unterschiede, dass ,jf noch stärker
seine inhaerirende hinweisende Kraft wahrte und darum
nur an die Spize eines unabhängigen Sazes trat, während
tj» , seinem Ursprung gemäss , zu einer Relativ - Partikel
(^i>Ä \jyCyA) herabsank, so dass der dadurch untergeord-
nete Saz zur *X*o von ,jf wurde, aber nichts destoweniger
haben beide noch sich die Kraft bewahrt, ihr Nomen in
den Accusativ zu stellen. x)
II. Wir wollen nun die Construction dieser beiden Par-
tikeln im Arabischen etwas näher betrachten und zwar
1) Mit Rücksicht auf das Nomen von ^ und ,jf.
Die arabischen Grammatiker zählen <jj und seine
Schwestern (d.h. ^yJ, ,jf , ,jO , die auf dieselbe Weise
„ ö- es ^
gebildet sind, nebst v^y und Jjt) , die wir aber hier, ausser
,j', zunächst ausserhalb des Kreises unserer Untersuchung
lassen wollen) zu den Partikeln, welche das Mubtada* abro-
giren (^ftXÄj^U ä^ldt o^^il), da sie immer am Anfange
eines Sazes stehen müssen; das von ihnen regierte Nomen
kann daher nicht mehr (stricte) Mubtada' (d. i. das womit
der Saz begonnen wird) sein und wird von den Gram-
1) Die arabischen Grammatiker nennen sie darum wegen dieser
ihrer Aehnlichkeit mit dem Verbum JL*i^U xgj>M'»»lt üv^f,
„die den Verbis assimilirten Partikeln".
Trumpp: Beiträge zur ardbischen Syntax. 123
matikern ,j', ^ **w!, das Nomen von ^f oder \j\ ge-
nannt. Sie sezen das Nomen in den Accusativ, das Xabar
dagegen in den Nominativ, wie: <J*oli IlXjS (jt_, ^für-
wahr Zaid ist vortrefflich11, weil das Nomen, obschon
es im Accusativ steht , doch ^s? (d. h. dem locus grani-
maticus nach) das logische Subject des Sazes bleibt, weshalb
auch das Praedicat im Nominativ folgt , da die Rections-
kraft von <j£ und ,jf sich nur auf das Nomen erstreckt,
das durch die Sezung in den Acusativ eine minder wesent-
liche Stellung im Saze erhält 1).
Die basrischen Grammatiker jedoch weichen von dieser
Construction ab, indem sie die Rectionskraft dieser Partikeln
auch auf das Xabar ausdehnen; nach ihnen kann man auch
sagen: UoüJ I^+ä ^f , wörtlich: ,, siehe da den ?Amr als
einen stehenden". Diese Construction ist offenbar die
ältere, deren sich darum auch besonders die Dichter be-
dienen. Näsif führt 1. ?. p. !*♦♦ mehrere Beispiele aus Dich-
tern an, deren wir eines hieher sezen wollen.
JjXiJ. icyUdi ^aJJI ^ia. ö+mA !<M
1) Nasif bemerkt daher im Naru-lqira, p. |<H, L. 7 v. u. mit
Recht, dass die Bedeutung dieser Partikeln in der Aussage (»LaäJ)
liege, die eigentlich das Hauptmoment des Sazes sei, während das
Nomen selbst dabei mehr nur wie ein accessorischer Bestandteil
(&Uü) sei.
124 Sitzung der philos.-philol. Ciasse vom 5. Mai 1877.
,,Wenu die Nacht schwarz wird, dann komm und lass
deine Schritte leicht sein ; fürwahr unsere Wächter sind
Löwen.11 A)
Dass das Nomen vorausgehen und das Xabar (sei
es ein Nomen oder Verbalsaz) nachfolgen muss, ist die
stehende Regel. Davon jedoch gibt es Ausnahmen. Wenn
nämlich das Xabar ein o*-b (eine Zeit- oder Ortsbestim-
. ° " s. .
mung), oder ein >j f^ ) y^ (e*n durch eine Praeposition in
den Genetiv geseztes Nomen oder Pronomen) ist, so kann,
und in gewissen Fällen muss es voranstehen. Ein oJj (be-
sonders wenn es kurz ist) stellt man gerne dem deter-
minirten Nomen voran, weil dies zur Abrundung des Sazes
dient, z. B. ft>o\ <i)t\Ifc ,j[, „fürwahr Zaid ist bei dir".
Es muss voranstellen, wenn das Nomen mit einem Suffixe
versehen ist, welches auf das Xabar hinweist, weil das Pro-
nomen sich nicht auf etwas Nachgestelltes beziehen darf;
man sagt also nur: L$aa.Lo JjJ! 3 ,j|, „fürwahr im
Hause ist sein Besizer", und nicht: 3 Lg-^Lo <j|
yI«X!I. Ebenso wenn das Nomen indeterminirt, das
Xabar dagegen determinirt ist, wie : ! ***o y^xj\ mo ^ ,
„fürwahr bei der Schwierigkeit ist Leichtig-
keit"; sind aber beide determinirt, so kann das Xabar
vor- oder nachstehen.
Eine weiter zu beobachtende Regel ist, dass das von
dem Xabar Regierte (>*ü Uy+**) dem Nomen nicht vor-
anstehen darf, auch nicht wenn es ein 0J0 oder \j y& j y^-
1) Das Metrum ist Jü«Je .
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 125
ist (obwohl es dem A'abar selbst, der Emphasis wegen,
vorangehen darf) ; man sagt also : ^«o (Jp'j '<A-)\ ^f ,
„fürwahr Zaid vertraut auf dichu, und nicht: <j£
(Jplj IcXjv db . Nur in der Poesie geht bisweilen , des
Verszwanges wegen, das von dem Xabar Regierte dem
3
Nomen voran, was aber als abnorm (61a«) betrachtet wird;
z. B.:
- w t 85 , -
*JbiL Iä- wJUJi ^Läx> JLä.1 L^* ^t* ^4*? is*^ ^M
„Tadle mich also nicht ihretwegen: denn dein Bruder
ist im Herzen getroffen durch ihre Liebe, viel sind seine
Bekümmernisse.1' l) (Com. z. Alfiyyah, V. 176).
Folgt nach dem ersten Nomen ein anderes durch eine
Conjunctivpartikel (wozu auch ^ und Jo gerechnet wird)
angereihtes Nomen, so kann das leztere, wie das erste, im
Accusativ stehen, oder aber, weil das erste Nomen doch
logisch als im Nominativ stehend zu denken ist, im No-
minativ, aber nur, wenn das Praedicat des ersten Nomens
schon gesezt, der Saz also vollendet ist, z. B. : ilXj\ ^
L4XJ *2t5 oder ^y^x^ |wU JlXjs ^J, „fürwahr Zaid steht
und ?Amru; ebenso: IlX^äa« ^ v*^^) S-^ (ji> oc^er
lXxjuw ^1 . . . , cXxjlw Jo . ♦ Wird aber das zweite Nomen
angefügt, ehe das Praedicat des ersten gesezt ist, so darf
nur der Accusativ stehen, wie: ^jU^=L ^£3 'tX?) <jj>>
1) Das Motiurn ist das Jo»»b.
126 Sitzung der philos.-philol. Glosse vom 5. Mai 1877,
weil1 Ein Jj*** nicht von zwei im Casus differireuden
JUof^jt abhängen darf.
Nichts destoweniger erlauben die küfischen Grammatiker
eine solche Construction , weil nach ihrer Meinung das
Praedicat durch denselben Eiufluss im Nominativ steht,
durch welchen es in den Nominativ gesezt wird, ehe ^
vortritt ; sie sehen also von der wörtlichen Construction
ganz ab und behalten nur das logische Verhältniss im Auge.
Al-kisäi erlaubt sogar den Nominativ schlechthin und stüzt
sich dabei auf Beispiele, wie Qur. V, 73: fjJue! ^tXJI ^jl
^sLa-üf^ ^oLoJt^ !^4>bß ^jJfj, „fürwahr diejenigen,
welche glauben , und diejenigen , die Juden sind , und die
Sabäer und Christen'1. NäsTf führt 1. c. p. (M , L. 12 auch
die Lesart an ^^ J^ ^y^rt ^üJCLLo^ ä-U! ^J, „für-
wahr Gott und seine Engel segnen den Propheten", und
den Vers, der sich auch theilweise bei Baidävi unter der
Erklärung der citirten Qur'änstelle findet (I, p. f"fv) '
„Wessen Absteigequartier also des Abends in der Stadt
gewesen sein wird; denn ich und ein Pechverkäufer sind
fremd in ihr.u
Die basrischen Grammatiker erklären solche Stellen
weg (wie dies auch Baidävi l) und Näsif thun), indem sie
1) Baidävi sagt 1. c : SvAä.j feljoü^f Js£ *is jjJbLoJI.
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 127
entweder eine Auslassung des Praedicats (nach dem ersten
Nomen) annehmen oder die Noth wendigkeit der Nachsezung
des Angereihten (hinter das Praedicat). So nehmen sie bei
dem vorlezten Beispiele nach &-UI ^jl ein ausgelassenes
JwOJ an , und bei dem lezten sezen sie nach ^ U : L$j
9 -<
^Ajyü, weil sonst die gewöhnliche Regel der Beziehung des
Praedicats auf das Subject verlezt würde.
Die bayrischen Grammatiker aber haben in diesem
Falle entschieden Unrecht und Säze, wie die angeführten,
lassen sich, obschon sie der allgemeinen Regel nicht con-
form sind, nicht auf solche erzwungene Weise zurechtlegen.
Auch Al-farrä stimmt mit Al-kisäi überein, wenn in dem
ersten Nomen die Flexion nicht zu Tage trete, so dass die
beiden Nomina von ^ nicht der äusseren Wortform nach
sich entgegenstehen; er erlaubt daher Säze, wie: yy+s-) ^J
jjLot>U , „fürwahr du und ?Amr seid ankommend", und :
<jL*#f j <>ov j ^5^11 \jl , „fürwahr der Jüngling und Zaid
gehen" *). Diese Aufstellung jedoch ist ein precäres Aus-
AJöS jjJbLflJf ., „jjJuLaJf steht im Nominativ als Mubtada
und sein Praedicat ist ausgelassen und dabei ist die Nachsezung hinter
a •
das, was in der Zugehörigkeit zu .j! steht, eine Sache der Not-
wendigkeit; die logische Stellung wäre also: fürwahr, diejenigen, welche
glauben, und diejenigen, die Juden sind, und die Christen, ihr Praedi-
cament -ist so, und die Sabäer sind ebenso." Eine andere Erklärung
dieser Stelle gibt Näsif, 1. c. p. IM , L. 10 sqq.
1) In Nasif, 1. c. p. IM , L. 6 v. u. ist |Jo\ • ein
Druckfehler
für t\j>\j .
12S Sitzung der philo s.-philol. (lasse com 5. Mai 1877.
kunftsmittel, das nur auf einzelne Fälle Anwendung linden
könnte. Ebensowenig kann uns die Erklärung der basrischen
Literatur-Kritiker (^.p'ö'^j befriedigen, die das im Nomi-
nativ stehende Nomen, nachdem das Xabar gesezt ist, ent-
weder als ein Mubtada' fassen, dessen Praedicat ausgelassen
sei, oder als ein an das (verborgene) Pronomen des A'abar
angereihtes Nomen , wenn zwischen beiden Nominibus eiu
trennendes Wort stehe, das die Stelle des J^oli v***o
vertrete. Z. B. der Saz: )Uym\y ^yjSy^SS ^yo ^-j äJJ! ^1,
„fürwahr Gott ist frei von (hat nichts zu thuu mit) den
Polytheisten , und sein Prophet4', restituiren sie entweder
durch: ^<Xf k}^s^ oder durch: ^y*»)) y® •> da die An-
reihung an das in 15 >f verborgen liegende Pronomen y&
hier möglich sei, weil eine Trennung (J*oi) durch ,j-*
^.x5\.xL»J! vorliege (vergl. darüber Alf. V. 557 und 558
und den Com. des Ibn ?Aqil dazu); wo aber kein tren-
nendes Wort vorhanden sei, sei die Anreihung an ein ver-
borgenes Pronomen nicht möglich und darum nur die Sup-
position eines ausgefallenen Praedicats zulässig, wie in dem
Saze: )}+&) |WÜ> '<X>^ ^f. Dies sind jedoch grammatische
Spizfindigkeiten , die wir auf sich beruhen lassen können,
da sie keinen wesentlich neuen Gesichtspnnct darbieten.
Alles bemerkte gilt ebenso von ,jl (und <j-ö) *) ;
1) Bei ■ jfe', Jod und vu*iJ ist nur der Accusativ des
Angereihten erlaubt, mag es dem Praedicat vorangehen oder nachfolgen.
Nur Al-farrä erlaubt auch bei diesen den Nominativ, wie in dem Verse :
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 129
mau kann also, wenn die Construction mit dem ersten
Nomen vollendet ist, ebenso gut: K+&) (wlä '<^>) <j' ch^i
als: ;y+£; 1*°^ ^») cV v^*-*r sagen.
Einige Grammatiker wollen den Unterschied statuiren,
af
dass wenn ,ji nach einem Verbuni cordis J) stehe, das An-
gefügte im Nominativ stehen könne (wie in dem gegebenen
Beispiele), weil es an der Stelle eines Sazes stehe, wenn es
aber auf ein anderes Verbum folge, so müsse es in den
Accusativ gesezt werden, weil es dann die Stelle eines
Einzelbegriffs vertrete , man dürfe also z. B. nur sagen :
*y+&2 (VJvJi ftXjv jj! ,^*-*o ). Dieser Unterschied beruht
darauf, dass die Verba cordis auch ohne jede Rection con-
struirt werden können (s. darüber Alfiyyah V. 211 — 213),
„0 wäre ich und du, o sanft anfühlende, in einem Städtchen, in
dem kein Genosse ist!"
«f
Einige wollen hier das oo! wegerklären, indem sie es als Hral
fassen = ^uo cof. . S. Näsif, 1. c. p. W, L. 10.
%
1) Die Verba cordis theilen die arab. Grammatiker in zwei Arten:
1) in solche, welche auf etwas Gewisses hinweisen, nämlich: {gsö 5
^!x , jv-Lft , l\=t»* und aJuü* ; und 2) in solche, welche auf das
überwiegend Wahrscheinliche hinweisen, nämlich: Jüiä>, l3t, ^-a.**^,
JLi, jv£), ^Jo, ji, J^ö.
2) Die arab. Grammatiker lösen solche Säze auf durch: a*JLj
4*) r%
130 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 5. Mai 1877.
das Angefügte kann darum, obschon der vorangehende Saz
in grammatischer Abhängigkeit von jjf steht, wieder zn
einem unabhängigen Saze zurückkehren , während nach
einem andern Verbum dies nicht gestattet ist, das An-
gefügte vielmehr nur als Einzelbegriff betrachtet werden
kann Der Sprachgebranch indessen hat diese grammatischen
Finessen nicht beachtet, sondern ist mehr nach allgemeineren
Analogien verfahren.
Wenn jedoch ein Nomen angefügt wird, ehe der Saz
vollendet ist (durch Sezung des Praedicats), so darf dieses
nur im Accusativ (und nicht im Nominativ stehen, weil
öT
tjf aus Gründen, die wir später sehen werden, eine straffer
unterordnende Kraft besizt; man darf also z. B. nur sagen:
Statt dem ^i und ^jt ein Nomen unterzuordnen, kann
t-u > -
man an sie auch das ^jUcJI yt^o l) (das Pronomen der
Sachlage) als Nomen anfügen, das sichtbare Nomen
bleibt dann im Nominativ, weil das angehängte Pro-
nomen der Sachlage das eigentliche Subject vertritt,
dessen Praedicat der nachfolgende Saz ist , z. B. : &3f
$U#f3 aJJf &of , „fürwahr die Magd Gottes geht fort"
(wörtlich: ,, fürwahr es ist das: die Magd" etc.); *3J <^^Xc
jvjU i\j>\ , „ich weiss dass Zaid steht'1 (wörtlich : „ich weiss
dass es das ist: Zaid" etc.).
1) Das ,jL*Jf f£4-o ist immer das ^Pron. suff. der dritten
Person sing. masc. , indem es, im Sinne eines Neutrums, den ganzen
folgenden Saz anticipirt.
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 131
Aufgehoben wird die Rection von ,jj und seinen
Schwestern in zwei Fällen:
a) Wenn das KilxJI Lo , das die Rection verhindernde
ti , im Gegensaze zu &lyCj+i\ Lo , dem relativen Lo . un-
mittelbar mit diesen Partikeln verbunden wird1); sie kom-
men dann nicht mehr speciell dem Nomen zu, sondern
können auch vor Verba treten. Man sagt also: bJ! UM
äaaamJÜ! 3 , „fürwahr Wucher ist im Aufschub (der Be-
Zahlung)41, tX^lj xJJ! Uil, „Gott ist nur Einer4'2). Lät
c>oJj aJ! ä-U! Uj! ^JI^^ä^j , „es wird nur mir geoffen-
bart, dass Allah ist Ein Gott14.
Einige Grammatiker jedoch, so Az-zajjäji, lbn Sarräj,
Al-a#fas und Al-kisäi wollen auch unter diesen Umständen
die Rection dieser Partikeln gestatten, so dass man sagen
könne : UjUj I^Xjs Ui[ ; dies sei besonders der Fall nach
Uil^, UXy und U-ulI , weil diese Partikeln der Bedeutung
eines Verbums sich mehr nähern und den Inhalt des Sazes
beeinflussen.
1) Nur L»JüJ macht eine theilweise Ausnahme, da nach ihm die
Rection von ouJ bleiben oder auch wegfallen kann, z. B.: L»JüJ
°«>i 9<"' 6<^i * *•" 1 — °7
|Wl3 Ju\ oder ^J3 fjuv LäjJ .
,-65
2) l+jl kommt nur noch selten als corroborative Partikel vor
(manche Grammatiker bestreiten diese Bedeutung von l+j! ganz), meist
als w«ää. Jp; als Partikel der Einschränkung, wobei
das eingeschränkte Wort immer am Ende des Sazes stehen muss.
132 Sitzung der philo». -philo!. Classe vom 5. Mai 187 7.
b) Wenn ,j£ und ,j' zu <j£ und ^j' verkürzt (oder
(wie die Grammatiker sagen) erleichtert werden. In diesem
Falle muss jedoch in Säzen mit ^ dem Praedicat (sei
es Nomen oder Verbum) u (wovon später, vorgesezt werden,
um das aus <j^ erleichterte ^[ von dem negativen <j[ zu
S -r - G o - o
unterscheiden *). Man sagt also: v_A#fJJ tX^S ^;J , ,,für-
1) Die arabischen Grammatiker streiten darüber, ob dieses Läm
das sljuü^l *^l sei, das zur Unterscheidung zwischen dem ver-
o CS |
neinenden ..J un(l dem aus ,.«! erleichterten eintrete, oder ob es ein
anderes Läm sei , das zur Unterscheidung (des Praedicats etc , siehe
unter 2) beigezogen werde. In einzelnen Fällen richtet sich darnach
die Lesart von ^»1 , wie in dem Saze : ULo«^J ou.5 ,jt Lu-Le. (X': •
Nimmt man ^«1 als ©fj^ü^ff **$ , so muss man ^%\ lesen, weil das
sfjoCj^l *^ nur mit ^1 und dem daraus verkürzten .j! stehen
darf} hält man es aber für ein anderes Läm zur Unterscheidung, so
liest man ^%f . Al-farisi behauptet ausdrücklich , dass dieses Lam von
dem sS JüLj^I *^ verschieden sei und zur Unterscheidung diene ; darum
nennen es einige Grammatiker schlechthin &i\UÜf *^Uf (s. Näsif,
I. c. p. r* , L. 8).
Unter diesem verstehen also einzelne arabische Grammatiker etwas
anderes als das &joLd! » &ftÜfcJI ^ ^ju &>\U J$ , denn dieses
leztere ist wesentlich identisch mit dem sfjüJ^f a^, das diese nähere
Definition nur dann erhält, wenn ^%] am Anfang des Sazes steht. Der
Commentar des Ibn *AqIl zu Alflyyah V. 190. 101 lässt darüber keinen
Trumpp: Beiträge zur ardbischen Syntax. 133
wahr Zaid gebt weg"; ^j^dü? LoJJ *a*ä. W Jo jjy»
„und fürwahr, ein jeder wird versammelt, sie werden zu
uns gebracht". (Qur. 36, 2). Das Lo von LJ ist hier ex-
pletiv (SiXSK Lo) und J gehört eigentlich zu /V^» als
dem Praedicat. Unrichtig ist desshalb die Auffassung
von Wright (Arab. Gramm. II, p. 88, Rem. e), der
£*b+2* UJ als Apposition zu eP betrachtet, was gegen die
Regel ist (cf. Muf. p. IPa, L. 2. De Sacy, Anthol. gram,
p. 104, L. 12».
Nur selten behält dieses abgekürzte ^f seine ursprüng-
liche Rectionskraft bei, wie Sibavaih und Al-a/fas berich-
ten, z. B. iJ^XkXjc f w»x ,j! . In diesem Falle ist die Sez-
ung des Läm nicht nöthig, weil keine Verwechselung mit
dem negativen (j£ möglich ist, wie in dem Halbverse:
(j^UJI rLr oofc' viJULo ^
„Fürwahr der Stamm Mälik ist edel an Ursprung."
Doch kann es auch stehen, wie in der Qur'änstelle 11, 113:
l*^JUx! v*L. p^JUi^xl LJ ^S' iji; - «Und fürwahr, dein
Herr wird sicherlich allen vergelten nach ihren Werken."
Die beiden Läm erklärt Baidävl dahin : *^y° tj;^ pjUI
Zweifel; ebenso drückt sich auch Nasif aus (1. c. p. P*d, L 6 sqq. Die
Definitionen, die Wright (I, p. 316) und neustens noch Fleischer (Bei-
träge zur arab. Sprachkunde, V, p. 93) davon gegeben haben, sind darum
schärfer zu fassen , wenn man die arabischen Grammatiker nicht miss-
verstehen will. De Sacy (Gr arab. I, § 1117, 3) hat daher nicht Un-
recht, obschon er die andere Seite der Definition übersehen hat.
134 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 5. Mai 1*77
AxäUJJ äajuJIj |*a*JÜJ, ,,<Jas erste Lnm bereitet den
Schwur vor und das zweite dient zur Bestätigung.11 Das
Lo von LJ ist expletiv, wie oben *).
Das aus <j[ verkürzte ^f kann auch vor ein Verbum
(und zwar meist nur im Perfectum, selten im Imperfectum)
treten. In diesem Falle darf jedoch das Verbum nur ein
solches sein, das das Mubtada' und Xabar abrogirt, also
entweder eines der unvollständigen Verba (Juai'Lüf jLxi^lj.
oder eines der Verba cordis (v-^-UJI JL*il). Denn ^\ tritt
sonst nur vor ein Mubtada* und Xabar und wenn es dann
weiter in Folge seiner Verkürzung auch vor ein Verbum
zu stehen kommt, so darf das nur ein solches sein, welches
einem Mubtada* und Xabar voranzugehen pflegt, wie <jbf,
,jJs etc. ; dass vor dem Praedicat oder dem seine Stelle
Vertretenden in diesem Fall immer J steht, ist schon be-
merkt worden, wie: UjUU xZJJjb ^f , „fürwahr, ich hielt
ihn für stehend"; UtoloJ ^üd\ ^ ,j|, „fürwahr der
Jüngling ist wahrhaftig". Nur selten kommt dieses ^y
vor einem das Mubtada' und Xabar nicht abrogirenden
1) Bei Wright, der dieses Beispiel auch anführt (Arah. Gram. II,
p. 88, Rem. e) vermissen wir wieder jede nähere Erklärung über dieses
doppelte Lam, wie überhaupt seine Bemerkung, dass ^f immer von
J gefolgt sei, es ganz im unklaren lässt, wohin denn dieses Läm zu
stellen ist. Siehe weiter über diesen Punct De Sacy, Anthol. gram. 83,
L. 7 v. u., und p. 206, note 92.
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 135
Verbum vor; in diesem Falle muss jedoch immer das
xa\li *^ entweder vor dem ckcli oder dem »f JjJl&jo
stehen, um jedem Missverständnisse vorzubeugen, z. B.:
viLwuÄAj düü jjj, „fürwahr, es schmückt dich deine Seele11,
ü^ Jj ^ , ,, fürwahr, es stand ich", oder : U-LwmJ oJj&* ^ ,
„fürwahr du hast einen Muslim getödtet". Regiert ein
Verbum zwei Objecte, so muss das Läm vor dem zweiten
tf *-"1 "1"" i/ ' oSi'' "i
stehen, wie: Lb^wwJ dLoo ojlo jjj^, „fürwahr, ich'peitschte
deinen Schreiber"; ijjJu».uJ f^y^l ^<^j c45' «fürwahr,
wir fanden die meisten von ihnen als Uebelthäter (cf. Muf.
p. 138).
Wird dagegen <jf zu (jf erleichtert , so nehmen die
arabischen Grammatiker immer eine Elision des ,jLül u^
an, so dass <jf statt *J' steht. Sie behaupten darum, dass
,jf seine Rection nicht aufgebe (wie ,jJJ, sondern dass das
Praedicat (des ausgelassenen Nomens von ^J, also aj ein
Saz werde; z.B. den Saz |*AS tXj\ ,j! o»*Xc lösen sie durch
|V->U Jo\ aM auf. Der Grund liegt darin, wie Näsif weiter
ausführt, dass <j» dem Verbum der Bedeutung nach näher
stehe, weil der durch ,j! (resp. <j0 eingeleitete Saz sich
durch ein Verbalnomen auflösen lasse (— J->^ pLö cy-i-lc) )•
1) In der Poesie tritt manchmal, des Verszwanges wegen, das
Pronomen (als Nomen von .jf) auch an die abgekürzte Form ^j! ,
[1877.1. Phil. hist.Cl. 2.] 10
136 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
Ist es ein Nomin alsaz, so bedarf es keiner Trennung s-
9
partikel fJ^oLi), da dabei keinerlei Missverständniss zu
befürchten ist, wie in dem zulezt angeführten Saze; nur
wenn der Saz negativ ist. wird die Negation dazwischen
gesezt, wie in: y& SM *-'» y \^yji ^und dass es keinen
Gott gibt ausser ihm".
Ist es aber ein Verbalsaz, so muss, um dieses leichte
^f von dem Masdar-artigen <jl zu unterscheiden, eine
Trennungspartikel nach ^f eingefügt werden *), wenn das
Verbum vollständig flectirbar ist (o^a-koj. Solcher
Trennungspartikeln zählen die arabischen Grammatiker vier
auf: 1) <Xs , wie: v^ y** ^° ^^ &* U- ^><Xg-«£ ,
,,ich bezeuge, dass das schon geschrieben ist, was er
«??- .o? or--
wie: ^JuJLw dlif Jli , „wenn (es also das gewesen wäre
du mich gebeten hättest." (Cf. Ibn *Aqil zur Alfiyyah V. 193). Näsif
sagt jedoch ausdrücklich iL c p. f*d , L. 9 v. u.), dass dies in Prosa
nicht gestattet sei (*LüCä.^I| £ \*si ^1).
1) Diese Partikeln werden darum nach dem leichten .jf gesezt,
weil sie nicht zwischen dem Magdar- artigen ^»f und seinem Verbum
vorkommen , so dass auf diese Weise ^f nothwendig als aus ^j! ver-
kürzt aufgefasst werden muss. Unter dem Masdar-artigen ^%\ verstehen
die Grammatiker &yoLüf ,jf und das ^»| , das ohne Rection vor
einem Perfect steht. S. De Sacy, Anthol. p. ftt , L. 3, sqq.
l'rumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 137
schreibt". 2) Die Partikeln der Erweiterung (ü^
,°" II * ".° " i" 1°" °^ r o*°
fj^JüJu] J, i. e. <j* und Cl^i , z. B. ^'b Oj-»* (j! *-Lc! £
\iX2 Lo Jj , „und wisse , dass alles kommen wird , was
vorher bestimmt ist4'. 3) Eine Negation (^ , JjJ, *J), wie:
„Und begrabe mich nicht in der Wüste : denn ich fürchte,
ich werde, wenn ich gestorben sein werde, sie nicht ge-
messen." xxiuot a+s*. £jJ ,j! jjLaojM Ouwwdgf^ „raeiut
der Mensch, dass wir keineswegs seine Gebeine zusammen-
bringen werden?" (Qur. 75, 3). 4) Die hypothetische Par-
tikel y , was aber von einigen Grammatikern nicht zu-
gegeben wird (das Muf. z. B. erwähnt dieselbe gar nicht);
z. B. ,j! L^ijel Jju J^o ^^1 ^jSo ch?^ <Xfc> jliJjl
*h&M4*J (?Lüwof iL*o y , „und haben es nicht denen, die
das Land nach seinen Bewohnern erben, sie (i. e. die Ein-
wohner) es klar gemacht, dass wenn wir wollten, wir sie
treffen würden für ihre Sünden." Qur. 7, 98). Näsif geht
darum zu weit , wenn er 1. c. p. Y*t , L. 2 v. u. sagt :
Jowau slof ^1 , was vermuthen Hesse, dass man so auch ^
gebrauchen dürfe, was aber nirgends erwähnt wird.
Es ist übrigens noch zu bemerken, dass die Trennung
durch y schwach ist, da jj! in diesem Falle seine Rection
f >
(als Conjunction) beibehalten kann; der Saz: ^! Ij-^ä».^,
ÄxÄi <j^£j> ^ , „und sie meinen , dass . kein Unglück ein-
10*
138 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
treten werde", wird daher mit Indicativ und Subjunctiv
von ^y& gelesen (cf. Muf. p. ft"A , L. 2 v. u.). Dieser
Umstand wird verschieden erklärt. Entweder wird ^ als
J-oLi gefasst und demgemäss ^jf = *J» , oder aber wird
!^aa^ im Sinne von i*^fc und ^jJö (als etwas Gewisses,
in ihrem Herzen Feststehendes) genommen. Folgt nämlich
,jf uach (JLß und solchen Verben, die etwas Gewisses
(objectiv oder subjectiv) bezeichnen , so tritt der Indicativ
ein (für den Fall des Imperfects), weil man annimmt, dass
jjjl für jjt stehe und dass das Nomen davon ausgefallen
sei *). Folgt dagegen ^j! nach ^jJo und ähnlichen , die
etwas überwiegend Wahrscheinliches bezeichnen, so kann
der Indicativ oder Subjunctiv stehen (im lezteren Falle ist
dann <j! Conjunction ; (s. Alfiyyah V. 677 und 678 c. Com. ;
De Sacy, Anthol. p. 170 und 208, note 100). Sama/saii
bemerkt daher im Mufassal (p. tt"A , L. 8 v. u.) mit Recht,
dass das schwere und das daraus erleichterte jj» nur dann
stehen könne, wenn das Verbum, das ihnen vorangehe, mit
ihnen in der Gewiss heit zusammenstimme ((J^aä^ £
1) In diesen Fällen bedarf es natürlich keiner Trennungspartikel,
z.B.: JL*y *Jarb UjLmO ^f J-ö IjOLs: ^Xo^j ^j! I^Xc ,
„Sie wissen, dass man auf sie hofft, darum geben sie, ehe sie gebeten
werden, das höchste um was man bitten kann." Cf. Alf. V. 195, Com.
Die Uebersezung Dieterici's (Alf. p. 99) hat den Sinn verfehlt.
IVumpp'. Beiträge zur arabischen Syntax. 139
4-«Uj <j» v^^Ä-J), wo dies nicht der Fall sei, wie bei
den Verben **b) , ^ä^'j olaJ etc., könne ^f nur als
Subjunctivpartikel (iüwoü) vorkommen. Aber auch nach
Verbis der lezteren Gattung wird hie und da das Nomen
von <jf ausgelassen , ohne dass das leichte ^ als Sub-
junctivpartikel construirt wird, z. B. *j£3 ^jf cX^f, „ich
will, dass du aufstehest". Die Grammatiker erklären diese
Construction auf verschiedene Weise. Sie nehmen ent-
weder eine Auslassung der Trennungspartikel an oder fassen
(jf als gleichbedeutend mit JU)<X*a-Jf Lo und lösen es mit
seinem Verbum in ein Verbalnomen auf. Siehe darüber
Alfiyyah V. 195 und V. 679, cum com.
Die Trennungspartikel wird nach jjf weggelassen,
wenn das Verbum nicht vollständig flectirbar ist
(o^awo ~K£. oder lV-*Lä- , d. h. ein Verbum, das nur Ein
Tempus und kein Verbalnomen hat), wie ij^j , ,£»*£■ etc.,
z. B. ^5**w L* ^1! (jLwJ^J ijujJ <j! ^ , „und dass der
Mensch nichts hat, ausser was er erwirbt" (Qur. 53, 40),
weil hier kein Missverständniss obwalten kann. Oder aber
auch nach einem vollständig flectirbaren Verbum, wenn es
einen Wunsch ausdrückt, wie in der Qur anstelle 7, 29,
nach der Lesart: L^lir adJ! yudi ,j! xw>li!j, „und
das fünfte (Zeugniss) ist, dass Gott über sie zürnen möge !"
Die küfischen Grammatiker lassen <jt (wie auch \j*)
140 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 5. Mai 1877.
schlechthin nichts regieren, weder etwas wirklich Geseztes
noch etwas Supponirtes.
In gewissen Fällen wird <j» von den arabischen Gram-
matikern als *t\jf) i. e. als p 1 e o n a s t i s c h betrachtet. So
wenn es nach UJ (iU-ui! UJ) steht, z. B« *li ,jf Q
^wxll ) „nachdem der Bote gekommen waru ; selten nach
!<M, was darum von den Grammatikern gewöhnlich nicht
erwähnt wird; z. B. <X> ^üw äjö ^f !<M ^b. iüL^oLi
-x»Lc £=UJ! &i £, „Und ich lasse ihn gehen, bis wenn er
in der Tiefe des Wassers versinkt, als ob er ein die Hand
darreichender wäre" (s. Lane, Arab. Dict. I, p. 106).
Ferner wenn es zwischen y und einem vorangehenden
Schwur steht, sei das Verbum des Schwurs ausgedrückt
oder nur supponirt, wie: o*2 <X?S Jj y ^jt &-Utj (oder
p****!), „(ich schwöre, oder:) bei Gott, wenn Zaid auf-
gestanden wäre, wäre ich aufgestanden". In diesen drei
Fällen ist ,ji , stricte genommen, nicht pleonastisch, sondern
die Ausdrucks weise ist etwas breit und darum elliptisch,
z. B. ^ UJ — ,jl ^J6 UJ, ebenso <jl <jK l«3t ; in der
Antwort des Schwures kann ohnedies <ji stehen, wie wir
später sehen werden. Auch nach dem vergleichenden iJ
soll ,j' hie und da pleonastisch stehen, ohne die Rection
von ^ aufzuheben; ein Beispiel davon werden wir weiter
unten sehen.
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 141
^j! wird auch als 8U*üm oder als explicative Partikel
° r
im Sinne von ^5! definirt, nach einem Saze der den Sinn
von „sagend" (^oU) in sich begreift, wenn auch nicht mit
Worten ausgedrückt, so dass ^1 nur das Einführungs-
zeichen der Rede selbst ist (wie das persische &^s), ohne
jedwelche Rection ; dazu gehört aber, dass der vorangehende
Saz vollständig sei, wie: viliAJ! ^Lol ^jj xJj| LUä^! ^
„und wir haben ihm geoffenbart (sagend) : baue das Schiff."
Ist der vorangehende Saz dagegen nicht vollständig in sich,
so ist jjl als aus ,jt erleichtert zu betrachten, weil es
die Aussage zu dem Subject einführt, z. B. <jf (?LdO t^'j
nJJ cX^i-l , ,,und das Ende ihres Gebets ist (das), dass (es)
das Lob Gottes ist = das Lob Gottes". l) Ferner darf
jjf nicht mit einer Praeposition verbunden sein, wie in dem
Saze: J*i! <jb äjJ£ oy*o, ,,ich schrieb ihm, thue!"
weil eine Praeposition nur vor ein Nomen oder etwas
anderes treten kann, das sich in ein Nomen auflösen lässt;
cMtit ^jL> ist daher gleichbedeutend mit JÄ&>, indem das
Masdar im Sinne eines Imperativs steht.
1) Siehe De Sacy, Anth. gram p. m*, L. 1 sqq. Auch Baidävi
erklärt es so (I, p. f*1); er sagt: iX^suiS ^jjo aLfti^sJ! (-# ,jfj
. tX*ü v^iaj j Lg.? ^5^.5 cXi'j
142 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 5. Mai 1877.
Bemerkung. Wie jj» kann auch <jD zu <jO er-
leichtert werden , indem sein Nomen ausgelassen und der
nachfolgende Nominalsaz zu seinem Praedicate gemacht
•H> 9^ «J; o^
wird, wie: jwU> tX->\ ,jo , „als ob Zaid stünde". ,jD
kann jedoch seine Rection auf das folgende Nomen auch
beibehalten, wie in dem oft citirten Verse:
„Und mancher Busen *) von glänzendem Halse, als ob
seine zwei Brüste zwei Büchsen wären."
Wir haben schon bemerkt (S. 140), dass manche Gram-
°f 1
matiker das ^y nach *J auch als pleonastisch fassen (wie
La) und ,jO demgemäss sogar mit dem Genetiv verbinden.
Zama^sari führt daher im Mufassal (p. IM , L. 3 v. u.) einen
Halbvers 2) an , in welchen nach ^o drei Constructionen
zulässig sind:
li-LywJf wob j! JbJIS &uJö jjfe'
„Wie eine Gazelle, die ihr Haupt erhebt zu dem frisch-
grünen (Blatte) des Salam-Baumes."
s • -
1) Nasif, 1. c. p. |V|, L. 11 v. u. liest jj^o«, das » hier je-
doch ist <_?* «L und erfordert darum den Genetiv. So wird es aus-
drücklich in den Jjßl^i zur Alfiyyah, V. 196, erklärt. Vergleiche
damit die Lesart im Mufassal, p. It"*), L. 5. v. u., i*y£jo n<Xo ►
2) Der ganze Vera ist in Lane's Arab. Dict. I, p. 106 citirt.
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 143
Ist der auf ^jtf folgende Saz ein Verbalsaz mit einem
vollständig flectirbaren Verbum, so muss er, wenn er positiv
ist, durch Jö , und wenn er negativ ist, durch *J ein-
es^- » *-
geleitet werden, um das aus jjfc' verkürzte <jl^ von dem
Masdar-artigen ^f , dem das ^J der Vergleichung vortreten
kann, zu unterscheiden, z. B. v^J!^ 4\S (joj, ,,und (es war)
als ob sie schon fortgegangen wären" (s. Alfiyyah, V. 196,
Com.) ; ^wo^L) vjjü* *J jjfe' , „als ob (es das wäre dass)
sie gestern nicht existirt hätten (Qur. 10, 15).
i i
Wenn dagegen ^jXJ zu j%X! verkürzt wird, so hört
seine Rection absolut auf, weil es dann mit dem conjunc-
i
«tiven JvXU dem Wortlaut und Sinne nach zusammenfällt.
Um jedoch das aus ^jXJ verkürzte ^ü von dem conjunc-
tiven J^XJ zu unterscheiden, soll es nach Näsif (1. c.
p. P»v , L. 7) gut sein , ihm noch j vorzusezen, weil das j
nicht vor eine ähnliehe Conjunctionspartikel treten dürfe;
doch komme es manchmal auch ohne ^ vor. —
2) Mit Rücksicht auf das Praeclicat
ist noch folgendes besonders zu beachten:
a) Wenn in einem Nominalsaze das Subject und
Praedicat determinirt sind, so sezt man, damit das
Praedicat nicht als &suc des Subjects genommen werde, das
Pronomen der dritten Person (als J-o.aJI v-v^j Pronomen
der Trennung) dazwischen, z.B. (Jjif y» ä-1)I , „Gott ist
1 I 1 Sitzung der philos.-p/iüol. Clause vom 5. Mai 1877.
t-
die Wahrheit'4. Wenn nun jjl und ,jf dem Subjecte vor-
treten, so ist ein solches Trennungspronomen an sich nicht
nöthig, weil kein Missverständniss wegen der Verschieden-
heit der Casus zu befürchten ist, doch wird es gewöhnlich
gesezt (und inuss dann mit dem Nomen congruiren, auf das
es sich bezieht), z. B. JyÄ^ )'«* ^ Swi^f ^ , „fürwahr
die zukünftige Welt ist die dauernde Wohnung", besonders
wenn das Adjectiv mit dem Artikel verbunden ist, wie:
jwläJf y& Ijös <j£, ,, fürwahr Zaid ist der stehende". Ist
es St ?
das Nomen von ^A und ,j! ein Pronomen suffixum , so
lässt man das Praedicat, wenn es determinirt ist, nicht un-
mittelbar folgen, sondern sezt ebenfalls ein Pronomen ab-
solutum dazwischen, das sich nach dem Pronomen suffixum
zu richten hat, wie: £x*^Jt cö! vib! , „fürwahr du bisf
der Erhöreru; ^j ^Jl )y**^ ^ ^ v5^^ &**
*aW! JtXiJt y& ^jf<Xfc, „benachrichtige meine Knechte,
'^ass ich der vergebende und barmherzige bin, und dass
meine Strafe die schmerzliche Strafe ist", (Qur. 15, 49).
Wo dagegen das Praedicat nicht (durch den Artikel etc.)
determinirt ist, wird das Pronomen absolutum nicht da-
zwischen gesezt, z.B.: elctXJ! ,*£4-w viLä]^ , „fürwahr, du
bist ein Erhör er des Gebets" (Qur. 3, 33).
05 .
b) In einem Saze mit \Ji kann das verstärkende Läm
zu dem Praedicate treten (und wird darum auch häufig
JiLf J$ genannt). Dieses Lam ist eigentlich das p$
ddJLijl und sollte darum, der Regel nach, vor das erste
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 145
Wort des Sazes, also auch vor <j£ treten; da aber beide
Partikeln der Verstärkung sind und man nicht zwei Par-
tikeln von derselben Bedeutung zusammenstellt, so sezt man
das Läm zum Praedicat zurück. x)
Die Sezung dieses Läm ist jedoch gewissen Beding-
ungen unterworfen. Wenn das Praedicat ein Verb um
ist, so ist folgendes zu beachten:
a) Ist das Xabar von ^ negativ, so tritt Läm
nicht vor dasselbe ; man sagt also nicht : pyb U-J !*X^ ^ .
Nur in der Poesie kommt hie und da eine Ausnahme da-
von vor.
ß) Ist das Xabar von ^ ein vollständig flectir-
bares Verbum im Perfect, so ist die Sezung von Läm
1) Dieses Lara kommt dichterisch auch beim Praedicate von
a 8
wjO vor, wo man es als pleonastisch erklärt, wie das Läm beim
- <-£
Praedicate von ,~*wuot (s. Alfiyyah, V 183, c. com).
Sama/sari jedoch (cf. Muf. p. lH, L. 12) erklärt es in dem
Halbverse :
„aber ich bin aus Liebe zu ihr gebrochen", als eine Contraction von
^joI JwÖ , wie auch in der Qur anstelle 18, 36: ^j* xJJf y& Liö
Al-mubarrad erlaubt es sogar beim Praedicat von ^%\ , wie in der
Quränstelle 25, 22, wenn man liest: JjtlaJI .jJl^sUJ l^jf ^H ;
die gewöhnliche Lesart ist jedoch : X ß'^ ^lf .
146 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
nur gestattet, wenn tXi* damit verbunden ist, z. B.: y*y
*U tXüJ ItX^S, „fürwahr Zaid ist aufgestanden14. Ohne
tXi findet sich Läm nur selten, wiewohl Al-Kis:ü und
Hisäm dies gestatten. Ist aber das Verbuin im Perfectum
unvollständig flectirbar, so kann Läm wohl davor
treten, wie bei *jü, \j**j<^ etc., obwohl andere Grammatiker,
wie Sibavaih, dies verwehren.
Steht dagegen das Verb um im Tm perfectum, so
kann Läm vor dasselbe treten , sei es vollständig oder
nur unvollständig flectirbar , wie : <jj<X£*£jJ pXi|. ,
„fürwahr ihr bezeuget" oder: *-&JJ ><Xy !<Xs} ,j£, ,,für-
wahr Zaid gibt auf das Böse". Wenn aber <j* oder o^-w
'vor dem Imperfect stehen, so erlaubt man gewöhnlich Läm
nur vor o^u, selten vor (j*- Steht statt des Verbums
im Imperfect ein Particip (activ oder passiv), so tritt Läm
ebenfalls vor dasselbe, wie: ^y$ 'S'fr^^ <5f 15 ' "uud für-
wahr, es hält mich ab mein Edelmuthu (Alfiyyah, V. 180,
c. com.)
Ist der Saz ein N o m i n a 1 s a z , so gelten folgende
Regeln :
a) Das Läm kann vor das Xabar treten, wenn es in-
determinirt ist, z. B. jH^i )f**^ **W (j| •
/?) Ist jedoch das Subject und Praedicat durch das
Trennungspronomen geschieden (s. oben 2, a), so tritt das
Läm vor das Trennungspronomen, z. B. u^uoid! ^J ! Ä*> ^1
Trutyipp: Beiträge zur arabischen Syntax. 147
<J>Ü, „fürwahr, dieses ist die wahre Geschichte" (Qur. 3,
55). In diesem Falle darf u nicht auch vor das Praedicat
selbst treten.
y) Steht das von dem Xabar Regierte vor demselben,
so tritt das Läm vor dieses, z. B. LgJy*£ LJ ij*J& <j^ ^
s
JojLä, „fürwahr, eine jede Seele — es ist ein sie be-
wahrender =z jede Seele hat (einen Engel) der sie bewahrt" 1).
J^s! viLoUiiaJ !t\j\ ^j|, „fürwahr Zaid isst deine Speise'1.
- - * -^. .- - - ^o- a
Man kann dagegen nicht sagen: Jj^bf dLolxiaJ ItXjv ,j£,
weil in diesem Falle, nach dem schon Bemerkten (s. 2, b, ß)
die Sezung des Läm überhaupt nicht gestattet ist. Hie und da
steht sogar das Läm zweimal, sowohl vor dem von dem Xabar
Regierten und ihm Vorangestellten, als auch vor dem Xabar
selbst, obschon die Grammatiker dies missbilligen, z. B. ^l
JLUoJ ä-UI <X*saJ , „fürwahr, durch das Lob Gottes bin
ich rechtschaffen". Steht dagegen das vom Xabar Regierte
nach demselben , so tritt das Läm vor das Xabar selbst,
wie: >ilx>ütiö Ji^ ItX^S jj^.
Auf diese Weise kann das Läm vor irgend ein in die Mitte
gestelltes und von dem Xabar abhängiges Sazglied treten, sei
es ein directes Object oder ein durch eine Praeposition in den
Genetiv gestelltes Nomen, oder eine Orts- oder Zeitbestim-
mung
, wie: (j^JW- JtXsS di\i*J ^lt>J! £ ,j|, „fürwahr,
1) Das Lo vom l+j ist i JoK ; siehe Baidavi, II, p. flv , und
De Sacy, Anthol. p. aP, L. 6 v. u.
148 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
Zaid sizt im Hause bei dir"; nur vor den Efäi darf Lsni
nie treten.
6) Steht das Nomen von ^f nach dem X'abar
(s. p. 124), so tritt das Läm vor das Nomen selbst, wie:
^LyLftJ aLw ^t> ^jJI wjlwcJu ^t, „fürwahr in der
Schlucht , welche unterhalb Saba ist, ist ein Getödteter *) ;
,jja*x> wyß N^>3 wJ ijj, „fürwahr, du hast einen un-
unterbrochenen Lohn" (Qur. 68, 3).
Wir haben nun noch zu betrachten :
JJ7. Den Unterschied zwischen ^ und jj' .
Es kommen dabei drei Fälle in Betracht: 1) die noth-
wendige Sezung von jjj ; 2) die von ,j», und
3) die Möglichkeit von ^J und <j' •
Der Grundunterschied beider Partikeln ist der, dass
SS
,jt einen selbstständigen Saz einleitet, der nicht von
etwas Vorhergehendem in Abhängigkeit zu denken ist,
<jf dagegen einen abhängigen; ^ ist daher das Zeichen
öT
für eine oratio directa, ,j' dagegen für eine oratio
indirecta. Sama^sari sagt daher im Mufassal (p. tfd ,
L. 6 v. u.) ganz richtig und zutreffend, dass das mit Kasr
versehene ^ da stehen müsse, wo man an einen Saz denke
(&UäJ ä-lla* ^yS Lo) , das mit Fathc versehene dagegen
1) Dieser Saz ist aus Wright's Arab. Gramm. II, p. 86 genommen,
der dort wohl manche Beispiele anführt, aber keine leitende Regel dazu.
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 149
da, wo man an einen Einzelbegriff denke (,jl^ v^o
öj&+Xj SJJhjo), oder wie es Ibn *Aqil (Com. zur Alfiyyah
V. 177) und Näsif (1. c. p. IM*, L. 16) näher praecisiren,
wo ,jf (mit seinem Praedicat) durch ein Verbalnomen
(an welches das Nomen von ^y annectirt wird) sich auflösen
lässt; denn es kommen Fälle vor, wo ein logischer Einzel-
begriff nicht durch ,jf untergeordnet werden darf, weil er
sich nicht durch ein Verbalnomen auflösen lässt (s. im fol-
genden sub f).
Daraus ergibt sich im Einzelnen folgendes:
Ad 1) Nur jj£ darf gebraucht werden:
a) Wenn es im Anfange eines Sazes steht, wie: ^jf
l3-Uaxx> !t\j^ ; dies ist besonders der Fall , wenn ein Aus-
rnf vorangeht, wie: ^ vilM Luu , ,,o unser Herr, du
bist fürwahr barmherzig", oder eine Bejahung oder Ver-
neinung, wie: vöU !cVj\ ^f JVS, „keineswegs, fürwahr
Zaid ist gegenwärtig".
b) Wenn es am Anfange eines die Rede direct re-
ferirenden Sazes steht; siehe darüber unten ad 3) a).
c) Wenn es im Anfange einer &-Lo (nach einem Re-
lativpronomen) steht *), weil das auf das Relativ folgende
nur ein Saz sein kann, wie: *2b' *ü| ^jJ! *^? „es kam
1) Dies ist jedoch keineswegs nöthig, sondern dient nur zur Ver-
stärkung.
150 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
derjenige, welcher stehend (war) ; es kann in diesem Fall auch
noch J vor das Praedicat treten (cf. 2, b, /?, p. 146), wie:
äjjüf , „und wir gaben ihm von den Schäzen das , dessen
Schlüssel niederdrückten die Schaar starker Männer"
(Qur. 28, 76).
9 .
d) Wenn es im Nachsaze eines Schwur es steht (v'^
ä-uJlII) und J mit seinem Xabar verbunden ist. Der
Schwur oder die Betreuerung steht absolute voran und
^jl leitet den Saz ein, der durch den Schwur bestätigt
werden soll, wie: ^jpUoJ IlXjs ^ *-Utj, „bei Gott, Zaid
ist fürwahr wahrhaftig'1. Doch kann J beim Praedicat
auch fehlen, obschon Ibn ?Aqil und Näsif nur den ersteren
Fall erwähnen; z.B. *>y") \&+s£ ,jj adJJj .
e) Wenn ^f einen H älsaz vertritt und ihm j voran-
geht, das den ETälsaz einführt, z. B. : yJP'5 (5^5 *J'<Xoi'
ay, „ich gieng zu ihm, indem ich auf ihn vertraute".
^yfcjlÖ ^xAXJyJI, „wie dich dein Herr aus deinem Hause
in Wahrheit führte, während ein Theil der Glaubigen
widerwillig war" (Qur. 8, 5).
f) Wenn es ein Praedicat von einem Nomen con-
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 151
er et um 1) einleitet, z. B. (Ww *M !cXj\ ^XJJb , „ich
glaubte von Zaid, fürwahr er ist stehend ?± ich hielt Zaid
für stehend"; pJO *3j t\^ , ,,Zaid, fürwahr er ist edel";
oder die &a«o (Qualification) eines Nomens, wie: J^>^ ^r*
^JLo xM , „ich gieng an einem Manne vorüber, fürwahr
er ist rechtschaffen =z an einem rechtschaffenen Manne".
g) Wenn es nach oa-^ä» 2) steht , wie : cuä u*-^'
(jwJLä. !c\j\ ^ , „seze dich da, wo Zaid sizt".
h) Wenn es nach dem- den Saz eröffnenden SJ! (SU&)
steht (%JjiAÄ*#l Sil), z. B. ^Jüf y ibf<Üf ^t 5l , „ja
fürwahr die Jugend währt nicht immer" ; ebenso nach dem
gleichbedeutenden lx>f , siehe unten ad 3) g.
i) Wenn es nach dem einen Saz beginnenden SM steht,
dessen Praedicat ein Läm des Anfangs hat, z. B. ti&l SM
l»L*liJI ^X^ld , „ausser sie essen fürwahr die Speise".
(Qur. 35, 22.)
1) Damit ist das L^*x> |*AlW' > 0(^er ^as Abstractum , ausge-
schlossen, wie: a^-w&J (jlJü *ut *S^XJ! y&lfej .
2) Auch nach jvj pflegt „»1 zu stehen, wenn die Rede mehr in
die Gegenwart gerückt werden soll ; z. B. ^.c .^ oJÖ ^j| «w
-SwwJI, „dann steige ich herab von dem Bette". Arnold, Chrest.
arab p. 42, L. 2 v. u.; p, 29, L. 8 v. u.
[1877. 1. Phil. hist. Cl. 2.] 11
152 Sitzung der phüos.-phüöl. Classe vom 5. Mai 1877.
j) Wenn es nach den Verbis cordis steht und deren
Rection durch ein dem Praedicat vorgeseztes Läm ver-
hindert wird, z. B. rwyü !Jo\ ,j£ c^U, ,,ich weiss, für-
wahr Zaid ist stehend11. Steht aber Lara nicht beim Prae-
dicat, so muss die gewöhnliche Construction mit ^y ein-
treten, wie: *jvj* fc\j\ ^1 v^mAä .
cf
Ad 2) ,j! muss gesprochen werden:
a) In allen Fällen, wo es sich nicht um einen selbst-
ständigen Saz handelt, sondern um die Unterordnung eines
Einzelbegriffs, der, wie schon bemerkt, sich durch ein
Verbalnomen auflösen lässt. Dies findet statt, wenn der
abhängige Saz mit ,jl entweder an die Stelle eines logischen
6i i 6*h" 1af * *' "Vi" ' "'
Jxli steht, wie: *->l2 ^o! ^Ä^o zz viUUi* ^-Uräo , ,,es
wundert mich , dass du stehst" ; oder an der Stelle eines
9 - ® - -*8S* 9 9 - ' o - -~ >
Jx.LaJ! yju , wie: J^K ^t /*■£'"'' — - ^-^o /*+**} „man
hört, dass du abreisest"; oder an der Stelle eines uXXxx»,
wie: Jwoli db! (^cXaä zz viLLöi i^Xäx , ,;es ist meine
Meinung, dass du vortrefflich bist"1); oder an der Stelle
eines Xabar, wie: asu *JjJ! ^>f (J>if zz p-Uif ^äj (3Ü,
„es ist die Wahrheit, dass die Wissenschaft nüzlich ist";
S S - -CS* ' ° -"
oder an der Stelle eines au Jj*a*, wie: (wli* vib! v^i^e
or g 2,
1) Wenn das Xabar ein oJö oder ^v^?* >Lä. ist, so kann
es vorangestellt werden, auch wenn das Mubtada' determinirt ist; ist
aber das Mubtada indeterminirt, so muss das Xabar in den bezeichneten
Fällen vorangehen.
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 153
== ^ULajJ v»i*x, „ich weiss, dass du stehst"; oder an der
Stelle eines \)j& i wie: jvjI^ ^Ui ^-^ = £y° ^«s?£
dULö, „ich wundere mich, dass du stehst"; oder an der
Stelle eines äxM oudx>, wie: !*£> ,jf JJb ^ cu^
**-** ?y — r^ ^"Wj 07* &i ' "*cn wundere mich über
die Länge (der Zeit), dass Bakr steht = darüber, dass Bakr
so lange steht".
b) Die Praepositionen ordnen daher, wenn sie vor
einen abhängigen Saz treten, denselben durch <jt unter
(falls er ein Nominalsaz ist, sonst durch ,j!), indem nur
,jl>J , (\Xjo und <X* unmittelbar vor einen Saz treten
können, z. B. o> &M gLo , „darauf bauend, dass es Xabar
ist" ; (j*£*i viuU (Jp^ , „er vertraut darauf, dass du zu-
verlässig bist"; jwLb db! *o viL^f , „ich liebe dich, troz
dem dass du tyrannisch bist".
öf
c) <j! muss auch gesprochen werden, wenn es nach
den hypothetischen Partikeln y ,,wenn" und ^y „wenn
nicht" steht und ein Nomen darauf folgt *) (vor einem
Verbum kann nach ^y auch ^f stehen), z.B. (Jj-lm-* viljf y
1 ° 1
1) Doch ist die Sezung von .jf nicht absolut nothwendig, da *J
und jy vor einem Nomen auch ohne dazwischen tretentes .jf stehen
können, obschon die Alfiyyah (V. 710) in Betreff von y keine der-
artige Ausnahme erwähnt.
11
154 Sitzung der philos.-philöl. Gasse vom 5. Mai 1877.
y o — — o-o—
oJi-Lkjbi, „wenn du gehen würdest, würde ich gehen11,
weil es (wie das Mufassal p. tt"<>, L. 1 v. u. erklärt) =
^jJJaJL* vib! *2j y und dieses =z ^U'iÜajf aSj y ist.
d) Auch nach dem einen Saz eröffnenden ^f *) (wenn
nicht beim Praedicat das efiXö^f J$ steht), sofern ein
Nomen davon abhängt (vor einem Verbum steht <jt),
z. B. '£M ^ v^a^J L^jf Sj l3^-> *^=t ^* i „sie ist
zahlreicher an Juden, ausser dass sie nicht zu Hijäz gehört
(Arnold, Chrest. arab. p. 83, L. 5 v. u.)
e) Ebenso nach U$ , wenn ein Nomen folgt 2) (vor dem
Verbum dagegen steht nur U* J, z. B. *^l ^yXd»] ^) Uj=
^^ Uo , ,,wie (j'y^' das Nomen von dem ist, was als Ge-
schenk gegeben wird" (Baidävi, I, p. Pdf , L. 2. v. u.).
Ad 3) Die Möglichkeit von <j£ und ^' .
a) Nach JU' und Verben ähnlicher Bedeutung kann
jjl oder jj» stehen, je nachdem der Saz als directe
-« Sic — 6 —
(JyüL 2U£s? ä-UÄ.) oder indirecte Rede aufgefasst wird.
Wo also die ipsissima verba referirt werden, müssen sie
durch das hinweisende ,j£ als unabhängiger Saz eingeleitet
von
1) Ebenso ^| yx£? > »ausser dass".
2) \^S findet sich zwar auch vor Nominibus, aber nur ira Sinne
v3 (mit dem Genetiv); s. Alfiyyah, V. 382, Com.
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 155
werden l), z. ß. viLLo ^ü^ Jürf ^-jK Lo ^| JÜ , „er sagte:
fürwahr ich habe keinen treuloseren gesehen als du bist".
Wo dies aber nicht der Fall ist, sondern der Saz dem vor-
hergehenden untergeordnet wird, muss dies wie bei den
Verbis ^jJo etc. (s. Ad 2) durch ,jt geschehen, z. B. Jy>f
*jU* !cXj\ ^f, „ich sage, dass Zaid steht"2). Sama^sarl
führt im Mufassal (p. N**1 , L. 3) den Saz an: Jy>! U J^l
a-U! iX+Ä.! ^I.) und erklärt die doppelte Aussprache von
^1 dahin, dass wenn man den damit eingeleiteten Saz als
Praedicat zu dem (vorangehenden) Mubtada5 fasse, man
wf • i ii ' °" t lr Vf
^M aussprechen müsse, weil er = *-Uf <Xt^> J>y^° vy
sei; wenn man aber das Praedicat als ausgelassen sup-
ponire, müsse man ^M sprechen, indem man damit direct
referire (also =t *-Uf cX+ä-I ^J ttX# Jyw> J^l).
b) Auch ist ^l und ^f möglich, wenn sie nach einem
Mubtada' stehen, das die Idee des Sprechens oder Redens
implicirt, und das (logische) Xabar ebenfalls denselben Be-
griff enthält, während der Sprechende derselbe ist, z. B.
ä-U! 4\^^l ^ Jy> Jjf). Enthält aber das Xabar nicht
1) Obschon die directe Rede auch ohne .jt eingeführt werden kann.
2) Dieser Unterschied ist vielfach übersehen worden. So hat z. B.
Id in seiner Chrest. arab. nach JU und JUü>
auch da, wo von einer oratio directa keine Spur ist.
Arnold in seiner Chrest. arab. nach JU und JLäj immer ^ gesezt,
156 Sitzung der phüo8.~philol. Classe vom 5. Mai 1877.
die Idee des Sprechens oder ist die Person nicht dieselbe,
so darf nur ,j| stehen, z. B. yj**y* ^J 4j* » un(* : 4>*
Ä-Ut tX+s* !tX^\ jj^, weil in beiden Fällen der Saz mit
^jf nicht in ein Verbalnomen aufgelöst werden kann, das
als Xabar eintreten könnte.
c) Ebenso kann im Nachsaze eines Schwures (v^*
" CS ^ —
l****H) jji und jjt stehen, wenn das Praedicat von J ent-
blöst ist, mag der Saz, womit man schwört ein Verbalsaz
sein mit ausgesprochenem oder nicht ausgesprochenem
Verbum, z. B. (j>^~*ö '^) (j[ oÄU, oder ,j£ *-UJj
jjj4>Lö IJos , oder ein Nominalsaz, wie : jjj w ^jü
(JpLo ttXJS , ,,bei deinem Leben , fürwahr Zaid ist wahr-
haftig'1 1). Es kommt dabei rein auf die Auffassung des
Schwörenden an, ob er den Nachsaz des Schwures direct
(als unabhängigen Saz) oder indirect hinstellen will oder
kann. Die arabischen Grammatiker wollen z. B. in dem
Verse (Alfiyyah V. 181. 182, Com.):
• ■ w in55- »^ "? "i "tt° 1w- i°« T
(5^aJt dUL^ ^j! ^| Jjüt db^ (5a1sJ y
„bis dass du schwörst bei deinem grossen Herrn , dass ich
der Vater dieses (deines) Kindes seia, die doppelte Aus-
sprache von ^1 gelten lassen. Dies scheint mir jedoch in
1) Wenn das Mubtada' ein Schwur ist, so muss das Praedicat
notwendigerweise ausgelassen werden; Wv+äJ ist desshalb = C/^jl?
j^^ywwö, „dein Leben fürwahr ist mein Schwur = bei deinem Leben",
Siehe darüber Alfiyyah V. 138—141, c. com.
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 157
diesem Falle unmöglich zu sein, da sonst ^l , als direct re-
ferirend, den Schwur stultificiren würde; hier kann offenbar nur
^ am Plaze sein. Die Auseinandersezung , die in den
tX#fj-co zur Alfiyyah gegeben wird, entfernt diese Schwierig-
keit keineswegs; es heisst dort: i^£ wwgXJL ^i! aJ+S}
^yXAXI L^JjtÄ. J*£ ^"^^ f-wJi-U bl^Ä» X-Uil JütÄ.
JÜ J^ ^ üailiLl gjj ÄkJjj, „Sein Wort ^f, mit
Kasr gesprochen , wenn man den Saz als Antwort auf den
Schwur fasst, und mit Fathc, wenn man ihn als Object
fasst, vermittelst der Unterdrückung der Praeposition, i. e.
^jf Js£. . Auch Näsif spricht sich nur ganz allgemein aus
(1. c. p. f»*f», L 5 sqq.); die angedeutete Beschränkung
jedoch scheint mir in der Natur der Sache zu liegen.
d) Wird ein Saz angeschlossen, der einen vorangehen-
den Imperativ oder Prohibitiv motivirt, so kann er ent-
weder als Neusaz mit jj£ folgen oder durch <jl unter-
geordnet werden, z. ß. ^U jtXc äj! ^tX^M ,,nimm dich
in Acht, siehe er ist ein Feind von dir", oder: xJJ s<Xä-J
— * 8 ' -
dU jtXfc, ,,nimm dich in Acht (darum) dass er ein Feind
von dir ist"; im lezteren Falle wird die Auslassung einer
Praeposition supponirt (/Ü o*ä* nL*oI J^)', s. Näsif,
1. c. p. IM», L. 7.
e) Nach dem Fä der Apodosis fetpJM *ti)- Wenn man
,j[ spricht, so wird der dadurch eingeleitete Saz, der schon
158 Sitzung der philol.-philos. Ciasse vom 5. Mai 1877.
durch o von der Rection des vorangehenden Conditional-
sazes losgelöst ist, als durchaus unabhängig hingestellt, wie
in: ioow>! auU ^^W ^^° ' ,, wer mich besucht, fürwahr ich
ehre ihn", also = auO! Uli <V)VJ ^; spricht mau aber
,jl, so bildet <jf mit seiner «J^o einen definitiven Saz, den
die arabischen Grammatiker dadurch zu erklären suchen,
9 ' i ' af ' 7 i i
dass sie aocwÄf aü! in ein Masdar auflösen =z äJ ^I^äU
und als Mubtada* betrachten, zu dem sie ein A'abar wie
9 . . S
v^ou oder &y>-yA suppliren. Ibn ^Aqil (Com. zur Alfiyyah
V. 181. 182) schlägt auch eine andere Erklärung vor, dass
man ,jf mit seiner *-Lo als Xabar von einem ausgelassenen
Mubtada* fassen könne, also: &J ^Ml *^7^ ' Demgemäss
wird auch in der Quränstelle (6, 54): J<£ jvXj» ^Z£s
*A^ ;^-*^ *^P Xo'^ Sl>ju beidemal &M und xM gelesen
und nach den gegebenen Ausführungen erklärt.
f) Nach dem t<M *) der LFeberraschung (iüoLsSJ! f<M).
Sezt man ^j^ so dient dies nur zur Verstärkung des
1) Die arabischen Grammatiker streiten darüber, ob t<M eine
Zeit- oder Ortsbestimmung sei; beides lässt sich durch den Gebrauch
rechtfertigen. Die Sezung von ,..! nach diesem f<M ist keineswegs
nothwendig, es kann jedoch darauf nur ein Nominalsaz folgen, der in
gleichem Zeitverhältniss steht wie der vorangehend« Saz.
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 159
Nominalsazes *), wie: *3l3 !<X?\ ^ f^U o>^, „ich
gieng heraus, und siehe da, da stund Zaid", was dem Sinne
G °o-
nach — = *oU t\j\ Ijü ist. Sezt man es aber mit Fathc,
so wird jjf mit seiner x-Lo durch ein Verbalriomen auf-
gelöst, das als Mubtada1 betrachtet wird, während t<M dazu
das Xabar bildet, also = tXj\ pl** I3ü , „siehe da war
das Stehen Zaid's". Entsprechender aber ist die andere
Auflösung, dass auch hier das Xabar ausgelassen sei, so
dass die logische Sazstellung wäre: <Xj\ *Lks fjli v^ä-^ä.
G
J*oLa. (so Sama/sari, Muf. p. O, L. 7).
*-
g) Nach ^Xä. . Wenn <«£&> den Saz eröffnend ist
(&Äjf<Jüüjll j^Xä.) und nach ihm jjl folgt, so muss es mit
Kasr gesprochen werden. Dieses inceptive ^&i welches
keinerlei Rection ausübt, und vor einem Nominal- und
Verbalsaz (mit dem Verb im Perfect oder Imperfect) stehen
kann, bedeutet: „so dassu (in Folge davon), z.B. JU* JJJ
Ä-yäj ItXjjv ^f ^^Xä. viüt> r»y^' 5 ,,die Leute hatten das ge-
sagt, so dass Zaid es sagte11 (Muf. p. m , L. 9).
Wenn ^Xä. dagegen eine Conjunctivpartikel (äaJcLd,
1) So erklärt es Sama/Sari im Muf. p (("1, L. 7: ^ij-XJ wwjC*
ä-L#äJ ^x> Äx^dXib Le f<M tX*j Lo ,^x , „du sezest es mit
Kasr um dem, was nach |<M steht, das vollständig zukommen zu lassen,
was es von dem Saze verlangt."
160 Sitzung der philutt.-phUol. Clause vom 5. Mai LS77.
mit der Bedeutung „sogar"), oder eine Praeposition
(snIä., mit der Bedeutung von „bis zu", „bis auf') ist,
und nach ihm ^' folgt, so müss es mit Fatli gesprochen
werden, weil seine *-Lo einen Einzelnbegriff und keinen
Saz implicirt, z. B. ^JLo db! (JL^ ^)j*\ c^i^Ä , „ich
kenne deine Angelegenheiten, sogar dass du rechtschaffen
1 ' I I I «* ? CS - 0-0
bist1' ; ^MJpLa.f ^M (S^ /^'i ,,höre, bis ich mit dir
rede".
Lane führt in seinem Arabic Lexicon I, p. 110 nur
tjj ^^ää. an, ohne etwas vom Gebrauche von jjf (5^ zu
erwähnen, was er auch unter ^ nicht nachgeholt hat.
Er verweist nur auf De Sacy, Anthol. gram. p. v*i , eine
Stelle, die vielfach unrichtig aufgefasst worden ist. De
Sacy selbst z B. übersezt (p. 159): „quand c5*ä. est suivi
de jjl, il faut toujours prononcer inna par Kesra". Dieses
„toujours" steht aber nicht im Texte, sondern ist viel-
mehr beschränkt durch die nachfolgende Bemerkung, dass
CS
wenn dem ^ eine Präposition vorangehe, man es mit Fath1
sprechen müsse. De Sacy hat es ganz übersehen, dass lbn
Hisäm hier nicht von ,-Xä. als einer Präposition redet,
sondern es ausdrücklich als jUjIÄäj! gegen andere Gram-
matiker vertheidigt. Auch Ewald hat (wahrscheinlich durch
De Sacy 's Uebersezung irregeleitet) daraus den falschen
es _ a
Schluss gezogen, dass man nach ^ää. nur <j| lesen dürfe
(Gram arab. II, p. 284).
Trumpp: Beiträge zur arabischen Syntax. 161
-* • •'*
h) Nach Lol, wenn es im Sinne von ^f steht (s. ad 1,
h) wird ^i, wenn es aber im Sinne von Iää., „fürwahr,
gewisslieh" steht, wird ^ gesprochen, z. B. 5U ä$I Lot
UXXgJ yo , ja fürwahr (*ü| uof) (oder „gewisslieh äj! Lof),
wenn nicht er gewesen wäre, so wären wir zu Grunde
gegangen11.
i) Nach f»vÄ» y steht ^f , nach der Aehnlichkeit mit
dem Schwur, so dass ^ die Antwort dazu einleitet , oder
,jJ , indem f»y^ 3> im Sinne von (jl ^j^o cXj 3> aufgefasst
wird, z.B. *ä.I» *-Ut jjj **ä. ^, „sicherlich, Gott ist
barmherzig14.
Zum Schlüsse ist noch zu bemerken, dass ^f nie dem
6=^ 05* " -
,jf unmittelbar vortreten darf; jjf mit seiner ä-Lo (als
Masdar gedacht) kann nur dann das Nomen von ,j| werden,
wrenn zwischen beiden eine Trennung durch das Praedicat
stattfindet, wie: ^ItXJ! £ IJjs ,jf ütXic ,j£, „fürwahr, es
ist unsere Meinung, dass Zaid im Hause ist".
Nachtrag zu S. 106 und 107. Es ist mir doch
fraglich geworden, ob in dem Saze: au c>«*o JoL» das
Passiv-Subject im Verbum selbst gesucht werden kann; der
Ausdruck ist vielmehr impersonell zu fassen: „ein Führer,
mit (oder durch) welchen eine Sendung gemacht wird11.
162 Sitzung der philos.-yhüol. ('lasse vom 5. Mai 1877.
Ebenso ist zu **-Lä ^5***+^ und L$i-^ äU-ÄJLjt
zu bemerken , dass dies die mehr persöuliclie Auffassung
der späteren Sprache ist; die ältere Sprache gebraucht
diesen Ausdruck noch impersonell, also auch im Femininum
Lg^-lc ^c^a+J! , „die über welche es dunkel gemacht
wird14, = L^U^ (^4^ IS*"*
163
Sitzung vom 5. Mai 1877.
Philosophisch-philologische Classe.
Herr Bursian legte einen von Herrn Konstantinos
Karapanos, zur Zeit in Paris, ihm zugesandten in
französischer Sprache geschriebenen Aufsatz ,,über Do-
dona und seine Ruinen" vor, welcher in deutscher
Uebersetzung folgendermassen lautet:
Während der Reisen, die ich in den letzten drei Jahren
in Epirus zu machen Gelegenheit hatte, beschäftigte mich
fortwährend der Gedanke an den Tempel von Dodona. Ich
wünschte sehnlichst, dieses altberühmte Heiligthum der hel-
lenischen Welt aufzufinden, das sich bisher immer noch den
Nachforschungen der Reisenden und der Archäologen ent-
zogen hatte. Ich hatte schon an verschiedenen Stellen, wo
sich alte Ruinen finden, Nachgrabungen versucht, als ich
Gelegenheit erhielt, das Thal von Tscharakovista zu
besuchen. Seine Lage zwischen der Thesprotis und der
Molottis, der imposante Anblick der unter dem Namen des
Paläokastron von Drameschus bekannten dort befind-
lichen Ruinen, welche die meisten Reisenden auf Passaron,
die Hauptstadt der Molotter, bezogen haben*), andererseits
*) [Die ausser von Leake Travels in northern Greece I p. 264 ss.
auch von H. P. Tozer Researches in the highlands of Turkey II. p. 200 ss.
beschriebenen Ruinen sind schon von H. Kiepert (Neuer Atlas von Hellas
und den hellenischen Colonien, Berlin 1872, Bl. VII) vermuthungsweise
auf Dodona bezogen worden.]
164 Sitzung der philos.-philol. Clause vom 5. Mai 1877.
einige bei den von mir versuchsweise angestellten Nach-
grabungen entdeckte Bronzefragmente brachten mich auf
den Gedanken, dass diese Ruinen vielmehr D o d o n a ange-
hören müssen. Ich beschloss also regelmässige Ausgrab-
ungen zu unternehmen und suchte bei der kaiserlich otto-
manischen Regierung um die Ermächtigung dazu nach.
Während ich aber in Konstantinopel mit den Förmlich-
keiten, welche die Erlangung dieser Ermächtigung erheischte,
beschäftigt war, gruben andere Leute, in der Hoffnung dort
einen Schatz von Kostbarkeiten zu finden, ohne mein Wissen
auf dem Platze des Tempels und entdeckten mehrere Weih-
geschenke in Bronze und anderen Metallen, ohne zu ver-
muthen, dass diese Gegenstände aus dem dodonäi'schen Tem-
pel stammten.
Die Weihgeschenke, welche anzukaufen mir gelungen
ist, *) und das Resultat der Nachgrabungen, welche ich kraft
der Ermächtigung der kaiserlich ottomanischen Regierung
mehr als sechs Monate hindurch auf einem Flächenraume
von mehr als 20,000 Quadratmetern bis zu einer durchschnitt-
lichen Tiefe von 2 M. 50 ausgeführt habe, haben die Rich-
tigkeit meiner Vermuthung erwiesen. Die Ruinen, welche
ich aufgedeckt habe, und die zahlreichen Weibgeschenke, die
sich darin zerstreut vorfanden, können nur dem bedeutend-
sten Heiligthume von Epirus angehört haben. Aber ausser
diesen Beweismitteln, die noch einige Ungewissheit über die
wirkliche Lage Dodona's bestehen lassen könnten, habe ich
daselbst zahlreiche auf Zeus Naios und Dione und ihr
Orakel bezügliche Inschriften gefunden, die, wie es mir
scheint, keinen Zweifel über die Lage desselben übrig lassen.
1) Unter den Gegenständen, welche ich von den Personen, die ohne
mein Wissen auf der Stelle des Tempels gegraben hatten, und von ver-
schiedenen andern Bewohnern der Stadt Janina und des Thaies von
Tscharakovista erkauft habe, befinden sich fast sämmtliche dort gefundene
Statuetten, Reliefs und Inschriften.
Konstantinos Karapanos: Dodona und seine Ruinen. 165
Da ich demnächst eine detaillirte Beschreibung der
Rainen und der von mir entdeckten Gegenstände mit einer
historischen Untersuchung über das Heiligthum von Dodona
zu veröffentlichen gedenke, so werde ich für jetzt nur ein
Resume darüber geben, welches genügt, summarisch eine
Entdeckung zur Kenntniss der gelehrten Welt zu bringen,
die, wie ich meine, dazu beitragen wird, nicht nur die Frage
nach der Lage Dodona's, sondern auch verschiedene auf die
Religion und Kunst der Hellenen, sowie auf die Geographie
von Epirus bezügliche Punkte aufzuhellen.
In einer Entfernung von ungefähr 18 Kilometer süd-
westlich von Janina liegt das Thal von Tscharäkovista.
Dies von Südost gegen Nordwest etwa 12 Kilometer lange,
durchschnittlich 700 Meter breite Thal wird von dem von
Janina durch eine Kette grösstentheils unangebauter Hügel
getrennt; im Südwesten wird es durch den Berg Olyt-
zika, den Tomaros der Alten, abgeschlossen, dessen maje-
stätischer und pittoresker Gipfel alle anderen umliegenden
Berge überragt. Am Fusse des Tomaros sprudeln zahlreiche
Quellen hervor, deren Wasser einen Theil der Ebene, die
zwischen vielen schlechten Ackerfeldern einige schöne Wiesen
enthält, in einen Sumpf verwandelt.
Ziemlich in der Mitte des Thaies von Tscharäkovista
finden sich auf einer Art von Vorgebirge, das durch einen
Vorsprung der dieses Thal von dem von Janina trennenden
Hügel gebildet wird, die hellenischen Ruinen einer kleinen
Stadt oder Akropolis , eines Theaters und eines heiligen
Bezirks.
Die auf dem Gipfel dieses Vorgebirges in einer Höhe
von 15-20 Meter über der Ebene gelegene Stadt hat eine
unregelmässige Form, ungefähr die eines Viertelkreises. Die
beiden Seiten des Winkels, welche sich von Osten nach
Süden und von Osten nach Norden ziehen, haben eine Länge
16G Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
die erster e von 198 M., die zweite von 168 M. Der gegen
Südwest und Nordwest gewandte Bogen ist mit 7 Thürmen
versehen und hat eine Gesammtentwickelung von 325 Metern.
Die Dicke der in hellenischer Bauweise ausgeführten Mauern,
welche die Stadt umgeben, wechselt zwischen 3 M. 25 und
5 M. 80. Die ganze Oberfläche ist durch dem Erdboden gleiche
hellenische Mauern, die aller Wahrscheinlichkeit nach alten
Wohnungen angehören, in mehrere Parzellen getheilt. Eine
theilweise in den Felsen gearbeitete kleine Cisterne ist der
einzige bauliche Rest, welcher sich zwischen den Mauerlinien
hervorhebt. Das einzige Thor, welches einen Zugang in die
Stadt gewährte, liegt an der Nordostseite; es wird durch
zwei rechtwinkelige Thürme vertheidigt und hat eine Oeff-
nung von 4 Meter. Ich habe daselbst an mehreren Stellen
nachgraben lassen , habe aber weder die Spuren eines Ge-
bäudes, noch irgend einen bearbeiteten Gegenstand in Stein
oder Metall gefunden.
Im Südwesten der Stadt liegt das Theater, eines der
grössten und besterhaltenen unter den hellenischen Theatern.
Nach der gewöhnlichen Weise der Griechen an den Berg
angelehnt wird es zu beiden Seiten des Zuschauerraumes
durch ansehnliches Mauerwerk aus viereckigen ohne Cement
künstlich gefügten Steinen gestützt. Die Ausdehnung des
Halbkreises beträgt am oberen Ende der Cavea 188 M. 50,
im Niveau des Erdbodens 80 M. 45, die Höhe in schräger
Linie 45 M. Ein Umgang (Diazoma) theilfc die Cavea in
zwei ungleiche Theile, von denen der untere die doppelte
Höhe des oberen hat. Obgleich das Bauwerk ziemlich gut
erhalten ist, so ist es doch schwierig, die Zahl der Sitzreihen
genau anzugeben, weil die Steine, aus denen die Sitzstufen
gebildet waren, zum grossen Theil vom Platze gerückt sind
und eine verworrene Masse bilden. Soviel ich habe be-
rechnen können, müssen im Ganzen 49 Sitzreihen vorhanden
Konstantinos Karapanos: Vodona und seine Ruinen. 167
gewesen sein, von denen ich die drei untersten, die mit einer
Erdschicht bedeckt waren, bloss gelegt habe. 2)
Eine in einer Entfernung von 1 M. 50 von der letzten
Sitzreihe befindliche halbkreisförmige Mauer trennt den Zu-
schauerraum von der Orchestra. Die Stelle der Orchestra
und der Scene ist jetzt in ein Ackerfeld verwandelt, welches
ich bis zu einer Tiefe von ungefähr 4 Meter habe umgraben
lassen. Ausser der Mauer, welche den Zuschauerraum von
der Orchestra trennt, habe ich dort am westlichen Ende der
Scene einen unterirdischen Bau und am entgegengesetzten
Ende die Reste einer Thüre gefunden. Der unterirdische
Bau besteht aus einer Art kleiner runder Kammer in einer
Tiefe von etwa 10 Meter unter der Oberfläche des jetzigen
Bodens. Sie ist mit grossen Steinplatten gepflastert und
hat einen Umfang von 6 M. Mit Ausnahme der Oeffnung,
(von 2 M. Umfang) durch welche man jetzt hinabsteigt,
habe ich keine andere Verbindung zwischen dieser Kammer
und der Scene finden können; ich kann daher nicht sagen,
ob sie dazu diente, irgend eine Theatermaschine spielen zu
lassen oder ob es ein blosses Wasserreservoir war.*)
Die Reste der Thüre, welche der die Scene vom Post-
scaenium trennenden Mauer angehört haben muss, sind mit
aller Kunst und Eleganz guter hellenischer Zeit gearbeitet:
die Thürpfosten sind von beiden Seiten mit vier Säulen in
ionischem Styl versehen. Die Mauern, welche die Scene ab-
2) Leake (Travels in Northern Greece T. 2, eh. 4, p. 265) sagt,
es seien zwei Umgänge und 65 — 66 Sitzreihen gewesen ; aher ich glaube,
dass er sich in Folge der Verwirrung, in welcher sich die Steine, die
die Sitzstufen bildeten, befinden, getäuscht hat.
*) [Die letztere Annahme halte ich für die richtigere, da sich auch
in anderen griechischen Theatern Cisternen und Brunnen theils unter
der Scene, theils im Zuschauerräume gefunden haben ; vgl. Fr. Wieseler
'Griechisches Theater in der Allgemeinen Encyclopädie der Wissenschaften
und Künste, Section I, Bd. 83, S. 238 f.]
[1877.1. Phil. hist.Cl. 2.] 12
168 Sitzung der philos.-philol. Glasse vom 5. Mai 1877.
schlössen, existiren nicht mehr, so dass es mir nicht möglich
gewesen ist, ihre Ausdehnung und Gestalt sicher zu be-
stimmen.
Der östlich vom Theater, südöstlich von der Stadt ge-
legene heilige Bezirk lässt sich in zwei Theile sondern:
den nordwestlichen, welcher auf einem durch die Verlängerung
des Hügels, auf dem die Stadt liegt, gebildeten Plateau sich
befindet, den ich den Tempelbezirk nennen werde, und
den südwestlichen , der sich über die Ebene hinzieht, den
ich der Einfachheit halber als das Temen os bezeichnen
werde.
Der Tempelbezirk wird im Südwesten durch das Theater,
im Nordwesten durch die Stadtmauer und im Nordosten
durch eine andere hellenische Mauer begränzt. Er hat eine
Länge von 200 M. bei einer mittleren Breite von 90 M.
und enthält die Ruinen dreier Gebäude, deren Mauern jetzt
nur das Niveau des Erdbodens erreichen.
Das erste Gebäude ist der Zeustempel, der wieder
aufgebaut und in eine christliche Kirche umgewandelt wor-
den ist. Er hat eine Länge von 40 M. auf 20 M. 50 Breite.
Die Ueberreste der hellenischen Mauer sind hier mit neuerem
aus kleinen Steinen und Kalk hergestellten Gemäuer unter-
mischt, und es dürfte schwierig sein, bestimmt zu sagen,
ob man beim Bau der christlichen Kirche alle die Abtheil-
ungen, welche den Tempel bildeten, und ihre Scheidewände
beibehalten hat. Man sieht indess Abtheilungen , welche
recht wohl als Pronaos, als Naos und als Opisthodomos be-
trachtet werden können. Eine grosse Menge von Weih-
geschenken aus Bronze, Kupfer und Eisen, zahlreiche In-
schriften auf Bronze-, Kupfer- und Bleiplatten und eine
grosse Inschrift auf Kalkstein sind in diesen Ruinen in einer
Tiefe von ungefähr 3 M. zerstreut gefunden worden.
Das zweite, ungefähr 10 M. südwestlich von dem Tem-
pel gelegene Gebäude ist ein fast quadratisches hellenisches
Konstantinos Katapanos: t)odona und seine tluinen. 169
Bauwerk von 19 M. 50 auf 18 M. Vier Zwischenmauern
theilen es in verschiedene Räume, die man als zwei recht-
winkelige Kammern und drei Corridors bezeichnen kann.
In einer Entfernung von 48 M. westlich von diesem liegt
das dritte Gebäude des Tempelbezirks, seiner äusseren Form
nach ein Trapezoid von 42 M. 50 zu 30 M. Das Innere
desselben ist mit losgelösten grossen Steinen ausgefüllt ; ich
habe keine Scheidemauer darin gefunden. Eine im Innern
angebrachte Treppe von 4 Stufen weist darauf hin, dass
sein Boden um wenigstens 0,60 tiefer lag, als der der beiden
vorher erwähnten Gebäude. Es ist schwierig, die Bestim-
mung dieser letzteren Gebäude sicher festzustellen. Am
wahrscheinlichsten dünkt es mich , dass sie für die ver-
schiedenen Mittel der Weissagung , die vom dodonäischen
Orakel angewandt wurden, bestimmt waren. Ihre Lage und
ihre Form einerseits, anderseits der Umstand, dass in dem
ersteren dieser beiden Gebäude eine grosse Zahl von Bronze-
münzen, in beiden eine grosse Menge von Bruchstücken von
verschiedenen Bronzegegenständen gefunden wurden, dürften,
meine ich, Beweise sein, welche dieser Annahme als Stütze
dienen könnten.*)
Der Bezirk, welchen ich als das Temenos bezeichnet
habe, liegt südöstlich vom Tempelbezirk um ungefähr 4 M.
tiefer als dieser, hat eine durchschnittliche Länge von 110 M.
bei einer Breite von 105 M. und ist an drei Seiten von in
hellenischer Bauweise aufgeführten Mauern umgeben, welche
ebenso wie die den zerstörten Gebäuden dieses Bezirks an-
gehörigen kaum die Oberfläche des jetzigen Bodens erreichen ;
nur einige Mauerstücke im Südwesten haben eine Höhe von
ungefähr 4 M. über dem Boden.
*) [Ich möchte vielmehr vermuthen, dass beide Baulichkeiten The
sauren zur Aufbewahrung kostbarer Weihgeschenke gewesen seien, wie
wir sie aus Delphi und Olympia kennen.]
12*
170 Sitzung der phüos.-phüol Classe vom 5. Mai 1877.
An der Südwestseite befindet sich ein Gebäude von sehr
unregelmässiger polygoner Form, durchschnittlich 35 M.
lang und 25 M. breit; es umschliesst eine andere kleine
Anlage von der Form eines Trapezoid, 10 M. lang und 9 M.
breit. Obgleich mit dem Temenos verbunden, bildet dieses
Gebäude einen Vorsprung von ungefähr 25 M. aus der Linie
der Umfassungsmauer desselben. Im Südosten innerhalb des
Temenos findet sich ein 11 M. 60 breiter Corridor, welcher
in einen rechtwinkeligen Bau einmündet, der bei der gleichen
Breite eine Länge von 26 M. hat. Ziemlich in der Mitte
dieses Baues entdeckte ich einen kleinen runden Altar, der
aus drei übereinander liegenden Stein lagen besteht: die
unterste Lage, welche die Basis bildet, hat einen Umfang
von 5 M. Rings um den Altar herum fand ich mehrere
Bruchstücke von Weihgeschenken aus Bronze, darunter ein
kleines Rad mit einer Weihinschrift an Aphrodite, ein Be-
weis, dass alle diese Bauten einem Heiligthum dieser in Do-
dona neben Zeus und Dione als Tochter dieses Götterpaares
verehrten Göttin angehören. Zwei Treppen, die zu dem
Heiligthume der Aphrodite, und zwei andere, die zum Cor-
ridor führen, zeigen, dass der Boden des Temenos allmälig
abfiel und von 0,40 bis 1 M. 35 tiefer lag als das Heilig-
thum und der Corridor.
An der entgegengesetzten Seite befindet sich ein ande-
rer 6 M. 50 breiter Corridor, der zu einem anderen gänz-
lich zerstörten Heiligthume gehört haben mag.
Drei Thore führten in das Innere des Temenos: eines
im Südwesten, eines im Nordosten, eines im Südosten. Die
beiden ersteren bieten nichts Bemerkenswerthes dar, das
letztgenannte aber ist eine Art Propyläon, auf beiden Seiten
von Thürmen und von Mauern, die mit den benachbarten
Gebäuden keinen Zusammenhang haben, umgeben.
Zwei Reihen kleiner baulicher Anlagen sind isi Innern
des Temenos in einer Tiefe von 0,75 bis 1 M. 50 entdeckt
Konstantinos Karapanos:' Dodona und seine Ruinen. 171
worden. Die erste Reihe, die bedeutendere, liegt vor dem
Heiligthum der Aphrodite und dem dazu gehörigen Corridor:
sie enthält 25 kleine Bauwerke von sehr verschiedenen For-
men, jedes aus zwei oder mehreren Steinen hergestellt; einige
davon geben sich durch ihre quadratische, länglich-viereckte
oder runde Form als Säulenbasen oder als Piedestale von
Statuen zu erkennen; andere von halbkreisförmiger Gestalt
weisen auf Nischen hin, welche Statuen oder andere Weih-
geschenke an die Götter enthielten.
Die vor dem anderen Corridor befindliche zweite Reihe
enthält 16 solche kleine Bauwerke, die, obgleich in Hinsicht
auf die Details und den Umfang unter einander verschieden,
alle die gleiche rechteckige Form haben. Sehr zahlreiche
Bruchstücke von Gefässen, Statuetten und anderen Gegen-
ständen aus Bronze, Kupfer und Eisen, mehrere Fragmente
von Inschriften auf Bronze- und Kupferplatten und einige
Inschriften auf Bleiplatten sind um diese Steine, insbesondere
die der ersten Reihe, herum gefunden worden. Die Ent-
deckung dieser Bruchstücke von Weihgeschenken, sowie die
Verschiedenheit der Formen jener kleinen Bauwerke lassen
mich vermuthen, dass dieselben Votivdenkmäler waren, auf
welchen ebensowohl Statuen und andere umfängliche Gegen-
stände als Weihgeschenke von geringerem Umfang aufge-
stellt waren.
Südöstlich ausserhalb der Umfassungsmauer des Temenos
findet sich ein länglich vierecktes Bauwerk von 144 M. zu
13 M. 50, dessen in hellenischer Bauweise aufgeführte Mauern
das Niveau des gegenwärtigen Bodens nicht überragen. Beim
ersten Blick könnte man geneigt sein, darin eine für die Nai'a,
die in Dodona zu Ehren des Zeus Naios und der Dione gefeier-
ten Spiele, bestimmte Anlage zu erkennen ; aber die grosse
Nähe der Mauer des Temenos, welche die Bewegungen der
Kämpfer und der Zuschauer allzusehr eingeengt haben würde,
lässt mich vermuthen, dass dieses Bauwerk vielmehr zu den
172 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
Tempelanlageu gehörte und zu irgend welchen religiösen
Zwecken diente.
Ausser den Gebäuden, deren Ruinen entdeckt worden
sind, müssen in Dodona auch ein Stadion und ein Hippo-
drom für die schon erwähnten Festspiele, die Nai'a, vor-
handen gewesen sein; aber sei es, dass man während der
hellenischen Zeit keine bedeutenderen baulichen Anlagen zu
diesem Zwecke errichtet hat, sei es dass dieselben später
zerstört worden sind, um anderen neueren Anlagen Platz zu
machen — ich habe keine Ruinen gefunden, welche von
solchen Baulichkeiten herrühren und ihre Stelle bestimmen
könnten. Ich glaube jedoch, dass das Stadion südwestlich
vom Temenos, südöstlich vom Theater angesetzt werden
kann, an der Stelle, wo meine Nachgrabungen Stücke von
Mauern aus kleinen Steinen und Kalk zu Tage gefördert
haben , zwischen denen man noch hie und da grosse hei- ■*
lenische Werkstücke bemerkt. Was den Hippodrom an-
belangt, so scheint mir der geeignetste Platz für diesen nord-
östlich vom Temenos in einer Entfernung von einigen hun-
dert Metern von demselben zu sein. In dieser Richtung
bildet die zwischen die Hügel hineindringende Ebene eine
Art von natürlichem Circus, der, an drei Seiten von An-
höhen umgeben, sowohl für das Wagenrennen als für die
Zuschauerrsitze geeignete Räumlichkeiten darbieten würde.
Zum Schluss gebe ich noch ein summarisches Verzeich-
niss der in den Ruinen von Dodona gefundenen Gegen-
stände.
Die zahlreichste und wichtigste Klasse bilden die Weih-
geschenke und sonstigen Bruchstücke aus Bronze und Kup-
fer; dieselbe umfasst folgende Kategorien:
I) 19 Bronzestatuetten verschiedener Epochen, die Mehr-
zahl archaisch.
Konstaniinos Karapanos: Bodona und seine Ruinen. 173
II) 28 Basreliefs auf Bronzeplatten, verschiedene Gegen-
stände darstellend.
III) 14 Statuetten von Thieren.
IV) 24 Gefässe und sonstige Weihgeschenke, oder Bruch-
stücke von Weihgeschenken, welche Weihinschriften an Zeus
Nai'os und Dione, sowie eine an Aphrodite tragen.
V) 38 Inschriften und Inschriftfragmente auf Bronze-
und Kupfertafeln, welche Weih ungen, Proxenie- und sonstige
Ehrendecrete, Freilassungen von Sclaven u. dgl. m. enthalten.
VI) 84 theils vollständige, theils fragmentirte Inschriften
auf Bleiplatten : dieselben enthalten an das Orakel des Zeus
Naios und der Dione gerichtete Fragen und Gelübde und
einige Antworten des Orakels. Eine gewisse Anzahl dieser
Platten enthalten jede bis zu drei Inschriften aus verschie-
denen, manchmal weit auseinander liegenden Epochen. Diese
Inschriften sind bisweilen so untereinander gemengt, dass
ihre Entzifferung fast unmöglich wird. Ich habe bis jetzt
nur 35 derselben lesen können.
VII) 36 Fragmente von Kränzen, Ornamenten von Har-
nischen, Vasen, Dreifüssen und anderen Weihgeschenken,
in Bronze- und Kupfer platten.
VIII) 39 kleine Dreifüsse und Bruchstücke von Drei-
füssen, Candelabern oder Cisten.
IX) 128 kleine Becken, Vasen, Schalen und Bruchstücke
von solchen Geräthen.
X) 184 Gefässhenkel von verschiedenen Formen.
XI) 102 Toilette- und Schmuckgegenstände, wie Agraf-
fen, Fibulae, Armbänder, Ringe u. dgl.
XII) 16 Stücke zum Gebrauch für Reiter und Pferde,
wie Sporen, Gebisse u. dgl.
XIII) 33 Waffenstücke wie Helme, Backenstücke von
Helmen, Pfeilspitzen u. dgl.
XIV) 27 Bruchstücke von Werkzeugen verschiedener
Art, wie Messern, Scheeren, Griffeln u. dgl.
174 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
XV) 46 Stücke von Gegenständen, die wahrscheinlich
zu religiösen Ceremonien verwendet worden sind, wie Basen
von Weihrauchfässern, kleine Büchsen, kleine Votivbeile u. dgl.
XVI) 100 Bruchstücke von Statuen verschiedener Grös-
sen und von Statuetten von Thieren.
XVII) 110 Bruchstücke verschiedenartiger Gegenstände,
wie Schlösser, kleine Hacken, Ornanientnägel u. dgl.
Die Fundstücke aus Eisen bestehen in 37 Lanzen-
spitzen verschiedener Form und Grösse, 4 Bruchstücken von
Schwertern, 1 Ring und einigen Bruchstücken von Werk-
zeugen, wie Griffeln, Strigiles, Messern, Scheeren, Nadeln
u. dgl.
Aus Gold und Silber, sowie aus Terracotta, Marmor
und anderen Materialien habe ich nur sehr wenige und zwar
unbedeutende Gegenstände gefunden.
Endlich sind auch 662 Münzen — 14 Silberniünzen,
648 Bronzemünzen — gefunden worden, welche sich in fol-
gende Kategorien vertheilen:
288 Münzen von Epirus und verschiedenen epirotischen
Gegenden, darunter 3 in Silber.
82 Münzen verschiedener griechischer Städte und Land-
schaften, darunter 5 in Silber.
90 Münzen verschiedener makedonischer Könige und
Städte, darunter 3 in Silber.
60 römische Münzen, darunter 3 Silbermünzen.
142 ganz unkenntlich gewordene.
175
Sitzung vom 5. Mai 1877.
Herr Lauth hielt einen Vortrag:
„Augustus-Harmai's".
Ueber die weltgeschichtliche Bedeutung des römischen
Kaisers Augustus herrscht wohl kein Zweifel und ist die-
selbe bereits Gegenstand so mancher historischen Werke
geworden. In vorliegender Abhandlung soll sein Verhält-
niss zu Aegypten, namentlich aber die unter seinem Namen
bewerkstelligte Kalenderreform, sowie der an ihn geknüpfte
Haltpunkt der Chronologie näher geprüft werden.
Nachdem ich bei einer früheren Gelegenheit A) die unter
seine Regierung fallenden Schalttage besprochen habe, kann
ich mich in Bezug auf seine Fixirung des ägyptischen
Wandeljahres Anno 25 v. Chr. etwas kürzer fassen, um
desto grössere Aufmerksamkeit derjenigen Epoche zuzu-
wenden, welche uns den neuentdeckten Namen des Augustus:
Harmais endgültig erklärt. *
Bekanntlich zählte Augustus seine Regierungsjahre vom
Tage der Ermordung seines Adoptivvaters Julius Caesar
1) „Die Schalttage des Euergetes I. und des Augustus" Sitzgsb.
d. k. bayr. Ak. d. W. 1874 Februar.
176 Sitzung der philos.-philol. Classc vom 5. Mai 1877.
an, also seit den Iden des März 44 v. Chr. Als er aber
am 1 sten Tage des ihm zu Ehreu Augustus genannten
Monates die Hauptstadt Alexandria erobert hatte, die dess-
halb auch SsßaoTr'i2) d. h. Augusta genannt wurde, ergab
sich eine doppelte üatirung. Ein schlagendes Beispiel der-
selben liefert uns eine Inschrift von Philae3), datirt L X
tov Kai e (Daf.i(Evtü&) X „Jahr 20, welches auch Jahr 5,
am 30 ten Phamenoth". Letronne bemerkt dazu mit Recht :
,,notre inscription est de Tan V d' Auguste, c'est-ä-dire, de
la meine annee que l'etablissement du calendrier fixe alex-
andrin". In der That bietet Syncellus4) ganz den näm-
lichen Ansatz : ano tov ita^ avTolg Oto& (.irjvog Ttjg tvqio-
ryg ytieqag, TjTig xara x# tov AvyovGTOv (urjvog ov(x-
rtiTtTBL Kai xcctcc %()6vovg tf dfxeißovTEg fxlav r^igav ....
AvyovöTov de etel te . . . . Tiqv !AkE%avdqEiag aXtooiv . . .
IIE& y\v aq^a^evrjv etel e yivyovOTOv TE^r\vai Ty\v tetqcc-
ETTjQixiqv yiAEQccVy Kai ii£%Qi tov vvv oiTco xa#' "EXXrjvag
t\toi IdXE^avdqEig iprjcpi^EO&ai x. t. X. Dieser gute Syncellus
ist zwar, wie so oft, etwas verwirrt; aber dieser Doppel-
ansatz 20 = 5 ergibt sich mit Notwendigkeit aus seiner
weitläufigen Darstellung 5).
Im Grunde genommen, bedürfen wir überhaupt keines
äusseren Zeugnisses für die von Augustus — Caesar — der
Gewährsmann des Syncellus sagt treffender vito AvyovOTOv
Kaiaaqog Kai twv TrjVLKavTa oocpwv — also vielmehr von
Alexandrinischen Gelehrten eingeführte Kalenderreform.
Denn das Datum selbst: 29. August = 1. Thoth des
Wandeljahres ist ein doppeltes und gewährleistet aus sich
selbst von innen heraus die Epoche: 25 v. Chr. Wir wissen
ja aus des Censorinus classischer Stelle (de die natali c.
2) Stephanus Byz. vergl. den Anhang.
3) Letronne: Recueil des inscript. gr. II, 125. 132.
4) Ed. Dindorf. p. 590/591.
5) Vergl. den Text nebst Bemerkungen.
Lanth: Augustus- Harmais. 177
18. 21), dass die Sothisperiode, in deren lOOstem Jahre
(239) er schrieb, während des Quadrienniums 136 — 139 n.
Chr. ihren Anfang nahm und zwar a primo die mensis
ejus, cui apud Aegyptios nomen est Thoth, quique hoc
anno fuit a. d. VII. Kai. Julias, quum abhinc annos cen-
tum, Imperatore Antonino Pio II. et Bruttio Praesente Coss.
idem dies fuerit a. d. XII. Kai. (lies XIII. Cal.) Augustas,
quo tempore solet canicula in Aegypto facere exortum. In
der That besteht zwischen dem 25ten Juni und dem 20ten
Juli, dem wahren Epochentage, ein Unterschied von 6 + 19
= 25 Tagen, welche einem Jahrhundert: 25X4, ent-
sprechen. Die Correctur XIII. Cal. statt XII. Kai. habe
ich schon früher gerechtfertigt.
Rechnet man nun in derselben Weise vom Epochen-
tage der alexandrinischen Fixirung: 29. August, bis zum
Epochentage des Sothisfrühanfgangs am 1. Thoth des
Wandeljahres: = 20. Juli, zurück, so erhält man 28+12
= 40 Tage. Diese ergaben 40 X 4 = 160 Jahre und diese,
bezogen auf den Schluss der Periode: 135 n. Chr. ergeben
unfehlbar das Jahr 25 v. Chr, als Epoche der Fixirung.
Dasselbe Resultat wird erzielt, wenn man den Früh-
aufgang des Sirius Anno 25 v. Chr.: am 26ten Epiphi,
auf den 1. Thoth nach vorwärts bezieht. Es verfliessen
nämlich zwischen beiden Daten 5 + 30 + 5 (Epagomenen)
= 40 Tage, welche wiederum das Facit 160 Jahre und die
Epoche: 25 v. Chr. liefern. Leider hat ein Bruch des
Papyrus Rhind6) uns die Constatirung dieser Thatsache
versagt, indess steht wirklich auf einem Fragment „der
Aul gang der Sothisu und da im fixirten Kalender auch
diese Erscheinung fixirt ist, so macht es keinen Unterschied,
dass das Document vom Jahre 21 des Augustus (seit der
6) Vergl. meine oben citirte Abh. über „die Schalttage des Euer-
getes I. und des Augustus."
178 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
Eroberung) datirt ist. So z. B berechnet der Mathematiker
Theon von Alexaudria in seinem so wichtig gewordenen
„Beispiel über den Frühaufgang des Hundssternes" dieses
Phaenomen für Alexandria auf den 29tenEpiphi. Reducirt
man dies auf den Normalparallel der Sothisbeobachtung
d. h. auf Heliopolis, so erhält man richtig den 26ten Epiphi.
Theon rechnet nach dem fixirten Kalender die seit der
Reform des Augustus verflossenen Tetraeteriden zu 102 =
408 Jahren, ein Beweis, dass sowohl die einzelnen Jahre
als die vierjährigen Schaltcyclen seit dieser That der
Fixirung gezählt wurden, womit eine eigentliche A e r a de-
finirt ist. Ebenso zählt er von der Epoche: 29. August
284 als Aera des Diocletian bis auf sein Jahr gerade ein
Saeculum, wie oben Censorinus in Bezug auf Antoninus
Pius gethan hat. Der Anfang dieser Aera des Diocletian,
die von den koptischen Christen Aegyptens stets Aera mar-
tyrum genannt wird, ist zugleich die X^ig Avyovoxov d. h.
das Ende der von ihm auslaufenden Aera. Analog muss
zu cctvo Mevotyqetog das Wort Xrj&g hinzugedacht werden
und dann hat man das interessante Gegenstück zu Herodot's
Molqc (pVTCOi r\v erea elvccKOGia) TeteXevTrjxoTi. So wie diese
auf 1325 v. Chr. als Epoche hinführen, ebenso ergeben des
Theon ezt] axe 1605 J. mit Bezug auf 284 n. Chr., das
Schlussjahr der Tetraeteris 1325 — 1322 v. Chr.
Ich will nun den Gebrauch des fixirten Kalenders auch
in solchen Inschriften nachweisen, die sich zunächst auf den
Kaiser Augustus und seine Familie beziehen.
Am Ostpropylon der Umfassungsmauer des Denderah-
tempels befindet sich zweimal wiederholt folgender Text:
cYjt£Q avToytoaroQog KaloccQog, &eov vlov , Jioc, 'EkevdeQioV)
2eßao~tov, 87tl x. t. X. ol cctio trjg (.irjTQ07toXewg Kai tov
vofxov zo Ttqoftv'kov *'loidi &ea ixeyiOTiß xal tölg ovvvaoig
üeolg.
"Erovg Xa KctioctQog, Qwv& 2eßao~Trj.
Lauthi Augustus-Harma'is. 179
Letronne 7) hat mit gewohnter Meisterschaft nach-
gewiesen, dass dieser in den Monat Thoth fallende Au-
gustustag : 2eßaorrj i^ifQct^ kein anderer als der Geburtstag
des Kaisers : a. d. IX. Kai. Octbr. = 23. September =
26. Thoth gewesen ist. Merken wir uns zugleich das Jahr
31 als untere Gränze des im nächsten Abschnitte zu be-
sprechenden chronologischen Beinamens Harmai's.
Derselbe französische Forscher erwähnt einer Inschrift
aus der grossen Oase : L B ytovxlov Aißiov 2eßaorov 2ovX-
itw.iov TaXßa avToxQccTOQog (Dacocpl a LovXia 2eßaoTJj. Da
Livia nach dem Tode ihres Gatten Augustus den Namen
Julia Augusta erhielt, so ist kein Zweifel, dass ihr Geburts-
tag gemeint ist: 28. September = 1. Phaophi des fixirten
Kalenders. Dass man so viele Jahre nach ihrem Tode unter
Galba ihres Namens und eponymen Tages Erwähnung that,
erklärt sich meiner Meinung nach aus dem Bestand theil
Livius, den Galba in seinem Namenprotokolle führt; er
sollte sich dadurch gleichsam legitimiren, da ja auch Livia 8)
in die Julische Familie aufgenommen worden war ; ihr Ge-
burtstag „dies natalis Augustae" wurde natürlich unter
ihrem Sohne Tiberius gefeiert.
In Bezug auf diesen Stiefsohn des Augustus hat uns
der unerschöpfliche Tempel der Hathor-lsis-Sothis von Den-
derah ein wichtiges Doppeldatum bewahrt, welches ich in
meinen „Zodiaques de Denderah" ausführlicher behandelt
habe. Es lautet: cYtcsq avxoxqazoqog TißeQiov Kaiaaqogj
Nsov SeßccOTOv, dsov 2eßccOT0v vlov, Ircl ^ivXov x. %. X. ol
CLTto %r\g nrjtQOTtoletog y,al tov vö(xov to tiqovclov ^icpqoöiriß
&ea fieyiOTfl %al zöig ovvvdoig deolg 9). L xa Tiße\_Qiov xal-
7) Cl. I. 80 sqq.
8) Tacitus Annall. I, 14; VI, 5.
9) Dieses &fols hat H. Dümichen in seiner neuesten Publication
ausgelassen („Baugeschichte des Denderatempels" pl. X.")
180 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 5. Mai 1877.
oaoog 140-vq x« Seßaorfj]. Das Monalsdatum : „den 21ten
Athyr", hat schon Letronne an der zerstörten Stelle mit
Sicherheit ergänzt. Den wichtigen Schluss JSeßaoTjj hatte
ich dem Duplicate der Inschrift entnommen, welches nur
von Cailliaud bemerkt worden war; den Anderen war es
entgangen, da es höher steht und stark verwischt ist.
Zum Ueberflusse haben wir aber dasselbe Doppeldatum :
21. Athyr* = 17. November, Geburtstag des Tiberius, in
den hieroglyphischen Emblemen des Thierkreises selbst. Auf
der einen Seite als eponyme Gottheit des Monats Athyr,
sitzt Hathor mit einem Jungen (Tiberius) auf der Hand ;
sie hat hinter sich das Doppelemblem der Dekade : eine in
5 Doppelwindungen geringelte Schlange und einen recht-
winkligen Steinblock -- vergl. die Pyramidenstufen als
Repräsentanten der Dekaden. Gegenüber, wo die strahlende
Sonnenscheibe aus dem fioqiov der Himmelsgöttin hervor-
kommt, ist der Hathorkopf mit den bekannten Kuhohren
auf einem Doppelblocke angebracht; das ist wieder ein
emblematisches Bild für den 2 1 ten Athyr, wo zwei Dekaden
vorüber sind und die dritte beginnt. Bestünde noch ein
Zweifel über die Absichtlichkeit des Horoscops, so würde
die exceptionelle Form der Strahlen des Sonnenlichtes den-
selben sofort heben : dieselben sind in e i 1 f ' Schichten ge-
ordnet, die sich nach unten pyramidal erweitern; jede ein-
zelne besteht aus siebzehn Dreiecken; das Ganze ergibt
den aenigmatischen Ausdruck für das Datum 17./11. d. h.
den 17. November, wie wir dies jetzt noch so schreiben.
In jüngster Zeit ist durch die rastlosen Bemühungen des
H. Dümichen an der Aussenwand desselben Tempels ein neues
Doppeldatum zum Vorschein gekommen. An der südlichen
Aussenwand des Tempels von Deuderah, in unmittelbarem
Anschlüsse an die Legenden des Augustus, ist Tiberius
Claudius Caesar Augustus Germanicus Imperator in Anbe-
tung vor Osiris-Nilus und Seb (Kronos) dargestellt. Die
'
Lauth: Augustus-Harma'is. 181
unterhalb angebrachte griechische Inschrift besagt, dass für
den Frieden und die Eintracht dieses Kaisers die beiden
Götter dargestellt wurden unter der Praefectur des L(e)ucins
Aemilius Rectus und der Epistrategie des Tiberius Julius
.... us, sowie der Strategie des Arius. Das Datum selbst
lautet: ^'Etovq B Tißeqlov KXavdlov KaioaQog 2eßccöTov
reQf^aviKOv -AvtoxQccroQOQ 0aQf,iov&l («7? xiy?) 2eßaoTjj.
Offenbar haben wir hierin wieder ein Doppeldatum, da ein
Tag des Pharmuthi als SeßaoTrj tj[4EQa genannt ist. Leider
hat ein Ausbruch des Steines die Zahl hinter (Daq^iovd^i be-
schädigt ; nach den Spuren zu urtheilen , kann es nur 1 8
oder 28 gewesen sein d. h. der 14. oder 24. April des rö-
mischen Kalenders.
Ausser dieser chronologischen Bedeutung enthält die
Darstellung und Legende manches Eigenthümliche. So hat
z. B. Osiris den Beinamen I^q Nefer-hotep, wie der in
Theben bleibende Chonsu, während sein Agent Chonsn-p-
ari-secher „Ch. der Beschlussausführende" genannt wird.
Ich glaube daher , dass Osiris „der Gute , der Ruhende
(gOTn bedeutet auch reconciliare) die Ausdrücke vicsq
el(H]vrjg xal opovolag darstellen soll. Dass er wiederholt als
Nil, Lotosblume und Schlange im Texte erscheint, enthält
die Andeutung der Seelenwanderung während der 3000 J.
der doppelten Phoenix periode. Den Kaiser Claudius wie
er dem Osiris den Lotos überreicht, begleitet die Legende:
„Herbeibringung einer Nymphaea Lotus für seinen Herrn,
um zu befriedigen den Gott durch ein Lieblingsgewächs,
diesen Gott inmitten seines Gewässers. Es möge sich freuen
dein Herz über das was ich gethan". Hinter dem Kaiser
läuft ein verticaler Textstreifen: „Es ist der Kaiser Clau-
dius stehend, in seinem Hanse als lebendes Abbild des
n q /wwva
Wiederauflebenden //■Y"/WWVA (Nilus) indem er aufrichtet
B 1 /WWV\
182 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 5. Mai 1877.
die Lotosblume für (tragend ?) die Seele des Osiris , indem
er aufstellt den Gott als Lotos. Er ist ja der Herr der
Gefilde, der an Pflanzen reichen, welcher sich verjüugt als
Lotos des Gewässers'4.
Der wiederauflebende Nil, der Verjüngungsprocess, die
Schlange # "Jj (j JL ahäi (oge duratio) welche man auch
%*^Ek CIT «erpens SÖT^lf »SchlauSe
qerh, auftauchend aus dem Lotos" heisst, besonders aber
die wiederholte Nennung der Seele des Osiris mit dem
Zusätze c^^vx^o M J§ 'rf^ , „foecundans
foeminas, prolificans patres familias, quos amat" scheint mir
entschieden auf die beständige Wiederholung der Generation
hinzudeuten. Dazu passt die Legende des Gottes Seb:
der Stammhalter (nicht veojtcctoqI) der Götter, der Rührige
<fe^<£N<^\ — b (Gegensatz zum „Ruhigen") unter den Himm-
lischen (3>T deus), der göttliche Meister in Denderah,
der Grossfürst , welcher erschafft die Wesen und umgibt
den Thron des Osiris — Tat 10)-chepes". Auf Seb (xgovog,
XQovog) bezieht sich wohl auch zunächst der verticale
Text: „Ich gebe dir Zutritt zu dem Sitze der Bedrängten
10) Das Zeichen u tat wird oft mit der Figur des Osiris amal-
gamirt; «3]L ist chepes zu lesen und — dem semit. ^"©n frei vor-
nehm opp. dem Sclaven; von Dingen gesagt „prächtig". Damit har-
monirt die häufige Schreibung qLll _ chepesi; der Lesung des ma-
sorethischen chapeschi entspricht das demot. '"■Fanfl^ scheps-
cliau, sonst steht g jl =: AStM, beide im Anlaut assibilirt.
Lauth: Augustus-Harmats. 183
(Osiris), welchen dein Herz wünscht, ich verlängere deine
Jahre in Aegypten" spricht er zum Kaiser Claudius.
Es kann daher auch nicht befremden , dass man dem
alterthümelnden Claudius den Gefallen that, genau im Jahre
800 ab Urbe condita einen Phoenix nach Rom zu bringen
und sogar auf dem Forum aufzustellen. Aber des Plinius
Satz „quem f als um esse nemo dubitaret" ist eben so zu-
treffend, wie des Tacitus Bemerkung (Amial. VI, 28) über
den Phoenix vom Jahre 21 des Tiberius: ,,unde nonnulli
f als um hunc phoenicem neque Arabum e terris credidere
nihilque usurpasse ex his, quae vetus memoria firmavit.1,
Diess äussert er im unmittelbaren Anschlüsse an den Satz:
,,inter Ptolemaeum (tertium ex Macedonibus, also Phila-
delphum) ac Tiberium minus [D:] Ducenti quinquaginta
anni fuerunt." Da im J 275 v. Chr. unter Philadelphus
die Sommerwende mit dem 1. Pachons zusammenfiel, so
stimme ich H. Lepsius bei, wenn er dort eine Epoche der
Phoenixperiode ansetzt. Nun trifft es sich aber, dass
die dritte Tetramenie, welche durch den Monat Pachons
eingeleitet wird, auch in der Sothisperiode einem
Zeiträume von 4 X 120 + 5 X 4 = 500 Jahren ent-
spricht, sowie dieser der Phoenixperiode einer Tetramenie
eignet. Jetzt wird man besser verstehen , warum Tacitus
sagt : ,,maxime vulgatum quingentorum annorum spa-
tiumu (des Phoenix für eine Tetramenie) und sofort hin-
zufügt: „sunt qui adseverent, inille quadringentos
sexaginta unum interjici, prioresqne alites Sesostride
primum, post Amaside dominantibus, dein Ptolemaeo,
qui ex Macedonibus tertius regnavit, in civitatem, cui He-
liopolis nomen, advolasse". Mag man nun meine obige
Correctur des Textes zu [D :] Ducenti quinquaginta anni
fuerunt, billigen oder nicht ; jedenfalls ist eine Zweitheil iing
der 500 Jahre in je 250 angezeigt. Dass diese Zahl sich
für das Intervall Amasis-Philadelphus bewährt, liegt auf
[1877. I.Phil, bist. CK 2.] 13
184 Sitzung der phüos.-phLol. (Hasse vom 5. Mai 1877.
der Hand; ebenso führt die Rechnung von 275 auf 25 v.
Chr. in das Epochenjahr der Fixiruug des Kalen-
ders unter Augustus. Im Gegensatze zu den falschen
Phoenixen des Tiberius und Claudius ist der wahre Phoenix
dem Augustus zuzuschreiben und zwar die Hauptepoche
desselben, da 25 v. Chr. die unter Sesostris 1525 v. Chr.
anhebende Periode von 1500 Jahren zu Ende geht und eine
neue beginnt.
Da ich diesen Gegenstand in meiner Abhandlung über
die Schalttage weitläufiger besprochen habe, so verweise
ich hier auf diese Arbeit und hebe nur den Punkt hervor,
der wohl einleuchtend geworden sein dürfte: dass wir mit
dieser Epoche des Phoenix 25 v. Chr. die eigentliche Ur-
sache oder doch Veranlassung aufgespürt haben,
warum gerade in diesem speciellen Jahre, und
nicht schon bei der Eroberung selbst, die ägyptischen
Gelehrten dem Augustus zu Ehren die Kalen-
derreform eingeführt haben.
Der Titel Papamahte.
In dem wichtigen Doppelpapyrus Rhind, der zugleich
eine Art Bilinguis ist, da der Text hieratisch und demo-
tisch geboten wird, sind die Todestage des Ehepaares Sauif
und Tanua, welche um 48 Tage auseinander liegen: 10.
Epiphi und 28. Mesori, angegeben und in das 21te Jahr
Kaisaros d. h. des Augustus gesetzt. Beide Male hat
der Name des Kaisers den Zusatz m \ x\ Var.
m \ iTx\ . H. Goodwin11), dessen Scharfsinn sich
schon so oft bewährt hat, ist auf den guten Gedanken ge-
kommen, die Form 2£^^ mahnt dieses Zusatzes mit dem
11) Zts. f. äg. Spr. 1867, 81.
Lauth: Äuyustus- Harmais. 185
koptischen n^n^M^^Te titulus Augusti, potentissimus, zu
identificiren, Ohne Zweifel haben die Uebersetzer an
^Ai&^Te potestas gedacht und da dieses Wort masc. gen.
ist, so hat* die Praefigirung des Artikels n, so wie die des
Possessiv-Artikels n^ zu dem Compositum n^-n-^M&gTe
o zrj-g dvvdjLiewg = potentissimus, grosse Wahrscheinlichkeit
für sieh. Und dennoch ist diese Bedeutung falsch. Denn
die Gruppe f^T^ hat beide Male die Papyrusrolle, nicht
aber den bewaffneten Arm s □ hinter sich. Wir müssen
also die gewöhnliche Bedeutung m\^ iraplere festhalten,
welche vom Determinativ der Papyrusrolle begleitet zu sein
pflegt.
Die Tanitica liefert uns den authentischen Beweis für
die Richtigkeit dieser Ansicht. Der Satz: I QUM j
n H >r" ~Z^ $H 'fM "^s ^^ s^ nUD' ^ass (diese
Mängel des Kalenders) verbessert und ergänzt worden
sind durch die beiden Götter Euergetenu hat auf die ganz
identische Pixirung des Wandeljahres Bezug, wie sie
unter Augustus zum zweiten Male eingeführt ward. Der
griechische Text übersetzt wörtlich: av^ßeßtjKev öloq-
Üwodai Kai äv<x7te7tkr]Qa)G&aL diä vwv EvegyeTtov
&ewv. Man sieht auch ohne meine Erinnerung, dass sich
, °^\ und ävccTtejtlrjQioo&cu entsprechen.
Nachdem so die Bedeutung der fraglichen Gruppe fest-
gestellt ist, handelt es sich um die grammatische Construc-
tion des Satzes. ,,Jahr 21 Kaisar's, dessen Thun die Er-
gänzung" bietet sich ungezwungen dar. Man muss berück-
sichtigen, dass im Aegyptischen das Participium auf ut
oder tu, gewöhnlich mit passiver Bedeutung behaftet, bei
Praefigirung des bestimmten Artikels , wie ' in dem vorlie-
genden Falle, den Sinn eines abstracten Substantivs erhält:
la*
186 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 5. Mai 1877.
pa-mahtu bedeutet also wörtlich „die Ausfüllung, die Er-
gänzung 12). Trat nun der Possessivartikel n&. vor dieses
pa-mah-tu so wurde daraus kopt. nev-n^-M^^Te 6 rrjg dva-
TrlrjQcooeiog, offenbar ein wichtigerer Titel als potentissinius,
abgesehen davon, dass er sich auch als der richtigere er-
wiesen hat. Denn es lässt sich leichter begreifen, dass die
Kopten den Augustus wegen seiner That der Ergänzung
des Wandeljahres zum fixen Jahre mit einem eigenen Bei-
namen bedacht haben, als dass in ihrer Litteratur sich der
Potentissinius behauptet hätte, dessen Prototyp noch nicht
einmal aufgezeigt ist.
Abgesehen von Euergetes I. und Diocletian, zwischen
denen Augustus in der Mitte steht, wesshalb er in der
Keihe der Kalenderreformatoren nicht mit Stillschweigen
übergangen werden konnte, liefert derselbe Papyrus Rhind
einen greifbaren Beweis für meine Erklärung der Gruppe
en pa mah-tu au ari-f, „dessen That die Ergänzung" =
ndaiÄ.M^£Te durch den Umstand, dass das „Jahr 21 Kai-
sar osu eben nichts anderes ist als ein Schaltjahr, in
welchem sich die That des Augustus practisch geltend
machte. Denn da die Aegypter ihr Schaltjahr um eine
Stelle früher hatten, als der römisch-julianische Kalender 13),
so waren die Jahre 2, 4, 6, 10 etc. = 26 Schaltjahre;
das 21te Jahr ist aber zusammenfallend mit 10 v. Chr.
Man sieht, dass der Schreiber der Rhind-Papyri einen
triftigen Anlass hatte, bei seiner Datirung „Jahr 21 Kai-
sar os" den Beisatz „dessen That die Ergänzung ist" anzu-
fügen. Noch wichtiger ist ein andrer Titel oder vielmehr
Beinamen.
12) Auch das latein. Particip auf tum wird so gebraucht, z. B.
Liv. VII. 22 tentatum „der Versuch" ; VII, 8 diu non perlitatum „die
lange unzusagende Opferung" cf. I, 53; IV, 18, 59.
13) Boeckh: „Manetho etc. p. 24 auf Grund des fragm. Dodwell.
Lauth: Augustus- Harmais. 187
Harm a i' s.
Die bisher entwickelten Punkte haben hoffentlich die
Ueberzeugung begründet, dass in der That die anno 25 v.
Chr. unter Augustus fixirte Jahresform im Gebrauche war
und dass der Titel nAJiivM^gTe als Signatur dieser Neu-
erung zu betrachten ist. Aber das alte Wandeljahr zu 365
Tagen , welches ohne alle Einschaltung fortschritt , und
wegen seiner Priorität im Verhältniss zu der Neuerung mit
xar' ccQ%aiovQ — kccz1 ^ilyvmiovg, „sicut institutum est
ab antiquis" bezeichnet wurde, hatte dadurch seine Geltung
nicht verloren. Sowohl die Gelehrten, wie schon so manche
der citirten Beispiele beweisen, bedienten sich desselben bei
ihren Rechnungen fortwährend, als auch in Inschriften
von Privaten erscheint dasselbe neben dem fixen Jahre.
Als sein Symbol ist der Beiname des Augustus: Harmais,
zu betrachten, dessen Enträthselung ich im Folgenden ver-
suchen will. Den Einwand, dass man von Augustus bisher
diesen Bein amen Harmais aus classischen Quellen nicht
erfahren habe, dürfte schon die Erwägung beseitigen, dass
auch kein griechischer oder römischer Autor seinen Titel
Papamahte erwähnt hat.
Ich hebe aus dem reichen mir vorliegenden Materiale
nur eine Inschrift des Museums von Bulaq hervor. Dieselbe
ist von Brugsch 1"4) mitgetheilt und sachgemäss erläutert
worden. Sie lautet: 'Ytvsq Tißeqiov KaloccQog SeßctGTOv
!A7toXkiovLog y.wfxoyqa^aTevg wteq sccvtov xal yvvai^i (sie!)
Kai zeyivov (sie!) E7Colrjoev riqv ohoöo^riv. L i£ Tißeglov
Kaloagog Seßaorov Tvßq [M. irß. Der Text ist scheinbar
14) Zts. f. äg. Spr. 1872 p. 27. Trotz dieses und anderer Bei-
spiele beharrt H. Brugsch auf der Ignorirung des Wandeljahres.
So nicht nHr in seinen „Materiaux", sondern auch in seiner neuesten
Schrift „Drei Festkalender" wo er sogar den griech. Sphärenlöwen
ägyptisch deutet.
188 Sitzung der phüos.-philol. Classe vqih 5. Mai 1877.
ganz werthlos, da nicht einmal das Monatsdatum deutlich
erhalten ist. Zum Glücke bietet das demotische Original
das Erwünschte, es lautet: „Für das Wohlergehen des Ti-
berios Kaisaros Sebastos , von Seiten des Apollonius 1S)
(Apulanis) Klaudianos , des Stadtschreibers von Abydos
nebst seiner Frau und seinen Kindern, vor Osiris Horus
Isis, den Göttern des Tempels von Abydos und den Göttern
der Bestattung, und denen, welche nachher (bestattet wer-
den), sintemalen er es ist, welcher gemacht hat die Wieder-
herstellung des Hauses in dem Tempel von Abydos. Ge-
schrieben im Jahre 17 des Tiberios Kaisaros, Sohnes des
Gottes (viov tov S-eov) am 18ten Tybi des Joniers, welches
macht den 1 sten Mechir des Aegyptersu.
Mit letzterem Ausdruck ist das Wandeljahr gemeint,
während der „Jonier" die alexandrin ischen Hellenen, also
den fixen Kalender der Augusteischen Reform bezeichnet.
Die Reduction auf den römischen Kalender ergibt den
13 ten Januar des Jahres 31 n. Chr. Dadurch ist die Er-
gänzung des griechischen Textes, welcher bezeichnender
Weise nur nach dem jonischen d. h. fixen Kalender datirt,
sicher gegeben; das vor der Zahl IH noch vorhandene
Zeichen entpuppt sich als M. Abkürzung für Mrjvog, wie
ja auch das Decret von Kanobos den Ausdruck vov\x^vla
tov JJavvl f.irjvog gebraucht.
Dieses einzige Beispiel genügt zu der Constatirung des
Factums, dass neben dem unter Augustus fixirten das alte
ägyptische Wandeljahr von den Aegyptern fortwährend zur
Geltung gebracht wurde. Da nun vermöge der Verschiebung
dieses Wandeljahres im Verhältniss zum festen Sothis-
jahre im Jahre 5—2 vor unserer Aera, der Frühaufgang
des Sirius auf den ersten Tag des Monats Mesori über-
15) Nicht Amonios, wie Brugscb liest; auch in andern Punkten
jnuss ich von ihm abweichen.
Laulh: Augustus- Harmais. 189
ging, so ist es gewiss sehr natürlich, class die Aegypter aus
Anlass dieser Comcidenz dem Augustus einen entsprechenden
Beinamen ertheilt haben werden. Ist nicht in ganz
analoger Weise für die Kalendarische Reform des Euer-
getes I. die vov\.u}via %ov Ilavvl jnt]vog gewählt worden ? Diese
liegt um zwei Monatsverschiebungen (hanti) vor der Coi'n-
cidenz anno 5 v. Chr., was nach leichter Berechnung einen
Zeitabstand von 2 X 30 X 4 — 240 Jahren ergibt. Nachdem
ich nun bereits 16) für Augustus einen von der eponymen
Gottheit des Monats Mesori hergenommenen Beinamen
vermuthet hatte , gereichte es mir zu wahrer Befriedigung
das theoretisch Vermuthete über alle Erwartung bald in
einer factischen Ringlegende verkörpert zu sehen — es ist
der Beiname Harmais.
Der reichhaltige Tempel von Denderah bietet unter
seinen vielen Textschätzen auch diesen Fund, den wir der
Publicatiou des H. Dümichen verdanken. Er sagt darüber
ad tab. IX: ,,die die unterste Bilderreihe der nördlichen
„und südlichen Aussenwand eröffnenden Kaiserbilder , an
„welche sich auf beiden Seiten dann in der Richtung von
„Osten nach Westen die Darstellungen der Bauceremonien
„anschliessen. Das untere Eckbild (a) an der. nördlicheu
„Aussenwand soll uns den Kaiser Augustus vorführen,
„während in dem an der südlichen Aussenwand angebrachten
„(b) der dort dargestellte Herrscher den Namen Halmis-
„(Harmis-) Kaisaros „Liebling des Ptah und der Isis'* führt
„. . . Da der so geschriebene Kaisername sonst nirgend,
„so viel mir bekannt, bis jetzt aufgefunden worden und er
„auch in Dendera nur in ein paar Feldern der südlichen
„Aussenwand vorkommt, da ferner dort in den Feldern vor-
„her und in denen darüber nur die Schilder des Augustus
„und Claudius eingetragen sind, worauf dann an der an-
16) In meinem Buche: „Aegyptische Chronologie14,
190 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
„stossenden Wand des Hypostyls der Name Nero auftritt, so
„vermuthe ich, dass wir in dem Namen Harmis nur einen
„Beinamen des Cajus-Caligula haben. Dieses alle Laster
,,und Thorheiten in einem an Wahnsinn grenzenden Maasse
,,in sich vereinigende Scheusal gefiel sich bekanntlich auch
„eine Zeitlang besonders darin, den Gott zu spielen und
„bald als Hercules mit dem Donnerkeil (!?), bald als Neptun
„mit dem Dreizack, bald als Apollo mit der Kithara vor
„der versammelten Menge aufzutreten; es Hesse sich daher
„auch in dieser Erwägung der Name Harmis (die hiero-
„glyphische Schreibung für Hermes), einem Kaiser hier bei-
gelegt, der nach Augustus und vor Nero regiert haben
muss, sehr wohl auf Caligula deuten. Das dem Namen
noch besonders hinzugefügte Bestimmungszeichen für alles
„Fremdländische, das Zeichen des Pfahles, würde gleichfalls
„ein durchaus passendes Determinativum für den nicht
„ägyptischen Götternamen Hermes sein". So weit H.
Dr. Dümichen.
Beide Vermuthungen dieses Gelehrten sind nicht zu-
treffend. Was zunächst die Zutheilung des fraglichen Na-
mens an Cajus Caligula betrifft, so ist sie durch kein
äusseres Symptom motivirt, da ja zwischen Augustus und
Nero ausser ihm auch noch Tiberius und Claudius stehen,
also ebenfalls auf den Namen Harmis Anspruch erheben
könnten. Sodann hat H. Dümichen selbst durch seine
Gegenüberstellung dieses Harmis vis-ä-vis dem unbestrittenen
Augustus, unbewusst oder vielleicht nur in Rücksicht auf
die Symmetrie, das Richtige getroffen, nur dass man
seine Tafel IX. von der Rückseite betrachten muss, damit
sie seiner eignen Angabe entspreche, wonach die zwei
Kaiserbilder den Anfang der von Ost nach West streichenden
Darstellungen bilden. In der That ist die Symmetrie beider
Kaisergestalten und Legenden eine so vollständige, dass an
ihrer Zusammengehörigkeit und Zutheilung an einen
Lauth: Augustus-Harma'is. 191
Kaiser nicht gezweifelt werden kann, obschon sie iu der
Wirklichkeit um die ganze Breite des Tempels von ein-
ander entfernt und nicht so unmittelbar gegenüber gestellt
sind, wie auf Taf. IX. der Publication des H. Dümichen.
Alle Symptome weisen darauf hin , dass sich beide
Kaisergestalten zu einander verhalten wie rechte und linke
Seite ; die Symmetrie ist eine vollständige : der Harmis hat
den weissen Hut Q auf dem Haupte, da er ja der Süd-
seite entspricht, die bekanntlich bei der Aufzählung der
vier Weltgegenden den Anfang macht ; es behauptet dess-
halb der Name Harm(a)is eine bevorzugte Stellung. Ihm
gegenüber tritt, mit dem rothen Hute V bedeckt, natur-
gemäss derselbe Kaiser mit seiner gewöhnlichen Ring-
Legende: hyq-hyqu sotepn Ptah ßccoiXevg ßaoiXewv ov o
"HcpmoroQ iSoxlfiaöev, da ja V überhaupt der Nordgegend
eignet. Beide Namen: Harm(a)is und hyq-hyqu, haben
hinter sich das sogenannte Hauptschild „Kaisaros aiwvoßwg
Liebling des Ptah und der Isisu. Dieser unstreitig dem
Augustus eignende Hauptname ist aber identisch mit der
auf derselben Tempelwand (West) stehenden Legende des
Ptolemaios XVI: „Kaisaros altovoßiog, Liebling des Ptah und
der Isis".
Man sieht, wie man dem wirklichen Sohne des Jul.
Caesar und der Kleopatra VI Philopator nicht bloss das
Leben, sondern auch den Namensring zu Gunsten des mäch-
tigen Adoptivsohnes Caesar Augustus genommen hat.
Weiter bekundet sich die Symmetrie und damit die
Zusammengehörigkeit beider Kaiserbilder durch die An-
bringung der nämlichen Scepter: ,,der £&.t [ ist in meiner
Rechten beim Heiter (berühmt)- machen ihres (der Göttin
Hathor-Isis-Sothis) Tempels" — der OTpAX (baculus ro-
192 Sitzung der phi'os -philol. Clatise vom 5. Mai 1877.
tuixlus, seipio) ist in meiner Linken, beim urrein 17)
macheu ihres Strahleubaues". Natürlich gehört diese le-
gende zu Q , und die dem \f eignende, wo sie fälschlich
steht, ist entweder nicht ausgeführt oder beim Copiren ver-
gessen worden; sie müsste sicherlich die Ausdrücke Rechte
und Linke vertauscht vorbringen.
Die Symmetrie setzt sich fort in der hinter beiden
Kaiserbildern aufrechtstehenden Stange mit einer gekrönten
Königsbüste; sie wird gehalten von je einer männlichen
Gestalt, welche ein Armpaar U und in diesem die soge-
nannte Bannerdevise auf dem Kopfe trägt. Diese lautet für
beide gleichmässig: „Hor-Ra der starke Stier, der Strahlen-
glänzende". Die Büste selbst wird beide Male erläutert
,,die lebende Königspersonification des Herrn der beiden
Länder in dem Tuat-Hause von Tarer (Tantarer = Tiv-
TVQct) Var. „vom Hause des Sistrums" (mit dem bekannten
Hathorcapitäl). Den die Büstenstange haltenden Männern
werden die Worte in den Mund gelegt : „Ich bin hinter
dir, ich schütze dich auf Erden, tödtencl deine Todfeinde in
der Tiefe" — „ich umfasse und vereinige dein göttliches
Bild mit der Tochter des Seb, ich erhebe meine beiden
Arme zu der Grossen."
Nur in einem Punkte hat der Südhut und also auch
Harm(a)is ein Plus aufzuweisen: es ist die hinter all den
genannten Bildern und Textcolumnen angebrachte Thüre
mit der Legende: lA^Sl „die grosse Pforte". Siesoll
augenscheinlich wieder den Vorzug der Südseite ausdrücken
und andeuten, dass der Eintritt, also der Anfang, auf dieser
Seite zu suchen ist. Hiemit ist noch einmal bewiesen, dass
Harmais ='' Augustus.
17) Ich habe das Wortspiel in etwas nachzuahmen gesucht. Solche
Alliterationen und Wortspiele kehren stets wieder-
Lauth: Augustus-Harmais. 193
Nunmehr, nachdem die Zugehörigkeit des fraglichen
Namens zum Protokolle des Augustus dargethan, und jeder
Gedanke an Cajus Caligula ausgeschlossen ist, handelt es
sich um die Deutung des ?Qi<==(rD ^V [ ( I jffi J
Die Einleitung der Ringlegende Harmais, nämlich „Herr
der beiden Länder" ist blosse Variante für ^sr ßccöiXevg
rcov ze ccvcü y,ai rcov %dcto %ü)qiov; der Beweis hierfür liegt
schon darin, dass hinter diesem Ringe der andere mit der
Legende Kaisaros folgt, welcher durch OQ& viog cHllov,
KUQiog rcov ßaoilsitov eingeleitet ist.
Nun würde zwar die Gruppe Harm(a)is sich mit 'EQfiirJQ
'EQ^eiag wohl vereinigen lassen, um so mehr als Augustus
in Denderah so häufig „Sohn, Spross des Dhuti" (mit
mancher variirenden Schreibung18) z. B. „Sohn des Yjj j
Htuti (Dhuti) genannt ist. Allein „Sohn des Hermes" und
, , Hermes'1 sind doch keine congruenten Ausdrücke; ausser-
dem heisst Augustus ebendaselbst „Sohn des Schu, des Seb
etc. ohne dass ein solches Praedicat je zu einem integri-
renden Theile seines amtlichen Protokolles geworden wäre.
Solche Bezeichnungen sind nicht anders zu beurthoilen als
der oft wiederkehrende Satz „ro dUaiov diisvei^ev Ka&cc7teQ
'Egiurjg 6 fAsyag xai f,i£yccg.
Dazu kommt, dass keiner von diesen gelegentlich an-
gewendeten Ausdrücken in einen Ring eingeschlossen er-
scheint, wie der fragliche Namen Har(m)ai"s. Ja dieser be-
hauptet auch dadurch noch einen besonderen Vorrang, dass
er das sogenannte Thronschild bildet. Wenn z. B. der
Name 'OoviAtxvdvctg sich auf Ramses IL bezieht, welcher
schon als Prinz Ramessu hiess, aber erst mit der Thron-
18) Dümichen: Baugeschichte pl. XLIV, L.
194 Sitzung der philos.-philol. Clause vom 5. Mai 1877.
besteigung die Legende Ra vesu(r)-ma (nuti aa) annahm,
woraus jener yOou^a~vdv-ag entstanden ist — so lässt sich
sich in Bezug auf Harmais etwas Adaequates vermuthen,
dass er nämlich entweder der Thronbesteigung oder viel-
mehr der chronologischen Co i neide nz eignet, weil
mit solchen von Alters her eine Neudatirung und
Wiederkrönung verbunden zu sein pflegte.
Gegen die Gleichung Harm(a)i's = '.B^i^g besteht auch das
formelle Bedenken, dass i gesetzt ist. Ziehen wir das Bei-
spiel der Nekropolbezeichnung bei : ra^,_^_2c^ Hades
33 C^4iöt]g, so sieht man in der ersten Sylbe keine Spin-
des Iota subscriptum — offenbar wurde es damals schon
nicht mehr ausgesprochen — und in der zweiten Sylbe
überhaupt keinen Vokal, also auch beim i (|(| für das griech. 17.
Seit meiner Entdeckung19) der Prototype von dlxai und
tccozal (alq-hahu, fast-hahu) kann aber in Betreff der
Gleichheit jenes Hades mit l!didr]g kein vernünftiger Zweifel
mehr bestehen.
Es ist ferner unerweislich, dass Augustus den Beinamen
Hermes-Mercurius erhalten hätte, obschon bei seiner Per-
sönlichkeit jedenfalls besserer Anlass sich bieten mochte,
als bei Cajus Caligula. Dagegen spricht Alles dafür, dass
man bei Gelegenheit der Coi'ncidenz des Sothisfrühaufganges
mit dem 1. Mesori Anno 5 v. Chr. ihm zu Ehren den be-
treffenden Bau am Tempel der Hathor-Isis-Sothis begonnen
und den Beinamen c^4ojLiaig in seinen Throuring eingeschrieben
hat, um damit die Epoche selbst zu bezeichnen, wie es
sonst durch ein astronomisches Horoscop zu geschehen
pflegte.
Man erinnere sich au die Inschrift vom Ost-Propylon
von Denderah, welche auf das 31. Jahr des Augustus lautet.
Das Jahr 5 v. Chr., mit welchem ich die Einführung des
19) „Zeitschrift für äg. Sprache und Alterthumskuude" 1866.
Lauth: Augustus-Harmais. 195
Beinamens Harmais in Verbindung bringe, ist das 26ste
Jahr seiner ägyptischen Regierung — man sieht, wie der
Bau des Propylon, der naturgemäss später fallen musste,
denn der der Tempelwand, als untere Grenze vortrefflich dazu
stimmt.
Was ist nun aber Z^Qpai'g, die bei den Griechen jener
Zeit gebräuchliche Form, anders als v\ ~ oder v^T
Harmachu = c!AQfxa%ig^ durch die Mittelstufe eines theba-
nischen Harmahu zu c^AQfxa-\g und "Aq^ciiq, ja selbst L4q(xaig
geworden? Dieser so graecisirte Namen erscheint in den
bilinguen Contracten ausserordentlich häufig und immer
entspricht er dem ägyptischen Rar-m-achu. Diese Form
des solaren Gottes ist aber eponym für den 12ten Monat
des Jahres: Mesori; folglich kann über die Zulässigkeit
meines Ansatzes kein Bedenken obwalten.
Wer sich daran stossen wollte, dass ein ursprünglich
ägyptischer Name wie Harmachu aus der abgeschliffenen
griechischen Form "AQfjiaig in Hieroglyphen umgesetzt und
desshalb mit ] dem Deutbilde des Ausländischen, versehen
worden sein sollte, den verweise ich auf das analoge Bei-
spiel der Tanitica: hier ist der zweite Bestandtheil des
hybriden Namens (DiX-dfipiov nicht fi1— — JM^ geschrieben,
wie man erwarten möchte , sondern v\ *sjv 12\ gjj, weil
buchstäblich in Hieroglyphen übersetzt. In unserem Falle
waltete übrigens eine besondere Absicht bei dieser Entleh-
nung der griechischen Legende 3!Aqfiaigt Wer sich mit
ägypt. Texten befasst hat, muss beobachtet haben, wie die-
selben von Anspielungen förmlich wimmeln. Da der
Monatsname Meooqi) aus (jJM^v Mes-hor-re gebildet fet, so
196 Sitzung der p?iilos.-philol (lasse vom 5. Mai 1877.
bot die Schreibung ( rü^\ (1(1 Mrjr J Harmais don
Vor th eil, dass man an Mes-har erinnert wurde, was bei der
Legende Har-m-achu nicht der Fall ist. Die schwache As-
piration HD = ' statt x = *' entspricht einerseits dem
Spiritus lenis der Form y!Aq(xa'i^ andererseits dem Lenis in
Meo-oot], das aus Meo-OQrj abgeschwächt ist. Aehnlich
umschreiben die Kopten eiQrjvr] durch ££ipHttH und dieses
Wort als Eigennamen erscheint in der bilinguen Philensis
so wie in der Rosettana als WW %\J| He(i)rina*t =
Eloyvrj mit einer Spur des Itacismus.
Aus diesem Epochalnamen des Augustus: Harmais
scheint auch seine Benennung Öeög v£r zu stammen.
Während er nämlich sonst, wie z. B. in der Inschrift des
Propylon vlog &eov, nämlich „Sohn des Jul. Caesar" ge-
nannt wird wie Caesarion in einer demotischen Urkunde
„Sohn des grossen Gottes, der alle Menschen leben macht "
heisst, wird Tiberius in der oben citirten Bilinguis von
WWA r—l /WV> V\
S==JW]' des Gottes" genannt. Ob damit
die Bezeichnung &eov iviavrog für eine Periode zusammen-
hange, braucht hier nicht näher erörtert zu werden, da ich
darüber schon anderwärts gehandelt habe. Aber die andern
Dynasten mit dem Epochalnamen Harma(chjis gehören
hierher.
An der Spitze steht der Gott Harmachu selbst. In
einer Inschrift von Edfu wird seine 363 te Tetraeteris er-
wähnt, zum Beweise, dass man ihm eine volle Sothis-
periode zuschrieb: _S^mn UX^^j- Der
Tag ist ebenfalls bedeutsam: es ist der Uebergang vom
2ten Epagomen: Mes-hor „Geburt des Horus" zum 3ten:
Lauth: Augustus- Barmais. 197
Mes-Seth. In der That besiegte er diesen Widersacher
unter dem genannten Datum.
Zum zweiten Male tritt der chronologische Epochal-
name unter der Form Arminon bei Censorinus auf. Ich
habe in meiner „Aegyptischen Chronologie" dargethan, dass
in der ursprünglichen Quelle Harm(a)is-hun „der junge
Harma(ch)isu gestanden hat, und dass die damit bezeich-
nete Epoche das Jahr 2925 v. Chr. ist, wo die Anfänge
der VI. Dyn. spielen.
Ein drittes Mal treffen wir den Namen ^giiai'g, 'EQpaiog,
cEQprjg als Cognomen des 2icpd-ag. Ich habe 1. 1. nachge-
wiesen, dass dazu als unterscheidendes Merkmal der Name
Javaog — Qcovig — Qwv gehört und die Epoche 1465 v.
Chr. dadurch bezeichnet wird, eine volle Sothisperiode zu
1460 Jahren von dem vorigen Harmachis-hon entfernt.
Als letztes und jüngstes Glied dieser Kette erscheint
nun der Harmai's-Augustus von Denderah, 1460 Jahre nach
Siphthas, genau im Jahre 5 v. Chr.
Wer sich durch diese zusammenhängende Kette noch
nicht überzeugt erachtet, der möge selbst eine andere Lö-
sung des chronologischen Räthsels, sowie der durch den
monumentalen Harmais aufgeworfenen Frage versuchen.
Fundort und Umgebung.
Es muss neuerdings betont werden , was ich schon
öfter ausgesprochen habe, dass der Tempel von Denderah
in erster Linie als ein chronologischer Bau gedacht worden
ist. Wenn sich nun zeigen sollte, dass ausser unserm Har-
mais Augustus auch noch andere Epochalkönige daselbst in
demonstrativer Weise betheiligt sind, so wird man mehr
und mehr begreifen, dass Hathor-Isis-Sothis nicht umsonst
dort das Scepter geführt hat.
198 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 5. Mai 1877.
Da begegnet uns an der Schwelle der Geschichte, also
in praehistorischer Zeit, die theokratische Herrschaft der
,,Horusdiener". Der geheime Corridor, dessen belang-
reiche Texte H. Dümichen 20) zuerst bekannt gemacht hat,
belehrt uns, dass der Urplan des Tempels in diese frühe
Zeit versetzt ward. Nimmt man die öfter wiederkehrende
Redensart hinzu, „gegeben ward ihr (der Hathor-Isis-Sothis)
die Stadt Ant (Denderah) zum Ersatz A 1 debui Var.
I)*^r asui für Anu (Heliopolis) durch ihren Erzeuger, den
Sonnengott" und erwägt man ferner, dass der Parallel von
Anu für den Conventionellen Sothisfrühaufgang festgesetzt
war , so ist die Kenntniss der betreffenden Periode den
„Horusdienern" nicht abzusprechen. Ich habe Manetho's
Bytes mit der Epoche 4245 v. Chr. coi'ncidirend gefunden.
Unter Chufu (Cheops) ward eine Copie [dieses Planes
genommen, aber, wie es scheint, nicht ausgeführt. Dagegen
ordnete auf Grund des alten Planes, den man im Innern
einer Ziegelmauer des Königspalastes auffand, Phiops-Moeris-
Mev6g)Qt]g: Epoche 2785 v. Chr. einen Neubau an.
Weiterhin treffen wir die Legenden des Königs Ame-
nemhat IlETsa&vQrjg : er entspricht der Epoche 2545 v. Chr.
und heisst nicht umsonst „die Gabe der Hathoru. Sein
Epochaltitel n\ v\ „der wiedergeborene oder neugekrönte11
ist zweimal in Denderah vorhanden, wo er auch „Liebling
der Hathoru genannt wird, während Phiops-Moeris analog
„Sohn der Hathor" heisst.
Thutmosis III. Meocpqrjg: Epoche 1705 legte seinem
Neubau die Copie des zu Chufu 's Zeit gefundenen Bauplanes
zu Grunde. Er stiftete unter andern eine Säule mit Hathor-
capitäl aus Mafek-Metall hinein.
20) „Bauurkunde von Denderah", wiederholt in seiner „Bau-
geschichte" pl. I.
Lauth: Augustas-Harma'is. 199
Ramses IL Sesostris: Epoche 1525 v. Chr. stiftete zwei
Sistra mit Hathorcapitäl , wofür ihm die Göttin eine
Menge von Tetraeteriden verheisst. Er trägt das
Zeichen ,, Jahresanfang'' auf dem Kopfe. Ramses III. NelXog:
Epoche 1325, erscheint ebenfalls daselbst.
Ausserdem Thutmosis IV n. Amenhotep III, die sich
an die Epoche des Thutmosis III. anlehnen. Wie diese
keine eigentlichen Epochalkönige in chronologischem Sinne
sind, so kann man unter den dort vorkommenden Ptole-
maeern (X, XI, XIII, XVI) nur dem Caesarion dieseu Cbaracter
zuerkennen, da er mit Kleopatra VI im Zodiacus figurirt.
Hält man ferner Umschau nach denjenigen Epochal-
königen, welche dem Augustus-Harmachis benachbart sind,
so habe ich über Euergetes I und die Tanitica wiederholt
gehandelt. Das Poppeldatum : Sothisfrühaufgang = 1. Payni
unterliegt keiner Beanstandung und ist damit die Epoche
245 — 242 (xara xb TtQOteQOv xp/jcpiofia !) sicher gestellt. Ob
indess der betreffende Beiname ^^H^ „der des Ver-
besserers1' wegen der Gruppe | ti-meti(r) kopt-
^ai^ concordare gr. öwQdwryQ gelautet hat — ein Ana-
logon zum nÄai&MdwgTe (Augustus 25 v. Chr.), oder ob
er ein vom Monat Payni abgeleitetes Cognomen erhielt,
muss vorderhand dahingestellt bleiben, bis ein neues Denk-
mal, wie die Legende des Harinais, uns den Schlüssel
bietet. k
In Betreff des Euergetes II herrscht kein Zweifel —
das Doppeldatum in Edfu: 23 Epiphi für =18 Mesori
vag spricht dafür, — dass er auf das Centenarium seines Vor-
gängers und Namensvetters Euergetes I. Rücksicht genommen
hat. Ob aber der Epochalname Novfjrjviog, neben welchen
Namen auf Philae sich der Römer Numonius Va(ha)la Anno
3 v. Chr., also währenddes epochalen Quadrienniums 5—2
[1877. I.Phil, bist. Cl. 2.]. 14
200 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
v. Chr., ein sonderbares XIII hinter dem Datum gesetzt hat
(XII/I = 1. Mesori?) dem Könige Euergetes II eignete,
muss vorderhand noch im Stadium der Vermuthung bleiben.
Indess seine Gründung des Tempels der Apape in Theben
lässt erkennen, dass man sich des Sothisaufgaugs am 1 sten
Epiphi 125 v. Chr. bewusst war.
Ich würde, da diese Epoche (125 v. Chr. = Sothis-
frühaufgang am 1. Epiphi des Wandeljahres) ohnehin ge-
währleistet ist, mich hier mit diesem Gegenstande nicht
weiter befassen, wenn nicht ein hervorragender Forscher:
H. Dr. Brugsch-Bey, in seiner neuesten Schrift21) seine
schon früher geäusserte Ansicht aufrecht hielte, der Name
Epiphi scheine von P^JM® heb-Api „Fest der Api"
(Nilpferdsgöttin) zu stammen, während ich von jeher darin
eine Reduplication des Stammes Ap erkannte, wegen der
Zweiheit der Göttinnen: Ape und Isis. Ein Papyrus des
Museums von Bulaq22) gewährt die Möglichkeit, die Frage
endgültig zu entscheiden. Es werden darin verschiedene
Reichnisse an Arbeitsleute aufgezählt, es erscheint die
„Summe 17 Tage'S dann ein Datum „Jahr 43", hierauf ein
Bau des Ramses II Sesostris in Memphis und zuletzt auf
dem Verso derselbe Bau desselben Königs in Verbindung mit
einem Rasttag und der Schlnsslegende : (] y^$T 'jlj^.
„ich war im Ausziehen zur Stromfahrt zur Zeit des 15ten
Epiphi am Apapfeste.u Dieses Datum hat ausserdem noch
eine andere Tragweite, die ich aber erst in der Abhandlung
über das Ramesseum und die Phönixperiode besprechen kann.
21) „Drei Festkalender" 1877.
22) Mariettc: II, pl. 5G.
Lauth: Augusius-Harma'is. 201
Was ferner den Epochalkaiser Hadrian betrifft, so
habe ich wiederholt auf den Namen des Monats l4ÖQiavdg
hingewiesen, der bedeutsamer Weise erst im J. 19 dieses
Kaisers also 136 und im J. 1 des Antoninus also 138 mit
der Gleichung 8. Adrianos = 18. Tybi auftritt. Diese
Distanz von 40 Tagen in den beiden Kalendern ist ein
deutliches Symptom der Tetraeteris 136-139 n. Chr. und
nur dieser allein.
Allein warum hat man gerade den Choiahk des fixen
alex. Jahres gewählt, um dem Adrianos eine solche Ehre
zu erweisen? Ich habe schon bei anderer Gelegenheit23)
daraufhingewiesen, dass in seiner Legende f (I /wwnaJ] t=tt j
Aterianos Liebling der Isis" eine Anspielung auf den Namen
ater des Nils enthalten ist, um so wahrscheinlicher, als
er ja wirklich mit einem Gewässer : dem turbidus A d r i a ,
etymologisch zusammenhängt. Jetzt bietet der Text einer
Säule in Esne 24) die Legende „Monat Choiahk Tag 1 Fest
des Amon-pe-chrat, des Grossen, des Vaters der Götter,
Fest der den Göttern gewidmeten Verehrung, Fest des
Ba- Widders, Fest der Weglegung der Niltafel
fgTon tabula —&-. es steht übrigens ^t=\).u Wirklich ent-
spricht im fixen alexandr. Kalender der 1. Choiahk dem
28. November, zu welcher Zeit der Nil wieder in sein Bett
zurückgetreten ist. Ich glaube indess nicht, dass dieses
fixe Datum auch auf die Nilstelen von Silsilis anwendbar
ist, wie Brugsch zu Gunsten seiner Hypothese annimmt.
Das Datum der Weglegung der Niltafel fehlt eben auf
diesen Nilstelen und lässt sich vorderhand nicht ersetzen.
In dem kleinen Osttempel der Isis-Sothis auf Philae,
der vermuthlich unter Hadrian ad hoc gegründet wurde,
23) Acg. Chrono! p. 236.
24) Brugsch 1. 1. Taf. JX, V. Leider fehlt die Bezeichnung der
Tetramenie !
14*
202 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
befindet sich eine Doppeldarstellung dieses Kaisers, nicht
so weit auseinander stehend , wie die Bilder des Harmais
Augustus - Kaisaros an den Teinpelwänden von Denderab,
sondern unmittelbar zusammenhangend. Letronne IL p. 176
sagt darüber: „les plus anciens sont deux cartouches ac-
couples r^petes deux fois, portant ,, Autocrator, Adrianos,
toujours vivant, aime d'Isis — et: Autocrator, Caesar, Tra-
janos Adrianosa. Tous les autres sont de Marc-Aurele
(Antoninus Pius) sous le regne de qui Tedifice, commence
peut-etre sous Adrien, a du etre continue, sinon finiu.
Offenbar hat diese exceptionelle Doppeldarstellung i5) einen
chronologischen Sinn : es ist die Zweitheilung der Regierung
des Adrianos vor und nach der Epoche 136 n. Chr.
Eine ähnliche Zweitheilung treffen wir schon in ältester
Zeit: auf der Strasse von Hammamät sitzt Phiops-Moeris
mit dem Hute /l, auf der andern mit dem Rücken an die
soeben citirte Legende stossend, sitzt er noch einmal, mit
dem Hute \/ bedeckt. Es bedeutet dies nicht einfach rj
xe avco Kai i] kcctco %tooa, wie die entsprechende Gruppe der
Rosettana übersetzt ist, sondern es sind die Jahre des Moeris-
Menophres vor und nach der Epoche 2785 dadurch ge-
schieden. So kommt es, dass ebenfalls dort seine erste
Triakontaeteris in seinem 18ten Jahre angeschrieben ist;
offenbar lagen 12 vor der Epoche und daher die Bezeichnung
25) Der innere Fries trägt acht Ringe, die vier ersten lauten
auf Aurelios Antoninos Sebastos Autokrator — die vier letzten; Aure-
li(os) Luki(os) Kaisaros Ver(os), der mit ewigem Leben begabt sei!"
Zwischen Nr. 4 und 5 ist oberhalb deutlich AYTOKPATOPGÜN
geschrieben, zum Beweise, dass man die gemeinschaftliche Regie-
rung der beiden Kaiser vor Augen stellen wollte, cf. Letronne 1 1. II, 177.
Lauth: Augustus- Harmais. 203
Orientirung des Tempels.
Wenn ich im vorigen Abschnitte gesagt habe, dass der
Tempel von Denderah in erster Linie als chronologischer
Bau gedacht worden ist, so lag darin schon angedeutet,
dass er auch astronomisch orientirt sein musste. Denn
die ägyptische Chronologie beruht auf der Beobachtung des
(heliakalischen) S o t h i s frühaufgangs, da wo ,,sich Hathor-
Isis mit ihrem Vater Ra dem Sonnengott am Osthorizonte
des Himmels vereinigt11. Trotzdem, dass dieser Satz mehr-
hundertfältig an den Wänden sich wiederholt, gibt es doch
dickleibige Werke über den Tempel von Denderah, worin dieses
charakteristischen Unicums mit keiner Silbe gedacht ist.
Und doch erklärt sich die von der wahren Ostlinie um 17°
abweichende Orientirung nur aus dieser Eigenthümlichkeit
und Bestimmung.
Bei dem rechtwinklichen Zodiaque, der das Horoscop
der Geburt des Tiberius darstellt: 17. Nov. = 21 Athyr,
ist die Himmelsgöttin am Plafond des Pronaos zweigetheilt ;
die aenigmatische Bezeichnung für 17/11 ist möglichst nahe
der Sothiskuh und auf der bevorzugten Südseite, obgleich
sie auch in der Genitalieneinbiegung der Gegenseite hätte
angebracht werden können.
Was das Rundbild am Plafond des Dachtempelchens be-
trifft, so hat es die orientirende Himmelsgöttin nur einmal
und ohne Einbiegung, dafür aber sind den das Medaillon
haltenden Karyatiden die Bezeichnungen Süd, Nord, West,
Ost beigeschrieben. Auch hier ist der Süden die bevor-
zugte Seite, da mit ihr der Rundtext beginnt und schliesst.
Zugleich ist das Emblem des römischen Jahres: der 1.
Januar (= VIII post bruraam) an dieser Südseite ange-
bracht — natürlich ; handelte es sich ja doch um die Glori-
fication des mächtigen Antonius, der die Kleopatra so
eben mit asiatischen Königreichen beschenkt hatte. Es ist
204 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 5. Mai 1877.
desshalb kaum zufällig, dass Kleopatra gerade am entgegen-
gesetzten Punkte dieser Südseite als exceptionelle Decanin
erscheint. Es traf sich nun, dass gerade in diesem ihrem
16ten Regierungsjahre, wo sie sich laut den Münzen Üeä
veioxeqa loig benannte, der 1. Thoth des Wandeljahres mit
dem 1. September des römischen Kalenders zusammenfiel.
Grund genug für beide, ihre Vereinigung zu feiern und
durch das astronomische Horoscop der Nachwelt zu über-
liefern.
Auf seinem verdienstvollen Plane des Denderahtempels
hat H. Dümichen leider ! die Orientirung anzugeben ver-
gessen; Mariette 26) hat sie in seinen Plan eingetragen und
ich selbst hatte schon in meinen Zodiaques de Denderah
bemerkt: „l'axe du plafond ne coi'ncide pas avec la ligne
du nord-vrai; celle-ci se trouve ä une distance de 17° en-
vironu. Diese Orientirung ist unerlässlich , sobald es sich
um die astronomische Seite handelt, welche ja die
Grundlage der chronologischen ist. Insbesondere ist
sie wichtig bei der Würdigung folgender Stellen, die sich
auf die kleinen Sekosräume (IV, V, VI, VII des Planes)
beziehen : ,,Vier Appartements sind auf ihrer Sahu- (d. h.
" ~|TTTTTTTro<=><
Orion oder Süd-) seite ; siehe ! ihre Portale A O
klaffen nach Norden (cf. ttJRo\ foramen hiatus) ; zwei
Corridore H?^fcÜ (cf. A>ujn t curriculum) sind
in der Stierschenkelrichtung ; ihre Thüren gähnen ^^^innmr
sedeh (cf. uj^€£ platea) nach Süden". Daraus ergibt sich
unwiderleglich, dass „Norden und Stier Schenkel gegend"
gleichbedeutende Ausdrücke sind27).
26) Fouilles .... Denderah pl. II.
27) Andere Beispiele dieser Bedeutung des Schenkels als „Nord-
gegend" im Gegensatze zu Orion-Sahu (Süd) sehe man Zts. f. äg. Spr.
1870 S. 154-157.
Lauth: Augustus- Harmais. 205
Was die Wortform fll I mesech't anbelangt, so
habe ich sie längst als Ampliaticum von aiici (oep-Mici
pars quarta) als das „Viertel" erklärt; beide verhalten sich
wie sebech't tcvIlov zu cne tcvXij. Dass dieses „Viertel" des
Stieres zum Embleme des Vierteltages geworden ist,
habe ich in den „Zodiaques" dargethan. Ausser dieser pl.
XXI, 2 stehenden Legende bringt pl. XLIV. vertical links
folgende auf die Mesecht bezügliche Stelle, die für die
Orientirung des Denderahtempels von besonderer Wichtigkeit
erscheint; „Es lebe der gütige Gott (Kaisar-Augustus) der
Sohn des Asdes (Thoth), der Zögling der Chepest (Hathor-
Isis-Sothis) im Gotteshause; der König des Landes mit der
Nordkrone (dem rothen Hute \f Tpouj corona rubra)
spannt den Messstrik in Wonne, indem er richtet sein Ge-
sicht auf s 1 1; fl| I «r^j das Centrum des Stierviertels,
feststellend den Tempel der Herrin von Denderah gemäss
dem dasigen Zustande von ehedem".
Die symmetrische Gehülfin des Kaisers bei dem Akte
der Spannung des Messstrickes ist, wie gewöhnlich bei
solchen Darstellungen, die Göttin %|\. Ihre Legende I
hat den Schreibern öfter zu schaffen gemacht; bald sahen
sie darin das Zahlwort safech civujq septem und ver-
sahen sie mit einem siebenstrahligen Sterne ^r auf dem
Haupte, bald hielten sie sich an die umgestürzten Hörner
f\ und etymologisirten so, als ob sie vom Umlegen
(se-fech coujq deprimere) des Hörnerpaares benannt
wäre. Diese Erklärungsversuche sind für uns nicht bin-
dend. Mit Berücksichtigung der beiden eben citirten Am-
pliativa mesecht und sebecht werden wir auch in
&
206 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
Sefecht ein Ampliativum von I CÄ>tj, C€^ heri
erkennen28). In der That spielt Sefecht die Rolle der
ägyptischen KXeiw, der Muse der Geschichte. Sie ist dess-
halb die unzertrennliche Gefährtin des Thoth z. B. beim
Einschreiben des Namens Osymandyas (Ramses) auf die
herzförmige Frucht des Aschet - Baumes im sogenannten
Ramesseum.
Sie erklärt uns sowohl den Ausdruck Vü^f*
„gemäss dem dasigen Zustande von ehedem'1, als auch,
warum der Kaiser bei dem Acte der Spannung des Mess-
strikes den Namen (I M^jj^j „Sohn des As des (Thoth)
führt. Ja dieser Beiname des Thoth , eine Variante für
Asten(nu) (Ostanes ?), wird hiedurch etwas durchsichtiger.
Nach Todt c. 125, col. 62 ist die ursprüngliche Schreibung
P^wS%H^ »der Vergrösserer (cot facere toiica) thiih
multum magnus), da die demot. Uebersetzung dafür
D üOT „der Grosse'1 (ä>i, ^iä.i magnificari) setzt. Hier-
aus sind dann wohl später die Bezeichnungen cE()[.irjg 6 /.Uyag
xccl \.dyag und sogar der TQigfj.eyioTog geflossen.
H. Dümichen unterzieht den Punct ^4K ]]) der
oben citirten Stelle einer weitläufigen Besprechung, indem
er hiebei an einen Artikel des H. Le Page — Renouf 29)
anknüpft. Ich habe gegen den von diesem Gelehrten auf-
gestellten Begriff [AEGovqccveiv „Culmination eines Sternes"
28) Unser Bokenchons in der Glyptothek bietet die Gruppiruug
,,0 du Junger oder Beweibter, der sich des Lebens erfreut; es sei dein
Glück von heute über das gestrige oder das morgige!" Schärfer
lassen sich die Begriffe Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht
bezeichnen.
29) Transactt. Soc. Bibl. Arch. IIL II, 401.
Lauth: Augustus- Harmais. 207
nur zu erinnern, dass ovqavog nicht ausgedrückt wäre und
dass überhaupt jene astronomische Darstellung im Grabe
Ramses VI. (u. IX.) sich auf die Person des exceptio-
nell en face abgebildeten Beobachters bezieht. Wenn ^5. B.
gesagt wird „der Sothisstern über dem linken Ohre, linken
Arme, linken Auge — rechten Ohre — Arme, Auge und
dann die Mittellinie durch ] | O | äq ausgedrückt wird
so ist doch klar, dass aq ein Theil und zwar der centrale
des Beobachters, aber nicht des Himmels ist. Dass durch
Uebertragung der Begriff ,,Culminationu (teo-ovQCtvelv daraus
entsteht, soll nicht in Abrede gestellt werden.
Es bleibt also nur ^eo-og als die wahre Bedeutung
jenes fraglichen ))i\ äq übrig. Das Deutbild der beiden
Finger gemahnt sofort an Horapollon II 6 : liv&qwrtov gto-
j.ia%ov drjlöl daxzvlog. Mit Beachtung der Dualform
aqui und des weiteren Determinativs Ö welches ja auch bei
§fO her go^P interius nicht ausgesprochen wird, gelangt
Ü
man zu der anaglyphischen Schreibung r\ welche Hora-
pollo I 22 so erklärt: Al'yvvtzov yqacpovTeg &v[,iiaTrj()iov
yiaiofxevov Ccoyqacpovöi Kai eitavco ytaQÖiav. Man beachte, dass
er unmittbar vorher dlyvmitov yrj, ejtel /tsarj trjg or/,ovf.ievrjg
V7caQ%Ei gesetzt hat. Uebrigens bin ich zu der Ansicht ge-
langt, dass Aqui-p-to ,,die Mitte des Landes" = ^dXyv-rt-rog
sich ursprünglich auf den Nil bezieht, der ja bei Homer
unter AXyvitxog primär, zu verstehen ist. Gestützt wird
diese Vermuthung durch das parallele Verhalten der Gruppe
M/vvvwx nieter ÄtTo(p). Es ist offenbar wieder der
■<^> I I /wwv\
Nil und die dualistische Form D"HSD Mizrai'm die genau
so gebildet ist, wie D\5p intervallum duorum exercituum,
D?*injf die Mitte des Tages", erhält hiedurch endlich ihre
208 Sitzung der philos.-phüol. Classc vom 5. Mai 1877.
Erklärung. Der Uebergang dieses Namens Mizraiin auf das
Land und auf den ersten König Menes ist gerade so im
graecisirten u4l'yv7tTog vorhanden 30).
Es ist also erwiesen, dass üq-mesecht in der Stelle des
Textes von Denderah nur „die Mitte, das Centrum des
Stierschenkels" bedeutet, nicht aber die (.leoovQavia des
ganzen sich über 40 Grade erstreckenden Sternbildes. Denn
dass mesecht „das Viertel" der grosse Bär oder Wagen un-
serer Sphaere ist, wie Herr Lepsius („Chronologie der
Aegypter") zuerst vermuthet hat, ist unbestreitbar: man
braucht nur die sieben Sterne durch Linien zu verbinden,
so hat man die Gestalt des Conventionellen *^j und in so
ferne ist das Bild der ägyptischen Sphaere viel mehr natur-
getreu als die der chaldaeisch-griechischen.
Dazu kommt, dass jenes ä q , a q u i im Kopt. o*äi finis
terminus noch erhalten ist, mit der Bedeutung Zielpunkt
oder „Grenzmarke". In der That muss man einen be-
stimmten Punkt des Sternbildes ins Auge fassen, wenn bei
der Function des Messstrickspannens, Pflockeinschlagens und
Grundsteinlegens durch Augustus in Denderah eine Orien-
tirung beabsichtigt werden wollte. Zuerst bedenke man,
dass sich diese Scene an der Nord- wand befindet. Alsdann
betrachte man sich den Zodiaque circulaire. Die Linie,
durch welche die Ekliptik halbirt wird, also von 0° nach
180 oder von 180° nach 360° zu, schneidet den Grossen
Bären oder Wagen im Sterne S des Vierecks und dieser ist
allerdings die Mitte dieses Siebengestirns. Diese Linie
weicht aber um 17° von der wahren Nordlinie des Zodiaque
circulaire ab — also ist dieser wie die Längenachse selbst,
nicht nach den astronomischen Punkten des wahren Ostens
und des wahren Nordens orientirt, sondern mit Rücksicht
30) Das Weitere hierüber wolle man im „Nachtrag" zu „Troja's
Epoche" Denkschr. 1877 nachsehen.
Lauth: Augustus- Harmais. 209
auf die Stelle des Sothisfrühaufgangs und der Mitte des
„Viertels". Wenn es in den betreffenden Texten so häufig
betont wird, dass die Hathor-Isis-Sothis auf das Tempeldach
getragen wurde , um ihre Vereinigung mit den Strahlen
ihres Vaters Ra am Osthimmel figürlich darzustellen, und
ihr Gesicht folglich nach Osten wendete , so wird
durch ihren Titel cO])^ "die Horizontige" dieser Punkt
näher als derjenige bestimmt, wo der heliakalische Aufgang
stattfand. Dieser musste natürlich in der Verlängerung der
Tempelhauptachse liegen. Besonders erwähne ich die Stelle
Taf. XIII, 1 „Es ist der Götterkreis der weiblichen Bes
(Hathor) an ihrem Rücken (hinter ihr, nachdem sie geschaut
die Morgenstrahlen ihres Erzeugers zur Zeit des Wende-
punktes der Doppel -Tetraeteris (g&. - Ä - oimtooTi annus
vertens) 3').
Man ersieht hieraus, dass die Orientirung des Denderah-
tempels gerade durch die Abweichung um 17° von dem
wahren Ost- und Nordpunkte sich als absichtliche bekundet,
um auf das fixe Jahr hinzuweisen. In der That sind
„Sothisfrühaufgang" und „Viertel" correlate Begriffe desselben
Zieles. Auch die Wahl des Platzes ist keine zufällige : Den-
derah liegt am Anfange der ostwestlichen Richtung des
Nils, welche bei Abydos sehr bezeichnend wieder an die süd-
nördliche umsetzt!
Am Stierviertel des Zodiaque circulaire befindet sich
eine weitere Zuthat, die bisher nicht beachtet worden ist,
ich meine jenen kleinen Widder, der ihm anhaftet und den
Kopf umdreht. Schon dadurch erweist er sich als renvoi
oder Hinweis auf den unägyptischen Zodiacalwidder, welcher
in der nämlichen Haltung erscheint. Dass die wahre Ost-
linie durch diesen Widder gehen muss, braucht nicht be-
31) Dümichen's Uebersetzung ist mehrfach zu berichtigen.
210 Sitzung der pliilos.-philol Glosse vom 5. Mai 1877.
wiesen zu werden. Nun aber lautet der Name des Widders
ägyptisch ^iAi f/^kü aries und der Knochen heisst k^c;
das Compositum &3W-R&C bedeutet medulla, welches ja
ebenfalls von medius stammt. Folgt man nun dieser Hin-
weisung (renvoi) so gelangt man für die wahre Nordlinie
auf den Stern £' mit dem Reiterchen. Letzteres heisst bei
den Arabern Suha-Alcor, der Stern £' selbst aber Mizar,
welcher Name verführerisch an meter mh^ Mizr(aim) an-
klingt und die Mitte der Deichsel des Wagens oder des
Bärenschweifes bildet. Folgten die Araber der semitischen
Vorstellung dieses Sternbildes als W\y „die Bahre" fere-
trum, oder ist Mizar eine ägyptische Tradition? Jedenfalls
bezeichnet Mizar den wahren Nordpunkt, während Megrez
— so heisst der Stern S' — für die Orientirung des Den-
derahtempels massgebend ist und das alte Aq(ui) „die
Mitte"32) verdrängt hat. Auch diese beiden sind um 17°
von einander entfernt.
Es übrigt noch die Erledigung einer Variante dieses
äq medium „Mitteu. Auf Tafel L rechts steht, wieder als
Legende des ^4vtokqcczcoq (so stets statt Imperator) Kaisaros :
„Es lebe der gütige Gott der Spross des Duhnti (Thoth)
gesäugt von der Buchgöttin, welche begonnen33) hat das
Schreiben. Er betrachtet den Thau- (Wasser-) geber
(Himmel) nach dem Aufgange der Sterne hin, kundig —
cott, coonr scire auch Beiname des Thoth) des A q -Punktes
der m es echt beim Feststellen der (vier) Ecken des
Tempels Ihrer Majestät (Hathor-Isis-Sothis) ; der Horizont
32) Uebrigens würde ein supponirter Stamm Hä statt "ly „aus-
einander scheiden" den nämlichen Begriff ergeben.
33) ^ ist Var. für X^U uja. ortus (uj^-AUCe primo-geni-
tus); der Lautwerth seh entspringt aus dem Zahlwort Uje, UJOT
;= centum = @,
Lauth: Augudus- Harmais. '211
Ihrer Persönlichkeit erzeugt die Wesenu. Der letzte Satz
bezieht sieh auf das mit dem Sothisfrühaufgang gleich-
zeitig erfolgende Uebersteigen des Nils, die Grundbedingung
alles Lebens in Aegypten. Das Fest Ihrer Majestät wird
sowohl in Denderah als inEdfu84) auf den 1. Mesori ge-
setzt. So günstig diese Doppelangabe für meine Erklärung
des Epochalnamens Harmais (Augustus) und für die Epoche
5 — 2 v. Chr. zu sein scheint, so hüte ich mich doch, sie
geltend zu machen, so lange die Epoche der beiden Kalender
nicht gesichert ist. Aus einem ähnlichen Grunde habe
ich die Legende pl. XXXVI, 1 „es lebe der gütige Gott
iJ~J.t U/v™ j das Ebenbild der göttlichen Sothisu nicht
darauf bezogen, da die Ringe leider! ohne Namen sind.
Augustus ist hier, wieder an einer Aussenwand, als
Stellvertreter des Thoth mit der Göttin Safecht im Akte
des Messstrickspannens Pflockeinschlagens, kurz, der Grund-
steinlegung dargestellt. Diese heisst in dem Begleittexte
,,die Grosse, die Herrin der Schrift, die Gründerin der ge-
heimen Räume (Adyta) der vorzüglichsten Götter insgesammt".
Ich erfasse, spricht sie, den Schlägel und den Holzpflock in
Verbindung mit dem Könige (hier mit dem Südhute /));
ich lege an die Wohnung der Göttin |] I nach
ihrer Mittellinie."
Statt der Phonetik äq ist an der Seitencolumne, die
ich kurz vorher übersetzt habe, als Variante ein adossirtes
Löwenpaar etwa in der Form P^) angewendet. H. Dümichen
verweist dabei auf die zwei astronomischen Deckenbilder
von Esne85), wo das betreffende Zeichen für Tiq einmal
zwischen Wassermann und Fische steht, das andere Mal
34) Brugsch „Drei Festkalender" 7, 2.
35) Dcscription tle l'Egypte Vol. I. pl. 79 u. 87.
212 Sitzung der pJiilos.-pJiilöl. Clause vom 5. Mai 1877.
neben (hinter ?) dem Orion, dessen Stellung am süd-
lichen Himmel hier noch besonders angedeutet wird
durch das beigefügte, den Südwind bezeichnende Bild
des Widders mit vier Flügeln". Hätte der Verfasser meinen
Zodiaque circulaire beachtet 36i, so wäre ihm die Lösung dieses
neuen Räthsels von selbst geworden. Da der astronomische
Plafond von Esne aus der römischen Kaiserzeit stammt, so
hat es grosse Wahrscheinlichkeit, dass man mit dem rö-
mischen Jahre, dem die bevorzugte Südseite eingeräumt
wird, den Anfang und Schluss der Darstellung gemacht,
und als Zeichen dieses Incidenzpunktes jene Variante für äq
gesetzt hat. Dieses bedeutet aber nicht y.eaovqaveiv sondern
nur den Mittelpunkt der Kreisbewegung von einem zufälligen
Anfange aus und würde H. Le Page Renouf's Erklärung,
so „ansprechend'1 sie auch von H. Dümichen befunden
wird, diese Eigenthümlichkeit nicht enträthseln können.
Halten wir noch eine kurze Rundschau in gleichzeitigen
Texten, worin des Stierschenkels m es echt Erwähnung ge-
schieht, so begegnet uns zuerst der unter Augustus Kai-
saros geschriebene Doppelpapyrus Rhind mit der bezüglichen
Stelle : „die Seeligen lassen deine Seele kommen in Ver-
einigung mit S a h u (Orion, Repraesentant der Epagomenen)
welcher Osiris ist, sowie mit den Sternen, welche folgen
der Sothis" (pl. XI). ,,0 ihr Fixsterne, o ihr Planeten, o
Sahu am Südhimmel, o Mesecht am Nordhimmel, o Sothis,
Führerin (haqt) der Decane!" Die Gruppirung der ge-
nannten Sterne und Gestirnungen ist keine zufällige, son-
absichtliche, auf das fixe Jahr bezügliche. Eine ganz ana-
loge Gruppirung in Edfu 37J: der Saal (hott receptaculum)
36) Bei seiner in Aussicht gestellten Herausgabe des astronomischen
Text- und Darstellungs-Materials von Denderah dürfte sich Veranlassung
bieten, das Versäumte nachzuholen.
37) Brugsch: Recueil LXXX, 2; Dümichen: Tempelinsch. CX, 3/4.
Lauth: Augustus-Harmäis. 213
der grosse ist, gehöht wie der Thaugeber (Himmel), das
Firmament, welches die beiden Lichter Sonne und Mond an
sich trägt; die Bkatisterne (Bxcctl Decan) sind bei ihnen;
als Herrn des Jahresanfangs und an ihrer Spitze: Osiris
als Sahu (Orion) die göttliche Sothis, der gute Gefährte der
Isis ist zu ihr umgewendet; die mesecht und die Sterne,
welche aufgehen an ihrer Stelle, der richtigen; es achten
auf sie die Imabodpriester" (d. h. die Horoscopen).
Ich habe in meinen Zodiaques de Denderah schon vor
zwölf Jahren auf den kleinen Decan: einen Widder mit O
auf dem Kopfe, hingewiesen und darin den Repraesentanten
des aus vier Vierteln alle vier Jahre entstehenden Schalt-
tages vermuthet. Es trifft sich nuu, dass nicht blos das
Epochenjahr des Rundbildes: 36 v. Chr. die Mitte einer
Tetraeteris bildet, sondern auch, dass die Legende dieses
Minimaldecans für 1/i o Decade absichtlich auf gleicher Linie
liegt mit dem Namenssymbol von Denderah: „Sothis-
stadt", mit dem Stern der Sothiskuh, mit dem oben be-
sprochenen Mizar und dass sie die Decanreihe halbirt. Denn
die Legende @^^^_ pe siu ua ne ciott otta> Stella unica
ist genau zwischen T7tr>0(jdr u. o\.tctx d. h. „Kopf des Thei-
lers11 u. „Theileru _® /= ß u. 0^7 angebracht. Das
Determinativ des halbirten Mondes ••S w*e es sonst immer
zur Bezeichnung des löten Tages gebraucht wird, lässt
keinen Zweifel, dass wir s-mad aus coir facere und Md^
(in V^i participatio) Hälfte also = ^ I mivj me-
dium aufzufassen haben. Wirklich drängt sich dieser
kleinste Decan* zwischen diese beiden Nummern 18 und 19
(36 sind es im Ganzen) ein und veranlasste mich zu der
Ansicht, dass der Schalttag in der Mitte des Jahres seine
Stelle gehabt habe, bis der Misori (Scene in Philae) ihn
nebst den 5 Epagomenen annexirte.
214 Sitzung der philos.-phildl. Classe vom 5. Mai 1877.
Wollte mau nun auch alle diese Symptome für zu-
fällige halten, so ist dieses doch unmöglich gegenüber einer
Textangabe aus der Zeit des Epagomenen- und Sothisepochen-
kaisers Hadrian in einem der Bulaqer Papyrus38). Dem
Verstorbenen , Namens Heter , wird zugerufen : „Du be-
grüssest den Mond in der Nacht, du gehst auf am Tage
wie das schöne Licht des glänzenden Sonnen gottes. Es
sind alle Länder beleuchtet in der Nacht vom Mond am Feste
des löten Tages, um zu schaffen Freudestunden im Gefolge
der Strahlen. Du erglänzest am Firmamente 1\ _^j
als göttlicher Einzelstern; du bist wie
Sahu am Leibe der Himmelsgöttin Nut. Dein Scheinen
innerhalb dieser Welt ist wie das des Mondes, wenn er
sein Uzatauge ^^ erfüllt (Vollmond); Isis ist mit dir als
göttliche Sothis Tß^~]A* NT am Himmel: nicht trennt
sie sich von dir in Ewigkeit!"
In der That ist die Verbindung des Schalttages mit
der Sothis, der Repräsentantin des fixen Jahres, eine
unzertrennliche. Auch die sonstige Umgebung, in welcher
hier dieser Einzeln stern d. h. der Decan für den Schalt-
tag, auftritt, empfiehlt diese Auffassung, da wir ja lauter
constitutive Elemente des festen Jahres der Aegypter darin
wahrnehmen.
Unter den unendlich vielen Beinamen der Hathor-Isis-
Sothis — sie heisst mit Recht ixvQiwvvi-iog — verdient der
jl-^O recht geschriebene einige Aufmerksamkeit. Er scheint
nicht identisch mit UU5äß^ rachit, Var. ^^)
worin ich längst das Kopt. p^igc ingenuus liber erkannt
habe, ein Synonymon zu ^Un chepes't W*>ß „vornehm,
38) Mariette: I. pl. XIII. Hn. 6-8 (Nr. 3).
Lauth: Augustus-Harmais. - 215
edel, prächtig" -- sondern vom Stamme i rech scire,
erhalten in ptouje videre dispiceje procurare cpQOvtl'Qeiv und
\euje posse zu stammen, indem aus dem geistigen Kennen
ein physisches Können geworden ist. Auf derselben
Wand39), wo Thoth als 5^*==== äm-taui „wissend (eMi)
beide Welten oder Länder11 heisst, wird auch die Ausstat-
tung der Wände mit Texten den Wissenden (cmi) des Hie-
rogrammatenhauses zugeschrieben, deren Finger geschickt
sind : -<2>- (folgt nXexpvdqa und das Pronomen — »— ,,ihru)
also „kennend ihre Stunde (der Erscheinung)". Es ist hier
aenigmatisch statt <^> das anscheinende Auge -<s^ gesetzt;
allein ari „machen" ergibt hier keinen Sinn. Ich habe
schon früher 40) auf die Benennung co\eR* =z canicula
und 2oXe%ri(v) bei Chalcidius als Name des Sothis hinge-
wiesen , indem dieses Compositum sich unschwer in cott
Stella und jenes für ?Veuj€ vorauszusetzende leche't =
reche't sapientum (X^ttjie adspirantes ?) zerlegt. Es kommt
nun darauf an, diese Vermuthung „Stern der Weisen",
besser zu begründen.
Der Stern der Magier.
Kaiser Augustus bildet nicht nur in der römischen
Geschichte einen bedeutsamen Abschnitt; wir haben gesehen,
dass er auch für die ägyptische Chronologie einen doppelten
Haltpunkt darstellt : als nd,iuvM*£T€ „der der Ergänzung"
bezeichnet er die Fixirung des Wandeljahres 25 v. Chr.,
welche sich im Kalender der christlischen Kopten bis auf
39) Dümichen 11. XLIL 6, 8 1 unten.
40) „Sothis- oder Siriusperiode' * Sitzgsb. 1874 p. 94, 95 „Achtet
auf die alten Schriften, nicht irret in ihrem Tage, nicht übertretet ihre
Summe".
[1877. 1. Phil. hist. Cl. 2.] 15
216 Sitzung der philos.-philöl. Classe vom 5. Mai 1877.
den heutigen Tag erhalten hat, während sein Beiname
Harmai's den Uebergang der Sothiserscheinung auf den
1 . Mesori des annus vagus» verkörpert. Auch diese Epoche
ist fort und fort wirksam: in unsrer christlichen Aera.
Stünde dieser Epochalname Harmai's allein da, so würde
seine Deutung eine problematische heissen können. Allein
nachdem in meiner „Aegyptischen Chronologie" die voll-
ständige Reihe der Epochen dargethan ist und sich
namentlich die Benennung Harma(ch)is an drei Stellen ge-
zeigt hat, welche je um eine volle Sothisperiode zu 1460
Jahren von einander abstehen: so ist sie zu einem festen
Datum geworden, welches mit einer weltgeschichtlichen Be-
deutung behaftet ist; denn sie bildet den Geburtsschein
des Christenthums, unserer Aera. Nachdem ich un-
längst dieses Thema41) mehr theoretisch behandelt habe,
ist es jetzt, wo die monumentale Legende Harmais-Kaisaros
vorliegt, gestattet ja nothwendig, darauf zurückzukommen,
besonders in dieser Abhandlung, welche sich ausschliesslich
mit Augustus-Harmai's befasst.
Es ist von vornherein höchst wahrscheinlich, dass der
Gedanke an die Katastrirung des Reiches, womit die Geburt
Christi unlöslich verbunden erscheint, dem Augustus von
Aegypten her gekommen, weil wir in Theben eine auf ihn
bezügliche Darstellung sehen, worin die Gaue Aegyptens
mit ihrer Dreitheilung : Metropolis, Tempelbesitz und Hin-
tersee ihm vorgeführt werden.
Dies ist der Ursprung aller späteren Indictionen,
welche bekanntlich bei Datirungen angetroffen werden; ja
unsere Art das laufende Jahr dieses Cyclus zu erhalten,
indem wir zu unserer Aera (goth. jera ,,das Jahr") die
41) „On the date of the Nativity" Transactt. Soc. Bibl. Arch. IV
II 1876. — Vergl. den Artikel „Unsere Zeitrechnung" in der Allg.
Zeitung Febr. 1876,
Lauth : Augustus-Harma'is. 217
Zahl 3 addiren und mit 15 dividiren, enthält eigentlich
schon die Andeutung, dass die erste aller Indictionen eben
anno 3 vor unserer Aera fiel. Welche Tragweite dem Titel
des Tiberius: qyefxtov (nicht awoytQccTioQ) in der chronolo-
gischen Concordanz des Evangelisten Lucas zukomme, lässt
sich daraus schon abnehmen, dass auch Quirinus =: Kvqtjvioq
und Pontius Pilatus dasselbe Prädicat führen (iqyefxovevovvog) :
es ist das J. 12 (+ 15) gemeint, wo die Indiction des Ti-
berius begonnen hatte.
Ausserdem hatten schon die alten Chronographen z. B.
Africanus42) bis auf den Tod des Macrinus 5723 Weltjahre
gerechnet. Zieht man davon die runden 5500 v. Chr. ab,
so bleiben 223 übrig, während doch des Macrinus Ende auf
220 steht. Daraus ergibt sich, dass Africanus die Geburt
Christi um 3 Jahre früher als die vulgäre Aera angesetzt
hat. Ebendahin führt des Clemens Alex. Angabe „unser
Herr ward geboren in dem 28ten Jahr seit der Schlacht
von Actium", so wie die astronomische Berechnung der
totalen Mondsfinsterniss kurz vor des Herodes Tode. Auch
ist man seit Ideler allgemein geneigt, Christi Geburt früher
anzusetzen als die vulgäre Aera — nur über die Frage: um
wie viel früher? gehen die Ansichten auseinander. Die
Conjunction des Jupiter und Satumus würde auf 747 ab
u. c. führen ; allein Aegypten bietet uns eine bessere Stern-
erscheinung, ich meine den Prühaufgang des Sirius
im J. 5 vor unserer Aera am 1. Mesori.
Die Stelle des Suetonius über Vespasian, der die im
ganzen Oriente cursirende Sage über eine von Judaea aus-
gehende Weltherrschaft auf sich selbst anwendete und die
in dem Sterne der Ringlegenden des flavischen Hauses
hieroglyphisch verkörpert vorliegt — das Auftreten des
Bar-Kochab {Baq%o%eßag) „Sohn des Sternes" unter Hadrian
42) Bredowi dissert. de Syncelli chronog. (ed. Dindorf) p. 6.
15*
218 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
mit Rückbeziehung auf die messianische Weissagung, liefern
den Beweis, dass man die Erscheinung des Messias-Sternes
als eine Thatsache betrachtete.
Diese Sothiserscheinung am 1. Mesori hängt aufs In-
nigste mit dem bethlehemitischen Kindermorde zusammen»
indem sie uns die psychologische Erklärung der tyrannischen
That an die Hand gibt. Obgleich Flavius Joseph us dar-
über schweigt — was daraus erklärlich wird, dass er den
Nicolaus Damascenus abschreibt, welcher Hofhistoriograph
des Herodes war — so leistet uns Macrobius in einer Stelle
seiner „Saturnalia" II, 4 die Gewähr, dass wir es mit einer
geschichtlichen Thatsache zu thun haben. Quum (Augustus)
audivisset, inter p u e r o s , quos in Syria (Palaestina) Herodes
rex Judaeorum infra bimatum jussit inter fici , filium
quoque ejus occisum (esse), ait: Melius est Herodis por-
cum esse quam filium (puerum)". Vermuthlich hatte
Augustus sich griechisch ausgedrückt: Itpov sativ, vv elvai
rj vlov 'Hqwöov.
Diese von einem nicht christlichen Autor herstammende
Nachricht enthält alle wesentlichen Züge der evangelischen
(bei Matthaeus c. II) mit dem significativen Zusätze, dass
ein Sohn des Herodes selbst, augenscheinlich der jüngste,
unter den Gemordeten gewesen sei. Dadurch erhält die
That des argwöhnischen Tyrannen erst recht ihr dynas-
tisches Gepräge. Sodann stimmt der Ausdruck infra bi-
matum wörtlich zu <xtcq öieTovg nal xcctcotsqü) = a bimatu
et infra — xcctcc tov %qovov, ov TqKQißwoe naga twv fxdywv.
Ich behaupte nun, dass diese praecise Zeitangabe, welche
sich auf den Bericht der payoi (zzz oogiol) stützt, durch
keine andere Hypothese sich so befriedigend erklärt, als
wenn man mit mir annimmt, dass die Epoche 5 vor un-
serer Aera gemeint ist, wo der Sothisstern zum ersten Male
am 1. Mesori des Wandeljahres heliakalisch erschien und
dem Kaiser Augustus in Aegypten den Beinamen Harmais
Lauth: Augustus-Harmais. 219
eintrug. Denn da die Geburt Christi nach allen Symptomen
chronologischer Art Anno 3 vor unserer Aera anzusetzen
ist, so war allerdings seit der Epoche eine zweijährige
Zeit verflossen. Desshalb griff die Massregel des Herodes auf
2 Jahrgänge zurück (5 — 4) und traf zu grösserer Sicherheit
auch diejenigen Kuaben, welche 4-3 und 3 selbst geboren
waren, da der Sothisaufgang am 1. Mesori für ein ganzes
Quadriennium : 5 — 2 gilt. Später als 3 lässt sich aber der
Knabenmord nicht setzen, weil sonst das öletovq nicht mehr
passte und gerade diejenigen nicht getroffen worden wären,
die im Epochaljahr 5 selbst geboren waren.
Hiemit ist die Geburt Christi besser fixirt, als es bisher
ausserhalb der ägyptischen Mittel möglich gewesen ; zugleich
ist aber auch eine chronologisch-astronomische Angabe des
Matthaeus gewürdigt und verwerthet, die sonst hyperkritisch
als erdichtet bei Seite geworfen oder unkritisch auf ein ad
hoc geschaffenes wunderbares Meteor bezogen wird.
Ist denn aber der 1. Mesori von dynastischer Be-
deutung? Allerdings. Nicht nur muss dieser Ausdruck
mit „Geburt des Horusu übersetzt werden, sondern es zeigen
dies auch hunderte von Beispielen ägyptischer Texte. Schon
Champollion 43) hat die Legende der häufigen Scene, wo die
4 Canopengenien in Gestalt von Gänsen nach den vier
Weltgegenden entsendet werden, so übersetzt: „Donnez
l'essor aux quatre oies vers le midi, le nord, l'occident,
l'orient, pour dire aux dieux de ces quatre regions, que, ä
l'exemple d'Horus, fils d'Isis, le roi Ramses III s'est
coiffe du Pschent." In der That merkt der Kalender von
Edfu44) dieses Wegfliegen der Gänse am 1. Mesori an:
fiTr^iioi* Noch weit ausführlicher in dem andern Texte
von Edfu aus der jüngeren, der Ptolemäer- oder der Römer-
43) Vergl. meine „Zodiaques de Denderah" p. 73.
44) Brugsch : „Drei Festkalender" Taf. IV, col. 27, VII, col. 18-23.
220 Sitzung der philos.-phüöl. Classe vom 5. Mai 1877.
zeit. Die Vögel oder Gänse heissen hier \\o= ^>m
äperu &JioA?V€, mit derselben Phonetik, die auch dem
Volke der Aperiu == Ebraeer eignet. Man trifft sehr
oft das Zeichen [Jj I ,, Geburt" von Q „Krone" determinirt,
besonders wo es sich um die Thronbesteigung oder um eine
neue Aera innerhalb einer Regierung handelt. Es fragen
ja auch die (xayoi: jiov loxiv 6 Tax&eig ßccoiXevg twv
'Iovdcctcov; wozu das I. N. R. I. den Commentar liefert.
Bei den legendarischen Zuthaten z. B. den Namen der
Magier, halte ich mich nicht auf; offenbar ist die Drei-
zahl selbst aus dem ägyptischen Pluralzeichen 1 1 1 geflossen ;
mögen nun ^ö^j^j ***£ oder {^^^j
lifxßQr\q d. h. „ Schreiber " oder „Vorsteher" der Er-
scheinungen", 1 |^X»pi „Horologen" od. | ^^^
„Sachverständige" unter jenen (xayoL^) = oocpoi ver-
standen werden. Aber der Ausdruck: (el'do/uev yaq avtov
rov doTiqa) ev rfj avarolrj kann ursprünglich gleich-
bedeutend mit civareXkovra gedacht worden sein, was diese
späte Graecität anzunehmen erlaubt. Dies ist aber der
terminus technicus für die Sothiserscheinung: dvarellei und
hiixBXu entspricht dem g^ |ft x „Erscheinung der
göttlichen Sothis" z. B. in der Tanitica, wo es sich um die
Coi'ncidenz dieses Phänomens mit der vovf.tr]vtcc rov Ilavvl
ixrjvog handelt. Der Geburtsschein des Christen-
thums aber lautet: „3" v. unserer Aera, in Mitten der
Tetraeteris 5—2, deren Signatur: ldvaxok\] rrjg &eiag 2to-
&etog ev rf{ vovjLtrjvl^c rov MeatüQL fLirjvög.
45) Wie sie zu „Königen" wurden, erklärt uns Manetho's XXVII.
Dyn. und die Qualität ihrer Namen als Vertreter der Königreiche Ba-
bylon, Aegypten, Assyrien — in der Legende.
Lauth: Augustus-Harmais. 221
Anhang.
In Bezug auf den Namen Alexandria's : 2eßaoxy kann
ich mir nicht versagen, eine neu aufgefundene Inschrift 46)
mitzutheilen, weil dieselbe zugleich eine Aera einschliesst.
Sie lautet:
Avxoxodxoqi Kaioaqi &eov Tqaiavov ITaQfriAOv i>#$, d-eov
JSeqova vlcovo) : Tqaiavu) ^öqiavM 2eßaoxw aQxieqel [leyioxco,
örjfÄaQXLzrig e^ovoiag xo xa, avxoxqaxoQi xo ß vTtaxttj xo y,
itaxqi Ttaxqidog — Aal ^tlXlctj Kaioaqi (Antonmus Pius)
di]LiaQ%iY.r\q s^ovolag, hcl WXaovlov lAqqiavov 7tqeoßevxov
Aal avxioxgaxiqyov xov Seßaoxov
SeßaoxofioXeixwv xcov Aal cHQaxXei0 7toleiTiov aQ%ovxeg
ßovli] ör^xog "Exovg &lq (— qI&).
Abgesehen von dem Historiker Flavius Arrianus,
der hier als Gesandter und Propraetor des Augustus-
Haclrianus erscheint, interessirt hier besonders die an die
Namensänderung der Stadt Her akleopolis am Pontus
(Bender Eregli ?) in Sebasto polis geknüpfte Aera. Das
Jahr derselben: 139 sieht beinahe wie ein christliches
Datum aus, besonders nach der oben aufgezeigten Rectifi-
cation. Denn in der That entspricht das 21te Tribunat
des Hadrian dem Jahre 137 n. Chr., welches sein letztes
war, da er am lOten Juli 138 n. Chr. gestorben ist. Da-
durch würde nun auch das auffallende AvxoAqäxoqi xo ß
erklärlich, wenn man nämlich eine Neuzählung seiner Re-
gierungsjahre von der Epoche 136 an statuirt. Also,
die Aera der Sebastopoliten hatte mit dem Jahre 2 vor un-
46) Revue archeol. Mars 1877 (von Leon Renier).
222 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 5. Mai 1877.
serer Aera begonnen, genau in dem letzten Jahre des Qua-
drienniums, welches ich oben gelegentlich des Epochalnamens
Harmais und des „Sternes der Magier " als dem Sothis-
frühaufgang am 1. Mesori entsprechend dargethan habe.
Wenn nun die Namensänderung von Herakleopolis in
Sebastopolis der Anlass wurde, eine eigene Aera dieser
Stadt zu begründen, so wird man auch zugestehen müssen,
dass der Epochalname Harmais keine „graphische Spielerei",
sondern eine epochenhafte Legende ist. Ja, das gleich-
zeitige Vorkommen von 2eß aöro TtoXeitcov tcov Kai cHq a -
x X € i o tcoKuxüv scheint darauf anzuspielen, dass der Sebastos-
Augustus, gerade in jener Zeit sie mit einer Form des Horus-
namens: Harmais zugetheilt erhalten hat. Ob die von
H. Ceccaldi 47) in derselben Nummer versuchte Erklärung
des Namens cHQaxXrjg als ,,Hor-aqil = Horus intellect,
Horus-ingenieuru , zutreffe, bleibe dahin gestellt. Indess
würde formell und virtuell ein ägyptisches Vn^O * i
Har-aqel entsprechen.
Ungefähr in derselben Zeit, wie die Namensänderung
der Stadt 'HgccxleioitoXig in 2eßaOT07toXig , nämlich in das
Jahr 23 des Augustus, fallen mehrere Inschriften von Philae,
welche ein gewisser Catilius, Sohn des Nicanor, dem
Augustus zu Ehren, angeschrieben hat. Mit Uebergehung
der sechs Distichen , die mit KaloctQi 7iovTo/.tidovTi y,al
ctTieiQtov y.Qaz£OVTL beginnen 48), lasse ich hier ein zweites
Gedicht desselben Catilius folgen, weil es ein syll aba-
risches Akrostichon ist und sein letzter Vers selbst
von Letronne nicht ganz richtig verstanden wurde.
K!Af.ie xov evTeyvov cptorog oti%ov, co q)lXe, ßr\(xa
TIf,uov CLLiTTavoaq, sy^ia^e v.al iclqiöcii
47) Kevue archeol. Mars 1877.
48) Cf. Letronne: Recueil des inscript. grecques II. 142—158.
Lauth: Augustus- Harmais. 223
Altalg loroglaig Xwov tiovov, ota 7t£7taiyiiai,
($Y xevd prjvvwv, ovitsq s'cpvv yevirov.
TOYde kccXov 7tXwoag, cprjoi, ^ive, %e,viAaxa, NeiXov,
KAIqov e%to cpwvelv xalgexe TioXXd, (DtXai !
Nlyaofxai rcttgaig T€ Kai ovgeoiv, a> KaxagaKtaiX
KAyio s%io xev%uv loTOQixrjv GeXlöa.
NOoTrjGag Kai iöwv NiKavoga Kai yevog — äXV o —
P02 KaxaXoucov l'%co' tovto yaq eon reXog.
Letronne liest den Schluss des vorletzten Verses aXXo
und beginnt den letzten mit einem unorganischen P02;
seine Uebersetzung : II ne me reste qu'un ROS ä placer,
car c'est la fin" lässt aXXo unberücksichtigt. Setzt man
nach meinem Vorschlage dXX1 6 — P02 = aXX' ogog, so ist
das Unorganische entfernt und da ogog durch reXog selbst
erläutert wird, so ist an der Richtigkeit meiner Restitution
nicht zu zweifeln. Freilich hätte Catilius sagen können:
aXX' o — P02 KardXoLTcog ifioi; aber die Redensarten Kai-
qov e'xw qxovelv — Kayib e%to tev%elv zeigen, dass e%io sein
Lieblingsausdruck gewesen.
v Von desselben KA-TI-AI-OY TOY KAI NI-KA-NO-
P02 Hand stammt eine dritte Inschrift, welche bisher wegen
arger Beschädigung der Versanfänge keinen Zusammenhang
ergab. Im aeolo-dorischen Dialecte geschrieben , zeugt sie
für die alterthümelnde Richtung des Verfassers; ihr Inhalt
scheint anzudeuten, dass er die *Ioig-2d>&ig als ScoTeiga*9)
wegen einer Krankheit seines Sohnes besucht und angefleht
habe. Es sind 12 jambische Trimeter:
Kar iXiov.
\!dvr[V&£v ig TtvXav 2o-~\ dvag, Kai <DiXai\g
[Tav vavv Ttgogt-] ypvxi e^elXev dyd \pv%dv^ yaqiv
49) Vergl. die Inschrift Letronne Tab. XV, 2 viüq ßctaiUwq Tlxo-
"ke [Actio v'Emcpav oi g MeyciXov Ev/aglorov : ™Jxu)Qig 'Eyieitog "loidt Mw-
/itidc i •*$*£ w maked „schützen") ZwretQq.
224 Sitzung der phüol.-phüos. Gasse vom 5. Mai 1877.
[0€c3y] <x7tex&cov ö*' d(.ißoXdg KazlXiog
\Aaßiov ze zo] ov ygayeiov, elg [xvcc/accv zoöe
[To 7TQogxvvccf.i'] dyvov evenoXaip* ev iccqio
[üvlccig, eßrj\z\ elg zag Kccläg ÖQCtKWV Ollctg,
\yi ovKvyog] z(7) (.nij ovve^evKzai, £eve,
[ Og xal öidyec ejxag zw vicüj zd Ttqog &eotg
\!Afxv(.iovog f.iiv, z-~\ ov de -/.aQcpog eßlaßt].
[^(T eazl zco] äyvwoig. El d'eyoi Tvya
[Jo^eije Kai d-eölai — zö Ttqo-zu) pevog,
[Mevov elg altovd] Kai %a%d oto%oi KvTtQig.
Nicht weit von diesem Texte und dem von Nov{.irjvwg
unter Euergetes II (125 v. Chr.?) angeschriebenen Psephisma
in Betreff der Priesterschaft des Tempels der Isis auf Philae,
haben zwei andere Römer, die aus Horatius (Epistol. I, 15;
Sat I, 4, 115) bekannt sind, ihre Namen verewigt:
L. Trebonius Oricula hie fui. Imp. Caesare XIII Cos.
C. Numonius Va(ha)la hie fui A. d. VIII k. Apriles XIII.
Letronne bemerkt in der Note: ,,D' apres la copie de
M-Gau, apres ,, Apriles" on voit les chiffres XIII, qui n'ont
aueun sensa. Ce sera une repetition fautive du chiffre
(XIII) qui suit Cos.u (lies Caesare"). Ich habe in meiner
„Aeg. Chronologie" diese angeblich falsche Ziffer 13 XIII
ausserhalb des Datums ,,13tes Consulat des Caesar Aug."
(= 751 der Stadt = 3 v. unserer Aera) auf Aenigmatik
gedeutet, nämlich als ob Numonius, durch den Epochal-
namen Nov(xriviog angeregt, den Uebergang des Sothis-
irühaufgangs auf den 1. Tag des 12. Monats: Mesori habe
bezeichnen wollen In der That würde XII/I, wie analog
XVil/XI im Zodiaque reetangulaire, dieses Datum darstellen,
welches zugleich mit Christi Geburt in die Mitte der epochalen
Tetraeteris 5 — 2 vor unserer Aera fällt.
Dass Gau seine Lesart nicht aus einer fälschlichen
Wiederholung geschöpft habe, dafür bürgt der Platz dieses
Lauth: Augustus-Harmais. 225
zweiten XIII (am Ende), so wie die bekannte Genauigkeit
dieses Sammlers. Ich will noch , weil es ohnehin zum Gegen-
stande gehört, eine von ihm und Niebuhr in Nubien copirte
Inschrift vorführen.
Es sind 13 Hexameter nebst dem Anfange eines 14ten,
der übrigens zu dem bisher unent deckt gebliebenen Buch-
staben-Akr ostichon zu gehören scheint.
Invicti veneranda ducis per saecula vellent
Yictrices Musae, Pallas, crinitus Apollo
Laeta serenifico defundere carmina coelo —
Intemerata malas hominum set numina fraudes
Jurgiaque arcanis et perfida pectora curis
Fügere; Hadriani tarnen ad pia saecula verti
Ausa per occultas remeant rimata latebras(.)
Ut spirent cautes ac tempora prisca salute[nt
Sacra Maniertino sonuerunt praeside sig[na ;
Tum Superüm manifesta fides: stetit inclutus [heros
I[ncolumis] sospes diti pede pressit hären [as.
Namque inter celsi densata sedilia templi,
Incola quo plebes tectis effunditur altis.
Munera coeli.
Der Praefect Mamertinus (Petronius) der hier erwähnt
ist, hörte den Memnon VI. Idus Martias Serviano III et
Varo Coss. = 10. März 134 n Chr. also nicht lange vor
der Epoche 135/136 n. Chr., wo sich unter Hadriau die
Sothisperiode erneuerte. Ob sonst noch ein Stück dieses
Dichters oder Versifex des Akrostichons: JVLI FAVSTINI
bekannt sei, mögenden Literarhistorikern überlassen bleiben
zu ermitteln. Die beiden Akrosticha des Julius Faust inus
und des Catilius brachten mich auf den Gedanken, ob nicht
Ovid's räthselhaftes Gedicht JBIS, trotz seines ägyptischen
Anstrichs sich als Palindrom von SIBl herausstellen sollte!
Zum Schlüsse stehe hier die griechische Inschrift der
sogenannten Pompejussäule in Alexandria:
226 Sitzung der philos.-philol. Gasse vom 5. Mai 1877.
Tov oouotctTov Av%0A.qa.xoqa. , %ov 7toXiov%ov Ale^avd-
Qelag: J toxki]* lavov tov dviTtrjTov TIof.i7i^'iog (II) E7raqx0(9
Alyv7itov [röv eveoytTrjv sc. eotiqoev]. Das bezieht sich auf
ein Standbild des Diocletian (nicht Reiterstatue), welches
ein alter Plan wirklich auf dem Capitäle der 33 Meter
hohen Säule zeigt.
Da die an Diocletian als Aera martyrum angeknüpfte
Zeitrechnung der christlichen Kopten, mit der Epoche:
29 ter August = 1. Thoth bis heute fortdauert, so mag die
seinen Namen tragende Säule gleichsam als chronologischer
Wegweiser betrachtet werden.
Historische Classe.
Sitzung vom 5. Mai 1877.
Herr Föringer hielt einen Vortrag:
Ueber Joh. Albr. Widmannstadt.
Derselbe wird später in den Sitzungsberichten veröffent-
licht werden.
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 2. Juni 1877.
Herr B u r s i a n trug ein die Bedeutung und die Verdienste
des Philologen Fried r. Aug. Wolf betreffendes
Bruchstück seiner voraussichtlich im künftigen Jahre
erscheinenden „Geschichte der classischen Alter-
tumswissenschaft'1 vor.
Historische Classe.
Sitzung vom 2. Juni 1877.
Herr Heigel hielt einen Vortrag über:
„Die Correspon denz des Kurfürsten und
Kaisers Karl Albert mit dem Grafen
Franz v. Seinsheim.14
Derselbe wird in den „Abhandlungen1' veröffentlicht.
Philosophisch-philologische Classe.
Sitzung vom 7. Juli 1877.
Herr v. Christ machte Mittheilung über das Er-
gebniss seiner Untersuchungen über :
„Die Theile der griechischen Chorgesänge
und ihre Bedeutung für den Vortrag."
Dieselben werden in den „Abhandlungen" veröffentlicht
werden.
Herr Brunn legte eine Zuschrift des Herrn Sigis-
mond Mineyko in Janina vor, welcher eine Abschrift
einer von ihm an die Academie des Inscriptions gerichteten
Darlegung einsandte, worin genannter Herr Mineyko gegen-
über den in der Sitzung vom 5. Mai von Herrn Bursian
vorgelegten Mittheilungen des Herrn Konst. Karapanos
„über Dodona und dessen Ruinen" (— s. oben S. 163 ff. — )
durchgängig die Priorität der betreffenden Ausgrabungen
und Entdeckungen für sich in Anspruch nimmt.
228 Kimmdungen von Druckschriften.
Verzeichniss der eingelaufenen Büchergeschenke.
Vom historischen Verein in Neuburg:
Neuburger Collectaneen-Blatt. 40. Jahrg. 1876. 8.
Vom Carl-Friedrichs-Gymnasium in Eisenach:
Jahresbericht f. d. X. 1876/77. 1877. 4.
Von der Universität zu Leyden:
Annales acaderaici 1872—73. Lugd. Bat. 1876. 4.
Von dem Verein für Geschichte und Naturgeschichte der Baar und
der angrenzenden Landestheile in Donaueschingen :
Schriften. Heft I. II. 1870—72. Carlsruhe 1871—72. 8.
Von der Tc. Akademie der Wissenschaften in Berlin:
a) Corpus inscriptionum Atticarum. Vol. II. pars I. 1877. 4.
b) Monatsbericht. Januar 1877. 8.
Von der Tc. Universität in Christiania:
a) Heilagra Manna Sögur udg. of C. R. Unger I. 1877. 8.
b) Forhandlinger i Videnskabs-Selskabet i Christiania Aar 1875. 1876. 8.
c) Det Kgl. Norsko Prederiks Universitats Aarsberetning for Aaret
1875. 1876. 8. .
Von der societe provinciäle des arts et des sciences in Utrecht:
a) Jaarverslag 1875-76. 8.
b) Sectieverslag 1875—76. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 229
c) Het Klooster te Windesheim, dor J. G. R. Acquoy. 2 Deel 1876. 8.
d) La construction de Teglise parossiale de St. Jacques ä Utrecht, par
W. Pleyte. Leide 1876. fol.
Von dem k. Instituut voor de Tool, Land-en Volkenkunde van
Nederlandsch-Indie in s'Gravenhage:
a) Beydragen tot de Taal, Land-en Volkenkunde van Nederlandsch-
Indie. IV. Reeks. Deel I. 1876—77. 8.
b) Verslag der Feestviering van het 25 jarig bestaan van het Insti-
tuut. (1851—1876) 1876. 8.
Von der Section historique de V Institut Royal Grand-Ducal de
Luxembourg:
a) Publications. Vol. XXXI. Annee 1876. 1877. 8
b) Chartes de la famille de Reinach deposees aux Archives du Grand-Duche
de Luxembourg. 1877. 8.
Von der Teylefs godgelecrd Genootscliap in Hartem:
Verhandelingen rakende den natuurlyken en geopenbaarden Go^sdienst.
N. Ser. Deel I. Stuk 1. 2. (1868—69.) 8.
Von der Lese- und Redehalle der deutschen Studenten in Prag:
Jahresbericht. Vereinsjahr 1876-77. 1877. 8.
Von der k. Akademie der Wissenschaften in Kopenhagen:
Oversigt ever det k. Danske Videnskabernes Selskabs-Forhandlinger
1876 u. 1877. 8.
Von der k. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen:
a) Das geographische Wörterbuch des El-Bekri herausg. v. Ferdinand
Wüstenfeld. Band II. 1. u. 2. Halbband. 1876. 8.
b) Abhandlungen. 21. Bd. vom Jahre 1876. 8.
Vom Hennebergischen alterthumsforschenden Verein in Meiningen:
Hennebergisches Urkundeubuch. Von Georg Brückner VII. Theil 1877. 4.
Vom historischen Verein für Schivaben und Neuburg in Augsburg :
Zeitschrift, 3. Jahrgang, nebst Jahresbericht für d. J. 1875. 1876. 8.
230 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Verein für mecklenburgische Geschichte und Alterthumskunde in
Schwerin :
Jahrbücher. 41. Jahrgang. 1876. 8.
Vom historischen Verein in Ingolstadt:
Sammelblatt. Heft I. u. II. 1876—77. 8.
Von der gelehrten esthnischen Gesellschaft in Dorpat:
Sitzungsberichte 1876. 1877. 8.
Von der k. böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften in Prag:
a) Abhandlungen VI. Folge. Bd. VIII. 1877. 4.
b) Jahresbericht ausgegeben am 12. Mai 1876. 1876. 8.
c) Sitzungsberichte Jahrgang 1876. 1877. 8.
Von der Historisch Genootschap in Utrecht:
a) Kroniek. 31. Jaargang 1875. (VI. Ser. VI. Deel.) 1876. 8.
b) Werken N. Ser. Nr. 23 u. 24. 1876. 8.
Von der k. Akademie der Wissenschaften zu Amsterdam:
a) Verhandelingen. Afd. Letterkunde Bd. 16. 1876. 4.
b) Jaarbock voor 1875. 8.
c) Catalogus van de Bockerij. Deel III. 1876. 8.
d) Hollandia Carmen Francisci Pavesi 1876. 8.
Von der Royal Society of Edinburgh:
Proceedings. Session 1875 - 16. 8.
Von dem Comite royal d'histoire nationale in Turin:
Historiae patriae monumenta. Leges municipales. Tomus II. pars 1. 2.
1876 fol.
Von der südslavischen Akademie der Wissenschaften in Agram:
a) Rad (Arbeiten) Bd. 37. 1876. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 231
b) Monumenta historico-juridica Slavorum meridionalium. Pars I.
Vol. 1. Statuta et leges civitatis Curzulae. 1877. 8.
Von der Astoi' Library in New- York:
28 th Annual Keport of the Trustus. 1877. 8.
Vom Herrn Alfred von Beumont in Bonn:
II principe e la principessa di Craon. Firenze 1877. 8.
Vom Herrn J. Perles in München:
Eine neuerschlossene Quelle über Uriel-Acosta. Krotoschin 1877. 8.
Vom Herrn Charles Schoebel in Paris:
La legende du Juif-errant. 1877. 8.
Vom Herrn Francesco Casotti in Lecce.
Lettera al Duca Sigismondo Castroraediano intorno alla tavola dipinta
delle Benedettine di Lecce. Firenze 1877. 8.
Vom Herrn J. 0. Opel in Halle:
Wallenstein und die Stadt Halle 1625—1627. 1877. 8.
Vom Herrn Adalbert von Keller in Tübingen:
Ein Gedicht Uhlands. 1876. 8.
Vom Herrn E. Wagner in Carlsruhe:
Die grossherzoglich badische Alterthümer-Sammlung in Carlsruhe. Aus-
wahl ihrer besten Gegenstände in unveränderlichem Lichtdrucke
Heft I. 1877. 2.
Vom Herrn Heinrich Keil in Halle:
Audacis ars gramraatica ed Henr. Keil. 1877. 4.
[1877.1. Phil. hist.Cl. 2.] 16
232 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Herrn Albert Jahn in Bern:
a) Referat über E. Desor, die Blüthezeit des Bronzealters der Pfahl-
bauten in der Schweiz. 1875. 8.
b) Antikritisches zur Geschichte der Burgundionen und Burgundiens
in Nr. 4 des „Antikritiker". Liegnitz 1877. 8.
Von den Herren Alois Brinz und Conrad Maurer in München:
Festgabe zum Doctor- Jubiläum des Herrn Professors Dr. Leonhard von
Spengel von Alois Brinz und Conrad Maurer. 1877. 8.
Sitzungsberichte
der
königl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
Oeffentliche Sitzung
zur Vorfeier des Geburt s- und Namens festes
Seiner Majestät des Königs Ludwig IL
am 25. Juli 1877.
Wahlen.
Die in der allgemeinen Sitzung vom 20. Juni vorge-
nommene Wahl neuer Mitglieder erhielt die Allerhöchste
Bestätigung und zwar:
A. Als ausserordentliches Mitglied:
Der philosophisch-philologischen Classe:
Wilh. Meyer, Secretär an der k. Hof- und Staatsbibliothek
in München.
B. Als auswärtige Mitglieder:
Der philosophisch-philologischen Classe:
1) Carl Johann Schlyter, Professor an der Universität
zu Lund.
2) Dr. Friedrich Müller, Professor an der Universität
zu Wien.
[1877. 1. Phil.-phil. Cl. 3.] 17
234 Oeff entliche Sitzung vom 25. Juli 1877.
Der historischen Classe:
Leopold Delisle, General - Administrator der National-
Bibliothek zu Paris.
C. Als correspondirende Mitglieder:
Der historischen Classe:
1) Dr. Theodor Menke in Gotha.
2) Dr. Sigmund Riezler, Vorstand des fürstlich Fürsten-
bergischen Archives zu Donaueschingen.
Sitzung vom 3. November 1877.
Philosophisch-philologische Classe.
Herr v. Maurer legte vor:
„Die Berechnung der Verwandtschaft nach
altnorwegischem Rechte".
In meiner Schrift : „Island von seiner ersten Entdeckung
bis zum Untergange des Freistaats" (München, 1874) habe
ich mich, S. 325 — 329, mit der Organisation der Verwandt-
schaft nach isländischem Rechte, und insbesondere mit der
Art beschäftigt, wie man auf Island die Verwandtschaftsnähe
berechnete. Ich habe dabei dargethan, dass ein nächster
Kreis von Verwandten von einem entfernteren unterschieden
wurde, und dass jener erstere nur den ersten Grad der ab-
steigenden, aufsteigenden und Seitenlinie, also die Kinder,
iEltern und Geschwister umfasste, wogegen der letztere die
entferntere Verwandtschaft bis zum fünften gleichen Grade
kanonischer Computation einschliesslich enthielt, mit welchem
fünften Grade alle Verwandtschaft endigte. Ich habe ferner
bemerkt, dass die isländische Rpchtssprache nur für die An-
gehörigen jenes engeren Kreises individuelle technische Be-
17*
236 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 3. November 1877.
Zeichnungen kennt, und zwar Bezeichnungen, welche allen
germanischen Stämmen gemein sind und ebendamit ihr hohes
Alter erweisen (faSir und möoir, sonr und döttir, bröftir
und systir), wogegen über diesen engsten Kreis hinaus nur
noch für die Grossaeltern und Urgrossseltern Bezeichnungen
vorkommen (afi und amma, äi und edda), welche jedoch
juristisch nicht verwendet werden, und weiterhin nur noch
Ausdrücke zu Gebote stehen, welche abgeleiteter Art sind.
Ich habe endlich darauf aufmerksam gemacht, dass sogar
abgeleitete Bezeichnungen zunächst nur für die Geschwister-
kinder ( braeSr Ungar , systrüngar, systkinabörn) , Nachge-
schwisterkinder (naesta braeora), dann für die Kinder und
Enkel von Nachgeschwisterkinder (annarra braeora; J>ri5ja
braeSra), also für den zweiten, dritten, vierten und fünften
gleichen Grad kanonischer Computation vorhanden sind,
während man sich für die ungleichen Grade mit Umschreib-
ungen (manni nänari enn naesta brseSra, manni firnari enn
naesta braeSra, u. dgl.) behelfen musste, und dass die ge-
brauchte Terminologie darauf hinweist, dass man in der
Seitenlinie die im gleichen Grade Stehenden ursprünglich
sämmtlich als Brüder bezeichnet, und nur als nächste Brüder
(d. h. Geschwisterkinder), zweite Brüder (d. h. Nachgeschwister-
kinder), u. s. w. unterschieden haben muss. Die Berech-
nungsweise ergab sich demnach für das isländische Recht
als genau dieselbe wie im kanonischen Rechte, nur dass,
ganz wie in unserem Sachsenspiegel, der erste Grad in die
Sibbezahl dort noch nicht eingerechnet wurde; es erklärt
sich hieraus, dass in isländische Quellen zumal kirchen-
rechtlichen Inhaltes auch Ausdrücke wie fcrimenningar,
fjormennmgar u. dgl. Eingang finden konnten, welche ledig-
lich Uebersetzungen der im kanonischen Rechte üblichen
Bezeichnungen sind, und muss nur dabei stets beachtet wer-
den, dass diese kanonischrechtliche Bezeichnung der Grade
der national-isländischen stets um einen Grad voraus ist. —
v.Maurer: Berechnung der Verwandtschaft nach altnorweg. Rechte. 237
Ich habe aber an der angeführten Stelle auch auszusprechen
gehabt, dass sich nicht mit Sicherheit feststellen lasse, wie-
weit jene Art, die Verwandtschaft zu berechnen und zu
bezeichnen, bereits von Norwegen aus überkommen, oder
aber erst auf Island selbst entwickelt worden sei, und war
dabei des Umstandes zu gedenken gewesen , dass die nor-
wegischen Rechtsquellen consequent nur jene aus dem ka-
nonischen Rechte herübergenommenen Bezeichnungen der
verschiedenen Grade der Verwandtschaft gebrauchen, und
nur wenige dunkle Spuren einer älteren Berechnung der
Verwandtschaft nach Knieen erhalten zeigen, welche der
des isländischen Rechtes näher gestanden zu sein scheint.
Diese letzteren Spuren möchte ich nun hier etwas genauer
verfolgen, weil deren richtige Würdigung in der That von
erheblichem rechtsgeschichtlichem Interesse zu sein scheint.
Unter der Ueberschrift : „BaSer maelto J>ettau finden
wir in den Gf>L. § 24 folgende Bestimmung: ,,f>at er nu
f>vi nest. at värr scal engi eiga frendkono sina at kono ser.
En ef maSr verSr at f>vi kunnr oc sannr at hann a kono
nanare ser. en i logom er mselt |>a scal hann bceta firi f»at
morcom 3 biscope . oc lata af kononne . oc ganga til skripta .
oc bceta viS Krist. En oss er sva lovat at taca at siaunda
kne . oc siaunda li8 frendkonor varar. En konor J>aer aSrar
er frendkonor varar ero at finita kne oc finita liS. Sva
f>aer konor er I>a3r eigu frendseme saman kona su er hann
atte aßr . oc hin er hann teer. En ef teer kono nanare en
nu hevi ec talt. M. seÖr teer annars mannz kono . aeSa
kono undir sina kono. BaSer . f>a scal hann bceta 3 morcom
biscope oc lata af kononne oc ganga til scripta oc bceta
viS Crist. En ef hann vill J>at eigi . f>a scolo f>au bsefte
fara or landeign konongs värs". Die Wortfassung der Stelle
giebt in mehr als einer Beziehung Anstoss. Einmal inso-
ferne, als sie den 7. sowohl als den 5. Grad doppelt be-
zeichnet, nämlich als das 7. und beziehungsweise 5, Knie
238 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 3. November 1877.
sowohl als Glied , während doch offenbar die eine dieser
beiden Bezeichnungen genügen müsste, wenn beide wirklich
völlig gleicher Bedeutung wären; sodann aber noch weit
mehr insoferne, als in den Worten ,,en konor J>air aorar
er frendkonar varar ero" offenbar ein Verderbniss liegen
muss, wenn nicht die auf sie bezügliche Bestimmung mit
der unmittelbar vorhergehenden in Widerspruch stehen soll.
Die Vermuthung liegt nahe, dass die Verwirrung in unserem
Text, der ja aus zwei verschiedenen Redactionen des Rechts-
buches compilirt ist, durch irgendwelche Ungeschicklichkeit
des Compilators verschuldet wurde; leider lässt sich aber
mit den für die Gf>L. selbst zu Gebote stehenden Hülfs-
mitteln der Sachverhalt nicht aufklären, da deren Textüber-
lieferung an der fraglichen Stelle nur auf zwei Hss. , dem
Codex Ranzovianus nämlich und der ihm nahe verwandten
Hs. B. beruht, während von den sonst etwa diensamen Be-
helfen das jüngere Christenrecht des Gulafnnges an der ein-
schlägigen Stelle, §. 30, neueres Recht enthält, das soge-
nannte Christenrecht K. Sverrir's aber, §. 56, in der ganzen
fraglichen Lehre den Frf>L. und nicht den Gf>L. folgt.
Etwas weiter hilft uns dagegen die Vergleichung der
Fr|>L., III, §. 1; hier heisst es nämlich: „Sva er maellt at
engi skal taka kono i sett sina annars kostar en maellt er
oc biskup lceyfSi a mostrar füngi oc aller mgenn vurou asatter.
Telia skal fra syzskinum tueim 6 msenn a huarntueggia
uegh oc taka at hinum seaunda. En ef maSr uil taka kono
J>a er frende hans atte . f>a skal telia fiora maenn a huarn-
tueggia uegh fra brceSrom tueim oc taka at hinum finita.
Sua skal hitt sama telia ef ma5r uil taka frendkono fceirrar
er hann atte aor". Augenscheinlich werden hier 3 ver-
schiedene Fälle unterschieden, nämlich einmal der Fall, da
die Heirath unter Blutsverwandten in Frage steht, — zweitens
der Fall, da Jemand die Wittwe eines Blutsfreundes hei-
rath en will, —endlich drittens der Fall, da ein Witt wer
v. Maurer: Berechnung der Verwandtschaft nach altnorweg. Rechte. 239
eine Blutsfreundinn seiner früheren Fran heirathen will.
Für den ersten Fall wird dabei die Regel aufgestellt, dass
der 6. gleiche Grad der Verwandtschaft noch verboten, der
7. gleiche Grad dagegen erlaubt sein solle, und stimmt diese
Regel vollkommen mit der in unserer Stelle der G|>L. aus-
gesprochenen Vorschrift überein. Für den zweiten Fall soll
der 4. gleiche Grad noch als verboten, dagegen der 5. gleiche
bereits als erlaubt gelten, und ebenso die Grenze auch für
den dritten Fall gezogen sein; nach der angeführten Stelle
der Gf>L aber wird auch noch ein zweiter und dritter Fall
ausgeschieden, in welchen gleichmässig der 5. gleiche Grad
der erste erlaubte sein soll, und ist dabei der dritte Fall
unzweifelhaft identisch mit dem dritten Falle der Frf>L.,
während der zweite gerade durch die oben bemängelten
Worte: ,,en konor J>aer aSrar er frendkonor varar erou be-
zeichnet wird. Offenbar müssen hiernach diese Worte ur-
sprünglich eine Fassung gehabt haben, welche denselben
Sinn wie die Worte der FrfcL.: ,,kono f>a er frende hans
atteu gab, und gilt es nur, jene ursprüngliche Wortfassung
ausfindig zu machen. Dazu verhilft uns nun eine Stelle
jenes Auszuges aus dem Christenrechte des älteren Stadt-
rechtes, welcher uns erhalten ist, soferne es hier, BjarkR.
I, §. 9, heisst: „Engi maSr skal taka frendkono sina i
kaupange hselldr en i heraSe nanare en i logum er maellt.
En ef maor tsekr guSziuiu sina i kaupange e&a frend leif
sina |>a liggr slikt ui8 i kaupange sem i hera6e". Der
Ausdruck fraendleif, d. h. Verlassenschaft eines Blutsfreundes,
steht hier für die Wittwe eines solchen gebraucht, und
„konor t>aer er frsendleifar varar erou, wird es demnach wohl
auch in den Gj>L. geheissen haben; früh ausser Gebrauch
gekommen, scheint das Wort von dem Schreiber unserer
Hs. oder ihrer Vorlage nicht mehr verstanden, und darum
durch einen ihm geläufigeren, aber an dieser Stelle freilich
keinen vernünftigen Sinn gebenden Ausdruck ersetzt worden
240 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 3. November 1877.
zu sein. — Noch in einer zweiten, und mit der hier zu
behandelnden Frage in näherer Beziehung stehenden Richtung
gewährt aber unsere Stelle der Fr{>L. erwünschte Belehrung,
nämlich hinsichtlich der Art, wie die Grade der Verwandt-
schaft gezählt werden. Soweit die Blutsfreundschaft zwischen
zwei Nupturienten geprüft werden will, sagt sie, solle man
von zwei Geschwistern ab beiderseits 6 Personen herab-
zählen, und zwischen den 7ten die Ehe zulassen ; soweit die
Blutsfreundschaft mit dem verstorbenen Manne einer Wittwe
zu prüfen kommt, solle man ferner 4 Personen beiderseits
von zwei Geschwister ab zählen, und erst beim fünften Grade
heirathen lassen. An und für sich würden diese Bestim-
mungen allerdings zweifelhaft lassen, ob dabei die Geschwister,
wie nach kanonischem Recht, mitgezählt, oder aber, wie
nach isländischem Rechte, ausser Ansatz gelassen werden
wollen, und ob somit der 6. oder der 7. gleiche Grad ka-
nonischer Computation als der letzte verbotene zu gelten
habe; aber die Schlussworte des §. 1 bringen in dieser Be-
ziehung Gewissheit. Es heisst nämlich hier: „En ef maSr
tekr brceSrung sina eoa systrung sina J>a er £ar siSast 3 marka
sekt. En vpp fra |>ui sem fraendzemi oskylldizt f>a skolu
falla 2 aurar (silfrmetnir , fügen die Hss. A, B und S bei)
af kne hueriu . £a vseror f>at mork at setta kneu. Da ist
nun zunächst klar, dass die Lesart „silfrmetnir" die richtige
ist. Von den 4 Hss., welche unsere Stelle überhaupt ent-
halten, haben das Wort 3, und darunter B, welcher Codex
mit dem einzigen, in welchem das Wort fehlt, von derselben
Hand geschrieben ist; überdiess erklärt sich weit eher ein
späteres Wegfallen, als ein späteres Einschieben des Wortes,
und giebt die Stelle nur unter der Voraussetzung seiner
iEchtheit einen ziffernlässig richtigen Sinn: dass auch das
sog. Christenrecht Sverrir's, §. 56, der falschen Lesart folgt,
ist unter solchen Umständen ohne Erheblichkeit, zumal da
umgekehrt BjarkR. III, §.66, wider die richtige Lesart
v.Maurer: Berechnung der Verwandtschaft nach altnorweg. Hechte. 241
bietet. Wir wissen aber aus geschichtlichen Quellen (Heimskr.
Magnus s. Erlfngssonar, cap. 16, S. 792; Fagrskinna, §. 268,
5. 179), dass am Schlüsse des 12. Jahrhunderts der „sakmetinn
eyrir", d. h die Zahlung in gewöhnlichen Zahlmitteln, nur
halb so viel galt wie der ,,silfrmetinn eyrir", d. h. die
Zahlung in Silber, und wissen aus unserem Rechtsbuche
selbst (Fr{>L. III, § 2), dass zwar regelmässig die im Christen-
rechte angedrohten Strafgelder in Silber, bei einer Reihe
von Vergehen aber, und darunter den „kvenna mal", nur
in gewöhnlichen Zahlmitteln entrichtet werden sollten.
Fassen wir nun an unserer Stelle die „3 marka sektu, welche
für die Heirath unter Geschwisterkindern fällig wird, und
die Mark, welche „at setta kne" verwirkt sein soll, als in
sakmetinn eyrir angesetzt auf, so ergiebt sich, dass bei
einem Abschlage von 2 aurar silfrmetnir = 4 aurar sak-
metnir für den Grad die Zahlung bei Nachgeschwisterkindern
auf 2^2, beim nächsten gleichen Grade auf 2, beim über-
nächsten auf 1 J/2 , und bei dem noch weiter abliegenden
auf 1 Mark herabsinkt. Mit anderen Worten: die Rechnung
der Stelle wird vollkommen richtig, wenn man die Geschwister-
kinder als zweiten, nicht aber als ersten Grad zählt, wenn
man also nach kanonischer Computation, nicht nach alt-
isländischer Zählweise rechnet; unter jeder anderen Voraus-
setzung dagegen wäre die Rechnung der Stelle eine völlig
verkehrte. Hiezu stimmt aber auch, dass in Frf>L. VI, §.11,
nachdem zuvor die Verwandtschaft bis zu den ,,eptir-
brceftrasynir" , d. h. dem 3/ gleichen Grade kanonischer
Computation besprochen worden war, noch von denen die
„fiörSa manne", ,, finita manne" und „setta manne" sind
gehandelt, und sodann bemerkt wird, dass mit diesem
6. Grade die Verwandtschaft schliesse; auch dabei sind
nämlich sichtlich die Geschwister als erster Grad mitgezählt.
Die Zeit, in welcher die eben besprochene Stelle der
Fr|>L. die Gestalt erhielt, in welcher sie uns vorliegt, lässt
242 Sitzung der philos. -philo!. Classe vom 3. November 1877.
sich mit ziemlicher Sicherheit feststellen. Ich darf als völlig
gesichertes Ergebniss früherer, fremder und eigener, Unter-
suchungen betrachten, dass das Christenrecht der FrfrL. der
Hauptsache nach der „Goldfeder" entstammt, welche Erzb.
Eysteinn gemeinsam mit K. Magnus Erlingsson, beziehungs-
weise dessen Vater, zu Stande gebracht hatte, wenn dasselbe
auch einzelne iEnderungen in späterer Zeit erfuhr, ehe es
durch K. Häkon gamli und Erzb. SigurS gemeinsam seine
derzeitige Gestalt erhielt ; dass aber gerade die hier in Frage
stehende Stelle zu dem ursprünglichen Bestände der Gold-
feder gehörte und nicht erst auf spätere Umgestaltungen
zurückzuführen ist, lässt sich leicht darthun. Im Jahre 1215
nämlich wurde durch das IV. lateranische Concil das Ehe-
verbot auf den 4. gleichen Grad der Verwandtschaft be-
schränkt, und diese neuere Vorschrift ist denn auch in das
neuere Christenrecht des Borgarfunges (§. 21) sowohl als
des Gulafcmges (§. 30) übergegangen, gleichwie sie auch in
dem Christenrechte Erzb. Jons (§. 47) sich findet; dass dem
gegenüber unsere Frf>L. noch die ältere Regel festhalten,
zeigt somit recht deutlich, dass sie an unserer Stelle ihrer
älteren Quelle folgen, und dieselbe durch keine spätere
Satzung umgestaltet haben. Selbstverständlich werden wir
die übereinstimmenden Vorschriften der Gf>L. ebenfalls auf
deren Magnüs'sche Redaction zurückzuführen haben; ob
aber die Olafsche Redaction beider Rechtsbücher bereits
eine nach Form und Inhalt gleichartige Bestimmung ent-
halten habe oder nicht, ist eine Frage für sich, welche noch
nicht als dadurch erledigt gelten darf, dass unsere Stelle der
FrfcL. ausdrücklich auf die am Mostrarfcinge zwischen dem
heil. Olaf und B. Grimkell getroffenen Abmachungen Bezug
nimmt. Der Umstand, dass sowohl das augenscheinlich aus
einem älteren Texte der FrfcL. geflossene Christenrecht des
Stadtrechtes den Ausdruck frsendleif nennt, welchen unser
Text dieses Rechtsbuches bereits fallen gelassen hat, als
v. Maurer : Berechnung der Verwandtschaft nach altnonueg. Hechte. 243
auch an unserer Stelle der Gf>L. derselbe xAusdruck ur-
sprünglich gestanden haben muss, lässt vielmehr darauf
schliessen, dass die Olaf sehe Redaction beider Rechtsbücher
mehrfach anders geartet gewesen sein müsse als deren uns
vorliegender Text, und eröffnet sich damit die Möglichkeit,
dass auch der auffällige Ausdruck „at sjäunda kne ok sjäunda
lift", „at finita kne ok finita lift" der Gf>L. von hier aus
seine Aufklärung erhalten könnte.
Die bisherigen Ergebnisse werden theils bekräftigt,
theils vervollständigt durch die Vergleichung der beiden
noch übrigen Volksrechte. In den Ef>L. I, §. 30, liest die
eine Hs.: „t>at er oc firiboSet at nockor maur skal fa fren-
kono sinnar . ser til kono eSa frenndlaeiuar sinnar . ne guSciuia
sin . allar ero unndan skildar . nema su aein kona aei . er ma5r
laeiSir i kirkiu . f>ui at [>at er aecki nema kosgirni aeinn. Nu
skal taelia frensemi fcaeirra i 5ta kne oc take at 7da. En at
frenndlaeif . taeli 3 kne oc take at 5ta. En ef maSr taeckr
ner maeir . I>a ma sei aeiga at lag am". Die andere Hs. giebt
dagegen den hier besonders bedeutsamen Satz so: „Nu skal
taelia fra faeSr frensemi fcaeirra . taelia fra 6 kne oc taka at
7d\ En fraendlaeiua skall taelia i 4 kne oc taka at 5ta",
und änlich liest der kürzere Text, II, §. 26: „Nu skal tseliaa
fraendsaemi fcseiraß i 6 kne ok take at siaunda. En fraendlaeif
taeliae i 4 kne ok take at fimtaeu. Auch hier also steht
zunächst der ältere Ausdruck fraendleif gebraucht; ausserdem
wird aber zwar in allen Recensionen gleichmässig ganz wie
in den G{>L. und Fr{>L. die Ehe mit der fraendkona erst im
7. und mit der fraendleif erst im 5. Grade gestattet, dagegen
in der ersten Hs. dort der 5. und hier der 3. Grad als der
letzte verbotene bezeichnet, während freilich die beiden an-
deren Hss. als den letzten verbotenen dort den 6. und hier
den 4. Grad nennen. Nun wäre freilich sehr einfach, die
Lesart der letzteren beiden Hss. als die richtige, und die
der ersteren als die falsche zu erklären; aber doch würde
244 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 3. November 1877.
damit nicht nur gegen den bekannten Grundsatz Verstössen,
dass im Zweifel die schwerer verständliche' Lesart vorzu-
ziehen sei, sondern es wäre auch an sich schon schwer ab-
zusehen, wie der Schreiber der ersteren Hs. dazu gekommen
sein sollte, in zwei Ziffern unmittelbar nach einander nach
einer Richtung hin sich zu verschreiben, wogegen sich sehr
leicht erklärt, dass die Schreiber der beiden anderen Hss.
die ihnen unerklärlich scheinenden Ziffern sehr bewusst än-
derten. Hält man aber an der schwierigeren Lesart als an
der ursprünglicheren fest, so ergiebt sich, dass das 5. und
beziehungsweise 3. Knie als der letzte verbotene Grad, da-
gegen das 7. und beziehungsweise 5. als der erste erlaubte
bezeichnet wird; es muss demnach entweder angenommen
werden, dass zwischen dem letzten verbotenen und dem
ersten erlaubten ein Grad in Mitte gelegen sei, der weder
dieses noch jenes, d. h. relativ erlaubt oder dispensabel war,
wie dergleichen allerdings auf Island vorkommt, oder man
muss in unserer Stelle eine zwiefache Zählung der Ver-
wandtschaftsgrade erkennen , deren eine der anderen um
einen Grad vorauseilt, weil der erste erlaubte Grad der einen
von dem letzten verbotenen der anderen um zwei Ziffern
absteht. Gegen die erstere Anname dürfte sprechen , dass
ein in Mitte liegender dispensabler Grad doch wohl des
Näheren besprochen, und die Art der Dispenserholung an-
gegeben sein müsste, wie ja auch auf Island die Zahlungen
(fegjald, feviti, tiund hin meiri) genau geregelt sind, durch
welche der Dispens erkauft werden kann (vgl. meine Ab-
handlung über den Hauptzehnt, S. 215 — 21); für die zweite
dagegen lässt sich anführen, dass dieselbe durch die Analogie
des isländischen Rechtes ganz vollständig gedeckt wird. Die
Yergleichung der betreffenden Stellen der G{>L. und Frf>L.
zeigt nämlich, dass die zu den höheren Ziffern führende
Zählweise die des kanonischen Rechtes ist; die zu den
nidrigeren Ziffern führende müsste also eine ältere, nationale
v. Maurer : Berechnung der Verwandtschaß nach altnorweg. 'Rechte. 245
sein, ganz wie auf Island eine solche neben der kanonischen
Computation steht, und der Abstand dieser letzteren von
der ersteren wäre durch die Vermuthung sehr einfach er-
klärt, dass man in Norwegen ebenso wie auf Island und
nach manchen anderen germanischen Stammrechten die Ge-
schwister noch nicht in die Sibbezahl einrechnete. Ueber-
diess liegt aber auch noch die weitere Vermuthung nahe,
dass auch in der vorhin besprochenen Stelle der G{>L.,
welche eine Zählung nach Knieen und nach Gliedern neben
einander nennt, ursprünglich bei diesen beiden Zählungen
auch verschiedene Ziffern genannt gewesen seien, und zwar
doch wohl in der Art, dass die ältere Olaf sehe Redaction
der nationalen, die jüngere MagnüVsche dagegen der kano-
nischen Zählweise gefolgt wäre ; derselbe ungeschickte Com-
pilator oder Schreiber, welcher aus der frsendleif eine frsend-
kona machte, hätte dann erst die ursprünglich ungleichen
Ziffern der Knie- und der Gliedrechnung gleich gemacht,
und damit den oben gerügten Widersinn in unsere Stelle
hereingebracht. Ich habe in meinen Studien über das so-
genannte Christenrecht König Sverrir's (Festgabe zum Doctor-
JubilaeumLeonhard von Spengel's, 1877), S. 21— 25, darauf
aufmerksam gemacht und an einem einzelnen Beispiele
nachgewiesen , wie unter Umständen ein gemischter Text
der G[>L. nur durch eine gehörige Scheidung seiner Bestand-
teile verständlich gemacht werden könne; in dem vorliegenden
Falle wäre ich nun nicht abgeneigt ein weiteres Beispiel
einer auf diesem Wege zu beseitigenden Verderbniss zu er-
kennen, und die hier fraglichen Worte unseres Textes etwa
folgendermassen zu emendiren: ,,En oss er sva lovat at
taca at (Ol. sietta kne; M. siaunda liS; BaSer) frendkonor
varar. En konor l>ser aSrar er frendleifar varar ero at (Ol.
fior&a kne; M. fimta li5)".
Die Betrachtung des Rechtes von Vikin scheint ganz
geeignet, diese Vermuthung zu unterstützen. In der ersten
246 Sitzung der phüos.-phüol. Classe vom 3. November 1877.
Recension dieses Rechtsbuches, deren Text an der hier frag-
lichen Stelle allerdings nur auf einer einzigen Hs. beruht,
heisst es, Bf>L. I, §. 15: „Nu skali aengi maor fa frendkono
sina skyldri en at 5 kne, oc at finita manne frendlaeif",
wogegen freilich II, §. 6 steht: „Nv skal aengi raadr fa
frenkono sinnar skyldri en at 7 kne . ok fimta manne at
frenseme", und III, §. 6: ,,Nv skall aengi madr fa frendkono
sinnar skylldri en at 7 kne . oc at fimta man na frendlaeif".
Auch hier sehen wir also wider einen unverständlich ge-
wordenen Text in verschiedener Richtung verderbt. Die
fraendleif zunächst, welche Text I und III richtig festhalten,
ist in Text II beseitigt, gleichviel übrigens, ob wir sie als
völlig ausgefallen, oder aber als, änlich wie in den G{>L.,
durch die Worte „at frensemeu ersetzt betrachten wollen;
bezüglich ihrer wird aber nach kanonischer Zählung und
mit der Ausdrucksweise des kanonischen Rechts (at fimta
manni) die anderswoher schon bekannte Verwandtschafts-
grenze festgehalten. Bezüglich der fr aendkona dagegen setzen
zwar Text II und III den 7. Grad als den ersten erlaubten,
und folgen somit augenscheinlich der kanonischen Compu-
tation ; Text I dagegen bezeichnet das 5. Knie als den ersten
erlaubten Grad, und den Ausdruck „kne" brauchen auch
jene ersteren Texte. Stünden die B[>L. für sich allein, so
würde man zweifellos sich für berechtigt halten in Text I
für das 5. Knie das 7. zu emendiren; im Zusammenhalte
aber mit den oben besprochenen Stellen dürfte sich doch
ein anderer Ausweg mehr empfelen. Ich wenigstens möchte
vermuthen, dass in Bf>L. I ursprünglich ein änlich gestalteter
Text vorgelegen habe wie in E{>L. I, aus welchem unsere
Hs. ihr 5. Knie, nur freilich verkehrter Weise als ersten
erlaubten statt als letzten verbotenen Grad sich erhalten
hat, wogegen die beiden anderen Texte der Bl>L. nur den
7. Grad der kanonischen Computation beibehielten, und
dafür die nationale Zählweise ganz fallen Hessen; ob dabei
v. Maurer : Berechnung der Verwandtschaft nach altnonoeg. Rechte. 247
die Worte des Textes II: „ok fimta manna at frensemi"
einen Ueberrest dieser letzteren, oder aber eine verkehrte
Emendation der auf die fraendleif bezüglichen Satzung dar-
stellen, lasse ich auf sich beruhen.
Man sieht, die von den Frf>L. ganz unzweideutig aus-
gesprochene Vorschrift , dass die Ehe unter Verwandten
erst im 7. gleichen Grade kanonischer Computation erlaubt
sei, und die Ehe mit der Wittwe eines Verwandten erst
im 5. gleichen Grade derselben Computation, geht durch
alle vier Provincialrechte ganz gleichmässig durch; aber die
Verwandtschaftszählung und Bezeichnung ist in denselben
eine etwas verschiedene. Nicht nur der Ausdruck fraendleif
für die Wittwe eines Verwandten, welcher ursprünglich in
ihnen allen gestanden zu haben scheint, ist in einem der-
selben (Frf>L.) durch eine den Sinn desselben richtig wider-
gebende Umschreibung ersetzt, in einem zweiten (Gf>L.) in
das durchaus widersinnige „fraendkona" verwandelt, und in
einem dritten (Bf>L. II) sei es nun völlig beseitigt oder
durch die gleichfalls widersinnigen Worte „at fraendsemi"
vertreten, sondern es steht sich in ihnen auch eine doppelte
Bezeichnung der Verwandtschaftsgrade gegenüber, deren
eine, dem kanonischen Rechte entnommene, vor der anderen,
nationalen um einen Grad vorangeht. Dabei zeigt sich
diese letztere, welche der Sache, wenn auch nicht der Ter-
minologie nach völlig mit der auf Island üblichen nationalen
Berechnungsweise übereinstimmt, in den norwegischen Rechts-
quellen entschieden bereits antiquirt und dem Verständnisse
des Volkes fremd geworden; nur in einem einzigen Rechts-
buche (Ef>L. I) ist sie noch einigermassen klar erhalten, in
einem zweiten (Gf>L.) widersinnig mit der neueren Compu-
tation vermischt, in einem dritten (Bf>L. I) nur eben noch
durchschimmernd, wogegen wir in anderen Recensionen der
gleichen Rechtsbücher (Ef>L. II; Bj>L. III) die ältere Be-
rechnungsweise in die neuere verwandelt, und in dem jüngsten
248 Sitzung der phüos.'phüol. Classe vom 3. November 1877.
Rechtsbuche (FrfcL.) diese letztere in neu gewähltem Aus-
drucke zur alleinigen Herrschaft gebracht sehen. Vielleicht
gelingt es, von diesem Ergebnisse aus zur Lösung einer
Schwierigkeit zu gelangen, welche uns eine kirchliche Be-
stimmung macht, welche, ursprünglich für Norwegen er-
gangen, doch auch in die Quellen des gemeinen kanonischen
Rechtes übergegangen ist. Ich habe diese Bestimmung schon
vor Jahren aus anderem Anlasse zu besprechen gehabt (vgl.
meinen Artikel „Grägäs" in der Ersch und Gruber'schen
Allgemeinen Encyklopaedie der Wissenschaften und Künste,
Section I, Bd. LXXVII, S. 80—81), glaube aber jetzt zu
etwas anderen und richtigeren Resultaten bezüglich derselben
gelangt zu sein als damals.
Es lautet aber cap. 3 , X, de consanguin. et affin.
(IV, 14), unter der Ueberschrift : „Ccelestinus III.U folgen-
dermassen: ,,Quod dilectio tua (Et infra) Quaesivisti, utrum
is, qui a stipite per descendentem lineam sexto vel septimo
gradu distat, possit ei, quae ex altera parte per lineam des-
cendentem ab eodem stipite secundo vel tertio gradu distat,
matrimonialiter copulari, propter indulgentiam felicis ine-
moriae Adriani Papas, tunc Albanensis episcopi, in Norwe-
giam apostolicae sedis legati, qua permissum est hominibus
terrae illius in sexto (septimo, Cod. Ludovic.) gradu coniungi.
Quod tibi videtur convenienter posse fieri secundum regulam,
a quibusdam doctoribus approbatam, qua dicitur: quoto
gradu quis distat a stipite, et a quolibet, per aliam lineam
descendentium ab eodem, quum tarnen de consuetudine terrae,
si quando talis casus emerserit, incolae terrae propter pro-
ximiorem gradum coniunctos separent, et impediant copulari
volentes , sicut literarum tuarum series demonstravit. Nos
itaque sie consultationi tuae respondemus, quod indulgentia
illa sie est intelligenda, quod uterque coniungendorum distet
a stipite sexto gradu, cognatione secundum canones computata.
Si vero alter sexto vel septimo gradu distat a stipite, alter
v.Maurer: Berechnung der Verwandtschaft, nach altnorweg. Rechte. 249
autem secundo vel tertio gradu, coniungi non debent. Unde
in hac paarte consultius duximus multitudini et observatae
consuetudini deferendum , quam aliud in dissensionem et
scandalum populi statuendum , quadam adhibita novitate".
Ein Erlass also P. Cölestin's III. (1191 — 98), dessen Datum
sich zur Zeit nicht feststellen lässt (vgl. Jaffe, Regesta
pontificum, nr. 10,734), bezeugt gelegentlich der Entscheidung
einer uns hier nicht interessirenden Streitfrage über die Be-
handlung der ungleichen Verwandtschaftsgrade, dass Papst
Hadrian IV. zu der Zeit, da er als Cardinallegat Norwegen
besuchte, also im Jahre 1152, dem dortigen Volke die In-
dulgenz ertheilt habe, bereits im 6. gleichen Grade heirathen
zu dürfen , in einem Grade also , welcher , wenn wir ihn
nach der kanonischen Computation verstehen, nach dem
übereinstimmenden Zeugnisse der norwegischen Provincial-
rechte noch zu den verbotenen gehörte. Man kann den
Widerspruch, in welchen unsere Stelle hiernach zu den
verlässigsten einheimischen Quellen tritt, nicht durch den
Hinweis auf die oben verzeichnete Variante des Codex Lu-
dovicianus beseitigen, denn diese Variante beseitigt den an-
stössigen 6. Grad nur in einem der in Frage stehenden
Sätze, während in dem zweiten keine entsprechende Variante
aus der Hs. verzeichnet ist, und überdiess bliebe immerhin
bedenklich , auf die Autoritset einer einzelnen Hs. hin den
Text zu verändern; dagegen Hesse sich die Schwierigkeit
leicht heben, wenn man annemen dürfte, dass der 6. gleiche
Grad, in welchem P. Hadrian den Norwegern die Ehe er-
laubte, nicht nach kanonischer, sondern nach altnorwegischer
Computation zu verstehen war: in solchem Falle entsprach
derselbe dem 7. gleichen Grade der kanonischen Zählweise,
und führt sich die erwiesene Regel des norwegischen und
isländischen Rechtes, welche in diesem Grade die Ehe als
erlaubt betrachtete, während sie nach gemeinem kanonischen
Recht als verboten galt, sehr einfach auf die Indulgenz dieses
[1877. 1. Philos.-philol. Cl. 3.] 18
250 Sitzung der philos.-philul. Clause vom 3. November 1877.
Papstes zurück. Freilich will P. Cölestin den fraglichen
6. Grad ausdrücklich „secundum eanones" computirt wissen;
aber das konnte ja recht wohl ein bloses Misverständniss
seinerseits sein, dadurch veranlasst, dass der Fragesteller,
an welchen der Erlass gerichtet ist, der nationalen Bezeich-
nung der Grade sich bedient hatte, und beachtenswerth ist
jedenfalls, dass die Worte „cognatione secundum canones
computata" an derjenigen Stelle nicht stehen, welche auf
die Indulgenz P. Hadrian's ausdrücklich Bezug nimmt.
Zum Schlüsse mag noch eine weitere Bemerkung ver-
stattet sein. Ich habe bisher die von der kanonischen Com-
putation abweichende Zählweise der Grade als die ältere
nicht nur, sondern auch als die für Norwegen nationale be-
zeichnet; es lässt sich nun aber die Frage auf werfen, ob
diese Bezeichnung ihrem vollen Wortlaute nach berechtigt,
und ob nicht vielleicht dieselbe auch ihrerseits aus der
Fremde nach Norwegen gekommen sei? Wir finden in den
Gesetzen K. iE&elred's von England, VI, §. 12, folgende
Bestimmung: „And aefre ne geweorSe, |>aet cristen man
gewifige in 6 manna sib-faece on his ägenum cynne, f>aet is
binnan [>äm feoroan cneöwe, ne on f>aes läfe, I>e swä neäh
wsere on woroldcundre sibbe, ne on fcaes wifes n^d-magan,
|>e he aer haefde"; ferner in K. Knüt's Gesetzen, I, §.7,
die Vorschrift: „And we lseraÖ and biddaS and on Godes
naman beödaS, fcaet aenig cristen mann binnan 6 manna sib-
faece on his ägenan cynne aefre ne gewifie, ne on his maeges
läfe, I>e swä neäh sib waere, ne on f>aes wifes ned-magan,
|>e he sylf aer haefde"; endlich im Northumbrischen
Priester rechte, §. 61 (bei Schmid, Anhang II, S. 370),
den Satz: „and nän man ne wifige on neäh-sibban mä fconne
wiÖ-ütan |>äm 4 cneöwe, ne nän man his godsibbe ne wifige".
Wir finden in den beiden ersten dieser Stellen den in der
nordischen Sprache so selten auftretenden und so früh ver-
schwindenden Ausdruck fraendleif als „his maeges läf" oder
v. Maurer : Berechnung der Verwandtschaft nach dltnorweg. Bechte. 251
,,{>a?s läf, I>e swä neäh wsere on woroldcundre sibbe" wider;
wir finden ferner die Rechnung nach Knieen, und wir finden
überdiess neben ihr zugleich eine von ihr abweichende Rech-
nung nach Sibbe-Fächern ; GuSbrand Vigfusson's Vermuthung
aber, dass die isländisch-norwegische Bezeichnung knerunnr
für die Verwandtschaftslinie nur aus dem angelsächsischen
Worte cneöwrim entstellt sei, welches für die Sibbezahl
nachweisbar vorkommt, könnte zur Unterstützung einer
Zurückführung jener älteren Computationsweise der norwe-
gischen Quellen auf angelsächsische Einflüsse um so mehr
geltend gemacht werden , als ja der enge Zusammenhang
Norwegens mit England gerade für das kirchenrechtliche
Gebiet und Alles, was mit diesem zusammenhängt, unzwei-
felhaft feststeht. Dennoch neme ich Anstand, einer derartigen
Vermuthung mich anzuschliessen. In sprachlicher Beziehung
zunächst scheint mir GuSbrand's Bemerkung, so scharfsinnig
sie ist, doch keineswegs überzeugend. Dem Ausdrucke kne-
runnr stehen in der norwegischen Rechtssprache andere Zu-
sammensetzungen mit kne zur Seite, die sich nicht aus dem
Angelsächsischen erklären lassen, wie z. B. kvennkne, d. h.
weiblicher Grad in der Verwandtschaft (z. B. Häkonar s.
gamla, cap. 12, S. 251: er konüngborinn vseri at faSerni
allt til heiSni, svä at ekki kvennkne haf5i ä milli komit;
cap. 87, S 327: hefir {>essu riki räSit maÖr eptir mann,
ok aldri kvennkne f komit), oder kneskot, d. h. Verwandt-
schaftsgrad (Gf>L §.105: nü verSr kneskot i erfSum , J>ä
skal sä hafa, er nänare er, wo man dem Worte nicht, wie
GuSbrandr will, die Bedeutung ,,a dishonour, humiliation,
af a member of a family" beilegen darf) ; dieWurzelhaftigkeit
der Rechnung nach Knieen im norwegischen Rechte dürfte
hiernach feststehen, und deren Widerkehr im angelsächsischen
Rechte somit auf organischem, nicht auf mechanischem Wege
zu erklären sein. Die Zusammensetzung knerunnr aber
dürfte sich ebenfalls ganz gut als eine ursprüngliche halten
18«
252 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 3. November 1877.
lassen, da die Vergleichung einer Verwandtschaftslinie mit
einem aufspriessenden Busche (runnr) einem Volke ganz
mundgerecht sein mochte, welches die Nachkommenschaft
einer Person sich unter dem Bilde eines aufwachsenden
Baumes mit weit verzweigten iEsten, oder eines aufspros-
senden Krautes mit üppig wuchernden Halmstengeln und
Blüthen vorzustellen liebte, wie diess die Traumerscheinungen
der Ragnhildr, Hälfdan svarti's Frau, und der Signy Val-
brandsdöttir , des Bär5r snaefellsäss und des porgils örra-
beinsstjüpr darthun (Heim skr. Hälfdanar s. svarta,
cap. 6, S. 46; Hölmverja s., cap. 7, S. 17 — 18; BärSar
s. snaefellsäss, cap. 1, S. 2 — 3; Flöamanna s., cap. 24,
S. 146). In sachlicher Beziehung aber zeigt sich bei einer
genaueren Vergleichung der hier massgebenden Stellen der
angelsächsischen Gesetze mit denen der norwegischen Rechts-
bücher, dass zwischen beiden keineswegs vollständige Ueber-
einstimmung herrscht. Darauf zwar lege ich kein Gewicht,
dass die Eheverbote in Norwegen für die fraendkona um
zwei Grade weiter reichten als für die Ehe mit der fraend-
leif, während das angelsächsische Recht, der kirchlichen
Anschauung folgend, dass Mann und Weib ein Fleisch seien,
beide Fälle vollkommen gleich behandelte; insoweit nämlich
liegt eine Verschiedenheit des Rechts vor, welche bewusst
gesetzt sein mochte, und welche jedenfalls mit der Art der
Gradzählung nicht das Mindeste zu thun hat. Bedeutsam
will mir dagegen scheinen, dass in den angeführten Stellen
des angelsächsischen Rechtes zwar änlich wie in den nor-
wegischen Rechten eine zwiefache Zählweise der Grade neben
einander steht, dass aber die Knierechnung in England um
zwei Grade hinter der nach Sibbefächern zurückbleibt,
während dieselbe in Norwegen nur um einen Grad von der
kanonischen Computation absteht. Glaubt man demnach
die Rechnung nach Sibbefächern im angelsächsischen Rechte
mit der kanonischen Computationsweise identisch nemen zu
v. Maurer : Berechnung der Verwandtschaft nach altnorweg. Hechte. 253
sollen , so erreicht man zwar insoferne ein befriedigendes
Ergebniss, als unter dieser Voraussetzung der 6. gleiche
Grad kanonischer Computation in England wie in Norwegen
der letzte verbotene war; dagegen müsste solchenfalls die
nationale Knierechnung in England nicht nur, wie in Nor-
wegen, die Geschwister, sondern auch noch die Geschwister-
kinder ausser Betracht gelassen haben, was mit anderweitigen
Angaben schwer vereinbar ist, und überdiess jede Möglichkeit
einer Ableitung der norwegischen Zäblweise von der eng-
lischen ausschliessen würde. Hält man dagegen, wie diess
neuerdings Karl von Amira in seiner schönen Schrift über
Erben folge und Verwandtschafts - Gliederung nach den alt-
niederdeutschen Rechten (1874), S. 81 — 83, gethan hat,
dafür, dass bei der Rechnung nach Sibhefächern, anders als
nach der kanonischen Computation, auch der Stammvater
selbst mitgezählt worden sei, so ergiebtv sich allerdings für
die englische Kniezählung wie für die norwegische der
zweite Grad der kanonischen Computation als der erste der
nationalen Zähl weise; aber der letzte verbotene Grad wird
dann für England der 5. und nicht der 6. des kanonischen
Rechts, und verschwindet somit die Uebereinstimmung des
englischen Rechtes mit dem norwegischen auf diesem Punkte.
Da endlich auch die Uebereinstimmung der Ausdrücke fraeud-
leif und mseges läf recht wohl auf organischer Sprachver-
wandtschaft statt auf mechanischer Entlehnung beruhen
kann,- so erscheint mir die Wurzelhaftigkeit der oben nach-
gewiesenen älteren Gradberechnung im Norden immerhin
wahrscheinlich; die Alterthümlichkeit der Bezeichnungen,
welche das isländische Recht für diese verwendet, und die
Unmöglichkeit, diese isländischen Bezeichnungen auf eng-
lischen oder sonstigen fremden Einfluss zurückzuführen,
dürfte diese Wahrscheinlichkeit meines Erachtens nahezu
zur Gewissheit machen.
Sitzung vom 3. November 1877.
Philosophisch-philologische Classe.
Herr Bursian legt vor:
„Die Aristophanesscholien und der Codex
Venetus A.u Von Jos. Augsberger.
Wer sich mit ernsten Aristophanesstudien beschäftigt,
wird kaum darauf Verzicht leisten wollen, die buut zusam-
mengewürfelte Masse antiker Interpretationsgelehrsamkeit
seiner Beachtung zu unterstellen, welche uns in den soge-
nannten Scholien zugleich mit dem Texte des Dichters über-
liefert ist. Nicht nur der moderne Commentator wird sich
darin umsehen, was in der Erklärung des Dichters zu einer
demselben viel näher stehenden Zeit geleistet worden ist,
sondern die unter einer Masse von Wust verborgenen werth-
vollen Bemerkungen aus alter Zeit bieten Gelegenheit zu
verschiedenen Untersuchungen, welche zwar nicht gleich
grosse Resultate versprechen wie die verwandten Arbeiten
auf dem Gebiete der Homerscholien, aber doch geeignet sein
möchten, noch manche Perle dem Schatze philologischen
Wissens einzuverleiben.
Als Apparat zu diesen Forschungen besitzen wir erstens
die Ausgabe der Aristophanesscholien von W. Dindorf in
drei Theilen, Oxford 1838, oder die noch handlichere Aus-
J. Augsberger: Anstophanesscholien und Cod. Venetus A. 255
gäbe von Dübner in einem Band, welche im Jahre 1842 bei
Didot in Paris erschien, Letztere will, was man aus dem
Titelblatte und der Vorrede ersieht, etwas mehr sein als ein
blosser Abdruck der Dindorf'schen Ausgabe, und wer da auf
dem Titel liest : cum varietate lectionis optimorum codicum
integra, ceterorum selecta, glaubt das diplomatische Material
für die weitgehendsten Scholienstudien in Händen zu haben.
Besonders meint Dübner den Dank der Leser dadurch ver-
dient zu haben, dass er diejenigen Scholien, welche in einem
der beiden Hauptcodices oder in allen beiden fehlen, durch
dreierlei Klammern von den übrigen unterscheidet. Es ist
diese Bezeichnung auch wirklich, wenn man sich einmal da-
ran gewöhnt hat, ein Behelf, weil die Dübner'sche Einricht-
ung der adnotatio in einem gesonderten Theile des Buches
viel unangenehmer für den Gebrauch ist als die Noten unter
dem Text, wie Dindorf sie hat.
Aber über so kleine Unannehmlichkeiten einer Ausgabe
könnte man sich leicht beruhigen, dürfte man nur der festen
Ueberzeugung sein, dass man in allen Fällen die Lesarten
der Hauptcodices, sei es im Texte, sei es in der adnotatio,
besitze. Leider muss ich dieses nach einer nur kurzen Ein-
sicht des Codex Venetus A, der für den Text des Dichters
in zweiter, für die Scholien vielleicht in erster Linie von
Wichtigkeit ist, in Bezug auf beide genannten Ausgaben in
Abrede stellen. Ich werde im Folgenden die Ungenauig-
keiten und Unrichtigkeiten, welche ich in dem geringen von
mir verglichenen Theile der Scholien gefunden habe, näher
darlegen, mit der Ueberzeugung, dass dieses Wenige schon
genügen wird, das Vertrauen auf die Verlässigkeit der Aus-
gaben etwas zu erschüttern, zuvor aber will ich einiges über
die Beschaffenheit des Codex selbst berichten, mit Anfügung
des Wunsches, dass auch in dieser Beziehung die Notizen
der Ausgaben weniger mangelhaft sein möchten.
Was Dindorf in der praefatio seiner Scholienausgabe
256 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 3. November 1877.
über den Venetus sagt, gibt über das Aussehen desselben
gar keinen Aufschluss, weit befriedigender ist, was Ad. v. Vel-
sen in der praefatio seiner Ausgabe der Ritter, Leipzig 1869,
sagt: Codex Venetus (V) membrauaceus , inter Marcianos
474, forma quadrata majore, foliorum 172, saeculo XII scrip-
tus. Fabulas continet septem, quarum index in primi folii
pagina versa exstat: dqiGToqiavovQ nXovTog: veffekat: ßdzQcc-
%oi: IrtTteig: OQVt&eg: eIq^vt): ocpr^eq: Exaratus est manibus
ejusdem aetatis duabus, quarum alteri folia 1 — 61r (Equi-
tum vs. 1008, quem excipit vacuum usque ad finem paginae
spatium) debentur, alteri multo illi elegantiori folia 61v — 172.
Scholia addita sunt a primis manibus, sed postea correc-
tores perpessa . . . Das gibt mit wenig Worten einen ziem-
lich guten Begriff von dem Codex, nur ist dem Verfasser
ein kleiner Irrtum untergelaufen, indem die erste Hand nicht
bis Equitum vs. 1008 geschrieben hat, sondern bis Ra-
narum vs. 1008. Die Ritter sind bereits ganz von der
zweiten Hand geschrieben, die bei Velsen als multo elegantior
bezeichnet wird, ein Urtheil, dem ich mich nicht anschliessen
kann. Die zweite Schrift ist entschieden deutlicher, leser-
licher, was sich aber bekanntlich mit dem Begriff eleganter
nicht immer deckt.
Die Scholien sind von derselben Hand geschrieben wie die
Worte des Dichters, und auch hier ist dem Benutzer des Codex
die zweite Hand lieber als die erste, nicht bloss wegen der grös-
seren Deutlichkeit, sondern auch darum, weil von dem zweiten
Schreiber die Scholien genau auf die Seite gesetzt sind, auf
welcher der zu erklärende Vers steht, und ausser den Lemmata
Beziehungszeichen von den mannigfaltigsten Formen (z. B.
O^Kf^f \ T 3H»- Kj — J) <f 9*ri
die Auffindung des zu einem Verse gehörigen Scholiums
und umgekehrt erleichtern. Die erste Hand scheint zuvor
eine Anzahl von Seiten weit nur den dichterischen Text,
J. Augsberg er: Aristophanesscholien und Cod. Venetus A. 257
vielleicht ein ganzes Stück durchaus, geschrieben und dann
erst die ihr vorliegende Scholienmasse auf die Ränder rechts
und links vertheilt zu haben Die Beziehung ist durch Buch-
staben bezeichnet (z. B. o, oa, oß). Es kommt aber vor, dass
ein Scholium 3 — 4 Seiten vor dem zugehörigen Verse steht.
Uebrigens habe ich in der ersten Partie des Codex nur sehr
wenig nachgesehen, da ich mir zur Aufgabe gemacht hatte,
die Scholien zu den Rittern ein Stück weit zu vergleichen.
Die Resultate dieser Thätigkeit will ich nun darlegen.
Die v7TO&£öeig der Ritter beginnen Fol, 69Y- oben mit
der in den Ausgaben mit I bezeichneten, in einer deutlichen
Schrift, welche so ziemlich die Grösse des dichterischen Tex-
tes hat. Die Gleichmässigkeit der Schrift im Codex ist we-
sentlich garantiert durch die Linien, welche mit einem nicht
zu spitzen stilus auf den Blättern eingraviert sind. Die
Linien sind ziemlich eng und gleichmässig ausgezirkelt. Die
Ränder rechts und links sind durch abwärts gezogene Linien
von dem inneren Räume geschieden. Auf Fol. 69 v- ist nur
links (aussen) ein Rand gelassen und anderweitig beschrieben,
nach innen zu läuft die Schrift durch. Auf vicodeGig I
folgt II der Ausgaben , als etwas Neues durch eine neue
Zeile und ein einfaches Zeichen, ein rasch hingeworfenes auf-
rechtes Kreuz , das in dieser sondernden Bedeutung öfter
wiederkehrt, bezeichnet. Sie schliesst mit den Worten des
vorletzten Abschnittes der Ausgaben %ai elg &rJTag. Die
didaskalische Notiz dagegen steht auf dem linken Rande
hinter der tTto&eöig III, welche in kleinerer, an Grösse den
Scholien entsprechender Schrift, die auch weit mehr Silben-
kürzungen enthält, oben neben der ersten vrtod-eoig beginnt :
(XQiOTOcpavovg yQa(x^iaTiY.ov v irtTricov: Ttcxqayu — xalrjg.
Darauf folgt also die didaskalische Notiz edidax^rj — cYlocpo-
QOig, dann noch, rein als Spielerei zur Raumausfüllung auf
fünf Zeilen vertheilt : olxla rj nolig, deöJtoTrjg 6 örj/nog, &e-
Q<X7C0vreg o\ GXoaii^yolt
258 Sitzung der philos.-'phüol. Classe vom 3. November 1877.
Der Schluss der vtv. II hat sich bereits auf Fol. 70 r hinü-
bergezogen , wo nach den Worten xal elg &rJT<xg in der
nächsten Zeile zu lesen ist:
Ta xov ÖQ(X(xazog 7tqoou)7ta: — Jrjuoo&evrjg. l4yoqa-
XQirog 6 xai aXkavTOitwXrjg : Xogog i7tnecov. Nwlag. KXitov.
Jrj/Liog: — ' Aqi orocpavovg \7tnug. Der Titel des Stückes
steht weder in einer eigenen Zeile, noch ist er durch irgend
etwas besonders hervorgehoben. Gleich in der nächsten Zeile
steht in gleicher Schriftgrösse der erste Vers, und das erste
Wort 7arrara/aif hat schon ein Beziehungszeichen ( (pf ),
das sich am oberen Rande dieser Seite wiederfindet, wo die
Scholien beginnen. Sie nehmen auf dieser Seite vom oberen
Rande drei Zeilen ein, setzen sich dann rechts aussen und
zuletzt am unteren Rande fort. Ausser den Beziehungs-
zeichen sind meistens auch Lemmata zur Angabe der Zuge-
hörigkeit vorhanden. In dem von der zweiten Hand ge-
schriebenen Theile des Codex ist es Regel, dass die Haupt-
masse der Scholien auf dem oberen Rande beginnt, sich auf
einem der beiden Seitenränder eine Strecke weit fortsetzt,
dann auf den anderen Seitenrand übergeht und zuletzt den
unter dem Text befindlichen Raum einnimmt. Ist für eine
Seite eine besonders grosse Masse von Scholien unterzu-
bringen, so ist darauf die Zahl der Verse beschränkt, auf
welche Weise z. B. Fol. 72 r oben Raum für neun Zeilen
Scholien gewonnen ist.
Von dieser fortlaufenden Hauptmasse der Scholien, denen
man den Namen Randscholien geben kann, unterscheiden
sich die Interlinearscholien und eine damit sehr verwandte,
kaum zu unterscheidende Art, die bei geeigneten Raumver-
hältnissen möglichst nahe neben, bei der letzten Verszeile
einer Seite auch unter das zu erklärende Wort gesetzten
Scholien, die eben deswegen auch kein Lemma oder Be-
ziehungszeichen haben. Sie alle miteinander Glossen zu
J. Augsberger: Aristophanesscholien und Cod. Venetus A. 259
nennen , erschwert häufig der Inhalt oder die verhältniss-
mässige Länge dieser Bemerkungen, denn es finden sich ganz
ähnliche unter die zusammenhängend geschriebenen Rand-
scholien eingereiht. Jedenfalls wäre das eine zu wünschen,
was in unseren beiden Ausgaben nicht der Fall ist, dass diese
Art von Scholien gesondert, d. h. mit unterscheidenden
Zeichen aufgeführt würde. Beispiele von derartigen Scholien
folgen weiter unten.
Es dürfte jedoch Zeit sein, dass ich an meine Haupt-
aufgabe gehe und berichte, inwiefern die Ausgaben die Les-
arten des Venetus A nicht richtig wiedergebeu. Am wich-
tigsten sind ohne Zweifel solche Fälle, wo uns die Ausgaben
sagen, ein ganzes Scholiura oder ein bedeutender Theil eines
solchen sei nicht in der Handschrift enthalten, während es
sich doch vollständig dort vorfindet. Ich habe von den
Scholien der Ritter wegen unzureichender Zeit nur ein kleines
Stück, Fol. 69Y— Fol. 73v incl., d. i. die Scholien zu den
ersten 196 Versen des Stückes vergleichen können, aber hier
schon zu bemerken Gelegenheit gehabt:
schol. 13 tlg ovv yivovt av Xeye ov: Tlg — eiTir}, ein
Scholium , das in der Ausgabe Dindorf s über vier Zeilen
einnimmt, enthält dort unter dem Texte die Anmerkung:
tlg olv — etTcr] om. R. V. und Dübner hat, jedenfalls nach
dieser Bemerkung, das ganze Scholium mit Uoppelklammern
eingeschlossen, was bei ihm bedeutet, es fehle in den beiden
Hauptcodices. Gleichwohl steht es vollständig in der Hschr.
schol. 29 ozirj to öig^a — atTOf.ioXovvT(ov steht im V.,
erst rwv deq)0^ivo)v — anodeQtooi fehlt, während nach den
Ausgaben das Ganze in den beiden Hauptcodd. fehlte.
schol. 42 dvoxoXov yeoovnov: JvOTqa7trjkov — A$r\vcuoi
om. R. V. schreibt Dindorf, und Dübner klammert die Worte
doppelt ein. Im V. aber fehlt nur das Wort dvaxoctniqlov,
das andere ist enthalten, allerdings in etwas veränderter Ord-
260 Sitzung der philos.-philol. Clasae vom 3. November 1877.
nung, indem die in den Ausgaben nachgesetzten Worte
v/toziocpov — leyoj.ievcuv in der Hschr. voranstehen.
schol. 70 6xTct7iXdoiov yj^ojuev — tzoXel steht im V.
trotz der gegenteiligen Notizen der Ausgaben.
schol. 73 Y.qdtLOT> exelvyv — evavrlovg steht im V.
schol. 107 in der Mitte: r\ nqog tt\v QQyKijv. dtov
einelv — nlvovxa steht im V. Es fehlt dort nur nach
OQqxrjV : eoxlv. °'u4Xkiog.
Entschuldbarer als diese geradezu unrichtigen Angaben
ist eine andere, dass die in den Ausgaben zu V. 133 ge-
schriebene, zu V. 136 gehörige Bemerkung deov de einelv
OTQccTTnydg üacplaytov eine nicht im V. enthalten sei, denn
sie steht wirklich im . Codex nicht an dieser Stelle, sondern
ist durch irgend einen Zufall auf die nächste Seite ganz
unten hin hinter das Scholium zu V. 165 gerathen. Ferner
ist zu V. 133 v.QctTelv die Glosse, im V. enthalten: cxQxeiv
ital Sieneiv %d noXirixa trotz der entgegengesetzten Behaup-
tung Dindorfs.
Eine andere unangenehme Wahrnehmung ist es, dass
in der adnotatio der Ausgaben häufig Aid. citirt wird, wo
ganz genau die Lesart des Venetus angegeben wird, so dass
man glauben möchte, der Codex biete, weil er nicht be-
sonders genannt wird, die in den Text der Ausgabe aufge-
nommene Lesart. Dies, ist schon im arg. I dreimal der Fall,
Zeile 16 (Dübner) o xey 27 töoneq neQicpavrjg, 28 l'/.ßdXkeTai.
Dieses sind Lesarten des Venetus, nicht blos, wie beide Aus-
gaben berichten, der editio Aldina. Dieselbe Erscheinung
wiederholt sich in den Scholien zu 41 enel dvrl ifrfgwr,
55 EniaXTOv, 59 evaXkayiqv otoixelov egyaocc^evog post KXitova
addit. Aid. (id. V.), 61 elxozcog, 84 "EXXrjveg elta SovXevoovot,
85 exaXewo rj y.qäoig^ 95 fjyrjod/xevog und nlvoiev, 103 Tijj
evvei, 112 tov xaxodai/xovog, 129 GTvnn lonwXrjg, 147 enei
xal 6 — enecpdvrj ccvzolg, 170 in Aid. (et in V.) cltco tov
Gv/xßeßrjxorog xal avrog wv6f.iaoej ßovX6f.ievog drjXioocu idg
J. Augsberger: Aristophanesscholicn und Cod. Venetus A. 261
xvxXddccg vrjöovg %vvly> xeifiivag, 189 %coqü. Allen diesen
Lesarten ist die Bezeichnung Aid. beigesetzt, obwohl es ge-
nau die Lesarten des V. sind und es viel wichtiger ist zu
wissen, was die Handschriften, und zumal die wichtigeren,
bieten, als die editiones und sei es auch die ed. princeps.
Eine andere Art von Ungenauigkeit ist die Weglassung
von Glossen, (so nenne ich der Kürze halber die oben er-
wähnten Scholien zweiter Art) die in der Handschrift stehen.
Zu V. 37 ov %elqov ist, wenn auch in sehr undeutlicher
Schrift, zu lesen: dvxl %ov ßiXxiov, ovy, axojtov.
Unmittelbar neben V. 60 fßvg qiqtoqag steht die Be-
merkung diov UTiüv tag pvag.
Zu V. 76 xXo)7tcöwv enthält der Codex die Randglosse
7taqcL to vXiTtiuv.
Zu V. 145 q>eQe ist ein Interlinearscholium vorhanden:
aye, ^ ovvra&g dq%aia.
Zu V. 146 ätä oöi 7tcpooe()xet(XL steht geschrieben : otä
avTog ovtog TtctQayiveTcci.
Hier lässt sich vielleicht anreihen, dass die in beiden
Ausgaben unmittelbar aufeinander folgenden Scholien 24
und 26 im V. als ein Scholium zusammengeschrieben sind,
ohne dass in der adn. eine diesbezügliche Bemerkung ent-
halten wäre.
Zu V. 60 ist in den Ausgaben eine Glosse gegeben:
a7todiwKu V. Soll das vielleicht zu ditoooßü gehören? Ge-
wiss nicht und es ist auch im V. dorthin geschrieben, wo
es hingehört, zu drteXavvei V. 58.
Bei den bisher aufgeführten Fällen war fast überall
volle Uebereinstimmung der beiden eingangs von mir ge-
nannten Ausgaben vorhanden, die zu dem Schlüsse führt,
dass Dübner im guten Glauben auf Dindorf s Genauigkeit
diesem nachschrieb. Ich kann mir indess nicht versagen,
auch ein paar Fälle anzuführen, wo Dübner die ihm vor-
262 Sitzung der phüos.-philol Classe vom 3. November 1877.
liegende Diudorfsche Ausgabe so flüchtig ansah, dass ihm
einige richtige Angaben derselben entgingen. Z. B.
schol. 9 £vvavllav: .... f.ni.irjocof.ie^a — dduQWf.ieda ist
bei Dübner mit R. bezeichnet ohne die mindeste Angabe,
dass die Worte ^ifXT]o6i.ie0^a ovv ttjV ovvauXlav *OXv(A7tov im
V. , ja nach Dindorf überhaupt in den Codices enthalten
seien.
schol. 11 %l TtivvQOiue&a: Tl öa-/.qvo(.i£v — dvwqieXeg
bemerkt Dindorf richtig: scholion om. V. Dübner hat
weder die gewöhnliche eckige Klammer noch eine Bemerk-
ung in der adnotatio. +
schol. 59 hat Dübner die kurze Anmerkung Dindorfs
nicht beachtet: fivQOivrjv — qtjtoqccq utcz R., d. h. die
zwischen diesen Worten stehenden Sätze stehen nur im Ra-
vennas, was Dübner in keiner Weise notiert.
Nach diesen nicht unbedeutenden Anklagen gegen die
von einer Ausgabe vorauszusetzende Genauigkeit, welche um
so schwerer in's Gewicht fallen müssen, weil das Material
dafür aus der Vergleichung einer winzigen Partie eines
einzigen, allerdings wichtigen Codex sich ergeben hat, macht
es wenig Eindruck mehr, wenn ich die störende Inconsequenz
bedauere, mit welcher Dübner ein in dem oder jenem Haupt-
codex fehlendes Scholium (beziehungsweise den Theil eines
solchen) einmal mit der betreffenden Klammer versieht, ein
anderes Mal nur in der hinten angefügten adnotatio als im
Codex fehlend anführt.
Aber das muss ich noch bemerken, dass man durchaus
nicht glauben darf, man besitze mit der adnotatio der Ausgaben
einen kritischen Apparat. Es ist ein solcher allerdings
bei einer Scholienausgabe nicht in grösster Ausdehnung
noth wendig, allein bei der Fülle von wichtigen Unter-
suchungen, die sich auf die Scholien stützen, bei der Mög-
lichkeit, in einzelnen Fällen für den Text selbst Schlüsse
J. Angsberger : Arlstophanesscholien und Cod. Venetus A. 263
aus den Scholien zu ziehen, dürfte doch eine Auswahl von
Lesarten notiert werden.
Es ist kaum nöthig, die aus meinen Wahrnehmungen
zu ziehenden Consequenzen eigens in Worte zu fassen Die
Ausgaben können für eine Reihe von Untersuchungen nur
als ein annähernd sicherer Grund betrachtet werden, am
wenigsten Halt aber bieten sie für solche Forschungen,
die den Werth und das Alter von Scholien aus dem Vor-
kommen oder Nichtvorkommen derselben in diesem oder
jenem Codex erschliessen möchten. Dass unter solchen Um-
ständen eine weiter gehende Vergleichung der Handschriften
nur wünsch enswerth sein kann, ist klar, und ich selbst ge-
denke insofern an diese Arbeit zu gehen, als ich eine kri-
tische Ausgabe der Frösche nebst den Scholien vorbereite.
Sitzung vom 3. November 1877.
Philosophisch-philologische Classe.
Herr von Prantl legt vor:
„Daniel Wyttenbach als Gegner Kants."
Daniel Wyttenbach (geboren 1746 in Bern, 1771
Professor des Griechischen am Athenäum in Amsterdam,
woselbst er 1779 den Lehrstuhl der Philosophie übernahm,
dann von 1799 bis 1816 Professor der Rhetorik in Leyden,
gestorben 1820) ist im Gebiete der classischen Philologie
rühmlich bekannt durch seine Arbeiten über Plutarch und
Plato, sowie durch die (von 1777 bis 1808) von ihm ver-
öffentlichte Bibliotheca critica, durch sein zweibändiges Werk
0do[Aa&lag xa 07tOQaSrjv (der lateinische Titel lautet „Miscel-
lanea doctrina") und wohl noch mehr durch seine „Vita
Ruhnkenii" (1799). Sowie er aber auch im Umkreise der Phi-
losophie sich durch Veröffentlichung einer „Logica" und einer
„Metaphysica" literarisch bethätigte, so lag für ihn in dieser
letzteren Beschäftigung die Veranlassung zu einer entschiede-
nen, ja selbst heftigen Bekämpfung Kant's, welche wesentlich
einen persönlichen Character annahm. Es hatte neinlich
ein strebsamer Holländer, Paul van Hemert (welcher früher
Theologe gewesen war, aber nach seinem Verzichte auf
v. Prantl: Daniä Wyttenbach. als Gegner Kant's. 265
priesterliche Thätigkeit die Professur der Philosophie zu
Amsterdam als Wyttenbach's Nachfolger übernahm) sich
mit Begeisterung der kantischen Philosophie zugewendet
und zur Beförderung und Verbreitung des Kantianismus in
Holland ein eigenes Organ, betitelt „Magazin voor de Kri-
tische Wysgeerte" gegründet (1799), in welchem er einmal
von sich sagt: „Maguus extitit Kantius propheta, et ego
huius inter Batavos exorior hypopheta"1). In ähnlicher
Weise hatte seit dem letzten Jahrzehnte des vorigen Jahr-
hunderts die Philosophie Kant's unter Ueberschreitung der
Gränzen Deutschlands Aufnahme gefunden in England und
Schottland durch Home, Nitsch, Willichs und Beck, sowie
in Frankreich durch Villers, Kinker, Destutt de Tracy und
Degerando.
Der Unterschied des philosophischen Standpunktes der
beiden nachmaligen Gegner war bei dem Einen derselben
bereits in früheren Jahren zu Tag getreten. Nemlich Wyt-
tenbach hatte schon in seiner von der Stolpe'schen Stiftung
i. J. 1779 gekrönten „Disputatio de unitate dei" (gedruckt
Lugd. 1780. 4) gegen Kant's i. J. 1763 erschienene Schrift
., Einzig möglicher Beweis vom Dasein Gottes", welche der-
selbe bekanntlich später in der Kritik der r. Vern. selbst
preisgab, eine Polemik geführt, deren Standpunct die Ueber-
einstimmung mit den Anschauungen der weitverbreiteten
leibnizisch- wolffischen Gegner Kant's deutlich zeigt2). Ferner
1) Wyttenbach, Epist. ad Lyndenum; Opusc. II, 201—3.
2) Opusc. II, 445 : Ratio Kantii eo redit „Deus continet ul-
timam causam possibilitatis omniura aliarura rerum ; igitur aliae res omnes
in tantum sunt possibiles, in quantura ab eo ente necessario tanquam
a causa proficiscuntur; igitur non plures esse possunt dii seu plura entia
necessaria" Eas res tantum ad possibilitatem refert, quae ad ex
istentiam pervenire possunt, quae est externa possibilitas, non illas etiara,
quae sibi ipsae non repugnant, quae est interna possibilitas Aliud
est vitium : Demonstrandum fuisset, res non necessarias non posse
[1877 I. Philos.-philol. Cl. 3.] 19
266 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 3. November 1877.
äusserte Wyttenbach schon in der ersten Auflage seiner
„Praecepta philosophiae logicae" (1782) auf Grund der üb-
lichen Schul-Logik seine Bedenken gegen die von Kant i. J.
1762 verfasste Abhandlung „Von der falschen Spitzfindig-
keit der vier syllogist. Figuren1' (s. unten Anm. 9). Nach-
dem aber nun i. J. 1796 Van Hemert in holländischer
Sprache eine Darlegung der „Elemente der kantischen Phi-
losophie1' veröffentlicht und hiedurch deutlich die Absicht
kundgegeben hatte, den Kantianismus bei seinen Lands-
leuten populär zu machen3), nahm Wyttenbach in seiner
„Vita Ruhnkenii" (1799) von dem Umstände, dass Ruhnken
in Königsberg ein Mitschüler Kant's gewesen war4), die
Veranlassung, unter Hinweis auf den anmuthigen Stil des
Hemsterhuis und auf die schriftstellerische Eleganz des Men-
delssohn, des Sulzer und A. den Kantianern Deutschlands
den Rath zu geben, dass sie sich von dem dunklen Wort-
Krame befreien und im Hinblicke auf den praktischen
Nutzen der Philosophie dem gewöhnlichen Verständnisse
durch eine sachliche und durchsichtige Schreibweise Rech-
nung tragen sollen5). Und bezüglich seiner eigenen Lands-
causam possibilitatis suae habere in pluribus entibus necessariis. Itaque
manifestum est Vitium, quod vulgo a petitione principii appeljatur. Vgl.
unten Anm. 13 am Schlüsse.
3) Van Hemert, Epist. ad Wyttenb., p. 42.
4) Wyttenbach, Vita Ruhnk., Opusc. I, 530: Kantium (i. e. con-
discipulum Ruhnkenii) sive casus sive quidam ingenii aestus ad philoso-
phiam detulit, in qua quum aetatem consumeret, senex eam protulit
metaphysicam rationem, quae nunc maxime ipsius nomine celebratur.
5) Ebend. p. 576 f. : Hemsterhuisius metaphysices abstrusis-
sima argumenta suaviter ac dilucide exposuit Quam rationem
adhuc in Germania elegantissimi quique tenuerunt philosophi, Mendels-
sohni, Sultzeri, alii ; et eandem profecto repetent seque ipsi ex verborum
obscuritate et involucris ad populärem captum et Socraticam perspicui-
tatem explicabunt novissimi illi doctrinae a Regiomontano Ruhnkenii
condiscipulo proditae sequaces, si quidem philosophia ad communem
I
v. Prnntl: Daniel Wyttenbach als Gegner KanVs. 267
leute glaubt er den nachtheiligen Einfluss, welchen in Deutsch-
land die Wolffische Philosophie auf die schöne Literatur
ausgeübt habe, * seitens des Kantianismus darum weniger be-
fürchten zu müssen, weil im Gegensatze gegen die ältere
Philosophie, welche in einem von struppigen und unerhörten
Worten freiem Stile auf die populäre Fassungsgabe wirkte,
diese neue Secte durch ihre Eigentümlichkeiten eher ab-
schreckend auftrete6).
Gegen diese Ausfälle Wyttenbachs, welche allerdings
nur die stilistische Form der kantischen Literatur betrafen,
wendete sich nun Van Hemert wiederholt in seinem „Magazin
voor de kritische Wysgeerte", dessen erstes Heft er in dem
nemlichen Jahre (1799) veröffentlichte, in welchem die Vita
Ruhnkenii erschienen war7). Hiedurch gereizt schrieb Wyt-
tenbach i. J. 1807 im zwölften (letzten) Bande seiner seit
1775 fortgesetzten Bibliotheca critica die „Epistola ad
Lyndenum", welche lediglich eine heftige Polemik gegen
Van Hemert, d. h. gegen den „Horrearius" ( — so nemlich
bezeichnet er ihn stets, ohne jemals den wirklichen Namen
zu nennen — ), zum Inhalte hat. Gegenüber den Entgeg-
nungen Van Hemert's, welche er dem Gekneife der Hunde
(,,latratiunculae canicularum") gleichstellt, geht er nun auch
huraani generis utilitatera intelligentiamque spectat nee eius studiosi
magis verbis quam rebus fidunt.
6) Ebend. p. 625: Apud Germanos iramoderatus Wolfiani studii
fervor literas veluti tempestatis calamitate afflixit Novissima a
vetere Regiomontano Ruhnkenii condiseipulo prodita ratio apud nos
quidem literis non obfuit nee, ut speramus, oberit; siquidem priores
illae (sc. rationes, d. h. er meint hiemit Newton, Locke, Leibniz u. A.)
partim maximarum scientiam rerum profiterentur , partim disserendi
spinis et verborum novitate minus obstruetam haberent cognitionem,
partim interpretes nascerentur, qui eas ad communem captum intel-
ligentiamque explicarent; quae et secus sunt in hac novissima ratione
et plurimum valent ad studii cum frequentiam tum diuturnitatem.
7) Van Hemert, Epist. ad Wyttenb. p. 3.
19*
268 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 3. November 1877.
auf die kantische Philosophie überhaupt näher ein, ja er
übt sogar in einzelnen Pnncten eine speculative Kritik,
welcher durchaus nicht jede Berechtigung abgesprochen wer-
den kann ( — auf Letzteres aber erst unten näher zurück-
zukommen, möge einstweilen vorbehalten bleiben — ). Wyt-
tenbach bekennt in dieser Epistola8) offen seine Sympathie
mit Eberhard, Mendelssohn, Platner, Garve, Herder, Feder,
Meiners, Tiedemann, Schwab, Nicolai, Wieland, Reinhard,
Falck, Henning, Weishaupt, ja auch mit Stattler (!), so
dass wir schon hiedurch über die Parteistellung hinreichend
orientirt sind. Er erkennt wohl an, dass Kant, scharfsinnig
und geistreich, manches Einzelne fein entwickelt habe, aber
findet doch, dass aus der Neuerungssucht und Eitelkeit des-
selben nur eine von Anfang bis zu Ende unhaltbare Lehre
hervorgegangen sei9), welche namentlich auch an einer
folgenschweren, von den Anhängern aber nicht beachteten
Unkenntniss der Geschichte der Philosophie leide10). Man
stosse bei Kant's ungewohnter Redeweise auf eine Finster-
8) Opusc. II, 198.
9) Ebend. p. 164 f.: Noveram auctorem (d. h. Kantium) ex aliis
quibusdam eius scriptis ut acutum et ingeniosum, sed eundem capta-
torem novitatis et admirabilitatis , nee mihi probatur in argumento
de unitate dei et iudicio de falsa argutia figurarum syllogisticarum (s.
Anm. 2). Ebend p. 196: Sunt vero etiam, quae probera, nimirum sin-
gularura quarundam partium expolitionem et acutas nonnullas animad-
versiones; at universam doctrinam, prineipia etexitum, probare me non
posse fateor.
10) Ebend. p. 187 f.: Omnino ultra quam philosophum decet, li-
terae ei defuerunt, ut in historia pbilosophiae vix supra Spinozae et
Cartesii aetatem progressus videatur. Qui si priores et antiquos cog-
nitos et pertraetatos babuisset, a multis sibi erroribus cavisset. Fortasse,
nisi eum novae seetae condendae gloria deeepisset. Ebend. p. 198:
Cui yiro, quod novitatis et admirabilitatis captatio adfuit, literarum
scientia et philosophiae historia defuit, nil ei obfuit apud novos ignaros
nee animadvertentes.
v. Prantl: Daniel Wyttenbach als Gegner Kant's. 269
niss, welche, je weiter man lese, immer dichter werde, und
bei dem Mangel aller Beweisführung sei man nur auf kühne
und unwahrscheinliche Behauptungen angewiesen11); die
Kritik der reinen Vernunft, vergleichbar einem von Stacheln
starrenden Igel oder einem vielarmigen Polypen, vermöge
es nicht, den stumpfen Blick ihres niederhängenden Kopfes
irgend vom Boden zu erheben12). Der Kantianismus, welcher
wie ein ansteckendes Fieber grassirte und zu einer Zeit, als
man ihn in Deutschland bereits für veraltet hätte halten
können, mit geringem Erfolge in die Niederlande einzu-
dringen versucht habe13), geberde sich wohl gar gewaltig,
halte sich für die einzig wahre Philosophie und bedaure es,
seine Herrschaft nicht über den Erdkreis verbreiten zu
können, aber er führe durch seine Spitzfindigkeiten selbst
seinen Sturz herbei und entfremde sich trotz allem win-
11) Ebend. p. 168: Novum et inusitatum dicendi genus, spissae
tenebrae, tum ipsa tractatio, spissiores etiam tenebrae et cum lectionis
progressu ingravescentes. Tantum quidem dispiciebam, consequentiam
argumentorum deesse, pleraque temere ac sine demonstratione poni, po-
stulari nee ad probabilitatem explicari.
12) Ebend. p. 166 f : Fuit (sc. Critica rationis purae) aut horrens
spinis echinus aut creber flagellis polypus Haec ei convenit forma
vocali, ineurvae, capite humi demissae, in terram intuenti et obtusa
oculorum acie ultra experientiae terminos, quod ipsa fatetur, prospicere
haud valenti.
13) Ebend. p. 157 f. : Tunc apud Germanos nova ista metaphysica
iam obsolescebat et nunc obsoluit Jam duodeviginta annos nata
erat, quum nostri homines eam apud nos producerent et Beigice cre-
pare cogerent; apud Germanos tunc vetula habebatur et erat sane pro
ingenio seculi effoeta (die Kritik der reinen Vernunft ersebien 1781,
Van Hemert aber begann sein Magazin 1799, und in diese letztere Zeit
fällt bereits Pachte) Febris erat , ut olim Wolfiana, antea Carte-
siana, sie ista Kantiana non quidem , ut illae, late per Batavam
terram fusa, sed intra paueos conclusa Adolescentulus Wolfiana
febrj laboravi (vgl. Anm. 2).
270 Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 3. November 1877.
digen Geschrei durch seine Sophismen und seine Unver-
ständlichkeit gerade alle Besseren14). All seinen Hass aber
gegen Kant sammelt Wyttenbach in eine längere Tirade,
in „welcher er mit den glänzendsten Farben der Beredsam-
keit die verderbliche Verbreitung schildert, welche die aus
cimmerischer Pinsterniss und Nordpol-Eis bestehende kantische
Philosophie in Deutschland gefunden habe16). Kant habe
14) Ebend p. 154 f. : Nova extitit secta volens tumul-
tuari, alias sectas ad ipsius formulam adigere conari, se solam veram
profiteri, indignari, se umbraculis suis inclusam teneri nee imperium
suum per terrarum orbem latius proferre posse: necquicquam, quippe
ipsa se suis acurainibus corapungens et labefaetans tortuosis 'conclusiun-
culis et nova verborum obscuritate cpikoxdlovg dilueidae fruetuosaeque
sapientiae amantes avertens, quamvis clamosa et ventosa similisque
ventis.
15) Ebend p. 169—72: Kantianus liber vix amplius in epheraeri-
dibus Germaniae memoratus, ut nemini intellectus, in oblivionem abire
videbatur. At vero adhuc neglectus iara produci , celebrari, eius
Studium primo latius serpere, tum ubique differri, denique per totam
Germaniam pervadere, fervere. Auetor illud congruum septentrionali
frigori opus tanquam Cimmeriis tenebris et boreali glacie concretum
protulerat Ac prouti Ixion amore Junonis . . . captus .... obieeta
nube .... cum ea congressus Centauros genuit, sie Kantius scien-
tiarum reginara deperiens Metaphysicam ab ea deeeptus Cimmeria cali-
gine eam iniens genus scientiae proereavit Centauricum, transcendentale
appellitatum, sepimenta prioris philosophiae transsiliens, vireta fruetum-
que vastans. Pater suum foetum in librum iueludens et tanquam Pan-
dorae dolium proponens non dubitabat, id . . . . pbilosophantium .... stu-
dia sibi conciliaturum. Avus Boreas adspirans coeptis dolium sustulit
.... et supra Germaniam volans in Saxoniam dolium deiecit , quod ibi
aliquot annos neglectum iaeuit. Philosophantes unus et alter . . . tollunt
operculum, iolium interius inspiciunt, vident plenum materia piceae ni-
gredinis et gravis odoris. Veterani operculum rursus imponunt, monent
novitios item facere, ne materia calore aeris effervescens in eorum ca-
pita erumpat. Pater ingloriam dolii sortem audiens faces ad illustran-
dum submittit, quibus admotis dolio aperto vapores a materia exbalante
suigentes ignem coneipiunt et subito cum fulgure sonitum edunt. Ecce!
novitii puerique ad rumorem novitatemque speetaculi excitare, adeurrere,
v. Prantl: Daniel Wyttenbach als Gegner Kanfs. 271
in Liebe zur Königin der Wissenschaften entbrannt, wie
Ixion durch Umarmung der Juno, aus täuschendem Nebel
ein centaurisches Wesen, die Transscendental - Philosophie,
gezeugt und diese Frucht seiner Liebe in ein Pandora-Fass
gelegt, welches dann der Grossvater Boreas über Deutsch-
land führte, wo es in Sachsen niederfiel und eine Zeitlang
unbeachtet liegen blieb16). Bei Oeffnung des Fasses aber
habe man einen pechschwarzen stinkenden Stoff gefunden,
und in Folge hievon sei von den Aelteren auf schleunigen
Wiederverschluss desselben gedrungen worden. Hierüber
adstare , stupere , mirari, gaudere, gestire, ignera quisque et materiae
partem rapere et auferre; massa picea concutiendo agitandoque exardes-
cens crepitansque dissiluit, rapientium vultus atra fuligine implevit,
capita furore instinxit, ut sibi pulcri et sapientes viderentur, per vicos
oppidaque discurrentes debaccharentur, deorura hominumque fidem obte-
starentur, se pristinis liberatam tenebris philosophiam ipsamque veri-
tatera afferre. Pater .... foetui duas submittit sorores criticas, Rationis
practicae et Facultatis iudicandi , tum alios et alios novos natos
Sic per decennium haec sola viguit veritas in scholis, libris, ephemeri-
dibus decantata et criticae philosophiae nomine celebrata In hac
scholastica conversione extiterunt demagogi nullo aut mediocri ingenio
per obscuritatem antea ignorati hanc inclarescendi occasionem
arripientes pervulgatas novae doctrinae formulas brevi tempore discentes
et memoriae tradentes easdem moxin conventiculis, circulis, stabulis, cau-
ponis, thermopoliis imperito et miranti vulgo tanquam agyrtae medici
collyrium lippitudinis, panaceam caecutientis ingenii ostentantes et ven-
ditantes.
16) Bei der Nennung Sachsens werden wir kaum an den Leipziger
Born denken dürfen, welcher bekanntlich die drei Kritiken Kant's
in das Lateinische übersetzte (jedenfalls finden wir, dass Wyttenbach
Stellen aus Kant nicht in der Born'schen Uebersetzung anführt), wohl
aber an Heydenreich in Leipzig, sowie an Schmid, Heusinger
und Schütz in Jena, ja vielleicht am meisten an Reinhol d's Briefe,
welche 1784 im^Deutschen Mercur erschienen. Dürften wir aber „Sachsen"
in weiterer Bedeutung nehmeD, so käme vor Allem Halle in Betracht,
wo Tieftrunk, Jacob, Hoffbauer, J. S. Beck wirkten, sowie
auch an den Magdeburger Meli in erinnert werden könnte,
272 Sitzung der philos-philol. Classe vom 3. November 1877.
ärgerlich habe Kant Packeln unter das Fass gebracht, wor-
auf es mit Blitz und Knall explodirte17). Nun seien die
Neulinge und die Knaben zahlreichst herbeigekommen,
und in verrücktem Freuden-Taumel habe Jeder ein Stück-
chen des Pech- Stoffes fortgenommen, wodurch ihre Gesichter
geschwärzt und ihre Köpfe mit der Wahn - Vorstellung der
Weisheit erfüllt worden, so dass sie wie trunken umher-
liefen und überall verkündeten, sie seien die Träger der
wirklichen von früherer Finsterniss befreiten Wahrheit.
Dann habe Kant noch zwei kritische Töchter und mehrere
Söhnlein gezeugt, und zehn Jahre hindurch sei die neue
Weisheit überall ausschliesslich gefeiert worden, wobei auch
ganz obscure Leute die wohlfeile Gelegenheit, berühmt zu
werden, gierigst ergriffen, den kantischen Formel-Kram aus-
wendig lernten und als „Demagogen"18) aller Orten wie
marktschreierische Quacksalber die Panacee , durch welche
alle geistige Blindheit geheilt werden könne, feil boten.
Bei solcher Kampfweise Wyttenbach's wäre es wahrlich
entschuldigt gewesen, wenn Van Hemert in seiner „Epistola
ad Danielem Wyttenbachium" , welche er im J. 1809 als
Entgegnung veröffentlichte, sich in stärkeren Ausdrücken
bewegt hätte, als er wirklich thut. Denn nach demjenigen,
was wir soeben anführten, durfte sich Wyttenbach in der
That kaum beschweren, wenn Van Hemert öfters von „nu-
gae" oder von „ineptissimus garritus" oder selbst wenn er
von ,,inipudentia" redet19). Derselbe erkennt ausdrücklich
\1) Unter diesen Fackeln haben wir wohl die „Prolegomena"
(1783) zu verstehen, doch in Erwägung der Parteistellung Wyttenbach's
könnte man auch an dieRecension denken, welche Kant überHerder's
„Ideen" in der Jenaer Literatur-Zeitung, 1785, veröffentlichte.
18) Somit die nämliche gehässige Denunciation, durch welche auch
Herder in seiner Metakritik die Polizei gegen den Kantianismus zu
Hilfe rief.
19) Van Hemert, Epist. ad Wyttenb. p. 15, 16, 32, 41,
v. Frantl: Daniel Wyttenbach als Gegner Kant's. 273
an, dass Wyttenbach im Gebiete der Philologie mit Glanz
in erster Reihe stehe, darf aber auch hinzufügen, dass der-
selbe in der neueren Philosophie gar schwach bestellt sei20).
Auch die Insulten, welche Wyttenbach der kantischen Phi-
losophie zugefügt hatte, führt Van Hemert darauf zurück,
dass jener eine Verdunklung seines sonst wohlverdienten
Ruhmes und zugleich die Aufdeckung seines Mangels an phi-
losophischem Wissen befürchtet habe21). So spricht Van
Hemert, — abgesehen von der Widerlegung einzelner spe-
culativer Bedenken, worauf wir, wie oben gesagt, unten zu-
rückkommen werden, — öfters im Allgemeinen den Vorwurf
der Unkenntniss aus22), und wir werden ihm z. B. auch
bezüglich einer scheinbaren Kleinigkeit gewiss nicht Unrecht
geben, insoferne er es rügt, dass Wyttenbach häufig für die
Philosophie Kant's die Bezeichnung „Metaphysik" wählte,
denn jeder Kundige weiss, dass es sich bei Kant gerade um
Beseitigung aller damals üblichen Metaphysik handelte23);
darum ist auch die Rechtfertigung, welche Wyttenbach
20) Ebend. p. 44: Uti in literis regnas atque iv nQo^tux^ig iure
summo censeris , ita in recentiore philosophia plane ävd'kxis es xai
ovTi&ayog.
21) Ebend. p. 11 : An quemquam latere posse putas, te nulla alia
de causa doctrinae Kantianae adeo vehementer insultare eosque qui eam
profitentur, tarn flagranti odio persequi, nisi quod verearis, ne tuis ob-
struatur luminibus et tua, quam iactas, philosophiae peritia prorsus nulla
esse deprehendatur.
22) Z.*B. ebend. p. 16: Te in maximarei, contra quam disputasti,
ignoratione versari, ostendam ^p. 18) Doctrinam ipsam non recte
cepisti, nedum percepisti aut animo totam penitusque eam comprehen-
disti.
23) Ebend. p. 25 f. : Toto coelo erras Purae rationis criticam
considerando velut systema quoddam metaphysicum novamque appellando
metaphysicam Estque hie tuus error eiusmodi, ut nullis fere aliis
argumentis mihi opus sit, .... te doctrinae Kantianae omnino
ignarum esse et de mente ac praeeipuo philosophi, quem inseetaris, con-
8Üio nihil quidquam animo pereepisse,
274 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 3. November 1877.
hierüber zu geben versucht, eine schwache24). Uebrigens
hatte Van Hemert gleichzeitig mit dieser Epistola durch
Einen seiner Freunde — wohl gewiss Heumann — den
nemlichen Inhalt in holländischer Sprache zu einem Auf-
satze in dem „Oekonomisch- literarischen Theater" verar-
beiten lassen und somit auch für populäre Verbreitung
dieser Polemik gesorgt25).
Wyttenbach aber beeilte sich sofort in dem nemlichen
Jahre 1809 im ersten Bande des oben erwähnten Werkes
„®ilona&ias etc." (Mise, doctr.) einen langen Aufsatz mit
der Ueberschrift „Ka&doowv" zu veröffentlichen, in welchem
er neben abermaliger Besprechung der eigentlich speculativen
Streitpunkte (s. sogleich unten) in den heftigsten Worten
seinen Zorn über Van Hemert ausschüttete. Er sagt z. B.,
dass bei demselben die Schmähsucht durch einen Mangel
an Vernunft und Talent, welcher sich bis zum Wahnsinne
und zu tollem Geschrei steigere, noch übertroffen werde26),
oder er nennt ihn geradezu einen unverschämten Hund,
welcher einfältige Lügen ausschütte und es für Latein-
schreiben halte, wenn er die Redewendungen der belgischen
Fisch weiber lateinisch übersetze27) u. dgl. mehr.
24) Wyttenbach, Mise, doctr. I, p. 39: Et tarnen vulgo, a Kan-
tianis adeo, subinde appellatur noraine metaphysicae Kantianae.
25) Ebend. I, p. 22.
26) Mise, doctr. I, p. 24 f.: Equidem tantam maledicentiam ex-
speetaveram, tantam inopiam rationis et ingenü non exspeetaveram, quae
nisi homini defuissent, poterat aliquid et brevius et acrius de ista ma-
teria conficere ; nunc iraeundia eum paulatim a iudicio ad insaniara com-
pulit, ut nil nisi voeiferaretur et debaccharetur.
27) Ebend. p. 121: Prorsus e suo libello discedit, ut praecisa canis
cauda, nara canern quidem impudentia et latratu per totum libellam se
praestitit cum in effutiendis stolidis raendaeiis et convieiis tum quod
non dubitavit latine scribere nesciens, latinitatera constare puritate et
urbanitate, utrumque ignorans, putans, hoc esse latine scribere, si ea,
quae piscariarum dictionibus Beigice composuisset, latinis verbis redderet,
v. Prantl: Daniel Wyttenbach als Gegner Kantfs. 275
Haben wir hiemit diese literarische Fehde mehr im
Allgemeinen und nach ihrem äusseren Auftreten betrachtet,
so dürfte hiebei unser Urtheil sich kaum zu Gunsten Wyt-
tenbach's gestalten, denn durch Gereiztheit und Feindseligkeit
wird noch keine vortheilhafte Stellung erreicht gegenüber
einem Gegner, welcher seinen Standpunkt mit Begeisterung
ergriffen hat und denselben mit Wärme, aber nicht mit
Wuth, festhält. Wyttenbach erinnert uns naclj dieser Seite
wirklich an die Philologen der Renaissance-Periode, welche
in ihrer Voreingenommenheit für ciceronische Rhetorik nur
mit Hass und Spott über die aristotelische Logik herfielen.
Aber wenn wir nun unseren Blick auf die speculative Kritik
richten , welche er an einzelnen Puncten der kantischen
Philosophie übte, so finden wir, dass ihm weder Unwissen-
heit in der damaligen Philosophie vorgeworfen noch auch
eine gewisse Schärfe philosophischen Urtheils abgesprochen
werden kann. Er gibt z. B. in Kürze den Hauptkern des
Kantianismus in einer Weise an, welche wir durchaus nicht
als unrichtig bezeichnen können28), und sowie er sichtlich
die Einwände kennt, welche seitens der leibniz-wolffischen
Richtung und anderer Gegner (s. ob. Anm. 8) gegen Kant
erhoben worden waren, so begnügt er sich für seinen Zweck,
einige Puncte, welche er als besonders massgebend beur-
quamvis belgicismos retineret. Die eben erwähnte „urbanitas" können
wir allerdings in solcher Schreibweise nicht entdecken , und ausserdem
empfangen wir den Eindruck einer recht schulmeisterlichen Weise, wenn
er p. 85 ff. in Einzelnheiten über die Latinität Van Hemert's herfällt.
Aeusserungen höchster Entrüstung über Van Hemert finden wir auch
in den von Mahne herausgegebenen Epistolae selectae Wyttenbachii
(Gent, 1829), z. B. Fase. I, S. 90 : „Emeritus theologus, vetus maledi-
centiae athleta et philosophiae Kantianae praeco me ab illa seeta alie-
num expertus dirissima convicia e triviis collecta, latinitate barbara, in
me effundere conatus est" und ähnlich ebend. S. 95 u. 101; aber über
Kant's Philosophie selbst kommt in dieser Briefsammlung Nichts vor.
28) Epist. ad Lyndenura, Opusc. II, p. 176 f.
276 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 3. November 1817.
theilte, in scharfer Formulirimg ins Feld zu führen. Der
eine oder andere darunter ist derartig, dass er zu allen
Zeiten bei einer Prüfung der kantischen Philosophie sich
aufdrängen muss. Van Hemert hingegen war eben Kantianer
der strictesten Observanz, und so muss es kommen, dass
wir Epigonen in dem Bestreben, Kant's inhaltsschwere Ver-
dienste und Kant's folgenreiche Schwächen richtig zu
schätzen, den beiden Gegnern mit getheiltem Beifalle folgen
werden, indem wir an dem Einen sowie an dem Anderen
bald die Berechtigung bald die Befangenheit beachten.
Sechs Puncte sind es, welche Wytteubach in den Vor-
dergrund gestellt hatte, und bezüglich deren auch sowohl
die Replik Van Hemerts als die Duplik des ersteren in Be-
tracht gezogen werden muss.
Allerdings nicht von grossem Beiauge ist der erste Ein-
wand , in welchem Wyttenbach gegenüber der Annahme,
Kant habe durch seine Kritik den Streit zwischen Dogma-
tismus und Skepsis geschlichtet, hervorhebt, dass der Gegen-
satz des Dogmatismus nur in der Schule der Akademiker
zu erblicken sei, welche die Erkennbarkeit der Wahrheit
geradezu verneinen, wohingegen das skeptische Princip des
Zweifels gerade in Mitte zwischen Bejahung und Verneinung
stehe ; Kant selbst aber sei bald Dogmatist bald Akademisch
bald Skeptiker ; ausserdem noch sei das Wort „Kritik14 eine
völlig willkürliche und unpassende Bezeichnung des Be-
strebens die Gränzen der menschlichen Geistesfähigkeit fest-
zustellen29). Van Hemert erwidert hierauf nicht unrichtig,
29) Ebend. p. 175: Pronunciant: Duplex adhuc metaphysicae ac
diversum fuit institutum, alterum dogmaticorum, alterum scepti-
corurn hanc tandem contentionem sedavit Kantius adferens criticam
lila divisio nee historiae fidei nee logicae legibus congruit ;
quippe dograaticis .... verum cognosci posse affirmantibus opponendi
sunt ii, qui hoc negant, ut Academici, horum in medio sunt
seeptici Kantius autern alüs in rebus est dogmaticus , in alijs
v. Prantl: Daniel Wyttenbach als Gegner Kant's. 277
dass nicht abzusehen sei, warum nicht auch die Akademiker
den Vertretern eines Dogmatismus beigezählt werden sollen,
und dass die Bemänglung des Wortgebrauches „Kritik41
einfach gehässig sei30). Und wenn hiegegen sich Wytten-
bach dadurch vertheidigt, dass dann den Gegensatz der Dog-
matisten jene Philosophen bilden müssten, welche überhaupt
ihren Mund nicht öffnen und sonach die Philosophen in
redende und schweigende einzutheilen wären, so dürfte diess
schwerlich unseren Beifall finden31).
Tiefer aber geht der zweite Einwurf, ja derselbe trifft
einen innersten Kern der kantischeu Philosophie, welcher
noch heutzutage ein Gegenstand schwierigster Controversen
ist und es wohl noch lange Zeit bleiben wird. Wyttenbach
fragt, wie denn der Philosoph, welcher die menschliche Er-
kenntniss auf die Erscheinung beschränkt und aus einer
objectiven zu einer subjectiven gemacht hat, jemals auf ge-
meingültig wahre und hiemit objective Gränzen des Erken-
nens gelangen könne ; es sei ja unmöglich, dass der mensch-
lichen bloss subjectiven Vernunft unabänderliche ewige Ge-
negans, in quibusdam scepticus. Deinde fines facultatum animi et materiae
cognoscendae designare et inter se comparare propositum fuit
Hanc autem finium designationem se perfecisse et criticam dixit primus
Kantius solita sibi verborum licentia Critica cognoraen magis ad
opinionem vulgi valebat,
30) Epist. ad Wytt. p. 19: Quo tandein iure eos, qui cum secundae
tertiaeque philosophis Academiae omnino negant, verum cognosci posse,
dogmaticorum numero eximendos censes? p, 23: Quo garritu
ecquid imperitius dici aut odiosius potest? nam quae tandem illa est
vel esse potest, quam crepas, verborum licentia ? latetne illa in nomine
Criticae ?
31) Mise, doctr. I, p. 34 f.: Ergo illi Academici iidem sunt dog-
matici, quia aliquid statuunt negantes, quidquam pereipi posse? hoccine
unquam doypee et $oy^iKxi^uv dictum est ? Quin potius qui dog-
maticus esse non vult, ne loquatur omnino neque os aperiat; itaque
duas habebimus formas philosophiae, (pdaiv et dyaolav, et duas
faciemus philosophorum seetas, loquentes et tacentes.
278 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 3. November 1877.
setze einwohnen , welche nur in der göttlichen Vernunft
sich finden können82). Van Hemert entgegnet zunächst,
dass ,,wahru und „objectiv" durchaus nicht identisch seien,
und sodann dass Kant in der That ausschliesslich nur von
den subjectiven Gränzen des Erkennens spreche und an ob-
jective Gränzen, von welchen wir nichts wissen, schlechter-
dings nicht gedacht werden dürfe ; was aber die Bemerkung
über die göttliche Vernunft betreffe, so beruhe diess auf einer
Misskennung der ganz verschiedenen Stellung und Geltung
der reinen und der praktischen Vernunft33). Wyttenbach
aber verbleibt mit dem Zugeständnisse, dass er eigentlich
richtiger „zweifelhaft" statt „subjectiv" und „gewiss" statt
„objectiv' hätte sagen sollen, doch bei seiner vorigen Auf-
fassung, indem er darauf hinweist, dass man gewiss nicht
aus der Subjectivität des Erkennens auf die Subjectivität
des zu erkennenden Objectes schliessen dürfe34). Abgesehen
32 ) Opusc. II, p 176 f.: Qui cognitionem humanam nee modo sen-
sibilem eius partem sed et intelligibilem a scientia et veritate ad opi-
nionem ac speciem traduxit seu, ut nunc loquuntur, ex obiectiva
subiectivara fecit, quoraodo is cum subiectiva sua cognitione
fines veros, quos vocant obiectivos , cognoscat ? Quae tandem est
illa ratio? scilicet humana, opinabilis, subiectiva. Huius leges igitur
sunt aeternae et immutabiles? Ita quidem de divina ratione loquuntur
alii philosophi, et fas est ita loqui, non de humana.
33) Epist. ad Wytt. p. 29 f. : Ne ipsam quidem vocabulorum, quae
reprehendis, vim a te intellectam esse patet Unde tibi constitit,
fines veros Kantio eosdem dici haberique cum Ulis, quos nunc vulgo
obiectivos appellant? Qai enim veros humanae cognitionis fines se
nobis designaturum profitetur , is profecto subiectivos , quos vo-
cant, fines eosque solos intelligat necesse est, ut de obiectivis finibus
ne vel cogitasse censeri possit ; de his quippe nulla esse potest aut cogi-
tatio aut quaestio p. 32 : Die igitur, quonam in libro haec legeris^
quae lectori narras Confundis nimirum rationem, quam theoreticam
cum ea, quam practicam vocant, et utriusque diversam vim diversumque»
usum.
34) Mise, doctr. I, p. 43: Istius reprehensjonis ansam non dedis-
sem, si pro „subiectivo" „dubium", pro „obiectivo" „certum" posuissem
v. Prantl: Daniel Wyttenbach als Gegner Kant's. 279
von dem Streite über die Bedeutung des Wortes „objectiv",
wobei Wyttenbach nicht völlig im Rechte, Van Hemert
aber fast ganz im Unrechte ist , berührt hiemit Ersterer
jene vielbesprochene Einseitigkeit Kant's, welche sowohl in
der ausschliesslichen Subjectivität der Anschauungsformen
Raum und Zeit, als auch in der bedenklichen Stellung des
Dinges an sich ihre Rolle spielt und schliesslich dazu führt,
dass das Menschen- Subject aus dem Zusammenhange mit
dem Universum losgeschält wird , — kurz wir stehen hier
vor jenem tiefsten Puncte, welcher stets allen jenen zu Ge-
müth geführt werden sollte, welche heutzutage in den
Grundfragen eine Rückkehr zu Kant empfehlen und uns
hiemit zumuthen, dass der ganze folgerichtige Abweg,
welchen die Philosophie nach Kant betreten musste, noch
einmal abgewickelt werde. Doch diese Fragen weiter zu ver-
folgen, ist hier nicht der Ort, und wir kehren hiemit zu
unseren beiden Kämpfern zurück.
Nicht minder beachtenswerth ist das dritte Bedenken
Wyttenbach's. Er weist nemlich darauf hin, dass die Ka-
tegorien, insoferne dieselben nach Kant's Auffassung vor
aller Erfahrung im Denken liegen und doch nicht wirklich
gedacht werden sollen, ehe die Erfahrung hiezu die Anreg-
ung bringt, einen inneren Widerspruch gegen die Apriorität
überhaupt enthalten ; . es seien auf diese Weise die Kate-
gorien im Denken und dabei zugleich doch nicht im Denken,
und wenn man annehmen müsse, dass die Seele gleichsam
vierzehen leere Zellen (die zwei reinen Anschauungsformen
und die zwölf reinen Verstandesbegriffe) enthalte, so sei es
unfassbar, wie in diesen Zellen vor dem Eintritte der Er-
fahrung etwas liegen solle, während Nichts in denselben
Sed en mirura Horrearii acumen : omnis finium, inquit, cognitio
est subiectiva, ergo fines omnes sunt subiectivi. Nil vidi minus. Sic
dicas „Omnis cognitio trianguli est subiectiva, ergo orane triangulum
est subiectivum." Quod quis sanus non rideat?
280 Sitzung der philos.-philoL Classe vom 3. November 1877.
sei. Spricht hiemit Wyttenbach auch hier das nicht unbe-
rechtigte Gefühl aus, dass die kantische Isolirung des Sub-
jectes zur unbestimmbaren Leere führe, so knüpft er zu-
gleich eine positive Forderung an , welche uns sofort an
Jacobi erinnert; man solle nemlich bedenken, dass in dem
selbstbewussten Ich, wie eben dasselbe thatsächlich ist, das
Motiv der sinnlichen Erfahrung sich miteingeschlossen findet,
und somit in diesem vollen Menschen-Subjecte eine Anzahl
ontologischer Grund - Begriffe liege, welche der Realität
mehr entsprechen, als der kantische Formalismus35). Na-
türlich behaupten wir nicht, dass Wyttenbach hiemit
das schwierigste Problem einer speculativen Vereinbarung
zwischen Subject und Object (bezüglich des Raumes, der
Zeit, der Bewegung u. s. f.) bereits wirklich gelöst habe,
und andererseits verargen wir es ihm nicht, dass er nicht
35) Opusc. II, p. 181 ff.: Categoriae illae a Kantio sie informantur,
ut proprium metaphysicae officium quod in „via a priori" positum est,
evertant. Dicit enim, eas ante sensibilium visorum adventum in animo
esse nee tarnen cogitari, sed per illa demum "fcxcitari .... Sed Kantianis
categoriis plane aeeidit illud Aristophanis de Euripide, de quo aliquis
interroganti, an domi sit, respondet : eySov xcel ovx evöov Kantio
animus tabula rasa est, non tarnen plane, sed quasi distineta parvulis
vel ollis exstantibus vel reeeptaculis depressis tanquam lacunis aut cellis
apum duodeeim categoriis et duabus conditionibus intuitionis tempore
et spatio ..... Illud autem volebam, Kantium per istam categoriarum in-
anitatem ipsum hoc suum a priori natum opus elementarium, hanesivemeta-
physicam sive puram rationera, funditus tollere. Nam illae profecto formae,
illa reeeptacula vacua sunt, anteaquam experientia quid in ea infuderit , et
nihil habent; hoc autem nihil aliquid esse, liceat criticis philosophis
affirmare p. 185 f.: Haec „conscientia", hoc „ego" habet in se in-
volutum sensum, durationis suae, successionis, temporis, libertatis.
.... Jpsum „ego" protinus infixam notionem habet substantiae, a qua
distinguit aeeidentia Ex quantitate materia , finitum, infinitum,
perfectum, imperfectum, ex qualitate forma, ordo, temeritas seu confu-
sio, bonum et malum, suave et insuave, pulcrum et turpe. Hae sunt
notiones praeeipuae ontologicae Accedunt novae corporum , exten-
sionis, soliditatis, spatii, motus.
v. Prantli Daniel Wytteribach als Gegner Kant's. 281
an der Hand der Geschichte der Logik die Hinfälligkeit der
ganzen Kategorienlehre Kant's aufgezeigt hat ; aber wir
geben ihm zu, dass er auf eine der wundesten Stellen des
Kantianismus hingedeutet hat. Daher finden wir es auch
erklärlich, dass Van Hemert als ächter befangener Kanti-
aner nur eine sehr schwache Erwiderung zu geben vermag.
Derselbe stützt sich nemlich auf eine blosse Analogie, indem
er betont, dass auch in der Sinneswahrnehmung die in den
Organen liegenden Formen erst in's wirkliche Dasein ge-
rufen werden ( — wie verhängnissvoll diese Analogie werden
könne, und wie im Gefolge derselben sich der gegenwärtige
Streit zwischen Nativismus und Empirismus einstellen müsse,
konnte er allerdings nicht ahnen — ) , und ausserdem ver-
wendet er nur das wohlfeile Mittel, seinem Gegner Unkenut-
niss und Verwechslungen vorzuwerfen36). Bei solcher Sach-
lage konnte dann auch Wyttenbach kaum etwas anderes
thun, als dass er die Analogie zurückwies und den Vorwurf
der Verwechslung einfach zurückgab37).
36) Epist. ad Wytt. p- 36 ff. : Totum hoc categoriarum negotium
haudquaquam a te intellectum esse, ex iis, quae dixisti, manifesto iam
apparuit Rogatum te unice velim, ecqua in eo posita esse repug-
nantia possit, si quis categorias, h. e. cogitandi formas, ante sensibilium
visorum adventum in animo iam esse nee tarnen cogitari, sed per illa
demum excitari statuat. Vel an et hoc tibi absurdum esse sibique ipsum
repugnare videtur, formam videndi audiendive in fabrica nostrorum ocu-
lorum vel aurium latere ? Quod igitur de commento categoriarum
. . . . effutiisti, crassa illud pinguique Minerva a te fictum certoque
simul argumento est, te ne vel primae rei, quam impugnas, elementa
cognita habere Categorias confundis cum aliis animi notionibus
prineipibus, velut conscientia sui etc Odiosis quibusdam imperio-
sisque edictis reprehensioni tuae apud idiotas auetoritatem concilias.
37) Mise, doctr. I, p. 53 f.: Diversissima coniungit bonus Horre-
arius cogitandi et sentiendi officia. In sensibus corporis concedimus ut
in corporea natura , in animo non concedimus Horrearius mea
cum suis commiscet. Quis enim nescit, quae sint duodeeim illae cate-
goriae Kantianae, neque in his ego numeravi conscientiam sui etc., sed
[1877. I. Philos.-philol. 3]. 20
282 Sitzung der philos. philo! . Clast>e vom 3. Noven.ber 1877.
Eine vierte Gruppe von Einwänden Wyttenbach's be-
trifft gleichfalls die Kategorien, indem zunächst die logische
Herkunft derselben überhaupt als eine ungeeignete bezeichnet
wird, da eine feste Grundlage der Philosophie nicht durch
eine nominalistische Logik, sondern nur durch reale meta-
physiche Kategorien gewonnen werden könne. Sodann tadelt
er, dass die Limitation , welche zur Quantität gehöre , bei
der Qualität eingereiht ist, sowie ( - gewiss mit Recht — ),
dass das sog. unendliche Urtheil nicht in genügender Weise
vom verneinenden unterschieden wird, ferner dass bei den
mehrfältigen Kategorien der Relation und der Modalität
die Dreizahl nur künstlich erzwungen sei. Ausserdem findet
er es ungehörig, dass das Principium identitatis in der Ka-
tegorientafel gar keine Stelle gefunden, und das Principium
causalitatis durch die Einfügung in die Relation förmlich
in die Ecke gestellt worden sei, sowie letzteres durch die
Beschränkung auf den Umkreis der Erfahrung von vorn-
herein wankend gemacht werde und untauglich bleibe, zu
einer letzten göttlichen Causalität fortzuschreiten38). Hiebei
pronuntiavi, has et alias contineri in classe notionum principura et se-
minalium multo magis, quam plerasque categorias Kantianas.
38) Opusc. II, p. 183 f.: Categoriae istae neque ortu neque numero
sunt id, quod debent esse, i. e. non habent iustum ortum, et numerus
duodenarius temere iis ut necessarius affingitur. Categorias enim
non volumus logicas, sed metaphysicas, ut vulgo loquuntur, reales, non
nominales, non logici quadro ordinatas, sed ante omnem non modo lo-
gicam institutionem , sed experientiae actionem et rerum externarum
ad sensus corporis appulsionem in animo impressas. Cui autem bono
fuit, aedificium ad aeternas et immutabiles, ut ipse ait, rationis leges
exactum tarn vago logicae de enuntiationum divisione praecepto super-
struere? Limitatio, quae est species quantitatis et eadem quae
particularitas, qualitati subiicitur ; eadem limitatio ducitur ex
enuntiatione infinita, et liaec ipsa non satis accurate ab enuntiatione
negante distinguitur ; relationis et modalitatis, quum sex utri
usque categoriae recenseantur, hae non nisi pro tribus numerantur, sc. ut
numerus duodenarins extorqueatur p. 188 f.: In eadem pliiloso-
v, Prantl: Daniel Wyttenbach als Gegner Kant's. 283
ist ersichtlich, wie sehr Wyttenbach eben doch in der alten
Schule befangen bleibt, von der üblichen theologisir enden Me-
taphysik, neben welcher die formale Logik losgerissen, in der
niedrigeren Stellung eines Werkzeuges herlaufen soll, sich
nicht zu trennen vermag, und in der Auffassung des A priori
und A posteriori dem leibniz-wolffischen Pfade folgend dem
traditionellen Dualismus huldigt. Und so war es auch für
Van Hemert kaum möglich, bei so völlig verschiedener
Grundanschauung in eine Einzeln -Discussion einzutreten.
Er schweigt in der Epist. ad Wyttenb. über diese Puncte,
und nur sein Freund hat in dem oben (Anm. 25) erwähnten
Aufsatze zur Erwiderung den Ausdruck gebraucht, dass es
Wortklauberei („verborum captio") sei, was Wyttenbach
gesagt habe39).
Indem hierauf Wyttenbach in einem fünften Einwurfe
es tadelt, dass von den Kategorien kein inneres Band zu
den höchsten Gegenständen des Erkennens führe , berührt
er das allbekannte Verhältniss der reinen Vernunft zur
praktischen Vernunft und findet es, wie sämmtliche Gegner
Kant's, völlig ungehörig, dass letztere über das Gebiet des
Praktischen hinausgreife und in Bezug auf Gott, Freiheit
und Unsterblichkeit zu theoretischer Statuirung gelangen
wolle, während doch bei richtigem Verfahren umgekehrt
das Praktische aus dem Theoretischen abgeleitet werden
müsse; auf dem Umwege eines überdiess zweifelhaften Ge-
phia critica ex illis duobus omnis cogitationis fundamentis et omni na-
turae cogitanti praesentibus quasi luminibus, principiis repugnantiae et
causae, ut illud ornittitur, sie hoc categoriae relationis subiieitur, ex il-
lustri loco in angulum abiieitur et omnino quasi ludibrio habetur
Et quum metaphysicam non ultra fines experientiae pertinere vult, in-
primis huis prineipii vim labefaetat; negat enim, illud nos adducere ad
Cognitionen! causae primae omniumrerum, i. e. dei In illa autem
vetustiorum ennoiogonia prineipium causae habet necessitatem et auc-
toritatem universalem.
39) Mise, doctr. I, p 70.
20*
284 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 3. November 1877.
fühles werde mittelst des kategorischen Imperatives Gott
schliesslich als „Deus ex machina" eingeführt40). Natürlich
entgegnet hierauf Van Hemert nur durch die Betheuerung
seines kantischen Standpunctes, dass jene drei Ideen wirklich
nur Gegenstand der praktischen Vernunft seien, und diess
auch von Jedem zugegeben werden müsse, welcher die Be-
deutung der Antinomien, die sich für die theoretische Ver-
nunft ergeben, zu erfassen vermöge41). Letzteres weist dann
Wyttenbach durch die Bemerkung zurück, dass die Antino-
mien nur eitle Sophismen seien, und auch er seinerseits
verbleibt bei seiner Meinung, indem er alle Postulate über-
haupt als einfältigen Aberglauben bezeichnet48).
40) Opusc. II, p. 190 f.: Non consentaneus sibi est in eo, quod,
quum categorias a priori intelligibiles et antiquiores esse experientia
statuit, ab his nullum progressum ad nova intelligibilia concedit
Tum quod illa tria placita „dei, immortalitatis, libertatis" ex metaphy-
sica ad ethicam, ex theoretica ratione ad practicam relegat, non modo
haec ipsa placita labefactat, ex lucido firmoque intelligentiae fastigio
in lubricam et confusam interni sensus latebram reiiciens, sed acpCkoaocpias
agit et ipsum primum philosophiae officium negligit Theoretica
dogmata ex practico ducuntur contra naturam philosophiae, cuius est
practica ex theoretico ducere Illa tria theoretica dogmata longe
dilucidiora et minus incerta sunt , quam ille sensus moralis dubius et
controversus novo habitu imperatorio, inaudito nomine imperativi
categorici in scenam revocatus et productus. Nonne hoc est Deum ex
machina inducere?
41) Epist. ad Wytt. p. 39 f.: Aegre ferre videris divinae
naturae ac providentiae , libertatis atque immortalitatis animorum no-
strorum probationem non purae rationis, sed practicae rationis esse ar-
gumentum. Ita certe statuit Kantius. Et recte quidem, ut norunt omnes,
quotquot illius vim doctrinae illustremque, qui est de antinomiis, locum
satis perceperunt.
42) Mise, doctr. I, p. 56 : Virum se praestitisset, si ostendisset, illas
illustres antinomias iustas argumentationes nee vana sophismata esse ....
(p. 57) Quod omnium longe est nr^udo^oiuToy et manifestum vategov
7i(JOT£Qovf theoretica dogmata ex practico ducuntur (p. 58) Haec
v. Prantl: Daniel Wyttenbach als Gegner Kant's. 285
Endlich der sechste Punct bezieht sich auf jene Grund-
lage, welche Kant seiner ganzen Philosophie durch die trans-
scendentale Aesthetik gegeben hat. Wyttenbach nemlich
bemerkt, Kant sei durch die von Niemandem geleugnete
Thatsache, dass alle Sinneswahrnehmung an Raum und Zeit
gebunden ist, zu dem Schlüsse verleitet worden, dass alles
Nicht - sinnliche nicht an Raum und Zeit gebunden sei;
diess aber sei nach den Regeln einer jeden Logik ebenso
unbedacht und verfehlt, wie wenn man z. B. folgender-
massen schliessen wollte: „Alle Hunde haben vier Füsse,
folglich hat Alles, was nicht Hund ist, nicht vier Füsse1143).
Je mehr aber Wyttenbach hiemit wirklich den Nagel auf
den Kopf getroffen hat, desto kläglicher ist die Erwiderung,
durch welche der Freund Van Hemer t's (s. Anm. 25) die
Verteidigung zu führen versuchte; derselbe sagt nemlich:
Wenn Jemand jene vier Füsse durch ein grünes Glas be-
trachte, müssen ihm dieselben nothwend ig grün erscheinen44).
Dass hiemit die ganze Erkenntnisslehre Kant's preisgegeben
sei, scheint der ungeschickte Freund nicht bemerkt zu haben,
und Wyttenbach befindet sich in der" günstigen Lage, diese
ita sunt conclusa, quasi comica persona superstitiosa eadem et stupida
agatur, non quasi philosophus loquatur, quid sit postulatum, quid con-
sequentia, intelligens.
43) Opusc. II, p. 192 f.: Quum omnes ab omni aevo tenuerint
philosophi, res sensibiles ad tempus et spatium esse adstrictas, hi novi
critici ita iactarunt, quasi soli scirent et reperissent. Et sane aliquid
adiecerunt , hanc sc. conclusionem : „Ergo res non sensibiles non ad
tempus et spatium adstrietae sunt ," quod aeque eleganter conclusum
est atque illud: „Omnes canes liabent quatuor pedes, ergo qui non sunt
canes non habent quatuor pedes." Scilicet non attenderunt ad magni-
tudinem subiecti et praedicati eorumque proportionem. Sed huiusmodi
paralogismi apud novos istos criticos non sunt infrequentes.
44) Mise, doctr. I, p. 72: Fingaraus, tuos pedes et pedes canis esse
voovfitvu et esse aliquem, qui eos adspiciat per dioptram vitri viridis;
necesse erit, ut ei bi pedes viridis coloris esse videantur.
286 Sitzung der philo.s.-ijhilül. Classe vom 3, November 1877.
Wendung des Gegners völligst für sich ausnützen zu könuen,
indem er erwidert, dass bei solcher Annahme ganz gewiss
auch sämmtliche Noumena an Raum und Zeit gebunden
sind45).
So hat Wyttenbach bei aller Ungehörigkeit der Form,
in welcher er Polemik übte, seinen Zeitgenossen Manches
über Kant's Philosophie zu denken gegeben, was auch heut-
zutage noch nicht seinen Werth verloren hat, sondern bei
jedem Bestreben, ( — wie man sich ausdrückte — ) „um
Kant herumzukommenu, erwogen werden soll.
45) Ebend p. 73 : Nonne videt hinc sequi, quia res sensibiles per
hanc nostram quasi sensuum dioptram spatio ac tempori adstrietae sunt,
etiam intelligibiles res iisdem adstrietas esse et his utrumque eodem
iure, quo sensibilibus, tribui debere.
Sitzung vom 3. November 1877.
Historische Classe.
Herr v. Giesebrecht theilte mit:
„Beiträge zur Geschichte Kaiser Friedrich's I."
Sitzung vom 1. Dezember 1877.
Philosophisch-philologische Classe.
Herr Trumpp legte vor:
„Ueber das indische Schuldrech t" von J. Jolly.
Abkürzungen.
Brih. — Brihaspati. D. — Colebrooke's Digest. Gaut. — Gau-
tama. Käty. — Kätyäyana. Kuli. — Kullüka. M. — Manu. May. —
Vyavahäramayükha. Mit. — Mitäksharä. N. — Närada. Vaij. —
Vaijayanti. Vas. — Vasishtba. Vi. — Vishnu. Vir. — Viramitrodaya.
Viv. — Vivädacintämani. Y. — Yäjnavalkya.
§. 1. Allgemeines. Quellen und Anordnung.
Das Schuldrecht nebst dem damit untrennbar verbun-
denen Pfand- und Bürgschaftsrecht steht in den eigentlichen
Rechtswerken der Inder durchaus im Vordergrund der Be-
trachtung. Nicht nur nimmt in den drei sonst mehrfach
differirenden Aufzählungen der 18 Klagegründe oder Rechts-
materien, die uns überliefert sind, bei M. , N. und Brih.,
die Eintreibung einer Schuld rinäddna allemal die erste
Stelle ein1), sondern es wird auch in der ganzen Lehre vom
1) Aucb bei Y„ der die Vivädapada nicht kennt, wird das Schuld-
recht doch an erster Stelle (2, 37 ff.) abgehandelt, bei Vi. (abgesehen
vorn Erbrecht) an letzter, aber in einem eigenen Capitel, dem 6.,
während das vorausgehende 5. fast alle übrigen Rechtsmaterien umfasst.
288 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Dezember 1877.
Gerichtsverfahren stets in erster Linie auf Schuldklagen
Bezug genommen. Da eine Darstellung des indischen Pro-
cesses einer besonderen Arbeit vorbehalten werden muss, so
sei hier nur erwähnt, dass bei N.2) das Schuldrecht nicht mit
den übrigen Rechtsmaterien im zweiten jTheile seines Werks,
sondern schon in adhy. 3 und 4 in Zusammenhang mit
dem Process vorgetragen wird, dass bei M. sogar das ganze
Zeugen verfahren nebst den Ordalien nur als eine Art Inter-
mezzo des Schuldrechts erscheint (8, 47 — 61. 139—178),
und dass bei Vi. und Y. ebenfalls eine ganze Reihe pro-
cessualischer Regeln (z. B. Vi. 9, 4 ff. Y. 2, 11. 18. 20),
namentlich der ganze Abschnitt über Beweis durch Schrift-
stücke (Vi. 7. Y. 2, 84—94), vornemlich auf Schuldklagen
Bezug haben. Die vorherrschend religiösen Rechtsbücher
enthalten entweder wie Baudhäyana und Apastamba gar
keine, oder wie Gaut. (12, 29—36. 40—42) und Vas. (16)
nur ganz wenige das Schuldrecht betreffende Bestimmungen.
Neben den genannten vollständigen Gesetzbüchern bilden
die nur aus Citaten in den späteren Compendien (Dharma-
nibandhas) bekannten Werke des Brih., Käty., Vyäsa etc.
die zweite Hauptquelle. Von den Dharmanibandhas waren
mir die Drucke des Vir. , Viv. , Ragh. (Vyavahäratattva),
Kuli, und der Mit. sowie gute Hss. der Vaij. — Jagannätha's
Vivädabhangärnava und der May. nur in den englischen Ueber-
setzungen Colebrooke's (Digest of H. L.) und Borrodaile's
zugänglich. Die Citate in den beiden letzteren Werken
sind in der Regel nur zur Controle des Textes und als
Hülfe bei der Uebersetzung benützt, da wo sich aus einem
der Sanskritwerke der Wortlaut des Originalcitates ent-
nehmen Hess, was meistentheils der Fall war. Auch in der
Anordnung folge ich so viel als möglich den Quellen, und
zwar dem Vir. und den anderen späteren und desshalb
2) Aus Vas. gehört hieher der erste cl. in 16 = N. IV, 2.
J. Jolly: Ueber das indische Schuldrecht. 289
ausführlicheren und systematischeren Dharmanibandhas,
deren Eintheilung des Stoffes übrigens im Wesentlichen aus
M. übernommen scheint ; nur wird bei diesem die Lehre von
der Eintreibung der Schulden vorangestellt. Sowohl von M.
als unter einander weichen die übrigen vollständigen alten
Gesetzbücher in der Reihenfolge der Materien ab; über die
nur aus Citaten bekannten lässt sich natürlich nach dieser
Seite hin kein Urtheil fällen. Die im Allgemeinen so schätz-
baren Glossen etc. in den Dharmanibandhas sind mit Vor-
sicht verwerthet; sehr oft kommt den Commentatoren auch
in diesem Theile des Rechts ihre Theorie von der prästa-
bilirten Harmonie aller Smritistellen , zumal der unter dem
gleichen Autornamen gehenden, in die Quere. So findet sich,
um hier von vielen Beispielen nur eines zu erwähnen, bei
Brih.3) die Bestimmung, dass ein Pfand, auch wenn das
darauf geliehene Gold zusammen mit den Zinsen die dop-
pelte Höhe des ursprünglichen Capitals erreicht hat und
daher nicht weiter zu verzinsen, sondern sofort zurückzu-
zahlen ist, erst nach 14 Tagen eingelöst zu werden braucht;
aber derselbe Brih. gewährt an einer anderen Stelle im
gleichen Falle dem Schuldner nur eine Frist von 10 Tagen.
Der Vir. (p. 316) urgirt in der ersteren Stelle das Wort
Gold und bezieht das zweite Citat aus Brih. ausschliesslich
auf anderweitige Darlehen z. B. von Kleidern, obschon es
-ganz allgemein gefasst ist. Noch grundloser will der Rat-
näkara (citirt im D. 1, 3, CXVl) die zweite Stelle nur auf
ortsanwesende, die erste nur auf verreiste (entflohene)
Schuldner bezogen wissen. Dass indessen den Glossatoren,
wenn nicht die Idee einer zeitlichen Entwicklung, doch die
einer localen Verschiedenheit der Gesetze ganz geläufig war,
zeigt auch hier der häufige Gebrauch, den sie von einem
3) Mit. 88, May. V, 2, 6. Im Vir. 315 wird diese Stelle dem Brih.
und Vyäsa, im D. I, 3, CXVI dem Vyäsa allein beigelegt.
290 Sitzung der philos.-philol. Hasse vom 1. Dezember 1877.
Spruche des N. über die Verschiedenheit des Zinsfusses je
nach dem Orte (§ 3) machen, um die sehr starken Discre-
panzen der Smritis in diesem Puncte zu erklären.
§. 2. Namen und Form, Entstehung und Beendig-
ung der Schuldverträge.
Das gewöhnliche Wort für „Schuld", rina, weist den-
selben Bedeutungsübergaug wie debitum auf; die Bedeutung
„Verpflichtung" tritt in den Vedas und in zend. arena1)
noch deutlich hervor, auch lat. reus ist vielleicht damit ver-
wandt. Daneben wird speciell für Gelddarlehen der Ausdruck
Jcusida gebraucht, d. h. etwas fest Sitzendes, wovon man
sich nicht befreien kann (B. R.); nach Brih. wäre es da-
gegen von hutsita und stdat abzuleiten, als eine Schuld
sammt Zinsen, die man von einem „Bedrängten41 und „im
Elend Befindlichen" svurückfordert (sie.)
Vor der Einführung der Schrift in Indien, die be-
kanntlich nicht wohl früher als in das 3. Jahrh. v. Chr. ge-
setzt werden kann, hing die Gültigkeit der Schuld- wie aller
Verträge hauptsächlich von der Anwesenheit von Zeugen
bei der Abschliessung ab. Dies ist im Wesentlichen noch
der Standpunkt M.'s, der die Minimalzahl der Zeugen auf
drei festsetzt, die Qualitäten eines gültigen und ungültigen
Zeugen aufzählt und überhaupt das Zeugenrecht mit grosser
Ausführlichkeit tractirt. Dagegen weist auf schriftliche Ver-
träge deutlich nur M. 8, 168 hin, wo von der Ungültigkeit
erzwungener Verschreib ungen die Rede ist, und dieser 9I.
kann, da er auch bei N. 4, 55 vorkommt, bei M. interpo-
lirt sein. Auch den Ausdruck harana 8, 52. 154 bezieht
Kuli, auf Urkunden ; allein er bedeutet an ersterer Stelle
4) Haug, Sitzungsber. d. bayr. Ak. 1872, I, 133, Fick, Wörterbuch
I, 226.
J. Jolly ; Ueber das indische Schuldrecht. 291
wie in 51 (Jcaranena lehhyasähshidivyddind Kuli.) Beweis-
mittel , an letzterer einen Vertrag , der durchaus nicht
schriftlich zu sein braucht. Auch Gaut., Baudhäyana, Apa-
stamba kennen nur den Beweis durch Zeugen, während bei
Vas. Vi. Y. N. die Schriftstücke als ein zweites und zwar
entscheidenderes (N. 4, 70) Beweismittel erscheinen, dem die
drei letzteren einen besonderen Abschnitt (leJchyavidhi) widmen.
Wie schon in § 1 erwähnt, ist darin vornemlich von Schuld-
verträgen die Rede: so erwähnt Y., dass in einer Urkunde
der Name des Gläubigers voranstehen müsse, Vi. und Y.
geben an , was zu thun ist , wenn der in einer Urkunde
unterzeichnete Gläubiger, Schuldner, Zeuge oder
Schreiber nicht mehr am Leben sind5). Die genauen Vor-
schriften über Prüfung der Schriftstücke nach der Hand-
schrift der Parteien, besonderen Zeichen u. s. w. beweisen,
dass Fälschungen häufig vorkamen. Im Allgemeinen stellen
M. Y. Vi. N. es als Voraussetzung für die Gültigkeit eines
Vertrags auf, dass kein Betrug und auch kein Zwang dabei
im Spiele gewesen sei. Ueber die gleichfalls vorausgesetzte
Rechtsfähigkeit der Paciscenten s. § 6.
Die Form der Rückzahlung hängt von der Form der
Eingehung der Schuld ab, d. h. eine vor Zeugen contrahirte
Schuld muss vor Zeugen zurückerstattet werden (Vi. Y. N.),
bei der Rückgabe einer schriftlich stipulirten Schuld muss
der Gläubiger den Schuldschein zurückgeben (N.) oder zer-
reissen (Y. Vi.) oder eine Quittung ausstellen , bei raten-
weiser Abzahlung muss jedesmal auf der Rückseite des
Schuldscheins eine bez. Bemerkung eingetragen (Y.) oder,
wenn der Schuldschein nicht zur Stelle ist (Vi.), eine be-
sondere Quittung ' ausgestellt werden (Y. Vi.). Hat der
5) Erst bei Brih., Vyäsa u. a. späteren Autoren kommen zu den
Schuldverträgen auch schriftliche Verträge über Erbtheilung, Kauf und
Verkauf, Grenzstreitigkeiten u, a. Angelegenheiten hinzu.
292 Sitzung der phüos.-phüol. (lasse vom 1. Dezember 1877.
Schuldner sich keine Quittung oder öffentliche Empfangs-
bestätigung verschafft, so muss er die Schuld weiter ver-
zinsen (N.). Unigekehrt soll der Gläubiger, der sich weigert
eine Schuldsumme, deren Rückzahlung ihm angeboten wird,
anzunehmen, keine weiteren Zinsen erhalten (Gaut. Vi. Y.
N.) ; nach Y. soll die Summe bei einem Unparteiischen
deponirt werden. Mit einem insolventen Schuldner kann
man bei Ablauf der Zahlungsfrist einen neuen Vertrag „in
der Form von Radzinsu eingehen, worin das ursprüngliche
Capital um die fälligen Zinsen vermehrt erscheint (M. Katy.
Brih.) ; kann er wenigstens die Zinsen bezahlen, so soll nach
M. in den neuen Vertrag nur die ursprüngliche Forderung
aufgenommen werden. Natürlich kann der Gläubiger in
diesen Fällen, wenn er will, auch auf seinem Schein be-
stehen, s. § 7. Hat ein Schuldner mehrere Forderungen
zugleich zu befriedigen, so soll er nach Käty. im Allge-
meinen die zuerst gemachte Schuld zuerst bezahlen, abge-
sehen davon, dass die Forderungen eines Königs oder schrift-
gelehrten Brahmanen allen anderen vorgehen ; sind alle
Schulden am gleichen Tage contrahirt, so stehen die An-
sprüche der Gläubiger einander in jeder Hinsicht gleich.
§ 3. Zinsen.
Bei der hervorragenden Wichtigkeit, welche die indischen
Gesetzgeber dem Schuldrecht beilegen, begreift es sich, dass
ungeachtet aller moralisirenden Tendenzen an ein Verbot
oder eine starke Beschränkung des Zinsennehmens bei ihnen
nicht zu denken ist. kusida wird von den meisten Autoren
(z. B. M. 1, 90. Vi. 2, 5. Vas. 2 med.) als eine der Hauptbe-
schäftigungen der dritten Kaste angeführt und zählt bei N.
wenn nicht zu den ganz reinen, doch mit Ackerbau, Handel
u. s. w. zu den fleckigen Erwerbsarten, nicht wie Spiel
u. s. w. zu den schwarzen. Die husidinah „Geldverleiher"
J. Jolly: lieber das indische Schiddr echt. 293
scheinen nach demselben eine eigene Klasse innerhalb der
dritten Kaste gebildet zu haben, und selbst den Wucher
(vdrdhushya) verbietet er dem Vaicya nicht, wohl aber dem
Brahmanen, der auch in Nothzeiten nie zum Wucherer
werden soll, während sonst der Brahmane und Kshatriya
in der Noth zu den Erwerbsarten der dritten Kaste über-
gehen dürfen. Was ist Wucher? Die gesetzlichen Zinsbe-
schränkungen gehen theils auf Festsetzung eines gewissen
Maximums, über welches hinaus das Capital sammt Zinsen
nicht anwachsen darf, theils auf Normirung des Zinsfusses,
theils auf völlige Verbietung des Zinsennehmens in gewissen
Fällen, theils auf Untersagung gewisser Arten von Zinsen.
1) Nach M. soll bei Gold die Schuld nebst Zinsen
das Doppelte, bei Getreide, Frucht, Wolle und Zugthieren
das Fünffache des ursprünglichen Darlehens bei einer Ab-
zahlung en bloc niemals übersteigen dürfen ; fast ebenso
verfügt Gaut. Dagegen setzen Vi. Y. N. die Grenzen bei
Gold, Kleidern und Getreide auf das zwei-, drei- und vier-
fache, bei Flüssigkeiten auf das achtfache fest und fügen
hinzu, dass bei Vieh und Weibern (Sclavinnen) deren Spröss-
linge als Zinsen gelten sollen. Ausserdem soll nach Vi.
bei Hefe, Baumwolle, Garn, Leder, Waffen, Ziegelsteinen
und Kohlen, nach N. ferner „bei allen möglichen anderen
Dingen", insbesondere auch bei Zinn, Blei, Kupfer und Eisen,
der Zins unbegrenzt sein6). Das Achtfache als Grenze soll
nach N. auch bei Oelen jeder Art, berauschenden Getränken,
Honig, Butter, Zucker und Salz gelten ; fast ebenso Käty.,
ähnlich Vyäsa. Uebrigens soll wie bei Gold, nach Vi. bei
allen „ungenannten" (d. h. allen ausser den obigen) Gegen-
ständen, nach Käty. bei Silber und Pretiosen, sowie bei den
Produkten von Früchten, Insekten und Schafen d. h. bei
6) akshayd, dazu Vir. 300 mülapratipädandbhäve gatagund 'pi
vardhata evety arthah.
294 SitziuKj der philob-pliilol. Ciasse vom 1. Dezember 1877.
Baumwoll-, Seide- und Wollstoffen das Doppelte als die
Grenze gelten. Härita setzt dieselbe bei Getreide (je
nach den Umständen) auf das Zwei- oder Dreifache fest.
Die genaueste Scala bietet Brih., der bei Gold auf das Dop-
pelte, bei Kleidern und unedlen Metallen auf das Dreifache,
bei Getreide, Frucht, Zugthieren und Wolle auf das Vier-
fache, bei Gemüsen auf das Fünffache, bei Samen und
Zuckerrohr auf das Sechsfache, bei Salz, Oel, berauschenden
Getränken, Zucker und Honig auf das Achtfache geht, als
unbegrenzt7) endlich den Zins bei Gras, Holz, Ziegelsteinen,
Faden, Hefe, Leder, Knochen, Panzern (varman), Geschossen
(heti), Blumen und Früchten bezeichnet. Mehrere hieher
gehörige Aussprüche, die in verschiedenen Werken aus Vas.
angeführt werden, widersprechen einander und sind in seinem
Dharmacästra nicht enthalten. Die Verschiedenheit der
Landessitte in diesen Dingen wird in zwei dem N. bei-
gelegten cl. , wovon aber nur der eine in den Hss. steht ,
besonders betont. Das Princip aller obigen Scalen ist offenbar
dies, dass der erlaubte Grad der Vervielfachung der ursprüng-
lichen Schuld nebst Zinsen in umgekehrtem Verhältniss zu
dem Werthe des geliehenen Gegenstandes zunimmt. Schliess-
lich ist hier zu erwähnen, dass M. 8 , 153 verbietet über
ein Jahr hinaus Zinsen zu nehmen; Gaut. erwähnt dieses
Verbot nur als die Ansicht Einiger. Vgl. u. 4.
2) Den gesetzlichen Zinsfuss setzen die meisten
Autoren in verschiedenen Ausdrücken, aber sachlicher Ueber-
einstimmung auf l£°/o monatlich fest. M. 8, 140 schreibt
diese Vorschrift dem Vas. zu, und wirklich findet sie sich zwar
nicht in seinem Dharmacästra , doch in einem ihm beige-
7) . , . vriddhis tu na nimvtate Vir. ibid., dagegen Viv. 9 vriddhis
tu na vidhiyate undD. I, 2, LXIX. „no interest is ordained", vgl. aber
die obigen Stellen aus Vi. und N. und die angebliche Vas.-stelle im
Vir. 1. c.
J Jolly: Ueber das indische Schuldrecht. 295
legten gl., ausserdem aber auch bei Gaut. Y. Brih. Dieser an
sich schon hohe Zinsfuss von 15°/o jährlich soll noch erhöht
werden, wenn dem Gläubiger kein Pfand zur Aufbewahrung
überliefert worden ist; in diesem Falle soll der Schuldner
je nach seiner Kaste vom Brahmanen abwärts den nemlichen
Autoren und Vi. zufolge 2, 3, 4 und 5°/o an den Gläubiger
entrichten. Ist zwar kein Pfand, aber ein Bürge vorhanden,
so ist nach Vyäsa — (v. L ~ + .4^1 als Zins zu ent-
•' 60 v 80 ' 160/
richten. 5°/o ist für M. das absolute Maximum. Nur für den
Gewinnstantheil eines Spediteurs, den er ebenfalls unter den
Begriff der Zinsen bringt, scheint er keine Grenze zu fixiren,
da er für den Fall, dass ein solcher seinen Vertrag nicht
vollkommen einhält, ihm soviel zubilligt, als geschäftskun-
dige Männer für recht halten. Nach Y. soll wer in eine
schwer passirbare Gegend (Jcäntarä) reisen will 10°/o, ein See-
fahrer 20% zahlen, nach demselben und Vi. ist Jeder, gleich-
viel welcher Kaste er angehört, verpflichtet, den Zins, den
er selbst versprochen hat, auch zu bezahlen. Hiemit hört
dann freilich jede Beschränkung des Zinsfusses auf.
3) Unverzinslich sind der Natur der Sache nach
vor Allem freundschaftliche Darlehen, für die nicht ein Zins
ausdrücklich verabredet wurde (N. Käty.). Doch soll nach
N. auch bei ihnen, ausser wenn es sich um Getreide handelt,
nach Ablauf eines halben Jahres der übliche Zinsfuss ein-
treten, nach Vi. erst nach einem Jahre, doch bemerkt der-
selbe, dass wer eine Summe unter dem Versprechen sie etwa
Tags darauf zurückzuzahlen geborgt habe, sie aber aus
Habgier nicht erstatte, von da an Zinsen dafür entrichten
müsse. Genaueres findet sich bei Katy. Freundschaftliche
Darlehen sollen dann 5°/o Zinsen tragen (vorausgesetzt der
Schuldner ist ein Qüdra, fügen die Comm. bei, s. o. 2.),
wenn sie auf Aufforderung nicht zurückerstattet werden,
und zwar soll die Verzinsung bei einem zum Gebrauch ent-
296 Sitzung der phiJos.-philol. Classe vom 1. Dezember 1877.
lehnten Gegenstand (ijäcitaJca) , wenn der Borger verreist
(entflieht), nach drei Jahreszeiten ( — l(t Jahr8), bei einem
unverzinslichen Gelddarlehen (uddhära) im gleichen Falle
schon nach drei Monaten eintreten. Auch wenn der Schuldner
zu Hause bleibt, aber das Darlehen nach wiederholter Mah-
nung9) nicht zurückgibt, muss er Zinsen dafür zahlen. Ferner
muss man nach Käty. für folgende andere an sich unver-
zinsliche Dinge Zinsen geben ; für den Preis einer gekauften
Waare, wenn man sich entfernt, ohne ihn gezahlt zu haben,
für ein Depositum, für rückständige Zinsen, für Nichtaus-
lieferung der Waare oder ihres Preises, auch wenn man am
Orte bleibt, und zwar in den letzteren Fällen 5°/o. Als
im Allgemeinen unverzinslich führt derselbe noch an Panzer,
(varma*, v. 1. carma0 „Leder", darnach D. I, 2, LXXIV) Ge-
treide (s. dagegen o.) , geistige Getränke , Spielschulden,
Frauengut und Bürgschaftssummen. Eine andere fälschlich
dem N. zugeschriebene Aufzählung nennt den Preis für eine
Waare10), Lohn, Deposita, eine vom Gericht auferlegte Busse,
unnöthige Versprechungen und Wetten im Spiel; ein Citat
aus Vyäsa: Bürgschaftssummen, benützte Pfänder (s. § 4),
vom Gläubiger zurückgewiesene Schuldsummen (§ 2), Geld-
bussen, ein aus Anlass der Hochzeit11) gemachtes Ge-
schenk und etwas bloss Versprochenes ; ein viertes Ver-
zeichniss, von Samvarta, Frauengut, Zinsen selbst, eigentliche
Deposita oder irgendwie anvertrautes Gut, bestrittene
8) So nach der Lesart des Vi. 6 ritutrayasyoparishtät, die auch Col.
vorlag (D. I, 2, LVII) ; im Vir. 301, Mit. 64 ürdhvam sanivatsarät,
hienach May. V, 1, 4 „after one year."
9) So nach Vir. 7 ydcito 'sakrit und D. I, 2, LV, May. V, 1, 4.
Mit. Vir. haben na dadyäd yacitdh kvacit.
10) So nach Mit Vir.; Viv. D. May. haben andere Lesearten.
11) So qulka h. 1. nach Colehrooke D. I, 2, LXXV; doch passen
auch die Bedeutungen „Preis für eine Waare" oder „Zoll/'
J. Jolly: Ueber das indische Schuldrecht. 297
Schulden, Bürgschaftssummen. Die Unverzinslichkeit des
Frauenguts ist auf den Fall zu beziehen, dass der Mann
oder Vormund es in der Noth mit Zustimmung der Frau
angreift. (Vgl. Ueb. d. rechtl. Stell, d. Frauen, S. 22.)
4) Samvarta in der soeben erwähnten und Brih. in
einer nur im D. (I, 2, XXXV) citirten Stelle verbieten den
Zins vom Zinse oder Radzins. Viel weiter geht M. 8, 153,
wo folgende Arten von Zinsen verboten werden: Rad-
zins (caJcravriddhi), zeitlicher Zins (JccdavriddJii), verabredeter
(Jcäritä) und körperlicher oder Capitalzins (käyikä). Indessen
halte ich die Echtheit dieser Stelle12) für zweifelhaft, weil
die drei letzten Ausdrücke sonst bei M. gar nicht vorkommen,
caJcravriddhi aber 156 „Miethe für einen Wagen, Fracht'1
bedeutet, weil Zinseszins 155 in einem gewissen Falle aus-
drücklich gestattet wird (§ 2), JcdliJcd und JcäyiJcä aber der
gewöhnliche 140 ff. vorgeschriebene Zins sind, und weil
auch die erste Hälfte des gl. bedenklich ist. Denn das darin
enthaltene Verbot, über ein Jahr hinaus Zinsen zu nehmen,
steht fast isolirt da und widerspricht 151, da ein Capital
auch bei fünfprocentiger Verzinsung in einem Jahre noch
nicht auf das Doppelte anwächst ; überdies ist dort nur
von auf einmal gezahlten Zinsen die Rede (s. 1), wodurch
das erlaubte Maximum noch steigt. Auch Vi. und Y. lassen
die vier Arten von Zinsen ganz unerwähnt. Jedenfalls er-
scheinen sie, wo sie sonst vorkommen, vielmehr als die ge-
wöhnlichen Hauptarten von Zins. So bei N., der käyiJcd
(von Jcäya „Capital") als täglich, JcäliJcä als monatlich zahl-
baren, Mritä als vom Schuldner selbst (über den üblichen
Zinsfuss hinaus, vgl. o. 2), versprochenen, caJcravriddhi als
Zinseszins definirt. Brih. sagt : es gibt 4, nach Anderen 5,
nach Anderen (v. 1. „nach mir") 6 Arten von Zins ; diese sind
12) Einen sehr geschraubten Versuch, sie mit der u. angeführten
.Brih.-stelle in Einklang zu bringen, s. bei Kuli, ad h. 1.
[1877. I. Philos.-philol. 3]. 21
298 Sitzung der philos.-philoh Classe vom 1. Dezember 1877.
ausser den vier obigen noch bhogalabha „der Genuss eines (im-
mobilen) Pfandes" und cilchävriddhi „Haarzins1', der wie Haar
wächst , also mit N.'s JcäyiJcä identisch ist. hdytkä heisst
bei Brih. und bei Vyäsa die Nutzniessung eines verpfändeten
Hausthieres (von lcäya „Körper"). Gaut. zählt die nemlichen
6 Arten auf, nur sagt er ädhiblioga für bhogalabha ; bei
Käty. finden sich an verschiedenen Stellen Jcäritä, der nach
ihm in Nothzeiten stipulirt werden darf, cilchävriddhi < nach
ihm nur „wiederholt entrichteter", ädhibhoga und calcravriddhi
erwähnt. Die drückende Natur der Zinsarten cilchävriddhi,
Jcäritä, calcravriddhi bedarf keiner Hervorhebung.
§ 4. Pfandrecht.
Die Ueber lieferung eines Pfandes (ädhi d. h. Hinter-
legung oder bandha d. h. Bindung, Band) scheint bei den
meisten Schnldverträgen für unerlässlich gegolten zu haben,
da sich der übliche Zinsfuss auf diesen Fall bezieht (§ 3).
Zwei Hauptgrundsätze des Pfandrechts finden sich schon bei
M., nemlich 1) Das' Pfand ist entweder blos aufzubewahren,
oder der Gläubiger hat die Nutzniessung davon ; im letzteren
Falle vertritt der daraus gezogene Nutzen die Stelle der
Zinsen. Wer ein Pfand der ersteren Art widerrechtlich be-
nützt, soll die Zinsen dafür einbüssen, eventuell den Werth
desselben ersetzen ; nach einer anderen Stelle geht er im
gleichen Falle nur der halben Zinsen verlustig13). 2) Pfän-
der verjähren nicht; auch wenn der Gläubiger ein Pfand
noch so lange besessen hat, darf er es nicht veräussern,
der Schuldner es immer noch zurückfordern. — Die
13) Der Widerspruch ist wie in anderen Fällen aus der allmäligen
Entstellung des Manutextes zu erklären. Kuli, versucht vergeblich ihn
wegzudeuten, indem er den Ausdruck balät in der ersten Stelle (8, 144)
urgirt ; es kann damit nichts anderes als widerrechtliche Benutzung ge-
meint sein, d. h. „ohne Erlaubniss des Eigenthüraersf< , wie es an der
zweiten Stelle (8, 150) heisst.
J. Jolty: lieber das indische Schuldrecht. 299
Unverlierbar keit der Pfänder scheint auch Vas. 16 in dem
dritten cl. auszusprechen , dessen Schluss wahrscheinlich
nach M. 8, 149 zu emendiren ist. Vi. und Gaut. heben
ebenfalls die Unverziuslichkeit der benützten Pfänder hervor ;
ist das Pfand verdorben, so muss der Gläubiger es ersetzen,
ausser wenn der Verlust durch das Schicksal oder den König
eintrat14). Ferner ist nach Vi. das Pfand nach Abzahlung
der letzten Rate zurückzugeben, ausser wenn es sich um
ein immobiles Pfand handelt, (wovon der Gläubiger den
Niessbrauch hat); ein solches braucht überhaupt ohne be-
sondere Uebereinkunft nicht zurückerstattet zu werden,
wohl aber dann, wenn Rückgabe bei Bezahlung der Schuld
ausbedungen wurde und die Zahlung wirklich erfolgt ist.
Auf eine zugleich an zwei Gläubiger verpfändete Sache hat
das bessere Anrecht, wer zuerst ohne Gewaltsamkeit davon
Besitz ergriffen hat; der Verpfänder ist strafbar (Vi. 5).
Weit speci eller e und systematischere Vorschriften geben
Y. und N. Gültig wird ein Pfand erst, wenn es der Gläu-
biger wirklich erhalten hat. Nicht blos die Benützung eines
blos aufzubewahrenden, sondern auch die Beschädigung eines
zu benützenden Pfandes ist mit Zinsenverlust strafbar; ein
verdorbenes oder vernichtetes Pfand ist zu ersetzen, ausser
wenn das Schicksal oder der König den Verlust verursacht
haben ; für ein durch die Länge der Zeit werthlos gewor-
denes Pfand muss jedoch der Schuldner ein anderes liefern
oder die Schuld bezahlen. Pfänder sind der gewöhnlichen
Verjährungsfrist nicht unterworfen. Doch sollen nach N. auch
sie nach 20 Jahren in das Eigen thum des Besitzers über-
übergehen; Y. unterscheidet zwischen dem auf bestimmte
Zeit gegebenen (kdlakrita) , das bei Ablauf der Frist ver-
fällt, dem gewöhnlichen Pfand, das verfällt, wenn das Ca-
14) So nach der Calc. und der Erklärung der Vaij.; eine andere
Abtheilung der Sütra und daher andere Uebersetzung im D. i, 2, CX.
21*
300 Sitzung der philos.-pyilol. Classe vom 1. Dezember 187'*
pital doppelt geworden ist, ohne eingelöst zn werden, und
dem zu benützenden, das niemals verfällt. Letzteres ist zu-
rückzugeben, wenn die Schuld doppelt geworden ist und zu-
gleich der Gläubiger aus dem Pfand einen ebenso grossen
Nutzen gezogen hat. Wie die Eintheiluug in aufzubewahrende
und zu benutzende, hat N. auch die Eintheilung in zu einer
bestimmten Zeit und nach Abzahlung der Schuld verfallende
(bei ihm hritakdlopaneya u. ydvaddeyodyata) Pfänder mit Y.
gemein ; ausserdem hebt er wie Vi. das immobile Pfand (sthd-
vara) hervor, dem er das mobile (jangama) gegenüberstellt.
Ueber die Rückgabe stellt Y. den allgemeinen Grundsatz
auf, dass sie erfolgen soll, wenn der Schuldner seine Ver-
pflichtungen erfüllt; ist der Gläubiger abwesend oder ge-
storben, so soll ihm dessen Familie gegen Bezahlung der
Schuld das Pfand herausgeben oder er soll es, nachdem sein
derzeitiger Werth abgeschätzt worden ist, dort lassen und
braucht in diesem Falle keine Zinsen mehr zu entrichten.
Dagegen hat der Gläubiger, wenn der Schuldner nicht vor-
handen ist, das Recht, das Pfand vor Zeugen zu verkaufen.
Die schwierigen term. techn. caritrabandhaJca und saty-
amMra Y. 2, 61 übersetze ich „Pfand als Vertrauenssache'1
und „Handgeld" (bei einem Kauf u. dgl. 15). Das Vertrauen
besteht darin, dass der Borger bei dem Gläubiger ein ver-
hältnissmässig sehr werthvolles Pfand hinterlegt oder dieser
ihm eine im Verhältniss zu dem überlieferten Pfände sehr
bedeutende Summe vorstreckt. Ein solches Pfand oder Hand-
geld soll nicht verfallen, sondern der Schuldner, (wenn die
Schuld doppelt geworden ist) zur Bezahlung der Schuld mit
Zinsen d. h. der doppelten Summe gerichtlich angehalten
15) So nach der ersten Erklärung der Mit., vgl. B. R. s. v. saty-
amkdra; die Bedeutung „Handgeld" auch in der Vyäsastelle Vir. 441.
Nach der zweiten Erklärung der Mit., der Stenzler zu folgen scheint, wäre
caritrabandhaJca auf Verpfändung religiöser Handlungen wie Bäder im
Gangos u. dgl., satyamkdra auf feierliche Versprechungen zu beziehen.
J. Jölly. Ueber das indische Schuldrecht, 301
werden. Wird dieselbe Sache wiederholt verpfändet (oder
verschenkt oder verkauft), so ist nach Y. und N. der frühere
Act gültig. N. hat noch eine seltsame Etymologie des
Wortes ädhi, das von adhilcriyate „es wird ein subsidiäres
Recht darauf ertheiltu herkommen soll.
Von den nur aus Citaten bekannten Autoren fügt Brih.
zu den drei Paaren des N. noch ein viertes hinzu: schrift-
lich stipulirte und nur durch Zeugen garantirte Pfänder.
Den wirklichen Besitz des Pfandes macht er wie Vi. zum
Kriterium der besseren Berechtigung, wo zwei Pfand-
gläubiger vorhanden sind. Betreffs unerlaubter Benütz-
ung, Beschädigung und Vernichtung des Pfandes verfügt
er wie Y. und N., nur hinzusetzend, dass die Vernichtung
eines verhältnissmässig sehr werthvollen Pfandes den Ver-
lust des Capitals nach sich zieht, unter Umständen noch eine
besondere Entschädigung zu entrichten ist. Seine Bestimm-
ungen betreffs des Termins der Rückgabe stimmen im Ganzen
mit Y. überein, nur gewährt er dem Schuldner eine Ein-
lösungsfrist. Nach einer Stelle soll, wenn die Schuld doppelt
geworden und der Termin abgelaufen ist, der Gläubiger das
Pfand zu eigen erhalten, nachdem er noch weitere 14 Tage
gewartet hat; zahlt der Schuldner binnen dieser Zeit seine
Schuld, so erhält er das Pfand zurück. An einer anderen
Stelle wird der Einlösungstermin auf 10 Tage fixirt, an
einer dritten bestimmt, dass im Falle die Schuld doppelt
geworden und der Schuldner gestorben oder verschollen
(nashta) ist, der Gläubiger das Pfand vor Zeugen verkaufen
darf; oder er soll es öffentlich schätzen lassen und 10 Tage
lang noch bei sich verwahren, dann verkaufen und aus dem
Erlös seine Forderung befriedigen, den etwaigen Ueber-
schuss aber nicht behalten, vielmehr (so der Comm.) an
die Verwandten des Schuldners oder den König ausliefern.
Von Vyäsa (vgl. auch § 1) und Käty. werden mehrere mit
den bisher erwähnten übereinstimmende, ausserdem aber von
302 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Dezember 1877.
letzterem folgende Vorschriften angeführt. Wenn ein Gläu-
biger ein Pfand (d. h. eine verpfändete Sclavin u. s. w.)
gegen dessen Willen und ohne Erlaubniss des Verpfänders
zu einer Arbeit zwingt, so muss er die Früchte (d. h. den
Ertrag der Arbeit oder den sonst dafür zu zahlenden Lohn)
an den Verpfänder herausgeben oder verliert seine Zinsen;
insultirt oder schlägt er den verpfändeten Dienstboten, weil
er sich weigert zu arbeiten16), so soll er die erste Geldstrafe
(250 Pana) bezahlen. Ist das Pfand nicht mehr vorhanden
und der Gläubiger erhebt trotzdem auf Grund seines Scheines
Forderungen an den Schuldner, so soll ihn der König strafen
und den Schein vernichten lassen. Wenn der Schuldner
nicht da ist (also nur in diesem Falle?), soll der Gläubiger
Anzeige erstatten und dann mit Erlaubniss des Königs das
Pfand verkaufen ; übersteigt der Erlös den Betrag seiner
Forderung, so muss er den Ueberschuss dem Könige geben.
Ist die nemliche Sache an zwei verschiedene Personen ver-
pfändet worden, so gilt der frühere Vertrag, und der Ver-
pfänder ist wie ein Dieb zu strafen. Concurriren bei dem-
selben Gegenstand Verpfändung, Verkauf und Verschenkung
und geschahen die Stipulationen theils schriftlich, theils
mündlich, so gilt die schriftliche Verabredung mehr; von
zwei Schriftstücken, die sich auf das nemliche Object be-
ziehen, hat das genauer speeificirte die grössere Geltung.
Verspricht Jemand zuerst sein ganzes Vermögen zu ver-
pfänden und gibt dann (bei Abfassung des schriftlichen
Vertrags Vir.) nur ein einzelnes näher bezeichnetes Stück
daraus zum Pfand, so gilt der letztere Act. Auf wiederholte
Verpfändung oder sonstige Vergebung der gleichen Sache
haben auch einige mit Unrecht dem Vas. beigelegte Aussprüche
Bezug, die in seinem Dharmacästra nicht enthalten sind,
16) Vir. 308 karma Tcurvdnam „bei der Arbeit"; ich lese learmä
'Jcurvdnam nach der Uebersetzung im D. I, 3, XC, May. V, 2, 2.
J. Jolly : Ueber das indische Schuldrecht. 303
auch die Casuistik, ganz im Gegensatz zu dem wirklichen Vas.,
auf der vorgeschrittensten Stufe zeigen. Dieser Pseudo-Vas.
lässt nemlich bei gleichzeitiger Verpfändung wie Brih. und Vi.
die Priorität des Besitzes entscheiden ; kommen beide Gläubiger
zugleich herbei um von der Sache Besitz zu ergreifen (bhoh-
tuMmau) , so soll das Pfand zwischen ihnen zu gleichen
Th eilen getheilt werden. Ist eine Sache zuerst verpfändet,
dann verkauft worden, so soll der frühere Act die grössere
Kraft haben ; wie aber , wenn sie am gleichen Tage ver-
schenkt, verpfändet und verkauft worden ist? In diesem
Falle soll die Sache getheilt werden, und zwar so dass der
Pfandgläubiger und Käufer nach dem Zeitverhältniss ihrer
Verträge (Tcriyänusdrena) bedacht worden, der Beschenkte
aber ein volles Drittel erhält. — Härita bietet nichts Neues,
Prajäpati nur die Verordnung, dass wenn der Gläubiger das
Pfand einem Anderen um den Betrag seines Darlehens ver-
äussert, dafür ein neuer Pfandschein auszustellen oder der
frühere zu überliefern sei. — Bhäradväja ist eine Viertheil-
ung der Pfänder in bhogya, gopya, pratyayddhi und äjnayd
Jcrita eigentümlich. Die dritte Art erklärt er als „Ver-
trauen betreffs der Schuld einflössend", man vgl. o. Y.'s cari-
trabandhalca und den pratyayapratibhü § 5. Mit der vierten
Art sind gerichtlich bestellte Pfänder gemeint.
§ 5. Bürgschaft.
Zwei Sicher nngsmittel, bemerkt N., stehen dem Gläu-
biger zu Gebot: Pfänder und Bürgen (pratibhü „Ersatz-
mann"). Schon M. theilt die Bürgen in zwei Arten ein,
für Erscheinen dargana und Bezahlen däna (s. u.), die sich
in dem Grade der Verpflichtung wesentlich unterscheiden.
Schafft der Bürge für Erscheinen den Schuldner am Zahl-
ungstage nicht zur Stelle, so haltet er nur für seine Person
für die Schuld ; dagegen haften für einen Bürgen für Be-
304 Sittunj der philo* -phüol. Glasse vom 1, Vezemher 1877 .
zahlen auch seine Söhne. Doch soll, auch wenn der Bürge
nicht die Bezahlung der Schuld garantirt hat, die Haft-
barkeit auf seine Söhne in dem Falle übergehen , dass er
von dem Schuldner nachweislich eine zur Deckung der
Schuld ausreichende Summe empfangen hatte. Vas. hat nur
einen cl. (= M. 8, 159) über die Unvererblichkeit der
Bürgschaft und Gaut. einen entsprechenden Spruch in Prosa;
also werden beide die obige Unterscheidung mit ihren recht-
lichen Folgen noch nicht gekannt haben. Dagegen kennen
Vi. , Y. , N. , die hier zum Theil wörtlich übereinstimmen
(Vi. 6, 40 = Y. 2, 53. Vi. 6, 41, 42 = N. 4, 49, 50.
Y. 2, 54—56 fast - N. 4, 48—50.), drei Arten von Bürgen,
nemlich ausser den beiden obigen (für dargana sagt N.
upasthdnä) noch einen Bürgen für Zutrauen pratyaya, den
sie hinsichtlich der NichtVerpflichtung der Söhne dem dar-
ganapratibhü gleichstellen ; sie machen , wo eine Mehrheit
von Bürgen vorhanden ist, jeden für den von ihm über-
nommenen Theil verantwortlich, gestatten aber dem Gläu-
biger sich an einen beliebigen unter ihnen zu halten, wenn
sie sich solidarisch verpflichtet haben ; und sie geben, wenn
der Bürge, öffentlich vom Gläubiger dazu gedrängt, die Schuld
bezahlt hat, dem ersteren einen auf das Doppelte gehenden
Ersatzanspruch. Ausserdem verfügt N. (XIII, 39), dass in
Gütergemeinschaft lebende Brüder, Y. genauer, dass Brüder,
Vater und Sohn, Mann und Frau, nicht für einander Bürg-
schaft leisten können. Y. erweitert ferner die Ersatzpflicht
des Schuldners dahin, dass Getreide dreifach, Kleider vierfach,
Flüssigkeiten achtfach, und mit Vieh und Weibern (Sclavin-
nen) auch deren Sprösslinge dem Bürgen zurückzuerstatten
seien. An einer anderen Stelle (2, 10) bestimmt er, dass
auch bei Processen von jeder der beiden Parteien ein ge-
eigneter Bürge zu stellen sei.
Brih. nennt nach den drei obigen noch eine vierte Classe
von Bürgen, nemlich für Auslieferung der Effecten des
J, Jolhj: lieber das indische Schuldrecht. 305
Schuldners17), womit nach dem Vir. insbesondere sein Haus-
rath gemeint ist. Der erste, bemerkt er zur Erläuterung, er-
klärt: Ich werde den Schuldner zur Stelle schaffen, der
zweite: Er ist zuverlässig, der dritte: Ich will seine Schuld
bezahlen, der vierte: Ich will (seine Effecten) ausliefern.
Bei der dritten und vierten Classe haften auch die Söhne.
Der Gläubiger soll gegen die Bürgen mild verfahren; er
darf sie nur zu allmäliger Abzahlung anhalten , bei An-
wesenheit des Schuldners gar nicht an sie gehen, und ist er
entflohen, so muss er dem Bürgen je nach der Entfernung
eine Frist von 14 Tagen, einem oder anderthalb Monaten
gewähren, um ihn zu suchen. Auch dem Schuldner gibt
er für den zu leistendeu Ersatz, den er wie Y., Vi., N.
auf das Doppelte festsetzt, eine Frist von anderthalb Mo-
naten. Sind mehrere solidarische Bürgen vorhanden , aber
abwesend, so soll der anwesende Sohn eines derselben für
die ganze Schuld haften, der Sohn eines verstorbenen aber
nur für den Antheil seines Vaters. Erfüllt ein Bürge seine
Verpflichtungen nicht, so soll ihn der König zur Leistung
an den Gläubiger anhalten und ihm eine Geldbusse im
gleichen Betrag auferlegen; benimmt er sich hinter dem
Rücken des Schuldners mit dem Gläubiger, so soll er den
doppelten Betrag der Forderung als Busse entrichten. —
Härita unterscheidet fünf Arten von Bürgen: für Bezahlen,
Erscheinen , Vertrauen , Sicherheit oder sicheres Geleit
(abhaya) und Herbeibringen upasthäna, das bei ihm Aus-
lieferung der Effecten des Schuldners an den Gläubiger be-
deutet (Vir. — oder sollte die Auslieferung eines ver-
17) rinidravyärpane, was von Einigen auf Auslieferung der Früchte
eines Pfandes, z. B. eines- verpfändeten Feldes bezogen wird (D. I, 4,
CXLII). Viv. liest rine dravyärpane und bezieht letzteren Ausdruck
auf einen zum Gebrauch geliehenen Gegenstand, yäcüaka (Schmuck
u. dgl).
30G Sitzung der phüos.-philol. Classe vom 1. Dezember 1877.
sprochenen Pfandes gemeint sein?), also mit Brih.'s vierter
Art übereinkommt. Ueber die eventuelle Haftbarkeit der
Söhne bestimmt er, dass dieselbe sich nur auf das Capital, nicht
auf die Zinsen erstrecken soll18). Auch für ein Pfand kann
Bürgschaft geleistet werden; die Verpflichtung des Bürgen
geht in diesem Falle auf Ueberlieferung des Pfandes oder
Entrichtung der Schuld an den Gläubiger. Ebenso Pitämaha.
— Auch Käty. nimmt fünf Arten an, wobei aber neben
dem Bürgen für Bezahlen däna, Erscheinen upasthäna und
Vertrauen, hier vigväsa, als vierter ein Bürge in einem Pro-
cess (vgl. o. Y.) und als fünfter ein Bürge für Vollziehung
eines Gottesurtheils erscheint. Neben diese Aufzählung tritt
bei ihm eine lange Liste derjenigen Personen, welche un-
geeignet sind Bürgen zu werden , nemlich : der Herr oder
der Feind des Gläubigers oder der Verwalter seines Herrn,
ein Gefangener, einer der eine Geldbusse (noch) zu bezahlen
hat, ein Bescholtener (sandigdha, nach Mit. Vir. = ahhi-
gasta), ein (mit einer der beiden Parteien, vgl. o. Y. N.) in
Gütergemeinschaft Lebender, ein Freund des Gläubigers, ein
geistlicher Schüler auf Lebenszeit (atyantaväsin, nach Mit.
Vir. =s naishthikabrahmacärin), ein in Angelegenheiten des
Königs Beschäftigter, ein frommer Bettler, einer der ausser
Stande ist dem Gläubiger die Schuld und an den König eine
ebenso grosse Busse zu bezahlen, Jemand dessen Vater noch
am Leben ist (vgl. § 6) oder der blos nach Laune zu han-
deln pflegt (icchäpravartaJca, vgl. die apralcriti § 6), endlich
ein Unbekannter. Vgl. die hiemit mehrfach übereinstimmen-
den Aufzählungen der ungültigen Zeugen M. 8, 64—67.
Y. 2, 70. 71. Vi. 8, 2—5. N. 5, 10-18. 35—47. Der Bürge
für Erscheinen ist nicht haftbar , wenn er durch das
Schicksal oder den König verhindert wurde, den Schuldner
18) Vir. 310. Ibid. 326 wird dieser Ausspruch aus N., Mit. 83
und D. I, 4, CLIX ohne Quellenangabe citirt.
J. Jölly : lieber das indische Schuldrecht. 307
zur Stelle zu schaffen ; auch seine Söhne sind haftbar, wenn
bewiesen wird, dass er von dem Schuldner ein Pfand er-
hielt. Ueber die Haftbarkeit der Söhne, wo mehrere soli-
darische Bürgen vorhanden sind, und betreffs des Maximums
der Frist für Aufsuchung eines entflohenen Schuldners ver-
fügt er wie Brih. ; nach Ablauf dieser Frist und ebenso
wenn der Schuldner gestorben ist, soll der Bürge die Schuld
bezahlen. Die Söhne macht auch er nur für das Capital
verantwortlich, die Enkel sollen zu gar nichts verpflichtet
sein. Die Ersatzpflicht des Schuldners geht bei ihm nur
einfach auf den Betrag der von dem Bürgen bezahlten
Summe, ein Widerspruch zu der obigen Maxime der 'Vi.
Y. N. Brih., den die Commentatoren auf verschiedene Weise
zu beseitigen bemüht sind. — Vyäsa endlich stellt sieben
Classen von Bürgen auf, nemlich ausser den schon be-
kannten: für Zahlen, Erscheinen, Vertrauen, Auslieferung
der Effecten des Schuldners19) und Gottesurtheil noch 6)
für einen schriftlichen Vertrag und 7) für Ueberlieferung
eines versprochenen Pfandes (vgl. o. Härita). Ausserdem
bietet auch er die Maxime, dass nur der Sohn, nicjit der
Enkel, und dass ersterer nur für das Capital, nicht für die
Zinsen zu haften hat.
§ 6. Haftung für Schulden.
Die Lehre von der Rechtsfähigkeit und Rechtsverbind-
lichkeit wird grösstentheils in Zusammenhang mit dem
Schuldrecht, am ausführlichsten von N. entwickelt. Voll-
kommen selbständig ist nur das Familienhaupt, der König
und ein Lehrer; unselbständig und daher unfähig gültige
Rechtsgeschäfte abzuschliessen sind nicht blos Frauen,
Sclaven und Kinder unter 15 Jahren, sondern auch voll-
jährige Söhne, deren Vater noch am Leben ist und jüngere
19) Die Lesait rinidravyärpane auch hier.
308 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Dezember 1877.
Brüder oder überhaupt alle Familienmitglieder ausser dem
Familienhaupt, ausserdem alle diejenigen Personen, welche
sich im Zustande temporärer Handlungsunfähigkeit aprakriti
befinden, d. h. Betrunkene, Geisteskranke, von Furcht, Zorn
oder Liebe Getriebene u. dgl. (N. 3, 43. M. 8, 163. Y. 2,
32). Doch haben auch die Handlungen unselbständiger Per-
sonen rechtliche Verbindlichkeit, wenn dieselben von dem
Familienhaupt etc. dazu autorisirt waren, oder erlangen sie,
wenn sie zum Besten der Familie oder des Haushalts hu-
tumhärthe vorgenommen wurden, und ebenso sind die gül-
tigen Handlungen selbständiger Personen nicht nur für sie
selbst, sondern auch für ihre Erben verbindlich.
Als Consequenzen dieser ohne Frage sehr alten Grund-
sätze finden wir zunächst bei M. Vas. Gaut. die Regel, dass
die Söhne (zwar für alle anderen, aber) nicht für diejenigen
Verbindlichkeiten ihres Vaters haften , die er als Bürge (s.
jedoch § 5) oder mittelst unnöthiger Versprechungen oder
im Spiel oder für geistige Getränke oder in Folge einer
Geldstrafe oder eines Zolles beim Handel eingegangen und
nicht oder nur theilweise erfüllt hat. Die beiden letzteren
Ausnahmen sind wohl aus der drückenden Höhe der Geld-
bussen und Zölle zu erklären. M. Gaut. sagen ausserdem
ausdrücklich, dass im Allgemeinen die Erben für die Schul-
den des Erblassers aufzukommen haben, doch müssen die-
selben nach M. zum Besten der Familie contrahirt sein.
Solche Schulden sind aber jederzeit verbindlich, selbst
dann wenn sie von einem Sclaven der betreffenden Familie
contrahirt worden sind. Aehnliche Anschaungen, aber be-
deutend mehr entwickelt, treffen wir bei Vi. Nicht blos
die Söhne, sondern auch die Enkel, nicht blos eines Ver-
storbenen, sondern auch eines in den Stand der frommen
Bettelei Getretenen oder seit 20 Jahren Abwesenden sollen
seine Schulden bezahlen; weiterhin hört die gesetzliche
Verpflichtung auf. Ganz allgemein sind die Erben haftbar,
J. Jolly: Ueber das indische Schuldrecht. 309
und zwar wird, wo Activa fehlen, als Erbe auch der be-
trachtet, welcher die Wittwe d. h. die Vormundschaft über
sie übernimmt (strigrdhin) . In einer ungetheilten d. h. in
Gütergemeinschaft lebenden Familie muss dasjenige Familien-
mitglied, welches gerade da ist, für die Schulden der übrigen,
auch die vom Vater ererbten, aufkommen; nach einer
Theilung nur im Verhältnisse zu seinem Antheil. Nicht
zahlungspflichtig ist der Vater für Schulden der Söhne, die
Frau für Schulden des Mannes oder der Söhne, der Mann
und die Söhne für Schulden der Frau oder Mutter; doch
verpflichten Schulden, '"welche die Frauen von Hirten, Ver-
fertigern geistiger Getränke, Schauspielern, Wäschern oder
Jägern contrahirt haben, auch ihre Männer. Das Haupt der
Familie muss nicht nur die von ihm selbst, sondern auch
die von irgend Jemand sonst der Familie wegen gemachten
Schulden bezahlen20). Mit Vi. stimmt hier Y. wieder fast
durchaus überein. Die Verpflichtung der Hirten etc. für
die Schulden ihrer Frauen motivirt er damit, dass ihr Le-
bensunterhalt von der Frau abhängt. Die Frau verpflichtet
er im Allgemeinen in drei Fällen: für Schulden, die sie
selbst, oder mit ihrem Manne gemacht, oder die ihr Mann
anerkannt hat. Vererben sollen die Schulden zuerst auf
den Sohn oder Enkel, wenn kein mündiger oder rechts-
fähiger Sohn oder Enkel da ist, auf den Erben des Ver-
20) Für vdkpratipannam nddeyam kasyacit \ kutumbdrthe kri-
tam ca Calc h 2 und die 4 Londoner Hss. (dazu Vaij. : yeshdm stryddi-
ndm rindddnam nishiddhavi teshdm sarveshdm api svayam vdcd pra-
tipannam ahgikritam ced ahamidam rinam ddsydmiti tadd a deyam
na kintu deyam evetyarthah, also auf eine Lesart na deyam deu-
tend) ist nach D. I, 5, CXCII „Vishnu: A debt of which payment has
been previously promised, or which was contracted by any person for
the behoof of tlie family, raust be paid by tlie housekeeper" augen-
scheinlich zu lesen . . . kutumbinä deyam \ kasyacit . . . Vergl. M. 8,
167. N. 3, 13 etc.
310 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 7. Dezember 1877.
lnögens oder den welcher die Wittwe nimmt, in letzter Linie
auf den (wegen Unmündigkeit etc.) zur Vermögensverwalt-
ung ungeeigneten Sohn. Zwischen den neralichen nahen
Verwandten, die nicht für einander Bürgen werden können,
findet auch kein Schuldenmachen statt. Bei N. sind besonders
die Bestimmungen bezüglich der Haftung der Frauen erweitert.
Die Wittwe soll selbst dann die Schulden ihres Mannes be-
zahlen, wenn sie nur kurz vor seinem Tode von ihm Auf-
trag dazu erhalten oder wenn er keinen Sohn hinterlassen
hat, resp. wenn sie seine Erbin ist. Lebt die Wittwe (wie
gewöhnlich) bei einem anderen Manne oder Vormund , so
kommt es darauf an, ob sie einen Sohn oder Vermögen hat
oder nicht, ob sie ihren Sohn zurückgelassen oder mitge-
nommen hat, ob derselbe der Verwaltung des Vermögens
fähig ist oder nicht : in den letzteren Fällen haftet jedesmal
der Mann, bei dem sie lebt, allgemein auch bei gewissen
unter besonderen Umständen eingegangenen ansserehelichen
Verhältnissen. Zu den für die Söhne nicht verbindlichen
Schulden des Vaters rechnet N. auch solche, die aus Liebe
oder Zorn contrahirt worden sind; umgekehrt sollen die
Söhne noch bei Lebzeiten des Vaters seine Schulden be-
zahlen, nicht blos wenn er lange abwesend, sondern auch wenn
er krank, wahnsinnig oder hochbetagt ist. Im vierten Gliede,
heisst es hier ausdrücklich, hört die Verpflichtung für Schulden
auf. Neben seinen sehr ins Detail ausgeführten Sätzen über
die Rechtsfähigkeit bietet N. interessante religiöse Moti-
virungen der Zahlungspflicht. Wer seine Schulden nicht
zahlt, kommt in die Hölle oder wird im Hause des Gläu-
bigers als dessen Sclave wiedergeboren oder verliert wenig-
stens die Frucht seiner frommen Werke an ihn ; um den
verstorbenen Vater hievor zu bewahren, muss der Sohn
seine Schulden eifrigst einlösen.
J. Jolly : lieber das indische Schuldrecht. 311
Ucanas21) nennt unter den Schulden, welche die Söhne
des Contrahenten nicht verpflichten, auch solche welche der
guten Sitte widerstreben (na vyavaliärikam) ; dies ist jedoch
wohl nur ein zusammenfassender Ausdruck für die Spiel-
schulden etc. der anderen Autoren. Brih. stimmt im Ganzen
mit N. übereiu. Wie bei Bürgschaftsummen die Söhne (§ 5),
so sollen bei Schulden im Allgemeinen die Enkel nur das
Capital zu bezahlen brauchen; doch soll zuerst die gross-
väterliche, dann die väterliche, erst zuletzt die eigene Schuld
abgetragen werden. Bei Lebzeiten des Vaters sollen die
Söhne dann seine Schulden bezahlen, wenn er von Geburt
an blind oder taub oder wenn er wahnsinnig22) oder mit
der Schwindsucht oder dem Aussatz oder einer sonstigen
unheilbaren Krankheit behaftet ist. Am speciellsten ist
wieder Käty. Die Zahlungspflicht der Söhne soll erst mit
dem mündigen Alter beginnen; erfüllen sie nach Eintritt
desselben ihre Verpflichtungen nicht, so sollen sie in der
Hölle wohnen. Die Liebes- und Zornesschulden des Vaters,
für welche die Söhne nicht haften, sind nach Käty. : erstere
schriftliche oder mündliche Versprechungen an eine Frau,
die schon einen anderen Mann gehabt hat, parapürvä, d. h.
von zweifelhaftem Rufe ist, letztere Versprechungen, die man,
um seinen Zorn an einem Anderen auszulassen, zur Be-
schädigung seiner Person oder zum Nachtheil seines Eigen-
thums gemacht hat. Die grossväterlichen Schulden sind zu
bezahlen, wenn sie bewiesen oder schon theilweise liquidirt
sind, nicht aber wenn sie mit einem Makel behaftet sadosha
d. h. im Spiel, für Getränke u. dgl. contrahirt sind (Viv.),
oder wenn der Vater sie nicht anerkannt hatte. Die Söhne
sollen bei einer Theilung des Vermögens ihren Theil erst
21) Mit. 71, Vir. 343, May. V, 4, 15. Dagegen nach Viv. 17,
D. I, h, CCIII Vyäsa.
22) jätyandhabadhironmatta0 Viv. ; Colebro-oke D. I, 5, CLXXVIII
übersetzt offenbar eine Lesart ° patitonmatta0.
312 Sitzung der philos.-philol. Clusse vom 1. Dezember 1877.
nach Abzug der Beträge, die für die Schulden ihres Vaters
fällig sind, ausgeliefert erhalten; stirbt der Vater ohne
Hinterlassung von Vermögen, so müssen sie gleichwohl für
seine Schulden aufkommen. Auch die Schulden anderer Fa-
milienglieder, für welche das Haupt derselben pflichtig ist,
definirt Käty. näher und zwar als solche, die, während er
zur Führung des Haushalts ausser Stande oder krank23)
war, zum Besten des Haushalts oder während eines feind-
lichen Einfalls oder in Nothzeiteu oder für die Hochzeit
seiner Tochter oder für ein Begräbniss contrahirt worden sind.
Betreffs der Reihenfolge der für die Schulden eines verstor-
benen Familienvaters verpflichteten Personen verfügt er wie
Y. N. Brih., dass wenn der Sohn unfähig ist, zunächst der
Erbe, dann der welcher die Wittwe übernimmt (purandhri-
hrit) haften soll, bestimmt aber die Unfähigkeit des Sohnes
näher als ,, nicht in Calamitäten befindlich ]>(nirupadrava),
vermögensfähig und geeignet zur Vermögensverwaltung (d.
h. mündig).u Die Schulden einer Frau sind ausser den früher
erwähnten Fällen nach Käty. auch dann für ihren Mann
oder ihre Söhne verbindlich, wenn sie dieselben des Haus-
halts wegen gemacht hat, während der Ernährer ohne für
sie zu sorgen verreist war. Die Berufsarten, bei denen der
Mann für die Schulden seiner Frau verpflichtet ist, weil er
sich nicht ohne ihre Hülfe ernähren kann, sind nach Käty.
diejenigen des Verfertigers geistiger Getränke, Jägers, Wä-
schers (für0 janaka0 Vir. 1. °rajaka°) Hirten und Schiffers24).
In solchen (also nicht in anderen; vgl. dagegen o. Vi., mit
dem N. übereinstimmt) Familien ist, wenn der Mann ohne
Hinterlassung von Vermögen und männlicher Nachkommen-
23) So nach der Lesart des Vir. 352, wo nur vyädkite für vyddh-
ine zu lesen ist; anders D. I, 5, CXCIII.
24) Das zweite, abweichende bez. Citat aus „Käty." im Vir. 354
gehört diesem nicht zu.
J. Jolly: lieber das indische Schuldrecht. 313
schaft gestorben ist, derjenige für seine Schulden haftbar,
der seine Frau besitzt (strindm upäbhohtä) .
§ 7. Eintreibung der Schulden
a) durch den Gläubiger selbst.
Die Mittel um einen säumigen Schuldner zur Zahlung
zu zwingen tractirt M. von allen Theilen des Schuldrechts
am ausführlichsten. Vor Allem heht er wiederholt die voll-
kommene Legalität der Selbsthülfe seitens des Gläubigers
hervor; der König soll nicht nur die gesetzlichen Zwangs-
mittel, durch welche er sich in den Besitz seines Eigen-
thums gesetzt hat, gutheissen, sondern auch den desshalb
vor Gericht klagenden Schuldner in eine Busse verurtheilen,
deren Betrag einem Viertel der eingetriebenen Schuld gleich-
kommen soll. Als gesetzliche Zwangsmittel nennt M. fol-
gende fünf: Frömmigkeit, öffentliches Gericht (?) , der her-
kömmliche Weg, Täuschung und Gewalt: etwas dunkle und
offenbar technische Ausdrücke, die erst bei den späteren
Autoren näher bestimmt werden (s. u.). Ausserdem kann
der insolvente Schuldner auch zur Zwangsarbeit angehalten
werden, um seine Schuld abzuverdienen, doch nur wenn er
aus gleicher oder niedrigerer Kaste ist als der Gläubiger;
ist er aus höherer Kaste, so soll er sie allmälig abbezahlen.
Da Gaut. und Vas. über die Eintreibung der Schulden völlig
schweigen, so wenden wir uns direkt zu Vi., der nur eben-
falls hervorhebt, dass den seine Forderung auf irgend eine
Weise eintreibenden Gläubiger seitens des Königs kein Vor-
wurf treffe; der Schuldner, der sich desshalb beim Könige
beschwert, soll sogar eine dem Betrag der Schuld gleich-
kommende Geldbusse bezahlen. Y. verpflichtet dagegen im
gleichen Falle den Schuldner nur zur Bezahlung seiner
Schuld. Das Abverdienen schränkt er auf arme Schuldner aus
niederer Kaste (hinajäti) ein; ein insolventer Brahmane soll
die Schuld ratenweise je nach seinen Einnahmen abtragen.
[1877. I. Philos.-philol. 3.] 22
314 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Dezember 1877.
Auch N. ist hier unergibig. Die Brahmanen begünstigt er
nur als Gläubiger, indem eine an einen verstorbenen Brah-
manen zahlbare Schuld zunächst an seine Nachkommen,
in deren Ermangelung an seine näheren oder ferneren Ver-
wandten, dann die anderen Mitglieder seiner Kaste abbe-
zahlt, wenn auch solche fehlen, ins Wasser geworfen werden
soll. Vgl. die Erbfolge ausgezeichneter Brahmanen in das
Erbe eines ohne Hinterlassung von Verwandten verstorbenen
Mitgliedes ihrer Kaste M. 9, 188. Vi. 17, 14. Vas. 17, 32
etc. Die Vergünstigung die Schuld in Raten abzutragen
gewährt N. generell ohne Unterschied der Kaste dem durch
Ungunst der Zeit (kalaviparyaydt) insolvent gewordenen
Schuldner. Dass er indessen das Ab verdienen der Schuld
auch gekannt hat, beweist die Aufzählung der Schuldknecht-
schaft*5) unter den 15 Arten der Sclaverei ; sie entsteht da-
durch, dass der Schuldner „von einer grossen Schuld be-
freit" wird und endigt, wenn er die Schuld sammt Zinsen
abträgt (V, 25. 31). Statt der fünf Zwangsmittel M.\s
führen Brih. und Käty. deren sechs (? s. May. V, 4, 1) und
sieben an und gebrauchen dafür mehrere neue Ausdrücke;
doch geht die thatsächliche Verschiedenheit nicht über die
Zerlegung von einigen der alten Zwangsmittel in Unter-
arten und die Hinzunahme der Zwangsarbeit, wofür bei Brih.
vyavdhdra wegbleibt, hinaus. Näher bestimmt Brih. 1) die
„Frömmigkeit" (dharma, bei Käty. sdntva) dahin, dass sich
Freunde oder Verwandte ins Mittel legen oder dass der
Gläubiger dem Schuldner in Güte zuredet oder sich an seine
Fersen heftet und ihm beständig seine Forderung vorträgt26).
25) Das Wort rinaddsa „Schuldknecht" gebrauchen allerdings
nur die Commentatoren , nicht N. selbst. Doch liegt die Vorstellung,
dass der Schuldner mit seiner Person haftet, auch dem Institut des
„Bürgen für Erscheinen" (§ 5) zu Grunde.
26) prdyena, nach Vir. = prdrthandbdhulyena ; dagegen Viv. :
J. Jolly: lieber das indische Schuldrecht. 315
2) M.'s zweites Zwangsmittel vyavdhära fassen Kuli, und
Mit. (67) in seiner gewöhnlichen Bedeutung „Process, Klage
und Beweisführung vor Gericht", ebenso Vir. Dagegen er-
blickt der Ratnäkara (D. I, 6, CCXXXVII) und der Viv. 20
eine Art der Selbsthülfe des Gläubigers darin und zieht
hieher einen Ausspruch des Käty., wonach der Gläubiger
einen insolventen Schuldner gewaltsam vor eine Versamm-
lung von Menschen (janasamsadi, es ist wohl ein Schieds-
gericht gemeint) führen und dann bei sich in Gewahrsam
halten soll, je nach der Landessitte (dies beziehen die Comm.
entweder darauf, dass die Festnehmung durch den Gläubiger
selbst oder durch den König stattfinden soll, oder darauf,
dass der Gläubiger eine der Ortssitte entsprechende Zwangs-
arbeit verrichten muss), bis er seine Schuld getilgt hat. Auch
Medätithi (bei Kuli.) bezieht M.'s vyavahära, das er in der
Bedeutung „Beschäftigung" zu fassen scheint, auf Zwangs-
arbeit d. h. Feldarbeit, Handel u. dgl., die der insolvente
Schuldner für den Gläubiger, nachdem dieser ihm ein Ca-
pital vorgeschossen, treiben und ihm den Ertrag erstatten
soll27). Auch der Zusammenhang bei M. spricht entschieden
dafür, vyavahära nicht auf gerichtliche Klagen zu beziehen.
Für das wahrscheinlichste halte ich, dass das von Käty. an-
gedeutete Schiedsgericht oder allgemein „die 0 Öffentlichkeit"
damit gemeint ist; man könnte auch an die Bedeutung
„allgemeiner Brauch" (B. R. s. v. 7) denken, vgl. dcarita.
3) Die Täuschung chala, bei Brih. upadhi, bei Käty. vyäja,
besteht nach ersterem darin, dass der Gläubiger dem Schuldner,
unter dem Vorwande sie für irgend einen Zweck zu bedürfen,
eine ihm gehörige Sache (Schmuck u. dgl.) abborgt und nachher
prdyah prdyopaveganam d. h. wohl „Drohung sich durch Fasten zu
tödten", wonach dieses Zwangsmittel mit dcarita zusammenfiele, s. u.
27) nihsvo yah sa vyahavdrena ddpayitavyah anyat karmopaJcara-
nam dhanam dattvd krishivdnijyddind vyavahdrayitavyah tadut-
pannam dhanam grihniydd ity dha.
22*
316 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Dezember 1877.
nicht zurückgibt, oder dass er ein von ihm zur Rückgabe
an den Eigenthümer oder sonstwie erhaltenes Deposituni
zurückhält28). 4) Der ,, herkömmliche Weg" äcarita, bei
Brih. ebenso und als grihasamrodha, bei Käty. wieder ebenso
oder als uparodha bezeichnet, besteht nach Ersterem darin,
dass man den Sohn, die Frau oder das Vieh des Schuldners
ihm raubt und vorenthält oder seine Thüre belagert. Dieses
Zwangsmittel ist mit einem noch heuty.utage vorkommenden
Gebrauche, dem sogen. Dharna- Sitzen, identisch29). Der
merkwürdige Rechtsbrauch, dem die Vorstellung von der
Heiligkeit des Lebens eines Brahmanen zu Grunde liegt, be-
steht darin, dass der Gläubiger, welcher der Brahmanenkaste
angehören muss, sich mit Gift oder einem Dolch versehen
vor das Haus des säumigen Schuldners begibt und droht
sich damit das Leben zu nehmen, wenn derselbe an ihm
vorbeigehen würde; er fastet von da an, und der Schuldner
ist durch die Sitte gezwungen mitzufasten ; wer es am läng-
sten aushält, ist der Sieger. 5) Die „Gewalt" bala, Brih. 's
balätkära, bei Käty. pidana , definirt ersterer dahin, dass
der Gläubiger den Schuldner gebunden in sein Haus führt
und dort mit Schlägen, Drohungen u. s. w. zur Erfüllung
seiner Verpflichtungen zwingt. Von besonderem Interesse
ist 6) die „Arbeit" karma in sofern, als sie vornemlich die
indische Form der Schuldknechtschaft repräsentirt, die wir
auch bei N. und als das zweite Zwangsmittel erwähnt fanden.
28) Andere Fälle von erlaubter Täuschung sind die probeweise
Hinterlegung eines Depositums bei Jemand, der in Verdacht steht ein
anderes unterschlagen zu haben, und der Meineid, wo das Leben eines
Menschen auf dem Spiele steht und in ähnlichen Fällen (M. 8, 182 ff,
104. Vas. 16 extr. etc.).
29) S. Sir H. Maine's Lectures on the Early Hist. of Instit.
(London 1875) 297 ff., wo auch eine höchst auffallende Parallele aus
dem altirischen Recht nachgewiesen wird. Die Mit. erklärt M.'s äcarita
geradezu mit abhojana „Fasten."
J. JoVy: lieber das indische Schuldrecht. 317
Brih. bestimmt darüber, dass sie bei vermögenslosen Schuld-
nern in Anwendung kommen soll, jedoch nicht bei Brah-
manen, die vielmehr nur zu ratenweiser Abzahlung der Schuld
gezwungen werden können (wie bei M. Y.) ; der Schuldner
soll in das Haus des Gläubigers gebracht und dort zum De-
stilliren von Spirituosen und ähnlichen Arbeiten angehalten
werden. Demnach unterschiede sich dieses Zwangsmittel von
vyavaJidra dadurch, dass bei letzterem entweder ein öffent-
licher Act vorhergeht, oder die Zwangsarbeit nicht im Hause
des Gläubigers stattfindet. Auch Käty. beschränkt harma
auf Schuldner aus den drei unteren Kasten, welche gleicher
oder niedrigerer Kaste sein müssen als der Gläubiger, und
verordnet letzterem, wenn er den Schuldner zu einer nicht
von Anfang an stipulirten, unreinen Arbeit anhält, als Strafe
die Entrichtung der ersten Geldbusse (250 Pana) und Be-
freiung des Schuldners von seiner Verpflichtung. Da die
Sclaven sonst gerade die unreine Arbeit agubham harma zu
verrichten haben (N. V, 5), so muss die Schuldknechtschaft
eine mildere Form der Sclaverei gewesen sein. Hinsichtlich
der nicht „von Anfang an stipulirten" Arbeit ist Brih.'s
Definition von däsapatra „Sclavereivertrag" (Vir. 189) zu
vergleichen als einer Schrift, die ein von Kleidung und
Nahrung Entblösster, in der Wildniss Befindlicher ausstellt,
und die das Versprechen enthält : Ich will dir Dienste thun.
Wahrscheinlich ist hier an Schuldsclaverei zu denken. Zur
Beantwortung der Frage, in welchen Fällen und mit welcher
relativen Häufigkeit die einzelnen Zwangsmittel zur An-
wendung gekommen seien, bietet Käty. einige Anhalts-
punkte. Den König, seinen Herrn und einen Brahmanen80)
30) So Vir. 333 f., Viv. 21, May. V, 4, 3, fast ebenso D. I, 6,
CCXLII; dagegen liest Mit. 68 abgesehen von anderen Abweichungen:
räjä tu svämine vipram säntvenaiva praddpayet \ decdcdrena c4
'nydms tu . . .
318 Sitzung der phüos.-pliilöl. Classe vom 1. Dezember 1877,
soll man durch sanfte Mittel, einen Erben oder Freund
durch Täuschung, Kaufleute, Ackerbauer und Handwerker
nach der Landessitte (d. h. durch vyavahära oder Jcarma
s. o.), unredliche Leute gewaltsam (sampidya, d. h. nach
dem Vir. durch hälätkära oder dcarita) zur Zahlung nöthigen.
Hieraus dürfte hervorgehen, dass die Schuldhaft oder Zwangs-
arbeit am häufigsten zur Anwendung kam. Käty. äussert
sich auch über die Modalitäten der Haft. Will ein in
Schuldhaft Befindlicher seine Nothdurft verrichten, so darf
er nur in Begleitung eines Wächters oder in Ketten sein
Gefängniss verlassen. Hat er jedoch einen Bürgen (für Er-
scheinen) gestellt, so muss man ihn Tag für Tag zur Zeit
der Mahlzeiten entlassen, dessgleichen, wenn der Bürge für
ihn gut sagt, auch in der Nacht. Nur wenn er keinen
Bürgen finden kann oder sich keines solchen bedienen will,
soll er im Kerker eingeschlossen oder von Wächtern be-
wacht werden. Käty. fügt hinzu, dass ein angesehener, zu-
verlässiger und ehrenhafter Mann nicht eingekerkert werden
dürfe; man soll ihn auf sein Ehrenwort hin (nibaddhah
gapatJiena) freilassen. Vgl. o. die Befreiung der Brahmanen
von der Zwangsarbeit. Auch das Verhältniss der letzteren
zur Haft klärt Käty. auf: die Haft soll nur subsidiär ein-
treten , wenn der Schuldner zur Verrichtung von Arbeit
ausser Stande ist.
b) Gerichtliche Klage und Execution.
Dass vyavahära als Zwangsmittel bei M. nicht „Process,
gerichtliche Klage" bedeuten kann, geht ganz deutlich auch
daraus hervor, dass er dem König als Richter aufgibt, eine von
dem Gläubiger durch dieses Mittel bewerkstelligte Eintreibung
der Schuld seinerseits zu ratificiren. Von der gerichtlichen
Klage handelt er besonders. Sie kann entweder vom Gläu-
biger oder von dem Schuldner, gegen den der Gläubiger
eines der Zwangsmittel in Anwendung bringt, ausgehen;
J. Jolly: Ueber das indische Schuldrecht. 319
unterliegt der Schuldner, so soll er ausser der Schuld im
ersteren Falle eine kleine Geldbusse bezahlen , betreffs des
letzteren Falles s. o. An einer anderen Stelle werden da-
gegen sowohl Kläger als Beklagter , wenn sie unterliegen,
in eine Succumbenzbusse im doppelten Betrag der Streit-
summe verfällt, an einer dritten dem von dem Gläubiger
angeklagten Schuldner blos Beträge von 5°/o oder 10°/o, je
nachdem er die Schuld eingestanden oder abgeleugnet hat,
als Busse an den König auferlegt. Für das Beweisverfahren
gelten die allgemeinen Normen ; entscheidend ist bei M.,
wie schon in § 2 erwähnt, der Zeugenbeweis, in letzter
Instanz ein Gottesurtheil. Vi. und Y. vertheilen die Ge-
richtssporteln zwischen dem klagenden Gläubiger und dem
überführten Schuldner: der erstere soll 5, der letztere 10°/o
zahlen ; der Gläubiger soll für eine falsche Klage das Dop-
pelte, der leugnende, aber überführte Schuldner das Einfache
der Streitsumme als Busse entrichten. Ferner stellen Vi., Y.
und N. die Maxime auf, dass derjenige, welcher die ganze
Schuld ableugnet und nur betreffs eines Theils derselben
überführt wird, das Ganze zu zahlen hat. N. beschränkt
die Gerichtssporteln. auf 5°/o, welche der König von einem
renitenten, vermögenden Schuldner erheben soll. Vyäsa (Vir.
360, etwas anders D. I, 6, CCLXX) bemerkt, dass im Falle
des Unterliegens beide Parteien das Doppelte der Streit-
summe als Busse bezahlen sollen, sowohl wenn die Ver-
theidigung sich auf einen besonderen Umstand, als wenn sie
sich auf ein früheres Urtheil stützte, oder auf eine einfache
Verneinung der Anklage hinauslief. Hiernach fiele diese
Busse also nur bei der letzten der vier traditionellen Arten
der Antwort, dem Eingeständniss (pratipatti oder satyot-
tara) weg. Brih. und Käty. bieten hier nur einige Be-
stimmungen, die zur genauen Abgrenzung des gerichtlichen
Verfahrens gegenüber der Selbsthülfe dienen. Letztere ist
zunächst nur für den Fall geeignet, dass der Schuldner die
320 Sitzung der philos.-phüol. Classe vom 1. Dezember 1877.
Richtigkeit der Forderung nicht bestreitet. Erhebt er vor
Gericht Protest dagegen, so ist nunmehr der Gläubiger, der
fortfährt ihn zu bedrängen, ebenso strafbar wie sonst der
Schuldner, der sich wegen Anwendung eines der Zwangs-
mittel gegen ihn bei Gericht beschwert hat. Brih. verfügt
nur im Allgemeinen die Bestrafung des Gläubigers, der in
einer zweifelhaften oder bestrittenen Sache (sandigdhe 'rthe)
gegen den Schuldner, der an die Gerichte appellirt hat,
gewaltsam vorgeht, ein Grundsatz, den in etwas allgemeinerer
Fassung schon N. 1, 43 aufstellt. Käty. setzt die Strafe für
dieses Vergehen auf den gleichen Betrag wie die Streitsumme
fest, und die letztere soll der Gläubiger verlieren. Den Aus-
druck sanäigdha artha präcisirt Brih. dahin, dass sich zwischen
den beiden Parteien irgend eine Differenz erhoben hat be-
treffs der Natur oder Quantität {sankhyä) der in Rede
stehenden Sache oder betreffs des fälligen Zinsenbetrags.
Die Appellation an die Gerichte soll einfach darin bestehen,
dass der Schuldner (vor Gericht) erklärt, das bezahlen zu
wollen, wozu er von Rechtswegen verpflichtet sei.
Worin bestand das gerichtliche Executionsverfahren ?
Folgt man der o. Anm. 30 angeführten Lesart der Käty.-
stelle über die Anwendung der Zwangsmittel je nach der
Person des Schuldners, so müssten dem König d. h. den
Gerichten einfach die nemlichen Mittel wie dem Privatmann
zu Gebote gestanden haben; da indessen die „Täuschung"
als gerichtliches Zwangsmittel völlig undenkbar ist, so kann
die Lesart der Mit. höchstens theil weise richtig sein. Auf
die Einschliessung renitenter Schuldner in königliche Kerker
deuten einige Stellen in den Commentaren hin ; auch die
obigen Vorschriften Käty.'s über die Behandlung der Schuld-
gefangenen sind möglicher Weise hierauf zu beziehen. M. 8,
415 erwähnt den „Sclaven für eine Geldbusse11 (dandadäsa),
der verknechtet worden ist, weil er eine gerichtliche Busse
J. Jolty: Ueber das indische Schuldrecht. 321
nicht bezahlen konnte, und schreibt 9, 229 im gleichen
Falle Angehörigen der drei unteren Kasten vor, die Busse
durch Arbeit abzuverdienen ; hiemit wurden freilich nur die
Ansprüche des Fiscus befriedigt. Eine ganz deutliche An-
spielung* auf Eintreibung von Schulden durch den König
d. h. die Gerichte liegt nur in der N.-stelle31), wonach der
König einen vermögenden, aber renitenten Schuldner zur
Zahlung zwingen und 5% der Summe für sich behalten
soll, und in der Y.-stelle vor, wonach er im gleichen Falle
von dem Schuldner 10%, von dem Gläubiger 5°/o der ein-
getriebenen Summe (sädhität) erhalten soll. Dagegen ist
es nach dem Zusammenhang , in dem M. Brih. Käty. die
sechs Zwangsmittel erwähnen, nicht zweifelhaft, dass die-
selben nicht minder auch für diejenigen Fälle gemeint sind,
in denen der Schuldner seine Verpflichtung vor Gericht be-
stritten hatte, aber mit seiner Klage abgewiesen worden
war. Wahrscheinlich Hessen sich die Gerichte in der Regel
nur auf die Feststellung des Thatbestands ein; zur Voll-
streckung des Urtheils reichte ihre Macht nicht aus, sie
wurde dem Gläubiger überlassen.
§ 8. Chronologische Resultate.
Bei der grossen Unsicherheit aller anderen, auch der
aus der Form oder Sprache geschöpften Kriterien für das
relative Alter der indischen Gesetzbücher, ist die Vergleich-
ung des Inhalts ohne Frage von entscheidender Bedeutung
für die Bestimmung desselben. Es wird daher nicht über-
flüssig sein, die Resultate, die sich in dieser Hinsicht aus
einem so wichtigen und umfassenden Theile des Systems,
31) Jn einem sonst gleichlautenden Citat Viv 23, D. I, 6,
CCLXVJII, May. V, 4, 8, angeblich aus Yama, wird die Busse des
Schuldners auf den doppelten Betrag der Schuld fixirt.
322 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Dezember 1877.
wie es das Schuldrecht ist, ergeben, hier in Kürze aus-
drücklich zu constatiren.
Unter den vollständigen Gesetzbüchern war das des
Vas. am unergibigsten, was bei der sonstigen Alterthünilich-
keit des Inhalts, worauf ich Z. d. d. in. G. XXXI, 132 hinge-
wiesen habe, und den bekannten weiteren Gründen gewiss
aus der geringen Entwicklung des Schuldrechts in seiner
Zeit erklärt werden darf; die Stelle über Schriftstücke als
Beweismittel (§ 2) ist vielleicht eine Interpolation. Gaut.
keunt nur den Zeugenbeweis und trifft über Pfandrecht und
Bürgschaft nahezu, über die Eintreibung der Schulden gar
keine Bestimmungen ; andererseits fällt seine Erwähnung von
sechs Arten des Zinses schwer in die Wagschale. Im Ganzen
macht seine Behandlung des Schuldrechts einen entschieden
alterthümlicheren Eindruck als die des M., dem sich dagegen
hier nicht nur wie überall Y. , sondern auch Vi. in ent-
scheidenden Punkten als posterior erweist. Auffallend ist
die weitgehende, oft wörtliche Uebereinstimmung zwischen
Y. und Vi. N. schliesst wie sonst, den Reigen; es genügt
auf seine Definition der Zinsarten und seine höchst ausführ-
lichen Erörterungen über Haftung für Schulden zu ver-
weisen.
Bedeutend schwieriger ist es bei den nur aus Citaten
bekannten Gesetzbüchern, soweit sie hier in Betracht kommen,
nemlich den Werken des Ucanas, Käty., Pitämaha, Prajä-
pati, Brih., Bhäradväja, Yama (?), Vyäsa, Samvarta und
Härita, zu einem chronologischen Ergebniss zu gelangen,
da wir gar kein Mittel haben um festzustellen, inwieweit
die Citate den bez. Inhalt dieser Werke erschöpfen; auch
herrscht in den im Obigen bemerkten und einigen anderen
Fällen eine bedenkliche Unsicherheit betreffs der Zugehörig-
keit der Citate an die verschiedenen Autoren, die sich hier
nicht wie bei den vermeinten Vas.-, Vi.- und N.-stellen
durch Vergleichung des Originals beseitigen lässt. Dennoch
J. Jully: Ueber das indische Schuldrecht. 323
kann mit Bestimmtheit von den beiden am häufigsten ci-
tirten Autoren Käty und Brih., und mit grosser Wahr-
scheinlichkeit auch von Vyäsa und Härita behauptet werden,
dass sie dem jüngsten der obigen Autoren, N., in der Be-
handlung des Schuldrechts posterior sind, und betreffs der
übrigen liegt in dem sehr spärlichen Material wenigstens
kein Grund zu der Annahme des Gegentheils vor32). Der
Fortschritt gegenüber N. und den anderen alten Autoren
besteht freilich vielfach nur in einer entwickelteren Casuistik,
aber eben darum können die Discrepanzen z. B. zwischen
Käty. oder Brih. und N. nur auf einer zeitlichen, nicht auf
einer localen Verschiedenheit beruhen. Ueberall schliessen
sich diese späteren Autoren an die alten aufs engste an
und treten z. B. in der Lehre von den Executionsmitteln
fast wie Commentatoren zu M. auf. Eine andere Frage ist
es, ob die verschiedenartige Behandlung des Schuldrechts
bei den verschiedenen späteren Autoren gleichfalls chrono-
logisch zu erklären ist, und welche Reihenfolge etwa unter
ihnen aufzustellen wäre; hierüber lässt sich vom Stand-
punkte des Schuldrechts allem aus zu keiner Entscheidung
gelangen.
32) Es rechtfertigt sich hiemit auch von dieser Seite, wie betreffs
des Frauenrechts, die früher (När., Preface p. XVIII) von mir ohne Be-
weis vorgetragene Behauptung von der Posteriori tat des Käty., Brih.
und Vyäsa gegenüber N. Aehnliche Ergebnisse bez. der Behandlung der
Ordalien schon bei Stenzler Z. d. d. m. G. IX, 664. Dass auch die übrigen
blos citirten Smritis später als N. sind, hoffe ich in den Anmerkungen
zu meiner Edition zu zeigen.
324 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Dezember 1877.
Herr v. Christ hielt einen Vortrag über
„Die rhythmische Continuität der griech-
ischen Chorgesänge."
Derselbe wird in den „Abhandlungen" veröffentlicht
werden.
Einsendungen von Druckschriften. 325
Yerzeichniss der eingelaufenen Büchergeschenke.
Vom historischen Verein von Unterfranken und Aschaffenburg in
Würzburg :
a) Archiv. 24. Bd. 1877. 8.
b) Die Geschichte des Bauernkrieges in Ostfranken von Magister
Lorenz Fries, von Dr. Schäffler und Dr. Henner. 1876. 8.
Von der öffentlichen Bibliothek in Stuttgart:
Festschrift zur 4. Saecularfeier der Eberhard-Karls- Universität. 1877. 4.
Vom Verein für Meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde in
Schwerin :
a) Meklenburgisches Urkundenbuch. X.Band 1346—1350. Nachträge
zu Band I— X. 1877. 4.
b) Jahrbücher und Jahresbericht. 40. Jahrgang. 1875. 8.
Von der deutschen Morgenländischen Gesellschaft in Leipzig:
Zeitschrift. 31. Band. Register zu Band XXI— XXX. 1877. 8.
Von dem Thüring. -Sachs. Verein für Erforschung des vaterl. Alter-
thums und Erhaltung seiner Denkmäler in Halle:
Neue Mittheilungen aus dem Gebiete historisch-antiquarischer Forsch-
ungen. Band XIV. 1875. 8.
Von der Gesellschaft für Pommer'sche Geschichte und Alterthumskunde
in Stettin:
Baltische Studien. 27. Jahrgang. 1877. 8.
326 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Verein für siebenlmrgische Landeskunde in Hermanstadt:
a> Archiv. Neue Folge. 13. Bd. 1876. 77. 8.
b) Jahresbericht für das Vereinsjahr 1875/70. 8.
Von der Studienanstalt zu Bamberg:
Jahresbericht für 1870/77 mit Programm von Schramm, die Metaphysik
des Aristoteles. 1677. 8.
Von der Akademie der Wissenschaften in Agram :
Rad (Arbeiten). Bd. XXXIX. 1877. 8.
Von der allgemein geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz in
Bern:
Quellen zur Schweizer-Geschichte Bd. I. Basel 1877. 8.
Von der akademischen Lesehalle in Czernowitz:
I. Verwaltungsbericht. 1877. 8.
Vom Verein für Kunst- und Altert hum zu Ulm:
Correspondenzblatt 1877. No. 6. 4.
Von der Gesellschaft für Schleswig-Holstein-Lauenburgische Geschichte
in Kiel:
a) Zeitschrift. Bd. VII. 1877. 8.
b) Register zum Diplomatarium des Klosters Arensbök von G. v. Buch-
wald. 1877. 4.
Vom Alterthums verein in Lüneburg:
Urkundenbuch der Stadt Lüneburg, bearb. von W. F. Volger. Bd. III.
1877. 8.
Vom k. Sächsischen Alterthums- Verein in Dresden :
Mittheilungen. Heft 26 und 27. 1877. 8.
Von der k. k. Akademie der Wissenschaften in Krakau:
a) Monumenta medii aevi historica. Tom. II. 1876. 4.
b) Rocznik (Almanach). 1876. 1877. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 327
c) Rozprawy (Sitzungsberichte). Histor. Classe. Tom. 6.7. 1877. 8.
d) Oskar Kolberg, Lud. Serie XI. 1877. 8.
Von der k. Universität in Mimchen:
Chronik auf das Jahr 1876/77. 1877. 4.
Vom historischen Verein für Steiermark in Graz:
a) Mittheilungen. Heft XXV. 1877. 8.
b) Beiträge zur Kunde steiermärkischer Geschichtsquellen. 14. Jahr-
gang. 1877. 8.
Vom statistisch-topographischen Bureau in Stuttgart:
Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde. Jahrgang
1876. 1877. 4.
Vom Verein von Alterthumsfreunden im Rheinlande zu Bonn:
Jahrbücher. Heft 59. 60. 1876. 77. gr.8.
Von der Universität in Kiel:
a) Schriften der Universität Kiel aus dem Jahre 1876. Bd. XXIII.
1877.
b) Die Einweihungsfeier des neuen Universitäts - Gebäudes zu Kiel,
von Frd. Volbehr. 1876. 8.
Vom Verein für nassauische Alterthumskunde und Geschichtsforschung
in Wiesbaden:
Annalen. Bd. XIV. 1875—77. 8.
Von der Academia Lucchese di scienze, lettere ed arti in Lucca:
Atti. Tomo XX. 1876.
Von der Commission Imperiale Archeologique in St. Petersburg:
Compte-rendu pour l'annee 1872—74 avec Atlas, fol.
Vom Herrn Bidermann in Graz:
Die Romanen und ihre Verbreitung in Oesterreich. 1877. 8.
328 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Herrn A. Mühry in Göttingen:
üeber die exaete Natur-Philosophie. 1877. 8.
Vom Herrn Wilhelm Soltau in Zobern:
Der Verfasser der Chronik des Matthias von Neuenbürg. 1877. 4.
Vom Herrn W. Schlötel in Stuttgart:
Amtliches Plagiat? oder Was? Ein Circular. 1877. 8.
Vom Herrn Matthias Lexer in Würzburg:
Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Lief. XVI. Leipzig 1877. 8.
Vom Herrn Amand Baumgarten in Kremsmünster :
a) Das älteste Urbarium von Kremsmünster. Zur XI. Saecularfeier des
Stiftes herausgegeben von P. Leonard Achleuthner. Wien 1877. 8.
b) Die Pflege der Musik im Stifte Kremsmünster, von Georg Hucmer.
Wels 1877. 8.
c) Catalogus codicura manuscriptorum in bibliotheca monasterii Cre-
mifanensis. Ed. P. Hugo Schmid. Lentii 1877. 8.
Vom Herrn Karl von Weber in Dresden:
Archiv für die sächsische Geschichte. Neue Folge. Bd. IV. Heft 1
und 2. Leipzig 1877. 8.
Vom Herrn Franz Joseph Lauth in München:
a) Das germanische ßunen-Fudark. 1847. 8.
b) Das vollständige Universal- Alphabet. 1855. 8.
c) Manetho und der Turiner Königs-Papyrus. 1865. 8.
d) Moses der Ebraeer. 1868. 8.
e) Aegyptische Chronologie. 1877. 8.
Vom Herrn Dr. Conrad von Maurer in München'.
Das älteste Hofrecht des Nordens. 1877. 8.
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Roms. 329
Historische Classe.
Sitzung vom 1. Dezember 1877.
Herr Gregorovius trug vor:
„Ein deutscher Bericht über die Erobe-
rung Roms durch die kaiserliche Armee
Carl's V. im Jahr 1527, von dem Augen-
zeugen Ambrosius von Gumppenberg."
Der Gegenstand meiner Mittheilung ist ein in der
Münchner Staatsbibliothek befindliches Manuscript, welches
folgenden Titel führt:
Beschreibung aller Händel, die sich anno 1527 zu Rom
verlaufen wie die Stadt von des Rom. Kaysers Caroli V.
Kriegsvolk eingenommen und geplündert worden, und wie
sich solcher Krieg vom Anfang biss zum Ende verlaufen
hat, durch den Hochwürdigen und Edeln Herrn Ambrosi
von Gumppenberg, Prothonotarium Apostolicum, Dom-
probsten zu Basel, Domherrn zu Würzburg, Augsburg , Re-
gensburg etc. so der Zeit zu Rom selb mit und beigewesen
mit eigner Handt beschrieben.
Der Verfasser dieses Schriftstückes von 37 Blättern in
Quart war ein bairischer Edelmann, ohne besondere Bedeu-
tung im öffentlichen Leben seiner grossen Zeit, aber von
sehr viel praktischer Erfahrung und Weltkenntniss. Sein
[1877. I. Philos.-philol. Cl. 4] 23
330 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 1877.
Name ist hauptsächlich nur in Verbindung mit dem seines
verdienten, sehr merkwürdigen Zeitgeuossen bekannt ge-
worden, des deutschen Orientalisten Johann Albert Wid-
manstadt oder Lucretius.
Herr Oberbibliothekar Föhringer hat, wenn ich nicht irre,
in einer Frühjahrssitzung unserer Classe die Beziehungen
dieser Männer wieder in Erinnerung gebracht. Seiner Gefällig-
keit verdanke ich die Bekanntschaft mit dem Manuscript, von
dem ich reden will, und dies geschah durch Zufall. Ich
wurde nämlich in Rom auf jene beiden Deutschen auf-
merksam , als ich dort im Frühjahr 1876 die Register
des Gemeindearchivs untersuchte, um älteste und ältere
Bürgerbriefe, sogenannte Literae civilitatis aufzufinden und
mich über die Veranlassung von deren Ertheilung und
ihre Formel in vergangenen Jahrhunderten zu unterrichten.
Bei dieser Gelegenheit fand ich in den Protokollen der
Rathsitzungen verzeichnet, dass Messer Ambrogio Gum-
penbergh am 10. December 1537, der magnitico Giovanni
Alberto di Lucretio di Germania am 15. Mai 1551 das
römische Bürgerrecht erhalten hatten. Dem ersten, welcher
als Eigenthümer eines Grundstücks in Rom darum einge-
kommen war , wurde durch Zufall dieses Recht gleichzeitig
mit Michel Angelo zu Theil.
In Folge der Mittheilung dieser Notizen machte mich
Herr Föhringer auf das Vorhandensein einiger Schrift-
stücke aufmerksam, welche von jenem Ambrosius verfasst
sind. Unter diesen überraschte und reizte mich ganz be-
sonders die genannte Beschreibung der Ereignisse Roms im
Jahre 1527, als ein in deutscher Sprache geschriebener und
bisher unbeachteter Originalbencht.
Ehe ich mich über den Inhalt desselben auslasse, würde
es meine Pflicht sein, von dem Leben des Verfassers selbst
zu berichten, wenn solches für uns von wirklicher Bedeu-
tung wäre, oder wenn mich dessen nicht überhöbe die zwar
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. 'Eroberung Roms. 331
nur als Manuscript für die Stammesgenossen gedruckte,
aber uns doch zugängliche „Geschichte der Familie von Gump-
penberg." Sie hat zu Würzburg im Jahre 1856 ein An-
gehöriger dieses noch fortdauernden alten und namhaften
Hauses veröffentlicht. Ich will mich auf einige meinem
Zweck doch zukommende Daten beschränken, die ich meist
aus den schriftlichen Nachrichten jenes Ambrosius gezogen
habe.
Er selbst hat in dem noch vorhandenen Bruchstück
seiner Autobiographie (Cod. bav. 1306, und Abschrift im
Cod. bav. 2127) sein Geburtsjahr nicht angegeben. Aus-
gerüstet mit so viel Studien, als er in Tübingen und In-
golstadt gemacht hatte, begab er sich als ein junger mittel-
loser Glücksritter nach Rom. Das Jahr seiner Ankunft
bemerkt er nicht. Er sagt einmal folgendes : „ich pin nach
Italien gekomen, da ich etwan 24 Jar alt gewest pin, und
pin gen Rom komen, hab mich nit geschämet, alss edel
ich gewest pin, das ich mich dem wenigsten sowohl dienst-
bar gemacht habe, als dem allergrössesten Herrn.'1 Nun
berichtet er in seiner Schrift über den Krieg im Jahre 1527,
dass er zur Zeit, da der Connetable von Bourbon im An-
züge gegen Florenz begriffen war, also im Monate April
jenes Jahres „ein junger beherzter geselle von ain 25 Ja-
ren" gewesen sei. Demnach muss Gumpenberg etwa im
Jahre 1525 nach Rom gekommen sein. Weil" er aber zu-
gleich behauptet, dass er ehe die Stadt durch die Kaiser-
lichen erobert ward, in mancherlei Geschäften des Papstes
zum siebenten Mal in Deutschland gewesen sei, so kann
diese Behauptung mit der eben gemachten Berechnung nicht
gut vereinigt werden. Denn bei der Schwierigkeit des
Reisens in jener Zeit ist es nicht glaublich, dass jemand
innerhalb zweier Jahre in geschäftlichen Angelegenheiten
siebenmal zwischen Rom und Baiern hin und her gegangen
sei. Vielleicht hat der Abschreiber des Manuscripts (dieses
23*
332 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 1877.
ist nur in Copie vorhanden) ans der arabischen Ziffer 2
eine 7 gemacht. Doch das mag auf sich beruhen. Die
Geschäftsreise Gumppenbergs von Rom an den Hof der bai-
rischen Herzoge im Jahre 1526 beweist, dass, wie geriug-
fügig auch sein damaliger Auftrag gewesen sein mag, der
junge Deutsche in kurzer Zeit die Gunst grosser Herren
erworben hatte.
Rom war damals nicht mehr das glanzvolle Theater
künstlerischer und wissenschaftlicher Thätigkeit wie zur
Zeit Julius II. und Leo's X. Ein Bruch in dieser Hinsicht
war eingetreten unter der musenfeindlichen Regierung des
unglücklichen Hadrian VI. Jedoch waren Akademiker und
Künstler seit der Erhebung Clemens des VII. auf den heil.
Stuhl zu neuem Leben zurückgekehrt: Männer wie Giberti
und Sadoleto bekleideten das Amt des Secretärs im Dienst
des zweiten Medici. Ausländer konnten in Rom nach wie
vor die Schulen ausgezeichneter Professoren besuchen, die
Schätze der Bibliotheken ausbeuten, und den Umgang vieler
genialer Männer gemessen.
Es waren aber schwerlich wissenschaftliche Triebe, die
unsern jungen Landsmann nach Rom geführt hatten. Er
hat sich nirgend im Zusammenhang mit Humanisten und
Gelehrten Roms oder Italiens gezeigt, noch dort oder später
in Deutschland in irgend einer Weise an der Wissenschaft
oder auch nur an den kirchlichen Tagesfragen sich bethei-
ligt. Er war ein Mann der Praxis ; als solcher suchte er
sein Glück zu machen, und das war in Rom nicht schwer,
wo zwar die literarische Laufbahn Hindernisse und wenig
Lohn finden konnte, aber die einträgliche des Curtisan jedem
begabten Menschen jeder Nation immer offen stand.
Ambrosius hat sich über seine römischen Lehrjahre
nur ganz im Allgemeinen ausgesprochen, und das ist zu
bedauern, denn es wäre doch eine dankbare Aufgabe gewe-
sen, am eigenen Beispiel das Emporkommen eines armen
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb, d. Eroberung Roms. 333
Fremdlings gerade in Rom darzustellen. Es gab dort immer
Deutsche, die als Höflinge es zu etwas gebracht haben, und
denen bisweilen die Nachwelt auf Grund ihrer amtlichen
Eigenschaft bei der Curie schätzenswerthe Denkmäler ihrer
Zeit zu verdanken hatte, wie dem Strassburger Burkard
und den beiden Westphalen Niem und Gobelin Persona.
„Ich pin, so sagt Ambrosius, bei allen meinen Ge-
danken dahin gestanden, wie ich doch thun mechte, dass
es meinem Herren gefiele, dass ich in meins Herrn Gnade
komen und darin bleiben mechte, dan zu Rom komen
treue fleissige Diener bei ihren Herren hinfurt, es sein die
Welschen wie pes bueben sie wollen, so gefält ihnen ein
feiner, frumer treuer erlich Diener wol; sie suchen Wege
und Mittel ihm aufzuhelfen; darumb ist dass die Ursache,
das da jederman gen Rom lauffet, und sunder wass wie
geschickte ingenia sein, das ein armer geselle so bald zu
einem grossen Prällat, Bistum, Cardinalat und gar zum
Papat komen mege ,* als kein grosser Herr nit.u Er habe
sich deshalb, so sagt er weiter, in Rom, wo nur das Ta-
lent und nicht die Geburt gelte, nicht gar viel auf seinen
alten Adel verlassen, sondern sich in Dienst der grossen
Herren begeben mit solchem Fleiss und Eifer, dass er bald
emporgekommen sei. Man habe ihm mit der Zeit aus allen
Landen Sachen zugeschickt (d. h. Geschäfte anvertraut), so-
gar aus der Insel Zea bei Constantinopel.
Der Beruf, in welchem sich der junge Glücksjäger zu
Rom ausbildete, war also der eines Geschäftsführers in kleinen
und grossen Angelegenheiten der Curie, oder hoher römi-
scher Prälaten, wie deutscher Bischöfe und Fürsten, welche
hundert Dinge auf dem geistlichen Weltmarkt Rom zu
erhandeln und zu betreiben hatten. Mit der Zeit erlangte
Ambrosius eine so grosse Gewandtheit in seiner Kunst, dass
er vom Kaiser Carl V. zum Procurator der deutschen Na-
tion bestellt ward. Auch die zahlreiche Klasse solcher
334 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 1877.
Agenten wurde mit dem allgemeineren Begriff des Curialen
und Cnrtisan bezeichnet, und dieser war in unserem von der
römischen Curie so schamlos ausgebeuteten Vaterlande ver-
rufen und tief verhasst. Gumppenberg wusste und erfuhr
das mehr als genug, darum suchte er in jenen wenigen
Nachrichten von seinem Leben diesen Flecken zu tilgen
oder zu beschönigen. Er erklärt, dass er sich des Namens
eines Curtisan gar nicht schäme. „Ich wollt, so schreibt
er, mein hand darum geben, dass ganz Deutschland ein
Cortisan wer und cortes handelt, so stund unser arm
Deutschland besser dan also da, und wer sich Roms schämet,
hat gar wenig gesehen und erfahren. Ja man will sagen
zu Rom sei alles Buberei, und da sehe und lerne man alle
böse Stücke, und so einer gen Rom ziehet, so fände er
gleich den Schalk und corrumpire sein gut Gewissen zu-
samt seinen moribus." Wo aber, so fragt er, kommen denn
die grossen Schelmen und Bösewichter in Deutschland her,
die da Rom und Welschland nie gesehen haben; wo haben
sie alle ihre Unehrbarkeit , ihre Trunksucht und Völlerei
gelernt? Sodann behauptet er, dass man nirgend in der
Welt frommere, ehrbarere, diensthaftere und geschicktere
Leute finde, als in Rom: dort lerne man vom Sehen und
Hören mehr, als in Deutschland aus Büchern und auf einer
hohen Stuben bei einem unnützen studio. Hier haben wir
also Aussprüche eines Deutschen über das römische Curti-
sanenwesen , welche die Satiren Huttens und die Pasquille
der Reformatoren Lügen strafen sollen.
Ein Zeitgenosse der Reformation, ein Landsmann Aven-
tins, der Curial des Cardinais Caetanus, hatte kein Bewusst-
sein davon, dass es gerade das verachtete Studium in den
hohen Stuben war, was sein Vaterland Deutschland wieder
gross und bedeutend machte, und die gesammte Kirche er-
schütterte, nachdem das Bücherstudium der italienischen
Humanisten schon seit dem Costnizer Conzil die moralische
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Roms. 335
Revolution der Welt begonnen hatte. Etwas freilich von
gewissen Eigenschaften des Curtisans durfte Gumppenberg
immerhin seinen Landsleuten wünschen , ich meine jene
Cortesia selbst im besten Sinne Castiglione's , die in einem
gebildeten und geistreichen Volk entstandene Renaissance
der alten Urbanitas. Sie hatte den in höfischen Sitten er-
fahrenen Erasmus unter andern Vorzügen schöner Mensch-
lichkeit in Rom bezaubert. Ut urbis liceat oblivisci quae-
rendus mihi est fluvius aliquis Lethaeus: so schrieb er an
den Cardinal von Nantes. Wenn Gumpenberg einmal aus-
ruft: hätte ich tausend Söhne, so müsste mir ein jeder nach
Rom, ehe er das vierundzwanzigste Jahr erreicht hat, so
hat er hier, wie ich glauben will, nicht bloss die Kunst
curialer Geschäfte und der Sportein im Auge gehabt. Seine
Landsleute, so viele sich voll Hass und Abscheu vom römi-
schen Wesen hinweg gewendet hatten, konnte er freilich
nicht von der Ueberzeugung bekehren, dass die Liebens-
würdigkeit des Curtisans meist nur die blendende Tünche
der Laster des ränkevollen, gewissenlosen und habgierigen
Höflings sei. In Deutschland galt auch Ambrosius als der
vollkommen ausgelerute Curtisan (perfectus curtisanus) im
übelsten Sinn des Worts. So heisst er in einer Anekdote
De Eccio et Gumpenbergio in comitiis Augustanis, welche
in Schelhorns Ergötzlichkeiten aus der Kirchenhistorie
(IL 741) unter der Rubrik Narrationes jucundae zu lesen
ist, und diese Anekdoten sollen den Vorlesungen Melanch-
tons entnommen sein. Zu untersuchen, ob ihm bei solchem
Urtheil seiner Landsleute Recht oder Unrecht geschah, ist
nicht meine Aufgabe.
Er trat in die Dienste des in Deutschland von Augs-
burg her wohl bekannten Cardinais Thomas de Vio oder
Caetanus, wie auch Widmanstadt später Familiär eines
Cardinais wurde, nämlich Schombergs. In diesem Höflings-
verhältniss hat Ambrosius sein Glück begründet; und jener
336 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 1877.
Cardinal ist wohl vorzugsweise der Herr, um dessen Gunst
und Gnade er sich bemüht gezeigt hat. Im Adelspiegel
des Cyriacus Spangenberg wird von ihm nichts anderes be-
merkt als dies: Ambrosius von Gumpenberg in Italia lang
studiert, und bey dem Cardinal Caetano wol daran ge-
wesen.
In den Stürmen des Jahres 1527 machte sich Ambro-
sius durch grössere dem Papst und den Cardinälen geleistete
Dienste zuerst einen Namen. Er war Unterhändler und
Dolmetsch während der Gefangenschaft Clemens' VII. in
der Engelsburg; er befand sich in gleicher oder schon höhe-
rer amtlicher Eigenschaft im Heer des Kaisers Carl bei den
schrecklichen Belagerungen der Städte Neapel und Florenz.
Er begleitete im Juli 1532 den Cardinallegaten Hippolyt
Medici auf dem begonnenen, aber an den Grenzen Ungarns
stille stehenden Kreuzzug der Bundesarmee gegen den Sul-
tan Soliman, wohl als Kriegscommissar. Er selbst behauptet,
dass er während der langen Jahre, die er unter den Päp-
sten Clemens VII. und Paul III. in Rom gelebt hatte,
fünfmal oberster Commissarius und zwar allemal bei einer
Armee von 20,000 bis 30,000 Mann gewesen sei. Er sagt
sogar, dass er schon im Jahre 1527 oberster Commissarius
über die Landsknechte war, und sie dreimal musterte.
Die Pfründen und Belohnungen, die er von den Päp-
sten und grossen Herren , auch wohl vom Kaiser erhalten
hatte und seine fortgesetzten Geschäfte, deren jährliches
Einkommen er selbst auf die für jene Zeit recht ansehnliche
Summe von 3000 Gulden berechnet hat, verhalfen dem
Curtisan dazu, sich in Rom bequem einzurichten. Er kaufte
ein Haus, welches der Abtei Farfa gehörte. In dem gifti-
gen und gemeinen Pamphlet seines römischen Vertheidigers
Scaltelus wider Widmanstadt (bei Schelhorn Amoenitates
Literariae T. XIII) heisst es von ihm: „er bewohnt in der
Stadt ein sehr geräumiges Haus, welches angefüllt ist
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Homs. 337
mit antiken Marmorfiguren, mit Bildwerken, Gemälden,
Krystallen und schönem Gerät. Seine grosse treffliche
Bibliothek ist jeder Mann geöffnet, wie auch sein ganzes
Haus allen offen steht, zumal angesehenen Männern oder
solchen , welche in irgend einer Wissenschaft und Kunst
hervorragen. Fast den ganzen Tag bringt er im Dienste
der Mächtigen und Grossen zu, wie man's so in Rom zu
treiben pflegt, oder er widmet sich der Unterstützung der
Freunde und Clienten. Kehrt er von Geschäften heim, so
erholt er sich bei dem edeln Genuss, den ihm sein Haus ge-
währt, wo er oft ausgezeichnete Männer, Redner und Dich-
ter zum Gespräch versammelt. Er schenkt allen seine
Gastfreundschaft, zumal den Deutschen, welchen er seine
hilfreiche Hand darzubieten nicht ermüdet."
Wenn die Schmeicheleien eines bezahlten Advocaten
auf Wahrheit begründet sind, so hat der Protonotarius und
Procurator der deutschen Nation als ein einflussreicher
Mann in den traurigen Zeiten, die auf das Jahr 1527 folg-
ten, eine hervorragende gesellschaftliche Stellung, nament-
lich unter den Deutschen in Rom gehabt. Doch nahm er
schwerlich jenen schöneren Platz ein, den sein Landsmann,
der alte gefeierte Luxemburger Goritz, der Liebling der römi-
schen Akademiker durch so lange Jahre behauptet hatte,
ehe ihn und seine geistvollen Freunde die furchtbare Kata-
strophe des Jahres 1527 in's Elend stürzte. Indess eines
Tags, am 26. October 1540 wurde Gumppenberg aus sei-
nem schönen Hause von Häschern des Gerichts in die Torre
di Nona abgeführt: dies hatte sein Landsmann Widman-
stadt, welcher ehedem sein eigener Gast gewesen war, bei
der römischen Polizei durchgesetzt. In einem langen Schrei-
ben oder einer Apologie, welche Ambrosius noch in späte-
ren Jahren an den römischen König Ferdinand richtete, hat
er die in jenem grauenvollen Staatsgefängniss ausgestandene
Hölle mit lebhaften Farben geschildert (Cod. bav. 130G,
338 Sitzung der hist. (-lasse vom 1. Dezember 1877.
fol. 209). Er war damals, wie er sagt, bereits seit 16
Jahren der röm. Kays. Maj. Procurator durch ganz Deutsch-
land gewesen, eine Berechnung, die indess nicht genau sein
dürfte.
Es ist nicht meine Aufgabe, hier von dem berüchtigten
Process zwischen Gumppenberg und Widmanstadt zu reden,
dessen Ursache war, — um nur diese kurz anzugeben
— die Bemühung des neuen Bischofs von Eichstädt Moritz
von Hütten, die von ihm bis zum Jahre 1539 innege-
habte Dompropstei in Würzburg auch als Bischof fortzu-
geniessen. Bei dieser Bemühung sind jene beiden Deutschen
als Procuratoren eines und desselben Prälaten und eines
und desselben bei der römischen Curie zu vermittelnden
Geschäfts in tödtlichen Streit gerathen. Dieser Process ist
wenig ehrenvoll für deutsche Männer, um so weniger, als
er nicht, wie so viele erbitterte Feindschaften unter italie-
nischen Humanisten mit wissenschaftlichen Motiven verbun-
den war. Doch darf hier Widmanstadt vorweg unsere
Sympathie in Anspruch nehmen, als ein Mann von wirk-
lichen wissenschaftlichen Verdiensten. Ich übergehe endlich
alle weiteren Schicksale des Ambrosius und bemerke nur,
dass derselbe, wie es scheint, im Jahre 1545 nach Deutsch-
land zurückgekehrt ist, und zwar im Dienst des Cardinais
Alexander Farnese. Hier wurde er als Generalcommissar
der päpstlichen Hilfstruppen unter Octavio Farnese im
Schmalkaldischen Donaukriege sichtbar, in welcher Eigen-
schaft ihn Herr Dr. v. Druffel in dem von ihm soeben
herausgegebenen Tagebuch des Viglius van Z wiehern be-
merkt hat. Der unruhige, streitsüchtige, vielgeschäftige
Mann starb zu Eichstädt am 4. Sept. 1574.
Ich komme nun auf meinen eigentlichen Gegenstand,
die von Gumppenberg hinterlassenen Schriftstücke. Ein
Mann, der 20 Jahre in Rom und noch lange Zeit in dem
tief aufgeregten Deutschland lebte mitten in dem Umge-
Grogorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Roms. 339
staltungsprocess der europäischen Welt durch das Kaiser-
thum Carls V. und die Reformation, der als Augenzeuge,
hie und da als amtlich Theilnehmender so grosse Ereig-
nisse sich vollziehen sah , und die bedeutenden Personen
persönlich kannte, ein solcher Mann war , das darstellende
Talent vorausgesetzt, wohl dazu berufen, in einer Auto-
biographie ein Zeitgemälde der Nachwelt zu überliefern.
In der That fühlte Ambrosius, in sein Vaterland zurückge-
kehrt, bei grösserer Müsse den Trieb, seine denkwürdigen
Erinnerungen niederzuschreiben. Er begann seine Biogra-
phie im Kanzeleistil einer Urkunde oder eines Testaments
mit Aufzählung aller seiner Pfründen und Ehrentitel : Ich
Ambrosy von Gumppenberg, Erbmarschall in Oberbai ern etc.
Diese Adresse ad posteros richtete er ausdrücklich an die
eigene Familie, als deren merkwürdigstes Mitglied er sich
zu betrachten Ursache hatte. Nicht anders ist der alte
Götz von Berlichingen verfahren ; er hat seine ritterliche
Thaten aufgezeichnet seinen „Erben, Kindern und Nach-
kommen zu Ehren und Gutem.u
Die Lebensbeschreibung Gumppenbergs, erhalten in dem
flüchtig und hieroglyphisch geschriebenen Original und in
einer nur halbverständlichen Abschrift, umfasst indess nicht
mehr als 13 Blätter. Der Autor beginnt mit dem trocke-
nen Verzeichniss seiner nächsten Familienglieder; dann
springt er, ohne sich bei seiner Erziehung und seinen Stu-
dienjahren aufzuhalten, schnell nach Rom über, und ver-
breitet sich in allgemeiner Weise über den dort von ihm
erwählten Beruf. Hierauf kommt er ohne weitere Vermitt-
lung zu den Ereignissen des Jahres 1527. Er gibt hastige
Nachricht von seiner Verwicklung in dieselben bis zum
Augenblick, wo der Connetable vor den Mauern der Stadt
erscheint. Hier bricht das Manuscript ab. Entweder ging
die Folge verloren, oder (und das halte ich nach der dürf-
tigen Anlage dieser Aufzeichnung für wahrscheinlich), der
340 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 1877.
Biograph gab seinen Plan auf, weil er ihm doch nicht
gewachsen war.
Hätte er nicht mit so viel Emphase seine Absicht an-
gekündigt, sein Leben und Thun „von der Kindheit bis
zur Grube" darzustellen und seinen Nachkommen und Vet-
tern zu ihres Stammes Ehre als ein ,,Exempel und Me-
mory" zu hinterlassen, so würden wir kein Recht haben,
dies Fragment auf solche Verheissung hin erwartungsvoll
anzusehen. Nun aber bedauern wir, dass wir um verspro-
chene deutsche Memoiren gekommen sind, welche auf die
Geschichte und Zeiten Carls V., Clemens VII. und Pauls III.
in biographischer Weise sich würden bezogen haben.
Der lobenswerthe Versuch eines vielerfahrenen Deut-
schen jener Zeit in seiner Muttersprache sein Leben nieder-
zuschreiben, ist aber schon als solcher der Aufmerksamkeit
werth. Die deutsche Literatur ist nicht reich an Biogra-
phieen und Memoiren, dieser wichtigen Gattung der histo-
rischen Kunst, welche man den psychologischen Spiegel
nennen darf, worin Nationen das geistige Bild ihres Staats
und ihrer Gesellschaft als persönliches Porträt des Zeitalters
erkennen. Wir haben den biographischen Sammlungen der
Franzosen und Engländer nichts Ebenbürtiges an die Seite
zu stellen. Wir besitzen aus unserer älteren Vergangenheit
nichts , was sich einem Joinville, Froissart oder Comines,
oder jenen Denkwürdigkeiten vergleichen Hesse, mit denen
ein Papst, Pius II. Piccolomini, die Nachwelt beschenkt hat.
Die sich selbst beobachtende, die historische Erfahrung
der eigenen Welt zum Bewusstsein der Zeit gestaltende
Persönlichkeit wurde bei uns erst durch die Stürme der
Reformation losgelöst, aber die Anfänge, die wir damals in der
biographischen Literatur, meist durch die italienische Charakte-
ristik angeregt, gemacht haben, gingen in der Verwilderung der
Gesellschaft und der deutschen Sprache während des 17.
Jahrhunderts folgelos verloren. Durch das Gestrüpp dieser
Gregorocius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Roms. 341
in officiellen wie privaten Gebieten sich hindurch zu arbei-
ten, ist wohl die schwierigste, fast herkulische Arbeit, welche
heute auch dem geduldigsten deutschen Geschichtsforscher auf-
erlegt werden kann. In solchem vernachlässigten, weit zu-
rückgebliebenen Sprachstoff zu versuchen, die erlebte Welt
in allem Reichthum menschlicher Verhältnisse abzuschildern,
konnte unsre Staatsmänner und Beobachter noch bis über
die Zeiten Friedrichs des Grossen nicht reizen; und selbst
als dieser Verfall und Tumult der Sprache noch nicht ein-
getreten war, in den Zeiten sprachschöpferischer Kraft Lu-
thers, Aventins und Tschudi's würde einem deutschen Ben-
venuto Cellini die Sprache unsres edeln Albrecht Dürer
mehr als ein Hinderniss des Ausdrucks gewesen sein. Man
wird das Leben des Götz von Berlichingen heute kaum
noch ein Zeitgemälde nennen, es sei denn von den rohesten
Zügen ohne psychologischen Blick für den Menschen, ohne
Spur individualisir ender Kunst, und endlich ermüdend durch
die verworrene, langathmige, schwerfällig pedantische Sprache,
welche den Sinn in Dunkelheit hüllt.
Ich bin von meinem bescheidenen Gegenstand, dem
deutschen Curtisan in Rom aus der grossen Zeit Luthers
und Carls V. abgekommen, welcher, wie ich sagte, den rüh-
menswerthen Versuch einer Selbstbiographie gemacht hat.
Dieser weltkundige Mann verunglückte dabei, aber die
Schuld lag an seiner mangelhaften Bildung und persön-
lichen Unbedeutung überhaupt, nicht an seiner besondern
Unfähigkeit sich deutsch gut auszudrücken. Er hatte in
der Fremde seine Muttersprache nicht verlernt. Sie ist bei
ihm, vom baierischen Dialect gefärbt, mit Fremdwörtern
nicht zu sehr angefüllt, unbeholfen und ungebildet, oft roh
im Aus4ruck, aber immerhin so lesbar, wie jene seines Zeit-
genossen Adam Reissner.
Nun aber hat er doch seine Lebensgeschichte fortge-
setzt, weil sie ihm wichtig erschien, und sie war es sicher
342 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 1877.
durch die Fülle erlebter grosser Dinge; ja, wie dankbar
würden wir ihm noch heute sein, wenn er verstanden hätte,
sie uns wichtig zu machen. Er schrieb den Bericht über
die Ereignisse des Jahres 1527, welcher als ein herausge-
nommenes und mehr ausgeführtes Stück eines grösseren
Ganzen zu betrachten ist. Es reicht vom Monat April,
wo Clemens VIL von Florenz aus mit dem Connetable un-
terhandelte, bis zum 29. November, wo die sechs päpst-
lichen Geiseln aus der Haft der Landsknechte glücklich
entronnen sind. Da bricht auch dies Manuscript plötzlich
ab. Die Erzählung Gumpenbergs ist erst aus der Erinne-
rung geschrieben zwischen den Jahren 1549 und 1555, als
Julius III. del Monte Papst war. Die Abschrift des Ma-
nuscripts besorgte sein damaliger Secretär Johann Baptist
Fickler. Dieser Mann, ein Würtemberger von Geburt, ist
nachher in Salzburg und München zu einigem Ruf gekom-
men, als Theologe, Canonist, Uebersetzer, Numismatiker, als
eifriger Katholik. Er erlangte auch dadurch eine besondere
Bedeutung, dass er Lehrer Maximilians I. von Baiern in
der Rechtswissenschaft wurde. Er starb an der Schwelle
des dreissigjährigen Kriegs im Jahre 1612.
Auch Fickler hat sich, und das erregt als ein Trieb
jener Zeit wiederum Aufmerksamkeit, an einer Autobiogra-
phie versucht, in deutscher Sprache, die nicht besser und
gebildeter ist als die seines ehemaligen Principals Gumpen-
berg (Cod. bav. 3085). Auch ist sein Versuch ebenso
dürftig und geistlos ausgefallen. Er erzählt, dass er im
Jahr 1555 mit Johann Agricola den Grad des magister
artium zu Ingolstadt erhalten habe, und sagt weiter : ,, Nicht
lang nach dieser Zeit bin ich zue Herrn Ambrosius von
Gumpenberg in Dinst khomen, und sein Secretari worden,
bey dem als einem selzamen Unruwigen Kopf, hab ich bey
vier Jahr vil Unruhe und Arbeitt, mit schreyben und Rey-
sen, gefahr, zue hause und Landt erlitten und überstanden,
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Borns. 343
wie denjenigen bewusst, so Jne Herrn und mich zur selbi-
gen zayt gekannt, solchen unruwigen und schwären Dienst
als ich Ime auf ettliche Jahr verschrieben gewesen, hab ich
mit geduldt überstandten, bis Gott der Allmechtige gnadt
und gelegenhait geschickt, das ich nach gehabtem Reychs-
tag zue Augspurg anno 1559 zu dem hochwürdigsten Für-
sten und Herren, Herrn Michel Erzbischoffen zu Salzburg
und legaten des Stuhls zu Rohm, des geschlechts von Kien-
burg in Dienst khomen bin."
In der von Fickler revidirten Abschrift ist also der
Gumppenbergische Bericht erhalten. Man erwarte in ihm
weder die Aufschlüsse eines in die Politik der Zeit einge-
weihten Staatsmanns, noch die Genauigkeit eines Geschichts-
schreibers. Es gibt darin Irrthümer genug, selbst Ver-
wechslung und Entstellung italienischer Namen, welche doch
dem Verfasser besonders geläufig hätten sein sollen. Es
sind Fehler des Gedächtnisses, der Flüchtigkeit, bisweilen
wirklicher Unwissenheit. Seine Schrift ist keine ernstliche
Arbeit; Studium hat er daran nicht gewendet. Ihr Zweck
war auch viel weniger ein historischer als ein biographi-
scher, und dieser Gesichtspunkt war gerade dasjenige, was
mich bei diesen Aufzeichnungen Gumppenbergs gefesselt hat.
Er verleiht ihnen Züge des Persönlichen von Werth.
Unter allen Relationen über den Sacco di Roma ist
keine in solcher Weise geschrieben- worden, dass die Person
des Augenzeugen und Erzählers in der Mitte der Dinge
sichtbar bleibt, und dadurch diesen selbst persönliches
Leben gibt. Das ist nicht einmal von den italienischen
Darstellern geschehen, welche in dieser Literatur die Mehr-
zahl bilden. Der Römer Marcello Alberini, von dem die
umfassendste, noch unedirte Beschreibung der Katastrophe
herrührt, war ihr Augenzeuge, aber zu jener Zeit erst
sechzehn Jahre alt. So kostbar die wenigen Blätter sind,
welche Benvenuto Cellini jenem Ereignis» gewidmet hat, so
344 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 1877.
macht er uns doch bedauern, dass er dasselbe nur als flüch-
tige Episode in seinem wunderbaren Leben behandelt hat.
Das Local seiner Beobachtung war nur die Engelsburg.
Ueberhaupt ist es auffallend , dass wir von den in jenem
Drama als Handelnde oder Zuschauer betheiligten und gar
von den hervorragenden Personen so wenige Aufzeichnungen
des Erlebten besitzen. Es ist ein erstaunlicher Zufall, dass
wir den Bericht eines damaligen Cardinais haben, des Sca-
ramuccia Trivulzio von Como , in einem Brief an seinen
Secretär. Das furchtbare Ereigniss hatte selbst die
Beobachtungsgabe der Italiener gelähmt; das Individuelle
und Charakteristische müssen wir meist aus den Depeschen
der Gesandten schöpfen. Heute würde ein so grosser Vor-
gang von hundert neugierig zudringenden, geistreich beob-
achtenden, auch kühn ihr Leben an die Feder wagenden
Zeitungscorrespondenten in allen Sprachen Europa's be-
schrieben worden sein. Denn wir besitzen jetzt eine in
loco et actu improvisirte Geschichtschreibung: das schon
auf dem Geschehen ertappte Ereigniss wird gleichsam litera-
risch photographirt. Die Macht der Cultur hat dem Men-
schengeist eine erstaunliche Schnellwissenheit gegeben. Ein
weiter Abstand trennt unser heutiges historisches Erfahren
von jenem Zustand des Mittelalters, wo die mühsam, spar-
sam und spät überlieferten und entstellten Kunden der Zeit
der Klostermönch in seine Chronik eintrug, und auch von
jenem nachmittelalterlichen langsamer Depeschen der Ge-
sandten und der ersten Anfänge der Zeitungen als blatt-
weise circulirende Avvisi und Neuigkeiten. Wie dürftig
ist der Bericht des Franzosen Cesar Grolier vom Sacco di
Roma, und doch war er Augenzeuge. Auch die italieni-
schen, zum Theil mit dem Bewusstsein geschichtlicher Kunst
ausgearbeiteten Darstellungen von Luigi Guicciardini, Fran-
cesco Vettori, ferner die Compilationen, welche den Namen
Jacopo Buonaparte und de Rossi tragen, and anderes,
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Roms. 345
haben nichts persönliches. Deutschland war an der Um-
wälzung Roms zu jener Zeit am tiefsten betheiligt. Es stand
in einem zweifachen Krieg wider den Papst, dem politi-
schen unter der Führung des Kaisers, dem moralischen und
deshalb wahrhaft nationalen unter der Führung Luthers.
Es musste daher mehr als jede andere Nation seine Auf-
merksamkeit auf das zusammenstürzende Rom richten.
Gewiss gelangten damals manche, doch sicherlich nur lako-
nische Berichte von Augenzeugen dorthin. Sie gingen ver-
loren, oder sind hie und da erhalten in der Form von
„Sendschreiben", „Historien, welcher gestalt die Stadt Rom
erobert worden'' und bearbeitet als „wahrhaftige und kurze
Betrachtung" u. s. w., immer in höchst mangelhafter Weise.
Ich rede hier von Schriftstücken in deutscher Sprache, nicht
von solchen, welche von Gelehrten lateinisch verfasst worden
sind, wie die gerinfügige Halosis Romae.
Es fand sich aber doch bei uns ein tüchtiger Zeitge-
nosse, der es unternahm, die Kriege des Kaisers in den
Jahren 1526 und 1527 in unserer Sprache zu beschreiben,
nämlich Adam Reissner. Es ist nicht wenig merkwürdig,
dass er dies im Rahmen einer Biographie gethan hat. Er
gab uns die Memoiren der beiden Frundsberg, ein unbe-
holfener Versuch in dieser Gattung , dem das persönliche
Leben, die psychologische Beobachtung und die naive Grazie
fehlt, mit welcher der Loyal Serviteur die Geschichte des
berühmten Gegners Frundsbergs auf dem Schlachtfeld, des
bon Chevalier sans penr et sans reproche ausgestattet hat.
Aber doch ist es ein sehr achtungswerther Versuch, von dem
man bedauern muss, dass er keine Folge in unserer Literatur
gehabt hat, zumal für den dreissigjährigen Krieg. Reissner
schrieb unter dem Einfluss des Paul Jovius, dem er meist
sclavisch folgt, und Jovius war auch ein Meister im biogra-
phischen Porträt, welches die Italiener zu so hoher Vollendung
gebracht hatten.
[1877. 1. Philos.-philol. Cl. 4.] 24
346 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 1877.
Da ist ferner ein anderer Mann aus der Kriegschule
Frundsbergs, der nach Deutschland zurückgekehrt in der
Müsse des Alters die Feder ergriff, um seine Denkwürdig-
keiten in der Muttersprache aufzuzeichnen. Es ist der weit-
berühmte Ritter Sebastian Schertlin von Burtenbach. Er
war schon einer der angesehensten Hauptleute im Heer der
Landsknechte gewesen ; er hatte Rom mit erstürmt , den
Papst in der Engelsburg mit bewacht. Und doch fertigt er
alle seine damaligen Erlebnisse, ja das ganze gewaltige Jahr
1527 auf ein paar Blättern ab. Man glaubt sein grosses
Schlachtschwert rasseln zu hören, wenn er wie ein Spar-
taner schreibt : „Den 6 Tag May haben wir Rom mit dem
Sturm genommen, ob 6000 Mann darin zu todt geschlagen,
die ganze Stadt geplündert , in allen Kirchen und ob der
Erd genommen was wir gefunden, ein guten Teil der Stadt
abgebrannt.11
Kein anderer seiner Waffengenossen hat eigene Erleb-
nisse aufgezeichnet. Es hat keinen Xenophon unter jenen
frummen Landsknechten gegeben. Wir sind also auf Reissner
und Schertlin beschränkt, und zu ihnen gesellt sich jetzt
als dritter Ambrosius von Gumppenberg. Seine Erzählung
ist durchaus selbständig; er hat nichts von Andern; es ist
ihm nur darum zu thun, die eigene Person als höchst wichtig
erscheinen zu lassen. Und gerade desshalb hat er manches,
was neu und merkwürdig ist. Er erzählt, dass er von seiner
Sendung zu den Herzogen Bayerns nach Rom zurückreisend,
unterwegs in Trient Georg von Frundsberg traf. Es war
also in der ersten Hälfte des November 1526, wo der be-
rühmte Feldhauptmann im Begriffe stanl, mit seinem Kriegs-
volk den schwierigen Alpenübergang in die Lombardei zu
wagen, welchen Reissner geschildert hat. Gumpenberg war
mit Frundsberg verwandt: er nennt ihn seinen Schwager.
Der General forderte ihn auf, bei ihm zu bleiben, den Zug
nach Italien als sein Dolmetsch mit zu machen ; er versprach
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Roms. 347
ihm Reichthümer , sogar, was seltsam genug zu hören ist,
einen möglichen Cardiualshut. So trat der Versucher an
den jungen Curtisan heran: die glücklich begonnene Lauf-
bahn des römischen Herrendieners sollte er aufgeben, um
als Feind des Papst s unter grimmigen Lutheranern nach
Italien, vielleicht gar nach Rom zurückzukehren. Er lehnte
den Antrag ab, und reiste weiter, sehr langsam. Denn erst
nach Monaten, im folgenden Jahr 1527 kommt er, über
Venedig gehend, nach Florenz, wo gerade die Signorie dieser
Republik und der Cardinal Silvio Passerini mit der kaiser-
lichen Armee unterhandelten, die am Fuss des Appenin an-
gelangt das reiche Florenz bedrohte. Es war am Ende
des März, oder in den ersten Tagen des April.
Der Papst hatte, was Grumppenberg dort hören musste,
am 15. März den Vertrag mit dem Vicekönig Lannoy ab-
geschlossen. Er hatte Unterhändler in das Lager Bourbons
geschickt, ihn vom Weitermarsch abzuhalten, erst Fieramosca,
dann in steigender Angst den Vicekönig selbst. Gumppen-
berg sagt nichts von dieser Sendung Lannoys und dessen
Zusammenkunft mit Bourbon, welche am 20. April bei
Pieve di Santo Stefano stattgefunden hatte. Denn davon
zu reden, passte wahrscheinlich nicht in seine selbstgefällige
Absicht. Aber er erzählt eine für uns neue Thatsache,
nämlich, dass der Papst auch einen deutschen Boten nach
Florenz geschickt hatte, den Erzbischof von Riga, Johann
Blankenfeld. Dieser furchtsame alte Herr hatte wohl ver-
nommen, dass die Florentiner Abgesandten, selbst der Vice-
könig und der ihn begleitende Bischof von Vaison nur mit
Noth den empörten Bauernhaufen im Appennin entronnen
waren ; er weigerte sich desshalb als Unterhändler zu Bour-
bon zu gehen. Er forderte aber Gumppenberg auf, die Sen-
dung an seiner Statt zu übernehmen, und dieser hatte be-
reits den Befehl vom Papst erhalten, in Florenz zu bleiben
und der Signorie zu Diensten zu sein. Ein solcher Auftrag
24*
348 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 1877.
war für einen jungen Mann nicht wenig schmeichelhaft und
ehrenvoll. Er erklärt sich daraus, dass Gumppenberg, was
man in Rom wissen mochte, ein Verwandter des gefürchteten
Frundsberg war , und ausserdem manche deutsche Edelleute
im Lager Bourbons persönlich kannte.
Hier ist merkwürdig, was Ambrosius erzählt : dass unter
den Versprechungen, mit welchen der geängstigte Papst den
Rückzug der Kaiserlichen zu erkaufen gedachte, auch diese
war, dem Sohne des deutschen Generals, Caspar von Frunds-
berg, der als Hauptmann bei Leyva in Mailand zurückge-
blieben war, seine eigene Verwandte zu vermählen. Die
noch sehr junge Catarina Medici (der vergessliche Gumppen-
berg nennt sie Margareta, weil er ihren Namen mit dem
der natürlichen Tochter Carls V. verwechselte) befand sich
damals in Florenz. In dem Schachspiel der päpstlichen
Politik ist sie oft genug als Puppe ausgespielt worden, und
mancher grosse Herr, unter andern auch Philibert von Ora-
nien, hat sich auf diese Partie Rechnung gemacht.
Der Antrag des Papsts an Frundsberg erscheint so
verzweifelt, dass man fast Mühe hat, an ihn zu glauben;
aber warum hätte ihn Gumppenberg erfinden wollen? Ich
halte ihn für wahr : Clemens VII. konnte immerhin sich
einbilden, dass Frundsberg, dessen Erkrankung und Ent-
fernung nach Ferrara ihm noch nicht bekannt war, das
trügerische Versprechen als baare Münze annehmen würde.
Die Reise Gumppenbergs in das Lager Bourbons unterblieb.
Er ging nach Rom mit jenem Bischof Blankenfeld. In seinen
biographischen Nachrichten hat er erzählt, dass der Unheil
ahnende Prälat, nachdem er im Vatican Bericht abgestattet
hatte, sich eilig aus dem Staube machte, um nach Deutsch-
land zurückzukehren. Nun rückte Bourbon in rasender
Schnelligkeit heran.
Es ist richtig, was Gumppenberg hier als seine Ansicht
ausspricht, dass der Connetable nicht die Absicht hatte, sich
Gregorovius : Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Borns. 349
auf Rom zu werfen. Die Erstürmung der grossen fest um-
mauerten Stadt mit einer vom Mangel geschwächten Armee
ohne Belagerungsgeschütz, während der Herzog von Urbino
ihr auf den Fersen war, hätte von vornherein als ein wahn-
sinniges Unternehmen erscheinen müssen. Sie war auch nur
ein von der Verzweiflung abgenöthigter Handstreich. Was
Bourbon ursprünglich beabsichtigt hat , ist sicher dies ge-
wesen: einen Pass über den Tiber bei Rom zu gewinnen,
und mit Hülfe der kaiserlich gesinnten Colonna, welche er
dort zuversichtlich erwartete, in das befreundete vom Feind
ganz freie Land Neapel zu gelangen. So hat das Gump-
penberg richtig dargestellt. Er schildert sodann, was hin-
länglich bekannt ist, die Verwirrung in Rom, die Mangel-
haftigkeit der Vertheidigungsan stalten nach Abdankung der
schwarzen Banden auf Grund der Habsucht des an der Curie
allmächtigen Jacopo Salviati , eines arglistig bös Juden,
Finanzers und Kaufmanns, wie er denselben nennt. Die
Verlegenheit des Papsts muss schrecklich gewesen sein, wenn
er selbst Gumppenberg um seinen Rath befragte. Der Rath
war: mit den Kaiserlichen zu accordiren.
Es ist aus anderen Berichten bekannt, dass am Tage
des Sturms die Conservatoren Roms den jungen Markgrafen
Gumprecht von Brandenburg, welcher sich seit einiger Zeit
in der Stadt aufhielt, bewogen als ihr Unterhändler sich
zum Bourbon zu begeben. Diese Thatsache erfahren wir
jetzt von Gumppenberg als etwas persönlich erlebtes. Denn
auch er wurde damals auf das Capitol gerufen. Er hat den
Brandenburger bei dem Ritt nach Ponte Sisto begleitet.
Der Auftrag des Markgrafen misslang, denn das wütende
Kriegsvolk wälzte sich ihm über jene Brücke stürmend ent-
gegen. Der Prinz und Gumppenberg wendeten die Pferde
zur Flucht, um dem Gemetzel zu entrinnen. Unser Autor
erzählt, dass er seinen Begleiter zwar in sein Haus zurück-
gebracht, aber die Thüre nicht schnell genug habe schliessen
350 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 1877.
können, da der wilde Kriegshaufe nachdrang. Auch im
Bericht bei Buder heisst es : die Feinde seien vorgedrungen
„dermassen das dem Edeln Fürsten von Brandenburg wenig
weil wardt yn eyn Hauss zu komen, sein leben zu erretten."
Von der Gefangennahme des Markgrafen redet Gumppen-
berg nicht; in der Halosis Romae wird erzählt, dass Gump-
recht (dort irrig Albertus genannt) erst ausgeplündert, dann
gefangen, und nur durch die List eines deutschen' Haupt-
manns aus den Händen der Spanier errettet ward.
Gumppenberg sagt nicht, ob er selbst in der ersten
Flucht sich in die Engeisbn rg gerettet hat und dort ge-
blieben ist. War das der Fall, so würde er wol davon ge-
redet, sich seiner Mitgefangenschaft neben dem Papst, so
vielen Cardinälen, Diplomaten und grossen Herren gerühmt
haben. Wahrscheinlich hat ihm die Bekanntschaft mit
deutschen Hauptleuten zur Rettung gedient, und alsbald be-
durfte man auf beiden Seiten seiner Dienste.
Die Vorgänge während der Plünderung Roms hat er
nur im Allgemeinen geschildert. Seine Hauptsache bleibt
die Stellung, welche er jetzt selber einnahm. Es war die
des Dolmetsch und Vermittlers zwischen dem Papst und den
deutschen Landsknechten; aus Eitelkeit hat er seine Wich-
tigkeit zu steigern gesucht. In keinem Bericht der Zeit-
genossen oder Actenstück wird sein Name genannt. Da
wo man ihn etwa hätte erwarten dürfen, findet er sich nicht.
Ich meine die genauen spanischen Depeschen des kaiser-
lichen Secretärs Perez. Wir lesen sie jetzt in den im Jahre
1875 zu Madrid von Antonio Rodriguez Villa veröffentlichten
Memorias para la Historia del Asalto y Saqueo de Roma
en 1527 por el ejercito imperial, einer wichtigen diploma-
tischen Bereicherung der Geschichte jener Ereignisse. Am
ausführlichsten hat Gumppenberg in seiner Denkschrift von
seinen Beziehungen zu den empörten, nach Sold schreienden
Landsknechten geredet, und zwischen ihrem lärmenden
Gregorovius : Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Roms. 351
Hauptquartier auf Campo di Fiore und der grauenvollen
Engelsburg ist er oft hin und hergegangen. Um so mehr
rauss man bedauern , dass er die Zustände in dem Castell
nicht geschildert hat. Bei Gelegenheit seiner Mittheilung
vom Einschmelzen goldner und silberner Gefässe und
Reliquien in der Engelsburg, um daraus Geld für das deutsche
Kriegsvolk zu prägen, hat er zu demjenigen, was Benvenuto
Cellini erzählt, etwas Neues hinzugefügt, nämlich die Schel-
mereien , welche sich ein deutscher Müuzmeister Angelo
Schaur, damals im Dienst des Papstes, zu Schulden kommen
liess. Man mag sich vorstellen, wie es bei diesem Geschäft
in der Engelsburg hergegangen ist ; hat doch Benvenuto selbst
später dem Papst gestanden, dass er nach dem Schmelzen
etwa ein und ein halb Pfund Gold in der Asche gefunden
und sich aus Noth angeeignet hatte.
Gumppenberg versichert mehrmals, der Papst habe sich
zu ihm beklagt, dass die Deutschen ihn den Spaniern so
ganz und gar überliessen, denn er habe lieber von jenen
als von diesen bewacht sein wollen. Das mag wahr sein
für die Zeit, als Clemens fürchtete , von den Spaniern zu
Schiff nach Neapel und gar weiter fortgeführt zu werden.
Am 1. Juli schrieb Perez an den Kaiser : „die Deutschen
haben versucht, den Papst an sich zunehmen; sie begannen
einen Aufruhr und verlangten ihren Sold; als die Spanier
das sahen, erhoben auch sie sich im Tumult; sie sagten, die
Deutschen thäten Recht ihren Sold zu verlangen, auch sie
wollten bezahlt sein, aber nicht erlauben, dass die Deutschen
den Papst aufheben, denn das sei nicht Gottes Dienst, noch
gezieme es dem Dienst und der Autorität E. Majestät.
Der Prinz von Oranien, Don Hugo und Alarcon, der Abate
von Nagera und Juan de Urbina haben zwischen beiden Na-
tionen dahin vermittelt, dass jede sechs Bevollmächtigte
erwählt — ich weiss nicht was sie beschliessen werden,
denn die Deutschen beharren darauf, dass sie den Papst und
352 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 1877.
die Cardinäle haben wollen" (Villa, p. 234). Aus andern
Depeschen desselben Perez geht hervor, dass Spanier und
Deutsche fortdauernd um den Besitz des Papstes und der
Cardinäle haderten, und die wüthenden Landsknechte seine
Fortführung nach Neapel nicht zulassen wollten , vielmehr
damit umgingen , ihn mit sich hinweg zu führen. Als sie
aus ihren Sommerquartieren in Umbrien wieder zurück-
kehrten, und Rom zu zerstören, den Papst und die Cardi-
näle umzubringen drohten, wenn sie nicht bezahlt würden,
erfolgte das neue Abkommen mit ihnen und die Auslieferung
der sechs Bürgen, unter denen sich sogar der Datar Giberti
und der reiche Jacopo Salviati befanden. Die Uebergabe
dieser Opfer an die Officiere der Landsknechte im Saal der
Engelsburg istvonöumppenberg lebhaft beschrieben worden;
was er erzählt, stimmt mit der Schilderung in der Depesche
des Perez überein. Beide sagen, dass der Papst voll Ver-
zweiflung erklärte, er selbst wolle das Loos der Gefangenen
theilen, und mit ihnen zu den Kriegsknechten sich begeben.
Perez sagt nicht , dass er Augenzeuge bei diesem merk-
würdigen, höchst tragischen Auftritt war, aber Gumppen-
berg hat ihn mit angesehen. Er erzählt, dass ihn die Lands-
knechte in das Castell verordneten, um in ihrem Namen
vom Papst die Geiseln in Empfang zu nehmen, und zu
ihnen auf den Campo di Fiore zu bringen. Mit ihm gingen
zwei Hauptleute, Diepolt Häl und Sebastian Schertim nebst
200 Doppelsöldnern, welche die Escorte bilden sollten. Die
Schilderung der Scene ist die beste Partie in der Schrift
Gumppenbergs. Er stellt sich hier freilich ganz und gar
in den Vordergrund, wie er überhaupt bei den Unterhand-
lungen mit den Landsknechten kaum eine der Hauptper-
sonen dieses Dramas mit Namen nennt, zum Beispiel nichts
vou Morone, Don Ugo Moncada, Nägera, Gattinara und
Oranien zu sagen weiss. So verschweigt er auch, dass es
Alarcon selbst war, welcher die Geiseln im Saal der Engels-
Gregorovius: Ein deutscher Berieht üb. cl, Eroberung Roms. 353
bnrg übernahm und von dort hinausführte. „Alarcon, so
berichtet Perez am 12, Oct. an den Kaiser, sah die Not-
wendigkeit ein, die gedachten Geiseln den Deutschen aus-
zuliefern, weil sie sich dargeboten hatten, und weil durch
sie der Ruin Roms verhütet wurde. Er bestand also so-
lange darauf, bis er sie aus dem Castell nahm ; er ging mit
ihnen bis auf den Campo di Fiore, alle zu Fuss. Aber da
man sie im Saal wo sie standen aus dem Bereich des Papstes
und der Cardiuäle zu nehmen sich anschickte, erhob sich
ein solches Weinen und Geschrei, dass es schien, die Welt
stürze ein und S. Heiligkeit sagte, ehe sie in ihre Auslie-
ferung willige, wolle sie sich selbst in die Gewalt der Deut-
schen begeben, und dasselbe sagten die Cardinäle: aber
endlich nahm sie Alarcon hinweg, und gab sie in die Hände
der Deutschen." (S. 289 Villa.)
Gumppenberg schreibt : „Da saget der Papst mit wai-
nenden Augen, da stehen sie, nembt sie mit Euch hin, und
last Euch befolhen sein, und will Euch nit allein die Bürgen
geben, sonder unser aigen Person darzue, und erbutte sich mit
uns zu gehen, und gieng woll 3 oder 4 tritt mit uns für sich,
da bath Ich und die Haubtlent sein Heiligkeit , das er solt
stiller stehn, und alda beleiben — "
Mit ermüdender Breite hat sodann Gumppenberg die
Misshandlung dieser sechs Geiseln geschildert — es war
unter ihnen auch ein künftiger Papst Julius III. del Monte,
damals Erzbischof von Siponto. — Nachdem er ihre Be-
freiung und Flucht aus dem Palast der Cancellaria erzählt
hat, bricht er ab; sein Secrefcär Fickler hat unter das Ma-
uuscript geschrieben : „biss hieher und weiter ist es vom
Herrn Scribenten nit continuiret worden "
Am 17. Februar 1528 zogen die Spanier und Lands-
knechte endlich aus dem 9 Monate lang barbarisch miss-
handelten Rom ab, um sich in Neapel den Franzosen unter
Lautrec entgegen zu werfen. Ich denke mir, dass Gumppen-
354 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 1877.
berg das abziehende Kriegsvolk in amtlicher Stellung be-
gleitet hat, denn in solcher befand er sich bei demselben
während der Belagerung Neapels.
Was ich von seinem Bericht über das Jahr 1527 mit-
getheilt habe, wird, so glaube ich, meine Ansicht rechtfer-
tigen, dass derselbe der Aufbewahrung und Veröffentlichung
werth ist. Als literarischer Versuch seiner Zeit wird er
freilich nur darthun, wie wenig ausreichend das Talent des
Mannes , wie gross seine Flüchtigkeit und sein Uugeschick
gewesen ist den beneidenswerthesten Schatz von Erinnerungen
und Erfahrungen zu verwerthen ; als selbständiger deutscher
Bericht aber eines Augenzeugen wird er die nicht zahl-
reichen Mittheilungen vermehren, welche wir von deutschen
Zeitgenossen über ein so folgenschweres Ereigniss aufzu-
weisen haben. Keine der Katastrophen, die das zur poli-
tischen Weltmacht gewordene Papstthum in der langen Ge-
schichte seines Kampfes mit den Staatsgewalten erfahren
hat, kommt bis auf die allerletzte im Jahr 1870 erlittene,
jener von 1527 gleich, auch nicht einmal seine gewaltsame
Bezwingung in den Zeiten des Investiturkampfes durch den
kühnen Staatsstreich des Kaisers Heinrich V. Im Jahre
1527 handelte es sich ganz einfach um den Fortbestand des
Papstthums überhaupt in seiner bisherigen geschichtlichen
Gestalt. Das Werk Luthers zunächst gewann durch den
leichtsinnigen Krieg Clemens des VII mit Carl V. und seine
tiefe Niederlage eine mächtige Förderung. Zwar hat der
Kaiser sich nicht an die Spitze der deutschen Bewegung
gestellt, zwar hat er das Dominium Temporale wieder auf-
gerichtet, die Krone aus den Händen seines so schmählich
misshandelten Feindes genommen, und mit dem Papstthum
das Bündniss geschlossen , welches dann zum Verderben
Deutschlands und Oesterreichs die Habsburgische Dynastie
hartnäckig festgehalten hat, sowohl auf Grund ihres Besitzes
in Italien als um ihre imperiale Stellung gegen die Ideen
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Monis , 355
und Absichten der Protestanten erblich zu behaupten. Doch
hat das Papstthum im Jahre 1527 die moralische und poli-
tische Führung Italiens verloren ; der Kirchenstaat Julius
des IL, so viel unverhoffte Vergrösserung er auch noch am
Ende des XVI. Jahrhunderts erfuhr, blieb nur eine Gleich-
gewichtsfrage der europäischen Mächte Spanien, Oesterreich
und Frankreich, so lange bis der Einheitsgedanke Italiens
durch die Mitwirkung des reformatorischen Princips Deutsch-
lands die Macht gewann, das Dominium Temporale als eine
nur italienische Angelegenheit zu behandeln, das heisst auf-
zuzehren. Der merkwürdige Papst, welcher schon 31 Jahre
lang und noch heute auf dem Stuhle Petri sitzt, ein mo-
ralisch Gefangener im Vatican aber doch durch historische
Notwendigkeit dort so confinirt und festgehalten, erinnert
an die Schicksale Clemens VII. Unter Pius IX. hat das
Papstthum den letzten Augenblick gehabt, wo ihm die mo-
ralische und politische Führung der italienischen Nation
dargeboten ward. Er ist ungenützt vorüber gegangen, und
das war ein Glück in Bezug auf die von der Papstkirche
zwar bestrittene, auch gehemmte, aber doch nicht mehr zu
bewältigende Neugestaltung Europas. Das Dominium Tem-
porale ist gefallen; Rom ist am 20. September 1870 wie-
derum erobert worden; aber bei dieser neuesten und ent-
scheidenden Halosis Romae ist es — was Geschichtschreiber
und Menschenfreunde erfreuen kann — nur wie beim Voll-
zug des spruchreif gewordenen Rechtserkenntnisses eines
historischen Prozesses und daher sauberer hergegangen, als
bei jener Einnahme, von der unser Manuscript berichtet.
356 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 1S7'i
1
Beschreibung aller Hendel, die sich Anno
1527 zu Rom verloffen wie die Statt von des Rom.
Kaysers Caroli V. Kriegsvolk eingenomen, und geplündert
worden, und wie sich solcher Krieg vom Anfang biss zum
Ende verloffen hat, durch den Hochwirdigen and Edlen Herrn
Ambrosi von Gumpenberg, Prothonotarium Apostolic. Dom-
probsten zu Basel, Domherrn zue Würtzburg, Augspurg,
Regenspurg etc. so der Zeit zue Rom selb mit und bei-
gewesen, mit aigner Handt beschrieben.
Und ist solche Beschreibung von dem Original, mit
Fleiss abzuschreiben, durch Joan. Bapt. Ficklern der Rechten
Doctorn , von Bäpstl. Heil, gemachten Rittern , Protho-
notarium and Comitem Palatiuum, Frstl. Bayer, und Saltzb.
Rath, bevolchen und collationiert worden.*)
Pabst Clement der Siebent ^seines Namens, der hat zuevor
geheissen Cardinalis Julius de Medicis, vicecan-
cellarius, ist gestorben Anno 1534 am 25. Sept. umb
den mittentag, ist sechs ganzer Monat krank gelegen, und
von fuessen auf gestorben, wie des geschlechts Medicis
gebrauch sein solle, hat regiert 10 Jar etc.
Undter im, Im 1527 Jar, am 6ten tag May zwischen sechs
und fünf Uhren zu morgen, da hat der Herzog von Borbon,
mit den Deutschen, Spaniern und Italienern Rom bey dem
Belvidere bey dem Thor zu S. Pangracio und die
Porten bey der Schweitzer Guardi mit steiglaittern zum
Sturm angeloffen, bestigen und die Burg zue Sant Peter mit
gwalt gewunnen, und geplündert, und ist derHerzog vonBorbon
in dem Nebel, den es denselben morgen (gab) von ainem
*) Das Manuscript habe ich sprachlich nirgend verändert, doch bis-
weilen Unwichtiges, oder durch Wiederholung ermüdendes fortgelassen.
Gref/orovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Roms. 357
Spanier*) und den Unsern an dem Sturm an ainer steig-
laiter erschossen worden, dessen seel und aller gläubigen
seelen Gott pflege.
Auf solche Eroberung der Burgen, da hat der ganz
exercitusCaesarisin der Burg Su Petri grhuet, und
ain andern Obristen erwelet, als nem blich den Principe
de Orangie, der Marchess de Guasto war auch da,
aber er kundt vor dem Principe de Orangie nit hin-
zue komen, auf dissmall.
Zwischen zwayen und dreyen desselben tags nach Mitten-
tag da war der ganz Exercitus Caesaris wider in
A r m i s, und fiengen an, gegen der Statt Rom zu stürmen
hindter Sant Spiritus bey der starcken Pastion die Pabst
Paulus tertius seither darumb gepauet hat, und zwischen
6 u 7 Uhr gegen Nacht, da hetten sie mit dem Sturm
gewunnen alt Rom, Pietro montorio mit sambt allen
dreyen prucken über die Tyber, als ponte Sisto, ponte
Maria, und ponte quatroCapi, der Ich alles mit äugen
gesehen habe, und wie sie die ponte Sixti anlieffen, inen
mit aller marter darob endtridt, das Ich nit erschlagen
wurdt, wie andere, und kamen also daselbst herein in Rom
auf den camp o flor undAgon, da machten sie Ir schlacht
Ordnung zum thail, behielten aber gleich wol die Burg
Sant Peters **) und alt Rom darneben damit Inen vom D u c a
di Urbino die Statt- und Burg nit widerumb abgetrungen
wurde, welcher Inen ob den 80000 stark ***), mit der welschen
Liga Kriegsvolk als Ir Obrister, des Kaysers e x e r c i t u auf
dem Hals war, welcher Exercitus Caesaris nit über
30000 stark war, noch dannoch wolt ers nit angreiffen oder
*) Die Sage von dem am Connetable verübten Vcrrath scheint von
Gumpenb. geglaubt worden zu sein, aber wunderlicher Weise setzt er
„und den Unsern" hinzu.
**) D. i. der Borgo.
***) Das Bundesheer betrug kaum 20000 Mann.
358 Sitzung der hi.st. Classe vom 1. Dezember 1877.
die Imperialismen in Irein thuen verhindern, das man sagen
tbet, er hets dem Pabst Clementi das Pangket vergundt,
dan er Im nit holdt war auch er über 6 Tage da nit ligen
Mibe*), sondern von stund an obn alle not mit seim ex-
ercitu abzug, und Hesse des Kaisers ex er cito Irs gefall ens
mit Rom unverhindert handien, das dan 13 ganze tag an
ain ander geplündert wardt, und der vogl im Lufft nit frey
war, auch meniglichen ohn allen rispetto er wer Kay se-
risch, Päbstisch oder französisch mit aller crudelta ge-
fangen, geschetzt, geplündert, gemartert, und erwirget war,
und Ir's gefallens jung und alt, frau auch man beschendigt
wurde ohn einredt der Obristen.
Der Pabst war in das Castel Su Angeli geflohen
mit 13 Cardinalibus und grossen Anzall der Prelaten und
grossen Herren, also das dass Castel mit unnuzen Volk über-
setzt war, es war auch das Volk nit geschickt zu der Wehr,
so waren sie auch schedlich darin, der Proviant halber die
sie unnuz hinweckh frassen dermassen, das sie benöttiget
wurden diss Volks vill in der feindt Handt herauss zu stossen.
Also rieht sich der exercituslmperatoris das Schloss
zu umbgeben und macheten in der Statt Rom vor der Engel-
pruckh vom turre de Nona herab biss in Altoviti
hauss**) ein grossen tiefen aufgeworfnen graben das die aus
dem Castel nit herauss in sie fallen khundten unversehener
Ding, und im selbigen graben waren stäts des Kaysers Hacken-
schützen, die Schüssen die im Castel S. Angeli ohn under-
lass von den Zinnen und Irer wehr herab, das sie sich im
Castel nit wohl regen kundten.
An der andern Seitten des Castels, ihnerhalb der Tyber,
da hetten die Kayserischen bey der Porten, da der Schweizer
Guardj ist ain langen graben angefangen zue machen, hart
*) Vielmehr 12 Tage lang.
**) Der Palast Altoviti (in der Handschrift fehlerhaft Altiniti ge-
schrieben) dauert noch heute fort.
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Roms. 359
an der Stattmauer, welcher Graben stets nnder sich gieng
under die Erden in die tieffeu, und arbeittet Haubtmann
Conradin mit 3500 Deutschen Erzknappen daran*), und waren
gar hinab kommen zum Castel, und wolten das un dt ergraben
und das Castel mit Pulver das undter übersieh werffen, und den
Pabst, alle Cardinal und Prälaten darin mit einander verderben,
und waren schon zue den fundamenten kumben ohn allen wider-
standt ; dan du sollest ex judicio der grossen Haubtleut
wissen das dass Castel St. Angel i nit stark ist, dan es
ist zue eng das man sich darin nit woll weren kan; wenig
Leut erschiessen nichts, vill künden sich darin nit gerüren,
darumb kan man auch nit vil Proviant darin halten, und ist
allein contra furorem populi, wan in Rom das Volk
aufrürig wurdt, so kan sich ain Pabst alda vor aim g wallt
enthalten, biss er zu verhör und zu einem thedingkomen mag,
oder andere notwehr suecht.
Also da sie alle ding zuem zersprengen zugericht hetteu,
da zug der Duca de Vrbino ab, da sahen die Kayseri-
schen das sie kain widerstandt hetten, und der Pabst ohn ainhe
hilf oder entsezung verlassen war, da bedachten sie sich
aines bessern raths dieweil sie wisten das der Pabst kein
hilf mehr het zu verhoffen, noch villweniger notwendige
proviant, das er mit sovil unnuzen volk über ain Monat
oder 6 Wochen zu essen het, so fanden sie im rath, sie
sollen das schloss belegert halten, das nit ain Vogel auss
oder ein mecht kumen, also und sie theten. — —
Sie entschlussen sich den Pabst zu belegern, und das
Castel gar nit mehr zu zersprengen, auss disen Ursachen,
zersprengten sie das Castel, so verderbten sie so ain trefflich
Veste das dem Kayser künfftige Zeit mehr zu nachtail
komen mecht, gegen seinen feindten, dan zu guettem, wo
und er Rom änderst behalten wolt, wie sie verhofften, zum
*) Die Erzknappen sind eine Erfindung Gumppenbergs.
360 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 1877.
andern so forchten sie Inen , dieweill sie on des Kaiser«
Wissen und willen Rom gewnnnen, geplündert und zerstöret
hetten, sollen sie erst den Pabst und Cardinal mit so vill Pre-
laten im Castel umbringen , und die Bevestiguug zerreissen,
das Inen zu ewigenüngnaden, schmach und verderbung reichen
mecht, dergleichen so war Inen der Kayser Neun monat
soldt schuldig, die wurden sie auch verlieren, darumben wer
besser sie belegerten das Castel ob der Pabst sich mit Inen
in ain Vertrag und Concordj einlassen wolt, das Inen das
Castel in Ir handt wurde, und das sich der Pabst dem Kayser
begebe, und Iren Soldaten Ir ausstendig 9. Monat soldt zu
bezalen zusaget, und wie sie dass Castel begraben und belegert
hetten, da namen sie ettliche notschlangen und falkonetten und
richteten die au ss dem Bei videre ans Pabsts gemach, und
Schüssen zu obrist hinauf in das Castel, an die Zinnen, da
schluegen die stein dermassen umb sie, das Jemandts im
Castel sicher war, und hetten schier ohn alles gewer den Pabst
erschossen alsso das da weder Pabst oder yemandts auss
seinem gemach dorffte, und dieweill er sich dan ohne Hilf
oder trost fandt, und sach den grossen Jammer in Rom, und
das täglichen nur übler hergieng, da fandt sein Heyligkeit
im rath, er solt spräche begeren, und sich in ain Vertrag mit
Inen einlassen, als dan sein Heil, thet, und begehrt spräche,
die wardt Im zuegelassen, und da waren auss des Kaysers
exercitu von allen Nationibus com missari zu Ir Heilig-
keit in das Schloss deputiert, denen sich Ir Hl. mit den
Pacten ergaben,
Erstlich wollt Ir Hl. Person frey sein, und sich in yemandts
handt nit gefangen geben, so war auch yemandts vons
Kaysers wegen da, der so frech sein wollt, ain Pabst gefan-
gen zu nemben oder handt an seiner Person anzulegen,
wiewoll er gefangen genueg war, man sezt im gleich ein
hietlen auf wie man wolle auss nachvolgenden Ursachen,
Er saget zu und verspräche, dem Exercitu Ire 9
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Borns. 361
Monat soldt zu bezalen, und in Ir Bewarsainb zu bleiben,
biss und sie bezalt weren, zum andern, wollt er den Kayse-
rischen das Castel einantwortten, darin sie In zu Ir sicher-
hait inhaben und bewaren solten biss und sie bezalt wurden,
aber so sie bezalt weren, so soll sein Hl. und das Castel wider
ledig sein, und sollen ohn schaden aus Rom ziehn, und niemandts
mehr fahen, schezen, belaidigen, oder sein nemben noch
verdorben.
Du hast aber verstanden, wie der Princepsde Oran-
gie nach absterben desDuca de Borbon zum Oberisten
Veldthaubtmann erwehlt war, über die Spanier war Johan
de Ur bina Obrister, ain vast geschickter und sehr trefflicher
freudig Capitan ungefehrlichen bei 12000.
Über die welschen Soldaten war der signor Ferra-
muscha, ist ain Neapolitaner gewest vast ain erfarner,
geschickter und sehr reicher man, der war obrister über
10000 ungeferlichen,
Über die Landsknechte der auch ungeferlichen bey
13000 man waren und nit gar, der Ichs bass wissen solt dan
ain andrer, dan Ich als ain Obrister Commissari über sie,
sy dreymal gemustert habe, das war Obrister über sie Herr
George von Fronsperg zu Mündelhaim Ritter, und Herr
Conradt von Bembelberg den man das klain hesslen lange
Zeit gehaissen hat der war sein Obrister leittnambt, aber
Herr Georg von Fronsperg der war Krankheit halber nit
im einfall zu Rom dan Ine auss Zorn bey Ferrara*) der
schlag troffen hat, das er sich ob der Landtsknecht un-
geschickten Weiss erzirnet, und das man In gehn Ferrara
fueren muest , under* die M e d i c i , da huelt In Duca
Alphonso ain gantz Jar auss , biss er ain wenig wider
zue Im selbst kamb, da schicket er haim gehn Mindelheim
*) Das Ereigniss fand statt am 16. März 1527 im Lager zu S.
Giovanni bei Bologna.
[1877. I Philos.-philol. Cl. 4.] 25
362 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 1877.
zue seiner Hausfrauen die war ain Gräfin von Lodron ge-
bürttig auss der Grafschafft Tyroll , da war er so frölich
nit gewest, den ganzen tag, und wolten sagen er het die Nacht
sein Narrenweiss auss grosser Lieb und Begier mit Ir getriben,
das In der schlag abermals traffe, davor uns Gott gehuet,
also das er am morgen im Pedt todt bliben.
Nun der von Bembelberg als Obrister Leitenambt der
muest mit demDuca deBorbon fortrücken auf Rom zue
mit dem hellen Hauffen, da gab Herr Georg von Frunsperg
dem von Bembelberg zue rath und beystandt zue, das sie all
mit einand an sein stat diesen teutschen Hauffen regieren
sollen, mitsambt dem Bembelberger, nemblichen dise fünff
Haubtleut mit namen, 1. Haubtman Corradino der war
auss der Otsch ains Pfaffen Sun ain vast alter und berüemb-
ter Haubtman hat 5 fendl Knecht under sich, 2. Haubtman
Sigmundt Wechinger war auch auss der Otsch hatt zwey
fendl Knecht under sich, 3. Haubtman Mathiess Stumpf,
war vom Adel vast geschickt und grosser erfarnuss auch seiner
Hanndt geschwindt, aber überauss wunderlichen das
yemandts bey Im bleiben kundt der hat 3 fendl Knecht
under sich,
4. Haubtman Sebastian Scherttlin, der hat nur ain fendlen
Knecht under Im,
5. Haubtman Diepoldt Helle, hat nur ain fendle Knecht
undersich, er war auch nit vast ain erfarner Haubtman,
sonder er war ains guetten Verstandts und wize, und ain
gut schwezmaul, damit er sich mehr herfür bracht, dan
mit seinen Kriegsthaten.
Nun mein guetter H. Conradt von Bembelberg als
Obrister Leitenambt wollt absolute allein regieren, und kein
gesellen oderüeberpain haben und thet was In lustetund gefiell,
sach yemandts nit an, und war stets mit den ersten ains,
und welche sich neben Im brechen wolten, die huelt er der-
massen, das sie tag und nacht hin weck stelten, wie dan der
Gregorovius : Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Borns. 363
Haubtman Stumpf und Wechinger zue Rom mit einander auf
Venedig fueren, und underwegen gefangen und geplündert
wurden, und Inen sehr übel gieng, darob sie an der letzt auch
gestorben sein, Sebertl, Corradin und Hei*), die bliben beim
hauffen, warteten Irer Haubtmanschaft auss, und Hessen dem
Bembelberger das Regiment allein, das Hess er sie auch zue-
frieden und war guetter ding mit Inen.
Über den raisigen Zeuge, in Irer Maj. Exercitu da
war obrister Don fern and o de Gunsago der jetzt
Rom. Kays. Maj. Stadthalter ist zu Maylandt und vor Jaren
Vicere in Sicilien gewest ist.
Wie sich die päbstlich Heil, auf obengezeigt mittel er-
gäbe, da antworteten sein Heil, das Castel S. Angeli ein,
und das sie sein Heil, verwareten biss und sie bezalt wurden,
da verordnet der Oberist der Spanier ain fendlen spagnoli
in das Castel, der Italiener Obrist auch ains, der von Bembel-
berg verordnet den Haubtman Corradin mit aim Vendle
Landtsknecht, welche bestia sorg truegen, sie kundten nit
frey und unflettig sein, das Irs gefallens stetigs zum wein
gehn kundten, und,wolten nit darin bleiben, da verordnete
man den haubtman Georg Prantten mit sein fendlen Knecht,
der war auch etwan ain vier oder fünf tag darin, da hat
er des Castels auch genueg, und wolt auch nit mehr darinnen
sein, sondern bei dem lieben vino g r e c o an der stat, und
verluessen die Teutscben das Castel dermassen unbillicher
weiss dem Pabst zuwider, dan er sie lieber gehabt het, und
sich mehr zue Inen vertraut als zu kainer Nation nit, als
mir es der Pabst selbst zum offter klaget schier mit wei-
nenden äugen, das wir Teutschen uns nicht nit annemben
wolten, und das wir die Hispanier so gar regieren lu essen, und
damit das nit für ain Lügen helst, oder sagen mechst, wie
das dirs der Pabst vor andern klagt hat, was haimbliche
*) Conrad von Glürnitz u. Dibold Häl von Meynburg, nach ßeissner.
25*
364 Sitzung der hist. Ctasse vom 1. Dezember 1877.
gemeinschafft hast du mit Im gehabt, das will Ich dir
sagen,
Ehe und Rom gewunnen wardt, da bin Ich dem Pabst
in manicherlay gescheuten zum 7ten mal in Teutschland
gewest, Ich war auch dasselbig mal wie der Exercitus
Caesaris in welschlandt anziehen solt, da war Ich von
seiner Heil, wegen bei dem alten Churfürsten Pfalzgraf
Ludwigen und herzog Wilhelmen von Bayern seligl., uud am
wiederreitten gehn Rom, da fandt Ich mein schwager Herr
Georgen von fronsperg mit saim schnellen Hauffen zue
Triendt, das er am anziehen war, da wollt er mich nur
schlecht bey Im behalten, und verhüesse mich Cardinal und
Reich zu machen*), aber Ich wollt es nit thuen, sonder
mein Befelch verrichten, wie woll der Zug nit fürgenumben
war auf Rom, sondern wider die Pündtnuss, die der Pabst,
Franzosen und Venediger mit den andern Potentaten in Italia
wider den Kayser gemacht hetten, auss Italia zu schlahen,
über welche Pündtnuss signor Johan de Medicis des
Pabst Clementi Vetter Obrister war gar ain treflicher Kriegs-
man und grosser Tyran, und seiner besen welschen possen vol,
derselb lag mit der Liga Volk zwischen Mantua et Ferrara
am Poo, des Kaysers Kriegsvolk ingressum zu verhüe-
ten wie er thet und hefftig weret, darob im der linck Schenckel
oben im Dieck abgeschossen wurdt, das man (ihn) gehn
Mantua füeret, den Fuss abschneidt, darob er stürbe, da
drucket des Kaysers Exercitus auf den von Ferrara der
auch in der Pündtnuss war, und wardt er benöttigt, das er
muest freundt werden, gellt, proviant und geschitz geben,
das man Im das Landt nitt einnembe, und verheret, Da kam
ain Mörderei unter den ganzen E x e r c i t o, das sie schlecht
nit weitter ziehen noch dienen wolten, sie weren den zuvor
*) In einem Bruchstück der Autobiographie Gumpenbergs (Cod.
Bav. 2127) wiederholt derselbe dies Versprechen Frundsbergs, und fügt
hinzu, dass dieser ihn als Dolmetsch habe gebrauchen wollen.
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Roms. 365
vom Duca de Borbon und den Obristen bezalt, darob auss
Zorn Herr Georg von fronsperg krank war, wie du oben
vernommen hast, Nun da war kain gellt, trost oder hofnung,
und wist der Borbon nit wie er all sein Sachen thuen sollt,
dan sein sach auf zwayen dingen stundt, entlauffen oder
sich von Inen zu todtschlagen oder fahen lassen, und machet
sich in ainer Verzweiflung mit dem Exe r cito auf, und
namb den weg auf Bononi, ob er dasselbig unversehener
Ding einnemben, plündern und gellt machen mecht, damit er
das Kriegsvolk stillet, aber der Pabst war Im zu geschwindt,
bracht Im zu vill Volks in die Statt, das ers nit gewinnen
kuodt, und muest neben fürziehen mit schweren verzweifelten
gemuet, und namb den weg auf Tuscana zue, das er nit
wist was er thuen sollt, oder wohin er ziehen solt das er
gelt machen mechte zu rettung seines Namens, thrauen und
glauben, da trug der Pabst fürsorg, die weil Florensa
(die noch ain Freystat war) für sich selbst mit Ir Heil, und
andern Potentaten in Italia im Pündtnuss war, Er Borbon
würdt Florenza überziehen, oder dasselbig Ir Landt
schleipfen, verdorben, prennen und schetzen, dieweil sie kain
Kriegsvolk im Landt noch in der Statt betten, und schicket
sein Heil, eülendts Doctor Hannsen Blanckenfeld der war
Erzbischof zu Riga und Bischof zu Rainfal*), gen Florenz
mit etlichen Capiteln so bald und er vernambe, das sie den
weg auf florenz und in Ir Landt nemben wolten, so soll er
Inen entgegen ziehen, und in des Pabsts namen und der Statt
Florenza den teutsehen solch Capitel vorhalten, ob man
sie damit abwendig machet, das sie nit für zu gen , sondern
ab, und den weg anderstwohin nemben.
*) Reval. In dem bezeichneten Fragment der Autobiographie wird
der Erzbischof seltsamer Weise als Doctor Rockenbach bezeichnet. Er
hiess richtig Johannes Blankenfeld. Siehe Series Episcopor. Eccl. Catho-
licae ed. P. Pius Bonif. Garns. Regensb. 1873.
366 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 1877,
Nein derselbige Bischof war zu forchtsamb, wolt diesen
Bevelch des Pabst nit verrichten, da hette aber Ich von
Venedig auss dem Papst, auf der Post geschrieben, was und
Ich seiner Heil, in Teutschlanden bey obgemelten Fürsten
ausgericht hette, und wie (ich wegen) Unsicherheit der wege
umbreiten muest, damit ich dem Kriegsvolk nit in die
Hendt kerne, und zeiget seiner Heil, mein Strassen und
Weg an, darummb solle mich Ir Heil, meines langen Auss-
sein endtschuldiget haben, also das der Pabst wisse wo und
Ich bay aim Peilichen anzuetreffen war, und schicket mir ain
eillende Post unter äugen, das ich enlendts gen Florenz po-
stiert zue dem Cardinal Cor to na, der daLegatus a la-
tere war, und das Ich alles das tbet, was mich derselbig Le-
gat und der Senatus zue Florenz hiesse. Nun wie Ich gehn
Florenssa kamb, der da mit grossen Freyden und Ehren
empfangen war, der war Ich, und dem sonderbar gross Ding
verheissen worden, wo ich den Befelch annemben wollt, zu
verrichten. Ich war ein junger beherzter gesölle, von ain
25 Jaren alt, arm, hett nit vil übriges, und wer gern reich
worden, oder etwas gewunnen, das Ichs hineinsezet, mir nit
liederlich forcht, oder an einem Ding leichtfertig entsezet,
und sagets zue, wo es mir Erlichen und anmutlich were, so wolt
Ichs gern thuen, da zaigten sie mir des obgemelten Bischofs
gehabten Befelch an, und sein verzagts gemuet, und das sie mit
Im verkürzt wurden, so es von nötten sein würdt, und gaben
mir die Articl und Capitulation des Bischofs was er im Be-
felch hette, dem teutschen Exercito zu proponiren, das
sie der Statt Florenz noch Landt nit schaden thetten, undter
welchem Articl der ainer war, das ich des Pabsts Besslen
Margarita de Medicis signor Juliano de Medicis
Tochter*), der ain Herzogin von Alba auss Frankreich zu
*) Irrig statt Catharina. Derselbe Fehler wird im Fragment der
Autobiographie gemacht. Auch war ihr Vater nicht Julian, sondern der
Gregorovius'. Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Borns. 367
aim Weib gehabt hat, darbey er die Tochter Margarita
gehabt hat, welche ain Herrschaft von 6000 Cronen järlichs
einkommen hatte, dieselbige Margarita war zwischen 14 und
13 Jaren alt, schön und tugendhafft, zu sainbt grossem Reich-
tumb, die solle ich Herr Görgen von Fronspergs Sun, Herrn
Caspar von Fronsperg, der Oberister zu Mailand war, ver-
sprechen und vermeheln, wo und sie ohn schaden, ab und auss
dem Lande der Florentiner zügen, welche Margarita de
Medicis auf heuttigen tag ain gewaltige reiche Künigin
ist, in Frankreich, und jetzt den König Hainrich zu aim Mari
hat, und bey Im so vil schöne Kinder, das sag Ich darumb,
das die Leut offt so hoch un versehener Ding hinauf
komben, darnach sie oder der Pabst nhie sollich glick ver-
hofft noch dahin gedacht haben, da aber Kayser Carolus
quin tus Imperator Invictissimus sein Pastarda Mar-
garita, des Pabsts Nepoten Duca Alexandro de Medi-
cis Herzog in Florenssa, zu ain weib gäbe, da wolt der
neidisch Imo nerrisch Kunig Francis cus RexFranciae
nit weniger in der Freundtschafft mit dem Pabst sein, dan
der Kayser Carl und wo Im Pabst der Kayser Carl ain Past-
arda geben, da gab der narret Küuig Franciscus sein leib-
lichen Ehelichen Sun ains Bürger und Kaufmans Tochter zu
Florenz, wiewoll der selbig Sun undter den dreyen Küniges
Fr an eis ci Söhnen der jüngst war, und jemandts gedacht,
das er in ewigkait König soll werden, also da sein die zwei
eltesten Söhne gestorben, also das der jüngst und unvermaindt
König ist worden, und auf die stundt regieret, mit dem die
Landtherrn übel zufrieden sein, dass er eines Kaufmans und
bürgers Dochter auss Florenz su sein Weib haben solt, und
sie für Ir Königin und haben ain weil vermaindt Ine dess-
Herzog vefti Urbino, Lorenzo Medici; ihre Mutter Madelaine la Tour
d'Auvergne. Catharina ward geboren 13. April 1519, vermalt a. 1533
mit Heinrich Herzog von Orleans.
368 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 187 7.
halber nit anzunemen noch für Iren König zu erkennen und
haben gewolt er solle sie in ain Closter thuen, und ain andere
nemben, und sonderbar dieweil sie wol 7 oder 8 Jar gehabt
hat, das sie faiste halber nhie kain Kündt gemacht hat, das
sie sorg truegen er würdt on Erben sterben, jedoch hats an
der letzt angefangen Künder zu machen, und hat Im nunmehr
3 oder 4 Süne tragen das Im yetzt von Herzen lieb ist.
Also hastu diese History des glickes, und das Ich wider auf
die angefangene kumb, Ich lag 13 tag zu Florenz zu sehen,
wo doch der Borbon auss wolt, der gar verzweifelt war, het
nit Proviant noch gelt, villweniger kain obedientia nit,
das er sich als ein erfarner Kriegsmann umb so gewaltig
Stett und in so ain mechtig Lanndt nit begeben darff als
Floren ssa, da war er benettigt, der Feindt Landt zu
fliehen, und die Freundt zu suechen, damit er sein Exerci-
tum nit in pericul setzt, und namb den weg auf hohen Siena
und in Ir Lanndt, da die das sahen, da suechten sie weg und
persuasiones, das sie den Borbon mit sein E x e r c i t o
auss Irem Landt fürbass schieben mechten, auf Iren Nacht-
barn, und gaben Im gellt und Proviant, und persuadierten
den Borbon, er soll sich aufmachen, und in das Königreich
Nea p o 1 i s das frei von Feinden, das ist des Pabst Liga mit den
Potentaten in Italia, darüber Obrister wardt (nach absterben
Joanni de Medicis des yezigen Herzogs von Florenz
vatter) der obgemelt Herzog von Urbino, und dise Ir
armuet und hunger war ursach das sie fort euleten, damit sie
nit etwan belegert wurden, und eyleten dem Königreich Nea-
polis zue, da sie gellt, Proviant und entsezung auch alle not-
turft gehabt hetten. Nun wollten sie in das Königreich, so
mussten sie zuvor über die Tyber, und an den orten da sie
übersolten, da war sie Inen zu gross, und sie waren zu weit
für sich komen, dass sie nit mer hindersich kundten, dan
die Feindt waren Inen zu nahendt auf dem Halss, und die von
Siena hatten Inen vill Proviant zue gesagt, da sies auss
l
Gregorovius: Ein dexitscher Bericht üb. d. Eroberung Borns. 369
Jrem Lanndt brachten, da hetten sie Inen ungern ain stuck
Brott nachgeschickt, Also das der Kayserlich Excercitus ganz
machtloss war, und noch Grass frassen vor Hunger, dan sie
lenger dan in 8 tagen kain stück Brott nhie gesehen hetten,
darumb eylten sie für sich dem Königreich Neapolis zue,
und wiewoll sie weder schifbrücken oder der dings kains mit
hetten , so sezten sie doch Ir thuen zue Gott und auf des
Kaysers Partei und anhang, die Colloneser würden sie nit ver-
lassen, und nit weit von Rom, das sie über die Tyber muesten
entgegenkomen, und Inen ein Brücken über die Tyber machen,
das sie den Feindten darüber entwischen mechten, das war
Ihr vorhaben und- hofnung.
Nun gleich zu derselben Zeit, da kriegt der Pabst Cle-
mens mit denselben Collonesern zu Frisolona gegen dem
Königreich Neapolis zue*), und thet Inen sehr grossen scha-
den, verhöret und verprennet Inen das Landt wuest, da legte
sich der Vicere von Neapolis in die sachen auss Bevelch des
Kaysers und vertrueg die Colloneser und den Pabst mit einand,
und machet nit allain Fridt, sondern das yeder thail sein Kriegs-
volk abfordern und gar Urlauben solten, das thet der Pabst,
forderte seine 4000 Schweizer ab, und schicket sie wider haim.
Er hat 5000 Italianer, die hiess man die Bandicei Ne-
gri**), die hat Johanin de Medicis woll ain Jar 8 oder
10 beyeinander gehabt. Es waren die Bösesten und erfarnisten
Pueben in Kriegslauffen die da in langer Zeit nit beyeinander
gewest waren, welche sich allerdiug understehen dorfften,
das aber war ist, so wolt der Pabst mit dem Kayser und Col-
lonesern Fridt haben und die Artickel in allen Dingen halten,
wies der Vicere M i n c r a f a 1 ***) (wass ain Niederlender und
Teutscher Fein dt) gemacht hat, und versach sich vom Kayser
*) Der Kampf bei Frosinone fand am Anfange des Februars statt.
**) Bande Nere.
***) DerVicekönig Charles de Lannoy war Sohn des Juan de Lannoy
Herrn von Maingo val.
370 Sitzung der bist, Cla&se vom 1. Dezember 1877.
und den seinen nichts böss, sondern alles guetts, und vermeint
Inen solle auch dasselbige gehalten werden, wie billich ge-
west were, und fordert dieselben 5000 Italiener oder schwarze
Fendl auch ab, und das sie gehn Rom kamen, wie und sie
dan kamen, und Ich sie mit angen hab ainziehen sehen, und
das Ire schwarze Fendl im Kott hernach zugen auf der Erden,
von wegen Ires Obristen Johanin de Medicis der in
Lombardia starb.
Da sie nun gehn Rom kamen, da gab man Ihnen un-
verhofft urlanb, und zalet sie übel mit abrechnung und auf-
schlagung der Besoldung, wie man dan an allen Höfen böse Vi-
nanzer findt, die Irs aignen nuz halber dahiu genaigt sein,
yederman das seinig abzubrechen, das eben Jacob Sal-
"viati thet, der Pabsts Clements Schwester zue einem Weib
hett*), und derselb arglistig böss Jud oder Kaufmann, wie
man sie nennen muess höflich darvon zu reden, der guberniert
die ganz Kirchen und alle Ding absolute in sein nuz, der-
selbig prach Inen ab, und schlueg Inen auf, unangesehen das
sie so vil Jar treulich gedienet hetten, welches Inen auch
wehe that und übel verdrüssen, und waren sogar erzirnet und ver-
pittert, das sie mit dem beherzten gemuet, und langer erfarnuss
die sie hetten, sich understehen dorfften die Kaufleutprucken
in Rohm zu plündern**) und wolten in Rom das undter über
sich keren, das man sie mit gewalt auss der Statt treiben
muest, das sie mit Unwillen hinweck zugen, und Rom schwuren
alles Leidts zue thuen, und lüeffen gleich alle mit einander dem
Borbon zue, Da der Borbon das vernamb das der Pabst
kain Kriegsvolck het, sonder die alle mit einander mit Un-
willen abgeferttiget hette, auch kains nit umb gelt noch
sonnst mehr bekomen mecht, da ersähe er sein vortail und
*) Vielmehr Lucrezia Medici, die Schwester Leo's X.
**) Zu jt^ner Zeit waren, wie noch heute in Florenz der Ponte Vec-
chio, die Brücken in Rom meist mit Buden der Kaufleute besetzt. Im
Mittelalter verkauften Juden ihre Waaren selbst auf Ponte Sant Angelo.
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Borns. 371
namb ein Herz, und zuge unversehner Ding auf Rom zue, der
Hofnang wo er Rom nit erobern kundt, so wolt er doch
ausserhalb Rom über die Tyber komen über die Prucken
ponte molla vor unserer Frauen de popolo Thor, mehr
dan ain teutsche halbe meil wegslang von Rom.
Nun wie das der Pabst höret, das der Borbon auf Rom
zuge, und er sich ohne Kriegsvolck fandt, auch davon nit mehr
bekommen kundt, da schicket er sein Pottschaft zu ein Bor-
bon, was das wer, das er In ungewarnnter Ding, als ain
Freundt des Kaysers überziehen wolt, und er het mit dem
Vicere an statt des Kaysers Fridt gemacht, den wolt er
auch halten, darumb het er sein Kriegsvolck auch geurlaubt,
und er het mit Im Borbon nichts zue thuen, Er stuendt in
guettem Fridt und ainigkait mit dem Kayser des wolt er sich
halten, und des Vi c er es zuesag.
Darauf antwort der Herzog von Borbon dem Pabst, und
sagt es gieng Ine nicht an, was er mit dem Vicere trac-
tiert oder beschlossen hett, Vicere deNeapoli wer so
woll ain Diener als eben er, und er hette Im nicht zu ge-
bietten, Er geb auch nicht umb In, er wist woll, was er
thuen und lassen solt, und trucket stets auf den Pabst zue
damit er in Rom komen mecht, ehe In die Feindt ereylten,
die Im auf dem Fuess nachzugen; Da sich der Pabst der-
massen beengstiget sähe, da wist er nit wo auss, dan er
kundt kain Kriegsvolck nit so erbringen machen, so waren
die schwarzen Vendler zu den Kayserischen verlohnen, da
fienge er an auss Verzweiflung zu risten, und sich mit seinen
aignen todtsfeinden zu wöhren, und botte aller weit in Rom
auf, das da spiess und stangen tragen mecht, das soll die
webr nemben zur Rettung der Statt. Nun wer waren die, mehr
des Pabsts Feindte dan Freundt, dan es waren Teutsche, Spag-
noli, Niederlender, Neapolitani, Lumbardi, auch Roraani selbst,
und die grösten und mechtigsten, die dem Kayser anhiengen, die-
selbigen sahen das Ding alles gern, und war Inen ain haimb-
372 Sitzung der hist. Classe vom 1. November 1877.
liehe Freyd, das dem Pabst ain Kappen kaufft soll werden,
vermainten dadurch gross, reich und mechtig zu werden, so
der Pfaf undtergetrückt und castigiert wurde, vermainten nit
die narreten unsinnigen Leut, so das Kriegsvolk mit gewalt
in Rom kam, das man Inen etwas thuen sollt, darum b das
sie Kayserisch weren, sonder gedachten es solt alles ob dem
Pabst und seinen Pfaffen ausgehen, und fandt vil narrete Ro-
maner die kauffeten und kochten das Beste der Welt, auf des
Kaysers Kriegsvolk, so das in Rom kemb, das sie Inen Ehr
erbietten mechten, vermainten sie mit ainem mall abzurich-
ten, da war jemandts in Rom von oberzelten Nationibus,
der als Kayserisch die wehr wider Ine Kayser oder seiu
Exercito nemben wolt, und so sie schon mit Iren wöhren
auss Forcht auf des Pabsts gebott erschinen, so war es Inen
doch nit umb das Herz, sie hettens auch villweniger im
sinn , das sie alda bestendig bleiben wolten , sonder Iren
haimblichen abzug nemben, so dorfften sich der Franzosen
Partt und anhang in Rom auch nit rieren, und die Ursiner
allain, mit Iren anhang genuegsam gewest weren, des Kaysers
Hoer auss Rom zu behalten, wans schon dreymal so stark
gewest were. Aber die Ursiner und der Franzosen Partt, den
gefiel das Ding haimblichen nit allain woll sonder sie wolten
sich von des Pabsts wegen in kain perieul begeben, noch
vill weniger wider Iren Herrn den Herzogen von Borbon ein-
lassen, und trugen auch für sorge, als weise Leut, sezeten sie
sich wider den Kayser, oder sein Exercito, so wurde des
Kaysers Volk und anhang in der Statt Rom, zu dem Exer-
cito Caesar is hinaus fallen, und Inen in die Statt helffen,
so wurden also die Kayserisch, sie die französischen und Ur-
siner, überfallen und zu tode schlagen. Auss diesen Ursachen
sassen sie stiller, und behuelt ain schwerdt das ander in der
scheiden , auss diesen Ursachen gewan das klain , gering
Kriegsvolck diese Statt Rom, ohn ainichen Widerstandt, aus-
genommen 4 oder 6. Fendle besoldeter Italiener und anderer
Gregorovius : Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Borns. 373
Nation, die dannocht der Pabst in ainer eyll von schneider-
stuelen und andern Handwerkern aufbracht hette, solle man
sich aber gewört haben, nach ernst und von Herzen, das Volk,
das sich zue Rom wider Iren willen von allen Nationibus und
Romanern mustern haben lassen pro forma davon war-
lichen weit über 50000 waren, und mit so köstlichem schön
Harnisch, wehren und andern Dingen, sie hetten des Kaysers
Volck aus Rom behalten, wan sie zehenmal so stark gewest
weren, aber das vertieret die narreten Romaner, das sie ver-
mainten das spill würdt nur ob dem Pabst und seinen Pfaffen
aussgehen, und wereten sie nicht nit, dan was sie forcht
und ehrenhalber thuen muesten.
Und Hessen also des Kaysers Exercito Rom gewinneü,
am 6. tag May, im 1527. Jar, und da der Exercitus in Rom
kam, wiettet, dobt, und hette in der gerechten Handt sein
wehr, in der andern ein stuck Brott, das sie vor den
Beckerleden oder in Iren häussern im einfall genomben
hetten , das assen sie im Lauffen, wie das wiettig, hungerig
gestorben Vieh, da luffen die Romaner eines Theyls auss
Iren Heusern herauss undter sie auf die gassen und zeigten
sich für guett Kayserisch an, und dancketen Gott dem hern,
das ainmal die stundt kommen were, das sie von dem Pfaffen
dem Pabst erlediget wurden, und sie batten sy, sie sollen in
Ire heuser hinein gehen, da wer Inen essen und trinken, Pett,
gewandt und Fusswasser zuegericht, auss rechter inbrünstiger
Lieb und charitet, denen sies von Herzen gunneten, und
vermainten die Romani der geyzige, hochtragendt Spagnol
und Kriegsman der solle sich mit der suppen benuegen
lassen.
Aber da der Spagnol Inen genueg geessen und getrunken
hatte, da tractieret er den narreten Romaner nach seiner ver-
dienstnus, und namb her des Romaner weib, kinder und töchter,
und wolt ain weil seines gefallens auf den weissen unterge-
legten Leilachen mit Inen scherzen und kurz willen. Er saget,
374 Sitzung der hist. Clause vom L Dezember 1877.
Haussherr, gib uns als des Kaisers gethreueu Dienern gellt
her, als eiu guetter Kayserischer man, damit wir mit den
schönen Mädeln triumphieren künden, dan der Kayser ist
uns sovil schuldig, leihe uus diewill dar, Ir. Majt. würdt
dirs schon wider geben. Da der Romaner das hörte, sähe
und erfuer, da gedacht er erst an der lezt und zue spatt an
sein begangene Thorheit, und da das spill an den armen ver-
thanen Pfaffen nit ausgehen wollte , sonder über sie reiche
Wucherer, und hetten es gern wider rem ediert, aber es war
Inen unmöglich und zue spatt, und wolten erst anfahen dem
Spagnoli und Kriegsvolck vill predigen, ob sie solches als
guette Kayserische gewertig sein solten, das wer ye un-
billich, da saget das Kriegsvolk, du falscher Laur, gib gellt
her, oder wir wollen dich bey den Hoden aufhengen, es ist
erlogen das du guett Kayserisch bist, dan werst du's so
wehrtest du dich nit uns seiner Maj. gethreuen Dienern
so vill Monat soldt darzuleihen, wir wollen ainmall gelt
haben, nit allein von dir sondern vom Kayser selbst, so er
da wer, und namben die Romaner mit Iren weibern, kindern
und töchtern, und gingen Ires gefallens mit Inen umb, schezten,
prannten und marterten sie so lange und so vill , biss sie
Inen all Ir vermögen gaben, und plünderten sie, fuerten Inen
weib und kündt hin weck, erwürgten und erstachen sie, da
war all ding frey und preiss, biss an den 13. tag, und das
war böss und erbärmlich, so sich jezt ainer von ainem gelöset
hette, so lauft er von Im, so kombt ein ander Kriegsman
an In, und schezt In von neuem, also das offt ainer nur 10 mal
gefangen und geschezt ist worden, und wan er an der lezt
nichts mehr gehabt hat, so haben sie Ine erstochen, oder
da sy es ainem nit glauben haben wollen, so haben sie ainen
so lang gemarttert, biss er Inen in den Hendten gestorben
ist, dan kein threuen und glauben bey diesem Kriegsman nit
war. Aber het mir Pabst Clement allein gevolgt, so wer
es zue dem Jamer und nott gar nit komen, dan wie man am
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Borns. 375
6. May, das war am Montag Rom Überzug mit dem Sturm,
da war Ich am 5. tag das war am Soutag nach essen bei
Ir. Heyl. als ein geforderter, da sahen wir in des Pabst
Camer, hindter dem Belvidere bey des Medici Palast
oder Lustgarten*) den Vorzug oder anteguardia auf die
Wisen herab ziehen, das Lager schlagen an die Tyber, da
fragt mich der Pabst, was mich guett ged unket, da ant-
wortet Ich Ime mit kurzen wortten, das er sich mit Inen
vertruege, und zufrieden stellet, dan sie kernen an ein heimb-
lichen Verstandt daher nit, und wären sie so keck, das sie Ir
Heyligkeit so truzlich undter äugen und für die Statt sich
belegerten, so wurden sie solch Ir manlichaitt unversehener
Ding erzaigen wollen, und wurden so truzlich sein, auf die
heinibliche Verstandt und Vertröstung, das sie die Statt un-
versehener Ding mit dem stürm anlaufFen wurden, so het
sein Heyligk. kein Kriegsvolk oder yemandts in der Statt,
darauf sie Ir Heyligk. vertrösten dörffen, Es wer eytell
genöt Volk zu der gegen wehr, und weren nit allein der
partt verwant, sonder auch unerfaren Handtwerksleut, die
da der Kugel urab die Ohren nit gewohnt hetten, und so baldt
sie die hören wurden, so wurden sie all Ire wehren fallen
lassen, und darvori fliehen, so wurde Ir Heyligk. verkürzt
werden, darumb wer besser, sie Hesse sich iu ein Vertrag
mit Inen ein. Da antwort mir der Pabst, wer zu Iuen
reitten wollt, ob ich der sein wollt, da sagt Ich ja, Ich
were zufryden, so Ir Heyligk. mir drey Ding thuen wolten,
da fragt Ir Heyligk. was das wer, da antworttet Ich Ir
Heil., das erst wer das sie mir warhafft anzeiget den anfang
biss an das endt, was sich zwischen Ime Pabst und dem
Borbon und ganz exe r cito bis auf die stundt verloffen
hette, oder was zwischen Inen gehandelt war worden,
Das ander, was Ir Heyligk. entschlossen were, für c o n -
*) Die heutige Villa Madama.
376 Sitzung der hüt. Classe vom 1. Dezember 1877.
di tiones mit Inen ein zu gehen, und was gestallt sie ein
concordj mit Inen annemben wolt,
Zum dritten, wie und was gestalt sie mich versichern
wolt, was und Ich dem Exercito in namen Ir Heyl. für
schlüge, das es von Ir. Heyl. also verzogen solt werden,
an ainiherley mangel oder feien.
Darauf sagt mir der Papst mein fürschlag gefuell Im,
und er wolt sich darauf bedenken, und Ich solt heimgehen und
daheim belaiben, und kain tridt auss dem Haus gehen, damit
so sein Heyligk. nach mir schicket das man mich daheim
fendt, und gab mir drey seiner Edelleut (oder palphornieri*)
genannt, die ain Pabst tragen und auf sein Leib wartten)
zue, das sie mein Herberg lernten, damit so man mich
eulents haben wolt , das sie mich wisten zu fünden , Ich
gang haim, und blib mit schwerem herzen daheim, dan Ich
allen apparat und Kriegsrüstung und gegen wehr gern gesehen
hette, Aber Ich muest Ir Heyligk. gebott gehorsamb sein, und
verlur den ganzen Suntag den tag dahaim mit wartten,
doch stige Ich auf das Dach und in einen Turn umbs hauss,
darin Ich über Rom sehen möcbt in die Weit, des Kaisers
Kriegsvolk an zu ziehen, aber mein wartten war umbsunst,
und der Pabst wolt sich im Palast Sti.Petri nit mehr ver-
trauen, sonder gieng, umb Vesperzeit auf der Mauer in das
Castell**;, da blib er also. Zue morgens am Montag 6. May
vor tags, da ristet sich des Kaisers Volk zum scherz, mit
Iren Laittern und wehren Rom zu besteigen und zu gewinnen
als dan geschähe, und fuel ain Nebel an, der weret vast
biss umb 7 Uhr, das Ir glick war, und Inen den Victor j in
die Handt gab, das die Burgo St. Petri erobert wardt,
darauf sie rhueten von 7 Uhr an, bis gehn Vesper Zeit,
*) Palafrenieri.
**) Der Papst begab sich ins Castell erst nachdem die Leonina am
Morgen des 6. Mai erstürmt worden war, wie das Paul Jovius, sein
Begleiter, erzählt hat.
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Borns. 377
da fiengen sie den sturmb widerumb an baiSan Spirito.
Noch dannocht warttet Ich stets im hauss, wan Ir Heyligk.
nach mir schicket, aber der Pabst vermeinet nit das sie
Rom so liederlichen und bald gewünnen solten, dan er hat
wider in der Statt ain 5. 6. oder 7. Vendlen welsch Soldaten
gelegt, so hat er signor Lorenzo de Nucera*) und sein
Sun signor Paulo, dergleichen signor Horacio de
Balnionibus, als Obriste Haubtleut in der Statt Rom
etwan mit ain 4. pferdten (sie!)**) aufs maist, die ritten stets
hin und wider, das gebotten Volk an Maurn und allethalber
zu der wehr an zu stellen, welche Obristen das aller nöttig
ist nit versehen hatten, das sie an jeder Prucken über die
Tyber ain schwipbogen abprochen hetten oder eingeworffen,
so hetten sie so bald nit über die Tyber, und in die Statt
kommen künden, hetten auf das wenigist ain tag zwey oder
3. sich umb die Prucken muessen schlahen, darwill weren
sie nit allain zue huuger gestorben auss der grossen oben-
gezaigten noth, sondern auch es wer Inen vill gedachte
Liga , der Duca de Urbino mit dem mechtigen e x e r -
cito auf den Hals gewest, das sie wed-er für sich noch
hinder sich kund hetten, wie dan derselbig Duca am dritten
tag, das ist auf den 9. May***) mit allem sein ex er cito
zu Ysola das ist bey 2 teutsche meil vor Rom ankamb,
und alda etlich wenig tag läge, und von stund an ohn alle Ur-
sach wider abzug, und lüess den Pabst im Bad sitzen, und dass
war ain Ursach, das der Pabst sich so liederlich nit geben
wolt, das er sich auf den Duca de Urbino vertröst, und
verluesse sich Ir Heiligk. umbsunst.
*) Lorenzo oder Renzo von Ceri.
**) Es ist wol Pendlen zu lesen.
***) Der Herzog von Urbino traf erst am 22. Mai mit der gesammten
Bundesarmee zu Isola ein. Eine Zählung ergab 15000 Mann Infanterie.
Er zog von Isola wieder ab, am 2. Juni.
[1877. I. Philos.-philol. 4.] 26
378 Sitzung der Jäst. Classe vom 1. Dezember 1877.
Nun umb Vesperzeit, da schicketen die Romaner und
Senato zue mir, und zuvorderist zue dem Durchleuchtigen,
Hochgeborenen fürsten und Herrn Marggraf Gumprecht von
Brandenburg, der ain junger fürst was von 18. oder 19.
Jaren ungeferlich, und luessen uns beyde bitten, das wir zue
Inen in das Capitoli körnen wolten, da wolten sie sich mit
uns beratschlagen, wie der Sachen zu thuen were, sie wolten
sich vill lieber vertragen und etwas geben, damit derExer-
citus ohn schaden hinweck zuge, Ich wolt nit kommen, sondern
des Pabstes erwarten, da schicketen die Romaner zwaimal nach
mir, und der jung Margraf, die liessen mich so hoch bitten,
das und Ich in dieser Irer nott zu willen wurdt, Also sass
Ich auf mein gaul und ritte zue Inen in das Capitoli den
Margrafen zu fünden, da beratschluegen sie sich mit ein-
ander biss schier 6 Uhr was gehn Nacht, und beschlussen,
das die obristen Conservatores der Statt, mit sambt
hochgedachtem Margraffen und mir, hinauss solten reitten in
Exercito mit unsern Trumettern, zu den teutschen und
Obristen, dan Borbon war zuvor umbkommen, und solten
von Inen versten, ob man mit Inen zue ainem verstandt
komen mecht, und wie wir im Capitoli ausritten, da hets
schon 6 geschlagen, und nahet gegen 7 Uhr gehn Nacht, und
ritten ob hundert Pferdten mit uns, dan vill leut sich an-
hencketen, als die fürwizigen Welschen, die in kain Ding
kain mass halten, die wolten hinauss in Exercito zue
sehen, wie es da aussen zuegieng, und hetten bei 4 Trumettern
die ritten voran, und die Conservatorj auf sie, der Herr
Margraf und Ich ritten hindten nach, zu reden und disputieren,
wie sie für zue bringen und anzugreifen were, damit wiers
woll aussrichteten. Da wir auf den Ponte Sisto kamen,
da handleten meine ehe gemelten Italianer ohn alle Ord-
nuug voran, und wie sie auf halbe Prucken kamen, da prach
der ganz kayserisch Exercitus gegen uns daher, und er-
stachen und erschlugen wen sie ansichtig waren, da namben
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Borns. 379
sie auf der gassen yemandts nit gefangen, alle weit muest
sterben, das sähe ich nur, und warf mein gaul umb, und saget
gegen den frumen jungen fürsten, mir nach, haimwarz
zue hauss an unser sicherhait, da ist nit zeit mehr zu
reden, wir werden kain E x e r c i t o nit auf halten, es ist umb-
sunst und verloren, sonder werden erschlagen wie die andern,
und bracht den Margraffen haimb in sein hauss, und kundten
nit abstehen, noch die haussthir so schnei zuethuen, der
ganz hauffen trucket hernach, da war das hauen, stechen
und erwirgen, von Allen, Waib und Kindern das zu erbarmen
war, und vill erschrecklicher zue sehen, dan da muest alles
sterben was auf der gassen gefanden war dt, es war gleich
jung oder alt, waib, man, pfaf oder Münch, da galts alles
gleich, auch was mit uns ridt, und vor unss auf die
Prucken kam, das wardt alles erschlagen. Und waiss das
auf dieselb Nacht auf der gassen und in den häusern hin
und wider erschlagen wurden, mehr dan 15. biss in die
20000 Man.
Nun am 7. tag Maij, da fing man an am Morgen vor
tags, auch in die Nacht, die gewaltigen Cardinalsheusser und
andre gewaltige Pal lacio zue stürmen, zu plündern, auch
das Castel zue belegern und zue untergraben, also das sich der
Pabst aller seiner hofnung bloss fandt, dass er am 21. tag
seiner Belegerung*) auss gemelten Ursachen aufgeben thet
mit anhangenden Pacten und condicionibus und von den
dreyen Nationibus die Obristen Irer haubtleut in das Castell
verordneten mit drayen Vendlen. Aber unsere Teutschen wol-
ten beim Wein und nit im Castell sizen, das sie den Spaniern
die Ehr allein verluessen, unser Nation zue Spott und schaden,
und da das Castell offen war, und man anfieng zue handeln, da
bedarffte der Pabst und Teutschen aines Interprete der
*) Die Rechnung ist irrig, da die Capitulation des Papstes am
5. Juni abgeschlossen wurde.
26*
380 Sitzung der hist. Clunae vom 1. Dezember 1877.
alle Ding dolmetschet, da fuel der Pabst und Landsknecht
auf mich, mir unwisset, und wardt auch zue solchen schweren
Officio als ain ungeübter solcher hendel dahin getrun gen,
das Ich solch schwer und geferlich Sachen über main willen an-
neiuben muest, Ich habs auch dermassen verriebt Gott sey Lob
und Dank, das ich nit weniger Dank und Remuneracion
von den Kayserischen gehabt habe, als von den Päbstischen
oder Pabste, dan Ich meine Sachen allemal frey rundt aus-
richtet, und gabs nachmalen Inen zu bedenken , die es an-
traffe , was man mir zuvor Antwort gäbe, das brachte Ich
auch an sein gehöriges ortt. Also hast du ain Under-
richt, warumb mir der Pabst offt ein mehreres klagt het,
dan ainem andern, oder warumb Ich mit seiner Heiligk. so
vil gemainschafft gehabt habe, und ohne rhomswais zu
reden, Ich hab offt des tags ain 10. oder 13. mall und mehr
dan mir lieb gewesen ist, bei seiner Hlg. der fürfallenden
geschefft halben sein müssen , dan Ich ob den 6. ganzer
Monaten all Kriegshendel zwischen dem Pabst, dem Kaiser und
andern Nationibus et potentatibus verrichten hab muessen
Die arglistigen Spanier die richten stets unser teutsch
Pfliegsamseln an, die da nichts andres singen künden, dan
gellt gelt, und was man Inen sang und saget, so wars alles
nichts nit, sonder da wolten sie schlecht gelt gelt, es namben
es die kayserischen Räth gleich wo sie wolten, und fiengen
an alles das Übel zue thun, und vil ärgeres als der Türk
selbst gethan hette, und kam ein grosser unerhörter grausamer
sterben in Rom, und under sie, das des tags an der schel-
mischen Pestilenz ob den 3. u 500. Person stürben. Also
handelt der Pabst so vil mit des Kaysers Räthen und Regenten,
das der Exercitus auss Rom ziehen solt, damit man
widerumb practicieren mecht das man gelt kundt machen,
so wolt sein Heiligk. etlich Stett und Flecken dem Exercito
einantwortten, darin sollen sie dieweil ligen, Ires nuz und
gefallens, so lang biss der Papst sie gar bezalet, und soll auch
Gregorocius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung BomsJ 381
sein Hlg. und das Castell zu Rom dieweil biss zue volkombner
Bezalung verwaret werden von den kayserischen zu Ir
Sicherheit, Und wardt Inen den [Landsknechten und Spaniern
Narnia eingeben, mit sambt Irem Landt, Stetten und
Flecken.
Nun wie der kayserisch Exercitus mit sambt des
Pabst Commissarien hinauss zugen, und die Stett und Landt
ainnemben wolten, damit Rom von peste uud andrer im-
mundicia rain und practicabilis werden mecht, da luess man
Haubtman Wendel von Meyer da, mit ainem fendel knecht,
das sie auf den Pabst und das Castel warten sollen, mit sambt
den andern Nationibus verordnetner Haubtleut und Kriegsvolk,
und zug der ganz hell hauffen auf Narnia zue, ist etwan un-
geferlich bey 10. teutsch mail, ligt die Statt an ainem fei-
siegen Berg hinan, und au der andern seitten da rindt der
bess wittend fluss oder wasser Narnia*), also das die Statt
von natur stark ist, und gar seer bese Pueben alda sein, und
so gross franzosen und Kaiser feindt, als in ganz Italia nit
sein , vast alles Kriegsvolk. Da sie das erfueren die von
Narnia, da mache ten sie Ir Statt mit Pollwerk und andrer
Kriegsrüstung stark, und besezten die Statt mit 13. oder 14.
fendl welscher guetter Soldaten, und da der Ex ercitus Ca e-
saris kamb, da wolten sies schlecht nit einlassen, und
stelten sich zur wehr, also dass des Kaysers Exercitus
die Statt mit gewalt gewinnen muesst, und muessten sie stirmen
durch vorgenandten besen schnellen fluss Narnia, und verluren
3 stürm daran, am viertten da eroberten sies mit gewalt,
und erstachen frau und man, künder und alt, u was sie fanden
plünderten, zehörtens und verprenntens jämerlichen, wie man
es dan auf den heutigen tag siht, und blib der Exercitus
daselbst und im Landt ligen, zu losirenad di scr eti onem,
id est sine discretione etwas bei 6 wochen**) da wolt
*) Narni wurde am 17. Juli erstürmt. Der Fluss ist die Nera.
**) Rückkehr der Landsknechte nach Rom am 25. Septbr.
382 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 1877.
kain gellt nit komben , und erschien stez ain Zill über das
andere, an Bezalung, da war der Exercitus anf im Sep-
tember, und zug aller mit einander in Rom umb Ir bezalung,
und namben alle heuser und pallaci ein, und wollten da essen,
trinken und das beste von den Romanern und meniglichen urnb-
sonst haben, und wolten darzue nit bei der magt, sonder bei
der Patrona und Dochter schlaffen, und thaten alles das sie
thuen und erdenken kundten, mit Prandt, schezen, rauben,
stellen und vergewaltigen, mit sambt allen besen stucken, da
war kain Regament, straf oder Ordnung nit, da thet alle weit
was ainer wolt, da dorffte Im kain Obrister oder Haubtman
nicht darein reden. Nun Ich und andere Verordnete, handleten
so vil mit dem Pabst, das er mit Rom und dem armen Volck
ein erbärmnuss haben wolt, und weg und mittel erdenckten, das
sie bezalt wurden, und Rom von der tirannide erleset wurde,
das der guett Pabst dahin bewegt wurde, all sein Silbergeschirr
und aller Prelaten im Castello mit sambt Sant Peters R e 1 i -
quia zerprechen und zerschlagen wardt, und wardt Angelo
schaur aim teutschen verdorben henselin und teutschen feindt
geben, der verstandt sich aufs minzen, und war auch Minz-
meister in Rom gewesen, der wardt auf dissmal der massen
wider reich, dan der Pabst gab Ime alles vergüldts silber,
für schlechts Pruchsilber , da schlug er grob rauche Pla-
gauner auss, da ainer ain Kronen 2. oder 3 gelten seins
gefallens, da redt Ime yemandts nicht daran ein, Er schaidet
das golt davon, und thet darnach dem guetten silber mit
anderer Betruegerei sein Zusaz, also das er zwiefachen gewin
hette, auch dasselbigmal sovil gewan, das er in ainem Jar,
darnach er mit sambt denen im Hof, dem Vicere zue Nea-
polis ob den 40. oder 50000 Cronen liehe, auf den Ver-
kauf? des Soffran zue Neapolis, auch die am Hof Ime 'ein
Pässlen zue aim waib gaben, wie er sich aber mit Ir gehalten
hett, das waiss niemandts bess dan sie, und Ire freundtschaft,
dan sie wolt sein nit mehr, und muest zue Nürnberg hin weck,
1
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Borns. 383
karub wider gehn Neapolis in armuet, da ist er in der ge-
fenkniss gestorben, das war sein rechter Lohn nnd ende*).
Nun man machet sovil gelts mit aller marter, das man
zwey monat soldt zusamen bracht, damit man doch die un-
fletter ain wenig stillen mechte, die gab man Inen, nnd der
Pabst sagt Inen zue, in Monatsfristen oder 6. wochen den
ganzen rest zu bezalen, darnmb wolt er Tnen bürgen sezen
und geben, wo ers nit zalt, das Diselbigen zalen solten, die
dan umb 3. oder viermall sovil genuegsam waren. Sollich
Concordj namen die Landtsknecht an, und waren fro, dan in
Rom dorfften sie nicht zeren, sonder da muesten Inen die
Romaner und Ir Haussherr für sie alle notturfft geben, es
kostet was es wolt, so muest es da sein, oder der Haussherr
dorft sich nit sehen lassen, und alles unglicks gewerttig sein,
und hat offt ain Romaner ain tag in den andern, 10. 20 biss
in die 30 Cronen aussgeben, zu Unterhaltung der bestia mit
seiner fresserei und Ladtschafft, das er stettigs vermeindt,
dass wesen würde nit lang weren, so wolt er Inen von
aines klain wegen nit waib und kindt behendigen lassen, eher
henget ainer immer daran, mit der hofnung das bald ain
endt nemben wurdt, biss er gar verdarbe, und sein guett
zehenmal wol leichter khaufft hette, dan das er diesen un-
christlichen und unglaublichen Unkosten thuen solt, zu er-
halten der truncken Bestia fresserei und gasterei, die da vast
bei 10 ganzen Monat weret, und galt das schaff Korn 32
Cronen. Nun sie nainben mit dem Pabst die Concordj der
Bezalung halber an, und schlembten und dembten darauf, da
stellet Inen der Pabst diese 6. Bürgen zue, Johan Matheo
Erzb. zue Bern oder Verona **), Johan Maria Erzb. Sipon-
*) Weder Reissner noch Benvenuto Cellini melden etwas von
diesem deutschen Münzmeister. Reissner sagt bei dieser Gelegenheit:
Es waren die Müfitzmeister und Eysenschneider Bapsts Diener, und betten
keinen Probierer, auffzieher noch Wardein, machten also falsche Müntz.
**) Giammatteo Giberti, Datar.
384 Sitzung der hüt. Classe vom 1. Dezember 1877.
tinus, das ist der jetzig Pabst Julius der III., Anthonius
Puzius den man nennet den Bisch, von Pistoja, und den Erzb.
von Pisa, des Cardinais Rudolfo Brüdern, Jacob Salviati ders
Pabsts Clemente Schwester zue aim waib hette, ain überauss
reicher Florentiner Kaufman , auss des Mundts Ich " zum
offtermalen gehört habe, das er saget, er hette zum dicker-
malen mit dem Könige von Frankreich ain Wechsel getroffen,
umb ain Million gelts. Nun wie die Landsknecht zue friden
waren , diese obgemelten Bürgen anzuenemben umb den
Rest, der da etwan bei zweimall hundert tausend Cronen
war und nit mehr, da huelten sie zue Rom auf dem Platz
compo flor genandt gemain, und verordneten mich hinein
zum Pabst in das Castell zu gehen, das Ich dise Bürgen
in namen Ir, von Im Pabst annembe, und zu Inen herauss
auf den Plaz fieret, und gaben mir zue Haubtman Diepoldt
Heften und Sebastian Schertell mit sambt bei 200. woll gerister
Doppelsölder, die sollen Inen gesellschafft thun, und herauss
belaiten in den kraiss. Und wie Ich in das Castell kam
hinauf in den grossen Sali, und da gieng der Pabst auss
seiner Camer gegen mir herauss mit seinen Cardinelen und
Prelatten, und fragte mich was ich wolt, da antwortte Ich Ir
Hlg. die Landtsknecht weren auf den Plaz Campo di flor
versambelt und hielten alda gemain, hetten mich zue Ir Hlgk.
geschickt mit sambt gegen wertigen Haubtleuten und Doppel -
soldenern Ir Hlgk. anzuzeigen, dass sie mit den Bürgen
zue friden weren und wollten die annemben, und Ir Hlgk soll
mirs überantwortten, so wolt Ichs mitsambt denen Haubt-
leuten und doppelsoldnern hinauss zum hauffen belaitten, und
den gemain in Ir ver warung überantwortten. Da saget der
Pabst mit wainenden äugen, da stehen sie, nemt sie mit
Euch hin, und lasst Euchs befohlen sein, und will Euch nit
allein die Bürgen geben, sonder unser aigen Person dar zue,
und erbutte sich mit unss zue gehen, und gieng woll 3. oder
4. tritt mit unss für sich, da batte Ich und die Haubtleut
Gregorovius: FAn deutscher Bericht üb. d. Eroberung Borns. 385
sein Hlgk. das er solle stiller stehen, und alda belaiben, wir
dorfften In nit mit unss neraben, wir hetten des kein be-
felch , wurden es aucb nit thuen. Da gieng er über den
grossen Sali mit unss biss zue der thir, das er stettigs
wainet wie ain jung kindt, und bitten thet, das wir In mit
unss nemben wolten*), das wir ohn underlass stettigs ab-
schluegen, und mit den Bürgen für druckten, das wir von
seiner Hlgk. kommen mecbten, dan dieweil die Landtsknecht
auss dem schloss waren, und Spagnoli das allein inhielten, da
vertrauet er sich gegen Spagnoli gar nichts nit, und truege
sorg, das sie bei der nacht etwan haimblich ain schiff für
das Castell kommen macheten, und das sie Ine durch die
haimbliche thir die auf die Tyber gieng in ain schiff setzen
wurden, und mit Im gehn Neapolis oder Hispania zue fahren
möchten, das er nit mehr ans tags Licht kämbe, darumb
war er gern auss der Spanier handt gewest, und sonderbar des
signors Largons**), der ain alter erfahrner listiger Kriegs-
man wass, und auf den Pabst gericht und geschmizt, welches
er sich bei den Landtsknechten nit besorgen hett dörffen,
darumb hast du oben anfencklich von mir vernomben, das
sein Hlgk. sehr übel zuefriden war, das die teutschen das
schloss dermassen vermessen, und sich umb (ihn) nicht nit an-
nemben wolten.
Also namben wir die obgenauteu P argen und fierten sie
hinauf in den ring und in die gemain, da Überantwortteten
wir Inen die, da waren Ire verordnete, die sprachen wir
zue, und huelten wir etlich Artiel für, und ob sie für den Pabst
pirg und selbst Schuldner sein wolten, das soll ich Inen sagen,
*) Mas al sacarlos de poder de su santitad y de los Cardenales de
la sala donde estaban , hubo tantos llantos y grita que parecie que se
htmdie el mundo, diciendo Su Santidad que queria tambien ir en poder
de los alemanes . . . Perez an den Kaiser, Rom 12 Oct. 1527. bei Villa
S 289.
**) Alarcon.
386 Sitzung der Jiist. Clai.sc vom 1. Dezember 1877.
und Ir antwort von Inen begeren und Inen den Landtsknechten
wider in terpreti ern , das tliat Ich wie mir befolchen
war, da antworteten dieselben herren Pirgen, Ja sie wollten
pirgen und Schuldner sein, darauf wolt die gemain mir die
überantwortten und zue verwaren befelchen, die Ich nit an-
nemben wolt, dan es mir als aim C om issarj und von Adel
nit zuestuendt, da beschlussen sie, man soll die geisslen
fieren in die Canzlei, das ist der gross Pallast in Rom, das
der Card. Sangiorgi gebaut hatt, das man iezt nendt in
der Canzley oder zue S. Lorenzo in damaso, derselbig
Pallast, der wass Julii Cardinalis de Collonia*), der
was zue selben Zeit Vice Cancellarius sed. ap., ain
sehr trefflicher dapferer und geschickter man, grosser kunst-
erfarnus, und hohen verstandts, ein sehr kaiserischer reicher
Cardinal, und der des Kaysers halben sich im Collegio gegen
den Pabst sezet, und schlecht nit in die gemelt Bündnuss be-
willigen wolt, und protestirt wider den Pabst und das Collegi,
und zug zuem thor auss haimb in sein Landt der Colloneser
da fordert In der Pabst, da wolt er nit komen, da priviert
In der Pabst des Cardinais huet, und kamen aneinander der
Pabst und die Colloneser super iniuriis, das der Pabst
4000 Schweizer wider sie komen Hesse, zu sambt obge-
melten schwarzen Pannern oder Vendlen, und ain Exer cit um
wider sie von 15. biss in die 20000 stark, und fuel den
Collonesern in das Landt, zu verderben umb Frisolona, biss
der Niderlen der Mineaval Vicere zue Neapolis zwischen
Ime Pabst, Kayser und Colloneser ain fridt machet, und als
yeder thail sein Kriegs volck Urlauben solt, wie dan geschähe,
dass dem Pabst nachmals zue merklichem spott und schaden
•) Es ist bedenklich , dass Gumppenberg selbst der Namen des be-
rühmten Cardinais Pompeo entschwunden war. Der schöne von Bramante
errichtete Palast der Cancellaria, welchen diesem Colonna Clemens VII.
als Lohn für seine Wahlstimme im Concia ve gegeben hatte , war ur-
sprünglich von ßafael Riario, Card. v. S. Georg erbaut worden.
Grcgorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Roms. 387
kamb, das er über des Vice res gebnen glauben und thrauen
vom Duca de Borbon dermassen unbillicher waiss über-
zogen, gescbezt und gefangen wardt, dem Kayser unwissent,
das aber war ist, so baldts sein Maj. in Hispania erfuer,
da wardt sie übel zufrieden, und unmuetig, und wolt in vil tagen
yemandts nit zue Ir lassen, luesse alle topezeria an den
wenden in Iren gemechen abreissen, und schwarze klagtüeher
aufschlagen, und schicket von stundan Iren Beichtvatter gehn
Rom, den Pabst zu klagen und Ine zu entschuldigen mit
ernstlichem Befelch an seine Obristen Haubtleut und Regenten
des Exercito, das und sie den Pabst ledig luessen und
zögen auss Rom, darauf wardt derselbig franciscaner Münch
oder Confessor Caesaris vom Pabst zue einem Cardinal
gemacht, und genandt Card. St ae Cru eis , und ist der, der da
der Pfaffen gebett geendert und verkert oder gebessert hat, das
man nendt Breviarium Card. S. Crucis iuxta con-
suetudinem Rom. Curiae*).
Da legt man dieselben Pirgen in desselben Cardinais
Colonna Palast, in zwo Camern, die hetten kain fenster nit,
und ain Porten allain, und zwey starke vergitterte fenster mit
einfallenden Liechtern, darin solten sie alle 6 geissler essen
und schlafen, und lagen Inen allemal tag und nacht ain fendl
knecht vor der Thier wachend, und gaben Inen ain dolmetscher
zue, der hiess Haussman, der was von schlegstett, und was in
des Papsts Guardi gewest im einfall zue Rom, aber davon
kommen, das er nit erschlagen wardt, aber Ir Haubtman
Mock der wardt erschlagen mit vast allen Schweizern, über
den sein haussfrau fuel zu retten und die Landtsknecht zue
bitten umb Ires maus Leben, das er zue aim gefangnen auf-
genomben mecht werden, aber da wass von den Lands-
*) Francesco Quinonez, wurde Cardinal erst am 7. Dec. 1527. Die
Angabe Gumppenbergs von der.» Eile des Kaisers, sich beim Pabst zu
entschuldigen, ist ganz irrig.
388 Sitzung der hist. Llasse vom 1. Dezember 1877.
knechten kain gehör nit, stachen und haueten in In, biss er
zue stücken fuel, und haueten seiner ehrlichen haussfrauen
bayd hend ab, die sie furwarff, Irem Man die straich auf-
zuhalten.
Nun die guetten frumben geissler die waren da verwart,
und der ehegedacht Card. Colonna, der kam hinein gehn Koni
in sein pallast, u n angesehen , das der Pabst Ine priviert
het seines huets, und sein todfaindt wass, und thet den geisslern
alle ehr in seinem hauss, thet In allen Unkossten der speiss
ab, und tractirte sie nach allem seinem Vermügeu, nach ge-
stalt der zeit. Nun Zill und Zeit kamb, das man zalen solt,
da war kain gellt nit, die geissler namben aussred, begerten
erströckung acht tag, die waren beim gemainen unsinnigen
tollen vollen man erlangt mit aller marter. Dieselben 8 tag
erschienen auch ohne Zalung, da begerten sie aber 8 tag,
die wurden Inen schwerlich geben mit grossem Unlust und
gefahr der haubtleut und doppelsoldner, darüber der unsinnig
Landtsknecht schrie von wegen solcher verlengerung der
Bezalung, aber dieselben 8 tag erschienen ohne frucht, wie
die ersten 3 Termine, darob sich der gemain man ganz
erzirnet, und unsinnig ward, lueffen zusammen mit Iren
wehren auf den Platz, und holeten die hauptleut mit gewalt
zue der gemain, und schicketen nach dem Haubtman, der den-
selben tag die geissler verwaret, das er mit aufgeregtem
fendl die geissler zne Inen in die gemain und in offnen ring
brecht, als dan geschähe. Da man sie bracht da schrien sie
warlich hefftig über sie, der ain wolts an spiessen aufheben,
der ander wolts hencken, der dritt der wolt ain kugl durch
sie schiessen, und erschröcketen die guetten Herrn sehr übel,
das sie sahen wie der bitter todt, und vor forcht nur unib-
fallen wolten, Aber die Haubtleut und vom Adel auch doppel-
soldner redten stettiges das best darzue, ob man den gemain
erlindern mecht. Aber da half es alles nit, entsezten sich
ye lenger, ye mehr, wider die geissler, und huelten die Haubt-
Gregorovius: Ein deutscher Berieht üb. d. Eroberung Borns. 389
leut (in) verdacht, und schickten den Profusen nach den Ketten,
die Geissler daran zu schlagen biss und sie zaleten, also da
der Profoss die Ketten bracht, da schueffe (sie !) der gemein
man, er solle sie alle 6 darein schlagen, da schlueg der
Profoss den Johan de MariaArchiepiscopoSipon-
tino, der yetzt haist Pahst Julius tertius, und Johan
Mathea Giber tus Erzb. zne Bern *), an ain Ketten zue-
samen yeden mit ainer handt, den Anthonio Puzio den
man nennet Bisch, zue Pistoria nachmals Card. Sti.
Quattro genannt wardt, und den Erz. von Pisa an ain
ander Ketten zusammen, des Cardinais Rudolpho Brueder
und Jacob Salviati auch an ain Ketten zusamen**). Da
diss grausam speetacel gesehen wardt, an so grossen alten,
ehrlichen und mechtigen Prelaten, da sagten die gemain man
gegen Irem dolmetscher, Er soll Inen sagen, das sie ge-
dechten und innerhalb 14 tagen zalten, oder aber sie muesten
alle an diesen galgen gehenkt werden, der da gegenwärtig
auf dem Plaz stnend, und schickten die geissler mit dem dol-
metschen und haubtman oder fendlknecht wider zu hauss, mit
betruebtem Herzen, da muessten sie tag und nacht an den
Ketten angeschmiedet sein und bei einander schlaffen. Dise
Tyrannei die weret bei 6 ganzen Wochen, und muesten alle
Ire kleider an der saitten auf geschnitten haben bis an das
Hemmet, damit so sie sich niderlegen wolten, das sies vom
hals herabpringen mechten. Nun da der Termin der Be-
zalung kam da wass gleich woll kain gellt nit da, als das
erst mall, dan das war die ursach, die weil der Pahst im
Castell enthalten war, dergleichen das Castell von Spaniern
ingehabt wardt, da sagten der Kirchen Unterthanen, der
*) So wurde also noch damals Verona von den Deutschen genannt.
**) Y despues traxeron los hostages de dos en dos -- El Datario
y Obispo de Pistoya en una cadena, y los Arcobispos Sepontino y Pisa
en otra, Jacobo Salviati y su yerno en otra — Perez an den Kaiser,
12. Oct. 1527.
390 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 1877.
Pabst wer du frey, darumb wolt sich das Land nit schezen
lassen noch kam heller nit herausgeben, so war kain o be-
dien tia nit da, das sie an der lest woll büessen muesten,
da der Pabst wieder frey wurde , umb Tr ungehorsamkeit.
So wolt kain Kaufman nicht darleihen. Also muest der
Pabst nott und angst leiden bey aller seiner macht. Da nun
ain tag oder zwei über die zeit war der Bezalung, da hetten
die knecht aber ain gemain, schicketen mich und andere zue
den Geisslern ob gelt da wer oder nit, da war leider kains —
(Folgt die Wiederholung der Erzählung von der Bedrohung
der Bürgen) — Doch die Haubtleut theten all ding zue
milt und glimpfen, damit nit handt an sie gelegt wurde, der
von Bembelberg darfft nit zue den unsinnigen Leuten, das
sie Ine in verdacht hetten, er hielts mit den Geisslern, darumb
darffen sie Ime offt des tags durch das hauss lauffen und
alles das was nur darinnen zerprechen, also das sich an der
lest der theure Ritter nit mehr in seinem aignen Losament
finden darfft lassen, sonder muest verstollen in der Spanier
Losament hin und wider liegen*). Nun es war so viel ge-
handelt, das Inen noch andre 8. tag frist geben wardt, die-
selben 8 tag erschienen auch, das gleich so wenig kain gelt
nit da war, als das erst mall, und war das die ursach, die
herren waren gnugsam gewest umb zwo Millionen gelts,
und hettens auch allemal aufbracht in ainem Monat und eher,
wan sie ledig gewest weren.
Aber also wolt sich weder Kaufleut noch yemandts mit
Inen einlassen, das sie sorg truegen, sie kämen zue schaden,
und verluren das Irig darob, so sie sich mit den gefangnen
einluessen , so wolten Ire freundt das auch nit gestatten,
truegen sorg sie würden mit sambt Inen darob verder-
ben , und der Pabst und das Collegium Hesse sie sterben.
*) Los capitanos alemanes han huido de entre su gente y se han
pasado con los espanoles, y los mas dellos estän en la posada de Iuan
de Urbina: Perez an den Kaiser, letzt. Nov. 1527.
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Bovis. 391
Als Ich dan auss des reichen Jacob Salviati mundt
höret, das er mit warnenden äugen sagt, Nun muess Gott
erbarmen, das Ich mein glauben der massen verloren habe,
das Ich ain so schlecht gelt, zwei oder drei mal hundert
tausend Cronen nit aufbringen kan, und so offt dem König
von Frankreich ain Million und anderhalb golts aufpracht, und
in 6. Monaten par bezalt habe, wohiu ist mein thrauen und
glauben jetzt komben.
Nun dieselben 8 tag kamben auch, das die Lanzknecht
bezalt sein wolten, und luffen zuesamen auf den Platz cam-
podiflor und berueffen Ire hauptleut zu Inen, die wolten
nit komen, da lueffen sie in die heuser, und fuerten die haubt-
leut und Venderich mit gewalt und mit blutigen köpfen auf
den plaz, und in den Ring, da wolten sie gelt oder bluett, und
schicketen* abermal zum haubtman, das er Inen die Geissler
in den Ring brecht, da sprachen sie aber Irem dolmetschen
zue, er soll sie fragen , ob gelt da wer oder nit, da waren
sie bewilligt, sie wolten ain Geissler oder zwen henken
lassen, zu erschrocken die andern , und wolten sonderbar die
zwen Layen nemben, als Cardinais Rudolpho Bruedern,
und Jacob Salviati Da thaten dannocht die haubtleut
als ehrlich verstendig Leut, und wolten es nit zuegeben, das
den armen betruebten herrn auf dissmal ain Layd geschehe,
und sezten Ir Leib und guett für sich, sie zueretten, was Jamer
oder nott das war, das hastu zubedenk en, und mit was er-
schrockenen herzen der pabst Julius 3. mit seinen ge-
sellen da stuenden. Da lu essen sie fürtragen, da war kain
gelt, sie wüsten auch kains also gefangner weiss nit zue
bekomen, und all ding wer umbsunst, man solle Inen gleich
thuen wie man wolt, das muesten sie unschuldig leiden,
aber die Lanzknecht solten die zwen Layen, als Cardinais
Rudolpho Brueder, und den Jacob Salviati als Kaufleut ledig
lassen, das sie handeln und wandeln kundten Ires gefallens,
so wolten sie die vier Bischof mit Leib und guet für sie
392 Sitzung der philos.-philol. Classe vom 1. Dezember 1877.
stehen und pirge sein, dan so haldt die zwen ledig weren, so
brachten sie das gelt von stuudan auf, und noch zwaimal so-
vil darzue. Da fueleu die haubtleut den Geisslern zue, u
sagten es wer ain genuegsam ehrlich erbuetten, und wolten das
der gemain solte annemben, dan wisten die 4 Bischof oder
Geissler das nit für gewiss wahr sei, so wurden sie Ir Leib
und Leben so liederlich für die zwen andern nit verpfendten,
und wolten die haubtleut selbst auch pirg werden.
Aber -da wollt der gemain nicht vil davon hören, und
kamen hefftig an die haubtleut, und weret das toben und wietten
lenger dan 5. ganzer stund nach mittag, das man all augen-
blick vermeindt, die haubtleut wurden all auf dem plaz todt
bleiben mitsambt Fendrich und Doppelsoldnern , und da sie
nichts anders haben wolten dan gelt oder bluett und kain
ander mittl nit annemben wolten, da wardt doch an der letzt
von den haubtleuten die Sachen dahin geschlossen, das man die
Geissler wider haimb schicken soll, und das sie in 8 Tagen
gellt auf br echten. Und da was die selben 8 tag der gemain
man nur wildt auf die Haubtleut, die sie weder sehen noch
hören wolten, sonder nur erstechen und erwürgen, mit un-
schuldigem verdacht,sie nemben miett und geschenk undhälffen
den Geisslern hinüber, das aber nit was, sondern die ehr-
lichen Leut bedachten Ir Ehr des Kaisers wolfart und was
args oder guetts darauss entstehen mecht auss solcher er-
schröcklichen Tyrann ey des gemainen mans, das sie 4. Erz-
bischof und 2. so mechtig welsch Kaufleut von des schneden
gellts wegen so schendlichen umbpringen solten.
Nun da die acht tag herzuestreichen wolten, da schickten
mich die Haubtleut und Obristen zuvor zue denselben herrn
Geisslern zue verstehen, ob doch gelt da sein wurde oder
nit, dan sie sahen die Ungeschicklichkeit des groben ge-
mainen Mans, auch die grosse geferlichkeit Leibes und Lebens,
darin sie die herrn Geisslern nit allein stüenden, sondern
auch die haubtleut, und sie truegen war lieh für sorge, das
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Roms. 393
die nechst geniain, die gehalten würdt, Bluett oder gellt
sein wurde, dabei sie ye nit gern sein wolten, und sie betten
sie zum höchsten , das sie allerlei bedenken wolten , damit
doch etwas da were von gellt, wo nit so traueten sie Inen
nit ohne gefahr in die Gemain zue kommen, Darauf sie
nun mir und meinem mitgesandten, die Herrn Geissler zu
antwort gaben, sie hetten kain gellt, und wisten auch kains
aufzuebringen , sie hetten sich Gott dem Allmechtigen be-
fohlen, es gieng Inen darob was gestalt es wolle. Dise
antwort brachten wür den haubtleuten und Obristen, das was
der Herr von Bembelberg , die es warlich mit erschrecken
annamen, die den jamerlichen ausgang der Sachen als weise
leut bedachten, und das nit allein den Herrn Geisslern Leib
und Leben auf diesen tag aufgehen wurde, sondern auch Inen
den hauptleuten Leib und Leben, Ehr und guett , mit sambt
der Rom. Kay. Maj. unsers allergnädigsten Herrn ewige
ungnad. Und kämen sie auf diesen ersten Gemainstag so
wurden sie sehen wider Iren willen an den Herrn Geisslern
tödtliche Handt anlegen, bewilligten sies, so wisten sie woll,
was gefahr Ihnen beim Kaiser darauf stuende, bewilligtens
sie dan nit, so wurden sies mit der Faust und That er-
halten müssen, und all todt auf dem plaz bei einander bleiben
und dannocht nichts fruchtbares für sie erhalten wurde,
sonder das der Rom. Kais. Maj. heller hauffen zue grundt
gieng und darob ganz Italia Landt und Leut verlur, die-
weil der Franzos mit so ainem gewaltigen Hauffen in Ita-
lien ankörnen war, und waren die guetten haubtlent nur
laidig und thraurig, und berathschluegen die Sachen lenger dan
3 tag, an der letzt entschlussen sie sich, sie wolten bey
solchem Jamer nit sein, der Kays. Maj. zue guetten, so ver-
hofften sie dannoch, wan kain Haubtman mit bei Inen
were, das sich der doli unsinnig gemain man so frevent-
lichen unterstehen wurde solcher Tyrannei, sonder das sie
sich vil aines bessern besinnen wurden. Und ungefärlichen
[1877. I. Philos.-philol. Cl. 4] 27
394 Sitzung der hist. Classe vom 1. Dezember 1877.
2 tag zuvor , da sass der Obrister Herr von Bembelberg
mit samt allen haubtleuten auf die Ross, und ritten zum thor
auss, und sagten gegen dem gemainen man, die weil sie Inen
nit volgen wolten, so wolten sie auch nit bei Inen bleiben
Übels helffen zu stiften, und zugen also zum thor auf Bra-
ziano*) zue, ain vast trefliche Befestigung der Ursiner als
in Italia ist, 40 welsch mail von Rom gelegen, in der Herrn
Ursiner Landt, da waren sie zue Ir Sicherheit, das sie der
gemain unsinnig man nit überfallen solt, all ding zu berat-
schlagen, wie dem Kaiser dieser ungezembter Exercitus
mit sambt Landt und Leut und ganz Italia erhalten mecht
werden, auch zu sehen , was sie doch auf den bestimbten
tage der Bezalung mit den Herrn Geisslern in der gemain
anfahen wurden, und waren alle haubt- und Befelchsleute
mit Inen binweck, und da belib yemandts auf erden, dan ich
und Caspar Schwegler, welcher Zallmeister war, und Ich Com-
missari, solten mit Inen handien, dan Caspar Schwegler
mehr an Inen vermocht , dan alle haubtleut einander mit,
und wie der tag der Bezalung komen solt als morgen, da
luffen sie als heut nach essen zuesammen, und hetten nur ain
wiest wesen, da gang Caspar Schwegler ohn mich in hauffen
sie zue geschwaigen, es wer doch der tag noch nit, sonder
erst morgen, warumb sie dan zuesamen lueffen, sie hetten
dessen kain Recht nit, sie sollen auch woll bedenken, wie
ungeschickt sie gehandelt hetten, das sie mit recht weder
gegen Gott noch dem Kaiser verantwortten wurden, darumb
weren Ire Haubtleut von Inen zogen, und batte sie, sy sollen
doch mittel und weg mit den Herrn Geisslern und Pabst an-
nemben mit hilf und rath Ihres Obristen und Haubtleut nach
denen sie schicken sollen.
*) Nach Reissner zogen die Hauptleute nach Rocca di Papa; der
Secretär Perez gibt statt dessen die nah« dabei liegende Abtei Grotta
Ferrata an, und so auch Cäsar Grolierus.
Gregorovius : Ein deutscher Berieht üb. d. Eroberung Roms. 395
Aber nach langer Predigt des Caspar Schwegler , da
erchluegen sie Ime den Kopf voll grosse Löcher mit den
Schiesshaken, u weren nit etlig seine guete Freundt gewesen,
so hetten sie Ime gar erwürgt. Ich wolt nach mittag zue
den trunckenen bestiis in kein ring nit komen , darum
behüelt Ich auch mein köpf ganz, und war doch auf diesen
Abendt die sach gestillet, und biss auf den morgen angestellet,
da aller jamer zu erwartten war.
Nun am morgen, so baldt der tag herfür brache, da
schlueg man umb und gebott aim jeden Landsknecht mit ge-
wertter Hanndt auf den Campof lor zu komben, zwischen
6 u 7 Uhr am morgen, da kamen sie auf den plaz und fiengen
ir ungeschickte weiss an , da sies gestern gelassen hetten,
und da wolten sie schlecht gellt oder bluett uud ain par auss
den Herrn Geisslern henken lassen, und schicketen zue dem
haubtman Hans Weiskopf, der sie dasselbig mal verwachet,
und ain schreier und Pfaffen feindt was, das er die Herrn
Geissler auf den plaz antwortten soll in die Gemain.
Nun wie er an der Camerthir anklopfet, 2. 3. oder 4.
mall, da wolt Ime niemandts nit antwortt geben, also das
er an der letzt die Thir aufbrache, da fand er nit ain mensch
in der Camer , sondern in yedem Pett der zwayen Ketten,
und ain Laitter im Kumich, und das die Herrn Geissler davon
waren, das was ain wüste Rumor, der Haubtman Weisskopf
der muest mitsambt dem ganzen fendel knecht den Zorn
des wiettenden hörs entfliehen, da luffen sie all hinein in
die Camer und Palast, zu sehen wie es war zuegangen, oder
wohin sie komen weren, und weren nur wildt, wolten nur
wider anfangen Rom zu plündern, und das Kindt in Mutter
laib erwürgen.
Und stuenden lenger dan 5 ganzer stundt bei einand
versamblet, wie zue beratschlagen, und des mehren thails
rath war erwürgen, plündern und alles übel zue thun, das
möglich und menschlich were. Aber die Doppelsoldner und die
27*
396 Sitzimg der hist. Classe vom 1. Dezember 1877.
vom Adel die ruethen, sie sollen Ire Haubtleut und Obristen
wider zue Inen berueffen, sie wolten Tuen volgen und alle
gehorsamb laisten, darauf die sach an die letzt geschlossen
ward. Was Gott für Mirakel thet, das seine Göttliche gnadt
solch herrn Geissler zue höhern Dingen brauchen wolt, dan
das die unsinnigen leut Iren hochmuth und Tyrranney mit
Inen threiben solten , wie und man dan yetzt scheinbar-
lichen sieht vor äugen, was hohen Befelch Gott der Herr
disem Julio tertio geben hat, sein Statt in diser Welt
zu erhalten und zu vertreten, darumb behüett Gott die sei-
nigen an der letrt, so er sie zue Zeitten schon etwas laiden
lest. Nun die Ketten oder Armring die waren weit und gross,
und nit für solch zarte Herrn, welche Inen am anfang klain
genueg waren, als sie faist und volkomen waren, von Com-
plexion, aber nachmals da und sie in solche tribulation
kamen, da namen sie am Leib ab , also das Inen die eisen
alle zu gross waren. So sie das befanden, auch das gross
Perikl sahen, und das sie am morgen wider fürgefürt sollen
werden, das sie alles nit mit kleinen schmerzen beherzigten,
und entschlüssen an der Letzt dahin, es weren ye unter zwaien
Besen das besser zu erwehlen der gewiss todt, oder die
gefahr der flucht, und woltens wagen und sehen, ob sie die
selbige Nacht entflüehen m echten , und wie woll Ire zwo
Camer einen aussgang hetten, darvor in der Nacht Ir Dol-
metsch läge, und herraussen nochmals das fendi knecht, das
sie verwacht, das nit möglich was das ain meussele auss
oder ein mecht komen. In Ir Camer was ain Camin, darin
sie feur macheten, dasselbig Camin das gieng in der Mauer
hinauf über das Dach auss, und gang durch etliche andere
staussen (?) oben auf ein Hauss, da niemandts in wohnet,
da luessen sie in derselben staussen oben das Camin haimblich
aufbrechen, und richteten stricklaitern darin, und stige ainer
nach dem andern hinauf in dieselbe öde staussen, und aus
denselben öden gemechen, da waren von stundan pruckchen
Gregorovius: Ein deutscher Bericht üb. d. Eroberung Homs. 397
gemacht in aiu ander ödt hauss, da kamen sie hinauss gehn
S1* Maria de Populo, in der Spagnoli Quartier, da
sassen sie auf guette türckische Pferdt, und ritten eulents
davon, zue unser lieben Frauen de Loretta, dahin sie sich
versprochen hetten, und hälfe Inen Gott und unser liebe Frau
also ohn alles übel davon, das weder der Pfaffenfeindt der
Hauptman Weisskopf, noch der Dolmetsch oder yemandts
auf erden das wenigist gewahr were worden, dan die vollen
seue hetten den ersten schlaf woll und stark gethan, dan die
Herrn Geissler hetten Ine Haubtman dieselbige Nacht zue
gast geladen, und hetten den Landsknechten 2. oder 3 Eimer
wein auf die wacht zue ainem Schlaftrunk geschenkt, darin
war Pilsensamen gesotten, damit sie schlefferig wurden, das
sie nicht hören sollen , als dan geschah. Aber ob dem
Dolmetschen etwas geträumt hette oder nit, Er war am
morgen aufgestanden und haimblich durch das schlisselloch
hinein sehendt, was die herrn Geissler thetten, da hat er
kamen an kainem Pett nit gesehen, noch viel weniger in
der Camer, da hette er Ine gleich gedacht, da müest es nit
recht zugehen, die Herrn Geissler weren darvon*).
Biss hieher und weiter ist es vom Herrn Scribenten
nit continuiert worden.
*) Die Flucht der Geiseln ward unterstützt durch den Cardinal
Colonna, die Spanier und wie Cäsar Grolierus glaubt, auch durch die
deutschen Hauptleute, welche daran verzweifelten, ihr Kriegsvolk bän-
digen zu können, so lange jene Bürgen in seiner Gewalt waren. Die
Flucht geschah am 29. Nov. Hierauf folgte am 8. Dez. Nachts die
fluchtähnliche Abreise des Papsts aus dem Castelf nach Orvieto.
398 Einsendungen con Druckschriften.
Verzeichniss der eingelaufenen Büchergeschenke.
Vom Instituto di Corrispondenza archeologica in Born:
a) Bulletino anno 1876, u. Atlas. 1876. 8.
b) Annali. Tom. 48. 1876. 8.
Von der Academie des sciences in Dijon :
Memoires. Serie III. Tora. 2. 3. Annees 1874—76. 8.
Von der Akademie in Metz:
a) Memoires LVIe annee 1874—75. 1876. 8.
b) Memoires 57e Annee 1875—76. 3 Ser. 5e Annee. Lettres,
Sciences, Arts et Agriculture 1877. 8.
Von der Societe des Antiquaires du Nord in Kopenhagen:
Memoires. Nouv. Serie 1875—76. 1876. 8.
Von der Societe des etudes historiques in Paris:
Llnvestigateur. XLe annee. Mai-Juni 1877. 1877. 8.
Von der finnischen Gesellschaft der Wissenschaften in Helsingfors :
Öfversigt of Finska Vetenskaps-Societetens Förhandlingar. Heft XVIII.
1875—76. 1876. 8.
Vom Institut National in Genf:
Memoires de l'Institut National Genevois. Tom. XIII. 1869—77. 1877. 4.
Einsendungen von Druckschriften. 399
Von der Societe des sciences in Lille:
Memoires. IIP u. IVe Ser. 1876 u. 1877. 8.
Von der Akademie der Wissenschaften in Turin:
Iscrizione trilingue sopra lamina di bronzo trovata in Sardegna nel
febbrajo 1861. 1877. 1 Tafel in folio.
Von der k. Akademie der Wissenschaften in Stockholm:
Handlingar (Memoires). Bd. XIII. XIV. 1876. 4.
Öfversigt (Bulletin) Ärgäng 33. 1876—77. 8.
Minnesteckning öfver Augustin Ehrensvärd. 1876. 8.
Von der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg:
a) Bulletin. Tom. XXIV. 4. 1877.
b) Memoires. 1876—77. 4.
Von der Haag'sche Genootschap tot verdediging van den christelijken
Godsdienst in Leiden:
Werken. V. Reeks. Deel 9. 1877. 8.
Von der Gesellschaft für pommer'sche Geschichte und Alterthumskunde
in Greifswald:
a) 38. und 39. Jahresbericht von 1874—77. 1877. 8.
b) Pommer'sche Genealogien von Th. Pyl. und Eug. Rieh. Schöpplen-
berg. Band III. Berlin & Greifswald 1878. 8.
Von der oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften in Görlitz:
Neues lausitzisches Magazin. Bd. 53. 1877. 8.
Von der südslavischen Akademie der Wissenschaften in Agram:
a) Rad. Bd. 38. 1877. 8.
b) Monumenta speetantia historiam Slavorum meridionalium. Vol. VI.
1876. 8.
Vom historischen Verein in St. Gallen:
Mittheilungen zur vaterländischen Geschichte. Heft XV u. XVI. 1877. 8,
400 Einsendungen vom Druckschriften.
Von der k. k. Akademie der Wissenschaften in Krakau:
a) Estreicher, Bibliografia Polska. Tom. III in 4 Heften. 1876. 8.
b) Rozprawy (Sitzungsberichte):
«) Philolog. Classe. Tom. IV.
ß) Histor. „ „ V.
c) 0. Kolberg, Lud. Tom. X. 1876. 8.
Vom Harzverein für Geschichte und Alter thumskunde in Wernigerode'-
a) Ergänzungsheft zum IX. Jahrgang der Zeitschrift. 1877. 4.
b) Zeitschrift. 10. Jahrgang 1877. 1877. 8.
Vom litterarischen Verein in Stuttgart:
129. Publication: Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges in Ober-
schwaben von F. L. Baumanu. 1876. 8.
Von der Universite cathölique in Louvain:
a) Revue cathölique. Nouv. Serie Tom. XV et XVI. 1876. 8.
b) Annuaire. 40e annee 1876. 8.
Von Her Majesty's Secretary of State for India, India Office in London:
The Adi Granth, or the Holy Scriptures of the Sikhs translated by
Dr. Ernest Trumpp. 1877. 4.
Vom Department of the Interior, Bureau of Education in Washington:
The international Conference on Education held at Philadelphia. Juli
17 and 18. 1876. 1877. 8.
Von der Universität in Casan:
Iswestija i utschenia sapiski. 1876. No. 1 — 6. 8.
Von der Smithsonian Institution in Washington:
Annual Report of the Board of Regents of the Smithsonian Institution
for the year 1875. 1876. 8.
Von der Historical Society of Pennsylvania in Philadelphia:
Publications Vol. XII. History, Manners and Customs of the Indian
Nations, by John Heckewelder. 1876. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 401
Von der Genootschap van Künsten en Wetenschappen in Batavia:
a) Tijdschrift voor Indische Taal-Land en VolkenkuDde. Deel XXIV.
1876—77. 8.
b) Notulen. Deel XIV. 1876. 1876—77. 8.
c) Het Maleisch der Molukken door F. S. A. de Clercq. 1876. 4.
d) Verslag van eene Verzameling. Handschriften door L. W. C. van
den Berg. 1877. 8.
e) Catalogus der ethnologische Afdeeling van het Museum van het
Bataviaasch Genootschap. 1877. 8.
Von der Societe d'histoire de la Suisse romande in Lausanne:
Meraoires et documents. Tom. 34. 1877. 8.
Von der k. k. Akademie der Wissenschaften in Wien:
a) Archiv für österreichische Geschichte. Band 54. II. Hälfte. 1876. 8.
b) Fontes rerum Austriacarum. II. Abtheilung: Diplomata et Acta.
Bd. XXXIX. 1876. 8.
c) Denkschriften: Philo», histor. Cl. Bd. 24. 25. 1876. 4.
d) Sitzungsberichte: Philos.-histor. Classe. Bd. 81, Heft 1—3. 1875. 8.
„ 82, , 1-3. 1876. 8.
„ 83, , 1-4. 1876. 8.
e) Archiv für österreichische Geschichte. Bd. 54 1876. 8.
t) Almanach. 26. Jahrgang. 1876. 8.
Vom Verein für Geschichte und Alterthümer der Herzogthümer Bremen
und Verden und des Landes Hadeln in Stade:
Archiv. 6. 1877. 8.
Vom historischen Verein für Oberfranken zu Bamberg:
39. Bericht über Bestand und Wirken im Jahre 1876. 1877. 8.
Von der allgem. geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz in Bern:
Schweizerisches Urkunden-Register. 2. Bd. 5. Heft. 1877. 8.
Von der grossherzogl. Bibliothek in Weimar:
Zuwachs derselben in den Jahren 1874, 1875, 1876. 8.
402 Einsendungen von Druckschriften.
Von der k. Akademie gemeinnütziger Wissenschaften in Erfurt:
Jahrbücher. Neue Folge. Heft 8 und 9. 1877. 8.
Von dem fürstl. Fürstenbergischen Hauptarchiv in Donaueschingen:
Fürstliches Urkundenbuch. Sammlung der Quellen zur Geschichte des
Hauses Fürstenberg und Seiner Lande in Schwaben. II. Bd. Tübingen
1877. gr. 4.
Von der k. preuss. Akademie der Wissenschaften in Berlin:
a) Preussische Staatsschriften aus der Regierungszeit Königs Fried-
richs IL I. Band. 8. 1877.
b) Corpus inscriptionum Atticarura. Vol. IV fasc. I. 1877. fol.
Vom Istituto Veneto di Scienze in Venedig:
a) Memovie. Vol. XIX Part. 1, 2, 3. 1876. 4.
b) Atti. Serie V. Tom. I. disp. 10.
w II. „ 1—7. 1874-76. 8.
Vom niederösterr. Landesausschuss in Wien:
a) Topographie von Niederösterreich, hsg. vom Verein für Landeskunde
von Niederösterreich. Bd. I. II. 1876—77. 4.
b) Geschichte der geistigen Cultur in Niederösterreich von Dr. Ant.
Mayer. Bd. I. 1878. 4.
Vom kirchlich -historischen Verein für Geschichte etc. der Erzdiöcese
Freiburg :
Freiburger Diöcesan- Archiv. Bd. XI. 1877. 8.
Vom historischen Verein des Cantons Bern in Bern:
a) Archiv. Bd. IX. Heft 2. 1877. 8.
b) Aarberg bis zum Uebergang an Bern. Vortrag von J. Sterchi.
1877. 8.
Von der historischen und antiquarischen Gesellschaft in Basel:
Die Schlacht bei St. Jacob von Aug. Bernoulli. 1877. 8.
Von der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde in Salzburg:
a) Mittheilungen. XVII. Vereinsjahr 1877. Heft II nebst Anhang
zum 17. Bd 1877. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 403
b) Matsee, die Schlehdorfer und Matseer, von F. V. Zillner. 1877. 8.
c) Mittheilungen. XVII. Vereinsjahr. 1877. 8.
Vom historischen Verein der fünf Orte Luzern etc. in Luzern:
a) Der Geschichtsfreund. Bd. 32. Einsiedeln 1877. 8.
b) Register zu Bd. 21 — 30 des Geschichtsfreundes von Jos. L. Brand-
stetter. Einsiedeln 1877. 8.
Vom historischen Verein von Oberfranken in Bayreuth:
Dr. Theodorich Morung, der Vorbote der Reformation in Franken, von
Lorenz Kraussold. Th. I. 1877. 8.
Von der archäologischen Gesellschaft in Berlin'.
Beitrag zur griechischen Gewichtskunde. 37. Programm zum Winckel-
mannsfeste, von Dr. Schillbach. 1877. 4.
Vom Verein für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde in
Schwerin :
Jahrbücher und Jahresbericht. 42. Jahrgang. 1877. 8.
Vom Verein für hamburgische Geschichte in Hamburg :
Mittheilungen. 1877. 8.
Von der k. Gesellschaft der Wissenschaften in Upsala:
Nova acta regia) societatis scientiarum Upsaliensis. Volumen extra or-
dinem editum in memoriam quattuor seculorum ab universitate Upsa-
liensi peractorum. 1877. 4.
Von der Beal Academia de la historia in Madrid:
Boletin. Tom. I. Quaderno 1. 1877. 8.
Von der B. Accademia delle scienze in Turin:
Atti. Vol. XII. disp. 1-5. 1876—77. 8.
Von der Academie des siences in Lyon:
Memoires. Classe des Lettres. Tom. XVII. 1876—77. 8.
Von der Academia Olimpica in Vicenza:
Atti. 1876 und Primo Semestre 1877. 1876—77. 8.
404 Einsendungen von Druckschriften.
Vom Herrn Charles Schoebel in Paris:
Demonstration de l'authenticite de la Genese. I. 1877. 8.
Vom Herrn Leopold Delisle in Paris:
a) Notice sur vingt manuscrits du Vatican. 1877. 8.
b) La Bibliotheque Nationale en 1876. 1877. 8
c) Fragment du dernier registre d'Alexandre IV. s. 1. s. a. 8.
d) Notice sur cinq manuscrits de la Bibliotheque nationale contenant
des recueils epistolaires de Berard de Näples. 1877. 4.
e) Les ouvrages de Bernard Gui. s. 1. 1877. 8.
Vom Herrn J. de Witte in Paris:
Satyre, bronze trouve a Dodone. 1877. 4.
Vom Herrn Klon Stephanos in Athen:
*Emy(>oc(p(xi rrjg yyffov Iv(jov. 1875. 8.
Vom Herrn G. N. Sathas in Paris:
Bibliotheca grseca medii am Vol. I— VI. 1872—77. 8.
Vom Herrn Franz Hoffmann in Würzburg:
Philosophische Schriften. Bd. IV. Erlangen 1877. 8.
Vom Herrn T, A. B. Spratt in London:
Travels and Researches in Crete. 2 vols. 1875. 8.
Vom Herrn Demetrio Salazaro in Neapel:
a) Considerazioni sulla scultura ai tempi di Pericle in confronto
deir arte moderna. 1875. 8.
b) Sulla coltura artistica dell' Italia meridionale del IV. al XIII se-
colo. 1877. 8.
c) L' Arco di trionfo con le torri di Federigo II0 a Capua. Caserta
1877. 8.
d) Pensieri artistici. 1877. 8.
e) Di un antico dipinto su tavola. s. 1. 1875. 8.
Vom Herrn Alfredo Beumont in Bonn :
Frederigo Manfredini e la politica Toscana dei primi anni di Ferdi-
nande III. Firenze 1877. 8.
Einsendungen von Druckschriften. 405
Vom Herrn Nikolaos Saripolos in Athen:
a) Ivarrificc r?JV ev (EXXadi ia^vovaijg noivixrjs vofio&eoiccc. 5 voll.
1868—71. 8.
b) nqay^ar&icc rov awtctyixartxov dixaicv. 5 voll. 1874 — 75. 8.
c) 7'« rwr &&v(ov £v ti(jr}>'fl xal noXf/ico vofxifjiu. 2 voll. 1860. 8.
Vom Herrn Ludolf Krelil in Leipzig :
Beiträge zur Charakteristik der Lehre vom Glauben im Islam. 1877. 4.
Vom Herrn Gar ein de Tassy in Paris:
La langue et la litterature hindoustanies en 1877. 1878. 8.
Sach- Register.
Albrecht V. Herzog von Bayern 29.
Altnorwegisches Verwandtschafts-Recht 235
Arabische Syntax 87.
Aristophanes-Scholien 254.
Augustus Harmafs 175.
Bayerische Denkschrift nach Rom v. J. 1670 29.
Chorgesänge griechische, Vortrag der 227.
„ „ rhythmische Continuität 324.
Dodona 163, 227.
Freisijiger Ordinariat i. J. 1670 29.
Friedrich I. Kaiser 286.
Griechische Chorgesänge 227, 324.
Gumppenberg Ambr. v., Bericht über Rom1s Eroberung 329.
Harma'is Augustus 175.
Indisches Schuldrecht 287.
Kant's Gegner Wyttenbach 264.
Karl's V. Armee in Rom 329.
Karl Albert, Kurfürst 227.
408 Sach-llegister.
Ludwig der Bayer gegen d. Papstthum 30.
Nekrologium, Würzburgisches 29.
Norwegens Schwankung an Olaf 30.
Norwegisches Verwandtschafts-Recht 235.
Olaf der Heilige 30.
Olympia, Sculpturen von 1.
Papstthum, Streit Ludwig des Bayern 30.
Rhythmische Continuität der griech. Chorgesänge 324.
Roms Eroberung i. J. 1527 329.
Schuldrecht, indisches 287. ■
Sculpturen von Olympia J.
Seinsheim Franz Graf von 227.
Syntax, arabische 87.
Troja's Epoche 30.
Verwandtschaft nach altnorwegischem Rechte 235.
Widmanstadt Joh. Albr. 226.
Wolf Friedr. Aug. 226.
Würzburgisches Nekrologium 29.
Wyttenbach als Gegner Kant's 264.
Zographos' Preisaufgabe 81.
Namen-Registo
Augsberger 254.
v. Bayer (Nekrolog) 64.
Brockhaus (Nekrolog) 61.
Brunn 1, 227.
Bursian 163, 226.
v. Christ 227, 324.
Delisle (Wahl) 234.
Diez (Nekrolog) 41.
v. Druffel 29.
Föringer 226.
Friedrich 29.
v. Gieseb recht 64, 286.
Gregorovius 329.
v. Haneberg (Nekrolog) 45.
Haug (Nekrolog) 32.
Heigel 227.
410 Namen-Register.
Jolly J. 287.
Karapanos 163.
Köchly (Nekrolog) 56.
Lassen (Nekrolog) 37.
Lauth 30, 175.
Lehmann (Nekrolog) 79.
v. Maurer 30, 235.
Menke Th. (Wahl) 234.
Meyer Wilh. (Wahl) 233.
Mineyko 227.
Müller Friedr. (Wahl) 233.
Palacky (Nekrolog) 74.
Pertz (Nekrolog) 65.
v. Prantl 32, 264.
Preger 30.
Riezler (Wahl) 234.
Ritschi (Nekrolog) 48.
Schlyter (Wahl) 233.
Trumpp 87.
Wegele 29.
Zographos 31.
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AS Akademie der Wissenschaften,
182 Munich. Philosophisch-
M823 Historische Abteilung
1877 Sitzungsberichte
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