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Full text of "Sitzungsberichte - Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Abteilung"

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Sitzungsberichte 


ler 


philosophisch-philologischen  und 
historischen  Classe 

der 

k.  b.  Akademie  der  Wissenschaften 

zu  IVEünchen. 

^  .; 

Jahrgang  1877. 


München. 

Akademische  Buchdruckerei  von 

P. 

Straub. 

1877. 

In  CommiBsion  bei   G.  Franz, 

AS 

MS23 
1&77 


Uebersicht  des  Inhalts. 


Die  mit  *  bezeichneten  Vorträge  sind  ohne  Auszug. 

0 öffentliche  Sitzung  zur  Feier  des   118.  Stiftungstages  der 
Akademie  am  28.  März  1877. 

Seite 

Verkündung  der  Z  o  g  ra  p  h  o  s  -  Preisaufgabe 31 

v.  Prantl:  Nekrologe 32 

v.  Giesebrecht:  Nekrologe 64 

Oeffeniliclie  Sitzung  zur  Vorfeier  des  Geburts-  und  Namens- 
festes Seiner  Majestät  des  Königs  Ludwig  IL  am  25.  Jidi  1877. 

Neuwahlen 233 


Philo sophisch -philologische  Classe. 

Sitzung  vom  13.  Januar. 

Brunn:  die  Sculpturen  von  Olympia 1 

Sitzung  vom  3.  März. 

*Lauth:  Troja's  Epoche 30 

*v.  Maurer:  Norwegens  Schankung  an  den  heil.  Olaf  ....       30 

Sitzung  vom  5.  Mai. 

Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax 87 

Bursian:  Mittheilungen  des  Hrn.  Konst.  Karapanos  z.  Z.  in  Paris 

über  Dodona  und  dessen  Ruinen 163 

Lauth:  Augustus  Harmals 175 


IV 

Sitzung  vom  2.  Juni. 

Seite 

♦Bursiaii:  die  Bedeutung  und  die  Verdienste  des  Philologen  Fr. 

Aug.  Wolf 226 

Sitzung  vom  7.  Juli. 

*v.  Christ:  die  Theile  der  griechischen  Chorgesänge  und  ihre  Be- 
deutung f.  d.  Vortrag 227 

Brunn:  Eine  Zuschrift  des  Hrn.  Sig.  Mineyko  in  Janina    .     .     .    227 

Sitzung  vom  3.  November. 

v.  Maurer:   Die  Berechnung  der  Verwandtschaft  nach  altnorwegi- 

schera  Rechte 235 

Augsherger:  Die  Aristophanesscholien  und  der  Codex  Venetus  A  254 
v.  Prantl:  Daniel  Wyttenbach  als  Gegner  Kant's 264 

Sitzung  vom  1.  Dezember. 

J.  Jolly:  Ueber  das  indische  Schuldrecht 287 

*v.  Christ:   Die  rhythmische  Continuität  der   griechischen  Chor- 
gesänge        324 


Historische   Olasse.     4 

Sitzung  vom  13.  Januar. 

♦Friedrich:  Ueber  eine  an  den  römischen  Stuhl  gerichtete  Denk- 
schrift der  bayerischen  Regierung  über  Attentata  et  violentiae 
ex  parte  ordinariatus  Frisingensis  (c.  1670) 29 

Sitzung  vom  3.  Februar. 

*Wegele:  Würzburgisches  Nekrologium 29 

*v.  D  ruf  fei:    Ueber  Herzog  Albrecht  V.  von  Bayern  in  seinen 

früheren  Regierungsjahren 29 

Sitzung  vom  3.  März. 
♦Preger:    Der  Streit  Ludwig  des  Bayern  mit  dem  Papstthume  .      30 

Sitzung  vom  5.  Mai. 
♦Föringer:  Ueber  Joh.  Albr.  Widmanstadt «  .     .     226 


Sitzung  vom  2.  Juni. 

Seite 

*Heigel:    Die  Correspondenzen  des  Kurfürsten  und  Kaisers  Karl 

Albert  mit  dem  Grafen  Franz  v.  Seinsheim 227 

Sitzung  vom  3.  November. 
*  v.  Giesebrecht:    Beiträge  zur  Geschichte  Kaiser  Friedrich's  I.  286 

Sitzung  vom  1.  December. 

Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  über  die  Eroberung  Roms 
durch  die  kaiserl.  Armee  Karl's  V.  i.  J.  1527,  von  dem 
Augenzeugen  Ambr.  v    Gumppenberg 329 


Einsendungen  von  Druckschriften 82,  228,  325,  397 


Sitzungsberi  chte 

der 

königl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Philosophisch-philologische  Classe 

Sitzung  vom  13.  Januar  1877. 


Herr  Brunn  hält  einen  Vortrag. 

„Die  Sculpturen  von  Olympia." 

In  meinem  vorjährigen  Vortrage  über  Paeonios  und 
die  nordgriechische  Kunst  theilte  ich  aus  dem  weiteren 
Umfange  meiner  kunstgeschichtlichen  Studien  einige  Ab- 
schnitte mit,  von  denen  ich  glaubte  hoffen  zu  dürfen,  dass 
sie  für  die  Beurtheilung  der  neuentdeckten  Sculpturen  von 
Olympia  nicht  ohne  Nutzen  bleiben  würden.  Diese  Erwar- 
tung ist  insofern  getäuscht  worden,  als  man  sich  bis  jetzt 
wenig  Mühe  gegeben  hat,  die  von  mir  aufgestellten  Gesichts- 
punkte ernsthaft  in  Betracht  zu  ziehen.  Unterdessen  sind 
Photographien  und  Gypsabgüsse  zugänglich  geworden,  und 
so  ist  auch  mir  die  Möglichkeit  gegeben,  mit  eigenen  Augen 
zu  sehen  und  zu  prüfen,  wie  sich  meine  auf  das  früher  zu- 
gängliche Material  begründeten  Ansichten  zu  den  Resultaten 
der  neueren  Funde  verhalten. 

Es  bieten  sich  diesmal  der  Forschung  Aufgaben  dar, 
wie  sie  der  neueren  Kunstgeschichte  häufig ,  der  alten  bis- 
her fast  noch  nie  gestellt  worden  sind.  Wir  haben  es  hier 
nicht  mit  einem,  sondern  mit  mehreren  Originalwerken  eines 
uud  desselben  Künstlers,  aber  offenbar  nicht  aus  einer  und 
derselben  Zeit  zu  thun,  so  dass  uns  zum  ersten  Male  die 
[1877. 1.  Phil.  hist.  Cl.  1.]  1 


2  Sitzung  der  philotf.-j)hiloh  (Hasse  vom  13.  Januar  1877. 

Möglichkeit  gegeben  ist,  aus  den  originalen  Werken  auf 
die  individuelle  Entwickeln ng  des  Künstlers  zurückzuschlies- 
seu.  Dieser  Künstler  aber  arbeitet  nicht  in  seiner  Heimath, 
unbeirrt  von  jedem  fremden  Einflüsse,  sondern  in  der  Fremde 
an  einem  Orte,  der  zwar  selbst  nicht  Sitz  einer  eigenthüm- 
lichen  Kunstübung  ist,  wohl  aber  einen  Mittelpunkt  bildet, 
in  dem  sich  die  Arbeiten  verschiedener  Kunstschulen  in 
grosser  Anzahl  sammeln.  Er  steht  ausserdem  an  einem  der 
Wendepunkte  der  Kunstgeschichte,  an  dem  sich  der  Fort- 
schritt zu  höchster  Vollkommenheit  mit  fast  nie  gesehener 
Schnelligkeit  vollzieht.  Ausser  den  Werken  stehen  uns  da- 
bei wohl  einige  sicher  überlieferte  historische  Thatsachen 
zu  Gebote;  andere  dagegen  sind  so  schwankender  Art,  dass 
sie ,  statt  Licht  zu  verbreiten ,  erst  des  Lichtes  bedürfen. 
Es  kann  daher  nicht  überraschen  ,  wenn  manche  Erschei- 
nungen uns  zunächst  fremdartig  oder  widerspruchsvoll  ent- 
gegentreten ;  und  es  erklärt  sich  aus  der  Lückenhaftigkeit 
des  historischen  Materials,  dass  manche  Nachricht  mit  glei- 
cher Wahrscheinlichkeit  nach  verschiedenen  Seiten  gedeutet 
werden  kann.  Giebt  es  nun  keinen  Maassstab,  an  welchem 
der  Werth  dieser  schwankenden  oder  sich  widersprechenden 
Nachrichten  gemessen  werden  kann  ?  Die  Antwort  ist  eigent- 
lich selbstverständlich,  und  doch  wird  so  selten  ihr  entsprechend 
gehandelt!  Man  beeifert  sich  besonders  in  den  Kreisen  der 
deutschen  Gelehrten,  alle  möglichen  historischen  Hypothesen 
aufzustellen  und  vernachlässigt  dabei  über  Gebühr  das,  was 
doch  die  Hauptsache  sein  sollte :  die  Monumente  selbst.  Ich 
spreche  es  nicht  ohne  Beschämung  aus,  dass  der  künstle- 
rische Charakter  der  aus  deutschen  Ausgrabungen  hervor- 
gegangenen Sculpturen  von  Olympia  bisher  nur  von  Seiten 
zweier  englischer  Gelehrten,  C.  T.  Newton  und  Sidney  Col- 
vin,  eine  eingehendere  Würdigung  erfahren  hat,  die  freilich 
in  bescheidener  Zurückhaltung  noch  Anstand  nimmt,  die 
weiteren    historischen   Consequenzen    zu    ziehen.     Der  Weg 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia.  3 

jedoch ,  den  sie  eingeschlagen,  ist  der  einzige,  der  schliess- 
lich zum  Ziele  zu  führen  vermag,  nämlich  der  einer  ana- 
lytischen Betrachtung  der  Werke  selbst.  Wir  müssen  zuerst 
erforschen,  was  die  untrüglichsten  Zeugen,  eben  diese  Werke, 
in  ihrer  eigenen  künstlerischen  Sprache  aussagen  ,  ehe  wir 
an  die  Beantwortung  der  weiteren  Frage  gehen  dürfen, 
wie  sich  diese  Aussagen  zu  unsern  sonstigen  Ueberliefe- 
rungen  verhalten.  Es  ist  aber  hierbei  nicht  gleichgültig, 
von  welchem  Punkte  wir  ausgehen.  Zuerst  war  die  Nike 
gefunden  worden,  und  als  ein  für  sich  allein  selbständiges 
und  wenigstens  in  seinem  Hauptmotiv  verständliches  Werk 
zog  sie  die  Aufmerksamkeit  hauptsächlich  und  weit  mehr 
auf  sich,  als  die  in  einzelnen  Statuenfragmenten  gefundene, 
im  Ganzen  lückenhafte  Giebelgruppe.  Ausserdem  erschien 
die  Arbeit  an  der  letzteren  flüchtig  und  vernachlässigt ;  man 
meinte,  dass  mindestens  die  Ausführung  untergeordneten 
Händen  anvertraut  gewesen  sei,  und  erachtete  sich  dadurch 
wohl  auch  berechtigt,  ihr  genaueres  Studium  ebenso  nach- 
lässig betreiben  zu  dürfen.  Und  doch  sind  gerade  diese 
Sculpturen  von  einer  so  bestimmt  hervortretenden  Eigen- 
thümlichkeit ,  dass  sie  vor  allen  uns  zu  einer  besonderen 
Prüfung  auffordern  müssen. 

Wir  beginnen  dieselbe  nicht  an  den  organischen  For- 
men der  Körper,  sondern  an  dem  todten  Stoffe  der  Ge- 
wänder. In  der  archaischen  Kunst  sind  wir  gewohnt  zu 
sehen ,  dass  dieser  Stoff  entweder  eng  am  Körper  anliegt, 
oder  dass  er  ohne  Rücksicht  auf  die  Formen  desselben  in 
künstliche  Falten  gelegt  ist.  Beides  ist  gewissermassen  un- 
abhängig von  einander.  Das  Gewand  soll  den  Körper,  wo  dieser 
hervortritt,  nicht  beeinträchtigen ;  das  Gewand  soll  wieder,  wo 
es  nicht  anliegt,  den  eigenen  Gesetzen  folgen.  Eine  Vermitte- 
lung  ergiebt  sich  erst  allmählich.  Auf  der  Höhe  aber ,  in 
der  freien  Kunst  des  Phidias,  ist  jede  Falte  bedingt  durch 
die  besondere  Natur  des  Stoffes,    durch  seine  Schwere,    die 


4        Sitzung  der  philos -philol.  Classe  vom  13.  Januar  1877. 

Art,  wie  er  bricht,  durch  die  Form  des  Körpers,  von  wel- 
cher sie  sich  ablöst,  und  durch  die  mehr  oder  miuder  hef- 
tige Bewegung,  welche  den  Stoff  anspannt,  fliegen,  flattern 
lässt.  Alles  steht  hier  in  der  lebendigsten,  aber  nicht  min- 
der in  der  streng  gesetzmässigsten  Wechselwirkung ,  die 
für  andere  Zufälligkeiten  keinen  Raum  lässt.  Es  herrscht 
durchaus  das,  was  wir  eine  strenge  Stylisirung  nennen,  ein 
Abstrahiren  von  der  Einzelnerscheinung,  ein  Eingehen  auf 
die  Gesetze  des  Stoffes,  der  Bewegung.  Betrachten  wir 
die  Gewandung  der  Giebelstatuen  von  Olympia,  die  des 
Alpheios,  des  Knieenden,  des  sitzenden  Jünglings  und  des 
Alten:  sie  bildet  nach  der  Seite  der  archaischen  Kunst,  die 
das  Gesetz  sucht,  wie  der  freien,  die  es  erfüllt,  den  voll- 
kommensten Gegensatz.  Nicht  wie  sie  fallen  sollte,  sondern 
wie  der  Zufall  sie  geworfen  hat ,  so  liegt  sie  regellos  da : 
keineswegs  unnatürlich,  kein  einziges  Stück,  keine  Palte  ist 
so  gebildet,  dass  sie  sich  nicht  gerade  so  in  Wirklichkeit 
finden  könnte:  im  Gegentheil,  es  würde  nicht  schwer  sein, 
jedes  Detail  gerade  so  an  einem  Modell  zurechtzulegen. 
Nur  empfinden  wir,  an  die  im  engeren  Sinne  „hellenische" 
Kunst  gewöhnt,  den  Mangel  des  Gesetzes  im  Ganzen,  d.  h. 
in  der  Verbindung  des  Einzelnen  zum  Ganzen.  Wir  empfin- 
den vor  allem  den  Mangel  specifisch  plastischer  Gesetz- 
mässigkeit, die  von  innen  heraus  gestaltet,  während  uns 
hier  der  äussere,  zufällige  Schein  entgegentritt.  Die  Grund- 
anschauung, von  welcher  der  Künstler  ausgeht,  ist  eine 
nicht  in  den  Modalitäten  der  Anwendung,  sondern  im  Prin- 
cip  durchaus  verschiedene. 

Analoge  Erscheinungen  zeigen  sich  auch  an  den  For- 
men der  Körper.  Am  Torso  des  Alpheios  z.  B.  finden  wir 
grosse,  breite,  weiche  Flächen;  aber  ist  dies  der  weiche 
fliessende  Charakter,  den  wir  am  Flussgotte  des  Parthenon 
bewundern  ?  Die  Hauptmassen  sind  zwar  gegliedert  und  von 
einander  geschieden,  aber  in  flacher,  richtiger  in  oberfläch- 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia.  5 

licher  Weise;  dem  Fleisch,  den  Muskeln  fehlt  die  Schwel- 
lung: was  Weichheit  scheint,  ist  matte  Weichlichkeit.  Am 
Kladeos  tritt  allerdings  eine  grössere  Zahl  von  Formen  an 
die  Oberfläche  und  man  glaubt  zuerst,  hier  einen  sehr  durch- 
gebildeten Körper  vor  Augen  zu  haben.  Aber  es  ist  eben 
nur  die  besondere  Lage,  nicht  eine  besondere  Thätigkeit, 
welche  hier  die  Formen  zahlreicher  auseinandertreten  lässt. 
Die  Muskeln  erscheinen  wohl  gedehnt,  aber  ohne  energische 
Elasticität;  und  auch  in  der  Bezeichnung  des  Knochen- 
gerüstes fehlt  jegliche  Bestimmtheit.  Die  Formenbehandlung 
des  am  Boden  sitzenden  Jünglings  kann  nicht  anders,  denn 
als  lax  and  flau  bezeichnet  werden,  und  an  der  Gestalt 
des  sitzenden  Alten  steigert  sie  sich  fast  zu  derber  Plump- 
heit. Was  ist  es  nun,  was  wir  überall  hier  vermissen?  Schon 
an  den  Aegineten  haben  wir  uns  gewöhnt,  den  menschlichen 
Körper  als  einen  festgegliederten  Bau  zu  betrachten.  Seine 
Grundformen  sind  bedingt  durch  das  Knochengerüst,  das 
durch  die  Bänder  innerhalb  bestimmter  Grenzen  der  Be- 
wegungsfähigkeit fest  zusammengehalten  wird.  Die  Bewe- 
gung selbst  vermitteln  die  Muskeln  mit  ihrer  Fähigkeit  des 
sich  Zusammenziehens  und  Wiederausdehnens.  Dieses  noch 
mechanische  Princip  der  Auffassung  wird  auf  der  höheren 
Stufe,  wie  sie  uns  in  den  Sculpturen  des  Parthenon  ent- 
gegentritt, zu  einem  organisch-rhythmischen  gesteigert: 
alle  Formen  durchdringen  sich  von  innen  heraus  mit  orga- 
nischem Leben  und  die  formale  Behandlung  erhält  ihren 
Abschluss  durch  eine  eingehende  Berücksichtigung  der  Haut 
und  der  unter  ihr  liegenden  Fetttheile,  welche  regelnd  und 
mässigend  auf  die  Bewegung  der  Muskeln  einwirken  und 
doch  ihr  ineinander  greifendes  Wirken  wie  durch  einen 
halb  durchsichtigen  Schleier  erkennen  lassen.  Was  hier  in 
so  hoher  Vollendung  geboten  wird,  gerade  das  fehlt  den 
Giebelsculpturen  von  Olympia.  Wo  tritt  hier  die  Bedeu- 
tung des  Knochengerüstes  so  bestimmend  hervor,  wie  selbst 


6  Sitzung  der  philos.-philol.  Clause  vom  13.  Januar  1877. 

an  der  weichsten  der  männlichen  Figuren  des  Parthenon, 
dem  Flussgotte?  Ueberall  ist  die  Fügung  lax  und  schlaff. 
Die  Muskeln  entbehren  der  elastischen  energischen  Span- 
nung :  der  Unterschied  von  Muskelansätzen  (Sehnen)  und 
Muskelkörper  ist  nicht  betont ;  selbst  an  so  markirten  Stel- 
len, wie  der  Handwurzel,  dem  Knie,  erscheinen  die  Formen 
rundlich  und  unklar.  Die  Bedeutung  der  Fetttheile ,  die 
Besonderheiten  der  Textur  der  Haut  an  den  verschiedenen 
Theilen  des  Körpers  ist  nicht  erkannt.  Letztere  bildet  einen 
gleichmässigen  Ueberzug,  der  sich  nur  bei  stärkerer  Bie- 
gung des  Körpers  ganz  mechanisch  zu  Falten  zusammen- 
schiebt. Es  soll  nun  durchaus  nicht  behauptet  werden, 
class  Paeonios  seine  Figuren  nach  der  Natur  unter  Benut- 
zung des  lebenden  Modells  ausgeführt  habe.  Aber  in  der 
besondern  Art  ihrer  von  verschiedenen  Seiten  betonten 
„Natürlichkeit"  machen  sie  einen  Eindruck  wie  Arbeiten 
eines  Künstlers,  der  ohne  viele  Wahl  aus  der  Menge  ein 
Modell  herausgreift,  dieses  auch  in  seiner  allgemeinen  Er- 
scheinung äusserlich  nachbildet,  nicht  aber  es  plastisch  zu 
stylisiren  d.  h.  die  materiellen  Formen  nicht  in  die  dem 
künstlerischen  Stoffe  adäquaten  Kunstformen  zu  übersetzen 
versteht,  weil  ihm  dazu  das  innere,  tiefere  Verständniss 
fehlt.  Euphranor  nannte  seinen  Theseus  mit  Rindfleisch, 
den  des  Parrhasios  mit  Rosen  genährt:  etwas  trivialer, 
aber  vielleicht  nicht  minder  bezeichnend  würde  der  Ver- 
gleich lauten,  wenn  wir  sagen,  auch  die  Parthenonfiguren 
seien  mit  kräftigem  Rindfleisch  genährt,  die  Figuren  des 
Paeonios  dagegen  mit  Kalbfleisch :  daher  der  Charakter  des 
Unentwickelten,  Unreifen,  der  Mangel  an  energischer,  kräf- 
tiger Durchbildung. 

Richten  wir  jetzt  den  Blick  von  den  einzelnen  Formen 
auf  die  Erfindung  der  ganzen  Gestalten,  so  überrascht  uns 
dip  „Natürlichkeit"  der  Stellungen  und  Motive,  eine  Na- 
türlichkeit, für  die  es  schwer  ist,   unter  der  Masse  der  uns 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia.  7 

geläufigen  Monumente  Analogien  zu  finden.  Die  Aegineten 
sind  allerdings  gebundener;  aber  wir  empfinden,  dass  hier 
aucli  bei  einem  Fortschritt  zur  höchsten  Freiheit  die  Spuren 
strenger  Zucht  sich  nicht  würden  verwischen  lassen,  in  der 
dieses  Geschlecht  menschlich  wie  künstlerisch  erwachsen  ist. 
Was  kann  es  aus  der  Blüthezeit  Vollendeteres  von  natür- 
licher Anmuth  geben,  als  die  im  Schoosse  der  Schwester 
ruhende  weibliche  Gestalt  aus  dem  Giebel  des  Parthenon? 
Und  doch:  die  Eleganz  dieser  Natürlichkeit,  wäre  sie  mög- 
lich ohne  vorhergegangene  Zucht  oder,  sagen  wir,  ohne  eine 
Erziehung,  die  jeden  Einfluss  des  Gemeinen  fern  gehalten, 
immer  das  Edelste  als  Vorbild  geboten  hat?  Selbst  in  dem 
scheinbar  so  nachlässig  daliegenden  Flussgotte  des  Parthenon 
verleugnet  sich  nicht  eine  gewisse  Würde  der  Haltung. 
Ganz  anders  z.  B.  bei  dem  Kladeos  aus  dem  Giebel  von 
Olympia!  Der  Gott  scheint  fast  platt  auf  dem  Bauche  ge- 
legen zu  haben  und  erhebt  nun  den  Oberkörper  auf  den 
vorgestreckten  Armen,  etwa  wie  ein  ruhender  Hirtenbursche, 
dessen  Aufmerksamkeit  durch  irgend  welchen  Umstand  er- 
regt wird  und  der  nun,  ohne  sich  gerade  mehr  als  nöthig 
zu  rühren,  den  Grund  der  Störung  seiner  Ruhe  zu  erkennen 
sucht.  Aehnlich  der  am  Boden  sitzende  Jüngling :  auch 
er  scheint  sich  möglichst  wenig  aus  seiner  Ruhe  bringen 
lassen  zu  wollen  und  fragt  daher  wenig  danach,  wie  sich 
die  einzelnen  Gliedmassen  zu  einander  stellen.  Selbst  ein 
so  zufälliges  Motiv,  wie  dasjenige,  dass  die  linke  Hand  die 
Zehen  des  Fusses  berührt,  wie  um  an  ihnen  bei  etwaigem 
Schwanken  des  Körpers  noch  einen  leichten  Halt  zu  ge- 
winnen ,  wird  nicht  verschmäht.  Der  Stallknecht  kauert 
eben,  wie  es  ihm  gerade  bei  seiner  Arbeit  am  besten  passt. 
Nur  der  Torso  des  Pelops  zeigt  eine  etwas  strengere  Haltung, 
die  aber  zunächst  dadurch  bedingt  ist,  dass  er  ruhig  steht. 
Selbst  hier  aber  deutet  die  auf  die  Hüfte  gelegte  Hand 
darauf  hin,   dass  er  nicht  wie  ein  Soldat  unter  Commando 


8         Sitzung  der  phüos.-philol.  (Jlasse  vom  IS.  Januar  1877. 

eine  feste  geschlossene  Haltung  bewahrt,  sondern  dass  er 
im  Stehen  halb  ausruht.  Alles  athmet  also  eine  grosse  Un- 
befangenheit der  Auffassung,  aber  eben  so  auch  —  eine 
grosse  Nonchalance.  Die  Motive  sind  aus  der  Natur  her- 
übergenommen ,  wie  sie  der  Zufall  bot ,  ohne  dass  viel  ge- 
fragt würde,  ob  sie  gewöhnlich,  gemein  oder  edel.  Weder 
von  jener  Zucht  der  Aegineten,  welche  den  Körper  zum 
wahrhaft  freien  und  richtigen  Gebrauch  seiner  Glieder  erst 
befähigen  soll,  noch  von  jener  Freiheit  der  Parthenonstatuen, 
welche  durch  die  Erfüllung  des  Gesetzes  geadelt  ist,  findet 
sich  hier  eine  Spur.  Die  Natürlichkeit,  die  uns  hier  ent- 
gegentritt, ist  also  nicht  eine  künstlerisch  geläuterte,  ideale, 
sonder  ein  Abbild  der  ungeschminkten  Wirklichkeit. 

Bei  der  Beurtheilung  des  geistigen  Ausdrucks,  wie  er 
sich  in  den  Köpfen  ausspricht,  sind  wir,  solange  die  dies- 
jährigen Entdeckungen  in  Deutschland  noch  nicht  näher 
bekannt  sind,  einzig  auf  den  sitzenden  Alten  angewiesen. 
Zwar  hat  man  sogar  bezweifeln  wollen,  ob  derselbe  über- 
haupt zu  den  Giebelstatuen,  ja  ob  er  auch  nur  der  Zeit 
derselben  angehöre.  Allein  die  Behandlung  der  Gewandung, 
wie  die  ganze  Auffassung  des  feisten  Körpers  sprechen  nur 
zu  deutlich  für  den  engsten  Zusammenhang,  und  der  dem 
ersten  Eindrucke  nach  anscheinend  so  fremdartige  Kopf 
liefert  die  weitere  Bestätigung  Worauf  beruht  dieser  Ein- 
druck? Es  ist  wieder  die  „Natürlichkeit"  in  dem  ganzen 
Habitus,  in  der  Gesammterscheinung  dieses  durch  die  Jahre 
und  die  Last  seines  Körpers  etwas  nachdenklich  gewordenen 
ältlichen  Mannes,  die  uns  überraschen  muss.  Suchen  wir 
aber  weiter  ^u  lesen  in  seinen  Zügen,  so  gelangen  wir  zu 
den  gleichen  Beobachtungen,  die  sich  uns  bei  der  formalen 
Betrachtung  der  Körper  aufdrängen  mussten.  Das  Gesammt- 
bild  ist  gegeben,  aber  nur  in  seiner  äusserlichen,  oberfläch- 
lichen  Charakteristik.     Die  Formen   sind    breit,    derb   und 


Brunn :  Die  Sculpturen  von  Olympia.  9 

leer :  es  fehlt  der  Person  die  geistige  Vertiefung,  dem  Mar- 
mor die  feinere  künstlerische  Durchbildung. 

Nach  diesen  Bemerkungen  wird  sich  leicht  ergeben, 
was  von  der  Ansicht  zu  halten,  dass  die  Giebelstatuen  des 
Paeonios  roh  und  nachlässig,  eines  Künstlers  wie  Paeonios 
kaum  würdig  und  daher  etwa  nach  flüchtigen  Skizzen  des 
Meisters  von  untergeordneten  Arbeitern  ohne  Verstand niss 
ausgeführt  seien.  Betrachten  wir  sie  an  und  für  sich  allein, 
so  müssen  wir  gestehen ,  dass  kein  Theil  mit  dem  andern, 
keine  Figur  mit  der  andern,  in  Widerspruch  steht,  sondern 
dass  uns  in  ihnen  eine  besondere,  ganz  eigenartige  Kunst- 
übung  entgegentritt,  mit  welcher  unser  Auge  bisher  kaum 
vertraut  war.  Ich  vermeide  vorläufig  mit  Absicht  den 
Ausdruck  ,, Kunststyl",  indem  die  Eigen thümlichkeit  dieser 
Kunstübung  eben  darauf  beruht,  dass  ihr  eine  klar  bewusste, 
eigentlich  plastische  Stylisirung  gerade  abgeht,  ja  von 
ihr  fast  absichtlich  gemieden  erscheint.  Selbst  wenn  in 
der  späteren  Zeit  die  griechische  Plastik  naturalistisch  wird, 
bleibt  sie  doch  immer  in  erster  Linie  Plastik.  Hier  dagegen 
ist  die  Grundanschauung,  von  der  der  Künstler  ausgeht, 
eine  durchaus  malerische:  sie  ist  auf  den  Schein,  die  äussere 
Erscheinung  der  Dinge,  nicht  auf  den  Kern,  das  Wesen  ge- 
richtet. Wir  dürfen  diese  Sculpturen  kaum  als  selbständige 
statuarische  Werke  betrachten,  sondern  als  in  den  Rahmen 
des  Giebels  gefasste,  zwar  rund  ausgearbeitete,  aber  auf 
einheitlichem  Hintergrunde  erscheinende  Hochreliefgestalten, 
und  selbst  das  kaum  im  abstract  plastischen  Sinne.  Denn 
weit  mehr  als  sonst  ist  hier  die  Wirkung  der  Bemalung  in 
Betracht  gezogen  worden;  ja  wir  sagen  vielleicht  richtiger, 
dass  die  Behandlung  dieser  Sculpturen  geradezu  unter  dem 
Einflüsse  der  Malerei  auf  der  damaligen  Stufe  ihrer  Ent- 
wicklung stehe.  Ist  es  auch  schwerlich  richtig,  dass  die 
Malerei  des  Polygnot  nur  colorirte  Zeichnung  war,  so  ist 
es  doch  sicher,  dass  ihr  die  volle  Wirkung  von  Licht  und 


10         Sitzung  der  philos-philol.  Clause  vom  13.  Januar  1876. 

Schatten  abging.  Sie  wird  nicht  Licht-,  Schatten-  und  Re- 
flextöne  neben  einander  gesetzt  und  in  einander  verarbeitet, 
sondern  sich  begnügt  haben,  auf  deu  Localton  Licht  und 
Schatten  mehr  durch  Schraffirung  als  durch  eigentliche 
Malerei  aufzusetzen,  so  dass  das  Ganze  mehr  den  Charakter 
eines  massig  ausgeführten  Aquarells  als  einer  vollständigen 
Malerei  trug.  Nor  wenn  eine  ähnliche  Wirkung  auch  bei 
den  Giebelsculpturen  beabsichtigt  war,  erklärt  es  sich,  dass 
z.  B  an  dem  sitzenden  Jüngling  und  ähnlich  an  dem  Al- 
pheios  der  Gewandsaum  ganz  flach  aufliegt  und  der  Länge 
nach  in  einer  Weise  über  den  Schenkel  geführt  ist ,  dass 
er  bei  der  Entfernung  des  Beschauers  sich  nicht  durch  die 
plastische  Modellirung,  sondern  nur  durch  die  Farbe  vom 
Körper  loslöste.  Ebenso  ist  gewiss  die  ganze  wellige  Ge- 
wandbehandlung darauf  berechnet,  breite,  farbige,  nicht 
durch  starke  Schatten  unterbrochene  malerische  Flächen  zu 
gewinnen.  Aber  auch  die  Behandlung  der  Körperformen 
wird  uns  jetzt  in  einem  andern  Licht  erscheinen.  Wir 
müssen  die  specifisch  plastischen  Anforderungen  vergessen, 
die  der  Künster  nicht  erfüllen  wollte,  um  dann  zuzuge- 
stehen, dass  er  seinen  malerischen  Gesichtspunkten  voll- 
kommen gerecht  geworden  ist. 

Erst  jetzt  dürfen  wir  uns  die  Frage  stellen,  wohin  der 
Künstler  im  Zusammenhange  der  Kunstgeschichte  zu  setzen 
sei.  Man  hat  ihn  in  Verbindung  mit  der  Schule  des  Phi- 
dias  bringen  wollen.  Allein  es  muss  hier  nochmals  auf 
das  Nachdrücklichste  betont  werden,  dass  unsere  literarischen 
Quellen  davon  absolut  nichts  sagen.  In  der  betreffenden 
Stelle  des  Pausanias  (V,  10,  8)  wird  Alkamen  es,  der  Künst- 
ler der  hinteren  Giebelgruppe,  allerdings  direct  mit  Phidias 
zusammengestellt,  Paeonios  dagegen  nur  als  aus  Mende  ge- 
bürtig bezeichnet.  Die  Behauptuug  eines  Zusammenhanges 
mit  Phidias  ist  also  eine  reine  Hypothese,  der  wir  nach  der 
Entdeckung  seiner  Werke  keinerlei  Einfluss  auf  deren  Be- 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olymyia.  11 

urtheilung  einzuräumen  berechtigt  sind,  die  vielmehr  nur 
dann  erst  wieder  ausgesprochen  werden  dürfte,  wenn  sich 
aus  der  Betrachtung  eben  dieser  Werke  eine  nähere  Ver- 
wandtschaft ergäbe.  Sprechen  diese  aber  etwa  dafür?  Ich 
denke,  dass  die  vorhergehenden  Erörterungen  über  die  fun- 
damentale Verschiedenheit  ihres  Charakters  keinen  Zweifel 
mehr  lassen  werden.  Die  Frage,  wohin  Paeonios  gehört, 
ist  also  von  Neuem  zu  stellen,  und  ehe  wir  uns  mit  neuen 
Hypothesen  in  unbestimmte  Fernen  begaben,  ist  doch  wahr- 
lich das  Nächstliegende,  dass  wir  uns  fragen,  ob  er  denn 
überhaupt  von  dem  Boden  loszulösen  ist,  auf  dem  er  er- 
wachsen. Noch  vor  wenigen  Jahren  würde  es  allerdings  kaum 
möglich  gewesen  sein,  die  richtige  Antwort  zu  geben.  Jetzt 
aber  besitzen  wir  (von  zahlreichen  Münzen  abgesehen)  einige 
Sculpturen,  wenn  auch  nicht  aus  Mende  selbst,  doch  aus 
den  benachbarten  nordgriechischen  Provinzen.  Aber,  sagt 
man,  es  sind  deren  noch  zu  wenige,  als  dass  sich  auf  sie 
ein  (Jrtheil  begründen  Hesse.  Zu  wenige  allerdings  für  den- 
jenigen, welcher  nicht  in  den  Monumenten  zu  lesen  ver- 
steht oder  etwa  auch  nicht  les&n  will.  Würde  in  ähnlichem 
Falle  die  Philologie,  nachdem  in  Olympia  das  Ehrendecret 
des  Damokrates  gefunden  ist,  sich  das  Armuthszeugniss 
ausstellen,  zu  erklären ,  dass  sie  noch  nicht  im  Stande  sei, 
über  den  allgemeinen  Charakter  der  elischen  Mundart  zu 
urtheilen?  Jene  Monumente  sprechen  aber  eine  nicht  minder 
deutliche  Sprache  als  dieses  Decret.  Was  nun  die  analy- 
tische Betrachtung  ihrer  Formen  anlangt,  die  ich  in  meinem 
Aufsatze  über  Paeonios  gegeben,  so  wird  wahrlich  niemand 
behaupten  können,  dass  sie  tendenziös  abgefasst  sei,  um 
eine  Uebereinstimmung  mit  den  Giebelstatuen  des  Paeonios 
zu  erzielen,  die  damals  noch  gar  nicht  entdeckt  waren.  Wohl 
aber  können  jetzt  diese  letzteren  dazu  dienen,  manche  Eigen- 
thümlichkeiten  der  andern  nordgriechischen  Sculpturen  in 
ein  noch  schärferes  Licht  zu  setzen.     Es   konnte  z.  B.  wie 


1 2        Sitzung  der  pnilos.-phüol.  Clause  vom  13.  Januar  1877. 

zufällig,  wie  eine  Nachlässigkeit  erscheinen,  dass  das  Relief 
der  Philis  aus  Tbasos,  die  Kriegerstele  aus  Thessalonike 
eine  schiefe,  unregelmässige  Umrahmung  haben.  Jetzt,  nach- 
dem wir  erkannt,  dass  Paeonias  in  den  Giebelstatuen  nichts 
so  sehr  meidet,  als  Strenge  und  Herbigkeit  der  Linien, 
werden  wir  auch  in  dieser  Unregelmässigkeit  eine  gewisse 
Absicht  erkennen ,  umgekehrt  aber  auch  wieder  auf  eine 
Eigen thümlichkeit  der  Giebelstatuen  aufmerksam  werden, 
nämlich  die  Vernachlässigung  der  Basen,  die  nur  den  ganz 
materiellen  Zweck  zu  haben  scheinen,  die  Aufstellung  der 
Figuren  zu  ermöglichen,  ohne  irgendwie  näher  charakterisirt 
zu  sein.  Gehen  wir  weiter,  so  werden  wir  für  die  flau  wel- 
ligen Gewänder  der  Statuen  keine  bessere  Parallele  finden, 
als  die  „stylistisch  unentwickelten"  der  Philis,  besonders  in 
den  Partieen  am  Schenkel,  für  den  leichten  Mantel  des 
Pelops  keine  bessere,  als  die  Chlamys  des  Kriegers  von  Thes- 
salonike. Der  Charakter  der  Körperformen  dieses  letzteren 
musste  aber  früher  fast  mit  denselben  Worten  beschrieben 
werden,  wie  der  der  Giebelstatuen :  hier  wie  dort  eine  ge- 
wisse maleiische  Weichlichkeit,  ein  Mangel  an  plastischer 
Durchbildung,  an  einem  tieferen  innerlichen  Verständniss. 
Genug,  wer  die  Augen  nicht  absichtlich  verschliessen  will, 
um  sich  alte  Vorurtheile  zu  wahren,  wird  die  Ueberein- 
stimmung  gerade  in  der  innersten  künstlerischen  Eigen- 
thümiichkeit  der  Auffassung  wie  der  formalen  Behandlung 
nicht  läugnen  können ;  und  diese  Uebereinstimmung  erklärt 
sich  auf  die  einfachste  und  natürlichste  Weise  durch  die 
Nachbarschaft  der  Heimath  der  Künstler.  Nichts  also  liegt 
vor,  soweit  die  Giebelstatuen  in  Betracht  kommen,  was 
uns  nöthigte,  zur  Erklärung  ihres  Kunstcharakters  über 
die  Heimath  des  Paeonios  hinauszugehen  und  fremden  Ein- 
flüssen nachzuspüren,  von  denen  in  den  Werken  selbst  sich 
auch  keine  Spur  findet.     Alles  hat  hier  einen  einheitlichen 


: 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia.  13 

Charakter:    Tugenden    und    Fehler    entstammen    einer    und 
derselben  Quelle. 

Ich  sagte :  soweit  die  Giebelstatuen  in  Betracht  kom- 
men. Soll  damit  etwa  angedeutet  werden,  dass  ich  die  von 
mir  behauptete  Beziehung  der  Metopen  zu  Paeonios  jetzt 
aufgebe  ?  Ich  halte  fest  an  dem,  was  ich  über  Herakles  mit 
dem  Stier,  über  die  „Nymphe"  und  mehr  beiläufig  über 
den  Löwen  gesagt  habe.  Aber  die  durch  die  Ausgrabungen 
erweiterte  Anschauung  verlangt  auch  hier  manche  genauere 
Feststellungen.  Vor  allem  die  Frage:  wie  verhält  sich  zu 
den  früheren  Funden  die  neuentdeckte  Atlasmetope  ?  Prüfen 
wir  auch  hier  zuerst  die  Formen!  Die  Figuren  des  Herakles 
und  Atlas  sind  in  der  strengsten  Weise  in  das  Relief  hin- 
eincomponirt ,  streng  zwischen  die  (ideelle)  obere  Fläche 
und  den  Grund  eingeschoben,  nicht  etwa  äusserlich  accom- 
modirt,  sondern  so,  dass  die  nach  aussen  gerundet  hervor- 
tretenden Theile  der  oberen  Fläche  stylistisch  untergeordnet 
sind.  Der  Aufbau  der  Körper  beruht  ganz  auf  der  unver- 
änderlichen Grundlage  des  Knochengerüstes  nach  seinen 
Formen  und  seiner  durch  feste  Bänder  geschlossenen  Zu- 
sammenfügung. Dieser  architektonische  Grundton  aber  durch- 
dringt auch  die  ganze  Behandlung  des  Fleisches,  der  Mus- 
keln. Alles  ist  hier  von  bestimmten  Flächen  umschrieben, 
die  nirgends  leer  oder  flau  erscheinen.  Sie  sind  im  Gegen- 
theil  belebt  durch  eine  Fülle  von  fein  und  scharf  nüancir- 
tem  Detail,  das  nicht  etwa  naturalistisch  und  in  äusserlicher 
Beobachtung  nach  der  Wirklichkeit  copirt  ist,  sondern 
überall  aus  dem  inneren  Verständniss  herauswächst  Nir- 
gends Laxheit,  Unbestimmtheit,  sondern  überall  Klarheit, 
Sicherheit,  Festigkeit  im  knappsten,  strengsten  Vortrag 
echtester  Plastik.  Nur  der  kleinste  Theil  dieser  Strenge 
ist  auf  Rechnung  der  letzten  Reste  archaischen  Styls  zu 
setzen;  sie  liegt  vielmehr  in  der  Schule,  in  der  bestimmt 
schulmässigen  Durchbildung,    welche   sich  den  Körper 


14         Sitzung  der  yhilos.-phüol.  (lasse  vom  13.  Januar  1877. 

in  allen  seinen  Formen  unterworfen  hat.  Die  weibliche 
Gestalt  der  Hesperide  weicht  hiervon  nur  scheinbar  und 
eigentlich  nur  dadurch  ab,  dass  ihr  Körper  in  Vorderansicht 
gestellt  und  also  nicht  so  streng  dem  abstracten  Gesetz 
des  Reliefs  untergeordnet  ist.  In  anderer  Beziehung  tritt 
sogar  an  ihr  das  mathematische,  lineare  Princip  fast  noch 
stärker  hervor,  als  an  den  männlichen  Figuren,  nämlich  in 
den  Linien  und  Flächen  des  nicht  organischen,  sondern  leb- 
losen Stoffes  der  Gewandung.  Es  liegt  in  den  senkrechten 
Linien  der  gerade  über  den  Schenkel  herabfallenden  Falten, 
in  der  horizontalen  des  quer  über  den  Körper  laufenden 
Randes,  in  den  Schlangenlinien  der  nach  den  Hüften  herab- 
steigenden Säume  ein  ganz  eigenthümlicher  Zauber,  der 
weit  entfernt  ist  von  dem  Reiz  gewöhnlicher  Natürlichkeit 
und  vielmehr  auf  der  strengen  Gesetzmässigkeit,  dem  Wal- 
ten des  mathematischen  Princips  beruht,  fast  möchte  man 
sagen,  auf  dem  theoretischen  Reiz  gewisser  linearer  Com- 
binationen. 

Kein  Zweifel  also,  dass  der  Styl  dieser  Metope  mit 
dem  der  Giebelstatuen  in  einem  geradezu  diametralen  Gegen- 
satze steht.  Sie  ist  ein  Meisterstück  peloponnesischer  Sculp- 
tur,  das  schönste,  welches  wir  bis  jetzt  aus  der  Zeit  vor 
Polyklet  besitzen.  Im  Kopf  des  Atlas  steckt  bereits  der 
ganze  Kopf  des  polykletischen  Diadumenos,  und  wir  lernen 
den  Polyklet  erst  recht  verstehen,  wenn  uns  hier  die  Vor- 
stufen vor  die  Augen  treten,  auf  denen  er  beruht,  aus  denen 
er,  wir  dürfen  sagen,  mit  Nothwendigkeit  hervorgewach- 
sen ist. 

Trotz  dieses  scharf  ausgeprägten  Charakters  hat  man 
behaupten  wollen,  dass  der  Styl  der  neuen  Metope  sich 
von  dem  der  früher  gefundenen  nicht  entferne  und  es  daher 
nicht  statthaft  sei,  die  letzteren  dem  Paeonios  zuzuschreiben. 
Man  behauptet,  sie  zeigten  in  der  Ausführung  einen  här- 
teren Meissel    als    die  Giebelstatuen    und   die  andern  nord- 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia.  15 

griechischen  Sculpturen,  an  denen  gerade  eine  gewisse  Weich- 
lichkeit sich  fühlbar  mache.  Namentlich  am  Gewände  der 
Nymphe  trete  diese  Härte  ähnlich  hervor  wie  an  der  Hes- 
peride.  Man  weist  sodann  hin  auf  den  kräftigen  Körper 
des  Herakles  in  der  Stiermetope  und  endlich  auch  auf  die 
Verwandtschaft  im  Typus  der  Heraklesköpfe.  Es  handelt 
sich  hier  um  allerlei  feinere  Unterscheidungen ,  für  die  wir 
vielleicht  unsern  Blick  schärfen,  wenn  wir  von  einer  ganz 
äusserlichen  Thatsache  ausgehen:  die  Atlasrnetope  stammt 
von  der  Vorderseite  des  Tempels ,  die  pariser  Hauptstücke 
von  der  Rückseite.  Es  wird  also  die  Möglichkeit  ins  Auge 
zu  fassen  sein,  dass  die  beiden  Seiten  nicht  nur,  wie  die 
Gruppen  von  Aegina ,  von  verschiedenen  Händen ,  sondern 
sogar  von  verschiedenen  Schulen  ausgeführt  waren,  dass  also 
die  Arbeit  an  der  Rückseite  vielleicht  erst  begann,  als  die 
Vorderseite  bereits  vollendet  war.  Prüfen  wir  nun  diese 
vorläufig  blos  als  eine  Möglichkeit  hingestellte  Annahme 
an  den  Thatsachen. 

Kann  das  Gewand  der  Hesperide  und  das  der  Nymphe 
das  Werk  derselben  Hand,  ja  nur  einer  und  derselben  Kunst- 
schule sein?  Selten  ist  ein  bestimmtes  System  der  Falten- 
behandlung so  scharf  und  präcis  ausgesprochen,  wie  im 
Gewand  der  Hesperide.  Es  dominiren  hier  durchaus  zwei 
Flächen,  eine  untere  und  eine  obere,  die  obere  der  Falten, 
welche  sich  von  der  unteren  parallel  abheben.  Am  deutlich- 
sten tritt  dieses  System  uns  entgegen  an  der  langen  Falte, 
die  über  den  ganzen  linken  Schenkel  gerade  herabfällt,  im 
Gegensatz  zu  der  unbewegten  Fläche  zwischen  den  Beinen,  oder 
ähnlich  auch  an  den  beiden  von  den  Brüsten  herabfallenden 
zwei  Hauptfalten  im  Verhältniss  zu  der  zwischen  ihnen 
liegenden  wenig  bewegten  Fläche.  Die  Begrenzungen  zwi- 
schen ihnen  sind  fast  mehr  gezeichnet  als  modellirt,  fast 
nur  bestimmt,  zwischen  der  oberen  und  unteren  Fläche  die 
nothwendige   Verbindung   herzustellen.     Gerade    umgekehrt 


fcfl        Sitzung  der  philos.-philol.  ('Hasse  oom  13.  Januar  1877. 

herrschen  bei  der  Nymphe,  natürlich  abgesehen  von  dem 
nur  in  den  allgemeinsten  Formen  gehaltenen  lederartigen 
Ueberwurfe,  die  oberen,  wenn  auch  abgerundeten  Kanten 
and  die  ihnen  entsprechenden  Tiefen,  aus  deren  Verbindung 
sich  ein  durchaus  welliger  Durchschnitt  der  Falten  ergiebt. 
Diesen  Gegensatz,  der  sich  etwa  auf  das  einfache  Schema 
r"_r~: und  ?t? w w  zurückführen  lässt ,  als  einen  fun- 
damentalen nicht  anerkennen  zu  wollen,  wäre  etwa  dasselbe, 
wie  wenn  ein  Metriker  den  Gegensatz  zwischen  trochäischem 
und  iambischem  Metrum,  der  Dialektiker  den  Unterschied 
von  7tazQOQ  und  jcaxqdg  abläugnen  wollte.  Wer  aber  an  der 
Hesperide  einen  nur  individuellen  Styl  erkennen  möchte, 
dem  bieten  die  Ausgrabungen  von  Olympia  sofort  noch 
weiteres  Material  zu  belehrenden  Vergleichungen.  Unter 
ihnen  findet  sich  ein  überlebensgrosser ,  der  Hestia  Giu- 
stiniani  künstlerisch  verwandter  Torso  (Taf.  XIII  und  XIV 
der  Photographien),  in  dem  man  allgemein  ein  Werk  pelo- 
ponnesischer  Kunst  erkannt  hat.  Wir  dürfen  nun  unbe- 
denklich die  Gleichung  aufstellen,  dass  sich  die  Hesperide 
zu  diesem  Torso  verhält ,  wie  die  Nymphe  zu  dem  knieen- 
den Stallknecht  aus  dem  Giebel.  Eine  etwas  grössere  Härte 
des  Meisseis  an  der  Hesperide  gegenüber  dem  letzteren  darf 
dabei  immerhin  zugegeben  werden :  sie  lässt  sich  auf  ver- 
schiedene Weise  erklären.  Ich  will  nicht  betonen,  dass  auch 
an  dem  überlebensgrossen  statuarischen  Torso  die  einzelnen 
Falten  meist  gerundeter  sind,  als  an  dem  hohen,  aber  immer- 
hin auf  eine  Fläche  projicirten  Relief  der  Hesperide.  Wohl 
aber  mochte  Paeonios  für  das  Halblicht  der  Metopen  eine 
etwas  schärfere  Formbezeichnung  angezeigt  erachten,  als 
für  die  volle  Beleuchtung  der  Giebelfiguren.  Sodann  aber 
dürfen  wir  nicht  voraussetzen,  dass  die  Ausführung  in  Mar- 
mor überall  von  der  Hand  eines  und  desselben  Künstlers 
und  am  wenigsten  von  der  des  Paeonios  selbst  sei.  Er 
mochte   einige    Gehülfen    aus    seiner   Heimath    mitgebracht 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia.  17 

haben,  konnte  aber  auch  elische  Arbeitskräfte  besonders 
für  die  in  zweiter  Linie  stehenden  Metopen  verwenden,  de- 
nen die  Weichheit  des  Meisseis,  wie  wir  sie  an  den  Giebel- 
statuen finden,  nicht  geläufig  sein  mochte.  Dass  aber  auch 
in  der  nordgriechischen  Heimath  nicht  alle  Künstler  sich 
der  gleichen  Weichheit  in  der  Ausführung  befleissigten, 
zeigt  das  Relief  eines  von  einem  Löwen  niedergewor- 
fenen Stiers  (Clarac  223,  189;  Abguss  in  Berlin  N.  126), 
dessen  Herkunft  vom  Stadtthor  von  Akanthos  in  Make- 
donien mir  durch  die  freundlichen  Nachforschungen  der 
HH.  Cl.  Tarral  und  Ravaisson  iun.  in  den  Archiven  des 
Louvre  jetzt  hinlänglich  verbürgt  ist.  Jedenfalls  ist  die 
Ausführung  mit  dem  Meissel  das  Secundäre ;  weit  wichtiger 
ist  die  geistige  Auflassung,  auf  der  das  Ganze  beruht.  Was 
diese  aber  anlangt,  kann  ich  mich  begnügen,  auf  die  Dar- 
legungen meiner  früheren  Arbeit  zu  verweisen:  von  jenen 
mathematischen  Flächen  und  Linien,  aus  denen  sich  die 
Hesperide  aufbaut,  findet  sich,  an  der  Nymphe  auch  keine 
Spur;  sie  stimmt  in  der  malerischen  Auffassung  und  in 
der  laxen  Durchbildung  der  Form  durchaus  mit  den  Statuen 
des  Giebels  überein. 

Wir  mögen  aber  auch  noch  die  Stiermetope  mit  dem 
Atlasrelief  vergleichen.  Dabei  wird  es  aber  doch  wahrlich 
keines  Beweises  bedürfen,  dass  der  Stierbändiger  mit  dem 
Himmelsträger  in  Hinsicht  auf  Relief  styl  in  keiner  Weise 
auf  gleiche  Linie  gestellt  werden  kann.  Selbst  wenn  man 
einen  Zeitunterschied  innerhalb  einer  und  derselben  Schule 
statuiren  wollte,  würde  man  nicht  behaupten  können,  dass 
der  Reliefstyl  des  einen  aus  dem  des  andern  in  natürlicher 
Weise  sich  habe  entwickeln  können.  Aber  auch  wenn  wir 
den  Stierbändiger  nach  seinen  einzelnen  Formen  betrachten, 
werden  wir  an  seinem  Körper  keine  jener  grösseren  Flächen 
finden,  denen  am  Himmelsträger  alles  Detail  so  klar  und 
bestimmt  untergeordnet  ist.  Die  Formen  treten,  wie  an  den 
[1877.  I.  Phil.-bist.  Cl.  1.]  2 


18         bitzung  der  phüott.-philol.  Clause  vom  13.  Januar  1877. 

Falten  der  Nymphe,  gerundet  hervor,  jede  für  sich,  aber 
ohne  jene  knappe  energische  Spannung ,  wie  am  Himmels- 
träger. Unser  Auge  ist  für  das  Sehen  plastischer  Formen 
ein  weit  schwächeres  Instrument,  als  wir  in  der  Regel  an- 
nehmen. Wir  haben  uns  nur  gewöhnt,  unbewusst  die  Er- 
fahrungen auf  das  Auge  zu  übertragen,  die  wir  ursprünglich 
mit  dem  Tastsinne  gemacht  haben.  Kehren  wir  also ,  wo 
wir  etwa  Ursache  haben ,  unserem  Auge  zu  misstrauen ,  zu 
dem  Urquell  unserer  Erkenntniss  zurück,  d.  h.  prüfen  wir 
einmal  die  Formen  mit  dem  Finger,  so  werden  wir  im 
vorliegenden  Falle  dadurch  vielleicht  schneller  zur  Klarheit 
gelangen,  als  durch  das  Auge.  Trotz  der  höher  ausgear- 
beiteten Muskeln  am  Stierbändiger  werden  sich  doch  die 
Formen  weichlicher,  rundlicher  anfühlen,  als  an  dem  Him- 
melsträger, wo  alles  knapp ,  streng ,  ja  hart ,  aber  eben  so 
scharf,  präcis  und  in  den  feinsten  Modulationen  ausge- 
drückt ist. 

Aber  die  Aehnlichkeit  der  Köpfe?  Wenn  ein  Künstler 
den  Auftrag  erhält,  an  der  Rückseite  eines  Tempels  den 
Herakles  darzustellen  und  er  findet  ihn  an  der  Vorderseite 
vielleicht  bereits  sechsmal  wiederholt,  wird  er  da  nicht  un- 
willkürlich bestrebt  sein,  sich  dem  einmal  gegebenen  Typus 
möglichst  anzunähern?  Dem  Typus,  sage  ich;  denn  darauf 
beschränkt  sich  die  Verwandtschaft.  Im  Einzelnen  wird  ein 
feineres  Auge  die  Verschiedenheiten  in  der  Schärfe  der 
Zeichnung,  wie  in  der  Behandlung  der  Flächen  nicht  ver- 
kennen. Bei  unmittelbarer  Nebeneinanderstellung  der  Nymphe 
und  der  Hesperide  macht  uns  der  Kopf  der  ersteren  den 
Eindruck  eines  schlichten  unbefangenen  Landmädchens, 
während  uns  der  der  Hesperide  in  ernsteren,  strenger  styli- 
sirten  Formen  entgegentritt.  Ueberhaupt  liegt  in  der  Kunst 
der  Atlasmetope  etwas  Aristokratisches,  vielleicht  weniger 
Frische  und  Unbefangenheit,  aber  dafür  mehr  von  der  ruhi- 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia.  19 

gen,  ernsten  Gemessenheit,  die,  eine  Folge  guter  Erziehung, 
alles  Unedle  oder  Triviale  unbewusst  von  sich  fern  hält. 

Wenn  ich  daher  meine  oben  ausgesprochene  Vermu- 
thung  über  die  Entstehung  der  Metopen  an  der  Vorder-  und 
der  Rückseite  des  Tempels  durch  die  genauere  Prüfung  als 
bestätigt  erachte,  so  lässt  sich  vielleicht  noch  eine  Art 
Gegenprobe  für  meine  Auffassung  mit  Hülfe  einiger  kleineren 
Fragmente  anstellen.  Ich  sagte  in  meiner  früheren  Abhand- 
lung (S.  322):  „Wo  sie  (Haar  und  Bart)  plastisch  mehr 
ausgeführt  sind,  wie  theilweise  an  einem  fragmentirten  weib- 
lichen Kopfe  (Clarac  145bis,  Fig.  f) ,  verrathen  sie  noch 
deutliche  Spuren  archaischer  Behandlung,  die  sich  an  der 
Mähne  eines  Pferdes  (Fig.  D)  zu  hart  architektonischer  Sche- 
matisirung  steigert."  Die  Bemerkungen  über  die  beiden 
Fragmente  passen  eigentlich  nicht  in  das  Bild  von  der  Kunst 
des  Paeonios,  widersprechen  aber  durchaus  nicht  den  Eigen- 
tümlichkeiten der  Atlasmetope.  Die  Erklärung  ist  jetzt 
leicht  gegeben:  die  beiden  Stücke  gehören  zu  den  Metopen 
der  Vorderseite.  Wer  Gelegenheit  hat ,  die  Originale  oder 
nur  die  Abgüsse  zu  prüfen,  wird  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  den  Gegensatz  in  der  Kunst  der  Vorder-  und  Rück- 
seite auch  an  den  Köpfen  %  (Ost)  und  &,  l  (West),  ja  selbst 
an  den  Füssen  m  (Ost)  und  n  (West)  noch  bis  in  das 
Einzelnste  zu  verfolgen  im  Stande  sein. 

Mancher  wird  vielleicht  der  Ansicht  sein,  dass  die  Eleer 
nicht  gerade  einen  Beweis  feinen  Kunstgeschmackes  ablegten, 
als  sie  vor  Künstlern  der  eigenen  Heimath  oder  der  benach- 
barten Schulen ,  die  so  Vorzügliches  leisteten ,  wie  die  At- 
lasmetope, dem  aus  weiter  Ferne  gekommenen  Paeonios  den 
Vorzug  gaben.  Aber  um  eine  früher  von  mir  gezogene 
Parallele  in  etwas  modificirtem  Sinne  anzuwenden:  wenn 
etwa  Tizian  um  das  Jahr  1510  nach  Nürnberg  gekommen 
wäre,  würde  er  nicht  vielleicht  auch  im  Urtheil  der  Menge 
den  Sieg  über  Dürer  davongetragen  haben?  und  in  gewis- 


20        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  13.  Januar  1877. 

sem  Sinne  mit  Recht?  Die  Verhältnisse  der  griechischen 
Kunst  zur  Zeit  des  Paeonios  bieten  manches  Analoge.  Die 
Statuen  von  Aegina,  das  wichtigste  uns  erhaltene  archaische 
Werk,  haben  trotz  ihrer  relativ  hohen  formalen  Vollendung 
in  ihrer  Gesamraterscheinung  etwas  Kahles  und  Kaltes.  Die 
Behandlung  ist  zu  abstract  und  einseitig  formal-plastisch. 
Selbst  die  Vorzüge  der  Atlasmetope  wenden  sich  mehr  an 
unser  künstlerisches  Urtheil  und  Verständniss,  als  an  unser 
Gefühl  und  Empfinden.  Es  galt  also  nicht  nur,  die  letzten 
Spuren  des  Archaismus  zu  überwinden,  sondern  in  die  Pla- 
stik ein  neues ,  ihr  bisher  fehlendes  Element  einzuführen : 
das  malerische.  Wie  die  Malerei  nicht  bloss  Zusammen- 
stellung von  Farben  ist ,  sondern  die  Wirkung  der  Farben 
an  besiimmten  Formen  zeigen  muss,  so  kann  die  vollendete 
Plastik,  namentlich  wo  sie  ihre  Gestalten  auf  einem  gemein- 
samen Hintergrund,  sei  es  als  Relief,  sei  es  als  Giebelgruppe 
darstellt,  auch  abgesehen  von  der  eigentlichen  Färbung, 
doch  die  malerischen  Gegensätze  von  Licht  und  Schat- 
ten, das  Abwägen  von  Licht  und  Schattenmassen  nicht 
wohl  entbehren.  Aber  non  omnia  possumus  omnes.  Die 
peloponnesischen  Schulen,  zunächst  bestrebt,  das  innere 
Wesen  der  Form  zu  ergründen ,  konnten  nicht  zugleich 
ihre  Aufmerksamkeit  auf  den  Schein ,  die  äussere  Er- 
scheinung richten.  Indem  die  nordgriechische  Kunst  den 
entgegengesetzten  Ausgangspunkt  nahm,  war  sie  nicht  nur 
befähigt,  die  archaische  Gebundenheit  früher  zu  überwinden, 
sondern  musste  unter  relativer  Vernachlässigung  jener  spe- 
cifisch  plastischen  Forderungen  zu  der  malerischen  Auffas- 
sung gelangen,  die  wir  mehrfach  hervorzuheben  Gelegenheit 
hatten.  Keine  der  beiden  Schulen  aber  vermochte  ihre  ur- 
sprüngliche Natur  zu  verleugnen.  Erst  relativ  spät  ent- 
wickelte sich  eine  dritte ,  weniger  einseitig ,  aber  gerade 
dadurch  befähigt,  die  Vorzüge  der  beiden  andern  in  sich 
aufzunehmen:  die  attische.  Ihr  war  es  vorbehalten,  in  dem 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia.  21 

einen  Geiste  des  Phidias  die  bisher  getrennten  Strömungen 
zu  vereinigen,  zn  läutern  und  dadurch  das  Höchste,  in  al- 
len Zeiten  Unerreichte  zu  leisten.  Wie  wir  aber  die  um- 
brische,  florentinische,  venetianische  Schule  nicht  verachten, 
weil  sie  durch  Raphael  in  Schatten  gestellt  wurden,  so 
werden  wir  auch  das  relative  Verdienst  der  nordgriechischen 
Kunst  nicht  verkennen ,  die  ein  nothwendiges  Glied  in  der 
Kette  der  Entwicklung  zur  Vollkommenheit  bildet.  Zugleich 
ergiebt  sich  aber  hieraus  die  chronologische  Stellung  der 
Sculpturen  des  Paeonios.  Sie  können  nur  vor  Phidias,  oder 
genauer :  vor  den  Sculpturen  des  Parthenon  entstanden  sein. 
Hätte  Paeonios  in  directen  Beziehungen  zu  Phidias  gestan- 
den, so  würde  er  seine  immerhin  einseitige  Eigen  thümlich- 
keit  nicht  so  rein  haben  bewahren  können.  Seine  Arbeiten 
müssten  in  plastischer  Durchbildung  vollendeter  sein,  aber  in 
demselben  Verhältniss  für  uns  weniger  lehrreich.  Ihr  Haupt- 
werth  für  uns  beruht  gerade  darin,  dass  sie  uns  eine  breite 
Anschauung  von  einer  Entwicklungsstufe  der  Kunst  gewäh- 
ren, die  bisher  kaum  bekannt,  uns  erst  das  richtige  und 
volle  Verständniss  der  höchsten  Blüthe  zu  erschliessen  vermag. 
Erst  jetzt  ist  es  an  der  Zeit,  dass  wir  uns  der  Be- 
trachtung der  Nike  zuwenden,  die  in  ihrer  Eigenart  die 
Aufmerksamkeit  fast  zu  sehr  auf  sich  und  von  den  andern 
Sculpturen  abgelenkt  hatte.  Es  ist  aber  hier  in  ganz  be- 
sonderem Grade  noth wendig,  dass  wir  unser  Auge  klar  und 
von  Vorurtheilen  rein  erhalten  und  ohne  irgend  welche  Vor- 
eingenommenheit an  ihre  Betrachtung  gehen.  Sprechen  wir 
es  also  zunächst  ohne  Rückhalt  aus,  dass  ohne  äussere 
Zeugnisse  wohl  niemand  die  Nike  und  die  Giebelstatuen 
einem  und  demselben  Meister  zuzuschreiben  wagen  würde. 
Die  Zeugnisse  sind  aber  diesmal  klar  und  unzweifelhaft, 
wir  haben  uns  ihnen  zu  beugen  und  müssen  uns  daher 
begnügen,  nicht  die  Notwendigkeit,  sondern  nur  die  Mög- 
lichkeit in  der  Entwickelung  eines  Künstlers,    wie  sie  hier 


22       Sitzung  der  philos.-philol  Classe  vom  13.  Januar  1877. 

vorliegt,  einigermassen  begreiflich  zu  machen.  Den  Raphael 
des  Sposalizio  trennt  von  dem  der  Vision  des  Ezechiel  nur 
ein  Zeitraum  von  sechs  Jahren:  wären  uns  alle  Zwischen- 
glieder zwischen  den  beiden  Werken  verloren  gegangen,  so 
würde  es  uns  vielleicht  noch  schwerer  werden,  an  die  Iden- 
tität der  Person  des  Künstlers  zu  glauben,  als  bei  dem 
Paeonios  des  Giebels  und  dem  der  Nike.  Indem  wir  auch  hier 
den  Weg  der  analytischen  Betrachtung  betreten ,  muss  zu- 
erst ganz  nachdrücklich  betont  werden,  dass  dabei  zwischen 
Motiv,  künstlerischer  Erfindung  und  Ausführung  in 
bestimmtester  Weise  zu  unterscheiden  ist.  Wir  sprechen 
zuerst  nur  von  der  Ausführung. 

Es  war  durch  die  Forderungen  des  Gleichgewichts  na- 
mentlich bei  einer  Aufstellung  in  nicht  unbedeutender  Höhe 
bedingt,  dass  im  Rücken  der  Gestalt  vom  Gürtel  abwärts 
noch  ein  nach  hinten  aufgebauschter  Mantel  herabfiel.  Es 
mag  unerörtert  bleiben,  ob  der  künstlerische  Eindruck  des 
Ganzen  dadurch  gewann.  Betrachten  wir  zunächst  nur  das 
erhaltene  untere  Stück,  das  auf  den  Felsen  aufstösst,  so 
wird  es  uns  nicht  ganz  leicht  werden,  uns  dasselbe  in  den 
richtigen  Zusammenhang  mit  den  fehlenden  Theilen  zu 
bringen.  Namentlich  an  den  Extremitäten  gerade  über  dem 
Adler  köpf  löst  es  sich  nicht  so  von  dem  Felsen,  wie  wir 
es  bei  dem  Fluge  der  Gestalt  erwarten  sollten;  es  klebt 
fest,  und  gerade  an  dieser  Stelle  möchten  wir  mehr  als 
anderswo  den  Paeonios  der  Giebelfiguren  wiedererkennen. 
Auch  der  Fels  in  seinen  weichen  und  gerundeten  Formen, 
aus  denen  sich  der  Adler  wenigstens  auf  der  einen  Seite 
nur  vermittelst  der  Farben  losgelöst  haben  kann,  darf  uns 
wohl  an  den  Sitz  der  Nymphe  auf  der  pariser  Metope  er- 
innern. Ungewöhnlich  ist  die  Anordnung  des  Gewandstückes 
unter  der  linken  Achsel.  Es  fällt  etwas  heraus  aus  dem 
Zusammenhange  der  Linien,  hat  etwas  nicht  Nothwendiges, 
sondern  Zufälliges  oder  beliebig  Arrangirtes,  löst  sich  nicht 


Brunn:  Die  ScuJpturen  von  Olympia.  23 

frei,  sondern  klebt  wieder  am  Körper.  Die  Falten,  welche 
von  der  rechten  Brust  nach  dem  Gürtel  zu  herabfallen, 
leiden  an  einer  gewissen  Einförmigkeit  und  erscheinen 
nicht  so  motivirt,  wie  sie  in  ihrer  Beziehung  zur  Rundung 
des  Busens  motivirt  sein  sollten.  Am  wenigsten  gelungen 
ist  jedenfalls  die  vordere  Rundung  des  Leibes  mit  den  von 
ihm  sich  ablösenden  harten  Falten,  anter  denen  sich  nament- 
lich die  von  der  linken  Seite  nach  der  Mitte  zu  laufende 
in  wenig  angenehmer  Weise  bemerklich  macht.  Unklarheit 
zeigt  sich  wieder  in  der  Disposition  der  ganz  flach  gehal- 
tenen Falten,  die  unter  ihr  hervor  nach  hinten  sich  ziehen. 
Grössere  Lebendigkeit  herrscht  allerdings  in  dem  unteren 
flatternden  Theile  des  Chiton :  der  Körper  tritt  klar  aus  den 
geschwungenen  Linien  der  Falten  hervor  und  im  Allge- 
meinen herrscht  hier  ein  einheitlicher  Zug,  eine  einheitliche 
Bewegung.  Und  doch  werden  wir  bei  einer  ins  Einzelnste 
gehenden  Betrachtung  z.  B.  bei  der  Ablösung  der  einzelnen 
Falten  von  den  Formen  des  Körpers  gewisse  Härten  nicht 
ableugnen  können.  Es  fehlt  in  der  Ausführung  die  fein- 
empfindende Hand,  die  uns  trotz  archaischer  Härte  z.  B. 
in  dem  Relief  der  wagenbesteigenden  Frau  von  der  Akro- 
polis  anzieht ;  es  fehlt  in  den  Formen  des  Körpers  die  volle 
Frische,  das  innere  schwellende  Leben.  Man  wird  sicher- 
lich einwenden ,  dass  ich  ein  kühn  geniales  Werk  einer 
kleinlich  missgünstigen  Kritik  unterwerfe.  Aber  erste  Pflicht 
der  Wissenschaft  ist  das  absolute,  durch  keine  Nebenrück- 
sicht bedingte  Streben  nach  Wahrheit;  und  die  strengste 
Kritik  ist  hier  geboten,  am  zu  unbefangener  Würdigung 
einer  Behauptung  zu  gelangen,  die  man  durch  die  erste 
Ueberraschung  geblendet  zuversichtlich,  aber  ohne  genügende 
Prüfung  ausgesprochen  hat :  dass  nemlich  die  Nike  des 
Paeonios  unter  dem  unmittelbaren  Einflüsse  des  Phidias, 
speciell  der  Parthenonsculpturen  entstanden  sei  und  der 
Künstler  desshalb  als  der  Schule  des  Phidias  angehörig  be- 


24  Sitzung  der  philos.-phüol.  Gasse  vom  13    Januar  1877. 

trachtet  werden  müsse.  Nichts  pflegt  der  gerechten  Aner- 
kennung eines  Kunstwerkes  nachtheiliger  zu  sein,  als  Ueber- 
schätzung,  wie  sie  sich  so  leicht  in  der  ersten  Freude  über 
die  Entdeckung  neugefundener  Werke  einstellt.  Sie  muss 
nothwendig  eine  Reaction  im  Urtheil  hervorrufen  und  zwingt 
die  Kritik,  Manches  schärfer  hervorzuheben  als  es  sonst 
nothwendig  gewesen  wäre.  So  kann  ich  nicht  umhin,  hier 
in  bestimmtester  Weise  auszusprechen,  dass  in  der  Aus- 
führung die  Nike  des  Paeonios  den  Statuen  des  Parthenon 
weit  nachsteht.  Am  leichtesten  wird  man  sich  davon  über- 
zeugen, wenn  man  gute  Photographien  beider  Werke  neben- 
einanderlegt, so  dass  man  sie  mit  einem  Blicke  übersehen 
und  dadurch  in  unmittelbarster  Weise  vergleichen  kann. 
Da  erscheinen  denn  an  den  Parthenonstatuen  die  Körper 
voll  des  innerlichsten  Lebens,  von  innen  herausgewachsen. 
In  der  Gewandung  sind  die  verschiedenen  Stoffe  auf  das 
Feinste  und  Schärfste  durch  den  Bruch  der  Falten  charak- 
terisirt,  diese  aber  stehen  wieder  in  engster  Beziehung  zu 
Körperform  und  Bewegung.  Alles  aber  ist  einem  einzigen 
einheitlichen  Gedanken  untergeordnet,  nichts  ist  zufällig, 
sondern  bis  in  das  Einzelnste  wirkt  das  Gesetz  mit  Not- 
wendigkeit. • 

Nun  wird  man  zwar  sagen,  dass  ja  die  Nike  nicht 
durchaus  auf  gleiche  Stufe  gestellt  werden  solle  mit  diesen 
Statuen,  dass  sie  sich  aber  doch  verhalten  könne  oder  ver- 
halte, wie  das  Werk  des  minder  bedeutenden  Schülers  zu 
dem  des  grösseren  Meisters.  Besitzen  wir  nun  auch,  ab- 
gesehen von  dem,  was  der  laufende  Winter  in  Olympia 
ans  Licht  bringen  mag,  keine  Werke  bestimmter  Schüler 
des  Phidias,  so  dürfen  wir  doch  die  Sculpturen  von  der 
Balustrade  des  Niketempels  und  den  Fries  von  Phigalia 
als  Arbeiten  betrachten ,  die  uns  von  der  „Schule",  dem 
Charakter  der  Kunst  unter  den  Nachfolgern  des  Phidias 
einen   Begriff  geben.     Es    mag   ihnen    nun   allerdings    die 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia.  25 

volle  Frische  und  Unmittelbarkeit,  jenes  tief  eindringende 
innere  Verständniss  fehlen,  welches  die  Parthenonsculpturen 
unerreichbar  macht.  Aber  die  Künstler  befinden  sich  im 
Vollbesitze  der  reichsten  Mittel,  die  ihnen  die  Schule  über- 
liefert hat,  und  so  konnten  die  Künstler  der  Balustrade 
ihre  Virtuosität  noch  steigern  in  der  Richtung  einer  fast 
raffinirten  Eleganz,  während  die,  welche  den  Fries  von 
Phigalia  ausführten,  wohl  unbesorgter,  derber  und  äusser- 
licher  zu  Werk  gingen,  aber  mit  grösster  Bravour  einen 
um  so  flotteren  Meissel  führten.  Mit  andern  Worten :  nach 
beiden  Seiten  hin  werden  die  tieferen  Eigenschaften,  in 
denen  man  dem  Meister  nicht  gleichkommt,  durch  Praktik, 
Routine  ersetzt.  Die  Künstler  erscheinen  wie  die  reich  ge- 
borenen Söhne  eines  durch  eigenes  Verdienst  reich  gewor- 
denen Vaters.  Ist  dies  auch  der  Charakter  des  Künstlers 
der  Nike?  Ein  unbefangenes  Urtheil,  welches  ohne  histo- 
rische Voreingenommenheit  das  Auge  nur  auf  die  Werke 
selbst  richtet,  wird  zugeben  müssen,  dass  die  Nike  ihre 
Stelle  nicht  nach  den  Parthenonsculpturen  einnimmt,  son- 
dern vor  denselben.  Die  einzelnen  Formen  sind  noch  ein- 
facher, schlichter,  herber.  Die  Linien  greifen  nicht  so  har- 
monisch in  einander ;  der  Künstler  ist  noch  nicht  im  Voll- 
besitz aller  Mittel,  sondern  er  sucht  noch  nach  dem 
adäquaten  Ausdruck  der  Form.  Wäre  er  in  der  Schule 
des  Phidias  gewesen,  so  würde  er  dort  bereits  fertig  vorge- 
funden haben,  was  er  noch  brauchte. 

Soviel  über  das  Einzelne  der  Formen  und  ihre  Aus- 
führung. Fassen  wir  aber  weiter  die  Verschiedenheiten  der 
Nike  und  der  Giebelstatuen  des  Paeonios  in's  Auge,  so 
werden  wir  auch  die  Verschiedenheit  der  Aufgabe  scharf 
betonen  müssen,  die  dem  Künstler  bei  der  ersteren  gestellt 
wurde.  Nicht  zu  unterschätzen  sind  sogleich  die  äusseren 
Umstände  der  Aufstellung.  Das  Band,  welches  selbst  eine 
Giebelgruppe  noch  mit  der  Malerei,  und  bei  Paeoniosnoch  fester 


26        Sitzung  der  philo s.-phüol.  Classe  com  13.  Januar  1877. 

als  sonst  verknüpft,  muss  sich  lösen  bei  einer  Statue,  die 
für  sich  nicht  nur  frei,  sondern  frei  auf  hohem  Postameut 
gewisserinassen  in  der  Luft  schwebend  erscheint.  Hier 
verlangen  wir  nicht  malerische  Flächen,  sondern  runde  pla- 
stische Formen,  die  durch  den  Gegensatz  von  Licht  und 
Schatten,  von  Höhen  und  Tiefen  in  der  Luft  hervortreten 
sollen.  Schon  dadurch  ist  eine  ganz  andere  Art  der  Mo- 
dellirung,  als  bei  dem  malerischen  Vollrelief  der  Giebel- 
statuen bedingt.  Nicht  minder  haben  wir  zu  achten  auf 
den  besonderen  Gegenstand  und  das  Motiv  der  Darstellung. 
Auch  ein  geringerer  Künstler  als  Paeonios  würde  es  nie 
wagen ,  einer  so  lax  zusammengefügten  Gestalt ,  wie  etwa 
dem  Kladeos  oder  Alpheios,  Flügel  anzuheften.  Das  Schwe- 
ben verlangt  schlankere  Proportionen ,  eine  strengere  Fü- 
gung der  Glieder,  eine  knappere  schärfere  Handhabung  des 
Meisseis  in  der  Ausführung.  Trotz  dieser  specifisch  pla- 
stischen Anforderungen  ist  aber  doch  wiederum  gerade  das 
Grundmotiv  der  ganzen  Composition  ein  so  durchaus  ma- 
lerisches, dass  es  überhaupt  nur  durch  gewisse  Cautelen  im 
Aufbau  für  die  Plastik  verwendbar  wurde.  Niemand  wird 
hier  dem  Künstler  wegen  seiner  eben  so  neuen  wie  kühnen 
Erfindung  seine  Bewunderung  versagen,  und  gern  vergessen 
wir  gegenüber  der  glänzenden  Gesammterscheinung  die 
früher  hervorgehobenen  formalen  Unvollkommenheiten ,  die 
nur  dem  Höchsten  gegenüber  geltend  gemacht  wurden. 
Ist  es  nun  aber  reiner  Zufall,  dass  nach  einer  von  zwei 
Ueberlieferungen  aus  dem  Alterthum  der  Maler  Aglaophon 
aus  Thasos,  der  Vater  des  Polygnot,  es  war,  welcher  zuerst 
die  Nike  geflügelt  dargestellt  hatte?  Wir  werden  dadurch 
wieder  nach  Nordgriechenland  zurückgeführt  und  haben 
wenigstens  nicht  nöthig  anzunehmen,  dass  Paeonios  das 
Grundmotiv  seiner  Erfindung  anderswoher  als  aus  seiner 
Heimath  entlehnt  habe,  selbst  wenn  Aglaophon  die  Nike 
etwa  nur  erst  beflügelt,  aber  noch  nicht  schwebend  gebildet 


Brunn:  Die  Sculpturen  von  Olympia.  27 

haben  sollte.  Bei  dem  entschieden  malerischen  Charakter 
der  nordgriechischen  Plastik  erklärt  sich  sogar  das  Her- 
übernehmen eines  überwiegend  malerischen  Motives  in  die 
Plastik  hier  weit  leichter  als  irgend  anderswo. 

Aus  den  bisherigen  Erörterungen  ergibt  sich  also,  dass 
einen  Schulzusammenhang  des  Paeonios  mit  Phidias  anzu- 
nehmen keineswegs  mit  Notwendigkeit  geboten  erscheint, 
vielmehr  bestimmte  Anzeichen  gegen  einen  solchen  sprechen. 
Andererseits  liegen  wenigstens  hinlängliche  Anknüpfungs- 
punkte vor ,  •  um  uns  auch  die  Nike  auf  dem  Grunde  der 
heimathlichen  Kunst  erwachsen  vorstellen  zu  können.  Da- 
bei soll  allerdings  die  Möglichkeit  nicht  geleugnet  werden, 
dass  Paeonios  Werke  das  Phidias  gekannt  und  allgemeine 
Anregungen  von  ihnen  erhalten  haben  könne,  wie  ja  z.  B. 
auch  Raphael  den  Einflüssen  der  Werke  des  Michelangelo  sich 
nicht  verschloss,  ohne  dass  von  einem  Schulzusammenhange 
mit  ihm  die  Rede  wäre.  Ich  gestehe,  dass  ich  selbst  An- 
fangs geneigt  war,  solche  Einflüsse  in  weit  grösserem  Um- 
faDge  zuzugeben,  als  es  sich  bei  genauerer  Betrachtung  als 
nothwendig  erwieseu  hat.  Namentlich,  dass  gerade  die 
Parthenonsculpturen  auf  Paeonios  eingewirkt  haben,  darf 
um  so  weniger  behauptet  werden ,  als  dieselben ,  wie  wir 
gesehen,  offenbar  jünger  oder  höchstens  der  Nike  gleich- 
zeitig waren.  Es  ist  aber  schliesslich  noch  ein  anderer 
Punkt  hier  scharf  zu  betonen.  Der  älteren  attischen  Pla- 
stik ist  ein  malerisches  Element  fast  so  fremd,  wie  der  pe- 
loponnesischen.  Bei  Phidias  ist  es  vorhanden.  Woher 
stammt  es  bei  ihm  ?  Wir  dürfen  mit  Zuversicht  antworten, 
dass  es  durch  Vermittelung  der  nordgriechischen  Kunst  des 
Polygnot  nach  Athen  gelangte.  Sollen  wir  nun  annehmen, 
dass  Paeonios,  der  Nordgrieche ,  gewisse  Elemente  seiner 
Kunst  den  Attikern  entlehnt  habe,  welche  eben  erst  die- 
selben Elemente  aus  Nordgriechenland  bei  sich  eingeführt 
hatten  ?     Auf  das   Lob   der   Einfachheit  und  Natürlichkeit 


2  8        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  13.  Januar  1877. 

dürfte  eine  solche  Annahme  wahrlich  keine  Ansprüche  er- 
heben. Halten  wir  also  vorläufig  die  Nike  als  ein  nord- 
griechisches Werk  fest  und  überlassen  wir  es  der  Zukunft, 
ob  sich  etwa  durch  weitere  Entdeckungen  die  Mittel  erge- 
ben werden,  über  die  Grenzen  der  heimathlichen  Schule 
hinaus  auch  Wechselwirkungen  mit  anderen  Schulen  nach- 
zuweisen. 


Historische    Classe. 


Sitzung  vom  13.  Januar  1877. 

Herr  Friedrich  hielt  einen  Vortrag : 

„Ueber  eine  an  den  römischen  Stuhl  ge- 
richtete Denkschrift  der  bayerischen 
Regierung  über  Attentata  et  violentiae 
ex  parte  ordinariatus  Frisingensis 
(circa  1679)." 

Sitzung  vom  3.  Februar  1877. 

Herr  Rockinger  legte  ein  von  Herrn  Wegele  in 
Würzburg   eingesandtes  Würzburgisches    Nekrologium    vor. 

Dasselbe  wird  in  den  Abhandlungen  der  Akademie  ver- 
öffentlicht werden. 

Herr  v.  D  ruf  fei  hielt  einen  Vortrag: 

„Ueber  Herzog  Albrecht  V.  von  Bayern 
in  seinen  frühere  n  Regierungsjahren/1 


30 

Philosophisch-philologische   Classe. 


Sitzung  vom  3.  März  1877. 

Herr  Lauth  hielt  einen  Vortrag: 

„Troja's   Epoche/1 
Derselbe  wird  in  den  Abhandlungen  der  Akademie  ver- 
öffentlicht werden. 

Herr  v.  Maurer  hielt  einen  Vortrag: 

„Norwegens  Schenkung  an  den   heiligen 
01af.u 
Derselbe  wird  gleichfalls  ebendort  veröffentlicht  werden. 


Historische    Classe. 


Sitzung  vom  3.  März  1877. 

Herr  Preger  hielt  einen  Vortrag: 

„Der   Streit  Ludwig   des  Bayern  mit  dem 
Papstthume." 
Derselbe  wird  in  den  Abhandlungen  der  Akademie  ver- 
öffentlicht werden. 


Oeffentliche  Sitzung  der  k.   Akademie  der  Wissen- 
schaften 
zur  Feier  des    118.  S tiftu  ngs tages 
am  28.  März  1877. 

Der  Präsident  Herr  v.  Döllinger  hielt  eine  Fest- 
rede, welche  dem  Andenken  des  vor  hundert  Jahren  ver- 
storbenen Kurfürsten  Max  Joseph  III.,  des  Stifters  der  Aka- 
demie, gewidmet  war. 

Hierauf  verkündete  der  Herr  Präsident  Folgendes: 

Die  Akademie  der  Wissenschaften  stellt  zur  Bewerbung 
um  den  von  Hrn.  Christakis  Zographos  in  Constan- 
tinopel  gestifteten  Preis  auf  Vorschlag  der  philosophisch- 
philologischen Classe  folgendes  Thema: 

„Eingehende  Untersuchung  über  den  Umfang,  den 
„Inhalt  und  deD  Zweck  der  auf  Veranstaltung  des 
„Kaisers  Konstantinos  VII.  Porphyrogennetos  ge- 
dachten Sammlungen  von  Excerpten  aus  den  Werken 
„älterer  griechischer  Schriftsteller." 

Der  unerstreckliche  Einsendungs  -  Termin  der  Bearbeit- 
ungen, welche  nur  entweder  in  deutscher  oder  in  lateinischer 
oder  in  griechischer  Sprache  geschrieben  sein  dürfen  und  an 
Stelle  des  Namens  des  Verfassers  ein  Motto  tragen  müssen, 
welches  an  der  Aussenseite  eines  mitfolgenden  den  Namen 
des  Verfassers  enthaltenden  verschlossenen  Oouverts  wieder- 
kehrt, ist  der  31.  December  1878. 

Der  Preis  beträgt  1500  Mark,  wovon  die  eine  Hälfte 
sofort  nach  Zuerkennung,  die  andere  Hälfte  erst  dann  zahl- 
bar ist,  wenn  der  Verfasser  für  die  Druck- Veröffentlichung 
seiner  Arbeit  genügende  Sicherheit  geboten  hat. 


32  Oeffentliche  Sitzung  vom  28.  März  1877. 


Der  Classensecretär  Herr  v.  Prantl  erwähnte  in  Kürze 
die  im  abgelaufenen  Jahre  verstorbenen  Mitglieder  der  philos.- 
philol.  Classe,  nernlich  das  ordentliche  Mitglied  Martin 
Haug,  und  die  auswärtigen  Mitglieder  Christian  Lassen 
in  Bonn,  Friedrich  Diez  in  Bonn,  Daniel  Bonif. 
v.  Haneberg  in  Speier,  Friedrich  Ritschi  in  Leipzig, 
Hermann  Köchly  in  Heidelberg,  Hermann  Brockhaus 
in  Leipzig. 

Wegen  vorgerückter  Zeit  wurde  das  Nähere  der  hie- 
mit  folgenden  Druck-Veröffentlichung  vorbehalten: 

Martin  Haiig, 

geb.  am  30.  Jan.  1827  in  Ostdorf,  Oberamts  Balingen,  in 
Württemberg,  zeigte  bereits  in  der  Elementarschule  eine  so 
hervorragende  Begabung,  dass  sein  Vater,  ein  braver  und 
tüchtiger  Bauer,  sich  endlich  überreden  Hess,  dem  ohne- 
diess  für  die  Feldarbeit  etwas  schwächlichen  Jungen  den 
Uebertritt  zum  Schullehrerstande  zu  gestatten.  Als  „Schul- 
incipient"  aber  und  alsbald  als  Schullehrerpräparand  ergriff 
er  jede  sich  bietende  Möglichkeit,  entweder  für  sich  allein 
aus  Büchern  oder  unter  Beihilfe  älterer  Kameraden  die 
antiken  Sprachen  zu  erlernen,  so  dass  er,  als  er  (Nov.  1843) 
Schulgehilfe  in  Unterensingen  bei  Nürtingen  geworden  war, 
bereits  Plato  und  Tacitus  zu  lesen  vermochte.  In  gleicher 
Stellung  zu  Grossbottwar  bei  Marbach  verwendet  (1844) 
studirte  er  völlig  autodidaktisch  Sanskrit  aus  der  Bopp'- 
schen  Ausgabe  der  Erzählung  von  Nala  und  Damajanti,  in- 
dem er  nach  der  lateinischen  Uebersetzung  zunächst  die 
Eigennamen  zur  Zusammenstellung  des  Sanskrit- Alphabetes 
benützte  und  so  fort  auf  diesem  mühevollsten  Wege  sich 
selbst  das  ganze  Sprach- Gebäude  construirte.    Auch  während 


v,  Prantl:  Nekrolog  auf  Martin  Hang.  33 

er  (1845)  als  Lehrgehilfe  in  Beihingen  bei  Ludwigsburg 
und  bald  hernach  als  Lehrer  auf  dem  Hardthof  (in  der 
Nähe  von  Stuttgart)  wirkte,  benutzte  er  emsigst  jede  freie 
Stunde,  um  sich  mittelst  der  wenigen  Bücher,  welche  ihm 
zu  Gebot  standen,  zum  Besuche  der  Universität  vorzubereiten. 
So  erreichte  er  es,,  dass  er  (März  1848)  in  die  Oberclasse 
des  Stuttgarter  Gymnasiums  eintreten  und  im  Herbste  als 
Studirender  der  Philologie  in  Tübingen  immatriculirt  werden 
konnte,  wo  er  zunächst  bei  Walz,  Teuifel  und  Schwegler 
hörte,  in  Bälde  eine  von  der  Facultät  gestellte  Preisaufgabe 
über  die  Quellen  der  Plutarch' sehen  Biographien  mit  glän- 
zendem Erfolge  bearbeitete,  und  dann  unter  Rud.  Roth's 
Leitung  sich  mit  orientalischer  Linguistik  beschäftigte.  Den 
Lebensunterhalt  musste  er  durch  Ertheilung  von  Privat- 
unterricht und  durch  Stipendien  erreichen,  wozu  zum  Glücke 
die  durch  Ad.  v.  Keller  vermittelte  Aufnahme  in  den 
,, Neuen  Bauu  kam.  Am  1.  März  1852  promovirte  er  auf 
Grund  der  erwähnten  Preis -Schrift  und  begab  sich  dann 
nach  Göttingen,  wo  er  auch  K.  Fr.  Hermann's  Vorlesungen 
besuchte,  aber  hauptsächlich  Orientalia  unter  Benfey's  und 
insbesondere  unter  Ewald's  Leitung  betrieb,  welch  Letzterer 
ihn  aufforderte,  iu  eben  diesen  Studien  seinen  Lebensberuf 
zu  wählen.  Der  Wunsch,  in  Tübingen  als  Privatdocent 
aufzutreten,  fand  am  massgebenden  Orte  kein  günstiges 
Entgegenkommen,  und  so  begab  sich  Haug  nach  Bonn,  wo 
er  von  Lassen  freundlich  aufgenommen  am  9.  Nov.  1854 
mit  einem  Vortrage  „Die  Religion  Zoroasters  nach  den 
alten  Liedern  des  Zendavesta"  habilitirte.  Schon  durch  seine 
ersten  literarischen  Leistungen,  besonders  durch  die  „Zend- 
studien"  (1855  in  der  Zeitschr.  d.  deutschen  morgenländ. 
Gesellsch.  Bd.  IX)  legitimirte  er  sich  als  einen  höchst  scharf- 
sinnigen Forscher,  und  vor  Allem  wirkte  seine  Schrift 
,,Ueber  die  Pehlevi- Sprache  und  den  Bundehesch"  (1854) 
für  dieses  Gebiet  bahnbrechend.  Gedrückte  äussere  Lage 
[1877. 1.  Phil.  bist.  Cl.  1.]  3 


34  Oeff'entliche  Üitzung  vom  28.  März  1877. 

veranlasste  ihn  1856,  die  Stelle  eines  Privatsecretärs  bei 
Bunsen  in  Heidelberg  anzunehmen,  durch  dessen  Unter- 
stützung es  ihm  auch  ermöglicht  wurde,  Paris  und  London 
zu  besuchen;  in  Bunsen's  Werk  „Aegyptens  Stelle  in  der 
Weltgeschichte",  Bd.  V.  (1856)  ist  von  Haug's  Feder  „Das 
erste  Capitel  des  Vendidad  übersetzt  und  erläutert11.  Wäh- 
rend er  mit  der  Ausarbeitung  des  Werkes  „Die  fünf  Gäthä's 
oder  Sammlungen  von  Liedern  und  Sprüchen  Zarathustra V ' 
(1.  Abth.  1858,  2.  Abth.  1860)  begonnen  hatte,  wurde  an 
ihn  durch  Dr.  Pattison  aus  Oxford  im  Auftrage  des  Direc- 
tors  Howard  in  Bombay  die  Anfrage  gerichtet  (Mai  1858), 
ob  er  eine  Professur  des  Sanskrit  in  Poona,  woselbst  die 
Brahmanen  des  Dekhan  ihre  Studien  machen,  annehmen 
wolle.  Haug  löste  nun  das  Verhältniss  zu  Bunsen  und 
kehrte,  da  die  Verhandlungen  mit  der  englischen  Regierung 
sich  in  die  Länge  zogen,  wieder  nach  Bonn  zurück,  wo  er 
noch  im  folgenden  Winter  -  Semester  Vorlesungen  hielt. 
Nachdem  im  Juni  1859  die  Unterhandlungen  endlich  ab- 
geschlossen worden,  trat  er  mit  seiner  Gattin,  mit  welcher 
er  sich  am  13.  Juni  verbunden  hatte,  am  18.  Juli  die  Reise 
nach  Indien  an,  wo  er  im  November  ankam.  Als  Professor 
des  Sanskrit  und  Superintendent  der  Sanskritstudien  am 
College  zu  Poona  gab  er  dem  Betriebe  des  Sanskrit  und 
desZend  einen  völlig  neuen  Impuls  und  brachte  den  deutschen 
Namen  zu  höchster  Ehre.  Es  war  nicht  bloss  seine  Ge- 
lehrsamkeit, durch  welche  er  grossen  Erfolg,  und  Einfluss 
errang,  sondern  er  gewann  auch  durch  sein  humanes  Wesen 
und  durch  ein  hervorragendes  Umgangs -Talent  das  Ver- 
trauen der  Brahmanen  in  so  hohem  Grade,  dass  dieselben 
ungeachtet  der  strengsten  Vorschriften,  wornach  das  Opfer- 
Ritual  geheim  ^gehalten  werden  muss,  sich  dennoch  herbei- 
liessen,  in  seinem  Hofe  ein  vedisches  Opfer  zu  veranstalten. 
Dazu  kam  als  ein  weiterer  Gewinn,  dass  er  durch  befreun- 
dete Brahmanen  die  Art  der  Recitation  der  Veden   kennen 


v.  Prantl:  Nekrolog  auf  Martin  Hang.  35 

lernte,  und  staunend  müssen  wir  seine  Ausdauer  bewundern, 
mit  welcher  er  volle  vierzehn  Tage  hindurch  sich  den  Rig- 
veda  und  den  Atharvaveda  recitiren  liess.  Eine  reiche 
wissenschaftliche  Ausbeute  fand  er  ferner,  als  er  (1863)  im 
Auftrage  der  Regierung  eine  Reise  in  die  Provinz  Guzerat 
unternahm,  um  Sanskrit-,  Zend-  und  Pehlevi-Handschriften 
zu  kaufen;  dort  hörte  er  auch  den  Samaveda  recitiren.  In 
Poona  verfasste  er  die  Schriften  ,,Lecture  on  the  origin  of 
the  Parsee  religion"  (1862),  „Essays  on  the  sacred  lan- 
guage,  writings  and  religion  of  the  Parseesu  (1862,  eine 
2.  Auflage  hievon  hat  er  noch  1874  vorbereitet),  „The 
origin  of  Brahmanism"  (1863),  und  bearbeitete  sein  Haupt- 
werk „The  Aitarey'a  Brahmanam  of  the  Rigveda"  (2  Bdde. 
1863),  womit  zusammenhing  „A  contribution  towards  a  right 
understanding  of  the  Rigveda"  (1863).  Es  handelte  sich 
ihm  dabei  um  die  Verwerthung  des  völlig  neuen  Materiales, 
welches  er  durch  den  erwähnten  Verkehr  mit  den  Brah- 
manen  gewonnen  hatte,  und  wenn  auch  die  Ausschliesslich- 
keit sowie  die  Ausdehnung  seiner  grundsätzlichen  Motive 
bei  Fachgenossen  Widerspruch  gefunden  hat,  wird  ihm  Nie- 
mand die  Anerkennung  des  wirklich  Verdienstlichen  vor- 
enthalten. Uebermässige  Anstrengung  und  klimatische  Ein- 
flüsse hatten  allmälig  seine  physischen  Kräfte  geschwächt, 
so  dass  eine  Aenderung  seiner  Lage  als  unumgänglich  uoth- 
wendig  erschien.  Förmlich  überschüttet  mit  Auszeichnungen 
und  Adressen  verliess  er  Poona  und  kehrte  nach  Deutsch- 
land zurück  (Febr.  1866),  wo  er  sich  zunächst  in  Reut- 
lingen und  dann  in  Stuttgart  niederliess.  Dort  begann  er 
noch  die  Verarbeitung  des  reichen  aus  Indien  mitgebrachten 
Stoffes  mit  „An  old  Zand-Pahlavi  glossary"  (1867).  Im 
J.  1868  folgte  er  einem  Rufe  an  die  Universität  München 
als  ordentlicher  Professor  des  Sanskrit  und  der  vergleichen- 
den Sprachwissenschaft,  und  sowie  ihm  als  Lehrer  der  un- 
ermessliche    Vortheil    zur    Seite    stand,   dass    er    in    Folge 

3* 


36  Oeftentliche  Sitzung  vom  2ü.  März  1877. 

mehrjähriger  Erfahrung  mit  dem  Leben  und  den  Anschau- 
ungen jener  Völker  vertraut  war,  deren  Sprache  und  Lite- 
ratur er  zum  Gegenstande  seiner  Vorträge  zu  machen  hatte, 
so  gelang  es  ihm  auch,  durch  seine  liebevolle  und  auf- 
opfernde Thätigkeit  Schüler  heranzuziehen.  Daneben  aber 
förderte  er  auch  schriftstellerisch  die  Wissenschaft  durch 
zahlreiche  Ergebnisse  seiner  Forschungen,  namentlich  in  den 
Publicationen  unserer  Akademie,  welcher  er  seit  1866  als 
Mitglied  angehörte.  Wir  erwähnen  hieraus  besonders :  ,,Ueber 
die  ursprüngliche  Bedeutung  des  Wortes  Brahma"  (1868), 
„Ueber  den  Charakter  der  Pehlevi-Spracheu  (1869),  „Ueber 
das  Ardäi  Viräf  nämeh"  (1870),  „Brahma  und  die  Brah- 
lnanen"  (1871),  „Die  Ahunavairya- Formel,  das  heiligste 
Gebet  der  Zorastrieru  (1872),  „Ueber  das  Wesen  und  den 
Werth  des  vedischen  Accentes"  (1873),  „Vedische  Rätbsel- 
fragen  und  Räthselsprüche"  (1876).  Im  Vereine  mit  an- 
deren Gelehrten  bearbeitete  er  „An  old  Pahlavi  -  Päzand 
glossary"  (1870)  und  „The  book  of  Arda  Viraf"  (1872); 
auch  entwickelte  er  noch  bei  Gelegenheit  des  Londoner 
Orient alisten-Congresses  (1874)  seine  Grundsätze  durch  die 
Schrift  „On  the  interpretation  of  the  Vedau.  Hang,  in 
vollem  Sinne  des  Wortes  ein  „seif  made  man",  hatte  mit 
eiserner  Willenskraft  und  rücksichtsloser  Wahrheitsliebe 
stets  das  Ziel  verfolgt,  in  die  letzten  Tiefen  der  indischen 
und  der  persischen  Literatur  und  Cultur  einzudringen;  rast- 
los rieb  er  in  Forschung  und  Lehrthätigkeit  seine  Kräfte  auf 
und  gelangte  so  in  eine  fast  unnatürliche  Nervenaufregung, 
als  deren  Folge  sein  heftiges  Gebahren  und  die  Weise  seiner 
Polemik  zu  betrachten  und  zu  entschuldigen  sind.  An 
Charakter  edel,  schlicht  und  geradsinnig  bewahrte  er  bei 
allem  Aufbrausen  stets  in  seinem  innersten  Wesen  eine 
hingebende  Gutmüthigkeit  und  humanstes  Wohlwollen.  Be- 
reits im  Winter  1875/76  hatte  er  in  bedenklicher  Weise 
zu    kränkeln    begonnen,     und   während    er    im    Frühjahre 


v.  Prantl:  Nekrolog  auf  Martin  Haug.  37 

im  Bad  Ragaz  Heilung  seiner  Leiden  erhoffte,  endete 
dort  sein  Leben  unerwartet  schnell  am  3.  Juni  1877. 
Näheres  über  ihn  s.  Allg.  Zeitung,  1876,  Beilage  Nr.  182 
(von  unserem  Collega  Trumpp)  und  bei  Adalb.  Bezzenberger, 
Beiträge  z.  Kunde  d.  indogerman.  Sprachen,  Bd.  I,  Heft  1, 
S.  78  ff.,  wo  auch  ein  durchaus  vollständiges  Verzeichniss 
aller  literarischen  Arbeiten  Haug's  beigefügt  ist;  über  die 
in  seinem  Nachlasse  enthaltenen  orientalischen  Handschriften, 
deren  Catalog  ein  Freund  des  Verstorbenen,  Dr.  West  vor- 
bereitet, s.  Allg.  Zeitung,  1876,  Beilage  Nr.  337  (woselbst 
auch  die  Notiz,  dass  die  Parsi-Priester  in  Guzerat  die  Be- 
werkstelligung einer  Haug-Stiftung  beabsichtigen). 


Christian  Lassen, 

geb.  am  22.  Oct.  1800  zu  Bergen  in  Norwegen,  studirte 
zunächst  classische  Philologie  in  Christiania,  hierauf  in 
Heidelberg  und  in  Bonn,  an  welch  letzterer  Universität  er 
durch  Aug.  Wilh.  Schlegel  für  das  Gebiet  der  Sanskrit- 
Studien  gewonnen  wurde.  Diese  befanden  sich  zu  jener 
Zeit  noch  in  den  ersten  Anfangs  -  Stufen ,  und  während 
Schlegel  selbst  nicht  einmal  eine  Vorstellung  von  dem  Um- 
fange derselben  hatte,  sah  sich  Lassen  darauf  hingewiesen, 
bei  jedem  Schritte,  auf  welchem  er  die  empfangene  An- 
regung wirken  zu  lassen  gedachte,  sich  erst  selbständig 
neue  Bahn  zu  brechen;  durch  ausdauernden  Willen  aber 
und  angespannteste  Kraft  gelangte  er  dazu,  der  Begründer 
der  indischen  Alterthumskunde  zu  werden.  In  den  Jahren 
1824—26  hielt  er  sich  in  London  und  Paris  auf,  theils  um 
für  eigenen  Gebrauch  Materialien  zu  sammeln,  theils  um 
für  Schlegel's  Ausgabe  des  Rämäyana  Collationen  zu  machen, 
und  durch  die  schwierige  Aufgabe,  das  in  Paris  befindliche 


38  Oeft entliehe  Sitzung  vom  28.  März  1877. 

auf  Palmblätter  geschriebene  Exemplar  desselben  zu  lesen, 
legte  er  den  Grund  zu  seinem  späteren  schweren  Augen- 
leiden. In  Paris  fand  er  durch  Burnouf  gediegene  weitere 
Anleitung,  deren  Frucht  seine  von  der  Societe  Asiatique 
veröffentlichte  Erstlingsschrift  „Essai  sur  le  Pali"  (1826) 
war,  woran  sich  noch  „Observations  grammaticales"  (1827) 
anreihten.  Nach  Bonn  zurückgekehrt  beschäftigte  er  sich 
unter  Frey  tag' s  Leitung  mit  arabischen  Studien  und  erwarb 
(1827)  die  Doctorwürde  durch  die  ,,Commentatio  geographica 
atque  historica  de  Pentapotamia  Indica".  Bald  darauf  ha- 
bilitirte  er  sich  als  Privatdocent  und  veröffentlichte  in  ver- 
einter» Arbeit  mit  Schlegel,  in  dessen  Hause  er  einige  Jahre 
wohnte,  die  mit  einem  kritischen  Commentare  begleitete 
Ausgabe  des  Hitopadesa  (1829—31);  in  SchlegeFs  „Indischer 
Bibliothek"  erschien  (1830)  sein  Aufsatz  „Ueber  Bopp's 
grammatisches  System  der  Sanskritsprache",  wobei  er  die 
bisherigen  schwachen  Puncte  des  Sanskritstudiums  aufzeigte 
und  auf  die  Notwendigkeit  hinwies,  die  Original-Leistungen 
der  indischen  Grammatiker  zu  studiren.  Im  J.  1830  wurde 
Lassen  ausserordentlicher  und  i.  J.  1840  ordentlicher  Pro- 
fessor für  altindische  Sprache  und  Literatur;  eine  an  ihn 
(1841)  ergangene  Einladung  nach  Kopenhagen  lehnte  er 
ab  und  wirkte  eine  lange  Reihe  von  Jahren  in  Bonn  als 
sehr  beliebter  Lehrer  einflussreichst  durch  seine  Vorlesungen 
über  Sanskrit,  Zend,  indische  Archäologie,  iranische  Alter- 
thümer,  alte  Geographie  und  Geschichte  der  Sprachen,  wo- 
\:eben  er  während  längerer  Zeit  auch  Unterricht  im  Eng- 
lischen ertheilte  und  Shakespeare,  Milton  und  Pope  erklärte. 
Eine  reiche  schriftstellerische  Thätigkeit  gibt  ein  beredtes 
Zeugniss  seiner  wissenschaftlichen  Kraft  und  seines  auf- 
opfernden Strebens.  Er  veröffentlichte  „Gymnosophista  sive 
Indicae  philosophiae  documenta"  (1832)  und  „Malatima- 
dhavae  fabulae  Bhavabhutis  actus  primus"  (1832),  womit  er 
seine    schätzbaren    kritischen    Textausgaben    der    Sanskrit- 


v.  Prantl:  Nekrolog  auf  Christian  Lassen.  39 

Literatur  eröffnete;  zur  gleichen  Zeit  war  er  der  erste, 
welcher  die  umbrischen  Sprachdenkmäler  auszubeuten  ver- 
suchte durch  seine  ,, Beiträge  zur  Deutung  der  Eugubinischen 
Tafeln11  (1833).  Daneben  wendete  er  sich,  angeregt  durch 
Burnouf  s  Arbeiten  zum  Zend  und  zu  den  Keil-Inschriften 
von  Persepolis,  wobei  eine  zufällige  äussere  Veranlassung 
entscheidend  mitwirkte;  es  hatte  ihn  nemlicn  einer  seiner 
Schüler,  welcher  sich  mit  Klaproth's  Apercu  general  des 
trois  royaumes  und  den  dort  veröffentlichten  Entzifferungs- 
Versuchen  St.  Martin's  beschäftigte,  um  seine  Meinung  ge- 
fragt, worauf  Lassen  demselben  nach  Ablauf  von  zwei 
Tagen  die  volle  Entzifferung  zustellte.  So  veröffentlichte 
er  bald  hernach  „Die  altpersischen  Keil  -  Inschriften  von 
Persepolis"  (1836),  wovon  später  (1845)  eine  vermehrte 
und  verbesserte  Auflage  im  6.  Bande  der  Zeitschrift  für 
Kunde  d.  Morgenlandes  unter  dem  Titel  ,,Ueber  die  Keil- 
Inschriften  der  ersten  und  zweiten  Gattung"  zusammen  mit 
Westergaard's  Essay  erschien.  Gleichfalls  1836  veröffent- 
lichte er  die  bereits  1824  in  London  vorbereitete  Ausgabe 
von  „Gita  Govinda,  Jayadevae  poetae  Indici  drama  lyricum", 
und  zur  nemlichen  Zeit  sein  massgebendes  dreibändiges 
Werk,  welches  fortan  eine  Hauptquelle  für  ältere  indische 
Volksdialekte  blieb,  nemlich  die  ,,Institutiones  linguae 
Pracriticae"  (1836  u.  37),  wozu  Nie.  Delius  als  Supple- 
mentum  die  „Radices  Pracritae"  gab  (1839).  Zum  Ge- 
brauche für  Vorlesungen  publicirte  er  die  „Anthologia 
Sanscritica  (1838),  wovon  Gildemeister  eine  2.  Auflage 
(1868)  besorgte,  und  später  „Vendidad  capita  quinque  prima" 
(1852).  Im  J.  1838  erschien:  „Zur  Geschichte  der  griechi- 
schen und  indoskythischen  Könige  in  Baktrien,  Kabul  und 
Indien",  wobei  Lassen  hauptsächlich  die  Kunde  der  betref- 
fenden Münzen  zu  historischen  Ergebnissen  verwerthete. 
Auch  bearbeitete  er  die  2.  Auflage  von  Schlegel's  Ausgabe 
der  Bhagavadgita  (1846).     In    der    Zeitschrift   f.  Kunde  d. 


40  Oeff entliche  Sitzung  vom  28.  März  1877. 

Morgenlandes,    deren   Herausgeber    er    war,    stammen    aus 
seiner  Hand:  „Ueber  das  Mahäbharäta"  (1837),  „Ueber  die 
Sprachen  der  Beluchen  und  Brahui"  (1838),  „De  Taprobane 
insulau   (1842);    und  in  der  Zeitschrift  der  deutschen  mor- 
genländischen Gesellschaft  erschienen  seine  Aufsätze  „Ueber 
die   lykischen   Inschriften    und    die   alten    Sprachen  Klein- 
asiensu  (Bd.  X)   und  „Ueber   die  altindische  Handelsverfas- 
sung"  (Bd.  XVI).     Einzelne    Beiträge    lieferte    er   auch   in 
das   Rheinische  Museum,    sowie   in   die  Er  seh -Gr  über' sehe 
Encyclopädie.     Neben    all    dieser   manigf altigen   Thätigkeit 
arbeitete   er    rüstig    an    seinem  ruhmwürdigen  Hauptwerke, 
nemlich    der    „Indischen  Alter  thumskunde",    in  welchem  er 
wohl   bei    manchem  Einzelnen,    wie   nicht   anders   möglich, 
sich   mittelst  Compilation  an  Leistungen  Anderer   anlehnen 
musste,    aber  hiemit  nicht  bloss  das  Verdienst  einer  ersten 
zusammenfassenden  Darstellung  in  Anspruch  nehmen  durfte, 
sondern  auch  auf  Grund  eigenster  Forschungen  hauptsäch- 
lich   im    Gebiete   der  Ethnographie    und    der   ältesten  Ge- 
schichte Indiens  bleibende  Ergebnisse  zu  Tag  förderte.    Der 
1.  Band  erschien  bereits  1847,  worauf  ziemlich  rasch  der  2. 
folgte  (1849);   nach  längerer  Pause   reihten  sich  an  der  3. 
(1858)    und  der  4.  (1861),    welch    letzterer   bis  in  die  Zeit 
Mohammed's   und   der   ersten    portugiesischen  Eroberungen 
reicht.    An  weiterer  Fortsetzung  war  Lassen  durch  schlimme 
Gesundheits -Verhältnisse     gehindert,     nachdem    zu    einem 
Augen -Uebel    bereits    seit    1840    ein    Magenleiden   getreten 
war,    welches   allmälig   seinen    Körper   derartig  schwächte, 
dass  er  meist  das  Sopha  nicht  verlassen   konnte    und   auch 
im  Ppraeh -Vermögen  gehemmt  wurde.      So  musste  er  sich 
seit  1860    immer    mehr    vom    Lehramte   zurückziehen    und 
1864   um  gänzliche  Enthebung  von  demselben  bitten.     Als 
treue  Pflegerin  stand  ihm  seine  Gattin  (geb.  Wiggers,  mit 
welcher  er  sich  1849  verbunden  hatte)  zur  Seite,  und  unter 
Beihilfe  derselben,  sowie  eines  Schülers  entstand  die  zweite 


v.  Prantl:  Nekrolog  auf  Christian  Lassen.  41 

Auflage  der  ersten  2  Bände  der  Indischen  Alterthumskunde 
(1867  und  1874).  Auch  bei  seinen  körperlichen  Leiden 
bewahrte  er  einen  heiteren  Sinn,  ein  frisches  Gedächtniss 
und  lebhaftes  Interesse  für  seine  Wissenschaft ,  wobei  er 
sich  der  mündlichen  Mittheilungen  eines  befreundeten  Amts- 
genossen erfreute.  Ueber  seine  reiche  Bibliothek  verfügte 
er  bereits  1870  zu  Gunsten  der  Universitäten  Chris tiania 
und  Bonn  und  seiner  Geburtsstadt  Bergen.  Lassen,  welchen 
fast  sämmtliche  gelehrten  Gesellschaften  unter  ihre  Mit- 
glieder aufnahmen  (unserer  Akademie  gehörte  er  seit  dem 
Jahre  1841  an),  starb  am  8.  Mai  1876. 


Friedrich  Diez, 

geb.  zu  Giessen  am  15.  März  1794,  empfing  die  Grundlagen 
geistiger  Bildung  am  dortigen  Pädagogium,  wo  er  die  treff- 
lichste Anregung  sowohl  bezüglich  der  classischen  als  auch 
der  romanischen  Literatur  durch  F.  G.  Welcker  fand, 
welcher  um  jene  Zeit  eben  aus  einem  längeren  Aufenthalte 
in  Rom  und  Italien  zurückgekehrt  war;  und  nachdem 
Welcker  (1809)  eine  Professur  an  der  Universität  über- 
nommen hatte,  ergab  sich  für  die  weitere  Fortbildung  des 
jungen  Diez  eine  erfreuliche  Wiederholung  der  Einwirkung 
des  von  ihm  verehrten  Lehrers.  Diez  aber  unterbrach  seine 
Universitätsstudien,  um  (1813)  als  Freiwilliger  eines  hes- 
sischen Corps  den  Befreiungskrieg  mitzumachen.  Zurück- 
gekehrt widmete  er  sich  zunächst  dem  Studium  der  Juris- 
prudenz, gab  aber  dasselbe  in  Bälde  auf,  um  sich  der 
spanischen  und  portugiesischen  Literatur  zuzuwenden.  Da 
(1816)  Welcker  einem  Rufe  nach  Göttingen  folgte,  begab 
sich  Diez  ebendorthin,  wo  er  auch  (1817)  als  Erstlings- 
frucht  eine    metrische  Uebersetzung   spanischer   Romanzen 


42  Oeffentliche  Sitzung  vom  28.  März  1877s 

veröffentlichte.  Im  April  1818  ging  er  auf  Reisen  und 
machte  in  Jena  seinen  Besuch  bei  Göthe,  nachdem  er  dem- 
selben die  erwähnte  Uebersetzung  zugeschickt  hatte.  Göthe, 
welcher  sich  soeben  mit  Raynouard's  jüngst  erschienenen 
Publicationen  („Choix  des  poesies  originales  des  Trouba- 
dours11) beschäftigt  hatte,  rieth  dem  Besucher  dringlich, 
gerade  dieses  Gebiet  als  Gegenstand  seiner  weiteren  Be- 
strebungen zu  wähleu,  —  ein  Rath,  welcher,  wie  der  ent- 
scheidende Erfolg  zeigte,  trefflichst  befolgt  wurde.  In  den 
Jahren  1819  und  1820  lebte  Diez  in  Utrecht,  wo  er  eine 
Hofmeisterstelle  übernommen  hatte,  1821  kehrte  er  nach 
Giessen  zurück  und  promovirte  dort  (am  30.  Sept.),  1822 
wendete  er  sich  nach  Bonn,  wo  er  sich  als  Privatdocent  habi- 
litirte  und  bereits  nach  Jahresfrist  (1823)  ausserordentlicher 
und  1830  ordentlicher  Professor  wurde.  Auf  seine  schon 
1821  veröffentlichten  „Altspanischen  Romanzen"  war  1825 
die  Schrift  gefolgt  „Beiträge  zur  Kennt niss  der  romanischen 
Poesie"  (wovon  später  De  Roisin  eine  französische  Ueber- 
setzung publicirte  unter  dem  Titel  „Essais  sur  les  Cours 
d'amour".  1842).  Es  waren  diess  Vorarbeiten  zur  ersten 
Gruppe  der  Hauptleistungen  Diez's ;  nemlich  es  erschien  zu- 
nächst „Die  Poesie  der  Troubadours"  (1826,  —  in  fran- 
zösischer Uebersetzung  von  De  Roisin,  1845),  worin  er  die 
eigenthümliche  poetische  Physiognomie  und  die  ästhetischen 
Momente  der  provencalischen  Dichter,  sowie  das  Verhältniss 
derselben  zu  verwandten  anderen  Literatur-Gattungen  dar- 
zulegen sich  bemühte,  und  hierauf  folgte  „Leben  und  Werke 
der  Troubadours"  (1829),  wodurch  die  geforderte  Ergänzung 
in  biographischer  Beziehung,  mit  Einschluss  der  Liebes- 
Abenteuer,  und  in  literargeschichtlicher  Richtung  zur  vorigen 
Schrift  hinzutrat.  Hatte  Diez  auf  diese  Weise  das  Gebiet 
der  provencalischen  Poesie  als  eine  wichtige  Literatur- 
Erscheinung  kritisch  durchforscht  und  in  ebenso  klarer  als 
zuverlässiger  Darstelluug  förmlich  neu  eröffnet,  so  legte  er 


v.  Prantl:  Nekrolog  auf  Friedrich  Diez,  43 

seit  1830  die  Hand  daran,  sich  in  einer  zweiten  Richtung 
ein  nicht  minder  grosses,  ja  wohl  noch  grösseres  Verdienst 
um  die  Wissenschaft  zu  erwerben.  Angeregt  nemlich  durch 
das  von  Jac.  Grimm  gegebene  Vorbild  wurde  er  der 
Schöpfer  einer  romanischen  Sprachwissenschaft  im  vollen 
Sinne  des  Wortes.  Schon  als  er  (1831)  in  den  Berliner 
Jahrbüchern  f.  wissensch.  Kritik  die  Schrift  Diefenbach's 
,,Ueber  die  jetzige  romanische  Schriftsprache"  einer  Be- 
urtheilung  unterzog,  liess  er  die  Mitwelt  ahnen,  was  von 
ihm  zu  erwarten  sei,  und  nach  Ablauf  einiger  Jahre  er- 
schien der  erste  Band  seiner  meisterhaften  Arbeit.  Die 
„Grammatik  der  romanischen  Sprache"  (3  Bände,  1836 — 42), 
ein  Werk  der  gründlichsten  Forschung,  welche  unter  Ver- 
meidung phantasievoller  Hypothesen  lediglich  vom  nüch- 
ternsten Verstände  gezügelt  war  und  in  durchsichtig  klarer 
Darstellungsweise  zu  Tag  trat,  wurde  zum  Ausgangspuncte 
und  zur  Grundlage  aller  späteren  romanischen  Linguistik. 
Und  in  rastlosem  wissenschaftlichen  Eifer  beachtete  er  kaum, 
dass  Manche  diese  Grammatik  ernstlichst  für  unübertrefflich 
hielten,  sondern  in  Bescheidenheit  und  Selbstverleugnung 
suchte  er  sich  selbst  zu  übertreffen,  so  dass  die  zweite  Auf- 
lage (1856—60)  nahezu  als  ein  neues  Werk  zu  bezeichnen 
ist,  sowie  auch  die  dritte  (1869  —  73)  abermals  neue  Er- 
gebnisse sorgfältigster  Erwägung  enthält.  Der  Grammatik 
stellte  Diez  etwas  später  das  „Etymologische  Wörterbuch 
der  romanischen  Sprache"  (1853)  zur  Seite,  in  welchem  er 
jeder  etymologischen  Spielerei  fern  bleibend  besonnen  und 
vorsichtig  auf  den  Grund  der  Gesetze  der  Lautlehre  die  Ab- 
stammung des  romanischen  Sprachschatzes  darlegte;  auch 
das  Wörterbuch,  welchem  ein  „Kritischer  Anhang  z.  etym. 
Wörterb."  (1859)  folgte,  hat  in  zwei  späteren  Auflagen 
(1862  u.  1870)  die  gründlichst  verbessernde  Hand  erfahren. 
Durch  die  beiden  umfassenden  Werke  hatte  sich  Diez  die 
unangefochtene  Stellung  eines  Meisters  seiner  Wissenschaft 


44  Oeff entliche  Sitzung  vom  28.  März  1877. 

erworben  und  sowohl  für  Deutsche  als  für  Romanen  eine 
unerschütterliche  Grundlage  der  betreffenden  Studien  ge- 
schaffen. Die  Grammatik  fand  (1863)  eine  französische  Be- 
arbeitung durch  Gaston  Paris  und  A.  Brächet,  eine  eng- 
lische durch  Cayley  (1863),  und  bezüglich  des  Italienischen 
eine  excerpirende  Bearbeitung  durch  Fornaciari  (1872).  Von 
selbst  verstand  es  sich,  dass  eine  grosse  Anzahl  gelehrter 
Gesellschaften  eine  Ehre  darein  setzte,  Diez  unter  ihre  Mit- 
glieder aufzunehmen  (unserer  Akademie  gehörte  er  seit  1854 
an).  Neben  der  wissenschaftlichen  Lebensaufgabe,  welcher 
er  in  Ausführung,  Erneuerung  und  steter  Verbesserung  der 
Grammatik  und  des  Wörterbuches  oblag,  veröffentlichte  er 
einige  Arbeiten  kleineren  Umfanges,  nemlich  1846  ^Alt- 
romanische  Sprachdenkmale"  (d.  h.  „Die  Eide  von  842u 
und  das  Eulalia-  und  Boecius-Lied)  und  1852  „Zwei  alt- 
romanische Gedichte"  (d.  h.  La  passion  du  Christ  und  das 
Gedicht  St.  Leger),  bei  welch  beiden  er  dem  kritisch  her- 
ausgegebenen Texte  einen  Commentar  und  eine  literar- 
geschichtliche  Abhandlung  beifügte.  Dann  folgte  noch 
1863  „Ueber  die  erste  portugiesische  Kunst-  und  Hof- 
Poesie"  und  1865  „Altromanische  Glossare,  berichtigt  und 
erklärt",  welch  letztere  Schrift,  ein  Meisterwerk  an  Sorg- 
falt und  Kritik,  bezüglich  des  primitiven  Zustandes  der  ro- 
manischen Sprachen  die  wichtigsten  und  belangreichsten 
Aufschlüsse  gibt.  Ausserdem  lieferte  er  auch  einige  Bei- 
träge zu  Haupt's  Zeitschrift.  Was  er  als  Lehrer  geleistet, 
ist  in  dem  dankbarsten  Andenken  zahlreicher  Schüler  nieder- 
gelegt, und  er  selbst  konnte  hievon  ein  beredtes  Zeugniss 
in  den  allseitigen  Huldigungen  erfahren,  welche  ihm  (1871) 
bei  der  Feier  seines  Doctor  -  Jubiläums  zu  Theil  wurden. 
Durch  wohlwollende  Herzensgüte,  liebenswürdige  Bescheiden- 
heit und  edle  Seelenreinheit  fesselte  er  Alle  an  sich,  welche 
ihm  näher  traten,  und  indem  er  nicht  eine  eigentliche 
Schule  in  dem  Sinne    eines   specifischen   Parteistandpunctes 


v.  Prantl :  Nekrolog  auf  Friedrich  Viez.  45 

gründete,  sondern  in  humanster  Beurtheilung  auch  der  ge- 
ringeren Leistungen  Anderer  seinen  Schülern  stets  vor 
Augen  führte ,  dass  man  nicht  auf  das  Wort  des  Meisters 
schwören  solle,  übte  er  durch  seine  Lehrthätigkeit  eine 
Wirkung  aus,  welche  innigst  parallel  läuft  mit  seinen 
schriftstellerischen  Leistungen,  durch  die  er  der  Altmeister 
und  Begründer  der  romanischen  Philologie  geworden,  K\xi 
der  breiten,  sicheren  und  klaren  Grundlage,  welche  gegeben 
zu  haben  sein  Verdienst  war,  konnte  nach  längerer  Zeit 
eine  jüngere  Generation  reichlich  und  rasch  fortbauen,  um 
die  Beschaffenheit  und  Geschichte  der  Sprache  der  roma- 
nischen Völker  allseitig  zu  ergründen.  Diez  selbst  erfuhr 
in  den  letzten  Jahren  des  hohen  Alters,  welches  er  er- 
reichte, eine  körperliche  und  geistige  Erschöpfung,  und 
Niemand  wird  es  unerklärlich  finden,  wenn  er  als  81  jähriger 
Greis  nicht  mehr  auf  der  früheren  Höhe  seines  Schaffens 
stand,  so  dass  sein  letztes  Werk  „Romanische  Wortschöpfung41 
(1875),  worin  er  die  Frage  erörterte,  welche  lateinische 
Substantiva  von  den  Romanen  beibehalten  und  welche  an- 
derweitig von  ihnen  ersetzt  wurden,  von  den  Fachkundigen 
nur  als  Frucht  eines  Spätsommers  bezeichnet  werden  konnte. 
Sein  für  die  Wissenschaft  erfolgreiches  Leben  endete  am 
29.  Mai  1876. 


Daniel  Bonifacius  v.  Haneberg, 

geb.  am  16.  Juni  1816  im  Hofe  ,,zur  Tanne"  (in  der 
Pfarrei  Lenzfried  bei  Kempten)  als  Sohn  schlichter  ver- 
möglicher Bauersleute,  erhielt  den  ersten  Unterricht  von 
seinem  hiezu  nicht  unbefähigten  Vater  und  besuchte  dann 
neben  fortdauernder  Verwendung  zur  Feldarbeit  seit  1827 
die  Lateinschule   und  das  Gymnasium  zu  Kempten,    wo  er 


1 


46  Oeff 'entliche  Sitzung  vom  28.  März  1877. 


an  Begabung  und  Fleiss  seine  Mitschüler  stets  weit  über- 
ragte; das  letzte  Jahr  aber  des  Gymuasialstudiums  trat  er 
(1834)  in  München  an  dem  damals  sog.  alten  Gymnasium 
an,  wobei  er  die  freien  Stunden  zum  Besuche  der  Vor- 
lesungen Allioli's  über  arabische  und  syrische  Sprache  be- 
nützte. Als  er  an  die  Universität  übergetreten  war  (1835), 
fand  er  es  in  Folge  seines  ganz  ausserordentlichen  Sprach- 
talentes möglich,  neben  dem  Studium  der  Theologie  sich  in 
ausgedehntem  Masse  linguistische  Kenntnisse  zu  erwerben, 
welche  sich  allmälig  sowohl  auf  die  romanischen  Sprachen 
und  das  Neugriechische  als  auch  insbesondere  auf  das  ganze 
semitische  und  theilweise  auf  das  arische  Gebiet  erstreckten. 
Sowie  er  seinen  Lehrern  in  der  That  ein  Gegenstand  der 
Bewunderung  geworden  war,  erklärt  es  sich  als  selbst- 
verständlich, dass  er  unmittelbar  nach  absolvirter  Universi- 
tät (1839,  zur  selben  Zeit,  als  er  die  Priesterweihe  empfieng) 
mit  der  Promotion  alsbald  die  Habilitation  verband  und  in 
rascher  Stufenfolge  zum  ausserordentlichen  (1841)  und  or- 
dentlichen Professor  (1844)  befördert  wurde.  Neben  dem 
Lehramte,  in  welchem  er  hauptsächlich  die  biblisch-orienta- 
lischen Sprachen  und  die  Exegese  des  alten  Testaments  ver- 
trat, übernahm  er  die  Stelle  eines  Universitäts-Predigers 
und  wurde  auch  bald  in  Folge  seiner  vortrefflichen  Cha- 
rakter-Eigenschaften der  beliebteste  Seelsorger  und  Beicht- 
vater der  vornehmen  Stände.  Seine  Seelen-Reinheit,  seine 
Milde  und  an  Demuth  gränzende  Bescheidenheit,  sein  muster- 
giltiger  Wandel  hatten  ihn  zu  einem  Liebling  der  Bevöl- 
kerung gemacht,  sowie  seine  Gelehrsamkeit  ihm  in  allen 
gebildeten  Kreisen  höchstes  Ansehen  verlieh  (i.  J.  1848 
wurde  er  Mitglied  unserer  Akademie).  Unter  Beibehaltung 
seiner  Professur  trat  er  1850  als  Novize  in  das  Benedic- 
tiner-Kloster  zu  St.  Bonifacius  ein  und  wurde  1854  von  den 
Conventualen  zum  Abte  gewählt  (als  solcher  am  19.  März 
1855  installirt).     Im  Interesse  seines  Ordens  unternahm  er 


v.  PranÜ :  Nekrolog  auf  Daniel  Bonifacius  v.  llaneberg.       47 

1861  eine  Reise  nach  Algier  und  Tunis,  um  in  letzterem 
Lande  für  Errichtung  einer  Missions -Station  zu  wirken, 
und  1864  gieng  er  über  Constantinopel  nach  Palästina.  Im 
J.  1865  wurde  er  von  der  Curie  zum  Consultor  der  in  Rom 
neu  errichteten  Congregation  für  die  orientalischen  Riten 
ernannt,  und  während  der  zum  vaticanischen  Concil  getrof- 
fenen Vorbereitungen  hielt  er  sich  (1869)  in  Rom  auf, 
wo  er  sich  in  den  Bibliotheken  seinen  gelehrten  Studien 
hingab ;  an  dem  Concil  selbst  aber  nahm  er  nicht  Theil. 
Nachdem  er  bereits  früher  für  mehrere  Bischof  sitze  (Augs- 
burg, Trier,  Köln,  Eichstädt)  vergeblich  in  Aussicht  ge- 
nommen war,  wurde  er  am  11.  Sept.  1872  als  Bischof  von 
Speier  inthronisirt.  Dort  erlag  er  am  31.  Mai  1876  einer 
Lungenentzündung.  Beschränken  wir  uns  unter  Beiseite- 
lassung anderweitiger  Verhältnisse  und  Vorkommnisse,  welche 
von  den  wissenschaftlichen  Interessen  der  Akademie  in  weiter 
Entfernung  abliegen  *),  auf  Haneberg's  literarische  Leistun- 
gen, so  eröffnet  sich  die  Reihe  derselben  mit  seiner  Habili- 
tationsschrift „De  significationibus  in  Vetere  Testamento 
praeter  literam  valentibusa  (1839),  hierauf  folgte  „Ueber 
die  in  einer  Münchener  Handschrift  aufbewahrte  arabische 
Psalmen-Uebersetzung  des  Saadia  Gaonu  (1841);  sodann  be- 
arbeitete er  einen  Gegenstand,  welcher  ihn  hauptsächlich  in 
seinen  Vorlesungen  zu  beschäftigen  hatte,  nemlich  es  er- 
schien sein  „Handbuch  der  biblischen  Alterthuniskunde" 
(1842),  welches  er  nach  einer  langen  Reihe  von  Jahren  in 
umgearbeiteter  Form  unter  dem  Titel  „Die  religiösen  Alter- 
thümer  der  Bibel"  (1869)  veröffentlichte.  In  Zusammen- 
hang hiemit  war  bereits  1845  gestanden  „Einleitung  in  das 


*)  Näheres  s.  bei  M.  Jocham  (im  14.  Hefte  des  Sammelwerke« 
„Deutschlands  Episcopat  in  Lebensbildern",  1876),  sowie  Allg.  Zeitung, 
1876,  Beilage  Nr.  178  ff.,  Kölner  Zeitung,  1876,  3.  Juni,  und  Deutscher 
Merkur  1876,  Nr    23. 


48  Oeft'entliche  Sitzung  vom  28.  März  1877. 

alte  Testament'1,  welche  Schrift  in  sehr  erweiterter  Gestalt 
als  „Versuch  einer  Geschichte  der  biblischen  Offenbarung 
als  Einleitung  in  das  alte  und  neue  Testament"  (1850)  er- 
schien, wovon  noch  drei  weitere  Auflagen  (1853,  1863, 
1874)  noth  wendig  wurden.  Zugleich  aber  hatte  er  seine 
Studien  auf  die  arabische  Literatur  und  deren  Beziehungen 
zum  lateinischen  Mittelalter  gelenkt,  und  auf  die  höchst 
anregende  Schrift  ,,Ueber  das  Schul-  und  Lehr -Wesen  der 
Muhamedaner  im  Mittelalter"  (1850)  folgte  „Erörterungen 
über  Pseudo-Wakidi's  Geschichte  der  Eroberung  Syriens" 
(1860),  sodann  die  äusserst  gründliche  Untersuchung  „Zur 
Erkenntnisslehre  von  Ibn  Sina  und  Albertus  Magnus"  (1866), 
hierauf  „Das  muslimische  Kriegsrecht"  (1871).  Dazwischen 
war  erschienen  „Renan's  Leben  Jesu  beleuchtet"  (1864) 
und  „Canones  s.  Hippolyti  arabice  e  codicibus  romanis" 
(1870).  Ausserdem  war  er  1866  —  70  Mitarbeiter  am  theo- 
logischen Literatur  blatte,  auch  übersetzte  er  Wiseman's 
Schriften  über  die  vornehmsten  Lehren  der  kathol.  Kirche 
und  über  den  Zusammenhang  zwischen  Wissenschaft  und 
Offenbarung,  sowie  Stanyhurst's  Geschichte  des  Leidens  und 
Sterbens  Jesu.  Endlich  sind  auch  einige  seiner  Predigten 
und  der  von  ihm  gehaltenen  Grabreden  durch  den  Druck 
veröffentlicht  worden. 


Friedrich  Ritschi, 

geboren  als  Sohn  eines  protestantischen  Geistlichen  am 
6.  April  1806  in  Grossvargula  bei  Erfurt,  besuchte  das 
Gymnasium  letzterer  Stadt  und  hierauf  die  Studien anstalt 
zu  Wittenberg,  an  welcher  damals  Nitzsch  und  insbesondere 
Spitzner  in  trefflichster  Weise  wirkten,  bezog  hierauf  1825 
die  Universität  Leipzig,  wo   er  hauptsächlich   unter  Gottfr. 


v.  Prantl:  Nekrolog  auf  Friedrich  Mitschi.  49 

Hermanns  Leitung  Philologie  studirte  und  an  der  von  dem- 
selben gegründeten  griechischen  Gesellschaft  Theil  nahm; 
im  folgenden  Jahre  ging  er  nach  Halle  und  schloss  sich 
dort  an  Reisig  an,  in  dessen  Privatissimum  nur  solche 
Studirende  Zutritt  hatten,  welche  lateinische  Arbeiten  kri- 
tischen Inhalts  lieferten.  Es  war  in  der  That  eine  Vor- 
andeutung der  ganzen  spätem  Entwicklung  Ritschl's,  dass 
er  mit  einer  „Schedae  criticae"  betitelten  Dissertation  (am 
11.  Juli  1829)  promovirte,  sowie  die  alsbald  (in  Aug.)  fol- 
gende Habilitationsschrift  ,,De  Agathonis  vitau  das  hervor- 
ragende Talent  zu  erschöpfender  Einzeln  -  Untersuchung 
kundgibt.  Nachdem  er  1832  in  Halle  Extraordinarius  ge- 
worden, kam  er  1833  nach  Passow's  Tod  in  gleicher  Eigen- 
schaft nach  Breslau,  wo  er  1834  ordentlicher  Professor  und 
Vorstand  des  philologischen  Seminares  wurde.  Er  hatte 
unterdess  eine  Ausgabe  des  Thomas  Magister,  Eclogae  vo- 
cum  etc.  (1832)  und  die  Schrift  „De  Oro  et  Orione"  (1834) 
veröffentlicht,  mit  1835  aber  begann  bereits  seine  nach- 
haltige Beschäftigung  mit  Plautus.  Neben  einem  Aufsatze 
„Ueber  die  Kritik  des  Plautus"  (im  Rhein.  Mus.  1835)  er- 
schien als  Vorläufer  späterer  Leistungen  die  kritische  Aus- 
gabe der  Bacchides  (1835),  und  als  Programm  zum  Antritte 
der  Professur  der  Eloquenz  schrieb  er  ,,De  Plauti  Bacchi- 
dibusu  (1836).  Daneben  begann  er  eine  Ausgabe  des  Me- 
letius,  de  natura  hominis  (aus  einem  Krakauer -Codex,  1836; 
eine  Fortsetzung  konnte  unterbleiben  nachdem  Cramer's 
Anecd.  Oxon.  Vol.  III  erschienen  waren).  In  den  Jahren 
1836  und  1837  unternahm  er  eine  wissenschaftliche  Reise 
nach  Italien,  als  deren  Ergebnisse  sowohl  die  kleinern 
Schriften  „De  amphora  quadam  Galassiana"  (1837)  und 
„Etymologici  Angelicani  brevis  descriptio"  (1837)  als  auch 
die  Abhandlung  „Ueber  den  Mailänder  Palimpsest  des 
Plautus"  (im  Rhein.  Mus.  1837)  gehörten.  Indem  er  in 
Rom  in  einem  Pergament  -  Codex  des  Plautus  ein  höchst 
[1877. 1.  Phil.  hist.  Cl.  1.]  4 


50  Oeff entliehe  Sitzung  vom  28.  März  1877. 

wichtiges  Scholion  gefunden  hatte,  wurde  er  hiedurch  auf 
ein  anderes  scheinbar  weit  abliegendes  Untersuchungs-Gebiet 
geführt,  woraus  seine  äusserst  belangreiche  Schrift  entsprang 
„Die  alexandrinischen  Bibliotheken  unter  den  ersten  Ptole- 
mäern  und  die  Sammlung  der  homerischen  Gedichte  durch 
Pisistratus"  (1838).  Nach  Breslau  zurückgekehrt  veröffent- 
lichte er  ein  Programm  über  Dionysius  Halicarn.,  Antiqu. 
Rom.  (1838),  sowie  ein  anderes  De  emend.  fabul.  Terent. 
(1838)  und  Spicilegium  epigraphicum  (1838).  Im  J.  1839 
folgte  Ritschi  einem  Rufe  nach  Bonn,  wo  die  Stelle  des 
verstorbenen  Näke  zu  besetzen  war,  als  ordentlicher  Pro- 
fessor der  classischen  Literatur  und  der  Beredtsamkeit ;  er 
wurde  Mitdirector  des  philologischen  Seminares  neben  Welcker, 
übernahm  später  (1854)  auch  das  Amt  eines  Oberbibliothe- 
kares, wobei  er  Gelegenheit  fand,  durch  manigfache  Re- 
formen bleibenden  Nutzen  zu  stiften,  und  trat  an  die  Spitze 
des  akademischen  Kunstmuseums  und  des  rheinischen  Mu- 
seums vaterländischer  Alterthümer,  sowie  des  Vereins  der 
Alterthumsfreunde  des  Rheinlandes.  Mit  der  Ueber Siedlung 
nach  Bonn  hatte  die  reichste  und  glänzendste  Periode  seiner 
schriftstellerischen  Thätigkeit  und  zugleich  sein  Ruhm  als 
akademischer  Lehrer  begonnen.  Abgesehen  von  der  Re- 
daction  der  Neuen  Folge  des  rhein.  Museums,  welche  er 
seit  1841  mit  Welcker  herausgab,  fand  er  manigfachste  Ge- 
legenheit und  Aufforderung  zu  literarischen  Publicationen ; 
er  lieferte  nicht  nur  mehrere  Aufsätze  in  die  Annali  dell' 
instituto  archeologico  zu  Rom,  sondern  auch  manche  Ab- 
handlungen in  die  Ersch- Gruber' sehe  Encyclopädie,  worunter 
neben  ,,Onomakritosu,  ,,Oros  und  Orion",  „Olympus  der 
Aulet"  insbesondere  der  Artikel  „Philologie'4  höchst  be- 
achtenswerth  ist;  vor  Allem  aber  legte  er  in  den  von  ihm 
verfassten  Universitäts  -  Programmen  eine  Menge  kostbarer 
Einzeln-Forsch ungen  nieder.  Dieselben  betrafen  zunächst 
wieder  Plautus,  nemlich  „De  veteribus  Plauti  interpretibus" 


v.  Prantl:  Nekrolog  auf  Friedrich  Ritschi.  5l 

(1839),  dann  in  Anknüpfung  an  das  oben  erwähnte  Scholion 
und  dessen  weitere  Polgen  „Disputatio  de  stichometria"  (1840) 
und  „Corollarium  disputationis  de  bibüothecis  Alexandrinis 
deque  Pisistrati  curis  Homericis"  (1840),  daneben  aber 
auch  „De  gemino  exitu  Andriae  Terentianae"  (1840),  hier- 
auf die  berühmten  Programme  „De  Plauti  nominibus" 
(1841  f.),  sowie  „De  aetate  Plautiu  (1841)  und  „Die  plau- 
tinischen  Didaskalien"  (1841  im  Rhein.  Museum),  dazwischen 
„Die  Verse  des  Porcius  Licinius  über  Terentius"  (1841 
ebend.)  und  „De  Urbis  porta  Metia"  (1842),  dann  wieder 
„Die  fabulae  Varronianae  des  Plautus"  (1843  f.),  ,,^e  actae 
Trinummi  tempore"  (1843)  „De  turbato  scenarum  ordine 
Mostellariaeu  (1843),  „De  interpolatione  Trinummi"  (1844) 
und  „Suetonius  de  viris  illustr."  (1843).  Die  meisten  der 
zuletzt  genannten  Abhandlungen  gab  Ritschi  gesammelt 
und  mit  Zusätzen  versehen  wieder  heraus  unter  dem  Titel 
„Parerga  zu  Plautus  und  Terenz.  1.  Bd."  (1845).  Gerecht- 
fertigt war  es,  wenn  ihm  auf  der  Philologen- Versammlung 
des  Jahres  1844  Gottfr.  Hermann  öffentlich  es  als  förm- 
liche Aufgabe  übertrug,  der  Sospitator  Plauti  zu  werden. 
Neben  den  Vorarbeiten  aber  zur  Ausgabe  des  Plautus  be- 
schäftigte sich  Ritschi  mit  Untersuchungen  über  Varro,  wie 
die  Programme  bezeugen:  „De  Ter.  Varronis  disciplinarum 
libris"  (1845)  „De  inscriptionibus  logistoricorum  Varronis" 
(1845),  „Quaestiones  Varronianae"  (1846),  „De  Varronis 
satirarum  et  logistoricorum  libris"  (1846),  woneben  wieder 
Forschungen  über  die  Handschriften  des  Dionysius  Hali- 
carn.  (1846  und  47),  und  ein  Programm  „De  inscriptione 
metrica  lapidis  Aeclani"  (1847).  Der  erste  Band  nun  der 
längst  erwarteten  Ausgabe  des  Plautus  erschien  1848;  der- 
selbe enthielt  hochwichtige  ausführliche  „Prolegomena  de 
rationibus  criticis  grammaticis  prosodiacis  metricis  emen- 
dationis  Plautinae",  in  welchen  Ritschi  sein  ganzes  Verfahren 
begründete  und  rechtfertigte.     Bekanntlich   aber  blieb   das 


52  Oeffentliche  Sitzung  vom  28.  März  1877. 

Unternehmen  ein  Torso,  nachdem  bis  1854  von  den  20 
Komödien  des  Plautus  nur  9  ihre  Bearbeitung  gefunden 
hatten  (nebenherlaufend  erschien  jedesmal  eine  kleinere 
blosse  Text-Ausgabe);  Ritschi  hatte  nemlich  im  Verlaufe 
der  Arbeit  immer  lebhafter  das  Bedürfniss  empfunden,  die 
Erforschung  der  plautinischen  Sprache  historisch  in  die 
älteren  Sprachdenkmäler  Rom 's  und  hiemit  hauptsächlich  in 
die  Inschriften  der  vorsullanischen  Zeit  zu  vertiefen,  wo- 
durch sich  ihm  in  der  That  überraschende  Entdeckungen 
ergeben  mussten.  So  finden  wir  in  seinen  seit  1849  ver- 
fassten  Programmen  neben  anderen  Einzeln -Gegenständen 
häufig  diesen  Zweig  der  Forschung  vertreten.  Nemlich  auf 
„Hieronymus  Stridon"  (1849)  und  ,,Pentas  versionum  lat. 
Homer."  (1850)  folgten  „Legis  Rubriae  pars  superstes"  (1851), 
„Titulus  Mummianus  ad  fidem  lapidis  Vaticani"  (1852), 
„Monumenta  epigraphica  tria"  (1852),  „Inscriptio  quae  fertur 
columnae  rostratae  Duellianae"  (1852,  über  dieselbe  aber- 
mals 1854  und  1861),  „Anthologiae  latinae  corollarium 
epigraphicum"  (1853),  „De  fictilibus  literatis  Latinorum 
antiquissimis"  (1853),  „De  sepulcro  Furiorum  Tusculano" 
(1853),  daneben  eine  Ausgabe  der  Septem  c.  Thebas  des 
Aeschylus  (1853)  und  „Poesis  saturniae  spicilegium"  (1854), 
sodann  „Observationes  in  titulum  quendam  Cambaesensem" 
(1855),  und  wieder  über  anderweitige,  besonders  den  Varro 
und  den  Terentius  betreffende  Fragen:  „De  Idem  pronominis 
declinatione"  (1855),  „De  ordine  librorum  Varronis  qui  in- 
scribuntur  De  imaginibus"  (1856),  „De  loco  in  Aesch.  Sept. 
c.  Th.  v.  254u  (1857),  „Epimetrum  disputationis  de  Varronis 
hebdomadum  libris"  (1858),  „De  aliquot  locis  Catulli" 
(1858),  „Licini  de  vita  Terentii  versus"  (1859),  „De  poe- 
tarum  testimoniis,  quae  sunt  in  vita  Terentii  Suetoniana" 
(1859),  „In  vitam  Terentii  commentarius"  (1860),  hierauf 
abermals  Epigraphisch -Linguistisches:  „In  leges  Viselliam 
Antoniam   Corneliam    observationes    epigraphicae"    (1860), 


v.  Prantl:  Nekrolog  auf  Friedrich  Bitschi.  53 

„Elogium  sepulcrale  L.  Cornelii  Scipionis44  (1860),  „De  de- 
cliuatione  quadam  latina  reconditiore  quaestio  epigraphica44 
(1861  nebst  Supplenientum);  „De  titulo  Aletrinate  Betilieni 
Variu  (1861),  „Die  tesserae  gladiatoriae  der  Römer4'  (1864), 
dazwischen  ,,De  cantico  Sophocleo  Oedipi  Col.44  (1862).  Zur 
selben  Zeit  nun  veröffentlichte  er  sein  in  diesem  Gebiete 
massgebendes  Hauptwerk  „Priscae  latinitatis  monumenta 
epigraphica44  (mit  5  Supplementen  1862  —  64),  worin  er  das 
Verhältniss  der  Sprache  der  Inschriften  zu  einzelnen  hervor- 
ragenden Autoren  darlegte.  Endlich  fällt  noch  in  die 
Bonner  Zeit  sein  gemeinschaftlich  mit  Gildemeister  an  die 
Philologen -Versammlung  zu  Hannover  (1864)  gerichteter 
Gruss,  in  welchem  eine  dreifache  sardinische  Inschrift  be- 
handelt ist.  Welch  weitgreifende  Wirkung  aber  er  in 
Bonn  auch  als  Lehrer  ausgeübt  habe,  erwies  sich  aufs  deut- 
lichste, als  der  Plan  angeregt  worden  war,  ihm  schon  nach 
Ablauf  einer  25jährigen  dortigen  Lehrthätigkeit  eine  Ova- 
tion zu  bereiten ;  es  erschienen  nemlich  als  ein  Gesammtbild 
der  Bonner  Philologen-Schule  „Symbola  philologorum  Bon- 
nensium  in  honorem  Friderici  Ritschelii  collecta44  (1864, 
Fase.  II  1867),  in  welchen  43  bereits  im  Lehramte  stehende 
Schüler  Ritsch  l's  ihrer  dankbarsten  Verehrung  Ausdruck 
gaben.  Sehr  bald  darauf  aber  wurde  Ritschi  von  wider- 
wärtigen Verhältnissen  betroffen,  iudem  ein  mit  dem  dama- 
ligen preussischen  Ministerium  in  näheren  Beziehungen 
stehender  Amtsgenosse  (Otto  Jahn)  hinter  dem  Rücken  der 
Pacultät  dahin  zu  wirken  sich  bemühte,  dass  ein  dritter 
Vorstand  des  philologischen  Seminars  nach  Bonn  berufen 
werde,  woran  sich  erklärlicher  Weise  mancherlei  unschöne 
Vorgänge  knüpften  (Näheres  hierüber  in  den  zwei  Schriften 
Wilh.  Brambach's  „Friedr.  Ritschi  und  die  Philologie  in 
Bonn".  Leipz.  1865  und  „Das  Ende  der  Bonner  Philologen- 
schule'4. Köln  1865).  Die  Folge  davon  war,  dass  der  tief 
gekränkte  Ritschi   seine  Entlassung   aus   dem   preussischen 


54  Ocffentliche  Sitzung  vom  28.  März  1877. 

Staatsdienste  nahm  und  einem  alsbald  an  ihn  ergehenden 
Kufe  nach  Leipzig  folgte.  Dort  wirkte  er  abermals  mit 
grösstem  Erfolge  als  Lehrer,  gründete  eine  philologische 
Gesellschaft  und  übernahm  auch  die  Leitung  eines  von  der 
russischen  Regierung  für  die  dort  Philologie  studirenden 
Russen  gegründeten  Seminars.  Ausser  einer  Schrift  „Ino 
Leukothea,  zwei  antike  Bronzen  von  Neuwied  und  München1' 
(1865)  erschien  eine  Sammlung  „Kleine  philologische 
Schriften"  (1.  Bd.  Zur  griech.  Literatur,  1866,  2.  Bd.  Zu 
Plautus  und  lat.  Sprachkunde,  1868),  ferner  veröffentlichte 
er  „Neue  plautinische  Excurse.  Sprachgeschichtliche  Unter- 
suchungen, 1.  Heft.  Auslautendes  D  im  alten  Latein'4 
(1869)  und  als  neue  Auflage  des  1.  Heftes  der  Ausgabe  des 
Plautus  den  Trinummus  mit  einem  Auszuge  aus  den  Pro- 
legomena  (1871),  sowie  eine  2.  Auflage  der  Sept.  c.  Theb. 
des  Aeschylus  (1875).  Ausserdem  führte  er  die  Redaction 
der  „Acta  societatis  philologae  Lipsiensis  (6  Bdde.  1871  —76). 
Seine  letzte  Schrift,  welche  kurz  vor  seinem  Tode  erschien, 
„Philologische  UnVerständlichkeiten"  (im  Rhein.  Mus.  N.  F. 
Bd.  XXXI)  ist  eine  scharfe  die  Plautus- Kritik  betreffende 
Abwehr  gegen  Madvig.  —  Ritschi  war  stets  durchdrungen 
von  der  Einsicht  in  die  Nothwendigkeit,  alle  Fragen  jeder 
Art,  selbst  die  kleinen,  in  genauester  Weise  zu  behandeln, 
und  indem  er  so  auch  das  scheinbar  Unbedeutende  mit  mög- 
lichst tiefem  und  allseitigen  Verständnisse  und  mit  feurigem 
Interesse  zu  verfolgen  bestrebt  war,  wirkte  er  durch  seine 
mit  strenger  Wahrheitsliebe  geführten  Detail-Studien  höchst 
fördernd  auf  die  Wissenschaft.  Wenn  er  auch  weder  eine 
Geschichte  der  älteren  Sprache  Roms  noch  eine  Theorie  der 
Prosodik  und  Metrik  der  Römer  geschrieben  hat,  so  ist  doch 
jede  seiner  einzelnen  Abhandlungen  ein  Baustein,  welcher 
bei  künftiger  Aufführung  des  betreffenden  Gebäudes  viel- 
leicht noch  irgendwie  geändert  werden  muss,  keinenfalls 
aber  bei  Seite  geschoben  werden  darf.     Für  Plautus  wirkte 


v.  Prantl:  Nekrolog  auf  Friedrich  Bitschi.  55 

er  entschieden  epochemachend,  wenn  auch  seine  Conjecturen 
oft  nur  als  freieste  Divination  oder  als  congeniale  Nach- 
dichtung bezeichnet  werden  können  und  daher  zu  offenem 
Widerspruche  reizen  müssen.  Es  ist  ja  bei  Ritschi  über- 
haupt die  formelle  Function  der  Kritik,  worin  er  sich  als 
Meister  bewährt,  und  darum  wird  Jeder,  auch  wenn  er  sich 
schliesslich  von  ihm  geschieden  fühlt,  zugleich  zugestehen, 
viel  von  ihm  gelernt  zu  haben.  In  der  Form  der  Unter- 
suchung war  er  stets  Virtuose,  und  sein  kräftiger  geistvoller 
Stil,  welcher  jeden  rhetorischen  Schwulst  und  jeden  Wort- 
schwall einer  pseudo-philosophischen  Betrachtung  vermeidet, 
wirkt  unmittelbar  anziehend,  ja  fesselnd  auf  den  Leser;  ja 
auch  in  seinem  Latein,  welches  er  gleichsam  sich  selbst  erst 
geschaffen  hat,  prägt  sich  seine  individuelle  Eigentümlich- 
keit aus.  Die  gleichen  Vorzüge  standen  ihm  nach  ein- 
stimmigem Zeugnisse  seiner  Schüler  auch  bei  seiner  Lehr- 
tätigkeit zur  Seite;  seine  in  der  Form  vollendeten  Vor- 
lesungen wirkten  dadurch  so  mächtig,  dass  er  die  Denk- 
operation in  Gegenwart  der  Zuhörer  vollzog  und  für  die- 
selbe stets  den  passenden  individualisirten  Ausdruck  traf; 
und  im  Seminare  sowie  in  der  philologischen  Gesellschaft 
verstand  er  es  meisterhaft,  nicht  nur  jeden  Schüler  auf  das 
besondere  Gebiet  hinzuweisen,  in  welchem  das  Talent  des- 
selben zur  Geltung  kommen  konnte,  sondern  auch  alle  bei 
den  Einzeln-Uebungen  derartig  von  Schritt  zu  Schritt  zu 
leiten,  dass  sie  am  Ziele  glaubten ,  den  Weg  selbstständig 
gemacht  zu  haben,  und  demnach  mit  Enthusiasmus  wieder 
weiteren  Problemen  sich  zuwendeten.  Indem  er  so  die 
Jüngeren  zu  einem  formell  kritischen  Verfahren  erzog, 
wurde  er  das  Haupt  einer  ausgebreiteten  Schule,  welche  in 
sich  viele  nach  inhaltlicher  Beziehung  individuell  verschie- 
dene Männer  vereinigt.  —  In  unbeugbarer  Pflichttreue  war 
Ritschi  bis  nahe  an  die  Schwelle  des  Todes  lehrend  thätig. 
Noch  längst  in  Bonn  hatte  er  seit  1847  an  rheumatischen 


56  Oeff entliche  Sitzung  vom  28.  März  1877. 

Schmerzen  zu  leiden  begonnen,  welche  mit  Zunahme  der 
Jahre  sich»  allmälig  zur  Heftigkeit  steigerten  und  in  den 
letzten  Monaten  ein  allgemeines  Siechthum  zur  Folge  hatten; 
hiedurch  aber  Hess  er,  dessen  Geisteskraft  ungeschwächt  ver- 
blieb, sich  nicht  von  den  Vorlesungen  abhalten,  sondern 
nöthigen  Falls  ordnete  er  an,  in  den  Hörsaal  getragen  zu 
werden.  Doch  am  31.  Oct.  1876  sah  rr  sich,  da  körper- 
liche Leiden  überwältigend  auf  ihn  einstürmten,  zu  seinem 
schweren  Bedauern  genöthigt,  die  Vorlesungen  einzustellen, 
und  bereits  am  9.  Nov.  verschied  er.  —  Während  schon 
bis  jetzt  eine  förmliche  Literatur  über  ihn  angewachsen 
ist*),  wird,  wie  man  erwartet,  sein  Leben  und  Wirken  eine 
einlässliche  Darstellung  durch  0.  Ribbeck  finden. 


Hermann  Köchly, 

geb.  zu  Leipzig  am  5  Aug.  1815,  machte  seine  Gymna- 
sialstudien an  der  Fürstenschule  zu  Grimma,  wo  er  von 
1827  bis  1832  verblieb  und  den  anregenden  Unterricht 
Weichert's  und  Wunder's  genoss,  und  bezog  hierauf  als 
Studirender  der  Philologie  die  Universität  seiner  Vaterstadt. 
Bereits  1834  erwarb  er  die  Magister  -  Würde  und  gehörte 
noch  in  den  folgenden  Jahren  als  Mitglied  des  philologischen 
Seminares  und  der  griechischen  Gesellschaft  zu  den  hervor- 


*)  Leipziger  Tageblatt,  1876,  Nr.  320.  Ein  Gedenkblatt  von  Fritz 
Scböll  (1876  b.  Teubner).  Deutsche  allg.  Zeitung,  1876,  10.  Nov. 
Augsb.  Allg.  Zeitung,  1876,  30.  Nov.  Liter.  Rundschau,  1877,  Nr.  2. 
Ueber  Land  und  Meer,  1876,  S.  274.  Athenaeum,  1876,  25.  Nov.  S.  689. 
The  Academy,  1876,  25.  Nov.,  S.  520.  Revue  de  philologie,  1877, 
Janvier  (von  E.  Benoist).  Im  neuen  Reich,  1876,  Band  II,  S.  1001  ff. 
(von  Schuster).  Berliner  Zeitschrift  f.  d.  Gymnasialwesen,  1877,  Febr., 
S.  124  ff.  (von  Scholtmüller). 


v.  Prantl:  Nekrolog  auf  Hermann  Köchly.  57 

ragendes  Schülern  Gottfr.  Hermann's.  Im  J.  1837  wurde 
er  Lehrer  am  Gymnasium  zu  Saalfeld,  wo  er  (1838)  seine 
,,Observationes  in  Apollonium  et  Oppianum"  und  „Emen- 
dationes  et  annotationes  in  Quintum  Smyrnaeum"  schrieb, 
welche  im  2.  Bande  der  Acta  societatis  graecae  erschienen. 
Eine  bewegtere  und  reichhaltigere  Periode  begann  für  ihn, 
als  er  1840  an  die  Kreuzschule  zu  Dresden  versetzt  wurde, 
wo  die  ihm  eigenthümliche  vortreffliche  Lehrgabe  zur  vollen 
Geltung  kam,  während  in  gesellschaftlicher  Beziehung  ein 
näherer  Verkehr  mit  Semper,  Devrient  und  Rieh.  Wagner 
manigfache  Anregung  brachte.  Er  trat  nicht  bloss  mit 
einer  Vorlesung  über  die  Antigone  des  Sophokles  (1844) 
und  einem  Vortrage  über  die  Hekuba  des  Euripides  (1846) 
in  die  weitereu  Kreise  der  Oeffentlichkeit,  sondern  fühlte 
sich  auch  durch  politische  und  literar-philosophische  An- 
sichten und  Bestrebungen  veranlasst,  eine  lebhafte  Thätig- 
keit  für  Reform  des  Unter richtswesens  zu  entwickeln,  wobei 
ihm  Mager's  Grundsätze  vorschwebten.  Auf  seinen  Antrag 
wurde  in  der  Philologen-Versammlung  zu  Darmstadt  (1845) 
zum  ersten  Male  eine  eigene  pädagogische  Section  gebildet, 
und  zur  gleichen  Zeit  begann  er  auch  die  Veröffentlichung 
seiner  Grundsätze,  zuerst  durch  die  Schrift  „Ueber  das 
Princip  des  Gymnasial -Unterrichtes  der  Gegenwart"  (1845), 
worauf  folgte  „Zur  Gymnasial  -  Reform ,  Theoretisches  und 
Praktisches"  (1846),  sodann  „Vermischte  Blätter  zur  Gymna- 
sial-Reform"  (1847).  Im  J.  1848  wurde  er  Mitglied  einer 
Commission,  welche  ein  Schulgesetz  für  das  Königreich 
Sachsen  ausarbeiten  sollte,  worüber  er  etwas  später  aus- 
führlichere Mittheilungen  gab  in  der  Schrift  „Der  ursprüng- 
liche Entwurf  z.  d.  allg.  Schulgesetze  f  d.  Königr.  Sachsen" 
(1850).  Er  war  in  die  zweite  Kammer  gewählt  worden, 
welche  im  Januar  1849  zusammentrat,  und  nachdem  er 
bei  den  Mai  -  Ereignissen  als  volltönender  Redner  auf  dem 
Rathhause    die    provisorische    Regierung    verkündet    hatte, 


58  Oeff entliehe  Sitzung  vom  28.  März  1877. 

wurde  ihm  von  hoher  Seite  angerathen ,  aus  Dresden  zu 
fliehen;  über  Hamburg  und  Oldenburg  begab  er  sich 
nach  Holland,  dann  nach  Brüssel,  wo  er  die  nöthige  Seelen- 
ruhe gewann,  um  zu  ernstem  Studium  zurückzukehren.  Im 
Frühjahre  1850  gelangte  er  durch  Berufung  an  die  Univer- 
sität Zürich  zu  einer  Stellung,  in  welcher  er  neben  Wieder- 
aufnahme seiner  Bestrebungen  betreffs  des  Erziehungswesens 
auch  schriftstellerisch  im  Gebiete  der  classischen  Philologie 
vorzügliches  leistete.  Seine  lebhafte  Begabung  ermöglichte 
ihm,  sowohl  einen  ausgedehnten  Kenntniss - Reichthum  zu 
erwerben,  als  auch  in  scharfsinniger  Auffassung  rasch  das 
Richtige  zu  treffen;  dabei  galt  ihm  die  Wissenschaft  stets 
als  Leben,  und  sowie  er  sich  für  eine  Wiedergeburt  der 
antiken  Tragödie  bemühte,  so  suchte  er  überhaupt  An- 
knüpf ungspunete  des  Antiken  an  die  Gegenwart  zu  ver- 
werthen,  —  ein  Bestreben,  welches  besonders  aus  seiner 
Beschäftigung  mit  der  Kriegs-Literatur  der  Alten  hervor- 
leuchtet. Neben  letzterer  war  seine  Neigung  den  griechi- 
schen Tragikern  zugewendet,  hauptsächlichst  aber  den  Epikern, 
welche  er  bis  in  die  entlegeneren  und  in  die  letzten  Phasen 
der  griechischen  Literatur  verfolgte.  Die  Aufgabe,  welche 
ihm  als  Programmatarius  der  Zürcher  Universität  oblag, 
gab  ihm  Gelegenheit  zu  zahlreichen  in  elegantem  Latein 
geschriebenen  Einzeln-Untersuchungen.  Anknüpfend  an  eine 
oben  erwähnte  Erstlings  -  Arbeit  veröffentlichte  er  eine 
mustergiltige  Ausgabe  der  Posthomerica  des  Quintus  Smyr- 
naeus  (1850,  kleinere  Ausgabe  1853),  worauf  er  in  der 
Didot'schen  Sammlung  der  Poetae  bueolici  et  didactici 
(1851)  den  Aratus,  den  Manetho  und  den  Maximus  besorgte. 
Daneben  waren  ,,Emendationes  Apollonianae  (1850)  er- 
schienen und  hatten  die  sieben  „Dissertationes  de  Uiadis 
carminibus"  (1850 — 59)  begonnen,  sowie  die  ,,Coniectanea 
epicau  (1851  f.  und  1856).  Zugleich  hatte  er  die  Kriegs- 
schriftsteller   in  Angriff  genommen    mit   „De  libris  tacticis 


v.  Prantl:  Nekrolog  auf  Hermann  Köchly.  59 

Arriani"  (1851),  worauf  zunächst  die  gemeinschaftlich  mit 
Rüstow  verfasste  „Geschichte  des  griechischen  Kriegswesens 
von  der  ältesten  Zeit  bis  aufPyrrhos"  (1852)  folgte,  woran 
sich  die  gleichfalls  mit  Rüstow  veranstaltete  Ausgabe  der 
„Griechischen  Kriegsschriftsteller"  (2  Bände  1853  u.  55,  in 
der  Engelmann'schen  Sammlung)  anschloss ;  dazu  kamen  noch 
auf  gleichem  Gebiete:  „De  scriptorum  militarium  graec.  co- 
dice  Bernensi"  (1854),  „Selecta  ex  ineditis  Leonis  Tactici 
capita"  (1854),  „Anonymi  Byzantini  rhetorica  militaris" 
(1856,  als  Bd.  II.  der  Opuscula  academica,  in  deren  erstem 
Bande  mehrere  der  obigen  Dissertationen  erneuten  Abdruck 
fanden),  sodann  wieder  mit  Rüstow  zusammen  eine  deutsche 
Uebersetzung  Caesar's  De  bell.  gall.  (1856)  und  „Einleitung 
zu  Cäsar's  gallischem  Kriege"  (1857).  Yon  ihm  ist  auch  die 
anonyme  Bearbeitung  der  Rede  des  Demosthenes  vom  Kranze 
(in  der  Engelmann'schen  Sammlung,  1856.)  Nun  griff  er  wieder 
auf  die  Epiker  zurück  und  veröffentlichte,  nachdem  ein 
Programm  „De  Nonni  Dionysiacis"  (1855)  vorausgegangen 
war,  seine  verdienstliche  und  wohl  für  lange  Zeit  abschlies- 
sende Ausgabe  des  Nonnns  (2  Bdde.,  1858  f.)  und  zu 
gleicher  Zeit  eine  Text  -  Recension  der  Apotelesmata  des 
Manetho  nebst  den  astrologischen  Fragmenten  des  Dorotheus 
und  des  Annubio  (1858,  als  7.  Bd.  des  Corpus  poet.  epic. 
graec).  Daneben  erschien  „Ueber  die  Vögel  des  Aristo- 
phanes"  (1857)  und  bald  hernach  „Hektor's  Lösung"  (1859, 
eine  Festgabe  der  Universität  Zürich  an  Welcker),  sowie 
wieder  Pädagogisches,  nemlich  eine  Schrift  „ Ueber  die  Re- 
form des  Zürcher  Gymnasiums''  (1859)  und  ausserdem  die 
höchst  anregende  Sammlung  unter  dem  Titel  „Akademische 
Vorträge  und  Reden"  (1859).  Zur  Jubelfeier  der  Univer- 
sität Basel  verfasste  er  die  Gratulationsschrift  „De  diversis 
Hesiodeae  theogoniae  partibus"  (1860),  während  er  gleich- 
zeitig „Onosander,  De  imperatoris  officio"  herausgab  (1860). 
Hierauf  folgten  allmälig  fünf  Abtheilungen  „Emendationum 


60  Oefl 'entliehe  Sitzung  vom  28.  März  1877. 

in  Eurip.  Ipbig.  Taur.  1860—64),  womit  eine  Ausgabe 
dieser  Tragödie  (mit  deutschen  Anmerkungen,  1863)  zu- 
sammeuhieng;  dann  „Iliadis  carraiua  XVI  in  usum  schola- 
rum  restituta"  (1861)  und  drei  Dissertationen  De  Odysseae 
carminibus  (1862  f.).  Im  Sommer  1863  (zur  selben  Zeit 
als  ihn  unsere  Akademie  in  die  Zahl  ihrer  Mitglieder  auf- 
nahm) ergieng  an  ihn  ein  Ruf  an  die  Universität  Heidel- 
berg, und  1864  siedelte  er  dorthin  um,  woselbst  er  mit 
seiner  gewohnten  zündenden  Kraft  des  begeisternden  Wortes 
als  Lehrer  ebenso  anregend,  wie  vordem  in  Zürich,  wirkte 
und  als  Mitglied  des  Aufsichtsrathes  des  dortigen  Gymna- 
siums und  des  Oberschulrathes  bei  der  Reform  des  badischen 
Unterrichswesens  thätig  eingriff,  ohne  über  dem  doppelten 
Berufe  die  literarische  Arbeit  bei  Seite  zu  setzen.  Gelegent- 
lich der  Heidelberger  Philologen- Versammlung  erschien  „De 
Musaei  grammatici  codice  Palatino"  (1865),  und  bei  gleicher 
Veranlassung  zu  Würzburg  hielt  er  einen  Vortrag  über 
Pyrrhus  und  Rom  (1868).  Sodann  begann  er  gemeinschaft- 
lich mit  Kinkel  eine  umfassende  Ausgabe  des  Hesiodus,  wo- 
von eine  erste  Abtheilung  (1870)  erschien;  eine  kleinere 
Ausgabe  der  Hesiodeischen  Schriften  (gleichfalls  1870)  ist 
von  Köchly  allein  bearbeitet.  Auf  eine  deutsche  Ueber- 
setzung  der  Reden  Cicero' s  für  Sestius  und  für  Milo  (1871) 
und  einen  Vortrag  „Cäsar  und  die  Gallier"  (1871)  folgte 
noch  die  umfangreichere  Schrift  „Gottfr.  Hermann,  zu  seinem 
100jährigen  Geburtstage"  (etwas  verspätet  gedruckt,  1874), 
worin  er  ebensosehr  seinem  ehemaligen  Lehrer  als  sich 
selbst  ein  ehrendstes  Denkmal  setzte.  Die  letzte  Arbeit 
Köchly's  war  ein  in  der  Innsbrucker  Philologen- Versamm- 
lung (1874)  gehaltener  Vortrag  über  die  Perser  des 
Aeschylus,  und  eben  diese  Tragödie  war  es,  deren  Auf- 
führung an  der  Mannheimer  Bühne  zu  verwirklichen  ihm 
noch  in  seinem  letzten  Lebensjahre  vergönnt  war.  Gegen 
Ende  Sept.   1876   trat  er  mit  dem  Erbprinzen  von  Meinin- 


v.  Prantl:  Nekrolog  auf  Hermann  Köchly.  61 

gen  eine  Reise  nach  Italien  und  Griechenland  an;  den  Pe- 
loponnes  hatte  die  Gesellschaft  glücklich  durchschritten, 
und  in  Athen  lag  Köchly  ernsten  Studien  ob,  welche  auch 
durch  einen  Sturz  vom  Pferde  (17.  Oct.)  nur  eine  kurze 
Unterbrechung  fanden.  Auf  dem  Weg8  aber  nach  Platää, 
dessen  Schlachtfeld  besonders  untersucht  werden  sollte,  er- 
griff ihn  plötzlich  eine  Blasen -Entzündung;  die  Aerzte  in 
Athen  riethen  zur  Reise  nach  Triest,  und  Köchly  sein  Ende 
vorausempfindend  schrieb  sich  in  einem  griechischen  Disti- 
chon seine  Grabschrift.  Nach  einer  qualvollen  Ueberfahrt 
erlag  er  in  Triest  seinen  Leiden  am  3.  Dec.  1876.  Die 
Leiche  wurde  nach  Heidelberg  verbracht  und  am  12.  Dec. 
am  Kirchhofe  zu  Neuenheim  unter  allgemeinster  Theilnahme 
beerdigt.  Die  Auszeichnung,  welche  ihm  die  Petersburger 
Akademie  zudachte,  indem  sie  ihn  einstimmig  als  correspon- 
direndes  Mitglied  wählte,  traf  ihn  nicht  mehr  unter  den 
Lebenden. 


Hermann  Brockhaus, 

geb.  am  28.  Jan.  1806  in  Amsterdam  (wo  sein  Vater,  der 
berühmte  Verleger  Friedrich  Arnold  Brockhaus  1805  eine 
Buchhandlung  errichtet  hatte,  welche  er  später  nach  Alten- 
burg und  dann  nach  Leipzig  verlegte),  besuchte  das  Gym- 
nasium zu  Altenburg,  wo  er  bereits  eine  innige  bleibende 
Freundschaft  mit  Hrn.  v.  d.  Gabelentz  schloss,  und  begab 
sich  dann  behufs  des  Universitäts  -  Studiums  zunächst  nach 
Leipzig,  hierauf  nach  Göttingen,  wo  er  durch  Ueberanstreng- 
ung  seine  Gesundheit  gefährdete,  und  dann  nach  Bonn. 
Hier  schloss  er  sich  insbesondere  an  Lassen  an  und  wurde 
durch  denselben  in  die  indische  Literatur  eingeführt.  In- 
dem hiedurch  die  Richtung  seiner  wissenschaftlichen  Lauf- 
bahn bestimmt  war,  begab  er  sich  zu  weiterer  Ausbildung 
auf  Reisen  nach  Kopenhagen,    Paris,   London  und  Oxford, 


62  Oef) 'entliehe  Sitzung  vom  28.  März  1877. 

woran  sich  persönliche  Bekanntschaft  mit  Burnouf,  Wilson 
und  Westcrgaard  knüpfte.  Als  erste  Frucht  seiner  Studien 
veröffentlichte  Brockhaus  die  fünf  ersten  Bücher  der  Märchen- 
sammlung des  Somadeva  „Kathä  sarit  Sagara",  sanskrit  und 
deutsch  (1830,  die  deutsche  Uebersetzung  allein  1843),  und 
auf  Grund  dieser  "Arbeit  wurde  er  von  der  Leipziger  Fa- 
cultät  zum  Doctor  promovirt  und  erhielt  gleichzeitig  einen 
Ruf  als  ausserordentlicher  Professor  nach  Jena  (1839).  Er 
beschäftigte  sich  dort  während  einiger  Zeit  auch  mit  dem 
Studium  der  gälischen  Sprache  und  Ossian's,  sowie  des 
finnischen  Epos  Kalewala,  mit  dessen  Herausgeber  E.  Lönn- 
rot  er  in  näheren  Verkehr  trat.  Im  J.  1841  wurde  er  nach 
Beer's  Tod  als  Extraordinarius  nach  Leipzig  berufen,  wo  er 
1848  die  ordentliche  Professur  für  altindische  Sprache  und 
Literatur  erhielt.  Mit  seinem  Eintritte  hatte  in  Leipzig 
das  Sanskrit-Studium  einen  raschen  Aufschwung  zu  nehmen 
begonnen,  zumal  da  die  Studirenden  auch  durch  G.  Curtius 
auf  Sprachvergleichung  hingewiesen  wurden.  Durch  eine 
wohlthueude  einnehmende  Persönlichkeit,  durch  ruhige  Klar- 
heit und  milde  Wärme  wirkte  Brockhaus,  welcher  mit 
feinem  Sinne  für  die  allgemeinen  culturgeschichtlichen  Fäden 
überall  höhere  und  weitere  Gesichtspuncte  erfasste,  in  an- 
regendster Weise  auf  seine  Zuhörer,  deren  besondere  Fähig- 
keiten und  Neigungen  er  schnell  erkannte;  er  durfte  sich 
rühmen,  Max  Müller,  Krehl  und  Windisch  zu  seinen  Schülern 
zu  zählen.  Seine  eigenen  Studien  erweiterte  er  intensiver 
in  der  Richtung  des  Persischen  und  beschäftigte  sich  später 
unter  Fleischer' s  Leitung  auch  mit  dem  Türkischen.  Bereits 
1841  veröffentlichte  er  seine  Schrift  „Ueber  den  Druck 
sanskritischer  Werke  mit  lateinischen  Buchstaben",  deren 
Grundsätze  fast  allgemein  angenommen  wurden  und  durch 
ihn  selbst  nach  längerer  Zeit  in  der  Abhandlung  „Die 
Transcription  des  arabischen  Alphabetes"  (1863  im  17.  Bande 
der  Abhdlgn.    f.    d.    Kunde   d.  Morgenlandes)    eine    weitere 


v.  Prantl    Nekrolog  auf  Hermann  Brockhaus.  63 

Ausdehnung  und  Anwendung  fanden.  Es  folgte  dann  eine 
Ausgabe  des  Schauspieles  Prabodha  candrodaya  von  Krishna 
Misra  nebst  indischen  Scholien  (1845)  und  gleichzeitig  eine 
Ausgabe  von  Nachschebi's  persischer  Bearbeitung  der  sieben 
weisen  Meister  (1845).  Nachdem  bei  der  Philologen- Ver- 
sammlung zu  Dresden  (1844)  zum  ersten  Male  auch  die 
Orientalisten  zusammengekommen  waren,  wurde  1845  unter 
Brockhaus'  Mitwirkung  die  deutsche  morgenländische  Ge- 
sellschaft gegründet,  deren  Publicationen  er  später  1852 — 65 
als  Redacteur  mit  ebenso  viel  trefflicher  Klugheit  als  treuer 
Hingebung  leitete,  so  dass  er  wesentlich  zur  Blüthe  dieses 
Vereines  beitrug;  und  als  im  J.  1846  die  sächsische  Gesell- 
schaft der  Wissenschaften  ins  Leben  trat,  war  er  eines 
der  ersten  Mitglieder  derselben  und  lieferte  auch  anfänglich 
zu  den  von  ihr  veröffentlichten  Berichten  schätzenswerthe 
Beiträge;  seit  1859  war  er  neben  Fleischer  stellvertretender 
Secretär  derselben.  Im  J.  1850  erschien  seine  Ausgabe  der 
ersten  drei  Theile  des  Zendavesta,  nemlich  Vendidad,  Yacna 
und  Vispered,  nebst  einem  mit  grossem  Beifalle  aufgenom- 
menen Versuche  eines  Glossars  der  Zendsprache,  und  hierauf 
folgte  eine  kritische  Ausgabe  der  Lieder  des  Hans  (3  Bände, 
1854 — 61),  wobei  auch  die  türkischen  Scholien  des  Sudi  (ab- 
gedruckt aus  der  Constantinopler  Ausgabe  von  1841)  bei- 
gezogen sind ;  eine  neue  Ausgabe  des  Hans  in  Einem  Bande 
erschien  1863.  Daneben  war  Brockhaus  wieder  zu  dem 
ersten  Gegenstande  seiner  literarischen  Thätigkeit,  nemlich 
zu  Somadeva  zurückgekehrt  und  veröffentlichte  aus  dem- 
selben in  verdienstlichster  Weise  die  Sage  von  Nala  und 
Damayanti  (1859),  sowie  Analysen  des  6.  bis  8.  Buches 
(1862  im  2.  Bd.  der  Abhdlgn.  f.  d.  Kunde  d.  Morgen- 
landes) und  des  9.  bis  18.  Buches  (1860  ebend.  im  4.  Bd.). 
Ausserdem  war  er  seit  1856  auch  an  der  Redaction  der 
Ersch-Gruber'schen  Encyclopädie  betheiligt.  Zu  zahlreichen 
Auszeichnungen  und  Ehren,   welche  er  erfuhr  (1860  nahm 


64  Oeß entliche  Sitzung  vom  28.  März  1877. 

ihn  unsere,  1868  die  Berliner  Akademie  unter  ihre  Mit- 
glieder auf),  kam  1873  die  Ernennung  zum  Geh.  Hofrath. 
Im  J.  1874  hatte  er  noch  dem  Orientalisten  -  Congresse  zu 
London  beigewohnt,  aber  einige  Zeit  später  machte  sich 
bei  ihm  allmälig  eine  Abspannung  seiner  körperlichen  Kräfte 
bemerklich  und  eine  Lungenentzündung  endigte  sein  Leben 
am  5.  Januar   1877. 


Der 'Classensecretär  Herr  v.  Giesebrecht  verwies  be- 
züglich der  verstorbenen  Mitglieder  der  Classe  gleichfalls 
auf  die  hiemit  folgende  Druck- Veröffentlichung: 

Die  historische  Classe  hat  im  verflossenen  Jahre  eines 
ihrer  hiesigen  ordentlichen  Mitglieder,  Hieronymus  von 
Bayer,  zwei  ihrer  auswärtigen  Mitglieder,  Georg  Hein- 
rich Pertz  in  Berlin  und  Franz  Palacky  in  Prag, 
und  eines  ihrer  correspondirenden  Mitglieder,  Johann 
Georg  Lehmann  zu  Nussdorf  in  der  Rheinpfalz  durch 
den  Tod  verloren.  Sie  sind  sämmtlich  in  hohem  Alter  nach 
einer  langen  und  vielfach  ergiebigen  Wirksamkeit  abge- 
schieden. 


Am  13.  Juli  1876  starb  hierselbst  Dr.  Hieronymus 
von  Bayer,  k.  Geheimer  Rath  und  resignirter  Reichsrath, 
o.  ö.  Professor  des  gemeinen  und  bayrischer  Civil-Processes 
an  der  hiesigen  Universität,  im  Alter  von  83  Jahren.  Die 
ausserordentlichen  Verdienste,  welche  sich  von  Bayer  in 
mehr  als  fünfzigjähriger  Amtsthätigkeit  um  die  Ludwig- 
Maximiliansuniversität  erworben  hat,  stehen  noch  im 
frischesten  Andenken  und  haben  am  letzten  Stiftungstage 
der  Universität  in  der  Rede  des  Rectors  gerechte  Würdig- 
ung gefunden.  Ein  hochgefeierter  Lehrer,  hat  sich  Bayer 
zugleich  in  der  juristischen  Literatur  einen  sehr  geachteten 


v.  Giesebrecht:  Nekrolog  auf  Georg  Heinrich  Pertz.  65 

Namen  gemacht,  und  mehrere  seiner  Schriften  haben  zahl- 
reiche Auflagen  erlebt.  Als  der  hochselige  König  Ludwig  I., 
welcher  die  Verdienste  Bayers  um  die  Wissenschaft  und  den 
bayrischen  Staat  in  ihrem  ganzen  Umfange  erkannte,  ihn 
im  Jahre  1843  zum  ordentlichen  Mitglied  unsrer  Akademie 
ernannte,  glaubte  er  damit  ihn  und  die  Akademie  in  gleicher 
Weise  zu  ehren.  Diese  Ehre  ist  von  beiden  Seiten  ge- 
würdigt worden,  aber  an  den  Arbeiten  der  historischen 
Classe,  die  seinen  eigentlichen  Wirkungskreis  wenig  berühr- 
ten, hat  sich  Bayer  nicht  unmittelbar  betheiligt. 


Am  7.  Oktober  1876  starb  in  unsrer  Stadt  Dr.  Georg 
Heinrich  Pertz,  preuss.  Geheimer  Regierungsrath  und 
pensionirter  Oberbibliothekar  an  der  k.  Bibliothek  zu  Berlin. 
Seit  dem  Jahre  1836  auswärtiges  Mitglied  der  Akademie, 
hat  er  namentlich  durch  seine  rege  Theilnahme  an  den  Ar- 
beiten der  historischen  Commission  unsre  Bestrebungen  per- 
sönlich so  lebendig  unterstützt,  dass  wir  wohl  sagen  kön- 
nen: er  war  in  vollem  Sinne  einer  der  Unsren. 

Pertz,  am  28.  März  1795  zu  Hannover  geboren,  war 
der  Sohn  eines  dortigen  Buchbinders.  Auf  der  Universität 
Göttingen  widmete  er  sich  philologischen  und  vorzugsweise 
historischen  Studien;  die  erste  literarische  Frucht  derselben 
war  die  1819  erschienene  Geschichte  der  merovingischen 
Hausmeier.  Diese  Erstlingsschrift  zeugte  nicht  nur  von 
gründlicher  Kenntniss  der  Quellen  und  gesunder  Kritik, 
sondern  empfahl  sich  auch  durch  eine  einfache,  aber  kräf- 
tige und  höchst  wirksame  Darstellungsweise.  Heeren  sagt 
in  der  Vorrede,  mit  der  er  das  Werk  einführte:  „Mögen 
die  Leser  selber  beurtheilen,  zu  welchen  Erwartungen  sie 
der  hier  zum  erstenmal  auftretende  Geschichtsforscher  und 
Geschichtschreiber  für  die  Zukunft  berechtigt." 

Bald  zog  der  junge  Historiker  die  Aufmerksamkeit  des 
[1877.1.  Phil.  hist.Cl.1.]  5 


06  Oeft 'entliehe  Sitzung  vom  28.  März  1877. 

Freiherrn  Karl  von  Stein,  des  grossen  deutschen  Staats- 
manns, auf  sich,  und  schnell  knüpfte  sich  die  Verbind- 
ung, die  für  Pertz's  ganzes  weiteres  Leben  entscheidend 
werden  sollte.  Bekanntlich  ging  Stein  damals  mit  dem 
Plan  einer  umfassenden  Quellensammlung  für  die  ältere 
deutsche  Geschichte  um  und  knüpfte  an  dieselbe  die  schönsten 
Hoffnungen  für  die  Belebung  des  patriotischen  Sinnes  in 
Deutschland;  zur  Durchführung  des  Plans,  der  erst  in  den 
allgemeinsten  Umrissen  entworfen  war,  hatte  er  die  Gesell- 
schaft für  ältere  deutsche  Geschichtskunde  begründet.  Pertz 
wurde  nun  zur  Mitarbeit  an  dem  grossen  Unternehmen  auf- 
gefordert und  übernahm  sogleich  bereitwillig  die  Heraus- 
gabe der  wichtigsten  Quellenschriften  aus  der  karolingischen 
Periode.  In  den  Jahren  1820  -  1823  unternahm  er  seine  erste 
Reise  für  die  Sammlung,  auf  welcher  er  besonders  die  Biblio- 
theken und  Archive  Oestreichs  und  Italiens  durchforschte. 
Diese  Reise  ist  für  das  grosse  Werk  epochemachend  ge- 
wesen. Sie  legte  zuerst  klar  zu  Tage,  was  durch  dasselbe 
geleistet  werden  könne  und  müsse,  und  sie  wies  zugleich 
auf  den  Mann  hin,  der  alle  berechtigten  Forderungen  zu 
erfüllen  vermochte.  Nach  seiner  Rückkehr  wurde  Pertz, 
der  inzwischen  zum  Archivsecretär  in  Hannover  bestellt  war, 
denn  auch  sogleich  die  Redaction  der  Quellensammlung 
selbst,  wie  der  zu  den  Vorarbeiten  bestimmten  und  bereits 
seit  mehreren  Jahren  fortgeführten  Zeitschrift,  des  Archivs 
der  Gesellschaft  für  ältere  deutsche  Geschichtskunde,  von 
Stein  übertragen.  Schon  im  Jahre  1824  wurde  durch  Pertz 
der  definitive  Plan  für  die  Monumenta  Germaniae  historica 
festgestellt;  angesichts  dieses  Plans  schrieb  Niebuhr:  „Pertz 
ist  ein  ganz  ausnehmend  ausgezeichneter  Mann,  vor  dem 
ich  im  eigentlichsten  Sinne  Respect  habe."  Der  erste 
Band  der  Monumenta  erschien  1826,  dem  Pertz  nach  Vol- 
lendung einiger  Reisen  1829  den  zweiten  folgen  Hess,  mit 
dem   er   die  Geschichtsschreiber   der   karolingischen  Periode 


v.  Giesebrecht:  Nekrolog  auf  Georg  Heinrich  Pertz.  67 

abschloss.  In  glänzenderer  Weise  konnte  das  grosse  Werk 
nicht  eröffnet  werden.  Was  Pertz  in  diesen  ersten  Bänden 
leistete ,  wurde  nicht  nur  Vorbild  für  alle  späteren  Text- 
ausgaben in  den  Monumenta  selbst,  sondern  auch  für  alle 
Werke  verwandter  Art,  die  später  in  Deutschland  oder  im 
Auslande  unternommen  sind. 

Ueber  fünfzig  Jahre  hat  Pertz  die  Redaction  der  Mo- 
numenta Germaniae  geführt.  25  Bände  der  Quellensamm- 
lung und  7  Bände  des  Archivs  sind  unter  seinem  Namen 
erschienen;  ausserdem  hat  er  sehr  umfangreiche  Vorarbeiten 
für  die  Fortsetzung  seinen  Nachfolgern  hinterlassen.  Was 
für  unsere  Geschichtswissenschaft  in  diesen  Publicationen 
erreicht  ist,  was  Pertz  selbst  und  was  seinen  Mitarbeitern, 
vornehmlich  seinem  treuen  Freunde  Friedrich  Böhmer,  ver- 
dankt wird,  wie  Pertz's  Redactionsthätigkeit,  erst  im  voll- 
sten Masse  allseitig  anerkannt,  in  späterer  Zeit  vielfachen, 
oft  unberechtigten  Angriffen  ausgesetzt  war:  dies  Alles  ist 
erst  kürzlich  aus  bester  Kenntniss  von  Waitz  dargelegt 
worden.*)  Es  ist  hier  nicht  der  Ort  näher  darauf  einzu- 
gehen ,  aber  es  darf  wohl  bemerkt  werden ,  dass  die  Fülle 
mittelalterlicher  Handschriften,  welche  unsere  Hof-  und 
Staatsbibliothek  bewahrt,  sich  als  eine  fast  unerschöpfliche 
Fundgrube  für  die  Arbeiten  der  Monumenta  erwies.  Wieder- 
holentlich  hat  deshalb  Pertz  selbst  hier  gearbeitet  und  un- 
ausgesetzt die  Unterstützung  unsres  Collegen  Föringer  in 
Anspruch  genommen,  dessen  liebenswürdige  und  aufopfernde 
Dienstwilligkeit  er  nie   genug   rühmen    zu   können  glaubte. 

In  Allem,  was  Pertz  für  die  Monumenta  that,  meinte 
er  lediglich  die  Absichten  Steins  auszuführen,  wie  er  denn 
auch  das  Werk  selbst  gleichsam  als  ein  persönliches  Ver- 
mächtniss  Steins  an  ihn  ansah.    Den  patriotischen  Gedanken, 


*)  Neues  Archiv  der  Gesellschaft   für  ältere  deutsche  Geschichts- 
kunde II.  8.  453  ff. 

5* 


68  Oeffentliche  Sitzung  vom  28.  März  1877. 

aus  welchem  das  Unternehmen  hervorgegangen  war,  hielt 
er  mit  aller  Entschiedenheit  fest,  aher  es  lag  auf  der  Hand, 
dass  die  lateinisch  geschriebenen  Quellen  des  Mittelalters 
nur  in  deutschen  Uebersetzungen  der  Mehrzahl  der  Nation 
zugänglich  gemacht  werden  konnten.  Pertz  trug  sich  des- 
halb lange  mit  der  Ausführung  eines  schon  von  Stein  an- 
geregten Gedankens,  von  den  wichtigsten  Quellen  unsrer 
älteren  Geschichte  Uebersetzungen  zu  veranlassen  und  in 
einer  wohlfeilen,  bequemen  Sammlung  herauszugeben.  Erst 
im  Jahre  1844  wurden  für  ein  solches  Unternehmen,  indem 
man  König  Friedrich  Wilhelm  IV.  dafür  zu  interessiren 
wusste,  die  nöthigen  Geldmittel  gewonnen,  und  1849  er- 
schien der  erste  Band  der  „Geschichtsschreiber  der  deutschen 
Vorzeit4',  dem  später  viele  andere  gefolgt  sind.  Die  Ueber- 
setzungen, die  Pertz  durch  jüngere  Gelehrte  anfertigen 
liess,  sind  ungleich,  geben  aber  doch  meist  getreu  den  Sinn 
der  Originale  wieder,  und  es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass 
sie  eine  Kenntniss  unsrer  mittelalterlichen  Geschichtswerke, 
die  früher  nur  bei  einer  kleinen  Zahl  von  Gelehrten  zu 
finden  war,  in  weitere  Kreise  verbreitet  haben. 

Pertz's  Arbeiten  für  die  Monumenta  Germaniae,  für 
welche  er  überdiess  fast  Jahr  für  Jahr  grössere  oder  kleinere 
Reisen  unternahm,  verdienen  um  so  mehr  Anerkennung, 
als  ihm  daneben  stets  ausgedehnte  amtliche  Geschäfte  ob- 
lagen. Bald  nach  dem  Erscheinen  des  ersten  Bandes  der 
Monumenta  ernannte  ihn  König  Georg  IV.  zum  Bibliothekar 
und  Archivrath  in  Hannover,  dann  wurde  er  auch  zum 
Mitglied  des  Oberschulcollegiums  und  Historiograph  des 
Gesammthauses  Braunschweig-Lüneburg  bestellt.  In  mehr- 
facher Beziehung  war  Pertz  so  ein  Nachfolger  Leibniz's 
geworden,  und  dieser  Stellung  verdankt  die  gelehrte  Welt 
die  von  ihm  veranlasste  Sammlung  von  Leibniz's  Schriften, 
welche  auch  für  unsere  historische  Literatur  dadurch  von 
grossem  Interesse  wurde,  dass  Leibniz's,  wenn  auch  unvoll- 


v.  Giesebrecht:  Nekrolog  auf  Georg  Heinrich  Pertz.  69 

endetes,  doch  hoch  wichtiges  Werk:  Annales  imperii  occi- 
dentis,  welches  über  hundert  Jahre  im  Verborgenen  ge- 
legen hatte,  in  derselben  zuerst  veröffentlicht  wurde.  Im 
Jahre  1842  wurde  Pertz  mit  dem  Titel  eines  Geheimen  Re- 
gierungsraths  als  Oberbibliothekar  nach  Berlin  berufen  und 
hat  diese  Stellung  dann  mehr  als  dreissig  Jahre  bis  zu 
seiner  Quiescirung  bekleidet.  Mit  musterhafter  Gewissen- 
haftigkeit hat  er  alle  Interessen  des  grossen  dort  seiner 
Leitung  übertragenen  Instituts  wahrgenommen  und  für  die 
Bereicherung,  Ordnung  und  Katalogisirung  der  Bibliothek 
sehr  Erhebliches  geleistet;  wie  sehr  er  namentlich  die  Be- 
nützung derselben  erleichterte,  wissen  die  am  besten,  welche 
sich  noch  der  früheren  Schwierigkeiten  erinnern  können. 

Wenn  Pertz  dem  Rufe  nach  Berlin  gefolgt  war,  hatten 
ihn  politische  Motive  zum  grossen  Theile  bestimmt.  Zu 
sehr  war  er  in  den  Ideenkreis  des  Freiherrn  von  Stein  ein- 
gegangen, als  dass  er  nicht  auch  für  die  politischen  Be- 
wegungen der  Zeit  die  lebhafteste  Theilnahme  hätte  empfinden 
und  wünschen  sollen,  nach  seinem  Theile  an  der  Herstellung 
deutscher  Staatsverhältnisse  im  nationalen  Sinne  mitzu- 
wirken. Schon  in  Hannover  hatte  er  in  das  politische 
Leben  eingegriffen.  Im  Jahre  1832  gehörte  er  der  zweiten 
Kammer  der  Hannoverschen  Stände  Versammlung  an;  er  be- 
sass  wohl  keine  glänzende  Rednergabe,  aber  er  sprach  „offen, 
schlicht,  verständig,  ganz  im  deutschen  Sinne.14  In  dem- 
selben Jahre  begründete  er  die  Hannoversche  Zeitung.  Es 
waren  die  Ideen  Stein's,  die  er  und  seine  Freunde  in  dieser 
Zeitung  zu  verbreiten  und  zur  Geltung  zu  bringen  suchten. 
Das  Blatt  gewann  sich  durch  seine  freimüthige,  mannhafte 
Haltung  in  kurzer  Zeit  weit  über  die  Grenzen  Hannovers 
hinaus  Ansehen;  als  Pertz  aber  nach  mehreren  Jahren  an 
einer  würdigen  Fortführung  der  Zeitung  verzweifelte,  legte 
er  die  Redaction  nieder.  Bald  nahmen  die  Verhältnisse  in 
Hannover  eine  Wendung,    in  denen   ein  Mann  von  Pertz's 


70  Oeff entliche  Sitzung  vom  28.  März  1877, 

Gesinnung  dort  nicht  mehr  am  rechten  Platze  war.  So 
verliess  er  denn  seine  Heimath  und  schloss  sich  an  Preussen 
als  den  Staat  an,  an  den  auch  Stein  seine  Hoffnungen  für 
Deutschlands  Wiedergeburt  geknüpft  hatte. 

Als  Pertz  nach  Berlin  kam,  hat  man  seinen  Rath  in 
politischen  Dingen  mehrfach  in  Anspruch  genommen,  na- 
mentlich in  Pressangelegenheiten.  Bei  verschiedenen  Pro- 
jecten,  die  theils  von  der  Regierung  selbst,  theils  von  einer 
der  Regierung  befreundeten  Partei  ausgingen,  suchte  man 
seine  Theilnahme  zu  gewinnen,  und  er  leistete  willig  Bei- 
stand, so  weit  er  es  vermochte.  Aber  alle  diese  Projecte 
scheiterten  erst  an  der  Unklarheit  der  damaligen  Verhält- 
nisse, dann  durch  den  Ausbruch  der  Revolution  von  1848. 
Wäre  Pertz  in  den  nächstfolgenden  Jahren,  wo  das  parla- 
mentarische Leben  in  Deutschland  zur  üppigsten  Entfaltung 
gedieh,  zur  Mitwirkung  berufen  worden,  er  würde  nach 
seiner  Natur  politischen  Kämpfen  nicht  ausgewichen  sein. 
Aber  er  war  nicht  der  Mann,  welcher  die  Gunst  der  Menge 
suchte,  und  würde  auch  kaum  inmitten  der  erhitzten  Par- 
teien jener  Zeit  für  seine  Ansichten  in  weiteren  Kreisen 
Zustimmung  gefunden  haben.  Dennoch  hat  er  auf  das  po- 
litische Leben ,  wie  es  sich  seitdem  gestaltete ,  einen  nicht 
zu  unterschätzenden  Einfluss  geübt.  Gerade  in  jenen  Jahren 
der  grössten  politischen  Aufregungen  publicirte  er  die  Denk- 
schriften des  Ministers  Freiherrn  von  Stein  über  deutsche, 
insbesondere  preussische  Verfassung  (1848),  verfasste  er  sein 
grosses  Werk:  „Leben  des  Ministers  Freiherrn  von  Stein14, 
welches  in  6  Bänden  1849—1855  erschien.  Das  Leben  des 
Feldmarschalls  Grafen  Neidhardt  von  Gneisenau,  welches  ein 
Seitenstück  zu  Stein's  Leben  bilden  sollte,  hat  er  nicht 
vollendet;  nur  3  Bände  sind  in  den  Jahren  1864 — 1867  er- 
schienen. Es  sind  manche  und  zum  Theil  begründete  Aus- 
stellungen gegen  Pertz's  Biographien  gemacht  worden,  aber 
unläugbar  ist,  dass  durch  das  reiche >  durchaus  zuverlässige 


v.  Giesehrecht :  Nekrolog  auf  Georg  Heinrich  Pertz.  71 

Material,  welches  sie  für  die  Geschichte  der  Wiedergeburt 
Preussens  und  der  deutschen  Freiheitskriege  erschlossen, 
durch  die  warme  Darstellung  der  Stein'schen  Reformen  und 
Pläne,  durch  die  gerechte  Würdigung  der  preussischen  Po- 
litik unsre  historische  Literatur  bestimmter  eine  Richtung 
erhielt,  die  sich  auch  politisch  fruchtbar  erwiesen  hat.  Die 
neue  Erhebung  Preussens  und  die  Bildung  des  neuen  deutschen 
Reichs,  welche  Pertz  noch  erleben  sollte,  begrüsste  er  aus 
voller  Seele  als  Erfüllung  von  Hoffnungen,  die  sein  ganzes 
Leben  getragen  und  bestimmt  hatten. 

Es  hat  Pertz  an  vielen  und  grossen  Auszeichnungen 
nicht  gefehlt;  sie  sind  ihm  von  Fürsten  und  von  gelehrten 
Körperschaften  in  Fülle  zu  Theil  geworden;  vielleicht  ist 
kein  deutscher  Historiker  unserer  Zeit  im  Auslande  persön- 
lich mehr  gekannt  und  geachtet  worden,  als  der  vielreisende 
Herausgeber  der  Monumenta  Germaniae.  Es  gab  auch  eine 
Zeit,  wo  er  die  Gunst  der  deutschen  Gelehrtenwelt,  wie 
wenige  Andere,  besass.  Aber  in  den  letzten  Jahrzehnten 
musste  er  die  schmerzliche  Erfahrung  machen,  dass  ihm  die 
Anerkennung,  die  er  zu  finden  gewohnt  war,  in  Deutschland 
selbst  von  verschiedenen  Seiten  versagt  wurde;  er  hatte 
Anfechtungen  zu  erdulden,  die  nicht  nur  seinen  Werken, 
sondern  auch  seinem  Charakter  galten.  Mochte  er,  der  sich 
bewusst  war  den  Besten  seiner  Zeit  genug  gethan  zu  haben, 
sich  über  die  Feindseligkeiten  der  Epigonen  erhaben  glauben, 
mochte  er  die  ihm  eigene  feste  Haltung  und  Ruhe  äusser- 
lich  bewahren,  jene  Angriffe  verbitterten  doch  sein  Leben 
und  brachten  ihn  in  eine  gereizte  Stimmung,  in  welcher 
sich  sein  sonst  so  klarer  Blick  für  das  Richtige  und  Heil- 
same nicht  selten  trübte. 

Die  Zerwürfnisse,  in  welche  Pertz  in  seinen  letzten 
Lebensjahren  vielfach  selbst  mit  Männern  gerieth,  welche 
seine  grossen  Verdienste  im  vollsten  Masse  anerkannten, 
erklären  sich  zum  Theil  aus  einer  Eigenthümlichkeit  seines 


72  Oeffentliche  Sitzung  vom  28.  März  1877. 

Wesens,  die  leicht  tief  verletzen  konnte.  Wie  er  in  seinen 
Arbeiten  schnell  eine  Ansicht  ergriff,  sie  mit  Consequenz 
durchführte,  sich  selbst  durch  gewichtige  Bedenken  Andrer 
nicht  beirren  Hess  —  er  hat  meines  Wissens  nie  eine  ein- 
mal ausgesprochene  wissenschaftliche  Ansicht  später  recti- 
ficirt  —  so  behandelte  er  auch  die  Personen,  mit  denen  ihn 
das  Leben  zusammenführte,  nach  einer  oft  nicht  ohne  Vor- 
urtheile  gefassten  Ansicht,  die  er  mit  Starrheit  festhielt.  In 
Männern,  welche  den  Bestrebungen,  in  denen  er  seine 
Lebensaufgabe  sah,  hinderlich  zu  sein  schienen,  sah  er  gleich- 
sam persönliche  Feinde.  Es  beherrschten  ihn  Antipathien, 
die  unüberwindlich  waren,  und  es  scheiterten  daran  alle 
Versuche  der  Ausgleichung  unglücklicher  Differenzen,  die 
bei  leidenschaftsloser  Erwägung  leicht  zu  heben  schienen. 
Sehr  irrten  diejenigen,  welche  Pertz  Kälte  des  Herzens 
schuld  gaben.  Wie  warm  er  fühlte,  zeigt  der  lebendige 
Patriotismus,  den  er  in  seinem  ganzen  Wirken  bewährte* 
sein  glückliches  Familienleben,  die  innige  Freundschaft  mit 
so  vielen  trefflichen  Männern,  die  ihr  volles  Vertrauen  ihm 
schenkten.  Eher  Hesse  sich  behaupten,  dass  sein  Gemüth 
wie  in  Zuneigung,  so  auch  in  Abneigung  überschwänglich 
war.  Es  ist  nicht  selten  ein  Fehler  starker  Naturen,  der 
ihnen  selbst  am  verderblichsten  wird,  dass  sie  persönliche 
Sympathien  und  Antipathien  in  dem  Herzen  zu  üppig 
wuchern  lassen. 

Sein  Leben  sollte  Pertz  in  unsrer  Stadt  beschliessen,  in 
welcher  er  so  oft  und  so  gerne  verweilt,  in  welcher  er  die 
reichste  Ausbeute  für  seine  wissenschaftlichen  Arbeiten  und 
zugleich  vielfachen  Kunst-  und  Lebensgenuss  gefunden  hatte. 
König  Maximilian  II.,  welcher  die  Hebung  der  historischen 
Studien  in  Deutschland  als  eine  seiner  Lebensaufgaben  an- 
sah, hatte  dem  gefeierten  Begründer  der  Monumenta  Ger- 
maniae  seine  Aufmerksamkeit  und  Gunst  zugewendet.  Pertz 
wurde  unter  die  Ritter  des  Maximiliansordens  aufgenommen, 


v.  Gicsebrecht:  Nekrolog  auf  Georg  Heinrich  Pertz.  73 

und  er  gehörte  zu  jenen  deutschen  Historikern,  welche 
der  hochselige  König  1858  nach  München  einlud,  um  die 
historische  Commission  bei  unsrer  Akademie  in  das  Leben 
zu  rufen.  Da  die  Commission  sich  vor  Allem  mit  der  Auf- 
findung und  Herausgabe  werthvollen  Quellenmaterials  für 
die  deutsche  Geschichte  beschäftigen  sollte  und  hier  Pertz's 
Arbeiten  als  Vorbild  angesehen  werden  mussten,  war  die 
Theilnahme,  welche  er  unausgesetzt  den  Bestrebungen  der 
Commission  zugewendet  hat,  von  dem  grössten  Nutzen.  Bis 
zum  Jahre  1870  hatte  er  allen  Plenar Versammlungen  der- 
selben beigewohnt  und  an  den  Verhandlungen  stets  den  leb- 
haftesten Antheil  genommen.  In  den  nächsten  Jahren  hin- 
derten ihn  theils  dienstliche  Geschäfte  theils  die  Beschwerden  des 
Alters  die  Reise  zu  unternehmen.  Aber  im  vorigen  Jahre  traf 
er  mit  auffälligem  Eifer  schon  vor  Monaten  alle  Veranstal- 
tungen, um  zu  der  Plenarversammlung  zu  erscheinen. 
Nachdem  er  mit  seiner  Familie  die  Sommermonate  in  Te- 
gernsee  zugebracht  hatte,  beeilte  er  sich  schon  mehrere 
Tage  vor  Eröffnung  der  Versammlung  hierher  zu  kommen ; 
seine  Gedanken  waren  ganz  auf  die  Arbeiten  der  Commission 
gerichtet.  Aber  kurz  nach  seiner  Ankunft  traf  ihn  der 
Schlaganfall,  der  seinem  Leben  nach  wenigen  Tagen  ein 
Ziel  setzen  sollte. 

Da  man  einen  wohlthätigen  Einfluss  auf  seinen  Zustand 
erwartete,  wenn  ich  ihn  versicherte,  dass  seine  Anwesenheit 
bei  den  Berathungen  der  Commission  nicht  geboten  sei, 
wurde  ich  an  sein  Krankenlager  gerufen.  Ich  fand  ihn 
auf  demselben  gelähmt  und  sprachlos,  aber  er  zeigte  mir 
dieselbe  freundliche  Miene,  mit  der  er  mir  so  oft  entgegen- 
getreten war;  die  Mittheilungen,  welche  ich  ihm  über  die 
Arbeiten  der  Commission  machte,  schien  er  zu  verstehen 
und  ihnen  mit  Theilnahme  zu  folgen.  Ich  versprach,  so- 
bald die  Plenarversammlung  geschlossen  sei,  ihn  von  den 
Resultaten  derselben  in  Kenntniss  zu   setzen.     Aber  kaum 


74  Oeffentliche  Sitzung  vom  28.  März  1877. 

war  der  Schluss  der  Versammlung  eingetreten,  so  ging  auch 
sein  Leben  zu  Ende.  Nur  kurze  Zeit  nach  seinem  letzten 
Athemzuge  stand  ich  wieder  an  seinem  Lager.  Die  Züge 
des  Todten  waren  so  wenig  entstellt  und  zeigten  eine  solche 
Ruhe,  dass  man  glauben  mochte,  er  sei  nur  in  einen  tiefen 
Schlummer  versunken. 

Ueber  dreissig  Jahre  habe  ich  mich  seines  Wohlwollens 
und  seiner  Freundschaft  zu  erfreuen  und  ihm  nicht  nur  die 
fruchtbarsten  Anregungen  für  meine  Studien,  sondern  auch 
die  raanigfachsten  Beweise  herzlicher  Güte  zu  danken  ge- 
habt. Ich  stand  ihm  nahe  genug,  um  zu  sehen,  dass  auch 
er  von  den  Schwächen  der  menschlichen  Natur  nicht  frei 
war,  aber  zugleich  nahe  genug,  um  zu  wissen,  dass  er  nicht 
nur  ein  Gelehrter  von  seltener  Begabung,  sondern  auch  ein 
edler ,  auf  ideale  Ziele  gerichteter  Mensch  war.  Von  der 
grossen  Zahl  derer,  die  sich  ihm  bei  seiner  Lebensarbeit 
für  die  deutsche  Geschichte  angeschlossen  haben,  haben  nur 
Waitz  und  ich  ihn  auf  dem  Sterbelager  gesehen ;  sein 
Ende  wird  mir  immerdar  eine  heilige  Erinnerung  bleiben, 
und  es  wird  so  Entschuldigung  finden,  wenn  dieser  Nekrolog 
eine  persönlichere  Färbung  erhalten  hat,  als  ihn  meist  diese 
akademischen  Nachrufe  tragen.  Aber  auch  in  unsrer  Aka- 
demie wird  der  Name  Pertz,  mit  dem  neuen  Aufschwünge 
der  deutschen  Geschichtsforschung  und  Geschichtsschreibung 
untrennbar  verbunden,  nie  vergessen  werden  können. 


Am  26.  Mai  1876  starb  zu  Prag  Dr.  Franz  Palacky, 
k.  böhmischer  Landeshistoriograph  und  Mitglied  des  öster- 
reichischen Reichsraths.  Allbekannt  sind  die  Verdienste 
dieses  ausgezeichneten  Gelehrten  um  die  Geschichte  Böh- 
mens, welche  durch  seine  Forschungen  die  erheblichsten  Be- 
reicherungen erfahren  hat.  Bei  der  engen  Verbindung,  in 
welcher  Böhmen  seit  einem  Jahrtausend  mit  dem  deutschen 


v.  Giesebrecht:  Nekrolog  auf  Franz  Palacky.  75 

Staatsleben  steht,  mussten  Palacky's  Arbeiten  auch  unsern 
historischen  Studien  vielfache  Förderung  gewähren  und 
seinem  Namen  um  so  mehr  eine  Ehrenstelle  in  unserer  ge- 
schichtlichen Literatur  gewinnen,  als  ein  grosser  Theil  seiner 
Werke  ursprünglich  in  unsrer  Sprache  geschrieben  ist,  die 
er  mit  Meisterschaft  zu  gebrauchen  wusste. 

Palacky  wurde  am  14.  Juni  1798  zu  Hotzendorf  (Hod- 
slawitz)  in  Mähren  geboren.  Seine  Familie  gehörte  der 
mährischen  Bruderunität  an,  in  welcher  sich  die  letzten 
Traditionen  des  Hussitenthums  erhalten  haben;  sein  Vater 
war  der  reformirte  Schullehrer  des  Orts.  Seine  Universitäts- 
studien machte  Palacky  in  Pressburg  und  Wien ;  obwohl  er 
sich  die  Jurisprudenz  zum  Fachstudium  erwählt  hatte,  wandte 
er  sich  doch  bald  mehr  nach  der  Seite  der  Philologie,  Li- 
teratur und  Aesthetik,  und  besonders  fesselten  ihn  die  bis 
dahin  noch  wenig  beachteten  alten  Denkmale  der  czechischen 
Sprache  und  Literatur.  Schon  im  Jahre  1818  gab  er  mit 
Schafarik,  mit  dem  er  dann  durch  gemeinsame  Bestrebungen 
so  lange  verbunden  blieb,  anonym  ein  in  böhmischer  Sprache 
abgefasstes  Werk  über  die  Anfangsgründe  der  czechischen 
Poetik  heraus.  Im  Jahre  1823  ging  er  nach  Prag,  wo  ihn 
die  um  die  Förderung  des  wissenschaftlichen  Lebens  in 
Böhmen  hochverdienten  Grafen  Sternberg  zu  ihrem  Archivar 
bestellten  und  dadurch  seinen  Studien  die  besondere  Rich- 
tung auf  die  böhmische  Geschichte  gaben. 

Mit  Eifer  und  Glück  durchforschte  Palacky  in  den 
nächsten  Jahren  viele  Archive  und  Bibliotheken  Böhmens, 
Deutschlands  und  Italiens,  um  verborgene  Quellen  für  die 
ältere  Geschichte  Böhmens  an  das  Licht  zu  ziehen.  Die 
Früchte  dieser  gelehrten  Reisen  traten  in  dem  1829  heraus- 
gegebenen dritten  Bande  der  Scriptores  rerum  Bohemicarum 
und  der  1 830  veröffentlichten  Preisschrift :  „Würdigung  der 
alten  böhmischen  Geschichtsschreiber41  hervor.     Inzwischen 


76  Oeff entliche  Sitzung  vom  28.  März  1877. 

hatte  Palacky  bereits  1827  auch  die  Redaction  der  deutschen 
und  der  czechischen  Zeitschrift  des  böhmischen  Museums 
übernommen  und  dadurch  auf  die  Entwickelung  der  nationalen 
Bewegung  in  Böhmen  einen  tiefgreifenden  Einfluss  gewonnen ; 
die  deutsche  Zeitschrift  ist  im  Jahre  1831  eingegangen,  die 
Redaction  der  czechischen  hat  Palacky  über  ein  Jahrzehnt 
fortgeführt.  Trotz  seiner  Jugend  galt  er  bereits  für  den 
tüchtigsten  Historiker  Böhmens,  und  die  böhmischen  Stände 
ernannten  ihn,  den  reformirten  Gelehrten,  1829  zum  Landes- 
historiographen,  doch  erhielt  der  Beschluss  der  Stände  erst 
acht  Jahre  später  die  Genehmigung  Kaiser  Ferdinands  I. 
Es  war  Palacky  zunächst  nur  die  Fortsetzung  yon  Pubitschka's 
Chronologischer  Geschichte  Böhmens  aufgetragen,  aber  eine 
solche  Arbeit  entsprach  seinem  Genius  nicht.  Er  legte  den 
Plan  zu  einem  neuen  selbstständigen  Werke  vor,  welches 
vorzugsweise  auf  urkundliches  und  handschriftliches  Material 
begründet  werden  sollte,  und  es  gelang  ihm  für  diesen  Plan 
die  Zustimmung  der  Stände  zu  erwirken. 

Im  Jahre  1836  erschien  der  erste  Band  der  „Geschichte 
von  Böhmen'1  in  deutscher  Sprache;  die  czechische  Ueber- 
setzung  ist  erst  viel  später  an  das  Licht  getreten.  Dem 
ersten  Bande  sind  dann  vier  andere  bis  1867  gefolgt;  der 
zweite,  vierte  und  fünfte  in  zwei,  der  dritte  in  drei  Ab- 
theilungen. Die  Darstellung  ist  bis  zum  Ende  der  Jagel- 
lonenherrschaft  in  Böhmen  fortgeführt,  und  wenn  es  jemals 
ernstlich  die  Absicht  des  Verfassers  gewesen  ist,  auch  die 
Zeiten  der  Habsburger  zu  behandeln,  hat  er  diese  doch 
schon  früh  aufgegeben.  Die  grossen  Vorzüge,  welche  Pa- 
lacky's  Werk  vor  allen  verwandten  Arbeiten  über  die  ältere 
Geschichte  Böhmens  auszeichneten,  fanden  nicht  allein  in 
Böhmen  und  den  slawischen  Ländern,  sondern  aller  Orten, 
wo  man  an  historischer  Wissenschaft  Antheil  nahm,  sogleich 
die  vollste  Anerkennung.  Auch  in  Deutschland  hatte  das 
Werk    einen    durchschlagenden    Erfolg,    obwohl    man    sich 


v.  Giesebrecht:  Nekrolog  auf  Franz  Palacky.  77 

nicht  verhehlen  konnte,  dass  trotz  aller  Versicherungen  des 
Verfassers,  dass  er  nur  nach  historischer  Wahrheit  und 
Treue  strebe,  durch  Ueberschätzung  der  czechischen  Natio- 
nalität die  Einflüsse  des  deutschen  Wesens  auf  Böhmen 
vielfach  in  ein  falsches  Licht  gestellt  waren.  Wie  sehr 
man  dies  beklagen  mochte,  freute  man  sich  doch  des  reichen 
Ertrags,  der  aus  den  umfassenden  Studien  Palacky's  auch 
für  wichtige  Perioden  der  deutschen  Geschichte  gewonnen 
war.  Sein  Name  wurde  bald  denen  unsrer  ersten  Historiker 
zur  Seite  gestellt.  Schon  im  Jahre  1836  wählte  unsre 
Akademie  Palacky  zu  ihrem  auswärtigen  Mitglied. 

Auch  aus  den  zahlreichen  andren  Quellensammlungen 
und  Abhandlungen ,  welche  Palacky  theils  neben  seinem 
Hauptwerk  theils  nach  dem  Abschluss  desselben  veröffent- 
lichte, hat  nicht  nur  die  böhmische,  sondern  auch  die 
deutsche  Geschichte  grossen  Gewinn  gezogen.  Es  genügt 
hier  der  Hinweis  auf  seine  „Literarische  Reise  nach  Italien 
im  Jahre  1837",  die  Abhandlung:  ,, lieber  Formelbücher, 
zunächst  in  Bezug  auf  böhmische  Geschichte"  (1842),  die 
„Urkundlichen  Beträge  zur  Geschichte  Böhmens  und  seiner 
Nachbarländer  im  Zeitalter  Georgs  von  Podiebrad"  (1860), 
die  „Documenta  magistri  Joannis  Husu  (1869),  die  „Ur- 
kundlichen Beiträge  zur  Geschichte  des  Hussitenkriegs" 
(1873).  Eine  mehr  als  fünfzigjährige  literarische  Wirksam- 
keit von  seltener  Ergiebigkeit  ist  Palacky  beschieden  ge- 
wesen. Die  Resultate  seiner  Studien  sind  vielfach,  nament- 
lich von  deutscher  Seite,  angefochten  worden,  aber  auch 
selbst  seine  Gegner  werden  sich  dem  Eindruck  nicht  haben 
entziehen  können,  dass  sie  es  mit  einem  wissenschaftlich 
hochbedeutenden  Mann  zu  thun  hatten. 

In  dankbarer  Erinnerung  trage  ich  die  Beweise  per- 
sönlichen Wohlwollens,  die  ich  von  ihm  im  Jahre  1843 
erhielt.     Nachdem  ich  ihn   kurz   zuvor   im  Berliner  Archiv 


78  Oeff entliche  Sitzung  vom  28.  März  1877. 

hatte  kennen  lernen,  fand  ich  in  seinem  Hause  zu  Prag, 
dort  von  Pertz  eingeführt  und  begleitet,  die  freundlichste 
Aufnahme.  Es  war  dem  jüngeren  Manne  ein  erhebendes 
Gefühl,  seine  Gedanken  zwanglos  austauschen  zu  können 
mit  den  beiden  Gelehrten,  von  denen  jeder  von  dem  be- 
rechtigten Bewusstsein  erfüllt  war  der  Geschichtsforschung 
seiner  Nation  eine  neue  Basis  gegeben  zu  haben,  die  beide 
damals  in  der  Fülle  der  Manneskraft  und  im  frischen 
Glänze  ihres  Ruhms  standen.  In  der  hohen,  kräftigen  Ge- 
stalt und  der  Festigkeit  ihres  Auftretens  sich  nicht  unähn- 
lich ,  in  ihren  Studien  sich  vielfach  berührend ,  beide  in 
einem  merkwürdigen  Parallelismus  des  Lebensgangs  aus  un- 
scheinbaren Verhältnissen  zu  einflussreicher  Stellung  gelangt, 
schienen  sie  damals  in  ihren  wichtigsten  Interessen  in  voller 
Harmonie  mit  einander  zu  stehen.  Ich  weiss  nicht,  ob 
sie  sich  später  wieder  begegnet  sind,  aber  an  Dissonanzen 
dürfte  es  dann  kaum  gefehlt  haben. 

Das  Jahr  1848  verwickelte  Palacky  tief  in  das  poli- 
tische Leben,  in  welchem  er  dann  bis  zu  seinem  Tode  eine 
nicht  immer  glückliche,  aber  immer  viel  beachtete  Rolle 
gespielt  hat.  In  den  letzten  dreissig  Jahren  galt  er  recht 
eigentlich  als  der  Repräsentant  der  czechischen  Nationalität 
und  ihrer  Interessen;  als  solcher  ist  er  nicht  nur  in  Schriften, 
sondern  auch  in  parlamentarischen  Kämpfen  vielfach  wirk- 
sam gewesen.  Die  Verehrung  seiner  Landsleute  hat  er  sich 
dadurch  im  hohen  Grade  erworben.  Je  kühner  er  sich 
vorwagte,  desto  reichere  Ehrenkränze  fielen  ihm  zu.  Wir 
Deutsche  mussten  dagegen  bedauern,  dass  die  Politik  ihn 
immer  weiter  in  eine  einseitige  Beurtheilung  oder  Ver- 
urtheilung  der  deutschen  Nationalität  trieb. 


v.  Giesebrechti  Nekrolog  auf  Johann  Georg  Lehmann.         79 

Am  5.  August  1876  starb  zu  Nussdorf  bei  Landau  in 
der  Pfalz  der  protestantische  Pfarrer  Johann  Georg 
Lehmann,  ein  Gelehrter,  der  sich  um  die  Geschichte  seiner 
Heimath  sehr  verdient  gemacht  hat.  Seit  1860  war  er 
Correspondent  unsrer  Akademie. 

Lehmann  wurde  am  24.  December  1797  zu  Dürkheim 
an  der  Hardt  geboren,  wo  sein  Vater  reformirter  Pfarrer 
war.  Seine  Gymnasialstudien  machte  er  auf  dem  dortigen 
College  und  bezog  dann  die  Universität  Heidelberg,  um  sich 
der  Theologie  zu  widmen.  Neben  seinem  Fachstudium  be- 
trieb er  schon  damals  mit  Vorliebe  die  Geschichte  und 
namentlich  die  historischen  Hilfswissenschaften  der  Archäo- 
logie, Heraldik,  Numismatik  und  Diplomatik.  Schon  als 
Student  begann  er  Sammlungen  von  Urkunden,  Siegeln  und 
Münzen  anzulegen,  die  dann,  mehr  als  sechzig  Jahre  fort- 
geführt und  bereichert,  zu  einem  sehr  werthvollen  Besitz 
erwuchsen.  Ein  Theil  dieser  Sammlungen  ist  durch  Kauf 
an  die  Universität  zurückgekommen,  welche  den  Sammel- 
eifer Lehmanns  erregt  hatte. 

Lehmann  war  aber  nicht  nur  ein  emsiger  Sammler, 
sondern  auch  ein  fleissiger,  gründlicher  Forscher,  nament- 
lich in  der  Geschichte  seiner  geliebten  Heimath.  Schon  als 
Pfarverweser  in  Ellerstadt  gab  er  im  Jahre  1822  die  Ge- 
schichte des  Klosters  Limburg  heraus,  und  auch  in  seiner 
späteren  Amtstätigkeit,  wo  er  nach  einander  die  Pfarreien 
in  Altleiningen,  Weissenheim,  Kerzenheim  und  Nussdorf  zu 
verwalten  hatte,  blieb  er  stets  seinen  historischen  Arbeiten 
treu.  Die  Schwierigkeiten,  welche  ihm  aus  der  Entfernung 
vou  grösseren  Bibliotheken  erwuchsen,  schienen  seinen  Eifer 
eher  anzuspornen,  als  zu  lähmen.  Lehmann  war  ein  sehr 
fruchtbarer  Autor.  In  seinen  gedruckten  Werken  liegt  nur 
ein  Bruchtheil  seiner  literarischen  Thätigkeit  vor;  ausser 
seinen    meisten    poetischen  Arbeiten    sind   auch   eine  nicht 


80  Oeff entliche  Sitzung  vom  28.  März  1877. 

geringe  Anzahl  seiner  historischen  Schriften  Manuscript 
geblieben. 

Nachdem  Lehmann  vorher  mehrere  auf  die  pfälzische 
Geschichte  bezügliche  Monographien  veröffentlicht  hatte, 
begann  er  im  Jahre  1857  sein  Hauptwerk:  „Urkundliche 
Geschichte  der  Burgen  und  Bergschlösser  der  bayrischen 
Pfalz"  herauszugeben,  von  welchem  bis  1866  fünf  Bände 
erschienen.  Die  Resultate  langjähriger  Studien  sind  in 
diesem  Buche  niedergelegt,  welches  immer  eine  der  ergiebig- 
sten Fundgruben  für  die  Lokalgeschichte  der  Pfalz  bleiben 
wird.  Durch  dieses  Werk  war  Lehmann's  Ruf  als  hervor- 
ragender Kenner  der  Pfälzischen  Geschichte  gesichert.  Als 
König  Maximilian  II.  die  historische  Commission  beauf- 
tragte historische  Werke  für  die  Pfalz  zu  veranlassen  und 
in  dieser  Hinsicht  vornehmlich  die  Mitwirkung  des  verstor- 
benen Häusser  in  Anspruch  nahm,  glaubte  Häusser  beson- 
ders auf  Lehmann's  Arbeiten  verweisen  zu  müssen.  Mit 
Unterstützung  der  historischen  Commission  ermöglichte  dann 
Lehmann  den  Druck  seiner  „Urkundlichen  Geschichte  der 
Grafschaft  Hanau-Lichtenberg11  (2  Bände  1862—1863).  In 
den  nächsten  Jahren  arbeitete  er  auf  Anregung  Häussers 
und  mit  Unterstützung  der  Commission  die  „Geschichte  des 
Herzogthums  Zweibrücken"  (1867)  und  die  „Geschichte  der 
Grafen  von  Spanheim"  (2  Theile  1869)  aus.  Es  sind  die 
letzten  grösseren  Werke,  die  von  Lehmann  noch  selbst  in 
den  Druck  gegeben  werden  konnten. 

Lehmann's  Schriften  sind  durchweg  von  den  Gesichts- 
puneten  des  Lokalhistorikers  beherrscht  und  werden  dess- 
halb  auf  solche,  welche  der  Heimath  des  Verfassers  ferner 
stehen ,  keine  grosse  Anziehungskraft  üben ;  auch  in  der 
Pfalz  selbst  dürften  sie  kaum  in  weitere  Kreise  gedruugen 
sein,  da  die  Darstellung  mehr  einen  gelehrten,  als  popu- 
lären Charakter    trägt.      Aber   sie   ruhen   auf  einem  zuver- 


v»  Giesebrecht :  Nekrolog  auf  Johann  Georg  Lehmann.         81 

lässigen  und  mit  Gewissenhaftigkeit  verarbeiteten  Material, 
wie  es  ausser  Lehmann  kaum  ein  Anderer  beschaffen  konnte. 
Es  sind  überaus  nützliche  Arbeiten,  welche  kein  Historiker, 
den  seine  Studien  auf  die  historischen  Verhältnisse  der 
Pfalz  führen,  entbehren  kann. 

Bald  nach  einander  hat  die  Rheinpfalz  in  Remling 
und  Lehmann  die  beiden  Gelehrten  verloren,  welche  für 
die  Erforschung  ihrer  Geschichte  in  den  letzten  Jahrzehnten 
am  thätigsten  gewesen  sind:  möchten  sie  würdige  Nach- 
folger finden! 


[1877.  I.Phil.-liist.  Cl.  1J 


82  Einsendungen  von  Druckschriften. 


Yerzeichniss  der  eingelaufenen  Büchergeschenke. 


Vom  akademischen  Leseverein  in  Graz-. 
IX.  Jahresbericht.  1876.  8. 

Von  der  Akademie  der  Wissenschaften  in  Krakaui 
Bibliographische  Berichte  über  die  Publikationen  derselben.     1876.  8. 

Vom  Geschichtsverein  für  Kärnthen  in  Klagenfurt: 

Archiv  für  vaterländische  Geschichte  und  Topographie.  13.  Jahrgang. 
1876.  8. 

Vom  fürstlich  Fürstenbergischen  Hauptarchiv  in  Donaueschingen: 

Fürstenbergisches  Urkundenbuch.  I.  Bd.  Sammlung  der  Quellen  zur 
Geschichte  des  Hauses  Fürstenberg  und  seiner  Lande  in  Schwaben. 
Tübingen.  1877.  Gr.  4. 

Von  der  Generaldirektion  der  k.  Sammlungen  für  Kunst  und  Wissen- 
schaft in  Dresden: 

Bericht  über  die  Verwaltung  der  k.  Sammlungen  für  Kunst  und  Wis- 
senschaft.   In  den  Jahren  1874  u.  1875.  4. 

Vom  Verein  für  Landeskunde  von  Niederösterreich  in  Wien: 

a)  Blätter  des  Vereins.    Neue  Folge.  X.  Jahrg.  1876.  8. 

b)  Topographie  von  Niederösterreich.    I.  u.  II.  Bd.  1871—76.  4. 

Vom  Verein  für  hansische  Geschichte  in  Leipzig: 
Hansische  Geschichtsblätter.    Jahrg.  1873.  74.  75.  8. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  83 

Von  der  Gesellschaft  für  nordische  Alterthumskunde  in  Copenhagen: 

a)  Aarböger  for  Nordisk  OJdkyndighed  eg  Historie.     Aargang  1874, 

1875,  1876.  8. 

b)  Antiquites  Busses  d'apres  les  monuments  historiques  des  Islandais 
et  des  Anciens  Scandinaves.    Tom.  I.  IL  1850.  1852.  gr.  Fol. 

Von  der  Asiatic  Society  of  Bengal  in  Calcutta: 

a)  Journal.  No.  200  -202.  204.  1875—76.  8. 

b)  Proceedings.  No.  I— VII.  1876.  8. 

c)  Bibliotheca  Indica.   OldSeries.  No.  234. 235.    New  Series.  No.328. 
332—342.  344-348.  1876.  8. 

Von  der  deutschen  Gesellschaft  für  Natur-  und  Völkerkunde  Ostasiens 
in  Yokohama: 

Das  schöne  Mädchen  von  Pao,   eine  Erzählung   aus  dem  Chinesischen, 
übersetzt  von  C.  Arendt.    Buch  III.  Kapitel  III.  u.  IV.  1876.  Pol. 

Von  der  Societe  Boyale  des  Sciences  in  Upsala: 
Nova  actaregiaesocietatis  scientiarum  Upsalensis.  Ser.  III.  Vol.  X.  1876. 4. 

Vom  Leseverein  der  deutschen  Studenten  in  Wien: 
Jahresbericht  über  d.  J.  1875/76.  8. 

Vom  historischen  Verein  für  Oberfranken  in  Bamberg: 
38.  Bericht  über  Bestand  und  Wirken  im  Jahre  1875.  8. 

Vom  Verein  für  Geschichte  und  Alterthumskunde  in  Frankfurt  a/M.: 

a)  Neujahrsblatt  f.  d.  J.  1875  u.  1876.    4. 

b)  Oertliche  Beschreibung  der  Stadt  Frankfurt  a/M.  von  J.  G.  Batton. 
Heft  VII.  1875.  8. 

-  c)  Tagebuch  des  Canonicus  Wolfgang  Königstein  hsg.  v.  G.  E.  Steitz. 

1876.  8. 

Von  der  Südslavischen  Akademie  der  Wissenschaften  in  Agram: 
Starine.  Bd.  VIII.  1876.  8. 

Von  der  Universität  in  Lund: 

a)  Acta  Universitatis  Lundensis.    Tom.  XI.  1874.  4. 

b)  Universitets-Biblioteks  Accessions-Katalog  1874.  1875.  8. 

6* 


84  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Von  der  Literary  and  Fhilosophical  Society  in  Manchester: 

a)  Memoirs.  III.  Series.  Vol.  5.  London  1876.  8. 

b)  Proceedings.  Vol.  XIII— XVI  (1873/74-75/76).    8. 

c)  Catalogue  of  the  Books  in  the  Library  of  the  Manchester  Literary 
and  Philosophical  Society.    1875.  8. 

Vom  Essex-Institute  in  Salem: 
Bulletin  Vol.  VU.  1875.  8. 

Vom  historischen  Verein  für  Niedersachsen  in  Hannover: 
Zeitschrift.    Jahrgang  1876.  8. 

Von  der  Redaktion  des  Corre.?pondenzblattes  für  die  Gelehrten-  und 
Realschulen  Württemberg 's  in  Stuttgart: 

Correspondenzblatt.    Jahrgang  24.  1877.  8. 

Vom  Verein  für  Geschichte  und  Alterthumskunde  Westfalens 
in  Münster: 

Zeitschrift  für  vaterländische  Geschichte  und  Alterthumskunde.  4.  Folge. 
Bd.  IV.  1876.  8. 

Vom  Verein  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen  zu  Prag: 

a)  Mittheilungen,  Jahrgang  XV.  1876.  8. 

b)  Wilhelm  von  Wenden,    ein  Gedicht  Ulrichs  von  Eschenbach,  hsg. 
von  Wendelin  Taischer. 

c)  Stadtbuch  von  Brüx  bis  zum  Jahre  1526.    Bearbeitet  von  Ludwig 
Schlesinger.  1876.  4. 

Vom  Verein  für  Kunst-  und  Alterthum  zu  Ulm: 
Correspondenzblatt  1877.  4. 

Von  der  archäologischen  Gesellschaft  in  Berlin: 

35.  Programm   zum   Winkelmannsfest:   Georg  Treu,    griechische  Thon- 
gefässe.    1875.  4. 

Von  der  allg.  geschichtforschenden  Gesellschaft  der  Schiveiz  in  Zürich: 
Jahrbuch  für  Schweizerische  Geschichte.     1.  Band.  1877.  8. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  85 

Von  der  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin: 
Corpus  Inscriptionum  Latinarum.    Vol.  VI.  Pars.  I.  1876. 

Vom  germanischen  Museum  in  Nürnberg: 

Anzeiger  für  Kunde  der  deutschen  Vorzeit.    Neue  Folge.    23.  Jahrgang 
1876.  No.  1—12.  Januar— Dezemb.  4. 

Von  der  Beale  Accademia  delle  scienze  in  Turin: 
Atti.    Vol.  XI.  1876.  8. 

Von  der  Societe  des  arts  et  des  sciences  in  Batavia: 

a)  Notulen  van  de  Algemeene  en  Bestuurs-Vergaderingen.  DeelXIV. 
1876.  8. 

b)  Kawi   Oorkonden      Inleiding  en   transscriptie   van   A.   B.   Cohen 
Stuart.     Mit  Atlas.    Leiden  1875.  Fol. 

Von  der  Academie  Imper.  des  sciences  in  Petersburg: 
Bulletin  Tom.  XXIII.  1877.  4. 

Von  der  Academie  Boyale  des  sciences  in  Brüssel: 
Bulletin.     46e  annee.    2e  Serie,  Tome  43.  1877    8. 


Vom  Herrn  Adolf  Trendelenburg  in  Berlin: 

Der  Musenchor,  Relief  einer  Marmorbasis  aus  Halikarnass.  36.  Programm 
zum  Winkelmannsfest  der  archäologischen  Gesellschaft  zu  Berlin. 
1876.  4. 

Vom  Herrn  Mathias  Lexer  in  Würzburg: 
Mittelhochdeutsches  Handwörterbuch.     15.  Lief.  1876.  8. 

Vom  Herrn  Stanislas  Sciennicki  in  Warschau: 

Quelques  mots  pour  servir  ä  l'histoire  des  cimetieres  musulraans  et  des 
mosquees  tartares.    1876.  4. 

Vom  Herrn  Alfred  von  Beumont  in  Bonn: 
Geschichte  Toscana's.    Band  2.    Gotha  1877.  8. 


86  Einsendungen  oon  Druckschriften. 

Vom  Herrn  F.  Kielhorn  in  Poona  (Ostindien): 

Kätyäyana  and  Patanjali:    their  relation  to  each  other   and  to  Pänini. 
Bombay  1876.  8. 

Vom  Herrn  Garcin  de  Tassy  in  Paris: 
La  langue  et  la  litterature  hindoustanies  en  1876.  8. 

Vom  Herrn  Gaudenzio  Claretta  in  Turin: 

a)  Adelaide  di  Savoia,  Duchessa  di  Baviera  e  i  suoi  tempi.  1877.  8. 

b)  Sul  regno  di  Carlo  III.  Duca  di  Savoja.    Firenze  1876.    8. 

c)  Cronistoria   del  Municipio    di   Giaveno    dal   secolo  VIII  al  XIX. 
1875.  8. 

d)  Notizia  storica  sulla  piü  antica  carta  di  Franchigia.    1874.  8. 

e)  .Sülle  avventure  di  Luca  Assarino  e  Gerolamo  Brusoni.  1873.  8. 

f)  Sulla  ricostituzione    della  scuola  di    paleografia  negli  archivi  di 
stato  di  Torino.     Firenze  1872.  8. 

Vom  Herrn  Adalbert  von  Keller  in  Tübingen: 

Uhland  als  Dramatiker  mit  Benützung   seines  handschriftlichen  Nach- 
lasses.    Stuttgart  1877.  8. 

Vom  Herrn  Gozzadini  in  Bologna: 

Intorno  agli   scavi  'archeologici  fatti  dal  Sig.  A.  Arnoaldi  Veli  presso 
Bologna.    1877.  4. 


Sitzungsberichte 

der 

königl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften. 


Philosophisch-philologische  Classe« 

Sitzung  vom  5.  Mai  1877. 

Herr  Trumpp  legte  vor: 

„Beiträge  zur  arabischen  Syntax." 

I. 

Die  passive  Construction  im  Arabischen. 

Das  Arabische  ist  die  einzige  semitische  Sprache,  welche 
ein  regelmässiges  Passiv  von  allen  Verbalformen  (die  IX. 
und  XI— XV.  Form  ausgenommen)  ausgebildet  hat.  Sogar 
seine  nächste  Schwestersprache,  das  Aethio pi sehe,  ist  in 
dieser  Hinsicht  auf  einem  älteren  Standpuncte  stehen  ge- 
blieben, indem  es  sich,  wie  die  nordsemitischen  Sprachen, 
mit  der  Reflexivbildung  begnügt  hat,  welche  zugleich 
die  Functionen  des  eigentlichen  Passivs  auf  sich  genommen 
hat.  Von  den  nordsemitischen  Sprachen  ist  nur  das  Hebräische 
in  seiner  Entwicklung  etwas  weiter  fortgeschritten ,  indem 
es  vom  Pkel  und  Hifeil  ein  regelmässiges  Passiv,  das  Pinal 
und  Hof?al  ausgebildet  hat,  was  deutlich  zeigt,  dass  diese 
Kraft  der  Passivbildung  einst  auch  den  nordsemitischen 
Sprachen  innegewohnt  haben  muss,  obschon  das  Aramäisch- 
[1877.1.  Phil.  hist.Cl.  2.]  7 


88  Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

Syrische,  sowie  das  Assyrische  keinen  Ansaz  zu  einer  Passiv- 
bildung gemacht  haben. 

Im  Arabischen  ist  der  Gebrauch  des  Passivs,  wie  schon 
seine  formale  Durchbildung  andeutet,  ein  sehr  häufiger,  und 
die  Sprache  weiss  dasselbe  sehr  geschickt  zu  allerlei  feinen 
Redewendungen  zu  verwerthen.  Die  passive  Construction 
gehört  daher  zu  den  Eigenthümlichkeiten  der  arabischen 
Syntax,  die  wir  hier  einer  näheren  Untersuchung  unter- 
ziehen wollen,  da  unsere  bisherigen  arabischen  Grammatiken, 
wie  die  von  De  Sacy,  Ewald  und  Caspari,  ja  sogar  die 
neusten  Ausgaben  und  Ueberarbeitungen  der  lezten  von 
Wright  und  A.  Müller  noch  manches  anbestimmt  lassen 
oder  theilweise  unrichtig  aufgefasst  haben,  wie  wir  es  später 
im  einzelnen  nachweisen  werden.  Die  gröbsten  Irrthümer 
sind  zwar  schon  von  Fleischer  in  seinen  gelehrten  „Bei- 
trägen zur  arabischen  Sprachkunde"  S.  270  sqq.  bereinigt 
worden,  es  ist  aber  noch  manches  übrig,  was  zur  völligen 
Klarstellung  des  syntactischen  Gebrauchs  des  Passivs  heraus- 
gehoben zu  werden  verdient,  was  wir  an  der  Hand  der  uns 
zugänglichen  arabischen  Nationalgrammatiker  hier  zu  thun 
versuchen  wollen. 

In  der  Definition  des  Passivs  stimmen  alle  arabischen 
Grammatiker   überein.     Das  Verb   selbst,    sofern  es  in  der 

passiven  Form  steht  wird  gewöhnlich  JjxslJJ  ^aÄJI  JÄftJf 

(das    für   das    Object   geformte   Verb),     oder    ^-^•Jt    Jaü! 

Jj-gJsüJ    (das    für    das    unbekannte    [nach    seinem    Activ- 

Subject]  geformte  Verb)  genannt  l) ;    andere   umschreibende 

Benennungen  sind:    Jjü   Jl   Jjü  **-y°  ^y°  JjJaJ!  JaaJ! 

1)  In  türkischen  und  persischen  Grammatiken  wird  daher  das 
Passiv  schlechthin  JotiJ!  aüt-yo  oder  J^^JI  xaa^ö  ,  die  Form 
des  Objects  oder  des  Unbekannten,  benannt. 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  89 

-  ^  -        -    > 
(das  von  der  Form  J*i  zu  J*i  abgewandelte  Verb,  Sama^sari), 

ääxaj  ^o   JLxJI  J^äaÜ  (das    von    seinem  natürlichen    Ban 

abgeänderte  Verb,  Ibn  Ya?is),  etc. 

Nach  der  syntactischen  Seite  aber  wird  das  Passiv  da- 
hin definirt,    dass    es   ein  Verb   sei,    dessen  Activ-Subject 

9 

(JxU)  weggenommen  und  an  dessen  Stelle  das  Ob  je  et 
(JjAaJI  ) )  gesezt  worden  sei,  das  Passiv- Verb  heisst  daher, 
mit  Rücksicht  auf  seine  Bedeutung,  jvwwo  *J  Lo  Juü 
ä-IäÜ,  die  Handlung,  von  der  der  Thäter  nicht 
genannt  wird.  Das  Passiv  -  Subject  dagegen  wird,  im 
Gegensaz  zum  Activ-Subject,  J^lftJf  ^%x  woLül,  oder  kürzer 
J^cLftJf  v^ob,  oder  J^tLail  plä/o  ^jÜdf,  das  an  die  Stelle 

Ides  Activ-Subjects  Tretende  genannt,  auf  welches 
das  (passive)  Verb  praedicativ  bezogen  wird  (x-J!   tXJuJ). 

Der  terminus  technicus  für  das  Passiv -Subject,  yob 
JxlaJf ,  ist  nicht  glücklich  gewählt,  da  er  zu  allgemein  ge- 
halten ist  und  über  das  Wesen  desselben  eigentlich  nichts 
aussagt.  Dies  ist  auch  zum  Theil  von  den  arabischen 
Grammatikern  selbst  gefühlt  worden,  wesswegen  sie  bemüht 
sind,    diesem  Mangel  durch  Erklärungen  nachzuhelfen    (die 

Alfiyyah  z.  B.  V.  242  sagt :    J^U    ^ä    xj    Jyjuuo    u^äj  , 

**  >  * 

und    ähnlich    Näsif  im   Näru-lqiril,     p.   Al    JxUJf    ^Jlst 

o 
ä^  Jyxsuo).  Ueberdie  mangelhafte  Definition  des  Passiv-Subjects 


7  y 

1)    J«jiaJI   steht  hier   kürzer  für:    äj    (ILäaJI. 

7* 


90  Sitzung  der  philoa.-philol.  Classe  vom  5,  Mai  1877. 

spricht  sich  Butrus  al-bustäni  im  v^JLDI  _Lyax>  (Bairüt,  1854) 
folgendermassen   aus   (p.  tAf,    Anm.  1):  y*£  oboüJf   \i\& 

xäa.  ^j^^   dLxft+Jf    yA£.  yt    JxUJ!    ^>jb   ^1   *&+•>)  JccLäJ! 
&x>U£x>  yc   |*A*t?   u^t*^   Ä-LtU   ojiÄ.   JyLftx   ..#   Jyü   jj! 

„Diese  Definition  ist  nicht  richtig,  da  sie  (nur)  von 
der  Handlung  gilt,  von  der  der  Thäter  nicht  genannt  wird 
(i.  e.  vom  passiven  Verb),  nicht  von  dem,  was  an  die  Stelle 
des  Fä?il  tritt  (i.  e.  vom  Passiv-Subject),  und  die  Vermuth- 
ung  zulässt,  dass  das  J^lftJ!  yob  etwas  anderes  als  das 
Object  (i.  e.  das  Leidende)  sei.  Er  hätte  richtigerweise  sagen 
sollen:  es  ist  das  Object,  dessen  Activ  -  Subject  aus  irgend 
einer  Absicht  *)  ausgelassen  worden  und  an  dessen  Stelle 
es  gesezt  worden  ist.u  Dieser  Einwand  ist  begründet,  da 
das  Passiv-Subject,  was  auch  seine  äussere  Form  sein  mag, 


1)  Als  Grund,  warum  das  Activ-Subject  ausgelassen  wurde,  geben 

2  S  —  ^  6 

die  arabischen  Grammatiker  theils  einen  fJlhii  \j6y£- »  z  B.  \^f 
(Kürze  der  Rede),     *lhJJl    ^>^Äj*    (Richtigstellung   der   gebundenen 

Rede,  i.  e.  Verszwang),    JcoLaJ!    ^..wto    J<£   äiaiLs?    (Einhalten 

S    -  o  -       s  -  - 
der   Proportion   unter    den   Sazgliedern) ,    theils   einen    ^yjjuo   \j&y£- 

an,  z.B.  J^tLüt  Sj-g-Xw  (Bekanntsein  des  Activ-Subjects),  &j  Jh$^ 
(Unkenntniss  desselben),  i^Jo  U^r^  Ü^1*^  i»*Vä  (es  nicht  er- 
wähnen wollen". 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  91 

immer  ein  &j  Jjjuuo  sein  muss.  Auf  der  andern  Seite  je- 
doch lässt  sich  nicht  läugnen,  dass  mit  diesem  terminus 
technicus,  so  unvollkommen  er  auch  an  sich  ist,  die 
arabischen  Grammatiker  den  Vortheil  erlangten,  gleich  das 
grammatische  Wesen  desselben  andeuten  zu  können,  da  das 
JxLftJf  v^ob  meist  (so  z.  B.  in  der  Alfiyyah)  nach  dem 
Jxü  abgehandelt  wurde,  vieles  bekannte  daher  vorausgesezt 

werden  konnte. 

9  , 

Mit  dem  Jxü  hat  das  J*fcLü!  v_ob  nämlich  das  ge- 
meinsam, dass  es  1)  immer  im  Nominativ  stehen,  2)  dem 
Verbum,  durch  welches  es  in  den  Nominativ  gesezt  wird, 
nachfolgen,   und  3)  nie  ausgelassen  werden  darf. 

Der  erste  Punct  bedarf  keiner  weiteren  Erläuterung. 
Was  den  zweiten  betrifft,  so  ist  sehr  darauf  zu  achten,  dass 
die  arabischen  Grammatiker  nur  das  als  JxlftJf  y_*j>b  gelten 
lassen ,  was  dem  passiven  Verb  nachgestellt  ist ,  z.  B. 
Jolo  *^fi*  (JJ^,  „es  wurde  gegeben  das  beste  von  einem 
Geschenk"  (Alfiyyah);  lautet  aber  der  Saz  umgekehrt:  '^ 

J-u    Job,    so   ist    Job    y^Ä.    nicht    mehr    J^IaJI    v_*Sb , 

sondern  \ö£*a  ,   dessen  Praeclicat  der  Verbalsaz  J-o  ist,  der 

sein  Passiv-Subjeet  in  sich  selbst  trägt,  i.  e.  y*  Jaj  ,    ganz 

wie  bei  der  activeu  Construction :  Job  o&  Jb  <>o\ . 

Was  den  dritten  Punkt  anbelangt,  dass  das  Passiv- 
Subject    nie    ausgelassen    werden    dürfe,     so    ist    dies    sehr 


92  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

wichtig  für  die  richtige  Auffassung  der  passiven  Construc- 

tion,  wie  wir  gleich  sehen  werden. 

s  , 

Wie  das  Jxü  so  ist  auch  das  J^lftJ!   v^jb   doppelter 

6   -  '   >  6-  o  > 

Art,  entweder  y§bs>  (ein  offenbares  Nomen),  oder  **-«d/> 
(ein  Pronomen) ;  das  leztere  kann  wieder  JwOAko  (absolutes 
Pronomen),  oder  O^oXk  (angehängt)  sein,   und    als   solches 

6.-  - o      i  5    -  •  > 

wieder  \X*  (offenbar,  wie  in  v^woj,  oder  JüLwwue  (ver- 
borgen, wie  in  u^o). 

Aus  dem  Bemerkten  ergeben  sich  im  einzelnen  folgende 
Regeln : 

I.  Die  passive  Construction  ist  im  Arabischen  nur  da 

anwendbar,    wo    der    Thäter    nicht    genannt    wird,    z.  B. 

So-     ..       , 

<Xj\   u^o,  „Zaid  wurde  geschlagen". 

Dadurch  unterscheidet  sich  das  Arabische  speciell  von 
seiner  Schwestersprache,  dem  Aethiopischen ,  welches  sich 
die  Möglichkeit  bewahrt  hat,  bei  der  passiven  Construction 
auch  das  active  Subject  durch  Hilfe  von  Praepositionen  (wie 

fl,  h9°^'  etc.)  einzufügen,  z.  B.:  h^Y '  'bd^oo :  ffHlUA  : 

(ih»Q9°fh  '  )flj& s )  „da  wurde  erfüllt,  was  gesagt  worden 
war  durch  Jeremias,  den  Propheten11  (Matth.  2,  17).  Auch 
das  Hebräische  ist  in  dieser  Hinsicht  noch  freier  und  kann 
das  handelnde  Subject,  wo  es  nöthig  ist,  vermittelst  einer 
Praeposition  (b: ,  stärker  noch  durch  |öj  dem  passiven  Saze 
unterordnen,    z.   B.:  i:ji3  IpJ  H.^VP  Hin^D ,  „von  Jehovah 

werden  die  Schritte  eines  Mannes  richtig  gestellt"  (Ps.  37, 
23),   während   im  Syrischen   diese   Construction   (mit  Hilfe 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  93 

der  Präpositionen  le  und  men)  schon  ganz  allgemein  in 
Gebrauch  gekommen  ist. 

Mit  Recht  hat  es  daher  Fleischer  getadelt,  wenn  in 
der   bair fiter  Uebersezung   des   Neuen    Testaments    Säze   zu 

finden  sind,  wie:  U*)^  ^-^^  ij^  ^i  *<5,&'  ^V  ^«^^  ^ 
(j^Lü!  ^T^x»  (jJtXjJ,  „es  (das  Salz)  ist  darnach  zu  nichts 
nüze,  als  dass  es  hinausgeworfen  und  von  den  Leuten  zer- 
treten  werde"  (Matth.  5,  13),  oder:  ^Lü!  {jso  !^i\^o  .^j 
„auf  dass  sie  von  den  Leuten  gepriesen  werden"  (Matth.  6, 
2).  In  allen  solchen  Fällen  sollte  nach  allgemeinem  arab- 
ischen Sprachgebrauch  die  active  Construction  zur  An- 
wendung kommen. 

Bemerkenswerth  sind  daher  in  dieser  Hinsicht  Säze, 
wie:  Jvä^  JLo^lfj  ^JjJLp  L^i  aJ  ^-uo,  nach  der  Les- 
art  einiger    (Qur.  24,  36),   wo   nach   dem   Mufassal    (p.  tl* , 

ja-5        <  jw-j 

L.  10)  aus  dem  passiven  <&*+"**  ein  actives  ^-^t  als  re- 
gierendes Verb  zu  JIä^  logisch  und  grammatisch  zu  er- 
gänzen ist.  Man  müsste  also  demgemäss  übersezen :  ,, Preis 
wird  ihm  dargebracht  in  ihnen  am  Morgen  und  am  Abend, 
Männer    (preisen    ihn).      Nach    Sibavaih    soll    man    darum 

So-  G  Q~  -  9 

auch    sagen    können:    *♦£    (X?\    Vt^>    ,,Zaid    wurde    ge- 

f 
schlagen ,   ?Amr    (schlug  ihn)",    indem   man   aus  <jy&  eni 

äJv^ö  logisch  ergänze.  Dies  beweist  nur  die  strenge  Ab- 
grenzung der  passiven  Construction   gegenüber   der  activen, 

G 

da,  wenn  das  wirkliche  ckcü  genannt  sein   sollte,    man   es 


94  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

vorzog,  dasselbe  als  Nominativ  folgen  zu  lassen,  ohne 
das  active  Verb  herauszustellen,  weil  es  sich  aus  dem  pas- 
siven leicht  ergänzen  Hess.  Constructionen  dieser  Art  sind 
übrigens  selten  und  theilweise  angefochten. 

Indessen  finden  wir  doch  auch  im  Arabischen  einzelne, 
wenn  auch  nur  mehr  dichterische  Redewendungen,  in  denen 
das  Activ  -  Subject  bei  der  passiven  Construction  eingefügt 
worden  ist.     Ibn-?Aqil  sagt  in  seinem  Commentar  zur  Al- 

fiyyah,  V.  268,   ausdrücklich:  v^a^j  au  JjAäwJ  *ij-3  ö3j 

sL-LJf  v^yü!   ^y=*    aJjB'^i    ij^-yJI   ^t    Ale  J^UJI, 

,, manchmal  wird  das  Object  in  den  Nominativ  und  das 
Fä?il  in  den  Accusativ  gesezt,  wenn  kein  Missverständniss 
zu  befürchten  ist,  wie  man  sagt:  „das  Kleid  wurde  zerrissen 

von    dem    Nagel.4*      Er   fügt   übrigens    hinzu:    u^v-ä-»-?   3>j 

-•  -  *—*"•* 

cU-wJI  J^  aui   wöÄib  Jo   \dii> ,    „dies  wird  nicht  als  Regel 

aufgestellt,  sondern  man  beschränkt  sich  dabei  auf  den 
Sprachgebrauch.*4  Dieterici  freilich  hat  diese  Bemerkungen 
auf  eine  eigentümliche  Weise  missverstanden,  wenn  er  das 
angeführte  Beispiel  übersezt:  „es  zerriss  das  Kleid  den 
Nagel44  und  die  arabischen  Worte  demgemäss  durch:  haraqa 
al-taubu  'Imismära,  transcribirt. 

Das  von  Ibn  ?Aqil  angeführte  Beispiel  ist  für  uns  in- 
sofern wichtig,  als  es  uns  zeigt,  dass  in  einem  solchen 
Falle  das  handelnde  Subject  nicht  durch  eine  Praeposition 
dem  passiven  Saze  untergeordnet  wird,  sondern  im  Accu- 
sativ steht,  der  wohl  am  besten  als  >**♦$  gefasst  wird 
(das  Kleid  wurde  zerrissen  mit  Beziehung  auf  den  Nagel). 
Aus  dem  Beispiele  selbst  scheint  übrigens  hervorzugehen, 
dass  eine  solche  Construction   nur  dann  zulässig  ist,   wenn 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  95 

das  handelnde  Subject  ein  Instrument  ist,  was  sonst 
durch  die  Praeposition  uj  untergeordnet  wird,  da  es  nicht 
im  eigentlichen  Sinne  als  Activ  -  Subject  betrachtet  werden 
kann. *)  Hie  und  da  aber  findet  sich  die  Praeposition  v-> 
auch    bei   lebenden  Wesen  in   passiver  Verbindung,    z.  B.: 

LgJjoU  *j*+Ju>  sli^  P)^Y°)  <£t*  ^^  d^£&2  \^T^  &&?)> 
„die  Provinzen  (oder  Districte)  von  Xaulän  bestehen  aus 
Dörfern,  (bebauteu)  Feldern  und  Wassern,  bevölkert  durch 
ihre  Einwohner"  (Arnold,  Chrest.  arab.  p.  88,  L.  3  v.  u.). 
Auch  Lane  (s.  unter  v*ä)  übersezt  L^-^L?  durch:  by  its 
people.  Doch  ist  auch  hier  Lg-bßb  nicht  als  eigentliches 
Activ-Subject  betrachtet,  sondern  mehr  als  Complement  von 
°isy+*jo ,  so  dass  v  ebensogut  durch  „mit"  übersezt  werden 
könnte. 

II.  Da  das  Passiv-Subject  nie  ausgelassen  werden  darf, 
so  geht  daraus  hervor,  dass  es  im  Arabischen  eigentlich 
keine  impersonale  Ausdrucksweise  gibt 2),   sondern  dass 

das  passive  Verb,  sei  das  JxUJJ  v_*ju   ein  *  fra*  +^1    oder 

ein  yXX*Mjo  y+*&jo    immer     als    individualisirt     gefasst 

1)  Auch  im  Hebräischen  findet  sich  eine  solche  lose  Unterordnung 
des  Instruments  in  passiver  Verbindung,  wie:  2~)n  173NH »  »inr 
werdet  vom  Schwerte  gefressen  werden.  S.  Ewald's  Hebräische  Sprach- 
lehre, p.  697. 

2)  Anders  ist  das  im  Hebräischen,  wo  man  z.  B.  schon  sagen  kann : 
QJTnjJ  l??!  »man  gebar  den  Sohn";  ebenso  im  Aethiopischen : 
inÜ9°^  s  tlH°  s    »man  nannte  seinen  Namen". 


96  Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  com  5.  Mai  1877. 

werden  muss,  wesshalb  auch  sonst  intransitive  Zeitwörter 
im  Passiv  immer  wie  active  behandelt  werden.  Man  kann 
also  im  Arabischen  nicht  sagen  v>^,  wie  das  lateinische 
ventum  est;  sein  JxLäJI  uob  wäre  y&  als  verborgenes 
Pronomen,  das  aber  hier,  weil  es  sich  auf  keinen  Objects- 
Accusativ  bezieht,  für  den  es  eintreten  könnte,  keinen  voll- 
ständigen Sinn  gibt.  Daraus  folgt  von  selbst,  dass  man 
ebenso  wenig  sagen  kann:  Jt£*w  o^  ,  weil  das  ><X*a/o 
&fy*  (als  (3<Ua*  Jyxsuo)  nichts  dazu  beiträgt,  das  ver- 
borgene Passiv  -  Subject  irgendwie  näher  zu  bestimmen1), 
auch  nicht  wenn  es  noch  durch  ein  vjLo^  specialisirt  ist, 
wie  ^-?jiö  I v^w  v^w .  Anders  verhält  es  sich  bei  an  und 
für   sich  transitiven   Verben,    wo    man    wohl    sagen    kann 

y*^,   oder    v>«^  u^ö,    oder  'iXiiX**    Wt^    Vr^^    we^ 

-  > 
hier  das  Passiv-Subject  y*  schon  an  und  für  sich  (aus  dem 

Zusammenhang)  bestimmt  ist.  Was  darum  Wright  (Arab. 
Gram.  IL  ed.,  p.  291 )  und  Caspari  (§  516  und  409),  und 
nach  ihm  A.  Müller  (neuste  Ausgabe  von  Caspari,  §  498, 
und  Anm.  a)  in  dieser  Hinsicht  aufgestellt  haben,  stimmt 
mit  der  Lehre  der  arabischen  Grammatiker  nicht   überein. 

Ist  kein  Passiv-Subject  (nach  unserer  Auffassung)  vor- 
handen, so  hilft  sich  das  Arabische  auf  verschiedene  Weise. 

a)  Es  wird  das  vom  Verbuin  finitum  abgeleitete  Verbal- 


1)   Nasif  sagt  ausdrücklich   1.  c.  p.   a1  ,    L.  2  v.  u.:    ^1    v^UtXJ* 


Trump}) :  Beiträge  zur  ardbischen  Syntax.  97 

nomen  dazu  gemacht  und  in  den  Nominativ  gestellt *),  aber 

G   o  -      -       9 

nicht  für  sich  allein,  so  dass  man  yvö  Uvö  sagen  könnte, 

wie  Caspari  (§  409,  Anm.  b)  angibt 2),  sondern  nur  unter 
den   zwei   Bedingungen,    dass   es  entweder  durch   eine  An- 

nexion  oder  durch  ein  s-**^  (Qualificativ)  näher  bestimmt 
sei,  da  das  Verbalnomen  für  sich  allein  dem  Begriff  des 
Verbums  nichts  hinzufügt,    also  auch  nicht  als  Passiv-Sub- 

ject  eintreten  kann3).     Man  sagt  also:  >£*™  u*i  uwö, 


-       y 


,,das   Schlagen    des  Amirs   wurde   geschlagen",    oder  u^o 
4>o<Xwu   uwi ,    „ein    heftiges  Schlagen    wurde  geschlagen" ; 

ebenso:   tX^-yi   y^   t£^j   ,,ein  Postreisen   wurde   gereist11, 

f .   r    *  •  -*    - 

oder:   J^^io   j**w   >x-w,    ,,ein  langes  Reisen  wurde  gereist". 

Etwas  anderes  ist  es  mit  dem  verbalen  Einheitsworte 
(äyo  jM*T),  das,  weil  es  die  Idee  der  Zahl  in  sich  begreift 
(t>tXc  lN^iXä)),  an  sich  schon  determinirt  ist  und  darum 
auch  ohne  jede  Nebenbestimmung  zum  Passiv -Subject  er- 
hoben werden  kann,  wie  es  ja  auch  in  den  Dual  und  Plural 

treten  kann,  z.  B. :  iu wo  vjj^5 ,   „ein    einmaliges   Schlagen 
wurde  geschlagen". 


1)  Ein  Verbalnomen,  auch  wenn  es  näher  bestimmt  wäre,  kann 
daher  nie  zum  Passiv -Subject  gemacht  werden,  wenn  es  dem  Sprach- 
gebrauch gemäss  nur  im  Accusativ  vorkommt,  wie   xJUf   6uw  . 

2)  Dieser  Irrthum  ist  von  Wright  und  A.  Müller  aus  ihren  Aus- 
gaben gestrichen  worden,  nachdem  Fleischer  die  Unstatthaftigkeit  dieser 
Ausdrucksweise  nachgewiesen  hatte. 

3)  Vergleiche  Ibn  tAqii's  Commentar  zur  Alfiyyah,  V.  250. 


98  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

Aus  dem  vorhergehenden  ist  klar,  dass  wenn  man  nicht 

^wo  uvö  sagen  darf,   auch  Ausdrücke  wie  <*jiX££J ,    „es 

o  —    '  ■  ' 

wird    gestritten",    nicht    durch:    o^LxiJ    ^^-Lää.!     erklärt 

werden  dürfen,  wie  dies  noch  Wright  und  A.  Müller  thun, 
welche  die  betreffende  Aufstellung  Caspari's  ohne  nähere  Prüf- 
ung hingenommen  haben.  Dass  die  arabischen  Grammatiker 
selbst  die  Sache  so  darstellen,  wie  versichert  wird,  sollte  doch 
erst  nachgewiesen  werden.  Die  Alfiyyah  und  das  Mufassal 
sprechen  sich  über  diesen  Punct  nicht  aus,  wohl  aber  das 
wJUaJI  ^Lyoxi    und  das  Näru-lqirä. 

Das  erstere  (p.  tAf,  Anm.  2)  unterscheidet  zwei  Fälle: 

in  Säzen   wie:    jwU    ItXjv    ,jf    *J*fc    ist    das   JxLäJI    v^oü 

von   |**x  ein  uyy*   ***' ,  nämlich  der  durch  ,jf   eingeleitete 

Saz.     Der  Saz  dagegen:   äÄjv-^o  ^y>  ^^aJu  ^   «Uä   ^«öJWj 

„er    schweigt    aus    Scham    und    es    wird    geschwiegen    aus 

Scheue  vor  ihmu,  erklärt  es  folgendermassen :    &*i  v^jLÜU 

y&       (S*6X3)       ^^AJlJIj      &ÄjL^X>      ^jjO       üSyS      ^     jd^O+)\       O^Ö 

x^äf  Lo  fjXs>.  iLd^fl  <^f,  „das  an  die  Stelle  (des  Fäöil) 
tretende  ist  darinnen  das  Pronomen  des  Verbalnomens, 
nicht  die  Worte :  aü^Lg-o  ^jjo  (aus  Gründen,  die  wir  weiter 
unten  beleuchten  werden),  und  der  Sinn  ist:  es,  nämlich 
das  Schweigen  (iLdÄ^I,  nicht  ^Lox!)  wird  geschwiegen, 
und  ebenso  was  dem  ähnlich  ist". 

Ganz  auf  dieselbe  Weise   spricht   sich  Shai^  Näsif  aus 
(Näru-lqirä,  p.  4»,   L.  9)   indem  &y  sagt:  y^-^  V.^   ***2 


Trumpf):  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  99 

*..  jS    y  -*  y  U 

JutftJi,    „manchmal  kommt  das  Pronomen  des  Verbalnomens, 

das  sich  aus  dem  Verbum  versteht,   indem  es  in  demselben 

verborgen  ist,  als  Passiv-Subject  vor,  unter  der  Bedingung, 

dass  man  es   als  durch  das    <Xjj*M  ^   (den  Artikel,  der  auf 

etwas  bekanntes  zurückweist)  oder  durch  ein  ausgelassenes 
Qualificativ  als  näher  bestimmt  supponirt,  damit  es  das  aus- 
drücke, was  das  Verbum  nicht  ausdrückt".  Er  fährt  dann 
fort:    „Sibavaih    hat   sich  darüber    ausgesprochen   und   als 

Beispiel    dafür    angeführt    fx3    und   tX*j>  =±  ye   ^    und 

y&  Juü> ,  d.  h.  der  bekannte  Schlaf  und  das  bekannte  Sizen, 

oder  z.  B.  der  lange  Schlaf  und  das  schöne  Sizen.  Einige 
Grammatiker  erklären  darnach  das  Passiv-Subject  in  Säzen, 

°"  °   '  T-l  '      '  '  \f 

wie:  <X>y?  yt,  indem  sie  dazu  das  Pronomen  von  ))•*+** 
machen  (=  tX^V5  ;jr^'    V0)»    dies    ist    die    Lehrweise    von 

Durustavaih,  von  As-suhaili  und  von  Ar-rundi.  Ibn  Mälik 
sagt,    dass  das  Passiv-Subject   davon  die  Praeposition   mit 

dem    im    Genetiv    stehenden    Nomen    sei    (also    <X?j-?),  das 

richtige  aber  ist,  dass  es  das  von  der  Praeposition  regierte 
Nomen  allein  ist,  weil  es  dasjenige  ist,  was  Objects-Accu- 
sativ  war,  ehe  das  Activ - Subject  ausgelassen  wurde,  also 
besser  zur  Stellvertretung  desselben  taugt.  Die  Praeposition, 
die  vor  das  Nomen  tritt,  ist  nur  ein  Mittel,  den  Begriff 
des  Verbums  auf  dasselbe  hinzuleiten,  sie  gehört  also  zur 
Kategorie  des  Regens,  nicht  zur  Kategorie  des  Rectum,  und 
das  ist  die  Lehrweise  der  meisten  Grammatiker.  Al-farrä 
dagegen  behauptet,  dass  dies  nur  die  Praeposition  sei." 
Ganz  abgesehen  von  den  Ansichten  Näsifs  über  das  Passiv- 


100         Sitzung  der  philo8.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

o-        g  y 

Subject  in  Säzen,  wie  <X>w  yo ,  die  wir  sogleich  näher  be- 
leuchten werden,  so  geht  aus  dem  angeführten  soviel  zur 
Evidenz  hervor,  dass  die  arabischen  Grammatiker  das  als 
Passiv- Subject  zu  subintelligirende  Verbalnomen  als  durch 
den  Artikel  determinirt  denken,  weil,  wie  schon  oben  aus- 
geführt worden  ist,  das  leere  Verbalnomen  dem  Begriff  des 
passiven  Verbs  nichts  neues  hinzufügen  würde  und  darum 
zur  Stellvertretung  ungeeignet  ist.  Das  Passiv -Subject  ist 
daher  nie  unser  impersonales  ,,esu,  sondern  muss  indivi- 
dualisirt  und  abgegrenzt  sein.  Aus  diesem  inneren  Triebe 
ist  die  arabische  Sprache  sogar  dahin  gegangen,  dass  sie 
auch  intransitive  Verba  in  das  Passiv  sezt  und  wie  die 
activen  persönlich  behandelt,  wenn  sie  durch  eine  Praepo- 
sition  ein  entfernteres  Objeet  sich  unterordnen  und  da- 
durch, jiach  der  Anschauung  der  arabischen  Grammatiker, 
in  die  Kategorie  1er  transitiven  Verba  übergehen  (s.  sub  c) ; 

man  sagt  daher:    lj\L*j  ^3*1,  „er  wurde  mit  einem  Diebe 

<?  v     **'      "■ 

angegangen   ==    es    wurde    ein    Dieb     zu    ihm    gebracht  *), 

■  '         i     ö..      s 

(j^Lu  (5-y-H  (5*^ )  iAev  Prophet  wurde  mit  Leuten  an- 
gegangen =  Leute  wurden  zu  dem  Propheten  gebracht", 
wie  man  im  Activ  sagt:  u*Lo  j-aäJ!  *Iä>  ,  ,,er  gieng  den 
Propheten  an  mit  Leuten". 

O  o  - 

b)   Es  wird  ein  oJo ,   d.  h.  ein  Wort,  das  einen  Zeit- 
oder Ortsbegriff  implicirt,  zum  Passiv-Subject  gemacht.    Da- 


1)  Das  Beispiel,    das  Ewald,   Gram.  arab.  II,   p.  37,   anfährt, 

^wJo   j-j'f,   bedeutet  darum   nicht  „donatus  est  vestibus",   sondern: 

„man  brachte  Kleider  zu  ihm".  Wörtlich  müssten  solche  Beispiele 
übersezt  werden:  ,,er  wurde  zum  Gegenstand  des  Kommens  mit  Kleidern 
gemacht". 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  101 

zu  gehört  aber  nothwendig,  dass  das  oJ&  vollständig 
flectirbar  und  au  sich  bestimmt  sei,  damit  es  zur 
Stellvertretung  tauge.  Worte  also,  die  nur  im  Accusativ 
vorkommen,  dürfen  nicht  als  Passiv  -  Subject  verwendet 
werden;  man  kann  nicht  sagen:  £/<X*x  (j— U*  *)  noch 
v^  ^  2),  weil  es  hier  an  einem  bestimmten  Passiv- 
Subject  fehlen  würde,  das  sich  aus  dem  Zusammenhang 
nicht    erschliessen    liesse    und    man    nicht    (im    Nominativ) 

sagen  kann :  li/tX-i^  ^jhXs*  uud  <*&  ^~)  »  was  gegen  den 
Sprachgebrauch  Verstössen  würde.  Dagegen  sagt  man : 
iU+iJ  j^j  >-vw,  „der  Freitag  wurde  gereist  (=  man  reiste 
am  Freitag),  J^o  v-y« ,  eine  Meile  wurde  gereist  (da  J^ 
schon  an  sich  bestimmt  ist),  aber  nicht  z.  B.  v^öj  ^o , 
,,eine  Zeit  wurde  gefastet",  weil  vs**J  hier  keinen  bestimm- 
ten Sinn  geben  würde,  da  es  nicht  specialisirt  ist. 

9  >«-      2.  ^ 
c)   Ein  ^r=^j  )W-  übernimmt  die  Stellvertretung,  so- 
fern dadurch  der  Verbalbegriff  concret  bestimmt  wird,  z.  B. : 
4\jyj    v/j  ,  „es   wurde   an   Zaid    vorübergegangen",   dagegen 


1)    JOlr    (ebenso   ^jJ)    gilt  den  arab.  Grammatiken  nicht  als 
Üp-,    sondern  als    (v4-y    0*Jb    (als    vage    Ortsbestimmung).      Al- 


a/faä  jedoch  erlaubt  solche  Säze. 

2)  Im  Sinne  von   &uuu    ,*«j    *^ 


102        Sitzung  der  philos.-phüol.  (Masse  vom  5.  Mai  1877. 

sagt  man  nicht:  yö  £  u**-*^?  "es  wurde  in  einem  Hause 
gesessen",    weil  dadurch   keine  bestimmte  Idee  erzeugt  wird 

Wir  haben  schon  sub  a)  gesehen,  dass  die  arabischen 
Grammatiker  über  diesen  Punkt  verschiedener  Meinuug  sind. 
Ibn   Malik    und  sein  Commentator  Ibn  ?Aqil  (V.  250    und 

2.  -  G    >o- 

Com.)  wollen  beides  zusammen,  das  >U*  und  das  >j v^>,  in 
solchen  Fällen   als   das  Passiv  -  Subject   fassen,    wenn    kein 

G 

eigentliches  *u  dyüw  vorhanden  ist.  Dies  gründet  sich 
auf  den  Saz  der  Alfiyyah  V.  272:  ^  o^i  dj$  <jLtj 
„mache  das  intransitive  Verb  transitiv  durch  eine  Prae- 
positionu,  was  Ibn  ?Aqil  im  Commentar  dahin  erläutert: 
Joyj  ^v°  y£  y^  ^r3!  *$y*J*  <Jt  <S^rt  p)^'  JuuU!  jjf. 
Ebenso  spricht  sich  Sama^sari  im  Mufassal  aus  (p.  IIa,  L.  9): 

>      -  *  '  •  GS 

^iXääJI  ^x*j   l^Juüo   Jxaxj    Jil,   „es  gibt  drei  Mittel,  das 

Verb  transitiv  zu  machen,  diese  sind  das  Hamzah  (f),  die 
Verdoppelung  des  zweiten  Radicals  und  die  Praeposition, 
diese  drei  werden  mit  dem  intransitiven  Verbum  verbun- 
den.u  Wird  nun  ein  solches  halb- transitives  Verb  (wie  wir 
es  nennen  wollen),  in  das  Passiv  gesezt,  so  wird  sein  (ent- 
fernteres) Object  zum  Passiv-Subject  gemacht,  sofern  es  an 
sich  bestimmt  genug  ist. 

Die  Basrenser,    denen,   wie  wir  schon   gesehen  haben, 
auch  Shai/  Näsif  folgt,  betrachten  in  diesem  Falle  nur  das 

G  9 

))j3?   als  das  J^cLaJ!    v^b,  we^  die  Praeposition   nur  die 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  103 

Vermittlung  der  Transitivität  sei;  damit  ist  jedoch  die 
Schwierigkeit  keineswegs  gehoben,  da  diese  Distinction  nur 
eine  nuzlose  Haarspalterei  ist.  Die  Frage  ist  vielmehr  die, 
inwiefern  ein  indirectes,  durch  eine  Praeposition  dem  Ver- 
bum  untergeordnetes  Object  zum  directen  Passiv  -  Subject 
gemacht  werden  könne?  Einige  arabische  Grammatiker 
haben  die  Sache  dadurch  klar  zu  stellen  gesucht,  so  be- 
sonders Durustavaih  etc.,  wie  wir  schon  gesehen  haben,  dass 
sie  in  solchen  Fällen  das  aus  dem  Verbum  finitum  ab- 
geleitete determinirte  Verbalnomen   als   eigentliches   Passiv- 

o-  O  >  o  -  9     99  |.      OS  9 

Subject  supponirten,  so  dass   cX^y?    yo  —   &->.y?   )}j+N    y° 

wäre.  Diese  Erklärung  ist  auch  wohl  logisch  die  rich- 
tigste und  dem  Genius  der  Sprache  am  entsprechendsten, 
der  einer  impersonalen  Constroction,  wie  wir  schon  öfters 
bemerkt  haben,  widerstrebt.  Die  Sprache  hat  die  Sezung 
des  determinirten  Verbalnomens  in  solchen  Fällen  für  ent- 
behrlich   gehalten,    da    das    im    passiven   Verb    verborgene 

Passiv- Subject  y°   hinlänglich  durch  das  nachfolgende  >Iä> 

So-' 

sy  >32  j  ,  auf  das  es  bezogen  ist ,  bestimmt  und  abgegrenzt 
ist;  dieses  leztere  ist  daher  im  streng  grammatischen  Sinne 
nicht  das  Passiv-Subject  selbst,  sondern  nur  die  nähere  Be- 
stimmung desselben  1).  Dem  Sinne  nach  kommt  allerdings 
die  Erklärung  Ibn  Mäliks  so  ziemlich  auf  dasselbe  hinaus; 

denn  wenn  nach  seiner  Auffassung  in    tX^y?    v*>   das   ^->u 

<^rUJI  von  ja   das  )^f^y  )^  O^JW)   ist,   so  müsste  man 

1)  Dies  geht  auch  daraus  hervor,  dass  sich  das  Verbum  in  diesen 
Fällen   nie   nach  dem  Geschlecht  des  indirecten  Objects  richtet.    Näsif 

(1.  c.  p.  A4,  L.  2  v.  u.)   sagt  daher:   5     Iß^J    1?H^     <J^     '^' 
[1877. 1.  Phil.  hist.  Cl.  2.]  8 


104         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 
wörtlich  übersezen:    vorübergegangen  wurde  (das)  an  Zaid, 
ebenso:   xJ|>^!  gereist    wurde    (das)    zu    ihm.     Da   aber 

die  arabische  Sprache  einer  solchen  Abstractauffassung  nicht 
günstig  ist,  so  ziehen  wir  die  andere  Erklärung  vor,  die 
sich  allerdings  einer  gewissen  impersonalen  Construction  zu 
nähern  scheint,  aber  doch  nur  scheinbar,  und  alle  Schwie- 
rigkeiten   befriedigend   löst;    auf  diese  Weise   lässt   sich   in 

o-r-       >-o         —     -o  i'-~\?         "    Wh°    '  "r 

Säzen  wie:   *u-U    cXjuoj    —^ö    *u*ä    J^i!   3   \jfy2\    o^ 

o-r  -  '  -  o  » 

der   passive   Ausdruck:     *£>*£    <^*^?    viel    leichter    durch 

auXc  ^mjucj'  cXjuo-5  ,   „auf  denen  das  Aufsteigen  aufgestiegen 

(—  gemacht)  wirda  auflösen,  als  wenn  man  **-**£  als  Passiv- 
Subject  betrachten  wollte,  was  durchaus  erkünstelt  wäre. 

Wie  man  nun  aber  auch  diesen  Punct  fassen  will,  so 
geht  soviel  daraus  hervor,    dass  man  z.  B.  nur  sagen  kann 

fwjA*;  axJ£  ^x^w ,    und  nicht   >-^  xxJJ   o* ,  da  nur  Ein  Pas- 

siv-Subject   im    Saze   im  Nominativ   stehen   darf,    das  hier 

j# ,    oder  wenn  man  will,  äxJI   (^ta? ,   dem    locus  gramma- 

ticus  nach)  ist,  indem  *&»  für  sich  allein  aus  den  schon 
angegebenen  Oründen  dazu  untauglich  ist. 

Nicht  alle  ^l>j~3?  jedoch  (um  mit  den  Basrensern  zu 
reden)  können  die  Stelle  des  Passiv  -  Subjects  einnehmen. 
Das  vyJUaJf   «-LyÄ*   (p.  Ud ,    Anm.   2)    sagt   in    dieser  Be- 

ziehung:    (J     ^5<XJI    y*    cjf^w^Jf     ^jjo     abLy-^     J^Wj 

i^.    JoUij    <\*f  JUjüLw^I   3   ScX^U     ääjJo   *J  jLif   fT-M 

03  ^  -»» 

JüJütfJU   o*U    f<M   ^j   Xjfj   r^JI^,    „fähig    zur    Stell- 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  105 

Vertretung  (des  Aetiv-Subjects)  ist  von  den  in  den  Genetiv 
gesezten  Wörtern  nur  dasjenige ,  an  welches  die  Praeposi- 
tion  nicht  auf  eine  einzige  Weise  im  Gebrauche  tritt,   wie 

t   9  \  o   9  O  9 

tXx>  und  tXJwo ,  ^  und  die  Partikeln  des  Schwures  und  der 
Ausnahme  und  dergleichen,  und  was  nicht  hinweist  auf  ein 
Motiv,  wie  J ,  v-j  und  ^jjo  ,  wenn  sie  zur  Bezeichnung 
des   Motivs   gebraucht    werden"  1).     Aehnlich    spricht    sich 


1)  &jo  und  JoLo ,  als  den  Genetiv  regierende  Praeposit^onen , 
zeigen  nur  den  Zeitpunkt  an,  von  dem  eine  Handlung  ausgeht  (joo^!), 
und  sind  darum  mit  ihrem  Complement,  weil  sie  keinen  abgeschlossenen 
Begriff  enthalten,  zur  Stellvertretung  ungeeignet.  u>  ,  das  die  arab. 
Grammatiker  wunderbarerweise  als  Praeposition  betrachten,  ist  ursprüng- 
lich ein  im  Accusativ  stehender  Vocativ   eines   Nomens;   daraus   ergibt 

.  >  -        a  9        -       9 
sich   von    selbst,    dass    man    nicht    sagen   kann     (>ä»n     <->\     <OwO, 

9       .    9  -  Ö  9 

mancher  Mann  wurde  geschlagen,  sondern  nur  v_>wO  J^-)   ^->)  >    (°^er 

Dass  die  Partikeln  des  Schwures  nicht  in  Frage  kommen  können, 
ist  aus  ihrer  interjectionalen  Bedeutung  ersichtlich. 

Die  Partikeln  der  Ausnahme,  sofern  sie  einen  Genetiv  regieren, 
können  schon  nach  ihrem  inhaerirenden  Begriffe  das  Passiv  -  Subject 
nicht  ersezen,  da  sie  das  dadurch  Ausgenommene  regieren  und  ein  an- 
deres Subject  voraussezen. 

Auch  das  durch  das  x/JIä.  &L  (das  den  Zustand  anzeigende  v_>) 
in  den  Genetiv  Gesezte,  wie:  äjUuü  Ju\  ^y^*-  >  sowie  das  Jula>o 
&j ,    &jlo   JyxJuo   und  das    '-a*x>  durch  £jjo  (wie :  qhJü  ^jo  oüJo) 

Bind  von  der  Stellvertretung  für  das  Fä*il  ausgeschlossen. 

8* 


106         Sitzung  der  philo«. -philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

auch  Shaix  Nusif  im  Näru-lqirä  (p.  1*,  L.   1)  aas:  io^xo^ 

x-Ltli   *Iax>   »J^g   ^ki   Jjia-U  ,    „bei  der  Praeposition  gilt  die 

Bedingung,  dass  sie  nicht  zur  Bezeichnung  des  Motivs 
stehe,  weil  das  durch  sie  in  den  Genetiv  Gesezte  der  Grund 
der  Handlung  ist,  also  nicht  an  die  Stelle  des  Thäters  der- 
selben treten  kann".  Nichts  desto  weniger  aber  erklärt  er 
den  Vers,  dessen  Halbvers  wir  schon  oben  citirt  haben: 

,,Er  schweigt  aus  Scham  und  es  wird  aus  Scheue  vor 

ihm  geschwiegen; 
es  wird  also  nicht  gesprochen  ausser  wenn  er  lächelt", 

im  Widerspruch  mit  seiner  eigenen  Aufstellung  dahin,  dass 
keine  Meinungsverschiedenheit  darüber  herrsche,  dass  im 
ersteren  Falle  das  Passiv-Subject  das  in  den  Genetiv  Gesezte 
allein  sei,  im  zweiten  aber  das  Pronomen  des  Verbalnomens. 
Es   bedarf  wohl   kaum   eines  Hinweises,    dass  das    -Xj^gjq 

v^JUaJI   in  diesem  Punkte  klarer  gesehen  hat. 

s  2.  - 

In  gewissen  Fällen  jedoch  ist  das  ))y^ y  y^  nicht  als 

das   eigentliche   Passiv-Subject   zu   fassen,   wie  z.  B.  in  der 

Redensart    äaä  ^as,   »möge  ihm  vergeben  werden!"    Hier 

ist  es  weit  natürlicher,    ein  ausgelassenes,    aber  leicht  ver- 

standenes  Passiv-Subject,  i.  e.  *xto ,  zu  suppliren,  wie  man 

auch  im  Activ  sagt:  *^t>  *aä  Lää;  ebenso  in  ivg-^D  Jy] , 

„es  wurde  auf  sie  herabgesandt"  (seil,  das  Wort  oder  die 
Offenbarung). 

In    andern  Fällen   dagegen   ist  das  Passiv-Subject  im 
Verbum  selbst  zu  suchen,   das  persönlich  construirt  ist,  so. 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  107 

n 

z.  B.  in  &?  ^*^?  tXjvS,  ein  Führer,  der  gesandt  wird  in 
ihm  (in  seiner  Person),  wie  man  im  Activ  sagt:  &J  w£a*j, 
„er  sandte  (einen  Boten)  in  ihm,  in  Seiner  Person.  Ebenso 
ist  *£-**£  (5***  zu  erklären,  und  nicht  durch:  „eine  Decke 
wurde  über  ihn  geworfen",  wie  dies  Wright  (II,  p.  291) 
thut;  denn  <*«*£■  bedeutet  in  diesem  Falle  nicht  „bedeckenu, 
sondern  „dunkel  machen,  verdüstern"  (der  Muhcitu-lmuhcit 
erklärt  vo^l  ajyki.  durch  sUai.) ,  xLlc  ^5*^  bedeutet 
darum  wörtlich:  „er  wurde  über  sich  verdüstert  2=  L4^U 
„er  verlor  das  Bewusstsein".  Dass  das  Passiv  au-l^  &&& 
persönlich  zu  fassen  ist,  geht  auch  zur  Genüge  aus  dem 
Parti cip  passivi  hervor,  indem  man  sagt:  *£-**£  ^Ax^J! , 
„der  über  sich  verdüsterte11,  im  Femininum  dagegen: 
l^JJ^  ÄJuäJuJI .  Wo  dagegen  das  (determinirte  oder  in- 
determinirte)  Particip  passivi  nicht  streng  persönlich  be- 
zogen, sondern  nach  der  obigen  Auseinandersezung  mehr  im- 
personell zu  fassen  ist,  bleibt  es  im  Sing.  masc.  stehen,  ab- 
gesehen vom  Geschlecht  und  der  Zahl  des  vorangehenden 
Nomen s,  auf  das  es  (im  gleichen  Casus)  bezogen  wird,  weil 
es  in  diesem  Falle  an  der  Stelle  des  Verbum  finitum  steht 
und  der  Artikel  das  Relativ  vertritt;  z.  B. :  ^^j-üJf  gjäjJ 
L^J!   oLüJ!   &L«JLl  ,j.r  Li^j   „weil   das  Tanvin   an   die 

w 

Stelle  des  Sazes  tritt,  an  den  annectirt  wird",  —  ^1 
LgjJ!  v-ajuö! ;     L$jJ!    i^yäf    aL^uOS",   „eine  Kirche ,   zu  der 


108  Sitzung  der  philol.philos.  Clause  vom  5.  Mai  1877. 

gewallfartet  wirdu,  =  LgjJf  « .  Wir  haben  nun  noch  zu 
betrachten : 

III.  Wie  sich  in  den  Fällen,  in  welchen  zwei 
oder  mehrere  Objecte  im  Saze  vorhanden  sind, 
die  passive  Construction  zu  gestalten  hat? 

o 

Wir  haben  schon  gesehen,  dass  wenn  nur  Ein  **>  Jyjuuo 

im  Saze  vorhanden  ist,  dasselbe  zum  Passiv-Subject  gemacht 
wird  und  als  solches  im  Nominativ  steht,  während  alle  an- 
deren  SaztheilS,  wie  das  ^JJb  und  das  ><X«a/e  in  dem 
Casus  bleiben,  den  sie  im  activen  Saze  eingenommen  haben. 
Denn  wie  das  active  Verbum  nur  Ein  J^U  in  den  No- 
minativ stellt,  so  sezt  auch  das  passive  nur  Ein  tkcUJ!  v^U 
in  den  Nominativ;  dieses  ist  das  «lX+ä  oder  die  Stüze  des 
Sazes,  um  welches  sich  die  übrigen  Glieder  als  accessorische 
Bestandtheile  {tv^aJ)  gruppiren. 

9 

a)    Wenn    nun   in    einem    Saze   neben    dem  *u  Jyjuuo 

noch  ein  o  Je ,   n<X«ox>  und  ))r^? )  )^  vorkommt,   so  ist 

o 
die  Lehre  der  Basrenser,  dass  nur  das  &J  Jy*Juo  ,  als  näch- 
stes Object,  zum  Passiv-Subject  gemacht  werden  dürfe.  Ibn 
?Aqil  führt  in  seinem  Commentar  zur  Alfiyyah  V.  251  als 
einschlagendes  Beispiel  den  Saz  an:  W*-^  &&)  V^ö 
tuta  £  *^°^t  (*^  &*^i!  *^j>  IcXjJww,  „Zaid  wurde  schwer 
geschlagen  am  Freitag  vor  dem  Amir  in  seinem  Hause". 
Das   ckfclftJf   yjb    ist    tX^S   und    steht   als    solches    im    No- 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  109 

minativ ,  der  qualificirte  Infinitiv  TtXjtX*«  b wo  steht  im  Ac- 
cusativ  als  iXSyo  stX^ax»,  ebenso  das  (jtoüf  üJb,  i.  e. 
iüüif  *jj ,  und  das  ^jlx^J!  oüs ,  i.  e.  v^y0^^  p^f  i  während 
*sW  d  das  ))f&}  yJ*  repräsentirt.  Die  küfischen  Gram- 
matiker gehen  darinnen  weiter  und  erlauben ,  auch  wenn 
ein  xj  JyJLAx  vorhanden  ist,  etwas  anderes  zum  Passiv- 
Subjecte  zu  erheben,  stehe  es  vor  oder  nach  (dem  eigent- 
lichen Objecte).  Nach  ihnen  kann  man  also  auch  sagen: 
'&&)  tXj<Xw  u*^  Vr**'  ,,Zaid  wurde  hart  geschlagen" 
(wörtlich:  es  wurde  geschlagen   ein  hartes  Schlagen  in  Be- 


n  c,   - 


-       f 


treff  des  Zaid),  oder :  tX^tX^  V  r^  '^}  Vr^  •  Diese 
Construction  begründen  sie  mit  der  Lesart  des  Abu  Ja?far 
(Qur.  45,  13):  ^^-a-m*Xj  f^Jo  Uj  Uy>  ^jsaJ,  „damit  den 
Leuten  (wörtlich :  in  Beziehung  auf  die  Leute)  vergolten 
werde  für  das,  was  sie  erwarben".  Nach  dieser  Les- 
art   (die    gewöhnliche    ist:     <^yivJ)    wird    nicht    das    un- 

mittelbare   Object   (L*ji>)   zum  Passiv-Subject  gemacht,  son- 

g  9  o-      s.  -      t         .- 
dem   das  ))y^  )  )-  i  *•  e-   W    und    der    davon    abhängige 

G.a:S>     G  o 

Saz,  der  als  u^yo   **J   zu   fassen   wäre  *).      Peruer    führen 


1)  Baidävl  (ed.  Fleischer,  II,  p.  %)  führt  zwei  Lesarten  auf 
(neben  der  activen) :  -»«ü  ^ysaJ ,  und  Uo.,2  ^ysü ,  die  er  fol- 
gendermassen  erklärt:    «^Ltt    ifyif   }f    V^ÜI    9^    3^*"'    <5y^    <*5^ 


110  Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

sie  dafür  an  den  Vers  l) : 

„Nur  ein  Edler  ist  mit  dem  Hohen  beschäftigt  und  nicht 
heilt  den  Irrenden  ausser  der  die  rechte  Leitung  hat.u 

Im  Activ  würde  der  Saz  lauten :  \ö^*j  ^M  iUJjtJi  ^aj  pJ , 
„das  Hohe  beschäftigt  nur  einen  Edlenu;   der  Saz   ist  eine 

G  es-  i      "T-  ,     o  . 

cv.ax)  EUaÄaJ,  d.  h.  eine  rectionslos  gelassene  Ausnahme, 
indem  das,  wovon  ausgenommen  wird,  nicht  genannt  wird 
(was  nur  bei  negativen  Säzen  vorkommt).     In  diesem  Falle 

CS 

muss  das  auf  die  Ausnahmepartikel  ^M  folgende  Nomen  in 
dem  Casus  stehen,  in  welchem  das  ausgelassene  Nomen 
hätte  stehen  müssen  (hier  also  I^XäI).  In  der  passiven 
Construction  nun  sollte  es  heissen:  jM  sLJjdb  ^jju  p 
(Xf~w ,  indem  das  eigentliche  &J  JjJLftx> ,  i.  e.  !<>oJ  und  das 
darauf  bezogene  !J.xa«  Sl_,  im  Nominativ  als  Passiv-Subject 
eintreten  sollte;  dies  ist 'aber  nicht  geschehen,  sondern  das 


oLuuo   zl>  ,    „d  h,  damit  vergolten  werde  entweder  das  Gute  oder  das 

Böse,  oder  die  Vergeltung;  damit  meine  ich  das,  womit  vergolten  wird, 
nicht  das  Verbalnomen,  denn  die  Beziehung  (des  Verbums)  auf  das 
Verbalnomen  (als  sein  Passiv-Subject),  besonders  wenn  ein  directes  Ob- 
ject  vorhanden  ist,  ist  schwach  begründet." 

Wenn  er  also  hier  gl  ja.  als  zu  subintelligirendes  Passiv-Subject 
vorschlägt,  so  meint  er  damit  nicht  Elya»  als  Verbalnomen,  sondern  als 
\&j*uo    *juJ  (im  Sinne  von  Belohnung), 

1)  S.  Ibn  »Aqll  zur  Alfiyyah  V,  251  j  Näsif,  1.  c.  p.  II ,  L.  12. 


Trwmpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  111 

))j^ 2  )^  j  i.  e.  ©LJjJL  ist  zum  Passiv -Subject  erhoben 
worden,  so  dass  in  Folge  davon  ItX^u  5IJ  hat  im  Aecusativ 
bleiben  müssen.  Wörtlich  müsste  man  also  den  so  con- 
struirten  Saz  übersezen:  „(das)  mit  dem  Hohen  wird  nicht 
zum  Gegenstand  der  Beschäftigung  gemacht,  ausser  mit 
Rücksicht  auf  einen  Edlen. " 

Obgleich  solche  Constructionen  nicht  gebilligt  und  auf 
die  Rechnung  des  Verszwanges  gesezt  werden,  so  kommen 
sie  doch  vor  und  verdienen  alle  Beachtung,  da  sich  gerade 
darin  die  eigen thüinli che  Auffassung  der  arabischen  Sprache 
recht  deutlich  zu  erkennen  gibt.  Auch  der  Grammatiker 
Al-a%fas  tritt  dafür  als  Zeuge  auf,  indem  er  sogar  die  Regel 

9 

aufstellte,  dass  wenn  dem  *o  öyxsuo  etwas  anderes  (also  ein 
Oj£>  etc.)  vorangehe,  man  das  eine  oder  das  andere 
zum  Passiv-Subject  machen  dürfe,  z.  B.  fcX^S  ^ftXJf  £  y^o, 
oder  <X>\  JcNJI  £  u«ö;  wenn  ihm  aber  nichts  voran- 
gehe, müsse  es  absolut  zum  JxLaJI  yjü  gemacht  werden, 
man  dürfe  also  nicht  sagen:  >lt>J!  £  !jl>\  u^o,  sondern 
nur :    >tt>J!   £  lXj\   o^ö  . 

Sama^sari  (Mufassal,  p.  ||i ,  L.  10)  stimmt  mit  den 
Basrensern  überein,  indem  er  lehrt,  dass  wenn  in  einem 
Saze  ein  unmittelbares  und  ein  mittelbares  (durch 
eine  Praeposition  vermitteltes)  Object  vorhanden  ist,  das 
erstere  den  Vorzug  vor  dem  zweiten  habe,  das  in  diesem 
Falle  nicht  als  Passiv-Subject  verwendet  werden  dürfe;   man 

dürfe  daher  nur  sagen:   <X>v   j!   JLJI   iit>,   „das  Besizthum 

wurde  an  Zaid  übergeben",  und  nicht,  indem  man  &*\   JJ 


112         Sitzung  der  philos.-pliilol    Classe  vom  5.  Mai  1877. 

zum  JxuJf  v^ü  mache:  JUJ!  <X>\  Jf  /**^j  ebenso  nur: 
xjLc  ij»+±»  vlljUa*^  «Ao,  wörtlich:  „mit  deinem  Geschenke 
wurden  fünf  hundert  (Dirhams)  zum  Gegenstande  des  Er- 
reichens  gemacht  —  dein  Geschenk  wurde  auf  fünf  hundert 
gebracht  (das  Activ  wäre :  ipLo  g**.:*.  vii^lkju  *-b ,  er 
kam  mit  deinem  Geschenk  auf  fünf  hundert  =  brachte  es 
auf  etc.),  und  nicht :  *Slx>  (j»»»^»  ^IjUsju  *-L ,  durch  Ein- 
sezung  von  dloUuu  als  Passiv -Subject.  Wenn  jedoch  das 
unmittelbare  Object  nicht  genannt  ist,  darf  man  wohl  das 
mittelbare  zum  Passiv- Subject  erheben,  wie  <X>\  vi'  /•***> 
„es  wurde  Zaid  übergeben'1,  und:  ^JoUaju  *-b,  „dein  Ge- 
schenk wurde  gebracht." 

Wo  kein  directes  Object  im  Saze  vorhanden  ist,  kann 
man  nach  Belieben  das  o  Jb  ,  r<Xo-o  oder  das  ))t^ )  *W 
zur  Stellvertretung  heranziehen.  Der  active  Saz  z.  B. : 
f<X3<X&  I w^w  ^jjJ&yi  \^*yr>.  ^.'r?  ^y*» »  ,,ich  reiste  mit 
Zaid  zwei  Tage,  zwei  Parasangen,  eine  gewaltige  Reise" 
kann  folgen dermassen  ins  Passiv  umgesezt  werden: 

1)  indem  <X>VJ  als  Passiv-Subject  eingestellt  wird: 

2)  Das  qualificirte  Verbalnomen   t>o<Xwu  ^xa«: 

**  •"       So  —  o  - —  o  -*  o  —  o—  o—         — 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  113 

3)  Das  ^^y»   oJ: ,   i.e.  <jU^  : 

4)  Das  ^jKJI   oJ:,   i.  e.  c;»>*: 

Ebenso  kann  der  Saz  (Muf.  p.  f|*| ,  L.  3  v.  u.)  behandelt 
werden:  f»Lx>?  xt  »-fl  -»o  !<X><Xcu  lilA£\.*J  tX^yj  löj^wI 
wyo^f ,  „Zaid  wurde  sehr  verächtlich  behandelt  am  Freitag 
vor  dem  Amir",  indem  man  das  eine  oder  andere  zum 
JxLäJ!  v^aSü  erhebt,  die  andern  Objecte  dagegen  im  Accu- 
sativ  belässt. 

b)  Kommen  in  einem  Saze  zwei  directe  Objecte  vor, 
so  ist  zu  unterscheiden,  ob  sie  zur  Kategorie  von  ^^ 
(oder  ^5*^5),  oder  von  ,jJo  gehören. 

«)  Die  Verba  ^JiaI,  ^*0  etc.  sezen  unmittelbar  zwei 
Objecte  in  den  Accusativ ,  ohne  dass  sie  zu  einander  im 
Verhältnisse  des  Subjects  und  Praedicats  stehen.  Die  all- 
gemeine Regel  ist  in  diesem  Falle,    dass  das  erste  Object 

zum  Passiv -Subject   gemacht   werde,    z.  B.  by>   lXj\   <5**«j 

„Zaid  wurde  mit  einem  Kleide  bekleidet". 

Die  Alfiyyah  und  das  Mufassal  gestatten  jedoch  in 
diesem  Falle  das  eine  oder  das  andere  Object  zum  Passiv- 
Subject  zu  machen,  wenn  keine  Gefahr  eines  Missverständ- 

i  *-•        G°"    "  i  ü\ 

nisses  vorliege ;  man  könne  also  sagen :  UA^>  j  v*x  ,J^'  ■> 

„*Amr   wurde   mit   einem    Dirham   beschenkt",   oder:  ^5^! 


114         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

*#}<>   N-*^>    „ein    Dirham   wurde  dem  *Amr  geschenkt1)", 

jedoch  mit  der  Beschränkung,    wie  das  Mufassal  sagt,   dass 

es  besser  sei,   das  zum  Passiv  -  Subject  zu  constituiren ,  was 

dem  Sinne  nach  das  Jxli  ist,    wie  in  dem  Saze:  d^\   ~)\ 

(5ä.I  ä-of ,   ,,Zaid    wurde    an    die    Tochter    meines    Bruders 

verheirathet".  Wo  indessen  die  Möglichkeit  eines  Miss- 
verständnisses eintreten  könnte,  darf  nur  das  erste  Object 
zur   Stellvertretung    des   Füöil   herangezogen   werden ;    man 

sagt   also   nur   (von   dem    activen   Saze   ausgehend:   o-uac! 

\y+£.  !Jo\,    ,,ich    habe    dem    Zaid    den    ?Amr    geschenkt"): 

\j+£.   t\j\   j^a^l,    weil,    wie    Ibn  ^Aqil    (Com.    zu   Alfiyyah 

V.  252)  hinzufügt,  jeder  der  beiden  der  Nehmende  sein 
könne.  Einige  Grammatiker  wollen  sogar  solche  Säze,  um 
des  möglichen  Missverständnisses  willen,  ganz  verbieten  (so 
z.  B.  Näsif,  1.  c.  p.  <\\ ,  L.  1  v.  u.). 

Die  küfischen  Grammatiker  wollen  noch  die  besondere 
Regel  aufstellen,  dass  wenn  das  erste  Object  determinirt, 
das  zweite  dagegen  indeterminirt  sei,  nur  das  erste 
zur  Stellvertretung  gebraucht  werden  dürfe,  man  dürfe  also 

nur  sagen:    *Uä>  <X>\   ^^^S ,    und   nicht   JtX^S   &aä.  ouy*o  . 

Diese  Restriction  jedoch  ist  keineswegs  durch  den  Sprach- 
gebrauch ausgetragen.     (S,  Muf.  p.  fiv,  L.  2.) 

Aus  der  angedeuteten  Neigung  der  Sprache,  von  zwei 
Objecten  dasjenige  zum  Passiv -Subject  zu  machen,   welches 


1)  Eine  ähnliche  Umstellung  des  Passiv- Subjects  trifft  man  auch 
im     Aethiopischen ,      wo     man    mit    gleicher    Freiheit    sagen    kann: 

'höHMlYb  !  W"A° !  ,    oder  iHIMJnfc  •  tf"A°  '  ,    »alles  ist  mir  über- 
geben". 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  115 

G 

das  eigentliche  <J*fcÜ   ist,  erklärt  es  sich  leicht,    wenn  z.  B. 

^j'l  in  der  passiven  Verbindung  nicht  auf  den  Gegenstand, 

sondern  auf  die  Person   bezogen  wird,    wie  dies   schon  bei 

^'f  (s.  p.  100)  der  Fall  ist,  z.  B.  ^Liü!  JuoL-J  y.j  ^f , 

wörtlich :  „die  Kinder  Israel  wurden  zu  dem  Buche  kommen 

gemacht,    i.  e.    wurden    mit   demselben   beschenkt1',    da  das 

s 
eigentliche  Jxü  die  Kinder  Israel  sind,  nicht  das  Buch. 

ß)  Regiert   ein  Verbum   zwei  Objecte,    von   denen   das 
erste  zum  zweiten  im  Verhältnisse  des  Subjects  zum  Prae- 

05  r- 

dicat  steht  (Verba  der  Kategorie  ^Jb ,  halten  für  etwas), 
so  darf  nur  das  erste  Object  (das  eigentliche  Subject)  zum 
Passiv -Subject  gemacht  werden,  z.  B.  UoLa  l\j\  <jJöj 
„Zaid  wurde  für  wahrhaftig  gehalten".  Die  Alfiyyah  jedoch 
(V.  253)  erlaubt  auch  das  Praedicat  zur  Stellvertretung  zu 
verwenden,  wenn  kein  Missverständniss  zu  befürchten  sei, 
so  dass  man  also  auch  sagen  dürfe :  *jU  *<X?\  ^jo  ,  wört- 
lich:  angesehen  wurde  als  Zaid  (Accus.)  ein  Stehender'1;  *) 

So-*»©-      es'  6o- 

dagegen  sei  z.  B.  j y+&  IJov  ^b  verboten ,  weil  j  v^  als 
zweites  Object  (i.  e.  als  Praedicat)  zu  fassen  sei. 


1)  Das  Aethiopische  richtet  sich  im  allgemeinen  nach  dem  Ara- 
bischen, indem  es  in  der  passiven  Construction  das  Praedicat  im  Accu- 
sativ  beharren  lässt,  aber  es  hat  sich  doch  auch  schon  die  Möglichkeit 
gewahrt,  das  Praedicat  (neben  dem  Subject)  in  den  Nominativ  zu 
stellen,  was  im  Arabischen  nicht  möglich  wäre;  z.B.:  *f*|Pj&tfD : 
0)A^  s  UVI  "  Vf'i'blb  '    (Dillmann,  Aeth.  Gr.  p.  346). 


116         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 


.f- 


c)  Regiert  ein  Verbum  drei  Objecte,  wie  ^1,  JW 
(und  fünf  andere,  nämlich :  c^lXä  ,  oi. ,  v-^' ,  y^  und 
yjf),  von  denen  das  zweite  zum  dritten  im  Verhaltniss 
des  Subjects  zum  Praedicat  steht,  so  darf  nur  das  erste 
Object  als  Passiv  -  Subject  eintreten,  während  die  beiden 
andern  im  Accusativ  bleiben  müssen,  z.  B.  viL*^i  tXjv  *A£f 
Lä.^wo;  ,,Zaid  wurde  in  Kenntniss  gesezt,  dass  dein  Pferd 
gesattelt  istu;  (V^J  v-UXä  U-Lb  <Xsj  j^  J^ä-I  cuaj 
tXJtXi,  „Ich  wurde  benachrichtigt,  dass  meine  mütterlichen 
Oheime,  die  Banü  Yazid,  tyrannisch  handeln  gegen  uns,  es 
ist  ein  Geschrei  über  sie".     (Muf.  p.  5,  L.  10.) 

Die  Alfiyyah  jedoch  (V.  253)  will  auch  hier  das  zweite 
Object  zur  Stellvertretung  zulassen,  wenn  kein  Missverständ- 
niss  zu  befürchten  sei;  man  dürfe  also  auch  sagen:  *XsS 
Lä.wwu-c  viLwji  u\j\  ,  wörtlich:  „es  wurde  angezeigt  dem 
Zaid  dein  Pferd  als  gesatteltes"  1).  Ja  sogar  das  dritte 
Object  wird  von  einigen  als  Passiv -Subject  zugelassen, 
z.  B. :  tr-f"**  w^ujj  ltX->\  *-**£'>  wo  die  wörtliche  Ueber- 
sezung  lauten  müsste:  „angezeigt  wurde  dem  Zaid  ein  ge- 
satteltes als  dein  Pferd".  Sama^sari  jedoch  verbietet  diese 
Structur  (Muf.  p.  ff4},  L.  6),  lässt  also  die  zweite  indirect 
noch  zu. 


1)  Wir  fügen  absichtlich  eine  wörtliche  Uebersezung  bei,  um  die 
arabische  Structur  unserem  Denken  zu  vermitteln. 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  117 

IL 

es  .  e  * 

Ueber   die    Construction    von    ^J    und  <jl,   und   deren 
Unterschied. 

I.  Um  die  Construction  dieser  beiden  Partikeln  ver- 
stehen zn  können,  ist  es  nöthig,  zuerst  ihrer  Etymologie 
etwas  näher  zu  treten. 

Dass  das  arabische  ,j|  mit  dem  hebräischen  Hä? , 
siehe!  zusamenhänge,  ist  schon  längst  bemerkt  worden. 
Das  hebräische  run  jedoch  ist  selbst  wieder  zusammen gesezt 
aus  ]n  und  PQ;  die  älteste  Form  ist  daher  ]n,  an  welche 
das  Deutewörtchen  rü  tritt,  wodurch  )H  weiter  zu  ]n  ver- 
kürzt worden  ist.  Aber  auch  dieses  ]H ,  mit  welchem  man 
mit  Recht  das  lateinische  en  und  das  griechische  r\v  verglichen 
hat,  ist  keineswegs  ein  einfaches  Deute  wort,  sondern  selbst 
wieder  zusammengesezt  aus  den  beiden  Pronominalwurzeln 
he  und  n  (abgekürzt  aus  na). 

Wir  finden  diese  Pronominalstämme  als  ein  Gemeingut 
der  semitischen  und  arischen  Sprachen.  Die  ursprüngliche 
Wurzel  ist  i ,  oder  aspirirt  hi  (aramäisch  imK  t  7]"PX , 
Sanskrit  ^+  ^5^  Persisch  ^jj»}  i-n,  Lateinisch  hi-c,  w, 
und  in  den  indischen  Prakrit  -  Sprachen  yi ,  hi ,  e);  mit 
diesem  Grundstamm  hat  sich  eine  andere  Deutewurzel  na 
verbunden,  die  ebenfalls  ein  Gemeingut  beider  Sprachsippen 
ist.  Im  Aramäisch-Syrischen  liegt  diese  Wurzel  noch  klar 
vor,  wie  in  Nil.  de-nä,  hö-nö  (oder  hä-nä),  dieser  da,  mo- 
no, was  =  dem  Arabischen  16  U;  sonst  ist  na  schon  zu 
n  verkürzt  worden  (mit  Abwerfung  des  finalen  a),  wie  in 
dem  hektischen  ]7\ '    ]3    (wörtlich:    Aehnlichkeit    von 


I 


118  Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

dem),  l)  während  in  dem  entsprechenden  aethiopischen 
1kt !  ?  in  Zusammensezungen  wie  "h^Yl^9" ' ,  siehe  da  ihr! 
noch  ene-kemmü  gesprochen  wird.  Das  sogenannte  corro- 
borative  ]  in  den  aramäischen  Demonstrativis  ist  ebenfalls 
hieher  zu  ziehen ,  wie  in  +  3K ;  ebenso  auch  das  n  in  dem 
aethiopischen  11*}+ '  ze-n-tü ,  da  der  Accent  auf  ü  ruht, 
und  nicht  auf  e,  wie  Dillmann  angibt. 

Ein  weiterer  Demonstrativstamm  neben  i,  hi  ist  a  oder 
ha  für  das  entfernter  liegende,  der  sich  übrigens  in  den 
semitischen  Sprachen  nur  noch  zerstreut  vorfindet 2).  Dahin 
rechnen  wir  das  aramäische  X   oder  NH   und   das   arabische 

T  T 

.      -  O^JO-  .    .     - 

u&  (als  J-y-o  ^j=>),  das  sich  auch  in  Compositis  wie  JtX#, 
UjdUd  vorfindet.  Dieser  Stamm  kommt  häufig  in  Zusam- 
mensezungen mit  dem  schon  erwähnten  n(a)  vor,  wie  in 
dem  aramäischen  )? ,  )0 ;  cf.  das  persische  ^jf ),  in  v^jf  an-ta, 

du,  (VÄj!  an-tum,  ihr;  auch  Qf,  ich,  ist  wohl  nur  dieses 
Demonstrativ  (der  da  ==  ich);  ebenso  das  hebräische  ^K 
an-i,  der  hier.  Auch  Bopp  betrachtet  den  im  Sanskrit 
vorkommenden  Demonstrativstamm  9FR  als  ein  Composi- 
tum aus    ^f  +  ^    (Vergl.  Gram.  II,  §  369). 


1)  Vergleiche  auch  das  arabische  .^üO  ==  i**j  "t"  *$ ,  mit  dem 
hebräischen  p'fcOi 

2)  Der  Demonstrativstamm  ha  findet  sich  auch  theilweise  in  den 
arischen  Sprachen;  cf.  das  afgänische  &*&  ba-yah,  jener. 

Der  Demonstrativstamm  ü,  hü,  den  die  semitischen  Sprachen  noch 
daneben  aufweisen,  ist  offenbar  nur  eine  Vertiefung  von  ä,  hä.  Auch 
die  späteren  Präkritsprachen  kennen  ihn  (hü,  ü). 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  119 

In  den  semitischen  Sprachen  ist  dieses  an  weiter  durch 
Wechsel  von  n  zu  l  *),  in  dl  oder  hol  übergegangen. 

Die  semitischen  Sprachen  jedoch  haben  das  Bewusst- 
sein  von  der  ursprünglichen  Zusammensezung  dieser  Deute- 
worte ganz  verloren  und  betrachten  en,  hen,  han,  dl  oder 
hol  als  einfache  Demonstrativstämme.  An  diese  kann  daher 
nach  Umständen  eine  weitere  Deutewurzel  treten,  die  aber 
nur  im  localhin weisenden  Sinne  gebraucht  wird,  nämlich 
im  Hebräischen  rieh,  nah,  wie  Hin  hin-neh,  siehe  da!  Hin 
hen-näh,   hieher!   hier!    im  Arabischen  na  oder  na,  an  den 

Stamm  i-n  angehängt:   ^jf   (dieses    da!    =   siehe!),    an 

den  Stamm  a-n:   ^j'  an-na,   das  da!   U#  han-nä\   dort! 

Im  Hebräischen  und  Arabischen  wird  dieses  Deute- 
wörtchen  neh,  näh,  na  oder  na  nicht  mehr  für  sich  allein 
gefunden,  sondern  nur  noch  als  Encliticum  eines  andern 
Demonstrativstammes,  wohl  aber  im  Aethiopischen ,  wo  es 
entweder    mit    dem   a   (ü  =2  ha)    der   Richtung    verbunden 

1)    Im   Aethiopischen   ist  dieser  Wechsel  häufig,   z.  B.   K AK : 

hassen,  —  hebr.   *Qti> ;    fl'Jrt  A  ' ,  aram.    "$¥?'&  >    aral)-    J^**i-*  • 

Was  speciell  das  Arabische  betrifft,  so  ist  bekannt,  dass  man  in  Yaman 
statt  al,  am  sprach  (cf.  Mufassal,  p.  tdfr",  L.  8),  indem  dort  n  in  m 
übergegangen  war,  ein  Wechsel,  der  sich  auch  sonst  in  den  semitischen 
Sprachen  findet  (vergl.  die  Pluralendung  im  und  in).  Dieser  Ueber- 
gang  von  l  zu  n  (und  vor  Labialen  zu  m)  findet  sich  auch  noch  heut- 
zutage in  der  arabischen  Volkssprache ;  man  sagt  z   B.    _*Lyof ,    em- 

bärehc,  gestern  (statt        \UJf)   etc. 

Die  arabischen  Grammatiker  selbst  fühlten  etwas  heraus,  dass  der 
Artikel  eine  Art  von  Compositum  sein  müsse,  wesshalb  z.  B.  Sibavaih 
annahm,  dass  der  Artikel  eigentlich  nur  aus  l  bestehe  und  das  a  ein 
Hamz  der  Verbindung  sei  (siehe  darüber,  Alfiyyah  V.  106  mit  dem 
Com.  des  Ihn  *Aqil). 
[1877  I.Phil.hist.C1.2.]  9 


120  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

wird,  wie  V0 s  nä-?a  oder  V9'  na- sä1),  hieher!  oder 
aber  mit  Pronominalsuffixen ,  wie :  V*P 8  n  a  -  v  -  ä ,  da  sie! 
(ecce  eam),  VO"*  nä-hu,  da  ihn!  (ecce  eum),  Vfs   nä-ya, 

da  mich!  (=z  fstl^'  ^r  können  aus  °^em  Aethiopischen 
noch  deutlich  die  Bedeutung  dieses  Wörtchens  erkennen. 
Es  ist  ursprünglich  ein  Demonstrativpronomen  (wie  in  nä- 
?a),  das  aber  bald  den  Sinn  eines  Deute  wörtchens  an- 
genommen hat 2),  und  darum  den  Gegenstand ,  auf  den  es 
hinweist,  sich  im  Accusativ  unterordnet,  obschon  dies  im 
Aethiopischen  noch  auf  die  Pronomina  suffixa  beschränkt 
ist.  Wenn  die .  Sprache  dann  weiter  daraus  einen  regel- 
rechten Imperativ  gebildet  hat  (wie  If0^-  ne-ei ,  *>0- ' 
ne-?ü  etc.),  so  kam  das  daher,  dass  das  stets  im  auf- 
fordernden Sinne  gebrauchte  V s  leicht  als  Imperativ  miss- 
verstanden und  demgemäss  auch  flectirt  werden  konnte, 
doch  ist  sich  die  Sprache  noch  theilweise  bewusst,  dass  Vs 
kein  eigentliches  Verbum  ist ,  wesshalb  das  Suffix  der  I. 
Pers.  Sing,  noch  in  seiner  Genetivform  angehängt  wird,  wie 
Vf s  nä-ya.    Ebenso  schwankt  noch  das  Arabische  zwischen 

ic M  und  (c^l ,  während  das  Hebräische  nur  die  Accusativ- 
form  des  Suffixes  beibehalten  hat,   "^H . 

Ein  weiterer,   aber  naheliegender  Schritt  war  es,  wenn 
die    Sprache    dieses    Deutewörtchen    dazu    verwandte,    dem 


1)  Dillmann  hat  ganz  richtig  gesehen,  wenn  er  dieses  Q  nur  als 
stärkeren  Trennungslaut  für  a  betrachtet. 

2)  Als  enclitisches  Deutewörtchen  der  Richtung  rindet  es  sich 
auch  theilweise  im  Aethiopischen,  wie  in  KAM1  eska-na,  bis  —  hin; 
?lrh"t*2l s  ahcäta-ne,  zu  einem  hin ,  indem  das  tonlose  na  zugleich  in 
das  betonte  fc :  übergegangen  ist ,  um  die  hinweisende  Kraft  zu  ver- 
stärken, ähnlich  wie  das  hebräische  neh  in   n^H . 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  121 

Verbum  als  nachgesezte  Partikel  einen  hortativen  Sinn  mit- 
zutheilen.  So  finden  wir  es  im  Hebräischen  dem  Irnperfect 
(theils  mit,  theils  ohne  das  n~  der  Richtung)  nachgesezt, 
wie  {O  &CTJ,  lasst  uns  doch  fürchten!  N3~rri"lK ,  ich 
will  doch  herabsteigen!  Ja  selbst  dem  einfachen  oder 
verstärkten  Imperativ  kann  es  nachstehen,  um  eine  in- 
ständige Bitte  auszudrücken,  wie  N}~nj?  nimm  doch! 
N3T07,  geh  doch!  In  noch  ausgiebigerer  Weise  ist  es 
im  Arabischen  zur  Bildung  des  Modus  energicus  verwendet 
worden,  wobei  das  w,  wie  schon  theilweise  im  Hebräischen, 
der  Emphasis   wegen   auch   verdoppelt  werden  kann ,    wie : 

i^-bsf   oder  ,jd*of ,   Imperat.  j^-USf   oder    ,^-U3l  ■ 

Aus  dieser  etymologischen  Zusammensezung  von  ^[ 
und  ,j!  wird  sich  uns  (fte  Construction  dieser  beiden  Par- 
tikeln im  Arabischen    leichter    ergeben.     Wir  sehen  daraus 

schon  so  viel,    dass  Sibavaih  nicht  so  ganz  Unrecht  hatte, 

ß  ß^i 

wenn  er  ^J  und  <j!  im  wesentlichen  für  identisch  erklärte, 

obschon  ihm  die  Zusammensezung  und  ursprüngliche  Be- 
deutung derselben  nicht  bekannt  war  (cf.  Ibn  ?Aqil,  Com. 
zur  Alfiyyah,  V.  175).  Beide  Partikeln  haben  im  Arab- 
ischen nach  und  nach  von  ihrer  ursprünglichen  Deutekraft 
verloren ,  indem  sie  mehr  zur  Bekräftigung  und  Be- 
stätigung   (ö^fS'yJJ)  A)  des  Inhalts  eines  Sazes  verwendet 


1)    jj£   kommt   daher  auch   schon  im  Sinne  von   Jcif   (ja)  vor, 

ß*  0^- 

besonders  bei  Dichtern,    wie  .auch  andererseits    .j!    im  Sinne  von    JÜ 

.(vielleicht)  gebraucht  wird. 

ß  % 
Die  Stämme  Qais  und  Tamim  sprechen    ^»!    auch  diabetisch  mit 

ß  - 


122  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

wurden  und  dadurch  in  die  Kategorie  von  Partikeln  über- 
traten,  jedoch  mit  dem  Unterschiede,  dass  ,jf  noch  stärker 
seine  inhaerirende  hinweisende  Kraft  wahrte  und  darum 
nur  an  die  Spize  eines  unabhängigen  Sazes  trat,  während 
tj» ,  seinem  Ursprung  gemäss ,  zu  einer  Relativ  -  Partikel 
(^i>Ä  \jyCyA)  herabsank,  so  dass  der  dadurch  untergeord- 
nete  Saz  zur  *X*o  von  ,jf  wurde,    aber  nichts  destoweniger 

haben  beide  noch  sich  die  Kraft  bewahrt,  ihr  Nomen  in 
den  Accusativ  zu  stellen.  x) 

II.  Wir  wollen  nun  die  Construction  dieser  beiden  Par- 
tikeln im  Arabischen  etwas  näher  betrachten  und  zwar 

1)  Mit   Rücksicht  auf  das   Nomen   von   ^   und   ,jf. 

Die    arabischen    Grammatiker    zählen    <jj    und    seine 

Schwestern  (d.h.  ^yJ,  ,jf ,  ,jO  ,     die    auf   dieselbe   Weise 

„  ö-  es  ^ 

gebildet  sind,  nebst  v^y  und  Jjt) ,  die  wir  aber  hier,  ausser 
,j',  zunächst  ausserhalb  des  Kreises  unserer  Untersuchung 
lassen  wollen)  zu  den  Partikeln,  welche  das  Mubtada*  abro- 
giren  (^ftXÄj^U  ä^ldt  o^^il),  da  sie  immer  am  Anfange 
eines  Sazes  stehen  müssen;  das  von  ihnen  regierte  Nomen 
kann  daher  nicht  mehr  (stricte)  Mubtada'  (d.  i.  das  womit 
der  Saz   begonnen  wird)    sein    und   wird   von   den   Gram- 


1)  Die  arabischen  Grammatiker  nennen  sie  darum  wegen  dieser 
ihrer  Aehnlichkeit  mit  dem  Verbum  JL*i^U  xgj>M'»»lt  üv^f, 
„die  den  Verbis  assimilirten  Partikeln". 


Trumpp:  Beiträge  zur  ardbischen  Syntax.  123 

matikern  ,j',  ^  **w!,  das  Nomen  von  ^f  oder  \j\  ge- 
nannt. Sie  sezen  das  Nomen  in  den  Accusativ,  das  Xabar 
dagegen  in  den  Nominativ,  wie:  <J*oli  IlXjS  (jt_,  ^für- 
wahr Zaid  ist  vortrefflich11,  weil  das  Nomen,  obschon 
es  im  Accusativ  steht ,  doch  ^s?  (d.  h.  dem  locus  grani- 
maticus  nach)  das  logische  Subject  des  Sazes  bleibt,  weshalb 
auch  das  Praedicat  im  Nominativ  folgt ,  da  die  Rections- 
kraft  von  <j£  und  ,jf  sich  nur  auf  das  Nomen  erstreckt, 
das  durch  die  Sezung  in  den  Acusativ  eine  minder  wesent- 
liche Stellung  im  Saze  erhält 1). 

Die  basrischen  Grammatiker  jedoch  weichen  von  dieser 
Construction  ab,  indem  sie  die  Rectionskraft  dieser  Partikeln 
auch  auf  das  Xabar  ausdehnen;  nach  ihnen  kann  man  auch 

sagen:   UoüJ   I^+ä   ^f ,    wörtlich:    ,, siehe   da  den  ?Amr   als 

einen  stehenden".  Diese  Construction  ist  offenbar  die 
ältere,  deren  sich  darum  auch  besonders  die  Dichter  be- 
dienen. Näsif  führt  1.  ?.  p.  !*♦♦  mehrere  Beispiele  aus  Dich- 
tern an,  deren  wir  eines  hieher  sezen  wollen. 

JjXiJ.    icyUdi    ^aJJI  ^ia.  ö+mA  !<M 


1)  Nasif  bemerkt  daher  im  Naru-lqira,  p.  |<H,  L.  7  v.  u.  mit 
Recht,  dass  die  Bedeutung  dieser  Partikeln  in  der  Aussage  (»LaäJ) 
liege,  die  eigentlich  das  Hauptmoment  des  Sazes  sei,  während  das 
Nomen    selbst    dabei    mehr    nur    wie    ein    accessorischer    Bestandteil 

(&Uü)   sei. 


124  Sitzung  der  philos.-philol.  Ciasse  vom  5.  Mai  1877. 

,,Wenu  die  Nacht  schwarz  wird,  dann  komm  und  lass 
deine  Schritte  leicht  sein ;  fürwahr  unsere  Wächter  sind 
Löwen.11  A) 

Dass  das  Nomen  vorausgehen  und  das  Xabar  (sei 
es  ein  Nomen  oder  Verbalsaz)  nachfolgen  muss,  ist  die 
stehende  Regel.     Davon  jedoch  gibt  es  Ausnahmen.     Wenn 

nämlich   das  Xabar    ein  o*-b  (eine    Zeit-    oder    Ortsbestim- 

.     °     "      s.  . 

mung),  oder  ein  >j f^ )  y^  (e*n  durch  eine  Praeposition  in 

den  Genetiv  geseztes  Nomen  oder  Pronomen)  ist,  so  kann, 
und  in  gewissen  Fällen  muss  es  voranstehen.  Ein  oJj  (be- 
sonders wenn  es  kurz  ist)  stellt  man  gerne  dem  deter- 
minirten  Nomen  voran,  weil  dies  zur  Abrundung  des  Sazes 

dient,  z.  B.   ft>o\  <i)t\Ifc  ,j[,  „fürwahr  Zaid  ist  bei  dir". 

Es  muss  voranstellen,  wenn  das  Nomen  mit  einem  Suffixe 
versehen  ist,  welches  auf  das  Xabar  hinweist,  weil  das  Pro- 
nomen   sich   nicht   auf  etwas  Nachgestelltes   beziehen  darf; 

man   sagt  also   nur:   L$aa.Lo   JjJ!   3   ,j|,  „fürwahr  im 

Hause   ist   sein    Besizer",    und   nicht:   3  Lg-^Lo  <j| 

yI«X!I.     Ebenso    wenn    das    Nomen    indeterminirt,    das 

Xabar  dagegen  determinirt  ist,  wie :  ! ***o  y^xj\  mo  ^ , 

„fürwahr  bei  der  Schwierigkeit  ist  Leichtig- 
keit"; sind  aber  beide  determinirt,  so  kann  das  Xabar 
vor-  oder  nachstehen. 

Eine  weiter  zu  beobachtende  Regel  ist,  dass  das  von 
dem  Xabar  Regierte  (>*ü  Uy+**)  dem  Nomen  nicht  vor- 
anstehen  darf,  auch  nicht  wenn  es  ein  0J0  oder   \j y& j  y^- 

1)    Das    Metrum   ist   Jü«Je  . 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  125 

ist  (obwohl  es  dem  A'abar  selbst,  der  Emphasis  wegen, 
vorangehen  darf) ;  man  sagt  also  :  ^«o  (Jp'j  '<A-)\  ^f  , 
„fürwahr  Zaid  vertraut  auf  dichu,  und  nicht:  <j£ 
(Jplj    IcXjv   db .     Nur    in    der   Poesie    geht   bisweilen ,    des 

Verszwanges   wegen,    das    von    dem    Xabar    Regierte    dem 

3 
Nomen  voran,  was  aber  als  abnorm   (61a«)  betrachtet  wird; 

z.  B.: 


-  w  t         85  ,  - 


*JbiL  Iä-  wJUJi  ^Läx>  JLä.1    L^*  ^t*  ^4*?  is*^  ^M 

„Tadle  mich  also  nicht  ihretwegen:  denn  dein  Bruder 
ist  im  Herzen  getroffen  durch  ihre  Liebe,  viel  sind  seine 
Bekümmernisse.1'  l)   (Com.  z.  Alfiyyah,  V.   176). 

Folgt  nach  dem  ersten  Nomen  ein  anderes  durch  eine 

Conjunctivpartikel  (wozu  auch  ^  und  Jo  gerechnet  wird) 
angereihtes  Nomen,  so  kann  das  leztere,  wie  das  erste,  im 
Accusativ  stehen,  oder  aber,  weil  das  erste  Nomen  doch 
logisch  als  im  Nominativ  stehend  zu  denken  ist,  im  No- 
minativ,  aber  nur,    wenn  das  Praedicat  des  ersten  Nomens 

schon  gesezt,  der  Saz  also  vollendet  ist,  z.  B. :  ilXj\  ^ 
L4XJ  *2t5  oder  ^y^x^  |wU  JlXjs  ^J,  „fürwahr  Zaid  steht 
und  ?Amru;  ebenso:  IlX^äa«  ^  v*^^)  S-^  (ji>  oc^er 
lXxjuw  ^1  .  .  .  ,  cXxjlw  Jo  .  ♦  Wird  aber  das  zweite  Nomen 
angefügt,  ehe  das  Praedicat  des  ersten  gesezt  ist,  so  darf 
nur  der  Accusativ  stehen,  wie:   ^jU^=L    ^£3    'tX?)   <jj>> 


1)  Das  Motiurn  ist  das   Jo»»b. 


126  Sitzung  der  philos.-philol.  Glosse  vom  5.  Mai  1877, 

weil1  Ein  Jj***     nicht    von    zwei    im    Casus    differireuden 

JUof^jt  abhängen  darf. 

Nichts  destoweniger  erlauben  die  küfischen  Grammatiker 
eine  solche  Construction ,  weil  nach  ihrer  Meinung  das 
Praedicat    durch    denselben    Eiufluss    im    Nominativ    steht, 

durch  welchen    es   in  den  Nominativ    gesezt   wird,    ehe   ^ 

vortritt ;  sie  sehen  also  von  der  wörtlichen  Construction 
ganz  ab  und  behalten  nur  das  logische  Verhältniss  im  Auge. 
Al-kisäi  erlaubt  sogar  den  Nominativ  schlechthin  und  stüzt 

sich  dabei  auf  Beispiele,   wie  Qur.  V,  73:   fjJue!  ^tXJI   ^jl 

^sLa-üf^    ^oLoJt^   !^4>bß   ^jJfj,    „fürwahr    diejenigen, 

welche  glauben ,  und  diejenigen ,  die  Juden  sind ,  und  die 
Sabäer  und  Christen'1.    NäsTf  führt  1.  c.  p.   (M ,  L.  12  auch 

die  Lesart  an  ^^  J^  ^y^rt  ^üJCLLo^  ä-U!  ^J,  „für- 
wahr Gott  und  seine  Engel  segnen  den  Propheten",  und 
den  Vers,  der  sich  auch  theilweise  bei  Baidävi  unter  der 
Erklärung  der  citirten  Qur'änstelle  findet  (I,  p.  f"fv) ' 

„Wessen  Absteigequartier  also  des  Abends  in  der  Stadt 
gewesen  sein  wird;  denn  ich  und  ein  Pechverkäufer  sind 
fremd  in  ihr.u 

Die  basrischen  Grammatiker  erklären  solche  Stellen 
weg  (wie  dies  auch  Baidävi  l)   und  Näsif  thun),   indem   sie 


1)  Baidävi  sagt  1.  c  :    SvAä.j    feljoü^f    Js£    *is  jjJbLoJI. 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  127 

entweder  eine  Auslassung  des  Praedicats  (nach  dem  ersten 
Nomen)  annehmen  oder  die  Noth wendigkeit  der  Nachsezung 
des  Angereihten  (hinter  das  Praedicat).    So  nehmen  sie  bei 

dem    vorlezten    Beispiele    nach    &-UI   ^jl    ein    ausgelassenes 

JwOJ   an ,    und  bei   dem    lezten   sezen   sie   nach  ^  U :   L$j 

9        -< 

^Ajyü,    weil  sonst  die  gewöhnliche  Regel  der  Beziehung  des 

Praedicats  auf  das  Subject  verlezt  würde. 

Die  bayrischen  Grammatiker  aber  haben  in  diesem 
Falle  entschieden  Unrecht  und  Säze,  wie  die  angeführten, 
lassen  sich,  obschon  sie  der  allgemeinen  Regel  nicht  con- 
form  sind,  nicht  auf  solche  erzwungene  Weise  zurechtlegen. 
Auch  Al-farrä  stimmt  mit  Al-kisäi  überein,  wenn  in  dem 
ersten  Nomen  die  Flexion  nicht  zu  Tage  trete,  so  dass  die 

beiden  Nomina  von  ^  nicht  der  äusseren  Wortform  nach 

sich  entgegenstehen;  er  erlaubt  daher  Säze,  wie:  yy+s-)   ^J 

jjLot>U ,    „fürwahr  du    und  ?Amr   seid    ankommend",  und : 

<jL*#f  j    <>ov  j   ^5^11     \jl ,  „fürwahr  der  Jüngling  und  Zaid 

gehen"  *).      Diese  Aufstellung  jedoch  ist  ein    precäres   Aus- 


AJöS  jjJbLflJf  .,  „jjJuLaJf  steht  im  Nominativ  als  Mubtada 
und  sein  Praedicat  ist  ausgelassen  und  dabei  ist  die  Nachsezung  hinter 

a  • 

das,  was  in  der  Zugehörigkeit  zu  .j!  steht,  eine  Sache  der  Not- 
wendigkeit; die  logische  Stellung  wäre  also:  fürwahr,  diejenigen,  welche 
glauben,  und  diejenigen,  die  Juden  sind,  und  die  Christen,  ihr  Praedi- 
cament  -ist  so,  und  die  Sabäer  sind  ebenso."  Eine  andere  Erklärung 
dieser  Stelle  gibt  Näsif,  1.  c.  p.  IM  ,  L.  10  sqq. 


1)  In  Nasif,  1.  c.  p.  IM ,    L.  6  v.  u.  ist  |Jo\  •    ein 


Druckfehler 


für  t\j>\j  . 


12S         Sitzung  der  philo s.-philol.  (lasse  com  5.  Mai  1877. 

kunftsmittel,  das  nur  auf  einzelne  Fälle  Anwendung  linden 
könnte.    Ebensowenig  kann  uns  die  Erklärung  der  basrischen 

Literatur-Kritiker  (^.p'ö'^j  befriedigen,  die  das  im  Nomi- 
nativ stehende  Nomen,  nachdem  das  Xabar  gesezt  ist,  ent- 
weder als  ein  Mubtada'  fassen,  dessen  Praedicat  ausgelassen 
sei,  oder  als  ein  an  das  (verborgene)  Pronomen  des  A'abar 
angereihtes   Nomen ,    wenn    zwischen    beiden  Nominibus   eiu 

trennendes    Wort    stehe,     das    die    Stelle    des    J^oli   v***o 

vertrete.    Z.  B.  der  Saz:  )Uym\y  ^yjSy^SS  ^yo  ^-j  äJJ!  ^1, 

„fürwahr  Gott   ist    frei    von    (hat  nichts   zu  thuu  mit)   den 

Polytheisten ,    und    sein  Prophet4',    restituiren    sie   entweder 

durch:   ^<Xf  k}^s^    oder  durch:   ^y*»))  y®  •>  da  die  An- 

reihung   an  das  in   15 >f    verborgen    liegende    Pronomen  y& 

hier   möglich   sei,    weil   eine    Trennung   (J*oi)    durch    ,j-* 

^.x5\.xL»J!   vorliege    (vergl.    darüber    Alf.  V.    557    und    558 

und  den  Com.  des  Ibn  ?Aqil  dazu);  wo  aber  kein  tren- 
nendes Wort  vorhanden  sei,  sei  die  Anreihung  an  ein  ver- 
borgenes Pronomen  nicht  möglich  und  darum  nur  die  Sup- 
position  eines  ausgefallenen  Praedicats  zulässig,  wie  in  dem 

Saze:   )}+&)    |WÜ>   '<X>^   ^f.     Dies  sind  jedoch  grammatische 

Spizfindigkeiten ,    die  wir  auf  sich   beruhen   lassen    können, 

da  sie  keinen  wesentlich  neuen  Gesichtspnnct  darbieten. 

Alles    bemerkte    gilt    ebenso    von     ,jl    (und    <j-ö)  *) ; 


1)  Bei  ■  jfe',  Jod  und  vu*iJ  ist  nur  der  Accusativ  des 
Angereihten  erlaubt,  mag  es  dem  Praedicat  vorangehen  oder  nachfolgen. 
Nur  Al-farrä  erlaubt  auch  bei  diesen  den  Nominativ,  wie  in  dem  Verse : 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  129 

mau    kann    also,    wenn    die   Construction    mit    dem    ersten 

Nomen  vollendet  ist,  ebenso  gut:  K+&)  (wlä  '<^>)  <j'  ch^i 

als:  ;y+£;    1*°^    ^»)   cV   v^*-*r   sagen. 

Einige  Grammatiker  wollen  den  Unterschied   statuiren, 

af 
dass  wenn  ,ji  nach  einem  Verbuni  cordis  J)  stehe,  das  An- 
gefügte im  Nominativ  stehen  könne  (wie  in  dem  gegebenen 
Beispiele),  weil  es  an  der  Stelle  eines  Sazes  stehe,  wenn  es 
aber  auf  ein  anderes  Verbum  folge,  so  müsse  es  in  den 
Accusativ  gesezt  werden,  weil  es  dann  die  Stelle  eines 
Einzelbegriffs    vertrete ,    man    dürfe    also    z.  B.    nur   sagen : 

*y+&2    (VJvJi   ftXjv   jj!   ,^*-*o    ).      Dieser  Unterschied   beruht 

darauf,    dass  die  Verba  cordis  auch  ohne  jede  Rection  con- 
struirt  werden   können    (s.  darüber  Alfiyyah  V.  211 — 213), 


„0  wäre  ich  und  du,  o  sanft  anfühlende,    in  einem  Städtchen,  in 
dem  kein  Genosse  ist!" 

«f 

Einige  wollen  hier  das    oo!  wegerklären,    indem  sie  es  als   Hral 

fassen  =  ^uo   cof.  .     S.  Näsif,  1.  c.  p.  W,  L.  10. 
% 

1)  Die  Verba  cordis  theilen  die  arab.  Grammatiker  in  zwei  Arten: 

1)  in  solche,  welche  auf  etwas  Gewisses  hinweisen,  nämlich:  {gsö  5 
^!x  ,  jv-Lft ,  l\=t»*  und  aJuü*  ;  und  2)  in  solche,  welche  auf  das 
überwiegend  Wahrscheinliche  hinweisen,  nämlich:  Jüiä>,  l3t,  ^-a.**^, 
JLi,    jv£),    ^Jo,    ji,    J^ö. 

2)  Die  arab.  Grammatiker  lösen   solche  Säze  auf  durch:       a*JLj 

4*)  r% 


130        Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

das  Angefügte  kann  darum,   obschon  der  vorangehende  Saz 

in  grammatischer  Abhängigkeit  von  jjf  steht,  wieder  zn 
einem  unabhängigen  Saze  zurückkehren ,  während  nach 
einem  andern  Verbum  dies  nicht  gestattet  ist,  das  An- 
gefügte vielmehr  nur  als  Einzelbegriff  betrachtet  werden 
kann  Der  Sprachgebranch  indessen  hat  diese  grammatischen 
Finessen  nicht  beachtet,  sondern  ist  mehr  nach  allgemeineren 
Analogien  verfahren. 

Wenn  jedoch  ein  Nomen  angefügt  wird,  ehe  der  Saz 
vollendet  ist  (durch  Sezung  des  Praedicats),  so  darf  dieses 
nur    im  Accusativ   (und    nicht   im  Nominativ   stehen,    weil 

öT 

tjf  aus  Gründen,  die  wir  später  sehen  werden,  eine  straffer 
unterordnende  Kraft  besizt;  man  darf  also  z.  B.  nur  sagen: 

Statt  dem  ^i  und  ^jt  ein  Nomen  unterzuordnen,  kann 

t-u  >  - 

man  an  sie  auch  das  ^jUcJI  yt^o  l)  (das  Pronomen  der 
Sachlage)  als  Nomen  anfügen,  das  sichtbare  Nomen 
bleibt  dann  im  Nominativ,  weil  das  angehängte  Pro- 
nomen    der     Sachlage     das     eigentliche     Subject     vertritt, 

dessen  Praedicat  der  nachfolgende  Saz  ist ,  z.  B. :  &3f 
$U#f3  aJJf  &of  ,  „fürwahr  die  Magd  Gottes  geht  fort" 
(wörtlich:  ,, fürwahr  es  ist  das:  die  Magd"  etc.);  *3J  <^^Xc 
jvjU  i\j>\  ,  „ich  weiss  dass  Zaid  steht'1  (wörtlich :  „ich  weiss 
dass  es  das  ist:  Zaid"  etc.). 


1)  Das   ,jL*Jf    f£4-o   ist    immer    das  ^Pron.    suff.    der    dritten 

Person  sing.  masc. ,   indem  es,   im  Sinne  eines  Neutrums,   den  ganzen 
folgenden  Saz  anticipirt. 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  131 

Aufgehoben  wird  die  Rection  von  ,jj  und  seinen 
Schwestern  in  zwei  Fällen: 

a)  Wenn  das   KilxJI   Lo ,   das  die  Rection    verhindernde 

ti ,  im  Gegensaze  zu  &lyCj+i\  Lo ,  dem  relativen  Lo .  un- 
mittelbar mit  diesen  Partikeln  verbunden  wird1);  sie  kom- 
men  dann   nicht    mehr    speciell    dem    Nomen    zu,    sondern 

können  auch  vor  Verba  treten.  Man  sagt  also:  bJ!  UM 
äaaamJÜ!  3 ,  „fürwahr  Wucher  ist  im  Aufschub  (der  Be- 
Zahlung)41,  tX^lj  xJJ!  Uil,  „Gott  ist  nur  Einer4'2).  Lät 
c>oJj  aJ!  ä-U!  Uj!  ^JI^^ä^j  ,  „es  wird  nur  mir  geoffen- 
bart, dass  Allah  ist  Ein  Gott14. 

Einige  Grammatiker  jedoch,  so  Az-zajjäji,  lbn  Sarräj, 
Al-a#fas  und  Al-kisäi  wollen  auch  unter  diesen  Umständen 
die  Rection  dieser  Partikeln  gestatten,    so  dass  man  sagen 

könne :    UjUj  I^Xjs   Ui[ ;    dies   sei   besonders  der  Fall   nach 

Uil^,  UXy  und  U-ulI ,  weil  diese  Partikeln  der  Bedeutung 
eines  Verbums  sich  mehr  nähern  und  den  Inhalt  des  Sazes 
beeinflussen. 


1)  Nur  L»JüJ    macht  eine  theilweise  Ausnahme,  da  nach  ihm  die 

Rection   von  ouJ   bleiben   oder   auch   wegfallen   kann,    z.  B.:   L»JüJ 

°«>i       9<"'  6<^i      *  *•"    1  —  °7 

|Wl3   Ju\  oder  ^J3   fjuv    LäjJ  . 

,-65 

2)  l+jl  kommt  nur  noch  selten  als  corroborative  Partikel  vor 
(manche  Grammatiker  bestreiten  diese  Bedeutung  von  l+j!  ganz),  meist 
als  w«ää.  Jp;  als  Partikel  der  Einschränkung,  wobei 
das  eingeschränkte  Wort  immer  am  Ende  des  Sazes  stehen  muss. 


132         Sitzung  der  philo». -philo!.  Classe  vom  5.  Mai  187 7. 

b)  Wenn  ,j£  und  ,j'  zu  <j£  und  ^j'  verkürzt  (oder 
(wie  die  Grammatiker  sagen)  erleichtert  werden.  In  diesem 
Falle  muss  jedoch  in  Säzen  mit  ^  dem  Praedicat  (sei 
es  Nomen  oder  Verbum)  u  (wovon  später,  vorgesezt  werden, 
um  das  aus  <j^  erleichterte  ^[   von    dem  negativen  <j[   zu 

S        -r  -      G  o  -      o 

unterscheiden  *).      Man    sagt    also:   v_A#fJJ   tX^S   ^;J ,    ,,für- 


1)  Die  arabischen  Grammatiker  streiten   darüber,    ob   dieses  Läm 
das    sljuü^l    *^l    sei,    das    zur   Unterscheidung   zwischen   dem   ver- 

o  CS   | 

neinenden  ..J  un(l  dem  aus  ,.«!  erleichterten  eintrete,  oder  ob  es  ein 
anderes  Läm  sei ,  das  zur  Unterscheidung  (des  Praedicats  etc ,  siehe 
unter  2)  beigezogen  werde.  In  einzelnen  Fällen  richtet  sich  darnach 
die  Lesart  von  ^»1 ,  wie  in  dem  Saze :  ULo«^J  ou.5  ,jt  Lu-Le.  (X':  • 
Nimmt  man   ^«1    als  ©fj^ü^ff    **$  ,  so  muss  man  ^%\   lesen,  weil  das 

sfjoCj^l  *^  nur  mit  ^1  und  dem  daraus  verkürzten  .j!  stehen 
darf}  hält  man  es  aber  für  ein  anderes  Läm  zur  Unterscheidung,  so 
liest  man  ^%f .  Al-farisi  behauptet  ausdrücklich ,  dass  dieses  Lam  von 
dem  sS  JüLj^I  *^  verschieden  sei  und  zur  Unterscheidung  diene ;  darum 
nennen  es  einige  Grammatiker  schlechthin  &i\UÜf  *^Uf  (s.  Näsif, 
I.  c.  p.  r* ,  L.  8). 

Unter  diesem  verstehen  also  einzelne  arabische  Grammatiker  etwas 
anderes  als  das  &joLd! »  &ftÜfcJI  ^  ^ju  &>\U  J$ ,  denn  dieses 
leztere  ist  wesentlich  identisch  mit  dem  sfjüJ^f  a^,   das  diese  nähere 

Definition  nur  dann  erhält,  wenn  ^%]  am  Anfang  des  Sazes  steht.  Der 
Commentar  des  Ibn  *AqIl  zu  Alflyyah  V.  190.  101  lässt  darüber  keinen 


Trumpp:  Beiträge  zur  ardbischen  Syntax.  133 

wahr  Zaid  gebt  weg";  ^j^dü?  LoJJ  *a*ä.  W  Jo  jjy» 
„und  fürwahr,  ein  jeder  wird  versammelt,  sie  werden  zu 
uns  gebracht".  (Qur.  36,  2).  Das  Lo  von  LJ  ist  hier  ex- 
pletiv  (SiXSK  Lo)  und  J  gehört  eigentlich  zu  /V^»  als 
dem  Praedicat.  Unrichtig  ist  desshalb  die  Auffassung 
von    Wright    (Arab.    Gramm.    II,    p.    88,     Rem.    e),    der 

£*b+2*  UJ   als  Apposition  zu   eP    betrachtet,  was  gegen  die 

Regel  ist  (cf.  Muf.  p.  IPa,  L.  2.  De  Sacy,  Anthol.  gram, 
p.   104,  L.  12». 

Nur  selten  behält  dieses  abgekürzte  ^f   seine  ursprüng- 
liche Rectionskraft  bei,    wie  Sibavaih  und  Al-a/fas  berich- 

ten,  z.  B.  iJ^XkXjc   f  w»x   ,j!  .     In  diesem  Falle   ist  die  Sez- 
ung  des  Läm  nicht  nöthig,    weil  keine  Verwechselung  mit 
dem  negativen   (j£  möglich  ist,  wie  in  dem  Halbverse: 
(j^UJI  rLr  oofc'  viJULo  ^ 
„Fürwahr  der  Stamm  Mälik  ist  edel  an  Ursprung." 
Doch  kann  es  auch  stehen,  wie  in  der  Qur'änstelle  11,   113: 
l*^JUx!   v*L.    p^JUi^xl   LJ  ^S'  iji;  -    «Und    fürwahr,    dein 
Herr  wird  sicherlich   allen  vergelten    nach  ihren  Werken." 
Die  beiden  Läm  erklärt  Baidävl  dahin :   *^y°    tj;^    pjUI 


Zweifel;  ebenso  drückt  sich  auch  Nasif  aus  (1.  c.  p.  P*d,  L  6  sqq.  Die 
Definitionen,  die  Wright  (I,  p.  316)  und  neustens  noch  Fleischer  (Bei- 
träge zur  arab.  Sprachkunde,  V,  p.  93)  davon  gegeben  haben,  sind  darum 
schärfer  zu  fassen ,  wenn  man  die  arabischen  Grammatiker  nicht  miss- 
verstehen will.  De  Sacy  (Gr  arab.  I,  §  1117,  3)  hat  daher  nicht  Un- 
recht, obschon  er  die  andere  Seite  der  Definition  übersehen  hat. 


134  Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  5.  Mai  1*77 

AxäUJJ  äajuJIj  |*a*JÜJ,  ,,<Jas  erste  Lnm  bereitet  den 
Schwur  vor  und  das  zweite  dient  zur  Bestätigung.11  Das 
Lo  von  LJ   ist  expletiv,  wie  oben  *). 

Das  aus  <j[  verkürzte  ^f    kann  auch  vor  ein  Verbum 

(und  zwar  meist  nur  im  Perfectum,  selten  im  Imperfectum) 
treten.  In  diesem  Falle  darf  jedoch  das  Verbum  nur  ein 
solches   sein,    das    das  Mubtada'  und  Xabar   abrogirt,   also 

entweder  eines  der  unvollständigen  Verba  (Juai'Lüf  jLxi^lj. 

oder  eines  der  Verba  cordis  (v-^-UJI  JL*il).     Denn  ^\  tritt 

sonst  nur  vor  ein  Mubtada*  und  Xabar  und  wenn  es  dann 
weiter  in  Folge  seiner  Verkürzung  auch  vor  ein  Verbum 
zu  stehen  kommt,  so  darf  das  nur  ein  solches  sein,  welches 

einem  Mubtada*  und  Xabar  voranzugehen  pflegt,    wie   <jbf, 

,jJs  etc. ;    dass   vor    dem   Praedicat    oder  dem   seine  Stelle 

Vertretenden  in  diesem  Fall  immer  J  steht,   ist  schon  be- 

merkt  worden,  wie:   UjUU   xZJJjb  ^f ,  „fürwahr,  ich  hielt 

ihn  für  stehend";    UtoloJ    ^üd\    ^    ,j|,    „fürwahr    der 

Jüngling  ist  wahrhaftig".  Nur  selten  kommt  dieses  ^y 
vor    einem    das    Mubtada'    und    Xabar    nicht    abrogirenden 


1)  Bei  Wright,  der  dieses  Beispiel  auch  anführt  (Arah.  Gram.  II, 
p.  88,  Rem.  e)  vermissen  wir  wieder  jede  nähere  Erklärung  über  dieses 
doppelte  Lam,  wie  überhaupt  seine  Bemerkung,  dass  ^f  immer  von 
J  gefolgt  sei,  es  ganz  im  unklaren  lässt,  wohin  denn  dieses  Läm  zu 
stellen  ist.  Siehe  weiter  über  diesen  Punct  De  Sacy,  Anthol.  gram.  83, 
L.  7  v.  u.,  und  p.  206,  note  92. 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  135 

Verbum  vor;  in  diesem  Falle  muss  jedoch  immer  das 
xa\li  *^  entweder  vor  dem  ckcli  oder  dem  »f  JjJl&jo 
stehen,  um  jedem  Missverständnisse  vorzubeugen,  z.  B.: 
viLwuÄAj  düü  jjj,  „fürwahr,  es  schmückt  dich  deine  Seele11, 
ü^  Jj  ^ , ,, fürwahr,  es  stand  ich",  oder :  U-LwmJ  oJj&*  ^ , 
„fürwahr    du   hast    einen   Muslim    getödtet".     Regiert  ein 

Verbum  zwei  Objecte,  so  muss  das  Läm  vor  dem  zweiten 

tf  *-"1    "1""  i/    '   oSi''   "i 

stehen,  wie:  Lb^wwJ  dLoo   ojlo  jjj^,  „fürwahr,  ich'peitschte 

deinen  Schreiber";  ijjJu».uJ  f^y^l  ^<^j  c45'  «fürwahr, 
wir  fanden  die  meisten  von  ihnen  als  Uebelthäter  (cf.  Muf. 
p.  138). 

Wird  dagegen  <jf  zu  (jf  erleichtert ,  so  nehmen  die 
arabischen  Grammatiker  immer  eine  Elision  des  ,jLül  u^ 
an,  so  dass  <jf  statt  *J'  steht.  Sie  behaupten  darum,  dass 
,jf  seine  Rection  nicht  aufgebe  (wie  ,jJJ,  sondern  dass  das 
Praedicat  (des  ausgelassenen  Nomens  von  ^J,  also  aj  ein 
Saz  werde;  z.B.  den  Saz  |*AS  tXj\  ,j!  o»*Xc  lösen  sie  durch 
|V->U  Jo\  aM  auf.  Der  Grund  liegt  darin,  wie  Näsif  weiter 
ausführt,  dass  <j»  dem  Verbum  der  Bedeutung  nach  näher 
stehe,  weil  der  durch  ,j!  (resp.  <j0  eingeleitete  Saz  sich 
durch  ein  Verbalnomen  auflösen  lasse  (—  J->^  pLö  cy-i-lc)  )• 


1)  In   der  Poesie   tritt  manchmal,   des  Verszwanges   wegen,   das 
Pronomen   (als   Nomen    von   .jf)   auch   an   die   abgekürzte  Form   ^j! , 
[1877.1.  Phil.  hist.Cl.  2.]  10 


136  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

Ist  es  ein  Nomin  alsaz,  so  bedarf  es  keiner  Trennung s- 

9 

partikel  fJ^oLi),  da  dabei  keinerlei  Missverständniss  zu 
befürchten  ist,  wie  in  dem  zulezt  angeführten  Saze;  nur 
wenn  der  Saz  negativ  ist.  wird  die  Negation  dazwischen 
gesezt,  wie  in:  y&  SM  *-'»  y  \^yji  ^und  dass  es  keinen 
Gott  gibt  ausser  ihm". 

Ist  es  aber  ein  Verbalsaz,  so  muss,  um  dieses  leichte 
^f  von  dem  Masdar-artigen  <jl  zu  unterscheiden,  eine 
Trennungspartikel  nach  ^f  eingefügt  werden *),  wenn  das 
Verbum  vollständig  flectirbar  ist  (o^a-koj.  Solcher 
Trennungspartikeln  zählen  die  arabischen  Grammatiker  vier 

auf:  1)  <Xs ,  wie:  v^  y**  ^°  ^^  &*  U-  ^><Xg-«£ , 
,,ich    bezeuge,    dass    das    schon    geschrieben    ist,    was    er 


«??-         .o?    or-- 


wie:  ^JuJLw  dlif  Jli ,  „wenn  (es  also  das  gewesen  wäre 
du  mich  gebeten  hättest."  (Cf.  Ibn  *Aqil  zur  Alfiyyah  V.  193).  Näsif 
sagt  jedoch  ausdrücklich  iL  c  p.  f*d ,  L.  9  v.  u.),  dass  dies  in  Prosa 
nicht  gestattet  sei   (*LüCä.^I|    £   \*si    ^1). 

1)  Diese  Partikeln  werden  darum  nach  dem  leichten  .jf  gesezt, 
weil  sie  nicht  zwischen  dem  Magdar- artigen  ^»f  und  seinem  Verbum 
vorkommen ,  so  dass  auf  diese  Weise  ^f  nothwendig  als  aus  ^j!  ver- 
kürzt  aufgefasst  werden  muss.  Unter  dem  Masdar-artigen  ^%\  verstehen 
die  Grammatiker  &yoLüf  ,jf  und  das  ^»| ,  das  ohne  Rection  vor 
einem  Perfect  steht.     S.  De  Sacy,  Anthol.  p.  ftt ,  L.  3,  sqq. 


l'rumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  137 

schreibt".       2)    Die    Partikeln     der     Erweiterung    (ü^ 

,°"  II  *  ".° "  i"     1°"     °^     r  o*° 

fj^JüJu] J,  i.  e.  <j*  und  Cl^i ,   z.  B.  ^'b    Oj-»*    (j!    *-Lc!  £ 

\iX2  Lo    Jj  ,    „und    wisse ,    dass   alles    kommen    wird ,    was 

vorher  bestimmt  ist4'.    3)  Eine  Negation  (^ ,  JjJ,  *J),  wie: 

„Und  begrabe  mich  nicht  in  der  Wüste :  denn  ich  fürchte, 
ich  werde,  wenn  ich  gestorben  sein  werde,  sie  nicht  ge- 
messen."  xxiuot  a+s*.  £jJ  ,j!  jjLaojM  Ouwwdgf^  „raeiut 
der  Mensch,  dass  wir  keineswegs  seine  Gebeine  zusammen- 
bringen werden?"  (Qur.  75,  3).  4)  Die  hypothetische  Par- 
tikel  y ,  was  aber  von  einigen  Grammatikern  nicht  zu- 
gegeben wird  (das  Muf.  z.  B.  erwähnt  dieselbe  gar  nicht); 
z.  B.  ,j!    L^ijel    Jju  J^o  ^^1    ^jSo   ch?^  <Xfc>  jliJjl 

*h&M4*J  (?Lüwof  iL*o  y ,  „und  haben  es  nicht  denen,  die 
das  Land  nach  seinen  Bewohnern  erben,  sie  (i.  e.  die  Ein- 
wohner) es  klar  gemacht,  dass  wenn  wir  wollten,  wir  sie 
treffen  würden  für  ihre  Sünden."  Qur.  7,  98).  Näsif  geht 
darum   zu   weit ,    wenn    er   1.  c.    p.  Y*t ,    L.  2    v.    u.    sagt : 

Jowau  slof  ^1 ,  was  vermuthen  Hesse,  dass  man  so  auch  ^ 
gebrauchen  dürfe,  was  aber  nirgends  erwähnt  wird. 

Es  ist  übrigens  noch  zu  bemerken,  dass  die  Trennung 

durch  y  schwach  ist,   da  jj!  in  diesem  Falle  seine  Rection 

f      > 
(als  Conjunction)   beibehalten  kann;    der  Saz:  ^!   Ij-^ä».^, 

ÄxÄi  <j^£j>  ^ ,    „und    sie   meinen ,   dass .  kein    Unglück  ein- 

10* 


138  Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 
treten  werde",  wird  daher  mit  Indicativ  und  Subjunctiv 
von  ^y&  gelesen  (cf.  Muf.  p.  ft"A ,  L.  2  v.  u.).  Dieser 
Umstand  wird  verschieden  erklärt.  Entweder  wird  ^  als 
J-oLi  gefasst  und  demgemäss  ^jf  =  *J» ,  oder  aber  wird 
!^aa^  im  Sinne  von  i*^fc  und  ^jJö  (als  etwas  Gewisses, 
in  ihrem  Herzen  Feststehendes)  genommen.  Folgt  nämlich 
,jf  uach  (JLß  und  solchen  Verben,  die  etwas  Gewisses 
(objectiv  oder  subjectiv)  bezeichnen ,  so  tritt  der  Indicativ 
ein  (für  den  Fall  des  Imperfects),  weil  man  annimmt,  dass 
jjjl  für  jjt  stehe  und  dass  das  Nomen  davon  ausgefallen 
sei  *).  Folgt  dagegen  ^j!  nach  ^jJo  und  ähnlichen ,  die 
etwas  überwiegend  Wahrscheinliches  bezeichnen,  so  kann 
der  Indicativ  oder  Subjunctiv  stehen  (im  lezteren  Falle  ist 
dann  <j!  Conjunction  ;  (s.  Alfiyyah  V.  677  und  678  c.  Com. ; 
De  Sacy,  Anthol.  p.  170  und  208,  note  100).  Sama/saii 
bemerkt  daher  im  Mufassal  (p.  tt"A ,  L.  8  v.  u.)  mit  Recht, 
dass  das  schwere  und  das  daraus  erleichterte  jj»  nur  dann 
stehen  könne,  wenn  das  Verbum,  das  ihnen  vorangehe,  mit 
ihnen    in    der    Gewiss heit    zusammenstimme    ((J^aä^   £ 


1)  In  diesen  Fällen  bedarf  es  natürlich   keiner  Trennungspartikel, 

z.B.:   JL*y   *Jarb    UjLmO    ^f    J-ö    IjOLs:  ^Xo^j   ^j!    I^Xc , 

„Sie  wissen,  dass  man  auf  sie  hofft,  darum  geben  sie,  ehe  sie  gebeten 
werden,  das  höchste  um  was  man  bitten  kann."  Cf.  Alf.  V.  195,  Com. 
Die  Uebersezung  Dieterici's  (Alf.  p.  99)  hat  den  Sinn  verfehlt. 


IVumpp'.  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  139 

4-«Uj  <j»  v^^Ä-J),  wo  dies  nicht  der  Fall  sei,  wie  bei 
den  Verben  **b) ,  ^ä^'j  olaJ  etc.,  könne  ^f  nur  als 
Subjunctivpartikel  (iüwoü)  vorkommen.  Aber  auch  nach 
Verbis  der  lezteren  Gattung  wird  hie  und  da  das  Nomen 
von  <jf  ausgelassen ,  ohne  dass  das  leichte  ^  als  Sub- 
junctivpartikel  construirt  wird,  z.  B.  *j£3  ^jf  cX^f,  „ich 
will,  dass  du  aufstehest".  Die  Grammatiker  erklären  diese 
Construction  auf  verschiedene  Weise.  Sie  nehmen  ent- 
weder eine  Auslassung  der  Trennungspartikel  an  oder  fassen 
(jf  als  gleichbedeutend  mit  JU)<X*a-Jf  Lo  und  lösen  es  mit 
seinem  Verbum  in  ein  Verbalnomen  auf.  Siehe  darüber 
Alfiyyah  V.  195  und  V.  679,  cum  com. 

Die  Trennungspartikel  wird  nach  jjf  weggelassen, 
wenn  das  Verbum  nicht  vollständig  flectirbar  ist 
(o^awo  ~K£.  oder  lV-*Lä-  ,  d.  h.  ein  Verbum,  das  nur  Ein 
Tempus  und  kein  Verbalnomen  hat),  wie  ij^j  ,  ,£»*£■  etc., 
z.  B.  ^5**w  L*  ^1!  (jLwJ^J  ijujJ  <j!  ^ ,  „und  dass  der 
Mensch  nichts  hat,  ausser  was  er  erwirbt"  (Qur.  53,  40), 
weil  hier  kein  Missverständniss  obwalten  kann.  Oder  aber 
auch  nach  einem  vollständig  flectirbaren  Verbum,  wenn  es 
einen  Wunsch  ausdrückt,  wie  in  der  Qur  anstelle  7,  29, 
nach  der  Lesart:  L^lir  adJ!  yudi  ,j!  xw>li!j,  „und 
das  fünfte  (Zeugniss)  ist,  dass  Gott  über  sie  zürnen  möge !" 

Die   küfischen    Grammatiker   lassen   <jt    (wie   auch  \j*) 


140         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

schlechthin   nichts  regieren,   weder  etwas  wirklich  Geseztes 
noch  etwas  Supponirtes. 

In  gewissen  Fällen  wird  <j»  von  den  arabischen  Gram- 
matikern  als  *t\jf)  i.  e.  als  p  1  e  o  n  a  s  t  i  s  c  h  betrachtet.  So 
wenn  es  nach  UJ  (iU-ui!  UJ)  steht,  z.  B«  *li  ,jf  Q 
^wxll )  „nachdem  der  Bote  gekommen  waru ;  selten  nach 
!<M,  was  darum  von  den  Grammatikern  gewöhnlich  nicht 
erwähnt  wird;  z.  B.  <X>  ^üw  äjö  ^f  !<M  ^b.  iüL^oLi 
-x»Lc  £=UJ!  &i  £,  „Und  ich  lasse  ihn  gehen,  bis  wenn  er 
in  der  Tiefe  des  Wassers  versinkt,  als  ob  er  ein  die  Hand 
darreichender  wäre"  (s.  Lane,  Arab.  Dict.  I,  p.  106). 
Ferner  wenn  es  zwischen  y  und  einem  vorangehenden 
Schwur  steht,  sei  das  Verbum  des  Schwurs  ausgedrückt 
oder  nur  supponirt,  wie:  o*2  <X?S  Jj  y  ^jt  &-Utj  (oder 
p****!),  „(ich  schwöre,  oder:)  bei  Gott,  wenn  Zaid  auf- 
gestanden wäre,  wäre  ich  aufgestanden".  In  diesen  drei 
Fällen  ist  ,ji ,  stricte  genommen,  nicht  pleonastisch,  sondern 
die  Ausdrucks  weise  ist  etwas  breit  und  darum  elliptisch, 
z.  B.  ^  UJ  —  ,jl  ^J6  UJ,  ebenso  <jl  <jK  l«3t ;  in  der 
Antwort  des  Schwures  kann  ohnedies  <ji  stehen,  wie  wir 
später  sehen  werden.  Auch  nach  dem  vergleichenden  iJ 
soll  ,j'  hie  und  da  pleonastisch  stehen,  ohne  die  Rection 
von  ^  aufzuheben;  ein  Beispiel  davon  werden  wir  weiter 
unten  sehen. 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  141 

^j!   wird   auch   als   8U*üm   oder  als  explicative  Partikel 

°  r 

im  Sinne  von  ^5!  definirt,  nach  einem  Saze  der  den  Sinn 
von  „sagend"  (^oU)  in  sich  begreift,  wenn  auch  nicht  mit 
Worten  ausgedrückt,  so  dass  ^1  nur  das  Einführungs- 
zeichen der  Rede  selbst  ist  (wie  das  persische  &^s),  ohne 
jedwelche  Rection ;  dazu  gehört  aber,  dass  der  vorangehende 
Saz  vollständig  sei,  wie:  viliAJ!  ^Lol  ^jj  xJj|  LUä^!  ^ 
„und  wir  haben  ihm  geoffenbart  (sagend) :  baue  das  Schiff." 
Ist  der  vorangehende  Saz  dagegen  nicht  vollständig  in  sich, 
so  ist  jjl  als  aus  ,jt  erleichtert  zu  betrachten,  weil  es 
die  Aussage  zu  dem  Subject  einführt,  z.  B.  <jf   (?LdO   t^'j 

nJJ  cX^i-l ,  ,,und  das  Ende  ihres  Gebets  ist  (das),  dass  (es) 
das  Lob  Gottes  ist  =  das  Lob  Gottes".  l)  Ferner  darf 
jjf  nicht  mit  einer  Praeposition  verbunden  sein,  wie  in  dem 
Saze:  J*i!  <jb  äjJ£  oy*o,  ,,ich  schrieb  ihm,  thue!" 
weil  eine  Praeposition  nur  vor  ein  Nomen  oder  etwas 
anderes  treten  kann,  das  sich  in  ein  Nomen  auflösen  lässt; 
cMtit  ^jL>  ist  daher  gleichbedeutend  mit  JÄ&>,  indem  das 
Masdar  im  Sinne  eines  Imperativs  steht. 


1)  Siehe  De  Sacy,    Anth.  gram   p.  m*,  L.  1  sqq.     Auch  Baidävi 
erklärt  es  so    (I,  p.  f*1);  er  sagt:    iX^suiS    ^jjo    aLfti^sJ!    (-#   ,jfj 

.  tX*ü   v^iaj  j   Lg.?   ^5^.5   cXi'j 


142         Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

Bemerkung.     Wie  jj»  kann  auch   <jD    zu   <jO    er- 
leichtert  werden ,    indem   sein  Nomen   ausgelassen   und  der 

nachfolgende    Nominalsaz    zu    seinem    Praedicate    gemacht 
•H>      9^      «J;  o^ 

wird,  wie:  jwU>  tX->\  ,jo  ,  „als  ob  Zaid  stünde".  ,jD 
kann  jedoch  seine  Rection  auf  das  folgende  Nomen  auch 
beibehalten,  wie  in  dem  oft  citirten  Verse: 

„Und  mancher  Busen  *)  von  glänzendem  Halse,  als  ob 
seine  zwei  Brüste  zwei  Büchsen  wären." 

Wir  haben  schon  bemerkt  (S.  140),  dass  manche  Gram- 

°f  1 

matiker  das  ^y  nach  *J  auch    als   pleonastisch  fassen   (wie 

La)  und  ,jO  demgemäss  sogar  mit  dem  Genetiv  verbinden. 
Zama^sari  führt  daher  im  Mufassal  (p.  IM ,  L.  3  v.  u.)  einen 
Halbvers 2)  an ,  in  welchen  nach  ^o  drei  Constructionen 
zulässig  sind: 

li-LywJf      wob      j!     JbJIS     &uJö     jjfe' 

„Wie  eine  Gazelle,  die  ihr  Haupt  erhebt  zu  dem  frisch- 
grünen (Blatte)  des  Salam-Baumes." 


s  •  - 


1)  Nasif,  1.  c.  p.  |V|,  L.  11  v.  u.  liest  jj^o«,  das  »  hier  je- 
doch  ist  <_?*  «L  und  erfordert  darum  den  Genetiv.  So  wird  es  aus- 
drücklich in  den  Jjßl^i  zur  Alfiyyah,  V.  196,  erklärt.  Vergleiche 
damit   die  Lesart  im  Mufassal,   p.  It"*),  L.  5.  v.  u.,   i*y£jo    n<Xo  ► 

2)  Der  ganze  Vera  ist  in  Lane's  Arab.  Dict.  I,  p.  106  citirt. 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  143 

Ist  der  auf  ^jtf   folgende  Saz  ein  Verbalsaz  mit  einem 
vollständig  flectirbaren  Verbum,  so  muss  er,  wenn  er  positiv 

ist,   durch   Jö ,  und  wenn  er  negativ  ist,    durch  *J    ein- 
es^- »  *- 
geleitet    werden,    um   das   aus   jjfc'  verkürzte  <jl^  von  dem 

Masdar-artigen   ^f ,   dem  das  ^J  der  Vergleichung  vortreten 

kann,  zu  unterscheiden,  z.  B.  v^J!^  4\S  (joj,  ,,und  (es  war) 

als  ob  sie  schon  fortgegangen  wären"  (s.  Alfiyyah,  V.  196, 

Com.) ;    ^wo^L)  vjjü*   *J   jjfe' ,  „als  ob    (es  das   wäre  dass) 

sie  gestern  nicht  existirt  hätten  (Qur.  10,  15). 

i  i 

Wenn  dagegen  ^jXJ   zu  j%X!   verkürzt   wird,    so   hört 

seine  Rection   absolut  auf,    weil  es  dann  mit  dem  conjunc- 

i 
«tiven   JvXU   dem  Wortlaut  und  Sinne   nach   zusammenfällt. 

Um  jedoch  das  aus  ^jXJ  verkürzte  ^ü  von  dem  conjunc- 

tiven   J^XJ    zu    unterscheiden,    soll    es    nach    Näsif    (1.    c. 

p.  P»v ,  L.  7)  gut  sein ,  ihm  noch  j  vorzusezen,  weil  das  j 
nicht  vor  eine  ähnliehe  Conjunctionspartikel  treten  dürfe; 
doch  komme  es  manchmal  auch  ohne  ^  vor.    — 

2)  Mit  Rücksicht  auf  das  Praeclicat 

ist  noch  folgendes  besonders  zu  beachten: 

a)    Wenn    in    einem    Nominalsaze    das    Subject    und 
Praedicat   determinirt   sind,    so   sezt    man,    damit    das 

Praedicat  nicht  als  &suc  des  Subjects  genommen  werde,  das 

Pronomen  der  dritten  Person  (als  J-o.aJI   v-v^j    Pronomen 

der  Trennung)  dazwischen,    z.B.   (Jjif   y»    ä-1)I  ,    „Gott  ist 


1  I  1  Sitzung  der  philos.-p/iüol.  Clause  vom  5.  Mai  1877. 


t- 


die  Wahrheit'4.  Wenn  nun  jjl  und  ,jf  dem  Subjecte  vor- 
treten, so  ist  ein  solches  Trennungspronomen  an  sich  nicht 
nöthig,  weil  kein  Missverständniss  wegen  der  Verschieden- 
heit der  Casus  zu  befürchten  ist,  doch  wird  es  gewöhnlich 
gesezt  (und  inuss  dann  mit  dem  Nomen  congruiren,  auf  das 

es  sich  bezieht),  z.  B.  JyÄ^  )'«*  ^  Swi^f  ^ ,  „fürwahr 
die  zukünftige  Welt  ist  die  dauernde  Wohnung",  besonders 
wenn  das  Adjectiv  mit  dem  Artikel  verbunden  ist,  wie: 
jwläJf  y&  Ijös   <j£,  ,, fürwahr  Zaid   ist   der   stehende".     Ist 

es  St  ? 

das  Nomen  von  ^A    und  ,j!    ein    Pronomen    suffixum ,    so 

lässt  man  das  Praedicat,  wenn  es  determinirt  ist,  nicht  un- 
mittelbar folgen,  sondern  sezt  ebenfalls  ein  Pronomen  ab- 
solutum  dazwischen,  das  sich  nach  dem  Pronomen  suffixum 

zu  richten  hat,  wie:  £x*^Jt  cö!  vib! ,  „fürwahr  du  bisf 
der  Erhöreru;  ^j  ^Jl  )y**^  ^  ^  v5^^  &** 
*aW!   JtXiJt  y&  ^jf<Xfc,   „benachrichtige    meine    Knechte, 

'^ass  ich  der  vergebende  und  barmherzige  bin,  und  dass 
meine  Strafe  die  schmerzliche  Strafe  ist",  (Qur.  15,  49). 

Wo  dagegen  das  Praedicat  nicht  (durch  den  Artikel  etc.) 
determinirt  ist,    wird   das   Pronomen    absolutum   nicht   da- 

zwischen  gesezt,  z.B.:  elctXJ!  ,*£4-w  viLä]^ ,  „fürwahr,  du 
bist  ein  Erhör  er  des  Gebets"  (Qur.  3,  33). 

05  . 

b)  In  einem  Saze  mit  \Ji  kann  das  verstärkende  Läm 
zu  dem  Praedicate  treten  (und  wird  darum  auch  häufig 
JiLf  J$  genannt).  Dieses  Lam  ist  eigentlich  das  p$ 
ddJLijl  und   sollte   darum,    der  Regel    nach,    vor  das  erste 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  145 

Wort   des  Sazes,    also    auch   vor  <j£  treten;   da  aber  beide 

Partikeln  der  Verstärkung  sind  und  man  nicht  zwei  Par- 
tikeln von  derselben  Bedeutung  zusammenstellt,  so  sezt  man 
das  Läm  zum  Praedicat  zurück.  x) 

Die  Sezung  dieses  Läm  ist  jedoch  gewissen  Beding- 
ungen unterworfen.  Wenn  das  Praedicat  ein  Verb  um 
ist,  so  ist  folgendes  zu  beachten: 

a)  Ist  das  Xabar  von  ^  negativ,  so  tritt  Läm 
nicht  vor  dasselbe ;  man  sagt  also  nicht :  pyb  U-J  !*X^  ^ . 
Nur  in  der  Poesie  kommt  hie  und  da  eine  Ausnahme  da- 
von vor. 

ß)  Ist  das  Xabar  von  ^  ein  vollständig  flectir- 
bares  Verbum  im  Perfect,    so  ist  die  Sezung  von  Läm 


1)   Dieses   Lara   kommt   dichterisch   auch   beim    Praedicate   von 

a   8 

wjO   vor,    wo    man   es   als   pleonastisch   erklärt,    wie  das  Läm  beim 

-  <-£ 
Praedicate  von  ,~*wuot  (s.  Alfiyyah,  V    183,  c.  com). 

Sama/sari  jedoch   (cf.   Muf.    p.  lH,   L.    12)   erklärt   es   in   dem 
Halbverse : 

„aber  ich  bin  aus  Liebe  zu  ihr  gebrochen",    als   eine  Contraction   von 
^joI  JwÖ  ,  wie  auch  in  der  Qur  anstelle  18,  36:  ^j*  xJJf  y&  Liö 

Al-mubarrad  erlaubt  es  sogar  beim  Praedicat  von  ^%\ ,  wie  in  der 
Quränstelle  25,  22,  wenn  man  liest:  JjtlaJI  .jJl^sUJ  l^jf  ^H ; 
die  gewöhnliche  Lesart  ist  jedoch  :  X  ß'^    ^lf . 


146         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

nur  gestattet,  wenn  tXi*  damit  verbunden  ist,  z.  B.:  y*y 
*U  tXüJ  ItX^S,  „fürwahr  Zaid  ist  aufgestanden14.  Ohne 
tXi  findet  sich  Läm  nur  selten,  wiewohl  Al-Kis:ü  und 
Hisäm  dies  gestatten.  Ist  aber  das  Verbuin  im  Perfectum 
unvollständig  flectirbar,  so  kann  Läm  wohl  davor 
treten,  wie  bei  *jü,  \j**j<^  etc.,  obwohl  andere  Grammatiker, 
wie  Sibavaih,  dies  verwehren. 

Steht  dagegen  das  Verb  um  im  Tm  perfectum,  so 
kann  Läm  vor  dasselbe  treten ,  sei  es  vollständig  oder 
nur  unvollständig  flectirbar ,  wie :  <jj<X£*£jJ  pXi|. , 
„fürwahr  ihr  bezeuget"  oder:  *-&JJ  ><Xy  !<Xs}  ,j£,  ,,für- 
wahr  Zaid  gibt  auf  das  Böse".  Wenn  aber  <j*  oder  o^-w 
'vor  dem  Imperfect  stehen,  so  erlaubt  man  gewöhnlich  Läm 
nur  vor  o^u,  selten  vor  (j*-  Steht  statt  des  Verbums 
im  Imperfect  ein  Particip  (activ  oder  passiv),  so  tritt  Läm 

ebenfalls  vor  dasselbe,  wie:  ^y$  'S'fr^^  <5f  15 '  "uud  für- 
wahr, es  hält  mich  ab  mein  Edelmuthu  (Alfiyyah,  V.  180, 
c.  com.) 

Ist   der    Saz    ein   N  o  m  i  n  a  1  s  a  z  ,    so    gelten    folgende 
Regeln : 

a)  Das  Läm  kann  vor  das  Xabar  treten,  wenn  es  in- 

determinirt  ist,  z.  B.   jH^i   )f**^  **W   (j|  • 

/?)    Ist   jedoch    das    Subject    und    Praedicat  durch   das 
Trennungspronomen  geschieden  (s.  oben  2,  a),  so  tritt  das 

Läm  vor  das  Trennungspronomen,  z.  B.  u^uoid!  ^J  ! Ä*>  ^1 


Trutyipp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  147 

<J>Ü,  „fürwahr,  dieses  ist  die  wahre  Geschichte"  (Qur.  3, 
55).  In  diesem  Falle  darf  u  nicht  auch  vor  das  Praedicat 
selbst  treten. 

y)  Steht  das  von  dem  Xabar  Regierte  vor  demselben, 

so  tritt  das  Läm  vor  dieses,  z.  B.  LgJy*£  LJ  ij*J&  <j^  ^ 
s 

JojLä,  „fürwahr,  eine  jede  Seele  —  es  ist  ein  sie  be- 
wahrender =z  jede  Seele  hat  (einen  Engel)  der  sie  bewahrt"  1). 
J^s!   viLoUiiaJ   !t\j\   ^j|,    „fürwahr  Zaid  isst  deine  Speise'1. 

-  -  *      -^.    .-  -  -        ^o-      a 

Man  kann  dagegen  nicht  sagen:  Jj^bf  dLolxiaJ  ItXjv  ,j£, 
weil  in  diesem  Falle,  nach  dem  schon  Bemerkten  (s.  2,  b,  ß) 
die  Sezung  des  Läm  überhaupt  nicht  gestattet  ist.  Hie  und  da 
steht  sogar  das  Läm  zweimal,  sowohl  vor  dem  von  dem  Xabar 
Regierten  und  ihm  Vorangestellten,  als  auch  vor  dem  Xabar 

selbst,  obschon  die  Grammatiker  dies  missbilligen,  z.  B.  ^l 

JLUoJ    ä-UI  <X*saJ ,    „fürwahr,    durch   das    Lob    Gottes   bin 

ich  rechtschaffen".     Steht  dagegen  das  vom  Xabar  Regierte 

nach   demselben ,    so  tritt  das  Läm  vor  das  Xabar  selbst, 

wie:   >ilx>ütiö  Ji^   ItX^S   jj^. 

Auf  diese  Weise  kann  das  Läm  vor  irgend  ein  in  die  Mitte 
gestelltes  und  von  dem  Xabar  abhängiges  Sazglied  treten,  sei 
es  ein  directes  Object  oder  ein  durch  eine  Praeposition  in  den 
Genetiv  gestelltes  Nomen,  oder  eine  Orts-  oder  Zeitbestim- 


mung 


,  wie:    (j^JW-    JtXsS    di\i*J  ^lt>J!   £    ,j|,    „fürwahr, 


1)  Das   Lo    vom    l+j    ist   i JoK  ;  siehe  Baidavi,  II,  p.  flv ,   und 
De  Sacy,  Anthol.  p.  aP,  L.  6  v.  u. 


148         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

Zaid  sizt  im  Hause  bei  dir";  nur  vor  den  Efäi  darf  Lsni 
nie  treten. 

6)  Steht  das  Nomen  von  ^f  nach  dem  X'abar 
(s.  p.  124),  so  tritt  das  Läm  vor  das  Nomen  selbst,  wie: 
^LyLftJ  aLw  ^t>  ^jJI  wjlwcJu  ^t,  „fürwahr  in  der 
Schlucht ,  welche  unterhalb  Saba  ist,  ist  ein  Getödteter  *) ; 
,jja*x>  wyß  N^>3  wJ  ijj,  „fürwahr,  du  hast  einen  un- 
unterbrochenen Lohn"  (Qur.  68,  3). 

Wir  haben  nun  noch  zu  betrachten : 

JJ7.  Den  Unterschied  zwischen  ^  und  jj' . 

Es  kommen  dabei  drei  Fälle  in  Betracht:  1)  die  noth- 
wendige  Sezung  von  jjj ;  2)  die  von  ,j»,  und 
3)  die  Möglichkeit  von  ^J  und  <j' • 

Der   Grundunterschied    beider  Partikeln   ist   der,    dass 

SS 

,jt  einen  selbstständigen  Saz  einleitet,  der  nicht  von 
etwas  Vorhergehendem  in  Abhängigkeit  zu  denken  ist, 
<jf  dagegen  einen  abhängigen;  ^  ist  daher  das  Zeichen 

öT 

für  eine  oratio  directa,  ,j'  dagegen  für  eine  oratio 
indirecta.  Sama^sari  sagt  daher  im  Mufassal  (p.  tfd , 
L.  6  v.  u.)  ganz  richtig  und  zutreffend,  dass  das  mit  Kasr 
versehene  ^  da  stehen  müsse,  wo  man  an  einen  Saz  denke 
(&UäJ   ä-lla*  ^yS   Lo) ,   das   mit   Fathc    versehene    dagegen 


1)  Dieser  Saz  ist  aus  Wright's  Arab.  Gramm.  II,  p.  86  genommen, 
der  dort  wohl  manche  Beispiele  anführt,  aber  keine  leitende  Regel  dazu. 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  149 

da,  wo  man  an  einen  Einzelbegriff  denke  (,jl^  v^o 
öj&+Xj  SJJhjo),  oder  wie  es  Ibn  *Aqil  (Com.  zur  Alfiyyah 
V.  177)  und  Näsif  (1.  c.  p.  IM*,  L.  16)  näher  praecisiren, 
wo  ,jf  (mit  seinem  Praedicat)  durch  ein  Verbalnomen 
(an  welches  das  Nomen  von  ^y  annectirt  wird)  sich  auflösen 
lässt;  denn  es  kommen  Fälle  vor,  wo  ein  logischer  Einzel- 
begriff  nicht  durch  ,jf  untergeordnet  werden  darf,  weil  er 
sich  nicht  durch  ein  Verbalnomen  auflösen  lässt  (s.  im  fol- 
genden sub  f). 

Daraus  ergibt  sich  im  Einzelnen  folgendes: 
Ad  1)  Nur  jj£  darf  gebraucht  werden: 

a)  Wenn  es  im  Anfange  eines  Sazes  steht,  wie:  ^jf 
l3-Uaxx>  !t\j^ ;  dies  ist  besonders  der  Fall ,  wenn  ein  Aus- 
rnf  vorangeht,  wie:  ^  vilM  Luu ,  ,,o  unser  Herr,  du 
bist  fürwahr  barmherzig",  oder  eine  Bejahung  oder  Ver- 
neinung,  wie:  vöU  !cVj\  ^f  JVS,  „keineswegs,  fürwahr 
Zaid  ist  gegenwärtig". 

b)  Wenn  es  am  Anfange  eines  die  Rede  direct  re- 
ferirenden  Sazes  steht;  siehe  darüber  unten  ad  3)  a). 

c)  Wenn  es  im  Anfange  einer  &-Lo  (nach  einem  Re- 
lativpronomen) steht *),  weil  das  auf  das  Relativ  folgende 
nur  ein  Saz  sein  kann,  wie:   *2b'  *ü|  ^jJ!   *^?   „es  kam 


1)  Dies  ist  jedoch  keineswegs  nöthig,   sondern  dient  nur  zur  Ver- 
stärkung. 


150         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

derjenige,  welcher  stehend  (war) ;  es  kann  in  diesem  Fall  auch 
noch  J  vor  das  Praedicat  treten  (cf.  2,  b,  /?,  p.  146),   wie: 

äjjüf ,  „und  wir  gaben  ihm  von  den  Schäzen  das ,  dessen 
Schlüssel  niederdrückten  die  Schaar  starker  Männer" 
(Qur.  28,  76). 

9  . 

d)  Wenn  es  im  Nachsaze  eines  Schwur  es  steht  (v'^ 
ä-uJlII)  und  J  mit  seinem  Xabar  verbunden  ist.  Der 
Schwur  oder  die  Betreuerung  steht  absolute  voran  und 
^jl  leitet  den  Saz  ein,  der  durch  den  Schwur  bestätigt 
werden  soll,  wie:  ^jpUoJ  IlXjs  ^  *-Utj,  „bei  Gott,  Zaid 
ist  fürwahr  wahrhaftig'1.  Doch  kann  J  beim  Praedicat 
auch  fehlen,  obschon  Ibn  ?Aqil  und  Näsif  nur  den  ersteren 
Fall  erwähnen;  z.B.   *>y")    \&+s£   ,jj  adJJj  . 


e)  Wenn  ^f  einen  H  älsaz  vertritt  und  ihm  j  voran- 
geht,  das  den  ETälsaz  einführt,  z.  B. :  yJP'5  (5^5  *J'<Xoi' 
ay,   „ich    gieng    zu   ihm,    indem    ich    auf  ihn    vertraute". 

^yfcjlÖ  ^xAXJyJI,  „wie  dich  dein  Herr  aus  deinem  Hause 
in  Wahrheit  führte,  während  ein  Theil  der  Glaubigen 
widerwillig  war"  (Qur.  8,  5). 

f)  Wenn    es   ein  Praedicat   von   einem  Nomen  con- 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  151 


er  et  um  1)  einleitet,  z.  B.  (Ww  *M  !cXj\  ^XJJb ,  „ich 
glaubte  von  Zaid,  fürwahr  er  ist  stehend  ?±  ich  hielt  Zaid 
für  stehend";  pJO  *3j  t\^  ,  ,,Zaid,  fürwahr  er  ist  edel"; 
oder  die  &a«o  (Qualification)  eines  Nomens,  wie:  J^>^  ^r* 
^JLo  xM  ,  „ich  gieng  an  einem  Manne  vorüber,  fürwahr 
er  ist  rechtschaffen  =z  an  einem  rechtschaffenen  Manne". 

g)  Wenn  es  nach  oa-^ä»  2)  steht ,  wie :  cuä  u*-^' 
(jwJLä.   !c\j\   ^ ,    „seze  dich  da,  wo  Zaid  sizt". 

h)  Wenn  es  nach  dem-  den  Saz  eröffnenden  SJ!  (SU&) 
steht  (%JjiAÄ*#l  Sil),  z.  B.  ^Jüf  y  ibf<Üf  ^t  5l ,  „ja 
fürwahr  die  Jugend  währt  nicht  immer" ;  ebenso  nach  dem 
gleichbedeutenden   lx>f ,    siehe  unten  ad  3)  g. 

i)  Wenn  es  nach  dem  einen  Saz  beginnenden  SM  steht, 
dessen  Praedicat  ein  Läm  des  Anfangs  hat,  z.  B.  ti&l  SM 
l»L*liJI  ^X^ld ,  „ausser  sie  essen  fürwahr  die  Speise". 
(Qur.  35,   22.) 


1)  Damit   ist    das    L^*x>    |*AlW' >     0(^er   ^as    Abstractum ,    ausge- 
schlossen,   wie:    a^-w&J    (jlJü    *ut    *S^XJ!    y&lfej  . 

2)  Auch  nach   jvj  pflegt   „»1    zu  stehen,  wenn  die  Rede  mehr  in 
die  Gegenwart  gerückt  werden  soll ;  z.  B.   ^.c    .^    oJÖ     ^j|    «w 

-SwwJI,    „dann  steige   ich    herab  von   dem  Bette".     Arnold,   Chrest. 

arab   p.  42,  L.  2  v.  u.;  p,  29,  L.  8  v.  u. 
[1877. 1.  Phil.  hist.  Cl.  2.]  11 


152  Sitzung  der  phüos.-phüöl.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

j)  Wenn  es  nach  den  Verbis  cordis  steht  und  deren 
Rection    durch    ein    dem    Praedicat    vorgeseztes    Läm    ver- 

hindert  wird,  z.  B.  rwyü  !Jo\  ,j£  c^U,  ,,ich  weiss,  für- 
wahr Zaid  ist  stehend11.  Steht  aber  Lara  nicht  beim  Prae- 
dicat,  so  muss  die  gewöhnliche  Construction  mit  ^y  ein- 
treten,   wie:   *jvj*   fc\j\   ^1  v^mAä  . 

cf 

Ad  2)  ,j!    muss  gesprochen  werden: 

a)  In  allen  Fällen,  wo  es  sich  nicht  um  einen  selbst- 
ständigen Saz  handelt,  sondern  um  die  Unterordnung  eines 
Einzelbegriffs,  der,  wie  schon  bemerkt,  sich  durch  ein 
Verbalnomen   auflösen   lässt.      Dies   findet    statt,    wenn  der 

abhängige  Saz  mit  ,jl  entweder  an  die  Stelle  eines  logischen 

6i    i  6*h"    1af       *  *'  "Vi"  '   "' 

Jxli  steht,  wie:   *->l2  ^o!   ^Ä^o  zz  viUUi*  ^-Uräo ,    ,,es 

wundert   mich ,    dass   du    stehst" ;    oder  an  der  Stelle   eines 

9  -  ®         -  -*8S*      9         9  -  '    o   -       -~        > 

Jx.LaJ!  yju ,  wie:  J^K  ^t  /*■£'"''  — -  ^-^o  /*+**}  „man 
hört,  dass  du  abreisest";  oder  an  der  Stelle  eines  uXXxx», 
wie:  Jwoli  db!  (^cXaä  zz  viLLöi  i^Xäx  ,  ,;es  ist  meine 
Meinung,  dass  du  vortrefflich  bist"1);  oder  an  der  Stelle 
eines  Xabar,  wie:  asu  *JjJ!  ^>f  (J>if  zz  p-Uif  ^äj  (3Ü, 
„es  ist  die  Wahrheit,    dass  die  Wissenschaft  nüzlich   ist"; 

S  S      -       -CS*      '  °  -" 

oder   an   der   Stelle    eines  au  Jj*a*,  wie:   (wli*  vib!  v^i^e 

or  g  2, 

1)  Wenn  das  Xabar  ein  oJö  oder  ^v^?*    >Lä.    ist,    so   kann 

es  vorangestellt  werden,  auch  wenn  das  Mubtada'  determinirt  ist;  ist 
aber  das  Mubtada  indeterminirt,  so  muss  das  Xabar  in  den  bezeichneten 
Fällen  vorangehen. 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  153 

==  ^ULajJ  v»i*x,  „ich  weiss,  dass  du  stehst";  oder  an  der 
Stelle  eines  \)j&  i  wie:  jvjI^  ^Ui  ^-^  =  £y°  ^«s?£ 
dULö,  „ich  wundere  mich,  dass  du  stehst";  oder  an  der 
Stelle  eines  äxM   oudx>,   wie:    !*£>    ,jf    JJb    ^    cu^ 

**-** ?y  —  r^  ^"Wj  07*  &i '  "*cn  wundere  mich  über 
die  Länge  (der  Zeit),  dass  Bakr  steht  =  darüber,  dass  Bakr 
so  lange  steht". 

b)  Die  Praepositionen  ordnen  daher,  wenn  sie  vor 
einen  abhängigen  Saz  treten,  denselben  durch  <jt  unter 
(falls  er  ein  Nominalsaz  ist,  sonst  durch  ,j!),  indem  nur 
,jl>J  ,  (\Xjo  und  <X*  unmittelbar  vor  einen  Saz  treten 
können,  z.  B.  o>  &M  gLo ,  „darauf  bauend,  dass  es  Xabar 
ist" ;  (j*£*i  viuU  (Jp^ ,  „er  vertraut  darauf,  dass  du  zu- 
verlässig  bist";  jwLb  db!  *o  viL^f  ,  „ich  liebe  dich,  troz 
dem  dass  du  tyrannisch  bist". 

öf 

c)  <j!   muss   auch   gesprochen   werden,    wenn   es   nach 

den  hypothetischen  Partikeln  y  ,,wenn"  und  ^y  „wenn 
nicht"  steht  und  ein  Nomen  darauf  folgt  *)  (vor  einem 
Verbum  kann  nach  ^y  auch  ^f  stehen),  z.B.  (Jj-lm-*  viljf  y 


1  °  1 

1)  Doch  ist  die  Sezung  von  .jf   nicht  absolut  nothwendig,    da  *J 

und  jy  vor  einem  Nomen  auch  ohne  dazwischen  tretentes  .jf  stehen 
können,  obschon  die  Alfiyyah  (V.  710)  in  Betreff  von  y  keine  der- 
artige Ausnahme  erwähnt. 


11 


154  Sitzung  der  philos.-philöl.  Gasse  vom  5.  Mai  1877. 


y    o  —  —  o-o— 


oJi-Lkjbi,  „wenn  du  gehen  würdest,  würde  ich  gehen11, 
weil  es  (wie  das  Mufassal  p.  tt"<>,  L.  1  v.  u.  erklärt)  = 
^jJJaJL*  vib!    *2j  y   und  dieses  =z   ^U'iÜajf    aSj  y   ist. 

d)  Auch  nach  dem  einen  Saz  eröffnenden  ^f  *)  (wenn 
nicht  beim  Praedicat  das  efiXö^f  J$  steht),  sofern  ein 
Nomen  davon  abhängt  (vor  einem  Verbum  steht  <jt), 
z.  B.    '£M  ^  v^a^J   L^jf    Sj  l3^->   *^=t  ^*  i   „sie  ist 

zahlreicher  an  Juden,  ausser  dass  sie  nicht  zu  Hijäz  gehört 
(Arnold,  Chrest.  arab.  p.  83,  L.  5  v.  u.) 

e)  Ebenso  nach  U$  ,  wenn  ein  Nomen  folgt 2)  (vor  dem 
Verbum  dagegen  steht  nur  U*  J,  z.  B.  *^l  ^yXd»]  ^)  Uj= 
^^  Uo ,  ,,wie  (j'y^'  das  Nomen  von  dem  ist,  was  als  Ge- 
schenk gegeben  wird"  (Baidävi,  I,  p.  Pdf ,  L.  2.  v.  u.). 

Ad  3)  Die  Möglichkeit  von  <j£  und  ^' . 
a)   Nach   JU'   und   Verben    ähnlicher   Bedeutung    kann 
jjl   oder   jj»    stehen,    je    nachdem    der    Saz    als    directe 

-«  Sic        —     6  — 

(JyüL  2U£s?  ä-UÄ.)  oder  indirecte  Rede  aufgefasst  wird. 
Wo  also  die  ipsissima  verba  referirt  werden,  müssen  sie 
durch  das  hinweisende  ,j£  als  unabhängiger  Saz  eingeleitet 


von 


1)  Ebenso    ^|    yx£?    > »ausser  dass". 

2)  \^S  findet  sich  zwar  auch  vor  Nominibus,    aber  nur  ira  Sinne 
v3    (mit  dem  Genetiv);  s.  Alfiyyah,  V.  382,  Com. 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  155 

werden  l),  z.  ß.  viLLo  ^ü^  Jürf  ^-jK  Lo  ^|  JÜ ,  „er  sagte: 
fürwahr  ich  habe  keinen  treuloseren  gesehen  als  du  bist". 
Wo  dies  aber  nicht  der  Fall  ist,  sondern  der  Saz  dem  vor- 
hergehenden untergeordnet  wird,  muss  dies  wie  bei  den 
Verbis  ^jJo  etc.  (s.  Ad  2)  durch  ,jt  geschehen,  z.  B.  Jy>f 
*jU*  !cXj\  ^f,  „ich  sage,  dass  Zaid  steht"2).  Sama^sarl 
führt  im  Mufassal  (p.  N**1 ,  L.  3)  den  Saz  an:  Jy>!  U  J^l 
a-U!  iX+Ä.!  ^I.)  und  erklärt  die  doppelte  Aussprache  von 
^1  dahin,  dass  wenn  man  den  damit  eingeleiteten  Saz  als 
Praedicat    zu   dem    (vorangehenden)    Mubtada5    fasse,    man 

wf  •  i  ii    '  °"     t  lr    Vf 

^M    aussprechen    müsse,    weil    er  =  *-Uf    <Xt^>    J>y^°   vy 

sei;  wenn  man  aber  das  Praedicat  als  ausgelassen  sup- 
ponire,  müsse  man  ^M  sprechen,  indem  man  damit  direct 
referire  (also  =t  *-Uf  cX+ä-I  ^J  ttX#  Jyw>  J^l). 

b)  Auch  ist  ^l  und  ^f  möglich,  wenn  sie  nach  einem 
Mubtada'  stehen,  das  die  Idee  des  Sprechens  oder  Redens 
implicirt,  und  das  (logische)  Xabar  ebenfalls  denselben  Be- 
griff enthält,  während  der  Sprechende  derselbe  ist,  z.  B. 
ä-U!   4\^^l  ^  Jy>   Jjf).     Enthält   aber  das  Xabar  nicht 


1)  Obschon  die  directe  Rede  auch  ohne  .jt  eingeführt  werden  kann. 


2)  Dieser  Unterschied  ist  vielfach  übersehen  worden.   So  hat  z.  B. 
Id  in  seiner  Chrest.  arab.  nach  JU   und    JUü> 
auch  da,  wo  von  einer  oratio  directa  keine  Spur  ist. 


Arnold  in  seiner  Chrest.  arab.  nach  JU   und    JLäj  immer   ^  gesezt, 


156  Sitzung  der  phüo8.~philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

die  Idee  des  Sprechens  oder  ist  die  Person  nicht  dieselbe, 
so  darf  nur  ,j|  stehen,  z.  B.  yj**y*  ^J  4j* »  un(* :  4>* 
Ä-Ut    tX+s*   !tX^\   jj^,    weil    in    beiden    Fällen    der    Saz    mit 

^jf  nicht  in  ein  Verbalnomen  aufgelöst  werden  kann,  das 
als  Xabar  eintreten  könnte. 

c)  Ebenso   kann  im  Nachsaze   eines  Schwures   (v^* 

"  CS  ^  — 

l****H)  jji  und  jjt  stehen,  wenn  das  Praedicat  von  J  ent- 
blöst  ist,  mag  der  Saz,  womit  man  schwört  ein  Verbalsaz 
sein  mit  ausgesprochenem  oder  nicht  ausgesprochenem 
Verbum,  z.  B.  (j>^~*ö  '^)  (j[  oÄU,  oder  ,j£  *-UJj 
jjj4>Lö  IJos ,  oder  ein  Nominalsaz,  wie :  jjj  w ^jü 
(JpLo  ttXJS ,  ,,bei  deinem  Leben ,  fürwahr  Zaid  ist  wahr- 
haftig'1 1).  Es  kommt  dabei  rein  auf  die  Auffassung  des 
Schwörenden  an,  ob  er  den  Nachsaz  des  Schwures  direct 
(als  unabhängigen  Saz)  oder  indirect  hinstellen  will  oder 
kann.  Die  arabischen  Grammatiker  wollen  z.  B.  in  dem 
Verse  (Alfiyyah  V.  181.  182,  Com.): 

•        ■  w        in55-        »^         "?        "i  "tt°     1w-  i°«       T 

(5^aJt  dUL^  ^j!  ^|     Jjüt  db^  (5a1sJ  y 

„bis  dass  du  schwörst  bei  deinem  grossen  Herrn ,  dass  ich 
der  Vater  dieses  (deines)  Kindes  seia,  die  doppelte  Aus- 
sprache von  ^1  gelten  lassen.     Dies  scheint  mir  jedoch  in 


1)  Wenn  das  Mubtada'  ein  Schwur  ist,  so  muss  das  Praedicat 
notwendigerweise  ausgelassen  werden;  Wv+äJ  ist  desshalb  =  C/^jl? 
j^^ywwö,  „dein  Leben  fürwahr  ist  mein  Schwur  =  bei  deinem  Leben", 
Siehe  darüber  Alfiyyah  V.   138—141,  c.  com. 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  157 

diesem  Falle  unmöglich  zu  sein,  da  sonst  ^l ,  als  direct  re- 
ferirend,  den  Schwur  stultificiren  würde;  hier  kann  offenbar  nur 
^  am  Plaze  sein.  Die  Auseinandersezung ,  die  in  den 
tX#fj-co  zur  Alfiyyah  gegeben  wird,  entfernt  diese  Schwierig- 
keit keineswegs;    es  heisst   dort:     i^£     wwgXJL    ^i!     aJ+S} 

^yXAXI        L^JjtÄ.       J*£       ^"^^         f-wJi-U        bl^Ä»         X-Uil        JütÄ. 

JÜ    J^  ^   üailiLl  gjj   ÄkJjj,    „Sein  Wort   ^f,    mit 

Kasr  gesprochen ,  wenn  man  den  Saz  als  Antwort  auf  den 
Schwur  fasst,  und  mit  Fathc,  wenn  man  ihn  als  Object 
fasst,  vermittelst  der  Unterdrückung  der  Praeposition,  i.  e. 

^jf  Js£. .  Auch  Näsif  spricht  sich  nur  ganz  allgemein  aus 
(1.  c.  p.  f»*f»,  L  5  sqq.);  die  angedeutete  Beschränkung 
jedoch  scheint  mir  in  der  Natur  der  Sache  zu  liegen. 

d)  Wird  ein  Saz  angeschlossen,  der  einen  vorangehen- 
den Imperativ  oder  Prohibitiv  motivirt,  so  kann  er  ent- 
weder  als  Neusaz  mit  jj£  folgen  oder  durch  <jl  unter- 
geordnet  werden,   z.  ß.    ^U    jtXc    äj!    ^tX^M    ,,nimm   dich 

in  Acht,    siehe  er  ist  ein  Feind  von  dir",    oder:    xJJ    s<Xä-J 

— *  8  '  - 
dU  jtXfc,    ,,nimm  dich  in  Acht  (darum)    dass  er  ein  Feind 

von  dir  ist";    im   lezteren  Falle  wird  die  Auslassung  einer 

Praeposition  supponirt    (/Ü    o*ä*    nL*oI   J^)',   s.    Näsif, 

1.  c.  p.   IM»,  L.  7. 

e)  Nach  dem  Fä  der  Apodosis  fetpJM  *ti)-  Wenn  man 
,j[  spricht,  so  wird  der  dadurch  eingeleitete  Saz,  der  schon 


158  Sitzung  der  philol.-philos.  Ciasse  vom  5.  Mai  1877. 

durch  o  von  der  Rection  des  vorangehenden  Conditional- 
sazes  losgelöst  ist,  als  durchaus  unabhängig  hingestellt,  wie 
in:  ioow>!  auU  ^^W  ^^° '  ,, wer  mich  besucht,  fürwahr  ich 
ehre  ihn",  also  =  auO!  Uli  <V)VJ  ^;  spricht  mau  aber 
,jl,   so  bildet  <jf  mit  seiner  «J^o  einen  definitiven  Saz,  den 

die   arabischen    Grammatiker    dadurch   zu    erklären    suchen, 

9  '         i  ' af  ' 7       i        i 

dass  sie  aocwÄf  aü!  in  ein  Masdar  auflösen  =z  äJ  ^I^äU 

und  als  Mubtada*  betrachten,    zu    dem   sie    ein  A'abar   wie 

9     .   .  S 

v^ou  oder  &y>-yA  suppliren.  Ibn  ^Aqil  (Com.  zur  Alfiyyah 
V.  181.  182)  schlägt  auch  eine  andere  Erklärung  vor,  dass 
man  ,jf  mit  seiner  *-Lo  als  Xabar  von  einem  ausgelassenen 
Mubtada*  fassen  könne,  also:  &J  ^Ml  *^7^ '  Demgemäss 
wird   auch    in    der   Quränstelle    (6,   54):    J<£   jvXj»   ^Z£s 

*A^  ;^-*^  *^P  Xo'^  Sl>ju  beidemal  &M  und  xM  gelesen 
und  nach  den  gegebenen  Ausführungen  erklärt. 

f)  Nach  dem   t<M  *)   der   LFeberraschung  (iüoLsSJ!    f<M). 
Sezt   man    ^j^   so    dient    dies    nur    zur    Verstärkung    des 


1)  Die  arabischen  Grammatiker  streiten  darüber,  ob  t<M  eine 
Zeit-  oder  Ortsbestimmung  sei;  beides  lässt  sich  durch  den  Gebrauch 
rechtfertigen.  Die  Sezung  von  ,..!  nach  diesem  f<M  ist  keineswegs 
nothwendig,  es  kann  jedoch  darauf  nur  ein  Nominalsaz  folgen,  der  in 
gleichem  Zeitverhältniss  steht  wie  der  vorangehend«  Saz. 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  159 

Nominalsazes  *),  wie:  *3l3  !<X?\  ^  f^U  o>^,  „ich 
gieng  heraus,  und  siehe  da,  da  stund  Zaid",  was  dem  Sinne 

G  °o- 

nach  — =  *oU  t\j\  Ijü  ist.  Sezt  man  es  aber  mit  Fathc, 
so  wird  jjf  mit  seiner  x-Lo  durch  ein  Verbalriomen  auf- 
gelöst, das  als  Mubtada1  betrachtet  wird,  während  t<M  dazu 
das  Xabar  bildet,  also  =  tXj\  pl**  I3ü ,  „siehe  da  war 
das  Stehen  Zaid's".  Entsprechender  aber  ist  die  andere 
Auflösung,    dass  auch   hier  das  Xabar  ausgelassen   sei,    so 

dass  die  logische  Sazstellung  wäre:   <Xj\   *Lks  fjli   v^ä-^ä. 

G 

J*oLa.   (so  Sama/sari,  Muf.  p.  O,  L.  7). 


*- 


g)  Nach  ^Xä.  .  Wenn  <«£&>  den  Saz  eröffnend  ist 
(&Äjf<Jüüjll  j^Xä.)  und  nach  ihm  jjl  folgt,  so  muss  es  mit 
Kasr  gesprochen  werden.  Dieses  inceptive  ^&i  welches 
keinerlei  Rection  ausübt,  und  vor  einem  Nominal-  und 
Verbalsaz  (mit  dem  Verb  im  Perfect  oder  Imperfect)  stehen 
kann,  bedeutet:  „so  dassu  (in  Folge  davon),  z.B.  JU*  JJJ 
Ä-yäj  ItXjjv  ^f  ^^Xä.  viüt>  r»y^'  5  ,,die  Leute  hatten  das  ge- 
sagt, so  dass  Zaid  es  sagte11  (Muf.  p.  m ,  L.  9). 

Wenn  ^Xä.   dagegen    eine    Conjunctivpartikel  (äaJcLd, 

1)  So  erklärt  es  Sama/Sari  im  Muf.  p    (("1,  L.  7:  ^ij-XJ    wwjC* 

ä-L#äJ    ^x>    Äx^dXib    Le    f<M    tX*j    Lo   ,^x ,    „du  sezest  es  mit 

Kasr  um  dem,  was  nach  |<M  steht,  das  vollständig  zukommen  zu  lassen, 
was  es  von  dem  Saze  verlangt." 


160  Sitzung  der  philutt.-phUol.  Clause  vom  5.  Mai  LS77. 

mit  der  Bedeutung  „sogar"),  oder  eine  Praeposition 
(snIä.,  mit  der  Bedeutung  von  „bis  zu",  „bis  auf')  ist, 
und  nach  ihm  ^'  folgt,  so  müss  es  mit  Fatli  gesprochen 
werden,  weil  seine  *-Lo  einen  Einzelnbegriff  und  keinen 
Saz  implicirt,  z.  B.  ^JLo  db!  (JL^  ^)j*\  c^i^Ä ,  „ich 
kenne  deine  Angelegenheiten,    sogar  dass  du  rechtschaffen 

1 '  I    I  I  «*  ?  CS  -  0-0 

bist1' ;  ^MJpLa.f  ^M  (S^  /^'i  ,,höre,  bis  ich  mit  dir 
rede". 

Lane   führt   in   seinem  Arabic  Lexicon  I,    p.   110  nur 
tjj  ^^ää.   an,    ohne  etwas  vom  Gebrauche  von  jjf  (5^  zu 

erwähnen,  was  er  auch  unter  ^  nicht  nachgeholt  hat. 
Er  verweist  nur  auf  De  Sacy,  Anthol.  gram.  p.  v*i ,  eine 
Stelle,    die    vielfach    unrichtig   aufgefasst   worden   ist.      De 

Sacy  selbst  z  B.  übersezt  (p.  159):  „quand  c5*ä.  est  suivi 
de  jjl,  il  faut  toujours  prononcer  inna  par  Kesra".  Dieses 
„toujours"  steht  aber  nicht  im  Texte,  sondern  ist  viel- 
mehr beschränkt  durch  die  nachfolgende  Bemerkung,    dass 

CS 

wenn  dem  ^  eine  Präposition  vorangehe,  man  es  mit  Fath1 
sprechen  müsse.  De  Sacy  hat  es  ganz  übersehen,  dass  lbn 
Hisäm  hier  nicht  von  ,-Xä.  als  einer  Präposition  redet, 
sondern  es  ausdrücklich  als  jUjIÄäj!  gegen  andere  Gram- 
matiker vertheidigt.  Auch  Ewald  hat  (wahrscheinlich  durch 
De    Sacy 's    Uebersezung    irregeleitet)    daraus    den    falschen 

es  _  a 

Schluss  gezogen,  dass  man  nach  ^ää.  nur  <j|  lesen  dürfe 
(Gram    arab.  II,  p.  284). 


Trumpp:  Beiträge  zur  arabischen  Syntax.  161 

-*  •      •'* 

h)  Nach   Lol,  wenn  es  im  Sinne  von  ^f  steht  (s.  ad  1, 

h)  wird  ^i,  wenn  es  aber  im  Sinne  von  Iää.,  „fürwahr, 
gewisslieh"  steht,  wird  ^  gesprochen,  z.  B.  5U  ä$I  Lot 
UXXgJ  yo ,  ja  fürwahr  (*ü|  uof)  (oder  „gewisslieh  äj!  Lof), 
wenn  nicht  er  gewesen  wäre,  so  wären  wir  zu  Grunde 
gegangen11. 

i)  Nach  f»vÄ»  y  steht  ^f ,  nach  der  Aehnlichkeit  mit 
dem  Schwur,  so  dass  ^  die  Antwort  dazu  einleitet ,  oder 
,jJ ,  indem  f»y^  3>  im  Sinne  von  (jl  ^j^o  cXj  3>  aufgefasst 
wird,  z.B.  *ä.I»  *-Ut  jjj  **ä.  ^,  „sicherlich,  Gott  ist 
barmherzig14. 

Zum  Schlüsse  ist  noch  zu  bemerken,  dass  ^f  nie  dem 

6=^  05*  "      - 

,jf  unmittelbar  vortreten  darf;  jjf  mit  seiner  ä-Lo  (als 
Masdar  gedacht)  kann  nur  dann  das  Nomen  von  ,j|  werden, 
wrenn  zwischen  beiden  eine  Trennung  durch  das  Praedicat 
stattfindet,  wie:  ^ItXJ!  £  IJjs  ,jf  ütXic  ,j£,  „fürwahr,  es 
ist  unsere  Meinung,  dass  Zaid  im  Hause  ist". 


Nachtrag  zu  S.  106  und  107.  Es  ist  mir  doch 
fraglich  geworden,  ob  in  dem  Saze:  au  c>«*o  JoL»  das 
Passiv-Subject  im  Verbum  selbst  gesucht  werden  kann;  der 
Ausdruck  ist  vielmehr  impersonell  zu  fassen:  „ein  Führer, 
mit    (oder   durch)   welchen    eine    Sendung   gemacht    wird11. 


162         Sitzung  der  philos.-yhüol.  ('lasse  vom  5.  Mai  1877. 

Ebenso  ist  zu  **-Lä  ^5***+^  und  L$i-^  äU-ÄJLjt 
zu  bemerken ,  dass  dies  die  mehr  persöuliclie  Auffassung 
der  späteren  Sprache  ist;  die  ältere  Sprache  gebraucht 
diesen  Ausdruck  noch  impersonell,  also  auch  im  Femininum 

Lg^-lc  ^c^a+J!  ,     „die    über     welche    es     dunkel     gemacht 
wird14,    =   L^U^   (^4^  IS*"* 


163 


Sitzung  vom  5.  Mai  1877. 


Philosophisch-philologische  Classe. 


Herr  Bursian  legte  einen  von  Herrn  Konstantinos 
Karapanos,  zur  Zeit  in  Paris,  ihm  zugesandten  in 
französischer  Sprache  geschriebenen  Aufsatz  ,,über  Do- 
dona  und  seine  Ruinen"  vor,  welcher  in  deutscher 
Uebersetzung  folgendermassen  lautet: 

Während  der  Reisen,  die  ich  in  den  letzten  drei  Jahren 
in  Epirus  zu  machen  Gelegenheit  hatte,  beschäftigte  mich 
fortwährend  der  Gedanke  an  den  Tempel  von  Dodona.  Ich 
wünschte  sehnlichst,  dieses  altberühmte  Heiligthum  der  hel- 
lenischen Welt  aufzufinden,  das  sich  bisher  immer  noch  den 
Nachforschungen  der  Reisenden  und  der  Archäologen  ent- 
zogen hatte.  Ich  hatte  schon  an  verschiedenen  Stellen,  wo 
sich  alte  Ruinen  finden,  Nachgrabungen  versucht,  als  ich 
Gelegenheit  erhielt,  das  Thal  von  Tscharakovista  zu 
besuchen.  Seine  Lage  zwischen  der  Thesprotis  und  der 
Molottis,  der  imposante  Anblick  der  unter  dem  Namen  des 
Paläokastron  von  Drameschus  bekannten  dort  befind- 
lichen Ruinen,  welche  die  meisten  Reisenden  auf  Passaron, 
die  Hauptstadt  der  Molotter,  bezogen  haben*),    andererseits 


*)  [Die  ausser  von  Leake  Travels  in  northern  Greece  I  p.  264  ss. 
auch  von  H.  P.  Tozer  Researches  in  the  highlands  of  Turkey  II.  p.  200  ss. 
beschriebenen  Ruinen  sind  schon  von  H.  Kiepert  (Neuer  Atlas  von  Hellas 
und  den  hellenischen  Colonien,  Berlin  1872,  Bl.  VII)  vermuthungsweise 
auf  Dodona  bezogen  worden.] 


164         Sitzung  der  philos.-philol.  Clause  vom  5.  Mai  1877. 

einige  bei  den  von  mir  versuchsweise  angestellten  Nach- 
grabungen entdeckte  Bronzefragmente  brachten  mich  auf 
den  Gedanken,  dass  diese  Ruinen  vielmehr  D  o  d  o  n  a  ange- 
hören müssen.  Ich  beschloss  also  regelmässige  Ausgrab- 
ungen zu  unternehmen  und  suchte  bei  der  kaiserlich  otto- 
manischen Regierung  um  die  Ermächtigung  dazu  nach. 
Während  ich  aber  in  Konstantinopel  mit  den  Förmlich- 
keiten, welche  die  Erlangung  dieser  Ermächtigung  erheischte, 
beschäftigt  war,  gruben  andere  Leute,  in  der  Hoffnung  dort 
einen  Schatz  von  Kostbarkeiten  zu  finden,  ohne  mein  Wissen 
auf  dem  Platze  des  Tempels  und  entdeckten  mehrere  Weih- 
geschenke in  Bronze  und  anderen  Metallen,  ohne  zu  ver- 
muthen,  dass  diese  Gegenstände  aus  dem  dodonäi'schen  Tem- 
pel stammten. 

Die  Weihgeschenke,  welche  anzukaufen  mir  gelungen 
ist,  *)  und  das  Resultat  der  Nachgrabungen,  welche  ich  kraft 
der  Ermächtigung  der  kaiserlich  ottomanischen  Regierung 
mehr  als  sechs  Monate  hindurch  auf  einem  Flächenraume 
von  mehr  als  20,000  Quadratmetern  bis  zu  einer  durchschnitt- 
lichen Tiefe  von  2  M.  50  ausgeführt  habe,  haben  die  Rich- 
tigkeit meiner  Vermuthung  erwiesen.  Die  Ruinen,  welche 
ich  aufgedeckt  habe,  und  die  zahlreichen  Weibgeschenke,  die 
sich  darin  zerstreut  vorfanden,  können  nur  dem  bedeutend- 
sten Heiligthume  von  Epirus  angehört  haben.  Aber  ausser 
diesen  Beweismitteln,  die  noch  einige  Ungewissheit  über  die 
wirkliche  Lage  Dodona's  bestehen  lassen  könnten,  habe  ich 
daselbst  zahlreiche  auf  Zeus  Naios  und  Dione  und  ihr 
Orakel  bezügliche  Inschriften  gefunden,  die,  wie  es  mir 
scheint,  keinen  Zweifel  über  die  Lage  desselben  übrig  lassen. 


1)  Unter  den  Gegenständen,  welche  ich  von  den  Personen,  die  ohne 
mein  Wissen  auf  der  Stelle  des  Tempels  gegraben  hatten,  und  von  ver- 
schiedenen andern  Bewohnern  der  Stadt  Janina  und  des  Thaies  von 
Tscharakovista  erkauft  habe,  befinden  sich  fast  sämmtliche  dort  gefundene 
Statuetten,  Reliefs  und  Inschriften. 


Konstantinos  Karapanos:    Dodona  und  seine  Ruinen.        165 

Da  ich  demnächst  eine  detaillirte  Beschreibung  der 
Rainen  und  der  von  mir  entdeckten  Gegenstände  mit  einer 
historischen  Untersuchung  über  das  Heiligthum  von  Dodona 
zu  veröffentlichen  gedenke,  so  werde  ich  für  jetzt  nur  ein 
Resume  darüber  geben,  welches  genügt,  summarisch  eine 
Entdeckung  zur  Kenntniss  der  gelehrten  Welt  zu  bringen, 
die,  wie  ich  meine,  dazu  beitragen  wird,  nicht  nur  die  Frage 
nach  der  Lage  Dodona's,  sondern  auch  verschiedene  auf  die 
Religion  und  Kunst  der  Hellenen,  sowie  auf  die  Geographie 
von  Epirus  bezügliche  Punkte  aufzuhellen. 

In  einer  Entfernung  von  ungefähr  18  Kilometer  süd- 
westlich von  Janina  liegt  das  Thal  von  Tscharäkovista. 
Dies  von  Südost  gegen  Nordwest  etwa  12  Kilometer  lange, 
durchschnittlich  700  Meter  breite  Thal  wird  von  dem  von 
Janina  durch  eine  Kette  grösstentheils  unangebauter  Hügel 
getrennt;  im  Südwesten  wird  es  durch  den  Berg  Olyt- 
zika,  den  Tomaros  der  Alten,  abgeschlossen,  dessen  maje- 
stätischer und  pittoresker  Gipfel  alle  anderen  umliegenden 
Berge  überragt.  Am  Fusse  des  Tomaros  sprudeln  zahlreiche 
Quellen  hervor,  deren  Wasser  einen  Theil  der  Ebene,  die 
zwischen  vielen  schlechten  Ackerfeldern  einige  schöne  Wiesen 
enthält,  in  einen  Sumpf  verwandelt. 

Ziemlich  in  der  Mitte  des  Thaies  von  Tscharäkovista 
finden  sich  auf  einer  Art  von  Vorgebirge,  das  durch  einen 
Vorsprung  der  dieses  Thal  von  dem  von  Janina  trennenden 
Hügel  gebildet  wird,  die  hellenischen  Ruinen  einer  kleinen 
Stadt  oder  Akropolis ,  eines  Theaters  und  eines  heiligen 
Bezirks. 

Die  auf  dem  Gipfel  dieses  Vorgebirges  in  einer  Höhe 
von  15-20  Meter  über  der  Ebene  gelegene  Stadt  hat  eine 
unregelmässige  Form,  ungefähr  die  eines  Viertelkreises.  Die 
beiden  Seiten  des  Winkels,  welche  sich  von  Osten  nach 
Süden  und  von  Osten  nach  Norden  ziehen,  haben  eine  Länge 


16G  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

die  erster e  von  198  M.,  die  zweite  von  168  M.  Der  gegen 
Südwest  und  Nordwest  gewandte  Bogen  ist  mit  7  Thürmen 
versehen  und  hat  eine  Gesammtentwickelung  von  325  Metern. 
Die  Dicke  der  in  hellenischer  Bauweise  ausgeführten  Mauern, 
welche  die  Stadt  umgeben,  wechselt  zwischen  3  M.  25  und 
5  M.  80.  Die  ganze  Oberfläche  ist  durch  dem  Erdboden  gleiche 
hellenische  Mauern,  die  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  alten 
Wohnungen  angehören,  in  mehrere  Parzellen  getheilt.  Eine 
theilweise  in  den  Felsen  gearbeitete  kleine  Cisterne  ist  der 
einzige  bauliche  Rest,  welcher  sich  zwischen  den  Mauerlinien 
hervorhebt.  Das  einzige  Thor,  welches  einen  Zugang  in  die 
Stadt  gewährte,  liegt  an  der  Nordostseite;  es  wird  durch 
zwei  rechtwinkelige  Thürme  vertheidigt  und  hat  eine  Oeff- 
nung  von  4  Meter.  Ich  habe  daselbst  an  mehreren  Stellen 
nachgraben  lassen ,  habe  aber  weder  die  Spuren  eines  Ge- 
bäudes, noch  irgend  einen  bearbeiteten  Gegenstand  in  Stein 
oder  Metall  gefunden. 

Im  Südwesten  der  Stadt  liegt  das  Theater,  eines  der 
grössten  und  besterhaltenen  unter  den  hellenischen  Theatern. 
Nach  der  gewöhnlichen  Weise  der  Griechen  an  den  Berg 
angelehnt  wird  es  zu  beiden  Seiten  des  Zuschauerraumes 
durch  ansehnliches  Mauerwerk  aus  viereckigen  ohne  Cement 
künstlich  gefügten  Steinen  gestützt.  Die  Ausdehnung  des 
Halbkreises  beträgt  am  oberen  Ende  der  Cavea  188  M.  50, 
im  Niveau  des  Erdbodens  80  M.  45,  die  Höhe  in  schräger 
Linie  45  M.  Ein  Umgang  (Diazoma)  theilfc  die  Cavea  in 
zwei  ungleiche  Theile,  von  denen  der  untere  die  doppelte 
Höhe  des  oberen  hat.  Obgleich  das  Bauwerk  ziemlich  gut 
erhalten  ist,  so  ist  es  doch  schwierig,  die  Zahl  der  Sitzreihen 
genau  anzugeben,  weil  die  Steine,  aus  denen  die  Sitzstufen 
gebildet  waren,  zum  grossen  Theil  vom  Platze  gerückt  sind 
und  eine  verworrene  Masse  bilden.  Soviel  ich  habe  be- 
rechnen können,  müssen  im  Ganzen  49  Sitzreihen  vorhanden 


Konstantinos  Karapanos:    Vodona  und  seine  Ruinen.       167 

gewesen  sein,  von  denen  ich  die  drei  untersten,  die  mit  einer 
Erdschicht  bedeckt  waren,  bloss  gelegt  habe.  2) 

Eine  in  einer  Entfernung  von  1  M.  50  von  der  letzten 
Sitzreihe  befindliche  halbkreisförmige  Mauer  trennt  den  Zu- 
schauerraum von  der  Orchestra.  Die  Stelle  der  Orchestra 
und  der  Scene  ist  jetzt  in  ein  Ackerfeld  verwandelt,  welches 
ich  bis  zu  einer  Tiefe  von  ungefähr  4  Meter  habe  umgraben 
lassen.  Ausser  der  Mauer,  welche  den  Zuschauerraum  von 
der  Orchestra  trennt,  habe  ich  dort  am  westlichen  Ende  der 
Scene  einen  unterirdischen  Bau  und  am  entgegengesetzten 
Ende  die  Reste  einer  Thüre  gefunden.  Der  unterirdische 
Bau  besteht  aus  einer  Art  kleiner  runder  Kammer  in  einer 
Tiefe  von  etwa  10  Meter  unter  der  Oberfläche  des  jetzigen 
Bodens.  Sie  ist  mit  grossen  Steinplatten  gepflastert  und 
hat  einen  Umfang  von  6  M.  Mit  Ausnahme  der  Oeffnung, 
(von  2  M.  Umfang)  durch  welche  man  jetzt  hinabsteigt, 
habe  ich  keine  andere  Verbindung  zwischen  dieser  Kammer 
und  der  Scene  finden  können;  ich  kann  daher  nicht  sagen, 
ob  sie  dazu  diente,  irgend  eine  Theatermaschine  spielen  zu 
lassen  oder  ob  es  ein  blosses  Wasserreservoir  war.*) 

Die  Reste  der  Thüre,  welche  der  die  Scene  vom  Post- 
scaenium  trennenden  Mauer  angehört  haben  muss,  sind  mit 
aller  Kunst  und  Eleganz  guter  hellenischer  Zeit  gearbeitet: 
die  Thürpfosten  sind  von  beiden  Seiten  mit  vier  Säulen  in 
ionischem  Styl  versehen.    Die  Mauern,  welche  die  Scene  ab- 


2)  Leake  (Travels  in  Northern  Greece  T.  2,  eh.  4,  p.  265)  sagt, 
es  seien  zwei  Umgänge  und  65 — 66  Sitzreihen  gewesen ;  aher  ich  glaube, 
dass  er  sich  in  Folge  der  Verwirrung,  in  welcher  sich  die  Steine,  die 
die  Sitzstufen  bildeten,  befinden,  getäuscht  hat. 

*)  [Die  letztere  Annahme  halte  ich  für  die  richtigere,  da  sich  auch 
in  anderen  griechischen  Theatern  Cisternen  und  Brunnen  theils  unter 
der  Scene,  theils  im  Zuschauerräume  gefunden  haben ;  vgl.  Fr.  Wieseler 
'Griechisches  Theater  in  der  Allgemeinen  Encyclopädie  der  Wissenschaften 
und  Künste,  Section  I,  Bd.  83,  S.  238  f.] 

[1877.1.  Phil.  hist.Cl.  2.]  12 


168         Sitzung  der  philos.-philol.  Glasse  vom  5.  Mai  1877. 

schlössen,  existiren  nicht  mehr,  so  dass  es  mir  nicht  möglich 
gewesen  ist,  ihre  Ausdehnung  und  Gestalt  sicher  zu  be- 
stimmen. 

Der  östlich  vom  Theater,  südöstlich  von  der  Stadt  ge- 
legene heilige  Bezirk  lässt  sich  in  zwei  Theile  sondern: 
den  nordwestlichen,  welcher  auf  einem  durch  die  Verlängerung 
des  Hügels,  auf  dem  die  Stadt  liegt,  gebildeten  Plateau  sich 
befindet,  den  ich  den  Tempelbezirk  nennen  werde,  und 
den  südwestlichen  ,  der  sich  über  die  Ebene  hinzieht,  den 
ich  der  Einfachheit  halber  als  das  Temen os  bezeichnen 
werde. 

Der  Tempelbezirk  wird  im  Südwesten  durch  das  Theater, 
im  Nordwesten  durch  die  Stadtmauer  und  im  Nordosten 
durch  eine  andere  hellenische  Mauer  begränzt.  Er  hat  eine 
Länge  von  200  M.  bei  einer  mittleren  Breite  von  90  M. 
und  enthält  die  Ruinen  dreier  Gebäude,  deren  Mauern  jetzt 
nur  das  Niveau  des  Erdbodens  erreichen. 

Das  erste  Gebäude  ist  der  Zeustempel,  der  wieder 
aufgebaut  und  in  eine  christliche  Kirche  umgewandelt  wor- 
den ist.  Er  hat  eine  Länge  von  40  M.  auf  20  M.  50  Breite. 
Die  Ueberreste  der  hellenischen  Mauer  sind  hier  mit  neuerem 
aus  kleinen  Steinen  und  Kalk  hergestellten  Gemäuer  unter- 
mischt, und  es  dürfte  schwierig  sein,  bestimmt  zu  sagen, 
ob  man  beim  Bau  der  christlichen  Kirche  alle  die  Abtheil- 
ungen, welche  den  Tempel  bildeten,  und  ihre  Scheidewände 
beibehalten  hat.  Man  sieht  indess  Abtheilungen ,  welche 
recht  wohl  als  Pronaos,  als  Naos  und  als  Opisthodomos  be- 
trachtet werden  können.  Eine  grosse  Menge  von  Weih- 
geschenken aus  Bronze,  Kupfer  und  Eisen,  zahlreiche  In- 
schriften auf  Bronze-,  Kupfer-  und  Bleiplatten  und  eine 
grosse  Inschrift  auf  Kalkstein  sind  in  diesen  Ruinen  in  einer 
Tiefe  von  ungefähr  3  M.  zerstreut  gefunden  worden. 

Das  zweite,  ungefähr  10  M.  südwestlich  von  dem  Tem- 
pel gelegene  Gebäude  ist  ein  fast  quadratisches  hellenisches 


Konstantinos  Katapanos:   t)odona  und  seine  tluinen.        169 

Bauwerk  von  19  M.  50  auf  18  M.  Vier  Zwischenmauern 
theilen  es  in  verschiedene  Räume,  die  man  als  zwei  recht- 
winkelige Kammern  und  drei  Corridors  bezeichnen  kann. 
In  einer  Entfernung  von  48  M.  westlich  von  diesem  liegt 
das  dritte  Gebäude  des  Tempelbezirks,  seiner  äusseren  Form 
nach  ein  Trapezoid  von  42  M.  50  zu  30  M.  Das  Innere 
desselben  ist  mit  losgelösten  grossen  Steinen  ausgefüllt ;  ich 
habe  keine  Scheidemauer  darin  gefunden.  Eine  im  Innern 
angebrachte  Treppe  von  4  Stufen  weist  darauf  hin,  dass 
sein  Boden  um  wenigstens  0,60  tiefer  lag,  als  der  der  beiden 
vorher  erwähnten  Gebäude.  Es  ist  schwierig,  die  Bestim- 
mung dieser  letzteren  Gebäude  sicher  festzustellen.  Am 
wahrscheinlichsten  dünkt  es  mich ,  dass  sie  für  die  ver- 
schiedenen Mittel  der  Weissagung ,  die  vom  dodonäischen 
Orakel  angewandt  wurden,  bestimmt  waren.  Ihre  Lage  und 
ihre  Form  einerseits,  anderseits  der  Umstand,  dass  in  dem 
ersteren  dieser  beiden  Gebäude  eine  grosse  Zahl  von  Bronze- 
münzen,  in  beiden  eine  grosse  Menge  von  Bruchstücken  von 
verschiedenen  Bronzegegenständen  gefunden  wurden,  dürften, 
meine  ich,  Beweise  sein,  welche  dieser  Annahme  als  Stütze 
dienen  könnten.*) 

Der  Bezirk,  welchen  ich  als  das  Temenos  bezeichnet 
habe,  liegt  südöstlich  vom  Tempelbezirk  um  ungefähr  4  M. 
tiefer  als  dieser,  hat  eine  durchschnittliche  Länge  von  110  M. 
bei  einer  Breite  von  105  M.  und  ist  an  drei  Seiten  von  in 
hellenischer  Bauweise  aufgeführten  Mauern  umgeben,  welche 
ebenso  wie  die  den  zerstörten  Gebäuden  dieses  Bezirks  an- 
gehörigen  kaum  die  Oberfläche  des  jetzigen  Bodens  erreichen  ; 
nur  einige  Mauerstücke  im  Südwesten  haben  eine  Höhe  von 
ungefähr  4  M.  über  dem  Boden. 


*)  [Ich  möchte  vielmehr  vermuthen,  dass  beide  Baulichkeiten  The 
sauren  zur  Aufbewahrung  kostbarer  Weihgeschenke  gewesen  seien,  wie 
wir  sie  aus  Delphi  und  Olympia  kennen.] 

12* 


170         Sitzung  der  phüos.-phüol  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

An  der  Südwestseite  befindet  sich  ein  Gebäude  von  sehr 
unregelmässiger  polygoner  Form,  durchschnittlich  35  M. 
lang  und  25  M.  breit;  es  umschliesst  eine  andere  kleine 
Anlage  von  der  Form  eines  Trapezoid,  10  M.  lang  und  9  M. 
breit.  Obgleich  mit  dem  Temenos  verbunden,  bildet  dieses 
Gebäude  einen  Vorsprung  von  ungefähr  25  M.  aus  der  Linie 
der  Umfassungsmauer  desselben.  Im  Südosten  innerhalb  des 
Temenos  findet  sich  ein  11  M.  60  breiter  Corridor,  welcher 
in  einen  rechtwinkeligen  Bau  einmündet,  der  bei  der  gleichen 
Breite  eine  Länge  von  26  M.  hat.  Ziemlich  in  der  Mitte 
dieses  Baues  entdeckte  ich  einen  kleinen  runden  Altar,  der 
aus  drei  übereinander  liegenden  Stein  lagen  besteht:  die 
unterste  Lage,  welche  die  Basis  bildet,  hat  einen  Umfang 
von  5  M.  Rings  um  den  Altar  herum  fand  ich  mehrere 
Bruchstücke  von  Weihgeschenken  aus  Bronze,  darunter  ein 
kleines  Rad  mit  einer  Weihinschrift  an  Aphrodite,  ein  Be- 
weis, dass  alle  diese  Bauten  einem  Heiligthum  dieser  in  Do- 
dona  neben  Zeus  und  Dione  als  Tochter  dieses  Götterpaares 
verehrten  Göttin  angehören.  Zwei  Treppen,  die  zu  dem 
Heiligthume  der  Aphrodite,  und  zwei  andere,  die  zum  Cor- 
ridor führen,  zeigen,  dass  der  Boden  des  Temenos  allmälig 
abfiel  und  von  0,40  bis  1  M.  35  tiefer  lag  als  das  Heilig- 
thum und  der  Corridor. 

An  der  entgegengesetzten  Seite  befindet  sich  ein  ande- 
rer 6  M.  50  breiter  Corridor,  der  zu  einem  anderen  gänz- 
lich zerstörten  Heiligthume  gehört  haben  mag. 

Drei  Thore  führten  in  das  Innere  des  Temenos:  eines 
im  Südwesten,  eines  im  Nordosten,  eines  im  Südosten.  Die 
beiden  ersteren  bieten  nichts  Bemerkenswerthes  dar,  das 
letztgenannte  aber  ist  eine  Art  Propyläon,  auf  beiden  Seiten 
von  Thürmen  und  von  Mauern,  die  mit  den  benachbarten 
Gebäuden  keinen  Zusammenhang  haben,  umgeben. 

Zwei  Reihen  kleiner  baulicher  Anlagen  sind  isi  Innern 
des  Temenos  in  einer  Tiefe  von  0,75  bis  1  M.  50  entdeckt 


Konstantinos  Karapanos:'  Dodona  und  seine  Ruinen.       171 

worden.  Die  erste  Reihe,  die  bedeutendere,  liegt  vor  dem 
Heiligthum  der  Aphrodite  und  dem  dazu  gehörigen  Corridor: 
sie  enthält  25  kleine  Bauwerke  von  sehr  verschiedenen  For- 
men, jedes  aus  zwei  oder  mehreren  Steinen  hergestellt;  einige 
davon  geben  sich  durch  ihre  quadratische,  länglich-viereckte 
oder  runde  Form  als  Säulenbasen  oder  als  Piedestale  von 
Statuen  zu  erkennen;  andere  von  halbkreisförmiger  Gestalt 
weisen  auf  Nischen  hin,  welche  Statuen  oder  andere  Weih- 
geschenke an  die  Götter  enthielten. 

Die  vor  dem  anderen  Corridor  befindliche  zweite  Reihe 
enthält  16  solche  kleine  Bauwerke,  die,  obgleich  in  Hinsicht 
auf  die  Details  und  den  Umfang  unter  einander  verschieden, 
alle  die  gleiche  rechteckige  Form  haben.  Sehr  zahlreiche 
Bruchstücke  von  Gefässen,  Statuetten  und  anderen  Gegen- 
ständen aus  Bronze,  Kupfer  und  Eisen,  mehrere  Fragmente 
von  Inschriften  auf  Bronze-  und  Kupferplatten  und  einige 
Inschriften  auf  Bleiplatten  sind  um  diese  Steine,  insbesondere 
die  der  ersten  Reihe,  herum  gefunden  worden.  Die  Ent- 
deckung dieser  Bruchstücke  von  Weihgeschenken,  sowie  die 
Verschiedenheit  der  Formen  jener  kleinen  Bauwerke  lassen 
mich  vermuthen,  dass  dieselben  Votivdenkmäler  waren,  auf 
welchen  ebensowohl  Statuen  und  andere  umfängliche  Gegen- 
stände als  Weihgeschenke  von  geringerem  Umfang  aufge- 
stellt waren. 

Südöstlich  ausserhalb  der  Umfassungsmauer  des  Temenos 
findet  sich  ein  länglich  vierecktes  Bauwerk  von  144  M.  zu 
13  M.  50,  dessen  in  hellenischer  Bauweise  aufgeführte  Mauern 
das  Niveau  des  gegenwärtigen  Bodens  nicht  überragen.  Beim 
ersten  Blick  könnte  man  geneigt  sein,  darin  eine  für  die  Nai'a, 
die  in  Dodona  zu  Ehren  des  Zeus  Naios  und  der  Dione  gefeier- 
ten Spiele,  bestimmte  Anlage  zu  erkennen ;  aber  die  grosse 
Nähe  der  Mauer  des  Temenos,  welche  die  Bewegungen  der 
Kämpfer  und  der  Zuschauer  allzusehr  eingeengt  haben  würde, 
lässt  mich  vermuthen,  dass  dieses  Bauwerk  vielmehr  zu  den 


172         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

Tempelanlageu   gehörte    und   zu   irgend    welchen    religiösen 
Zwecken  diente. 

Ausser  den  Gebäuden,  deren  Ruinen  entdeckt  worden 
sind,  müssen  in  Dodona  auch  ein  Stadion  und  ein  Hippo- 
drom für  die  schon  erwähnten  Festspiele,  die  Nai'a,  vor- 
handen gewesen  sein;  aber  sei  es,  dass  man  während  der 
hellenischen  Zeit  keine  bedeutenderen  baulichen  Anlagen  zu 
diesem  Zwecke  errichtet  hat,  sei  es  dass  dieselben  später 
zerstört  worden  sind,  um  anderen  neueren  Anlagen  Platz  zu 
machen  —  ich  habe  keine  Ruinen  gefunden,  welche  von 
solchen  Baulichkeiten  herrühren  und  ihre  Stelle  bestimmen 
könnten.  Ich  glaube  jedoch,  dass  das  Stadion  südwestlich 
vom  Temenos,  südöstlich  vom  Theater  angesetzt  werden 
kann,  an  der  Stelle,  wo  meine  Nachgrabungen  Stücke  von 
Mauern  aus  kleinen  Steinen  und  Kalk  zu  Tage  gefördert 
haben ,  zwischen  denen  man  noch  hie  und  da  grosse  hei-  ■* 
lenische  Werkstücke  bemerkt.  Was  den  Hippodrom  an- 
belangt, so  scheint  mir  der  geeignetste  Platz  für  diesen  nord- 
östlich vom  Temenos  in  einer  Entfernung  von  einigen  hun- 
dert Metern  von  demselben  zu  sein.  In  dieser  Richtung 
bildet  die  zwischen  die  Hügel  hineindringende  Ebene  eine 
Art  von  natürlichem  Circus,  der,  an  drei  Seiten  von  An- 
höhen umgeben,  sowohl  für  das  Wagenrennen  als  für  die 
Zuschauerrsitze   geeignete    Räumlichkeiten   darbieten    würde. 


Zum  Schluss  gebe  ich  noch  ein  summarisches  Verzeich- 
niss  der  in  den  Ruinen  von  Dodona  gefundenen  Gegen- 
stände. 

Die  zahlreichste  und  wichtigste  Klasse  bilden  die  Weih- 
geschenke und  sonstigen  Bruchstücke  aus  Bronze  und  Kup- 
fer; dieselbe  umfasst  folgende  Kategorien: 

I)  19  Bronzestatuetten  verschiedener  Epochen,  die  Mehr- 
zahl archaisch. 


Konstaniinos  Karapanos:   Bodona  und  seine  Ruinen.        173 

II)  28  Basreliefs  auf  Bronzeplatten,  verschiedene  Gegen- 
stände darstellend. 

III)  14  Statuetten  von  Thieren. 

IV)  24  Gefässe  und  sonstige  Weihgeschenke,  oder  Bruch- 
stücke von  Weihgeschenken,  welche  Weihinschriften  an  Zeus 
Nai'os  und  Dione,  sowie  eine  an  Aphrodite  tragen. 

V)  38  Inschriften  und  Inschriftfragmente  auf  Bronze- 
und  Kupfertafeln,  welche  Weih  ungen,  Proxenie-  und  sonstige 
Ehrendecrete,  Freilassungen  von  Sclaven  u.  dgl.  m.  enthalten. 

VI)  84  theils  vollständige,  theils  fragmentirte  Inschriften 
auf  Bleiplatten :  dieselben  enthalten  an  das  Orakel  des  Zeus 
Naios  und  der  Dione  gerichtete  Fragen  und  Gelübde  und 
einige  Antworten  des  Orakels.  Eine  gewisse  Anzahl  dieser 
Platten  enthalten  jede  bis  zu  drei  Inschriften  aus  verschie- 
denen, manchmal  weit  auseinander  liegenden  Epochen.  Diese 
Inschriften  sind  bisweilen  so  untereinander  gemengt,  dass 
ihre  Entzifferung  fast  unmöglich  wird.  Ich  habe  bis  jetzt 
nur  35  derselben  lesen  können. 

VII)  36  Fragmente  von  Kränzen,  Ornamenten  von  Har- 
nischen, Vasen,  Dreifüssen  und  anderen  Weihgeschenken, 
in  Bronze-  und  Kupfer  platten. 

VIII)  39  kleine  Dreifüsse  und  Bruchstücke  von  Drei- 
füssen, Candelabern  oder  Cisten. 

IX)  128  kleine  Becken,  Vasen,  Schalen  und  Bruchstücke 
von  solchen  Geräthen. 

X)  184  Gefässhenkel  von  verschiedenen  Formen. 

XI)  102  Toilette-  und  Schmuckgegenstände,  wie  Agraf- 
fen, Fibulae,  Armbänder,  Ringe  u.  dgl. 

XII)  16  Stücke  zum  Gebrauch  für  Reiter  und  Pferde, 
wie  Sporen,  Gebisse  u.  dgl. 

XIII)  33  Waffenstücke  wie  Helme,  Backenstücke  von 
Helmen,  Pfeilspitzen  u.  dgl. 

XIV)  27  Bruchstücke  von  Werkzeugen  verschiedener 
Art,  wie  Messern,  Scheeren,  Griffeln  u.  dgl. 


174         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

XV)  46  Stücke  von  Gegenständen,  die  wahrscheinlich 
zu  religiösen  Ceremonien  verwendet  worden  sind,  wie  Basen 
von  Weihrauchfässern,  kleine  Büchsen,  kleine  Votivbeile  u.  dgl. 

XVI)  100  Bruchstücke  von  Statuen  verschiedener  Grös- 
sen und  von  Statuetten  von  Thieren. 

XVII)  110  Bruchstücke  verschiedenartiger  Gegenstände, 
wie  Schlösser,  kleine  Hacken,  Ornanientnägel  u.  dgl. 


Die  Fundstücke  aus  Eisen  bestehen  in  37  Lanzen- 
spitzen verschiedener  Form  und  Grösse,  4  Bruchstücken  von 
Schwertern,  1  Ring  und  einigen  Bruchstücken  von  Werk- 
zeugen, wie  Griffeln,  Strigiles,  Messern,  Scheeren,  Nadeln 
u.  dgl.  

Aus  Gold  und  Silber,  sowie  aus  Terracotta,  Marmor 
und  anderen  Materialien  habe  ich  nur  sehr  wenige  und  zwar 
unbedeutende  Gegenstände  gefunden. 


Endlich  sind  auch  662  Münzen  —  14  Silberniünzen, 
648  Bronzemünzen  —  gefunden  worden,  welche  sich  in  fol- 
gende Kategorien  vertheilen: 

288  Münzen  von  Epirus  und  verschiedenen  epirotischen 
Gegenden,  darunter  3  in  Silber. 

82  Münzen  verschiedener  griechischer  Städte  und  Land- 
schaften, darunter  5  in  Silber. 

90  Münzen  verschiedener  makedonischer  Könige  und 
Städte,  darunter  3  in  Silber. 

60  römische  Münzen,  darunter  3  Silbermünzen. 

142  ganz  unkenntlich  gewordene. 


175 


Sitzung  vom  5.  Mai  1877. 


Herr   Lauth   hielt  einen  Vortrag: 

„Augustus-Harmai's". 

Ueber  die  weltgeschichtliche  Bedeutung  des  römischen 
Kaisers  Augustus  herrscht  wohl  kein  Zweifel  und  ist  die- 
selbe bereits  Gegenstand  so  mancher  historischen  Werke 
geworden.  In  vorliegender  Abhandlung  soll  sein  Verhält- 
niss  zu  Aegypten,  namentlich  aber  die  unter  seinem  Namen 
bewerkstelligte  Kalenderreform,  sowie  der  an  ihn  geknüpfte 
Haltpunkt  der  Chronologie  näher  geprüft  werden. 
Nachdem  ich  bei  einer  früheren  Gelegenheit A)  die  unter 
seine  Regierung  fallenden  Schalttage  besprochen  habe,  kann 
ich  mich  in  Bezug  auf  seine  Fixirung  des  ägyptischen 
Wandeljahres  Anno  25  v.  Chr.  etwas  kürzer  fassen,  um 
desto  grössere  Aufmerksamkeit  derjenigen  Epoche  zuzu- 
wenden, welche  uns  den  neuentdeckten  Namen  des  Augustus: 
Harmais   endgültig  erklärt.  * 

Bekanntlich  zählte  Augustus  seine  Regierungsjahre  vom 
Tage    der  Ermordung   seines   Adoptivvaters   Julius    Caesar 


1)    „Die  Schalttage  des  Euergetes  I.  und  des  Augustus"   Sitzgsb. 
d.  k.  bayr.  Ak.  d.  W.  1874  Februar. 


176         Sitzung  der  philos.-philol.  Classc  vom  5.  Mai  1877. 

an,  also  seit  den  Iden  des  März  44  v.  Chr.  Als  er  aber 
am  1  sten  Tage  des  ihm  zu  Ehreu  Augustus  genannten 
Monates  die  Hauptstadt  Alexandria  erobert  hatte,  die  dess- 
halb  auch  SsßaoTr'i2)  d.  h.  Augusta  genannt  wurde,  ergab 
sich  eine  doppelte  üatirung.  Ein  schlagendes  Beispiel  der- 
selben liefert  uns  eine  Inschrift  von  Philae3),  datirt  L  X 
tov  Kai  e  (Daf.i(Evtü&)  X  „Jahr  20,  welches  auch  Jahr  5, 
am  30  ten  Phamenoth".  Letronne  bemerkt  dazu  mit  Recht : 
,,notre  inscription  est  de  Tan  V  d' Auguste,  c'est-ä-dire,  de 
la  meine  annee  que  l'etablissement  du  calendrier  fixe  alex- 
andrin". In  der  That  bietet  Syncellus4)  ganz  den  näm- 
lichen Ansatz :  ano  tov  ita^  avTolg  Oto&  (.irjvog  Ttjg  tvqio- 
ryg  ytieqag,  TjTig  xara  x#  tov  AvyovGTOv  (urjvog  ov(x- 
rtiTtTBL  Kai  xcctcc  %()6vovg  tf  dfxeißovTEg  fxlav  r^igav  .... 
AvyovöTov  de  etel  te  .  .  .  .  Tiqv  !AkE%avdqEiag  aXtooiv  .  .  . 
IIE&  y\v  aq^a^evrjv  etel  e  yivyovOTOv  TE^r\vai  Ty\v  tetqcc- 
ETTjQixiqv  yiAEQccVy  Kai  ii£%Qi  tov  vvv  oiTco  xa#'  "EXXrjvag 
t\toi  IdXE^avdqEig  iprjcpi^EO&ai  x.  t.  X.  Dieser  gute  Syncellus 
ist  zwar,  wie  so  oft,  etwas  verwirrt;  aber  dieser  Doppel- 
ansatz 20  =  5  ergibt  sich  mit  Notwendigkeit  aus  seiner 
weitläufigen  Darstellung  5). 

Im  Grunde  genommen,  bedürfen  wir  überhaupt  keines 
äusseren  Zeugnisses  für  die  von  Augustus  —  Caesar  —  der 
Gewährsmann  des  Syncellus  sagt  treffender  vito  AvyovOTOv 
Kaiaaqog  Kai  twv  TrjVLKavTa  oocpwv  —  also  vielmehr  von 
Alexandrinischen  Gelehrten  eingeführte  Kalenderreform. 
Denn  das  Datum  selbst:  29.  August  =  1.  Thoth  des 
Wandeljahres  ist  ein  doppeltes  und  gewährleistet  aus  sich 
selbst  von  innen  heraus  die  Epoche:  25  v.  Chr.  Wir  wissen 
ja   aus   des   Censorinus   classischer   Stelle    (de   die  natali  c. 


2)  Stephanus  Byz.  vergl.  den  Anhang. 

3)  Letronne:  Recueil  des  inscript.  gr.  II,  125.  132. 

4)  Ed.  Dindorf.  p.  590/591. 

5)  Vergl.  den  Text  nebst  Bemerkungen. 


Lanth:  Augustus- Harmais.  177 

18.  21),  dass  die  Sothisperiode,  in  deren  lOOstem  Jahre 
(239)  er  schrieb,  während  des  Quadrienniums  136  — 139  n. 
Chr.  ihren  Anfang  nahm  und  zwar  a  primo  die  mensis 
ejus,  cui  apud  Aegyptios  nomen  est  Thoth,  quique  hoc 
anno  fuit  a.  d.  VII.  Kai.  Julias,  quum  abhinc  annos  cen- 
tum,  Imperatore  Antonino  Pio  II.  et  Bruttio  Praesente  Coss. 
idem  dies  fuerit  a.  d.  XII.  Kai.  (lies  XIII.  Cal.)  Augustas, 
quo  tempore  solet  canicula  in  Aegypto  facere  exortum.  In 
der  That  besteht  zwischen  dem  25ten  Juni  und  dem  20ten 
Juli,  dem  wahren  Epochentage,  ein  Unterschied  von  6  +  19 
=  25  Tagen,  welche  einem  Jahrhundert:  25X4,  ent- 
sprechen. Die  Correctur  XIII.  Cal.  statt  XII.  Kai.  habe 
ich  schon  früher  gerechtfertigt. 

Rechnet  man  nun  in  derselben  Weise  vom  Epochen- 
tage der  alexandrinischen  Fixirung:  29.  August,  bis  zum 
Epochentage  des  Sothisfrühanfgangs  am  1.  Thoth  des 
Wandeljahres:  =  20.  Juli,  zurück,  so  erhält  man  28+12 
=  40  Tage.  Diese  ergaben  40  X  4  =  160  Jahre  und  diese, 
bezogen  auf  den  Schluss  der  Periode:  135  n.  Chr.  ergeben 
unfehlbar  das  Jahr  25  v.  Chr,  als  Epoche  der  Fixirung. 

Dasselbe  Resultat  wird  erzielt,  wenn  man  den  Früh- 
aufgang des  Sirius  Anno  25  v.  Chr.:  am  26ten  Epiphi, 
auf  den  1.  Thoth  nach  vorwärts  bezieht.  Es  verfliessen 
nämlich  zwischen  beiden  Daten  5  +  30  +  5  (Epagomenen) 
=  40  Tage,  welche  wiederum  das  Facit  160  Jahre  und  die 
Epoche:  25  v.  Chr.  liefern.  Leider  hat  ein  Bruch  des 
Papyrus  Rhind6)  uns  die  Constatirung  dieser  Thatsache 
versagt,  indess  steht  wirklich  auf  einem  Fragment  „der 
Aul  gang  der  Sothisu  und  da  im  fixirten  Kalender  auch 
diese  Erscheinung  fixirt  ist,  so  macht  es  keinen  Unterschied, 
dass    das  Document    vom  Jahre  21  des  Augustus    (seit  der 


6)    Vergl.  meine  oben  citirte  Abh.  über  „die  Schalttage  des  Euer- 
getes  I.  und  des  Augustus." 


178         Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

Eroberung)  datirt  ist.  So  z.  B  berechnet  der  Mathematiker 
Theon  von  Alexaudria  in  seinem  so  wichtig  gewordenen 
„Beispiel  über  den  Frühaufgang  des  Hundssternes"  dieses 
Phaenomen  für  Alexandria  auf  den  29tenEpiphi.  Reducirt 
man  dies  auf  den  Normalparallel  der  Sothisbeobachtung 
d.  h.  auf  Heliopolis,  so  erhält  man  richtig  den  26ten  Epiphi. 
Theon  rechnet  nach  dem  fixirten  Kalender  die  seit  der 
Reform  des  Augustus  verflossenen  Tetraeteriden  zu  102  = 
408  Jahren,  ein  Beweis,  dass  sowohl  die  einzelnen  Jahre 
als  die  vierjährigen  Schaltcyclen  seit  dieser  That  der 
Fixirung  gezählt  wurden,  womit  eine  eigentliche  A  e  r  a  de- 
finirt  ist.  Ebenso  zählt  er  von  der  Epoche:  29.  August 
284  als  Aera  des  Diocletian  bis  auf  sein  Jahr  gerade  ein 
Saeculum,  wie  oben  Censorinus  in  Bezug  auf  Antoninus 
Pius  gethan  hat.  Der  Anfang  dieser  Aera  des  Diocletian, 
die  von  den  koptischen  Christen  Aegyptens  stets  Aera  mar- 
tyrum  genannt  wird,  ist  zugleich  die  X^ig  Avyovoxov  d.  h. 
das  Ende  der  von  ihm  auslaufenden  Aera.  Analog  muss 
zu  cctvo  Mevotyqetog  das  Wort  Xrj&g  hinzugedacht  werden 
und  dann  hat  man  das  interessante  Gegenstück  zu  Herodot's 
Molqc  (pVTCOi  r\v  erea  elvccKOGia)  TeteXevTrjxoTi.  So  wie  diese 
auf  1325  v.  Chr.  als  Epoche  hinführen,  ebenso  ergeben  des 
Theon  ezt]  axe  1605  J.  mit  Bezug  auf  284  n.  Chr.,  das 
Schlussjahr  der  Tetraeteris  1325  —  1322  v.  Chr. 

Ich  will  nun  den  Gebrauch  des  fixirten  Kalenders  auch 
in  solchen  Inschriften  nachweisen,  die  sich  zunächst  auf  den 
Kaiser  Augustus  und  seine  Familie  beziehen. 

Am  Ostpropylon  der  Umfassungsmauer  des  Denderah- 
tempels  befindet  sich  zweimal  wiederholt  folgender  Text: 
cYjt£Q  avToytoaroQog  KaloccQog,  &eov  vlov ,  Jioc,  'EkevdeQioV) 
2eßao~tov,  87tl  x.  t.  X.  ol  cctio  trjg  (.irjTQ07toXewg  Kai  tov 
vofxov  zo  Ttqoftv'kov  *'loidi  &ea  ixeyiOTiß  xal  tölg  ovvvaoig 
üeolg. 

"Erovg  Xa  KctioctQog,  Qwv&  2eßao~Trj. 


Lauthi  Augustus-Harma'is.  179 

Letronne 7)  hat  mit  gewohnter  Meisterschaft  nach- 
gewiesen, dass  dieser  in  den  Monat  Thoth  fallende  Au- 
gustustag :  2eßaorrj  i^ifQct^  kein  anderer  als  der  Geburtstag 
des  Kaisers :  a.  d.  IX.  Kai.  Octbr.  =  23.  September  = 
26.  Thoth  gewesen  ist.  Merken  wir  uns  zugleich  das  Jahr 
31  als  untere  Gränze  des  im  nächsten  Abschnitte  zu  be- 
sprechenden chronologischen  Beinamens  Harmai's. 

Derselbe  französische  Forscher  erwähnt  einer  Inschrift 
aus  der  grossen  Oase :  L  B  ytovxlov  Aißiov  2eßaorov  2ovX- 
itw.iov  TaXßa  avToxQccTOQog  (Dacocpl  a  LovXia  2eßaoTJj.  Da 
Livia  nach  dem  Tode  ihres  Gatten  Augustus  den  Namen 
Julia  Augusta  erhielt,  so  ist  kein  Zweifel,  dass  ihr  Geburts- 
tag gemeint  ist:  28.  September  =  1.  Phaophi  des  fixirten 
Kalenders.  Dass  man  so  viele  Jahre  nach  ihrem  Tode  unter 
Galba  ihres  Namens  und  eponymen  Tages  Erwähnung  that, 
erklärt  sich  meiner  Meinung  nach  aus  dem  Bestand theil 
Livius,  den  Galba  in  seinem  Namenprotokolle  führt;  er 
sollte  sich  dadurch  gleichsam  legitimiren,  da  ja  auch  Livia 8) 
in  die  Julische  Familie  aufgenommen  worden  war ;  ihr  Ge- 
burtstag „dies  natalis  Augustae"  wurde  natürlich  unter 
ihrem  Sohne  Tiberius  gefeiert. 

In  Bezug  auf  diesen  Stiefsohn  des  Augustus  hat  uns 
der  unerschöpfliche  Tempel  der  Hathor-lsis-Sothis  von  Den- 
derah  ein  wichtiges  Doppeldatum  bewahrt,  welches  ich  in 
meinen  „Zodiaques  de  Denderah"  ausführlicher  behandelt 
habe.  Es  lautet:  cYtcsq  avxoxqazoqog  TißeQiov  Kaiaaqogj 
Nsov  SeßccOTOv,  dsov  2eßccOT0v  vlov,  Ircl  ^ivXov  x.  %.  X.  ol 
CLTto  %r\g  nrjtQOTtoletog  y,al  tov  vö(xov  to  tiqovclov  ^icpqoöiriß 
&ea  fieyiOTfl  %al  zöig  ovvvdoig  deolg  9).  L  xa   Tiße\_Qiov  xal- 


7)  Cl.  I.  80  sqq. 

8)  Tacitus  Annall.  I,  14;  VI,  5. 

9)  Dieses  &fols  hat  H.  Dümichen  in   seiner  neuesten  Publication 
ausgelassen  („Baugeschichte  des  Denderatempels"  pl.  X.") 


180         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

oaoog  140-vq  x«  Seßaorfj].  Das  Monalsdatum :  „den  21ten 
Athyr",  hat  schon  Letronne  an  der  zerstörten  Stelle  mit 
Sicherheit  ergänzt.  Den  wichtigen  Schluss  JSeßaoTjj  hatte 
ich  dem  Duplicate  der  Inschrift  entnommen,  welches  nur 
von  Cailliaud  bemerkt  worden  war;  den  Anderen  war  es 
entgangen,  da  es  höher  steht  und  stark  verwischt  ist. 

Zum  Ueberflusse  haben  wir  aber  dasselbe  Doppeldatum : 
21.  Athyr*  =  17.  November,  Geburtstag  des  Tiberius,  in 
den  hieroglyphischen  Emblemen  des  Thierkreises  selbst.  Auf 
der  einen  Seite  als  eponyme  Gottheit  des  Monats  Athyr, 
sitzt  Hathor  mit  einem  Jungen  (Tiberius)  auf  der  Hand ; 
sie  hat  hinter  sich  das  Doppelemblem  der  Dekade :  eine  in 
5  Doppelwindungen  geringelte  Schlange  und  einen  recht- 
winkligen Steinblock  --  vergl.  die  Pyramidenstufen  als 
Repräsentanten  der  Dekaden.  Gegenüber,  wo  die  strahlende 
Sonnenscheibe  aus  dem  fioqiov  der  Himmelsgöttin  hervor- 
kommt, ist  der  Hathorkopf  mit  den  bekannten  Kuhohren 
auf  einem  Doppelblocke  angebracht;  das  ist  wieder  ein 
emblematisches  Bild  für  den  2 1  ten  Athyr,  wo  zwei  Dekaden 
vorüber  sind  und  die  dritte  beginnt.  Bestünde  noch  ein 
Zweifel  über  die  Absichtlichkeit  des  Horoscops,  so  würde 
die  exceptionelle  Form  der  Strahlen  des  Sonnenlichtes  den- 
selben sofort  heben  :  dieselben  sind  in  e  i  1  f '  Schichten  ge- 
ordnet, die  sich  nach  unten  pyramidal  erweitern;  jede  ein- 
zelne besteht  aus  siebzehn  Dreiecken;  das  Ganze  ergibt 
den  aenigmatischen  Ausdruck  für  das  Datum  17./11.  d.  h. 
den  17.  November,  wie  wir  dies  jetzt  noch  so  schreiben. 

In  jüngster  Zeit  ist  durch  die  rastlosen  Bemühungen  des 
H.  Dümichen  an  der  Aussenwand  desselben  Tempels  ein  neues 
Doppeldatum  zum  Vorschein  gekommen.  An  der  südlichen 
Aussenwand  des  Tempels  von  Deuderah,  in  unmittelbarem 
Anschlüsse  an  die  Legenden  des  Augustus,  ist  Tiberius 
Claudius  Caesar  Augustus  Germanicus  Imperator  in  Anbe- 
tung vor  Osiris-Nilus  und    Seb  (Kronos)  dargestellt.      Die 


' 


Lauth:  Augustus-Harma'is.  181 

unterhalb  angebrachte  griechische  Inschrift  besagt,  dass  für 
den  Frieden  und  die  Eintracht  dieses  Kaisers  die  beiden 
Götter  dargestellt  wurden  unter  der  Praefectur  des  L(e)ucins 
Aemilius  Rectus  und  der  Epistrategie  des  Tiberius  Julius 
....  us,  sowie  der  Strategie  des  Arius.  Das  Datum  selbst 
lautet:  ^'Etovq  B  Tißeqlov  KXavdlov  KaioaQog  2eßccöTov 
reQf^aviKOv  -AvtoxQccroQOQ  0aQf,iov&l  («7?  xiy?)  2eßaoTjj. 
Offenbar  haben  wir  hierin  wieder  ein  Doppeldatum,  da  ein 
Tag  des  Pharmuthi  als  SeßaoTrj  tj[4EQa  genannt  ist.  Leider 
hat  ein  Ausbruch  des  Steines  die  Zahl  hinter  (Daq^iovd^i  be- 
schädigt ;  nach  den  Spuren  zu  urtheilen ,  kann  es  nur  1 8 
oder  28  gewesen  sein  d.  h.  der  14.  oder  24.  April  des  rö- 
mischen Kalenders. 

Ausser   dieser   chronologischen   Bedeutung    enthält   die 
Darstellung  und  Legende  manches  Eigenthümliche.     So  hat 

z.  B.  Osiris  den  Beinamen    I^q      Nefer-hotep,  wie  der  in 

Theben  bleibende  Chonsu,  während  sein  Agent  Chonsn-p- 
ari-secher  „Ch.  der  Beschlussausführende"  genannt  wird. 
Ich  glaube  daher ,  dass  Osiris  „der  Gute ,  der  Ruhende 
(gOTn  bedeutet  auch  reconciliare)  die  Ausdrücke  vicsq 
el(H]vrjg  xal  opovolag  darstellen  soll.  Dass  er  wiederholt  als 
Nil,  Lotosblume  und  Schlange  im  Texte  erscheint,  enthält 
die  Andeutung  der  Seelenwanderung  während  der  3000  J. 
der  doppelten  Phoenix  periode.  Den  Kaiser  Claudius  wie 
er  dem  Osiris  den  Lotos  überreicht,  begleitet  die  Legende: 
„Herbeibringung  einer  Nymphaea  Lotus  für  seinen  Herrn, 
um  zu  befriedigen  den  Gott  durch  ein  Lieblingsgewächs, 
diesen  Gott  inmitten  seines  Gewässers.  Es  möge  sich  freuen 
dein  Herz  über  das  was  ich  gethan".  Hinter  dem  Kaiser 
läuft  ein  verticaler  Textstreifen:  „Es  ist  der  Kaiser  Clau- 
dius   stehend,    in    seinem    Hanse   als    lebendes   Abbild    des 

n  q  /wwva 

Wiederauflebenden      //■Y"/WWVA     (Nilus)    indem    er    aufrichtet 

B       1    /WWV\ 


182         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

die  Lotosblume  für  (tragend  ?)  die  Seele  des  Osiris ,  indem 
er  aufstellt  den  Gott  als  Lotos.  Er  ist  ja  der  Herr  der 
Gefilde,  der  an  Pflanzen  reichen,  welcher  sich  verjüugt  als 
Lotos  des  Gewässers'4. 

Der  wiederauflebende  Nil,  der  Verjüngungsprocess,  die 
Schlange   #  "Jj  (j  JL    ahäi   (oge    duratio)    welche    man    auch 

%*^Ek  CIT  «erpens  SÖT^lf  »SchlauSe 
qerh,  auftauchend  aus  dem  Lotos"  heisst,  besonders  aber 
die   wiederholte  Nennung  der   Seele   des   Osiris   mit   dem 

Zusätze      c^^vx^o  M       J§  'rf^         ,  „foecundans 

foeminas,  prolificans  patres  familias,  quos  amat"  scheint  mir 
entschieden  auf  die  beständige  Wiederholung  der  Generation 
hinzudeuten.  Dazu  passt  die  Legende  des  Gottes  Seb: 
der  Stammhalter  (nicht  veojtcctoqI)  der  Götter,  der  Rührige 

<fe^<£N<^\ — b  (Gegensatz  zum  „Ruhigen")  unter  den  Himm- 
lischen (3>T  deus),  der  göttliche  Meister  in  Denderah, 
der  Grossfürst ,  welcher  erschafft  die  Wesen  und  umgibt 
den  Thron  des  Osiris  —  Tat  10)-chepes".  Auf  Seb  (xgovog, 
XQovog)  bezieht  sich  wohl  auch  zunächst  der  verticale 
Text:  „Ich  gebe    dir  Zutritt  zu   dem  Sitze  der  Bedrängten 


10)    Das   Zeichen    u    tat  wird  oft  mit  der  Figur  des  Osiris  amal- 

gamirt;  «3]L  ist  chepes  zu  lesen  und  —  dem  semit.  ^"©n  frei  vor- 
nehm opp.  dem  Sclaven;  von  Dingen  gesagt  „prächtig".  Damit  har- 
monirt  die  häufige  Schreibung  qLll    _      chepesi;  der  Lesung  des  ma- 

sorethischen   chapeschi   entspricht  das  demot.    '"■Fanfl^    scheps- 

cliau,    sonst  steht      g  jl    =:    AStM,   beide  im  Anlaut  assibilirt. 


Lauth:  Augustus-Harmats.  183 

(Osiris),  welchen  dein  Herz  wünscht,    ich   verlängere   deine 
Jahre  in  Aegypten"  spricht  er  zum  Kaiser  Claudius. 

Es  kann  daher  auch  nicht  befremden ,  dass  man  dem 
alterthümelnden  Claudius  den  Gefallen  that,  genau  im  Jahre 
800  ab  Urbe  condita  einen  Phoenix  nach  Rom  zu  bringen 
und  sogar  auf  dem  Forum  aufzustellen.  Aber  des  Plinius 
Satz  „quem  f  als  um  esse  nemo  dubitaret"  ist  eben  so  zu- 
treffend, wie  des  Tacitus  Bemerkung  (Amial.  VI,  28)  über 
den  Phoenix  vom  Jahre  21  des  Tiberius:  ,,unde  nonnulli 
f  als  um  hunc  phoenicem  neque  Arabum  e  terris  credidere 
nihilque  usurpasse  ex  his,  quae  vetus  memoria  firmavit.1, 
Diess  äussert  er  im  unmittelbaren  Anschlüsse  an  den  Satz: 
,,inter  Ptolemaeum  (tertium  ex  Macedonibus,  also  Phila- 
delphum)  ac  Tiberium  minus  [D:]  Ducenti  quinquaginta 
anni  fuerunt."  Da  im  J  275  v.  Chr.  unter  Philadelphus 
die  Sommerwende  mit  dem  1.  Pachons  zusammenfiel,  so 
stimme  ich  H.  Lepsius  bei,  wenn  er  dort  eine  Epoche  der 
Phoenixperiode  ansetzt.  Nun  trifft  es  sich  aber,  dass 
die  dritte  Tetramenie,  welche  durch  den  Monat  Pachons 
eingeleitet  wird,  auch  in  der  Sothisperiode  einem 
Zeiträume  von  4  X  120  +  5  X  4  =  500  Jahren  ent- 
spricht, sowie  dieser  der  Phoenixperiode  einer  Tetramenie 
eignet.  Jetzt  wird  man  besser  verstehen ,  warum  Tacitus 
sagt :  ,,maxime  vulgatum  quingentorum  annorum  spa- 
tiumu  (des  Phoenix  für  eine  Tetramenie)  und  sofort  hin- 
zufügt: „sunt  qui  adseverent,  inille  quadringentos 
sexaginta  unum  interjici,  prioresqne  alites  Sesostride 
primum,  post  Amaside  dominantibus,  dein  Ptolemaeo, 
qui  ex  Macedonibus  tertius  regnavit,  in  civitatem,  cui  He- 
liopolis  nomen,  advolasse".  Mag  man  nun  meine  obige 
Correctur  des  Textes  zu  [D :]  Ducenti  quinquaginta  anni 
fuerunt,  billigen  oder  nicht ;  jedenfalls  ist  eine  Zweitheil iing 
der  500  Jahre  in  je  250  angezeigt.  Dass  diese  Zahl  sich 
für  das  Intervall  Amasis-Philadelphus  bewährt,  liegt  auf 
[1877.  I.Phil,  bist.  CK  2.]  13 


184        Sitzung  der  phüos.-phLol.  (Hasse  vom  5.  Mai  1877. 

der  Hand;  ebenso  führt  die  Rechnung  von  275  auf  25  v. 
Chr.  in  das  Epochenjahr  der  Fixiruug  des  Kalen- 
ders unter  Augustus.  Im  Gegensatze  zu  den  falschen 
Phoenixen  des  Tiberius  und  Claudius  ist  der  wahre  Phoenix 
dem  Augustus  zuzuschreiben  und  zwar  die  Hauptepoche 
desselben,  da  25  v.  Chr.  die  unter  Sesostris  1525  v.  Chr. 
anhebende  Periode  von  1500  Jahren  zu  Ende  geht  und  eine 
neue  beginnt. 

Da  ich  diesen  Gegenstand  in  meiner  Abhandlung  über 
die  Schalttage  weitläufiger  besprochen  habe,  so  verweise 
ich  hier  auf  diese  Arbeit  und  hebe  nur  den  Punkt  hervor, 
der  wohl  einleuchtend  geworden  sein  dürfte:  dass  wir  mit 
dieser  Epoche  des  Phoenix  25  v.  Chr.  die  eigentliche  Ur- 
sache oder  doch  Veranlassung  aufgespürt  haben, 
warum  gerade  in  diesem  speciellen  Jahre,  und 
nicht  schon  bei  der  Eroberung  selbst,  die  ägyptischen 
Gelehrten  dem  Augustus  zu  Ehren  die  Kalen- 
derreform   eingeführt   haben. 

Der  Titel  Papamahte. 

In  dem  wichtigen  Doppelpapyrus  Rhind,  der  zugleich 
eine  Art  Bilinguis  ist,  da  der  Text  hieratisch  und  demo- 
tisch geboten  wird,  sind  die  Todestage  des  Ehepaares  Sauif 
und  Tanua,  welche  um  48  Tage  auseinander  liegen:  10. 
Epiphi  und  28.  Mesori,  angegeben  und  in  das  21te  Jahr 
Kaisaros   d.  h.    des  Augustus   gesetzt.      Beide  Male   hat 

der  Name  des  Kaisers  den  Zusatz      m  \         x\      Var. 


m  \    iTx\        .    H.  Goodwin11),  dessen  Scharfsinn  sich 

schon  so  oft  bewährt  hat,  ist  auf  den  guten  Gedanken  ge- 
kommen, die  Form  2£^^  mahnt  dieses  Zusatzes  mit  dem 


11)    Zts.  f.  äg.  Spr.  1867,  81. 


Lauth:  Äuyustus- Harmais.  185 

koptischen  n^n^M^^Te  titulus  Augusti,  potentissimus,  zu 
identificiren,  Ohne  Zweifel  haben  die  Uebersetzer  an 
^Ai&^Te  potestas  gedacht  und  da  dieses  Wort  masc.  gen. 
ist,  so  hat*  die  Praefigirung  des  Artikels  n,  so  wie  die  des 
Possessiv-Artikels  n^  zu  dem  Compositum  n^-n-^M&gTe 
o  zrj-g  dvvdjLiewg  =  potentissimus,  grosse  Wahrscheinlichkeit 
für  sieh.  Und  dennoch  ist  diese  Bedeutung  falsch.  Denn 
die  Gruppe  f^T^  hat  beide  Male  die  Papyrusrolle,  nicht 
aber  den  bewaffneten  Arm  s  □  hinter  sich.  Wir  müssen 
also  die  gewöhnliche  Bedeutung  m\^  iraplere  festhalten, 
welche  vom  Determinativ  der  Papyrusrolle  begleitet  zu  sein 
pflegt. 

Die  Tanitica  liefert  uns  den  authentischen  Beweis  für 
die  Richtigkeit  dieser  Ansicht.      Der  Satz:     I    QUM         j 

n  H  >r"    ~Z^    $H 'fM    "^s  ^^  s^  nUD'  ^ass  (diese 

Mängel  des  Kalenders)  verbessert  und  ergänzt  worden 
sind  durch  die  beiden  Götter  Euergetenu  hat  auf  die  ganz 
identische  Pixirung  des  Wandeljahres  Bezug,  wie  sie 
unter  Augustus  zum  zweiten  Male  eingeführt  ward.  Der 
griechische  Text  übersetzt  wörtlich:  av^ßeßtjKev  öloq- 
Üwodai  Kai  äv<x7te7tkr]Qa)G&aL  diä  vwv  EvegyeTtov 
&ewv.  Man  sieht  auch  ohne  meine  Erinnerung,  dass  sich 
,  °^\  und  ävccTtejtlrjQioo&cu  entsprechen. 

Nachdem  so  die  Bedeutung  der  fraglichen  Gruppe  fest- 
gestellt ist,  handelt  es  sich  um  die  grammatische  Construc- 
tion  des  Satzes.  ,,Jahr  21  Kaisar's,  dessen  Thun  die  Er- 
gänzung" bietet  sich  ungezwungen  dar.  Man  muss  berück- 
sichtigen, dass  im  Aegyptischen  das  Participium  auf  ut 
oder  tu,  gewöhnlich  mit  passiver  Bedeutung  behaftet,  bei 
Praefigirung  des  bestimmten  Artikels ,  wie '  in  dem  vorlie- 
genden Falle,  den  Sinn  eines  abstracten  Substantivs  erhält: 

la* 


186  Sitzung  der  philos.-philöl.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

pa-mahtu  bedeutet  also  wörtlich  „die  Ausfüllung,  die  Er- 
gänzung 12).  Trat  nun  der  Possessivartikel  n&.  vor  dieses 
pa-mah-tu  so  wurde  daraus  kopt.  nev-n^-M^^Te  6  rrjg  dva- 
TrlrjQcooeiog,  offenbar  ein  wichtigerer  Titel  als  potentissinius, 
abgesehen  davon,  dass  er  sich  auch  als  der  richtigere  er- 
wiesen hat.  Denn  es  lässt  sich  leichter  begreifen,  dass  die 
Kopten  den  Augustus  wegen  seiner  That  der  Ergänzung 
des  Wandeljahres  zum  fixen  Jahre  mit  einem  eigenen  Bei- 
namen bedacht  haben,  als  dass  in  ihrer  Litteratur  sich  der 
Potentissinius  behauptet  hätte,  dessen  Prototyp  noch  nicht 
einmal  aufgezeigt  ist. 

Abgesehen  von  Euergetes  I.  und  Diocletian,  zwischen 
denen  Augustus  in  der  Mitte  steht,  wesshalb  er  in  der 
Keihe  der  Kalenderreformatoren  nicht  mit  Stillschweigen 
übergangen  werden  konnte,  liefert  derselbe  Papyrus  Rhind 
einen  greifbaren  Beweis  für  meine  Erklärung  der  Gruppe 
en  pa  mah-tu  au  ari-f,  „dessen  That  die  Ergänzung"  = 
ndaiÄ.M^£Te  durch  den  Umstand,  dass  das  „Jahr  21  Kai- 
sar osu  eben  nichts  anderes  ist  als  ein  Schaltjahr,  in 
welchem  sich  die  That  des  Augustus  practisch  geltend 
machte.  Denn  da  die  Aegypter  ihr  Schaltjahr  um  eine 
Stelle  früher  hatten,  als  der  römisch-julianische  Kalender  13), 
so  waren  die  Jahre  2,  4,  6,  10  etc.  =  26  Schaltjahre; 
das  21te  Jahr  ist  aber  zusammenfallend  mit  10  v.  Chr. 

Man  sieht,  dass  der  Schreiber  der  Rhind-Papyri  einen 
triftigen  Anlass  hatte,  bei  seiner  Datirung  „Jahr  21  Kai- 
sar os"  den  Beisatz  „dessen  That  die  Ergänzung  ist"  anzu- 
fügen. Noch  wichtiger  ist  ein  andrer  Titel  oder  vielmehr 
Beinamen. 


12)  Auch  das  latein.  Particip  auf  tum  wird  so  gebraucht,  z.  B. 
Liv.  VII.  22  tentatum  „der  Versuch" ;  VII,  8  diu  non  perlitatum  „die 
lange  unzusagende  Opferung"  cf.  I,  53;  IV,  18,  59. 

13)  Boeckh:  „Manetho  etc.  p.  24  auf  Grund  des  fragm.  Dodwell. 


Lauth:  Augustus- Harmais.  187 

Harm  a  i'  s. 

Die  bisher  entwickelten  Punkte  haben  hoffentlich  die 
Ueberzeugung  begründet,  dass  in  der  That  die  anno  25  v. 
Chr.  unter  Augustus  fixirte  Jahresform  im  Gebrauche  war 
und  dass  der  Titel  nAJiivM^gTe  als  Signatur  dieser  Neu- 
erung zu  betrachten  ist.  Aber  das  alte  Wandeljahr  zu  365 
Tagen ,  welches  ohne  alle  Einschaltung  fortschritt ,  und 
wegen  seiner  Priorität  im  Verhältniss  zu  der  Neuerung  mit 
xar'  ccQ%aiovQ  —  kccz1  ^ilyvmiovg,  „sicut  institutum  est 
ab  antiquis"  bezeichnet  wurde,  hatte  dadurch  seine  Geltung 
nicht  verloren.  Sowohl  die  Gelehrten,  wie  schon  so  manche 
der  citirten  Beispiele  beweisen,  bedienten  sich  desselben  bei 
ihren  Rechnungen  fortwährend,  als  auch  in  Inschriften 
von  Privaten  erscheint  dasselbe  neben  dem  fixen  Jahre. 
Als  sein  Symbol  ist  der  Beiname  des  Augustus:  Harmais, 
zu  betrachten,  dessen  Enträthselung  ich  im  Folgenden  ver- 
suchen will.  Den  Einwand,  dass  man  von  Augustus  bisher 
diesen  Bein  amen  Harmais  aus  classischen  Quellen  nicht 
erfahren  habe,  dürfte  schon  die  Erwägung  beseitigen,  dass 
auch  kein  griechischer  oder  römischer  Autor  seinen  Titel 
Papamahte  erwähnt  hat. 

Ich  hebe  aus  dem  reichen  mir  vorliegenden  Materiale 
nur  eine  Inschrift  des  Museums  von  Bulaq  hervor.  Dieselbe 
ist  von  Brugsch  1"4)  mitgetheilt  und  sachgemäss  erläutert 
worden.  Sie  lautet:  'Ytvsq  Tißeqiov  KaloccQog  SeßctGTOv 
!A7toXkiovLog  y.wfxoyqa^aTevg  wteq  sccvtov  xal  yvvai^i  (sie!) 
Kai  zeyivov  (sie!)  E7Colrjoev  riqv  ohoöo^riv.  L  i£  Tißeglov 
Kaloagog  Seßaorov  Tvßq  [M.  irß.     Der  Text  ist  scheinbar 


14)  Zts.  f.  äg.  Spr.  1872  p.  27.  Trotz  dieses  und  anderer  Bei- 
spiele beharrt  H.  Brugsch  auf  der  Ignorirung  des  Wandeljahres. 
So  nicht  nHr  in  seinen  „Materiaux",  sondern  auch  in  seiner  neuesten 
Schrift  „Drei  Festkalender"  wo  er  sogar  den  griech.  Sphärenlöwen 
ägyptisch  deutet. 


188         Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vqih  5.  Mai  1877. 

ganz  werthlos,  da  nicht  einmal  das  Monatsdatum  deutlich 
erhalten  ist.  Zum  Glücke  bietet  das  demotische  Original 
das  Erwünschte,  es  lautet:  „Für  das  Wohlergehen  des  Ti- 
berios  Kaisaros  Sebastos ,  von  Seiten  des  Apollonius 1S) 
(Apulanis)  Klaudianos ,  des  Stadtschreibers  von  Abydos 
nebst  seiner  Frau  und  seinen  Kindern,  vor  Osiris  Horus 
Isis,  den  Göttern  des  Tempels  von  Abydos  und  den  Göttern 
der  Bestattung,  und  denen,  welche  nachher  (bestattet  wer- 
den), sintemalen  er  es  ist,  welcher  gemacht  hat  die  Wieder- 
herstellung des  Hauses  in  dem  Tempel  von  Abydos.  Ge- 
schrieben im  Jahre  17  des  Tiberios  Kaisaros,  Sohnes  des 
Gottes  (viov  tov  S-eov)  am  18ten  Tybi  des  Joniers,  welches 
macht  den  1  sten  Mechir  des  Aegyptersu. 

Mit  letzterem  Ausdruck  ist  das  Wandeljahr  gemeint, 
während  der  „Jonier"  die  alexandrin  ischen  Hellenen,  also 
den  fixen  Kalender  der  Augusteischen  Reform  bezeichnet. 
Die  Reduction  auf  den  römischen  Kalender  ergibt  den 
13  ten  Januar  des  Jahres  31  n.  Chr.  Dadurch  ist  die  Er- 
gänzung des  griechischen  Textes,  welcher  bezeichnender 
Weise  nur  nach  dem  jonischen  d.  h.  fixen  Kalender  datirt, 
sicher  gegeben;  das  vor  der  Zahl  IH  noch  vorhandene 
Zeichen  entpuppt  sich  als  M.  Abkürzung  für  Mrjvog,  wie 
ja  auch  das  Decret  von  Kanobos  den  Ausdruck  vov\x^vla 
tov  JJavvl  f.irjvog  gebraucht. 

Dieses  einzige  Beispiel  genügt  zu  der  Constatirung  des 
Factums,  dass  neben  dem  unter  Augustus  fixirten  das  alte 
ägyptische  Wandeljahr  von  den  Aegyptern  fortwährend  zur 
Geltung  gebracht  wurde.  Da  nun  vermöge  der  Verschiebung 
dieses  Wandeljahres  im  Verhältniss  zum  festen  Sothis- 
jahre  im  Jahre  5—2  vor  unserer  Aera,  der  Frühaufgang 
des  Sirius  auf  den  ersten  Tag  des   Monats    Mesori   über- 


15)    Nicht  Amonios,  wie  Brugscb  liest;  auch  in  andern  Punkten 
jnuss  ich  von  ihm  abweichen. 


Laulh:  Augustus- Harmais.  189 

ging,  so  ist  es  gewiss  sehr  natürlich,  class  die  Aegypter  aus 
Anlass  dieser  Comcidenz  dem  Augustus  einen  entsprechenden 
Beinamen  ertheilt  haben  werden.  Ist  nicht  in  ganz 
analoger  Weise  für  die  Kalendarische  Reform  des  Euer- 
getes  I.  die  vov\.u}via  %ov  Ilavvl  jnt]vog  gewählt  worden  ?  Diese 
liegt  um  zwei  Monatsverschiebungen  (hanti)  vor  der  Coi'n- 
cidenz  anno  5  v.  Chr.,  was  nach  leichter  Berechnung  einen 
Zeitabstand  von  2  X  30  X  4  —  240  Jahren  ergibt.  Nachdem 
ich  nun  bereits 16)  für  Augustus  einen  von  der  eponymen 
Gottheit  des  Monats  Mesori  hergenommenen  Beinamen 
vermuthet  hatte ,  gereichte  es  mir  zu  wahrer  Befriedigung 
das  theoretisch  Vermuthete  über  alle  Erwartung  bald  in 
einer  factischen  Ringlegende  verkörpert  zu  sehen  —  es  ist 
der  Beiname   Harmais. 

Der  reichhaltige  Tempel  von  Denderah  bietet  unter 
seinen  vielen  Textschätzen  auch  diesen  Fund,  den  wir  der 
Publicatiou  des  H.  Dümichen  verdanken.  Er  sagt  darüber 
ad  tab.  IX:  ,,die  die  unterste  Bilderreihe  der  nördlichen 
„und  südlichen  Aussenwand  eröffnenden  Kaiserbilder ,  an 
„welche  sich  auf  beiden  Seiten  dann  in  der  Richtung  von 
„Osten  nach  Westen  die  Darstellungen  der  Bauceremonien 
„anschliessen.  Das  untere  Eckbild  (a)  an  der.  nördlicheu 
„Aussenwand  soll  uns  den  Kaiser  Augustus  vorführen, 
„während  in  dem  an  der  südlichen  Aussenwand  angebrachten 
„(b)  der  dort  dargestellte  Herrscher  den  Namen  Halmis- 
„(Harmis-)  Kaisaros  „Liebling  des  Ptah  und  der  Isis'*  führt 
„.  .  .  Da  der  so  geschriebene  Kaisername  sonst  nirgend, 
„so  viel  mir  bekannt,  bis  jetzt  aufgefunden  worden  und  er 
„auch  in  Dendera  nur  in  ein  paar  Feldern  der  südlichen 
„Aussenwand  vorkommt,  da  ferner  dort  in  den  Feldern  vor- 
„her  und  in  denen  darüber  nur  die  Schilder  des  Augustus 
„und  Claudius  eingetragen  sind,    worauf  dann    an   der  an- 


16)    In  meinem  Buche:  „Aegyptische  Chronologie14, 


190        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

„stossenden  Wand  des  Hypostyls  der  Name  Nero  auftritt,  so 
„vermuthe  ich,  dass  wir  in  dem  Namen  Harmis  nur  einen 
„Beinamen  des  Cajus-Caligula  haben.  Dieses  alle  Laster 
,,und  Thorheiten  in  einem  an  Wahnsinn  grenzenden  Maasse 
,,in  sich  vereinigende  Scheusal  gefiel  sich  bekanntlich  auch 
„eine  Zeitlang  besonders  darin,  den  Gott  zu  spielen  und 
„bald  als  Hercules  mit  dem  Donnerkeil  (!?),  bald  als  Neptun 
„mit  dem  Dreizack,  bald  als  Apollo  mit  der  Kithara  vor 
„der  versammelten  Menge  aufzutreten;  es  Hesse  sich  daher 
„auch  in  dieser  Erwägung  der  Name  Harmis  (die  hiero- 
„glyphische  Schreibung  für  Hermes),  einem  Kaiser  hier  bei- 
gelegt, der  nach  Augustus  und  vor  Nero  regiert  haben 
muss,  sehr  wohl  auf  Caligula  deuten.  Das  dem  Namen 
noch  besonders  hinzugefügte  Bestimmungszeichen  für  alles 
„Fremdländische,  das  Zeichen  des  Pfahles,  würde  gleichfalls 
„ein  durchaus  passendes  Determinativum  für  den  nicht 
„ägyptischen  Götternamen  Hermes  sein".  So  weit  H. 
Dr.  Dümichen. 

Beide  Vermuthungen  dieses  Gelehrten  sind  nicht  zu- 
treffend. Was  zunächst  die  Zutheilung  des  fraglichen  Na- 
mens an  Cajus  Caligula  betrifft,  so  ist  sie  durch  kein 
äusseres  Symptom  motivirt,  da  ja  zwischen  Augustus  und 
Nero  ausser  ihm  auch  noch  Tiberius  und  Claudius  stehen, 
also  ebenfalls  auf  den  Namen  Harmis  Anspruch  erheben 
könnten.  Sodann  hat  H.  Dümichen  selbst  durch  seine 
Gegenüberstellung  dieses  Harmis  vis-ä-vis  dem  unbestrittenen 
Augustus,  unbewusst  oder  vielleicht  nur  in  Rücksicht  auf 
die  Symmetrie,  das  Richtige  getroffen,  nur  dass  man 
seine  Tafel  IX.  von  der  Rückseite  betrachten  muss,  damit 
sie  seiner  eignen  Angabe  entspreche,  wonach  die  zwei 
Kaiserbilder  den  Anfang  der  von  Ost  nach  West  streichenden 
Darstellungen  bilden.  In  der  That  ist  die  Symmetrie  beider 
Kaisergestalten  und  Legenden  eine  so  vollständige,  dass  an 
ihrer    Zusammengehörigkeit    und    Zutheilung    an     einen 


Lauth:  Augustus-Harma'is.  191 

Kaiser  nicht  gezweifelt  werden  kann,  obschon  sie  iu  der 
Wirklichkeit  um  die  ganze  Breite  des  Tempels  von  ein- 
ander entfernt  und  nicht  so  unmittelbar  gegenüber  gestellt 
sind,  wie  auf  Taf.  IX.  der  Publication  des  H.  Dümichen. 

Alle  Symptome  weisen  darauf  hin ,  dass  sich  beide 
Kaisergestalten  zu  einander  verhalten  wie  rechte  und  linke 
Seite ;  die  Symmetrie  ist  eine  vollständige :  der  Harmis  hat 

den  weissen  Hut  Q  auf  dem  Haupte,  da  er  ja  der  Süd- 
seite entspricht,  die  bekanntlich  bei  der  Aufzählung  der 
vier  Weltgegenden  den  Anfang  macht ;  es  behauptet  dess- 
halb  der  Name  Harm(a)is   eine   bevorzugte   Stellung.     Ihm 

gegenüber  tritt,  mit  dem  rothen  Hute  V    bedeckt,   natur- 

gemäss  derselbe  Kaiser  mit  seiner  gewöhnlichen  Ring- 
Legende:   hyq-hyqu    sotepn    Ptah  ßccoiXevg   ßaoiXewv   ov  o 

"HcpmoroQ  iSoxlfiaöev,  da  ja   V    überhaupt  der  Nordgegend 

eignet.  Beide  Namen:  Harm(a)is  und  hyq-hyqu,  haben 
hinter  sich  das  sogenannte  Hauptschild  „Kaisaros  aiwvoßwg 
Liebling  des  Ptah  und  der  Isisu.  Dieser  unstreitig  dem 
Augustus  eignende  Hauptname  ist  aber  identisch  mit  der 
auf  derselben  Tempelwand  (West)  stehenden  Legende  des 
Ptolemaios  XVI:  „Kaisaros  altovoßiog,  Liebling  des  Ptah  und 
der  Isis". 

Man  sieht,  wie  man  dem  wirklichen  Sohne  des  Jul. 
Caesar  und  der  Kleopatra  VI  Philopator  nicht  bloss  das 
Leben,  sondern  auch  den  Namensring  zu  Gunsten  des  mäch- 
tigen Adoptivsohnes  Caesar  Augustus  genommen  hat. 

Weiter  bekundet  sich  die  Symmetrie  und  damit  die 
Zusammengehörigkeit  beider  Kaiserbilder  durch  die  An- 
bringung der  nämlichen  Scepter:  ,,der  £&.t  [  ist  in  meiner 
Rechten  beim  Heiter  (berühmt)-  machen  ihres  (der  Göttin 
Hathor-Isis-Sothis)  Tempels"  —  der  OTpAX    (baculus    ro- 


192         Sitzung  der  phi'os  -philol.  Clatise  vom  5.  Mai  1877. 

tuixlus,    seipio)   ist    in    meiner    Linken,  beim    urrein 17) 
macheu  ihres  Strahleubaues".     Natürlich    gehört    diese   le- 
gende zu    Q  ,    und    die   dem    \f    eignende,  wo  sie  fälschlich 

steht,  ist  entweder  nicht  ausgeführt  oder  beim  Copiren  ver- 
gessen worden;  sie  müsste  sicherlich  die  Ausdrücke  Rechte 
und  Linke  vertauscht  vorbringen. 

Die  Symmetrie  setzt  sich  fort  in  der  hinter  beiden 
Kaiserbildern  aufrechtstehenden  Stange  mit  einer  gekrönten 
Königsbüste;  sie  wird  gehalten  von  je  einer  männlichen 
Gestalt,  welche  ein  Armpaar  U  und  in  diesem  die  soge- 
nannte Bannerdevise  auf  dem  Kopfe  trägt.  Diese  lautet  für 
beide  gleichmässig:  „Hor-Ra  der  starke  Stier,  der  Strahlen- 
glänzende". Die  Büste  selbst  wird  beide  Male  erläutert 
,,die  lebende  Königspersonification  des  Herrn  der  beiden 
Länder  in  dem  Tuat-Hause  von  Tarer  (Tantarer  =  Tiv- 
TVQct)  Var.  „vom  Hause  des  Sistrums"  (mit  dem  bekannten 
Hathorcapitäl).  Den  die  Büstenstange  haltenden  Männern 
werden  die  Worte  in  den  Mund  gelegt :  „Ich  bin  hinter 
dir,  ich  schütze  dich  auf  Erden,  tödtencl  deine  Todfeinde  in 
der  Tiefe"  —  „ich  umfasse  und  vereinige  dein  göttliches 
Bild  mit  der  Tochter  des  Seb,  ich  erhebe  meine  beiden 
Arme  zu  der  Grossen." 

Nur  in  einem  Punkte  hat  der  Südhut  und  also  auch 
Harm(a)is  ein  Plus  aufzuweisen:  es  ist  die  hinter  all  den 
genannten   Bildern    und    Textcolumnen    angebrachte   Thüre 

mit   der   Legende:    lA^Sl        „die  grosse  Pforte".     Siesoll 

augenscheinlich  wieder  den  Vorzug  der  Südseite  ausdrücken 
und  andeuten,  dass  der  Eintritt,  also  der  Anfang,  auf  dieser 
Seite  zu  suchen  ist.  Hiemit  ist  noch  einmal  bewiesen,  dass 
Harmais   =''  Augustus. 


17)    Ich  habe  das  Wortspiel  in  etwas  nachzuahmen  gesucht.    Solche 
Alliterationen  und  Wortspiele  kehren  stets  wieder- 


Lauth:  Augustus-Harmais.  193 

Nunmehr,  nachdem  die  Zugehörigkeit  des  fraglichen 
Namens  zum  Protokolle  des  Augustus  dargethan,  und  jeder 
Gedanke   an  Cajus  Caligula   ausgeschlossen   ist,    handelt   es 

sich    um    die    Deutung    des     ?Qi<==(rD ^V  [  (   I  jffi  J 


Die   Einleitung   der    Ringlegende  Harmais,    nämlich    „Herr 

der  beiden  Länder"  ist   blosse  Variante  für    ^sr    ßccöiXevg 

rcov  ze  ccvcü  y,ai  rcov  %dcto  %ü)qiov;  der  Beweis  hierfür  liegt 
schon  darin,  dass  hinter  diesem  Ringe  der   andere    mit   der 

Legende  Kaisaros  folgt,  welcher  durch  OQ&  viog  cHllov, 

KUQiog  rcov  ßaoilsitov  eingeleitet  ist. 

Nun  würde  zwar  die  Gruppe  Harm(a)is  sich  mit  'EQfiirJQ 
'EQ^eiag  wohl  vereinigen  lassen,  um  so  mehr  als  Augustus 
in    Denderah   so   häufig    „Sohn,    Spross    des    Dhuti"    (mit 

mancher  variirenden  Schreibung18)    z.  B.   „Sohn  des    Yjj  j 

Htuti  (Dhuti)  genannt  ist.  Allein  „Sohn  des  Hermes"  und 
, , Hermes'1  sind  doch  keine  congruenten  Ausdrücke;  ausser- 
dem heisst  Augustus  ebendaselbst  „Sohn  des  Schu,  des  Seb 
etc.  ohne  dass  ein  solches  Praedicat  je  zu  einem  integri- 
renden  Theile  seines  amtlichen  Protokolles  geworden  wäre. 
Solche  Bezeichnungen  sind  nicht  anders  zu  beurthoilen  als 
der  oft  wiederkehrende  Satz  „ro  dUaiov  diisvei^ev  Ka&cc7teQ 
'Egiurjg  6  fAsyag  xai  f,i£yccg. 

Dazu  kommt,  dass  keiner  von  diesen  gelegentlich  an- 
gewendeten Ausdrücken  in  einen  Ring  eingeschlossen  er- 
scheint, wie  der  fragliche  Namen  Har(m)ai"s.  Ja  dieser  be- 
hauptet auch  dadurch  noch  einen  besonderen  Vorrang,  dass 
er  das  sogenannte  Thronschild  bildet.  Wenn  z.  B.  der 
Name  'OoviAtxvdvctg  sich  auf  Ramses  IL  bezieht,  welcher 
schon  als  Prinz  Ramessu  hiess,  aber  erst  mit  der  Thron- 


18)    Dümichen:  Baugeschichte  pl.  XLIV,  L. 


194        Sitzung  der  philos.-philol.  Clause  vom  5.  Mai  1877. 

besteigung  die  Legende  Ra  vesu(r)-ma  (nuti  aa)  annahm, 
woraus  jener  yOou^a~vdv-ag  entstanden  ist  —  so  lässt  sich 
sich  in  Bezug  auf  Harmais  etwas  Adaequates  vermuthen, 
dass  er  nämlich  entweder  der  Thronbesteigung  oder  viel- 
mehr der  chronologischen  Co  i  neide  nz  eignet,  weil 
mit  solchen  von  Alters  her  eine  Neudatirung  und 
Wiederkrönung  verbunden  zu  sein  pflegte. 

Gegen  die  Gleichung  Harm(a)i's  =  '.B^i^g  besteht  auch  das 
formelle  Bedenken,  dass  i  gesetzt  ist.  Ziehen  wir  das  Bei- 
spiel der  Nekropolbezeichnung  bei :  ra^,_^_2c^  Hades 
33  C^4iöt]g,  so  sieht  man  in  der  ersten  Sylbe  keine  Spin- 
des Iota  subscriptum  —  offenbar  wurde  es  damals  schon 
nicht  mehr  ausgesprochen  —  und  in  der  zweiten  Sylbe 
überhaupt  keinen  Vokal,  also  auch  beim  i  (|(|  für  das  griech.  17. 
Seit  meiner  Entdeckung19)  der  Prototype  von  dlxai  und 
tccozal  (alq-hahu,  fast-hahu)  kann  aber  in  Betreff  der 
Gleichheit  jenes  Hades  mit  l!didr]g  kein  vernünftiger  Zweifel 
mehr  bestehen. 

Es  ist  ferner  unerweislich,  dass  Augustus  den  Beinamen 
Hermes-Mercurius  erhalten  hätte,  obschon  bei  seiner  Per- 
sönlichkeit jedenfalls  besserer  Anlass  sich  bieten  mochte, 
als  bei  Cajus  Caligula.  Dagegen  spricht  Alles  dafür,  dass 
man  bei  Gelegenheit  der  Coi'ncidenz  des  Sothisfrühaufganges 
mit  dem  1.  Mesori  Anno  5  v.  Chr.  ihm  zu  Ehren  den  be- 
treffenden Bau  am  Tempel  der  Hathor-Isis-Sothis  begonnen 
und  den  Beinamen  c^4ojLiaig  in  seinen  Throuring  eingeschrieben 
hat,  um  damit  die  Epoche  selbst  zu  bezeichnen,  wie  es 
sonst  durch  ein  astronomisches  Horoscop  zu  geschehen 
pflegte. 

Man  erinnere  sich  au  die  Inschrift  vom  Ost-Propylon 
von  Denderah,  welche  auf  das  31.  Jahr  des  Augustus  lautet. 
Das  Jahr  5  v.  Chr.,  mit  welchem   ich    die  Einführung   des 


19)    „Zeitschrift  für  äg.  Sprache  und  Alterthumskuude"  1866. 


Lauth:  Augustus-Harmais.  195 

Beinamens  Harmais  in  Verbindung  bringe,  ist  das  26ste 
Jahr  seiner  ägyptischen  Regierung  —  man  sieht,  wie  der 
Bau  des  Propylon,  der  naturgemäss  später  fallen  musste, 
denn  der  der  Tempelwand,  als  untere  Grenze  vortrefflich  dazu 
stimmt. 

Was  ist  nun  aber  Z^Qpai'g,  die  bei  den  Griechen  jener 

Zeit   gebräuchliche    Form,    anders   als    v\     ~      oder    v^T 

Harmachu  =  c!AQfxa%ig^  durch  die  Mittelstufe  eines  theba- 
nischen  Harmahu  zu  c^AQfxa-\g  und  "Aq^ciiq,  ja  selbst  L4q(xaig 
geworden?  Dieser  so  graecisirte  Namen  erscheint  in  den 
bilinguen  Contracten  ausserordentlich  häufig  und  immer 
entspricht  er  dem  ägyptischen  Rar-m-achu.  Diese  Form 
des  solaren  Gottes  ist  aber  eponym  für  den  12ten  Monat 
des  Jahres:  Mesori;  folglich  kann  über  die  Zulässigkeit 
meines  Ansatzes  kein  Bedenken  obwalten. 

Wer  sich  daran  stossen  wollte,  dass  ein  ursprünglich 
ägyptischer  Name  wie  Harmachu  aus  der  abgeschliffenen 
griechischen  Form  "AQfjiaig  in  Hieroglyphen  umgesetzt  und 

desshalb  mit    ]    dem  Deutbilde  des  Ausländischen,    versehen 

worden  sein  sollte,  den  verweise  ich  auf  das  analoge  Bei- 
spiel   der   Tanitica:    hier    ist    der    zweite  Bestandtheil   des 

hybriden  Namens  (DiX-dfipiov  nicht    fi1— — JM^      geschrieben, 


wie   man  erwarten   möchte ,    sondern     v\   *sjv    12\   gjj,  weil 

buchstäblich  in  Hieroglyphen  übersetzt.  In  unserem  Falle 
waltete  übrigens  eine  besondere  Absicht  bei  dieser  Entleh- 
nung der  griechischen  Legende  3!Aqfiaigt  Wer  sich  mit 
ägypt.  Texten  befasst  hat,  muss  beobachtet  haben,  wie  die- 
selben   von    Anspielungen    förmlich    wimmeln.      Da    der 

Monatsname  Meooqi)  aus  (jJM^v     Mes-hor-re  gebildet  fet,  so 


196        Sitzung  der  p?iilos.-philol  (lasse  vom  5.  Mai  1877. 

bot  die  Schreibung   ( rü^\  (1(1  Mrjr  J      Harmais     don 

Vor th eil,  dass  man  an  Mes-har  erinnert  wurde,  was  bei  der 
Legende  Har-m-achu  nicht  der  Fall  ist.  Die  schwache  As- 
piration HD   =   '  statt    x      =    *'    entspricht    einerseits    dem 

Spiritus  lenis  der  Form  y!Aq(xa'i^  andererseits  dem  Lenis  in 
Meo-oot],  das  aus  Meo-OQrj  abgeschwächt  ist.  Aehnlich 
umschreiben  die  Kopten  eiQrjvr]  durch  ££ipHttH  und  dieses 
Wort  als  Eigennamen   erscheint    in  der  bilinguen  Philensis 

so  wie  in  der  Rosettana   als         WW  %\J|  He(i)rina*t  = 

Eloyvrj  mit  einer  Spur  des  Itacismus. 

Aus    diesem    Epochalnamen     des    Augustus:     Harmais 

scheint    auch    seine    Benennung    Öeög     v£r      zu   stammen. 

Während  er  nämlich  sonst,  wie  z.  B.  in  der  Inschrift  des 
Propylon  vlog  &eov,  nämlich  „Sohn  des  Jul.  Caesar"  ge- 
nannt wird  wie  Caesarion  in  einer  demotischen  Urkunde 
„Sohn  des  grossen  Gottes,  der  alle  Menschen  leben  macht " 
heisst,    wird    Tiberius    in   der   oben  citirten   Bilinguis    von 


WWA  r—l  /WV>  V\ 


S==JW]'   des  Gottes"  genannt.    Ob  damit 

die  Bezeichnung  &eov  iviavrog  für  eine  Periode  zusammen- 
hange, braucht  hier  nicht  näher  erörtert  zu  werden,  da  ich 
darüber  schon  anderwärts  gehandelt  habe.  Aber  die  andern 
Dynasten  mit  dem  Epochalnamen  Harma(chjis  gehören 
hierher. 

An  der  Spitze  steht  der  Gott  Harmachu  selbst.  In 
einer  Inschrift  von  Edfu  wird  seine  363  te  Tetraeteris  er- 
wähnt, zum  Beweise,   dass    man   ihm   eine   volle    Sothis- 

periode  zuschrieb:  _S^mn  UX^^j-  Der 
Tag  ist  ebenfalls  bedeutsam:  es  ist  der  Uebergang  vom 
2ten  Epagomen:  Mes-hor  „Geburt  des  Horus"  zum  3ten: 


Lauth:  Augustus- Barmais.  197 

Mes-Seth.     In    der  That  besiegte  er    diesen  Widersacher 
unter  dem  genannten  Datum. 

Zum  zweiten  Male  tritt  der  chronologische  Epochal- 
name unter  der  Form  Arminon  bei  Censorinus  auf.  Ich 
habe  in  meiner  „Aegyptischen  Chronologie"  dargethan,  dass 
in  der  ursprünglichen  Quelle  Harm(a)is-hun  „der  junge 
Harma(ch)isu  gestanden  hat,  und  dass  die  damit  bezeich- 
nete Epoche  das  Jahr  2925  v.  Chr.  ist,  wo  die  Anfänge 
der  VI.  Dyn.  spielen. 

Ein  drittes  Mal  treffen  wir  den  Namen  ^giiai'g,  'EQpaiog, 
cEQprjg  als  Cognomen  des  2icpd-ag.  Ich  habe  1.  1.  nachge- 
wiesen, dass  dazu  als  unterscheidendes  Merkmal  der  Name 
Javaog  —  Qcovig  —  Qwv  gehört  und  die  Epoche  1465  v. 
Chr.  dadurch  bezeichnet  wird,  eine  volle  Sothisperiode  zu 
1460  Jahren  von  dem  vorigen  Harmachis-hon  entfernt. 

Als  letztes  und  jüngstes  Glied  dieser  Kette  erscheint 
nun  der  Harmai's-Augustus  von  Denderah,  1460  Jahre  nach 
Siphthas,  genau  im  Jahre  5  v.   Chr. 

Wer  sich  durch  diese  zusammenhängende  Kette  noch 
nicht  überzeugt  erachtet,  der  möge  selbst  eine  andere  Lö- 
sung des  chronologischen  Räthsels,  sowie  der  durch  den 
monumentalen  Harmais  aufgeworfenen  Frage  versuchen. 


Fundort  und  Umgebung. 

Es  muss  neuerdings  betont  werden ,  was  ich  schon 
öfter  ausgesprochen  habe,  dass  der  Tempel  von  Denderah 
in  erster  Linie  als  ein  chronologischer  Bau  gedacht  worden 
ist.  Wenn  sich  nun  zeigen  sollte,  dass  ausser  unserm  Har- 
mais Augustus  auch  noch  andere  Epochalkönige  daselbst  in 
demonstrativer  Weise  betheiligt  sind,  so  wird  man  mehr 
und  mehr  begreifen,  dass  Hathor-Isis-Sothis  nicht  umsonst 
dort  das  Scepter  geführt  hat. 


198         Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

Da  begegnet  uns  an  der  Schwelle  der  Geschichte,  also 
in  praehistorischer  Zeit,  die  theokratische  Herrschaft  der 
,,Horusdiener".  Der  geheime  Corridor,  dessen  belang- 
reiche Texte  H.  Dümichen  20)  zuerst  bekannt  gemacht  hat, 
belehrt  uns,  dass  der  Urplan  des  Tempels  in  diese  frühe 
Zeit  versetzt  ward.  Nimmt  man  die  öfter  wiederkehrende 
Redensart  hinzu,  „gegeben  ward  ihr  (der  Hathor-Isis-Sothis) 

die  Stadt  Ant  (Denderah)   zum    Ersatz  A  1       debui    Var. 

I)*^r  asui  für  Anu  (Heliopolis)  durch  ihren  Erzeuger,  den 
Sonnengott"  und  erwägt  man  ferner,  dass  der  Parallel  von 
Anu  für  den  Conventionellen  Sothisfrühaufgang  festgesetzt 
war ,  so  ist  die  Kenntniss  der  betreffenden  Periode  den 
„Horusdienern"  nicht  abzusprechen.  Ich  habe  Manetho's 
Bytes  mit  der  Epoche  4245  v.  Chr.  coi'ncidirend  gefunden. 

Unter  Chufu  (Cheops)  ward  eine  Copie  [dieses  Planes 
genommen,  aber,  wie  es  scheint,  nicht  ausgeführt.  Dagegen 
ordnete  auf  Grund  des  alten  Planes,  den  man  im  Innern 
einer  Ziegelmauer  des  Königspalastes  auffand,  Phiops-Moeris- 
Mev6g)Qt]g:  Epoche  2785  v.  Chr.  einen  Neubau  an. 

Weiterhin  treffen  wir  die  Legenden  des  Königs  Ame- 
nemhat  IlETsa&vQrjg :  er  entspricht  der  Epoche  2545  v.  Chr. 
und  heisst    nicht   umsonst    „die  Gabe  der  Hathoru.      Sein 


Epochaltitel      n\    v\   „der  wiedergeborene  oder  neugekrönte11 

ist  zweimal  in  Denderah  vorhanden,  wo  er  auch  „Liebling 
der  Hathoru  genannt  wird,  während  Phiops-Moeris  analog 
„Sohn  der  Hathor"  heisst. 

Thutmosis  III.  Meocpqrjg:  Epoche  1705  legte  seinem 
Neubau  die  Copie  des  zu  Chufu 's  Zeit  gefundenen  Bauplanes 
zu  Grunde.  Er  stiftete  unter  andern  eine  Säule  mit  Hathor- 
capitäl  aus  Mafek-Metall  hinein. 


20)    „Bauurkunde    von    Denderah",    wiederholt    in    seiner    „Bau- 
geschichte"  pl.  I. 


Lauth:  Augustas-Harma'is.  199 

Ramses  IL  Sesostris:  Epoche  1525  v.  Chr.  stiftete  zwei 
Sistra  mit  Hathorcapitäl ,  wofür  ihm  die  Göttin  eine 
Menge  von  Tetraeteriden  verheisst.  Er  trägt  das 
Zeichen  ,, Jahresanfang''  auf  dem  Kopfe.  Ramses  III.  NelXog: 
Epoche  1325,  erscheint  ebenfalls  daselbst. 

Ausserdem  Thutmosis  IV  n.  Amenhotep  III,  die  sich 
an  die  Epoche  des  Thutmosis  III.  anlehnen.  Wie  diese 
keine  eigentlichen  Epochalkönige  in  chronologischem  Sinne 
sind,  so  kann  man  unter  den  dort  vorkommenden  Ptole- 
maeern  (X,  XI,  XIII,  XVI)  nur  dem  Caesarion  dieseu  Cbaracter 
zuerkennen,  da  er  mit  Kleopatra  VI  im  Zodiacus    figurirt. 

Hält  man  ferner  Umschau  nach  denjenigen  Epochal- 
königen, welche  dem  Augustus-Harmachis  benachbart  sind, 
so  habe  ich  über  Euergetes  I  und  die  Tanitica  wiederholt 
gehandelt.  Das  Poppeldatum  :  Sothisfrühaufgang  =  1.  Payni 
unterliegt  keiner  Beanstandung  und  ist  damit  die  Epoche 
245 — 242  (xara  xb  TtQOteQOv  xp/jcpiofia !)  sicher  gestellt.  Ob 
indess  der  betreffende  Beiname  ^^H^  „der  des  Ver- 
besserers1'   wegen    der    Gruppe  |      ti-meti(r)    kopt- 

^ai^  concordare  gr.  öwQdwryQ  gelautet  hat  —  ein  Ana- 
logon  zum  nÄai&MdwgTe  (Augustus  25  v.  Chr.),  oder  ob 
er  ein  vom  Monat  Payni  abgeleitetes  Cognomen  erhielt, 
muss  vorderhand  dahingestellt  bleiben,  bis  ein  neues  Denk- 
mal, wie  die  Legende  des  Harinais,  uns  den  Schlüssel 
bietet.  k 

In  Betreff  des  Euergetes  II  herrscht  kein  Zweifel  — 
das  Doppeldatum  in  Edfu:  23  Epiphi  für  =18  Mesori 
vag  spricht  dafür,  —  dass  er  auf  das  Centenarium  seines  Vor- 
gängers und  Namensvetters  Euergetes  I.  Rücksicht  genommen 
hat.  Ob  aber  der  Epochalname  Novfjrjviog,  neben  welchen 
Namen  auf  Philae  sich  der  Römer  Numonius  Va(ha)la  Anno 
3  v.  Chr.,  also  währenddes  epochalen  Quadrienniums  5—2 
[1877.  I.Phil,  bist.  Cl.  2.].  14 


200         Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

v.  Chr.,  ein  sonderbares  XIII  hinter  dem  Datum  gesetzt  hat 
(XII/I  =  1.  Mesori?)  dem  Könige  Euergetes  II  eignete, 
muss  vorderhand  noch  im  Stadium  der  Vermuthung  bleiben. 
Indess  seine  Gründung  des  Tempels  der  Apape  in  Theben 
lässt  erkennen,  dass  man  sich  des  Sothisaufgaugs  am  1  sten 
Epiphi  125  v.  Chr.  bewusst  war. 

Ich  würde,  da  diese  Epoche  (125  v.  Chr.  =  Sothis- 
frühaufgang  am  1.  Epiphi  des  Wandeljahres)  ohnehin  ge- 
währleistet ist,  mich  hier  mit  diesem  Gegenstande  nicht 
weiter  befassen,  wenn  nicht  ein  hervorragender  Forscher: 
H.  Dr.  Brugsch-Bey,  in  seiner  neuesten  Schrift21)  seine 
schon  früher  geäusserte  Ansicht  aufrecht  hielte,    der  Name 

Epiphi   scheine    von   P^JM®   heb-Api    „Fest    der  Api" 

(Nilpferdsgöttin)  zu  stammen,  während  ich  von  jeher  darin 
eine  Reduplication  des  Stammes  Ap  erkannte,  wegen  der 
Zweiheit  der  Göttinnen:  Ape  und  Isis.  Ein  Papyrus  des 
Museums  von  Bulaq22)  gewährt  die  Möglichkeit,  die  Frage 
endgültig  zu  entscheiden.  Es  werden  darin  verschiedene 
Reichnisse  an  Arbeitsleute  aufgezählt,  es  erscheint  die 
„Summe  17  Tage'S  dann  ein  Datum  „Jahr  43",  hierauf  ein 
Bau  des  Ramses  II  Sesostris  in  Memphis  und  zuletzt  auf 
dem  Verso  derselbe  Bau  desselben  Königs  in  Verbindung  mit 

einem  Rasttag  und  der  Schlnsslegende :    (]  y^$T      'jlj^. 


„ich  war  im  Ausziehen  zur  Stromfahrt  zur  Zeit  des  15ten 
Epiphi  am  Apapfeste.u  Dieses  Datum  hat  ausserdem  noch 
eine  andere  Tragweite,  die  ich  aber  erst  in  der  Abhandlung 
über  das  Ramesseum  und  die  Phönixperiode  besprechen  kann. 


21)  „Drei  Festkalender"  1877. 

22)  Mariettc:  II,  pl.  5G. 


Lauth:  Augusius-Harma'is.  201 

Was  ferner  den  Epochalkaiser  Hadrian  betrifft,  so 
habe  ich  wiederholt  auf  den  Namen  des  Monats  l4ÖQiavdg 
hingewiesen,  der  bedeutsamer  Weise  erst  im  J.  19  dieses 
Kaisers  also  136  und  im  J.  1  des  Antoninus  also  138  mit 
der  Gleichung  8.  Adrianos  =  18.  Tybi  auftritt.  Diese 
Distanz  von  40  Tagen  in  den  beiden  Kalendern  ist  ein 
deutliches  Symptom  der  Tetraeteris  136-139  n.  Chr.  und 
nur  dieser  allein. 

Allein  warum  hat  man  gerade  den  Choiahk  des  fixen 
alex.  Jahres  gewählt,  um  dem  Adrianos  eine  solche  Ehre 
zu  erweisen?     Ich  habe    schon    bei   anderer  Gelegenheit23) 

daraufhingewiesen,  dass  in  seiner  Legende  f  (I       /wwnaJ]    t=tt  j 

Aterianos  Liebling  der  Isis"  eine  Anspielung  auf  den  Namen 
ater  des  Nils  enthalten  ist,  um  so  wahrscheinlicher,  als 
er  ja  wirklich  mit  einem  Gewässer :  dem  turbidus  A  d  r  i  a , 
etymologisch  zusammenhängt.  Jetzt  bietet  der  Text  einer 
Säule  in  Esne  24)  die  Legende  „Monat  Choiahk  Tag  1  Fest 
des  Amon-pe-chrat,  des  Grossen,  des  Vaters  der  Götter, 
Fest  der  den  Göttern  gewidmeten  Verehrung,  Fest  des 
Ba- Widders,  Fest  der  Weglegung  der  Niltafel 
fgTon  tabula  —&-.  es  steht  übrigens  ^t=\).u  Wirklich  ent- 
spricht im  fixen  alexandr.  Kalender  der  1.  Choiahk  dem 
28.  November,  zu  welcher  Zeit  der  Nil  wieder  in  sein  Bett 
zurückgetreten  ist.  Ich  glaube  indess  nicht,  dass  dieses 
fixe  Datum  auch  auf  die  Nilstelen  von  Silsilis  anwendbar 
ist,  wie  Brugsch  zu  Gunsten  seiner  Hypothese  annimmt. 
Das  Datum  der  Weglegung  der  Niltafel  fehlt  eben  auf 
diesen  Nilstelen  und  lässt  sich  vorderhand  nicht  ersetzen. 
In  dem  kleinen  Osttempel  der  Isis-Sothis  auf  Philae, 
der  vermuthlich   unter   Hadrian   ad   hoc   gegründet   wurde, 


23)  Acg.  Chrono!  p.  236. 

24)  Brugsch  1.  1.    Taf.  JX,   V.     Leider  fehlt  die   Bezeichnung  der 
Tetramenie ! 

14* 


202        Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

befindet  sich  eine  Doppeldarstellung  dieses  Kaisers,  nicht 
so  weit  auseinander  stehend ,  wie  die  Bilder  des  Harmais 
Augustus  -  Kaisaros  an  den  Teinpelwänden  von  Denderab, 
sondern  unmittelbar  zusammenhangend.  Letronne  IL  p.  176 
sagt  darüber:  „les  plus  anciens  sont  deux  cartouches  ac- 
couples  r^petes  deux  fois,  portant  ,,  Autocrator,  Adrianos, 
toujours  vivant,  aime  d'Isis  —  et:  Autocrator,  Caesar,  Tra- 
janos  Adrianosa.  Tous  les  autres  sont  de  Marc-Aurele 
(Antoninus  Pius)  sous  le  regne  de  qui  Tedifice,  commence 
peut-etre  sous  Adrien,  a  du  etre  continue,  sinon  finiu. 
Offenbar  hat  diese  exceptionelle  Doppeldarstellung  i5)  einen 
chronologischen  Sinn :  es  ist  die  Zweitheilung  der  Regierung 
des  Adrianos  vor  und  nach  der  Epoche  136  n.  Chr. 

Eine  ähnliche  Zweitheilung  treffen  wir  schon  in  ältester 
Zeit:    auf  der  Strasse   von  Hammamät  sitzt  Phiops-Moeris 

mit  dem  Hute  /l,  auf  der  andern  mit  dem  Rücken  an  die 

soeben  citirte  Legende  stossend,  sitzt  er   noch    einmal,   mit 

dem   Hute    \/  bedeckt.     Es  bedeutet  dies   nicht   einfach    rj 

xe  avco  Kai  i]  kcctco  %tooa,  wie  die  entsprechende  Gruppe  der 
Rosettana  übersetzt  ist,  sondern  es  sind  die  Jahre  des  Moeris- 
Menophres  vor  und  nach  der  Epoche  2785  dadurch  ge- 
schieden. So  kommt  es,  dass  ebenfalls  dort  seine  erste 
Triakontaeteris  in  seinem  18ten  Jahre  angeschrieben  ist; 
offenbar  lagen  12  vor  der  Epoche  und  daher  die  Bezeichnung 


25)  Der  innere  Fries  trägt  acht  Ringe,  die  vier  ersten  lauten 
auf  Aurelios  Antoninos  Sebastos  Autokrator  —  die  vier  letzten;  Aure- 
li(os)  Luki(os)  Kaisaros  Ver(os),  der  mit  ewigem  Leben  begabt  sei!" 
Zwischen  Nr.  4  und  5  ist  oberhalb  deutlich  AYTOKPATOPGÜN 
geschrieben,  zum  Beweise,  dass  man  die  gemeinschaftliche  Regie- 
rung der  beiden  Kaiser  vor  Augen  stellen  wollte,  cf.  Letronne  1  1.  II,  177. 


Lauth:  Augustus- Harmais.  203 

Orientirung  des  Tempels. 

Wenn  ich  im  vorigen  Abschnitte  gesagt  habe,  dass  der 
Tempel  von  Denderah  in  erster  Linie  als  chronologischer 
Bau  gedacht  worden  ist,  so  lag  darin  schon  angedeutet, 
dass  er  auch  astronomisch  orientirt  sein  musste.  Denn 
die  ägyptische  Chronologie  beruht  auf  der  Beobachtung  des 
(heliakalischen)  S  o  t  h  i  s  frühaufgangs,  da  wo  ,,sich  Hathor- 
Isis  mit  ihrem  Vater  Ra  dem  Sonnengott  am  Osthorizonte 
des  Himmels  vereinigt11.  Trotzdem,  dass  dieser  Satz  mehr- 
hundertfältig an  den  Wänden  sich  wiederholt,  gibt  es  doch 
dickleibige  Werke  über  den  Tempel  von  Denderah,  worin  dieses 
charakteristischen  Unicums  mit  keiner  Silbe  gedacht  ist. 
Und  doch  erklärt  sich  die  von  der  wahren  Ostlinie  um  17° 
abweichende  Orientirung  nur  aus  dieser  Eigenthümlichkeit 
und  Bestimmung. 

Bei  dem  rechtwinklichen  Zodiaque,  der  das  Horoscop 
der  Geburt  des  Tiberius  darstellt:  17.  Nov.  =  21  Athyr, 
ist  die  Himmelsgöttin  am  Plafond  des  Pronaos  zweigetheilt ; 
die  aenigmatische  Bezeichnung  für  17/11  ist  möglichst  nahe 
der  Sothiskuh  und  auf  der  bevorzugten  Südseite,  obgleich 
sie  auch  in  der  Genitalieneinbiegung  der  Gegenseite  hätte 
angebracht  werden  können. 

Was  das  Rundbild  am  Plafond  des  Dachtempelchens  be- 
trifft, so  hat  es  die  orientirende  Himmelsgöttin  nur  einmal 
und  ohne  Einbiegung,  dafür  aber  sind  den  das  Medaillon 
haltenden  Karyatiden  die  Bezeichnungen  Süd,  Nord,  West, 
Ost  beigeschrieben.  Auch  hier  ist  der  Süden  die  bevor- 
zugte Seite,  da  mit  ihr  der  Rundtext  beginnt  und  schliesst. 
Zugleich  ist  das  Emblem  des  römischen  Jahres:  der  1. 
Januar  (=  VIII  post  bruraam)  an  dieser  Südseite  ange- 
bracht —  natürlich ;  handelte  es  sich  ja  doch  um  die  Glori- 
fication  des  mächtigen  Antonius,  der  die  Kleopatra  so 
eben  mit  asiatischen  Königreichen  beschenkt  hatte.     Es  ist 


204  Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

desshalb  kaum  zufällig,  dass  Kleopatra  gerade  am  entgegen- 
gesetzten Punkte  dieser  Südseite  als  exceptionelle  Decanin 
erscheint.  Es  traf  sich  nun,  dass  gerade  in  diesem  ihrem 
16ten  Regierungsjahre,  wo  sie  sich  laut  den  Münzen  Üeä 
veioxeqa  loig  benannte,  der  1.  Thoth  des  Wandeljahres  mit 
dem  1.  September  des  römischen  Kalenders  zusammenfiel. 
Grund  genug  für  beide,  ihre  Vereinigung  zu  feiern  und 
durch  das  astronomische  Horoscop  der  Nachwelt  zu  über- 
liefern. 

Auf  seinem  verdienstvollen  Plane  des  Denderahtempels 
hat  H.  Dümichen  leider !  die  Orientirung  anzugeben  ver- 
gessen; Mariette  26)  hat  sie  in  seinen  Plan  eingetragen  und 
ich  selbst  hatte  schon  in  meinen  Zodiaques  de  Denderah 
bemerkt:  „l'axe  du  plafond  ne  coi'ncide  pas  avec  la  ligne 
du  nord-vrai;  celle-ci  se  trouve  ä  une  distance  de  17°  en- 
vironu.  Diese  Orientirung  ist  unerlässlich ,  sobald  es  sich 
um  die  astronomische  Seite  handelt,  welche  ja  die 
Grundlage  der  chronologischen  ist.  Insbesondere  ist 
sie  wichtig  bei  der  Würdigung  folgender  Stellen,  die  sich 
auf  die  kleinen  Sekosräume  (IV,  V,  VI,  VII  des  Planes) 
beziehen :    ,,Vier  Appartements  sind  auf  ihrer  Sahu-  (d.  h. 

" ~|TTTTTTTro<=>< 

Orion   oder    Süd-)    seite ;   siehe !   ihre   Portale      A  O 

klaffen   nach    Norden    (cf.    ttJRo\    foramen    hiatus) ;    zwei 


Corridore  H?^fcÜ  (cf.  A>ujn  t  curriculum)  sind 

in  der  Stierschenkelrichtung ;  ihre  Thüren  gähnen   ^^^innmr 

sedeh  (cf.  uj^€£  platea)  nach  Süden".  Daraus  ergibt  sich 
unwiderleglich,  dass  „Norden  und  Stier  Schenkel  gegend" 
gleichbedeutende  Ausdrücke  sind27). 

26)  Fouilles  ....  Denderah  pl.  II. 

27)  Andere  Beispiele  dieser  Bedeutung  des  Schenkels  als  „Nord- 
gegend" im  Gegensatze  zu  Orion-Sahu  (Süd)  sehe  man  Zts.  f.  äg.  Spr. 
1870  S.  154-157. 


Lauth:  Augustus- Harmais.  205 

Was    die    Wortform    fll  I  mesech't   anbelangt,    so 

habe  ich  sie  längst  als  Ampliaticum  von  aiici  (oep-Mici 
pars  quarta)  als  das  „Viertel"  erklärt;  beide  verhalten  sich 
wie  sebech't  tcvIlov  zu  cne  tcvXij.  Dass  dieses  „Viertel"  des 
Stieres  zum  Embleme  des  Vierteltages  geworden  ist, 
habe  ich  in  den  „Zodiaques"  dargethan.  Ausser  dieser  pl. 
XXI,  2  stehenden  Legende  bringt  pl.  XLIV.  vertical  links 
folgende  auf  die  Mesecht  bezügliche  Stelle,  die  für  die 
Orientirung  des  Denderahtempels  von  besonderer  Wichtigkeit 
erscheint;  „Es  lebe  der  gütige  Gott  (Kaisar-Augustus)  der 
Sohn  des  Asdes  (Thoth),  der  Zögling  der  Chepest  (Hathor- 
Isis-Sothis)  im  Gotteshause;  der  König  des  Landes  mit  der 

Nordkrone  (dem  rothen  Hute  \f  Tpouj  corona  rubra) 
spannt  den  Messstrik  in  Wonne,  indem  er  richtet  sein  Ge- 
sicht auf    s  1 1;  fl|  I    «r^j    das  Centrum  des  Stierviertels, 

feststellend  den  Tempel  der  Herrin  von  Denderah  gemäss 
dem  dasigen  Zustande  von  ehedem". 

Die  symmetrische  Gehülfin    des  Kaisers    bei   dem  Akte 
der   Spannung    des    Messstrickes    ist,    wie    gewöhnlich    bei 

solchen  Darstellungen,  die  Göttin  %|\.  Ihre  Legende  I 
hat  den  Schreibern  öfter  zu  schaffen  gemacht;  bald  sahen 
sie  darin  das  Zahlwort  safech  civujq  septem  und  ver- 
sahen sie  mit  einem  siebenstrahligen  Sterne  ^r  auf  dem 
Haupte,  bald  hielten  sie  sich  an  die  umgestürzten  Hörner 
f\  und  etymologisirten  so,  als  ob  sie  vom  Umlegen 
(se-fech  coujq  deprimere)  des  Hörnerpaares  benannt 
wäre.  Diese  Erklärungsversuche  sind  für  uns  nicht  bin- 
dend. Mit  Berücksichtigung  der  beiden  eben  citirten  Am- 
pliativa    mesecht    und    sebecht     werden    wir    auch    in 


& 


206        Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

Sefecht    ein    Ampliativum    von      I  CÄ>tj,   C€^   heri 

erkennen28).  In  der  That  spielt  Sefecht  die  Rolle  der 
ägyptischen  KXeiw,  der  Muse  der  Geschichte.  Sie  ist  dess- 
halb  die  unzertrennliche  Gefährtin  des  Thoth  z.  B.  beim 
Einschreiben  des  Namens  Osymandyas  (Ramses)  auf  die 
herzförmige  Frucht  des  Aschet  -  Baumes  im  sogenannten 
Ramesseum. 

Sie  erklärt  uns  sowohl  den  Ausdruck  Vü^f* 

„gemäss  dem  dasigen  Zustande  von  ehedem'1,  als  auch, 
warum  der  Kaiser  bei   dem  Acte   der  Spannung   des  Mess- 

strikes  den  Namen      (I  M^jj^j    „Sohn    des    As  des    (Thoth) 

führt.  Ja  dieser  Beiname  des  Thoth  ,  eine  Variante  für 
Asten(nu)  (Ostanes ?),  wird  hiedurch  etwas  durchsichtiger. 
Nach  Todt  c.  125,  col.  62  ist  die  ursprüngliche  Schreibung 

P^wS%H^  »der  Vergrösserer  (cot  facere  toiica)  thiih 
multum  magnus),  da  die  demot.  Uebersetzung  dafür 
D  üOT  „der  Grosse'1  (ä>i,  ^iä.i  magnificari)  setzt.  Hier- 
aus sind  dann  wohl  später  die  Bezeichnungen  cE()[.irjg  6  /.Uyag 
xccl  \.dyag  und  sogar  der  TQigfj.eyioTog  geflossen. 

H.    Dümichen    unterzieht    den    Punct    ^4K       ]])     der 

oben  citirten  Stelle  einer  weitläufigen  Besprechung,  indem 
er  hiebei  an  einen  Artikel  des  H.  Le  Page  —  Renouf  29) 
anknüpft.  Ich  habe  gegen  den  von  diesem  Gelehrten  auf- 
gestellten Begriff  [AEGovqccveiv  „Culmination    eines   Sternes" 


28)  Unser  Bokenchons  in  der  Glyptothek  bietet  die  Gruppiruug 
,,0  du  Junger  oder  Beweibter,  der  sich  des  Lebens  erfreut;  es  sei  dein 
Glück  von  heute  über  das  gestrige  oder  das  morgige!"  Schärfer 
lassen  sich  die  Begriffe  Vergangenheit,  Gegenwart  und  Zukunft  nicht 
bezeichnen. 

29)  Transactt.  Soc.  Bibl.  Arch.  IIL  II,  401. 


Lauth:  Augustus- Harmais.  207 

nur  zu  erinnern,  dass  ovqavog  nicht  ausgedrückt  wäre  und 
dass  überhaupt  jene  astronomische  Darstellung  im  Grabe 
Ramses  VI.  (u.  IX.)  sich  auf  die  Person  des  exceptio- 
nell  en  face  abgebildeten  Beobachters  bezieht.  Wenn  ^5.  B. 
gesagt  wird  „der  Sothisstern  über  dem  linken  Ohre,  linken 
Arme,   linken  Auge   —  rechten  Ohre  —  Arme,   Auge   und 

dann  die  Mittellinie  durch  ]  |  O  |     äq  ausgedrückt  wird 

so  ist  doch  klar,  dass  aq  ein  Theil  und  zwar  der  centrale 
des  Beobachters,  aber  nicht  des  Himmels  ist.  Dass  durch 
Uebertragung  der  Begriff  ,,Culminationu  (teo-ovQCtvelv  daraus 
entsteht,  soll  nicht  in  Abrede  gestellt  werden. 

Es    bleibt    also   nur   ^eo-og   als   die  wahre   Bedeutung 
jenes  fraglichen       ))i\  äq  übrig.    Das  Deutbild  der  beiden 

Finger  gemahnt  sofort  an  Horapollon  II  6 :  liv&qwrtov  gto- 

j.ia%ov  drjlöl    daxzvlog.      Mit   Beachtung   der  Dualform 

aqui  und  des  weiteren  Determinativs  Ö  welches  ja  auch  bei 

§fO  her  go^P  interius  nicht  ausgesprochen  wird,    gelangt 

Ü 
man  zu   der  anaglyphischen  Schreibung    r\    welche    Hora- 

pollo  I  22  so  erklärt:  Al'yvvtzov  yqacpovTeg  &v[,iiaTrj()iov 
yiaiofxevov  Ccoyqacpovöi  Kai  eitavco  ytaQÖiav.  Man  beachte,  dass 
er  unmittbar  vorher  dlyvmitov  yrj,  ejtel  /tsarj  trjg  or/,ovf.ievrjg 
V7caQ%Ei  gesetzt  hat.  Uebrigens  bin  ich  zu  der  Ansicht  ge- 
langt, dass  Aqui-p-to  ,,die  Mitte  des  Landes"  =  ^dXyv-rt-rog 
sich  ursprünglich  auf  den  Nil  bezieht,  der  ja  bei  Homer 
unter  AXyvitxog  primär,  zu  verstehen  ist.  Gestützt  wird 
diese  Vermuthung  durch  das  parallele  Verhalten  der  Gruppe 

M/vvvwx   nieter    ÄtTo(p).      Es    ist    offenbar    wieder    der 

■<^>    I  I  /wwv\ 

Nil  und  die  dualistische  Form  D"HSD  Mizrai'm  die  genau 
so  gebildet  ist,  wie  D\5p  intervallum  duorum  exercituum, 
D?*injf   die   Mitte   des  Tages",    erhält  hiedurch   endlich  ihre 


208         Sitzung  der  philos.-phüol.  Classc  vom  5.  Mai  1877. 

Erklärung.  Der  Uebergang  dieses  Namens  Mizraiin  auf  das 
Land  und  auf  den  ersten  König  Menes  ist  gerade  so  im 
graecisirten  u4l'yv7tTog  vorhanden  30). 

Es  ist  also  erwiesen,  dass  üq-mesecht  in  der  Stelle  des 
Textes  von  Denderah  nur  „die  Mitte,  das  Centrum  des 
Stierschenkels"  bedeutet,  nicht  aber  die  (.leoovQavia  des 
ganzen  sich  über  40  Grade  erstreckenden  Sternbildes.  Denn 
dass  mesecht  „das  Viertel"  der  grosse  Bär  oder  Wagen  un- 
serer Sphaere  ist,  wie  Herr  Lepsius  („Chronologie  der 
Aegypter")  zuerst  vermuthet  hat,  ist  unbestreitbar:  man 
braucht  nur  die  sieben  Sterne  durch  Linien  zu  verbinden, 
so  hat  man  die  Gestalt  des  Conventionellen  *^j  und  in  so 
ferne  ist  das  Bild  der  ägyptischen  Sphaere  viel  mehr  natur- 
getreu als  die  der  chaldaeisch-griechischen. 

Dazu  kommt,  dass  jenes  ä  q ,  a  q  u  i  im  Kopt.  o*äi  finis 
terminus  noch  erhalten  ist,  mit  der  Bedeutung  Zielpunkt 
oder  „Grenzmarke".  In  der  That  muss  man  einen  be- 
stimmten Punkt  des  Sternbildes  ins  Auge  fassen,  wenn  bei 
der  Function  des  Messstrickspannens,  Pflockeinschlagens  und 
Grundsteinlegens  durch  Augustus  in  Denderah  eine  Orien- 
tirung  beabsichtigt  werden  wollte.  Zuerst  bedenke  man, 
dass  sich  diese  Scene  an  der  Nord- wand  befindet.  Alsdann 
betrachte  man  sich  den  Zodiaque  circulaire.  Die  Linie, 
durch  welche  die  Ekliptik  halbirt  wird,  also  von  0°  nach 
180  oder  von  180°  nach  360°  zu,  schneidet  den  Grossen 
Bären  oder  Wagen  im  Sterne  S  des  Vierecks  und  dieser  ist 
allerdings  die  Mitte  dieses  Siebengestirns.  Diese  Linie 
weicht  aber  um  17°  von  der  wahren  Nordlinie  des  Zodiaque 
circulaire  ab  —  also  ist  dieser  wie  die  Längenachse  selbst, 
nicht  nach  den  astronomischen  Punkten  des  wahren  Ostens 
und  des  wahren  Nordens  orientirt,   sondern   mit   Rücksicht 


30)     Das  Weitere  hierüber   wolle  man   im  „Nachtrag"  zu  „Troja's 
Epoche"  Denkschr.  1877  nachsehen. 


Lauth:  Augustus- Harmais.  209 

auf  die  Stelle  des  Sothisfrühaufgangs  und  der  Mitte  des 
„Viertels".  Wenn  es  in  den  betreffenden  Texten  so  häufig 
betont  wird,  dass  die  Hathor-Isis-Sothis  auf  das  Tempeldach 
getragen  wurde ,  um  ihre  Vereinigung  mit  den  Strahlen 
ihres  Vaters  Ra  am  Osthimmel  figürlich  darzustellen,  und 
ihr  Gesicht  folglich  nach    Osten   wendete ,    so   wird 

durch  ihren  Titel  cO])^       "die  Horizontige"   dieser  Punkt 

näher  als  derjenige  bestimmt,  wo  der  heliakalische  Aufgang 
stattfand.  Dieser  musste  natürlich  in  der  Verlängerung  der 
Tempelhauptachse  liegen.  Besonders  erwähne  ich  die  Stelle 
Taf.  XIII,  1  „Es  ist  der  Götterkreis  der  weiblichen  Bes 
(Hathor)  an  ihrem  Rücken  (hinter  ihr,  nachdem  sie  geschaut 
die  Morgenstrahlen  ihres  Erzeugers  zur  Zeit  des  Wende- 
punktes der  Doppel  -Tetraeteris  (g&.  -  Ä  -  oimtooTi  annus 
vertens)  3'). 

Man  ersieht  hieraus,  dass  die  Orientirung  des  Denderah- 
tempels  gerade  durch  die  Abweichung  um  17°  von  dem 
wahren  Ost-  und  Nordpunkte  sich  als  absichtliche  bekundet, 
um  auf  das  fixe  Jahr  hinzuweisen.  In  der  That  sind 
„Sothisfrühaufgang"  und  „Viertel"  correlate  Begriffe  desselben 
Zieles.  Auch  die  Wahl  des  Platzes  ist  keine  zufällige :  Den- 
derah  liegt  am  Anfange  der  ostwestlichen  Richtung  des 
Nils,  welche  bei  Abydos  sehr  bezeichnend  wieder  an  die  süd- 
nördliche umsetzt! 

Am  Stierviertel  des  Zodiaque  circulaire  befindet  sich 
eine  weitere  Zuthat,  die  bisher  nicht  beachtet  worden  ist, 
ich  meine  jenen  kleinen  Widder,  der  ihm  anhaftet  und  den 
Kopf  umdreht.  Schon  dadurch  erweist  er  sich  als  renvoi 
oder  Hinweis  auf  den  unägyptischen  Zodiacalwidder,  welcher 
in  der  nämlichen  Haltung  erscheint.  Dass  die  wahre  Ost- 
linie durch  diesen  Widder  gehen  muss,    braucht   nicht    be- 


31)    Dümichen's  Uebersetzung  ist  mehrfach  zu  berichtigen. 


210         Sitzung  der  pliilos.-philol  Glosse  vom  5.  Mai  1877. 

wiesen  zu  werden.  Nun  aber  lautet  der  Name  des  Widders 
ägyptisch  ^iAi  f/^kü  aries  und  der  Knochen  heisst  k^c; 
das  Compositum  &3W-R&C  bedeutet  medulla,  welches  ja 
ebenfalls  von  medius  stammt.  Folgt  man  nun  dieser  Hin- 
weisung (renvoi)  so  gelangt  man  für  die  wahre  Nordlinie 
auf  den  Stern  £'  mit  dem  Reiterchen.  Letzteres  heisst  bei 
den  Arabern  Suha-Alcor,  der  Stern  £'  selbst  aber  Mizar, 
welcher  Name  verführerisch  an  meter  mh^  Mizr(aim)  an- 
klingt und  die  Mitte  der  Deichsel  des  Wagens  oder  des 
Bärenschweifes  bildet.  Folgten  die  Araber  der  semitischen 
Vorstellung  dieses  Sternbildes  als  W\y  „die  Bahre"  fere- 
trum,  oder  ist  Mizar  eine  ägyptische  Tradition?  Jedenfalls 
bezeichnet  Mizar  den  wahren  Nordpunkt,  während  Megrez 
—  so  heisst  der  Stern  S'  —  für  die  Orientirung  des  Den- 
derahtempels  massgebend  ist  und  das  alte  Aq(ui)  „die 
Mitte"32)  verdrängt  hat.  Auch  diese  beiden  sind  um  17° 
von  einander  entfernt. 

Es  übrigt  noch  die  Erledigung  einer  Variante  dieses 
äq  medium  „Mitteu.  Auf  Tafel  L  rechts  steht,  wieder  als 
Legende  des  ^4vtokqcczcoq  (so  stets  statt  Imperator)  Kaisaros : 
„Es  lebe  der  gütige  Gott  der  Spross  des  Duhnti  (Thoth) 
gesäugt  von  der  Buchgöttin,  welche  begonnen33)  hat  das 
Schreiben.  Er  betrachtet  den  Thau-  (Wasser-)  geber 
(Himmel)  nach  dem  Aufgange  der  Sterne  hin,  kundig  — 
cott,  coonr  scire  auch  Beiname  des  Thoth)  des  A  q  -Punktes 
der  m  es  echt  beim  Feststellen  der  (vier)  Ecken  des 
Tempels  Ihrer  Majestät  (Hathor-Isis-Sothis) ;    der  Horizont 


32)  Uebrigens  würde  ein  supponirter  Stamm   Hä   statt   "ly   „aus- 
einander scheiden"  den  nämlichen  Begriff  ergeben. 

33)  ^   ist  Var.  für  X^U    uja.    ortus  (uj^-AUCe    primo-geni- 

tus);  der  Lautwerth   seh   entspringt  aus   dem  Zahlwort    Uje,    UJOT 
;=  centum  =   @, 


Lauth:  Augudus- Harmais.  '211 

Ihrer  Persönlichkeit  erzeugt  die  Wesenu.  Der  letzte  Satz 
bezieht  sieh  auf  das  mit  dem  Sothisfrühaufgang  gleich- 
zeitig erfolgende  Uebersteigen  des  Nils,  die  Grundbedingung 
alles  Lebens  in  Aegypten.  Das  Fest  Ihrer  Majestät  wird 
sowohl  in  Denderah  als  inEdfu84)  auf  den  1.  Mesori  ge- 
setzt. So  günstig  diese  Doppelangabe  für  meine  Erklärung 
des  Epochalnamens  Harmais  (Augustus)  und  für  die  Epoche 
5 — 2  v.  Chr.  zu  sein  scheint,  so  hüte  ich  mich  doch,  sie 
geltend  zu  machen,  so  lange  die  Epoche  der  beiden  Kalender 
nicht  gesichert  ist.  Aus  einem  ähnlichen  Grunde  habe 
ich   die  Legende   pl.    XXXVI,    1    „es  lebe  der  gütige  Gott 

iJ~J.t U/v™  j         das  Ebenbild  der  göttlichen  Sothisu  nicht 
darauf  bezogen,  da  die  Ringe  leider!  ohne  Namen  sind. 

Augustus  ist  hier,  wieder  an  einer  Aussenwand,  als 
Stellvertreter  des  Thoth  mit  der  Göttin  Safecht  im  Akte 
des  Messstrickspannens  Pflockeinschlagens,  kurz,  der  Grund- 
steinlegung dargestellt.  Diese  heisst  in  dem  Begleittexte 
,,die  Grosse,  die  Herrin  der  Schrift,  die  Gründerin  der  ge- 
heimen Räume  (Adyta)  der  vorzüglichsten  Götter  insgesammt". 
Ich  erfasse,  spricht  sie,  den  Schlägel  und  den  Holzpflock  in 

Verbindung   mit   dem  Könige  (hier   mit   dem  Südhute  /)); 

ich  lege  an  die  Wohnung  der  Göttin  |]  I   nach 

ihrer  Mittellinie." 

Statt  der  Phonetik  äq  ist  an  der  Seitencolumne,  die 
ich  kurz  vorher  übersetzt  habe,  als  Variante  ein  adossirtes 
Löwenpaar  etwa  in  der  Form  P^)  angewendet.  H.  Dümichen 
verweist  dabei  auf  die  zwei  astronomischen  Deckenbilder 
von  Esne85),  wo  das  betreffende  Zeichen  für  Tiq  einmal 
zwischen  Wassermann    und    Fische    steht,    das  andere   Mal 


34)  Brugsch  „Drei  Festkalender"  7,  2. 

35)  Dcscription  tle  l'Egypte  Vol.  I.  pl.  79  u.  87. 


212         Sitzung  der  pJiilos.-pJiilöl.  Clause  vom  5.  Mai  1877. 

neben  (hinter  ?)  dem  Orion,  dessen  Stellung  am  süd- 
lichen Himmel  hier  noch  besonders  angedeutet  wird 
durch  das  beigefügte,  den  Südwind  bezeichnende  Bild 
des  Widders  mit  vier  Flügeln".  Hätte  der  Verfasser  meinen 
Zodiaque  circulaire  beachtet  36i,  so  wäre  ihm  die  Lösung  dieses 
neuen  Räthsels  von  selbst  geworden.  Da  der  astronomische 
Plafond  von  Esne  aus  der  römischen  Kaiserzeit  stammt,  so 
hat  es  grosse  Wahrscheinlichkeit,  dass  man  mit  dem  rö- 
mischen Jahre,  dem  die  bevorzugte  Südseite  eingeräumt 
wird,  den  Anfang  und  Schluss  der  Darstellung  gemacht, 
und  als  Zeichen  dieses  Incidenzpunktes  jene  Variante  für  äq 
gesetzt  hat.  Dieses  bedeutet  aber  nicht  y.eaovqaveiv  sondern 
nur  den  Mittelpunkt  der  Kreisbewegung  von  einem  zufälligen 
Anfange  aus  und  würde  H.  Le  Page  Renouf's  Erklärung, 
so  „ansprechend'1  sie  auch  von  H.  Dümichen  befunden 
wird,  diese  Eigenthümlichkeit  nicht  enträthseln  können. 

Halten  wir  noch  eine  kurze  Rundschau  in  gleichzeitigen 
Texten,  worin  des  Stierschenkels  m  es  echt  Erwähnung  ge- 
schieht, so  begegnet  uns  zuerst  der  unter  Augustus  Kai- 
saros  geschriebene  Doppelpapyrus  Rhind  mit  der  bezüglichen 
Stelle :  „die  Seeligen  lassen  deine  Seele  kommen  in  Ver- 
einigung mit  S  a  h  u  (Orion,  Repraesentant  der  Epagomenen) 
welcher  Osiris  ist,  sowie  mit  den  Sternen,  welche  folgen 
der  Sothis"  (pl.  XI).  ,,0  ihr  Fixsterne,  o  ihr  Planeten,  o 
Sahu  am  Südhimmel,  o  Mesecht  am  Nordhimmel,  o  Sothis, 
Führerin  (haqt)  der  Decane!"  Die  Gruppirung  der  ge- 
nannten Sterne  und  Gestirnungen  ist  keine  zufällige,  son- 
absichtliche,  auf  das  fixe  Jahr  bezügliche.  Eine  ganz  ana- 
loge Gruppirung  in  Edfu  37J:  der  Saal  (hott  receptaculum) 


36)  Bei  seiner  in  Aussicht  gestellten  Herausgabe  des  astronomischen 
Text-  und  Darstellungs-Materials  von  Denderah  dürfte  sich  Veranlassung 
bieten,  das  Versäumte  nachzuholen. 

37)  Brugsch:  Recueil  LXXX,  2;  Dümichen:  Tempelinsch.  CX,  3/4. 


Lauth:  Augustus-Harmäis.  213 

der  grosse  ist,  gehöht  wie  der  Thaugeber  (Himmel),  das 
Firmament,  welches  die  beiden  Lichter  Sonne  und  Mond  an 
sich  trägt;  die  Bkatisterne  (Bxcctl  Decan)  sind  bei  ihnen; 
als  Herrn  des  Jahresanfangs  und  an  ihrer  Spitze:  Osiris 
als  Sahu  (Orion)  die  göttliche  Sothis,  der  gute  Gefährte  der 
Isis  ist  zu  ihr  umgewendet;  die  mesecht  und  die  Sterne, 
welche  aufgehen  an  ihrer  Stelle,  der  richtigen;  es  achten 
auf  sie  die  Imabodpriester"  (d.  h.  die  Horoscopen). 

Ich  habe  in  meinen  Zodiaques  de  Denderah  schon  vor 
zwölf  Jahren  auf  den  kleinen  Decan:  einen  Widder  mit  O 
auf  dem  Kopfe,  hingewiesen  und  darin  den  Repraesentanten 
des  aus  vier  Vierteln  alle  vier  Jahre  entstehenden  Schalt- 
tages vermuthet.  Es  trifft  sich  nuu,  dass  nicht  blos  das 
Epochenjahr  des  Rundbildes:  36  v.  Chr.  die  Mitte  einer 
Tetraeteris  bildet,  sondern  auch,  dass  die  Legende  dieses 
Minimaldecans  für  1/i  o  Decade  absichtlich  auf  gleicher  Linie 
liegt  mit  dem  Namenssymbol  von  Denderah:  „Sothis- 
stadt",  mit  dem  Stern  der  Sothiskuh,  mit  dem  oben  be- 
sprochenen Mizar  und  dass  sie  die  Decanreihe  halbirt.  Denn 
die  Legende  @^^^_  pe  siu  ua  ne  ciott  otta>  Stella  unica 
ist  genau  zwischen  T7tr>0(jdr  u.  o\.tctx  d.  h.  „Kopf  des  Thei- 

lers11  u.  „Theileru    _®  /=  ß   u.    0^7   angebracht.    Das 

Determinativ  des  halbirten  Mondes  ••S  w*e  es  sonst  immer 
zur  Bezeichnung  des  löten  Tages  gebraucht  wird,  lässt 
keinen  Zweifel,  dass  wir  s-mad  aus  coir  facere  und  Md^ 
(in  V^i  participatio)  Hälfte  also  =  ^  I  mivj  me- 
dium aufzufassen  haben.  Wirklich  drängt  sich  dieser 
kleinste  Decan*  zwischen  diese  beiden  Nummern  18  und  19 
(36  sind  es  im  Ganzen)  ein  und  veranlasste  mich  zu  der 
Ansicht,  dass  der  Schalttag  in  der  Mitte  des  Jahres  seine 
Stelle  gehabt  habe,  bis  der  Misori  (Scene  in  Philae)  ihn 
nebst  den  5  Epagomenen  annexirte. 


214         Sitzung  der  philos.-phildl.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

Wollte  mau  nun  auch  alle  diese  Symptome  für  zu- 
fällige halten,  so  ist  dieses  doch  unmöglich  gegenüber  einer 
Textangabe  aus  der  Zeit  des  Epagomenen-  und  Sothisepochen- 
kaisers  Hadrian  in  einem  der  Bulaqer  Papyrus38).  Dem 
Verstorbenen ,  Namens  Heter ,  wird  zugerufen :  „Du  be- 
grüssest  den  Mond  in  der  Nacht,  du  gehst  auf  am  Tage 
wie  das  schöne  Licht  des  glänzenden  Sonnen  gottes.  Es 
sind  alle  Länder  beleuchtet  in  der  Nacht  vom  Mond  am  Feste 
des  löten  Tages,  um  zu  schaffen  Freudestunden  im  Gefolge 

der  Strahlen.     Du  erglänzest  am  Firmamente    1\      _^j 


als   göttlicher   Einzelstern;    du   bist   wie 

Sahu  am  Leibe  der  Himmelsgöttin  Nut.  Dein  Scheinen 
innerhalb  dieser  Welt  ist  wie  das  des  Mondes,  wenn  er 
sein  Uzatauge  ^^  erfüllt  (Vollmond);  Isis  ist  mit  dir  als 

göttliche    Sothis     Tß^~]A*   NT   am  Himmel:  nicht  trennt 

sie  sich  von  dir  in  Ewigkeit!" 

In  der  That  ist  die  Verbindung  des  Schalttages  mit 
der  Sothis,  der  Repräsentantin  des  fixen  Jahres,  eine 
unzertrennliche.  Auch  die  sonstige  Umgebung,  in  welcher 
hier  dieser  Einzeln stern  d.  h.  der  Decan  für  den  Schalt- 
tag, auftritt,  empfiehlt  diese  Auffassung,  da  wir  ja  lauter 
constitutive  Elemente  des  festen  Jahres  der  Aegypter  darin 
wahrnehmen. 

Unter  den  unendlich  vielen  Beinamen  der  Hathor-Isis- 
Sothis  —  sie  heisst  mit  Recht  ixvQiwvvi-iog  —  verdient  der 
jl-^O  recht  geschriebene  einige  Aufmerksamkeit.  Er  scheint 


nicht    identisch    mit  UU5äß^    rachit,    Var.    ^^) 

worin  ich  längst  das  Kopt.  p^igc   ingenuus   liber  erkannt 
habe,    ein    Synonymon    zu    ^Un      chepes't  W*>ß  „vornehm, 


38)     Mariette:  I.  pl.  XIII.  Hn.  6-8  (Nr.  3). 


Lauth:  Augustus-Harmais.  -       215 

edel,  prächtig"   --   sondern  vom  Stamme  i    rech  scire, 

erhalten  in  ptouje  videre  dispiceje  procurare  cpQOvtl'Qeiv  und 
\euje  posse  zu  stammen,  indem  aus  dem  geistigen  Kennen 
ein  physisches  Können  geworden  ist.  Auf  derselben 
Wand39),  wo  Thoth  als  5^*====  äm-taui  „wissend  (eMi) 
beide  Welten  oder  Länder11  heisst,  wird  auch  die  Ausstat- 
tung der  Wände  mit  Texten  den  Wissenden  (cmi)  des  Hie- 
rogrammatenhauses  zugeschrieben,  deren  Finger  geschickt 
sind :  -<2>-  (folgt  nXexpvdqa  und  das  Pronomen  — »—  ,,ihru) 
also  „kennend  ihre  Stunde  (der  Erscheinung)".  Es  ist  hier 
aenigmatisch  statt  <^>  das  anscheinende  Auge  -<s^  gesetzt; 
allein  ari  „machen"  ergibt  hier  keinen  Sinn.  Ich  habe 
schon  früher  40)  auf  die  Benennung  co\eR*  =z  canicula 
und  2oXe%ri(v)  bei  Chalcidius  als  Name  des  Sothis  hinge- 
wiesen ,  indem  dieses  Compositum  sich  unschwer  in  cott 
Stella  und  jenes  für  ?Veuj€  vorauszusetzende  leche't  = 
reche't  sapientum  (X^ttjie  adspirantes  ?)  zerlegt.  Es  kommt 
nun  darauf  an,  diese  Vermuthung  „Stern  der  Weisen", 
besser  zu  begründen. 

Der  Stern  der  Magier. 

Kaiser  Augustus  bildet  nicht  nur  in  der  römischen 
Geschichte  einen  bedeutsamen  Abschnitt;  wir  haben  gesehen, 
dass  er  auch  für  die  ägyptische  Chronologie  einen  doppelten 
Haltpunkt  darstellt :  als  nd,iuvM*£T€  „der  der  Ergänzung" 
bezeichnet  er  die  Fixirung  des  Wandeljahres  25  v.  Chr., 
welche  sich  im  Kalender  der   christlischen    Kopten   bis   auf 


39)  Dümichen  11.  XLIL  6,  8  1  unten. 

40)  „Sothis-  oder  Siriusperiode' *  Sitzgsb.  1874  p.  94,  95  „Achtet 
auf  die  alten  Schriften,  nicht  irret  in  ihrem  Tage,  nicht  übertretet  ihre 
Summe". 

[1877. 1.  Phil.  hist.  Cl.  2.]  15 


216         Sitzung  der  philos.-philöl.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

den  heutigen  Tag  erhalten  hat,  während  sein  Beiname 
Harmai's  den  Uebergang  der  Sothiserscheinung  auf  den 
1 .  Mesori  des  annus  vagus»  verkörpert.  Auch  diese  Epoche 
ist  fort  und  fort  wirksam:   in  unsrer  christlichen  Aera. 

Stünde  dieser  Epochalname  Harmai's  allein  da,  so  würde 
seine  Deutung  eine  problematische  heissen  können.  Allein 
nachdem  in  meiner  „Aegyptischen  Chronologie"  die  voll- 
ständige Reihe  der  Epochen  dargethan  ist  und  sich 
namentlich  die  Benennung  Harma(ch)is  an  drei  Stellen  ge- 
zeigt hat,  welche  je  um  eine  volle  Sothisperiode  zu  1460 
Jahren  von  einander  abstehen:  so  ist  sie  zu  einem  festen 
Datum  geworden,  welches  mit  einer  weltgeschichtlichen  Be- 
deutung behaftet  ist;  denn  sie  bildet  den  Geburtsschein 
des  Christenthums,  unserer  Aera.  Nachdem  ich  un- 
längst dieses  Thema41)  mehr  theoretisch  behandelt  habe, 
ist  es  jetzt,  wo  die  monumentale  Legende  Harmais-Kaisaros 
vorliegt,  gestattet  ja  nothwendig,  darauf  zurückzukommen, 
besonders  in  dieser  Abhandlung,  welche  sich  ausschliesslich 
mit  Augustus-Harmai's  befasst. 

Es  ist  von  vornherein  höchst  wahrscheinlich,  dass  der 
Gedanke  an  die  Katastrirung  des  Reiches,  womit  die  Geburt 
Christi  unlöslich  verbunden  erscheint,  dem  Augustus  von 
Aegypten  her  gekommen,  weil  wir  in  Theben  eine  auf  ihn 
bezügliche  Darstellung  sehen,  worin  die  Gaue  Aegyptens 
mit  ihrer  Dreitheilung :  Metropolis,  Tempelbesitz  und  Hin- 
tersee ihm  vorgeführt  werden. 

Dies  ist  der  Ursprung  aller  späteren  Indictionen, 
welche  bekanntlich  bei  Datirungen  angetroffen  werden;  ja 
unsere  Art  das  laufende  Jahr  dieses  Cyclus  zu  erhalten, 
indem   wir   zu   unserer   Aera   (goth.  jera   ,,das  Jahr")  die 


41)  „On  the  date  of  the  Nativity"  Transactt.  Soc.  Bibl.  Arch.  IV 
II  1876.  —  Vergl.  den  Artikel  „Unsere  Zeitrechnung"  in  der  Allg. 
Zeitung  Febr.  1876, 


Lauth :  Augustus-Harma'is.  217 

Zahl  3  addiren  und  mit  15  dividiren,  enthält  eigentlich 
schon  die  Andeutung,  dass  die  erste  aller  Indictionen  eben 
anno  3  vor  unserer  Aera  fiel.  Welche  Tragweite  dem  Titel 
des  Tiberius:  qyefxtov  (nicht  awoytQccTioQ)  in  der  chronolo- 
gischen Concordanz  des  Evangelisten  Lucas  zukomme,  lässt 
sich  daraus  schon  abnehmen,  dass  auch  Quirinus  =:  Kvqtjvioq 
und  Pontius  Pilatus  dasselbe  Prädicat  führen  (iqyefxovevovvog) : 
es  ist  das  J.  12  (+  15)  gemeint,  wo  die  Indiction  des  Ti- 
berius begonnen   hatte. 

Ausserdem  hatten  schon  die  alten  Chronographen  z.  B. 
Africanus42)  bis  auf  den  Tod  des  Macrinus  5723  Weltjahre 
gerechnet.  Zieht  man  davon  die  runden  5500  v.  Chr.  ab, 
so  bleiben  223  übrig,  während  doch  des  Macrinus  Ende  auf 
220  steht.  Daraus  ergibt  sich,  dass  Africanus  die  Geburt 
Christi  um  3  Jahre  früher  als  die  vulgäre  Aera  angesetzt 
hat.  Ebendahin  führt  des  Clemens  Alex.  Angabe  „unser 
Herr  ward  geboren  in  dem  28ten  Jahr  seit  der  Schlacht 
von  Actium",  so  wie  die  astronomische  Berechnung  der 
totalen  Mondsfinsterniss  kurz  vor  des  Herodes  Tode.  Auch 
ist  man  seit  Ideler  allgemein  geneigt,  Christi  Geburt  früher 
anzusetzen  als  die  vulgäre  Aera  —  nur  über  die  Frage:  um 
wie  viel  früher?  gehen  die  Ansichten  auseinander.  Die 
Conjunction  des  Jupiter  und  Satumus  würde  auf  747  ab 
u.  c.  führen ;  allein  Aegypten  bietet  uns  eine  bessere  Stern- 
erscheinung, ich  meine  den  Prühaufgang  des  Sirius 
im  J.  5  vor  unserer   Aera  am  1.  Mesori. 

Die  Stelle  des  Suetonius  über  Vespasian,  der  die  im 
ganzen  Oriente  cursirende  Sage  über  eine  von  Judaea  aus- 
gehende Weltherrschaft  auf  sich  selbst  anwendete  und  die 
in  dem  Sterne  der  Ringlegenden  des  flavischen  Hauses 
hieroglyphisch  verkörpert  vorliegt  —  das  Auftreten  des 
Bar-Kochab  {Baq%o%eßag)  „Sohn  des  Sternes"  unter  Hadrian 

42)    Bredowi  dissert.  de  Syncelli  chronog.  (ed.  Dindorf)  p.  6. 

15* 


218  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

mit  Rückbeziehung  auf  die  messianische  Weissagung,  liefern 
den  Beweis,  dass  man  die  Erscheinung  des  Messias-Sternes 
als  eine  Thatsache  betrachtete. 

Diese  Sothiserscheinung  am  1.  Mesori  hängt  aufs  In- 
nigste mit  dem  bethlehemitischen  Kindermorde  zusammen» 
indem  sie  uns  die  psychologische  Erklärung  der  tyrannischen 
That  an  die  Hand  gibt.  Obgleich  Flavius  Joseph us  dar- 
über schweigt  —  was  daraus  erklärlich  wird,  dass  er  den 
Nicolaus  Damascenus  abschreibt,  welcher  Hofhistoriograph 
des  Herodes  war  —  so  leistet  uns  Macrobius  in  einer  Stelle 
seiner  „Saturnalia"  II,  4  die  Gewähr,  dass  wir  es  mit  einer 
geschichtlichen  Thatsache  zu  thun  haben.  Quum  (Augustus) 
audivisset,  inter  p  u  e  r  o  s  ,  quos  in  Syria  (Palaestina)  Herodes 
rex  Judaeorum  infra  bimatum  jussit  inter fici ,  filium 
quoque  ejus  occisum  (esse),  ait:  Melius  est  Herodis  por- 
cum  esse  quam  filium  (puerum)".  Vermuthlich  hatte 
Augustus  sich  griechisch  ausgedrückt:  Itpov  sativ,  vv  elvai 
rj  vlov  'Hqwöov. 

Diese  von  einem  nicht  christlichen  Autor  herstammende 
Nachricht  enthält  alle  wesentlichen  Züge  der  evangelischen 
(bei  Matthaeus  c.  II)  mit  dem  significativen  Zusätze,  dass 
ein  Sohn  des  Herodes  selbst,  augenscheinlich  der  jüngste, 
unter  den  Gemordeten  gewesen  sei.  Dadurch  erhält  die 
That  des  argwöhnischen  Tyrannen  erst  recht  ihr  dynas- 
tisches Gepräge.  Sodann  stimmt  der  Ausdruck  infra  bi- 
matum wörtlich  zu  <xtcq  öieTovg  nal  xcctcotsqü)  =  a  bimatu 
et  infra  —   xcctcc  tov  %qovov,  ov  TqKQißwoe  naga  twv  fxdywv. 

Ich  behaupte  nun,  dass  diese  praecise  Zeitangabe,  welche 
sich  auf  den  Bericht  der  payoi  (zzz  oogiol)  stützt,  durch 
keine  andere  Hypothese  sich  so  befriedigend  erklärt,  als 
wenn  man  mit  mir  annimmt,  dass  die  Epoche  5  vor  un- 
serer Aera  gemeint  ist,  wo  der  Sothisstern  zum  ersten  Male 
am  1.  Mesori  des  Wandeljahres  heliakalisch  erschien  und 
dem  Kaiser  Augustus  in  Aegypten   den  Beinamen  Harmais 


Lauth:  Augustus-Harmais.  219 

eintrug.  Denn  da  die  Geburt  Christi  nach  allen  Symptomen 
chronologischer  Art  Anno  3  vor  unserer  Aera  anzusetzen 
ist,  so  war  allerdings  seit  der  Epoche  eine  zweijährige 
Zeit  verflossen.  Desshalb  griff  die  Massregel  des  Herodes  auf 
2  Jahrgänge  zurück  (5 — 4)  und  traf  zu  grösserer  Sicherheit 
auch  diejenigen  Kuaben,  welche  4-3  und  3  selbst  geboren 
waren,  da  der  Sothisaufgang  am  1.  Mesori  für  ein  ganzes 
Quadriennium :  5 — 2  gilt.  Später  als  3  lässt  sich  aber  der 
Knabenmord  nicht  setzen,  weil  sonst  das  öletovq  nicht  mehr 
passte  und  gerade  diejenigen  nicht  getroffen  worden  wären, 
die  im  Epochaljahr  5  selbst  geboren  waren. 

Hiemit  ist  die  Geburt  Christi  besser  fixirt,  als  es  bisher 
ausserhalb  der  ägyptischen  Mittel  möglich  gewesen ;  zugleich 
ist  aber  auch  eine  chronologisch-astronomische  Angabe  des 
Matthaeus  gewürdigt  und  verwerthet,  die  sonst  hyperkritisch 
als  erdichtet  bei  Seite  geworfen  oder  unkritisch  auf  ein  ad 
hoc  geschaffenes  wunderbares  Meteor  bezogen  wird. 

Ist  denn  aber  der  1.  Mesori  von  dynastischer  Be- 
deutung? Allerdings.  Nicht  nur  muss  dieser  Ausdruck 
mit  „Geburt  des  Horusu  übersetzt  werden,  sondern  es  zeigen 
dies  auch  hunderte  von  Beispielen  ägyptischer  Texte.  Schon 
Champollion  43)  hat  die  Legende  der  häufigen  Scene,  wo  die 
4  Canopengenien  in  Gestalt  von  Gänsen  nach  den  vier 
Weltgegenden  entsendet  werden,  so  übersetzt:  „Donnez 
l'essor  aux  quatre  oies  vers  le  midi,  le  nord,  l'occident, 
l'orient,  pour  dire  aux  dieux  de  ces  quatre  regions,  que,  ä 
l'exemple  d'Horus,  fils  d'Isis,  le  roi  Ramses  III  s'est 
coiffe  du  Pschent."  In  der  That  merkt  der  Kalender  von 
Edfu44)  dieses  Wegfliegen  der  Gänse   am    1.    Mesori  an: 

fiTr^iioi*  Noch  weit  ausführlicher  in  dem  andern  Texte 
von  Edfu  aus  der  jüngeren,  der  Ptolemäer-  oder  der  Römer- 


43)  Vergl.  meine  „Zodiaques  de  Denderah"  p.  73. 

44)  Brugsch :  „Drei  Festkalender"  Taf.  IV,  col.  27,  VII,  col.  18-23. 


220         Sitzung  der  philos.-phüöl.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

zeit.     Die   Vögel   oder  Gänse  heissen  hier    \\o=        ^>m 

äperu  &JioA?V€,  mit  derselben  Phonetik,  die  auch  dem 
Volke  der  Aperiu   ==  Ebraeer   eignet.     Man  trifft   sehr 

oft  das  Zeichen  [Jj  I  ,, Geburt"  von  Q  „Krone"  determinirt, 

besonders  wo  es  sich  um  die  Thronbesteigung  oder  um  eine 
neue  Aera  innerhalb  einer  Regierung  handelt.  Es  fragen 
ja  auch  die  (xayoi:  jiov  loxiv  6  Tax&eig  ßccoiXevg  twv 
'Iovdcctcov;  wozu  das  I.  N.  R.  I.  den  Commentar  liefert. 

Bei  den  legendarischen  Zuthaten  z.  B.  den  Namen  der 
Magier,  halte  ich  mich  nicht  auf;  offenbar  ist  die  Drei- 
zahl selbst  aus  dem  ägyptischen  Pluralzeichen  1 1 1  geflossen ; 

mögen  nun  ^ö^j^j  ***£  oder  {^^^j 
lifxßQr\q  d.  h.  „ Schreiber "  oder  „Vorsteher"  der  Er- 
scheinungen", 1  |^X»pi  „Horologen"  od.  |    ^^^ 

„Sachverständige"  unter  jenen  (xayoL^)  =  oocpoi  ver- 
standen werden.  Aber  der  Ausdruck:  (el'do/uev  yaq  avtov 
rov  doTiqa)  ev  rfj  avarolrj  kann  ursprünglich  gleich- 
bedeutend mit  civareXkovra  gedacht  worden  sein,  was  diese 
späte  Graecität  anzunehmen  erlaubt.  Dies  ist  aber  der 
terminus  technicus  für  die  Sothiserscheinung:  dvarellei  und 

hiixBXu  entspricht  dem  g^  |ft     x     „Erscheinung    der 

göttlichen  Sothis"  z.  B.  in  der  Tanitica,  wo  es  sich  um  die 
Coi'ncidenz  dieses  Phänomens  mit  der  vovf.tr]vtcc  rov  Ilavvl 
ixrjvog  handelt.  Der  Geburtsschein  des  Christen- 
thums  aber  lautet:  „3"  v.  unserer  Aera,  in  Mitten  der 
Tetraeteris  5—2,  deren  Signatur:  ldvaxok\]  rrjg  &eiag  2to- 
&etog  ev  rf{  vovjLtrjvl^c  rov  MeatüQL  fLirjvög. 


45)  Wie  sie  zu  „Königen"  wurden,  erklärt  uns  Manetho's  XXVII. 
Dyn.  und  die  Qualität  ihrer  Namen  als  Vertreter  der  Königreiche  Ba- 
bylon, Aegypten,  Assyrien  —  in  der  Legende. 


Lauth:  Augustus-Harmais.  221 


Anhang. 

In  Bezug  auf  den  Namen  Alexandria's :  2eßaoxy  kann 
ich  mir  nicht  versagen,  eine  neu  aufgefundene  Inschrift  46) 
mitzutheilen,  weil  dieselbe  zugleich  eine  Aera  einschliesst. 
Sie  lautet: 

Avxoxodxoqi  Kaioaqi  &eov  Tqaiavov  ITaQfriAOv  i>#$,  d-eov 
JSeqova  vlcovo) :  Tqaiavu)  ^öqiavM  2eßaoxw  aQxieqel  [leyioxco, 
örjfÄaQXLzrig  e^ovoiag  xo  xa,  avxoxqaxoQi  xo  ß  vTtaxttj  xo  y, 
itaxqi  Ttaxqidog  —  Aal  ^tlXlctj  Kaioaqi  (Antonmus  Pius) 
di]LiaQ%iY.r\q  s^ovolag,  hcl  WXaovlov  lAqqiavov  7tqeoßevxov 
Aal  avxioxgaxiqyov  xov  Seßaoxov 

SeßaoxofioXeixwv   xcov    Aal  cHQaxXei0  7toleiTiov  aQ%ovxeg 
ßovli]  ör^xog  "Exovg  &lq  (—  qI&). 

Abgesehen  von  dem  Historiker  Flavius  Arrianus, 
der  hier  als  Gesandter  und  Propraetor  des  Augustus- 
Haclrianus  erscheint,  interessirt  hier  besonders  die  an  die 
Namensänderung  der  Stadt  Her akleopolis  am  Pontus 
(Bender  Eregli ?)  in  Sebasto polis  geknüpfte  Aera.  Das 
Jahr  derselben:  139  sieht  beinahe  wie  ein  christliches 
Datum  aus,  besonders  nach  der  oben  aufgezeigten  Rectifi- 
cation.  Denn  in  der  That  entspricht  das  21te  Tribunat 
des  Hadrian  dem  Jahre  137  n.  Chr.,  welches  sein  letztes 
war,  da  er  am  lOten  Juli  138  n.  Chr.  gestorben  ist.  Da- 
durch würde  nun  auch  das  auffallende  AvxoAqäxoqi  xo  ß 
erklärlich,  wenn  man  nämlich  eine  Neuzählung  seiner  Re- 
gierungsjahre von  der  Epoche  136  an  statuirt.  Also, 
die  Aera  der  Sebastopoliten  hatte  mit  dem  Jahre  2  vor  un- 


46)    Revue  archeol.  Mars  1877  (von  Leon  Renier). 


222  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  5.  Mai  1877. 

serer  Aera  begonnen,  genau  in  dem  letzten  Jahre  des  Qua- 
drienniums,  welches  ich  oben  gelegentlich  des  Epochalnamens 
Harmais  und  des  „Sternes  der  Magier "  als  dem  Sothis- 
frühaufgang  am  1.  Mesori  entsprechend  dargethan  habe. 

Wenn  nun  die  Namensänderung  von  Herakleopolis  in 
Sebastopolis  der  Anlass  wurde,  eine  eigene  Aera  dieser 
Stadt  zu  begründen,  so  wird  man  auch  zugestehen  müssen, 
dass  der  Epochalname  Harmais  keine  „graphische  Spielerei", 
sondern  eine  epochenhafte  Legende  ist.  Ja,  das  gleich- 
zeitige Vorkommen  von  2eß aöro TtoXeitcov  tcov  Kai  cHq a - 
x  X  €  i  o  tcoKuxüv  scheint  darauf  anzuspielen,  dass  der  Sebastos- 
Augustus,  gerade  in  jener  Zeit  sie  mit  einer  Form  des  Horus- 
namens:  Harmais  zugetheilt  erhalten  hat.  Ob  die  von 
H.  Ceccaldi 47)  in  derselben  Nummer  versuchte  Erklärung 
des  Namens  cHQaxXrjg  als  ,,Hor-aqil  =  Horus  intellect, 
Horus-ingenieuru ,    zutreffe,    bleibe    dahin  gestellt.      Indess 

würde  formell  und  virtuell  ein  ägyptisches  Vn^O  *  i 
Har-aqel  entsprechen. 

Ungefähr  in  derselben  Zeit,  wie  die  Namensänderung 
der  Stadt  'HgccxleioitoXig  in  2eßaOT07toXig ,  nämlich  in  das 
Jahr  23  des  Augustus,  fallen  mehrere  Inschriften  von  Philae, 
welche  ein  gewisser  Catilius,  Sohn  des  Nicanor,  dem 
Augustus  zu  Ehren,  angeschrieben  hat.  Mit  Uebergehung 
der  sechs  Distichen ,  die  mit  KaloctQi  7iovTo/.tidovTi  y,al 
ctTieiQtov  y.Qaz£OVTL  beginnen 48),  lasse  ich  hier  ein  zweites 
Gedicht  desselben  Catilius  folgen,  weil  es  ein  syll aba- 
risches Akrostichon  ist  und  sein  letzter  Vers  selbst 
von  Letronne  nicht  ganz  richtig  verstanden  wurde. 

K!Af.ie  xov  evTeyvov  cptorog  oti%ov,  co  q)lXe,  ßr\(xa 
TIf,uov  CLLiTTavoaq,  sy^ia^e  v.al  iclqiöcii 


47)  Kevue  archeol.  Mars  1877. 

48)  Cf.  Letronne:  Recueil  des  inscript.  grecques  II.  142—158. 


Lauth:  Augustus- Harmais.  223 

Altalg  loroglaig  Xwov  tiovov,  ota  7t£7taiyiiai, 

($Y  xevd  prjvvwv,  ovitsq  s'cpvv  yevirov. 
TOYde  kccXov  7tXwoag,  cprjoi,  ^ive,  %e,viAaxa,  NeiXov, 

KAIqov  e%to  cpwvelv  xalgexe  TioXXd,  (DtXai ! 
Nlyaofxai  rcttgaig  T€  Kai  ovgeoiv,  a>  KaxagaKtaiX 

KAyio  s%io  xev%uv  loTOQixrjv  GeXlöa. 
NOoTrjGag  Kai  iöwv  NiKavoga  Kai  yevog  —  äXV  o  — 

P02  KaxaXoucov  l'%co'  tovto  yaq  eon  reXog. 
Letronne  liest  den  Schluss  des  vorletzten  Verses  aXXo 
und  beginnt  den  letzten  mit  einem  unorganischen  P02; 
seine  Uebersetzung :  II  ne  me  reste  qu'un  ROS  ä  placer, 
car  c'est  la  fin"  lässt  aXXo  unberücksichtigt.  Setzt  man 
nach  meinem  Vorschlage  dXX1  6  —  P02  =  aXX'  ogog,  so  ist 
das  Unorganische  entfernt  und  da  ogog  durch  reXog  selbst 
erläutert  wird,  so  ist  an  der  Richtigkeit  meiner  Restitution 
nicht  zu  zweifeln.  Freilich  hätte  Catilius  sagen  können: 
aXX'  o  —  P02  KardXoLTcog  ifioi;  aber  die  Redensarten  Kai- 
qov  e'xw  qxovelv  —  Kayib  e%to  tev%elv  zeigen,  dass  e%io  sein 
Lieblingsausdruck  gewesen. 

v    Von  desselben  KA-TI-AI-OY  TOY  KAI  NI-KA-NO- 
P02  Hand  stammt  eine  dritte  Inschrift,  welche  bisher  wegen 
arger  Beschädigung  der  Versanfänge  keinen  Zusammenhang 
ergab.     Im  aeolo-dorischen  Dialecte  geschrieben ,    zeugt   sie 
für  die  alterthümelnde  Richtung  des  Verfassers;    ihr  Inhalt 
scheint  anzudeuten,   dass    er  die  *Ioig-2d>&ig  als  ScoTeiga*9) 
wegen  einer  Krankheit  seines  Sohnes  besucht  und  angefleht 
habe.     Es  sind  12  jambische  Trimeter: 
Kar  iXiov. 
\!dvr[V&£v  ig  TtvXav  2o-~\  dvag,  Kai  <DiXai\g 
[Tav  vavv  Ttgogt-]  ypvxi  e^elXev  dyd  \pv%dv^  yaqiv 

49)    Vergl.  die  Inschrift  Letronne  Tab.  XV,  2  viüq  ßctaiUwq  Tlxo- 
"ke  [Actio  v'Emcpav  oi  g  MeyciXov  Ev/aglorov  :  ™Jxu)Qig  'Eyieitog  "loidt  Mw- 

/itidc     i  •*$*£    w         maked  „schützen")  ZwretQq. 


224         Sitzung  der  phüol.-phüos.  Gasse  vom  5.  Mai  1877. 

[0€c3y]  <x7tex&cov  ö*'  d(.ißoXdg  KazlXiog 
\Aaßiov  ze  zo]  ov  ygayeiov,  elg  [xvcc/accv  zoöe 
[To  7TQogxvvccf.i']  dyvov  evenoXaip*  ev  iccqio 
[üvlccig,  eßrj\z\  elg  zag  Kccläg  ÖQCtKWV  Ollctg, 
\yi  ovKvyog]  z(7)  (.nij  ovve^evKzai,  £eve, 
[  Og  xal  öidyec  ejxag  zw  vicüj  zd  Ttqog  &eotg 
\!Afxv(.iovog  f.iiv,  z-~\  ov  de  -/.aQcpog  eßlaßt]. 
[^(T  eazl  zco]  äyvwoig.  El  d'eyoi  Tvya 
[Jo^eije  Kai  d-eölai    —   zö  Ttqo-zu)  pevog, 
[Mevov  elg  altovd]  Kai  %a%d  oto%oi  KvTtQig. 

Nicht  weit  von  diesem  Texte  und  dem  von  Nov{.irjvwg 
unter  Euergetes  II  (125  v.  Chr.?)  angeschriebenen  Psephisma 
in  Betreff  der  Priesterschaft  des  Tempels  der  Isis  auf  Philae, 
haben  zwei  andere  Römer,  die  aus  Horatius  (Epistol.  I,  15; 
Sat  I,  4,  115)  bekannt  sind,  ihre  Namen  verewigt: 
L.  Trebonius  Oricula  hie  fui.  Imp.  Caesare  XIII  Cos. 
C.  Numonius  Va(ha)la  hie  fui  A.  d.  VIII  k.  Apriles  XIII. 

Letronne  bemerkt  in  der  Note:  ,,D'  apres  la  copie  de 
M-Gau,  apres  ,,  Apriles"  on  voit  les  chiffres  XIII,  qui  n'ont 
aueun  sensa.  Ce  sera  une  repetition  fautive  du  chiffre 
(XIII)  qui  suit  Cos.u  (lies  Caesare").  Ich  habe  in  meiner 
„Aeg.  Chronologie"  diese  angeblich  falsche  Ziffer  13  XIII 
ausserhalb  des  Datums  ,,13tes  Consulat  des  Caesar  Aug." 
(=  751  der  Stadt  =  3  v.  unserer  Aera)  auf  Aenigmatik 
gedeutet,  nämlich  als  ob  Numonius,  durch  den  Epochal- 
namen Nov(xriviog  angeregt,  den  Uebergang  des  Sothis- 
irühaufgangs  auf  den  1.  Tag  des  12.  Monats:  Mesori  habe 
bezeichnen  wollen  In  der  That  würde  XII/I,  wie  analog 
XVil/XI  im  Zodiaque  reetangulaire,  dieses  Datum  darstellen, 
welches  zugleich  mit  Christi  Geburt  in  die  Mitte  der  epochalen 
Tetraeteris  5 — 2  vor  unserer  Aera  fällt. 

Dass  Gau  seine  Lesart  nicht  aus  einer  fälschlichen 
Wiederholung  geschöpft  habe,  dafür  bürgt  der  Platz  dieses 


Lauth:  Augustus-Harmais.  225 

zweiten  XIII  (am  Ende),  so  wie  die  bekannte  Genauigkeit 
dieses  Sammlers.  Ich  will  noch ,  weil  es  ohnehin  zum  Gegen- 
stande gehört,  eine  von  ihm  und  Niebuhr  in  Nubien  copirte 
Inschrift  vorführen. 

Es  sind  13  Hexameter  nebst  dem  Anfange  eines  14ten, 
der  übrigens  zu  dem  bisher  unent deckt  gebliebenen  Buch- 
staben-Akr ostichon   zu  gehören  scheint. 

Invicti  veneranda  ducis  per  saecula  vellent 
Yictrices  Musae,  Pallas,  crinitus  Apollo 
Laeta  serenifico  defundere  carmina  coelo  — 
Intemerata  malas  hominum  set  numina  fraudes 
Jurgiaque  arcanis  et  perfida  pectora  curis 
Fügere;   Hadriani  tarnen  ad  pia  saecula  verti 
Ausa  per  occultas  remeant  rimata  latebras(.) 
Ut  spirent  cautes  ac  tempora  prisca  salute[nt 
Sacra  Maniertino  sonuerunt  praeside  sig[na ; 
Tum  Superüm  manifesta  fides:  stetit  inclutus  [heros 
I[ncolumis]  sospes  diti  pede  pressit  hären  [as. 
Namque  inter  celsi  densata  sedilia  templi, 
Incola  quo  plebes  tectis  effunditur  altis. 
Munera  coeli. 

Der  Praefect  Mamertinus  (Petronius)  der  hier  erwähnt 
ist,  hörte  den  Memnon  VI.  Idus  Martias  Serviano  III  et 
Varo  Coss.  =  10.  März  134  n  Chr.  also  nicht  lange  vor 
der  Epoche  135/136  n.  Chr.,  wo  sich  unter  Hadriau  die 
Sothisperiode  erneuerte.  Ob  sonst  noch  ein  Stück  dieses 
Dichters  oder  Versifex  des  Akrostichons:  JVLI  FAVSTINI 
bekannt  sei,  mögenden  Literarhistorikern  überlassen  bleiben 
zu  ermitteln.  Die  beiden  Akrosticha  des  Julius  Faust inus 
und  des  Catilius  brachten  mich  auf  den  Gedanken,  ob  nicht 
Ovid's  räthselhaftes  Gedicht  JBIS,  trotz  seines  ägyptischen 
Anstrichs  sich  als  Palindrom  von  SIBl  herausstellen  sollte! 
Zum  Schlüsse  stehe  hier  die  griechische  Inschrift  der 
sogenannten  Pompejussäule  in  Alexandria: 


226         Sitzung  der  philos.-philol.  Gasse  vom  5.  Mai  1877. 

Tov  oouotctTov  Av%0A.qa.xoqa. ,  %ov  7toXiov%ov  Ale^avd- 
Qelag:  J  toxki]*  lavov  tov  dviTtrjTov  TIof.i7i^'iog  (II)  E7raqx0(9 
Alyv7itov  [röv  eveoytTrjv  sc.  eotiqoev].  Das  bezieht  sich  auf 
ein  Standbild  des  Diocletian  (nicht  Reiterstatue),  welches 
ein  alter  Plan  wirklich  auf  dem  Capitäle  der  33  Meter 
hohen  Säule  zeigt. 

Da  die  an  Diocletian  als  Aera  martyrum  angeknüpfte 
Zeitrechnung  der  christlichen  Kopten,  mit  der  Epoche: 
29  ter  August  =  1.  Thoth  bis  heute  fortdauert,  so  mag  die 
seinen  Namen  tragende  Säule  gleichsam  als  chronologischer 
Wegweiser  betrachtet  werden. 


Historische  Classe. 


Sitzung  vom  5.  Mai  1877. 


Herr   Föringer  hielt  einen  Vortrag: 

Ueber    Joh.   Albr.   Widmannstadt. 

Derselbe  wird  später  in  den  Sitzungsberichten  veröffent- 
licht werden. 


Philosophisch-philologische  Classe. 


Sitzung  vom  2.  Juni  1877. 


Herr  B  u  r  s  i  a  n  trug  ein  die  Bedeutung  und  die  Verdienste 
des  Philologen  Fried r.  Aug.  Wolf  betreffendes 
Bruchstück  seiner  voraussichtlich  im  künftigen  Jahre 
erscheinenden  „Geschichte  der  classischen  Alter- 
tumswissenschaft'1 vor. 


Historische  Classe. 


Sitzung  vom  2.  Juni  1877. 


Herr   Heigel    hielt  einen  Vortrag  über: 

„Die  Correspon  denz  des  Kurfürsten  und 
Kaisers  Karl  Albert  mit  dem  Grafen 
Franz  v.  Seinsheim.14 

Derselbe  wird  in  den  „Abhandlungen1'   veröffentlicht. 


Philosophisch-philologische   Classe. 


Sitzung  vom  7.  Juli  1877. 


Herr    v.    Christ    machte   Mittheilung    über    das   Er- 
gebniss  seiner  Untersuchungen  über : 

„Die  Theile  der  griechischen  Chorgesänge 
und  ihre  Bedeutung  für  den  Vortrag." 

Dieselben  werden  in  den  „Abhandlungen"  veröffentlicht 
werden. 


Herr  Brunn  legte  eine  Zuschrift  des  Herrn  Sigis- 
mond  Mineyko  in  Janina  vor,  welcher  eine  Abschrift 
einer  von  ihm  an  die  Academie  des  Inscriptions  gerichteten 
Darlegung  einsandte,  worin  genannter  Herr  Mineyko  gegen- 
über den  in  der  Sitzung  vom  5.  Mai  von  Herrn  Bursian 
vorgelegten  Mittheilungen  des  Herrn  Konst.  Karapanos 
„über  Dodona  und  dessen  Ruinen"  (—  s.  oben  S.  163  ff.  — ) 
durchgängig  die  Priorität  der  betreffenden  Ausgrabungen 
und  Entdeckungen  für  sich  in  Anspruch  nimmt. 


228  Kimmdungen  von  Druckschriften. 


Verzeichniss  der  eingelaufenen  Büchergeschenke. 


Vom  historischen  Verein  in  Neuburg: 
Neuburger  Collectaneen-Blatt.    40.  Jahrg.  1876.  8. 

Vom  Carl-Friedrichs-Gymnasium  in  Eisenach: 
Jahresbericht  f.  d.  X.  1876/77.  1877.  4. 

Von  der  Universität  zu  Leyden: 
Annales  acaderaici  1872—73.  Lugd.  Bat.  1876.  4. 

Von  dem    Verein  für  Geschichte  und  Naturgeschichte  der  Baar  und 
der  angrenzenden  Landestheile  in  Donaueschingen : 

Schriften.     Heft  I.  II.  1870—72.     Carlsruhe  1871—72.  8. 

Von  der  Tc.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin: 

a)  Corpus  inscriptionum  Atticarum.     Vol.  II.  pars  I.     1877.  4. 

b)  Monatsbericht.    Januar  1877.  8. 

Von  der  Tc.  Universität  in  Christiania: 

a)  Heilagra  Manna  Sögur  udg.  of  C.  R.  Unger  I.  1877.  8. 

b)  Forhandlinger  i  Videnskabs-Selskabet  i  Christiania  Aar  1875.  1876.  8. 

c)  Det  Kgl.  Norsko  Prederiks    Universitats  Aarsberetning   for   Aaret 
1875.  1876.  8.      . 

Von  der  societe  provinciäle  des  arts  et  des  sciences  in  Utrecht: 

a)  Jaarverslag  1875-76.  8. 

b)  Sectieverslag  1875—76.  8. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  229 

c)  Het  Klooster  te  Windesheim,  dor  J.  G.  R.  Acquoy.  2  Deel  1876.  8. 

d)  La  construction  de  Teglise  parossiale  de  St.  Jacques  ä  Utrecht,  par 
W.  Pleyte.     Leide  1876.  fol. 

Von  dem  k.  Instituut  voor  de  Tool,  Land-en   Volkenkunde  van 
Nederlandsch-Indie  in  s'Gravenhage: 

a)  Beydragen  tot  de  Taal,  Land-en  Volkenkunde   van  Nederlandsch- 
Indie.    IV.  Reeks.  Deel  I.  1876—77.  8. 

b)  Verslag  der  Feestviering  van  het  25  jarig  bestaan  van  het  Insti- 
tuut.    (1851—1876)  1876.  8. 

Von  der  Section  historique  de  V Institut  Royal  Grand-Ducal  de 
Luxembourg: 

a)  Publications.    Vol.  XXXI.  Annee  1876.  1877.  8 

b)  Chartes  de  la  famille  de  Reinach  deposees  aux  Archives  du  Grand-Duche 
de  Luxembourg.  1877.  8. 

Von  der  Teylefs  godgelecrd  Genootscliap  in  Hartem: 

Verhandelingen  rakende  den  natuurlyken  en  geopenbaarden  Go^sdienst. 
N.  Ser.  Deel  I.  Stuk  1.  2.  (1868—69.)  8. 

Von  der  Lese-  und  Redehalle  der  deutschen  Studenten  in  Prag: 
Jahresbericht.    Vereinsjahr  1876-77.     1877.  8. 

Von  der  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Kopenhagen: 

Oversigt   ever   det   k.  Danske   Videnskabernes    Selskabs-Forhandlinger 
1876  u.  1877.  8. 

Von  der  k.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Göttingen: 

a)  Das  geographische  Wörterbuch  des  El-Bekri  herausg.  v.  Ferdinand 
Wüstenfeld.     Band  II.  1.  u.  2.  Halbband.  1876.  8. 

b)  Abhandlungen.     21.  Bd.  vom  Jahre  1876.  8. 

Vom  Hennebergischen  alterthumsforschenden    Verein  in  Meiningen: 
Hennebergisches  Urkundeubuch.    Von  Georg  Brückner  VII.  Theil  1877.  4. 

Vom  historischen    Verein  für  Schivaben  und  Neuburg  in  Augsburg : 
Zeitschrift,  3.  Jahrgang,  nebst  Jahresbericht  für  d.  J.  1875.  1876.  8. 


230  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Vom   Verein  für  mecklenburgische  Geschichte  und  Alterthumskunde  in 

Schwerin : 

Jahrbücher.    41.  Jahrgang.  1876.  8. 

Vom  historischen  Verein  in  Ingolstadt: 
Sammelblatt.    Heft  I.  u.  II.  1876—77.  8. 

Von  der  gelehrten  esthnischen  Gesellschaft  in  Dorpat: 
Sitzungsberichte  1876.     1877.  8. 

Von  der  k.  böhmischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Prag: 

a)  Abhandlungen  VI.  Folge.  Bd.  VIII.  1877.  4. 

b)  Jahresbericht  ausgegeben  am  12.  Mai  1876.     1876.  8. 

c)  Sitzungsberichte  Jahrgang  1876.     1877.  8. 

Von  der  Historisch  Genootschap  in  Utrecht: 

a)  Kroniek.    31.  Jaargang  1875.  (VI.  Ser.  VI.  Deel.)  1876.  8. 

b)  Werken  N.  Ser.  Nr.  23  u.  24.     1876.  8. 

Von  der  k.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Amsterdam: 

a)  Verhandelingen.    Afd.  Letterkunde  Bd.  16.  1876.  4. 

b)  Jaarbock  voor  1875.  8. 

c)  Catalogus  van  de  Bockerij.  Deel  III.  1876.  8. 

d)  Hollandia  Carmen  Francisci  Pavesi  1876.  8. 

Von  der  Royal  Society  of  Edinburgh: 
Proceedings.    Session  1875  -  16.  8. 

Von  dem  Comite  royal  d'histoire   nationale  in  Turin: 

Historiae  patriae  monumenta.    Leges  municipales.  Tomus  II.  pars  1.  2. 
1876  fol. 

Von  der  südslavischen  Akademie  der  Wissenschaften   in  Agram: 
a)  Rad  (Arbeiten)  Bd.  37.  1876.  8. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  231 

b)  Monumenta  historico-juridica    Slavorum  meridionalium.     Pars  I. 
Vol.  1.    Statuta  et  leges  civitatis  Curzulae.  1877.  8. 

Von  der  Astoi'  Library  in  New- York: 
28  th  Annual  Keport  of  the  Trustus.  1877.  8. 


Vom  Herrn  Alfred  von  Beumont  in  Bonn: 
II  principe  e  la  principessa  di  Craon.    Firenze  1877.  8. 

Vom  Herrn  J.  Perles  in  München: 
Eine  neuerschlossene  Quelle  über  Uriel-Acosta.    Krotoschin  1877.  8. 

Vom  Herrn  Charles  Schoebel  in  Paris: 
La  legende  du  Juif-errant.    1877.  8. 

Vom  Herrn  Francesco  Casotti  in  Lecce. 

Lettera  al  Duca  Sigismondo  Castroraediano  intorno  alla  tavola  dipinta 
delle  Benedettine  di  Lecce.    Firenze  1877.  8. 

Vom  Herrn  J.  0.  Opel  in  Halle: 
Wallenstein  und  die  Stadt  Halle  1625—1627.  1877.  8. 

Vom  Herrn  Adalbert  von  Keller  in  Tübingen: 
Ein  Gedicht  Uhlands.    1876.  8. 

Vom  Herrn  E.  Wagner  in  Carlsruhe: 

Die  grossherzoglich  badische  Alterthümer-Sammlung  in  Carlsruhe.  Aus- 
wahl ihrer  besten  Gegenstände  in  unveränderlichem  Lichtdrucke 
Heft  I.     1877.  2. 

Vom  Herrn  Heinrich  Keil  in  Halle: 

Audacis  ars  gramraatica  ed  Henr.  Keil.    1877.  4. 
[1877.1.  Phil.  hist.Cl.  2.]  16 


232  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Vom  Herrn  Albert  Jahn  in  Bern: 

a)  Referat  über  E.  Desor,  die  Blüthezeit  des  Bronzealters  der  Pfahl- 
bauten in  der  Schweiz.    1875.  8. 

b)  Antikritisches  zur  Geschichte   der  Burgundionen  und  Burgundiens 
in  Nr.  4  des  „Antikritiker".    Liegnitz  1877.  8. 

Von  den  Herren  Alois  Brinz  und  Conrad  Maurer  in  München: 

Festgabe  zum  Doctor- Jubiläum  des  Herrn  Professors  Dr.  Leonhard  von 
Spengel  von  Alois  Brinz  und  Conrad  Maurer.     1877.  8. 


Sitzungsberichte 

der 

königl.  bayer.   Akademie  der  Wissenschaften. 


Oeffentliche  Sitzung 

zur   Vorfeier    des   Geburt  s-    und   Namens  festes 

Seiner  Majestät   des   Königs  Ludwig   IL 

am  25.  Juli  1877. 

Wahlen. 

Die  in  der  allgemeinen  Sitzung  vom  20.  Juni  vorge- 
nommene Wahl  neuer  Mitglieder  erhielt  die  Allerhöchste 
Bestätigung  und  zwar: 

A.     Als  ausserordentliches  Mitglied: 
Der  philosophisch-philologischen  Classe: 
Wilh.  Meyer,  Secretär  an  der  k.  Hof-  und  Staatsbibliothek 
in  München. 

B.     Als  auswärtige  Mitglieder: 
Der  philosophisch-philologischen  Classe: 

1)  Carl  Johann  Schlyter,    Professor   an    der  Universität 
zu  Lund. 

2)  Dr.    Friedrich   Müller,    Professor    an   der   Universität 
zu  Wien. 

[1877. 1.  Phil.-phil.  Cl.  3.]  17 


234  Oeff entliche  Sitzung  vom  25.  Juli  1877. 

Der  historischen  Classe: 
Leopold    Delisle,     General  -  Administrator    der    National- 
Bibliothek  zu  Paris. 

C.     Als  correspondirende  Mitglieder: 
Der  historischen  Classe: 

1)  Dr.  Theodor  Menke  in  Gotha. 

2)  Dr.  Sigmund  Riezler,  Vorstand  des  fürstlich  Fürsten- 
bergischen  Archives  zu  Donaueschingen. 


Sitzung  vom  3.  November  1877. 


Philosophisch-philologische  Classe. 


Herr  v.  Maurer  legte  vor: 

„Die  Berechnung    der    Verwandtschaft    nach 
altnorwegischem  Rechte". 

In  meiner  Schrift :  „Island  von  seiner  ersten  Entdeckung 
bis  zum  Untergange  des  Freistaats"  (München,  1874)  habe 
ich  mich,  S.  325 — 329,  mit  der  Organisation  der  Verwandt- 
schaft nach  isländischem  Rechte,  und  insbesondere  mit  der 
Art  beschäftigt,  wie  man  auf  Island  die  Verwandtschaftsnähe 
berechnete.  Ich  habe  dabei  dargethan,  dass  ein  nächster 
Kreis  von  Verwandten  von  einem  entfernteren  unterschieden 
wurde,  und  dass  jener  erstere  nur  den  ersten  Grad  der  ab- 
steigenden, aufsteigenden  und  Seitenlinie,  also  die  Kinder, 
iEltern  und  Geschwister  umfasste,  wogegen  der  letztere  die 
entferntere  Verwandtschaft  bis  zum  fünften  gleichen  Grade 
kanonischer  Computation  einschliesslich  enthielt,  mit  welchem 
fünften  Grade  alle  Verwandtschaft  endigte.  Ich  habe  ferner 
bemerkt,  dass  die  isländische  Rpchtssprache  nur  für  die  An- 
gehörigen jenes  engeren  Kreises  individuelle  technische  Be- 

17* 


236     Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  3.  November  1877. 

Zeichnungen  kennt,  und  zwar  Bezeichnungen,  welche  allen 
germanischen  Stämmen  gemein  sind  und  ebendamit  ihr  hohes 
Alter  erweisen  (faSir  und  möoir,  sonr  und  döttir,  bröftir 
und  systir),  wogegen  über  diesen  engsten  Kreis  hinaus  nur 
noch  für  die  Grossaeltern  und  Urgrossseltern  Bezeichnungen 
vorkommen  (afi  und  amma,  äi  und  edda),  welche  jedoch 
juristisch  nicht  verwendet  werden,  und  weiterhin  nur  noch 
Ausdrücke  zu  Gebote  stehen,  welche  abgeleiteter  Art  sind. 
Ich  habe  endlich  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  sogar 
abgeleitete  Bezeichnungen  zunächst  nur  für  die  Geschwister- 
kinder ( braeSr  Ungar ,  systrüngar,  systkinabörn) ,  Nachge- 
schwisterkinder (naesta  braeora),  dann  für  die  Kinder  und 
Enkel  von  Nachgeschwisterkinder  (annarra  braeora;  J>ri5ja 
braeSra),  also  für  den  zweiten,  dritten,  vierten  und  fünften 
gleichen  Grad  kanonischer  Computation  vorhanden  sind, 
während  man  sich  für  die  ungleichen  Grade  mit  Umschreib- 
ungen (manni  nänari  enn  naesta  brseSra,  manni  firnari  enn 
naesta  braeSra,  u.  dgl.)  behelfen  musste,  und  dass  die  ge- 
brauchte Terminologie  darauf  hinweist,  dass  man  in  der 
Seitenlinie  die  im  gleichen  Grade  Stehenden  ursprünglich 
sämmtlich  als  Brüder  bezeichnet,  und  nur  als  nächste  Brüder 
(d.  h.  Geschwisterkinder),  zweite  Brüder  (d.  h.  Nachgeschwister- 
kinder), u.  s.  w.  unterschieden  haben  muss.  Die  Berech- 
nungsweise ergab  sich  demnach  für  das  isländische  Recht 
als  genau  dieselbe  wie  im  kanonischen  Rechte,  nur  dass, 
ganz  wie  in  unserem  Sachsenspiegel,  der  erste  Grad  in  die 
Sibbezahl  dort  noch  nicht  eingerechnet  wurde;  es  erklärt 
sich  hieraus,  dass  in  isländische  Quellen  zumal  kirchen- 
rechtlichen Inhaltes  auch  Ausdrücke  wie  fcrimenningar, 
fjormennmgar  u.  dgl.  Eingang  finden  konnten,  welche  ledig- 
lich Uebersetzungen  der  im  kanonischen  Rechte  üblichen 
Bezeichnungen  sind,  und  muss  nur  dabei  stets  beachtet  wer- 
den, dass  diese  kanonischrechtliche  Bezeichnung  der  Grade 
der  national-isländischen  stets  um  einen  Grad  voraus  ist.  — 


v.Maurer:  Berechnung  der  Verwandtschaft  nach  altnorweg.  Rechte.  237 

Ich  habe  aber  an  der  angeführten  Stelle  auch  auszusprechen 
gehabt,  dass  sich  nicht  mit  Sicherheit  feststellen  lasse,  wie- 
weit jene  Art,  die  Verwandtschaft  zu  berechnen  und  zu 
bezeichnen,  bereits  von  Norwegen  aus  überkommen,  oder 
aber  erst  auf  Island  selbst  entwickelt  worden  sei,  und  war 
dabei  des  Umstandes  zu  gedenken  gewesen ,  dass  die  nor- 
wegischen Rechtsquellen  consequent  nur  jene  aus  dem  ka- 
nonischen Rechte  herübergenommenen  Bezeichnungen  der 
verschiedenen  Grade  der  Verwandtschaft  gebrauchen,  und 
nur  wenige  dunkle  Spuren  einer  älteren  Berechnung  der 
Verwandtschaft  nach  Knieen  erhalten  zeigen,  welche  der 
des  isländischen  Rechtes  näher  gestanden  zu  sein  scheint. 
Diese  letzteren  Spuren  möchte  ich  nun  hier  etwas  genauer 
verfolgen,  weil  deren  richtige  Würdigung  in  der  That  von 
erheblichem  rechtsgeschichtlichem  Interesse  zu  sein  scheint. 
Unter  der  Ueberschrift :  „BaSer  maelto  J>ettau  finden 
wir  in  den  Gf>L.  §  24  folgende  Bestimmung:  ,,f>at  er  nu 
f>vi  nest.  at  värr  scal  engi  eiga  frendkono  sina  at  kono  ser. 
En  ef  maSr  verSr  at  f>vi  kunnr  oc  sannr  at  hann  a  kono 
nanare  ser.  en  i  logom  er  mselt  |>a  scal  hann  bceta  firi  f»at 
morcom  3  biscope  .  oc  lata  af  kononne  .  oc  ganga  til  skripta  . 
oc  bceta  viS  Krist.  En  oss  er  sva  lovat  at  taca  at  siaunda 
kne .  oc  siaunda  li8  frendkonor  varar.  En  konor  J>aer  aSrar 
er  frendkonor  varar  ero  at  finita  kne  oc  finita  liS.  Sva 
f>aer  konor  er  I>a3r  eigu  frendseme  saman  kona  su  er  hann 
atte  aßr .  oc  hin  er  hann  teer.  En  ef  teer  kono  nanare  en 
nu  hevi  ec  talt.  M.  seÖr  teer  annars  mannz  kono .  aeSa 
kono  undir  sina  kono.  BaSer  .  f>a  scal  hann  bceta  3  morcom 
biscope  oc  lata  af  kononne  oc  ganga  til  scripta  oc  bceta 
viS  Crist.  En  ef  hann  vill  J>at  eigi .  f>a  scolo  f>au  bsefte 
fara  or  landeign  konongs  värs".  Die  Wortfassung  der  Stelle 
giebt  in  mehr  als  einer  Beziehung  Anstoss.  Einmal  inso- 
ferne,  als  sie  den  7.  sowohl  als  den  5.  Grad  doppelt  be- 
zeichnet,   nämlich    als   das  7.  und  beziehungsweise  5,  Knie 


238    Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  3.  November  1877. 

sowohl  als  Glied ,  während  doch  offenbar  die  eine  dieser 
beiden  Bezeichnungen  genügen  müsste,  wenn  beide  wirklich 
völlig  gleicher  Bedeutung  wären;  sodann  aber  noch  weit 
mehr  insoferne,  als  in  den  Worten  ,,en  konor  J>air  aorar 
er  frendkonar  varar  ero"  offenbar  ein  Verderbniss  liegen 
muss,  wenn  nicht  die  auf  sie  bezügliche  Bestimmung  mit 
der  unmittelbar  vorhergehenden  in  Widerspruch  stehen  soll. 
Die  Vermuthung  liegt  nahe,  dass  die  Verwirrung  in  unserem 
Text,  der  ja  aus  zwei  verschiedenen  Redactionen  des  Rechts- 
buches compilirt  ist,  durch  irgendwelche  Ungeschicklichkeit 
des  Compilators  verschuldet  wurde;  leider  lässt  sich  aber 
mit  den  für  die  Gf>L.  selbst  zu  Gebote  stehenden  Hülfs- 
mitteln  der  Sachverhalt  nicht  aufklären,  da  deren  Textüber- 
lieferung an  der  fraglichen  Stelle  nur  auf  zwei  Hss. ,  dem 
Codex  Ranzovianus  nämlich  und  der  ihm  nahe  verwandten 
Hs.  B.  beruht,  während  von  den  sonst  etwa  diensamen  Be- 
helfen das  jüngere  Christenrecht  des  Gulafnnges  an  der  ein- 
schlägigen Stelle,  §.  30,  neueres  Recht  enthält,  das  soge- 
nannte Christenrecht  K.  Sverrir's  aber,  §.  56,  in  der  ganzen 
fraglichen  Lehre  den  Frf>L.  und  nicht  den  Gf>L.  folgt. 

Etwas  weiter  hilft  uns  dagegen  die  Vergleichung  der 
Fr|>L.,  III,  §.  1;  hier  heisst  es  nämlich:  „Sva  er  maellt  at 
engi  skal  taka  kono  i  sett  sina  annars  kostar  en  maellt  er 
oc  biskup  lceyfSi  a  mostrar  füngi  oc  aller  mgenn  vurou  asatter. 
Telia  skal  fra  syzskinum  tueim  6  msenn  a  huarntueggia 
uegh  oc  taka  at  hinum  seaunda.  En  ef  maSr  uil  taka  kono 
J>a  er  frende  hans  atte  .  f>a  skal  telia  fiora  maenn  a  huarn- 
tueggia uegh  fra  brceSrom  tueim  oc  taka  at  hinum  finita. 
Sua  skal  hitt  sama  telia  ef  ma5r  uil  taka  frendkono  fceirrar 
er  hann  atte  aor".  Augenscheinlich  werden  hier  3  ver- 
schiedene Fälle  unterschieden,  nämlich  einmal  der  Fall,  da 
die  Heirath  unter  Blutsverwandten  in  Frage  steht,  —  zweitens 
der  Fall,  da  Jemand  die  Wittwe  eines  Blutsfreundes  hei- 
rath en  will,    —endlich  drittens  der  Fall,   da  ein  Witt  wer 


v.  Maurer:  Berechnung  der  Verwandtschaft  nach  altnorweg.  Rechte.  239 

eine  Blutsfreundinn  seiner  früheren  Fran  heirathen  will. 
Für  den  ersten  Fall  wird  dabei  die  Regel  aufgestellt,  dass 
der  6.  gleiche  Grad  der  Verwandtschaft  noch  verboten,  der 
7.  gleiche  Grad  dagegen  erlaubt  sein  solle,  und  stimmt  diese 
Regel  vollkommen  mit  der  in  unserer  Stelle  der  G|>L.  aus- 
gesprochenen Vorschrift  überein.  Für  den  zweiten  Fall  soll 
der  4.  gleiche  Grad  noch  als  verboten,  dagegen  der  5.  gleiche 
bereits  als  erlaubt  gelten,  und  ebenso  die  Grenze  auch  für 
den  dritten  Fall  gezogen  sein;  nach  der  angeführten  Stelle 
der  Gf>L  aber  wird  auch  noch  ein  zweiter  und  dritter  Fall 
ausgeschieden,  in  welchen  gleichmässig  der  5.  gleiche  Grad 
der  erste  erlaubte  sein  soll,  und  ist  dabei  der  dritte  Fall 
unzweifelhaft  identisch  mit  dem  dritten  Falle  der  Frf>L., 
während  der  zweite  gerade  durch  die  oben  bemängelten 
Worte:  ,,en  konor  J>aer  aSrar  er  frendkonor  varar  erou  be- 
zeichnet wird.  Offenbar  müssen  hiernach  diese  Worte  ur- 
sprünglich eine  Fassung  gehabt  haben,  welche  denselben 
Sinn  wie  die  Worte  der  FrfcL.:  ,,kono  f>a  er  frende  hans 
atteu  gab,  und  gilt  es  nur,  jene  ursprüngliche  Wortfassung 
ausfindig  zu  machen.  Dazu  verhilft  uns  nun  eine  Stelle 
jenes  Auszuges  aus  dem  Christenrechte  des  älteren  Stadt- 
rechtes, welcher  uns  erhalten  ist,  soferne  es  hier,  BjarkR. 
I,  §.  9,  heisst:  „Engi  maSr  skal  taka  frendkono  sina  i 
kaupange  hselldr  en  i  heraSe  nanare  en  i  logum  er  maellt. 
En  ef  maor  tsekr  guSziuiu  sina  i  kaupange  e&a  frend  leif 
sina  |>a  liggr  slikt  ui8  i  kaupange  sem  i  hera6e".  Der 
Ausdruck  fraendleif,  d.  h.  Verlassenschaft  eines  Blutsfreundes, 
steht  hier  für  die  Wittwe  eines  solchen  gebraucht,  und 
„konor  t>aer  er  frsendleifar  varar  erou,  wird  es  demnach  wohl 
auch  in  den  Gj>L.  geheissen  haben;  früh  ausser  Gebrauch 
gekommen,  scheint  das  Wort  von  dem  Schreiber  unserer 
Hs.  oder  ihrer  Vorlage  nicht  mehr  verstanden,  und  darum 
durch  einen  ihm  geläufigeren,  aber  an  dieser  Stelle  freilich 
keinen  vernünftigen  Sinn  gebenden  Ausdruck  ersetzt  worden 


240      Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  3.  November  1877. 

zu  sein.  —  Noch  in  einer  zweiten,  und  mit  der  hier  zu 
behandelnden  Frage  in  näherer  Beziehung  stehenden  Richtung 
gewährt  aber  unsere  Stelle  der  Fr{>L.  erwünschte  Belehrung, 
nämlich  hinsichtlich  der  Art,  wie  die  Grade  der  Verwandt- 
schaft gezählt  werden.  Soweit  die  Blutsfreundschaft  zwischen 
zwei  Nupturienten  geprüft  werden  will,  sagt  sie,  solle  man 
von  zwei  Geschwistern  ab  beiderseits  6  Personen  herab- 
zählen, und  zwischen  den  7ten  die  Ehe  zulassen ;  soweit  die 
Blutsfreundschaft  mit  dem  verstorbenen  Manne  einer  Wittwe 
zu  prüfen  kommt,  solle  man  ferner  4  Personen  beiderseits 
von  zwei  Geschwister  ab  zählen,  und  erst  beim  fünften  Grade 
heirathen  lassen.  An  und  für  sich  würden  diese  Bestim- 
mungen allerdings  zweifelhaft  lassen,  ob  dabei  die  Geschwister, 
wie  nach  kanonischem  Recht,  mitgezählt,  oder  aber,  wie 
nach  isländischem  Rechte,  ausser  Ansatz  gelassen  werden 
wollen,  und  ob  somit  der  6.  oder  der  7.  gleiche  Grad  ka- 
nonischer Computation  als  der  letzte  verbotene  zu  gelten 
habe;  aber  die  Schlussworte  des  §.  1  bringen  in  dieser  Be- 
ziehung Gewissheit.  Es  heisst  nämlich  hier:  „En  ef  maSr 
tekr  brceSrung  sina  eoa  systrung  sina  J>a  er  £ar  siSast  3  marka 
sekt.  En  vpp  fra  |>ui  sem  fraendzemi  oskylldizt  f>a  skolu 
falla  2  aurar  (silfrmetnir ,  fügen  die  Hss.  A,  B  und  S  bei) 
af  kne  hueriu  .  £a  vseror  f>at  mork  at  setta  kneu.  Da  ist 
nun  zunächst  klar,  dass  die  Lesart  „silfrmetnir"  die  richtige 
ist.  Von  den  4  Hss.,  welche  unsere  Stelle  überhaupt  ent- 
halten, haben  das  Wort  3,  und  darunter  B,  welcher  Codex 
mit  dem  einzigen,  in  welchem  das  Wort  fehlt,  von  derselben 
Hand  geschrieben  ist;  überdiess  erklärt  sich  weit  eher  ein 
späteres  Wegfallen,  als  ein  späteres  Einschieben  des  Wortes, 
und  giebt  die  Stelle  nur  unter  der  Voraussetzung  seiner 
iEchtheit  einen  ziffernlässig  richtigen  Sinn:  dass  auch  das 
sog.  Christenrecht  Sverrir's,  §.  56,  der  falschen  Lesart  folgt, 
ist  unter  solchen  Umständen  ohne  Erheblichkeit,  zumal  da 
umgekehrt  BjarkR.   III,    §.66,    wider   die   richtige  Lesart 


v.Maurer:   Berechnung  der  Verwandtschaft  nach  altnorweg.  Hechte.  241 

bietet.  Wir  wissen  aber  aus  geschichtlichen  Quellen  (Heimskr. 
Magnus  s.  Erlfngssonar,  cap.  16,  S.  792;  Fagrskinna,  §.  268, 

5.  179),  dass  am  Schlüsse  des  12.  Jahrhunderts  der  „sakmetinn 
eyrir",  d.  h  die  Zahlung  in  gewöhnlichen  Zahlmitteln,  nur 
halb  so  viel  galt  wie  der  ,,silfrmetinn  eyrir",  d.  h.  die 
Zahlung  in  Silber,  und  wissen  aus  unserem  Rechtsbuche 
selbst  (Fr{>L.  III,  §  2),  dass  zwar  regelmässig  die  im  Christen- 
rechte angedrohten  Strafgelder  in  Silber,  bei  einer  Reihe 
von  Vergehen  aber,  und  darunter  den  „kvenna  mal",  nur 
in  gewöhnlichen  Zahlmitteln  entrichtet  werden  sollten. 
Fassen  wir  nun  an  unserer  Stelle  die  „3  marka  sektu,  welche 
für  die  Heirath  unter  Geschwisterkindern  fällig  wird,  und 
die  Mark,  welche  „at  setta  kne"  verwirkt  sein  soll,  als  in 
sakmetinn  eyrir  angesetzt  auf,  so  ergiebt  sich,  dass  bei 
einem  Abschlage  von  2  aurar  silfrmetnir  =  4  aurar  sak- 
metnir  für  den  Grad  die  Zahlung  bei  Nachgeschwisterkindern 
auf  2^2,  beim  nächsten  gleichen  Grade  auf  2,  beim  über- 
nächsten auf  1 J/2 ,  und  bei  dem  noch  weiter  abliegenden 
auf  1  Mark  herabsinkt.  Mit  anderen  Worten:  die  Rechnung 
der  Stelle  wird  vollkommen  richtig,  wenn  man  die  Geschwister- 
kinder als  zweiten,  nicht  aber  als  ersten  Grad  zählt,  wenn 
man  also  nach  kanonischer  Computation,  nicht  nach  alt- 
isländischer Zählweise  rechnet;  unter  jeder  anderen  Voraus- 
setzung dagegen  wäre  die  Rechnung  der  Stelle  eine  völlig 
verkehrte.  Hiezu  stimmt  aber  auch,  dass  in  Frf>L.  VI,  §.11, 
nachdem  zuvor  die  Verwandtschaft  bis  zu  den  ,,eptir- 
brceftrasynir" ,  d.  h.  dem  3/  gleichen  Grade  kanonischer 
Computation  besprochen  worden  war,  noch  von  denen  die 
„fiörSa  manne",  ,, finita  manne"  und  „setta  manne"  sind 
gehandelt,    und    sodann    bemerkt    wird,    dass    mit    diesem 

6.  Grade  die  Verwandtschaft  schliesse;  auch  dabei  sind 
nämlich  sichtlich  die  Geschwister  als  erster  Grad  mitgezählt. 

Die  Zeit,   in   welcher   die  eben  besprochene  Stelle   der 
Fr|>L.  die  Gestalt  erhielt,  in  welcher  sie  uns  vorliegt,   lässt 


242     Sitzung  der  philos. -philo!.  Classe  vom  3.  November  1877. 

sich  mit  ziemlicher  Sicherheit  feststellen.  Ich  darf  als  völlig 
gesichertes  Ergebniss  früherer,  fremder  und  eigener,  Unter- 
suchungen betrachten,  dass  das  Christenrecht  der  FrfrL.  der 
Hauptsache  nach  der  „Goldfeder"  entstammt,  welche  Erzb. 
Eysteinn  gemeinsam  mit  K.  Magnus  Erlingsson,  beziehungs- 
weise dessen  Vater,  zu  Stande  gebracht  hatte,  wenn  dasselbe 
auch  einzelne  iEnderungen  in  späterer  Zeit  erfuhr,  ehe  es 
durch  K.  Häkon  gamli  und  Erzb.  SigurS  gemeinsam  seine 
derzeitige  Gestalt  erhielt ;  dass  aber  gerade  die  hier  in  Frage 
stehende  Stelle  zu  dem  ursprünglichen  Bestände  der  Gold- 
feder gehörte  und  nicht  erst  auf  spätere  Umgestaltungen 
zurückzuführen  ist,  lässt  sich  leicht  darthun.  Im  Jahre  1215 
nämlich  wurde  durch  das  IV.  lateranische  Concil  das  Ehe- 
verbot auf  den  4.  gleichen  Grad  der  Verwandtschaft  be- 
schränkt, und  diese  neuere  Vorschrift  ist  denn  auch  in  das 
neuere  Christenrecht  des  Borgarfunges  (§.  21)  sowohl  als 
des  Gulafcmges  (§.  30)  übergegangen,  gleichwie  sie  auch  in 
dem  Christenrechte  Erzb.  Jons  (§.  47)  sich  findet;  dass  dem 
gegenüber  unsere  Frf>L.  noch  die  ältere  Regel  festhalten, 
zeigt  somit  recht  deutlich,  dass  sie  an  unserer  Stelle  ihrer 
älteren  Quelle  folgen,  und  dieselbe  durch  keine  spätere 
Satzung  umgestaltet  haben.  Selbstverständlich  werden  wir 
die  übereinstimmenden  Vorschriften  der  Gf>L.  ebenfalls  auf 
deren  Magnüs'sche  Redaction  zurückzuführen  haben;  ob 
aber  die  Olafsche  Redaction  beider  Rechtsbücher  bereits 
eine  nach  Form  und  Inhalt  gleichartige  Bestimmung  ent- 
halten habe  oder  nicht,  ist  eine  Frage  für  sich,  welche  noch 
nicht  als  dadurch  erledigt  gelten  darf,  dass  unsere  Stelle  der 
FrfcL.  ausdrücklich  auf  die  am  Mostrarfcinge  zwischen  dem 
heil.  Olaf  und  B.  Grimkell  getroffenen  Abmachungen  Bezug 
nimmt.  Der  Umstand,  dass  sowohl  das  augenscheinlich  aus 
einem  älteren  Texte  der  FrfcL.  geflossene  Christenrecht  des 
Stadtrechtes  den  Ausdruck  frsendleif  nennt,  welchen  unser 
Text   dieses  Rechtsbuches    bereits   fallen   gelassen   hat,   als 


v.  Maurer :  Berechnung  der  Verwandtschaft  nach  altnonueg.  Hechte.    243 

auch  an  unserer  Stelle  der  Gf>L.  derselbe  xAusdruck  ur- 
sprünglich gestanden  haben  muss,  lässt  vielmehr  darauf 
schliessen,  dass  die  Olaf  sehe  Redaction  beider  Rechtsbücher 
mehrfach  anders  geartet  gewesen  sein  müsse  als  deren  uns 
vorliegender  Text,  und  eröffnet  sich  damit  die  Möglichkeit, 
dass  auch  der  auffällige  Ausdruck  „at  sjäunda  kne  ok  sjäunda 
lift",  „at  finita  kne  ok  finita  lift"  der  Gf>L.  von  hier  aus 
seine  Aufklärung  erhalten  könnte. 

Die  bisherigen  Ergebnisse  werden  theils  bekräftigt, 
theils  vervollständigt  durch  die  Vergleichung  der  beiden 
noch  übrigen  Volksrechte.  In  den  Ef>L.  I,  §.  30,  liest  die 
eine  Hs.:  „t>at  er  oc  firiboSet  at  nockor  maur  skal  fa  fren- 
kono  sinnar  .  ser  til  kono  eSa  frenndlaeiuar  sinnar  .  ne  guSciuia 
sin  .  allar  ero  unndan  skildar  .  nema  su  aein  kona  aei .  er  ma5r 
laeiSir  i  kirkiu  .  f>ui  at  [>at  er  aecki  nema  kosgirni  aeinn.  Nu 
skal  taelia  frensemi  fcaeirra  i  5ta  kne  oc  take  at  7da.  En  at 
frenndlaeif .  taeli  3  kne  oc  take  at  5ta.  En  ef  maSr  taeckr 
ner  maeir  .  I>a  ma  sei  aeiga  at  lag  am".  Die  andere  Hs.  giebt 
dagegen  den  hier  besonders  bedeutsamen  Satz  so:  „Nu  skal 
taelia  fra  faeSr  frensemi  fcaeirra .  taelia  fra  6  kne  oc  taka  at 
7d\  En  fraendlaeiua  skall  taelia  i  4  kne  oc  taka  at  5ta", 
und  änlich  liest  der  kürzere  Text,  II,  §.  26:  „Nu  skal  tseliaa 
fraendsaemi  fcseiraß  i  6  kne  ok  take  at  siaunda.  En  fraendlaeif 
taeliae  i  4  kne  ok  take  at  fimtaeu.  Auch  hier  also  steht 
zunächst  der  ältere  Ausdruck  fraendleif  gebraucht;  ausserdem 
wird  aber  zwar  in  allen  Recensionen  gleichmässig  ganz  wie 
in  den  G{>L.  und  Fr{>L.  die  Ehe  mit  der  fraendkona  erst  im 
7.  und  mit  der  fraendleif  erst  im  5.  Grade  gestattet,  dagegen 
in  der  ersten  Hs.  dort  der  5.  und  hier  der  3.  Grad  als  der 
letzte  verbotene  bezeichnet,  während  freilich  die  beiden  an- 
deren Hss.  als  den  letzten  verbotenen  dort  den  6.  und  hier 
den  4.  Grad  nennen.  Nun  wäre  freilich  sehr  einfach,  die 
Lesart  der  letzteren  beiden  Hss.  als  die  richtige,  und  die 
der  ersteren  als  die  falsche  zu  erklären;    aber   doch  würde 


244     Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  3.  November  1877. 

damit  nicht  nur  gegen  den  bekannten  Grundsatz  Verstössen, 
dass  im  Zweifel  die  schwerer  verständliche'  Lesart  vorzu- 
ziehen sei,  sondern  es  wäre  auch  an  sich  schon  schwer  ab- 
zusehen, wie  der  Schreiber  der  ersteren  Hs.  dazu  gekommen 
sein  sollte,  in  zwei  Ziffern  unmittelbar  nach  einander  nach 
einer  Richtung  hin  sich  zu  verschreiben,  wogegen  sich  sehr 
leicht  erklärt,  dass  die  Schreiber  der  beiden  anderen  Hss. 
die  ihnen  unerklärlich  scheinenden  Ziffern  sehr  bewusst  än- 
derten. Hält  man  aber  an  der  schwierigeren  Lesart  als  an 
der  ursprünglicheren  fest,  so  ergiebt  sich,  dass  das  5.  und 
beziehungsweise  3.  Knie  als  der  letzte  verbotene  Grad,  da- 
gegen das  7.  und  beziehungsweise  5.  als  der  erste  erlaubte 
bezeichnet  wird;  es  muss  demnach  entweder  angenommen 
werden,  dass  zwischen  dem  letzten  verbotenen  und  dem 
ersten  erlaubten  ein  Grad  in  Mitte  gelegen  sei,  der  weder 
dieses  noch  jenes,  d.  h.  relativ  erlaubt  oder  dispensabel  war, 
wie  dergleichen  allerdings  auf  Island  vorkommt,  oder  man 
muss  in  unserer  Stelle  eine  zwiefache  Zählung  der  Ver- 
wandtschaftsgrade erkennen ,  deren  eine  der  anderen  um 
einen  Grad  vorauseilt,  weil  der  erste  erlaubte  Grad  der  einen 
von  dem  letzten  verbotenen  der  anderen  um  zwei  Ziffern 
absteht.  Gegen  die  erstere  Anname  dürfte  sprechen ,  dass 
ein  in  Mitte  liegender  dispensabler  Grad  doch  wohl  des 
Näheren  besprochen,  und  die  Art  der  Dispenserholung  an- 
gegeben sein  müsste,  wie  ja  auch  auf  Island  die  Zahlungen 
(fegjald,  feviti,  tiund  hin  meiri)  genau  geregelt  sind,  durch 
welche  der  Dispens  erkauft  werden  kann  (vgl.  meine  Ab- 
handlung über  den  Hauptzehnt,  S.  215 — 21);  für  die  zweite 
dagegen  lässt  sich  anführen,  dass  dieselbe  durch  die  Analogie 
des  isländischen  Rechtes  ganz  vollständig  gedeckt  wird.  Die 
Yergleichung  der  betreffenden  Stellen  der  G{>L.  und  Frf>L. 
zeigt  nämlich,  dass  die  zu  den  höheren  Ziffern  führende 
Zählweise  die  des  kanonischen  Rechtes  ist;  die  zu  den 
nidrigeren  Ziffern  führende  müsste  also  eine  ältere,  nationale 


v.  Maurer :  Berechnung  der  Verwandtschaß  nach  altnorweg.  'Rechte.    245 

sein,  ganz  wie  auf  Island  eine  solche  neben  der  kanonischen 
Computation  steht,  und  der  Abstand  dieser  letzteren  von 
der  ersteren  wäre  durch  die  Vermuthung  sehr  einfach  er- 
klärt, dass  man  in  Norwegen  ebenso  wie  auf  Island  und 
nach  manchen  anderen  germanischen  Stammrechten  die  Ge- 
schwister noch  nicht  in  die  Sibbezahl  einrechnete.  Ueber- 
diess  liegt  aber  auch  noch  die  weitere  Vermuthung  nahe, 
dass  auch  in  der  vorhin  besprochenen  Stelle  der  G{>L., 
welche  eine  Zählung  nach  Knieen  und  nach  Gliedern  neben 
einander  nennt,  ursprünglich  bei  diesen  beiden  Zählungen 
auch  verschiedene  Ziffern  genannt  gewesen  seien,  und  zwar 
doch  wohl  in  der  Art,  dass  die  ältere  Olaf  sehe  Redaction 
der  nationalen,  die  jüngere  MagnüVsche  dagegen  der  kano- 
nischen Zählweise  gefolgt  wäre ;  derselbe  ungeschickte  Com- 
pilator  oder  Schreiber,  welcher  aus  der  frsendleif  eine  frsend- 
kona  machte,  hätte  dann  erst  die  ursprünglich  ungleichen 
Ziffern  der  Knie-  und  der  Gliedrechnung  gleich  gemacht, 
und  damit  den  oben  gerügten  Widersinn  in  unsere  Stelle 
hereingebracht.  Ich  habe  in  meinen  Studien  über  das  so- 
genannte Christenrecht  König  Sverrir's  (Festgabe  zum  Doctor- 
JubilaeumLeonhard  von  Spengel's,  1877),  S.  21— 25,  darauf 
aufmerksam  gemacht  und  an  einem  einzelnen  Beispiele 
nachgewiesen ,  wie  unter  Umständen  ein  gemischter  Text 
der  G[>L.  nur  durch  eine  gehörige  Scheidung  seiner  Bestand- 
teile verständlich  gemacht  werden  könne;  in  dem  vorliegenden 
Falle  wäre  ich  nun  nicht  abgeneigt  ein  weiteres  Beispiel 
einer  auf  diesem  Wege  zu  beseitigenden  Verderbniss  zu  er- 
kennen, und  die  hier  fraglichen  Worte  unseres  Textes  etwa 
folgendermassen  zu  emendiren:  ,,En  oss  er  sva  lovat  at 
taca  at  (Ol.  sietta  kne;  M.  siaunda  liS;  BaSer)  frendkonor 
varar.  En  konor  l>ser  aSrar  er  frendleifar  varar  ero  at  (Ol. 
fior&a  kne;  M.  fimta  li5)". 

Die  Betrachtung   des  Rechtes   von  Vikin   scheint  ganz 
geeignet,  diese  Vermuthung  zu  unterstützen.     In  der  ersten 


246       Sitzung  der  phüos.-phüol.  Classe  vom  3.  November  1877. 

Recension  dieses  Rechtsbuches,  deren  Text  an  der  hier  frag- 
lichen Stelle  allerdings  nur  auf  einer  einzigen  Hs.  beruht, 
heisst  es,  Bf>L.  I,  §.  15:  „Nu  skali  aengi  maor  fa  frendkono 
sina  skyldri  en  at  5  kne,  oc  at  finita  manne  frendlaeif", 
wogegen  freilich  II,  §.  6  steht:  „Nv  skal  aengi  raadr  fa 
frenkono  sinnar  skyldri  en  at  7  kne .  ok  fimta  manne  at 
frenseme",  und  III,  §.  6:  ,,Nv  skall  aengi  madr  fa  frendkono 
sinnar  skylldri  en  at  7  kne .  oc  at  fimta  man  na  frendlaeif". 
Auch  hier  sehen  wir  also  wider  einen  unverständlich  ge- 
wordenen Text  in  verschiedener  Richtung  verderbt.  Die 
fraendleif  zunächst,  welche  Text  I  und  III  richtig  festhalten, 
ist  in  Text  II  beseitigt,  gleichviel  übrigens,  ob  wir  sie  als 
völlig  ausgefallen,  oder  aber  als,  änlich  wie  in  den  G{>L., 
durch  die  Worte  „at  frensemeu  ersetzt  betrachten  wollen; 
bezüglich  ihrer  wird  aber  nach  kanonischer  Zählung  und 
mit  der  Ausdrucksweise  des  kanonischen  Rechts  (at  fimta 
manni)  die  anderswoher  schon  bekannte  Verwandtschafts- 
grenze festgehalten.  Bezüglich  der  fr aendkona  dagegen  setzen 
zwar  Text  II  und  III  den  7.  Grad  als  den  ersten  erlaubten, 
und  folgen  somit  augenscheinlich  der  kanonischen  Compu- 
tation ;  Text  I  dagegen  bezeichnet  das  5.  Knie  als  den  ersten 
erlaubten  Grad,  und  den  Ausdruck  „kne"  brauchen  auch 
jene  ersteren  Texte.  Stünden  die  B[>L.  für  sich  allein,  so 
würde  man  zweifellos  sich  für  berechtigt  halten  in  Text  I 
für  das  5.  Knie  das  7.  zu  emendiren;  im  Zusammenhalte 
aber  mit  den  oben  besprochenen  Stellen  dürfte  sich  doch 
ein  anderer  Ausweg  mehr  empfelen.  Ich  wenigstens  möchte 
vermuthen,  dass  in  Bf>L.  I  ursprünglich  ein  änlich  gestalteter 
Text  vorgelegen  habe  wie  in  E{>L.  I,  aus  welchem  unsere 
Hs.  ihr  5.  Knie,  nur  freilich  verkehrter  Weise  als  ersten 
erlaubten  statt  als  letzten  verbotenen  Grad  sich  erhalten 
hat,  wogegen  die  beiden  anderen  Texte  der  Bl>L.  nur  den 
7.  Grad  der  kanonischen  Computation  beibehielten,  und 
dafür  die  nationale  Zählweise  ganz  fallen  Hessen;   ob  dabei 


v.  Maurer :  Berechnung  der  Verwandtschaft  nach  altnonoeg.  Rechte.    247 

die  Worte  des  Textes  II:  „ok  fimta  manna  at  frensemi" 
einen  Ueberrest  dieser  letzteren,  oder  aber  eine  verkehrte 
Emendation  der  auf  die  fraendleif  bezüglichen  Satzung  dar- 
stellen, lasse  ich  auf  sich  beruhen. 

Man  sieht,  die  von  den  Frf>L.  ganz  unzweideutig  aus- 
gesprochene Vorschrift ,  dass  die  Ehe  unter  Verwandten 
erst  im  7.  gleichen  Grade  kanonischer  Computation  erlaubt 
sei,  und  die  Ehe  mit  der  Wittwe  eines  Verwandten  erst 
im  5.  gleichen  Grade  derselben  Computation,  geht  durch 
alle  vier  Provincialrechte  ganz  gleichmässig  durch;  aber  die 
Verwandtschaftszählung  und  Bezeichnung  ist  in  denselben 
eine  etwas  verschiedene.  Nicht  nur  der  Ausdruck  fraendleif 
für  die  Wittwe  eines  Verwandten,  welcher  ursprünglich  in 
ihnen  allen  gestanden  zu  haben  scheint,  ist  in  einem  der- 
selben (Frf>L.)  durch  eine  den  Sinn  desselben  richtig  wider- 
gebende Umschreibung  ersetzt,  in  einem  zweiten  (Gf>L.)  in 
das  durchaus  widersinnige  „fraendkona"  verwandelt,  und  in 
einem  dritten  (Bf>L.  II)  sei  es  nun  völlig  beseitigt  oder 
durch  die  gleichfalls  widersinnigen  Worte  „at  fraendsemi" 
vertreten,  sondern  es  steht  sich  in  ihnen  auch  eine  doppelte 
Bezeichnung  der  Verwandtschaftsgrade  gegenüber,  deren 
eine,  dem  kanonischen  Rechte  entnommene,  vor  der  anderen, 
nationalen  um  einen  Grad  vorangeht.  Dabei  zeigt  sich 
diese  letztere,  welche  der  Sache,  wenn  auch  nicht  der  Ter- 
minologie nach  völlig  mit  der  auf  Island  üblichen  nationalen 
Berechnungsweise  übereinstimmt,  in  den  norwegischen  Rechts- 
quellen entschieden  bereits  antiquirt  und  dem  Verständnisse 
des  Volkes  fremd  geworden;  nur  in  einem  einzigen  Rechts- 
buche (Ef>L.  I)  ist  sie  noch  einigermassen  klar  erhalten,  in 
einem  zweiten  (Gf>L.)  widersinnig  mit  der  neueren  Compu- 
tation vermischt,  in  einem  dritten  (Bf>L.  I)  nur  eben  noch 
durchschimmernd,  wogegen  wir  in  anderen  Recensionen  der 
gleichen  Rechtsbücher  (Ef>L.  II;  Bj>L.  III)  die  ältere  Be- 
rechnungsweise in  die  neuere  verwandelt,  und  in  dem  jüngsten 


248       Sitzung  der  phüos.'phüol.  Classe  vom  3.  November  1877. 

Rechtsbuche  (FrfcL.)  diese  letztere  in  neu  gewähltem  Aus- 
drucke zur  alleinigen  Herrschaft  gebracht  sehen.  Vielleicht 
gelingt  es,  von  diesem  Ergebnisse  aus  zur  Lösung  einer 
Schwierigkeit  zu  gelangen,  welche  uns  eine  kirchliche  Be- 
stimmung macht,  welche,  ursprünglich  für  Norwegen  er- 
gangen, doch  auch  in  die  Quellen  des  gemeinen  kanonischen 
Rechtes  übergegangen  ist.  Ich  habe  diese  Bestimmung  schon 
vor  Jahren  aus  anderem  Anlasse  zu  besprechen  gehabt  (vgl. 
meinen  Artikel  „Grägäs"  in  der  Ersch  und  Gruber'schen 
Allgemeinen  Encyklopaedie  der  Wissenschaften  und  Künste, 
Section  I,  Bd.  LXXVII,  S.  80—81),  glaube  aber  jetzt  zu 
etwas  anderen  und  richtigeren  Resultaten  bezüglich  derselben 
gelangt  zu  sein  als  damals. 

Es  lautet  aber  cap.  3 ,  X,  de  consanguin.  et  affin. 
(IV,  14),  unter  der  Ueberschrift :  „Ccelestinus  III.U  folgen- 
dermassen:  ,,Quod  dilectio  tua  (Et  infra)  Quaesivisti,  utrum 
is,  qui  a  stipite  per  descendentem  lineam  sexto  vel  septimo 
gradu  distat,  possit  ei,  quae  ex  altera  parte  per  lineam  des- 
cendentem ab  eodem  stipite  secundo  vel  tertio  gradu  distat, 
matrimonialiter  copulari,  propter  indulgentiam  felicis  ine- 
moriae  Adriani  Papas,  tunc  Albanensis  episcopi,  in  Norwe- 
giam  apostolicae  sedis  legati,  qua  permissum  est  hominibus 
terrae  illius  in  sexto  (septimo,  Cod.  Ludovic.)  gradu  coniungi. 
Quod  tibi  videtur  convenienter  posse  fieri  secundum  regulam, 
a  quibusdam  doctoribus  approbatam,  qua  dicitur:  quoto 
gradu  quis  distat  a  stipite,  et  a  quolibet,  per  aliam  lineam 
descendentium  ab  eodem,  quum  tarnen  de  consuetudine  terrae, 
si  quando  talis  casus  emerserit,  incolae  terrae  propter  pro- 
ximiorem  gradum  coniunctos  separent,  et  impediant  copulari 
volentes ,  sicut  literarum  tuarum  series  demonstravit.  Nos 
itaque  sie  consultationi  tuae  respondemus,  quod  indulgentia 
illa  sie  est  intelligenda,  quod  uterque  coniungendorum  distet 
a  stipite  sexto  gradu,  cognatione  secundum  canones  computata. 
Si  vero  alter  sexto  vel  septimo  gradu  distat  a  stipite,  alter 


v.Maurer:  Berechnung  der  Verwandtschaft,  nach  altnorweg.  Rechte.     249 

autem  secundo  vel  tertio  gradu,  coniungi  non  debent.  Unde 
in  hac  paarte  consultius  duximus  multitudini  et  observatae 
consuetudini  deferendum ,  quam  aliud  in  dissensionem  et 
scandalum  populi  statuendum ,  quadam  adhibita  novitate". 
Ein  Erlass  also  P.  Cölestin's  III.  (1191  —  98),  dessen  Datum 
sich  zur  Zeit  nicht  feststellen  lässt  (vgl.  Jaffe,  Regesta 
pontificum,  nr.  10,734),  bezeugt  gelegentlich  der  Entscheidung 
einer  uns  hier  nicht  interessirenden  Streitfrage  über  die  Be- 
handlung der  ungleichen  Verwandtschaftsgrade,  dass  Papst 
Hadrian  IV.  zu  der  Zeit,  da  er  als  Cardinallegat  Norwegen 
besuchte,  also  im  Jahre  1152,  dem  dortigen  Volke  die  In- 
dulgenz  ertheilt  habe,  bereits  im  6.  gleichen  Grade  heirathen 
zu  dürfen ,  in  einem  Grade  also ,  welcher ,  wenn  wir  ihn 
nach  der  kanonischen  Computation  verstehen,  nach  dem 
übereinstimmenden  Zeugnisse  der  norwegischen  Provincial- 
rechte  noch  zu  den  verbotenen  gehörte.  Man  kann  den 
Widerspruch,  in  welchen  unsere  Stelle  hiernach  zu  den 
verlässigsten  einheimischen  Quellen  tritt,  nicht  durch  den 
Hinweis  auf  die  oben  verzeichnete  Variante  des  Codex  Lu- 
dovicianus  beseitigen,  denn  diese  Variante  beseitigt  den  an- 
stössigen  6.  Grad  nur  in  einem  der  in  Frage  stehenden 
Sätze,  während  in  dem  zweiten  keine  entsprechende  Variante 
aus  der  Hs.  verzeichnet  ist,  und  überdiess  bliebe  immerhin 
bedenklich ,  auf  die  Autoritset  einer  einzelnen  Hs.  hin  den 
Text  zu  verändern;  dagegen  Hesse  sich  die  Schwierigkeit 
leicht  heben,  wenn  man  annemen  dürfte,  dass  der  6.  gleiche 
Grad,  in  welchem  P.  Hadrian  den  Norwegern  die  Ehe  er- 
laubte, nicht  nach  kanonischer,  sondern  nach  altnorwegischer 
Computation  zu  verstehen  war:  in  solchem  Falle  entsprach 
derselbe  dem  7.  gleichen  Grade  der  kanonischen  Zählweise, 
und  führt  sich  die  erwiesene  Regel  des  norwegischen  und 
isländischen  Rechtes,  welche  in  diesem  Grade  die  Ehe  als 
erlaubt  betrachtete,  während  sie  nach  gemeinem  kanonischen 
Recht  als  verboten  galt,  sehr  einfach  auf  die  Indulgenz  dieses 
[1877. 1.  Philos.-philol.  Cl.  3.]  18 


250       Sitzung  der  philos.-philul.  Clause  vom  3.  November  1877. 

Papstes  zurück.  Freilich  will  P.  Cölestin  den  fraglichen 
6.  Grad  ausdrücklich  „secundum  eanones"  computirt  wissen; 
aber  das  konnte  ja  recht  wohl  ein  bloses  Misverständniss 
seinerseits  sein,  dadurch  veranlasst,  dass  der  Fragesteller, 
an  welchen  der  Erlass  gerichtet  ist,  der  nationalen  Bezeich- 
nung der  Grade  sich  bedient  hatte,  und  beachtenswerth  ist 
jedenfalls,  dass  die  Worte  „cognatione  secundum  canones 
computata"  an  derjenigen  Stelle  nicht  stehen,  welche  auf 
die  Indulgenz  P.  Hadrian's  ausdrücklich  Bezug  nimmt. 

Zum  Schlüsse  mag  noch  eine  weitere  Bemerkung  ver- 
stattet sein.  Ich  habe  bisher  die  von  der  kanonischen  Com- 
putation  abweichende  Zählweise  der  Grade  als  die  ältere 
nicht  nur,  sondern  auch  als  die  für  Norwegen  nationale  be- 
zeichnet; es  lässt  sich  nun  aber  die  Frage  auf  werfen,  ob 
diese  Bezeichnung  ihrem  vollen  Wortlaute  nach  berechtigt, 
und  ob  nicht  vielleicht  dieselbe  auch  ihrerseits  aus  der 
Fremde  nach  Norwegen  gekommen  sei?  Wir  finden  in  den 
Gesetzen  K.  iE&elred's  von  England,  VI,  §.  12,  folgende 
Bestimmung:  „And  aefre  ne  geweorSe,  |>aet  cristen  man 
gewifige  in  6  manna  sib-faece  on  his  ägenum  cynne,  f>aet  is 
binnan  [>äm  feoroan  cneöwe,  ne  on  f>aes  läfe,  I>e  swä  neäh 
wsere  on  woroldcundre  sibbe,  ne  on  fcaes  wifes  n^d-magan, 
|>e  he  aer  haefde";  ferner  in  K.  Knüt's  Gesetzen,  I,  §.7, 
die  Vorschrift:  „And  we  lseraÖ  and  biddaS  and  on  Godes 
naman  beödaS,  fcaet  aenig  cristen  mann  binnan  6  manna  sib- 
faece  on  his  ägenan  cynne  aefre  ne  gewifie,  ne  on  his  maeges 
läfe,  I>e  swä  neäh  sib  waere,  ne  on  f>aes  wifes  ned-magan, 
|>e  he  sylf  aer  haefde";  endlich  im  Northumbrischen 
Priester  rechte,  §.  61  (bei  Schmid,  Anhang  II,  S.  370), 
den  Satz:  „and  nän  man  ne  wifige  on  neäh-sibban  mä  fconne 
wiÖ-ütan  |>äm  4  cneöwe,  ne  nän  man  his  godsibbe  ne  wifige". 
Wir  finden  in  den  beiden  ersten  dieser  Stellen  den  in  der 
nordischen  Sprache  so  selten  auftretenden  und  so  früh  ver- 
schwindenden Ausdruck  fraendleif  als  „his  maeges  läf"  oder 


v.  Maurer :  Berechnung  der  Verwandtschaft  nach  dltnorweg.  Bechte.  251 

,,{>a?s  läf,  I>e  swä  neäh  wsere  on  woroldcundre  sibbe"  wider; 
wir  finden  ferner  die  Rechnung  nach  Knieen,  und  wir  finden 
überdiess  neben  ihr  zugleich  eine  von  ihr  abweichende  Rech- 
nung nach  Sibbe-Fächern ;  GuSbrand  Vigfusson's  Vermuthung 
aber,  dass  die  isländisch-norwegische  Bezeichnung  knerunnr 
für  die  Verwandtschaftslinie  nur  aus  dem  angelsächsischen 
Worte  cneöwrim  entstellt  sei,  welches  für  die  Sibbezahl 
nachweisbar  vorkommt,  könnte  zur  Unterstützung  einer 
Zurückführung  jener  älteren  Computationsweise  der  norwe- 
gischen Quellen  auf  angelsächsische  Einflüsse  um  so  mehr 
geltend  gemacht  werden ,  als  ja  der  enge  Zusammenhang 
Norwegens  mit  England  gerade  für  das  kirchenrechtliche 
Gebiet  und  Alles,  was  mit  diesem  zusammenhängt,  unzwei- 
felhaft feststeht.  Dennoch  neme  ich  Anstand,  einer  derartigen 
Vermuthung  mich  anzuschliessen.  In  sprachlicher  Beziehung 
zunächst  scheint  mir  GuSbrand's  Bemerkung,  so  scharfsinnig 
sie  ist,  doch  keineswegs  überzeugend.  Dem  Ausdrucke  kne- 
runnr stehen  in  der  norwegischen  Rechtssprache  andere  Zu- 
sammensetzungen mit  kne  zur  Seite,  die  sich  nicht  aus  dem 
Angelsächsischen  erklären  lassen,  wie  z.  B.  kvennkne,  d.  h. 
weiblicher  Grad  in  der  Verwandtschaft  (z.  B.  Häkonar  s. 
gamla,  cap.  12,  S.  251:  er  konüngborinn  vseri  at  faSerni 
allt  til  heiSni,  svä  at  ekki  kvennkne  haf5i  ä  milli  komit; 
cap.  87,  S  327:  hefir  {>essu  riki  räSit  maÖr  eptir  mann, 
ok  aldri  kvennkne  f  komit),  oder  kneskot,  d.  h.  Verwandt- 
schaftsgrad (Gf>L  §.105:  nü  verSr  kneskot  i  erfSum ,  J>ä 
skal  sä  hafa,  er  nänare  er,  wo  man  dem  Worte  nicht,  wie 
GuSbrandr  will,  die  Bedeutung  ,,a  dishonour,  humiliation, 
af  a  member  of  a  family"  beilegen  darf) ;  dieWurzelhaftigkeit 
der  Rechnung  nach  Knieen  im  norwegischen  Rechte  dürfte 
hiernach  feststehen,  und  deren  Widerkehr  im  angelsächsischen 
Rechte  somit  auf  organischem,  nicht  auf  mechanischem  Wege 
zu  erklären  sein.  Die  Zusammensetzung  knerunnr  aber 
dürfte  sich  ebenfalls  ganz  gut  als  eine  ursprüngliche  halten 

18« 


252       Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  3.  November  1877. 

lassen,  da  die  Vergleichung  einer  Verwandtschaftslinie  mit 
einem  aufspriessenden  Busche  (runnr)  einem  Volke  ganz 
mundgerecht  sein  mochte,  welches  die  Nachkommenschaft 
einer  Person  sich  unter  dem  Bilde  eines  aufwachsenden 
Baumes  mit  weit  verzweigten  iEsten,  oder  eines  aufspros- 
senden Krautes  mit  üppig  wuchernden  Halmstengeln  und 
Blüthen  vorzustellen  liebte,  wie  diess  die  Traumerscheinungen 
der  Ragnhildr,  Hälfdan  svarti's  Frau,  und  der  Signy  Val- 
brandsdöttir ,  des  Bär5r  snaefellsäss  und  des  porgils  örra- 
beinsstjüpr  darthun  (Heim skr.  Hälfdanar  s.  svarta, 
cap.  6,  S.  46;  Hölmverja  s.,  cap.  7,  S.  17 — 18;  BärSar 
s.  snaefellsäss,  cap.  1,  S.  2 — 3;  Flöamanna  s.,  cap.  24, 
S.  146).  In  sachlicher  Beziehung  aber  zeigt  sich  bei  einer 
genaueren  Vergleichung  der  hier  massgebenden  Stellen  der 
angelsächsischen  Gesetze  mit  denen  der  norwegischen  Rechts- 
bücher, dass  zwischen  beiden  keineswegs  vollständige  Ueber- 
einstimmung  herrscht.  Darauf  zwar  lege  ich  kein  Gewicht, 
dass  die  Eheverbote  in  Norwegen  für  die  fraendkona  um 
zwei  Grade  weiter  reichten  als  für  die  Ehe  mit  der  fraend- 
leif,  während  das  angelsächsische  Recht,  der  kirchlichen 
Anschauung  folgend,  dass  Mann  und  Weib  ein  Fleisch  seien, 
beide  Fälle  vollkommen  gleich  behandelte;  insoweit  nämlich 
liegt  eine  Verschiedenheit  des  Rechts  vor,  welche  bewusst 
gesetzt  sein  mochte,  und  welche  jedenfalls  mit  der  Art  der 
Gradzählung  nicht  das  Mindeste  zu  thun  hat.  Bedeutsam 
will  mir  dagegen  scheinen,  dass  in  den  angeführten  Stellen 
des  angelsächsischen  Rechtes  zwar  änlich  wie  in  den  nor- 
wegischen Rechten  eine  zwiefache  Zählweise  der  Grade  neben 
einander  steht,  dass  aber  die  Knierechnung  in  England  um 
zwei  Grade  hinter  der  nach  Sibbefächern  zurückbleibt, 
während  dieselbe  in  Norwegen  nur  um  einen  Grad  von  der 
kanonischen  Computation  absteht.  Glaubt  man  demnach 
die  Rechnung  nach  Sibbefächern  im  angelsächsischen  Rechte 
mit  der  kanonischen  Computationsweise  identisch  nemen  zu 


v.  Maurer :  Berechnung  der  Verwandtschaft  nach  altnorweg.  Hechte.   253 

sollen ,  so  erreicht  man  zwar  insoferne  ein  befriedigendes 
Ergebniss,  als  unter  dieser  Voraussetzung  der  6.  gleiche 
Grad  kanonischer  Computation  in  England  wie  in  Norwegen 
der  letzte  verbotene  war;  dagegen  müsste  solchenfalls  die 
nationale  Knierechnung  in  England  nicht  nur,  wie  in  Nor- 
wegen, die  Geschwister,  sondern  auch  noch  die  Geschwister- 
kinder ausser  Betracht  gelassen  haben,  was  mit  anderweitigen 
Angaben  schwer  vereinbar  ist,  und  überdiess  jede  Möglichkeit 
einer  Ableitung  der  norwegischen  Zäblweise  von  der  eng- 
lischen ausschliessen  würde.  Hält  man  dagegen,  wie  diess 
neuerdings  Karl  von  Amira  in  seiner  schönen  Schrift  über 
Erben  folge  und  Verwandtschafts  -  Gliederung  nach  den  alt- 
niederdeutschen Rechten  (1874),  S.  81 — 83,  gethan  hat, 
dafür,  dass  bei  der  Rechnung  nach  Sibhefächern,  anders  als 
nach  der  kanonischen  Computation,  auch  der  Stammvater 
selbst  mitgezählt  worden  sei,  so  ergiebtv  sich  allerdings  für 
die  englische  Kniezählung  wie  für  die  norwegische  der 
zweite  Grad  der  kanonischen  Computation  als  der  erste  der 
nationalen  Zähl  weise;  aber  der  letzte  verbotene  Grad  wird 
dann  für  England  der  5.  und  nicht  der  6.  des  kanonischen 
Rechts,  und  verschwindet  somit  die  Uebereinstimmung  des 
englischen  Rechtes  mit  dem  norwegischen  auf  diesem  Punkte. 
Da  endlich  auch  die  Uebereinstimmung  der  Ausdrücke  fraeud- 
leif  und  mseges  läf  recht  wohl  auf  organischer  Sprachver- 
wandtschaft statt  auf  mechanischer  Entlehnung  beruhen 
kann,- so  erscheint  mir  die  Wurzelhaftigkeit  der  oben  nach- 
gewiesenen älteren  Gradberechnung  im  Norden  immerhin 
wahrscheinlich;  die  Alterthümlichkeit  der  Bezeichnungen, 
welche  das  isländische  Recht  für  diese  verwendet,  und  die 
Unmöglichkeit,  diese  isländischen  Bezeichnungen  auf  eng- 
lischen oder  sonstigen  fremden  Einfluss  zurückzuführen, 
dürfte  diese  Wahrscheinlichkeit  meines  Erachtens  nahezu 
zur  Gewissheit  machen. 


Sitzung  vom  3.  November  1877. 


Philosophisch-philologische  Classe. 


Herr  Bursian  legt  vor: 

„Die  Aristophanesscholien   und  der  Codex 
Venetus  A.u     Von  Jos.  Augsberger. 

Wer  sich  mit  ernsten  Aristophanesstudien  beschäftigt, 
wird  kaum  darauf  Verzicht  leisten  wollen,  die  buut  zusam- 
mengewürfelte Masse  antiker  Interpretationsgelehrsamkeit 
seiner  Beachtung  zu  unterstellen,  welche  uns  in  den  soge- 
nannten Scholien  zugleich  mit  dem  Texte  des  Dichters  über- 
liefert ist.  Nicht  nur  der  moderne  Commentator  wird  sich 
darin  umsehen,  was  in  der  Erklärung  des  Dichters  zu  einer 
demselben  viel  näher  stehenden  Zeit  geleistet  worden  ist, 
sondern  die  unter  einer  Masse  von  Wust  verborgenen  werth- 
vollen  Bemerkungen  aus  alter  Zeit  bieten  Gelegenheit  zu 
verschiedenen  Untersuchungen,  welche  zwar  nicht  gleich 
grosse  Resultate  versprechen  wie  die  verwandten  Arbeiten 
auf  dem  Gebiete  der  Homerscholien,  aber  doch  geeignet  sein 
möchten,  noch  manche  Perle  dem  Schatze  philologischen 
Wissens  einzuverleiben. 

Als  Apparat  zu  diesen  Forschungen  besitzen  wir  erstens 
die  Ausgabe  der  Aristophanesscholien  von  W.  Dindorf  in 
drei  Theilen,   Oxford  1838,  oder  die  noch  handlichere  Aus- 


J.  Augsberger:    Anstophanesscholien  und  Cod.   Venetus  A.      255 

gäbe  von  Dübner  in  einem  Band,  welche  im  Jahre  1842  bei 
Didot  in  Paris  erschien,  Letztere  will,  was  man  aus  dem 
Titelblatte  und  der  Vorrede  ersieht,  etwas  mehr  sein  als  ein 
blosser  Abdruck  der  Dindorf'schen  Ausgabe,  und  wer  da  auf 
dem  Titel  liest :  cum  varietate  lectionis  optimorum  codicum 
integra,  ceterorum  selecta,  glaubt  das  diplomatische  Material 
für  die  weitgehendsten  Scholienstudien  in  Händen  zu  haben. 
Besonders  meint  Dübner  den  Dank  der  Leser  dadurch  ver- 
dient zu  haben,  dass  er  diejenigen  Scholien,  welche  in  einem 
der  beiden  Hauptcodices  oder  in  allen  beiden  fehlen,  durch 
dreierlei  Klammern  von  den  übrigen  unterscheidet.  Es  ist 
diese  Bezeichnung  auch  wirklich,  wenn  man  sich  einmal  da- 
ran gewöhnt  hat,  ein  Behelf,  weil  die  Dübner'sche  Einricht- 
ung der  adnotatio  in  einem  gesonderten  Theile  des  Buches 
viel  unangenehmer  für  den  Gebrauch  ist  als  die  Noten  unter 
dem  Text,  wie  Dindorf  sie  hat. 

Aber  über  so  kleine  Unannehmlichkeiten  einer  Ausgabe 
könnte  man  sich  leicht  beruhigen,  dürfte  man  nur  der  festen 
Ueberzeugung  sein,  dass  man  in  allen  Fällen  die  Lesarten 
der  Hauptcodices,  sei  es  im  Texte,  sei  es  in  der  adnotatio, 
besitze.  Leider  muss  ich  dieses  nach  einer  nur  kurzen  Ein- 
sicht des  Codex  Venetus  A,  der  für  den  Text  des  Dichters 
in  zweiter,  für  die  Scholien  vielleicht  in  erster  Linie  von 
Wichtigkeit  ist,  in  Bezug  auf  beide  genannten  Ausgaben  in 
Abrede  stellen.  Ich  werde  im  Folgenden  die  Ungenauig- 
keiten  und  Unrichtigkeiten,  welche  ich  in  dem  geringen  von 
mir  verglichenen  Theile  der  Scholien  gefunden  habe,  näher 
darlegen,  mit  der  Ueberzeugung,  dass  dieses  Wenige  schon 
genügen  wird,  das  Vertrauen  auf  die  Verlässigkeit  der  Aus- 
gaben etwas  zu  erschüttern,  zuvor  aber  will  ich  einiges  über 
die  Beschaffenheit  des  Codex  selbst  berichten,  mit  Anfügung 
des  Wunsches,  dass  auch  in  dieser  Beziehung  die  Notizen 
der  Ausgaben  weniger  mangelhaft  sein  möchten. 

Was  Dindorf   in   der    praefatio    seiner  Scholienausgabe 


256     Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  3.  November  1877. 

über  den  Venetus  sagt,  gibt  über  das  Aussehen  desselben 
gar  keinen  Aufschluss,  weit  befriedigender  ist,  was  Ad.  v.  Vel- 
sen  in  der  praefatio  seiner  Ausgabe  der  Ritter,  Leipzig  1869, 
sagt:  Codex  Venetus  (V)  membrauaceus ,  inter  Marcianos 
474,  forma  quadrata  majore,  foliorum  172,  saeculo  XII  scrip- 
tus.  Fabulas  continet  septem,  quarum  index  in  primi  folii 
pagina  versa  exstat:  dqiGToqiavovQ  nXovTog:  veffekat:  ßdzQcc- 
%oi:  IrtTteig:  OQVt&eg:  eIq^vt):  ocpr^eq:  Exaratus  est  manibus 
ejusdem  aetatis  duabus,  quarum  alteri  folia  1 — 61r  (Equi- 
tum  vs.  1008,  quem  excipit  vacuum  usque  ad  finem  paginae 
spatium)  debentur,  alteri  multo  illi  elegantiori  folia  61v  — 172. 
Scholia  addita  sunt  a  primis  manibus,  sed  postea  correc- 
tores  perpessa  .  .  .  Das  gibt  mit  wenig  Worten  einen  ziem- 
lich guten  Begriff  von  dem  Codex,  nur  ist  dem  Verfasser 
ein  kleiner  Irrtum  untergelaufen,  indem  die  erste  Hand  nicht 
bis  Equitum  vs.  1008  geschrieben  hat,  sondern  bis  Ra- 
narum  vs.  1008.  Die  Ritter  sind  bereits  ganz  von  der 
zweiten  Hand  geschrieben,  die  bei  Velsen  als  multo  elegantior 
bezeichnet  wird,  ein  Urtheil,  dem  ich  mich  nicht  anschliessen 
kann.  Die  zweite  Schrift  ist  entschieden  deutlicher,  leser- 
licher, was  sich  aber  bekanntlich  mit  dem  Begriff  eleganter 
nicht  immer  deckt. 

Die  Scholien  sind  von  derselben  Hand  geschrieben  wie  die 
Worte  des  Dichters,  und  auch  hier  ist  dem  Benutzer  des  Codex 
die  zweite  Hand  lieber  als  die  erste,  nicht  bloss  wegen  der  grös- 
seren Deutlichkeit,  sondern  auch  darum,  weil  von  dem  zweiten 
Schreiber  die  Scholien  genau  auf  die  Seite  gesetzt  sind,  auf 
welcher  der  zu  erklärende  Vers  steht,  und  ausser  den  Lemmata 
Beziehungszeichen  von  den  mannigfaltigsten  Formen  (z.  B. 

O^Kf^f  \    T  3H»-  Kj —  J)  <f  9*ri 

die  Auffindung  des  zu  einem  Verse  gehörigen  Scholiums 
und  umgekehrt  erleichtern.  Die  erste  Hand  scheint  zuvor 
eine  Anzahl   von    Seiten    weit   nur  den   dichterischen   Text, 


J.  Augsberg  er:    Aristophanesscholien  und  Cod.  Venetus  A.    257 

vielleicht  ein  ganzes  Stück  durchaus,  geschrieben  und  dann 
erst  die  ihr  vorliegende  Scholienmasse  auf  die  Ränder  rechts 
und  links  vertheilt  zu  haben  Die  Beziehung  ist  durch  Buch- 
staben bezeichnet  (z.  B.  o,  oa,  oß).  Es  kommt  aber  vor,  dass 
ein  Scholium  3  — 4  Seiten  vor  dem  zugehörigen  Verse  steht. 
Uebrigens  habe  ich  in  der  ersten  Partie  des  Codex  nur  sehr 
wenig  nachgesehen,  da  ich  mir  zur  Aufgabe  gemacht  hatte, 
die  Scholien  zu  den  Rittern  ein  Stück  weit  zu  vergleichen. 
Die  Resultate  dieser  Thätigkeit  will  ich  nun  darlegen. 

Die  v7TO&£öeig  der  Ritter  beginnen  Fol,  69Y-  oben  mit 
der  in  den  Ausgaben  mit  I  bezeichneten,  in  einer  deutlichen 
Schrift,  welche  so  ziemlich  die  Grösse  des  dichterischen  Tex- 
tes hat.  Die  Gleichmässigkeit  der  Schrift  im  Codex  ist  we- 
sentlich garantiert  durch  die  Linien,  welche  mit  einem  nicht 
zu  spitzen  stilus  auf  den  Blättern  eingraviert  sind.  Die 
Linien  sind  ziemlich  eng  und  gleichmässig  ausgezirkelt.  Die 
Ränder  rechts  und  links  sind  durch  abwärts  gezogene  Linien 
von  dem  inneren  Räume  geschieden.  Auf  Fol.  69 v-  ist  nur 
links  (aussen)  ein  Rand  gelassen  und  anderweitig  beschrieben, 
nach  innen  zu  läuft  die  Schrift  durch.  Auf  vicodeGig  I 
folgt  II  der  Ausgaben ,  als  etwas  Neues  durch  eine  neue 
Zeile  und  ein  einfaches  Zeichen,  ein  rasch  hingeworfenes  auf- 
rechtes Kreuz ,  das  in  dieser  sondernden  Bedeutung  öfter 
wiederkehrt,  bezeichnet.  Sie  schliesst  mit  den  Worten  des 
vorletzten  Abschnittes  der  Ausgaben  %ai  elg  &rJTag.  Die 
didaskalische  Notiz  dagegen  steht  auf  dem  linken  Rande 
hinter  der  tTto&eöig  III,  welche  in  kleinerer,  an  Grösse  den 
Scholien  entsprechender  Schrift,  die  auch  weit  mehr  Silben- 
kürzungen enthält,  oben  neben  der  ersten  vrtod-eoig  beginnt : 
(XQiOTOcpavovg  yQa(x^iaTiY.ov  v  irtTricov:  Ttcxqayu  —  xalrjg. 
Darauf  folgt  also  die  didaskalische  Notiz  edidax^rj  —  cYlocpo- 
QOig,  dann  noch,  rein  als  Spielerei  zur  Raumausfüllung  auf 
fünf  Zeilen  vertheilt :  olxla  rj  nolig,  deöJtoTrjg  6  örj/nog,  &e- 
Q<X7C0vreg  o\  GXoaii^yolt 


258     Sitzung  der  philos.-'phüol.  Classe  vom  3.  November  1877. 

Der  Schluss  der  vtv.  II  hat  sich  bereits  auf  Fol.  70 r  hinü- 
bergezogen ,  wo  nach  den  Worten  xal  elg  &rJT<xg  in  der 
nächsten  Zeile  zu  lesen  ist: 

Ta  xov  ÖQ(X(xazog  7tqoou)7ta:  —  Jrjuoo&evrjg.  l4yoqa- 
XQirog  6  xai  aXkavTOitwXrjg :  Xogog  i7tnecov.  Nwlag.  KXitov. 
Jrj/Liog:  —  ' Aqi orocpavovg  \7tnug.  Der  Titel  des  Stückes 
steht  weder  in  einer  eigenen  Zeile,  noch  ist  er  durch  irgend 
etwas  besonders  hervorgehoben.  Gleich  in  der  nächsten  Zeile 
steht  in  gleicher  Schriftgrösse  der  erste  Vers,  und  das  erste 

Wort  7arrara/aif  hat  schon  ein  Beziehungszeichen  ( (pf  ), 

das  sich  am  oberen  Rande  dieser  Seite  wiederfindet,  wo  die 
Scholien  beginnen.  Sie  nehmen  auf  dieser  Seite  vom  oberen 
Rande  drei  Zeilen  ein,  setzen  sich  dann  rechts  aussen  und 
zuletzt  am  unteren  Rande  fort.  Ausser  den  Beziehungs- 
zeichen sind  meistens  auch  Lemmata  zur  Angabe  der  Zuge- 
hörigkeit vorhanden.  In  dem  von  der  zweiten  Hand  ge- 
schriebenen Theile  des  Codex  ist  es  Regel,  dass  die  Haupt- 
masse der  Scholien  auf  dem  oberen  Rande  beginnt,  sich  auf 
einem  der  beiden  Seitenränder  eine  Strecke  weit  fortsetzt, 
dann  auf  den  anderen  Seitenrand  übergeht  und  zuletzt  den 
unter  dem  Text  befindlichen  Raum  einnimmt.  Ist  für  eine 
Seite  eine  besonders  grosse  Masse  von  Scholien  unterzu- 
bringen, so  ist  darauf  die  Zahl  der  Verse  beschränkt,  auf 
welche  Weise  z.  B.  Fol.  72 r  oben  Raum  für  neun  Zeilen 
Scholien  gewonnen  ist. 

Von  dieser  fortlaufenden  Hauptmasse  der  Scholien,  denen 
man  den  Namen  Randscholien  geben  kann,  unterscheiden 
sich  die  Interlinearscholien  und  eine  damit  sehr  verwandte, 
kaum  zu  unterscheidende  Art,  die  bei  geeigneten  Raumver- 
hältnissen möglichst  nahe  neben,  bei  der  letzten  Verszeile 
einer  Seite  auch  unter  das  zu  erklärende  Wort  gesetzten 
Scholien,  die  eben  deswegen  auch  kein  Lemma  oder  Be- 
ziehungszeichen   haben.      Sie    alle   miteinander    Glossen    zu 


J.  Augsberger:   Aristophanesscholien  und  Cod.  Venetus  A.     259 

nennen ,  erschwert  häufig  der  Inhalt  oder  die  verhältniss- 
mässige  Länge  dieser  Bemerkungen,  denn  es  finden  sich  ganz 
ähnliche  unter  die  zusammenhängend  geschriebenen  Rand- 
scholien  eingereiht.  Jedenfalls  wäre  das  eine  zu  wünschen, 
was  in  unseren  beiden  Ausgaben  nicht  der  Fall  ist,  dass  diese 
Art  von  Scholien  gesondert,  d.  h.  mit  unterscheidenden 
Zeichen  aufgeführt  würde.  Beispiele  von  derartigen  Scholien 
folgen  weiter  unten. 

Es  dürfte  jedoch  Zeit  sein,  dass  ich  an  meine  Haupt- 
aufgabe gehe  und  berichte,  inwiefern  die  Ausgaben  die  Les- 
arten des  Venetus  A  nicht  richtig  wiedergebeu.  Am  wich- 
tigsten sind  ohne  Zweifel  solche  Fälle,  wo  uns  die  Ausgaben 
sagen,  ein  ganzes  Scholiura  oder  ein  bedeutender  Theil  eines 
solchen  sei  nicht  in  der  Handschrift  enthalten,  während  es 
sich  doch  vollständig  dort  vorfindet.  Ich  habe  von  den 
Scholien  der  Ritter  wegen  unzureichender  Zeit  nur  ein  kleines 
Stück,  Fol.  69Y—  Fol.  73v  incl.,  d.  i.  die  Scholien  zu  den 
ersten  196  Versen  des  Stückes  vergleichen  können,  aber  hier 
schon  zu  bemerken  Gelegenheit  gehabt: 

schol.  13  tlg  ovv  yivovt  av  Xeye  ov:  Tlg  —  eiTir},  ein 
Scholium ,  das  in  der  Ausgabe  Dindorf  s  über  vier  Zeilen 
einnimmt,  enthält  dort  unter  dem  Texte  die  Anmerkung: 
tlg  olv  —  etTcr]  om.  R.  V.  und  Dübner  hat,  jedenfalls  nach 
dieser  Bemerkung,  das  ganze  Scholium  mit  Uoppelklammern 
eingeschlossen,  was  bei  ihm  bedeutet,  es  fehle  in  den  beiden 
Hauptcodices.    Gleichwohl  steht  es  vollständig  in  der  Hschr. 

schol.  29  ozirj  to  öig^a  —  atTOf.ioXovvT(ov  steht  im  V., 
erst  rwv  deq)0^ivo)v  —  anodeQtooi  fehlt,  während  nach  den 
Ausgaben  das  Ganze  in  den  beiden  Hauptcodd.  fehlte. 

schol.  42  dvoxoXov  yeoovnov:  JvOTqa7trjkov  —  A$r\vcuoi 
om.  R.  V.  schreibt  Dindorf,  und  Dübner  klammert  die  Worte 
doppelt  ein.  Im  V.  aber  fehlt  nur  das  Wort  dvaxoctniqlov, 
das  andere  ist  enthalten,  allerdings  in  etwas  veränderter  Ord- 


260     Sitzung  der  philos.-philol.  Clasae  vom  3.  November  1877. 

nung,  indem  die  in  den  Ausgaben  nachgesetzten  Worte 
v/toziocpov  —  leyoj.ievcuv  in  der  Hschr.  voranstehen. 

schol.  70  6xTct7iXdoiov  yj^ojuev  —  tzoXel  steht  im  V. 
trotz  der  gegenteiligen  Notizen  der  Ausgaben. 

schol.  73  Y.qdtLOT>  exelvyv   —   evavrlovg  steht  im  V. 

schol.  107  in  der  Mitte:  r\  nqog  tt\v  QQyKijv.  dtov 
einelv  —  nlvovxa  steht  im  V.  Es  fehlt  dort  nur  nach 
OQqxrjV :   eoxlv.  °'u4Xkiog. 

Entschuldbarer  als  diese  geradezu  unrichtigen  Angaben 
ist  eine  andere,  dass  die  in  den  Ausgaben  zu  V.  133  ge- 
schriebene, zu  V.  136  gehörige  Bemerkung  deov  de  einelv 
OTQccTTnydg  üacplaytov  eine  nicht  im  V.  enthalten  sei,  denn 
sie  steht  wirklich  im .  Codex  nicht  an  dieser  Stelle,  sondern 
ist  durch  irgend  einen  Zufall  auf  die  nächste  Seite  ganz 
unten  hin  hinter  das  Scholium  zu  V.  165  gerathen.  Ferner 
ist  zu  V.  133  v.QctTelv  die  Glosse,  im  V.  enthalten:  cxQxeiv 
ital  Sieneiv  %d  noXirixa  trotz  der  entgegengesetzten  Behaup- 
tung Dindorfs. 

Eine  andere  unangenehme  Wahrnehmung  ist  es,  dass 
in  der  adnotatio  der  Ausgaben  häufig  Aid.  citirt  wird,  wo 
ganz  genau  die  Lesart  des  Venetus  angegeben  wird,  so  dass 
man  glauben  möchte,  der  Codex  biete,  weil  er  nicht  be- 
sonders genannt  wird,  die  in  den  Text  der  Ausgabe  aufge- 
nommene Lesart.  Dies,  ist  schon  im  arg.  I  dreimal  der  Fall, 
Zeile  16  (Dübner)  o  xey  27  töoneq  neQicpavrjg,  28  l'/.ßdXkeTai. 
Dieses  sind  Lesarten  des  Venetus,  nicht  blos,  wie  beide  Aus- 
gaben berichten,  der  editio  Aldina.  Dieselbe  Erscheinung 
wiederholt  sich  in  den  Scholien  zu  41  enel  dvrl  ifrfgwr, 
55  EniaXTOv,  59  evaXkayiqv  otoixelov  egyaocc^evog  post  KXitova 
addit.  Aid.  (id.  V.),  61  elxozcog,  84  "EXXrjveg  elta  SovXevoovot, 
85  exaXewo  rj  y.qäoig^  95  fjyrjod/xevog  und  nlvoiev,  103  Tijj 
evvei,  112  tov  xaxodai/xovog,  129  GTvnn lonwXrjg,  147  enei 
xal  6  —  enecpdvrj  ccvzolg,  170  in  Aid.  (et  in  V.)  cltco  tov 
Gv/xßeßrjxorog   xal   avrog  wv6f.iaoej   ßovX6f.ievog    drjXioocu  idg 


J.  Augsberger:    Aristophanesscholicn  und  Cod.    Venetus  A.    261 

xvxXddccg  vrjöovg  %vvly>  xeifiivag,  189  %coqü.  Allen  diesen 
Lesarten  ist  die  Bezeichnung  Aid.  beigesetzt,  obwohl  es  ge- 
nau die  Lesarten  des  V.  sind  und  es  viel  wichtiger  ist  zu 
wissen,  was  die  Handschriften,  und  zumal  die  wichtigeren, 
bieten,    als  die  editiones   und   sei  es  auch  die  ed.  princeps. 

Eine  andere  Art  von  Ungenauigkeit  ist  die  Weglassung 
von  Glossen,  (so  nenne  ich  der  Kürze  halber  die  oben  er- 
wähnten Scholien  zweiter  Art)  die  in  der  Handschrift  stehen. 

Zu  V.  37  ov  %elqov  ist,  wenn  auch  in  sehr  undeutlicher 
Schrift,  zu  lesen:    dvxl  %ov  ßiXxiov,  ovy,  axojtov. 

Unmittelbar  neben  V.  60  fßvg  qiqtoqag  steht  die  Be- 
merkung diov  UTiüv  tag  pvag. 

Zu  V.  76  xXo)7tcöwv  enthält  der  Codex  die  Randglosse 
7taqcL  to  vXiTtiuv. 

Zu  V.  145  q>eQe  ist  ein  Interlinearscholium  vorhanden: 
aye,  ^  ovvra&g  dq%aia. 

Zu  V.  146  ätä  oöi  7tcpooe()xet(XL  steht  geschrieben :  otä 
avTog  ovtog  TtctQayiveTcci. 

Hier  lässt  sich  vielleicht  anreihen,  dass  die  in  beiden 
Ausgaben  unmittelbar  aufeinander  folgenden  Scholien  24 
und  26  im  V.  als  ein  Scholium  zusammengeschrieben  sind, 
ohne  dass  in  der  adn.  eine  diesbezügliche  Bemerkung  ent- 
halten wäre. 

Zu  V.  60  ist  in  den  Ausgaben  eine  Glosse  gegeben: 
a7todiwKu  V.  Soll  das  vielleicht  zu  ditoooßü  gehören?  Ge- 
wiss nicht  und  es  ist  auch  im  V.  dorthin  geschrieben,  wo 
es  hingehört,  zu  drteXavvei  V.  58. 

Bei  den  bisher  aufgeführten  Fällen  war  fast  überall 
volle  Uebereinstimmung  der  beiden  eingangs  von  mir  ge- 
nannten Ausgaben  vorhanden,  die  zu  dem  Schlüsse  führt, 
dass  Dübner  im  guten  Glauben  auf  Dindorf  s  Genauigkeit 
diesem  nachschrieb.  Ich  kann  mir  indess  nicht  versagen, 
auch  ein  paar  Fälle   anzuführen,   wo  Dübner  die  ihm  vor- 


262    Sitzung  der  phüos.-philol  Classe  vom  3.  November  1877. 

liegende  Diudorfsche  Ausgabe   so  flüchtig  ansah,    dass  ihm 
einige  richtige  Angaben  derselben  entgingen.     Z.  B. 

schol.  9  £vvavllav:  ....  f.ni.irjocof.ie^a  —  dduQWf.ieda  ist 
bei  Dübner  mit  R.  bezeichnet  ohne  die  mindeste  Angabe, 
dass  die  Worte  ^ifXT]o6i.ie0^a  ovv  ttjV  ovvauXlav  *OXv(A7tov  im 
V. ,  ja  nach  Dindorf  überhaupt  in  den  Codices  enthalten 
seien. 

schol.  11  %l  TtivvQOiue&a:  Tl  öa-/.qvo(.i£v  —  dvwqieXeg 
bemerkt  Dindorf  richtig:  scholion  om.  V.  Dübner  hat 
weder  die  gewöhnliche  eckige  Klammer  noch  eine  Bemerk- 
ung in  der  adnotatio.  + 

schol.  59  hat  Dübner  die  kurze  Anmerkung  Dindorfs 
nicht  beachtet:  fivQOivrjv  —  qtjtoqccq  utcz  R.,  d.  h.  die 
zwischen  diesen  Worten  stehenden  Sätze  stehen  nur  im  Ra- 
vennas,  was  Dübner  in  keiner  Weise  notiert. 

Nach  diesen  nicht  unbedeutenden  Anklagen  gegen  die 
von  einer  Ausgabe  vorauszusetzende  Genauigkeit,  welche  um 
so  schwerer  in's  Gewicht  fallen  müssen,  weil  das  Material 
dafür  aus  der  Vergleichung  einer  winzigen  Partie  eines 
einzigen,  allerdings  wichtigen  Codex  sich  ergeben  hat,  macht 
es  wenig  Eindruck  mehr,  wenn  ich  die  störende  Inconsequenz 
bedauere,  mit  welcher  Dübner  ein  in  dem  oder  jenem  Haupt- 
codex fehlendes  Scholium  (beziehungsweise  den  Theil  eines 
solchen)  einmal  mit  der  betreffenden  Klammer  versieht,  ein 
anderes  Mal  nur  in  der  hinten  angefügten  adnotatio  als  im 
Codex  fehlend  anführt. 

Aber  das  muss  ich  noch  bemerken,  dass  man  durchaus 
nicht  glauben  darf,  man  besitze  mit  der  adnotatio  der  Ausgaben 
einen  kritischen  Apparat.  Es  ist  ein  solcher  allerdings 
bei  einer  Scholienausgabe  nicht  in  grösster  Ausdehnung 
noth wendig,  allein  bei  der  Fülle  von  wichtigen  Unter- 
suchungen, die  sich  auf  die  Scholien  stützen,  bei  der  Mög- 
lichkeit,  in   einzelnen  Fällen   für  den  Text   selbst  Schlüsse 


J.  Angsberger :   Arlstophanesscholien  und  Cod.  Venetus  A.    263 

aus  den  Scholien  zu  ziehen,    dürfte  doch  eine  Auswahl  von 
Lesarten  notiert  werden. 

Es  ist  kaum  nöthig,  die  aus  meinen  Wahrnehmungen 
zu  ziehenden  Consequenzen  eigens  in  Worte  zu  fassen  Die 
Ausgaben  können  für  eine  Reihe  von  Untersuchungen  nur 
als  ein  annähernd  sicherer  Grund  betrachtet  werden,  am 
wenigsten  Halt  aber  bieten  sie  für  solche  Forschungen, 
die  den  Werth  und  das  Alter  von  Scholien  aus  dem  Vor- 
kommen oder  Nichtvorkommen  derselben  in  diesem  oder 
jenem  Codex  erschliessen  möchten.  Dass  unter  solchen  Um- 
ständen eine  weiter  gehende  Vergleichung  der  Handschriften 
nur  wünsch enswerth  sein  kann,  ist  klar,  und  ich  selbst  ge- 
denke insofern  an  diese  Arbeit  zu  gehen,  als  ich  eine  kri- 
tische Ausgabe   der  Frösche   nebst  den  Scholien  vorbereite. 


Sitzung  vom  3.  November  1877. 


Philosophisch-philologische  Classe. 


Herr  von  Prantl  legt  vor: 
„Daniel  Wyttenbach  als  Gegner  Kants." 

Daniel  Wyttenbach  (geboren  1746  in  Bern,  1771 
Professor  des  Griechischen  am  Athenäum  in  Amsterdam, 
woselbst  er  1779  den  Lehrstuhl  der  Philosophie  übernahm, 
dann  von  1799  bis  1816  Professor  der  Rhetorik  in  Leyden, 
gestorben  1820)  ist  im  Gebiete  der  classischen  Philologie 
rühmlich  bekannt  durch  seine  Arbeiten  über  Plutarch  und 
Plato,  sowie  durch  die  (von  1777  bis  1808)  von  ihm  ver- 
öffentlichte Bibliotheca  critica,  durch  sein  zweibändiges  Werk 
0do[Aa&lag  xa  07tOQaSrjv  (der  lateinische  Titel  lautet  „Miscel- 
lanea  doctrina")  und  wohl  noch  mehr  durch  seine  „Vita 
Ruhnkenii"  (1799).  Sowie  er  aber  auch  im  Umkreise  der  Phi- 
losophie sich  durch  Veröffentlichung  einer  „Logica"  und  einer 
„Metaphysica"  literarisch  bethätigte,  so  lag  für  ihn  in  dieser 
letzteren  Beschäftigung  die  Veranlassung  zu  einer  entschiede- 
nen, ja  selbst  heftigen  Bekämpfung  Kant's,  welche  wesentlich 
einen  persönlichen  Character  annahm.  Es  hatte  neinlich 
ein  strebsamer  Holländer,  Paul  van  Hemert  (welcher  früher 
Theologe    gewesen    war,    aber    nach    seinem    Verzichte    auf 


v.  Prantl:  Daniä   Wyttenbach.  als  Gegner  Kant's.  265 

priesterliche  Thätigkeit  die  Professur  der  Philosophie  zu 
Amsterdam  als  Wyttenbach's  Nachfolger  übernahm)  sich 
mit  Begeisterung  der  kantischen  Philosophie  zugewendet 
und  zur  Beförderung  und  Verbreitung  des  Kantianismus  in 
Holland  ein  eigenes  Organ,  betitelt  „Magazin  voor  de  Kri- 
tische Wysgeerte"  gegründet  (1799),  in  welchem  er  einmal 
von  sich  sagt:  „Maguus  extitit  Kantius  propheta,  et  ego 
huius  inter  Batavos  exorior  hypopheta"1).  In  ähnlicher 
Weise  hatte  seit  dem  letzten  Jahrzehnte  des  vorigen  Jahr- 
hunderts die  Philosophie  Kant's  unter  Ueberschreitung  der 
Gränzen  Deutschlands  Aufnahme  gefunden  in  England  und 
Schottland  durch  Home,  Nitsch,  Willichs  und  Beck,  sowie 
in  Frankreich  durch  Villers,  Kinker,  Destutt  de  Tracy  und 
Degerando. 

Der  Unterschied  des  philosophischen  Standpunktes  der 
beiden  nachmaligen  Gegner  war  bei  dem  Einen  derselben 
bereits  in  früheren  Jahren  zu  Tag  getreten.  Nemlich  Wyt- 
tenbach hatte  schon  in  seiner  von  der  Stolpe'schen  Stiftung 
i.  J.  1779  gekrönten  „Disputatio  de  unitate  dei"  (gedruckt 
Lugd.  1780.  4)  gegen  Kant's  i.  J.  1763  erschienene  Schrift 
., Einzig  möglicher  Beweis  vom  Dasein  Gottes",  welche  der- 
selbe bekanntlich  später  in  der  Kritik  der  r.  Vern.  selbst 
preisgab,  eine  Polemik  geführt,  deren  Standpunct  die  Ueber- 
einstimmung  mit  den  Anschauungen  der  weitverbreiteten 
leibnizisch- wolffischen  Gegner  Kant's  deutlich  zeigt2).  Ferner 


1)  Wyttenbach,  Epist.  ad  Lyndenum;  Opusc.  II,  201—3. 

2)  Opusc.  II,  445 :  Ratio  Kantii eo  redit   „Deus  continet  ul- 

timam  causam  possibilitatis  omniura  aliarura  rerum ;  igitur  aliae  res  omnes 
in  tantum  sunt  possibiles,  in  quantura  ab  eo  ente  necessario  tanquam 
a  causa  proficiscuntur;  igitur  non  plures  esse  possunt  dii  seu  plura  entia 

necessaria" Eas  res  tantum  ad  possibilitatem  refert,  quae  ad  ex 

istentiam  pervenire  possunt,  quae  est  externa  possibilitas,  non  illas  etiara, 

quae  sibi  ipsae  non  repugnant,  quae  est  interna  possibilitas Aliud 

est  vitium : Demonstrandum  fuisset,  res  non  necessarias  non  posse 

[1877  I.  Philos.-philol.  Cl.  3.]  19 


266    Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  3.  November  1877. 

äusserte  Wyttenbach  schon  in  der  ersten  Auflage  seiner 
„Praecepta  philosophiae  logicae"  (1782)  auf  Grund  der  üb- 
lichen Schul-Logik  seine  Bedenken  gegen  die  von  Kant  i.  J. 
1762  verfasste  Abhandlung  „Von  der  falschen  Spitzfindig- 
keit der  vier  syllogist.  Figuren1'  (s.  unten  Anm.  9).  Nach- 
dem aber  nun  i.  J.  1796  Van  Hemert  in  holländischer 
Sprache  eine  Darlegung  der  „Elemente  der  kantischen  Phi- 
losophie1' veröffentlicht  und  hiedurch  deutlich  die  Absicht 
kundgegeben  hatte,  den  Kantianismus  bei  seinen  Lands- 
leuten populär  zu  machen3),  nahm  Wyttenbach  in  seiner 
„Vita  Ruhnkenii"  (1799)  von  dem  Umstände,  dass  Ruhnken 
in  Königsberg  ein  Mitschüler  Kant's  gewesen  war4),  die 
Veranlassung,  unter  Hinweis  auf  den  anmuthigen  Stil  des 
Hemsterhuis  und  auf  die  schriftstellerische  Eleganz  des  Men- 
delssohn, des  Sulzer  und  A.  den  Kantianern  Deutschlands 
den  Rath  zu  geben,  dass  sie  sich  von  dem  dunklen  Wort- 
Krame  befreien  und  im  Hinblicke  auf  den  praktischen 
Nutzen  der  Philosophie  dem  gewöhnlichen  Verständnisse 
durch  eine  sachliche  und  durchsichtige  Schreibweise  Rech- 
nung tragen  sollen5).     Und  bezüglich  seiner  eigenen  Lands- 


causam  possibilitatis  suae  habere  in  pluribus  entibus  necessariis.  Itaque 
manifestum  est  Vitium,  quod  vulgo  a  petitione  principii  appeljatur.  Vgl. 
unten  Anm.  13  am  Schlüsse. 

3)  Van  Hemert,  Epist.  ad  Wyttenb.,  p.  42. 

4)  Wyttenbach,  Vita  Ruhnk.,  Opusc.  I,  530:  Kantium  (i.  e.  con- 
discipulum  Ruhnkenii)  sive  casus  sive  quidam  ingenii  aestus  ad  philoso- 
phiam  detulit,  in  qua  quum  aetatem  consumeret,  senex  eam  protulit 
metaphysicam  rationem,  quae  nunc  maxime  ipsius  nomine  celebratur. 

5)  Ebend.  p.  576  f. :  Hemsterhuisius metaphysices  abstrusis- 

sima   argumenta   suaviter   ac  dilucide   exposuit Quam  rationem 

adhuc  in  Germania  elegantissimi  quique  tenuerunt  philosophi,  Mendels- 
sohni,  Sultzeri,  alii ;  et  eandem  profecto  repetent  seque  ipsi  ex  verborum 
obscuritate  et  involucris  ad  populärem  captum  et  Socraticam  perspicui- 
tatem  explicabunt  novissimi  illi  doctrinae  a  Regiomontano  Ruhnkenii 
condiscipulo  proditae    sequaces,    si   quidem   philosophia   ad   communem 


I 


v.  Prnntl:  Daniel   Wyttenbach  als  Gegner  KanVs.  267 

leute  glaubt  er  den  nachtheiligen  Einfluss,  welchen  in  Deutsch- 
land die  Wolffische  Philosophie  auf  die  schöne  Literatur 
ausgeübt  habe,  *  seitens  des  Kantianismus  darum  weniger  be- 
fürchten zu  müssen,  weil  im  Gegensatze  gegen  die  ältere 
Philosophie,  welche  in  einem  von  struppigen  und  unerhörten 
Worten  freiem  Stile  auf  die  populäre  Fassungsgabe  wirkte, 
diese  neue  Secte  durch  ihre  Eigentümlichkeiten  eher  ab- 
schreckend auftrete6). 

Gegen  diese  Ausfälle  Wyttenbachs,  welche  allerdings 
nur  die  stilistische  Form  der  kantischen  Literatur  betrafen, 
wendete  sich  nun  Van  Hemert  wiederholt  in  seinem  „Magazin 
voor  de  kritische  Wysgeerte",  dessen  erstes  Heft  er  in  dem 
nemlichen  Jahre  (1799)  veröffentlichte,  in  welchem  die  Vita 
Ruhnkenii  erschienen  war7).  Hiedurch  gereizt  schrieb  Wyt- 
tenbach i.  J.  1807  im  zwölften  (letzten)  Bande  seiner  seit 
1775  fortgesetzten  Bibliotheca  critica  die  „Epistola  ad 
Lyndenum",  welche  lediglich  eine  heftige  Polemik  gegen 
Van  Hemert,  d.  h.  gegen  den  „Horrearius"  ( —  so  nemlich 
bezeichnet  er  ihn  stets,  ohne  jemals  den  wirklichen  Namen 
zu  nennen  — ),  zum  Inhalte  hat.  Gegenüber  den  Entgeg- 
nungen Van  Hemert's,  welche  er  dem  Gekneife  der  Hunde 
(,,latratiunculae  canicularum")  gleichstellt,  geht  er  nun  auch 


huraani  generis  utilitatera  intelligentiamque  spectat  nee  eius  studiosi 
magis  verbis  quam  rebus  fidunt. 

6)  Ebend.  p.  625:   Apud   Germanos   iramoderatus   Wolfiani    studii 

fervor  literas   veluti  tempestatis  calamitate   afflixit Novissima  a 

vetere  Regiomontano  Ruhnkenii  condiseipulo  prodita  ratio  apud  nos 
quidem  literis  non  obfuit  nee,  ut  speramus,  oberit;  siquidem  priores 
illae  (sc.  rationes,  d.  h.  er  meint  hiemit  Newton,  Locke,  Leibniz  u.  A.) 
partim  maximarum  scientiam  rerum  profiterentur ,  partim  disserendi 
spinis  et  verborum  novitate  minus  obstruetam  haberent  cognitionem, 
partim  interpretes  nascerentur,  qui  eas  ad  communem  captum  intel- 
ligentiamque  explicarent;  quae  et  secus  sunt  in  hac  novissima  ratione 
et  plurimum  valent  ad  studii  cum  frequentiam  tum  diuturnitatem. 

7)  Van  Hemert,  Epist.  ad  Wyttenb.  p.  3. 

19* 


268    Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  3.  November  1877. 

auf  die  kantische  Philosophie  überhaupt  näher  ein,  ja  er 
übt  sogar  in  einzelnen  Pnncten  eine  speculative  Kritik, 
welcher  durchaus  nicht  jede  Berechtigung  abgesprochen  wer- 
den kann  ( —  auf  Letzteres  aber  erst  unten  näher  zurück- 
zukommen, möge  einstweilen  vorbehalten  bleiben  — ).  Wyt- 
tenbach  bekennt  in  dieser  Epistola8)  offen  seine  Sympathie 
mit  Eberhard,  Mendelssohn,  Platner,  Garve,  Herder,  Feder, 
Meiners,  Tiedemann,  Schwab,  Nicolai,  Wieland,  Reinhard, 
Falck,  Henning,  Weishaupt,  ja  auch  mit  Stattler  (!),  so 
dass  wir  schon  hiedurch  über  die  Parteistellung  hinreichend 
orientirt  sind.  Er  erkennt  wohl  an,  dass  Kant,  scharfsinnig 
und  geistreich,  manches  Einzelne  fein  entwickelt  habe,  aber 
findet  doch,  dass  aus  der  Neuerungssucht  und  Eitelkeit  des- 
selben nur  eine  von  Anfang  bis  zu  Ende  unhaltbare  Lehre 
hervorgegangen  sei9),  welche  namentlich  auch  an  einer 
folgenschweren,  von  den  Anhängern  aber  nicht  beachteten 
Unkenntniss  der  Geschichte  der  Philosophie  leide10).  Man 
stosse  bei  Kant's  ungewohnter  Redeweise   auf  eine  Finster- 


8)  Opusc.  II,  198. 

9)  Ebend.  p.  164  f.:  Noveram  auctorem  (d.  h.  Kantium)  ex  aliis 
quibusdam  eius  scriptis  ut  acutum  et  ingeniosum,  sed  eundem  capta- 
torem  novitatis  et  admirabilitatis ,  nee  mihi  probatur  in  argumento 
de  unitate  dei  et  iudicio  de  falsa  argutia  figurarum  syllogisticarum  (s. 
Anm.  2).  Ebend  p.  196:  Sunt  vero  etiam,  quae  probera,  nimirum  sin- 
gularura  quarundam  partium  expolitionem  et  acutas  nonnullas  animad- 
versiones;  at  universam  doctrinam,  prineipia  etexitum,  probare  me  non 
posse  fateor. 

10)  Ebend.  p.  187  f.:  Omnino  ultra  quam  philosophum  decet,  li- 
terae  ei  defuerunt,  ut  in  historia  pbilosophiae  vix  supra  Spinozae  et 
Cartesii  aetatem  progressus  videatur.  Qui  si  priores  et  antiquos  cog- 
nitos  et  pertraetatos  babuisset,  a  multis  sibi  erroribus  cavisset.  Fortasse, 
nisi  eum  novae  seetae  condendae  gloria  deeepisset.  Ebend.  p.  198: 
Cui  yiro,  quod  novitatis  et  admirabilitatis  captatio  adfuit,  literarum 
scientia  et  philosophiae  historia  defuit,  nil  ei  obfuit  apud  novos  ignaros 
nee  animadvertentes. 


v.  Prantl:  Daniel  Wyttenbach  als  Gegner  Kant's.  269 

niss,  welche,  je  weiter  man  lese,  immer  dichter  werde,  und 
bei  dem  Mangel  aller  Beweisführung  sei  man  nur  auf  kühne 
und  unwahrscheinliche  Behauptungen  angewiesen11);  die 
Kritik  der  reinen  Vernunft,  vergleichbar  einem  von  Stacheln 
starrenden  Igel  oder  einem  vielarmigen  Polypen,  vermöge 
es  nicht,  den  stumpfen  Blick  ihres  niederhängenden  Kopfes 
irgend  vom  Boden  zu  erheben12).  Der  Kantianismus,  welcher 
wie  ein  ansteckendes  Fieber  grassirte  und  zu  einer  Zeit,  als 
man  ihn  in  Deutschland  bereits  für  veraltet  hätte  halten 
können,  mit  geringem  Erfolge  in  die  Niederlande  einzu- 
dringen versucht  habe13),  geberde  sich  wohl  gar  gewaltig, 
halte  sich  für  die  einzig  wahre  Philosophie  und  bedaure  es, 
seine  Herrschaft  nicht  über  den  Erdkreis  verbreiten  zu 
können,  aber  er  führe  durch  seine  Spitzfindigkeiten  selbst 
seinen  Sturz  herbei    und   entfremde   sich   trotz    allem  win- 


11)  Ebend.  p.  168:  Novum  et  inusitatum  dicendi  genus,  spissae 
tenebrae,  tum  ipsa  tractatio,  spissiores  etiam  tenebrae  et  cum  lectionis 
progressu  ingravescentes.  Tantum  quidem  dispiciebam,  consequentiam 
argumentorum  deesse,  pleraque  temere  ac  sine  demonstratione  poni,  po- 
stulari  nee  ad  probabilitatem  explicari. 

12)  Ebend.  p.  166  f  :  Fuit  (sc.  Critica  rationis  purae)  aut  horrens 

spinis  echinus  aut  creber  flagellis  polypus Haec  ei  convenit  forma 

vocali,  ineurvae,  capite  humi  demissae,  in  terram  intuenti  et  obtusa 
oculorum  acie  ultra  experientiae  terminos,  quod  ipsa  fatetur,  prospicere 
haud  valenti. 

13)  Ebend.  p.  157  f. :  Tunc  apud  Germanos  nova  ista  metaphysica 

iam  obsolescebat  et  nunc  obsoluit Jam  duodeviginta   annos  nata 

erat,  quum  nostri  homines  eam  apud  nos  producerent  et  Beigice  cre- 
pare  cogerent;  apud  Germanos  tunc  vetula  habebatur  et  erat  sane  pro 
ingenio  seculi  effoeta  (die  Kritik  der  reinen  Vernunft  ersebien  1781, 
Van  Hemert  aber  begann  sein  Magazin  1799,  und  in  diese  letztere  Zeit 

fällt  bereits  Pachte) Febris  erat ,   ut  olim  Wolfiana,   antea  Carte- 

siana, sie  ista  Kantiana  non  quidem ,   ut  illae,   late   per  Batavam 

terram  fusa,    sed  intra  paueos    conclusa Adolescentulus   Wolfiana 

febrj  laboravi  (vgl.  Anm.  2). 


270    Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  3.  November  1877. 

digen  Geschrei  durch  seine  Sophismen  und  seine  Unver- 
ständlichkeit  gerade  alle  Besseren14).  All  seinen  Hass  aber 
gegen  Kant  sammelt  Wyttenbach  in  eine  längere  Tirade, 
in  „welcher  er  mit  den  glänzendsten  Farben  der  Beredsam- 
keit die  verderbliche  Verbreitung  schildert,  welche  die  aus 
cimmerischer  Pinsterniss  und  Nordpol-Eis  bestehende  kantische 
Philosophie  in  Deutschland   gefunden   habe16).     Kant   habe 


14)  Ebend  p.  154  f. :  Nova   extitit  secta volens tumul- 

tuari,  alias  sectas  ad  ipsius  formulam  adigere  conari,  se  solam  veram 
profiteri,  indignari,  se  umbraculis  suis  inclusam  teneri  nee  imperium 
suum  per  terrarum  orbem  latius  proferre  posse:  necquicquam,  quippe 
ipsa  se  suis  acurainibus  corapungens  et  labefaetans  tortuosis  'conclusiun- 
culis  et  nova  verborum  obscuritate  cpikoxdlovg  dilueidae  fruetuosaeque 
sapientiae  amantes  avertens,  quamvis  clamosa  et  ventosa  similisque 
ventis. 

15)  Ebend  p.  169—72:    Kantianus  liber  vix  amplius  in  epheraeri- 
dibus  Germaniae  memoratus,  ut  nemini  intellectus,  in  oblivionem  abire 

videbatur.  At  vero adhuc  neglectus  iara  produci ,    celebrari,    eius 

Studium  primo  latius  serpere,  tum  ubique  differri,  denique  per  totam 
Germaniam  pervadere,  fervere.  Auetor  illud  congruum  septentrionali 
frigori   opus   tanquam  Cimmeriis   tenebris   et  boreali  glacie   concretum 

protulerat Ac  prouti  Ixion   amore  Junonis  . . .  captus  ....  obieeta 

nube ....  cum  ea  congressus  Centauros  genuit, sie  Kantius  scien- 

tiarum  reginara  deperiens  Metaphysicam  ab  ea  deeeptus  Cimmeria  cali- 
gine  eam  iniens  genus  scientiae  proereavit  Centauricum,  transcendentale 
appellitatum,  sepimenta  prioris  philosophiae  transsiliens,  vireta  fruetum- 
que  vastans.  Pater  suum  foetum  in  librum  iueludens  et  tanquam  Pan- 
dorae  dolium  proponens  non  dubitabat,  id . . . .  pbilosophantium  ....  stu- 
dia  sibi  conciliaturum.  Avus  Boreas  adspirans  coeptis  dolium  sustulit 
....  et  supra  Germaniam  volans  in  Saxoniam  dolium  deiecit ,  quod  ibi 
aliquot  annos  neglectum  iaeuit.  Philosophantes  unus  et  alter . . .  tollunt 
operculum,  iolium  interius  inspiciunt,  vident  plenum  materia  piceae  ni- 
gredinis  et  gravis  odoris.  Veterani  operculum  rursus  imponunt,  monent 
novitios  item  facere,  ne  materia  calore  aeris  effervescens  in  eorum  ca- 
pita  erumpat.  Pater  ingloriam  dolii  sortem  audiens  faces  ad  illustran- 
dum  submittit,  quibus  admotis  dolio  aperto  vapores  a  materia  exbalante 
suigentes  ignem  coneipiunt  et  subito  cum  fulgure  sonitum  edunt.  Ecce! 
novitii  puerique  ad  rumorem  novitatemque  speetaculi  excitare,  adeurrere, 


v.  Prantl:  Daniel  Wyttenbach  als  Gegner  Kanfs.  271 

in  Liebe  zur  Königin  der  Wissenschaften  entbrannt,  wie 
Ixion  durch  Umarmung  der  Juno,  aus  täuschendem  Nebel 
ein  centaurisches  Wesen,  die  Transscendental  -  Philosophie, 
gezeugt  und  diese  Frucht  seiner  Liebe  in  ein  Pandora-Fass 
gelegt,  welches  dann  der  Grossvater  Boreas  über  Deutsch- 
land führte,  wo  es  in  Sachsen  niederfiel  und  eine  Zeitlang 
unbeachtet  liegen  blieb16).  Bei  Oeffnung  des  Fasses  aber 
habe  man  einen  pechschwarzen  stinkenden  Stoff  gefunden, 
und  in  Folge  hievon  sei  von  den  Aelteren  auf  schleunigen 
Wiederverschluss    desselben    gedrungen   worden.     Hierüber 


adstare ,  stupere ,  mirari,  gaudere,  gestire,  ignera  quisque  et  materiae 
partem  rapere  et  auferre;  massa  picea  concutiendo  agitandoque  exardes- 
cens  crepitansque  dissiluit,  rapientium  vultus  atra  fuligine  implevit, 
capita  furore  instinxit,  ut  sibi  pulcri  et  sapientes  viderentur,  per  vicos 
oppidaque  discurrentes  debaccharentur,  deorura  hominumque  fidem  obte- 
starentur,  se  pristinis  liberatam  tenebris  philosophiam  ipsamque  veri- 
tatera  afferre.  Pater  ....  foetui  duas  submittit  sorores  criticas,  Rationis 

practicae  et  Facultatis  iudicandi ,  tum  alios  et  alios   novos   natos 

Sic  per  decennium  haec  sola  viguit  veritas  in  scholis,    libris,  ephemeri- 

dibus  decantata  et  criticae  philosophiae  nomine  celebrata In  hac 

scholastica  conversione  extiterunt  demagogi  nullo   aut  mediocri  ingenio 

per    obscuritatem   antea   ignorati hanc   inclarescendi   occasionem 

arripientes  pervulgatas  novae  doctrinae  formulas  brevi  tempore  discentes 
et  memoriae tradentes  easdem  moxin  conventiculis,  circulis,  stabulis,  cau- 
ponis,  thermopoliis  imperito  et  miranti  vulgo  tanquam  agyrtae  medici 
collyrium  lippitudinis,  panaceam  caecutientis  ingenii  ostentantes  et  ven- 
ditantes. 

16)  Bei  der  Nennung  Sachsens  werden  wir  kaum  an  den  Leipziger 
Born  denken  dürfen,  welcher  bekanntlich  die  drei  Kritiken  Kant's 
in  das  Lateinische  übersetzte  (jedenfalls  finden  wir,  dass  Wyttenbach 
Stellen  aus  Kant  nicht  in  der  Born'schen  Uebersetzung  anführt),  wohl 
aber  an  Heydenreich  in  Leipzig,  sowie  an  Schmid,  Heusinger 
und  Schütz  in  Jena,  ja  vielleicht  am  meisten  an  Reinhol d's  Briefe, 
welche  1784  im^Deutschen  Mercur  erschienen.  Dürften  wir  aber  „Sachsen" 
in  weiterer  Bedeutung  nehmeD,  so  käme  vor  Allem  Halle  in  Betracht, 
wo  Tieftrunk,  Jacob,  Hoffbauer,  J.  S.  Beck  wirkten,  sowie 
auch  an  den  Magdeburger  Meli  in  erinnert  werden  könnte, 


272    Sitzung  der  philos-philol.  Classe  vom  3.  November  1877. 

ärgerlich  habe  Kant  Packeln  unter  das  Fass  gebracht,  wor- 
auf es  mit  Blitz  und  Knall  explodirte17).  Nun  seien  die 
Neulinge  und  die  Knaben  zahlreichst  herbeigekommen, 
und  in  verrücktem  Freuden-Taumel  habe  Jeder  ein  Stück- 
chen des  Pech- Stoffes  fortgenommen,  wodurch  ihre  Gesichter 
geschwärzt  und  ihre  Köpfe  mit  der  Wahn  -  Vorstellung  der 
Weisheit  erfüllt  worden,  so  dass  sie  wie  trunken  umher- 
liefen und  überall  verkündeten,  sie  seien  die  Träger  der 
wirklichen  von  früherer  Finsterniss  befreiten  Wahrheit. 
Dann  habe  Kant  noch  zwei  kritische  Töchter  und  mehrere 
Söhnlein  gezeugt,  und  zehn  Jahre  hindurch  sei  die  neue 
Weisheit  überall  ausschliesslich  gefeiert  worden,  wobei  auch 
ganz  obscure  Leute  die  wohlfeile  Gelegenheit,  berühmt  zu 
werden,  gierigst  ergriffen,  den  kantischen  Formel-Kram  aus- 
wendig lernten  und  als  „Demagogen"18)  aller  Orten  wie 
marktschreierische  Quacksalber  die  Panacee ,  durch  welche 
alle  geistige  Blindheit  geheilt  werden  könne,  feil  boten. 

Bei  solcher  Kampfweise  Wyttenbach's  wäre  es  wahrlich 
entschuldigt  gewesen,  wenn  Van  Hemert  in  seiner  „Epistola 
ad  Danielem  Wyttenbachium" ,  welche  er  im  J.  1809  als 
Entgegnung  veröffentlichte,  sich  in  stärkeren  Ausdrücken 
bewegt  hätte,  als  er  wirklich  thut.  Denn  nach  demjenigen, 
was  wir  soeben  anführten,  durfte  sich  Wyttenbach  in  der 
That  kaum  beschweren,  wenn  Van  Hemert  öfters  von  „nu- 
gae"  oder  von  „ineptissimus  garritus"  oder  selbst  wenn  er 
von  ,,inipudentia"  redet19).     Derselbe  erkennt   ausdrücklich 


\1)  Unter  diesen  Fackeln  haben  wir  wohl  die  „Prolegomena" 
(1783)  zu  verstehen,  doch  in  Erwägung  der  Parteistellung  Wyttenbach's 
könnte  man  auch  an  dieRecension  denken,  welche  Kant  überHerder's 
„Ideen"  in  der  Jenaer  Literatur-Zeitung,  1785,  veröffentlichte. 

18)  Somit  die  nämliche  gehässige  Denunciation,  durch  welche  auch 
Herder  in  seiner  Metakritik  die  Polizei  gegen  den  Kantianismus  zu 
Hilfe  rief. 

19)  Van  Hemert,  Epist.  ad  Wyttenb.  p.  15,  16,  32,  41, 


v.  Frantl:  Daniel  Wyttenbach  als  Gegner  Kant's.  273 

an,  dass  Wyttenbach  im  Gebiete  der  Philologie  mit  Glanz 
in  erster  Reihe  stehe,  darf  aber  auch  hinzufügen,  dass  der- 
selbe in  der  neueren  Philosophie  gar  schwach  bestellt  sei20). 
Auch  die  Insulten,  welche  Wyttenbach  der  kantischen  Phi- 
losophie zugefügt  hatte,  führt  Van  Hemert  darauf  zurück, 
dass  jener  eine  Verdunklung  seines  sonst  wohlverdienten 
Ruhmes  und  zugleich  die  Aufdeckung  seines  Mangels  an  phi- 
losophischem Wissen  befürchtet  habe21).  So  spricht  Van 
Hemert,  —  abgesehen  von  der  Widerlegung  einzelner  spe- 
culativer  Bedenken,  worauf  wir,  wie  oben  gesagt,  unten  zu- 
rückkommen werden,  —  öfters  im  Allgemeinen  den  Vorwurf 
der  Unkenntniss  aus22),  und  wir  werden  ihm  z.  B.  auch 
bezüglich  einer  scheinbaren  Kleinigkeit  gewiss  nicht  Unrecht 
geben,  insoferne  er  es  rügt,  dass  Wyttenbach  häufig  für  die 
Philosophie  Kant's  die  Bezeichnung  „Metaphysik"  wählte, 
denn  jeder  Kundige  weiss,  dass  es  sich  bei  Kant  gerade  um 
Beseitigung  aller  damals  üblichen  Metaphysik  handelte23); 
darum    ist    auch   die    Rechtfertigung,    welche    Wyttenbach 

20)  Ebend.  p.  44:  Uti  in  literis  regnas  atque  iv  nQo^tux^ig  iure 
summo  censeris ,  ita  in  recentiore  philosophia  plane  ävd'kxis  es  xai 
ovTi&ayog. 

21)  Ebend.  p.  11 :  An  quemquam  latere  posse  putas,  te  nulla  alia 
de  causa  doctrinae  Kantianae  adeo  vehementer  insultare  eosque  qui  eam 
profitentur,  tarn  flagranti  odio  persequi,  nisi  quod  verearis,  ne  tuis  ob- 
struatur  luminibus  et  tua,  quam  iactas,  philosophiae  peritia  prorsus  nulla 
esse  deprehendatur. 

22)  Z.*B.  ebend.  p.  16:  Te  in  maximarei,  contra  quam  disputasti, 

ignoratione  versari,  ostendam ^p.  18)  Doctrinam    ipsam  non  recte 

cepisti,  nedum  percepisti  aut  animo  totam  penitusque  eam  comprehen- 
disti. 

23)  Ebend.  p.  25  f. :  Toto  coelo  erras Purae  rationis  criticam 

considerando  velut  systema  quoddam  metaphysicum  novamque  appellando 

metaphysicam Estque  hie  tuus  error  eiusmodi,  ut  nullis  fere  aliis 

argumentis  mihi   opus    sit,  ....  te    doctrinae   Kantianae omnino 

ignarum  esse  et  de  mente  ac  praeeipuo  philosophi,  quem  inseetaris,  con- 
8Üio  nihil  quidquam  animo  pereepisse, 


274    Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  3.  November  1877. 

hierüber  zu  geben  versucht,  eine  schwache24).  Uebrigens 
hatte  Van  Hemert  gleichzeitig  mit  dieser  Epistola  durch 
Einen  seiner  Freunde  —  wohl  gewiss  Heumann  —  den 
nemlichen  Inhalt  in  holländischer  Sprache  zu  einem  Auf- 
satze in  dem  „Oekonomisch- literarischen  Theater"  verar- 
beiten lassen  und  somit  auch  für  populäre  Verbreitung 
dieser  Polemik  gesorgt25). 

Wyttenbach  aber  beeilte  sich  sofort  in  dem  nemlichen 
Jahre  1809  im  ersten  Bande  des  oben  erwähnten  Werkes 
„®ilona&ias  etc."  (Mise,  doctr.)  einen  langen  Aufsatz  mit 
der  Ueberschrift  „Ka&doowv"  zu  veröffentlichen,  in  welchem 
er  neben  abermaliger  Besprechung  der  eigentlich  speculativen 
Streitpunkte  (s.  sogleich  unten)  in  den  heftigsten  Worten 
seinen  Zorn  über  Van  Hemert  ausschüttete.  Er  sagt  z.  B., 
dass  bei  demselben  die  Schmähsucht  durch  einen  Mangel 
an  Vernunft  und  Talent,  welcher  sich  bis  zum  Wahnsinne 
und  zu  tollem  Geschrei  steigere,  noch  übertroffen  werde26), 
oder  er  nennt  ihn  geradezu  einen  unverschämten  Hund, 
welcher  einfältige  Lügen  ausschütte  und  es  für  Latein- 
schreiben halte,  wenn  er  die  Redewendungen  der  belgischen 
Fisch weiber  lateinisch  übersetze27)  u.  dgl.  mehr. 


24)  Wyttenbach,  Mise,  doctr.  I,  p.  39:  Et  tarnen  vulgo,  a  Kan- 
tianis  adeo,  subinde  appellatur  noraine  metaphysicae  Kantianae. 

25)  Ebend.  I,  p.  22. 

26)  Mise,  doctr.  I,  p.  24  f.:  Equidem  tantam  maledicentiam  ex- 
speetaveram,  tantam  inopiam  rationis  et  ingenü  non  exspeetaveram,  quae 
nisi  homini  defuissent,  poterat  aliquid  et  brevius  et  acrius  de  ista  ma- 
teria  conficere ;  nunc  iraeundia  eum  paulatim  a  iudicio  ad  insaniara  com- 
pulit,  ut  nil  nisi  voeiferaretur  et  debaccharetur. 

27)  Ebend.  p.  121:  Prorsus  e  suo  libello  discedit,  ut  praecisa  canis 
cauda,  nara  canern  quidem  impudentia  et  latratu  per  totum  libellam  se 
praestitit  cum  in  effutiendis  stolidis  raendaeiis  et  convieiis  tum  quod 
non  dubitavit  latine  scribere  nesciens,  latinitatera  constare  puritate  et 
urbanitate,  utrumque  ignorans,  putans,  hoc  esse  latine  scribere,  si  ea, 
quae  piscariarum  dictionibus  Beigice  composuisset,  latinis  verbis  redderet, 


v.  Prantl:  Daniel  Wyttenbach  als  Gegner  Kantfs.  275 

Haben  wir  hiemit  diese  literarische  Fehde  mehr  im 
Allgemeinen  und  nach  ihrem  äusseren  Auftreten  betrachtet, 
so  dürfte  hiebei  unser  Urtheil  sich  kaum  zu  Gunsten  Wyt- 
tenbach's  gestalten,  denn  durch  Gereiztheit  und  Feindseligkeit 
wird  noch  keine  vortheilhafte  Stellung  erreicht  gegenüber 
einem  Gegner,  welcher  seinen  Standpunkt  mit  Begeisterung 
ergriffen  hat  und  denselben  mit  Wärme,  aber  nicht  mit 
Wuth,  festhält.  Wyttenbach  erinnert  uns  naclj  dieser  Seite 
wirklich  an  die  Philologen  der  Renaissance-Periode,  welche 
in  ihrer  Voreingenommenheit  für  ciceronische  Rhetorik  nur 
mit  Hass  und  Spott  über  die  aristotelische  Logik  herfielen. 
Aber  wenn  wir  nun  unseren  Blick  auf  die  speculative  Kritik 
richten ,  welche  er  an  einzelnen  Puncten  der  kantischen 
Philosophie  übte,  so  finden  wir,  dass  ihm  weder  Unwissen- 
heit in  der  damaligen  Philosophie  vorgeworfen  noch  auch 
eine  gewisse  Schärfe  philosophischen  Urtheils  abgesprochen 
werden  kann.  Er  gibt  z.  B.  in  Kürze  den  Hauptkern  des 
Kantianismus  in  einer  Weise  an,  welche  wir  durchaus  nicht 
als  unrichtig  bezeichnen  können28),  und  sowie  er  sichtlich 
die  Einwände  kennt,  welche  seitens  der  leibniz-wolffischen 
Richtung  und  anderer  Gegner  (s.  ob.  Anm.  8)  gegen  Kant 
erhoben  worden  waren,  so  begnügt  er  sich  für  seinen  Zweck, 
einige  Puncte,   welche    er   als   besonders  massgebend   beur- 


quamvis  belgicismos  retineret.  Die  eben  erwähnte  „urbanitas"  können 
wir  allerdings  in  solcher  Schreibweise  nicht  entdecken ,  und  ausserdem 
empfangen  wir  den  Eindruck  einer  recht  schulmeisterlichen  Weise,  wenn 
er  p.  85  ff.  in  Einzelnheiten  über  die  Latinität  Van  Hemert's  herfällt. 
Aeusserungen  höchster  Entrüstung  über  Van  Hemert  finden  wir  auch 
in  den  von  Mahne  herausgegebenen  Epistolae  selectae  Wyttenbachii 
(Gent,  1829),  z.  B.  Fase.  I,  S.  90 :  „Emeritus  theologus,  vetus  maledi- 
centiae  athleta  et  philosophiae  Kantianae  praeco  me  ab  illa  seeta  alie- 
num  expertus  dirissima  convicia  e  triviis  collecta,  latinitate  barbara,  in 
me  effundere  conatus  est"  und  ähnlich  ebend.  S.  95  u.  101;  aber  über 
Kant's  Philosophie  selbst  kommt  in  dieser  Briefsammlung  Nichts  vor. 
28)  Epist.  ad  Lyndenura,  Opusc.  II,  p.  176  f. 


276     Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  3.  November  1817. 

theilte,  in  scharfer  Formulirimg  ins  Feld  zu  führen.  Der 
eine  oder  andere  darunter  ist  derartig,  dass  er  zu  allen 
Zeiten  bei  einer  Prüfung  der  kantischen  Philosophie  sich 
aufdrängen  muss.  Van  Hemert  hingegen  war  eben  Kantianer 
der  strictesten  Observanz,  und  so  muss  es  kommen,  dass 
wir  Epigonen  in  dem  Bestreben,  Kant's  inhaltsschwere  Ver- 
dienste und  Kant's  folgenreiche  Schwächen  richtig  zu 
schätzen,  den  beiden  Gegnern  mit  getheiltem  Beifalle  folgen 
werden,  indem  wir  an  dem  Einen  sowie  an  dem  Anderen 
bald  die  Berechtigung  bald  die  Befangenheit  beachten. 

Sechs  Puncte  sind  es,  welche  Wytteubach  in  den  Vor- 
dergrund gestellt  hatte,  und  bezüglich  deren  auch  sowohl 
die  Replik  Van  Hemerts  als  die  Duplik  des  ersteren  in  Be- 
tracht gezogen  werden  muss. 

Allerdings  nicht  von  grossem  Beiauge  ist  der  erste  Ein- 
wand ,  in  welchem  Wyttenbach  gegenüber  der  Annahme, 
Kant  habe  durch  seine  Kritik  den  Streit  zwischen  Dogma- 
tismus und  Skepsis  geschlichtet,  hervorhebt,  dass  der  Gegen- 
satz des  Dogmatismus  nur  in  der  Schule  der  Akademiker 
zu  erblicken  sei,  welche  die  Erkennbarkeit  der  Wahrheit 
geradezu  verneinen,  wohingegen  das  skeptische  Princip  des 
Zweifels  gerade  in  Mitte  zwischen  Bejahung  und  Verneinung 
stehe ;  Kant  selbst  aber  sei  bald  Dogmatist  bald  Akademisch 
bald  Skeptiker ;  ausserdem  noch  sei  das  Wort  „Kritik14  eine 
völlig  willkürliche  und  unpassende  Bezeichnung  des  Be- 
strebens die  Gränzen  der  menschlichen  Geistesfähigkeit  fest- 
zustellen29).   Van  Hemert  erwidert  hierauf  nicht  unrichtig, 


29)  Ebend.  p.  175:  Pronunciant:   Duplex   adhuc  metaphysicae  ac 

diversum  fuit  institutum,  alterum  dogmaticorum, alterum  scepti- 

corurn hanc  tandem  contentionem  sedavit  Kantius  adferens  criticam 

lila    divisio    nee   historiae   fidei   nee   logicae   legibus   congruit ; 

quippe  dograaticis  ....  verum   cognosci  posse   affirmantibus   opponendi 

sunt  ii,    qui  hoc   negant,   ut  Academici, horum   in   medio  sunt 

seeptici Kantius   autern    alüs   in   rebus  est  dogmaticus ,    in  alijs 


v.  Prantl:  Daniel  Wyttenbach  als  Gegner  Kant's.  277 

dass  nicht  abzusehen  sei,  warum  nicht  auch  die  Akademiker 
den  Vertretern  eines  Dogmatismus  beigezählt  werden  sollen, 
und  dass  die  Bemänglung  des  Wortgebrauches  „Kritik41 
einfach  gehässig  sei30).  Und  wenn  hiegegen  sich  Wytten- 
bach dadurch  vertheidigt,  dass  dann  den  Gegensatz  der  Dog- 
matisten  jene  Philosophen  bilden  müssten,  welche  überhaupt 
ihren  Mund  nicht  öffnen  und  sonach  die  Philosophen  in 
redende  und  schweigende  einzutheilen  wären,  so  dürfte  diess 
schwerlich  unseren  Beifall  finden31). 

Tiefer  aber  geht  der  zweite  Einwurf,  ja  derselbe  trifft 
einen  innersten  Kern  der  kantischeu  Philosophie,  welcher 
noch  heutzutage  ein  Gegenstand  schwierigster  Controversen 
ist  und  es  wohl  noch  lange  Zeit  bleiben  wird.  Wyttenbach 
fragt,  wie  denn  der  Philosoph,  welcher  die  menschliche  Er- 
kenntniss  auf  die  Erscheinung  beschränkt  und  aus  einer 
objectiven  zu  einer  subjectiven  gemacht  hat,  jemals  auf  ge- 
meingültig wahre  und  hiemit  objective  Gränzen  des  Erken- 
nens  gelangen  könne ;  es  sei  ja  unmöglich,  dass  der  mensch- 
lichen bloss  subjectiven  Vernunft  unabänderliche  ewige  Ge- 


negans, in  quibusdam  scepticus.  Deinde  fines  facultatum  animi  et  materiae 

cognoscendae  designare  et   inter    se   comparare  propositum   fuit 

Hanc  autem  finium  designationem  se  perfecisse  et  criticam  dixit  primus 

Kantius  solita  sibi  verborum  licentia Critica  cognoraen  magis  ad 

opinionem  vulgi  valebat, 

30)  Epist.  ad  Wytt.  p.  19:  Quo  tandein  iure  eos,  qui  cum  secundae 
tertiaeque  philosophis  Academiae  omnino  negant,   verum  cognosci  posse, 

dogmaticorum   numero  eximendos   censes? p,    23:   Quo   garritu 

ecquid  imperitius  dici  aut  odiosius  potest?  nam  quae  tandem  illa  est 
vel  esse  potest,  quam  crepas,  verborum  licentia  ?  latetne  illa  in  nomine 
Criticae  ? 

31)  Mise,  doctr.  I,  p.  34  f.:   Ergo  illi  Academici  iidem  sunt  dog- 
matici,  quia  aliquid  statuunt  negantes,  quidquam  pereipi  posse?  hoccine 

unquam  doypee  et  $oy^iKxi^uv  dictum  est  ? Quin  potius  qui  dog- 

maticus  esse  non   vult,    ne  loquatur  omnino  neque   os  aperiat;  itaque 

duas  habebimus  formas  philosophiae,  (pdaiv  et  dyaolav, et  duas 

faciemus  philosophorum  seetas,  loquentes  et  tacentes. 


278     Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  3.  November  1877. 

setze  einwohnen ,  welche  nur  in  der  göttlichen  Vernunft 
sich  finden  können82).  Van  Hemert  entgegnet  zunächst, 
dass  ,,wahru  und  „objectiv"  durchaus  nicht  identisch  seien, 
und  sodann  dass  Kant  in  der  That  ausschliesslich  nur  von 
den  subjectiven  Gränzen  des  Erkennens  spreche  und  an  ob- 
jective  Gränzen,  von  welchen  wir  nichts  wissen,  schlechter- 
dings nicht  gedacht  werden  dürfe ;  was  aber  die  Bemerkung 
über  die  göttliche  Vernunft  betreffe,  so  beruhe  diess  auf  einer 
Misskennung  der  ganz  verschiedenen  Stellung  und  Geltung 
der  reinen  und  der  praktischen  Vernunft33).  Wyttenbach 
aber  verbleibt  mit  dem  Zugeständnisse,  dass  er  eigentlich 
richtiger  „zweifelhaft"  statt  „subjectiv"  und  „gewiss"  statt 
„objectiv'  hätte  sagen  sollen,  doch  bei  seiner  vorigen  Auf- 
fassung, indem  er  darauf  hinweist,  dass  man  gewiss  nicht 
aus  der  Subjectivität  des  Erkennens  auf  die  Subjectivität 
des  zu  erkennenden  Objectes  schliessen  dürfe34).  Abgesehen 

32 )  Opusc.  II,  p  176  f.:  Qui  cognitionem  humanam  nee  modo  sen- 
sibilem  eius  partem  sed  et  intelligibilem  a  scientia  et  veritate  ad  opi- 
nionem    ac    speciem    traduxit    seu,    ut    nunc   loquuntur,    ex    obiectiva 

subiectivara    fecit, quoraodo   is   cum    subiectiva    sua    cognitione 

fines  veros,  quos  vocant  obiectivos ,    cognoscat  ? Quae  tandem  est 

illa  ratio?  scilicet  humana,  opinabilis,  subiectiva.  Huius  leges  igitur 
sunt  aeternae  et  immutabiles?  Ita  quidem  de  divina  ratione  loquuntur 
alii  philosophi,  et  fas  est  ita  loqui,  non  de  humana. 

33)  Epist.  ad  Wytt.  p.  29  f. :  Ne  ipsam  quidem  vocabulorum,  quae 

reprehendis,  vim  a  te  intellectam   esse  patet Unde   tibi  constitit, 

fines  veros  Kantio  eosdem   dici  haberique   cum  Ulis,    quos  nunc    vulgo 

obiectivos  appellant? Qai  enim  veros  humanae  cognitionis  fines  se 

nobis  designaturum  profitetur ,  is  profecto subiectivos ,  quos  vo- 
cant, fines  eosque  solos  intelligat  necesse  est,  ut  de  obiectivis  finibus 
ne  vel  cogitasse  censeri  possit ;  de  his  quippe  nulla  esse  potest  aut  cogi- 

tatio  aut  quaestio p.  32 :  Die  igitur,  quonam  in  libro  haec  legeris^ 

quae  lectori  narras Confundis  nimirum  rationem,  quam  theoreticam 

cum  ea,  quam  practicam  vocant,  et  utriusque  diversam  vim  diversumque» 
usum. 

34)  Mise,  doctr.  I,  p.  43:    Istius  reprehensjonis  ansam  non  dedis- 
sem,  si  pro  „subiectivo"  „dubium",  pro  „obiectivo"  „certum"  posuissem 


v.  Prantl:  Daniel  Wyttenbach  als  Gegner  Kant's.  279 

von  dem  Streite  über  die  Bedeutung  des  Wortes  „objectiv", 
wobei  Wyttenbach  nicht  völlig  im  Rechte,  Van  Hemert 
aber  fast  ganz  im  Unrechte  ist ,  berührt  hiemit  Ersterer 
jene  vielbesprochene  Einseitigkeit  Kant's,  welche  sowohl  in 
der  ausschliesslichen  Subjectivität  der  Anschauungsformen 
Raum  und  Zeit,  als  auch  in  der  bedenklichen  Stellung  des 
Dinges  an  sich  ihre  Rolle  spielt  und  schliesslich  dazu  führt, 
dass  das  Menschen- Subject  aus  dem  Zusammenhange  mit 
dem  Universum  losgeschält  wird ,  —  kurz  wir  stehen  hier 
vor  jenem  tiefsten  Puncte,  welcher  stets  allen  jenen  zu  Ge- 
müth  geführt  werden  sollte,  welche  heutzutage  in  den 
Grundfragen  eine  Rückkehr  zu  Kant  empfehlen  und  uns 
hiemit  zumuthen,  dass  der  ganze  folgerichtige  Abweg, 
welchen  die  Philosophie  nach  Kant  betreten  musste,  noch 
einmal  abgewickelt  werde.  Doch  diese  Fragen  weiter  zu  ver- 
folgen, ist  hier  nicht  der  Ort,  und  wir  kehren  hiemit  zu 
unseren  beiden  Kämpfern  zurück. 

Nicht  minder  beachtenswerth  ist  das  dritte  Bedenken 
Wyttenbach's.  Er  weist  nemlich  darauf  hin,  dass  die  Ka- 
tegorien, insoferne  dieselben  nach  Kant's  Auffassung  vor 
aller  Erfahrung  im  Denken  liegen  und  doch  nicht  wirklich 
gedacht  werden  sollen,  ehe  die  Erfahrung  hiezu  die  Anreg- 
ung bringt,  einen  inneren  Widerspruch  gegen  die  Apriorität 
überhaupt  enthalten ;  .  es  seien  auf  diese  Weise  die  Kate- 
gorien im  Denken  und  dabei  zugleich  doch  nicht  im  Denken, 
und  wenn  man  annehmen  müsse,  dass  die  Seele  gleichsam 
vierzehen  leere  Zellen  (die  zwei  reinen  Anschauungsformen 
und  die  zwölf  reinen  Verstandesbegriffe)  enthalte,  so  sei  es 
unfassbar,  wie  in  diesen  Zellen  vor  dem  Eintritte  der  Er- 
fahrung etwas  liegen  solle,   während  Nichts   in    denselben 

Sed  en  mirura  Horrearii  acumen :  omnis   finium,  inquit,  cognitio 

est  subiectiva,  ergo  fines  omnes  sunt  subiectivi.  Nil  vidi  minus.  Sic 
dicas  „Omnis  cognitio  trianguli  est  subiectiva,  ergo  orane  triangulum 
est  subiectivum."     Quod  quis  sanus  non  rideat? 


280     Sitzung  der  philos.-philoL  Classe  vom  3.  November  1877. 

sei.  Spricht  hiemit  Wyttenbach  auch  hier  das  nicht  unbe- 
rechtigte Gefühl  aus,  dass  die  kantische  Isolirung  des  Sub- 
jectes  zur  unbestimmbaren  Leere  führe,  so  knüpft  er  zu- 
gleich eine  positive  Forderung  an ,  welche  uns  sofort  an 
Jacobi  erinnert;  man  solle  nemlich  bedenken,  dass  in  dem 
selbstbewussten  Ich,  wie  eben  dasselbe  thatsächlich  ist,  das 
Motiv  der  sinnlichen  Erfahrung  sich  miteingeschlossen  findet, 
und  somit  in  diesem  vollen  Menschen-Subjecte  eine  Anzahl 
ontologischer  Grund  -  Begriffe  liege,  welche  der  Realität 
mehr  entsprechen,  als  der  kantische  Formalismus35).  Na- 
türlich behaupten  wir  nicht,  dass  Wyttenbach  hiemit 
das  schwierigste  Problem  einer  speculativen  Vereinbarung 
zwischen  Subject  und  Object  (bezüglich  des  Raumes,  der 
Zeit,  der  Bewegung  u.  s.  f.)  bereits  wirklich  gelöst  habe, 
und  andererseits  verargen  wir  es  ihm  nicht,    dass  er  nicht 


35)  Opusc.  II,  p.  181  ff.:  Categoriae  illae  a  Kantio  sie  informantur, 
ut  proprium  metaphysicae  officium  quod  in  „via  a  priori"  positum  est, 
evertant.  Dicit  enim,  eas  ante  sensibilium  visorum  adventum  in  animo 
esse  nee  tarnen  cogitari,  sed  per  illa  demum  "fcxcitari ....  Sed  Kantianis 
categoriis  plane  aeeidit  illud  Aristophanis  de  Euripide,   de  quo   aliquis 

interroganti,  an  domi  sit,  respondet :  eySov  xcel  ovx  evöov Kantio 

animus  tabula  rasa  est,  non  tarnen  plane,  sed  quasi  distineta  parvulis 
vel  ollis  exstantibus  vel  reeeptaculis  depressis  tanquam  lacunis  aut  cellis 
apum  duodeeim  categoriis  et  duabus  conditionibus  intuitionis  tempore 
et  spatio  .....  Illud  autem  volebam,  Kantium  per  istam  categoriarum  in- 
anitatem  ipsum  hoc  suum  a  priori  natum  opus  elementarium,  hanesivemeta- 
physicam  sive  puram  rationera,  funditus  tollere.  Nam  illae  profecto  formae, 
illa  reeeptacula  vacua  sunt,  anteaquam  experientia  quid  in  ea  infuderit ,  et 
nihil  habent;   hoc   autem  nihil  aliquid  esse,    liceat  criticis  philosophis 

affirmare p.  185  f.:  Haec  „conscientia",  hoc  „ego"  habet  in  se  in- 

volutum  sensum, durationis  suae,  successionis,  temporis,  libertatis. 

....  Jpsum  „ego"  protinus  infixam  notionem  habet  substantiae,  a  qua 

distinguit   aeeidentia Ex  quantitate  materia ,   finitum,   infinitum, 

perfectum,  imperfectum,  ex  qualitate  forma,  ordo,  temeritas  seu  confu- 
sio,  bonum  et  malum,    suave  et  insuave,   pulcrum    et  turpe.    Hae  sunt 

notiones  praeeipuae  ontologicae Accedunt   novae  corporum ,  exten- 

sionis,  soliditatis,  spatii,  motus. 


v.  Prantli  Daniel    Wytteribach  als  Gegner  Kant's.  281 

an  der  Hand  der  Geschichte  der  Logik  die  Hinfälligkeit  der 
ganzen  Kategorienlehre  Kant's  aufgezeigt  hat ;  aber  wir 
geben  ihm  zu,  dass  er  auf  eine  der  wundesten  Stellen  des 
Kantianismus  hingedeutet  hat.  Daher  finden  wir  es  auch 
erklärlich,  dass  Van  Hemert  als  ächter  befangener  Kanti- 
aner nur  eine  sehr  schwache  Erwiderung  zu  geben  vermag. 
Derselbe  stützt  sich  nemlich  auf  eine  blosse  Analogie,  indem 
er  betont,  dass  auch  in  der  Sinneswahrnehmung  die  in  den 
Organen  liegenden  Formen  erst  in's  wirkliche  Dasein  ge- 
rufen werden  ( —  wie  verhängnissvoll  diese  Analogie  werden 
könne,  und  wie  im  Gefolge  derselben  sich  der  gegenwärtige 
Streit  zwischen  Nativismus  und  Empirismus  einstellen  müsse, 
konnte  er  allerdings  nicht  ahnen  — ) ,  und  ausserdem  ver- 
wendet er  nur  das  wohlfeile  Mittel,  seinem  Gegner  Unkenut- 
niss  und  Verwechslungen  vorzuwerfen36).  Bei  solcher  Sach- 
lage konnte  dann  auch  Wyttenbach  kaum  etwas  anderes 
thun,  als  dass  er  die  Analogie  zurückwies  und  den  Vorwurf 
der  Verwechslung  einfach  zurückgab37). 


36)  Epist.  ad  Wytt.  p-  36  ff. :  Totum  hoc  categoriarum  negotium 
haudquaquam  a  te  intellectum  esse,  ex  iis,  quae  dixisti,   manifesto  iam 

apparuit Rogatum  te  unice  velim,  ecqua  in  eo  posita  esse  repug- 

nantia  possit,  si  quis  categorias,  h.  e.  cogitandi  formas,  ante  sensibilium 
visorum  adventum  in  animo  iam  esse  nee  tarnen  cogitari,  sed  per  illa 
demum  excitari  statuat.  Vel  an  et  hoc  tibi  absurdum  esse  sibique  ipsum 
repugnare  videtur,  formam  videndi  audiendive  in  fabrica  nostrorum  ocu- 

lorum  vel  aurium  latere  ? Quod  igitur  de  commento  categoriarum 

.  .  .  .  effutiisti,  crassa  illud  pinguique  Minerva  a  te  fictum  certoque 
simul  argumento  est,  te  ne  vel  primae  rei,  quam  impugnas,    elementa 

cognita  habere Categorias  confundis   cum    aliis   animi  notionibus 

prineipibus,  velut  conscientia  sui  etc Odiosis  quibusdam  imperio- 

sisque  edictis  reprehensioni  tuae  apud  idiotas  auetoritatem  concilias. 

37)  Mise,  doctr.  I,  p.  53  f.:  Diversissima  coniungit   bonus  Horre- 
arius  cogitandi  et  sentiendi  officia.     In  sensibus  corporis  concedimus  ut 

in  corporea  natura ,  in  animo   non   concedimus Horrearius  mea 

cum  suis  commiscet.  Quis  enim  nescit,  quae  sint  duodeeim  illae  cate- 
goriae  Kantianae,  neque  in  his  ego  numeravi  conscientiam  sui  etc.,    sed 

[1877.  I.  Philos.-philol.  3].  20 


282     Sitzung  der  philos.  philo! .  Clast>e  vom  3.  Noven.ber  1877. 

Eine  vierte  Gruppe  von  Einwänden  Wyttenbach's  be- 
trifft gleichfalls  die  Kategorien,  indem  zunächst  die  logische 
Herkunft  derselben  überhaupt  als  eine  ungeeignete  bezeichnet 
wird,  da  eine  feste  Grundlage  der  Philosophie  nicht  durch 
eine  nominalistische  Logik,  sondern  nur  durch  reale  meta- 
physiche Kategorien  gewonnen  werden  könne.  Sodann  tadelt 
er,  dass  die  Limitation ,  welche  zur  Quantität  gehöre ,  bei 
der  Qualität  eingereiht  ist,  sowie  ( -  gewiss  mit  Recht  — ), 
dass  das  sog.  unendliche  Urtheil  nicht  in  genügender  Weise 
vom  verneinenden  unterschieden  wird,  ferner  dass  bei  den 
mehrfältigen  Kategorien  der  Relation  und  der  Modalität 
die  Dreizahl  nur  künstlich  erzwungen  sei.  Ausserdem  findet 
er  es  ungehörig,  dass  das  Principium  identitatis  in  der  Ka- 
tegorientafel gar  keine  Stelle  gefunden,  und  das  Principium 
causalitatis  durch  die  Einfügung  in  die  Relation  förmlich 
in  die  Ecke  gestellt  worden  sei,  sowie  letzteres  durch  die 
Beschränkung  auf  den  Umkreis  der  Erfahrung  von  vorn- 
herein wankend  gemacht  werde  und  untauglich  bleibe,  zu 
einer  letzten  göttlichen  Causalität  fortzuschreiten38).  Hiebei 


pronuntiavi,  has  et  alias  contineri  in  classe  notionum  principura  et  se- 
minalium  multo  magis,  quam  plerasque  categorias  Kantianas. 

38)  Opusc.  II,  p.  183  f.:  Categoriae  istae  neque  ortu  neque  numero 
sunt  id,  quod  debent  esse,  i.  e.  non  habent   iustum  ortum,   et  numerus 

duodenarius  temere  iis  ut  necessarius  affingitur.    Categorias  enim 

non  volumus  logicas,  sed  metaphysicas,  ut  vulgo  loquuntur,  reales,  non 
nominales,  non  logici  quadro  ordinatas,  sed  ante  omnem  non  modo  lo- 
gicam  institutionem ,  sed  experientiae  actionem  et  rerum  externarum 
ad  sensus  corporis  appulsionem  in  animo  impressas.  Cui  autem  bono 
fuit,  aedificium  ad  aeternas  et  immutabiles,  ut  ipse  ait,  rationis  leges 
exactum  tarn  vago  logicae  de  enuntiationum  divisione  praecepto   super- 

struere? Limitatio,   quae   est   species  quantitatis  et   eadem  quae 

particularitas,  qualitati   subiicitur ; eadem  limitatio  ducitur  ex 

enuntiatione  infinita,    et  liaec  ipsa  non    satis  accurate  ab  enuntiatione 

negante  distinguitur ; relationis  et  modalitatis,    quum    sex  utri 

usque  categoriae  recenseantur,  hae  non  nisi  pro  tribus  numerantur,  sc.  ut 
numerus   duodenarins   extorqueatur p.  188    f.:  In  eadem  pliiloso- 


v,  Prantl:  Daniel  Wyttenbach  als  Gegner  Kant's.  283 

ist  ersichtlich,  wie  sehr  Wyttenbach  eben  doch  in  der  alten 
Schule  befangen  bleibt,  von  der  üblichen  theologisir enden  Me- 
taphysik, neben  welcher  die  formale  Logik  losgerissen,  in  der 
niedrigeren  Stellung  eines  Werkzeuges  herlaufen  soll,  sich 
nicht  zu  trennen  vermag,  und  in  der  Auffassung  des  A  priori 
und  A  posteriori  dem  leibniz-wolffischen  Pfade  folgend  dem 
traditionellen  Dualismus  huldigt.  Und  so  war  es  auch  für 
Van  Hemert  kaum  möglich,  bei  so  völlig  verschiedener 
Grundanschauung  in  eine  Einzeln -Discussion  einzutreten. 
Er  schweigt  in  der  Epist.  ad  Wyttenb.  über  diese  Puncte, 
und  nur  sein  Freund  hat  in  dem  oben  (Anm.  25)  erwähnten 
Aufsatze  zur  Erwiderung  den  Ausdruck  gebraucht,  dass  es 
Wortklauberei  („verborum  captio")  sei,  was  Wyttenbach 
gesagt  habe39). 

Indem  hierauf  Wyttenbach  in  einem  fünften  Einwurfe 
es  tadelt,  dass  von  den  Kategorien  kein  inneres  Band  zu 
den  höchsten  Gegenständen  des  Erkennens  führe ,  berührt 
er  das  allbekannte  Verhältniss  der  reinen  Vernunft  zur 
praktischen  Vernunft  und  findet  es,  wie  sämmtliche  Gegner 
Kant's,  völlig  ungehörig,  dass  letztere  über  das  Gebiet  des 
Praktischen  hinausgreife  und  in  Bezug  auf  Gott,  Freiheit 
und  Unsterblichkeit  zu  theoretischer  Statuirung  gelangen 
wolle,  während  doch  bei  richtigem  Verfahren  umgekehrt 
das  Praktische  aus  dem  Theoretischen  abgeleitet  werden 
müsse;    auf  dem  Umwege  eines  überdiess  zweifelhaften  Ge- 

phia  critica  ex  illis  duobus  omnis  cogitationis  fundamentis  et  omni  na- 
turae  cogitanti  praesentibus  quasi  luminibus,  principiis  repugnantiae  et 
causae,  ut  illud  ornittitur,  sie  hoc  categoriae  relationis  subiieitur,  ex  il- 

lustri  loco  in  angulum  abiieitur  et  omnino  quasi  ludibrio  habetur 

Et  quum  metaphysicam  non  ultra  fines  experientiae  pertinere  vult,  in- 
primis  huis  prineipii  vim  labefaetat;  negat  enim,  illud  nos  adducere  ad 

Cognitionen!  causae  primae  omniumrerum,  i.  e.  dei In  illa  autem 

vetustiorum  ennoiogonia  prineipium  causae  habet  necessitatem  et  auc- 
toritatem  universalem. 

39)  Mise,  doctr.  I,  p   70. 

20* 


284     Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  3.  November  1877. 

fühles  werde  mittelst  des  kategorischen  Imperatives  Gott 
schliesslich  als  „Deus  ex  machina"  eingeführt40).  Natürlich 
entgegnet  hierauf  Van  Hemert  nur  durch  die  Betheuerung 
seines  kantischen  Standpunctes,  dass  jene  drei  Ideen  wirklich 
nur  Gegenstand  der  praktischen  Vernunft  seien,  und  diess 
auch  von  Jedem  zugegeben  werden  müsse,  welcher  die  Be- 
deutung der  Antinomien,  die  sich  für  die  theoretische  Ver- 
nunft ergeben,  zu  erfassen  vermöge41).  Letzteres  weist  dann 
Wyttenbach  durch  die  Bemerkung  zurück,  dass  die  Antino- 
mien nur  eitle  Sophismen  seien,  und  auch  er  seinerseits 
verbleibt  bei  seiner  Meinung,  indem  er  alle  Postulate  über- 
haupt als  einfältigen  Aberglauben  bezeichnet48). 


40)  Opusc.  II,  p.  190  f.:  Non  consentaneus  sibi  est  in  eo,  quod, 
quum  categorias   a   priori   intelligibiles    et  antiquiores   esse  experientia 

statuit,  ab  his  nullum  progressum  ad  nova  intelligibilia  concedit 

Tum  quod  illa  tria  placita  „dei,  immortalitatis,  libertatis"  ex  metaphy- 
sica  ad  ethicam,  ex  theoretica  ratione  ad  practicam  relegat,  non  modo 
haec  ipsa  placita  labefactat,  ex  lucido  firmoque  intelligentiae  fastigio 
in  lubricam  et  confusam  interni  sensus  latebram  reiiciens,  sed  acpCkoaocpias 

agit  et  ipsum  primum  philosophiae  officium  negligit Theoretica 

dogmata  ex  practico   ducuntur  contra   naturam  philosophiae,   cuius  est 

practica  ex  theoretico  ducere Illa  tria  theoretica  dogmata  longe 

dilucidiora  et  minus  incerta  sunt ,   quam   ille  sensus  moralis  dubius  et 

controversus novo  habitu  imperatorio,  inaudito  nomine  imperativi 

categorici  in  scenam  revocatus  et  productus.  Nonne  hoc  est  Deum  ex 
machina  inducere? 

41)  Epist.  ad  Wytt.  p.  39  f.:   Aegre  ferre  videris divinae 

naturae  ac  providentiae ,  libertatis  atque  immortalitatis  animorum  no- 
strorum  probationem  non  purae  rationis,  sed  practicae  rationis  esse  ar- 
gumentum. Ita  certe  statuit  Kantius.  Et  recte  quidem,  ut  norunt  omnes, 
quotquot  illius  vim  doctrinae  illustremque,  qui  est  de  antinomiis,  locum 
satis  perceperunt. 

42)  Mise,  doctr.  I,  p.  56 :  Virum  se  praestitisset,  si  ostendisset,  illas 
illustres  antinomias  iustas  argumentationes  nee  vana  sophismata  esse  .... 
(p.  57)  Quod  omnium  longe  est  nr^udo^oiuToy  et  manifestum  vategov 
7i(JOT£Qovf  theoretica  dogmata  ex  practico  ducuntur (p.  58)  Haec 


v.  Prantl:  Daniel  Wyttenbach  als  Gegner  Kant's.  285 

Endlich  der  sechste  Punct  bezieht  sich  auf  jene  Grund- 
lage, welche  Kant  seiner  ganzen  Philosophie  durch  die  trans- 
scendentale  Aesthetik  gegeben  hat.  Wyttenbach  nemlich 
bemerkt,  Kant  sei  durch  die  von  Niemandem  geleugnete 
Thatsache,  dass  alle  Sinneswahrnehmung  an  Raum  und  Zeit 
gebunden  ist,  zu  dem  Schlüsse  verleitet  worden,  dass  alles 
Nicht  -  sinnliche  nicht  an  Raum  und  Zeit  gebunden  sei; 
diess  aber  sei  nach  den  Regeln  einer  jeden  Logik  ebenso 
unbedacht  und  verfehlt,  wie  wenn  man  z.  B.  folgender- 
massen  schliessen  wollte:  „Alle  Hunde  haben  vier  Füsse, 
folglich  hat  Alles,  was  nicht  Hund  ist,  nicht  vier  Füsse1143). 
Je  mehr  aber  Wyttenbach  hiemit  wirklich  den  Nagel  auf 
den  Kopf  getroffen  hat,  desto  kläglicher  ist  die  Erwiderung, 
durch  welche  der  Freund  Van  Hemer t's  (s.  Anm.  25)  die 
Verteidigung  zu  führen  versuchte;  derselbe  sagt  nemlich: 
Wenn  Jemand  jene  vier  Füsse  durch  ein  grünes  Glas  be- 
trachte, müssen  ihm  dieselben  nothwend ig  grün  erscheinen44). 
Dass  hiemit  die  ganze  Erkenntnisslehre  Kant's  preisgegeben 
sei,  scheint  der  ungeschickte  Freund  nicht  bemerkt  zu  haben, 
und  Wyttenbach  befindet  sich  in  der"  günstigen  Lage,  diese 


ita  sunt  conclusa,  quasi  comica  persona  superstitiosa  eadem  et  stupida 
agatur,  non  quasi  philosophus  loquatur,  quid  sit  postulatum,  quid  con- 
sequentia,  intelligens. 

43)  Opusc.  II,  p.  192  f.:  Quum  omnes  ab  omni  aevo  tenuerint 
philosophi,  res  sensibiles  ad  tempus  et  spatium  esse  adstrictas,  hi  novi 
critici  ita  iactarunt,  quasi  soli  scirent  et  reperissent.  Et  sane  aliquid 
adiecerunt ,  hanc  sc.  conclusionem :  „Ergo  res  non  sensibiles  non  ad 
tempus  et  spatium  adstrietae  sunt ,"  quod  aeque  eleganter  conclusum 
est  atque  illud:  „Omnes  canes  liabent  quatuor  pedes,  ergo  qui  non  sunt 
canes  non  habent  quatuor  pedes."  Scilicet  non  attenderunt  ad  magni- 
tudinem  subiecti  et  praedicati  eorumque  proportionem.  Sed  huiusmodi 
paralogismi  apud  novos  istos  criticos  non  sunt  infrequentes. 

44)  Mise,  doctr.  I,  p.  72:  Fingaraus,  tuos  pedes  et  pedes  canis  esse 
voovfitvu  et  esse  aliquem,  qui  eos  adspiciat  per  dioptram  vitri  viridis; 
necesse  erit,  ut  ei  bi  pedes  viridis  coloris  esse  videantur. 


286      Sitzung  der  philo.s.-ijhilül.  Classe  vom  3,  November  1877. 

Wendung  des  Gegners  völligst  für  sich  ausnützen  zu  könuen, 
indem  er  erwidert,  dass  bei  solcher  Annahme  ganz  gewiss 
auch  sämmtliche  Noumena  an  Raum  und  Zeit  gebunden 
sind45). 

So  hat  Wyttenbach  bei  aller  Ungehörigkeit  der  Form, 
in  welcher  er  Polemik  übte,  seinen  Zeitgenossen  Manches 
über  Kant's  Philosophie  zu  denken  gegeben,  was  auch  heut- 
zutage noch  nicht  seinen  Werth  verloren  hat,  sondern  bei 
jedem  Bestreben,  ( —  wie  man  sich  ausdrückte  — )  „um 
Kant  herumzukommenu,  erwogen  werden  soll. 


45)  Ebend  p.  73 :  Nonne  videt  hinc  sequi,  quia  res  sensibiles  per 
hanc  nostram  quasi  sensuum  dioptram  spatio  ac  tempori  adstrietae  sunt, 
etiam  intelligibiles  res  iisdem  adstrietas  esse  et  his  utrumque  eodem 
iure,  quo  sensibilibus,  tribui  debere. 


Sitzung  vom  3.  November  1877. 


Historische  Classe. 


Herr  v.  Giesebrecht  theilte  mit: 
„Beiträge  zur  Geschichte  Kaiser  Friedrich's  I." 


Sitzung  vom  1.  Dezember  1877. 


Philosophisch-philologische  Classe. 


Herr  Trumpp  legte  vor: 

„Ueber  das  indische  Schuldrech  t"  von  J.  Jolly. 

Abkürzungen. 
Brih.  —  Brihaspati.  D.  —  Colebrooke's  Digest.  Gaut.  —  Gau- 
tama.  Käty.  —  Kätyäyana.  Kuli.  —  Kullüka.  M.  —  Manu.  May.  — 
Vyavahäramayükha.  Mit.  —  Mitäksharä.  N.  —  Närada.  Vaij.  — 
Vaijayanti.  Vas.  —  Vasishtba.  Vi.  —  Vishnu.  Vir.  —  Viramitrodaya. 
Viv.  —  Vivädacintämani.     Y.  —  Yäjnavalkya. 

§.   1.  Allgemeines.  Quellen  und  Anordnung. 

Das  Schuldrecht  nebst  dem  damit  untrennbar  verbun- 
denen Pfand-  und  Bürgschaftsrecht  steht  in  den  eigentlichen 
Rechtswerken  der  Inder  durchaus  im  Vordergrund  der  Be- 
trachtung. Nicht  nur  nimmt  in  den  drei  sonst  mehrfach 
differirenden  Aufzählungen  der  18  Klagegründe  oder  Rechts- 
materien, die  uns  überliefert  sind,  bei  M. ,  N.  und  Brih., 
die  Eintreibung  einer  Schuld  rinäddna  allemal  die  erste 
Stelle  ein1),  sondern  es  wird  auch  in  der  ganzen  Lehre  vom 


1)  Aucb  bei  Y„  der  die  Vivädapada  nicht  kennt,  wird  das  Schuld- 
recht  doch  an  erster  Stelle  (2,  37  ff.)  abgehandelt,  bei  Vi.  (abgesehen 
vorn  Erbrecht)  an  letzter,  aber  in  einem  eigenen  Capitel,  dem  6., 
während  das  vorausgehende  5.  fast  alle  übrigen  Rechtsmaterien  umfasst. 


288     Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

Gerichtsverfahren  stets  in  erster  Linie  auf  Schuldklagen 
Bezug  genommen.  Da  eine  Darstellung  des  indischen  Pro- 
cesses  einer  besonderen  Arbeit  vorbehalten  werden  muss,  so 
sei  hier  nur  erwähnt,  dass  bei  N.2)  das  Schuldrecht  nicht  mit 
den  übrigen  Rechtsmaterien  im  zweiten  jTheile  seines  Werks, 
sondern  schon  in  adhy.  3  und  4  in  Zusammenhang  mit 
dem  Process  vorgetragen  wird,  dass  bei  M.  sogar  das  ganze 
Zeugen  verfahren  nebst  den  Ordalien  nur  als  eine  Art  Inter- 
mezzo des  Schuldrechts  erscheint  (8,  47 — 61.  139—178), 
und  dass  bei  Vi.  und  Y.  ebenfalls  eine  ganze  Reihe  pro- 
cessualischer  Regeln  (z.  B.  Vi.  9,  4  ff.  Y.  2,  11.  18.  20), 
namentlich  der  ganze  Abschnitt  über  Beweis  durch  Schrift- 
stücke (Vi.  7.  Y.  2,  84—94),  vornemlich  auf  Schuldklagen 
Bezug  haben.  Die  vorherrschend  religiösen  Rechtsbücher 
enthalten  entweder  wie  Baudhäyana  und  Apastamba  gar 
keine,  oder  wie  Gaut.  (12,  29—36.  40—42)  und  Vas.  (16) 
nur  ganz  wenige  das  Schuldrecht  betreffende  Bestimmungen. 
Neben  den  genannten  vollständigen  Gesetzbüchern  bilden 
die  nur  aus  Citaten  in  den  späteren  Compendien  (Dharma- 
nibandhas)  bekannten  Werke  des  Brih.,  Käty.,  Vyäsa  etc. 
die  zweite  Hauptquelle.  Von  den  Dharmanibandhas  waren 
mir  die  Drucke  des  Vir. ,  Viv. ,  Ragh.  (Vyavahäratattva), 
Kuli,  und  der  Mit.  sowie  gute  Hss.  der  Vaij.  —  Jagannätha's 
Vivädabhangärnava  und  der  May.  nur  in  den  englischen  Ueber- 
setzungen  Colebrooke's  (Digest  of  H.  L.)  und  Borrodaile's 
zugänglich.  Die  Citate  in  den  beiden  letzteren  Werken 
sind  in  der  Regel  nur  zur  Controle  des  Textes  und  als 
Hülfe  bei  der  Uebersetzung  benützt,  da  wo  sich  aus  einem 
der  Sanskritwerke  der  Wortlaut  des  Originalcitates  ent- 
nehmen Hess,  was  meistentheils  der  Fall  war.  Auch  in  der 
Anordnung  folge  ich  so  viel  als  möglich  den  Quellen,  und 
zwar    dem   Vir.    und   den    anderen    späteren    und    desshalb 


2)  Aus  Vas.  gehört  hieher  der  erste  cl.  in  16  =  N.  IV,  2. 


J.  Jolly:   Ueber  das  indische  Schuldrecht.  289 

ausführlicheren  und  systematischeren  Dharmanibandhas, 
deren  Eintheilung  des  Stoffes  übrigens  im  Wesentlichen  aus 
M.  übernommen  scheint ;  nur  wird  bei  diesem  die  Lehre  von 
der  Eintreibung  der  Schulden  vorangestellt.  Sowohl  von  M. 
als  unter  einander  weichen  die  übrigen  vollständigen  alten 
Gesetzbücher  in  der  Reihenfolge  der  Materien  ab;  über  die 
nur  aus  Citaten  bekannten  lässt  sich  natürlich  nach  dieser 
Seite  hin  kein  Urtheil  fällen.  Die  im  Allgemeinen  so  schätz- 
baren Glossen  etc.  in  den  Dharmanibandhas  sind  mit  Vor- 
sicht verwerthet;  sehr  oft  kommt  den  Commentatoren  auch 
in  diesem  Theile  des  Rechts  ihre  Theorie  von  der  prästa- 
bilirten  Harmonie  aller  Smritistellen ,  zumal  der  unter  dem 
gleichen  Autornamen  gehenden,  in  die  Quere.  So  findet  sich, 
um  hier  von  vielen  Beispielen  nur  eines  zu  erwähnen,  bei 
Brih.3)  die  Bestimmung,  dass  ein  Pfand,  auch  wenn  das 
darauf  geliehene  Gold  zusammen  mit  den  Zinsen  die  dop- 
pelte Höhe  des  ursprünglichen  Capitals  erreicht  hat  und 
daher  nicht  weiter  zu  verzinsen,  sondern  sofort  zurückzu- 
zahlen ist,  erst  nach  14  Tagen  eingelöst  zu  werden  braucht; 
aber  derselbe  Brih.  gewährt  an  einer  anderen  Stelle  im 
gleichen  Falle  dem  Schuldner  nur  eine  Frist  von  10  Tagen. 
Der  Vir.  (p.  316)  urgirt  in  der  ersteren  Stelle  das  Wort 
Gold  und  bezieht  das  zweite  Citat  aus  Brih.  ausschliesslich 
auf  anderweitige  Darlehen  z.  B.  von  Kleidern,  obschon  es 
-ganz  allgemein  gefasst  ist.  Noch  grundloser  will  der  Rat- 
näkara  (citirt  im  D.  1,  3,  CXVl)  die  zweite  Stelle  nur  auf 
ortsanwesende,  die  erste  nur  auf  verreiste  (entflohene) 
Schuldner  bezogen  wissen.  Dass  indessen  den  Glossatoren, 
wenn  nicht  die  Idee  einer  zeitlichen  Entwicklung,  doch  die 
einer  localen  Verschiedenheit  der  Gesetze  ganz  geläufig  war, 
zeigt  auch  hier  der  häufige  Gebrauch,    den    sie    von    einem 


3)  Mit.  88,  May.  V,  2,  6.  Im  Vir.  315  wird  diese  Stelle  dem  Brih. 
und  Vyäsa,  im  D.  I,  3,  CXVI  dem  Vyäsa  allein  beigelegt. 


290    Sitzung  der  philos.-philol.  Hasse  vom  1.  Dezember  1877. 

Spruche  des  N.  über  die  Verschiedenheit  des  Zinsfusses  je 
nach  dem  Orte  (§  3)  machen,  um  die  sehr  starken  Discre- 
panzen  der  Smritis  in  diesem  Puncte  zu  erklären. 


§.  2.  Namen  und  Form,   Entstehung  und  Beendig- 
ung der  Schuldverträge. 

Das  gewöhnliche  Wort  für  „Schuld",  rina,  weist  den- 
selben Bedeutungsübergaug  wie  debitum  auf;  die  Bedeutung 
„Verpflichtung"  tritt  in  den  Vedas  und  in  zend.  arena1) 
noch  deutlich  hervor,  auch  lat.  reus  ist  vielleicht  damit  ver- 
wandt. Daneben  wird  speciell  für  Gelddarlehen  der  Ausdruck 
Jcusida  gebraucht,  d.  h.  etwas  fest  Sitzendes,  wovon  man 
sich  nicht  befreien  kann  (B.  R.);  nach  Brih.  wäre  es  da- 
gegen von  hutsita  und  stdat  abzuleiten,  als  eine  Schuld 
sammt  Zinsen,  die  man  von  einem  „Bedrängten41  und  „im 
Elend  Befindlichen"  svurückfordert  (sie.) 

Vor  der  Einführung  der  Schrift  in  Indien,  die  be- 
kanntlich nicht  wohl  früher  als  in  das  3.  Jahrh.  v.  Chr.  ge- 
setzt werden  kann,  hing  die  Gültigkeit  der  Schuld-  wie  aller 
Verträge  hauptsächlich  von  der  Anwesenheit  von  Zeugen 
bei  der  Abschliessung  ab.  Dies  ist  im  Wesentlichen  noch 
der  Standpunkt  M.'s,  der  die  Minimalzahl  der  Zeugen  auf 
drei  festsetzt,  die  Qualitäten  eines  gültigen  und  ungültigen 
Zeugen  aufzählt  und  überhaupt  das  Zeugenrecht  mit  grosser 
Ausführlichkeit  tractirt.  Dagegen  weist  auf  schriftliche  Ver- 
träge deutlich  nur  M.  8,  168  hin,  wo  von  der  Ungültigkeit 
erzwungener  Verschreib ungen  die  Rede  ist,  und  dieser  9I. 
kann,  da  er  auch  bei  N.  4,  55  vorkommt,  bei  M.  interpo- 
lirt  sein.  Auch  den  Ausdruck  harana  8,  52.  154  bezieht 
Kuli,  auf  Urkunden ;    allein  er   bedeutet  an   ersterer  Stelle 


4)  Haug,  Sitzungsber.  d.  bayr.  Ak.  1872,  I,  133,  Fick,  Wörterbuch 
I,  226. 


J.  Jolly ;  Ueber  das  indische  Schuldrecht.  291 

wie  in  51  (Jcaranena  lehhyasähshidivyddind  Kuli.)  Beweis- 
mittel ,    an    letzterer    einen    Vertrag ,    der    durchaus    nicht 

schriftlich  zu  sein  braucht.  Auch  Gaut.,  Baudhäyana,  Apa- 
stamba  kennen  nur  den  Beweis  durch  Zeugen,  während  bei 
Vas.  Vi.  Y.  N.  die  Schriftstücke  als  ein  zweites  und  zwar 
entscheidenderes  (N.  4,  70)  Beweismittel  erscheinen,  dem  die 
drei  letzteren  einen  besonderen  Abschnitt  (leJchyavidhi)  widmen. 
Wie  schon  in  §  1  erwähnt,  ist  darin  vornemlich  von  Schuld- 
verträgen die  Rede:  so  erwähnt  Y.,  dass  in  einer  Urkunde 
der  Name  des  Gläubigers  voranstehen  müsse,  Vi.  und  Y. 
geben  an ,  was  zu  thun  ist ,  wenn  der  in  einer  Urkunde 
unterzeichnete  Gläubiger,  Schuldner,  Zeuge  oder 
Schreiber  nicht  mehr  am  Leben  sind5).  Die  genauen  Vor- 
schriften über  Prüfung  der  Schriftstücke  nach  der  Hand- 
schrift der  Parteien,  besonderen  Zeichen  u.  s.  w.  beweisen, 
dass  Fälschungen  häufig  vorkamen.  Im  Allgemeinen  stellen 
M.  Y.  Vi.  N.  es  als  Voraussetzung  für  die  Gültigkeit  eines 
Vertrags  auf,  dass  kein  Betrug  und  auch  kein  Zwang  dabei 
im  Spiele  gewesen  sei.  Ueber  die  gleichfalls  vorausgesetzte 
Rechtsfähigkeit  der  Paciscenten  s.  §  6. 

Die  Form  der  Rückzahlung  hängt  von  der  Form  der 
Eingehung  der  Schuld  ab,  d.  h.  eine  vor  Zeugen  contrahirte 
Schuld  muss  vor  Zeugen  zurückerstattet  werden  (Vi.  Y.  N.), 
bei  der  Rückgabe  einer  schriftlich  stipulirten  Schuld  muss 
der  Gläubiger  den  Schuldschein  zurückgeben  (N.)  oder  zer- 
reissen  (Y.  Vi.)  oder  eine  Quittung  ausstellen ,  bei  raten- 
weiser Abzahlung  muss  jedesmal  auf  der  Rückseite  des 
Schuldscheins  eine  bez.  Bemerkung  eingetragen  (Y.)  oder, 
wenn  der  Schuldschein  nicht  zur  Stelle  ist  (Vi.),  eine  be- 
sondere  Quittung '  ausgestellt    werden    (Y.     Vi.).     Hat   der 


5)  Erst  bei  Brih.,  Vyäsa  u.  a.  späteren  Autoren  kommen  zu  den 
Schuldverträgen  auch  schriftliche  Verträge  über  Erbtheilung,  Kauf  und 
Verkauf,  Grenzstreitigkeiten  u,  a.  Angelegenheiten  hinzu. 


292     Sitzung  der  phüos.-phüol.  (lasse  vom  1.  Dezember  1877. 

Schuldner  sich  keine  Quittung  oder  öffentliche  Empfangs- 
bestätigung verschafft,  so  muss  er  die  Schuld  weiter  ver- 
zinsen (N.).  Unigekehrt  soll  der  Gläubiger,  der  sich  weigert 
eine  Schuldsumme,  deren  Rückzahlung  ihm  angeboten  wird, 
anzunehmen,  keine  weiteren  Zinsen  erhalten  (Gaut.  Vi.  Y. 
N.) ;  nach  Y.  soll  die  Summe  bei  einem  Unparteiischen 
deponirt  werden.  Mit  einem  insolventen  Schuldner  kann 
man  bei  Ablauf  der  Zahlungsfrist  einen  neuen  Vertrag  „in 
der  Form  von  Radzinsu  eingehen,  worin  das  ursprüngliche 
Capital  um  die  fälligen  Zinsen  vermehrt  erscheint  (M.  Katy. 
Brih.) ;  kann  er  wenigstens  die  Zinsen  bezahlen,  so  soll  nach 
M.  in  den  neuen  Vertrag  nur  die  ursprüngliche  Forderung 
aufgenommen  werden.  Natürlich  kann  der  Gläubiger  in 
diesen  Fällen,  wenn  er  will,  auch  auf  seinem  Schein  be- 
stehen, s.  §  7.  Hat  ein  Schuldner  mehrere  Forderungen 
zugleich  zu  befriedigen,  so  soll  er  nach  Käty.  im  Allge- 
meinen die  zuerst  gemachte  Schuld  zuerst  bezahlen,  abge- 
sehen davon,  dass  die  Forderungen  eines  Königs  oder  schrift- 
gelehrten Brahmanen  allen  anderen  vorgehen ;  sind  alle 
Schulden  am  gleichen  Tage  contrahirt,  so  stehen  die  An- 
sprüche der  Gläubiger  einander  in  jeder  Hinsicht  gleich. 

§  3.    Zinsen. 

Bei  der  hervorragenden  Wichtigkeit,  welche  die  indischen 
Gesetzgeber  dem  Schuldrecht  beilegen,  begreift  es  sich,  dass 
ungeachtet  aller  moralisirenden  Tendenzen  an  ein  Verbot 
oder  eine  starke  Beschränkung  des  Zinsennehmens  bei  ihnen 
nicht  zu  denken  ist.  kusida  wird  von  den  meisten  Autoren 
(z.  B.  M.  1,  90.  Vi.  2,  5.  Vas.  2  med.)  als  eine  der  Hauptbe- 
schäftigungen der  dritten  Kaste  angeführt  und  zählt  bei  N. 
wenn  nicht  zu  den  ganz  reinen,  doch  mit  Ackerbau,  Handel 
u.  s.  w.  zu  den  fleckigen  Erwerbsarten,  nicht  wie  Spiel 
u.  s.  w.  zu  den  schwarzen.     Die  husidinah  „Geldverleiher" 


J.  Jolly:   lieber  das  indische  Schiddr  echt.  293 

scheinen  nach  demselben  eine  eigene  Klasse  innerhalb  der 
dritten  Kaste  gebildet  zu  haben,  und  selbst  den  Wucher 
(vdrdhushya)  verbietet  er  dem  Vaicya  nicht,  wohl  aber  dem 
Brahmanen,  der  auch  in  Nothzeiten  nie  zum  Wucherer 
werden  soll,  während  sonst  der  Brahmane  und  Kshatriya 
in  der  Noth  zu  den  Erwerbsarten  der  dritten  Kaste  über- 
gehen dürfen.  Was  ist  Wucher?  Die  gesetzlichen  Zinsbe- 
schränkungen gehen  theils  auf  Festsetzung  eines  gewissen 
Maximums,  über  welches  hinaus  das  Capital  sammt  Zinsen 
nicht  anwachsen  darf,  theils  auf  Normirung  des  Zinsfusses, 
theils  auf  völlige  Verbietung  des  Zinsennehmens  in  gewissen 
Fällen,  theils  auf  Untersagung  gewisser  Arten  von  Zinsen. 
1)  Nach  M.  soll  bei  Gold  die  Schuld  nebst  Zinsen 
das  Doppelte,  bei  Getreide,  Frucht,  Wolle  und  Zugthieren 
das  Fünffache  des  ursprünglichen  Darlehens  bei  einer  Ab- 
zahlung en  bloc  niemals  übersteigen  dürfen ;  fast  ebenso 
verfügt  Gaut.  Dagegen  setzen  Vi.  Y.  N.  die  Grenzen  bei 
Gold,  Kleidern  und  Getreide  auf  das  zwei-,  drei-  und  vier- 
fache, bei  Flüssigkeiten  auf  das  achtfache  fest  und  fügen 
hinzu,  dass  bei  Vieh  und  Weibern  (Sclavinnen)  deren  Spröss- 
linge  als  Zinsen  gelten  sollen.  Ausserdem  soll  nach  Vi. 
bei  Hefe,  Baumwolle,  Garn,  Leder,  Waffen,  Ziegelsteinen 
und  Kohlen,  nach  N.  ferner  „bei  allen  möglichen  anderen 
Dingen",  insbesondere  auch  bei  Zinn,  Blei,  Kupfer  und  Eisen, 
der  Zins  unbegrenzt  sein6).  Das  Achtfache  als  Grenze  soll 
nach  N.  auch  bei  Oelen  jeder  Art,  berauschenden  Getränken, 
Honig,  Butter,  Zucker  und  Salz  gelten ;  fast  ebenso  Käty., 
ähnlich  Vyäsa.  Uebrigens  soll  wie  bei  Gold,  nach  Vi.  bei 
allen  „ungenannten"  (d.  h.  allen  ausser  den  obigen)  Gegen- 
ständen, nach  Käty.  bei  Silber  und  Pretiosen,  sowie  bei  den 
Produkten  von  Früchten,   Insekten    und  Schafen   d.    h.  bei 


6)  akshayd,   dazu  Vir.   300  mülapratipädandbhäve   gatagund  'pi 
vardhata  evety  arthah. 


294     SitziuKj  der  philob-pliilol.  Ciasse  vom  1.  Dezember   1877. 

Baumwoll-,  Seide-  und  Wollstoffen  das  Doppelte  als  die 
Grenze  gelten.  Härita  setzt  dieselbe  bei  Getreide  (je 
nach  den  Umständen)  auf  das  Zwei-  oder  Dreifache  fest. 
Die  genaueste  Scala  bietet  Brih.,  der  bei  Gold  auf  das  Dop- 
pelte, bei  Kleidern  und  unedlen  Metallen  auf  das  Dreifache, 
bei  Getreide,  Frucht,  Zugthieren  und  Wolle  auf  das  Vier- 
fache, bei  Gemüsen  auf  das  Fünffache,  bei  Samen  und 
Zuckerrohr  auf  das  Sechsfache,  bei  Salz,  Oel,  berauschenden 
Getränken,  Zucker  und  Honig  auf  das  Achtfache  geht,  als 
unbegrenzt7)  endlich  den  Zins  bei  Gras,  Holz,  Ziegelsteinen, 
Faden,  Hefe,  Leder,  Knochen,  Panzern  (varman),  Geschossen 
(heti),  Blumen  und  Früchten  bezeichnet.  Mehrere  hieher 
gehörige  Aussprüche,  die  in  verschiedenen  Werken  aus  Vas. 
angeführt  werden,  widersprechen  einander  und  sind  in  seinem 
Dharmacästra  nicht  enthalten.  Die  Verschiedenheit  der 
Landessitte  in  diesen  Dingen  wird  in  zwei  dem  N.  bei- 
gelegten cl. ,  wovon  aber  nur  der  eine  in  den  Hss.  steht , 
besonders  betont.  Das  Princip  aller  obigen  Scalen  ist  offenbar 
dies,  dass  der  erlaubte  Grad  der  Vervielfachung  der  ursprüng- 
lichen Schuld  nebst  Zinsen  in  umgekehrtem  Verhältniss  zu 
dem  Werthe  des  geliehenen  Gegenstandes  zunimmt.  Schliess- 
lich ist  hier  zu  erwähnen,  dass  M.  8 ,  153  verbietet  über 
ein  Jahr  hinaus  Zinsen  zu  nehmen;  Gaut.  erwähnt  dieses 
Verbot  nur  als  die  Ansicht  Einiger.     Vgl.  u.  4. 

2)  Den  gesetzlichen  Zinsfuss  setzen  die  meisten 
Autoren  in  verschiedenen  Ausdrücken,  aber  sachlicher  Ueber- 
einstimmung  auf  l£°/o  monatlich  fest.  M.  8,  140  schreibt 
diese  Vorschrift  dem  Vas.  zu,  und  wirklich  findet  sie  sich  zwar 
nicht  in  seinem  Dharmacästra ,    doch    in   einem  ihm  beige- 


7)  . , .  vriddhis  tu  na  nimvtate  Vir.  ibid.,  dagegen  Viv.  9  vriddhis 
tu  na  vidhiyate  undD.  I,  2,  LXIX.  „no  interest  is  ordained",  vgl.  aber 
die  obigen  Stellen  aus  Vi.  und  N.  und  die  angebliche  Vas.-stelle  im 
Vir.  1.  c. 


J   Jolly:  Ueber  das  indische  Schuldrecht.  295 

legten  gl.,  ausserdem  aber  auch  bei  Gaut.  Y.  Brih.  Dieser  an 
sich  schon  hohe  Zinsfuss  von  15°/o  jährlich  soll  noch  erhöht 
werden,  wenn  dem  Gläubiger  kein  Pfand  zur  Aufbewahrung 
überliefert  worden  ist;  in  diesem  Falle  soll  der  Schuldner 
je  nach  seiner  Kaste  vom  Brahmanen  abwärts  den  nemlichen 
Autoren  und  Vi.  zufolge  2,  3,  4  und  5°/o  an  den  Gläubiger 
entrichten.  Ist  zwar  kein  Pfand,  aber  ein  Bürge  vorhanden, 
so     ist    nach    Vyäsa    —  (v.  L  ~  +  .4^1    als    Zins    zu    ent- 

•'  60    v  80        '       160/ 

richten.  5°/o  ist  für  M.  das  absolute  Maximum.  Nur  für  den 
Gewinnstantheil  eines  Spediteurs,  den  er  ebenfalls  unter  den 
Begriff  der  Zinsen  bringt,  scheint  er  keine  Grenze  zu  fixiren, 
da  er  für  den  Fall,  dass  ein  solcher  seinen  Vertrag  nicht 
vollkommen  einhält,  ihm  soviel  zubilligt,  als  geschäftskun- 
dige Männer  für  recht  halten.  Nach  Y.  soll  wer  in  eine 
schwer  passirbare  Gegend  (Jcäntarä)  reisen  will  10°/o,  ein  See- 
fahrer 20%  zahlen,  nach  demselben  und  Vi.  ist  Jeder,  gleich- 
viel welcher  Kaste  er  angehört,  verpflichtet,  den  Zins,  den 
er  selbst  versprochen  hat,  auch  zu  bezahlen.  Hiemit  hört 
dann  freilich  jede  Beschränkung  des  Zinsfusses  auf. 

3)  Unverzinslich  sind  der  Natur  der  Sache  nach 
vor  Allem  freundschaftliche  Darlehen,  für  die  nicht  ein  Zins 
ausdrücklich  verabredet  wurde  (N.  Käty.).  Doch  soll  nach 
N.  auch  bei  ihnen,  ausser  wenn  es  sich  um  Getreide  handelt, 
nach  Ablauf  eines  halben  Jahres  der  übliche  Zinsfuss  ein- 
treten, nach  Vi.  erst  nach  einem  Jahre,  doch  bemerkt  der- 
selbe, dass  wer  eine  Summe  unter  dem  Versprechen  sie  etwa 
Tags  darauf  zurückzuzahlen  geborgt  habe,  sie  aber  aus 
Habgier  nicht  erstatte,  von  da  an  Zinsen  dafür  entrichten 
müsse.  Genaueres  findet  sich  bei  Katy.  Freundschaftliche 
Darlehen  sollen  dann  5°/o  Zinsen  tragen  (vorausgesetzt  der 
Schuldner  ist  ein  Qüdra,  fügen  die  Comm.  bei,  s.  o.  2.), 
wenn  sie  auf  Aufforderung  nicht  zurückerstattet  werden, 
und  zwar  soll  die  Verzinsung  bei  einem  zum  Gebrauch  ent- 


296     Sitzung  der  phiJos.-philol.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

lehnten  Gegenstand  (ijäcitaJca) ,  wenn  der  Borger  verreist 
(entflieht),  nach  drei  Jahreszeiten  (  —  l(t  Jahr8),  bei  einem 
unverzinslichen  Gelddarlehen  (uddhära)  im  gleichen  Falle 
schon  nach  drei  Monaten  eintreten.  Auch  wenn  der  Schuldner 
zu  Hause  bleibt,  aber  das  Darlehen  nach  wiederholter  Mah- 
nung9) nicht  zurückgibt,  muss  er  Zinsen  dafür  zahlen.  Ferner 
muss  man  nach  Käty.  für  folgende  andere  an  sich  unver- 
zinsliche Dinge  Zinsen  geben  ;  für  den  Preis  einer  gekauften 
Waare,  wenn  man  sich  entfernt,  ohne  ihn  gezahlt  zu  haben, 
für  ein  Depositum,  für  rückständige  Zinsen,  für  Nichtaus- 
lieferung  der  Waare  oder  ihres  Preises,  auch  wenn  man  am 
Orte  bleibt,  und  zwar  in  den  letzteren  Fällen  5°/o.  Als 
im  Allgemeinen  unverzinslich  führt  derselbe  noch  an  Panzer, 
(varma*,  v.  1.  carma0  „Leder",  darnach  D.  I,  2,  LXXIV)  Ge- 
treide (s.  dagegen  o.) ,  geistige  Getränke ,  Spielschulden, 
Frauengut  und  Bürgschaftssummen.  Eine  andere  fälschlich 
dem  N.  zugeschriebene  Aufzählung  nennt  den  Preis  für  eine 
Waare10),  Lohn,  Deposita,  eine  vom  Gericht  auferlegte  Busse, 
unnöthige  Versprechungen  und  Wetten  im  Spiel;  ein  Citat 
aus  Vyäsa:  Bürgschaftssummen,  benützte  Pfänder  (s.  §  4), 
vom  Gläubiger  zurückgewiesene  Schuldsummen  (§  2),  Geld- 
bussen, ein  aus  Anlass  der  Hochzeit11)  gemachtes  Ge- 
schenk und  etwas  bloss  Versprochenes ;  ein  viertes  Ver- 
zeichniss,  von  Samvarta,  Frauengut,  Zinsen  selbst,  eigentliche 
Deposita     oder     irgendwie     anvertrautes     Gut,     bestrittene 


8)  So  nach  der  Lesart  des  Vi.  6  ritutrayasyoparishtät,  die  auch  Col. 
vorlag  (D.  I,  2,  LVII) ;  im  Vir.  301,  Mit.  64  ürdhvam  sanivatsarät, 
hienach  May.  V,  1,  4  „after  one  year." 

9)  So  nach  Vir.  7  ydcito  'sakrit  und  D.  I,  2,  LV,  May.  V,  1,  4. 
Mit.  Vir.  haben  na  dadyäd  yacitdh  kvacit. 

10)  So  nach  Mit   Vir.;  Viv.  D.  May.  haben  andere  Lesearten. 

11)  So  qulka  h.  1.  nach  Colehrooke  D.  I,  2,  LXXV;  doch  passen 
auch  die  Bedeutungen  „Preis  für  eine  Waare"  oder  „Zoll/' 


J.  Jolly:  Ueber  das  indische  Schuldrecht.  297 

Schulden,  Bürgschaftssummen.  Die  Unverzinslichkeit  des 
Frauenguts  ist  auf  den  Fall  zu  beziehen,  dass  der  Mann 
oder  Vormund  es  in  der  Noth  mit  Zustimmung  der  Frau 
angreift.     (Vgl.  Ueb.  d.  rechtl.  Stell,  d.  Frauen,  S.  22.) 

4)  Samvarta  in  der  soeben  erwähnten  und  Brih.  in 
einer  nur  im  D.  (I,  2,  XXXV)  citirten  Stelle  verbieten  den 
Zins  vom  Zinse  oder  Radzins.  Viel  weiter  geht  M.  8,  153, 
wo  folgende  Arten  von  Zinsen  verboten  werden:  Rad- 
zins (caJcravriddhi),  zeitlicher  Zins  (JccdavriddJii),  verabredeter 
(Jcäritä)  und  körperlicher  oder  Capitalzins  (käyikä).  Indessen 
halte  ich  die  Echtheit  dieser  Stelle12)  für  zweifelhaft,  weil 
die  drei  letzten  Ausdrücke  sonst  bei  M.  gar  nicht  vorkommen, 
caJcravriddhi  aber  156  „Miethe  für  einen  Wagen,  Fracht'1 
bedeutet,  weil  Zinseszins  155  in  einem  gewissen  Falle  aus- 
drücklich gestattet  wird  (§  2),  JcdliJcd  und  JcäyiJcä  aber  der 
gewöhnliche  140  ff.  vorgeschriebene  Zins  sind,  und  weil 
auch  die  erste  Hälfte  des  gl.  bedenklich  ist.  Denn  das  darin 
enthaltene  Verbot,  über  ein  Jahr  hinaus  Zinsen  zu  nehmen, 
steht  fast  isolirt  da  und  widerspricht  151,  da  ein  Capital 
auch  bei  fünfprocentiger  Verzinsung  in  einem  Jahre  noch 
nicht  auf  das  Doppelte  anwächst ;  überdies  ist  dort  nur 
von  auf  einmal  gezahlten  Zinsen  die  Rede  (s.  1),  wodurch 
das  erlaubte  Maximum  noch  steigt.  Auch  Vi.  und  Y.  lassen 
die  vier  Arten  von  Zinsen  ganz  unerwähnt.  Jedenfalls  er- 
scheinen sie,  wo  sie  sonst  vorkommen,  vielmehr  als  die  ge- 
wöhnlichen Hauptarten  von  Zins.  So  bei  N.,  der  käyiJcd 
(von  Jcäya  „Capital")  als  täglich,  JcäliJcä  als  monatlich  zahl- 
baren, Mritä  als  vom  Schuldner  selbst  (über  den  üblichen 
Zinsfuss  hinaus,  vgl.  o.  2),  versprochenen,  caJcravriddhi  als 
Zinseszins  definirt.  Brih.  sagt :  es  gibt  4,  nach  Anderen  5, 
nach  Anderen  (v.  1.  „nach  mir")  6  Arten  von  Zins ;  diese  sind 


12)  Einen  sehr  geschraubten  Versuch,  sie  mit  der  u.  angeführten 
.Brih.-stelle  in  Einklang  zu  bringen,  s.  bei  Kuli,  ad  h.  1. 

[1877.  I.  Philos.-philol.  3].  21 


298     Sitzung  der  philos.-philoh  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

ausser  den  vier  obigen  noch  bhogalabha  „der  Genuss  eines  (im- 
mobilen) Pfandes"  und  cilchävriddhi  „Haarzins1',  der  wie  Haar 
wächst ,  also  mit  N.'s  JcäyiJcä  identisch  ist.  hdytkä  heisst 
bei  Brih.  und  bei  Vyäsa  die  Nutzniessung  eines  verpfändeten 
Hausthieres  (von  lcäya  „Körper").  Gaut.  zählt  die  nemlichen 
6  Arten  auf,  nur  sagt  er  ädhiblioga  für  bhogalabha ;  bei 
Käty.  finden  sich  an  verschiedenen  Stellen  Jcäritä,  der  nach 
ihm  in  Nothzeiten  stipulirt  werden  darf,  cilchävriddhi  <  nach 
ihm  nur  „wiederholt  entrichteter",  ädhibhoga  und calcravriddhi 
erwähnt.  Die  drückende  Natur  der  Zinsarten  cilchävriddhi, 
Jcäritä,  calcravriddhi  bedarf  keiner  Hervorhebung. 

§  4.  Pfandrecht. 
Die  Ueber lieferung  eines  Pfandes  (ädhi  d.  h.  Hinter- 
legung oder  bandha  d.  h.  Bindung,  Band)  scheint  bei  den 
meisten  Schnldverträgen  für  unerlässlich  gegolten  zu  haben, 
da  sich  der  übliche  Zinsfuss  auf  diesen  Fall  bezieht  (§  3). 
Zwei  Hauptgrundsätze  des  Pfandrechts  finden  sich  schon  bei 
M.,  nemlich  1)  Das' Pfand  ist  entweder  blos  aufzubewahren, 
oder  der  Gläubiger  hat  die  Nutzniessung  davon ;  im  letzteren 
Falle  vertritt  der  daraus  gezogene  Nutzen  die  Stelle  der 
Zinsen.  Wer  ein  Pfand  der  ersteren  Art  widerrechtlich  be- 
nützt, soll  die  Zinsen  dafür  einbüssen,  eventuell  den  Werth 
desselben  ersetzen ;  nach  einer  anderen  Stelle  geht  er  im 
gleichen  Falle  nur  der  halben  Zinsen  verlustig13).  2)  Pfän- 
der verjähren  nicht;  auch  wenn  der  Gläubiger  ein  Pfand 
noch  so  lange  besessen  hat,  darf  er  es  nicht  veräussern, 
der    Schuldner     es     immer    noch    zurückfordern.     —    Die 


13)  Der  Widerspruch  ist  wie  in  anderen  Fällen  aus  der  allmäligen 
Entstellung  des  Manutextes  zu  erklären.  Kuli,  versucht  vergeblich  ihn 
wegzudeuten,  indem  er  den  Ausdruck  balät  in  der  ersten  Stelle  (8,  144) 
urgirt ;  es  kann  damit  nichts  anderes  als  widerrechtliche  Benutzung  ge- 
meint sein,  d.  h.  „ohne  Erlaubniss  des  Eigenthüraersf< ,  wie  es  an  der 
zweiten  Stelle  (8,  150)  heisst. 


J.  Jolty:  lieber  das  indische  Schuldrecht.  299 

Unverlierbar keit  der  Pfänder  scheint  auch  Vas.  16  in  dem 
dritten  cl.  auszusprechen ,  dessen  Schluss  wahrscheinlich 
nach  M.  8,  149  zu  emendiren  ist.  Vi.  und  Gaut.  heben 
ebenfalls  die  Unverziuslichkeit  der  benützten  Pfänder  hervor ; 
ist  das  Pfand  verdorben,  so  muss  der  Gläubiger  es  ersetzen, 
ausser  wenn  der  Verlust  durch  das  Schicksal  oder  den  König 
eintrat14).  Ferner  ist  nach  Vi.  das  Pfand  nach  Abzahlung 
der  letzten  Rate  zurückzugeben,  ausser  wenn  es  sich  um 
ein  immobiles  Pfand  handelt,  (wovon  der  Gläubiger  den 
Niessbrauch  hat);  ein  solches  braucht  überhaupt  ohne  be- 
sondere Uebereinkunft  nicht  zurückerstattet  zu  werden, 
wohl  aber  dann,  wenn  Rückgabe  bei  Bezahlung  der  Schuld 
ausbedungen  wurde  und  die  Zahlung  wirklich  erfolgt  ist. 
Auf  eine  zugleich  an  zwei  Gläubiger  verpfändete  Sache  hat 
das  bessere  Anrecht,  wer  zuerst  ohne  Gewaltsamkeit  davon 
Besitz  ergriffen  hat;  der  Verpfänder  ist  strafbar  (Vi.  5). 

Weit  speci eller e  und  systematischere  Vorschriften  geben 
Y.  und  N.  Gültig  wird  ein  Pfand  erst,  wenn  es  der  Gläu- 
biger wirklich  erhalten  hat.  Nicht  blos  die  Benützung  eines 
blos  aufzubewahrenden,  sondern  auch  die  Beschädigung  eines 
zu  benützenden  Pfandes  ist  mit  Zinsenverlust  strafbar;  ein 
verdorbenes  oder  vernichtetes  Pfand  ist  zu  ersetzen,  ausser 
wenn  das  Schicksal  oder  der  König  den  Verlust  verursacht 
haben ;  für  ein  durch  die  Länge  der  Zeit  werthlos  gewor- 
denes Pfand  muss  jedoch  der  Schuldner  ein  anderes  liefern 
oder  die  Schuld  bezahlen.  Pfänder  sind  der  gewöhnlichen 
Verjährungsfrist  nicht  unterworfen.  Doch  sollen  nach  N.  auch 
sie  nach  20  Jahren  in  das  Eigen thum  des  Besitzers  über- 
übergehen; Y.  unterscheidet  zwischen  dem  auf  bestimmte 
Zeit  gegebenen  (kdlakrita) ,  das  bei  Ablauf  der  Frist  ver- 
fällt, dem  gewöhnlichen  Pfand,  das  verfällt,   wenn  das  Ca- 


14)  So  nach  der  Calc.  und  der  Erklärung  der  Vaij.;  eine  andere 
Abtheilung  der  Sütra  und  daher  andere  Uebersetzung  im  D.  i,  2,  CX. 

21* 


300     Sitzung  der  philos.-pyilol.  Classe  vom  1.  Dezember  187'* 

pital  doppelt  geworden  ist,  ohne  eingelöst  zn  werden,  und 
dem  zu  benützenden,  das  niemals  verfällt.  Letzteres  ist  zu- 
rückzugeben, wenn  die  Schuld  doppelt  geworden  ist  und  zu- 
gleich der  Gläubiger  aus  dem  Pfand  einen  ebenso  grossen 
Nutzen  gezogen  hat.  Wie  die  Eintheiluug  in  aufzubewahrende 
und  zu  benutzende,  hat  N.  auch  die  Eintheilung  in  zu  einer 
bestimmten  Zeit  und  nach  Abzahlung  der  Schuld  verfallende 
(bei  ihm  hritakdlopaneya  u.  ydvaddeyodyata)  Pfänder  mit  Y. 
gemein ;  ausserdem  hebt  er  wie  Vi.  das  immobile  Pfand  (sthd- 
vara)  hervor,  dem  er  das  mobile  (jangama)  gegenüberstellt. 
Ueber  die  Rückgabe  stellt  Y.  den  allgemeinen  Grundsatz 
auf,  dass  sie  erfolgen  soll,  wenn  der  Schuldner  seine  Ver- 
pflichtungen erfüllt;  ist  der  Gläubiger  abwesend  oder  ge- 
storben, so  soll  ihm  dessen  Familie  gegen  Bezahlung  der 
Schuld  das  Pfand  herausgeben  oder  er  soll  es,  nachdem  sein 
derzeitiger  Werth  abgeschätzt  worden  ist,  dort  lassen  und 
braucht  in  diesem  Falle  keine  Zinsen  mehr  zu  entrichten. 
Dagegen  hat  der  Gläubiger,  wenn  der  Schuldner  nicht  vor- 
handen ist,  das  Recht,  das  Pfand  vor  Zeugen  zu  verkaufen. 
Die  schwierigen  term.  techn.  caritrabandhaJca  und  saty- 
amMra  Y.  2,  61  übersetze  ich  „Pfand  als  Vertrauenssache'1 
und  „Handgeld"  (bei  einem  Kauf  u.  dgl. 15).  Das  Vertrauen 
besteht  darin,  dass  der  Borger  bei  dem  Gläubiger  ein  ver- 
hältnissmässig  sehr  werthvolles  Pfand  hinterlegt  oder  dieser 
ihm  eine  im  Verhältniss  zu  dem  überlieferten  Pfände  sehr 
bedeutende  Summe  vorstreckt.  Ein  solches  Pfand  oder  Hand- 
geld soll  nicht  verfallen,  sondern  der  Schuldner,  (wenn  die 
Schuld  doppelt  geworden  ist)  zur  Bezahlung  der  Schuld  mit 
Zinsen   d.   h.   der   doppelten  Summe   gerichtlich  angehalten 


15)  So  nach  der  ersten  Erklärung  der  Mit.,  vgl.  B.  R.  s.  v.  saty- 
amkdra;  die  Bedeutung  „Handgeld"  auch  in  der  Vyäsastelle  Vir.  441. 
Nach  der  zweiten  Erklärung  der  Mit.,  der  Stenzler  zu  folgen  scheint,  wäre 
caritrabandhaJca  auf  Verpfändung  religiöser  Handlungen  wie  Bäder  im 
Gangos  u.  dgl.,  satyamkdra  auf  feierliche  Versprechungen  zu  beziehen. 


J.  Jölly.   Ueber  das  indische  Schuldrecht,  301 

werden.  Wird  dieselbe  Sache  wiederholt  verpfändet  (oder 
verschenkt  oder  verkauft),  so  ist  nach  Y.  und  N.  der  frühere 
Act  gültig.  N.  hat  noch  eine  seltsame  Etymologie  des 
Wortes  ädhi,  das  von  adhilcriyate  „es  wird  ein  subsidiäres 
Recht  darauf  ertheiltu  herkommen  soll. 

Von  den  nur  aus  Citaten  bekannten  Autoren  fügt  Brih. 
zu  den  drei  Paaren  des  N.  noch  ein  viertes  hinzu:  schrift- 
lich stipulirte  und  nur  durch  Zeugen  garantirte  Pfänder. 
Den  wirklichen  Besitz  des  Pfandes  macht  er  wie  Vi.  zum 
Kriterium  der  besseren  Berechtigung,  wo  zwei  Pfand- 
gläubiger vorhanden  sind.  Betreffs  unerlaubter  Benütz- 
ung, Beschädigung  und  Vernichtung  des  Pfandes  verfügt 
er  wie  Y.  und  N.,  nur  hinzusetzend,  dass  die  Vernichtung 
eines  verhältnissmässig  sehr  werthvollen  Pfandes  den  Ver- 
lust des  Capitals  nach  sich  zieht,  unter  Umständen  noch  eine 
besondere  Entschädigung  zu  entrichten  ist.  Seine  Bestimm- 
ungen betreffs  des  Termins  der  Rückgabe  stimmen  im  Ganzen 
mit  Y.  überein,  nur  gewährt  er  dem  Schuldner  eine  Ein- 
lösungsfrist. Nach  einer  Stelle  soll,  wenn  die  Schuld  doppelt 
geworden  und  der  Termin  abgelaufen  ist,  der  Gläubiger  das 
Pfand  zu  eigen  erhalten,  nachdem  er  noch  weitere  14  Tage 
gewartet  hat;  zahlt  der  Schuldner  binnen  dieser  Zeit  seine 
Schuld,  so  erhält  er  das  Pfand  zurück.  An  einer  anderen 
Stelle  wird  der  Einlösungstermin  auf  10  Tage  fixirt,  an 
einer  dritten  bestimmt,  dass  im  Falle  die  Schuld  doppelt 
geworden  und  der  Schuldner  gestorben  oder  verschollen 
(nashta)  ist,  der  Gläubiger  das  Pfand  vor  Zeugen  verkaufen 
darf;  oder  er  soll  es  öffentlich  schätzen  lassen  und  10  Tage 
lang  noch  bei  sich  verwahren,  dann  verkaufen  und  aus  dem 
Erlös  seine  Forderung  befriedigen,  den  etwaigen  Ueber- 
schuss  aber  nicht  behalten,  vielmehr  (so  der  Comm.)  an 
die  Verwandten  des  Schuldners  oder  den  König  ausliefern. 
Von  Vyäsa  (vgl.  auch  §  1)  und  Käty.  werden  mehrere  mit 
den  bisher  erwähnten  übereinstimmende,  ausserdem  aber  von 


302     Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

letzterem  folgende  Vorschriften  angeführt.  Wenn  ein  Gläu- 
biger ein  Pfand  (d.  h.  eine  verpfändete  Sclavin  u.  s.  w.) 
gegen  dessen  Willen  und  ohne  Erlaubniss  des  Verpfänders 
zu  einer  Arbeit  zwingt,  so  muss  er  die  Früchte  (d.  h.  den 
Ertrag  der  Arbeit  oder  den  sonst  dafür  zu  zahlenden  Lohn) 
an  den  Verpfänder  herausgeben  oder  verliert  seine  Zinsen; 
insultirt  oder  schlägt  er  den  verpfändeten  Dienstboten,  weil 
er  sich  weigert  zu  arbeiten16),  so  soll  er  die  erste  Geldstrafe 
(250  Pana)  bezahlen.  Ist  das  Pfand  nicht  mehr  vorhanden 
und  der  Gläubiger  erhebt  trotzdem  auf  Grund  seines  Scheines 
Forderungen  an  den  Schuldner,  so  soll  ihn  der  König  strafen 
und  den  Schein  vernichten  lassen.  Wenn  der  Schuldner 
nicht  da  ist  (also  nur  in  diesem  Falle?),  soll  der  Gläubiger 
Anzeige  erstatten  und  dann  mit  Erlaubniss  des  Königs  das 
Pfand  verkaufen ;  übersteigt  der  Erlös  den  Betrag  seiner 
Forderung,  so  muss  er  den  Ueberschuss  dem  Könige  geben. 
Ist  die  nemliche  Sache  an  zwei  verschiedene  Personen  ver- 
pfändet worden,  so  gilt  der  frühere  Vertrag,  und  der  Ver- 
pfänder ist  wie  ein  Dieb  zu  strafen.  Concurriren  bei  dem- 
selben Gegenstand  Verpfändung,  Verkauf  und  Verschenkung 
und  geschahen  die  Stipulationen  theils  schriftlich,  theils 
mündlich,  so  gilt  die  schriftliche  Verabredung  mehr;  von 
zwei  Schriftstücken,  die  sich  auf  das  nemliche  Object  be- 
ziehen, hat  das  genauer  speeificirte  die  grössere  Geltung. 
Verspricht  Jemand  zuerst  sein  ganzes  Vermögen  zu  ver- 
pfänden und  gibt  dann  (bei  Abfassung  des  schriftlichen 
Vertrags  Vir.)  nur  ein  einzelnes  näher  bezeichnetes  Stück 
daraus  zum  Pfand,  so  gilt  der  letztere  Act.  Auf  wiederholte 
Verpfändung  oder  sonstige  Vergebung  der  gleichen  Sache 
haben  auch  einige  mit  Unrecht  dem  Vas.  beigelegte  Aussprüche 
Bezug,    die  in   seinem  Dharmacästra   nicht  enthalten    sind, 


16)  Vir.  308  karma  Tcurvdnam  „bei  der  Arbeit";  ich  lese   learmä 
'Jcurvdnam  nach  der  Uebersetzung  im  D.  I,  3,  XC,  May.  V,  2,  2. 


J.  Jolly :  Ueber  das  indische  Schuldrecht.  303 

auch  die  Casuistik,  ganz  im  Gegensatz  zu  dem  wirklichen  Vas., 
auf  der  vorgeschrittensten  Stufe  zeigen.  Dieser  Pseudo-Vas. 
lässt  nemlich  bei  gleichzeitiger  Verpfändung  wie  Brih.  und  Vi. 
die  Priorität  des  Besitzes  entscheiden ;  kommen  beide  Gläubiger 
zugleich  herbei  um  von  der  Sache  Besitz  zu  ergreifen  (bhoh- 
tuMmau) ,  so  soll  das  Pfand  zwischen  ihnen  zu  gleichen 
Th eilen  getheilt  werden.  Ist  eine  Sache  zuerst  verpfändet, 
dann  verkauft  worden,  so  soll  der  frühere  Act  die  grössere 
Kraft  haben ;  wie  aber ,  wenn  sie  am  gleichen  Tage  ver- 
schenkt, verpfändet  und  verkauft  worden  ist?  In  diesem 
Falle  soll  die  Sache  getheilt  werden,  und  zwar  so  dass  der 
Pfandgläubiger  und  Käufer  nach  dem  Zeitverhältniss  ihrer 
Verträge  (Tcriyänusdrena)  bedacht  worden,  der  Beschenkte 
aber  ein  volles  Drittel  erhält.  —  Härita  bietet  nichts  Neues, 
Prajäpati  nur  die  Verordnung,  dass  wenn  der  Gläubiger  das 
Pfand  einem  Anderen  um  den  Betrag  seines  Darlehens  ver- 
äussert, dafür  ein  neuer  Pfandschein  auszustellen  oder  der 
frühere  zu  überliefern  sei.  —  Bhäradväja  ist  eine  Viertheil- 
ung der  Pfänder  in  bhogya,  gopya,  pratyayddhi  und  äjnayd 
Jcrita  eigentümlich.  Die  dritte  Art  erklärt  er  als  „Ver- 
trauen betreffs  der  Schuld  einflössend",  man  vgl.  o.  Y.'s  cari- 
trabandhalca  und  den  pratyayapratibhü  §  5.  Mit  der  vierten 
Art  sind  gerichtlich  bestellte  Pfänder  gemeint. 

§  5.  Bürgschaft. 

Zwei  Sicher nngsmittel,  bemerkt  N.,  stehen  dem  Gläu- 
biger zu  Gebot:  Pfänder  und  Bürgen  (pratibhü  „Ersatz- 
mann"). Schon  M.  theilt  die  Bürgen  in  zwei  Arten  ein, 
für  Erscheinen  dargana  und  Bezahlen  däna  (s.  u.),  die  sich 
in  dem  Grade  der  Verpflichtung  wesentlich  unterscheiden. 
Schafft  der  Bürge  für  Erscheinen  den  Schuldner  am  Zahl- 
ungstage nicht  zur  Stelle,  so  haltet  er  nur  für  seine  Person 
für  die  Schuld ;    dagegen   haften  für  einen  Bürgen  für  Be- 


304     Sittunj  der  philo*  -phüol.  Glasse  vom  1,  Vezemher  1877 . 

zahlen  auch  seine  Söhne.  Doch  soll,  auch  wenn  der  Bürge 
nicht  die  Bezahlung  der  Schuld  garantirt  hat,  die  Haft- 
barkeit auf  seine  Söhne  in  dem  Falle  übergehen ,  dass  er 
von  dem  Schuldner  nachweislich  eine  zur  Deckung  der 
Schuld  ausreichende  Summe  empfangen  hatte.  Vas.  hat  nur 
einen  cl.  (=  M.  8,  159)  über  die  Unvererblichkeit  der 
Bürgschaft  und  Gaut.  einen  entsprechenden  Spruch  in  Prosa; 
also  werden  beide  die  obige  Unterscheidung  mit  ihren  recht- 
lichen Folgen  noch  nicht  gekannt  haben.  Dagegen  kennen 
Vi. ,  Y. ,  N. ,  die  hier  zum  Theil  wörtlich  übereinstimmen 
(Vi.  6,  40  =  Y.  2,  53.  Vi.  6,  41,  42  =  N.  4,  49,  50. 
Y.  2,  54—56  fast  -  N.  4,  48—50.),  drei  Arten  von  Bürgen, 
nemlich  ausser  den  beiden  obigen  (für  dargana  sagt  N. 
upasthdnä)  noch  einen  Bürgen  für  Zutrauen  pratyaya,  den 
sie  hinsichtlich  der  NichtVerpflichtung  der  Söhne  dem  dar- 
ganapratibhü  gleichstellen ;  sie  machen ,  wo  eine  Mehrheit 
von  Bürgen  vorhanden  ist,  jeden  für  den  von  ihm  über- 
nommenen Theil  verantwortlich,  gestatten  aber  dem  Gläu- 
biger sich  an  einen  beliebigen  unter  ihnen  zu  halten,  wenn 
sie  sich  solidarisch  verpflichtet  haben ;  und  sie  geben,  wenn 
der  Bürge,  öffentlich  vom  Gläubiger  dazu  gedrängt,  die  Schuld 
bezahlt  hat,  dem  ersteren  einen  auf  das  Doppelte  gehenden 
Ersatzanspruch.  Ausserdem  verfügt  N.  (XIII,  39),  dass  in 
Gütergemeinschaft  lebende  Brüder,  Y.  genauer,  dass  Brüder, 
Vater  und  Sohn,  Mann  und  Frau,  nicht  für  einander  Bürg- 
schaft leisten  können.  Y.  erweitert  ferner  die  Ersatzpflicht 
des  Schuldners  dahin,  dass  Getreide  dreifach,  Kleider  vierfach, 
Flüssigkeiten  achtfach,  und  mit  Vieh  und  Weibern  (Sclavin- 
nen)  auch  deren  Sprösslinge  dem  Bürgen  zurückzuerstatten 
seien.  An  einer  anderen  Stelle  (2,  10)  bestimmt  er,  dass 
auch  bei  Processen  von  jeder  der  beiden  Parteien  ein  ge- 
eigneter Bürge  zu  stellen  sei. 

Brih.  nennt  nach  den  drei  obigen  noch  eine  vierte  Classe 
von   Bürgen,    nemlich    für    Auslieferung    der    Effecten    des 


J,  Jolhj:   lieber  das  indische  Schuldrecht.  305 

Schuldners17),  womit  nach  dem  Vir.  insbesondere  sein  Haus- 
rath  gemeint  ist.  Der  erste,  bemerkt  er  zur  Erläuterung,  er- 
klärt: Ich  werde  den  Schuldner  zur  Stelle  schaffen,  der 
zweite:  Er  ist  zuverlässig,  der  dritte:  Ich  will  seine  Schuld 
bezahlen,  der  vierte:  Ich  will  (seine  Effecten)  ausliefern. 
Bei  der  dritten  und  vierten  Classe  haften  auch  die  Söhne. 
Der  Gläubiger  soll  gegen  die  Bürgen  mild  verfahren;  er 
darf  sie  nur  zu  allmäliger  Abzahlung  anhalten ,  bei  An- 
wesenheit des  Schuldners  gar  nicht  an  sie  gehen,  und  ist  er 
entflohen,  so  muss  er  dem  Bürgen  je  nach  der  Entfernung 
eine  Frist  von  14  Tagen,  einem  oder  anderthalb  Monaten 
gewähren,  um  ihn  zu  suchen.  Auch  dem  Schuldner  gibt 
er  für  den  zu  leistendeu  Ersatz,  den  er  wie  Y.,  Vi.,  N. 
auf  das  Doppelte  festsetzt,  eine  Frist  von  anderthalb  Mo- 
naten. Sind  mehrere  solidarische  Bürgen  vorhanden ,  aber 
abwesend,  so  soll  der  anwesende  Sohn  eines  derselben  für 
die  ganze  Schuld  haften,  der  Sohn  eines  verstorbenen  aber 
nur  für  den  Antheil  seines  Vaters.  Erfüllt  ein  Bürge  seine 
Verpflichtungen  nicht,  so  soll  ihn  der  König  zur  Leistung 
an  den  Gläubiger  anhalten  und  ihm  eine  Geldbusse  im 
gleichen  Betrag  auferlegen;  benimmt  er  sich  hinter  dem 
Rücken  des  Schuldners  mit  dem  Gläubiger,  so  soll  er  den 
doppelten  Betrag  der  Forderung  als  Busse  entrichten.  — 
Härita  unterscheidet  fünf  Arten  von  Bürgen:  für  Bezahlen, 
Erscheinen ,  Vertrauen ,  Sicherheit  oder  sicheres  Geleit 
(abhaya)  und  Herbeibringen  upasthäna,  das  bei  ihm  Aus- 
lieferung der  Effecten  des  Schuldners  an  den  Gläubiger  be- 
deutet   (Vir.    —    oder    sollte   die   Auslieferung    eines    ver- 


17)  rinidravyärpane,  was  von  Einigen  auf  Auslieferung  der  Früchte 
eines  Pfandes,  z.  B.  eines-  verpfändeten  Feldes  bezogen  wird  (D.  I,  4, 
CXLII).  Viv.  liest  rine  dravyärpane  und  bezieht  letzteren  Ausdruck 
auf  einen  zum  Gebrauch  geliehenen  Gegenstand,  yäcüaka  (Schmuck 
u.  dgl). 


30G     Sitzung  der  phüos.-philol.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

sprochenen  Pfandes  gemeint  sein?),  also  mit  Brih.'s  vierter 
Art  übereinkommt.  Ueber  die  eventuelle  Haftbarkeit  der 
Söhne  bestimmt  er,  dass  dieselbe  sich  nur  auf  das  Capital,  nicht 
auf  die  Zinsen  erstrecken  soll18).  Auch  für  ein  Pfand  kann 
Bürgschaft  geleistet  werden;  die  Verpflichtung  des  Bürgen 
geht  in  diesem  Falle  auf  Ueberlieferung  des  Pfandes  oder 
Entrichtung  der  Schuld  an  den  Gläubiger.  Ebenso  Pitämaha. 
—  Auch  Käty.  nimmt  fünf  Arten  an,  wobei  aber  neben 
dem  Bürgen  für  Bezahlen  däna,  Erscheinen  upasthäna  und 
Vertrauen,  hier  vigväsa,  als  vierter  ein  Bürge  in  einem  Pro- 
cess  (vgl.  o.  Y.)  und  als  fünfter  ein  Bürge  für  Vollziehung 
eines  Gottesurtheils  erscheint.  Neben  diese  Aufzählung  tritt 
bei  ihm  eine  lange  Liste  derjenigen  Personen,  welche  un- 
geeignet sind  Bürgen  zu  werden ,  nemlich :  der  Herr  oder 
der  Feind  des  Gläubigers  oder  der  Verwalter  seines  Herrn, 
ein  Gefangener,  einer  der  eine  Geldbusse  (noch)  zu  bezahlen 
hat,  ein  Bescholtener  (sandigdha,  nach  Mit.  Vir.  =  ahhi- 
gasta),  ein  (mit  einer  der  beiden  Parteien,  vgl.  o.  Y.  N.)  in 
Gütergemeinschaft  Lebender,  ein  Freund  des  Gläubigers,  ein 
geistlicher  Schüler  auf  Lebenszeit  (atyantaväsin,  nach  Mit. 
Vir.  =s  naishthikabrahmacärin),  ein  in  Angelegenheiten  des 
Königs  Beschäftigter,  ein  frommer  Bettler,  einer  der  ausser 
Stande  ist  dem  Gläubiger  die  Schuld  und  an  den  König  eine 
ebenso  grosse  Busse  zu  bezahlen,  Jemand  dessen  Vater  noch 
am  Leben  ist  (vgl.  §  6)  oder  der  blos  nach  Laune  zu  han- 
deln pflegt  (icchäpravartaJca,  vgl.  die  apralcriti  §  6),  endlich 
ein  Unbekannter.  Vgl.  die  hiemit  mehrfach  übereinstimmen- 
den Aufzählungen  der  ungültigen  Zeugen  M.  8,  64—67. 
Y.  2,  70.  71.  Vi.  8,  2—5.  N.  5,  10-18.  35—47.  Der  Bürge 
für  Erscheinen  ist  nicht  haftbar ,  wenn  er  durch  das 
Schicksal  oder  den  König  verhindert  wurde,   den  Schuldner 


18)  Vir.  310.    Ibid.  326  wird  dieser  Ausspruch  aus  N.,    Mit.  83 
und  D.  I,  4,  CLIX  ohne  Quellenangabe  citirt. 


J.  Jölly  :  lieber  das  indische  Schuldrecht.  307 

zur  Stelle  zu  schaffen ;  auch  seine  Söhne  sind  haftbar,  wenn 
bewiesen  wird,  dass  er  von  dem  Schuldner  ein  Pfand  er- 
hielt. Ueber  die  Haftbarkeit  der  Söhne,  wo  mehrere  soli- 
darische Bürgen  vorhanden  sind,  und  betreffs  des  Maximums 
der  Frist  für  Aufsuchung  eines  entflohenen  Schuldners  ver- 
fügt er  wie  Brih. ;  nach  Ablauf  dieser  Frist  und  ebenso 
wenn  der  Schuldner  gestorben  ist,  soll  der  Bürge  die  Schuld 
bezahlen.  Die  Söhne  macht  auch  er  nur  für  das  Capital 
verantwortlich,  die  Enkel  sollen  zu  gar  nichts  verpflichtet 
sein.  Die  Ersatzpflicht  des  Schuldners  geht  bei  ihm  nur 
einfach  auf  den  Betrag  der  von  dem  Bürgen  bezahlten 
Summe,  ein  Widerspruch  zu  der  obigen  Maxime  der  'Vi. 
Y.  N.  Brih.,  den  die  Commentatoren  auf  verschiedene  Weise 
zu  beseitigen  bemüht  sind.  —  Vyäsa  endlich  stellt  sieben 
Classen  von  Bürgen  auf,  nemlich  ausser  den  schon  be- 
kannten: für  Zahlen,  Erscheinen,  Vertrauen,  Auslieferung 
der  Effecten  des  Schuldners19)  und  Gottesurtheil  noch  6) 
für  einen  schriftlichen  Vertrag  und  7)  für  Ueberlieferung 
eines  versprochenen  Pfandes  (vgl.  o.  Härita).  Ausserdem 
bietet  auch  er  die  Maxime,  dass  nur  der  Sohn,  nicjit  der 
Enkel,  und  dass  ersterer  nur  für  das  Capital,  nicht  für  die 
Zinsen  zu  haften  hat. 

§  6.  Haftung  für  Schulden. 
Die  Lehre  von  der  Rechtsfähigkeit  und  Rechtsverbind- 
lichkeit wird  grösstentheils  in  Zusammenhang  mit  dem 
Schuldrecht,  am  ausführlichsten  von  N.  entwickelt.  Voll- 
kommen selbständig  ist  nur  das  Familienhaupt,  der  König 
und  ein  Lehrer;  unselbständig  und  daher  unfähig  gültige 
Rechtsgeschäfte  abzuschliessen  sind  nicht  blos  Frauen, 
Sclaven  und  Kinder  unter  15  Jahren,  sondern  auch  voll- 
jährige Söhne,  deren  Vater  noch  am  Leben  ist  und  jüngere 

19)  Die  Lesait  rinidravyärpane  auch  hier. 


308     Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

Brüder  oder  überhaupt  alle  Familienmitglieder  ausser  dem 
Familienhaupt,  ausserdem  alle  diejenigen  Personen,  welche 
sich  im  Zustande  temporärer  Handlungsunfähigkeit  aprakriti 
befinden,  d.  h.  Betrunkene,  Geisteskranke,  von  Furcht,  Zorn 
oder  Liebe  Getriebene  u.  dgl.  (N.  3,  43.  M.  8,  163.  Y.  2, 
32).  Doch  haben  auch  die  Handlungen  unselbständiger  Per- 
sonen rechtliche  Verbindlichkeit,  wenn  dieselben  von  dem 
Familienhaupt  etc.  dazu  autorisirt  waren,  oder  erlangen  sie, 
wenn  sie  zum  Besten  der  Familie  oder  des  Haushalts  hu- 
tumhärthe  vorgenommen  wurden,  und  ebenso  sind  die  gül- 
tigen Handlungen  selbständiger  Personen  nicht  nur  für  sie 
selbst,  sondern  auch  für  ihre  Erben  verbindlich. 

Als  Consequenzen  dieser  ohne  Frage  sehr  alten  Grund- 
sätze finden  wir  zunächst  bei  M.  Vas.  Gaut.  die  Regel,  dass 
die  Söhne  (zwar  für  alle  anderen,  aber)  nicht  für  diejenigen 
Verbindlichkeiten  ihres  Vaters  haften ,  die  er  als  Bürge  (s. 
jedoch  §  5)  oder  mittelst  unnöthiger  Versprechungen  oder 
im  Spiel  oder  für  geistige  Getränke  oder  in  Folge  einer 
Geldstrafe  oder  eines  Zolles  beim  Handel  eingegangen  und 
nicht  oder  nur  theilweise  erfüllt  hat.  Die  beiden  letzteren 
Ausnahmen  sind  wohl  aus  der  drückenden  Höhe  der  Geld- 
bussen und  Zölle  zu  erklären.  M.  Gaut.  sagen  ausserdem 
ausdrücklich,  dass  im  Allgemeinen  die  Erben  für  die  Schul- 
den des  Erblassers  aufzukommen  haben,  doch  müssen  die- 
selben nach  M.  zum  Besten  der  Familie  contrahirt  sein. 
Solche  Schulden  sind  aber  jederzeit  verbindlich,  selbst 
dann  wenn  sie  von  einem  Sclaven  der  betreffenden  Familie 
contrahirt  worden  sind.  Aehnliche  Anschaungen,  aber  be- 
deutend mehr  entwickelt,  treffen  wir  bei  Vi.  Nicht  blos 
die  Söhne,  sondern  auch  die  Enkel,  nicht  blos  eines  Ver- 
storbenen, sondern  auch  eines  in  den  Stand  der  frommen 
Bettelei  Getretenen  oder  seit  20  Jahren  Abwesenden  sollen 
seine  Schulden  bezahlen;  weiterhin  hört  die  gesetzliche 
Verpflichtung  auf.    Ganz  allgemein  sind  die  Erben  haftbar, 


J.  Jolly:  Ueber  das  indische  Schuldrecht.  309 

und  zwar  wird,  wo  Activa  fehlen,  als  Erbe  auch  der  be- 
trachtet, welcher  die  Wittwe  d.  h.  die  Vormundschaft  über 
sie  übernimmt  (strigrdhin) .  In  einer  ungetheilten  d.  h.  in 
Gütergemeinschaft  lebenden  Familie  muss  dasjenige  Familien- 
mitglied, welches  gerade  da  ist,  für  die  Schulden  der  übrigen, 
auch  die  vom  Vater  ererbten,  aufkommen;  nach  einer 
Theilung  nur  im  Verhältnisse  zu  seinem  Antheil.  Nicht 
zahlungspflichtig  ist  der  Vater  für  Schulden  der  Söhne,  die 
Frau  für  Schulden  des  Mannes  oder  der  Söhne,  der  Mann 
und  die  Söhne  für  Schulden  der  Frau  oder  Mutter;  doch 
verpflichten  Schulden, '"welche  die  Frauen  von  Hirten,  Ver- 
fertigern geistiger  Getränke,  Schauspielern,  Wäschern  oder 
Jägern  contrahirt  haben,  auch  ihre  Männer.  Das  Haupt  der 
Familie  muss  nicht  nur  die  von  ihm  selbst,  sondern  auch 
die  von  irgend  Jemand  sonst  der  Familie  wegen  gemachten 
Schulden  bezahlen20).  Mit  Vi.  stimmt  hier  Y.  wieder  fast 
durchaus  überein.  Die  Verpflichtung  der  Hirten  etc.  für 
die  Schulden  ihrer  Frauen  motivirt  er  damit,  dass  ihr  Le- 
bensunterhalt von  der  Frau  abhängt.  Die  Frau  verpflichtet 
er  im  Allgemeinen  in  drei  Fällen:  für  Schulden,  die  sie 
selbst,  oder  mit  ihrem  Manne  gemacht,  oder  die  ihr  Mann 
anerkannt  hat.  Vererben  sollen  die  Schulden  zuerst  auf 
den  Sohn  oder  Enkel,  wenn  kein  mündiger  oder  rechts- 
fähiger Sohn  oder  Enkel    da  ist,    auf  den  Erben    des  Ver- 


20)  Für  vdkpratipannam  nddeyam  kasyacit  \  kutumbdrthe  kri- 
tam  ca  Calc  h  2  und  die  4  Londoner  Hss.  (dazu  Vaij. :  yeshdm  stryddi- 
ndm  rindddnam  nishiddhavi  teshdm  sarveshdm  api  svayam  vdcd  pra- 
tipannam  ahgikritam  ced  ahamidam  rinam  ddsydmiti  tadd  a  deyam 
na  kintu  deyam  evetyarthah,  also  auf  eine  Lesart  na  deyam  deu- 
tend) ist  nach  D.  I,  5,  CXCII  „Vishnu:  A  debt  of  which  payment  has 
been  previously  promised,  or  which  was  contracted  by  any  person  for 
the  behoof  of  tlie  family,  raust  be  paid  by  tlie  housekeeper"  augen- 
scheinlich zu  lesen  .  .  .  kutumbinä  deyam  \  kasyacit  . . .  Vergl.  M.  8, 
167.  N.  3,  13  etc. 


310    Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  7.  Dezember  1877. 

lnögens  oder  den  welcher  die  Wittwe  nimmt,  in  letzter  Linie 
auf  den  (wegen  Unmündigkeit  etc.)  zur  Vermögensverwalt- 
ung ungeeigneten  Sohn.  Zwischen  den  neralichen  nahen 
Verwandten,  die  nicht  für  einander  Bürgen  werden  können, 
findet  auch  kein  Schuldenmachen  statt.  Bei  N.  sind  besonders 
die  Bestimmungen  bezüglich  der  Haftung  der  Frauen  erweitert. 
Die  Wittwe  soll  selbst  dann  die  Schulden  ihres  Mannes  be- 
zahlen, wenn  sie  nur  kurz  vor  seinem  Tode  von  ihm  Auf- 
trag dazu  erhalten  oder  wenn  er  keinen  Sohn  hinterlassen 
hat,  resp.  wenn  sie  seine  Erbin  ist.  Lebt  die  Wittwe  (wie 
gewöhnlich)  bei  einem  anderen  Manne  oder  Vormund ,  so 
kommt  es  darauf  an,  ob  sie  einen  Sohn  oder  Vermögen  hat 
oder  nicht,  ob  sie  ihren  Sohn  zurückgelassen  oder  mitge- 
nommen hat,  ob  derselbe  der  Verwaltung  des  Vermögens 
fähig  ist  oder  nicht :  in  den  letzteren  Fällen  haftet  jedesmal 
der  Mann,  bei  dem  sie  lebt,  allgemein  auch  bei  gewissen 
unter  besonderen  Umständen  eingegangenen  ansserehelichen 
Verhältnissen.  Zu  den  für  die  Söhne  nicht  verbindlichen 
Schulden  des  Vaters  rechnet  N.  auch  solche,  die  aus  Liebe 
oder  Zorn  contrahirt  worden  sind;  umgekehrt  sollen  die 
Söhne  noch  bei  Lebzeiten  des  Vaters  seine  Schulden  be- 
zahlen, nicht  blos  wenn  er  lange  abwesend,  sondern  auch  wenn 
er  krank,  wahnsinnig  oder  hochbetagt  ist.  Im  vierten  Gliede, 
heisst  es  hier  ausdrücklich,  hört  die  Verpflichtung  für  Schulden 
auf.  Neben  seinen  sehr  ins  Detail  ausgeführten  Sätzen  über 
die  Rechtsfähigkeit  bietet  N.  interessante  religiöse  Moti- 
virungen  der  Zahlungspflicht.  Wer  seine  Schulden  nicht 
zahlt,  kommt  in  die  Hölle  oder  wird  im  Hause  des  Gläu- 
bigers als  dessen  Sclave  wiedergeboren  oder  verliert  wenig- 
stens die  Frucht  seiner  frommen  Werke  an  ihn ;  um  den 
verstorbenen  Vater  hievor  zu  bewahren,  muss  der  Sohn 
seine  Schulden  eifrigst  einlösen. 


J.  Jolly :   lieber  das  indische  Schuldrecht.  311 

Ucanas21)  nennt  unter  den  Schulden,  welche  die  Söhne 
des  Contrahenten  nicht  verpflichten,  auch  solche  welche  der 
guten  Sitte  widerstreben  (na  vyavaliärikam)  ;  dies  ist  jedoch 
wohl  nur  ein  zusammenfassender  Ausdruck  für  die  Spiel- 
schulden etc.  der  anderen  Autoren.  Brih.  stimmt  im  Ganzen 
mit  N.  übereiu.  Wie  bei  Bürgschaftsummen  die  Söhne  (§  5), 
so  sollen  bei  Schulden  im  Allgemeinen  die  Enkel  nur  das 
Capital  zu  bezahlen  brauchen;  doch  soll  zuerst  die  gross- 
väterliche, dann  die  väterliche,  erst  zuletzt  die  eigene  Schuld 
abgetragen  werden.  Bei  Lebzeiten  des  Vaters  sollen  die 
Söhne  dann  seine  Schulden  bezahlen,  wenn  er  von  Geburt 
an  blind  oder  taub  oder  wenn  er  wahnsinnig22)  oder  mit 
der  Schwindsucht  oder  dem  Aussatz  oder  einer  sonstigen 
unheilbaren  Krankheit  behaftet  ist.  Am  speciellsten  ist 
wieder  Käty.  Die  Zahlungspflicht  der  Söhne  soll  erst  mit 
dem  mündigen  Alter  beginnen;  erfüllen  sie  nach  Eintritt 
desselben  ihre  Verpflichtungen  nicht,  so  sollen  sie  in  der 
Hölle  wohnen.  Die  Liebes-  und  Zornesschulden  des  Vaters, 
für  welche  die  Söhne  nicht  haften,  sind  nach  Käty. :  erstere 
schriftliche  oder  mündliche  Versprechungen  an  eine  Frau, 
die  schon  einen  anderen  Mann  gehabt  hat,  parapürvä,  d.  h. 
von  zweifelhaftem  Rufe  ist,  letztere  Versprechungen,  die  man, 
um  seinen  Zorn  an  einem  Anderen  auszulassen,  zur  Be- 
schädigung seiner  Person  oder  zum  Nachtheil  seines  Eigen- 
thums  gemacht  hat.  Die  grossväterlichen  Schulden  sind  zu 
bezahlen,  wenn  sie  bewiesen  oder  schon  theilweise  liquidirt 
sind,  nicht  aber  wenn  sie  mit  einem  Makel  behaftet  sadosha 
d.  h.  im  Spiel,  für  Getränke  u.  dgl.  contrahirt  sind  (Viv.), 
oder  wenn  der  Vater  sie  nicht  anerkannt  hatte.  Die  Söhne 
sollen    bei   einer  Theilung   des  Vermögens   ihren  Theil  erst 

21)  Mit.  71,  Vir.  343,  May.  V,  4,  15.  Dagegen  nach  Viv.  17, 
D.  I,  h,  CCIII  Vyäsa. 

22)  jätyandhabadhironmatta0  Viv. ;  Colebro-oke  D.  I,  5,  CLXXVIII 
übersetzt  offenbar  eine  Lesart  ° patitonmatta0. 


312    Sitzung  der  philos.-philol.  Clusse  vom  1.  Dezember  1877. 

nach  Abzug  der  Beträge,  die  für  die  Schulden  ihres  Vaters 
fällig  sind,  ausgeliefert  erhalten;  stirbt  der  Vater  ohne 
Hinterlassung  von  Vermögen,  so  müssen  sie  gleichwohl  für 
seine  Schulden  aufkommen.  Auch  die  Schulden  anderer  Fa- 
milienglieder, für  welche  das  Haupt  derselben  pflichtig  ist, 
definirt  Käty.  näher  und  zwar  als  solche,  die,  während  er 
zur  Führung  des  Haushalts  ausser  Stande  oder  krank23) 
war,  zum  Besten  des  Haushalts  oder  während  eines  feind- 
lichen Einfalls  oder  in  Nothzeiteu  oder  für  die  Hochzeit 
seiner  Tochter  oder  für  ein  Begräbniss  contrahirt  worden  sind. 
Betreffs  der  Reihenfolge  der  für  die  Schulden  eines  verstor- 
benen Familienvaters  verpflichteten  Personen  verfügt  er  wie 
Y.  N.  Brih.,  dass  wenn  der  Sohn  unfähig  ist,  zunächst  der 
Erbe,  dann  der  welcher  die  Wittwe  übernimmt  (purandhri- 
hrit)  haften  soll,  bestimmt  aber  die  Unfähigkeit  des  Sohnes 
näher  als  ,, nicht  in  Calamitäten  befindlich  ]>(nirupadrava), 
vermögensfähig  und  geeignet  zur  Vermögensverwaltung  (d. 
h.  mündig).u  Die  Schulden  einer  Frau  sind  ausser  den  früher 
erwähnten  Fällen  nach  Käty.  auch  dann  für  ihren  Mann 
oder  ihre  Söhne  verbindlich,  wenn  sie  dieselben  des  Haus- 
halts wegen  gemacht  hat,  während  der  Ernährer  ohne  für 
sie  zu  sorgen  verreist  war.  Die  Berufsarten,  bei  denen  der 
Mann  für  die  Schulden  seiner  Frau  verpflichtet  ist,  weil  er 
sich  nicht  ohne  ihre  Hülfe  ernähren  kann,  sind  nach  Käty. 
diejenigen  des  Verfertigers  geistiger  Getränke,  Jägers,  Wä- 
schers (für0  janaka0  Vir.  1.  °rajaka°)  Hirten  und  Schiffers24). 
In  solchen  (also  nicht  in  anderen;  vgl.  dagegen  o.  Vi.,  mit 
dem  N.  übereinstimmt)  Familien  ist,  wenn  der  Mann  ohne 
Hinterlassung  von  Vermögen  und  männlicher  Nachkommen- 


23)  So  nach  der  Lesart  des  Vir.  352,  wo  nur  vyädkite  für  vyddh- 
ine  zu  lesen  ist;  anders  D.  I,  5,  CXCIII. 

24)  Das  zweite,  abweichende  bez.  Citat  aus  „Käty."  im  Vir.  354 
gehört  diesem  nicht  zu. 


J.  Jolly:  lieber  das  indische  Schuldrecht.  313 

schaft  gestorben  ist,   derjenige    für  seine  Schulden  haftbar, 
der  seine  Frau  besitzt  (strindm  upäbhohtä) . 

§  7.  Eintreibung  der  Schulden 
a)  durch  den  Gläubiger  selbst. 
Die  Mittel  um  einen  säumigen  Schuldner  zur  Zahlung 
zu  zwingen  tractirt  M.  von  allen  Theilen  des  Schuldrechts 
am  ausführlichsten.  Vor  Allem  heht  er  wiederholt  die  voll- 
kommene Legalität  der  Selbsthülfe  seitens  des  Gläubigers 
hervor;  der  König  soll  nicht  nur  die  gesetzlichen  Zwangs- 
mittel, durch  welche  er  sich  in  den  Besitz  seines  Eigen- 
thums  gesetzt  hat,  gutheissen,  sondern  auch  den  desshalb 
vor  Gericht  klagenden  Schuldner  in  eine  Busse  verurtheilen, 
deren  Betrag  einem  Viertel  der  eingetriebenen  Schuld  gleich- 
kommen soll.  Als  gesetzliche  Zwangsmittel  nennt  M.  fol- 
gende fünf:  Frömmigkeit,  öffentliches  Gericht  (?) ,  der  her- 
kömmliche Weg,  Täuschung  und  Gewalt:  etwas  dunkle  und 
offenbar  technische  Ausdrücke,  die  erst  bei  den  späteren 
Autoren  näher  bestimmt  werden  (s.  u.).  Ausserdem  kann 
der  insolvente  Schuldner  auch  zur  Zwangsarbeit  angehalten 
werden,  um  seine  Schuld  abzuverdienen,  doch  nur  wenn  er 
aus  gleicher  oder  niedrigerer  Kaste  ist  als  der  Gläubiger; 
ist  er  aus  höherer  Kaste,  so  soll  er  sie  allmälig  abbezahlen. 
Da  Gaut.  und  Vas.  über  die  Eintreibung  der  Schulden  völlig 
schweigen,  so  wenden  wir  uns  direkt  zu  Vi.,  der  nur  eben- 
falls hervorhebt,  dass  den  seine  Forderung  auf  irgend  eine 
Weise  eintreibenden  Gläubiger  seitens  des  Königs  kein  Vor- 
wurf treffe;  der  Schuldner,  der  sich  desshalb  beim  Könige 
beschwert,  soll  sogar  eine  dem  Betrag  der  Schuld  gleich- 
kommende Geldbusse  bezahlen.  Y.  verpflichtet  dagegen  im 
gleichen  Falle  den  Schuldner  nur  zur  Bezahlung  seiner 
Schuld.  Das  Abverdienen  schränkt  er  auf  arme  Schuldner  aus 
niederer  Kaste  (hinajäti)  ein;  ein  insolventer  Brahmane  soll 
die  Schuld  ratenweise  je  nach  seinen  Einnahmen  abtragen. 
[1877.  I.  Philos.-philol.  3.]  22 


314    Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

Auch  N.  ist  hier  unergibig.  Die  Brahmanen  begünstigt  er 
nur  als  Gläubiger,  indem  eine  an  einen  verstorbenen  Brah- 
manen zahlbare  Schuld  zunächst  an  seine  Nachkommen, 
in  deren  Ermangelung  an  seine  näheren  oder  ferneren  Ver- 
wandten, dann  die  anderen  Mitglieder  seiner  Kaste  abbe- 
zahlt, wenn  auch  solche  fehlen,  ins  Wasser  geworfen  werden 
soll.  Vgl.  die  Erbfolge  ausgezeichneter  Brahmanen  in  das 
Erbe  eines  ohne  Hinterlassung  von  Verwandten  verstorbenen 
Mitgliedes  ihrer  Kaste  M.  9,  188.  Vi.  17,  14.  Vas.  17,  32 
etc.  Die  Vergünstigung  die  Schuld  in  Raten  abzutragen 
gewährt  N.  generell  ohne  Unterschied  der  Kaste  dem  durch 
Ungunst  der  Zeit  (kalaviparyaydt)  insolvent  gewordenen 
Schuldner.  Dass  er  indessen  das  Ab  verdienen  der  Schuld 
auch  gekannt  hat,  beweist  die  Aufzählung  der  Schuldknecht- 
schaft*5) unter  den  15  Arten  der  Sclaverei ;  sie  entsteht  da- 
durch, dass  der  Schuldner  „von  einer  grossen  Schuld  be- 
freit" wird  und  endigt,  wenn  er  die  Schuld  sammt  Zinsen 
abträgt  (V,  25.  31).  Statt  der  fünf  Zwangsmittel  M.\s 
führen  Brih.  und  Käty.  deren  sechs  (?  s.  May.  V,  4,  1)  und 
sieben  an  und  gebrauchen  dafür  mehrere  neue  Ausdrücke; 
doch  geht  die  thatsächliche  Verschiedenheit  nicht  über  die 
Zerlegung  von  einigen  der  alten  Zwangsmittel  in  Unter- 
arten und  die  Hinzunahme  der  Zwangsarbeit,  wofür  bei  Brih. 
vyavdhdra  wegbleibt,  hinaus.  Näher  bestimmt  Brih.  1)  die 
„Frömmigkeit"  (dharma,  bei  Käty.  sdntva)  dahin,  dass  sich 
Freunde  oder  Verwandte  ins  Mittel  legen  oder  dass  der 
Gläubiger  dem  Schuldner  in  Güte  zuredet  oder  sich  an  seine 
Fersen  heftet  und  ihm  beständig  seine  Forderung  vorträgt26). 


25)  Das  Wort  rinaddsa  „Schuldknecht"  gebrauchen  allerdings 
nur  die  Commentatoren ,  nicht  N.  selbst.  Doch  liegt  die  Vorstellung, 
dass  der  Schuldner  mit  seiner  Person  haftet,  auch  dem  Institut  des 
„Bürgen  für  Erscheinen"  (§  5)  zu  Grunde. 

26)  prdyena,   nach   Vir.    =  prdrthandbdhulyena ;  dagegen  Viv. : 


J.  Jolly:   lieber  das  indische  Schuldrecht.  315 

2)  M.'s  zweites  Zwangsmittel  vyavdhära  fassen  Kuli,  und 
Mit.  (67)  in  seiner  gewöhnlichen  Bedeutung  „Process,  Klage 
und  Beweisführung  vor  Gericht",  ebenso  Vir.  Dagegen  er- 
blickt der  Ratnäkara  (D.  I,  6,  CCXXXVII)  und  der  Viv.  20 
eine  Art  der  Selbsthülfe  des  Gläubigers  darin  und  zieht 
hieher  einen  Ausspruch  des  Käty.,  wonach  der  Gläubiger 
einen  insolventen  Schuldner  gewaltsam  vor  eine  Versamm- 
lung von  Menschen  (janasamsadi,  es  ist  wohl  ein  Schieds- 
gericht gemeint)  führen  und  dann  bei  sich  in  Gewahrsam 
halten  soll,  je  nach  der  Landessitte  (dies  beziehen  die  Comm. 
entweder  darauf,  dass  die  Festnehmung  durch  den  Gläubiger 
selbst  oder  durch  den  König  stattfinden  soll,  oder  darauf, 
dass  der  Gläubiger  eine  der  Ortssitte  entsprechende  Zwangs- 
arbeit verrichten  muss),  bis  er  seine  Schuld  getilgt  hat.  Auch 
Medätithi  (bei  Kuli.)  bezieht  M.'s  vyavahära,  das  er  in  der 
Bedeutung  „Beschäftigung"  zu  fassen  scheint,  auf  Zwangs- 
arbeit d.  h.  Feldarbeit,  Handel  u.  dgl.,  die  der  insolvente 
Schuldner  für  den  Gläubiger,  nachdem  dieser  ihm  ein  Ca- 
pital vorgeschossen,  treiben  und  ihm  den  Ertrag  erstatten 
soll27).  Auch  der  Zusammenhang  bei  M.  spricht  entschieden 
dafür,  vyavahära  nicht  auf  gerichtliche  Klagen  zu  beziehen. 
Für  das  wahrscheinlichste  halte  ich,  dass  das  von  Käty.  an- 
gedeutete Schiedsgericht  oder  allgemein  „die  0 Öffentlichkeit" 
damit  gemeint  ist;  man  könnte  auch  an  die  Bedeutung 
„allgemeiner  Brauch"  (B.  R.  s.  v.  7)  denken,    vgl.  dcarita. 

3)  Die  Täuschung  chala,  bei  Brih.  upadhi,  bei  Käty.  vyäja, 
besteht  nach  ersterem  darin,  dass  der  Gläubiger  dem  Schuldner, 
unter  dem  Vorwande  sie  für  irgend  einen  Zweck  zu  bedürfen, 
eine  ihm  gehörige  Sache  (Schmuck  u.  dgl.)  abborgt  und  nachher 

prdyah  prdyopaveganam  d.  h.  wohl  „Drohung  sich  durch  Fasten  zu 
tödten",  wonach  dieses  Zwangsmittel  mit  dcarita  zusammenfiele,  s.  u. 
27)  nihsvo  yah  sa  vyahavdrena  ddpayitavyah  anyat  karmopaJcara- 
nam  dhanam  dattvd  krishivdnijyddind  vyavahdrayitavyah  tadut- 
pannam  dhanam  grihniydd  ity  dha. 

22* 


316     Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

nicht  zurückgibt,  oder  dass  er  ein  von  ihm  zur  Rückgabe 
an  den  Eigenthümer  oder  sonstwie  erhaltenes  Deposituni 
zurückhält28).  4)  Der  ,, herkömmliche  Weg"  äcarita,  bei 
Brih.  ebenso  und  als  grihasamrodha,  bei  Käty.  wieder  ebenso 
oder  als  uparodha  bezeichnet,  besteht  nach  Ersterem  darin, 
dass  man  den  Sohn,  die  Frau  oder  das  Vieh  des  Schuldners 
ihm  raubt  und  vorenthält  oder  seine  Thüre  belagert.  Dieses 
Zwangsmittel  ist  mit  einem  noch  heuty.utage  vorkommenden 
Gebrauche,  dem  sogen.  Dharna- Sitzen,  identisch29).  Der 
merkwürdige  Rechtsbrauch,  dem  die  Vorstellung  von  der 
Heiligkeit  des  Lebens  eines  Brahmanen  zu  Grunde  liegt,  be- 
steht darin,  dass  der  Gläubiger,  welcher  der  Brahmanenkaste 
angehören  muss,  sich  mit  Gift  oder  einem  Dolch  versehen 
vor  das  Haus  des  säumigen  Schuldners  begibt  und  droht 
sich  damit  das  Leben  zu  nehmen,  wenn  derselbe  an  ihm 
vorbeigehen  würde;  er  fastet  von  da  an,  und  der  Schuldner 
ist  durch  die  Sitte  gezwungen  mitzufasten ;  wer  es  am  läng- 
sten aushält,  ist  der  Sieger.  5)  Die  „Gewalt"  bala,  Brih. 's 
balätkära,  bei  Käty.  pidana ,  definirt  ersterer  dahin,  dass 
der  Gläubiger  den  Schuldner  gebunden  in  sein  Haus  führt 
und  dort  mit  Schlägen,  Drohungen  u.  s.  w.  zur  Erfüllung 
seiner  Verpflichtungen  zwingt.  Von  besonderem  Interesse 
ist  6)  die  „Arbeit"  karma  in  sofern,  als  sie  vornemlich  die 
indische  Form  der  Schuldknechtschaft  repräsentirt,  die  wir 
auch  bei  N.  und  als  das  zweite  Zwangsmittel  erwähnt  fanden. 


28)  Andere  Fälle  von  erlaubter  Täuschung  sind  die  probeweise 
Hinterlegung  eines  Depositums  bei  Jemand,  der  in  Verdacht  steht  ein 
anderes  unterschlagen  zu  haben,  und  der  Meineid,  wo  das  Leben  eines 
Menschen  auf  dem  Spiele  steht  und  in  ähnlichen  Fällen  (M.  8,  182  ff, 
104.  Vas.  16  extr.  etc.). 

29)  S.  Sir  H.  Maine's  Lectures  on  the  Early  Hist.  of  Instit. 
(London  1875)  297  ff.,  wo  auch  eine  höchst  auffallende  Parallele  aus 
dem  altirischen  Recht  nachgewiesen  wird.  Die  Mit.  erklärt  M.'s  äcarita 
geradezu  mit  abhojana  „Fasten." 


J.  JoVy:   lieber  das  indische  Schuldrecht.  317 

Brih.  bestimmt  darüber,  dass  sie  bei  vermögenslosen  Schuld- 
nern in  Anwendung  kommen  soll,  jedoch  nicht  bei  Brah- 
manen,  die  vielmehr  nur  zu  ratenweiser  Abzahlung  der  Schuld 
gezwungen  werden  können  (wie  bei  M.  Y.) ;  der  Schuldner 
soll  in  das  Haus  des  Gläubigers  gebracht  und  dort  zum  De- 
stilliren von  Spirituosen  und  ähnlichen  Arbeiten  angehalten 
werden.  Demnach  unterschiede  sich  dieses  Zwangsmittel  von 
vyavaJidra  dadurch,  dass  bei  letzterem  entweder  ein  öffent- 
licher Act  vorhergeht,  oder  die  Zwangsarbeit  nicht  im  Hause 
des  Gläubigers  stattfindet.  Auch  Käty.  beschränkt  harma 
auf  Schuldner  aus  den  drei  unteren  Kasten,  welche  gleicher 
oder  niedrigerer  Kaste  sein  müssen  als  der  Gläubiger,  und 
verordnet  letzterem,  wenn  er  den  Schuldner  zu  einer  nicht 
von  Anfang  an  stipulirten,  unreinen  Arbeit  anhält,  als  Strafe 
die  Entrichtung  der  ersten  Geldbusse  (250  Pana)  und  Be- 
freiung des  Schuldners  von  seiner  Verpflichtung.  Da  die 
Sclaven  sonst  gerade  die  unreine  Arbeit  agubham  harma  zu 
verrichten  haben  (N.  V,  5),  so  muss  die  Schuldknechtschaft 
eine  mildere  Form  der  Sclaverei  gewesen  sein.  Hinsichtlich 
der  nicht  „von  Anfang  an  stipulirten"  Arbeit  ist  Brih.'s 
Definition  von  däsapatra  „Sclavereivertrag"  (Vir.  189)  zu 
vergleichen  als  einer  Schrift,  die  ein  von  Kleidung  und 
Nahrung  Entblösster,  in  der  Wildniss  Befindlicher  ausstellt, 
und  die  das  Versprechen  enthält :  Ich  will  dir  Dienste  thun. 
Wahrscheinlich  ist  hier  an  Schuldsclaverei  zu  denken.  Zur 
Beantwortung  der  Frage,  in  welchen  Fällen  und  mit  welcher 
relativen  Häufigkeit  die  einzelnen  Zwangsmittel  zur  An- 
wendung gekommen  seien,  bietet  Käty.  einige  Anhalts- 
punkte. Den  König,  seinen  Herrn  und  einen  Brahmanen80) 


30)  So  Vir.  333  f.,  Viv.  21,  May.  V,  4,  3,  fast  ebenso  D.  I,  6, 
CCXLII;  dagegen  liest  Mit.  68  abgesehen  von  anderen  Abweichungen: 
räjä  tu  svämine  vipram  säntvenaiva  praddpayet  \  decdcdrena  c4 
'nydms  tu  .  . . 


318     Sitzung  der  phüos.-pliilöl.  Classe  vom  1.  Dezember  1877, 

soll  man  durch  sanfte  Mittel,  einen  Erben  oder  Freund 
durch  Täuschung,  Kaufleute,  Ackerbauer  und  Handwerker 
nach  der  Landessitte  (d.  h.  durch  vyavahära  oder  Jcarma 
s.  o.),  unredliche  Leute  gewaltsam  (sampidya,  d.  h.  nach 
dem  Vir.  durch  hälätkära  oder  dcarita)  zur  Zahlung  nöthigen. 
Hieraus  dürfte  hervorgehen,  dass  die  Schuldhaft  oder  Zwangs- 
arbeit am  häufigsten  zur  Anwendung  kam.  Käty.  äussert 
sich  auch  über  die  Modalitäten  der  Haft.  Will  ein  in 
Schuldhaft  Befindlicher  seine  Nothdurft  verrichten,  so  darf 
er  nur  in  Begleitung  eines  Wächters  oder  in  Ketten  sein 
Gefängniss  verlassen.  Hat  er  jedoch  einen  Bürgen  (für  Er- 
scheinen) gestellt,  so  muss  man  ihn  Tag  für  Tag  zur  Zeit 
der  Mahlzeiten  entlassen,  dessgleichen,  wenn  der  Bürge  für 
ihn  gut  sagt,  auch  in  der  Nacht.  Nur  wenn  er  keinen 
Bürgen  finden  kann  oder  sich  keines  solchen  bedienen  will, 
soll  er  im  Kerker  eingeschlossen  oder  von  Wächtern  be- 
wacht werden.  Käty.  fügt  hinzu,  dass  ein  angesehener,  zu- 
verlässiger und  ehrenhafter  Mann  nicht  eingekerkert  werden 
dürfe;  man  soll  ihn  auf  sein  Ehrenwort  hin  (nibaddhah 
gapatJiena)  freilassen.  Vgl.  o.  die  Befreiung  der  Brahmanen 
von  der  Zwangsarbeit.  Auch  das  Verhältniss  der  letzteren 
zur  Haft  klärt  Käty.  auf:  die  Haft  soll  nur  subsidiär  ein- 
treten ,  wenn  der  Schuldner  zur  Verrichtung  von  Arbeit 
ausser  Stande  ist. 

b)  Gerichtliche  Klage  und  Execution. 

Dass  vyavahära  als  Zwangsmittel  bei  M.  nicht  „Process, 
gerichtliche  Klage"  bedeuten  kann,  geht  ganz  deutlich  auch 
daraus  hervor,  dass  er  dem  König  als  Richter  aufgibt,  eine  von 
dem  Gläubiger  durch  dieses  Mittel  bewerkstelligte  Eintreibung 
der  Schuld  seinerseits  zu  ratificiren.  Von  der  gerichtlichen 
Klage  handelt  er  besonders.  Sie  kann  entweder  vom  Gläu- 
biger oder  von  dem  Schuldner,  gegen  den  der  Gläubiger 
eines   der  Zwangsmittel   in  Anwendung    bringt,    ausgehen; 


J.  Jolly:   Ueber  das  indische  Schuldrecht.  319 

unterliegt  der  Schuldner,  so  soll  er  ausser  der  Schuld  im 
ersteren  Falle  eine  kleine  Geldbusse  bezahlen ,  betreffs  des 
letzteren  Falles  s.  o.  An  einer  anderen  Stelle  werden  da- 
gegen sowohl  Kläger  als  Beklagter ,  wenn  sie  unterliegen, 
in  eine  Succumbenzbusse  im  doppelten  Betrag  der  Streit- 
summe verfällt,  an  einer  dritten  dem  von  dem  Gläubiger 
angeklagten  Schuldner  blos  Beträge  von  5°/o  oder  10°/o,  je 
nachdem  er  die  Schuld  eingestanden  oder  abgeleugnet  hat, 
als  Busse  an  den  König  auferlegt.  Für  das  Beweisverfahren 
gelten  die  allgemeinen  Normen ;  entscheidend  ist  bei  M., 
wie  schon  in  §  2  erwähnt,  der  Zeugenbeweis,  in  letzter 
Instanz  ein  Gottesurtheil.  Vi.  und  Y.  vertheilen  die  Ge- 
richtssporteln  zwischen  dem  klagenden  Gläubiger  und  dem 
überführten  Schuldner:  der  erstere  soll  5,  der  letztere  10°/o 
zahlen  ;  der  Gläubiger  soll  für  eine  falsche  Klage  das  Dop- 
pelte, der  leugnende,  aber  überführte  Schuldner  das  Einfache 
der  Streitsumme  als  Busse  entrichten.  Ferner  stellen  Vi.,  Y. 
und  N.  die  Maxime  auf,  dass  derjenige,  welcher  die  ganze 
Schuld  ableugnet  und  nur  betreffs  eines  Theils  derselben 
überführt  wird,  das  Ganze  zu  zahlen  hat.  N.  beschränkt 
die  Gerichtssporteln.  auf  5°/o,  welche  der  König  von  einem 
renitenten,  vermögenden  Schuldner  erheben  soll.  Vyäsa  (Vir. 
360,  etwas  anders  D.  I,  6,  CCLXX)  bemerkt,  dass  im  Falle 
des  Unterliegens  beide  Parteien  das  Doppelte  der  Streit- 
summe als  Busse  bezahlen  sollen,  sowohl  wenn  die  Ver- 
theidigung  sich  auf  einen  besonderen  Umstand,  als  wenn  sie 
sich  auf  ein  früheres  Urtheil  stützte,  oder  auf  eine  einfache 
Verneinung  der  Anklage  hinauslief.  Hiernach  fiele  diese 
Busse  also  nur  bei  der  letzten  der  vier  traditionellen  Arten 
der  Antwort,  dem  Eingeständniss  (pratipatti  oder  satyot- 
tara)  weg.  Brih.  und  Käty.  bieten  hier  nur  einige  Be- 
stimmungen, die  zur  genauen  Abgrenzung  des  gerichtlichen 
Verfahrens  gegenüber  der  Selbsthülfe  dienen.  Letztere  ist 
zunächst  nur  für  den  Fall  geeignet,  dass  der  Schuldner  die 


320    Sitzung  der  philos.-phüol.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

Richtigkeit  der  Forderung  nicht  bestreitet.  Erhebt  er  vor 
Gericht  Protest  dagegen,  so  ist  nunmehr  der  Gläubiger,  der 
fortfährt  ihn  zu  bedrängen,  ebenso  strafbar  wie  sonst  der 
Schuldner,  der  sich  wegen  Anwendung  eines  der  Zwangs- 
mittel gegen  ihn  bei  Gericht  beschwert  hat.  Brih.  verfügt 
nur  im  Allgemeinen  die  Bestrafung  des  Gläubigers,  der  in 
einer  zweifelhaften  oder  bestrittenen  Sache  (sandigdhe  'rthe) 
gegen  den  Schuldner,  der  an  die  Gerichte  appellirt  hat, 
gewaltsam  vorgeht,  ein  Grundsatz,  den  in  etwas  allgemeinerer 
Fassung  schon  N.  1,  43  aufstellt.  Käty.  setzt  die  Strafe  für 
dieses  Vergehen  auf  den  gleichen  Betrag  wie  die  Streitsumme 
fest,  und  die  letztere  soll  der  Gläubiger  verlieren.  Den  Aus- 
druck sanäigdha  artha  präcisirt  Brih.  dahin,  dass  sich  zwischen 
den  beiden  Parteien  irgend  eine  Differenz  erhoben  hat  be- 
treffs der  Natur  oder  Quantität  {sankhyä)  der  in  Rede 
stehenden  Sache  oder  betreffs  des  fälligen  Zinsenbetrags. 
Die  Appellation  an  die  Gerichte  soll  einfach  darin  bestehen, 
dass  der  Schuldner  (vor  Gericht)  erklärt,  das  bezahlen  zu 
wollen,  wozu  er  von  Rechtswegen  verpflichtet  sei. 

Worin  bestand  das  gerichtliche  Executionsverfahren  ? 
Folgt  man  der  o.  Anm.  30  angeführten  Lesart  der  Käty.- 
stelle  über  die  Anwendung  der  Zwangsmittel  je  nach  der 
Person  des  Schuldners,  so  müssten  dem  König  d.  h.  den 
Gerichten  einfach  die  nemlichen  Mittel  wie  dem  Privatmann 
zu  Gebote  gestanden  haben;  da  indessen  die  „Täuschung" 
als  gerichtliches  Zwangsmittel  völlig  undenkbar  ist,  so  kann 
die  Lesart  der  Mit.  höchstens  theil weise  richtig  sein.  Auf 
die  Einschliessung  renitenter  Schuldner  in  königliche  Kerker 
deuten  einige  Stellen  in  den  Commentaren  hin ;  auch  die 
obigen  Vorschriften  Käty.'s  über  die  Behandlung  der  Schuld- 
gefangenen sind  möglicher  Weise  hierauf  zu  beziehen.  M.  8, 
415  erwähnt  den  „Sclaven  für  eine  Geldbusse11  (dandadäsa), 
der  verknechtet  worden  ist,  weil  er  eine  gerichtliche  Busse 


J.  Jolty:   Ueber  das  indische  Schuldrecht.  321 

nicht  bezahlen  konnte,  und  schreibt  9,  229  im  gleichen 
Falle  Angehörigen  der  drei  unteren  Kasten  vor,  die  Busse 
durch  Arbeit  abzuverdienen  ;  hiemit  wurden  freilich  nur  die 
Ansprüche  des  Fiscus  befriedigt.  Eine  ganz  deutliche  An- 
spielung* auf  Eintreibung  von  Schulden  durch  den  König 
d.  h.  die  Gerichte  liegt  nur  in  der  N.-stelle31),  wonach  der 
König  einen  vermögenden,  aber  renitenten  Schuldner  zur 
Zahlung  zwingen  und  5%  der  Summe  für  sich  behalten 
soll,  und  in  der  Y.-stelle  vor,  wonach  er  im  gleichen  Falle 
von  dem  Schuldner  10%,  von  dem  Gläubiger  5°/o  der  ein- 
getriebenen Summe  (sädhität)  erhalten  soll.  Dagegen  ist 
es  nach  dem  Zusammenhang ,  in  dem  M.  Brih.  Käty.  die 
sechs  Zwangsmittel  erwähnen,  nicht  zweifelhaft,  dass  die- 
selben nicht  minder  auch  für  diejenigen  Fälle  gemeint  sind, 
in  denen  der  Schuldner  seine  Verpflichtung  vor  Gericht  be- 
stritten hatte,  aber  mit  seiner  Klage  abgewiesen  worden 
war.  Wahrscheinlich  Hessen  sich  die  Gerichte  in  der  Regel 
nur  auf  die  Feststellung  des  Thatbestands  ein;  zur  Voll- 
streckung des  Urtheils  reichte  ihre  Macht  nicht  aus,  sie 
wurde  dem  Gläubiger  überlassen. 

§  8.     Chronologische  Resultate. 

Bei  der  grossen  Unsicherheit  aller  anderen,  auch  der 
aus  der  Form  oder  Sprache  geschöpften  Kriterien  für  das 
relative  Alter  der  indischen  Gesetzbücher,  ist  die  Vergleich- 
ung  des  Inhalts  ohne  Frage  von  entscheidender  Bedeutung 
für  die  Bestimmung  desselben.  Es  wird  daher  nicht  über- 
flüssig sein,  die  Resultate,  die  sich  in  dieser  Hinsicht  aus 
einem  so  wichtigen   und   umfassenden    Theile    des    Systems, 

31)  Jn  einem  sonst  gleichlautenden  Citat  Viv  23,  D.  I,  6, 
CCLXVJII,  May.  V,  4,  8,  angeblich  aus  Yama,  wird  die  Busse  des 
Schuldners  auf  den  doppelten  Betrag  der  Schuld  fixirt. 


322     Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

wie  es  das  Schuldrecht  ist,  ergeben,  hier  in  Kürze  aus- 
drücklich zu  constatiren. 

Unter  den  vollständigen  Gesetzbüchern  war  das  des 
Vas.  am  unergibigsten,  was  bei  der  sonstigen  Alterthünilich- 
keit  des  Inhalts,  worauf  ich  Z.  d.  d.  in.  G.  XXXI,  132  hinge- 
wiesen habe,  und  den  bekannten  weiteren  Gründen  gewiss 
aus  der  geringen  Entwicklung  des  Schuldrechts  in  seiner 
Zeit  erklärt  werden  darf;  die  Stelle  über  Schriftstücke  als 
Beweismittel  (§  2)  ist  vielleicht  eine  Interpolation.  Gaut. 
keunt  nur  den  Zeugenbeweis  und  trifft  über  Pfandrecht  und 
Bürgschaft  nahezu,  über  die  Eintreibung  der  Schulden  gar 
keine  Bestimmungen ;  andererseits  fällt  seine  Erwähnung  von 
sechs  Arten  des  Zinses  schwer  in  die  Wagschale.  Im  Ganzen 
macht  seine  Behandlung  des  Schuldrechts  einen  entschieden 
alterthümlicheren  Eindruck  als  die  des  M.,  dem  sich  dagegen 
hier  nicht  nur  wie  überall  Y. ,  sondern  auch  Vi.  in  ent- 
scheidenden Punkten  als  posterior  erweist.  Auffallend  ist 
die  weitgehende,  oft  wörtliche  Uebereinstimmung  zwischen 
Y.  und  Vi.  N.  schliesst  wie  sonst,  den  Reigen;  es  genügt 
auf  seine  Definition  der  Zinsarten  und  seine  höchst  ausführ- 
lichen Erörterungen  über  Haftung  für  Schulden  zu  ver- 
weisen. 

Bedeutend  schwieriger  ist  es  bei  den  nur  aus  Citaten 
bekannten  Gesetzbüchern,  soweit  sie  hier  in  Betracht  kommen, 
nemlich  den  Werken  des  Ucanas,  Käty.,  Pitämaha,  Prajä- 
pati,  Brih.,  Bhäradväja,  Yama  (?),  Vyäsa,  Samvarta  und 
Härita,  zu  einem  chronologischen  Ergebniss  zu  gelangen, 
da  wir  gar  kein  Mittel  haben  um  festzustellen,  inwieweit 
die  Citate  den  bez.  Inhalt  dieser  Werke  erschöpfen;  auch 
herrscht  in  den  im  Obigen  bemerkten  und  einigen  anderen 
Fällen  eine  bedenkliche  Unsicherheit  betreffs  der  Zugehörig- 
keit der  Citate  an  die  verschiedenen  Autoren,  die  sich  hier 
nicht  wie  bei  den  vermeinten  Vas.-,  Vi.-  und  N.-stellen 
durch  Vergleichung  des  Originals  beseitigen  lässt.    Dennoch 


J.  Jully:  Ueber  das  indische  Schuldrecht.  323 

kann  mit  Bestimmtheit  von  den  beiden  am  häufigsten  ci- 
tirten  Autoren  Käty  und  Brih.,  und  mit  grosser  Wahr- 
scheinlichkeit auch  von  Vyäsa  und  Härita  behauptet  werden, 
dass  sie  dem  jüngsten  der  obigen  Autoren,  N.,  in  der  Be- 
handlung des  Schuldrechts  posterior  sind,  und  betreffs  der 
übrigen  liegt  in  dem  sehr  spärlichen  Material  wenigstens 
kein  Grund  zu  der  Annahme  des  Gegentheils  vor32).  Der 
Fortschritt  gegenüber  N.  und  den  anderen  alten  Autoren 
besteht  freilich  vielfach  nur  in  einer  entwickelteren  Casuistik, 
aber  eben  darum  können  die  Discrepanzen  z.  B.  zwischen 
Käty.  oder  Brih.  und  N.  nur  auf  einer  zeitlichen,  nicht  auf 
einer  localen  Verschiedenheit  beruhen.  Ueberall  schliessen 
sich  diese  späteren  Autoren  an  die  alten  aufs  engste  an 
und  treten  z.  B.  in  der  Lehre  von  den  Executionsmitteln 
fast  wie  Commentatoren  zu  M.  auf.  Eine  andere  Frage  ist 
es,  ob  die  verschiedenartige  Behandlung  des  Schuldrechts 
bei  den  verschiedenen  späteren  Autoren  gleichfalls  chrono- 
logisch zu  erklären  ist,  und  welche  Reihenfolge  etwa  unter 
ihnen  aufzustellen  wäre;  hierüber  lässt  sich  vom  Stand- 
punkte des  Schuldrechts  allem  aus  zu  keiner  Entscheidung 
gelangen. 


32)  Es  rechtfertigt  sich  hiemit  auch  von  dieser  Seite,  wie  betreffs 
des  Frauenrechts,  die  früher  (När.,  Preface  p.  XVIII)  von  mir  ohne  Be- 
weis vorgetragene  Behauptung  von  der  Posteriori  tat  des  Käty.,  Brih. 
und  Vyäsa  gegenüber  N.  Aehnliche  Ergebnisse  bez.  der  Behandlung  der 
Ordalien  schon  bei  Stenzler  Z.  d.  d.  m.  G.  IX,  664.  Dass  auch  die  übrigen 
blos  citirten  Smritis  später  als  N.  sind,  hoffe  ich  in  den  Anmerkungen 
zu  meiner  Edition  zu  zeigen. 


324      Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 


Herr  v.  Christ  hielt  einen  Vortrag  über 

„Die   rhythmische    Continuität    der    griech- 
ischen Chorgesänge." 

Derselbe   wird    in   den    „Abhandlungen"    veröffentlicht 
werden. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  325 


Yerzeichniss  der  eingelaufenen  Büchergeschenke. 


Vom    historischen    Verein    von    Unterfranken    und    Aschaffenburg   in 

Würzburg : 

a)  Archiv.    24.  Bd.     1877.     8. 

b)  Die   Geschichte   des   Bauernkrieges    in    Ostfranken    von    Magister 
Lorenz  Fries,  von  Dr.  Schäffler  und  Dr.  Henner.     1876.     8. 

Von  der  öffentlichen  Bibliothek  in  Stuttgart: 
Festschrift  zur  4.  Saecularfeier  der  Eberhard-Karls- Universität.  1877.  4. 

Vom   Verein  für  Meklenburgische  Geschichte  und  Alterthumskunde  in 

Schwerin : 

a)  Meklenburgisches  Urkundenbuch.  X.Band  1346—1350.     Nachträge 
zu  Band  I— X.     1877.    4. 

b)  Jahrbücher  und  Jahresbericht.    40.  Jahrgang.     1875.   8. 

Von  der  deutschen  Morgenländischen  Gesellschaft  in  Leipzig: 
Zeitschrift.     31.  Band.     Register  zu  Band  XXI— XXX.     1877.     8. 

Von  dem  Thüring. -Sachs.  Verein  für  Erforschung   des  vaterl.  Alter- 
thums  und  Erhaltung  seiner  Denkmäler  in  Halle: 

Neue  Mittheilungen   aus  dem  Gebiete   historisch-antiquarischer  Forsch- 
ungen.   Band  XIV.    1875.    8. 

Von  der  Gesellschaft  für  Pommer'sche  Geschichte  und  Alterthumskunde 

in  Stettin: 

Baltische  Studien.    27.  Jahrgang.     1877.    8. 


326  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Vom  Verein  für  siebenlmrgische  Landeskunde  in  Hermanstadt: 

a>  Archiv.    Neue  Folge.     13.  Bd.     1876.  77.     8. 
b)  Jahresbericht  für  das  Vereinsjahr  1875/70.    8. 

Von  der  Studienanstalt  zu  Bamberg: 

Jahresbericht  für  1870/77  mit  Programm  von  Schramm,  die  Metaphysik 
des  Aristoteles.     1677.     8. 

Von  der  Akademie  der   Wissenschaften  in  Agram : 
Rad  (Arbeiten).    Bd.  XXXIX.     1877.    8. 

Von   der  allgemein   geschichtsforschenden  Gesellschaft   der  Schweiz  in 

Bern: 

Quellen  zur  Schweizer-Geschichte     Bd.  I.    Basel  1877.     8. 

Von  der  akademischen  Lesehalle  in  Czernowitz: 
I.  Verwaltungsbericht.     1877.    8. 

Vom   Verein  für  Kunst-  und  Altert hum  zu  Ulm: 
Correspondenzblatt  1877.    No.  6.    4. 

Von  der  Gesellschaft  für  Schleswig-Holstein-Lauenburgische  Geschichte 

in  Kiel: 

a)  Zeitschrift.    Bd.  VII.     1877.     8. 

b)  Register  zum  Diplomatarium  des  Klosters  Arensbök  von  G.  v.  Buch- 
wald.    1877.    4. 

Vom  Alterthums verein  in  Lüneburg: 

Urkundenbuch  der  Stadt  Lüneburg,  bearb.  von  W.  F.  Volger.    Bd.  III. 
1877.    8. 

Vom  k.  Sächsischen  Alterthums-  Verein  in  Dresden : 
Mittheilungen.    Heft  26  und  27.    1877.    8. 

Von  der  k.  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Krakau: 

a)  Monumenta  medii  aevi  historica.    Tom.  II.    1876.    4. 

b)  Rocznik  (Almanach).    1876.  1877.    8. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  327 

c)  Rozprawy  (Sitzungsberichte).    Histor.  Classe.     Tom.  6.7.  1877.     8. 

d)  Oskar  Kolberg,  Lud.     Serie  XI.     1877.     8. 

Von  der  k.   Universität  in  Mimchen: 
Chronik  auf  das  Jahr  1876/77.     1877.     4. 

Vom  historischen    Verein  für  Steiermark  in  Graz: 

a)  Mittheilungen.     Heft  XXV.     1877.    8. 

b)  Beiträge  zur  Kunde  steiermärkischer  Geschichtsquellen.     14.  Jahr- 
gang.    1877.     8. 

Vom  statistisch-topographischen  Bureau  in  Stuttgart: 

Württembergische  Jahrbücher  für  Statistik  und  Landeskunde.    Jahrgang 
1876.  1877.    4. 

Vom  Verein  von  Alterthumsfreunden  im  Rheinlande  zu  Bonn: 
Jahrbücher.    Heft  59.  60.     1876.  77.     gr.8. 

Von  der  Universität  in  Kiel: 

a)  Schriften   der  Universität  Kiel   aus  dem  Jahre  1876.     Bd.   XXIII. 
1877. 

b)  Die  Einweihungsfeier  des   neuen  Universitäts  -  Gebäudes   zu   Kiel, 
von  Frd.  Volbehr.     1876.     8. 

Vom    Verein  für  nassauische  Alterthumskunde  und  Geschichtsforschung 
in  Wiesbaden: 

Annalen.    Bd.  XIV.     1875—77.     8. 

Von  der  Academia  Lucchese  di  scienze,  lettere  ed  arti  in  Lucca: 
Atti.     Tomo  XX.     1876. 

Von  der  Commission  Imperiale  Archeologique  in  St.  Petersburg: 
Compte-rendu  pour  l'annee  1872—74  avec  Atlas,     fol. 


Vom  Herrn  Bidermann  in  Graz: 
Die  Romanen  und  ihre  Verbreitung  in  Oesterreich.    1877.    8. 


328  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Vom  Herrn  A.  Mühry  in  Göttingen: 
üeber  die  exaete  Natur-Philosophie.     1877.     8. 

Vom  Herrn   Wilhelm  Soltau  in  Zobern: 
Der  Verfasser  der  Chronik  des  Matthias  von  Neuenbürg.     1877.     4. 

Vom  Herrn   W.  Schlötel  in  Stuttgart: 
Amtliches  Plagiat?  oder  Was?     Ein  Circular.     1877.     8. 

Vom  Herrn  Matthias  Lexer  in  Würzburg: 
Mittelhochdeutsches  Handwörterbuch.     Lief.  XVI.     Leipzig  1877.     8. 

Vom  Herrn  Amand  Baumgarten  in  Kremsmünster : 

a)  Das  älteste  Urbarium  von  Kremsmünster.     Zur  XI.  Saecularfeier  des 
Stiftes  herausgegeben  von  P.  Leonard  Achleuthner.    Wien  1877.    8. 

b)  Die  Pflege  der  Musik  im  Stifte  Kremsmünster,  von  Georg  Hucmer. 
Wels  1877.     8. 

c)  Catalogus   codicura  manuscriptorum  in  bibliotheca  monasterii  Cre- 
mifanensis.    Ed.  P.  Hugo  Schmid.    Lentii  1877.     8. 

Vom  Herrn  Karl  von  Weber  in  Dresden: 

Archiv  für  die  sächsische  Geschichte.    Neue   Folge.    Bd.    IV.     Heft   1 
und  2.    Leipzig   1877.    8. 

Vom  Herrn  Franz  Joseph  Lauth  in  München: 

a)  Das  germanische  ßunen-Fudark.     1847.     8. 

b)  Das  vollständige  Universal- Alphabet.     1855.     8. 

c)  Manetho  und  der  Turiner  Königs-Papyrus.     1865.     8. 

d)  Moses  der  Ebraeer.     1868.    8. 

e)  Aegyptische  Chronologie.     1877.    8. 

Vom  Herrn  Dr.  Conrad  von  Maurer  in  München'. 
Das  älteste  Hofrecht  des  Nordens.     1877.     8. 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Roms.     329 


Historische    Classe. 


Sitzung  vom  1.  Dezember  1877. 

Herr  Gregorovius  trug  vor: 

„Ein  deutscher  Bericht  über  die  Erobe- 
rung Roms  durch  die  kaiserliche  Armee 
Carl's  V.  im  Jahr  1527,  von  dem  Augen- 
zeugen Ambrosius  von  Gumppenberg." 

Der  Gegenstand  meiner  Mittheilung  ist  ein  in  der 
Münchner  Staatsbibliothek  befindliches  Manuscript,  welches 
folgenden  Titel  führt: 

Beschreibung  aller  Händel,  die  sich  anno  1527  zu  Rom 
verlaufen  wie  die  Stadt  von  des  Rom.  Kaysers  Caroli  V. 
Kriegsvolk  eingenommen  und  geplündert  worden,  und  wie 
sich  solcher  Krieg  vom  Anfang  biss  zum  Ende  verlaufen 
hat,  durch  den  Hochwürdigen  und  Edeln  Herrn  Ambrosi 
von  Gumppenberg,  Prothonotarium  Apostolicum,  Dom- 
probsten  zu  Basel,  Domherrn  zu  Würzburg,  Augsburg ,  Re- 
gensburg etc.  so  der  Zeit  zu  Rom  selb  mit  und  beigewesen 
mit  eigner  Handt  beschrieben. 

Der  Verfasser  dieses  Schriftstückes  von  37  Blättern  in 
Quart  war  ein  bairischer  Edelmann,  ohne  besondere  Bedeu- 
tung im  öffentlichen  Leben  seiner  grossen  Zeit,  aber  von 
sehr  viel  praktischer  Erfahrung  und  Weltkenntniss.  Sein 
[1877.  I.  Philos.-philol.  Cl.  4]  23 


330  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

Name  ist  hauptsächlich  nur  in  Verbindung  mit  dem  seines 
verdienten,  sehr  merkwürdigen  Zeitgeuossen  bekannt  ge- 
worden, des  deutschen  Orientalisten  Johann  Albert  Wid- 
manstadt  oder  Lucretius. 

Herr  Oberbibliothekar  Föhringer  hat,  wenn  ich  nicht  irre, 
in  einer  Frühjahrssitzung  unserer  Classe  die  Beziehungen 
dieser  Männer  wieder  in  Erinnerung  gebracht.  Seiner  Gefällig- 
keit verdanke  ich  die  Bekanntschaft  mit  dem  Manuscript,  von 
dem  ich  reden  will,  und  dies  geschah  durch  Zufall.  Ich 
wurde  nämlich  in  Rom  auf  jene  beiden  Deutschen  auf- 
merksam ,  als  ich  dort  im  Frühjahr  1876  die  Register 
des  Gemeindearchivs  untersuchte,  um  älteste  und  ältere 
Bürgerbriefe,  sogenannte  Literae  civilitatis  aufzufinden  und 
mich  über  die  Veranlassung  von  deren  Ertheilung  und 
ihre  Formel  in  vergangenen  Jahrhunderten  zu  unterrichten. 
Bei  dieser  Gelegenheit  fand  ich  in  den  Protokollen  der 
Rathsitzungen  verzeichnet,  dass  Messer  Ambrogio  Gum- 
penbergh  am  10.  December  1537,  der  magnitico  Giovanni 
Alberto  di  Lucretio  di  Germania  am  15.  Mai  1551  das 
römische  Bürgerrecht  erhalten  hatten.  Dem  ersten,  welcher 
als  Eigenthümer  eines  Grundstücks  in  Rom  darum  einge- 
kommen war ,  wurde  durch  Zufall  dieses  Recht  gleichzeitig 
mit  Michel  Angelo  zu  Theil. 

In  Folge  der  Mittheilung  dieser  Notizen  machte  mich 
Herr  Föhringer  auf  das  Vorhandensein  einiger  Schrift- 
stücke aufmerksam,  welche  von  jenem  Ambrosius  verfasst 
sind.  Unter  diesen  überraschte  und  reizte  mich  ganz  be- 
sonders die  genannte  Beschreibung  der  Ereignisse  Roms  im 
Jahre  1527,  als  ein  in  deutscher  Sprache  geschriebener  und 
bisher  unbeachteter  Originalbencht. 

Ehe  ich  mich  über  den  Inhalt  desselben  auslasse,  würde 
es  meine  Pflicht  sein,  von  dem  Leben  des  Verfassers  selbst 
zu  berichten,  wenn  solches  für  uns  von  wirklicher  Bedeu- 
tung wäre,  oder  wenn  mich  dessen  nicht  überhöbe  die  zwar 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  'Eroberung  Roms.    331 

nur  als  Manuscript  für  die  Stammesgenossen  gedruckte, 
aber  uns  doch  zugängliche  „Geschichte  der  Familie  von  Gump- 
penberg."  Sie  hat  zu  Würzburg  im  Jahre  1856  ein  An- 
gehöriger dieses  noch  fortdauernden  alten  und  namhaften 
Hauses  veröffentlicht.  Ich  will  mich  auf  einige  meinem 
Zweck  doch  zukommende  Daten  beschränken,  die  ich  meist 
aus  den  schriftlichen  Nachrichten  jenes  Ambrosius  gezogen 
habe. 

Er  selbst  hat  in  dem  noch  vorhandenen  Bruchstück 
seiner  Autobiographie  (Cod.  bav.  1306,  und  Abschrift  im 
Cod.  bav.  2127)  sein  Geburtsjahr  nicht  angegeben.  Aus- 
gerüstet mit  so  viel  Studien,  als  er  in  Tübingen  und  In- 
golstadt gemacht  hatte,  begab  er  sich  als  ein  junger  mittel- 
loser Glücksritter  nach  Rom.  Das  Jahr  seiner  Ankunft 
bemerkt  er  nicht.  Er  sagt  einmal  folgendes :  „ich  pin  nach 
Italien  gekomen,  da  ich  etwan  24  Jar  alt  gewest  pin,  und 
pin  gen  Rom  komen,  hab  mich  nit  geschämet,  alss  edel 
ich  gewest  pin,  das  ich  mich  dem  wenigsten  sowohl  dienst- 
bar gemacht  habe,  als  dem  allergrössesten  Herrn.'1  Nun 
berichtet  er  in  seiner  Schrift  über  den  Krieg  im  Jahre  1527, 
dass  er  zur  Zeit,  da  der  Connetable  von  Bourbon  im  An- 
züge gegen  Florenz  begriffen  war,  also  im  Monate  April 
jenes  Jahres  „ein  junger  beherzter  geselle  von  ain  25  Ja- 
ren"  gewesen  sei.  Demnach  muss  Gumpenberg  etwa  im 
Jahre  1525  nach  Rom  gekommen  sein.  Weil"  er  aber  zu- 
gleich behauptet,  dass  er  ehe  die  Stadt  durch  die  Kaiser- 
lichen erobert  ward,  in  mancherlei  Geschäften  des  Papstes 
zum  siebenten  Mal  in  Deutschland  gewesen  sei,  so  kann 
diese  Behauptung  mit  der  eben  gemachten  Berechnung  nicht 
gut  vereinigt  werden.  Denn  bei  der  Schwierigkeit  des 
Reisens  in  jener  Zeit  ist  es  nicht  glaublich,  dass  jemand 
innerhalb  zweier  Jahre  in  geschäftlichen  Angelegenheiten 
siebenmal  zwischen  Rom  und  Baiern  hin  und  her  gegangen 
sei.    Vielleicht  hat  der  Abschreiber  des  Manuscripts  (dieses 

23* 


332  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

ist  nur  in  Copie  vorhanden)  ans  der  arabischen  Ziffer  2 
eine  7  gemacht.  Doch  das  mag  auf  sich  beruhen.  Die 
Geschäftsreise  Gumppenbergs  von  Rom  an  den  Hof  der  bai- 
rischen  Herzoge  im  Jahre  1526  beweist,  dass,  wie  geriug- 
fügig  auch  sein  damaliger  Auftrag  gewesen  sein  mag,  der 
junge  Deutsche  in  kurzer  Zeit  die  Gunst  grosser  Herren 
erworben  hatte. 

Rom  war  damals  nicht  mehr  das  glanzvolle  Theater 
künstlerischer  und  wissenschaftlicher  Thätigkeit  wie  zur 
Zeit  Julius  II.  und  Leo's  X.  Ein  Bruch  in  dieser  Hinsicht 
war  eingetreten  unter  der  musenfeindlichen  Regierung  des 
unglücklichen  Hadrian  VI.  Jedoch  waren  Akademiker  und 
Künstler  seit  der  Erhebung  Clemens  des  VII.  auf  den  heil. 
Stuhl  zu  neuem  Leben  zurückgekehrt:  Männer  wie  Giberti 
und  Sadoleto  bekleideten  das  Amt  des  Secretärs  im  Dienst 
des  zweiten  Medici.  Ausländer  konnten  in  Rom  nach  wie 
vor  die  Schulen  ausgezeichneter  Professoren  besuchen,  die 
Schätze  der  Bibliotheken  ausbeuten,  und  den  Umgang  vieler 
genialer  Männer  gemessen. 

Es  waren  aber  schwerlich  wissenschaftliche  Triebe,  die 
unsern  jungen  Landsmann  nach  Rom  geführt  hatten.  Er 
hat  sich  nirgend  im  Zusammenhang  mit  Humanisten  und 
Gelehrten  Roms  oder  Italiens  gezeigt,  noch  dort  oder  später 
in  Deutschland  in  irgend  einer  Weise  an  der  Wissenschaft 
oder  auch  nur  an  den  kirchlichen  Tagesfragen  sich  bethei- 
ligt. Er  war  ein  Mann  der  Praxis ;  als  solcher  suchte  er 
sein  Glück  zu  machen,  und  das  war  in  Rom  nicht  schwer, 
wo  zwar  die  literarische  Laufbahn  Hindernisse  und  wenig 
Lohn  finden  konnte,  aber  die  einträgliche  des  Curtisan  jedem 
begabten  Menschen  jeder  Nation  immer  offen  stand. 

Ambrosius  hat  sich  über  seine  römischen  Lehrjahre 
nur  ganz  im  Allgemeinen  ausgesprochen,  und  das  ist  zu 
bedauern,  denn  es  wäre  doch  eine  dankbare  Aufgabe  gewe- 
sen,   am  eigenen  Beispiel   das  Emporkommen   eines   armen 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb,  d.  Eroberung  Roms.     333 

Fremdlings  gerade  in  Rom  darzustellen.  Es  gab  dort  immer 
Deutsche,  die  als  Höflinge  es  zu  etwas  gebracht  haben,  und 
denen  bisweilen  die  Nachwelt  auf  Grund  ihrer  amtlichen 
Eigenschaft  bei  der  Curie  schätzenswerthe  Denkmäler  ihrer 
Zeit  zu  verdanken  hatte,  wie  dem  Strassburger  Burkard 
und  den  beiden  Westphalen  Niem  und  Gobelin  Persona. 

„Ich  pin,  so  sagt  Ambrosius,  bei  allen  meinen  Ge- 
danken dahin  gestanden,  wie  ich  doch  thun  mechte,  dass 
es  meinem  Herren  gefiele,  dass  ich  in  meins  Herrn  Gnade 
komen  und  darin  bleiben  mechte,  dan  zu  Rom  komen 
treue  fleissige  Diener  bei  ihren  Herren  hinfurt,  es  sein  die 
Welschen  wie  pes  bueben  sie  wollen,  so  gefält  ihnen  ein 
feiner,  frumer  treuer  erlich  Diener  wol;  sie  suchen  Wege 
und  Mittel  ihm  aufzuhelfen;  darumb  ist  dass  die  Ursache, 
das  da  jederman  gen  Rom  lauffet,  und  sunder  wass  wie 
geschickte  ingenia  sein,  das  ein  armer  geselle  so  bald  zu 
einem  grossen  Prällat,  Bistum,  Cardinalat  und  gar  zum 
Papat  komen  mege  ,*  als  kein  grosser  Herr  nit.u  Er  habe 
sich  deshalb,  so  sagt  er  weiter,  in  Rom,  wo  nur  das  Ta- 
lent und  nicht  die  Geburt  gelte,  nicht  gar  viel  auf  seinen 
alten  Adel  verlassen,  sondern  sich  in  Dienst  der  grossen 
Herren  begeben  mit  solchem  Fleiss  und  Eifer,  dass  er  bald 
emporgekommen  sei.  Man  habe  ihm  mit  der  Zeit  aus  allen 
Landen  Sachen  zugeschickt  (d.  h.  Geschäfte  anvertraut),  so- 
gar aus  der  Insel  Zea  bei  Constantinopel. 

Der  Beruf,  in  welchem  sich  der  junge  Glücksjäger  zu 
Rom  ausbildete,  war  also  der  eines  Geschäftsführers  in  kleinen 
und  grossen  Angelegenheiten  der  Curie,  oder  hoher  römi- 
scher Prälaten,  wie  deutscher  Bischöfe  und  Fürsten,  welche 
hundert  Dinge  auf  dem  geistlichen  Weltmarkt  Rom  zu 
erhandeln  und  zu  betreiben  hatten.  Mit  der  Zeit  erlangte 
Ambrosius  eine  so  grosse  Gewandtheit  in  seiner  Kunst,  dass 
er  vom  Kaiser  Carl  V.  zum  Procurator  der  deutschen  Na- 
tion   bestellt    ward.      Auch    die    zahlreiche    Klasse    solcher 


334  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

Agenten  wurde  mit  dem  allgemeineren  Begriff  des  Curialen 
und  Cnrtisan  bezeichnet,  und  dieser  war  in  unserem  von  der 
römischen  Curie  so  schamlos  ausgebeuteten  Vaterlande  ver- 
rufen und  tief  verhasst.  Gumppenberg  wusste  und  erfuhr 
das  mehr  als  genug,  darum  suchte  er  in  jenen  wenigen 
Nachrichten  von  seinem  Leben  diesen  Flecken  zu  tilgen 
oder  zu  beschönigen.  Er  erklärt,  dass  er  sich  des  Namens 
eines  Curtisan  gar  nicht  schäme.  „Ich  wollt,  so  schreibt 
er,  mein  hand  darum  geben,  dass  ganz  Deutschland  ein 
Cortisan  wer  und  cortes  handelt,  so  stund  unser  arm 
Deutschland  besser  dan  also  da,  und  wer  sich  Roms  schämet, 
hat  gar  wenig  gesehen  und  erfahren.  Ja  man  will  sagen 
zu  Rom  sei  alles  Buberei,  und  da  sehe  und  lerne  man  alle 
böse  Stücke,  und  so  einer  gen  Rom  ziehet,  so  fände  er 
gleich  den  Schalk  und  corrumpire  sein  gut  Gewissen  zu- 
samt seinen  moribus."  Wo  aber,  so  fragt  er,  kommen  denn 
die  grossen  Schelmen  und  Bösewichter  in  Deutschland  her, 
die  da  Rom  und  Welschland  nie  gesehen  haben;  wo  haben 
sie  alle  ihre  Unehrbarkeit ,  ihre  Trunksucht  und  Völlerei 
gelernt?  Sodann  behauptet  er,  dass  man  nirgend  in  der 
Welt  frommere,  ehrbarere,  diensthaftere  und  geschicktere 
Leute  finde,  als  in  Rom:  dort  lerne  man  vom  Sehen  und 
Hören  mehr,  als  in  Deutschland  aus  Büchern  und  auf  einer 
hohen  Stuben  bei  einem  unnützen  studio.  Hier  haben  wir 
also  Aussprüche  eines  Deutschen  über  das  römische  Curti- 
sanenwesen ,  welche  die  Satiren  Huttens  und  die  Pasquille 
der  Reformatoren  Lügen  strafen  sollen. 

Ein  Zeitgenosse  der  Reformation,  ein  Landsmann  Aven- 
tins,  der  Curial  des  Cardinais  Caetanus,  hatte  kein  Bewusst- 
sein  davon,  dass  es  gerade  das  verachtete  Studium  in  den 
hohen  Stuben  war,  was  sein  Vaterland  Deutschland  wieder 
gross  und  bedeutend  machte,  und  die  gesammte  Kirche  er- 
schütterte, nachdem  das  Bücherstudium  der  italienischen 
Humanisten  schon  seit  dem  Costnizer  Conzil  die  moralische 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Roms.     335 

Revolution  der  Welt  begonnen  hatte.  Etwas  freilich  von 
gewissen  Eigenschaften  des  Curtisans  durfte  Gumppenberg 
immerhin  seinen  Landsleuten  wünschen ,  ich  meine  jene 
Cortesia  selbst  im  besten  Sinne  Castiglione's ,  die  in  einem 
gebildeten  und  geistreichen  Volk  entstandene  Renaissance 
der  alten  Urbanitas.  Sie  hatte  den  in  höfischen  Sitten  er- 
fahrenen Erasmus  unter  andern  Vorzügen  schöner  Mensch- 
lichkeit in  Rom  bezaubert.  Ut  urbis  liceat  oblivisci  quae- 
rendus  mihi  est  fluvius  aliquis  Lethaeus:  so  schrieb  er  an 
den  Cardinal  von  Nantes.  Wenn  Gumpenberg  einmal  aus- 
ruft: hätte  ich  tausend  Söhne,  so  müsste  mir  ein  jeder  nach 
Rom,  ehe  er  das  vierundzwanzigste  Jahr  erreicht  hat,  so 
hat  er  hier,  wie  ich  glauben  will,  nicht  bloss  die  Kunst 
curialer  Geschäfte  und  der  Sportein  im  Auge  gehabt.  Seine 
Landsleute,  so  viele  sich  voll  Hass  und  Abscheu  vom  römi- 
schen Wesen  hinweg  gewendet  hatten,  konnte  er  freilich 
nicht  von  der  Ueberzeugung  bekehren,  dass  die  Liebens- 
würdigkeit des  Curtisans  meist  nur  die  blendende  Tünche 
der  Laster  des  ränkevollen,  gewissenlosen  und  habgierigen 
Höflings  sei.  In  Deutschland  galt  auch  Ambrosius  als  der 
vollkommen  ausgelerute  Curtisan  (perfectus  curtisanus)  im 
übelsten  Sinn  des  Worts.  So  heisst  er  in  einer  Anekdote 
De  Eccio  et  Gumpenbergio  in  comitiis  Augustanis,  welche 
in  Schelhorns  Ergötzlichkeiten  aus  der  Kirchenhistorie 
(IL  741)  unter  der  Rubrik  Narrationes  jucundae  zu  lesen 
ist,  und  diese  Anekdoten  sollen  den  Vorlesungen  Melanch- 
tons  entnommen  sein.  Zu  untersuchen,  ob  ihm  bei  solchem 
Urtheil  seiner  Landsleute  Recht  oder  Unrecht  geschah,  ist 
nicht  meine  Aufgabe. 

Er  trat  in  die  Dienste  des  in  Deutschland  von  Augs- 
burg her  wohl  bekannten  Cardinais  Thomas  de  Vio  oder 
Caetanus,  wie  auch  Widmanstadt  später  Familiär  eines 
Cardinais  wurde,  nämlich  Schombergs.  In  diesem  Höflings- 
verhältniss  hat  Ambrosius  sein  Glück  begründet;  und  jener 


336  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

Cardinal  ist  wohl  vorzugsweise  der  Herr,  um  dessen  Gunst 
und  Gnade  er  sich  bemüht  gezeigt  hat.  Im  Adelspiegel 
des  Cyriacus  Spangenberg  wird  von  ihm  nichts  anderes  be- 
merkt als  dies:  Ambrosius  von  Gumpenberg  in  Italia  lang 
studiert,  und  bey  dem  Cardinal  Caetano  wol  daran  ge- 
wesen. 

In  den  Stürmen  des  Jahres  1527  machte  sich  Ambro- 
sius durch  grössere  dem  Papst  und  den  Cardinälen  geleistete 
Dienste  zuerst  einen  Namen.  Er  war  Unterhändler  und 
Dolmetsch  während  der  Gefangenschaft  Clemens'  VII.  in 
der  Engelsburg;  er  befand  sich  in  gleicher  oder  schon  höhe- 
rer amtlicher  Eigenschaft  im  Heer  des  Kaisers  Carl  bei  den 
schrecklichen  Belagerungen  der  Städte  Neapel  und  Florenz. 
Er  begleitete  im  Juli  1532  den  Cardinallegaten  Hippolyt 
Medici  auf  dem  begonnenen,  aber  an  den  Grenzen  Ungarns 
stille  stehenden  Kreuzzug  der  Bundesarmee  gegen  den  Sul- 
tan Soliman,  wohl  als  Kriegscommissar.  Er  selbst  behauptet, 
dass  er  während  der  langen  Jahre,  die  er  unter  den  Päp- 
sten Clemens  VII.  und  Paul  III.  in  Rom  gelebt  hatte, 
fünfmal  oberster  Commissarius  und  zwar  allemal  bei  einer 
Armee  von  20,000  bis  30,000  Mann  gewesen  sei.  Er  sagt 
sogar,  dass  er  schon  im  Jahre  1527  oberster  Commissarius 
über  die  Landsknechte  war,  und  sie  dreimal  musterte. 

Die  Pfründen  und  Belohnungen,  die  er  von  den  Päp- 
sten und  grossen  Herren ,  auch  wohl  vom  Kaiser  erhalten 
hatte  und  seine  fortgesetzten  Geschäfte,  deren  jährliches 
Einkommen  er  selbst  auf  die  für  jene  Zeit  recht  ansehnliche 
Summe  von  3000  Gulden  berechnet  hat,  verhalfen  dem 
Curtisan  dazu,  sich  in  Rom  bequem  einzurichten.  Er  kaufte 
ein  Haus,  welches  der  Abtei  Farfa  gehörte.  In  dem  gifti- 
gen und  gemeinen  Pamphlet  seines  römischen  Vertheidigers 
Scaltelus  wider  Widmanstadt  (bei  Schelhorn  Amoenitates 
Literariae  T.  XIII)  heisst  es  von  ihm:  „er  bewohnt  in  der 
Stadt    ein   sehr    geräumiges    Haus,    welches    angefüllt    ist 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Homs.    337 

mit  antiken  Marmorfiguren,  mit  Bildwerken,  Gemälden, 
Krystallen  und  schönem  Gerät.  Seine  grosse  treffliche 
Bibliothek  ist  jeder  Mann  geöffnet,  wie  auch  sein  ganzes 
Haus  allen  offen  steht,  zumal  angesehenen  Männern  oder 
solchen ,  welche  in  irgend  einer  Wissenschaft  und  Kunst 
hervorragen.  Fast  den  ganzen  Tag  bringt  er  im  Dienste 
der  Mächtigen  und  Grossen  zu,  wie  man's  so  in  Rom  zu 
treiben  pflegt,  oder  er  widmet  sich  der  Unterstützung  der 
Freunde  und  Clienten.  Kehrt  er  von  Geschäften  heim,  so 
erholt  er  sich  bei  dem  edeln  Genuss,  den  ihm  sein  Haus  ge- 
währt, wo  er  oft  ausgezeichnete  Männer,  Redner  und  Dich- 
ter zum  Gespräch  versammelt.  Er  schenkt  allen  seine 
Gastfreundschaft,  zumal  den  Deutschen,  welchen  er  seine 
hilfreiche  Hand  darzubieten  nicht  ermüdet." 

Wenn  die  Schmeicheleien  eines  bezahlten  Advocaten 
auf  Wahrheit  begründet  sind,  so  hat  der  Protonotarius  und 
Procurator  der  deutschen  Nation  als  ein  einflussreicher 
Mann  in  den  traurigen  Zeiten,  die  auf  das  Jahr  1527  folg- 
ten, eine  hervorragende  gesellschaftliche  Stellung,  nament- 
lich unter  den  Deutschen  in  Rom  gehabt.  Doch  nahm  er 
schwerlich  jenen  schöneren  Platz  ein,  den  sein  Landsmann, 
der  alte  gefeierte  Luxemburger  Goritz,  der  Liebling  der  römi- 
schen Akademiker  durch  so  lange  Jahre  behauptet  hatte, 
ehe  ihn  und  seine  geistvollen  Freunde  die  furchtbare  Kata- 
strophe des  Jahres  1527  in's  Elend  stürzte.  Indess  eines 
Tags,  am  26.  October  1540  wurde  Gumppenberg  aus  sei- 
nem schönen  Hause  von  Häschern  des  Gerichts  in  die  Torre 
di  Nona  abgeführt:  dies  hatte  sein  Landsmann  Widman- 
stadt,  welcher  ehedem  sein  eigener  Gast  gewesen  war,  bei 
der  römischen  Polizei  durchgesetzt.  In  einem  langen  Schrei- 
ben oder  einer  Apologie,  welche  Ambrosius  noch  in  späte- 
ren Jahren  an  den  römischen  König  Ferdinand  richtete,  hat 
er  die  in  jenem  grauenvollen  Staatsgefängniss  ausgestandene 
Hölle   mit   lebhaften   Farben   geschildert    (Cod.   bav.  130G, 


338  Sitzung  der  hist.  (-lasse  vom  1.  Dezember  1877. 

fol.  209).  Er  war  damals,  wie  er  sagt,  bereits  seit  16 
Jahren  der  röm.  Kays.  Maj.  Procurator  durch  ganz  Deutsch- 
land gewesen,  eine  Berechnung,  die  indess  nicht  genau  sein 
dürfte. 

Es  ist  nicht  meine  Aufgabe,  hier  von  dem  berüchtigten 
Process  zwischen  Gumppenberg  und  Widmanstadt  zu  reden, 
dessen  Ursache  war,  —  um  nur  diese  kurz  anzugeben 
—  die  Bemühung  des  neuen  Bischofs  von  Eichstädt  Moritz 
von  Hütten,  die  von  ihm  bis  zum  Jahre  1539  innege- 
habte Dompropstei  in  Würzburg  auch  als  Bischof  fortzu- 
geniessen.  Bei  dieser  Bemühung  sind  jene  beiden  Deutschen 
als  Procuratoren  eines  und  desselben  Prälaten  und  eines 
und  desselben  bei  der  römischen  Curie  zu  vermittelnden 
Geschäfts  in  tödtlichen  Streit  gerathen.  Dieser  Process  ist 
wenig  ehrenvoll  für  deutsche  Männer,  um  so  weniger,  als 
er  nicht,  wie  so  viele  erbitterte  Feindschaften  unter  italie- 
nischen Humanisten  mit  wissenschaftlichen  Motiven  verbun- 
den war.  Doch  darf  hier  Widmanstadt  vorweg  unsere 
Sympathie  in  Anspruch  nehmen,  als  ein  Mann  von  wirk- 
lichen wissenschaftlichen  Verdiensten.  Ich  übergehe  endlich 
alle  weiteren  Schicksale  des  Ambrosius  und  bemerke  nur, 
dass  derselbe,  wie  es  scheint,  im  Jahre  1545  nach  Deutsch- 
land zurückgekehrt  ist,  und  zwar  im  Dienst  des  Cardinais 
Alexander  Farnese.  Hier  wurde  er  als  Generalcommissar 
der  päpstlichen  Hilfstruppen  unter  Octavio  Farnese  im 
Schmalkaldischen  Donaukriege  sichtbar,  in  welcher  Eigen- 
schaft ihn  Herr  Dr.  v.  Druffel  in  dem  von  ihm  soeben 
herausgegebenen  Tagebuch  des  Viglius  van  Z wiehern  be- 
merkt hat.  Der  unruhige,  streitsüchtige,  vielgeschäftige 
Mann  starb  zu  Eichstädt  am  4.  Sept.   1574. 

Ich  komme  nun  auf  meinen  eigentlichen  Gegenstand, 
die  von  Gumppenberg  hinterlassenen  Schriftstücke.  Ein 
Mann,  der  20  Jahre  in  Rom  und  noch  lange  Zeit  in  dem 
tief  aufgeregten  Deutschland  lebte   mitten   in   dem  Umge- 


Grogorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Roms.  339 

staltungsprocess  der  europäischen  Welt  durch  das  Kaiser- 
thum  Carls  V.  und  die  Reformation,  der  als  Augenzeuge, 
hie  und  da  als  amtlich  Theilnehmender  so  grosse  Ereig- 
nisse sich  vollziehen  sah ,  und  die  bedeutenden  Personen 
persönlich  kannte,  ein  solcher  Mann  war ,  das  darstellende 
Talent  vorausgesetzt,  wohl  dazu  berufen,  in  einer  Auto- 
biographie ein  Zeitgemälde  der  Nachwelt  zu  überliefern. 
In  der  That  fühlte  Ambrosius,  in  sein  Vaterland  zurückge- 
kehrt, bei  grösserer  Müsse  den  Trieb,  seine  denkwürdigen 
Erinnerungen  niederzuschreiben.  Er  begann  seine  Biogra- 
phie im  Kanzeleistil  einer  Urkunde  oder  eines  Testaments 
mit  Aufzählung  aller  seiner  Pfründen  und  Ehrentitel :  Ich 
Ambrosy  von  Gumppenberg,  Erbmarschall  in  Oberbai ern  etc. 
Diese  Adresse  ad  posteros  richtete  er  ausdrücklich  an  die 
eigene  Familie,  als  deren  merkwürdigstes  Mitglied  er  sich 
zu  betrachten  Ursache  hatte.  Nicht  anders  ist  der  alte 
Götz  von  Berlichingen  verfahren ;  er  hat  seine  ritterliche 
Thaten  aufgezeichnet  seinen  „Erben,  Kindern  und  Nach- 
kommen zu  Ehren  und  Gutem.u 

Die  Lebensbeschreibung  Gumppenbergs,  erhalten  in  dem 
flüchtig  und  hieroglyphisch  geschriebenen  Original  und  in 
einer  nur  halbverständlichen  Abschrift,  umfasst  indess  nicht 
mehr  als  13  Blätter.  Der  Autor  beginnt  mit  dem  trocke- 
nen Verzeichniss  seiner  nächsten  Familienglieder;  dann 
springt  er,  ohne  sich  bei  seiner  Erziehung  und  seinen  Stu- 
dienjahren aufzuhalten,  schnell  nach  Rom  über,  und  ver- 
breitet sich  in  allgemeiner  Weise  über  den  dort  von  ihm 
erwählten  Beruf.  Hierauf  kommt  er  ohne  weitere  Vermitt- 
lung zu  den  Ereignissen  des  Jahres  1527.  Er  gibt  hastige 
Nachricht  von  seiner  Verwicklung  in  dieselben  bis  zum 
Augenblick,  wo  der  Connetable  vor  den  Mauern  der  Stadt 
erscheint.  Hier  bricht  das  Manuscript  ab.  Entweder  ging 
die  Folge  verloren,  oder  (und  das  halte  ich  nach  der  dürf- 
tigen Anlage  dieser  Aufzeichnung  für  wahrscheinlich),   der 


340  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

Biograph  gab  seinen  Plan  auf,  weil  er  ihm  doch  nicht 
gewachsen  war. 

Hätte  er  nicht  mit  so  viel  Emphase  seine  Absicht  an- 
gekündigt, sein  Leben  und  Thun  „von  der  Kindheit  bis 
zur  Grube"  darzustellen  und  seinen  Nachkommen  und  Vet- 
tern zu  ihres  Stammes  Ehre  als  ein  ,,Exempel  und  Me- 
mory" zu  hinterlassen,  so  würden  wir  kein  Recht  haben, 
dies  Fragment  auf  solche  Verheissung  hin  erwartungsvoll 
anzusehen.  Nun  aber  bedauern  wir,  dass  wir  um  verspro- 
chene deutsche  Memoiren  gekommen  sind,  welche  auf  die 
Geschichte  und  Zeiten  Carls  V.,  Clemens  VII.  und  Pauls  III. 
in  biographischer  Weise  sich  würden  bezogen  haben. 

Der  lobenswerthe  Versuch  eines  vielerfahrenen  Deut- 
schen jener  Zeit  in  seiner  Muttersprache  sein  Leben  nieder- 
zuschreiben, ist  aber  schon  als  solcher  der  Aufmerksamkeit 
werth.  Die  deutsche  Literatur  ist  nicht  reich  an  Biogra- 
phieen  und  Memoiren,  dieser  wichtigen  Gattung  der  histo- 
rischen Kunst,  welche  man  den  psychologischen  Spiegel 
nennen  darf,  worin  Nationen  das  geistige  Bild  ihres  Staats 
und  ihrer  Gesellschaft  als  persönliches  Porträt  des  Zeitalters 
erkennen.  Wir  haben  den  biographischen  Sammlungen  der 
Franzosen  und  Engländer  nichts  Ebenbürtiges  an  die  Seite 
zu  stellen.  Wir  besitzen  aus  unserer  älteren  Vergangenheit 
nichts ,  was  sich  einem  Joinville,  Froissart  oder  Comines, 
oder  jenen  Denkwürdigkeiten  vergleichen  Hesse,  mit  denen 
ein  Papst,  Pius  II.  Piccolomini,  die  Nachwelt  beschenkt  hat. 

Die  sich  selbst  beobachtende,  die  historische  Erfahrung 
der  eigenen  Welt  zum  Bewusstsein  der  Zeit  gestaltende 
Persönlichkeit  wurde  bei  uns  erst  durch  die  Stürme  der 
Reformation  losgelöst,  aber  die  Anfänge,  die  wir  damals  in  der 
biographischen  Literatur,  meist  durch  die  italienische  Charakte- 
ristik angeregt,  gemacht  haben,  gingen  in  der  Verwilderung  der 
Gesellschaft  und  der  deutschen  Sprache  während  des  17. 
Jahrhunderts  folgelos  verloren.     Durch  das  Gestrüpp  dieser 


Gregorocius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Roms.    341 

in  officiellen  wie  privaten  Gebieten  sich  hindurch  zu  arbei- 
ten, ist  wohl  die  schwierigste,  fast  herkulische  Arbeit,  welche 
heute  auch  dem  geduldigsten  deutschen  Geschichtsforscher  auf- 
erlegt werden  kann.  In  solchem  vernachlässigten,  weit  zu- 
rückgebliebenen Sprachstoff  zu  versuchen,  die  erlebte  Welt 
in  allem  Reichthum  menschlicher  Verhältnisse  abzuschildern, 
konnte  unsre  Staatsmänner  und  Beobachter  noch  bis  über 
die  Zeiten  Friedrichs  des  Grossen  nicht  reizen;  und  selbst 
als  dieser  Verfall  und  Tumult  der  Sprache  noch  nicht  ein- 
getreten war,  in  den  Zeiten  sprachschöpferischer  Kraft  Lu- 
thers, Aventins  und  Tschudi's  würde  einem  deutschen  Ben- 
venuto  Cellini  die  Sprache  unsres  edeln  Albrecht  Dürer 
mehr  als  ein  Hinderniss  des  Ausdrucks  gewesen  sein.  Man 
wird  das  Leben  des  Götz  von  Berlichingen  heute  kaum 
noch  ein  Zeitgemälde  nennen,  es  sei  denn  von  den  rohesten 
Zügen  ohne  psychologischen  Blick  für  den  Menschen,  ohne 
Spur  individualisir ender  Kunst,  und  endlich  ermüdend  durch 
die  verworrene,  langathmige,  schwerfällig  pedantische  Sprache, 
welche  den  Sinn  in  Dunkelheit  hüllt. 

Ich  bin  von  meinem  bescheidenen  Gegenstand,  dem 
deutschen  Curtisan  in  Rom  aus  der  grossen  Zeit  Luthers 
und  Carls  V.  abgekommen,  welcher,  wie  ich  sagte,  den  rüh- 
menswerthen  Versuch  einer  Selbstbiographie  gemacht  hat. 
Dieser  weltkundige  Mann  verunglückte  dabei,  aber  die 
Schuld  lag  an  seiner  mangelhaften  Bildung  und  persön- 
lichen Unbedeutung  überhaupt,  nicht  an  seiner  besondern 
Unfähigkeit  sich  deutsch  gut  auszudrücken.  Er  hatte  in 
der  Fremde  seine  Muttersprache  nicht  verlernt.  Sie  ist  bei 
ihm,  vom  baierischen  Dialect  gefärbt,  mit  Fremdwörtern 
nicht  zu  sehr  angefüllt,  unbeholfen  und  ungebildet,  oft  roh 
im  Aus4ruck,  aber  immerhin  so  lesbar,  wie  jene  seines  Zeit- 
genossen Adam  Reissner. 

Nun  aber  hat  er  doch  seine  Lebensgeschichte  fortge- 
setzt, weil  sie  ihm  wichtig  erschien,  und  sie  war  es  sicher 


342  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

durch  die  Fülle  erlebter  grosser  Dinge;  ja,  wie  dankbar 
würden  wir  ihm  noch  heute  sein,  wenn  er  verstanden  hätte, 
sie  uns  wichtig  zu  machen.  Er  schrieb  den  Bericht  über 
die  Ereignisse  des  Jahres  1527,  welcher  als  ein  herausge- 
nommenes und  mehr  ausgeführtes  Stück  eines  grösseren 
Ganzen  zu  betrachten  ist.  Es  reicht  vom  Monat  April, 
wo  Clemens  VIL  von  Florenz  aus  mit  dem  Connetable  un- 
terhandelte, bis  zum  29.  November,  wo  die  sechs  päpst- 
lichen Geiseln  aus  der  Haft  der  Landsknechte  glücklich 
entronnen  sind.  Da  bricht  auch  dies  Manuscript  plötzlich 
ab.  Die  Erzählung  Gumpenbergs  ist  erst  aus  der  Erinne- 
rung geschrieben  zwischen  den  Jahren  1549  und  1555,  als 
Julius  III.  del  Monte  Papst  war.  Die  Abschrift  des  Ma- 
nuscripts  besorgte  sein  damaliger  Secretär  Johann  Baptist 
Fickler.  Dieser  Mann,  ein  Würtemberger  von  Geburt,  ist 
nachher  in  Salzburg  und  München  zu  einigem  Ruf  gekom- 
men, als  Theologe,  Canonist,  Uebersetzer,  Numismatiker,  als 
eifriger  Katholik.  Er  erlangte  auch  dadurch  eine  besondere 
Bedeutung,  dass  er  Lehrer  Maximilians  I.  von  Baiern  in 
der  Rechtswissenschaft  wurde.  Er  starb  an  der  Schwelle 
des  dreissigjährigen  Kriegs  im  Jahre   1612. 

Auch  Fickler  hat  sich,  und  das  erregt  als  ein  Trieb 
jener  Zeit  wiederum  Aufmerksamkeit,  an  einer  Autobiogra- 
phie versucht,  in  deutscher  Sprache,  die  nicht  besser  und 
gebildeter  ist  als  die  seines  ehemaligen  Principals  Gumpen- 
berg  (Cod.  bav.  3085).  Auch  ist  sein  Versuch  ebenso 
dürftig  und  geistlos  ausgefallen.  Er  erzählt,  dass  er  im 
Jahr  1555  mit  Johann  Agricola  den  Grad  des  magister 
artium  zu  Ingolstadt  erhalten  habe,  und  sagt  weiter :  ,, Nicht 
lang  nach  dieser  Zeit  bin  ich  zue  Herrn  Ambrosius  von 
Gumpenberg  in  Dinst  khomen,  und  sein  Secretari  worden, 
bey  dem  als  einem  selzamen  Unruwigen  Kopf,  hab  ich  bey 
vier  Jahr  vil  Unruhe  und  Arbeitt,  mit  schreyben  und  Rey- 
sen,  gefahr,  zue  hause  und  Landt  erlitten  und  überstanden, 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Borns.   343 

wie  denjenigen  bewusst,  so  Jne  Herrn  und  mich  zur  selbi- 
gen zayt  gekannt,  solchen  unruwigen  und  schwären  Dienst 
als  ich  Ime  auf  ettliche  Jahr  verschrieben  gewesen,  hab  ich 
mit  geduldt  überstandten,  bis  Gott  der  Allmechtige  gnadt 
und  gelegenhait  geschickt,  das  ich  nach  gehabtem  Reychs- 
tag  zue  Augspurg  anno  1559  zu  dem  hochwürdigsten  Für- 
sten und  Herren,  Herrn  Michel  Erzbischoffen  zu  Salzburg 
und  legaten  des  Stuhls  zu  Rohm,  des  geschlechts  von  Kien- 
burg in  Dienst  khomen  bin." 

In  der  von  Fickler  revidirten  Abschrift  ist  also  der 
Gumppenbergische  Bericht  erhalten.  Man  erwarte  in  ihm 
weder  die  Aufschlüsse  eines  in  die  Politik  der  Zeit  einge- 
weihten Staatsmanns,  noch  die  Genauigkeit  eines  Geschichts- 
schreibers. Es  gibt  darin  Irrthümer  genug,  selbst  Ver- 
wechslung und  Entstellung  italienischer  Namen,  welche  doch 
dem  Verfasser  besonders  geläufig  hätten  sein  sollen.  Es 
sind  Fehler  des  Gedächtnisses,  der  Flüchtigkeit,  bisweilen 
wirklicher  Unwissenheit.  Seine  Schrift  ist  keine  ernstliche 
Arbeit;  Studium  hat  er  daran  nicht  gewendet.  Ihr  Zweck 
war  auch  viel  weniger  ein  historischer  als  ein  biographi- 
scher, und  dieser  Gesichtspunkt  war  gerade  dasjenige,  was 
mich  bei  diesen  Aufzeichnungen  Gumppenbergs  gefesselt  hat. 
Er  verleiht  ihnen  Züge  des  Persönlichen  von  Werth. 

Unter  allen  Relationen  über  den  Sacco  di  Roma  ist 
keine  in  solcher  Weise  geschrieben-  worden,  dass  die  Person 
des  Augenzeugen  und  Erzählers  in  der  Mitte  der  Dinge 
sichtbar  bleibt,  und  dadurch  diesen  selbst  persönliches 
Leben  gibt.  Das  ist  nicht  einmal  von  den  italienischen 
Darstellern  geschehen,  welche  in  dieser  Literatur  die  Mehr- 
zahl bilden.  Der  Römer  Marcello  Alberini,  von  dem  die 
umfassendste,  noch  unedirte  Beschreibung  der  Katastrophe 
herrührt,  war  ihr  Augenzeuge,  aber  zu  jener  Zeit  erst 
sechzehn  Jahre  alt.  So  kostbar  die  wenigen  Blätter  sind, 
welche  Benvenuto  Cellini  jenem  Ereignis»  gewidmet  hat,  so 


344  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

macht  er  uns  doch  bedauern,  dass  er  dasselbe  nur  als  flüch- 
tige Episode  in  seinem  wunderbaren  Leben  behandelt  hat. 
Das  Local  seiner  Beobachtung  war  nur  die  Engelsburg. 
Ueberhaupt  ist  es  auffallend ,  dass  wir  von  den  in  jenem 
Drama  als  Handelnde  oder  Zuschauer  betheiligten  und  gar 
von  den  hervorragenden  Personen  so  wenige  Aufzeichnungen 
des  Erlebten  besitzen.  Es  ist  ein  erstaunlicher  Zufall,  dass 
wir  den  Bericht  eines  damaligen  Cardinais  haben,  des  Sca- 
ramuccia  Trivulzio  von  Como ,  in  einem  Brief  an  seinen 
Secretär.  Das  furchtbare  Ereigniss  hatte  selbst  die 
Beobachtungsgabe  der  Italiener  gelähmt;  das  Individuelle 
und  Charakteristische  müssen  wir  meist  aus  den  Depeschen 
der  Gesandten  schöpfen.  Heute  würde  ein  so  grosser  Vor- 
gang von  hundert  neugierig  zudringenden,  geistreich  beob- 
achtenden, auch  kühn  ihr  Leben  an  die  Feder  wagenden 
Zeitungscorrespondenten  in  allen  Sprachen  Europa's  be- 
schrieben worden  sein.  Denn  wir  besitzen  jetzt  eine  in 
loco  et  actu  improvisirte  Geschichtschreibung:  das  schon 
auf  dem  Geschehen  ertappte  Ereigniss  wird  gleichsam  litera- 
risch photographirt.  Die  Macht  der  Cultur  hat  dem  Men- 
schengeist eine  erstaunliche  Schnellwissenheit  gegeben.  Ein 
weiter  Abstand  trennt  unser  heutiges  historisches  Erfahren 
von  jenem  Zustand  des  Mittelalters,  wo  die  mühsam,  spar- 
sam und  spät  überlieferten  und  entstellten  Kunden  der  Zeit 
der  Klostermönch  in  seine  Chronik  eintrug,  und  auch  von 
jenem  nachmittelalterlichen  langsamer  Depeschen  der  Ge- 
sandten und  der  ersten  Anfänge  der  Zeitungen  als  blatt- 
weise circulirende  Avvisi  und  Neuigkeiten.  Wie  dürftig 
ist  der  Bericht  des  Franzosen  Cesar  Grolier  vom  Sacco  di 
Roma,  und  doch  war  er  Augenzeuge.  Auch  die  italieni- 
schen, zum  Theil  mit  dem  Bewusstsein  geschichtlicher  Kunst 
ausgearbeiteten  Darstellungen  von  Luigi  Guicciardini,  Fran- 
cesco Vettori,  ferner  die  Compilationen,  welche  den  Namen 
Jacopo   Buonaparte   und    de   Rossi   tragen,     and    anderes, 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Roms.     345 

haben  nichts  persönliches.  Deutschland  war  an  der  Um- 
wälzung Roms  zu  jener  Zeit  am  tiefsten  betheiligt.  Es  stand 
in  einem  zweifachen  Krieg  wider  den  Papst,  dem  politi- 
schen unter  der  Führung  des  Kaisers,  dem  moralischen  und 
deshalb  wahrhaft  nationalen  unter  der  Führung  Luthers. 
Es  musste  daher  mehr  als  jede  andere  Nation  seine  Auf- 
merksamkeit auf  das  zusammenstürzende  Rom  richten. 
Gewiss  gelangten  damals  manche,  doch  sicherlich  nur  lako- 
nische Berichte  von  Augenzeugen  dorthin.  Sie  gingen  ver- 
loren, oder  sind  hie  und  da  erhalten  in  der  Form  von 
„Sendschreiben",  „Historien,  welcher  gestalt  die  Stadt  Rom 
erobert  worden''  und  bearbeitet  als  „wahrhaftige  und  kurze 
Betrachtung"  u.  s.  w.,  immer  in  höchst  mangelhafter  Weise. 
Ich  rede  hier  von  Schriftstücken  in  deutscher  Sprache,  nicht 
von  solchen,  welche  von  Gelehrten  lateinisch  verfasst  worden 
sind,  wie  die  gerinfügige  Halosis  Romae. 

Es  fand  sich  aber  doch  bei  uns  ein  tüchtiger  Zeitge- 
nosse, der  es  unternahm,  die  Kriege  des  Kaisers  in  den 
Jahren  1526  und  1527  in  unserer  Sprache  zu  beschreiben, 
nämlich  Adam  Reissner.  Es  ist  nicht  wenig  merkwürdig, 
dass  er  dies  im  Rahmen  einer  Biographie  gethan  hat.  Er 
gab  uns  die  Memoiren  der  beiden  Frundsberg,  ein  unbe- 
holfener Versuch  in  dieser  Gattung ,  dem  das  persönliche 
Leben,  die  psychologische  Beobachtung  und  die  naive  Grazie 
fehlt,  mit  welcher  der  Loyal  Serviteur  die  Geschichte  des 
berühmten  Gegners  Frundsbergs  auf  dem  Schlachtfeld,  des 
bon  Chevalier  sans  penr  et  sans  reproche  ausgestattet  hat. 
Aber  doch  ist  es  ein  sehr  achtungswerther  Versuch,  von  dem 
man  bedauern  muss,  dass  er  keine  Folge  in  unserer  Literatur 
gehabt  hat,  zumal  für  den  dreissigjährigen  Krieg.  Reissner 
schrieb  unter  dem  Einfluss  des  Paul  Jovius,  dem  er  meist 
sclavisch  folgt,  und  Jovius  war  auch  ein  Meister  im  biogra- 
phischen Porträt,  welches  die  Italiener  zu  so  hoher  Vollendung 
gebracht  hatten. 

[1877. 1.  Philos.-philol.  Cl.  4.]  24 


346  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

Da  ist  ferner  ein  anderer  Mann  aus  der  Kriegschule 
Frundsbergs,  der  nach  Deutschland  zurückgekehrt  in  der 
Müsse  des  Alters  die  Feder  ergriff,  um  seine  Denkwürdig- 
keiten in  der  Muttersprache  aufzuzeichnen.  Es  ist  der  weit- 
berühmte Ritter  Sebastian  Schertlin  von  Burtenbach.  Er 
war  schon  einer  der  angesehensten  Hauptleute  im  Heer  der 
Landsknechte  gewesen ;  er  hatte  Rom  mit  erstürmt ,  den 
Papst  in  der  Engelsburg  mit  bewacht.  Und  doch  fertigt  er 
alle  seine  damaligen  Erlebnisse,  ja  das  ganze  gewaltige  Jahr 
1527  auf  ein  paar  Blättern  ab.  Man  glaubt  sein  grosses 
Schlachtschwert  rasseln  zu  hören,  wenn  er  wie  ein  Spar- 
taner schreibt :  „Den  6  Tag  May  haben  wir  Rom  mit  dem 
Sturm  genommen,  ob  6000  Mann  darin  zu  todt  geschlagen, 
die  ganze  Stadt  geplündert ,  in  allen  Kirchen  und  ob  der 
Erd  genommen  was  wir  gefunden,  ein  guten  Teil  der  Stadt 
abgebrannt.11 

Kein  anderer  seiner  Waffengenossen  hat  eigene  Erleb- 
nisse aufgezeichnet.  Es  hat  keinen  Xenophon  unter  jenen 
frummen  Landsknechten  gegeben.  Wir  sind  also  auf  Reissner 
und  Schertlin  beschränkt,  und  zu  ihnen  gesellt  sich  jetzt 
als  dritter  Ambrosius  von  Gumppenberg.  Seine  Erzählung 
ist  durchaus  selbständig;  er  hat  nichts  von  Andern;  es  ist 
ihm  nur  darum  zu  thun,  die  eigene  Person  als  höchst  wichtig 
erscheinen  zu  lassen.  Und  gerade  desshalb  hat  er  manches, 
was  neu  und  merkwürdig  ist.  Er  erzählt,  dass  er  von  seiner 
Sendung  zu  den  Herzogen  Bayerns  nach  Rom  zurückreisend, 
unterwegs  in  Trient  Georg  von  Frundsberg  traf.  Es  war 
also  in  der  ersten  Hälfte  des  November  1526,  wo  der  be- 
rühmte Feldhauptmann  im  Begriffe  stanl,  mit  seinem  Kriegs- 
volk den  schwierigen  Alpenübergang  in  die  Lombardei  zu 
wagen,  welchen  Reissner  geschildert  hat.  Gumpenberg  war 
mit  Frundsberg  verwandt:  er  nennt  ihn  seinen  Schwager. 
Der  General  forderte  ihn  auf,  bei  ihm  zu  bleiben,  den  Zug 
nach  Italien  als  sein  Dolmetsch  mit  zu  machen ;  er  versprach 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Roms.    347 

ihm  Reichthümer ,  sogar,  was  seltsam  genug  zu  hören  ist, 
einen  möglichen  Cardiualshut.  So  trat  der  Versucher  an 
den  jungen  Curtisan  heran:  die  glücklich  begonnene  Lauf- 
bahn des  römischen  Herrendieners  sollte  er  aufgeben,  um 
als  Feind  des  Papst s  unter  grimmigen  Lutheranern  nach 
Italien,  vielleicht  gar  nach  Rom  zurückzukehren.  Er  lehnte 
den  Antrag  ab,  und  reiste  weiter,  sehr  langsam.  Denn  erst 
nach  Monaten,  im  folgenden  Jahr  1527  kommt  er,  über 
Venedig  gehend,  nach  Florenz,  wo  gerade  die  Signorie  dieser 
Republik  und  der  Cardinal  Silvio  Passerini  mit  der  kaiser- 
lichen Armee  unterhandelten,  die  am  Fuss  des  Appenin  an- 
gelangt das  reiche  Florenz  bedrohte.  Es  war  am  Ende 
des  März,  oder  in  den  ersten  Tagen  des  April. 

Der  Papst  hatte,  was  Grumppenberg  dort  hören  musste, 
am  15.  März  den  Vertrag  mit  dem  Vicekönig  Lannoy  ab- 
geschlossen. Er  hatte  Unterhändler  in  das  Lager  Bourbons 
geschickt,  ihn  vom  Weitermarsch  abzuhalten,  erst  Fieramosca, 
dann  in  steigender  Angst  den  Vicekönig  selbst.  Gumppen- 
berg  sagt  nichts  von  dieser  Sendung  Lannoys  und  dessen 
Zusammenkunft  mit  Bourbon,  welche  am  20.  April  bei 
Pieve  di  Santo  Stefano  stattgefunden  hatte.  Denn  davon 
zu  reden,  passte  wahrscheinlich  nicht  in  seine  selbstgefällige 
Absicht.  Aber  er  erzählt  eine  für  uns  neue  Thatsache, 
nämlich,  dass  der  Papst  auch  einen  deutschen  Boten  nach 
Florenz  geschickt  hatte,  den  Erzbischof  von  Riga,  Johann 
Blankenfeld.  Dieser  furchtsame  alte  Herr  hatte  wohl  ver- 
nommen, dass  die  Florentiner  Abgesandten,  selbst  der  Vice- 
könig und  der  ihn  begleitende  Bischof  von  Vaison  nur  mit 
Noth  den  empörten  Bauernhaufen  im  Appennin  entronnen 
waren ;  er  weigerte  sich  desshalb  als  Unterhändler  zu  Bour- 
bon zu  gehen.  Er  forderte  aber  Gumppenberg  auf,  die  Sen- 
dung an  seiner  Statt  zu  übernehmen,  und  dieser  hatte  be- 
reits den  Befehl  vom  Papst  erhalten,  in  Florenz  zu  bleiben 
und  der  Signorie  zu  Diensten  zu  sein.    Ein  solcher  Auftrag 

24* 


348  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

war  für  einen  jungen  Mann  nicht  wenig  schmeichelhaft  und 
ehrenvoll.  Er  erklärt  sich  daraus,  dass  Gumppenberg,  was 
man  in  Rom  wissen  mochte,  ein  Verwandter  des  gefürchteten 
Frundsberg  war ,  und  ausserdem  manche  deutsche  Edelleute 
im  Lager  Bourbons  persönlich  kannte. 

Hier  ist  merkwürdig,  was  Ambrosius  erzählt :  dass  unter 
den  Versprechungen,  mit  welchen  der  geängstigte  Papst  den 
Rückzug  der  Kaiserlichen  zu  erkaufen  gedachte,  auch  diese 
war,  dem  Sohne  des  deutschen  Generals,  Caspar  von  Frunds- 
berg, der  als  Hauptmann  bei  Leyva  in  Mailand  zurückge- 
blieben war,  seine  eigene  Verwandte  zu  vermählen.  Die 
noch  sehr  junge  Catarina  Medici  (der  vergessliche  Gumppen- 
berg nennt  sie  Margareta,  weil  er  ihren  Namen  mit  dem 
der  natürlichen  Tochter  Carls  V.  verwechselte)  befand  sich 
damals  in  Florenz.  In  dem  Schachspiel  der  päpstlichen 
Politik  ist  sie  oft  genug  als  Puppe  ausgespielt  worden,  und 
mancher  grosse  Herr,  unter  andern  auch  Philibert  von  Ora- 
nien,  hat  sich  auf  diese  Partie  Rechnung  gemacht. 

Der  Antrag  des  Papsts  an  Frundsberg  erscheint  so 
verzweifelt,  dass  man  fast  Mühe  hat,  an  ihn  zu  glauben; 
aber  warum  hätte  ihn  Gumppenberg  erfinden  wollen?  Ich 
halte  ihn  für  wahr :  Clemens  VII.  konnte  immerhin  sich 
einbilden,  dass  Frundsberg,  dessen  Erkrankung  und  Ent- 
fernung nach  Ferrara  ihm  noch  nicht  bekannt  war,  das 
trügerische  Versprechen  als  baare  Münze  annehmen  würde. 
Die  Reise  Gumppenbergs  in  das  Lager  Bourbons  unterblieb. 
Er  ging  nach  Rom  mit  jenem  Bischof  Blankenfeld.  In  seinen 
biographischen  Nachrichten  hat  er  erzählt,  dass  der  Unheil 
ahnende  Prälat,  nachdem  er  im  Vatican  Bericht  abgestattet 
hatte,  sich  eilig  aus  dem  Staube  machte,  um  nach  Deutsch- 
land zurückzukehren.  Nun  rückte  Bourbon  in  rasender 
Schnelligkeit  heran. 

Es  ist  richtig,  was  Gumppenberg  hier  als  seine  Ansicht 
ausspricht,  dass  der  Connetable  nicht  die  Absicht  hatte,  sich 


Gregorovius :  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Borns.     349 

auf  Rom  zu  werfen.  Die  Erstürmung  der  grossen  fest  um- 
mauerten Stadt  mit  einer  vom  Mangel  geschwächten  Armee 
ohne  Belagerungsgeschütz,  während  der  Herzog  von  Urbino 
ihr  auf  den  Fersen  war,  hätte  von  vornherein  als  ein  wahn- 
sinniges Unternehmen  erscheinen  müssen.  Sie  war  auch  nur 
ein  von  der  Verzweiflung  abgenöthigter  Handstreich.  Was 
Bourbon  ursprünglich  beabsichtigt  hat ,  ist  sicher  dies  ge- 
wesen: einen  Pass  über  den  Tiber  bei  Rom  zu  gewinnen, 
und  mit  Hülfe  der  kaiserlich  gesinnten  Colonna,  welche  er 
dort  zuversichtlich  erwartete,  in  das  befreundete  vom  Feind 
ganz  freie  Land  Neapel  zu  gelangen.  So  hat  das  Gump- 
penberg  richtig  dargestellt.  Er  schildert  sodann,  was  hin- 
länglich bekannt  ist,  die  Verwirrung  in  Rom,  die  Mangel- 
haftigkeit der  Vertheidigungsan stalten  nach  Abdankung  der 
schwarzen  Banden  auf  Grund  der  Habsucht  des  an  der  Curie 
allmächtigen  Jacopo  Salviati ,  eines  arglistig  bös  Juden, 
Finanzers  und  Kaufmanns,  wie  er  denselben  nennt.  Die 
Verlegenheit  des  Papsts  muss  schrecklich  gewesen  sein,  wenn 
er  selbst  Gumppenberg  um  seinen  Rath  befragte.  Der  Rath 
war:  mit  den  Kaiserlichen  zu  accordiren. 

Es  ist  aus  anderen  Berichten  bekannt,  dass  am  Tage 
des  Sturms  die  Conservatoren  Roms  den  jungen  Markgrafen 
Gumprecht  von  Brandenburg,  welcher  sich  seit  einiger  Zeit 
in  der  Stadt  aufhielt,  bewogen  als  ihr  Unterhändler  sich 
zum  Bourbon  zu  begeben.  Diese  Thatsache  erfahren  wir 
jetzt  von  Gumppenberg  als  etwas  persönlich  erlebtes.  Denn 
auch  er  wurde  damals  auf  das  Capitol  gerufen.  Er  hat  den 
Brandenburger  bei  dem  Ritt  nach  Ponte  Sisto  begleitet. 
Der  Auftrag  des  Markgrafen  misslang,  denn  das  wütende 
Kriegsvolk  wälzte  sich  ihm  über  jene  Brücke  stürmend  ent- 
gegen. Der  Prinz  und  Gumppenberg  wendeten  die  Pferde 
zur  Flucht,  um  dem  Gemetzel  zu  entrinnen.  Unser  Autor 
erzählt,  dass  er  seinen  Begleiter  zwar  in  sein  Haus  zurück- 
gebracht, aber  die  Thüre  nicht  schnell  genug  habe  schliessen 


350  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

können,  da  der  wilde  Kriegshaufe  nachdrang.  Auch  im 
Bericht  bei  Buder  heisst  es :  die  Feinde  seien  vorgedrungen 
„dermassen  das  dem  Edeln  Fürsten  von  Brandenburg  wenig 
weil  wardt  yn  eyn  Hauss  zu  komen,  sein  leben  zu  erretten." 
Von  der  Gefangennahme  des  Markgrafen  redet  Gumppen- 
berg  nicht;  in  der  Halosis  Romae  wird  erzählt,  dass  Gump- 
recht  (dort  irrig  Albertus  genannt)  erst  ausgeplündert,  dann 
gefangen,  und  nur  durch  die  List  eines  deutschen' Haupt- 
manns aus  den  Händen  der  Spanier  errettet  ward. 

Gumppenberg  sagt  nicht,  ob  er  selbst  in  der  ersten 
Flucht  sich  in  die  Engeisbn rg  gerettet  hat  und  dort  ge- 
blieben ist.  War  das  der  Fall,  so  würde  er  wol  davon  ge- 
redet, sich  seiner  Mitgefangenschaft  neben  dem  Papst,  so 
vielen  Cardinälen,  Diplomaten  und  grossen  Herren  gerühmt 
haben.  Wahrscheinlich  hat  ihm  die  Bekanntschaft  mit 
deutschen  Hauptleuten  zur  Rettung  gedient,  und  alsbald  be- 
durfte man  auf  beiden  Seiten  seiner  Dienste. 

Die  Vorgänge  während  der  Plünderung  Roms  hat  er 
nur  im  Allgemeinen  geschildert.  Seine  Hauptsache  bleibt 
die  Stellung,  welche  er  jetzt  selber  einnahm.  Es  war  die 
des  Dolmetsch  und  Vermittlers  zwischen  dem  Papst  und  den 
deutschen  Landsknechten;  aus  Eitelkeit  hat  er  seine  Wich- 
tigkeit zu  steigern  gesucht.  In  keinem  Bericht  der  Zeit- 
genossen oder  Actenstück  wird  sein  Name  genannt.  Da 
wo  man  ihn  etwa  hätte  erwarten  dürfen,  findet  er  sich  nicht. 
Ich  meine  die  genauen  spanischen  Depeschen  des  kaiser- 
lichen Secretärs  Perez.  Wir  lesen  sie  jetzt  in  den  im  Jahre 
1875  zu  Madrid  von  Antonio  Rodriguez  Villa  veröffentlichten 
Memorias  para  la  Historia  del  Asalto  y  Saqueo  de  Roma 
en  1527  por  el  ejercito  imperial,  einer  wichtigen  diploma- 
tischen Bereicherung  der  Geschichte  jener  Ereignisse.  Am 
ausführlichsten  hat  Gumppenberg  in  seiner  Denkschrift  von 
seinen  Beziehungen  zu  den  empörten,  nach  Sold  schreienden 
Landsknechten    geredet,    und    zwischen    ihrem    lärmenden 


Gregorovius :  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Roms.     351 

Hauptquartier  auf  Campo  di  Fiore  und  der  grauenvollen 
Engelsburg  ist  er  oft  hin  und  hergegangen.  Um  so  mehr 
rauss  man  bedauern ,  dass  er  die  Zustände  in  dem  Castell 
nicht  geschildert  hat.  Bei  Gelegenheit  seiner  Mittheilung 
vom  Einschmelzen  goldner  und  silberner  Gefässe  und 
Reliquien  in  der  Engelsburg,  um  daraus  Geld  für  das  deutsche 
Kriegsvolk  zu  prägen,  hat  er  zu  demjenigen,  was  Benvenuto 
Cellini  erzählt,  etwas  Neues  hinzugefügt,  nämlich  die  Schel- 
mereien ,  welche  sich  ein  deutscher  Müuzmeister  Angelo 
Schaur,  damals  im  Dienst  des  Papstes,  zu  Schulden  kommen 
liess.  Man  mag  sich  vorstellen,  wie  es  bei  diesem  Geschäft 
in  der  Engelsburg  hergegangen  ist ;  hat  doch  Benvenuto  selbst 
später  dem  Papst  gestanden,  dass  er  nach  dem  Schmelzen 
etwa  ein  und  ein  halb  Pfund  Gold  in  der  Asche  gefunden 
und  sich  aus  Noth  angeeignet  hatte. 

Gumppenberg  versichert  mehrmals,  der  Papst  habe  sich 
zu  ihm  beklagt,  dass  die  Deutschen  ihn  den  Spaniern  so 
ganz  und  gar  überliessen,  denn  er  habe  lieber  von  jenen 
als  von  diesen  bewacht  sein  wollen.  Das  mag  wahr  sein 
für  die  Zeit,  als  Clemens  fürchtete ,  von  den  Spaniern  zu 
Schiff  nach  Neapel   und   gar  weiter  fortgeführt  zu  werden. 

Am  1.  Juli  schrieb  Perez  an  den  Kaiser  :  „die  Deutschen 
haben  versucht,  den  Papst  an  sich  zunehmen;  sie  begannen 
einen  Aufruhr  und  verlangten  ihren  Sold;  als  die  Spanier 
das  sahen,  erhoben  auch  sie  sich  im  Tumult;  sie  sagten,  die 
Deutschen  thäten  Recht  ihren  Sold  zu  verlangen,  auch  sie 
wollten  bezahlt  sein,  aber  nicht  erlauben,  dass  die  Deutschen 
den  Papst  aufheben,  denn  das  sei  nicht  Gottes  Dienst,  noch 
gezieme  es  dem  Dienst  und  der  Autorität  E.  Majestät. 
Der  Prinz  von  Oranien,  Don  Hugo  und  Alarcon,  der  Abate 
von  Nagera  und  Juan  de  Urbina  haben  zwischen  beiden  Na- 
tionen dahin  vermittelt,  dass  jede  sechs  Bevollmächtigte 
erwählt  —  ich  weiss  nicht  was  sie  beschliessen  werden, 
denn  die  Deutschen  beharren  darauf,  dass  sie  den  Papst  und 


352  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

die  Cardinäle  haben  wollen"  (Villa,  p.  234).  Aus  andern 
Depeschen  desselben  Perez  geht  hervor,  dass  Spanier  und 
Deutsche  fortdauernd  um  den  Besitz  des  Papstes  und  der 
Cardinäle  haderten,  und  die  wüthenden  Landsknechte  seine 
Fortführung  nach  Neapel  nicht  zulassen  wollten ,  vielmehr 
damit  umgingen ,  ihn  mit  sich  hinweg  zu  führen.  Als  sie 
aus  ihren  Sommerquartieren  in  Umbrien  wieder  zurück- 
kehrten, und  Rom  zu  zerstören,  den  Papst  und  die  Cardi- 
näle umzubringen  drohten,  wenn  sie  nicht  bezahlt  würden, 
erfolgte  das  neue  Abkommen  mit  ihnen  und  die  Auslieferung 
der  sechs  Bürgen,  unter  denen  sich  sogar  der  Datar  Giberti 
und  der  reiche  Jacopo  Salviati  befanden.  Die  Uebergabe 
dieser  Opfer  an  die  Officiere  der  Landsknechte  im  Saal  der 
Engelsburg  istvonöumppenberg  lebhaft  beschrieben  worden; 
was  er  erzählt,  stimmt  mit  der  Schilderung  in  der  Depesche 
des  Perez  überein.  Beide  sagen,  dass  der  Papst  voll  Ver- 
zweiflung erklärte,  er  selbst  wolle  das  Loos  der  Gefangenen 
theilen,  und  mit  ihnen  zu  den  Kriegsknechten  sich  begeben. 
Perez  sagt  nicht ,  dass  er  Augenzeuge  bei  diesem  merk- 
würdigen, höchst  tragischen  Auftritt  war,  aber  Gumppen- 
berg  hat  ihn  mit  angesehen.  Er  erzählt,  dass  ihn  die  Lands- 
knechte in  das  Castell  verordneten,  um  in  ihrem  Namen 
vom  Papst  die  Geiseln  in  Empfang  zu  nehmen,  und  zu 
ihnen  auf  den  Campo  di  Fiore  zu  bringen.  Mit  ihm  gingen 
zwei  Hauptleute,  Diepolt  Häl  und  Sebastian  Schertim  nebst 
200  Doppelsöldnern,  welche  die  Escorte  bilden  sollten.  Die 
Schilderung  der  Scene  ist  die  beste  Partie  in  der  Schrift 
Gumppenbergs.  Er  stellt  sich  hier  freilich  ganz  und  gar 
in  den  Vordergrund,  wie  er  überhaupt  bei  den  Unterhand- 
lungen mit  den  Landsknechten  kaum  eine  der  Hauptper- 
sonen dieses  Dramas  mit  Namen  nennt,  zum  Beispiel  nichts 
vou  Morone,  Don  Ugo  Moncada,  Nägera,  Gattinara  und 
Oranien  zu  sagen  weiss.  So  verschweigt  er  auch,  dass  es 
Alarcon  selbst  war,  welcher  die  Geiseln  im  Saal  der  Engels- 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Berieht  üb.  cl,  Eroberung  Roms.      353 

bnrg  übernahm  und  von  dort  hinausführte.  „Alarcon,  so 
berichtet  Perez  am  12,  Oct.  an  den  Kaiser,  sah  die  Not- 
wendigkeit ein,  die  gedachten  Geiseln  den  Deutschen  aus- 
zuliefern, weil  sie  sich  dargeboten  hatten,  und  weil  durch 
sie  der  Ruin  Roms  verhütet  wurde.  Er  bestand  also  so- 
lange darauf,  bis  er  sie  aus  dem  Castell  nahm  ;  er  ging  mit 
ihnen  bis  auf  den  Campo  di  Fiore,  alle  zu  Fuss.  Aber  da 
man  sie  im  Saal  wo  sie  standen  aus  dem  Bereich  des  Papstes 
und  der  Cardiuäle  zu  nehmen  sich  anschickte,  erhob  sich 
ein  solches  Weinen  und  Geschrei,  dass  es  schien,  die  Welt 
stürze  ein  und  S.  Heiligkeit  sagte,  ehe  sie  in  ihre  Auslie- 
ferung willige,  wolle  sie  sich  selbst  in  die  Gewalt  der  Deut- 
schen begeben,  und  dasselbe  sagten  die  Cardinäle:  aber 
endlich  nahm  sie  Alarcon  hinweg,  und  gab  sie  in  die  Hände 
der  Deutschen."  (S.  289  Villa.) 

Gumppenberg  schreibt :  „Da  saget  der  Papst  mit  wai- 
nenden  Augen,  da  stehen  sie,  nembt  sie  mit  Euch  hin,  und 
last  Euch  befolhen  sein,  und  will  Euch  nit  allein  die  Bürgen 
geben,  sonder  unser  aigen  Person  darzue,  und  erbutte  sich  mit 
uns  zu  gehen,  und  gieng  woll  3  oder  4  tritt  mit  uns  für  sich, 
da  bath  Ich  und  die  Haubtlent  sein  Heiligkeit ,  das  er  solt 
stiller  stehn,  und  alda  beleiben  — " 

Mit  ermüdender  Breite  hat  sodann  Gumppenberg  die 
Misshandlung  dieser  sechs  Geiseln  geschildert  —  es  war 
unter  ihnen  auch  ein  künftiger  Papst  Julius  III.  del  Monte, 
damals  Erzbischof  von  Siponto.  —  Nachdem  er  ihre  Be- 
freiung und  Flucht  aus  dem  Palast  der  Cancellaria  erzählt 
hat,  bricht  er  ab;  sein  Secrefcär  Fickler  hat  unter  das  Ma- 
uuscript  geschrieben :  „biss  hieher  und  weiter  ist  es  vom 
Herrn  Scribenten  nit  continuiret  worden  " 

Am  17.  Februar  1528  zogen  die  Spanier  und  Lands- 
knechte endlich  aus  dem  9  Monate  lang  barbarisch  miss- 
handelten Rom  ab,  um  sich  in  Neapel  den  Franzosen  unter 
Lautrec  entgegen  zu  werfen.     Ich  denke  mir,  dass  Gumppen- 


354  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

berg  das  abziehende  Kriegsvolk  in  amtlicher  Stellung  be- 
gleitet hat,  denn  in  solcher  befand  er  sich  bei  demselben 
während  der  Belagerung  Neapels. 

Was  ich  von  seinem  Bericht  über  das  Jahr  1527  mit- 
getheilt  habe,  wird,  so  glaube  ich,  meine  Ansicht  rechtfer- 
tigen, dass  derselbe  der  Aufbewahrung  und  Veröffentlichung 
werth  ist.  Als  literarischer  Versuch  seiner  Zeit  wird  er 
freilich  nur  darthun,  wie  wenig  ausreichend  das  Talent  des 
Mannes ,  wie  gross  seine  Flüchtigkeit  und  sein  Uugeschick 
gewesen  ist  den  beneidenswerthesten  Schatz  von  Erinnerungen 
und  Erfahrungen  zu  verwerthen ;  als  selbständiger  deutscher 
Bericht  aber  eines  Augenzeugen  wird  er  die  nicht  zahl- 
reichen Mittheilungen  vermehren,  welche  wir  von  deutschen 
Zeitgenossen  über  ein  so  folgenschweres  Ereigniss  aufzu- 
weisen haben.  Keine  der  Katastrophen,  die  das  zur  poli- 
tischen Weltmacht  gewordene  Papstthum  in  der  langen  Ge- 
schichte seines  Kampfes  mit  den  Staatsgewalten  erfahren 
hat,  kommt  bis  auf  die  allerletzte  im  Jahr  1870  erlittene, 
jener  von  1527  gleich,  auch  nicht  einmal  seine  gewaltsame 
Bezwingung  in  den  Zeiten  des  Investiturkampfes  durch  den 
kühnen  Staatsstreich  des  Kaisers  Heinrich  V.  Im  Jahre 
1527  handelte  es  sich  ganz  einfach  um  den  Fortbestand  des 
Papstthums  überhaupt  in  seiner  bisherigen  geschichtlichen 
Gestalt.  Das  Werk  Luthers  zunächst  gewann  durch  den 
leichtsinnigen  Krieg  Clemens  des  VII  mit  Carl  V.  und  seine 
tiefe  Niederlage  eine  mächtige  Förderung.  Zwar  hat  der 
Kaiser  sich  nicht  an  die  Spitze  der  deutschen  Bewegung 
gestellt,  zwar  hat  er  das  Dominium  Temporale  wieder  auf- 
gerichtet, die  Krone  aus  den  Händen  seines  so  schmählich 
misshandelten  Feindes  genommen,  und  mit  dem  Papstthum 
das  Bündniss  geschlossen ,  welches  dann  zum  Verderben 
Deutschlands  und  Oesterreichs  die  Habsburgische  Dynastie 
hartnäckig  festgehalten  hat,  sowohl  auf  Grund  ihres  Besitzes 
in  Italien    als  um  ihre  imperiale   Stellung  gegen  die  Ideen 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Monis ,     355 

und  Absichten  der  Protestanten  erblich  zu  behaupten.  Doch 
hat  das  Papstthum  im  Jahre  1527  die  moralische  und  poli- 
tische Führung  Italiens  verloren ;  der  Kirchenstaat  Julius 
des  IL,  so  viel  unverhoffte  Vergrösserung  er  auch  noch  am 
Ende  des  XVI.  Jahrhunderts  erfuhr,  blieb  nur  eine  Gleich- 
gewichtsfrage der  europäischen  Mächte  Spanien,  Oesterreich 
und  Frankreich,  so  lange  bis  der  Einheitsgedanke  Italiens 
durch  die  Mitwirkung  des  reformatorischen  Princips  Deutsch- 
lands die  Macht  gewann,  das  Dominium  Temporale  als  eine 
nur  italienische  Angelegenheit  zu  behandeln,  das  heisst  auf- 
zuzehren. Der  merkwürdige  Papst,  welcher  schon  31  Jahre 
lang  und  noch  heute  auf  dem  Stuhle  Petri  sitzt,  ein  mo- 
ralisch Gefangener  im  Vatican  aber  doch  durch  historische 
Notwendigkeit  dort  so  confinirt  und  festgehalten,  erinnert 
an  die  Schicksale  Clemens  VII.  Unter  Pius  IX.  hat  das 
Papstthum  den  letzten  Augenblick  gehabt,  wo  ihm  die  mo- 
ralische und  politische  Führung  der  italienischen  Nation 
dargeboten  ward.  Er  ist  ungenützt  vorüber  gegangen,  und 
das  war  ein  Glück  in  Bezug  auf  die  von  der  Papstkirche 
zwar  bestrittene,  auch  gehemmte,  aber  doch  nicht  mehr  zu 
bewältigende  Neugestaltung  Europas.  Das  Dominium  Tem- 
porale ist  gefallen;  Rom  ist  am  20.  September  1870  wie- 
derum erobert  worden;  aber  bei  dieser  neuesten  und  ent- 
scheidenden Halosis  Romae  ist  es  —  was  Geschichtschreiber 
und  Menschenfreunde  erfreuen  kann  —  nur  wie  beim  Voll- 
zug des  spruchreif  gewordenen  Rechtserkenntnisses  eines 
historischen  Prozesses  und  daher  sauberer  hergegangen,  als 
bei  jener  Einnahme,    von   der    unser  Manuscript   berichtet. 


356  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1S7'i 


1 


Beschreibung  aller  Hendel,  die  sich  Anno 
1527  zu  Rom  verloffen  wie  die  Statt  von  des  Rom. 
Kaysers  Caroli  V.  Kriegsvolk  eingenomen,  und  geplündert 
worden,  und  wie  sich  solcher  Krieg  vom  Anfang  biss  zum 
Ende  verloffen  hat,  durch  den  Hochwirdigen  and  Edlen  Herrn 
Ambrosi  von  Gumpenberg,  Prothonotarium  Apostolic.  Dom- 
probsten  zu  Basel,  Domherrn  zue  Würtzburg,  Augspurg, 
Regenspurg  etc.  so  der  Zeit  zue  Rom  selb  mit  und  bei- 
gewesen, mit  aigner  Handt  beschrieben. 

Und  ist  solche  Beschreibung  von  dem  Original,  mit 
Fleiss  abzuschreiben,  durch  Joan.  Bapt.  Ficklern  der  Rechten 
Doctorn ,  von  Bäpstl.  Heil,  gemachten  Rittern ,  Protho- 
notarium and  Comitem  Palatiuum,  Frstl.  Bayer,  und  Saltzb. 
Rath,  bevolchen  und  collationiert  worden.*) 

Pabst  Clement  der  Siebent ^seines  Namens,  der  hat  zuevor 
geheissen  Cardinalis  Julius  de  Medicis,  vicecan- 
cellarius,  ist  gestorben  Anno  1534  am  25.  Sept.  umb 
den  mittentag,  ist  sechs  ganzer  Monat  krank  gelegen,  und 
von  fuessen  auf  gestorben,  wie  des  geschlechts  Medicis 
gebrauch  sein  solle,  hat  regiert  10  Jar  etc. 

Undter  im,  Im  1527  Jar,  am  6ten  tag  May  zwischen  sechs 
und  fünf  Uhren  zu  morgen,  da  hat  der  Herzog  von  Borbon, 
mit  den  Deutschen,  Spaniern  und  Italienern  Rom  bey  dem 
Belvidere  bey  dem  Thor  zu  S.  Pangracio  und  die 
Porten  bey  der  Schweitzer  Guardi  mit  steiglaittern  zum 
Sturm  angeloffen,  bestigen  und  die  Burg  zue  Sant  Peter  mit 
gwalt  gewunnen,  und  geplündert,  und  ist  derHerzog  vonBorbon 
in  dem  Nebel,    den   es    denselben  morgen   (gab)    von  ainem 


*)  Das  Manuscript  habe  ich  sprachlich  nirgend  verändert,  doch  bis- 
weilen Unwichtiges,    oder  durch  Wiederholung  ermüdendes  fortgelassen. 


Gref/orovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Roms.       357 

Spanier*)  und  den  Unsern  an  dem  Sturm  an  ainer  steig- 
laiter  erschossen  worden,  dessen  seel  und  aller  gläubigen 
seelen  Gott  pflege. 

Auf  solche  Eroberung  der  Burgen,  da  hat  der  ganz 
exercitusCaesarisin  der  Burg  Su  Petri  grhuet,  und 
ain  andern  Obristen  erwelet,  als  nem blich  den  Principe 
de  Orangie,  der  Marchess  de  Guasto  war  auch  da, 
aber  er  kundt  vor  dem  Principe  de  Orangie  nit  hin- 
zue  komen,  auf  dissmall. 

Zwischen  zwayen  und  dreyen  desselben  tags  nach  Mitten- 
tag da  war  der  ganz  Exercitus  Caesaris  wider  in 
A  r  m  i  s,  und  fiengen  an,  gegen  der  Statt  Rom  zu  stürmen 
hindter  Sant  Spiritus  bey  der  starcken  Pastion  die  Pabst 
Paulus  tertius  seither  darumb  gepauet  hat,  und  zwischen 
6  u  7  Uhr  gegen  Nacht,  da  hetten  sie  mit  dem  Sturm 
gewunnen  alt  Rom,  Pietro  montorio  mit  sambt  allen 
dreyen  prucken  über  die  Tyber,  als  ponte  Sisto,  ponte 
Maria,  und  ponte  quatroCapi,  der  Ich  alles  mit  äugen 
gesehen  habe,  und  wie  sie  die  ponte  Sixti  anlieffen,  inen 
mit  aller  marter  darob  endtridt,  das  Ich  nit  erschlagen 
wurdt,  wie  andere,  und  kamen  also  daselbst  herein  in  Rom 
auf  den  camp o  flor  undAgon,  da  machten  sie  Ir  schlacht 
Ordnung  zum  thail,  behielten  aber  gleich  wol  die  Burg 
Sant  Peters  **)  und  alt  Rom  darneben  damit  Inen  vom  D  u  c  a 
di  Urbino  die  Statt- und  Burg  nit  widerumb  abgetrungen 
wurde,  welcher  Inen  ob  den  80000  stark  ***),  mit  der  welschen 
Liga  Kriegsvolk  als  Ir  Obrister,  des  Kaysers  e  x  e  r  c  i  t  u  auf 
dem  Hals  war,  welcher  Exercitus  Caesaris  nit  über 
30000  stark  war,  noch  dannoch  wolt  ers  nit  angreiffen  oder 


*)  Die  Sage  von  dem  am  Connetable  verübten  Vcrrath  scheint  von 
Gumpenb.  geglaubt  worden  zu  sein,  aber  wunderlicher  Weise  setzt   er 
„und  den  Unsern"  hinzu. 
**)  D.  i.  der  Borgo. 
***)  Das  Bundesheer  betrug  kaum  20000  Mann. 


358  Sitzung  der  hi.st.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

die  Imperialismen  in  Irein  thuen  verhindern,  das  man  sagen 
tbet,  er  hets  dem  Pabst  Clementi  das  Pangket  vergundt, 
dan  er  Im  nit  holdt  war  auch  er  über  6  Tage  da  nit  ligen 
Mibe*),  sondern  von  stund  an  obn  alle  not  mit  seim  ex- 
ercitu  abzug,  und  Hesse  des  Kaisers  ex  er  cito  Irs  gefall  ens 
mit  Rom  unverhindert  handien,  das  dan  13  ganze  tag  an 
ain  ander  geplündert  wardt,  und  der  vogl  im  Lufft  nit  frey 
war,  auch  meniglichen  ohn  allen  rispetto  er  wer  Kay  se- 
risch, Päbstisch  oder  französisch  mit  aller  crudelta  ge- 
fangen, geschetzt,  geplündert,  gemartert,  und  erwirget  war, 
und  Ir's  gefallens  jung  und  alt,  frau  auch  man  beschendigt 
wurde  ohn  einredt  der  Obristen. 

Der  Pabst  war  in  das  Castel  Su  Angeli  geflohen 
mit  13  Cardinalibus  und  grossen  Anzall  der  Prelaten  und 
grossen  Herren,  also  das  dass  Castel  mit  unnuzen  Volk  über- 
setzt war,  es  war  auch  das  Volk  nit  geschickt  zu  der  Wehr, 
so  waren  sie  auch  schedlich  darin,  der  Proviant  halber  die 
sie  unnuz  hinweckh  frassen  dermassen,  das  sie  benöttiget 
wurden  diss  Volks  vill  in  der  feindt  Handt  herauss  zu  stossen. 
Also  rieht  sich  der  exercituslmperatoris  das  Schloss 
zu  umbgeben  und  macheten  in  der  Statt  Rom  vor  der  Engel- 
pruckh  vom  turre  de  Nona  herab  biss  in  Altoviti 
hauss**)  ein  grossen  tiefen  aufgeworfnen  graben  das  die  aus 
dem  Castel  nit  herauss  in  sie  fallen  khundten  unversehener 
Ding,  und  im  selbigen  graben  waren  stäts  des  Kaysers  Hacken- 
schützen, die  Schüssen  die  im  Castel  S.  Angeli  ohn  under- 
lass  von  den  Zinnen  und  Irer  wehr  herab,  das  sie  sich  im 
Castel  nit  wohl  regen  kundten. 

An  der  andern  Seitten  des  Castels,  ihnerhalb  der  Tyber, 
da  hetten  die  Kayserischen  bey  der  Porten,  da  der  Schweizer 
Guardj  ist  ain  langen  graben  angefangen  zue  machen,  hart 


*)  Vielmehr  12  Tage  lang. 
**)  Der  Palast  Altoviti  (in  der  Handschrift  fehlerhaft  Altiniti  ge- 
schrieben) dauert  noch  heute  fort. 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Roms.     359 

an  der  Stattmauer,  welcher  Graben  stets  nnder  sich  gieng 
under  die  Erden  in  die  tieffeu,  und  arbeittet  Haubtmann 
Conradin  mit  3500  Deutschen  Erzknappen  daran*),  und  waren 
gar  hinab  kommen  zum  Castel,  und  wolten  das  un  dt  ergraben 
und  das  Castel  mit  Pulver  das  undter  übersieh  werffen,  und  den 
Pabst,  alle  Cardinal  und  Prälaten  darin  mit  einander  verderben, 
und  waren  schon  zue  den  fundamenten  kumben  ohn  allen  wider- 
standt ;  dan  du  sollest  ex  judicio  der  grossen  Haubtleut 
wissen  das  dass  Castel  St.  Angel i  nit  stark  ist,  dan  es 
ist  zue  eng  das  man  sich  darin  nit  woll  weren  kan;  wenig 
Leut  erschiessen  nichts,  vill  künden  sich  darin  nit  gerüren, 
darumb  kan  man  auch  nit  vil  Proviant  darin  halten,  und  ist 
allein  contra  furorem  populi,  wan  in  Rom  das  Volk 
aufrürig  wurdt,  so  kan  sich  ain  Pabst  alda  vor  aim  g wallt 
enthalten,  biss  er  zu  verhör  und  zu  einem thedingkomen  mag, 
oder  andere  notwehr  suecht. 

Also  da  sie  alle  ding  zuem  zersprengen  zugericht  hetteu, 
da  zug  der  Duca  de  Vrbino  ab,  da  sahen  die  Kayseri- 
schen das  sie  kain  widerstandt  hetten,  und  der  Pabst  ohn  ainhe 
hilf  oder  entsezung  verlassen  war,  da  bedachten  sie  sich 
aines  bessern  raths  dieweil  sie  wisten  das  der  Pabst  kein 
hilf  mehr  het  zu  verhoffen,  noch  villweniger  notwendige 
proviant,  das  er  mit  sovil  unnuzen  volk  über  ain  Monat 
oder  6  Wochen  zu  essen  het,  so  fanden  sie  im  rath,  sie 
sollen  das  schloss  belegert  halten,  das  nit  ain  Vogel  auss 
oder  ein  mecht  kumen,  also  und  sie  theten.  —  — 

Sie  entschlussen  sich  den  Pabst  zu  belegern,  und  das 
Castel  gar  nit  mehr  zu  zersprengen,  auss  disen  Ursachen, 
zersprengten  sie  das  Castel,  so  verderbten  sie  so  ain  trefflich 
Veste  das  dem  Kayser  künfftige  Zeit  mehr  zu  nachtail 
komen  mecht,  gegen  seinen  feindten,  dan  zu  guettem,  wo 
und  er  Rom  änderst  behalten  wolt,   wie  sie  verhofften,  zum 


*)  Die  Erzknappen  sind  eine  Erfindung  Gumppenbergs. 


360  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

andern  so  forchten  sie  Inen ,  dieweill  sie  on  des  Kaiser« 
Wissen  und  willen  Rom  gewnnnen,  geplündert  und  zerstöret 
hetten,  sollen  sie  erst  den  Pabst  und  Cardinal  mit  so  vill  Pre- 
laten  im  Castel  umbringen ,  und  die  Bevestiguug  zerreissen, 
das  Inen  zu  ewigenüngnaden,  schmach  und  verderbung  reichen 
mecht,  dergleichen  so  war  Inen  der  Kayser  Neun  monat 
soldt  schuldig,  die  wurden  sie  auch  verlieren,  darumben  wer 
besser  sie  belegerten  das  Castel  ob  der  Pabst  sich  mit  Inen 
in  ain  Vertrag  und  Concordj  einlassen  wolt,  das  Inen  das 
Castel  in  Ir  handt  wurde,  und  das  sich  der  Pabst  dem  Kayser 
begebe,  und  Iren  Soldaten  Ir  ausstendig  9.  Monat  soldt  zu 
bezalen  zusaget,  und  wie  sie  dass  Castel  begraben  und  belegert 
hetten,  da  namen  sie  ettliche  notschlangen  und  falkonetten  und 
richteten  die  au ss  dem  Bei  videre  ans  Pabsts  gemach,  und 
Schüssen  zu  obrist  hinauf  in  das  Castel,  an  die  Zinnen,  da 
schluegen  die  stein  dermassen  umb  sie,  das  Jemandts  im 
Castel  sicher  war,  und  hetten  schier  ohn  alles  gewer  den  Pabst 
erschossen  alsso  das  da  weder  Pabst  oder  yemandts  auss 
seinem  gemach  dorffte,  und  dieweill  er  sich  dan  ohne  Hilf 
oder  trost  fandt,  und  sach  den  grossen  Jammer  in  Rom,  und 
das  täglichen  nur  übler  hergieng,  da  fandt  sein  Heyligkeit 
im  rath,  er  solt  spräche  begeren,  und  sich  in  ain  Vertrag  mit 
Inen  einlassen,  als  dan  sein  Heil,  thet,  und  begehrt  spräche, 
die  wardt  Im  zuegelassen,  und  da  waren  auss  des  Kaysers 
exercitu  von  allen  Nationibus  com  missari  zu  Ir  Heilig- 
keit in  das  Schloss  deputiert,  denen  sich  Ir  Hl.  mit  den 
Pacten  ergaben, 

Erstlich  wollt  Ir  Hl.  Person  frey  sein,  und  sich  in  yemandts 
handt  nit  gefangen  geben,  so  war  auch  yemandts  vons 
Kaysers  wegen  da,  der  so  frech  sein  wollt,  ain  Pabst  gefan- 
gen zu  nemben  oder  handt  an  seiner  Person  anzulegen, 
wiewoll  er  gefangen  genueg  war,  man  sezt  im  gleich  ein 
hietlen  auf  wie  man  wolle  auss  nachvolgenden  Ursachen, 

Er   saget   zu   und   verspräche,   dem    Exercitu   Ire   9 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Borns.    361 

Monat  soldt  zu  bezalen,  und  in  Ir  Bewarsainb  zu  bleiben, 
biss  und  sie  bezalt  weren,  zum  andern,  wollt  er  den  Kayse- 
rischen das  Castel  einantwortten,  darin  sie  In  zu  Ir  sicher- 
hait  inhaben  und  bewaren  solten  biss  und  sie  bezalt  wurden, 
aber  so  sie  bezalt  weren,  so  soll  sein  Hl.  und  das  Castel  wider 
ledig  sein,  und  sollen  ohn  schaden  aus  Rom  ziehn,  und  niemandts 
mehr  fahen,  schezen,  belaidigen,  oder  sein  nemben  noch 
verdorben. 

Du  hast  aber  verstanden,  wie  der  Princepsde  Oran- 
gie  nach  absterben  desDuca  de  Borbon  zum  Oberisten 
Veldthaubtmann  erwehlt  war,  über  die  Spanier  war  Johan 
de  Ur  bina  Obrister,  ain  vast  geschickter  und  sehr  trefflicher 
freudig  Capitan  ungefehrlichen  bei  12000. 

Über  die  welschen  Soldaten  war  der  signor  Ferra- 
muscha,  ist  ain  Neapolitaner  gewest  vast  ain  erfarner, 
geschickter  und  sehr  reicher  man,  der  war  obrister  über 
10000  ungeferlichen, 

Über  die  Landsknechte  der  auch  ungeferlichen  bey 
13000  man  waren  und  nit  gar,  der  Ichs  bass  wissen  solt  dan 
ain  andrer,  dan  Ich  als  ain  Obrister  Commissari  über  sie, 
sy  dreymal  gemustert  habe,  das  war  Obrister  über  sie  Herr 
George  von  Fronsperg  zu  Mündelhaim  Ritter,  und  Herr 
Conradt  von  Bembelberg  den  man  das  klain  hesslen  lange 
Zeit  gehaissen  hat  der  war  sein  Obrister  leittnambt,  aber 
Herr  Georg  von  Fronsperg  der  war  Krankheit  halber  nit 
im  einfall  zu  Rom  dan  Ine  auss  Zorn  bey  Ferrara*)  der 
schlag  troffen  hat,  das  er  sich  ob  der  Landtsknecht  un- 
geschickten Weiss  erzirnet,  und  das  man  In  gehn  Ferrara 
fueren  muest ,  under*  die  M  e  d  i  c  i ,  da  huelt  In  Duca 
Alphonso  ain  gantz  Jar  auss ,  biss  er  ain  wenig  wider 
zue  Im    selbst  kamb,  da  schicket  er  haim  gehn  Mindelheim 


*)  Das  Ereigniss  fand  statt  am    16.  März  1527  im  Lager  zu  S. 
Giovanni  bei  Bologna. 
[1877.  I  Philos.-philol.  Cl.  4.]  25 


362  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

zue  seiner  Hausfrauen  die  war  ain  Gräfin  von  Lodron  ge- 
bürttig  auss  der  Grafschafft  Tyroll ,  da  war  er  so  frölich 
nit  gewest,  den  ganzen  tag,  und  wolten  sagen  er  het  die  Nacht 
sein  Narrenweiss  auss  grosser  Lieb  und  Begier  mit  Ir  getriben, 
das  In  der  schlag  abermals  traffe,  davor  uns  Gott  gehuet, 
also  das  er  am  morgen  im  Pedt  todt  bliben. 

Nun  der  von  Bembelberg  als  Obrister  Leitenambt  der 
muest  mit  demDuca  deBorbon  fortrücken  auf  Rom  zue 
mit  dem  hellen  Hauffen,  da  gab  Herr  Georg  von  Frunsperg 
dem  von  Bembelberg  zue  rath  und  beystandt  zue,  das  sie  all 
mit  einand  an  sein  stat  diesen  teutschen  Hauffen  regieren 
sollen,  mitsambt  dem  Bembelberger,  nemblichen  dise  fünff 
Haubtleut  mit  namen,  1.  Haubtman  Corradino  der  war 
auss  der  Otsch  ains  Pfaffen  Sun  ain  vast  alter  und  berüemb- 
ter  Haubtman  hat  5  fendl  Knecht  under  sich,  2.  Haubtman 
Sigmundt  Wechinger  war  auch  auss  der  Otsch  hatt  zwey 
fendl  Knecht  under  sich,  3.  Haubtman  Mathiess  Stumpf, 
war  vom  Adel  vast  geschickt  und  grosser  erfarnuss  auch  seiner 
Hanndt  geschwindt,  aber  überauss  wunderlichen  das 
yemandts  bey  Im  bleiben  kundt  der  hat  3  fendl  Knecht 
under  sich, 

4.  Haubtman  Sebastian  Scherttlin,  der  hat  nur  ain  fendlen 
Knecht  under  Im, 

5.  Haubtman  Diepoldt  Helle,  hat  nur  ain  fendle  Knecht 
undersich,  er  war  auch  nit  vast  ain  erfarner  Haubtman, 
sonder  er  war  ains  guetten  Verstandts  und  wize,  und  ain 
gut  schwezmaul,  damit  er  sich  mehr  herfür  bracht,  dan 
mit  seinen  Kriegsthaten. 

Nun  mein  guetter  H.  Conradt  von  Bembelberg  als 
Obrister  Leitenambt  wollt  absolute  allein  regieren,  und  kein 
gesellen  oderüeberpain  haben  und  thet  was  In  lustetund  gefiell, 
sach  yemandts  nit  an,  und  war  stets  mit  den  ersten  ains, 
und  welche  sich  neben  Im  brechen  wolten,  die  huelt  er  der- 
massen,  das  sie  tag  und  nacht  hin  weck  stelten,  wie  dan  der 


Gregorovius :  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Borns.     363 

Haubtman  Stumpf  und  Wechinger  zue  Rom  mit  einander  auf 
Venedig  fueren,  und  underwegen  gefangen  und  geplündert 
wurden,  und  Inen  sehr  übel  gieng,  darob  sie  an  der  letzt  auch 
gestorben  sein,  Sebertl,  Corradin  und  Hei*),  die  bliben  beim 
hauffen,  warteten  Irer  Haubtmanschaft  auss,  und  Hessen  dem 
Bembelberger  das  Regiment  allein,  das  Hess  er  sie  auch  zue- 
frieden  und  war  guetter  ding  mit  Inen. 

Über  den  raisigen  Zeuge,  in  Irer  Maj.  Exercitu  da 
war  obrister  Don  fern and o  de  Gunsago  der  jetzt 
Rom.  Kays.  Maj.  Stadthalter  ist  zu  Maylandt  und  vor  Jaren 
Vicere  in  Sicilien  gewest  ist. 

Wie  sich  die  päbstlich  Heil,  auf  obengezeigt  mittel  er- 
gäbe, da  antworteten  sein  Heil,  das  Castel  S.  Angeli  ein, 
und  das  sie  sein  Heil,  verwareten  biss  und  sie  bezalt  wurden, 
da  verordnet  der  Oberist  der  Spanier  ain  fendlen  spagnoli 
in  das  Castel,  der  Italiener  Obrist  auch  ains,  der  von  Bembel- 
berg  verordnet  den  Haubtman  Corradin  mit  aim  Vendle 
Landtsknecht,  welche  bestia  sorg  truegen,  sie  kundten  nit 
frey  und  unflettig  sein,  das  Irs  gefallens  stetigs  zum  wein 
gehn  kundten,  und,wolten  nit  darin  bleiben,  da  verordnete 
man  den  haubtman  Georg  Prantten  mit  sein  fendlen  Knecht, 
der  war  auch  etwan  ain  vier  oder  fünf  tag  darin,  da  hat 
er  des  Castels  auch  genueg,  und  wolt  auch  nit  mehr  darinnen 
sein,  sondern  bei  dem  lieben  vino  g r  e c o  an  der  stat,  und 
verluessen  die  Teutscben  das  Castel  dermassen  unbillicher 
weiss  dem  Pabst  zuwider,  dan  er  sie  lieber  gehabt  het,  und 
sich  mehr  zue  Inen  vertraut  als  zu  kainer  Nation  nit,  als 
mir  es  der  Pabst  selbst  zum  offter  klaget  schier  mit  wei- 
nenden äugen,  das  wir  Teutschen  uns  nicht  nit  annemben 
wolten,  und  das  wir  die  Hispanier  so  gar  regieren  lu essen,  und 
damit  das  nit  für  ain  Lügen  helst,  oder  sagen  mechst,  wie 
das  dirs   der  Pabst   vor  andern  klagt   hat,    was   haimbliche 


*)  Conrad  von  Glürnitz  u.  Dibold  Häl  von  Meynburg,  nach  ßeissner. 

25* 


364  Sitzung  der  hist.  Ctasse  vom  1.  Dezember  1877. 

gemeinschafft   hast   du   mit   Im    gehabt,    das    will    Ich    dir 
sagen, 

Ehe  und  Rom  gewunnen  wardt,  da  bin  Ich  dem  Pabst 
in  manicherlay  gescheuten  zum  7ten  mal  in  Teutschland 
gewest,  Ich  war  auch  dasselbig  mal  wie  der  Exercitus 
Caesaris  in  welschlandt  anziehen  solt,  da  war  Ich  von 
seiner  Heil,  wegen  bei  dem  alten  Churfürsten  Pfalzgraf 
Ludwigen  und  herzog  Wilhelmen  von  Bayern  seligl.,  uud  am 
wiederreitten  gehn  Rom,  da  fandt  Ich  mein  schwager  Herr 
Georgen  von  fronsperg  mit  saim  schnellen  Hauffen  zue 
Triendt,  das  er  am  anziehen  war,  da  wollt  er  mich  nur 
schlecht  bey  Im  behalten,  und  verhüesse  mich  Cardinal  und 
Reich  zu  machen*),  aber  Ich  wollt  es  nit  thuen,  sonder 
mein  Befelch  verrichten,  wie  woll  der  Zug  nit  fürgenumben 
war  auf  Rom,  sondern  wider  die  Pündtnuss,  die  der  Pabst, 
Franzosen  und  Venediger  mit  den  andern  Potentaten  in  Italia 
wider  den  Kayser  gemacht  hetten,  auss  Italia  zu  schlahen, 
über  welche  Pündtnuss  signor  Johan  de  Medicis  des 
Pabst  Clementi  Vetter  Obrister  war  gar  ain  treflicher  Kriegs- 
man  und  grosser  Tyran,  und  seiner  besen  welschen  possen  vol, 
derselb  lag  mit  der  Liga  Volk  zwischen  Mantua  et  Ferrara 
am  Poo,  des  Kaysers  Kriegsvolk  ingressum  zu  verhüe- 
ten  wie  er  thet  und  hefftig  weret,  darob  im  der  linck  Schenckel 
oben  im  Dieck  abgeschossen  wurdt,  das  man  (ihn)  gehn 
Mantua  füeret,  den  Fuss  abschneidt,  darob  er  stürbe,  da 
drucket  des  Kaysers  Exercitus  auf  den  von  Ferrara  der 
auch  in  der  Pündtnuss  war,  und  wardt  er  benöttigt,  das  er 
muest  freundt  werden,  gellt,  proviant  und  geschitz  geben, 
das  man  Im  das  Landt  nitt  einnembe,  und  verheret,  Da  kam 
ain  Mörderei  unter  den  ganzen  E  x  e  r  c  i  t  o,  das  sie  schlecht 
nit  weitter  ziehen  noch  dienen  wolten,  sie  weren  den  zuvor 


*)  In  einem  Bruchstück  der  Autobiographie  Gumpenbergs  (Cod. 
Bav.  2127)  wiederholt  derselbe  dies  Versprechen  Frundsbergs,  und  fügt 
hinzu,  dass  dieser  ihn  als  Dolmetsch  habe  gebrauchen  wollen. 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Roms.     365 

vom  Duca  de  Borbon  und  den  Obristen  bezalt,  darob  auss 
Zorn  Herr  Georg  von  fronsperg  krank  war,  wie  du  oben 
vernommen  hast,  Nun  da  war  kain  gellt,  trost  oder  hofnung, 
und  wist  der  Borbon  nit  wie  er  all  sein  Sachen  thuen  sollt, 
dan  sein  sach  auf  zwayen  dingen  stundt,  entlauffen  oder 
sich  von  Inen  zu  todtschlagen  oder  fahen  lassen,  und  machet 
sich  in  ainer  Verzweiflung  mit  dem  Exe r cito  auf,  und 
namb  den  weg  auf  Bononi,  ob  er  dasselbig  unversehener 
Ding  einnemben,  plündern  und  gellt  machen  mecht,  damit  er 
das  Kriegsvolk  stillet,  aber  der  Pabst  war  Im  zu  geschwindt, 
bracht  Im  zu  vill  Volks  in  die  Statt,  das  ers  nit  gewinnen 
kuodt,  und  muest  neben  fürziehen  mit  schweren  verzweifelten 
gemuet,  und  namb  den  weg  auf  Tuscana  zue,  das  er  nit 
wist  was  er  thuen  sollt,  oder  wohin  er  ziehen  solt  das  er 
gelt  machen  mechte  zu  rettung  seines  Namens,  thrauen  und 
glauben,  da  trug  der  Pabst  fürsorg,  die  weil  Florensa 
(die  noch  ain  Freystat  war)  für  sich  selbst  mit  Ir  Heil,  und 
andern  Potentaten  in  Italia  im  Pündtnuss  war,  Er  Borbon 
würdt  Florenza  überziehen,  oder  dasselbig  Ir  Landt 
schleipfen,  verdorben,  prennen  und  schetzen,  dieweil  sie  kain 
Kriegsvolk  im  Landt  noch  in  der  Statt  betten,  und  schicket 
sein  Heil,  eülendts  Doctor  Hannsen  Blanckenfeld  der  war 
Erzbischof  zu  Riga  und  Bischof  zu  Rainfal*),  gen  Florenz 
mit  etlichen  Capiteln  so  bald  und  er  vernambe,  das  sie  den 
weg  auf  florenz  und  in  Ir  Landt  nemben  wolten,  so  soll  er 
Inen  entgegen  ziehen,  und  in  des  Pabsts  namen  und  der  Statt 
Florenza  den  teutsehen  solch  Capitel  vorhalten,  ob  man 
sie  damit  abwendig  machet,  das  sie  nit  für  zu  gen ,  sondern 
ab,  und  den  weg  anderstwohin  nemben. 


*)  Reval.  In  dem  bezeichneten  Fragment  der  Autobiographie  wird 
der  Erzbischof  seltsamer  Weise  als  Doctor  Rockenbach  bezeichnet.  Er 
hiess  richtig  Johannes  Blankenfeld.  Siehe  Series  Episcopor.  Eccl.  Catho- 
licae  ed.  P.  Pius  Bonif.  Garns.     Regensb.  1873. 


366  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1877, 

Nein  derselbige  Bischof  war  zu  forchtsamb,  wolt  diesen 
Bevelch  des  Pabst  nit  verrichten,  da  hette  aber  Ich  von 
Venedig  auss  dem  Papst,  auf  der  Post  geschrieben,  was  und 
Ich  seiner  Heil,  in  Teutschlanden  bey  obgemelten  Fürsten 
ausgericht  hette,  und  wie  (ich  wegen)  Unsicherheit  der  wege 
umbreiten  muest,  damit  ich  dem  Kriegsvolk  nit  in  die 
Hendt  kerne,  und  zeiget  seiner  Heil,  mein  Strassen  und 
Weg  an,  darummb  solle  mich  Ir  Heil,  meines  langen  Auss- 
sein endtschuldiget  haben,  also  das  der  Pabst  wisse  wo  und 
Ich  bay  aim  Peilichen  anzuetreffen  war,  und  schicket  mir  ain 
eillende  Post  unter  äugen,  das  ich  enlendts  gen  Florenz  po- 
stiert zue  dem  Cardinal  Cor to na,  der  daLegatus  a  la- 
tere  war,  und  das  Ich  alles  das  tbet,  was  mich  derselbig  Le- 
gat und  der  Senatus  zue  Florenz  hiesse.  Nun  wie  Ich  gehn 
Florenssa  kamb,  der  da  mit  grossen  Freyden  und  Ehren 
empfangen  war,  der  war  Ich,  und  dem  sonderbar  gross  Ding 
verheissen  worden,  wo  ich  den  Befelch  annemben  wollt,  zu 
verrichten.  Ich  war  ein  junger  beherzter  gesölle,  von  ain 
25  Jaren  alt,  arm,  hett  nit  vil  übriges,  und  wer  gern  reich 
worden,  oder  etwas  gewunnen,  das  Ichs  hineinsezet,  mir  nit 
liederlich  forcht,  oder  an  einem  Ding  leichtfertig  entsezet, 
und  sagets  zue,  wo  es  mir  Erlichen  und  anmutlich  were,  so  wolt 
Ichs  gern  thuen,  da  zaigten  sie  mir  des  obgemelten  Bischofs 
gehabten  Befelch  an,  und  sein  verzagts  gemuet,  und  das  sie  mit 
Im  verkürzt  wurden,  so  es  von  nötten  sein  würdt,  und  gaben 
mir  die  Articl  und  Capitulation  des  Bischofs  was  er  im  Be- 
felch hette,  dem  teutschen  Exercito  zu  proponiren,  das 
sie  der  Statt  Florenz  noch  Landt  nit  schaden  thetten,  undter 
welchem  Articl  der  ainer  war,  das  ich  des  Pabsts  Besslen 
Margarita  de  Medicis  signor  Juliano  de  Medicis 
Tochter*),   der   ain  Herzogin  von  Alba  auss  Frankreich  zu 


*)  Irrig  statt  Catharina.     Derselbe  Fehler  wird  im  Fragment  der 
Autobiographie  gemacht.    Auch  war  ihr  Vater  nicht  Julian,  sondern  der 


Gregorovius'.  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Borns.     367 

aim  Weib  gehabt  hat,  darbey  er  die  Tochter  Margarita 
gehabt  hat,  welche  ain  Herrschaft  von  6000  Cronen  järlichs 
einkommen  hatte,  dieselbige  Margarita  war  zwischen  14  und 
13  Jaren  alt,  schön  und  tugendhafft,  zu  sainbt  grossem  Reich- 
tumb,  die  solle  ich  Herr  Görgen  von  Fronspergs  Sun,  Herrn 
Caspar  von  Fronsperg,  der  Oberister  zu  Mailand  war,  ver- 
sprechen und  vermeheln,  wo  und  sie  ohn  schaden,  ab  und  auss 
dem  Lande  der  Florentiner  zügen,  welche  Margarita  de 
Medicis  auf  heuttigen  tag  ain  gewaltige  reiche  Künigin 
ist,  in  Frankreich,  und  jetzt  den  König  Hainrich  zu  aim  Mari 
hat,  und  bey  Im  so  vil  schöne  Kinder,  das  sag  Ich  darumb, 
das  die  Leut  offt  so  hoch  un versehener  Ding  hinauf 
komben,  darnach  sie  oder  der  Pabst  nhie  sollich  glick  ver- 
hofft noch  dahin  gedacht  haben,  da  aber  Kayser  Carolus 
quin  tus  Imperator  Invictissimus  sein  Pastarda  Mar- 
garita, des  Pabsts  Nepoten  Duca  Alexandro  de  Medi- 
cis Herzog  in  Florenssa,  zu  ain  weib  gäbe,  da  wolt  der 
neidisch  Imo  nerrisch  Kunig  Francis cus  RexFranciae 
nit  weniger  in  der  Freundtschafft  mit  dem  Pabst  sein,  dan 
der  Kayser  Carl  und  wo  Im  Pabst  der  Kayser  Carl  ain  Past- 
arda geben,  da  gab  der  narret  Küuig  Franciscus  sein  leib- 
lichen Ehelichen  Sun  ains  Bürger  und  Kaufmans  Tochter  zu 
Florenz,  wiewoll  der  selbig  Sun  undter  den  dreyen  Küniges 
Fr  an  eis  ci  Söhnen  der  jüngst  war,  und  jemandts  gedacht, 
das  er  in  ewigkait  König  soll  werden,  also  da  sein  die  zwei 
eltesten  Söhne  gestorben,  also  das  der  jüngst  und  unvermaindt 
König  ist  worden,  und  auf  die  stundt  regieret,  mit  dem  die 
Landtherrn  übel  zufrieden  sein,  dass  er  eines  Kaufmans  und 
bürgers  Dochter  auss  Florenz  su  sein  Weib  haben  solt,  und 
sie  für  Ir  Königin  und  haben  ain  weil  vermaindt  Ine  dess- 


Herzog  vefti  Urbino,  Lorenzo  Medici;  ihre  Mutter  Madelaine  la  Tour 
d'Auvergne.  Catharina  ward  geboren  13.  April  1519,  vermalt  a.  1533 
mit  Heinrich  Herzog  von  Orleans. 


368  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  187  7. 

halber  nit  anzunemen  noch  für  Iren  König  zu  erkennen  und 
haben  gewolt  er  solle  sie  in  ain  Closter  thuen,  und  ain  andere 
nemben,  und  sonderbar  dieweil  sie  wol  7  oder  8  Jar  gehabt 
hat,  das  sie  faiste  halber  nhie  kain  Kündt  gemacht  hat,  das 
sie  sorg  truegen  er  würdt  on  Erben  sterben,  jedoch  hats  an 
der  letzt  angefangen  Künder  zu  machen,  und  hat  Im  nunmehr 
3  oder  4  Süne  tragen  das  Im  yetzt  von  Herzen  lieb  ist. 
Also  hastu  diese  History  des  glickes,  und  das  Ich  wider  auf 
die  angefangene  kumb,  Ich  lag  13  tag  zu  Florenz  zu  sehen, 
wo  doch  der  Borbon  auss  wolt,  der  gar  verzweifelt  war,  het 
nit  Proviant  noch  gelt,  villweniger  kain  obedientia  nit, 
das  er  sich  als  ein  erfarner  Kriegsmann  umb  so  gewaltig 
Stett  und  in  so  ain  mechtig  Lanndt  nit  begeben  darff  als 
Floren ssa,  da  war  er  benettigt,  der  Feindt  Landt  zu 
fliehen,  und  die  Freundt  zu  suechen,  damit  er  sein  Exerci- 
tum  nit  in  pericul  setzt,  und  namb  den  weg  auf  hohen  Siena 
und  in  Ir  Lanndt,  da  die  das  sahen,  da  suechten  sie  weg  und 
persuasiones,  das  sie  den  Borbon  mit  sein  E x e r c i t o 
auss  Irem  Landt  fürbass  schieben  mechten,  auf  Iren  Nacht- 
barn, und  gaben  Im  gellt  und  Proviant,  und  persuadierten 
den  Borbon,  er  soll  sich  aufmachen,  und  in  das  Königreich 
Nea  p  o  1  i  s  das  frei  von  Feinden,  das  ist  des  Pabst  Liga  mit  den 
Potentaten  in  Italia,  darüber  Obrister  wardt  (nach  absterben 
Joanni  de  Medicis  des  yezigen  Herzogs  von  Florenz 
vatter)  der  obgemelt  Herzog  von  Urbino,  und  dise  Ir 
armuet  und  hunger  war  ursach  das  sie  fort  euleten,  damit  sie 
nit  etwan  belegert  wurden,  und  eyleten  dem  Königreich  Nea- 
polis  zue,  da  sie  gellt,  Proviant  und  entsezung  auch  alle  not- 
turft  gehabt  hetten.  Nun  wollten  sie  in  das  Königreich,  so 
mussten  sie  zuvor  über  die  Tyber,  und  an  den  orten  da  sie 
übersolten,  da  war  sie  Inen  zu  gross,  und  sie  waren  zu  weit 
für  sich  komen,  dass  sie  nit  mer  hindersich  kundten,  dan 
die  Feindt  waren  Inen  zu  nahendt  auf  dem  Halss,  und  die  von 
Siena   hatten  Inen  vill  Proviant    zue   gesagt,    da   sies    auss 


l 


Gregorovius:  Ein  dexitscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Borns.      369 

Jrem  Lanndt  brachten,  da  hetten  sie  Inen  ungern  ain  stuck 
Brott  nachgeschickt,  Also  das  der  Kayserlich  Excercitus  ganz 
machtloss  war,  und  noch  Grass  frassen  vor  Hunger,  dan  sie 
lenger  dan  in  8  tagen  kain  stück  Brott  nhie  gesehen  hetten, 
darumb  eylten  sie  für  sich  dem  Königreich  Neapolis  zue, 
und  wiewoll  sie  weder  schifbrücken  oder  der  dings  kains  mit 
hetten ,  so  sezten  sie  doch  Ir  thuen  zue  Gott  und  auf  des 
Kaysers  Partei  und  anhang,  die  Colloneser  würden  sie  nit  ver- 
lassen, und  nit  weit  von  Rom,  das  sie  über  die  Tyber  muesten 
entgegenkomen,  und  Inen  ein  Brücken  über  die  Tyber  machen, 
das  sie  den  Feindten  darüber  entwischen  mechten,  das  war 
Ihr  vorhaben  und-  hofnung. 

Nun  gleich  zu  derselben  Zeit,  da  kriegt  der  Pabst  Cle- 
mens mit  denselben  Collonesern  zu  Frisolona  gegen  dem 
Königreich  Neapolis  zue*),  und  thet  Inen  sehr  grossen  scha- 
den, verhöret  und  verprennet  Inen  das  Landt  wuest,  da  legte 
sich  der  Vicere  von  Neapolis  in  die  sachen  auss  Bevelch  des 
Kaysers  und  vertrueg  die  Colloneser  und  den  Pabst  mit  einand, 
und  machet  nit  allain  Fridt,  sondern  das  yeder  thail  sein  Kriegs- 
volk abfordern  und  gar  Urlauben  solten,  das  thet  der  Pabst, 
forderte  seine  4000  Schweizer  ab,  und  schicket  sie  wider  haim. 
Er  hat  5000  Italianer,  die  hiess  man  die  Bandicei  Ne- 
gri**),  die  hat  Johanin  de  Medicis  woll  ain  Jar  8  oder 
10  beyeinander  gehabt.  Es  waren  die  Bösesten  und  erfarnisten 
Pueben  in  Kriegslauffen  die  da  in  langer  Zeit  nit  beyeinander 
gewest  waren,  welche  sich  allerdiug  understehen  dorfften, 
das  aber  war  ist,  so  wolt  der  Pabst  mit  dem  Kayser  und  Col- 
lonesern Fridt  haben  und  die  Artickel  in  allen  Dingen  halten, 
wies  der  Vicere  M  i  n  c  r  a  f  a  1  ***)  (wass  ain  Niederlender  und 
Teutscher  Fein  dt)  gemacht  hat,  und  versach  sich  vom  Kayser 

*)  Der  Kampf  bei  Frosinone  fand  am  Anfange  des  Februars  statt. 
**)  Bande  Nere. 
***)  DerVicekönig  Charles  de  Lannoy  war  Sohn  des  Juan  de  Lannoy 
Herrn  von  Maingo val. 


370  Sitzung  der  bist,  Cla&se  vom  1.  Dezember  1877. 

und  den  seinen  nichts  böss,  sondern  alles  guetts,  und  vermeint 
Inen  solle  auch  dasselbige  gehalten  werden,  wie  billich  ge- 
west  were,  und  fordert  dieselben  5000  Italiener  oder  schwarze 
Fendl  auch  ab,  und  das  sie  gehn  Rom  kamen,  wie  und  sie 
dan  kamen,  und  Ich  sie  mit  angen  hab  ainziehen  sehen,  und 
das  Ire  schwarze  Fendl  im  Kott  hernach  zugen  auf  der  Erden, 
von  wegen  Ires  Obristen  Johanin  de  Medicis  der  in 
Lombardia  starb. 

Da  sie  nun  gehn  Rom  kamen,  da  gab  man  Ihnen  un- 
verhofft urlanb,  und  zalet  sie  übel  mit  abrechnung  und  auf- 
schlagung der  Besoldung,  wie  man  dan  an  allen  Höfen  böse  Vi- 
nanzer  findt,  die  Irs  aignen  nuz  halber  dahiu  genaigt  sein, 
yederman  das  seinig  abzubrechen,  das  eben  Jacob  Sal- 
"viati  thet,  der  Pabsts  Clements  Schwester  zue  einem  Weib 
hett*),  und  derselb  arglistig  böss  Jud  oder  Kaufmann,  wie 
man  sie  nennen  muess  höflich  darvon  zu  reden,  der  guberniert 
die  ganz  Kirchen  und  alle  Ding  absolute  in  sein  nuz,  der- 
selbig  prach  Inen  ab,  und  schlueg  Inen  auf,  unangesehen  das 
sie  so  vil  Jar  treulich  gedienet  hetten,  welches  Inen  auch 
wehe  that  und  übel  verdrüssen,  und  waren  sogar  erzirnet  und  ver- 
pittert,  das  sie  mit  dem  beherzten  gemuet,  und  langer  erfarnuss 
die  sie  hetten,  sich  understehen  dorfften  die  Kaufleutprucken 
in  Rohm  zu  plündern**)  und  wolten  in  Rom  das  undter  über 
sich  keren,  das  man  sie  mit  gewalt  auss  der  Statt  treiben 
muest,  das  sie  mit  Unwillen  hinweck  zugen,  und  Rom  schwuren 
alles  Leidts  zue  thuen,  und  lüeffen  gleich  alle  mit  einander  dem 
Borbon  zue,  Da  der  Borbon  das  vernamb  das  der  Pabst 
kain  Kriegsvolck  het,  sonder  die  alle  mit  einander  mit  Un- 
willen abgeferttiget  hette,  auch  kains  nit  umb  gelt  noch 
sonnst  mehr  bekomen  mecht,    da  ersähe  er  sein  vortail  und 


*)  Vielmehr  Lucrezia  Medici,  die  Schwester  Leo's  X. 

**)  Zu  jt^ner  Zeit  waren,  wie  noch  heute  in  Florenz  der  Ponte  Vec- 
chio,  die  Brücken  in  Rom  meist  mit  Buden  der  Kaufleute  besetzt.  Im 
Mittelalter  verkauften  Juden  ihre  Waaren  selbst  auf  Ponte  Sant  Angelo. 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Borns.      371 

namb  ein  Herz,  und  zuge  unversehner  Ding  auf  Rom  zue,  der 
Hofnang  wo  er  Rom  nit  erobern  kundt,  so  wolt  er  doch 
ausserhalb  Rom  über  die  Tyber  komen  über  die  Prucken 
ponte  molla  vor  unserer  Frauen  de  popolo  Thor,  mehr 
dan  ain  teutsche  halbe  meil  wegslang  von  Rom. 

Nun  wie  das  der  Pabst  höret,  das  der  Borbon  auf  Rom 
zuge,  und  er  sich  ohne  Kriegsvolck  fandt,  auch  davon  nit  mehr 
bekommen  kundt,  da  schicket  er  sein  Pottschaft  zu  ein  Bor- 
bon, was  das  wer,  das  er  In  ungewarnnter  Ding,  als  ain 
Freundt  des  Kaysers  überziehen  wolt,  und  er  het  mit  dem 
Vicere  an  statt  des  Kaysers  Fridt  gemacht,  den  wolt  er 
auch  halten,  darumb  het  er  sein  Kriegsvolck  auch  geurlaubt, 
und  er  het  mit  Im  Borbon  nichts  zue  thuen,  Er  stuendt  in 
guettem  Fridt  und  ainigkait  mit  dem  Kayser  des  wolt  er  sich 
halten,  und  des  Vi  c  er  es  zuesag. 

Darauf  antwort  der  Herzog  von  Borbon  dem  Pabst,  und 
sagt  es  gieng  Ine  nicht  an,  was  er  mit  dem  Vicere  trac- 
tiert  oder  beschlossen  hett,  Vicere  deNeapoli  wer  so 
woll  ain  Diener  als  eben  er,  und  er  hette  Im  nicht  zu  ge- 
bietten,  Er  geb  auch  nicht  umb  In,  er  wist  woll,  was  er 
thuen  und  lassen  solt,  und  trucket  stets  auf  den  Pabst  zue 
damit  er  in  Rom  komen  mecht,  ehe  In  die  Feindt  ereylten, 
die  Im  auf  dem  Fuess  nachzugen;  Da  sich  der  Pabst  der- 
massen  beengstiget  sähe,  da  wist  er  nit  wo  auss,  dan  er 
kundt  kain  Kriegsvolck  nit  so  erbringen  machen,  so  waren 
die  schwarzen  Vendler  zu  den  Kayserischen  verlohnen,  da 
fienge  er  an  auss  Verzweiflung  zu  risten,  und  sich  mit  seinen 
aignen  todtsfeinden  zu  wöhren,  und  botte  aller  weit  in  Rom 
auf,  das  da  spiess  und  stangen  tragen  mecht,  das  soll  die 
webr  nemben  zur  Rettung  der  Statt.  Nun  wer  waren  die,  mehr 
des  Pabsts  Feindte  dan  Freundt,  dan  es  waren  Teutsche,  Spag- 
noli,  Niederlender,  Neapolitani,  Lumbardi,  auch  Roraani  selbst, 
und  die  grösten  und  mechtigsten,  die  dem  Kayser  anhiengen,  die- 
selbigen  sahen  das  Ding  alles  gern,  und  war  Inen  ain  haimb- 


372  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  November  1877. 

liehe  Freyd,  das  dem  Pabst  ain  Kappen  kaufft  soll  werden, 
vermainten  dadurch  gross,  reich  und  mechtig  zu  werden,  so 
der  Pfaf  undtergetrückt  und  castigiert  wurde,  vermainten  nit 
die  narreten  unsinnigen  Leut,  so  das  Kriegsvolk  mit  gewalt 
in  Rom  kam,  das  man  Inen  etwas  thuen  sollt,  darum b  das 
sie  Kayserisch  weren,  sonder  gedachten  es  solt  alles  ob  dem 
Pabst  und  seinen  Pfaffen  ausgehen,  und  fandt  vil  narrete  Ro- 
maner die  kauffeten  und  kochten  das  Beste  der  Welt,  auf  des 
Kaysers  Kriegsvolk,  so  das  in  Rom  kemb,  das  sie  Inen  Ehr 
erbietten  mechten,  vermainten  sie  mit  ainem  mall  abzurich- 
ten, da  war  jemandts  in  Rom  von  oberzelten  Nationibus, 
der  als  Kayserisch  die  wehr  wider  Ine  Kayser  oder  seiu 
Exercito  nemben  wolt,  und  so  sie  schon  mit  Iren  wöhren 
auss  Forcht  auf  des  Pabsts  gebott  erschinen,  so  war  es  Inen 
doch  nit  umb  das  Herz,  sie  hettens  auch  villweniger  im 
sinn ,  das  sie  alda  bestendig  bleiben  wolten ,  sonder  Iren 
haimblichen  abzug  nemben,  so  dorfften  sich  der  Franzosen 
Partt  und  anhang  in  Rom  auch  nit  rieren,  und  die  Ursiner 
allain,  mit  Iren  anhang  genuegsam  gewest  weren,  des  Kaysers 
Hoer  auss  Rom  zu  behalten,  wans  schon  dreymal  so  stark 
gewest  were.  Aber  die  Ursiner  und  der  Franzosen  Partt,  den 
gefiel  das  Ding  haimblichen  nit  allain  woll  sonder  sie  wolten 
sich  von  des  Pabsts  wegen  in  kain  perieul  begeben,  noch 
vill weniger  wider  Iren  Herrn  den  Herzogen  von  Borbon  ein- 
lassen, und  trugen  auch  für  sorge,  als  weise  Leut,  sezeten  sie 
sich  wider  den  Kayser,  oder  sein  Exercito,  so  wurde  des 
Kaysers  Volk  und  anhang  in  der  Statt  Rom,  zu  dem  Exer- 
cito Caesar is  hinaus  fallen,  und  Inen  in  die  Statt  helffen, 
so  wurden  also  die  Kayserisch,  sie  die  französischen  und  Ur- 
siner, überfallen  und  zu  tode  schlagen.  Auss  diesen  Ursachen 
sassen  sie  stiller,  und  behuelt  ain  schwerdt  das  ander  in  der 
scheiden ,  auss  diesen  Ursachen  gewan  das  klain ,  gering 
Kriegsvolck  diese  Statt  Rom,  ohn  ainichen  Widerstandt,  aus- 
genommen 4   oder  6.  Fendle  besoldeter  Italiener  und  anderer 


Gregorovius :  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Borns.      373 

Nation,  die  dannocht  der  Pabst  in  ainer  eyll  von  schneider- 
stuelen  und  andern  Handwerkern  aufbracht  hette,  solle  man 
sich  aber  gewört  haben,  nach  ernst  und  von  Herzen,  das  Volk, 
das  sich  zue  Rom  wider  Iren  willen  von  allen  Nationibus  und 
Romanern  mustern  haben  lassen  pro  forma  davon  war- 
lichen weit  über  50000  waren,  und  mit  so  köstlichem  schön 
Harnisch,  wehren  und  andern  Dingen,  sie  hetten  des  Kaysers 
Volck  aus  Rom  behalten,  wan  sie  zehenmal  so  stark  gewest 
weren,  aber  das  vertieret  die  narreten  Romaner,  das  sie  ver- 
mainten  das  spill  würdt  nur  ob  dem  Pabst  und  seinen  Pfaffen 
aussgehen,  und  wereten  sie  nicht  nit,  dan  was  sie  forcht 
und  ehrenhalber  thuen  muesten. 

Und  Hessen  also  des  Kaysers  Exercito  Rom  gewinneü, 
am  6.  tag  May,  im  1527.  Jar,  und  da  der  Exercitus  in  Rom 
kam,  wiettet,  dobt,  und  hette  in  der  gerechten  Handt  sein 
wehr,  in  der  andern  ein  stuck  Brott,  das  sie  vor  den 
Beckerleden  oder  in  Iren  häussern  im  einfall  genomben 
hetten ,  das  assen  sie  im  Lauffen,  wie  das  wiettig,  hungerig 
gestorben  Vieh,  da  luffen  die  Romaner  eines  Theyls  auss 
Iren  Heusern  herauss  undter  sie  auf  die  gassen  und  zeigten 
sich  für  guett  Kayserisch  an,  und  dancketen  Gott  dem  hern, 
das  ainmal  die  stundt  kommen  were,  das  sie  von  dem  Pfaffen 
dem  Pabst  erlediget  wurden,  und  sie  batten  sy,  sie  sollen  in 
Ire  heuser  hinein  gehen,  da  wer  Inen  essen  und  trinken,  Pett, 
gewandt  und  Fusswasser  zuegericht,  auss  rechter  inbrünstiger 
Lieb  und  charitet,  denen  sies  von  Herzen  gunneten,  und 
vermainten  die  Romani  der  geyzige,  hochtragendt  Spagnol 
und  Kriegsman  der  solle  sich  mit  der  suppen  benuegen 
lassen. 

Aber  da  der  Spagnol  Inen  genueg  geessen  und  getrunken 
hatte,  da  tractieret  er  den  narreten  Romaner  nach  seiner  ver- 
dienstnus,  und  namb  her  des  Romaner  weib,  kinder  und  töchter, 
und  wolt  ain  weil  seines  gefallens  auf  den  weissen  unterge- 
legten Leilachen  mit  Inen  scherzen  und  kurz  willen.  Er  saget, 


374  Sitzung  der  hist.  Clause  vom  L  Dezember  1877. 

Haussherr,  gib  uns  als  des  Kaisers  gethreueu  Dienern  gellt 
her,  als  eiu  guetter  Kayserischer  man,  damit  wir  mit  den 
schönen  Mädeln  triumphieren  künden,  dan  der  Kayser  ist 
uns  sovil  schuldig,  leihe  uus  diewill  dar,  Ir.  Majt.  würdt 
dirs  schon  wider  geben.  Da  der  Romaner  das  hörte,  sähe 
und  erfuer,  da  gedacht  er  erst  an  der  lezt  und  zue  spatt  an 
sein  begangene  Thorheit,  und  da  das  spill  an  den  armen  ver- 
thanen  Pfaffen  nit  ausgehen  wollte ,  sonder  über  sie  reiche 
Wucherer,  und  hetten  es  gern  wider  rem  ediert,  aber  es  war 
Inen  unmöglich  und  zue  spatt,  und  wolten  erst  anfahen  dem 
Spagnoli  und  Kriegsvolck  vill  predigen,  ob  sie  solches  als 
guette  Kayserische  gewertig  sein  solten,  das  wer  ye  un- 
billich,  da  saget  das  Kriegsvolk,  du  falscher  Laur,  gib  gellt 
her,  oder  wir  wollen  dich  bey  den  Hoden  aufhengen,  es  ist 
erlogen  das  du  guett  Kayserisch  bist,  dan  werst  du's  so 
wehrtest  du  dich  nit  uns  seiner  Maj.  gethreuen  Dienern 
so  vill  Monat  soldt  darzuleihen,  wir  wollen  ainmall  gelt 
haben,  nit  allein  von  dir  sondern  vom  Kayser  selbst,  so  er 
da  wer,  und  namben  die  Romaner  mit  Iren  weibern,  kindern 
und  töchtern,  und  gingen  Ires  gefallens  mit  Inen  umb,  schezten, 
prannten  und  marterten  sie  so  lange  und  so  vill ,  biss  sie 
Inen  all  Ir  vermögen  gaben,  und  plünderten  sie,  fuerten  Inen 
weib  und  kündt  hin  weck,  erwürgten  und  erstachen  sie,  da 
war  all  ding  frey  und  preiss,  biss  an  den  13.  tag,  und  das 
war  böss  und  erbärmlich,  so  sich  jezt  ainer  von  ainem  gelöset 
hette,  so  lauft  er  von  Im,  so  kombt  ein  ander  Kriegsman 
an  In,  und  schezt  In  von  neuem,  also  das  offt  ainer  nur  10  mal 
gefangen  und  geschezt  ist  worden,  und  wan  er  an  der  lezt 
nichts  mehr  gehabt  hat,  so  haben  sie  Ine  erstochen,  oder 
da  sy  es  ainem  nit  glauben  haben  wollen,  so  haben  sie  ainen 
so  lang  gemarttert,  biss  er  Inen  in  den  Hendten  gestorben 
ist,  dan  kein  threuen  und  glauben  bey  diesem  Kriegsman  nit 
war.  Aber  het  mir  Pabst  Clement  allein  gevolgt,  so  wer 
es  zue  dem  Jamer  und  nott  gar  nit  komen,  dan  wie  man  am 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Borns.    375 

6.  May,  das  war  am  Montag  Rom  Überzug  mit  dem  Sturm, 
da  war  Ich  am  5.  tag  das  war  am  Soutag  nach  essen  bei 
Ir.  Heyl.  als  ein  geforderter,  da  sahen  wir  in  des  Pabst 
Camer,  hindter  dem  Belvidere  bey  des  Medici  Palast 
oder  Lustgarten*)  den  Vorzug  oder  anteguardia  auf  die 
Wisen  herab  ziehen,  das  Lager  schlagen  an  die  Tyber,  da 
fragt  mich  der  Pabst,  was  mich  guett  ged unket,  da  ant- 
wortet Ich  Ime  mit  kurzen  wortten,  das  er  sich  mit  Inen 
vertruege,  und  zufrieden  stellet,  dan  sie  kernen  an  ein  heimb- 
lichen Verstandt  daher  nit,  und  wären  sie  so  keck,  das  sie  Ir 
Heyligkeit  so  truzlich  undter  äugen  und  für  die  Statt  sich 
belegerten,  so  wurden  sie  solch  Ir  manlichaitt  unversehener 
Ding  erzaigen  wollen,  und  wurden  so  truzlich  sein,  auf  die 
heinibliche  Verstandt  und  Vertröstung,  das  sie  die  Statt  un- 
versehener Ding  mit  dem  stürm  anlaufFen  wurden,  so  het 
sein  Heyligk.  kein  Kriegsvolk  oder  yemandts  in  der  Statt, 
darauf  sie  Ir  Heyligk.  vertrösten  dörffen,  Es  wer  eytell 
genöt  Volk  zu  der  gegen  wehr,  und  weren  nit  allein  der 
partt  verwant,  sonder  auch  unerfaren  Handtwerksleut,  die 
da  der  Kugel  urab  die  Ohren  nit  gewohnt  hetten,  und  so  baldt 
sie  die  hören  wurden,  so  wurden  sie  all  Ire  wehren  fallen 
lassen,  und  darvori  fliehen,  so  wurde  Ir  Heyligk.  verkürzt 
werden,  darumb  wer  besser,  sie  Hesse  sich  iu  ein  Vertrag 
mit  Inen  ein.  Da  antwort  mir  der  Pabst,  wer  zu  Iuen 
reitten  wollt,  ob  ich  der  sein  wollt,  da  sagt  Ich  ja,  Ich 
were  zufryden,  so  Ir  Heyligk.  mir  drey  Ding  thuen  wolten, 
da  fragt  Ir  Heyligk.  was  das  wer,  da  antworttet  Ich  Ir 
Heil.,  das  erst  wer  das  sie  mir  warhafft  anzeiget  den  anfang 
biss  an  das  endt,  was  sich  zwischen  Ime  Pabst  und  dem 
Borbon  und  ganz  exe r cito  bis  auf  die  stundt  verloffen 
hette,  oder  was  zwischen  Inen  gehandelt  war  worden, 

Das  ander,  was  Ir  Heyligk.  entschlossen  were,  für  c  o  n  - 


*)  Die  heutige  Villa  Madama. 


376  Sitzung  der  hüt.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

di  tiones  mit  Inen  ein  zu  gehen,  und  was  gestallt  sie  ein 
concordj  mit  Inen  annemben  wolt, 

Zum  dritten,  wie  und  was  gestalt  sie  mich  versichern 
wolt,  was  und  Ich  dem  Exercito  in  namen  Ir  Heyl.  für 
schlüge,  das  es  von  Ir.  Heyl.  also  verzogen  solt  werden, 
an  ainiherley  mangel  oder  feien. 

Darauf  sagt  mir  der  Papst  mein  fürschlag  gefuell  Im, 
und  er  wolt  sich  darauf  bedenken,  und  Ich  solt  heimgehen  und 
daheim  belaiben,  und  kain  tridt  auss  dem  Haus  gehen,  damit 
so  sein  Heyligk.  nach  mir  schicket  das  man  mich  daheim 
fendt,  und  gab  mir  drey  seiner  Edelleut  (oder  palphornieri*) 
genannt,  die  ain  Pabst  tragen  und  auf  sein  Leib  wartten) 
zue,  das  sie  mein  Herberg  lernten,  damit  so  man  mich 
eulents  haben  wolt ,  das  sie  mich  wisten  zu  fünden ,  Ich 
gang  haim,  und  blib  mit  schwerem  herzen  daheim,  dan  Ich 
allen  apparat  und  Kriegsrüstung  und  gegen  wehr  gern  gesehen 
hette,  Aber  Ich  muest  Ir  Heyligk.  gebott  gehorsamb  sein,  und 
verlur  den  ganzen  Suntag  den  tag  dahaim  mit  wartten, 
doch  stige  Ich  auf  das  Dach  und  in  einen  Turn  umbs  hauss, 
darin  Ich  über  Rom  sehen  möcbt  in  die  Weit,  des  Kaisers 
Kriegsvolk  an  zu  ziehen,  aber  mein  wartten  war  umbsunst, 
und  der  Pabst  wolt  sich  im  Palast  Sti.Petri  nit  mehr  ver- 
trauen, sonder  gieng,  umb  Vesperzeit  auf  der  Mauer  in  das 
Castell**;,  da  blib  er  also.  Zue  morgens  am  Montag  6.  May 
vor  tags,  da  ristet  sich  des  Kaisers  Volk  zum  scherz,  mit 
Iren  Laittern  und  wehren  Rom  zu  besteigen  und  zu  gewinnen 
als  dan  geschähe,  und  fuel  ain  Nebel  an,  der  weret  vast 
biss  umb  7  Uhr,  das  Ir  glick  war,  und  Inen  den  Victor  j  in 
die  Handt  gab,  das  die  Burgo  St.  Petri  erobert  wardt, 
darauf  sie   rhueten  von   7  Uhr   an,   bis  gehn  Vesper  Zeit, 

*)  Palafrenieri. 

**)  Der  Papst  begab  sich  ins  Castell  erst  nachdem  die  Leonina  am 
Morgen  des  6.  Mai  erstürmt  worden  war,  wie  das  Paul  Jovius,  sein 
Begleiter,  erzählt  hat. 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Borns.     377 

da  fiengen  sie  den  sturmb  widerumb  an  baiSan  Spirito. 
Noch  dannocht  warttet  Ich  stets  im  hauss,  wan  Ir  Heyligk. 
nach  mir  schicket,  aber  der  Pabst  vermeinet  nit  das  sie 
Rom  so  liederlichen  und  bald  gewünnen  solten,  dan  er  hat 
wider  in  der  Statt  ain  5.  6.  oder  7.  Vendlen  welsch  Soldaten 
gelegt,  so  hat  er  signor  Lorenzo  de  Nucera*)  und  sein 
Sun  signor  Paulo,  dergleichen  signor  Horacio  de 
Balnionibus,  als  Obriste  Haubtleut  in  der  Statt  Rom 
etwan  mit  ain  4.  pferdten  (sie!)**)  aufs  maist,  die  ritten  stets 
hin  und  wider,  das  gebotten  Volk  an  Maurn  und  allethalber 
zu  der  wehr  an  zu  stellen,  welche  Obristen  das  aller  nöttig 
ist  nit  versehen  hatten,  das  sie  an  jeder  Prucken  über  die 
Tyber  ain  schwipbogen  abprochen  hetten  oder  eingeworffen, 
so  hetten  sie  so  bald  nit  über  die  Tyber,  und  in  die  Statt 
kommen  künden,  hetten  auf  das  wenigist  ain  tag  zwey  oder 
3.  sich  umb  die  Prucken  muessen  schlahen,  darwill  weren 
sie  nit  allain  zue  huuger  gestorben  auss  der  grossen  oben- 
gezaigten  noth,  sondern  auch  es  wer  Inen  vill  gedachte 
Liga ,  der  Duca  de  Urbino  mit  dem  mechtigen  e  x  e  r  - 
cito  auf  den  Hals  gewest,  das  sie  wed-er  für  sich  noch 
hinder  sich  kund  hetten,  wie  dan  derselbig  Duca  am  dritten 
tag,  das  ist  auf  den  9.  May***)  mit  allem  sein  ex  er  cito 
zu  Ysola  das  ist  bey  2  teutsche  meil  vor  Rom  ankamb, 
und  alda  etlich  wenig  tag  läge,  und  von  stund  an  ohn  alle  Ur- 
sach wider  abzug,  und  lüess  den  Pabst  im  Bad  sitzen,  und  dass 
war  ain  Ursach,  das  der  Pabst  sich  so  liederlich  nit  geben 
wolt,  das  er  sich  auf  den  Duca  de  Urbino  vertröst,  und 
verluesse  sich  Ir  Heiligk.  umbsunst. 


*)  Lorenzo  oder  Renzo  von  Ceri. 
**)  Es  ist  wol  Pendlen  zu  lesen. 

***)  Der  Herzog  von  Urbino  traf  erst  am  22.  Mai  mit  der  gesammten 
Bundesarmee  zu  Isola  ein.     Eine  Zählung  ergab  15000  Mann  Infanterie. 
Er  zog  von  Isola  wieder  ab,  am  2.  Juni. 
[1877.  I.  Philos.-philol.  4.]  26 


378  Sitzung  der  Jäst.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

Nun  umb  Vesperzeit,  da  schicketen  die  Romaner  und 
Senato  zue  mir,  und  zuvorderist  zue  dem  Durchleuchtigen, 
Hochgeborenen  fürsten  und  Herrn  Marggraf  Gumprecht  von 
Brandenburg,  der  ain  junger  fürst  was  von  18.  oder  19. 
Jaren  ungeferlich,  und  luessen  uns  beyde  bitten,  das  wir  zue 
Inen  in  das  Capitoli  körnen  wolten,  da  wolten  sie  sich  mit 
uns  beratschlagen,  wie  der  Sachen  zu  thuen  were,  sie  wolten 
sich  vill  lieber  vertragen  und  etwas  geben,  damit  derExer- 
citus  ohn  schaden  hinweck  zuge,  Ich  wolt  nit  kommen,  sondern 
des  Pabstes  erwarten,  da  schicketen  die  Romaner  zwaimal  nach 
mir,  und  der  jung  Margraf,  die  liessen  mich  so  hoch  bitten, 
das  und  Ich  in  dieser  Irer  nott  zu  willen  wurdt,  Also  sass 
Ich  auf  mein  gaul  und  ritte  zue  Inen  in  das  Capitoli  den 
Margrafen  zu  fünden,  da  beratschluegen  sie  sich  mit  ein- 
ander biss  schier  6  Uhr  was  gehn  Nacht,  und  beschlussen, 
das  die  obristen  Conservatores  der  Statt,  mit  sambt 
hochgedachtem  Margraffen  und  mir,  hinauss  solten  reitten  in 
Exercito  mit  unsern  Trumettern,  zu  den  teutschen  und 
Obristen,  dan  Borbon  war  zuvor  umbkommen,  und  solten 
von  Inen  versten,  ob  man  mit  Inen  zue  ainem  verstandt 
komen  mecht,  und  wie  wir  im  Capitoli  ausritten,  da  hets 
schon  6  geschlagen,  und  nahet  gegen  7  Uhr  gehn  Nacht,  und 
ritten  ob  hundert  Pferdten  mit  uns,  dan  vill  leut  sich  an- 
hencketen,  als  die  fürwizigen  Welschen,  die  in  kain  Ding 
kain  mass  halten,  die  wolten  hinauss  in  Exercito  zue 
sehen,  wie  es  da  aussen  zuegieng,  und  hetten  bei  4  Trumettern 
die  ritten  voran,  und  die  Conservatorj  auf  sie,  der  Herr 
Margraf  und  Ich  ritten  hindten  nach,  zu  reden  und  disputieren, 
wie  sie  für  zue  bringen  und  anzugreifen  were,  damit  wiers 
woll  aussrichteten.  Da  wir  auf  den  Ponte  Sisto  kamen, 
da  handleten  meine  ehe  gemelten  Italianer  ohn  alle  Ord- 
nuug  voran,  und  wie  sie  auf  halbe  Prucken  kamen,  da  prach 
der  ganz  kayserisch  Exercitus  gegen  uns  daher,  und  er- 
stachen und  erschlugen  wen  sie  ansichtig  waren,  da  namben 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Borns.     379 

sie  auf  der  gassen  yemandts  nit  gefangen,  alle  weit  muest 
sterben,  das  sähe  ich  nur,  und  warf  mein  gaul  umb,  und  saget 
gegen  den  frumen  jungen  fürsten,  mir  nach,  haimwarz 
zue  hauss  an  unser  sicherhait,  da  ist  nit  zeit  mehr  zu 
reden,  wir  werden  kain  E  x  e  r  c  i  t  o  nit  auf  halten,  es  ist  umb- 
sunst  und  verloren,  sonder  werden  erschlagen  wie  die  andern, 
und  bracht  den  Margraffen  haimb  in  sein  hauss,  und  kundten 
nit  abstehen,  noch  die  haussthir  so  schnei  zuethuen,  der 
ganz  hauffen  trucket  hernach,  da  war  das  hauen,  stechen 
und  erwirgen,  von  Allen,  Waib  und  Kindern  das  zu  erbarmen 
war,  und  vill  erschrecklicher  zue  sehen,  dan  da  muest  alles 
sterben  was  auf  der  gassen  gefanden  war  dt,  es  war  gleich 
jung  oder  alt,  waib,  man,  pfaf  oder  Münch,  da  galts  alles 
gleich,  auch  was  mit  uns  ridt,  und  vor  unss  auf  die 
Prucken  kam,  das  wardt  alles  erschlagen.  Und  waiss  das 
auf  dieselb  Nacht  auf  der  gassen  und  in  den  häusern  hin 
und  wider  erschlagen  wurden,  mehr  dan  15.  biss  in  die 
20000  Man. 

Nun  am  7.  tag  Maij,  da  fing  man  an  am  Morgen  vor 
tags,  auch  in  die  Nacht,  die  gewaltigen  Cardinalsheusser  und 
andre  gewaltige  Pal lacio  zue  stürmen,  zu  plündern,  auch 
das  Castel  zue  belegern  und  zue  untergraben,  also  das  sich  der 
Pabst  aller  seiner  hofnung  bloss  fandt,  dass  er  am  21.  tag 
seiner  Belegerung*)  auss  gemelten  Ursachen  aufgeben  thet 
mit  anhangenden  Pacten  und  condicionibus  und  von  den 
dreyen  Nationibus  die  Obristen  Irer  haubtleut  in  das  Castell 
verordneten  mit  drayen  Vendlen.  Aber  unsere  Teutschen  wol- 
ten  beim  Wein  und  nit  im  Castell  sizen,  das  sie  den  Spaniern 
die  Ehr  allein  verluessen,  unser  Nation  zue  Spott  und  schaden, 
und  da  das  Castell  offen  war,  und  man  anfieng  zue  handeln,  da 
bedarffte  der  Pabst  und  Teutschen   aines  Interprete  der 


*)  Die  Rechnung  ist  irrig,   da   die  Capitulation    des  Papstes  am 
5.  Juni  abgeschlossen  wurde. 

26* 


380  Sitzung  der  hist.  Clunae  vom  1.  Dezember  1877. 

alle  Ding  dolmetschet,  da  fuel  der  Pabst  und  Landsknecht 
auf  mich,  mir  unwisset,  und  wardt  auch  zue  solchen  schweren 
Officio  als  ain  ungeübter  solcher  hendel  dahin  getrun gen, 
das  Ich  solch  schwer  und  geferlich  Sachen  über  main  willen  an- 
neiuben  muest,  Ich  habs  auch  dermassen  verriebt  Gott  sey  Lob 
und  Dank,  das  ich  nit  weniger  Dank  und  Remuneracion 
von  den  Kayserischen  gehabt  habe,  als  von  den  Päbstischen 
oder  Pabste,  dan  Ich  meine  Sachen  allemal  frey  rundt  aus- 
richtet, und  gabs  nachmalen  Inen  zu  bedenken ,  die  es  an- 
traffe ,  was  man  mir  zuvor  Antwort  gäbe,  das  brachte  Ich 
auch  an  sein  gehöriges  ortt.  Also  hast  du  ain  Under- 
richt,  warumb  mir  der  Pabst  offt  ein  mehreres  klagt  het, 
dan  ainem  andern,  oder  warumb  Ich  mit  seiner  Heiligk.  so 
vil  gemainschafft  gehabt  habe,  und  ohne  rhomswais  zu 
reden,  Ich  hab  offt  des  tags  ain  10.  oder  13.  mall  und  mehr 
dan  mir  lieb  gewesen  ist,  bei  seiner  Hlg.  der  fürfallenden 
geschefft  halben  sein  müssen ,  dan  Ich  ob  den  6.  ganzer 
Monaten  all  Kriegshendel  zwischen  dem  Pabst,  dem  Kaiser  und 
andern  Nationibus  et  potentatibus  verrichten  hab  muessen 
Die  arglistigen  Spanier  die  richten  stets  unser  teutsch 
Pfliegsamseln  an,  die  da  nichts  andres  singen  künden,  dan 
gellt  gelt,  und  was  man  Inen  sang  und  saget,  so  wars  alles 
nichts  nit,  sonder  da  wolten  sie  schlecht  gelt  gelt,  es  namben 
es  die  kayserischen  Räth  gleich  wo  sie  wolten,  und  fiengen 
an  alles  das  Übel  zue  thun,  und  vil  ärgeres  als  der  Türk 
selbst  gethan  hette,  und  kam  ein  grosser  unerhörter  grausamer 
sterben  in  Rom,  und  under  sie,  das  des  tags  an  der  schel- 
mischen Pestilenz  ob  den  3.  u  500.  Person  stürben.  Also 
handelt  der  Pabst  so  vil  mit  des  Kaysers  Räthen  und  Regenten, 
das  der  Exercitus  auss  Rom  ziehen  solt,  damit  man 
widerumb  practicieren  mecht  das  man  gelt  kundt  machen, 
so  wolt  sein  Heiligk.  etlich  Stett  und  Flecken  dem  Exercito 
einantwortten,  darin  sollen  sie  dieweil  ligen,  Ires  nuz  und 
gefallens,  so  lang  biss  der  Papst  sie  gar  bezalet,   und  soll  auch 


Gregorocius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  BomsJ     381 

sein  Hlg.  und  das  Castell  zu  Rom  dieweil  biss  zue  volkombner 
Bezalung  verwaret  werden  von  den  kayserischen  zu  Ir 
Sicherheit,  Und  wardt  Inen  den  [Landsknechten  und  Spaniern 
Narnia  eingeben,  mit  sambt  Irem  Landt,  Stetten  und 
Flecken. 

Nun  wie  der  kayserisch  Exercitus  mit  sambt  des 
Pabst  Commissarien  hinauss  zugen,  und  die  Stett  und  Landt 
ainnemben  wolten,  damit  Rom  von  peste  uud  andrer  im- 
mundicia  rain  und  practicabilis  werden  mecht,  da  luess  man 
Haubtman  Wendel  von  Meyer  da,  mit  ainem  fendel  knecht, 
das  sie  auf  den  Pabst  und  das  Castel  warten  sollen,  mit  sambt 
den  andern  Nationibus  verordnetner  Haubtleut  und  Kriegsvolk, 
und  zug  der  ganz  hell  hauffen  auf  Narnia  zue,  ist  etwan  un- 
geferlich  bey  10.  teutsch  mail,  ligt  die  Statt  an  ainem  fei- 
siegen Berg  hinan,  und  au  der  andern  seitten  da  rindt  der 
bess  wittend  fluss  oder  wasser  Narnia*),  also  das  die  Statt 
von  natur  stark  ist,  und  gar  seer  bese  Pueben  alda  sein,  und 
so  gross  franzosen  und  Kaiser  feindt,  als  in  ganz  Italia  nit 
sein ,  vast  alles  Kriegsvolk.  Da  sie  das  erfueren  die  von 
Narnia,  da  mache ten  sie  Ir  Statt  mit  Pollwerk  und  andrer 
Kriegsrüstung  stark,  und  besezten  die  Statt  mit  13.  oder  14. 
fendl  welscher  guetter  Soldaten,  und  da  der  Ex  ercitus  Ca  e- 
saris  kamb,  da  wolten  sies  schlecht  nit  einlassen,  und 
stelten  sich  zur  wehr,  also  dass  des  Kaysers  Exercitus 
die  Statt  mit  gewalt  gewinnen  muesst,  und  muessten  sie  stirmen 
durch  vorgenandten  besen  schnellen  fluss  Narnia,  und  verluren 
3  stürm  daran,  am  viertten  da  eroberten  sies  mit  gewalt, 
und  erstachen  frau  und  man,  künder  und  alt,  u  was  sie  fanden 
plünderten,  zehörtens  und  verprenntens  jämerlichen,  wie  man 
es  dan  auf  den  heutigen  tag  siht,  und  blib  der  Exercitus 
daselbst  und  im  Landt  ligen,  zu  losirenad  di  scr  eti  onem, 
id  est  sine  discretione  etwas  bei  6  wochen**)  da  wolt 


*)  Narni  wurde  am  17.  Juli  erstürmt.     Der  Fluss  ist  die  Nera. 
**)  Rückkehr  der  Landsknechte  nach  Rom  am  25.  Septbr. 


382  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

kain  gellt  nit  komben ,  und  erschien  stez  ain  Zill  über  das 
andere,  an  Bezalung,  da  war  der  Exercitus   anf  im  Sep- 
tember, und  zug  aller  mit  einander  in  Rom  umb  Ir  bezalung, 
und  namben  alle  heuser  und  pallaci  ein,  und  wollten  da  essen, 
trinken  und  das  beste  von  den  Romanern  und  meniglichen  urnb- 
sonst  haben,  und  wolten  darzue  nit  bei  der  magt,  sonder  bei 
der  Patrona  und  Dochter  schlaffen,  und  thaten  alles  das  sie 
thuen  und  erdenken  kundten,  mit  Prandt,  schezen,  rauben, 
stellen  und  vergewaltigen,  mit  sambt  allen  besen  stucken,  da 
war  kain  Regament,  straf  oder  Ordnung  nit,  da  thet  alle  weit 
was  ainer  wolt,  da  dorffte  Im  kain  Obrister  oder  Haubtman 
nicht  darein  reden.  Nun  Ich  und  andere  Verordnete,  handleten 
so  vil  mit  dem  Pabst,  das  er  mit  Rom  und  dem  armen  Volck 
ein  erbärmnuss  haben  wolt,  und  weg  und  mittel  erdenckten,  das 
sie bezalt  wurden,  und  Rom  von  der  tirannide  erleset  wurde, 
das  der  guett  Pabst  dahin  bewegt  wurde,  all  sein  Silbergeschirr 
und  aller  Prelaten  im  Castello  mit  sambt  Sant  Peters  R  e  1  i  - 
quia  zerprechen  und  zerschlagen  wardt,  und  wardt  Angelo 
schaur  aim  teutschen  verdorben  henselin  und  teutschen  feindt 
geben,  der  verstandt  sich  aufs  minzen,  und  war  auch  Minz- 
meister in  Rom  gewesen,  der  wardt  auf  dissmal  der  massen 
wider  reich,  dan  der  Pabst   gab  Ime   alles  vergüldts  silber, 
für  schlechts  Pruchsilber ,    da  schlug    er   grob   rauche  Pla- 
gauner  auss,    da   ainer   ain  Kronen    2.    oder  3  gelten  seins 
gefallens,  da  redt  Ime  yemandts  nicht  daran  ein,  Er  schaidet 
das    golt  davon,  und  thet  darnach   dem  guetten    silber  mit 
anderer  Betruegerei  sein  Zusaz,  also  das  er  zwiefachen  gewin 
hette,  auch  dasselbigmal  sovil  gewan,  das  er  in  ainem  Jar, 
darnach  er  mit  sambt  denen  im  Hof,  dem  Vicere  zue  Nea- 
polis   ob   den    40.   oder    50000  Cronen  liehe,  auf  den  Ver- 
kauf? des  Soffran  zue  Neapolis,    auch  die   am  Hof  Ime  'ein 
Pässlen  zue  aim  waib  gaben,  wie  er  sich  aber  mit  Ir  gehalten 
hett,  das  waiss  niemandts  bess  dan  sie,  und  Ire  freundtschaft, 
dan  sie  wolt  sein  nit  mehr,  und  muest  zue  Nürnberg  hin  weck, 


1 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Borns.      383 

karub  wider  gehn  Neapolis  in  armuet,  da  ist  er  in  der  ge- 
fenkniss  gestorben,  das  war  sein  rechter  Lohn  nnd  ende*). 
Nun  man  machet  sovil  gelts  mit  aller  marter,  das  man 
zwey  monat  soldt  zusamen  bracht,  damit  man  doch  die  un- 
fletter  ain  wenig  stillen  mechte,  die  gab  man  Inen,  nnd  der 
Pabst  sagt  Inen  zue,  in  Monatsfristen  oder  6.  wochen  den 
ganzen  rest  zu  bezalen,  darnmb  wolt  er  Tnen  bürgen  sezen 
und  geben,  wo  ers  nit  zalt,  das  Diselbigen  zalen  solten,  die 
dan  umb  3.  oder  viermall  sovil  genuegsam  waren.  Sollich 
Concordj  namen  die  Landtsknecht  an,  und  waren  fro,  dan  in 
Rom  dorfften  sie  nicht  zeren,  sonder  da  muesten  Inen  die 
Romaner  und  Ir  Haussherr  für  sie  alle  notturfft  geben,  es 
kostet  was  es  wolt,  so  muest  es  da  sein,  oder  der  Haussherr 
dorft  sich  nit  sehen  lassen,  und  alles  unglicks  gewerttig  sein, 
und  hat  offt  ain  Romaner  ain  tag  in  den  andern,  10.  20  biss 
in  die  30  Cronen  aussgeben,  zu  Unterhaltung  der  bestia  mit 
seiner  fresserei  und  Ladtschafft,  das  er  stettigs  vermeindt, 
dass  wesen  würde  nit  lang  weren,  so  wolt  er  Inen  von 
aines  klain  wegen  nit  waib  und  kindt  behendigen  lassen,  eher 
henget  ainer  immer  daran,  mit  der  hofnung  das  bald  ain 
endt  nemben  wurdt,  biss  er  gar  verdarbe,  und  sein  guett 
zehenmal  wol  leichter  khaufft  hette,  dan  das  er  diesen  un- 
christlichen und  unglaublichen  Unkosten  thuen  solt,  zu  er- 
halten der  truncken  Bestia  fresserei  und  gasterei,  die  da  vast 
bei  10  ganzen  Monat  weret,  und  galt  das  schaff  Korn  32 
Cronen.  Nun  sie  nainben  mit  dem  Pabst  die  Concordj  der 
Bezalung  halber  an,  und  schlembten  und  dembten  darauf,  da 
stellet  Inen  der  Pabst  diese  6.  Bürgen  zue,  Johan  Matheo 
Erzb.  zue  Bern  oder  Verona  **),   Johan  Maria  Erzb.  Sipon- 


*)  Weder  Reissner  noch  Benvenuto  Cellini  melden  etwas  von 
diesem  deutschen  Münzmeister.  Reissner  sagt  bei  dieser  Gelegenheit: 
Es  waren  die  Müfitzmeister  und  Eysenschneider  Bapsts  Diener,  und  betten 
keinen  Probierer,  auffzieher  noch  Wardein,  machten  also  falsche  Müntz. 

**)  Giammatteo  Giberti,  Datar. 


384  Sitzung  der  hüt.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

tinus,  das  ist  der  jetzig  Pabst  Julius  der  III.,  Anthonius 
Puzius  den  man  nennet  den  Bisch,  von  Pistoja,  und  den  Erzb. 
von  Pisa,  des  Cardinais  Rudolfo  Brüdern,  Jacob  Salviati  ders 
Pabsts  Clemente  Schwester  zue  aim  waib  hette,  ain  überauss 
reicher  Florentiner  Kaufman ,  auss  des  Mundts  Ich  "  zum 
offtermalen  gehört  habe,  das  er  saget,  er  hette  zum  dicker- 
malen mit  dem  Könige  von  Frankreich  ain  Wechsel  getroffen, 
umb  ain  Million  gelts.  Nun  wie  die  Landsknecht  zue  friden 
waren ,  diese  obgemelten  Bürgen  anzuenemben  umb  den 
Rest,  der  da  etwan  bei  zweimall  hundert  tausend  Cronen 
war  und  nit  mehr,  da  huelten  sie  zue  Rom  auf  dem  Platz 
compo  flor  genandt  gemain,  und  verordneten  mich  hinein 
zum  Pabst  in  das  Castell  zu  gehen,  das  Ich  dise  Bürgen 
in  namen  Ir,  von  Im  Pabst  annembe,  und  zu  Inen  herauss 
auf  den  Plaz  fieret,  und  gaben  mir  zue  Haubtman  Diepoldt 
Heften  und  Sebastian  Schertell  mit  sambt  bei  200.  woll  gerister 
Doppelsölder,  die  sollen  Inen  gesellschafft  thun,  und  herauss 
belaiten  in  den  kraiss.  Und  wie  Ich  in  das  Castell  kam 
hinauf  in  den  grossen  Sali,  und  da  gieng  der  Pabst  auss 
seiner  Camer  gegen  mir  herauss  mit  seinen  Cardinelen  und 
Prelatten,  und  fragte  mich  was  ich  wolt,  da  antwortte  Ich  Ir 
Hlg.  die  Landtsknecht  weren  auf  den  Plaz  Campo  di  flor 
versambelt  und  hielten  alda  gemain,  hetten  mich  zue  Ir  Hlgk. 
geschickt  mit  sambt  gegen  wertigen  Haubtleuten  und  Doppel  - 
soldenern  Ir  Hlgk.  anzuzeigen,  dass  sie  mit  den  Bürgen 
zue  friden  weren  und  wollten  die  annemben,  und  Ir  Hlgk  soll 
mirs  überantwortten,  so  wolt  Ichs  mitsambt  denen  Haubt- 
leuten und  doppelsoldnern  hinauss  zum  hauffen  belaitten,  und 
den  gemain  in  Ir  ver warung  überantwortten.  Da  saget  der 
Pabst  mit  wainenden  äugen,  da  stehen  sie,  nemt  sie  mit 
Euch  hin,  und  lasst  Euchs  befohlen  sein,  und  will  Euch  nit 
allein  die  Bürgen  geben,  sonder  unser  aigen  Person  dar  zue, 
und  erbutte  sich  mit  unss  zue  gehen,  und  gieng  woll  3.  oder 
4.  tritt  mit  unss  für  sich,  da  batte  Ich  und  die   Haubtleut 


Gregorovius:  FAn  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Borns.     385 

sein  Hlgk.  das  er  solle  stiller  stehen,  und  alda  belaiben,  wir 
dorfften  In  nit  mit  unss  neraben,  wir  hetten  des  kein  be- 
felch ,  wurden  es  aucb  nit  thuen.  Da  gieng  er  über  den 
grossen  Sali  mit  unss  biss  zue  der  thir,  das  er  stettigs 
wainet  wie  ain  jung  kindt,  und  bitten  thet,  das  wir  In  mit 
unss  nemben  wolten*),  das  wir  ohn  underlass  stettigs  ab- 
schluegen,  und  mit  den  Bürgen  für  druckten,  das  wir  von 
seiner  Hlgk.  kommen  mecbten,  dan  dieweil  die  Landtsknecht 
auss  dem  schloss  waren,  und  Spagnoli  das  allein  inhielten,  da 
vertrauet  er  sich  gegen  Spagnoli  gar  nichts  nit,  und  truege 
sorg,  das  sie  bei  der  nacht  etwan  haimblich  ain  schiff  für 
das  Castell  kommen  macheten,  und  das  sie  Ine  durch  die 
haimbliche  thir  die  auf  die  Tyber  gieng  in  ain  schiff  setzen 
wurden,  und  mit  Im  gehn  Neapolis  oder  Hispania  zue  fahren 
möchten,  das  er  nit  mehr  ans  tags  Licht  kämbe,  darumb 
war  er  gern  auss  der  Spanier  handt  gewest,  und  sonderbar  des 
signors  Largons**),  der  ain  alter  erfahrner  listiger  Kriegs- 
man  wass,  und  auf  den  Pabst  gericht  und  geschmizt,  welches 
er  sich  bei  den  Landtsknechten  nit  besorgen  hett  dörffen, 
darumb  hast  du  oben  anfencklich  von  mir  vernomben,  das 
sein  Hlgk.  sehr  übel  zuefriden  war,  das  die  teutschen  das 
schloss  dermassen  vermessen,  und  sich  umb  (ihn)  nicht  nit  an- 
nemben  wolten. 

Also  namben  wir  die  obgenauteu  P argen  und  fierten  sie 
hinauf  in  den  ring  und  in  die  gemain,  da  Überantwortteten 
wir  Inen  die,  da  waren  Ire  verordnete,  die  sprachen  wir 
zue,  und  huelten  wir  etlich  Artiel  für,  und  ob  sie  für  den  Pabst 
pirg  und  selbst  Schuldner  sein  wolten,  das  soll  ich  Inen  sagen, 


*)  Mas  al  sacarlos  de  poder  de  su  santitad  y  de  los  Cardenales  de 
la  sala  donde  estaban ,  hubo  tantos  llantos  y  grita  que  parecie  que  se 
htmdie  el  mundo,  diciendo  Su  Santidad  que  queria  tambien  ir  en  poder 
de  los  alemanes  .  .  .  Perez  an  den  Kaiser,  Rom  12  Oct.  1527.  bei  Villa 
S    289. 

**)  Alarcon. 


386  Sitzung  der  Jiist.  Clai.sc  vom  1.  Dezember  1877. 

und  Ir  antwort  von  Inen  begeren  und  Inen  den  Landtsknechten 
wider  in  terpreti  ern  ,  das  tliat  Ich  wie  mir  befolchen 
war,  da  antworteten  dieselben  herren  Pirgen,  Ja  sie  wollten 
pirgen  und  Schuldner  sein,  darauf  wolt  die  gemain  mir  die 
überantwortten  und  zue  verwaren  befelchen,  die  Ich  nit  an- 
nemben  wolt,  dan  es  mir  als  aim  C  om  issarj  und  von  Adel 
nit  zuestuendt,  da  beschlussen  sie,  man  soll  die  geisslen 
fieren  in  die  Canzlei,  das  ist  der  gross  Pallast  in  Rom,  das 
der  Card.  Sangiorgi  gebaut  hatt,  das  man  iezt  nendt  in 
der  Canzley  oder  zue  S.  Lorenzo  in  damaso,  derselbig 
Pallast,  der  wass  Julii  Cardinalis  de  Collonia*),  der 
was  zue  selben  Zeit  Vice  Cancellarius  sed.  ap.,  ain 
sehr  trefflicher  dapferer  und  geschickter  man,  grosser  kunst- 
erfarnus,  und  hohen  verstandts,  ein  sehr  kaiserischer  reicher 
Cardinal,  und  der  des  Kaysers  halben  sich  im  Collegio  gegen 
den  Pabst  sezet,  und  schlecht  nit  in  die  gemelt  Bündnuss  be- 
willigen wolt,  und  protestirt  wider  den  Pabst  und  das  Collegi, 
und  zug  zuem  thor  auss  haimb  in  sein  Landt  der  Colloneser 
da  fordert  In  der  Pabst,  da  wolt  er  nit  komen,  da  priviert 
In  der  Pabst  des  Cardinais  huet,  und  kamen  aneinander  der 
Pabst  und  die  Colloneser  super  iniuriis,  das  der  Pabst 
4000  Schweizer  wider  sie  komen  Hesse,  zu  sambt  obge- 
melten  schwarzen  Pannern  oder  Vendlen,  und  ain  Exer  cit  um 
wider  sie  von  15.  biss  in  die  20000  stark,  und  fuel  den 
Collonesern  in  das  Landt,  zu  verderben  umb  Frisolona,  biss 
der  Niderlen  der  Mineaval  Vicere  zue  Neapolis  zwischen 
Ime  Pabst,  Kayser  und  Colloneser  ain  fridt  machet,  und  als 
yeder  thail  sein  Kriegs volck  Urlauben  solt,  wie  dan  geschähe, 
dass  dem  Pabst  nachmals  zue  merklichem  spott  und  schaden 


•)  Es  ist  bedenklich ,  dass  Gumppenberg  selbst  der  Namen  des  be- 
rühmten Cardinais  Pompeo  entschwunden  war.  Der  schöne  von  Bramante 
errichtete  Palast  der  Cancellaria,  welchen  diesem  Colonna  Clemens  VII. 
als  Lohn  für  seine  Wahlstimme  im  Concia ve  gegeben  hatte ,  war  ur- 
sprünglich von  ßafael  Riario,  Card.  v.  S.  Georg  erbaut  worden. 


Grcgorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Roms.    387 

kamb,  das  er  über  des  Vice  res  gebnen  glauben  und  thrauen 
vom  Duca  de  Borbon  dermassen  unbillicher  waiss  über- 
zogen, gescbezt  und  gefangen  wardt,  dem  Kayser  unwissent, 
das  aber  war  ist,  so  baldts  sein  Maj.  in  Hispania  erfuer, 
da  wardt  sie  übel  zufrieden,  und  unmuetig,  und  wolt  in  vil  tagen 
yemandts  nit  zue  Ir  lassen,  luesse  alle  topezeria  an  den 
wenden  in  Iren  gemechen  abreissen,  und  schwarze  klagtüeher 
aufschlagen,  und  schicket  von  stundan  Iren  Beichtvatter  gehn 
Rom,  den  Pabst  zu  klagen  und  Ine  zu  entschuldigen  mit 
ernstlichem  Befelch  an  seine  Obristen  Haubtleut  und  Regenten 
des  Exercito,  das  und  sie  den  Pabst  ledig  luessen  und 
zögen  auss  Rom,  darauf  wardt  derselbig  franciscaner  Münch 
oder  Confessor  Caesaris  vom  Pabst  zue  einem  Cardinal 
gemacht,  und  genandt  Card.  St  ae  Cru  eis  ,  und  ist  der,  der  da 
der  Pfaffen  gebett  geendert  und  verkert  oder  gebessert  hat,  das 
man  nendt  Breviarium  Card.  S.  Crucis  iuxta  con- 
suetudinem  Rom.  Curiae*). 

Da  legt  man  dieselben  Pirgen  in  desselben  Cardinais 
Colonna  Palast,  in  zwo  Camern,  die  hetten  kain  fenster  nit, 
und  ain  Porten  allain,  und  zwey  starke  vergitterte  fenster  mit 
einfallenden  Liechtern,  darin  solten  sie  alle  6  geissler  essen 
und  schlafen,  und  lagen  Inen  allemal  tag  und  nacht  ain  fendl 
knecht  vor  der  Thier  wachend,  und  gaben  Inen  ain  dolmetscher 
zue,  der  hiess  Haussman,  der  was  von  schlegstett,  und  was  in 
des  Papsts  Guardi  gewest  im  einfall  zue  Rom,  aber  davon 
kommen,  das  er  nit  erschlagen  wardt,  aber  Ir  Haubtman 
Mock  der  wardt  erschlagen  mit  vast  allen  Schweizern,  über 
den  sein  haussfrau  fuel  zu  retten  und  die  Landtsknecht  zue 
bitten  umb  Ires  maus  Leben,  das  er  zue  aim  gefangnen  auf- 
genomben    mecht    werden,    aber    da  wass  von   den    Lands- 


*)  Francesco  Quinonez,  wurde  Cardinal  erst  am  7.  Dec.  1527.  Die 
Angabe  Gumppenbergs  von  der.» Eile  des  Kaisers,  sich  beim  Pabst  zu 
entschuldigen,  ist  ganz  irrig. 


388  Sitzung  der  hist.  Llasse  vom  1.  Dezember  1877. 

knechten  kain  gehör  nit,  stachen  und  haueten  in  In,  biss  er 
zue  stücken  fuel,  und  haueten  seiner  ehrlichen  haussfrauen 
bayd  hend  ab,  die  sie  furwarff,  Irem  Man  die  straich  auf- 
zuhalten. 

Nun  die  guetten  frumben  geissler  die  waren  da  verwart, 
und  der  ehegedacht  Card.  Colonna,  der  kam  hinein  gehn  Koni 
in  sein  pallast,  u n angesehen  ,  das  der  Pabst  Ine  priviert 
het  seines  huets,  und  sein  todfaindt  wass,  und  thet  den  geisslern 
alle  ehr  in  seinem  hauss,  thet  In  allen  Unkossten  der  speiss 
ab,  und  tractirte  sie  nach  allem  seinem  Vermügeu,  nach  ge- 
stalt  der  zeit.  Nun  Zill  und  Zeit  kamb,  das  man  zalen  solt, 
da  war  kain  gellt  nit,  die  geissler  namben  aussred,  begerten 
erströckung  acht  tag,  die  waren  beim  gemainen  unsinnigen 
tollen  vollen  man  erlangt  mit  aller  marter.  Dieselben  8  tag 
erschienen  auch  ohne  Zalung,  da  begerten  sie  aber  8  tag, 
die  wurden  Inen  schwerlich  geben  mit  grossem  Unlust  und 
gefahr  der  haubtleut  und  doppelsoldner,  darüber  der  unsinnig 
Landtsknecht  schrie  von  wegen  solcher  verlengerung  der 
Bezalung,  aber  dieselben  8  tag  erschienen  ohne  frucht,  wie 
die  ersten  3  Termine,  darob  sich  der  gemain  man  ganz 
erzirnet,  und  unsinnig  ward,  lueffen  zusammen  mit  Iren 
wehren  auf  den  Platz,  und  holeten  die  hauptleut  mit  gewalt 
zue  der  gemain,  und  schicketen  nach  dem  Haubtman,  der  den- 
selben tag  die  geissler  verwaret,  das  er  mit  aufgeregtem 
fendl  die  geissler  zne  Inen  in  die  gemain  und  in  offnen  ring 
brecht,  als  dan  geschähe.  Da  man  sie  bracht  da  schrien  sie 
warlich  hefftig  über  sie,  der  ain  wolts  an  spiessen  aufheben, 
der  ander  wolts  hencken,  der  dritt  der  wolt  ain  kugl  durch 
sie  schiessen,  und  erschröcketen  die  guetten  Herrn  sehr  übel, 
das  sie  sahen  wie  der  bitter  todt,  und  vor  forcht  nur  unib- 
fallen  wolten,  Aber  die  Haubtleut  und  vom  Adel  auch  doppel- 
soldner redten  stettiges  das  best  darzue,  ob  man  den  gemain 
erlindern  mecht.  Aber  da  half  es  alles  nit,  entsezten  sich 
ye  lenger,  ye  mehr,  wider  die  geissler,  und  huelten  die  Haubt- 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Berieht  üb.  d.  Eroberung  Borns.       389 

leut  (in)  verdacht,  und  schickten  den  Profusen  nach  den  Ketten, 
die  Geissler  daran  zu  schlagen  biss  und  sie  zaleten,  also  da 
der  Profoss  die  Ketten  bracht,  da  schueffe  (sie !)  der  gemein 
man,  er  solle  sie  alle  6  darein  schlagen,  da  schlueg  der 
Profoss  den  Johan  de  MariaArchiepiscopoSipon- 
tino,  der  yetzt  haist  Pahst  Julius  tertius,  und  Johan 
Mathea  Giber tus  Erzb.  zne  Bern *),  an  ain  Ketten  zue- 
samen  yeden  mit  ainer  handt,  den  Anthonio  Puzio  den 
man  nennet  Bisch,  zue  Pistoria  nachmals  Card.  Sti. 
Quattro  genannt  wardt,  und  den  Erz.  von  Pisa  an  ain 
ander  Ketten  zusammen,  des  Cardinais  Rudolpho  Brueder 
und  Jacob  Salviati  auch  an  ain  Ketten  zusamen**).  Da 
diss  grausam  speetacel  gesehen  wardt,  an  so  grossen  alten, 
ehrlichen  und  mechtigen  Prelaten,  da  sagten  die  gemain  man 
gegen  Irem  dolmetscher,  Er  soll  Inen  sagen,  das  sie  ge- 
dechten  und  innerhalb  14  tagen  zalten,  oder  aber  sie  muesten 
alle  an  diesen  galgen  gehenkt  werden,  der  da  gegenwärtig 
auf  dem  Plaz  stnend,  und  schickten  die  geissler  mit  dem  dol- 
metschen und  haubtman  oder  fendlknecht  wider  zu  hauss,  mit 
betruebtem  Herzen,  da  muessten  sie  tag  und  nacht  an  den 
Ketten  angeschmiedet  sein  und  bei  einander  schlaffen.  Dise 
Tyrannei  die  weret  bei  6  ganzen  Wochen,  und  muesten  alle 
Ire  kleider  an  der  saitten  auf  geschnitten  haben  bis  an  das 
Hemmet,  damit  so  sie  sich  niderlegen  wolten,  das  sies  vom 
hals  herabpringen  mechten.  Nun  da  der  Termin  der  Be- 
zalung  kam  da  wass  gleich  woll  kain  gellt  nit  da,  als  das 
erst  mall,  dan  das  war  die  ursach,  die  weil  der  Pahst  im 
Castell  enthalten  war,  dergleichen  das  Castell  von  Spaniern 
ingehabt   wardt,   da   sagten   der  Kirchen  Unterthanen,  der 


*)  So  wurde  also  noch  damals  Verona  von  den  Deutschen  genannt. 

**)  Y  despues  traxeron  los  hostages  de  dos  en   dos  --  El  Datario 

y  Obispo  de  Pistoya  en  una  cadena,  y   los  Arcobispos  Sepontino  y  Pisa 

en  otra,   Jacobo  Salviati  y  su   yerno  en  otra  —  Perez   an  den  Kaiser, 

12.  Oct.  1527. 


390  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

Pabst  wer  du  frey,  darumb  wolt  sich  das  Land  nit  schezen 
lassen  noch  kam  heller  nit  herausgeben,  so  war  kain  o be- 
dien tia  nit  da,  das  sie  an  der  lest  woll  büessen  muesten, 
da  der  Pabst  wieder  frey  wurde ,  umb  Tr  ungehorsamkeit. 
So  wolt  kain  Kaufman  nicht  darleihen.  Also  muest  der 
Pabst  nott  und  angst  leiden  bey  aller  seiner  macht.  Da  nun 
ain  tag  oder  zwei  über  die  zeit  war  der  Bezalung,  da  hetten 
die  knecht  aber  ain  gemain,  schicketen  mich  und  andere  zue 
den  Geisslern  ob  gelt  da  wer  oder  nit,  da  war  leider  kains  — 
(Folgt  die  Wiederholung  der  Erzählung  von  der  Bedrohung 
der  Bürgen)  —  Doch  die  Haubtleut  theten  all  ding  zue 
milt  und  glimpfen,  damit  nit  handt  an  sie  gelegt  wurde,  der 
von  Bembelberg  darfft  nit  zue  den  unsinnigen  Leuten,  das 
sie  Ine  in  verdacht  hetten,  er  hielts  mit  den  Geisslern,  darumb 
darffen  sie  Ime  offt  des  tags  durch  das  hauss  lauffen  und 
alles  das  was  nur  darinnen  zerprechen,  also  das  sich  an  der 
lest  der  theure  Ritter  nit  mehr  in  seinem  aignen  Losament 
finden  darfft  lassen,  sonder  muest  verstollen  in  der  Spanier 
Losament  hin  und  wider  liegen*).  Nun  es  war  so  viel  ge- 
handelt, das  Inen  noch  andre  8.  tag  frist  geben  wardt,  die- 
selben 8  tag  erschienen  auch,  das  gleich  so  wenig  kain  gelt 
nit  da  war,  als  das  erst  mall,  und  war  das  die  ursach,  die 
herren  waren  gnugsam  gewest  umb  zwo  Millionen  gelts, 
und  hettens  auch  allemal  aufbracht  in  ainem  Monat  und  eher, 
wan  sie  ledig  gewest  weren. 

Aber  also  wolt  sich  weder  Kaufleut  noch  yemandts  mit 
Inen  einlassen,  das  sie  sorg  truegen,  sie  kämen  zue  schaden, 
und  verluren  das  Irig  darob,  so  sie  sich  mit  den  gefangnen 
einluessen ,  so  wolten  Ire  freundt  das  auch  nit  gestatten, 
truegen  sorg  sie  würden  mit  sambt  Inen  darob  verder- 
ben ,    und   der  Pabst  und  das  Collegium    Hesse   sie  sterben. 


*)  Los  capitanos  alemanes  han  huido  de  entre  su  gente  y  se  han 
pasado  con  los  espanoles,  y  los  mas  dellos  estän  en  la  posada  de  Iuan 
de  Urbina:  Perez  an  den  Kaiser,  letzt.  Nov.  1527. 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Bovis.      391 

Als  Ich  dan  auss  des  reichen  Jacob  Salviati  mundt 
höret,  das  er  mit  warnenden  äugen  sagt,  Nun  muess  Gott 
erbarmen,  das  Ich  mein  glauben  der  massen  verloren  habe, 
das  Ich  ain  so  schlecht  gelt,  zwei  oder  drei  mal  hundert 
tausend  Cronen  nit  aufbringen  kan,  und  so  offt  dem  König 
von  Frankreich  ain  Million  und  anderhalb  golts  aufpracht,  und 
in  6.  Monaten  par  bezalt  habe,  wohiu  ist  mein  thrauen  und 
glauben  jetzt  komben. 

Nun  dieselben  8  tag  kamben  auch,  das  die  Lanzknecht 
bezalt  sein  wolten,  und  luffen  zuesamen  auf  den  Platz  cam- 
podiflor  und  berueffen  Ire  hauptleut  zu  Inen,  die  wolten 
nit  komen,  da  lueffen  sie  in  die  heuser,  und  fuerten  die  haubt- 
leut  und  Venderich  mit  gewalt  und  mit  blutigen  köpfen  auf 
den  plaz,  und  in  den  Ring,  da  wolten  sie  gelt  oder  bluett,  und 
schicketen*  abermal  zum  haubtman,  das  er  Inen  die  Geissler 
in  den  Ring  brecht,  da  sprachen  sie  aber  Irem  dolmetschen 
zue,  er  soll  sie  fragen ,  ob  gelt  da  wer  oder  nit,  da  waren 
sie  bewilligt,  sie  wolten  ain  Geissler  oder  zwen  henken 
lassen,  zu  erschrocken  die  andern ,  und  wolten  sonderbar  die 
zwen  Layen  nemben,  als  Cardinais  Rudolpho  Bruedern, 
und  Jacob  Salviati  Da  thaten  dannocht  die  haubtleut 
als  ehrlich  verstendig  Leut,  und  wolten  es  nit  zuegeben,  das 
den  armen  betruebten  herrn  auf  dissmal  ain  Layd  geschehe, 
und  sezten  Ir  Leib  und  guett  für  sich,  sie  zueretten,  was  Jamer 
oder  nott  das  war,  das  hastu  zubedenk en,  und  mit  was  er- 
schrockenen herzen  der  pabst  Julius  3.  mit  seinen  ge- 
sellen da  stuenden.  Da  lu essen  sie  fürtragen,  da  war  kain 
gelt,  sie  wüsten  auch  kains  also  gefangner  weiss  nit  zue 
bekomen,  und  all  ding  wer  umbsunst,  man  solle  Inen  gleich 
thuen  wie  man  wolt,  das  muesten  sie  unschuldig  leiden, 
aber  die  Lanzknecht  solten  die  zwen  Layen,  als  Cardinais 
Rudolpho  Brueder,  und  den  Jacob  Salviati  als  Kaufleut  ledig 
lassen,  das  sie  handeln  und  wandeln  kundten  Ires  gefallens, 
so    wolten    sie   die  vier  Bischof  mit  Leib  und  guet  für  sie 


392     Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  vom  1.  Dezember   1877. 

stehen  und  pirge  sein,  dan  so  haldt  die  zwen  ledig  weren,  so 
brachten  sie  das  gelt  von  stuudan  auf,  und  noch  zwaimal  so- 
vil  darzue.  Da  fueleu  die  haubtleut  den  Geisslern  zue,  u 
sagten  es  wer  ain  genuegsam  ehrlich  erbuetten,  und  wolten  das 
der  gemain  solte  annemben,  dan  wisten  die  4  Bischof  oder 
Geissler  das  nit  für  gewiss  wahr  sei,  so  wurden  sie  Ir  Leib 
und  Leben  so  liederlich  für  die  zwen  andern  nit  verpfendten, 
und  wolten  die  haubtleut  selbst  auch  pirg  werden. 

Aber  -da  wollt  der  gemain  nicht  vil  davon  hören,  und 
kamen  hefftig  an  die  haubtleut,  und  weret  das  toben  und  wietten 
lenger  dan  5.  ganzer  stund  nach  mittag,  das  man  all  augen- 
blick  vermeindt,  die  haubtleut  wurden  all  auf  dem  plaz  todt 
bleiben  mitsambt  Fendrich  und  Doppelsoldnern ,  und  da  sie 
nichts  anders  haben  wolten  dan  gelt  oder  bluett  und  kain 
ander  mittl  nit  annemben  wolten,  da  wardt  doch  an  der  letzt 
von  den  haubtleuten  die  Sachen  dahin  geschlossen,  das  man  die 
Geissler  wider  haimb  schicken  soll,  und  das  sie  in  8  Tagen 
gellt  auf br echten.  Und  da  was  die  selben  8  tag  der  gemain 
man  nur  wildt  auf  die  Haubtleut,  die  sie  weder  sehen  noch 
hören  wolten,  sonder  nur  erstechen  und  erwürgen,  mit  un- 
schuldigem verdacht,sie  nemben  miett  und  geschenk  undhälffen 
den  Geisslern  hinüber,  das  aber  nit  was,  sondern  die  ehr- 
lichen Leut  bedachten  Ir  Ehr  des  Kaisers  wolfart  und  was 
args  oder  guetts  darauss  entstehen  mecht  auss  solcher  er- 
schröcklichen  Tyrann ey  des  gemainen  mans,  das  sie  4.  Erz- 
bischof und  2.  so  mechtig  welsch  Kaufleut  von  des  schneden 
gellts  wegen  so  schendlichen  umbpringen  solten. 

Nun  da  die  acht  tag  herzuestreichen  wolten,  da  schickten 
mich  die  Haubtleut  und  Obristen  zuvor  zue  denselben  herrn 
Geisslern  zue  verstehen,  ob  doch  gelt  da  sein  wurde  oder 
nit,  dan  sie  sahen  die  Ungeschicklichkeit  des  groben  ge- 
mainen Mans,  auch  die  grosse  geferlichkeit  Leibes  und  Lebens, 
darin  sie  die  herrn  Geisslern  nit  allein  stüenden,  sondern 
auch  die  haubtleut,  und  sie  truegen  war  lieh  für  sorge,  das 


Gregorovius:   Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Roms.     393 

die  nechst  geniain,  die  gehalten  würdt,  Bluett  oder  gellt 
sein  wurde,  dabei  sie  ye  nit  gern  sein  wolten,  und  sie  betten 
sie  zum  höchsten ,  das  sie  allerlei  bedenken  wolten ,  damit 
doch  etwas  da  were  von  gellt,  wo  nit  so  traueten  sie  Inen 
nit  ohne  gefahr  in  die  Gemain  zue  kommen,  Darauf  sie 
nun  mir  und  meinem  mitgesandten,  die  Herrn  Geissler  zu 
antwort  gaben,  sie  hetten  kain  gellt,  und  wisten  auch  kains 
aufzuebringen ,  sie  hetten  sich  Gott  dem  Allmechtigen  be- 
fohlen, es  gieng  Inen  darob  was  gestalt  es  wolle.  Dise 
antwort  brachten  wür  den  haubtleuten  und  Obristen,  das  was 
der  Herr  von  Bembelberg ,  die  es  warlich  mit  erschrecken 
annamen,  die  den  jamerlichen  ausgang  der  Sachen  als  weise 
leut  bedachten,  und  das  nit  allein  den  Herrn  Geisslern  Leib 
und  Leben  auf  diesen  tag  aufgehen  wurde,  sondern  auch  Inen 
den  hauptleuten  Leib  und  Leben,  Ehr  und  guett ,  mit  sambt 
der  Rom.  Kay.  Maj.  unsers  allergnädigsten  Herrn  ewige 
ungnad.  Und  kämen  sie  auf  diesen  ersten  Gemainstag  so 
wurden  sie  sehen  wider  Iren  willen  an  den  Herrn  Geisslern 
tödtliche  Handt  anlegen,  bewilligten  sies,  so  wisten  sie  woll, 
was  gefahr  Ihnen  beim  Kaiser  darauf  stuende,  bewilligtens 
sie  dan  nit,  so  wurden  sies  mit  der  Faust  und  That  er- 
halten müssen,  und  all  todt  auf  dem  plaz  bei  einander  bleiben 
und  dannocht  nichts  fruchtbares  für  sie  erhalten  wurde, 
sonder  das  der  Rom.  Kais.  Maj.  heller  hauffen  zue  grundt 
gieng  und  darob  ganz  Italia  Landt  und  Leut  verlur,  die- 
weil  der  Franzos  mit  so  ainem  gewaltigen  Hauffen  in  Ita- 
lien ankörnen  war,  und  waren  die  guetten  haubtlent  nur 
laidig  und  thraurig,  und  berathschluegen  die  Sachen  lenger  dan 
3  tag,  an  der  letzt  entschlussen  sie  sich,  sie  wolten  bey 
solchem  Jamer  nit  sein,  der  Kays.  Maj.  zue  guetten,  so  ver- 
hofften sie  dannoch,  wan  kain  Haubtman  mit  bei  Inen 
were,  das  sich  der  doli  unsinnig  gemain  man  so  frevent- 
lichen unterstehen  wurde  solcher  Tyrannei,  sonder  das  sie 
sich  vil  aines  bessern  besinnen  wurden.  Und  ungefärlichen 
[1877.  I.  Philos.-philol.  Cl.  4]  27 


394  Sitzung  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

2  tag  zuvor ,  da  sass  der  Obrister  Herr  von  Bembelberg 
mit  samt  allen  haubtleuten  auf  die  Ross,  und  ritten  zum  thor 
auss,  und  sagten  gegen  dem  gemainen  man,  die  weil  sie  Inen 
nit  volgen  wolten,  so  wolten  sie  auch  nit  bei  Inen  bleiben 
Übels  helffen  zu  stiften,  und  zugen  also  zum  thor  auf  Bra- 
ziano*)  zue,  ain  vast  trefliche  Befestigung  der  Ursiner  als 
in  Italia  ist,  40  welsch  mail  von  Rom  gelegen,  in  der  Herrn 
Ursiner  Landt,  da  waren  sie  zue  Ir  Sicherheit,  das  sie  der 
gemain  unsinnig  man  nit  überfallen  solt,  all  ding  zu  berat- 
schlagen, wie  dem  Kaiser  dieser  ungezembter  Exercitus 
mit  sambt  Landt  und  Leut  und  ganz  Italia  erhalten  mecht 
werden,  auch  zu  sehen ,  was  sie  doch  auf  den  bestimbten 
tage  der  Bezalung  mit  den  Herrn  Geisslern  in  der  gemain 
anfahen  wurden,  und  waren  alle  haubt-  und  Befelchsleute 
mit  Inen  binweck,  und  da  belib  yemandts  auf  erden,  dan  ich 
und  Caspar  Schwegler,  welcher  Zallmeister  war,  und  Ich  Com- 
missari,  solten  mit  Inen  handien,  dan  Caspar  Schwegler 
mehr  an  Inen  vermocht ,  dan  alle  haubtleut  einander  mit, 
und  wie  der  tag  der  Bezalung  komen  solt  als  morgen,  da 
luffen  sie  als  heut  nach  essen  zuesammen,  und  hetten  nur  ain 
wiest  wesen,  da  gang  Caspar  Schwegler  ohn  mich  in  hauffen 
sie  zue  geschwaigen,  es  wer  doch  der  tag  noch  nit,  sonder 
erst  morgen,  warumb  sie  dan  zuesamen  lueffen,  sie  hetten 
dessen  kain  Recht  nit,  sie  sollen  auch  woll  bedenken,  wie 
ungeschickt  sie  gehandelt  hetten,  das  sie  mit  recht  weder 
gegen  Gott  noch  dem  Kaiser  verantwortten  wurden,  darumb 
weren  Ire  Haubtleut  von  Inen  zogen,  und  batte  sie,  sy  sollen 
doch  mittel  und  weg  mit  den  Herrn  Geisslern  und  Pabst  an- 
nemben  mit  hilf  und  rath  Ihres  Obristen  und  Haubtleut  nach 
denen  sie  schicken  sollen. 


*)  Nach  Reissner  zogen  die  Hauptleute  nach  Rocca  di  Papa;  der 
Secretär  Perez  gibt  statt  dessen  die  nah«  dabei  liegende  Abtei  Grotta 
Ferrata  an,  und  so  auch  Cäsar  Grolierus. 


Gregorovius :   Ein  deutscher  Berieht  üb.  d.  Eroberung  Roms.     395 

Aber  nach  langer  Predigt  des  Caspar  Schwegler ,  da 
erchluegen  sie  Ime  den  Kopf  voll  grosse  Löcher  mit  den 
Schiesshaken,  u  weren  nit  etlig  seine  guete  Freundt  gewesen, 
so  hetten  sie  Ime  gar  erwürgt.  Ich  wolt  nach  mittag  zue 
den  trunckenen  bestiis  in  kein  ring  nit  komen ,  darum 
behüelt  Ich  auch  mein  köpf  ganz,  und  war  doch  auf  diesen 
Abendt  die  sach  gestillet,  und  biss  auf  den  morgen  angestellet, 
da  aller  jamer  zu  erwartten  war. 

Nun  am  morgen,  so  baldt  der  tag  herfür  brache,  da 
schlueg  man  umb  und  gebott  aim  jeden  Landsknecht  mit  ge- 
wertter  Hanndt  auf  den  Campof lor  zu  komben,  zwischen 
6  u  7  Uhr  am  morgen,  da  kamen  sie  auf  den  plaz  und  fiengen 
ir  ungeschickte  weiss  an ,  da  sies  gestern  gelassen  hetten, 
und  da  wolten  sie  schlecht  gellt  oder  bluett  uud  ain  par  auss 
den  Herrn  Geisslern  henken  lassen,  und  schicketen  zue  dem 
haubtman  Hans  Weiskopf,  der  sie  dasselbig  mal  verwachet, 
und  ain  schreier  und  Pfaffen  feindt  was,  das  er  die  Herrn 
Geissler  auf  den  plaz  antwortten  soll  in  die  Gemain. 

Nun  wie  er  an  der  Camerthir  anklopfet,  2.  3.  oder  4. 
mall,  da  wolt  Ime  niemandts  nit  antwortt  geben,  also  das 
er  an  der  letzt  die  Thir  aufbrache,  da  fand  er  nit  ain  mensch 
in  der  Camer ,  sondern  in  yedem  Pett  der  zwayen  Ketten, 
und  ain  Laitter  im  Kumich,  und  das  die  Herrn  Geissler  davon 
waren,  das  was  ain  wüste  Rumor,  der  Haubtman  Weisskopf 
der  muest  mitsambt  dem  ganzen  fendel  knecht  den  Zorn 
des  wiettenden  hörs  entfliehen,  da  luffen  sie  all  hinein  in 
die  Camer  und  Palast,  zu  sehen  wie  es  war  zuegangen,  oder 
wohin  sie  komen  weren,  und  weren  nur  wildt,  wolten  nur 
wider  anfangen  Rom  zu  plündern,  und  das  Kindt  in  Mutter 
laib  erwürgen. 

Und  stuenden  lenger  dan  5  ganzer  stundt  bei  einand 
versamblet,  wie  zue  beratschlagen,  und  des  mehren  thails 
rath  war  erwürgen,  plündern  und  alles  übel  zue  thun,  das 
möglich  und  menschlich  were.   Aber  die  Doppelsoldner  und  die 

27* 


396  Sitzimg  der  hist.  Classe  vom  1.  Dezember  1877. 

vom  Adel  die  ruethen,  sie  sollen  Ire  Haubtleut  und  Obristen 
wider  zue  Inen  berueffen,  sie  wolten  Tuen  volgen  und  alle 
gehorsamb  laisten,  darauf  die  sach  an  die  letzt  geschlossen 
ward.  Was  Gott  für  Mirakel  thet,  das  seine  Göttliche  gnadt 
solch  herrn  Geissler  zue  höhern  Dingen  brauchen  wolt,  dan 
das  die  unsinnigen  leut  Iren  hochmuth  und  Tyrranney  mit 
Inen  threiben  solten ,  wie  und  man  dan  yetzt  scheinbar- 
lichen  sieht  vor  äugen,  was  hohen  Befelch  Gott  der  Herr 
disem  Julio  tertio  geben  hat,  sein  Statt  in  diser  Welt 
zu  erhalten  und  zu  vertreten,  darumb  behüett  Gott  die  sei- 
nigen an  der  letrt,  so  er  sie  zue  Zeitten  schon  etwas  laiden 
lest.  Nun  die  Ketten  oder  Armring  die  waren  weit  und  gross, 
und  nit  für  solch  zarte  Herrn,  welche  Inen  am  anfang  klain 
genueg  waren,  als  sie  faist  und  volkomen  waren,  von  Com- 
plexion,  aber  nachmals  da  und  sie  in  solche  tribulation 
kamen,  da  namen  sie  am  Leib  ab ,  also  das  Inen  die  eisen 
alle  zu  gross  waren.  So  sie  das  befanden,  auch  das  gross 
Perikl  sahen,  und  das  sie  am  morgen  wider  fürgefürt  sollen 
werden,  das  sie  alles  nit  mit  kleinen  schmerzen  beherzigten, 
und  entschlüssen  an  der  Letzt  dahin,  es  weren  ye  unter  zwaien 
Besen  das  besser  zu  erwehlen  der  gewiss  todt,  oder  die 
gefahr  der  flucht,  und  woltens  wagen  und  sehen,  ob  sie  die 
selbige  Nacht  entflüehen  m echten ,  und  wie  woll  Ire  zwo 
Camer  einen  aussgang  hetten,  darvor  in  der  Nacht  Ir  Dol- 
metsch läge,  und  herraussen  nochmals  das  fendi  knecht,  das 
sie  verwacht,  das  nit  möglich  was  das  ain  meussele  auss 
oder  ein  mecht  komen.  In  Ir  Camer  was  ain  Camin,  darin 
sie  feur  macheten,  dasselbig  Camin  das  gieng  in  der  Mauer 
hinauf  über  das  Dach  auss,  und  gang  durch  etliche  andere 
staussen  (?)  oben  auf  ein  Hauss,  da  niemandts  in  wohnet, 
da  luessen  sie  in  derselben  staussen  oben  das  Camin  haimblich 
aufbrechen,  und  richteten  stricklaitern  darin,  und  stige  ainer 
nach  dem  andern  hinauf  in  dieselbe  öde  staussen,  und  aus 
denselben  öden  gemechen,  da  waren  von  stundan  pruckchen 


Gregorovius:  Ein  deutscher  Bericht  üb.  d.  Eroberung  Homs.     397 

gemacht  in  aiu  ander  ödt  hauss,  da  kamen  sie  hinauss  gehn 
S1*  Maria  de  Populo,  in  der  Spagnoli  Quartier,  da 
sassen  sie  auf  guette  türckische  Pferdt,  und  ritten  eulents 
davon,  zue  unser  lieben  Frauen  de  Loretta,  dahin  sie  sich 
versprochen  hetten,  und  hälfe  Inen  Gott  und  unser  liebe  Frau 
also  ohn  alles  übel  davon,  das  weder  der  Pfaffenfeindt  der 
Hauptman  Weisskopf,  noch  der  Dolmetsch  oder  yemandts 
auf  erden  das  wenigist  gewahr  were  worden,  dan  die  vollen 
seue  hetten  den  ersten  schlaf  woll  und  stark  gethan,  dan  die 
Herrn  Geissler  hetten  Ine  Haubtman  dieselbige  Nacht  zue 
gast  geladen,  und  hetten  den  Landsknechten  2.  oder  3  Eimer 
wein  auf  die  wacht  zue  ainem  Schlaftrunk  geschenkt,  darin 
war  Pilsensamen  gesotten,  damit  sie  schlefferig  wurden,  das 
sie  nicht  hören  sollen ,  als  dan  geschah.  Aber  ob  dem 
Dolmetschen  etwas  geträumt  hette  oder  nit,  Er  war  am 
morgen  aufgestanden  und  haimblich  durch  das  schlisselloch 
hinein  sehendt,  was  die  herrn  Geissler  thetten,  da  hat  er 
kamen  an  kainem  Pett  nit  gesehen,  noch  viel  weniger  in 
der  Camer,  da  hette  er  Ine  gleich  gedacht,  da  müest  es  nit 
recht  zugehen,  die  Herrn  Geissler  weren  darvon*). 

Biss    hieher   und   weiter   ist   es  vom  Herrn  Scribenten 
nit  continuiert  worden. 


*)  Die  Flucht  der  Geiseln  ward  unterstützt  durch  den  Cardinal 
Colonna,  die  Spanier  und  wie  Cäsar  Grolierus  glaubt,  auch  durch  die 
deutschen  Hauptleute,  welche  daran  verzweifelten,  ihr  Kriegsvolk  bän- 
digen zu  können,  so  lange  jene  Bürgen  in  seiner  Gewalt  waren.  Die 
Flucht  geschah  am  29.  Nov.  Hierauf  folgte  am  8.  Dez.  Nachts  die 
fluchtähnliche  Abreise  des  Papsts  aus  dem  Castelf  nach  Orvieto. 


398  Einsendungen  con  Druckschriften. 


Verzeichniss  der  eingelaufenen  Büchergeschenke. 


Vom  Instituto  di  Corrispondenza  archeologica  in  Born: 

a)  Bulletino  anno  1876,  u.  Atlas.     1876.     8. 

b)  Annali.    Tom.  48.     1876.    8. 

Von  der  Academie  des  sciences  in  Dijon : 
Memoires.     Serie  III.     Tora.  2.  3.     Annees  1874—76.    8. 

Von  der  Akademie  in  Metz: 

a)  Memoires     LVIe  annee  1874—75.    1876.    8. 

b)  Memoires      57e    Annee    1875—76.     3    Ser.     5e   Annee.     Lettres, 
Sciences,  Arts  et  Agriculture      1877.     8. 

Von  der  Societe  des  Antiquaires  du  Nord  in  Kopenhagen: 
Memoires.    Nouv.  Serie  1875—76.  1876.     8. 

Von  der  Societe  des  etudes  historiques  in  Paris: 
Llnvestigateur.    XLe  annee.    Mai-Juni  1877.     1877.     8. 

Von  der  finnischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Helsingfors : 

Öfversigt  of  Finska  Vetenskaps-Societetens  Förhandlingar.     Heft  XVIII. 
1875—76.     1876.    8. 

Vom  Institut  National  in  Genf: 
Memoires  de  l'Institut  National  Genevois.  Tom.  XIII.  1869—77.  1877.  4. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  399 

Von  der  Societe  des  sciences  in  Lille: 
Memoires.    IIP  u.  IVe  Ser.     1876  u.  1877.    8. 

Von  der  Akademie  der  Wissenschaften  in  Turin: 

Iscrizione   trilingue   sopra  lamina    di   bronzo   trovata  in  Sardegna  nel 
febbrajo  1861.     1877.     1  Tafel  in  folio. 

Von  der  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Stockholm: 

Handlingar  (Memoires).     Bd.  XIII.  XIV.     1876.    4. 
Öfversigt  (Bulletin)  Ärgäng  33.     1876—77.     8. 
Minnesteckning  öfver  Augustin  Ehrensvärd.     1876.    8. 

Von  der  kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften  in  St.  Petersburg: 

a)  Bulletin.     Tom.  XXIV.     4.     1877. 

b)  Memoires.     1876—77.     4. 

Von  der  Haag'sche  Genootschap  tot  verdediging  van  den  christelijken 
Godsdienst  in  Leiden: 

Werken.    V.  Reeks.    Deel  9.     1877.     8. 

Von  der  Gesellschaft  für  pommer'sche  Geschichte  und  Alterthumskunde 
in  Greifswald: 

a)  38.  und  39.  Jahresbericht  von  1874—77.     1877.    8. 

b)  Pommer'sche  Genealogien  von  Th.  Pyl.  und  Eug.  Rieh.  Schöpplen- 
berg.    Band  III.     Berlin  &  Greifswald  1878.     8. 

Von  der  oberlausitzischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Görlitz: 

Neues  lausitzisches  Magazin.    Bd.  53.     1877.     8. 

Von  der  südslavischen  Akademie  der  Wissenschaften  in  Agram: 

a)  Rad.    Bd.  38.    1877.     8. 

b)  Monumenta  speetantia  historiam  Slavorum  meridionalium.   Vol.  VI. 
1876.    8. 

Vom  historischen    Verein  in  St.  Gallen: 
Mittheilungen  zur  vaterländischen  Geschichte.  Heft  XV  u.  XVI.    1877.    8, 


400  Einsendungen  vom  Druckschriften. 

Von  der  k.  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Krakau: 

a)  Estreicher,  Bibliografia  Polska.    Tom.  III  in  4  Heften.     1876.    8. 

b)  Rozprawy  (Sitzungsberichte): 

«)  Philolog.  Classe.     Tom.  IV. 
ß)  Histor.  „  „       V. 

c)  0.  Kolberg,  Lud.    Tom.  X.    1876.    8. 

Vom  Harzverein  für  Geschichte  und  Alter thumskunde  in  Wernigerode'- 

a)  Ergänzungsheft  zum  IX.  Jahrgang  der  Zeitschrift.     1877.     4. 

b)  Zeitschrift.     10.  Jahrgang  1877.     1877.     8. 

Vom  litterarischen  Verein  in  Stuttgart: 

129.  Publication:    Quellen   zur  Geschichte   des  Bauernkrieges  in  Ober- 
schwaben von  F.  L.  Baumanu.     1876.    8. 

Von  der  Universite  cathölique  in  Louvain: 

a)  Revue  cathölique.    Nouv.  Serie  Tom.  XV  et  XVI.     1876.     8. 

b)  Annuaire.     40e  annee  1876.     8. 

Von  Her  Majesty's  Secretary  of  State  for  India,  India  Office  in  London: 

The  Adi   Granth,    or   the    Holy  Scriptures   of  the  Sikhs  translated  by 
Dr.  Ernest  Trumpp.     1877.     4. 

Vom  Department  of  the  Interior,  Bureau  of  Education  in  Washington: 

The   international  Conference   on  Education  held   at  Philadelphia.     Juli 
17  and  18.     1876.  1877.     8. 

Von  der  Universität  in  Casan: 
Iswestija  i  utschenia  sapiski.     1876.    No.  1 — 6.     8. 

Von  der  Smithsonian  Institution  in   Washington: 

Annual  Report  of  the  Board    of  Regents  of  the  Smithsonian  Institution 
for  the  year  1875.    1876.    8. 

Von  der  Historical  Society  of  Pennsylvania  in  Philadelphia: 

Publications      Vol.  XII.    History,   Manners  and  Customs   of  the  Indian 
Nations,  by  John  Heckewelder.     1876.     8. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  401 

Von  der  Genootschap  van  Künsten  en  Wetenschappen  in  Batavia: 

a)  Tijdschrift  voor  Indische  Taal-Land  en  VolkenkuDde.    Deel  XXIV. 
1876—77.     8. 

b)  Notulen.    Deel  XIV.    1876.    1876—77.    8. 

c)  Het  Maleisch  der  Molukken  door  F.  S.  A.  de  Clercq.     1876.    4. 

d)  Verslag  van  eene  Verzameling.    Handschriften  door  L.  W.  C.  van 
den  Berg.     1877.    8. 

e)  Catalogus  der  ethnologische  Afdeeling   van  het  Museum  van   het 
Bataviaasch  Genootschap.     1877.     8. 

Von  der  Societe  d'histoire  de  la  Suisse  romande  in  Lausanne: 
Meraoires  et  documents.    Tom.  34.    1877.    8. 

Von  der  k.  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien: 

a)  Archiv  für  österreichische  Geschichte.  Band  54.  II.  Hälfte.  1876.  8. 

b)  Fontes   rerum  Austriacarum.     II.  Abtheilung:   Diplomata  et  Acta. 
Bd.  XXXIX.    1876.    8. 

c)  Denkschriften:  Philo»,  histor.  Cl.     Bd.  24.  25.     1876.    4. 

d)  Sitzungsberichte:  Philos.-histor.  Classe.  Bd.  81,  Heft  1—3.  1875.  8. 

„    82,  ,     1-3.  1876.  8. 

„    83,  ,     1-4.  1876.  8. 

e)  Archiv  für  österreichische  Geschichte.     Bd.   54  1876.    8. 
t)  Almanach.     26.  Jahrgang.     1876.     8. 

Vom  Verein  für  Geschichte  und  Alterthümer  der  Herzogthümer  Bremen 
und    Verden  und  des  Landes  Hadeln  in  Stade: 

Archiv.    6.     1877.     8. 

Vom  historischen  Verein  für  Oberfranken  zu  Bamberg: 
39.  Bericht  über  Bestand  und  Wirken  im  Jahre  1876.     1877.     8. 

Von  der  allgem.  geschichtsforschenden  Gesellschaft  der  Schweiz  in  Bern: 
Schweizerisches  Urkunden-Register.     2.  Bd.    5.  Heft.     1877.    8. 

Von  der  grossherzogl.  Bibliothek  in  Weimar: 
Zuwachs  derselben  in  den  Jahren  1874,  1875,  1876.    8. 


402  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Von  der  k.  Akademie  gemeinnütziger  Wissenschaften  in  Erfurt: 
Jahrbücher.     Neue  Folge.     Heft  8  und  9.     1877.    8. 

Von  dem  fürstl.  Fürstenbergischen  Hauptarchiv  in  Donaueschingen: 

Fürstliches  Urkundenbuch.  Sammlung  der  Quellen  zur  Geschichte  des 
Hauses  Fürstenberg  und  Seiner  Lande  in  Schwaben.  II.  Bd.  Tübingen 
1877.     gr.  4. 

Von  der  k.  preuss.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin: 

a)  Preussische  Staatsschriften  aus   der   Regierungszeit   Königs  Fried- 
richs IL     I.  Band.     8.     1877. 

b)  Corpus  inscriptionum  Atticarura.     Vol.  IV  fasc.  I.     1877.    fol. 

Vom  Istituto   Veneto  di  Scienze  in    Venedig: 

a)  Memovie.    Vol.  XIX     Part.  1,  2,  3.     1876.     4. 

b)  Atti.    Serie  V.     Tom.    I.  disp.  10. 

w       II.     „      1—7.     1874-76.    8. 

Vom  niederösterr.  Landesausschuss  in  Wien: 

a)  Topographie  von  Niederösterreich,  hsg.  vom  Verein  für  Landeskunde 
von  Niederösterreich.     Bd.  I.  II.     1876—77.     4. 

b)  Geschichte   der   geistigen  Cultur  in  Niederösterreich  von  Dr.  Ant. 
Mayer.    Bd.  I.     1878.    4. 

Vom   kirchlich -historischen  Verein  für  Geschichte  etc.  der  Erzdiöcese 

Freiburg : 
Freiburger  Diöcesan- Archiv.     Bd.  XI.     1877.     8. 

Vom  historischen   Verein  des  Cantons  Bern  in  Bern: 

a)  Archiv.    Bd.  IX.     Heft  2.     1877.     8. 

b)  Aarberg   bis    zum  Uebergang   an  Bern.     Vortrag   von  J.  Sterchi. 
1877.    8. 

Von  der  historischen  und  antiquarischen  Gesellschaft  in  Basel: 
Die  Schlacht  bei  St.  Jacob  von  Aug.  Bernoulli.     1877.    8. 

Von  der  Gesellschaft  für  Salzburger  Landeskunde  in  Salzburg: 
a)  Mittheilungen.     XVII.   Vereinsjahr   1877.    Heft  II  nebst  Anhang 
zum  17.  Bd      1877.    8. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  403 

b)  Matsee,  die  Schlehdorfer  und  Matseer,  von  F.  V.  Zillner.    1877.    8. 

c)  Mittheilungen.    XVII.  Vereinsjahr.     1877.     8. 

Vom  historischen  Verein  der  fünf  Orte  Luzern  etc.  in  Luzern: 

a)  Der  Geschichtsfreund.    Bd.  32.    Einsiedeln  1877.    8. 

b)  Register  zu  Bd.  21 — 30  des  Geschichtsfreundes  von  Jos.  L.  Brand- 
stetter.    Einsiedeln  1877.     8. 

Vom  historischen    Verein  von  Oberfranken  in  Bayreuth: 
Dr.  Theodorich  Morung,   der  Vorbote  der  Reformation  in  Franken,   von 
Lorenz  Kraussold.     Th.  I.     1877.     8. 

Von  der  archäologischen  Gesellschaft  in  Berlin'. 
Beitrag  zur  griechischen  Gewichtskunde.     37.  Programm   zum  Winckel- 
mannsfeste,  von  Dr.  Schillbach.     1877.    4. 

Vom   Verein  für   meklenburgische  Geschichte  und  Alterthumskunde  in 

Schwerin : 
Jahrbücher  und  Jahresbericht.     42.  Jahrgang.     1877.     8. 

Vom  Verein  für  hamburgische  Geschichte  in  Hamburg : 
Mittheilungen.     1877.     8. 

Von  der  k.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in  Upsala: 
Nova  acta  regia)  societatis   scientiarum  Upsaliensis.     Volumen  extra  or- 
dinem  editum  in  memoriam  quattuor  seculorum  ab  universitate  Upsa- 
liensi  peractorum.     1877.    4. 

Von  der  Beal  Academia  de  la  historia  in  Madrid: 
Boletin.     Tom.  I.    Quaderno  1.     1877.     8. 

Von  der  B.  Accademia  delle  scienze  in  Turin: 
Atti.     Vol.  XII.    disp.  1-5.     1876—77.    8. 

Von  der  Academie  des  siences  in  Lyon: 
Memoires.    Classe  des  Lettres.     Tom.  XVII.     1876—77.    8. 

Von  der  Academia  Olimpica  in  Vicenza: 
Atti.     1876  und  Primo  Semestre  1877.     1876—77.    8. 


404  Einsendungen  von  Druckschriften. 

Vom  Herrn  Charles  Schoebel  in  Paris: 
Demonstration  de  l'authenticite  de  la  Genese.     I.     1877.     8. 

Vom  Herrn  Leopold  Delisle  in  Paris: 

a)  Notice  sur  vingt  manuscrits  du  Vatican.     1877.    8. 

b)  La  Bibliotheque  Nationale  en  1876.     1877.    8 

c)  Fragment  du  dernier  registre  d'Alexandre  IV.  s.  1.  s.  a.     8. 

d)  Notice  sur  cinq  manuscrits  de  la  Bibliotheque  nationale  contenant 
des  recueils  epistolaires  de  Berard  de  Näples.     1877.     4. 

e)  Les  ouvrages  de  Bernard  Gui.     s.  1.  1877.     8. 

Vom  Herrn  J.  de  Witte  in  Paris: 
Satyre,  bronze  trouve  a  Dodone.     1877.    4. 

Vom  Herrn  Klon  Stephanos  in  Athen: 
*Emy(>oc(p(xi  rrjg  yyffov  Iv(jov.     1875.     8. 

Vom  Herrn  G.  N.  Sathas  in  Paris: 
Bibliotheca  grseca  medii  am     Vol.  I— VI.     1872—77.     8. 

Vom  Herrn  Franz  Hoffmann  in  Würzburg: 
Philosophische  Schriften.    Bd.  IV.     Erlangen  1877.    8. 

Vom  Herrn  T,  A.  B.  Spratt  in  London: 
Travels  and  Researches  in  Crete.    2  vols.     1875.    8. 

Vom  Herrn  Demetrio  Salazaro  in  Neapel: 

a)  Considerazioni    sulla   scultura   ai   tempi    di   Pericle   in   confronto 
deir  arte  moderna.     1875.     8. 

b)  Sulla  coltura  artistica   dell'  Italia  meridionale  del  IV.  al  XIII  se- 
colo.     1877.     8. 

c)  L'  Arco  di  trionfo  con  le  torri  di  Federigo  II0  a  Capua.     Caserta 
1877.    8. 

d)  Pensieri  artistici.     1877.     8. 

e)  Di  un  antico  dipinto  su  tavola.    s.  1.  1875.    8. 

Vom  Herrn  Alfredo  Beumont  in  Bonn : 

Frederigo  Manfredini   e  la  politica  Toscana  dei  primi  anni  di  Ferdi- 
nande III.    Firenze  1877.    8. 


Einsendungen  von  Druckschriften.  405 

Vom  Herrn  Nikolaos  Saripolos  in  Athen: 

a)  Ivarrificc    r?JV  ev  (EXXadi  ia^vovaijg  noivixrjs  vofio&eoiccc.     5  voll. 
1868—71.     8. 

b)  nqay^ar&icc  rov  awtctyixartxov  dixaicv.     5  voll.     1874 — 75.     8. 
c)   7'«   rwr  &&v(ov  £v  ti(jr}>'fl  xal  noXf/ico  vofxifjiu.     2  voll.      1860.  8. 

Vom  Herrn  Ludolf  Krelil  in  Leipzig : 
Beiträge  zur  Charakteristik  der  Lehre  vom  Glauben  im  Islam.   1877.  4. 

Vom  Herrn  Gar  ein  de  Tassy  in  Paris: 
La  langue  et  la  litterature  hindoustanies  en   1877.     1878.    8. 


Sach-  Register. 


Albrecht  V.  Herzog  von  Bayern  29. 
Altnorwegisches  Verwandtschafts-Recht  235 
Arabische  Syntax  87. 
Aristophanes-Scholien  254. 
Augustus  Harmafs  175. 

Bayerische  Denkschrift  nach  Rom  v.  J.  1670  29. 

Chorgesänge  griechische,  Vortrag  der  227. 

„  „  rhythmische  Continuität  324. 

Dodona  163,  227. 

Freisijiger  Ordinariat  i.  J.  1670  29. 
Friedrich  I.  Kaiser  286. 

Griechische  Chorgesänge  227,  324. 

Gumppenberg  Ambr.  v.,  Bericht  über  Rom1s  Eroberung  329. 

Harma'is  Augustus  175. 

Indisches  Schuldrecht  287. 

Kant's  Gegner  Wyttenbach  264. 
Karl's  V.  Armee  in  Rom  329. 
Karl  Albert,  Kurfürst  227. 


408  Sach-llegister. 

Ludwig  der  Bayer  gegen  d.  Papstthum  30. 

Nekrologium,  Würzburgisches  29. 
Norwegens  Schwankung  an  Olaf  30. 
Norwegisches  Verwandtschafts-Recht  235. 

Olaf  der  Heilige  30. 
Olympia,  Sculpturen  von  1. 

Papstthum,  Streit  Ludwig  des  Bayern  30. 

Rhythmische  Continuität  der  griech.  Chorgesänge  324. 
Roms  Eroberung  i.  J.  1527  329. 

Schuldrecht,  indisches  287.    ■ 
Sculpturen  von  Olympia  J. 
Seinsheim  Franz  Graf  von  227. 
Syntax,  arabische  87. 

Troja's  Epoche  30. 

Verwandtschaft  nach  altnorwegischem  Rechte  235. 

Widmanstadt  Joh.  Albr.  226. 
Wolf  Friedr.  Aug.  226. 
Würzburgisches  Nekrologium  29. 
Wyttenbach  als  Gegner  Kant's  264. 

Zographos'  Preisaufgabe  81. 


Namen-Registo 


Augsberger  254. 

v.  Bayer  (Nekrolog)  64. 
Brockhaus  (Nekrolog)  61. 
Brunn  1,  227. 
Bursian  163,  226. 

v.  Christ  227,  324. 

Delisle  (Wahl)  234. 
Diez  (Nekrolog)  41. 
v.  Druffel  29. 

Föringer  226. 
Friedrich  29. 

v.  Gieseb recht  64,  286. 
Gregorovius  329. 

v.  Haneberg  (Nekrolog)  45. 
Haug  (Nekrolog)  32. 
Heigel  227. 


410  Namen-Register. 

Jolly  J.  287. 

Karapanos  163. 
Köchly  (Nekrolog)  56. 

Lassen  (Nekrolog)  37. 
Lauth  30,  175. 
Lehmann  (Nekrolog)  79. 

v.  Maurer  30,  235. 
Menke  Th.  (Wahl)  234. 
Meyer  Wilh.  (Wahl)  233. 
Mineyko  227. 
Müller  Friedr.  (Wahl)  233. 

Palacky  (Nekrolog)  74. 
Pertz  (Nekrolog)  65. 
v.  Prantl  32,  264. 
Preger  30. 

Riezler  (Wahl)  234. 
Ritschi  (Nekrolog)  48. 

Schlyter  (Wahl)  233. 

Trumpp  87. 

Wegele  29. 

Zographos  31. 


CIRCULATE  AS  MONOGRAPH 


AS  Akademie  der  Wissenschaften, 

182  Munich.     Philosophisch- 

M823  Historische  Abteilung 
1877  Sitzungsberichte 


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