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Full text of "Sitzungsberichte der Mathematisch-Physikalischen Classe der K.B. Akademie der Wissenschaften zu München"

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FOR  THE  PEOPLE 
FOR  EDVCATION 
FOR  SCIENCE 


LIBRARY 

OF 

THE  AMERICAN  MUSEUM 

OF 

NATURAL  HISTORY 


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Sitzung^sberich  te 

, S.OuC^-l.  tu) /'A 


mathematisch-physikalischen  Klasse 

der 

K.  B.  Akademie  der  Wissenschaften 


zu  München 


Jahrgang  1915 


München  1915 

Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 
in  Kommission  des  G.  Franz'scben  Verlags  (J.  Roth) 


Äkademiscbe  Bucbdruckerei  too  F.  Straub  in  Müncben. 


III 


Inhaltsübersicht. 

I.  Sitzungsberichte.  seit« 

9.  Januar:  Pringsheim,  Deybe,  Czuber 1* 

6.  März:  Lagally,  Finsterwalder,  Mittag-Leffler,  Prings- 
heim   2* 

1.  Mai:  Liebmann,  Finsterwalder,  Föppl,  Voss,  Böhm, 

Szäz 5* 

5.  Juni:  Frank,  Rothpletz 7* 

3.  Juli:  Frank,  Landau,  v.  Dyck 8* 

6.  November:  Schmidt,  Stromer  v.  Reichenbaeh,  Endrös, 

Pringsheim  ..........  9* 

4.  Dezember:  Fischer,  Mittag-Leffler,  S.ommerfeld  . 11* 

Verzeichnis  der  im  Jahre  1915  eingelaufenen  Druckschriften  . . 13* 

II.  Abhandlungen. 

F.  Böhm:  Beiträge  zum  Äquivalenzproblem  der  Raumkurven  . 257 

E.  Czuber:  Eine  geometrische  Aufgabe 165 

P.  Debye:  Die  Konstitution  des  Wasserstoff- Moleküls  . . . 1 

A.  Endrös:  Die  Gezeiten,  Seiches  und  Strömungen  des  Meeres 

bei  Aristoteles  ..........  355 

S.  Finsterwalder:  Eine  neue  Lösung  der  Grundaufgabe  der  Luft- 
photogrammetrie   67 

S.  Finsterwalder:  Über  die  Ausgleichung  des  zukünftigen  baye- 
rischen Hauptdreiecksnetzes  .......  199 

H.  Fischer:  Über  die  Einwirkung  von  Brom  auf  einige  Pyrrol- 

derivate 401 

A.  Föppl:  Die  Lösung  der  Spannungsaufgabe  für  das  Ausnahme- 
fachwerk   211 


IV 


I nhaltsübersicht 


Seite 


0.  Frank:  Anwendung  des  Prinzips  der  gekoppelten  Schwingungen 

auf  einige  physiologische  Probleme 289 

M.  Lagally:  Zur  Theorie  der  Wirbelschichten  ....  79 

E.  Landau:  Über  Dirichlets  Teilerproblem 317 

H.  Liebmann:  Die  Liesche  Geraden-Kugeltransformation  und  ihre 

Verallgemeinerungen  ........  189 

G.  Mittag-Leffler:  Über  die  analytische  Darstellung  eines  ein- 
deutigen Zweiges  einer  monogenen  Funktion  . . 109 

G.  Mittag-Leffler:  Über  einen  Satz  des  Herrn  Serge  Bernstein  419 
A.  Pringsheim:  Über  eine  charakteristische  Eigenschaft  soge- 
nannter Treppenpolygone  und  deren  Anwendung  auf  einen 
Fundamentalsatz  der  Funktionentheorie  ....  27 

A.  Pringsheim:  Nachtrag  zu  der  vorstehenden  Abhandlung  . 58 

A.  Pringsheim:  Über  die  Weierstraßsche  Produktdarstellung 
ganzer  transzendenter  Funktionen  und  über  bedingt  kon- 
vergente unendliche  Produkte 387 

M.  Schmidt:  Senkungserscheinungen  an  der  Frauenkirche  in 
München  und  Lageänderung  von  Hauptdreieckspunkten  in 
Südbayern  (mit  1 Tafel)  ........  329 

A.  Sommerfeld:  Zur  Theorie  der  Balmerschen  Serie  . 425 

A.  Sommerfeld:  Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  und  der 

Wasserstoff- ähnlichen  Linien  .......  459 

0.  Szäsz:  Über  eine  besondere  Klasse  unendlicher  Kettenbrüche 

mit  komplexen  Elementen  .......  281 

A.  Voss:  Über  die  Transformation  linearer  Formen  und  die  Lösung 

linearer  Gleichungen 231 


1* 


Sitzungsberichte 

der  mathematiscli-phj'sikalisclien  Klasse 

der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

1915. 


Sitzung  am  9.  Januar. 

1.  Herr  Alfred  Pringsheim  spricht: 

Über  eine  charakteristische  Eigenschaft  soge- 
nannter Treppenpolygone  und  deren  Anwen- 
dung auf  einen  Fundamentalsatz  der  Funk- 
tionentheorie. 

Ein  von  Weierstrass  herrührender  Hauptsatz  besagt,  daß 
ein  Funktionselenient,  das  sich  auf  jedem  innerhalb  eines  ein- 
fach zusammenhängenden  Bereiches  verlaufenden  Wege  ana- 
lytisch fortsetzen  läßt,  eine  eindeutige  monogene  Funktion 
regulären  Verhaltens  für  jenen  Bereich  definiert.  Der  Beweis 
bietet  keine  besondere  Schwierigkeit,  wenn  man  sich  auf  Bereiche 
einfacher  Art  beschränkt,  etwa  solche,  die  von  einer  einfach 
geschlossenen  konvexen  Kurve  begrenzt  sind.  Er  wird  jedoch 
reichlich  kompliziert  und  undurchsichtig,  wenn  man  beliebige 
einfach  zusammenhängende  Bereiche  in  Betracht  zieht,  ja  selbst 
dann,  wenn  man  diese  zunächst  durch  sogenannte  Treppen- 
polygone approximiert  und  dem  weiteren  Beweis  diese  spezielle 
Gattung  zu  Grunde  legt.  Die  in  Frage  stehende  charakteri- 
stische Eigenschaft  solcher  Treppenpolygone  besteht  nun  in  der 
vom  Verfasser  nachgewiesenen  Möglichkeit  einer  besonders  ge- 
arteten Zerschneidung,  welche  dem  Beweis  des  fraglichen  funk- 
tiontheoretischen Hauptsatzes  äußerste  Einfachheit  und  Über- 
sichtlichkeit verleiht.  (Erscheint  in  den  Sitzungsberichten.) 

Sitzungsb.  d.  math.-phys.  Kl.  Jahrg.1915.  ^ 


2* 


Sitzung  am  6.  März. 


2.  Herr  A.  Sommerfeld  legt  eine  Abhandlung  von  Prof. 
P.  Debye  in  Göttingen  vor: 

Die  Konstitution  des  AVasserstoff-Moleküls. 

Auf  Grund  des  BoHRSchen  Modelles  für  das  M'asserstoff- 
atom  wird  die  Dispersion  des  Wasserstoffgases  theoretisch  be- 
rechnet und  mit  den  hierfür  empirisch  gefundenen  Werten 
verglichen.  Der  Vergleich  ergibt  eine  volle  Bestätigung  der 
Quantenhypothese  einerseits,  des  hier  zu  Grunde  gelegten  Mo- 
delles andererseits.  (Erscheint  in  den  Sitzungsberichten.) 

3.  Herr  von  Dyck  legt  eine  kleine  Note  von  E.  Czuber, 
AVien  vor: 

Eine  geometrische  Aufgabe. 

Es  handelt  sich  um  die  Diskussion  der  Anzahl  der  Lösungen 
der  Aufgabe,  einem  Dreieck  alle  Dreiecke  einzubeschreiben,  die 
zu  einem  gegebenen  Dreieck  ähnlich  sind. 

O O 

(Erscheint  in  den  Sitzungsberichten.) 


Sitzung  am  6.  März. 

1.  Herr  Finsterwalder  legt  vor  eine  Abhandlung  von 

O O 

Max  Lagally  : 

Zur  Theorie  der  AA^irbelschichten. 

Im  Anschluß  an  die  von  Helmholtz  zur  Erklärung  unstetiger 
Flüssigkeitsbewegungen  eingeführten  AA'irbelschichten  werden 
die  einfachsten  stationären  Gebilde  dieser  Art  untersucht  und 
ihre  durch  eine  periodische  Störung  veranlaßte  Auflösung  in 
AA’^irbelreihen,  die  mit  den  von  v.  Karman  beschriebenen  der 
Gestalt  nach  übereinstimmen,  verfolgt.  Auf  ihre  Bildung  hat 
die  Flüssigkeitsreibung  keinen  wesentlichen  Einfluß;  es  zeigt 
sich  vielmehr  die  Möglichkeit  der  Entstehung  von  AA'^irbel- 
schichten  in  einer  reibungslosen  Flüssigkeit. 

(Erscheint  in  den  Sitzungsberichten.) 


Sitzung  am  6.  März. 


3* 


2.  Herr  Fix.stekwalder  spricht  über 

Eine  neue  Lösung  der  Grundaufgabe  der  Luft- 
pbotogeoraetrie. 

(Erscheint  in  den  Sitzungsberichten.) 

3.  Herr  Peingshei.ai  legt  für  die  Sitzungsberichte  vor  eine 
Abhandlung  des  Herrn  Mittag-Lefflek  in  Stockholm: 

Uber  die  analytische  Darstellung  eines  ein- 
deutigen Zweiges  einer  monogenen  Funktion. 

Die  vorliegende  Arbeit,  die  sich  in  der  Tendenz  einer 
ganzen  Reihe  gröberer  Abhandlungen  des  Verfassers  über  das 
gleiche  Thema  anschliebt,  liefert  eine  neue  und  zwar  überaus 
einfache  Methode  zur  Behandlung  des  frao-lichen  Problems. 
Um  für  die  analytische  Funktion  F{x),  welche  durch  das 
F unktionselement 

00 

— «)  = — ay 

0 

definiert  wird,  einen  über  den  Konvergenzkreis  von  “iß  (a;  — o) 
hinaus  brauchbaren  Ausdruck  zu  gewinnen,  wird  die  Substi- 
tution gemacht:  x — a = (x‘—a)-f(u).  wo  f(ti)  eine  für  \ u <\, 
unter  Umständen  auch  nur  für  \U  <1  reguläre  Funktion 
bedeutet,  die  überdies  den  Bedingungen  genügt:  /(O)  = 0, 
/’(l)  = 1.  Wird  sodann  — a)  ■ f{t())  nach  Potenzen  von  u 
geordnet  und  schließlich  tc  = 1 gesetzt,  so  geht  x'  in  x 
über  und  es  resultiert  eine  Entwickelung  von  'iß(a:  — a)  nach 
ganzen  rationalen  Funktionen  von  x,  deren  Konvergeuzbereich 
im  allgemeinen  über  denjenigen  der  Potenzreihe  %{x  — a) 
wesentlich  hinausragt.  Seine  Gestalt  hängt  teils  von  der 
Lage  der  singulären  Punkte  von  F{x)  ab,  teils  auch  von  der 
Gestalt  derjenigen  Kurve,  welche  durch  die  Abbildung  des 
Kreises  ii  =1  vermittelst  der  F unktion  iv  = f (u)  erzeugt 
wird.  Enthält  f{u)  noch  einen  Parameter  a,  so  kann  durch 
passende  Wahl  dieses  letzteren  erreicht  werden,  daß  der  zu 
f(it,  a)  gehörige  Konvergenzstern  jeden  Bereich  enthält,  der 


4* 


Sitzung  am  6.  März. 


ganz  innerhalb  des  zum  Punkte  a gehörigen  Hauptsterns  liegt. 
Es  lassen  sich  aut'  diesem  Wege  sogar  Entwickelungen  sehr 
einfacher  Art  angeben,  die  innerhalb  des  ganzen  Hauptsterns 
der  Funktion  F{x)  konvergieren,  ohne  daß  dieser  freilich  den 
wahren  Konvergenzbereich  der  betrefl'enden  Entwickelungen 
zu  bilden  braucht,  die  dann  also  eventuell  noch  außerhalb  des 
Hauptsterns  konvergieren  können,  ohne  daselbst  die  Funktion 
F{x)  darzustellen.  Es  zeigt  sich,  daß  dieser  Übelstand  auch 
nicht  vermieden  werden  kann , wenn  man  bei  der  Auswahl 
der  Funktionen  /'(w)  von  ganzen  rationalen  zu  ganzen  tran- 
szendenten Funktionen  übergeht. 

In  einem  Anhänge  wird  für  einen  mit  den  vorstehenden 
Untersuchungen  im  Zusammenhänge  stehenden  Satz  des  Herrn 
Marcel  lliesz  ein  von  Herrn  Hardy  herrührender  Beweis  mit- 
geteilt. 

4.  Herr  Prixg.shedi  legt  für  die  Sitzungsberichte  vor: 

Nachtrag  zu  der  Mitteilung  vom  9.  I.  15. 

1.  Der  in  dem  Handbuche  des  mathematischen  Unterrichts 
von  Killin g und  Hovestadt  bewiesene  Satz,  daß  jedes  Poly- 
gon „Diagonalen“  besitzt,  die  ganz  im  Innern  verlaufen  und 
sich  nicht  schneiden,  kann  dazu  dienen,  eine  Zerlegung  in 
Dreiecke  zu  ermöglichen,  die  für  solche  beliebige  Polygone 
dasselbe  leistet,  wie  für  Treppenpolygone  die  in  der  oben- 
genannten Mitteilung  abgeleitete  Zerlegung  in  Rechtecke. 

2.  Der  in  der  genannten  Mitteilung  bewiesene  Weierstraß- 

sche  Satz  besagt:  Wenn  das  Funktionselement  auf 

jedem  Wege  innerhalb  eines  einfach  zusammenhängenden  Be- 
reiches i>  fortgesetzt  werden  kann,  so  definiert  dasselbe  eine 
in  B eindeutige  analytische  Funktion.  Es  genügt  nicht, 
wenn  nur  feststeht,  daß  'I?(a:  — Xq)  sich  nach  jedem  Punkte 
von  B analytisch  fortsetzen  läßt.  Diese  aus  allgemeinen  Über- 
legungen leicht  abzuleitende  Tatsache  wird  durch  ein  besonders 
einfach  geartetes,  für  Lehrzwecke  geeignetes  Beispiel  belegt. 


Sitzung  am  1.  Mai. 


1.  Herr  S.  Fixsterwalder  legt  vor  eine  Abhandlung  von 
Heinrich  Liebmann: 

Die  Lie’sche  Geraden-Kugeltransformation  und 
ihre  Verallgemeinerung. 

Es  werden  die  einfachen,  der  projektiven  Geometrie  ent- 
nommenen Grundgedanken  aufgedeckt,  auf  welchen  diese  Trans- 
formation und  manche  bisher  wenig  beachtete  Verallgemeine- 
rungen derselben  aufgebaut  werden  können. 

O O 

(Erscheint  in  den  Sitzungsberichten.) 

2.  Herr  S.  Finsterwalder  spricht: 

Über  die  Ausgleichung  des  künftigen  bayeri- 
schen Hauptdreiecksnetzes. 

Das  Netz  soll  in  sieben  Felder  zerlegt  werden,  die  erst 
zwanglos  ausgeglichen  und  alsdann  unter  passender  Dreh- 
•streckung  eines  jeden  Teils  aneinandergefügt  werden,  wobei 
nicht  nur  dem  Anschluß  an  das  preußische  Netz  und  die  süd- 
bayerische Basis  Rechnung  getragen,  sondern  auch  ausreichen- 
der Aufschluß  über  die  Genauigkeit  von  Lage,  Orientierung 
und  Maßstab  der  einzelnen  Netzteile  gewonnen  werden  kann. 

(Erscheint  in  den  Sitzungsberichten.) 

3.  Herr  Füppl  legt  eine  für  die  Sitzungsberichte  bestimmte 
Abhandlung  vor: 

Uber  die  Lösung  der  Spannungsaufgabe  für  das 
Ausnahmefachwerk. 

Bisher  hat  man  sich  gewöhnlich  damit  begnügt,  die  durch 
eine  Belastung  von  allgemeiner  Art  in  den  Stäben  eines  Aus- 
nahmefachwerks hervorgerufenen  Spannungen  als  unendlich 
groß  zu  bezeichnen.  Durch  die  Gleichgewichtsbetrachtung  wird 

Sitzungsb.  d.  math.-pliys.  KI.  Jahrg.  1915.  ^ 


6* 


Sitzung  am  1.  Mai. 


man  nämlich  zu  diesem  Ergebnisse  geführt,  wenn  man  keine 
Rücksicht  auf  die  Gestaltänderung  nimmt,  die  das  Fachwerk 
unter  dem  Einflüsse  der  Belastung  erfährt.  Tatsächlich  erfährt 
aber  gerade  das  Ausnahmefachwerk  eine  verhältnismäßig  große 
Gestaltänderunn.  In  der  Abhandlung  wird  nun  ein  allgemein 
anwendbares  Verfahren  auseinandergesetzt,  nach  dem  man  die 
wirklich  auftretenden  Stabspannungen  unter  Berücksichtigung 
der  Gestaltänderung  der  Fachwerkflgur  berechnen  kann.  Es 
zeigt  sich  u.  a. , daß  die  Spannungen  proportional  mit  der 
zweidrittelten  Potenz  der  Lasten  anwachsen. 

4.  Herr  A.  Voss  spricht: 

Über  die  Transformation  linearer  Formen  und 
die  Lösung  linearer  Gleichungen. 

(Erscheint  in  den  Sitzungsberichten.) 

5.  Derselbe  legt  vor  eine  Abhandlung  für  die  Sitzungs- 
bei’ichte  von  Dr.  F.  Böhm: 

Über  das  Aquivalenzproblem  der  Rauinkurven. 

6.  Herr  A.  Pringsheim  legt  vor  eine  Abhandlung  von  Otto 
Sz.\sz : 

Über  eine  besondere  Klasse  unendlicher  Ketten- 
brüche mit  komplexen  Elementen. 

Der  Verfasser  gibt  zunächst  einen  neuen,  sehr  einfachen 

~ CI  ^ 

Beweis  des  schon  bekannten  Satzes,  daß  der  Kettenbruch  ^ 

00 

konvergiert,  wenn  die  Reihe  konvergiert  und  ihre  Summe 

Z 

nicht  größer  als  1 ist.  Daran  anknüpfend  liefert  er  eine  Ver- 
allgemeinerung des  obigen  Satzes  für  den  Fall  reeller,  nicht 
positiver  a^,  (Erscheint  in  den  Sitzungsberichten.) 


Sitzung  am  5.  Juni. 

1.  Herr  0.  Frank  legt 'eine  Abhandlung  vor  über; 

Anwendung  des  Prinzips  der  gedoppelten 
Schwingungen  auf  einige  Probleme  der  Phy- 
siologie. 

2.  Herr  A.  Rothpletz  legte  eine  Arbeit  vor: 

Über  die  systematische  Deutung  und  die  strati- 
graphische Stellung  der  ältesten  Versteine- 
rungen Europas  und  Nordamerikas,  I.  Teil, 

in  dem  zunächst  die  Versteinerungen  der  in  Nordamerika  weit 
verbreiteten  Beltformation  besprochen  Averden,  die  zur  Zeit  als 
präkambrisch  gilt  und  von  der  Walcott  eine  allerdings  recht 
ärmliche  versteinerte  Fauna  beschrieben  hat.  Eigene  Auf- 
saramlungen,  die  der  Verfasser  1913  in  diesen  Schichten  ge- 
macht hat,  und  die  in  dieser  Arbeit  eingehend  beschrieben  und  ■ 
abgebildet  werden,  haben  aber  ergeben,  daß  es  echte  kam- 
brische  Formen  sind.  Die  vermuteten  Vorläufer  der  karabrischen 
LebeAvelt  sind  somit  in  der  Beltformation , deren  Schichten 
eine  Mächtigkeit  von  über  5000  m haben,  bis  jetzt  noch  nicht 
gefunden  worden. 


8* 


Sitzung  am  3.  Juli. 

1.  Herr  Fbank  spricht  über: 

Anwendung  des  Prinzips  gekoppelter  Schwin- 
gungen auf  einige  Probleme  der  Physiologie. 

(Erscheint  in  den  Sitzungsberichten.) 

2.  Hei'r  Pki.n’gsheim  legt  für  die  Sitzungsberichte  vor  eine 
Abhandlung  von  E.  Landau: 

Über  Dirichlets  Teilerproblem. 

Es  bezeichne  t/c(x)  die  Anzahl  aller  Zerlegungen  der  Zahlen 
bis  X in  k Faktoren  (k  > 2).  Verfasser  verschärft  den  bekannten 
Satz,  dah  rt(ir)  — a; (6/, _ i log*“ “ ’ a: -j- • • • log a: -)- 
die  b konstant  sind,  für  jedes  £>0  höchstens  von  der  Ord- 
— + <,■ 

nung  x'‘+‘  ist,  dahin,  daß  diese  Differenz  .sogar  höchstens 

fc-i 

von  der  Ordnung  a:'‘+ ‘ log'‘~^ a;  ist.  Nur  für  k=2  ist  dies 
schon  bekannt;  aber  auch  hierfür  ist  der  neue  Beweis  we.sent- 
lich  kürzer  als  die  bisherigen. 

3.  Herr  von  Dyck  spricht  über  die  von  ihm  im  vergangenen 
Jahre  auf  der  Bibliothek  des  Britischen  Museums  in  London, 
auf  der  Nationalbibliothek  und  auf  der  Bibliothek  der  Stern- 
warte in  Paris  aufgefundenen  Briefe  Johannes  Keplers  an 
Edmund  Bruce  und  an  den  Leipziger  Mathematiker  Philipp 
Müller.  Die  Briefe  sollen  in  den  Abhandlungen  der  Akademie 
zur  Veröffentlichung  gelangen. 


9* 


Sitzung  am  6.  November. 

1.  Herr  M.  Schmiot  berichtet  über: 

Senkungserscheinungen  an  der  Frauenkirche  in 
München  und  Lageänderung  von  Hauptdrei- 
eckspunkten in  Südbayern. 

Die  zur  Untersuchung  von  Bodenbewegungen  im  östlichen 
Alpenvorland  durch  die  K.  B.  Erdmessungskommission  in  den 
letzten  Jahren  zur  Ausführung  gebrachten  Feinnivellements  sind 
in  jüngster  Zeit  bis  München  fortgeführt  und  hier  an  eine  An- 
zahl bereits  vor  etwa  45  .Jahren  nivellierte  Haupthöhenpunkte 
angeschlossen  worden,  deren  Höhenlage  auf  etwaige  seit  ihrer 
erstmaligen  Festlegung  eingetretene  Änderungen  zu  prüfen  war. 

Dabei  ergaben  sich  in  der  Tat  bei  den  am  Gebäude  der 
K.  Staatsschuldenverwaltung  am  Lenbachplatz  und  am  Xord- 
turm  der  Frauenkirche  angebrachten  beiden  Höhenmarken  Sen- 
kungen im  Betrag  von  10,7  mm  und  7,7  mm,  die  sich  durch 
Xachgeben  des  Untergrundes  dieser  am  Rande  alter  Stadt- 
gräben errichteten  Gebäude  erklären  und  auch  äußerlich  sicht- 
bare Risse  im  Mauerwerk  zur  Folge  gehabt  haben,  die  jedoch 
so  unbedeutend  sind,  daß  sie  nur  bei  näherer  Untersuchung 
bemerkbar  sind  und  den  Bestand  dieser  Bauwerke  in  keiner 
Weise  gefährden.  Da  indessen  die  Spitze  des  Xordturms  der 
Frauenkirche  als  Xormalpunkt  der  bayer.  Landesvermessung 
dient,  ist  ihre  unveränderte  Lage  von  größter  Bedeutung.  Es 
wurden  daher  sehr  eingehende  Beobachtungen  und  rechnerische 
L'ntersuchungen  über  eine  mit  der  festgestellten  Höhenände- 
rung etwa  verbundene  Lageänderung  der  Turmachse  ausgeführt, 
welche  wichtige  Ergebnisse  über  einseitige  Senkungen  der  bei- 
den Türme  und  der  Langwände  des  Kirchenschiffes  lieferten, 
die  offenbar  schon  während  der  Erbauung  der  Kirche  einge- 
treten sind  und  sich  in  späterer  Zeit  nicht  mehr  fortgesetzt 
haben.  Xur  die  geringe  Höhenänderung  der  am  Xordturm  an- 
gebrachten Höhenmarke  ist  erst  in  der  Xeuzeit  eingetreten 

Sitzungsb.  d.  math.-phys.  Kl.  Jahrg.  1915. 


C 


10* 


Sitzung-  am  0.  November. 


und  hat  eine  nachweisbare  Lageänderung  der  den  Xorinalpunkt 
der  bayer.  Landesvermessung  bildenden  Turmspitze  nicht  zur 
Folge  gehabt.  Die  rechnerisch  l'estgestellte  scheinbare  Lage- 
änderung einiger  anderer  Hauptdreieckspunkte  in  Südbayern 
finden  ihre  ebenso  einfache  als  natürliche  Erklärung  in  den 
Ungenauigkeiten  der  Lagebestimmung  der  erst  mehrere  Jahr- 
zehnte nach  Beendigung  der  Landesvermessung  zur  dauernden 
Festlegung  dieser  Punkte  gesetzten  Versicherungssteine. 

(Erscheint  in  den  Sitzungsberichten.) 

2.  Herr  A.  Bothpletz  legte  für  die  Abhandlungen  eine 
Arbeit  von  Professor  E.  Stkomeu  vox  Kek  hexi!.\ch  vor  als  Fort- 
setzung von  de.ssen 

O 

„Ergebnisse  der  Forschungsreisen  in  den  Wüsten 
Aegyptens“. 

Ein  vom  Verfasser  in  der  mittleren  Kreideformation  der 
Baharije-Oase  in  der  libyschen  Wüste  entdeckter  Fundort  hat 
die  Überreste  eines  großen  Baubtieres  aus  der  Gruppe  der 
Dinosaurier  geliefert,  das  nach  Art  und  Gattung  ganz  neu  ist 
und  als  Vertreter  einer  neuen  Beptilienfamilie  der  Spinosau- 
riden  von  dem  Verfasser  eingehend  beschrieben  wird  unter  dem 
Namen  Spinosaurus  Aegyptiacus.  Der  Unterkiefer  mit  auf- 
fallend einfachen  spitzigen  Zähnen  hatte  eine  Länge  von  1,12  m; 
das  auffälligste  Merkmal  aber  sind  die  bis  über  1,6  m hohen 
Dornfortsätze  der  bis  20  cm  langen  Kückenwirbel,  die  wahr- 
scheinlich einen  gewaltigen  Hautkamm  auf  dem  Bücken  des 
Tieres  stützten,  wie  das  in  ähnlicher  Weise  heute  bei  dem 
Kameruner  Chamelio  cristatus  vorkommt. 

3.  Herr  S.  Güxthek  legte  eine  Abhandlung  von  Professor 
Dr.  A.  Exdrüs  in  Freising  vor; 

Die  Gezeiten,  Seiches  und  Strömungen  bei  Ari- 
stoteles und  späteren  Griechen. 

Anknüpfend  an  alte,  unsichere  Angaben  über  die  Ansichten 
des  Stagiriten  bezüglich  der  Meeresbewegungen  untersucht  der 

O O ” O 


Sitzung  am  6.  November  und  am  4.  Dezember. 


Verfasser  sämtliche  Stellen  genau  und  weist  nach,  dah  ersterer 
schon  auffallend  richtig  über  die  stehenden  Schwingungen  in 
Meerengen  geurteilt  und  sogar  schon  dafür  ein  treffendes  Kunst- 
wort geprägt  hatte.  Spätere  Schriftsteller  haben  ihr  Original 
vielfach  nicht  richtig  verstanden. 

(Erscheint  in  den  Sitzungsberichten.) 

4.  Herr  Alkkei»  Prinusheim  spricht : 

Über  die  AVeierstrah’sche  Prod  uktd  arstellung 
ganzer  transzendenter  Funktionen  und  über 
bedingt  konvergente  unendliche  Produkte. 

Der  Verfasser  gibt  einen  elementaren,  die  bisherigen  Be- 
weise an  Einfachheit  wesentlich  übertreffenden  Beweis  für  den 
Weierstrah’schen  Satz  über  die  Darstellung  einer  ganzen  trans- 
zendenten Funktion  mit  unendlich  vielen  vorgeschriebenen  Null- 
stellen durch  ein  beständig  und  unbedingt  konvergierendes 
unendliches  Produkt.  Daran  anknüpfend  zeigt  er,  wie  die 
Weierstrah’sche  Methode,  ein  an  sich  divergentes  Produkt 
durch  Zusatzfaktoren  unbedingt  konvergent  zu  machen,  auch 
dazu  dienen  kann,  ein  Kriterium  für  bedingte  Konvergenz 
unendlicher  Produkte  abzuleiten  und  die  etwaige  Wertverände- 
rung, die  durch  Umordnung  der  Faktoren  erzeugt  wird,  zu 
bestimmen.  (Erscheint  in  den  Sitzungsberichten.) 


Sitzung  am  4.  Dezember. 

1.  Herr  0.  Frank  legt  eine  Abhandlung  vor  von  Professor 
H.  Fischer: 

Über  die  Einwirkung  von  B r oln  auf  einige 
Pyrrolderivate. 

(Erscheint  in  den  Sitzungsberichten.) 


12* 


ifitzung  am  4.  Dezember. 


2.  Herr  Prixgsheim  legt  vor  eine  Abhandlung  von  G.  Mittag- 
Lekfeek : 

Über  einen  Satz  des  Herrn  Serge  Bernstein. 

Der  Verfasser  gibt  einen  neuen,  sehr  einfachen  Beweis 
des  von  S.  Bernstein  stammenden  Satzes; 

„Die  notwendige  und  hinreichende  Bedingung  dafür,  daß 
eine  Funktion  F (z)  der  reellen  Veränderlichen  z auf  einer 
Strecke  A J?  analytisch  ist,  besteht  darin,  daß  die  Funktion  in 
eine  Reihe  von  Polynomen  entwickelbar  ist : 

= P,  (.-)+• 

worin  Fn{s)  ein  Polynom  bedeutet,  das  höchstens  vom  Grade  n 
ist  und  auf  der  Strecke  AB  der  Ungleichung 

(o-') 

genügt.“ 

Der  erste  Teil  dieses  Satzes,  die  Notwendigkeit  der  Be- 
dingung, ergibt  sich  unmittelbar  aus  den  elementaren  Betrach- 
tungen, die  den  Verfasser  in  seiner  vorhergehenden  Arbeit  in 
den  Sitzungsberichten  (6.  März  1915)  zu  seinen  Polynoment- 
wicklungen analytischer  Funktionen  geführt  haben.  Der  Be- 
weis des  zweiten  Teils  gelingt  mit  Hilfe  der  konformen  Ab- 
bildung ij)  Z ^ 1-  (Erscheint  in  den  Sitzungsberichten.) 

3.  Herr  A.  S"M.merfeld  berichtet  über  eine 

Untersuchung  zur  Theorie  der  Balmer’schen 
Wasserstoffserie, 

welche  an  Biihr’s  Theorie  der  Spektrallinien  anknüpft  und  aus 
den  elliptischen  Bahnen  des  Wasserstoff-Elektrons  Schlüsse  auf 
die  Deutung  des  StarkeflFektes  und  auf  die  Sonderstellung  des 
Wasserstoffs  in  der  Spektroskojiie  zieht. 

(Erscheint  in  den  Sitzungsberichten.) 


13* 


Verzeichnis  der  im  Jahre  1915  eingelaufenen  Druckschriften. 


Die  Gesellscbaften  und  Institute,  mit  welchen  unsere  Akademie  in  Tauschverkebr  steht, 
werden  gebeten,  nachstehendes  Verzeichnis  als  Empfangsbestätigung  zu  betrachten. 


Aachen.  Geschichtsverein: 

— — Zeitschrift,  Bd.  36  und  Registerband. 

— Technische  Hochschule: 

Gast,  Kaisergeburtstagsrede  1915. 

Agram.  Südslavische  Akademie  der  Wissenschaften; 

Codex  diplomat.  regni  Croatiae,  Dalmatiae  et  Slavoniae,  vol.  12. 

— — Grada,  Kniga  8. 

— — Ljetopis  28,  29. 

— — Rad,  Kniga  201—208. 

Zbornik,  Kniga  XVIII;  XIX,  1,  2;  XX,  1. 

— — Rjecnik  33. 

— — Monumenta  histor.  jurid.,  vol.  10. 

— — Monumenta  spectantia  historiam  Slavorum,  vol.  35  —37. 

— — Opera  Acad.  scient  et  artium  Slav.  nierid.,  vol.  25. 

— — Prinosi,  vol.  4. 

— — Izvjeica  Svez.  2 — 4. 

Pirodoslovna  istrazivanja  Svez.  2 — 7. 

— K.  Kroat.-slavon. -dalmatinisches  Landesarchiv; 

— — Vjestnik,  Bd.  16,  17,  Heft  1,  2. 

— Kroat.  Archäologische  Gesellschaft: 

— — Vjestnik,  Bd.  XIII,  1913  und  1914. 

— Kroat.  Naturwissenschaftliche  Gesellschaft; 

— — Glasnik,  Bd.  26,  No.  4;  Bd.  27,  No.  1,  2. 

Alabama.  Geological  Survey: 

— — Bulletin  15. 

Allegheny.  Observatory: 

— — Publications,  vol.  III,  No.  17,  18. 

Sitzungsh.  d.  m.ath.-phys.  Kl.  Jahrg.  1915.  d 


14* 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


Altenbnrg.  Geschichts-  und  altertumsforschender  Verein  des 
Osterlande.s: 

— — Mitteilungen,  Dd.  12,  lieft  4. 

Amsterdam.  K.  Academie  van  Wetenschappen: 

— — Verhandelingen,  afd.  Natuurkunde,  II.  sectie,  deel  XVII I,  4,  5. 

— — Verslagen  en  vergaderingen,  deel  23,  No.  1,  2. 

— — Verhandelingen,  afd.  Letterkunde,  Nieuwe  Reeks,  deel  XIV, 

No.  6;  deel  XV;  deel  XVI,  No.  1,  2. 

Verslagen  en  mededeelingen,  5.  Reeks,  deel  1. 

Jaarboek  1914. 

— — Prijsvers  1915. 

— K.  N.  aardrijkskundig  Genootschap: 

— — Tijdschrift,  deel  32,  No.  1—7. 

— Wiskundig  Genootschap  (Societe  de  inathemat.): 

— — Oeuvres  de  Stieltjes  t.  1914. 

— Zoologisch  Genootschap: 

— — Bijdragen,  tom.  20,  1. 

Ann  Arbor.  Detroit  Observatory: 

Publications,  vol.  1,  p.  73—206. 

Ansbach.  Historischer  Verein  für  Mittelfranken: 

— — Jahresbericht  60,  1915. 

Aschaffenburg.  K.  Humanistisches  Gymnasium: 

— — Jahresbericht  1914/15  und  Programm  von  Ketterer. 

Athen.  Archäologische  Gesellschaft: 

— — Oikonomos  G.,  ’E:iiyoa(pal  rijg  Maxeöovia;,  Bd.  1. 

— Wissenschaftliche  Gesellschaft: 

— — Athena,  tom.  26,  Heft  3,  4;  tom.  27,  Heft  1,  2. 

Augsburg.  Historischer  Verein: 

— — Zeitschrift,  41.  Jahrg.,  1915  und  Register. 

Baltimore.  Peabody  Institute: 

— — 48*'''  Annual  Report,  1915. 

— Johns  Hopkins  University: 

— — Circulars  1913,  No.  10;  1914,  No.  1,  3—6. 

— — American  Journal  of  Mathematics,  vol.  36,  No.  2,  3. 

— — American  Journal  of  Philology,  No.  137,  138. 

Bulletin  of  the  Johns  Hopkins  Hospital,  No.  286 — 298. 

Studies  in  historical  and  political  Science,  vol.  32,  No.  2. 

Bamberg.  Naturforschende  Gesellschaft: 

— — Bericht  21/23. 

— K.  Altes  Gymnasium: 

— — Jahresbericht  1914/15. 


Verzeichnis  der  eingelaufeiien  Druckschriften. 


15* 


Bamberg.  K.  Neues  Gymnasium: 

Jaliresbericht  1914/15  mit  Programm,  die  ersten  25  .Fahre  des 

Gymnasiums. 

— K.  Lehrerbildungsanstalt: 

— — 41.  Jahresbericht,  1914/15. 

— K.  Lyzeum: 

— — Jahresbericht  1914/15. 

— Historischer  Verein: 

— — Jahresbericht  72,  1914/15. 

Barcelona.  R.  AcademiadeCienciasyArtes: 

Memorias,  vol.  11,  No.  12 — 23. 

Nomina  del  personal  1914/15. 

— Institut  d’Estudis  Catalans: 

— — Cartell  de  premis  1915. 

— — Les  Monedes  Catalans,  vol.  3,  1913. 

— — L’arquitectura  Romanica,  vol.  2,  1912. 

— — Bulleti  de  la  Biblioteca  de  Catalanya,  Any  I,  No.  3. 

— Institucio  Catalana  d’Historia  Natural: 

— — Bulleti,  II  epoca,  Itag  11,  No.  4 — 9. 

Basel.  Historisch-antiquarische  Gesellschaft: 

— — Basler  Zeitschrift  für  Geschichte  und  Altertumskunde,  Bd.  XIV, 

Heft  2. 

— Basler  Chroniken,  Bd.  7,  1915. 

— Naturforschende  Gesellschaft: 

— — Verhandlungen,  Bd.  25,  26. 

— Universität: 

— — Schriften  der  Universität  aus  dem  Jahre  1914  und  1915  in  4® 

und  8®. 

— — Jahresverzeichnis  der  Schweizer  Universitätsschriften  1913/14. 
Batavia.  Bataviaasch  Genootschap  van  Künsten  en  Weten- 

schappen: 

— — Yerhandelingen,  deel  61,  afl.  3/4. 

— — Serat-Tjentini,  deel  3—8. 

— R.  Magnetical  and  Meteorological  Observatory: 

Seismological  Bulletin  1914,  No.  9 — 12;  1915,  No.  1 — 6. 

— — Observations,  made  at  secondary  stations,  vol.  34,  1911;  vol.  11. 
Bayreuth.  K.  Humanistisches  Gymnasium: 

Jahresbericht  1914/15. 

— Historischer  Verein: 

— — Archiv  für  Geschichte  und  Altertumskunde  von  Oberfranken, 

Bd.  26,  Heft  1. 

Bergen  (Norwegen).  Museum: 

Aarsberetning  for  1914/15. 

d* 


16* 


Verzeichnis  der  eingelaufenCn  Diuckschrifteu. 


Bergen  (Norwegen).  Museum: 

Äarbog  1914/15,  Heft  2,  3;  1915/lG,  Heft  1. 

— — Sars  G.  0.,  Crustacea,  vol.  VI,  7 — 10. 

Bergzabern.  K.  Progymnasiuiu: 

— — Jahresbericht  1914/15. 

Berlin.  K.  Preuß.  Akademie  der  Wissenschaften: 

— — Rede  auf  Koser. 


— — Abhandlungen 


/ Philos.-histor.  Klasse,  1915,  1 — 6. 


\ Physikal.-math.  Klasse,  1915,  1 — 5. 

— — Sitzungsberichte  1914,  Nr.  35 — 47;  1915,  Nr.  1 — 40. 

— — Inscriptiones  Graecae,  vol.  XII,  fase.  9. 

— — Corpus  medicorum  Graecorum  V,  9,  2. 

— Allgemeine  Elektrizitäts-Gesellschaft: 

— — Geschäftsberichte  1914/15. 

— Archiv  der  Mathematik  und  Physik: 

— — Archiv,  Bd.  23,  Nr.  4;  Bd.  24,  Nr.  1 — 3. 

— K.  Bibliothek: 

— — Jahresbericht  1913/14;  1914/15. 

— Deutsche  Chemische  Gesellschaft: 

— — Berichte,  47.  Jahrg.,  Nr.  19;  48.  Jahrg.,  Nr.  1 — 17; 

Nr.  1. 


49.  Jahrg., 


— Deutsche  Geologische  Gesellschaft: 

— — Abhandlungen,  Bd.  66,  Heft  4;  Bd.  67,  Heft  1,  2. 

— — Monatsberichte  1914,  Nr.  8 — 12;  1915,  Nr.  1—7. 

— Medizinische  Gesellschaft: 

— — Verhandlungen,  Bd.  45,  1915. 

— Deutsche  Physikalische  Gesellschaft: 

— — Die  Fortschritte  der  Physik,  69.  Jahrg.,  1913,  1 — 3. 

— — Verhandlungen,  Jahrg.  16,  Nr.  24;  Jahrg.  17,  Nr.  1—21,  23,  24. 

— K.  Technische  Hochschule: 

— — Personalverzeichnis  S.-S.  1915. 

— — Bericht  des  Rektors  für  das  Jahr  1914/15. 

— — Programm  1915/16. 

— — Festrede  1915  zu  Kaisers  Geburtstag. 

— Redaktion  des  , Jahrbuch  über  die  Fortschritte  der  Mathe- 

matik“: 

— — Jahrbuch,  Bd,  43,  Heft  2,  3. 

— Kais.  Deutsches  Archäologisches  Institut  (röm.  Abteilung 

s.  unter  Rom): 

Jahrbuch,  Bd.  29,  Heft  4;  Bd.  30,  Heft  1 — 3 mit  Bibliographie 

1913  und  1914. 

— K.  Meteorologisches  Institut: 

— — Veröffentlichungen,  Nr.  280—282,  284 — 287. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


17* 


Berlin.  Preuß.  Geologische  Landesanstalt: 

Abhandlungen,  N.  F.,  Heft  62,  63. 

— — Jahrbuch,  Bd.  33,  I,  3;  Bd.  34,  1,  3;  II,  1,  2;  Bd.  35,  I,  1. 

— Lehranstalt  für  die  Wissenschaft  des  Judentums; 

— — 33.  Bericht. 

— — Schriften  Bd.  3,  Heft  1 — 3;  Bd.  4,  Heft  1,  2. 

— K.  Sternwarte: 

— — Veröffentlichungen,  Bd.  1,  Heft  2 — 4. 

— Verein  zur  Beförderung  des  Gartenbaues  in  den  preuß- 

Staaten: 

— — Gartenflora,  Jahrg.  1915,  Nr.  1—24. 

— Verein  für  Geschichte  der  Mark  Brandenburg: 

— — Forschungen  zur  brandenburgischen  und  preußischen  Geschichte, 

Bd.  27,  2.  Hälfte;  Bd.  28,  1.  Hälfte. 

— Verein  für  die  Geschichte  Berlins: 

— — Mitteilungen  1915,  Nr.  1—5,  7 — 12. 

— Verlag  Wachsmuth: 

— — Monatshefte  für  Baukunst,  1.  Jahrg.,  Heft  1 — 12. 

— Zeitschrift  für  Instrumentenkunde; 

Zeitschrift,  35.  Jahrg.,  Nr.  1,  2,  4 — 12. 

— Zentralstelle  für  Balneologie: 

Veröffentlichungen,  Bd.  II,  Heft  10—12. 

Bern.  Schweizerische  Naturforschende  Gesellschaft: 

— — Actes  de  la  Session  1914,  tom.  1,  2. 

— Allg.  Geschichtsforschende  Gesellschaft  der  Schweiz: 
Quellen  zur  Schweizer  Geschichte,  N.  F.,  Bd.  4,  I,  3. 

— — Jahrbuch,  Bd.  40. 

— Historischer  Verein  des  Kantons  Bern: 

Archiv,  Bd.  22,  3. 

Beuron.  Bibliothek  der  Erzabtei: 

— — Standesdokumente  der  Familie  Sales. 

Bielefeld.  Naturwissenschaftlicher  Verein: 

— — Bericht  über  die  Jahre  1911  — 1913. 

Bologna.  R.  Accademia  delle  Scienze  dell’  Istituto: 

— — Classe  di  scienze  morali : a)  Sezione  di  scienze  storico-filologiche, 

Memorie,  ser.  I,  tom.  8,  1913/14;  b)  Sezione  di  scienze  giuridiche, 
Memorie,  ser.  I,  vol.  8,  1913/14. 

— — Rendiconto,  Classe  di  scienze  morali,  vol.  7,  1913/14. 

Boston.  American  Academy  of  Arts  and  Sciences: 

— — Proceedings,  vol.  50,  No.  1—3. 

— Museum  of  Fine  Arts; 

— — Bulletin,  No.  73—79. 

— — Annual  Report  39,  1914. 


18* 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


Bourg.  Societe  d’emulation: 

— — Annales  46,  1913,  Juli— Sept. 

Brasso.  Historische  Kommission: 

— — Quellen  zur  Geschichte  der  Stadt  Brasso,  Bd.  6,  1915. 

Bremen.  Meteorologisches  Observatorium: 

— — Jahrbuch,  25.  Jahrg.,  1914. 

— Naturwissenschaftlicher  Verein; 

— — Abhandlungen,  Bd.  23,  Heft  2. 

Breslau.  Technische  Hochschule: 

Personalverzeichnis,  S.-S.  1915;  \V.-S.  1915/16. 

Programm  1915/16:  Rede  v.  Müller,  Deutsche  Technik. 

Bromberg.  Stadtbibliothek: 

— — Jahresbericht  1913  u.  1913/14  der  deutschen  Gesellschaft  f.  Kunst. 

— — Mitteilungen  der  Stadtbibliothek,  Jahrg.  6,  Nr.  1 — 12;  Jahrg.  7, 

Nr.  1 — 4. 

— Kaiser  Wilhelms-Institut  für  Landwirtschaft: 

Mitteilungen,  Heft  5. 

Brümi.  Verein  für  die  Geschichte  Mährens  und  Schlesiens: 

— — Zeitschrift,  19.  Jahrg.,  Heft  1 — 4. 

Budapest.  Ungarische  Ethnographische  Gesellschaft: 

— — Ethnographia,  Jahrg.  25,  Heft  5,  6;  Jahrg.  26,  Heft  1 — 3. 

— K.  Ungarische  Geographische  Gesellschaft: 

— — Mitteilungen,  Bd.  39,  Heft  7 — 10. 

— Ungarische  volkswirtschaftliche  Gesellschaft: 

— — Közgazdasägi  Szemle,  Bd.  52,  Heft  5,  6;  Bd.  53,  Heft  1,  2,  4-6; 

Bd.  54,  Heft  1,  3—6. 

— Ungarisches  Nationalmuseum: 

— — Ertesitöje,  XV.  Jahrg.,  3,  4. 

— K.  Ungarische  Ornithologische  Zentrale; 

Aquila  21,  1914. 

Buenos  Aires.  Sociedad  cientifica; 

Anales,  tom.  76,  No.  4,  5;  tom.  77,  No.  1 — 4. 

Buitenzorg  (Java).  Departement  van  landbouw: 

Mededeelingen  van  het  agricultur  - chemisch  laboratorium, 

No.  9-12. 

— — Mededeelingen  van  het  laborat.  for  agrogeologie,  No.  1. 

— — Mededeelingen  van  de  afdeeling  voor  plantenziekten,  No.  13 — 17. 

— — Mededeelingen  voor  thee,  No.  32  — 34,  36. 

— — Mededeelingen  uit  den  kulturtuin,  No.  2,  3. 

— — Bulletin  du  jardin  botanique,  11.  ser.,  No.  17,  18. 

Bukarest.  Academia  Romäna: 

Bulletin  de  la  section  historique,  annee  1,  No.  1-4;  annee  2, 

No.  1—4;  annöe  3,  No.  1. 


Veraeichnis  der  eingelaufeiieii  Druckschriften. 


19=*= 


Bukarest.  Academia  Romäna: 

— — Bulletin  de  la  section  scientifique  de  l’Academie  Rouinaine  1913/14, 

No.  4— 10;  1914/15,  No.  1-7,  9,  10;  1915/16,  No.  1-6. 

— — Catalogul  nianuscriptelor  Romänesti  de  Bianu,  tom.  11,  fase.  3,  4. 

— — Bianu,  Bibliografia  Romäneasca,  toin.  2,  fase.  6;  tom.  3,  fase.  1,  2. 

— Societe  des  Sciences: 

— — Bulletin,  anul  23,  No.  3—6;  anul  24,  No.  1 — 4. 

Burghausen.  K.  Humanistisches  Gymnasium: 

— — Jahresbericht  1914/15. 

Cambridge  (Mass.).  Tufts  College  (Mass.): 

— — Studies,  vol.  1,  No.  1,  2. 

— Astronomical  Observatory  of  Harvard  üniversity: 

— — Contents  of  Annals,  69,  2;  73,  1. 

— — Circular,  No.  185—188. 

— — Bulletin,  No.  549—555. 

— — Report  of  the  Committee  to  visit  No.  72. 

Catania.  Societä  degli  spettroscopisti: 

Memorie,  ser.  II,  vol.  3,  disp.  11,  12;  vol.  4,  disp.  1—4. 

Charlottenburg.  Physikalisch-technische  Reichsanstalt: 

— — Die  Tätigkeit  der  physikal.-techn.  Reichsanstalt  im  Jahre  1911. 
Chicago.  The  Open  Court: 

The  Open  Court,  vol.  XXIX,  No.  708—714  (Mai— Nov.). 

— — The  Monist,  vol.  XXV,  No.  3,  4. 

— Oberlin  College  Library  (Ornitholog.  Club): 

— — The  Wilson  Bulletin,  vol.  26,  No.  89—91. 

— John  Crerar  Library: 

— — 20*^  Report  for  the  year  1914. 

— Field  Museum  of  Natural  History: 

— — Publications,  No.  183. 

— Üniversity  Library: 

— — The  astrophysical  Journal,  vol.  40,  No.  2—5;  vol.  41,  No.  1 — 5; 

vol.  42,  No.  1 — 5. 

Christiania.  Videnskabs  Selskabet: 

— — Forhandlinger,  Aar  1914. 

Skrifter  1914,  I,  1,  2;  II. 

— Universitäts-Bibliothek: 

— — Jahrbuch  des  norwegischen  meteorologischen  Instituts  1911,  1912, 

1913,  1914. 

— — Hopstock,  Anatomisches  Institut  Christiania  1915. 

— — Aarsberetning  1910/11  — 1913/14. 

— — Universitäts  og  Skole  Annaler  26—29  (1911—1914). 


20* 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


Chur.  Historisch-antiquarische  Gesellschaft  für  Graubiinden; 
44.  Jahresbericht,  1914. 

— Naturforschende  Gesellschaft: 

— — 55.  Jahresbericht,  1913/14. 

Cincinnati.  Lloyd  Library: 

— — Bibliographical  contributions,  N.  S.,  No.  15. 

— Society  of  Natural  History: 

— — Journal,  vol.  21,  No.  4. 

— University: 

— — University  Studies,  vol.  10,  No.  1. 

— — Record,  vol.  11,  No.  1. 

Claremont.  Pomona  College: 

— — Journal  of  entomology,  vol.  6,  No.  4;  vol.  7,  No.  1—3. 

Cleveland.  Archaeological  Institute  of  America: 

American  Journal  of  Archaeology,  vol.  18,  No.  4;  vol.  19,  No.  1 — 3. 

Como.  Societa  storica: 

Periodico,  No.  84. 

Danzig.  Westpreußischer  Geschichtsverein; 

— — Mitteilungen,  Jahrg.  14,  Nr.  1—4. 

— Naturforschende  Gesellschaft: 

— — Schriften,  Bd.  XIV,  Heft  1. 

— Westpreußischer  Botanisch-zoologischer  Verein: 

— — Bericht  37. 

Dannstadt.  Firma  E.  Merck: 

— — Jahresbericht.  38.  Jahrg.,  1914. 

Davos.  Meteorologische  Station: 

Wetterkarten  1914,  Nr.  12;  1915,  Nr.  1 — 11. 

Dessau.  Verein  für  Anhaitische  Geschichte: 

— — Mitteilungen,  N.  F.,  Heft  2. 

Dillingen.  Historischer  Verein: 

Archiv  für  die  Geschichte  des  Hochstifts  Augsburg,  Bd.  3,  Ab- 
teilung II,  Lief.  1 u.  2;  Bd.  4,  Lief.  5 u.  6. 

Disko.  Danske  arktiske  Station: 

No.  7-9. 

Dresden.  K.  Sächsischer  Altertumsverein: 

— — Jahresbericht  1913  u.  1914. 

— K.  Sächsische  Landes-Wetterwarte: 

— — Deutsches  meteorologisches  Jahrbuch  für  1910,  2.  Hälfte. 

Dekaden-Monatsberichte  1913,  Jahrg.  16. 

— Redaktion  des  Journals  für  praktische  Chemie: 

— Journal  1915,  Nr.  1 — 24. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


21* 


Dresden.  Verein  für  Erdkunde; 

— — Mitteilungen,  Bd.  II,  Heft  10. 

— Verein  für  die  Geschichte  Dresdens; 

— — Dresdener  Geschichtsblätter,  Bd.  23,  1,  2. 

— — Mitteilungen,  Heft  24,  1913. 

— — Bruck,  Sophienkirche  1912;  Bruck,  Dresdens  alte  Rathäuser  1910. 
Drontheim.  Norske  Videnskabens-Selskab; 

— — Skrifter  1913. 

Dürkheim.  Progymnasium: 

— — Jahresbericht  1913/14  und  1914/15. 

Eisenach.  Karl  Friedrich-Gymnasium; 

— — Jahresbericht  für  1914/15. 

Eisenberg.  Geschichts-  und  altertumsforschender  Verein: 

Mitteilungen,  Heft  31. 

Emden.  Gesellschaft  für  bildende  Kunst  und  vaterländische 
Altertümer: 

— — Upstalsboom-Blätter,  Jahrg.  4,  No.  1-6. 

Erfurt.  K.  Akademie  gemeinnütziger  Wissenschaften: 

— — Jahrbücher,  N.  F.,  Heft  40,  41. 

Erlangen.  K.  Universitätsbibliothek: 

, — — Schriften  aus  den  Jahren  1913/14  in  4®  und  8®. 

Florenz.  Reale  Accademia  dei  Georgofili: 

— — Atti,  ser.  V,  vol.  11,  disp.  3,  4;  vol.  12,  disp.  1. 

— Biblioteca  Nazionale  Centrale: 

— — Bollettino  delle  Pubblicazioni  Italiane  1915,  anno  49,  No.  1 — 5. 
Frankfurt  a.  M.  Senckenbergische  Natur  forschen  de  Gesell- 
schaft: 

— — Abhandlungen,  Bd.  36,  1. 

45.  Bei'icht,  Heft  1—  3 und  Sonderheft. 

— Römisch-germanische  Kommission  des  Kaiserl.  Deutschen 

Archäologischen  Instituts: 

— — 7.  Bericht  über  die  Fortschritte  der  römisch-germanischen  For- 

schung 1912. 

Frauenfeld  (Schweiz).  Thurgauische  Naturforsch.  Gesellschaft: 

— — Mitteilungen,  Heft  21. 

Freiburg  i.  Br,  Breisgau-Verein  „Schau  ins  Land“: 

„Schau  ins  Land“,  41.  Jahrlauf,  2.  Hälfte. 

— Naturforschende  Gesellschaft: 

— — Berichte,  Bd.  21,  Heft  1. 

— Universität: 

— — Schriften  aus  den  Jahren  1913/14  u.  1914/15, 


22* 


Verzeichnis  der  eiiigelaufenen  Druckschriften. 


Freiburg  i.  Br.  Kirchengeschichtlicher  Verein: 

Diözesanarchiv,  Bd.  43. 

Freising.  K.  Lyzeum; 

Jahresbericht  1914/15. 

Friedrichshafen.  Verein  zur  Geschichte  des  Bodensees; 

— — Schriften,  Heft  43,  1914  und  44,  1915. 

Fürth.  K.  Humanistisches  Gymnasium: 

— — Jahresbericht  1914/15  mit  Programm  von  Helmreich. 

Geestemünde.  Männer  vom  Morgenstern: 

— — Jahresbericht  16,  1913/14. 

Geneva.  U.  St.  Agricultural  Experimental  Station: 

Bulletin,  No.  380—385. 

Genf.  Redaktion  des  „Journal  de  chimie  physique“: 

— — Journal,  tom.  XII,  No.  5;  tom.  XIII,  No.  1 — 4. 

— Observatoire: 

— — Resume  meteorologique  de  l’annee  1912  et  1913. 

— — Observations  des  fortifications  de  St.  Maurice  1912  et  1913. 

— Societe  d’histoire  et  d’arcbeologie: 

Bulletin,  tom.  4,  livr.  1. 

— Societe  de  physique  et  d’histoire  naturelle: 

— — Compte  lendu  des  seances  31,  1914. 

Giessen.  Oberhessischer  Geschichtsverein: 

— — Mitteilungen,  N.  F.,  Bd.  22. 

— Universität: 

— — Schriften  aus  dem  Jahre  1912/13,  1913/14,  1914/15  in  4®  und  8®. 
Görlitz.  Oberlausitzische  Gesellschaft  der  Wissenschaften; 

— — Codex  diplomaticus  Lusatiae  superioris,  Bd.  IV,  Heft  2. 

Neues  Lausitzisches  Magazin,  Bd.  90  und  91. 

Göttingen.  K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften: 

— — Göttingische  Gelehrte  Anzeigen  1914,  No.  11,  12;  1915,  No.  1 — 12. 

— — Nachrichten,  a)  Philol.-hist.  Klasse  1914,  Heft  2 und  Beiheft;  1915, 

Heft  1,  2;  b)  Mathem.-phys.  Klasse  1914,  Heft  4;  1915,  Heft  1; 
c)  Geschäftliche  Mitteilungen  1914,  Heft  3;  1915,  Heft  1. 

— Universitätsbibliothek: 

— — Vorlesungsverzeichnis  1915. 

— — Verzeichnis  der  Studierenden,  S.-S.  1915. 

— — Schriften  1914/15. 

Graz.  Universität: 

— — Verzeichnis  der  Vorlesungen  im  S.-S.  1915,  W.-S.  1915/16. 

— — Verzeichnis  der  akademischen  Behörden  etc.,  1914/15  und  1915/16. 

— Naturwissenschaftlicher  Verein  für  Steiermark; 

— — Mitteilungen,  Bd.  51,  Heft  1,  2. 


Verzeichnis  der  eiugelaufenen  Druckschriften. 


23* 


Greifswald.  Rügisch-Pommerscher  G eschichts verein: 

— — Pommersche  Jahrbücher,  Bd.  IG. 

Gnmma.  Fürsten-  und  Landesschule: 

— — Jahresbericht  1914/15,  4®. 

Groningen.  Niederländ.  botanische  Gesellschaft: 

Recueil  des  travaux  botaniques  Neerlandais,  vol.  XI,  1—4. 

— — Nederlandsch  kruidkundig  archief  1913. 

— Astronomisches  Laboratorium: 

— — Publications  No.  25. 

Grünstadt.  K.  Progymnasium: 

Jahresbericht  1914/15. 

Gunzenhausen.  K.  Realschule: 

— — Jahresbericht  22,  1914/15. 

Haag.  Gesellschaft  zurVerteidigung  der  christlichen  Religion: 
Programm  für  das  Jahr  1915. 

— — K.  Instituut  voor  de  Taal-,  Land-  en  Volkenkunde  van 

Nederlandsch-Indie: 

— — Bijdragen,  VII.  Reeks,  deel  70,  all.  2—4. 

Haarlem.  Hollandsche  Maatschappy  der  Wetenschappen: 

— — Archives  neerlandaises  des  Sciences  cxactes  et  naturelles,  ser.  111  B, 

tom.  2,  livr.  2 und  3. 

— Musee  Teyler: 

Archives,  ser.  111,  vol.  2. 

— — Verhandelingen,  N.  S.,  deel  19. 

— — Catalogue  de  la  Bibliotheque,  Bd.  4. 

Habana.  Sociedad  economica  de  Amigos  del  Pais: 

Revista  bimestre  Cubana,  vol.  9,  No.  5. 

Hall.  K.  K.  Franz  Joseph-Gymnasium: 

— — Programm  1914/15. 

Halle.  K.  Leopoldinisch-Karolinische  Deutsche  Akademie  der 
Naturforscher: 

Leopoldina,  Heft  51,  No.  1 — 12. 

— Deutsche  Morgenländische  Gesellschaft: 

— — Zeitschrift,  Bd.  68,  Heft  4;  Bd.  69,  Heft  1—4. 

— Universität: 

— — Verzeichnis  der  Vorlesungen,  S.-S.  1915;  W.-S.  1915/16. 

— Thüringisch-Sächsischer  Verein  für  Erforschung  des  vater- 

ländischen Altertums: 

— — Jahresbericht  für  1913/14,  1914/15. 

— — Zeitschrift  für  Geschichte  und  Kunst,  Bd.  4,  Heft  1,  2. 


24* 


Verzeicbuis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


Hamburg.  Stadtbibliothek: 

— — Jahrbuch  der  wissenschaftlichen  Anstalten  Hamburgs,  Jahrg.  31, 

1913,  Beiheft  1 und  3 — 10. 

— — Jahresbericht  der  Verwaltungsbehörden  1913,  4®. 

— — Staatshaushaltsberechnung  1913,  4®. 

— — Entwurf  des  hamburgischen  Staatsbudgets  für  1915,  4®. 

— — Verhandlungen  zwischen  Senat  und  Bürgerschaft  1914,  4®. 

— Mathematische  Gesellschaft: 

— — Mitteilungen,  Bd.  V,  Heft  4. 

— Hauptstation  für  Erdbebenforschung: 

— — Mitteilungen  1914,  Nr.  6;  1915,  Nr.  1. 

— — Monatliche  Mitteilungen  1914,  1 — 5. 

— Deutsche  Seewarte: 

— — Aus  dem  Archiv,  Bd.  37,  Nr.  1. 

— — Annalen  der  Hydrographie,  Jahrg.  43,  Nr.  1 — 12. 

— — Dekadenberichte  1913,  Nr.  21. 

— — Deutsche  überseeische  meteorologische  Beobachtungen,  Heft  22. 

— — Ergebnisse  der  meteorologischen  Beobachtungen,  Jahrg.  36. 

— Verein  für  Hamburgische  Geschichte: 

— — Mitteilungen,  34.  Jahrg. 

Zeitschrift,  Bd.  XX. 

— Naturwissenschaftlicher  Verein: 

— — Abhandlungen,  Bd.  20,  Heft  2. 

Verhandlungen  111,  20 — 22. 

Hannover.  Verein  für  Geschichte  der  Stadt  Hannover: 

Hannoverische  Geschichtsblätter,  17.  Jahrg.,  Heft  4;  18.  Jahrg., 

Nr.  1—4. 

Hartford.  Geological  and  Natural  History  Survey: 

— — Bulletin,  No.  25. 

Heidelberg.  Akademie  der  Wissenschaften: 

Abhandlungen  der  philologisch-philosophischen  Klasse,  Nr.  3. 

— — Sitzungsberichte:  a)  philol.-histor.  Klasse,  1914,  No.  14,  15;  1915, 

Nr.  1 — 12;  b)  mathem.-naturw.  Klasse,  1914,  A,  Nr.  15  — 29;  1915, 
1-6,  9-13;  1914,  B,  Nr.  6;  1915,  Nr.  1-3,  7,  8. 

— — Jahresheft  1914. 

— Reichs-Limes-Ko  m mission : 

— — Der  obergermanisch-rätische  Limes  des  Römerreiches,  Lief.  40  u.  41. 

— Sternwarte: 

VeröfiFentlichungen  des  Astronomischen  Instituts,  Bd.  7,  Nr.  5. 

— Universität: 

Schriften  der  Universität  aus  den  Jahren  1913/14  in  4®  und  8®. 

— Historisch-philosophischer  Verein: 

— — Neue  Heidelberger  Jahrbücher,  Jahrg.  19,  Heft  1. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


25* 


Helgoland.  Biologische  Anstalt: 

— — Meeresuntersuchungen,  N.  F.,  Bd.  15,  Abt.  Helgoland,  Heft  1; 

Bd.  17,  Abt.  Kiel. 

Hermannstadt.  Verein  für  siebenbürgische  Landeskunde: 

Archiv,  N.  F.,  Bd.  39,  1912,  Heft  3. 

— — Jahresbericht  1914. 

Hildburghausen.  Verein  für  Sachsen-Meiningische  Geschichte: 

Schriften,  Heft  72,  73. 

Homburg  i.  Pf.  K.  Progymnasium: 

— — Jahresbericht  1914/15. 

Iglo.  Ungarischer  Karpathen-Verein: 

Jahrbuch,  42.  Jahrg.,  1915. 

Innsbruck.  Naturwissenschaftlicher  Verein; 

— — Berichte,  Bd.  35. 

Ithaca.  Journal  of  Physical  Chemistry: 

— — The  Journal,  vol.  18,  No.  7 — 9;  vol.  19,  Nr.  1,  gr. 

Jassy.  Societe  des  medecins  et  naturalistes: 

— — Bulletin,  annee  32,  11/12. 

Jena.  Geographische  Gesellschaft: 

— — Mitteilungen,  Bd.  32,  1914. 

— Medizinisch-naturwissenschaftliche  Gesellschaft: 

— — Jenaische  Zeitschrift  für  Naturwissenschaft,  Bd.  53,  Heft  1—4. 

— Verein  für  Thüringische  Geschichte  und  Altertumskunde: 
Zeitschrift,  N.  F.,  Bd.  22,  Nr.  1,  2. 

— — Regesta  diplomatica  III,  2,  1915. 

— Verlag  der  Naturwissenschaftlichen  Wochenschrift: 

— — Wochenschrift  1915,  No.  1—52. 

Jüwa  City.  Laboratorium  für  Physiologie: 

Contributions  from  the  physical  laboratory,  vol.  1,  No.  5. 

Karlsruhe.  Technische  Hochschule: 

— — Schriften  1914/15. 

— Badische  Historische  Kommission: 

Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Oberrheins,  N.  F.,  Bd.  30, 

Heft  1 — 4,  Heidelberg. 

— — Politische  Korrespondenz  Karl  Friedrichs  v.  Baden,  Bd.  6. 
Kassel.  Verein  für  hessische  Geschichte  und  Landeskunde: 

— — Zeitschrift,  Bd.  48,  1913. 

— — Mitteilungen  1913/14. 

Kaufbeuren.  K.  Progymnasium: 

Jahresbericht  1914/15. 


Verzeichnis  der  einj^elaufenen  Druckschriften. 


2G* 

Kaufbeuren.  Verein  „Heimat“: 

— — Deutsche  Gaue,  Heft  301 — 320,  Sonderheft  95. 

Kempten.  K.  Humanistisches  Gymnasium: 

— — Jahresbericht  1914/15  und  Programm  von  Helmreich. 

Klagenfurt.  Landesmuseum:  , 

— — Carinthia  I,  105.  Jahrg.,  Nr.  I. 

— — Jahresbericht  des  Historischen  Museums  1913. 

Königsberg  i.  Pr.  Physikalisch-ökonomische  Gesellschaft: 

Schriften,  Bd.  54,  1913. 

— Universitätsbibliothek: 

— — Schriften  aus  dem  Jahre  1913/14. 

Konstantinopel.  Institut  d’histoire  Ottomane: 

— — Revue  historique  1910,  No.  28—32. 

Kopenhagen.  K.  Akademie  der  Wissenschaften : 

— — Översigt  1914,  No.  5 — 6;  1915,  No.  1 — 4. 

— — Memoires,  Section  des  Sciences,  ser.  7,  tom.  12,  No.  2 — 6;  ser.  8, 

No.  I,  1.  Section  des  lettres,  ser.  7,  tom.  2,  No.  4;  tom.  3,  No.  1. 

— Carlsberg-Laboratorium: 

— — Comptes  rendus  des  travaux,  vol.  11,  No.  3,  4. 

— Conseil  permanent  international  pour  l’exploration  de 

la  mer : 

— — Bulletin  hydrographique,  annee  1912/13  und  1913/14. 

— — Bulletin  planktonique,  part.  2,  1908—11. 

— — Publications  de  circonstance,  No.  67 — 69. 

— — Rapports  et  proces  verbaux  des  reunions,  vol.  21,  1913/14. 

— Gesellschaft  für  nordische  Altertumskunde: 

Aarböger,  HL  Raekke,  Bd.  4. 

— Kommissionen  for  Havundersagelser : 

— — Middelelser,  Serie  Fiskeri,  Bd.  IV,  8,  9. 

— — , „ Hydrografi,  Bd.  II,  No.  4. 

— — „ Plankton  I,  12. 

— Dänische  biologische  Station: 

Report  No.  22,  23. 

Krakau.  Akademie  der  Wissenschaften : 

— Historische  Gesellschaft: 

— — Biblioteka,  No.  49,  50. 

— Numismatische  Gesellschaft: 

— — Wiadomosci  1914,  No.  8;  1915,  No.  1 — 4. 

Laibach.  Musealverein  für  Krain: 

— — Carniola,  Bd.  6,  No.  1 — 4. 

Landau  (Pfalz).  K.  Humanistisches  Gymnasium: 

— — Jahresbericht  1914/15. 


Verzeichnis  der  eiiigelaufenen  Druckschriften. 


27* 


Landsberg  a.  L.  K.  Realschule; 

— — 37.  Jahresbericht  1914/15. 

Landshut.  Historischer  Verein : 

— — Verhandlungen,  Bd.  51. 

La  Plata.  Universidad  Nacional; 

— — Contribucion  al  estudio  de  las  ciencias,  Serie  mateinatica,  vol.  1, 

entr.  1;  Serie  fisica,  vol.  1,  entr.  1—4;  Serie  tecnica,  vol.  1,  entr.  1. 

— — Annuario,  No.  5,  1914;  No.  6,  1915. 

— — Memerio,  No.  3,  1913. 

Lausanne.  Revue  Ukrainienne: 

Revue,  No.  1 — 5. 

— Societe  Vaudoise  des  Sciences  naturelles: 

— — Bulletin,  No.  184 — 186. 

Leiden.  Maatschappij  der  Nederlandsche  Letterkunde: 

— — Handelingen  en  Mededeelingen  1913/14. 

— — Levensberichten  1913/14. 

— — Tijdschrift,  deel  33,  1 — 4;  deel  34,  1. 

— Redaktion  des  „Museum“: 

— — Museum,  maandblad  voor  philologie  en  geschiedenis,  Jahrg.  22, 

No.  5 — 12;  Jahrg.  23,  No.  1—4. 

— Redaktion  der  „Mnemosyne“: 

— — Mnemosyne,  Bd.  43,  No.  1—4;  Bl.  44,  No.  1. 

Leipzig.  Redaktion  der  Beiblätter  zu  den  Annalen  der  Physik: 
Beiblätter,  Bd.  33,  Nr.  24;  Bd.  39,  Nr.  1 — 23. 

— Deutsche  Bücherei: 

— — 2.  Bericht  1914. 

— — Urkunden  und  Beiträge,  9.  Ausgabe,  1914. 

— K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften: 

— — Abhandlungen  der  philol.-hist.  Klasse,  Bd.  30,  Nr.  4;  Bd.  31,  Nr.  1,  2. 

— — Berichte  über  die  Verhandlungen  der  philol.-hist.  Klasse,  Bd.  66, 

Nr.  1—3;  Bd.  67,  Nr.  1,  2. 

Berichte  über  die  Verhandlungen  der  math.-phys.  Klasse,  Bd.  65, 

Nr.  4,  5;  Bd.  66,  Nr.  2 und  3;  Bd.  67,  Nr.  1,  2. 

— Gesellschaft  für  Erdkunde: 

— — Mitteilungen  für  das  Jahr  1914. 

— — Wissenschaftliche  Veröffentlichungen,  Bd.  8. 

Lemberg.  Sevcenko-Gesellschaft: 

Fontes  historiae  ukraino-Russicae,  tora.  6. 

Lima.  Cuerpo  de  ingenieros  de  minas  del  Peru: 

— — Boletin,  No.  81. 

Lincoln.  University  of  Nebraska  library: 

— — Annual  Report,  vol.  27. 

— — Research  Bulletin,  No.  5. 


28* 


Verzeichnis  der  eingelaafenen  Druckschriften. 


Linz.  Museum  Francisco-Carolinum: 

— — 73  Jahresbericht,  1915. 

Lissabon.  SociedaJe  de  geographia: 

Pereira  de  Situ  orbis,  1905. 

— — Centenaio  da  Genta,  1915. 

— — Boletim,  vol.  32,  No.  9 — 12;  vol.  33,  No.  1 — 5. 

Lohr.  K.  Humanistisches  Gymnasium: 

Jahresbericht  1914/15. 

Lüneburg.  Museums  verein: 

Museumsblätter,  Bd.  10. 

Lund.  Redaktion  von  ,Botaniska  Notiser“: 

Notiser,  1915,  No.  1 — 6. 

— Universität: 

Bibelforskaren  1914,  1 — 0. 

— — Kyrkohistorisk  Arskrift  15,  1914. 

Luzern.  Historischer  Verein  der  fünf  Orte: 

— — Geschichtsfreund,  Bd.  69,  70. 

Madison.  Wisconsin  Geological  and  Natural  History  Survey: 

Bulletin,  No.  33  = scient.-ser.,  No.  10;  No.  34  = econ.-ser.,  No.  16; 

No.  41  = econ.-ser.,  No.  18. 

Madrid.  R.  Academia  de  la  historia: 

Boletin,  tom.  66,  No.  1 — 6;  tom.  67,  No.  1 — 5. 

Mailand.  Societä  Italiana  di  scienze  naturali: 

— — Atti,  vol.  53,  fase.  3,  4. 

— Societä  Lombarda  di  scienze  mediche  e biologiche: 

Atti,  vol.  IV,  fase.  1,  2. 

— Societä  Storica  Lombarda: 

— — Archivio  Storico  Lombardo,  ser.  IV,  anno  41,  fase.  4. 

Mannheim.  Altertumsverein: 

— — Mannheimer  Geschichtsblätter,  16.  Jahrg.,  1915,  Nr.  1 — 12. 
Marnheim.  Realanstalt  am  Donnersberg: 

— — Jahresbericht  für  1914/15. 

Marburg.  Gesellschaft  zur  Beförderung  der  gesamten  Natur 
Wissenschaft: 

— — Sitzungsberichte  1914. 

— — Schriften,  Bd.  III,  7. 

Meissen.  Fürsten-  und  Landesschule  St.  Afra: 

— — Jahresbericht  für  das  Jahr  1914/15,  4®. 

Melbourne.  Commonwealth  of  Australia: 

— — Report  of  the  geological  reconnaissance  of  the  fedenil  territory, 

1913. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


29'^ 


Metten.  K.  Gymnasium: 

— — Jahresbericht  1914/15. 

Milwaukee.  Public  Museum: 

— — Bulletin  of  Wisconsin  Natural  History  Society,  vol.  12,  No.  3,  4; 

vol.  13,  No.  1 — 3. 

Minneapolis.  University  of  Minnesota  Library: 

— — Botanical  Studies,  vol.  4,  part.  3,  1914. 

— — Agricultur  Experimental  Studies.  Bulletin,  No.  122,  132,  134 

et  137,  139. 

Modena.  Societa  dei  Naturalisti  e matematici: 

— — Atti,  V.  ser.,  vol.  1 = 47. 

Mount  Hamilton  (California).  Lick  Observatory: 

— — Bulletin,  vol.  VII,  No.  260—264,  266—275. 

— — Publications,  vol.  11  und  12. 

München.  Statistisches  Amt: 

— — Einzelschriften,  Nr.  12  (Hygiene  und  soziale  Fürsorge  in  München). 

— K.  Hof-  und  Staatsbibliothek: 

— — Catalogus  cod.  inanuscript.  Bibi.  Reg.  Mon.,  tom.  I,  pars  HI  (cod. 

zendicos  compl.),  M.  1915. 

— K.  Hydrotechnisches  Bureau: 

— — Jahrbuch  1913,  Heft  2 — 4;  1914,  Heft  1. 

— Ornithologische  Gesellschaft: 

— — Verhandlungen,  Bd.  XII,  2,  3. 

— K.  Ludwigs-Gymnasium: 

— — Jahresbericht  1914/15. 

— K.  Luitpold-Gymnasium: 

— — Jahresbericht  1914/15  und  Programm  von  Rueß. 

— K.  Maximilians-Gymnasium: 

— — Jahresbericht  1914/15  und  Programm  von  Silverio-Hümmerich. 

— K.  Theresien-Gymnasium: 

Jahresbericht  1914/15. 

— K.  Wilhelms-Gymnasium: 

— — Jahresbericht  1914/15  und  Programm  von  Belzner. 

K.  Wittelsbacher  Gymnasium: 

— — Jahresbericht  1914/15. 

— K.  Realgymnasium: 

51.  Jahresbericht,  1914/15  und  Beigabe. 

— K.  Technische  Hochschule: 

— — Bericht  über  das  Studienjahr  1913/14. 

— — Programm  für  das  Studienjahr  1914/15  und  1915/16. 

Personalstand  im  S.-S.  1914;  W.-S.  1914/15;  S.-S.  1915;  W.-S.  1915/16. 

— — Schriften  1914. 

Sitziingsb.  d.  matli.-phys.  Kl.  Jalirg.  1915. 


e 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


München.  Metropolitan-Kapitel  München-Freising: 

— — Amtsblatt  der  Erzdiözese  München  und  Freising  1915  mit  Register. 

— Deutsches  Museum: 

— — 11.  Verwaltungsbericht  und  Lazarettzug  2. 

— K.  Luitpold-Kreisoberrealschule: 

— — 8.  Jahresbericht,  1914/15. 

— K.  Maria  Theresia  Kreisrealschule: 

— — 16.  Jahresbericht.  1914/15. 

— K.  Uni versität: 

— — Personalstand,  S.-S.  1915;  W.-S.  1915/16. 

— — Schriften  aus  dem  Jahre  1914/15  in  4°  und  8®. 

— — Verzeichnis  der  Vorlesungen,  S.-S.  1915;  W.-S.  1915/16. 

— Ärztlicher  Verein: 

— — Sitzungsberichte,  Bd.  24,  1914. 

— Historischer  Verein  von  Oberbayern  in  München: 

— — Oberbayerisches  Archiv,  Bd.  60,  Heft  1. 

— — Altbayerische  Monatschrift,  Jahrg.  13,  Heft  1. 

— K.  Meteorologische  Zentralstation: 

— — Übersicht  über  die  Witterungsverhältnisse  im  Königreich  Bayern 

1914,  Nr.  11,  12;  1915,  Nr.  1 — 11. 

Münster.  Westfäl.  Provinzial  verein  für  Wissenschaft  u.  Kunst: 

— — Jahresbericht  42,  1913/14. 

— Verein  für  Geschichte  und  Altertumskunde  Westfalens: 

— — Zeitschrift  für  vaterländische  Geschichte,  Bd.  72,  1,  2. 

Nancy.  Academie  de  Stanislas: 

Memoii’es,  annee  163,  VI.  ser.,  tom.  10. 

— Societe  d’archeologique  Lorraine  et  du  Musee  Historique 

Lorrai  n: 

Bulletin  1913,  No.  12;  1914,  No.  1—6. 

— — Memoires,  tom.  63,  1913. 

— Societe  des  Sciences: 

Bulletin,  tom.  14,  fase.  1 — 3. 

Nantes.  Societd  des  Sciences  naturelles  de  l’Ouest  de  la  France: 

— — Bulletin,  tom.  3,  trim.  1,  2. 

Narbonne.  Commission  archeologique: 

Bulletin  1914,  sem.  1. 

Neapel.  Stazione  zoologica: 

Mitteilungen,  Bd.  21,  Heft  6,  7;  Bd.  22,  Heft  1 — 10. 

Neuch&tel.  Societe  Neuchäteloise  de  geographie: 

— — Bulletin,  tom.  24,  1915. 

— Societö  des  Sciences  naturelles: 

— — Memoires,  tom.  5,  1914. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


31* 


Neumarkt  i.  Obpf.  Histor.  Verein: 

— — Jahresbericht  1912/13. 

New  Haven.  American  Oriental  Society: 

— — Journal,  vol.  34,  part  3,  4;  vol.  35,  part  1 — 3. 

— Connecticut  Academy  of  arts  and  Sciences: 

Transactions,  vol.  18,  Anhang. 

— Yale  University  Library: 

Yale  Review,  N.  S.,  vol.  4,  No.  3,  4;  vol.  5,  No.  1. 

— — American  Journal  of  Science,  No.  229 — 232. 

New  York.  Academy  of  Sciences: 

— — Annals,  vol.  23,  part  144 — 353. 

— American  Association  of  genito-urinary : 

— — Transactions,  vol.  8,  1914. 

— American  Philological  Association: 

— — Transactions  and  Proceedings,  vol.  44. 

— American  Museum  of  Natural  History: 

— — Anthropological  Papers,  vol.  14,  part  1. 

— — Journal,  vol.  15,  No.  1 — 7. 

— Botanical  garden  Library: 

— — Bulletin,  vol.  8,  No.  32. 

— American  Geographical  Society: 

— — Bulletin,  vol.  47,  No.  1 — 12  und  Index  1914. 

— Geological  Society  of  America: 

Bulletin,  vol.  25,  No.  2. 

— American  Mathematical  Society: 

— — Bulletin,  No.  231 — 243. 

— — Transactions,  vol.  15,  No.  4;  vol.  16,  No.  1—4. 

— — List  of  members  Jan.  1915. 

— Zoological  Society: 

— — Zoologica,  vol.  1,  No.  19,  20. 

— Columbia  University: 

Publications,  No.  3,  5. 

Nördlingen.  Historischer  Verein: 

— — Jahrbuch  1 — 4 (1912 — 15). 

Nürnberg.  Naturhistorische  Gesellschaft: 

— — Jahresbericht,  1912/13. 

— — Mitteilungen,  5.  Jahrg.,  1,  2;  6.  Jahrg.;  7.  Jahrg.,  1,  2. 

— K.  Altes  Gymnasium: 

Jahresbericht  1914/15. 

— K.  Neues  Gymnasium; 

Jahresbericht  1914/15. 

— Germanisches  Nationalmuseum: 

— — Anzeiger  1914,  1—4. 


32* 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


Nürnberg.  Germanisches  Nationalmuseum: 

— — Mitteilungen  1914. 

— Verein  für  Geschichte  der  Stadt: 

37.  Jahresbericht,  1914. 

— — Mitteilungen,  Heft  21,  1916. 

Ottawa.  Division  de  la  Commission  geologique: 

Publications,  No.  1065,  1088,  1111,  1161,  1328,  1329. 

Map  18a. 

Padua.  Accademia  Veneto-Trentina-Istriana: 

— — Atti,  3.  Serie,  anno  7,  1914. 

— Museo  civico: 

Bollettino,  anno  16,  fase.  1 — 6. 

Palermo.  Circolo  matematico: 

— — Rendiconti,  tpm.  39,  fase.  1. 

— Societä  Siciliana  di  scienze  naturali: 

— II  Naturalista  Siciliano,  vol.  22,  No.  6 — 12. 

Parenzo.  Societä  Istriana  di  archeologia  e storia  patria: 

Atti  e memorie,  vol.  30,  1914. 

Paris.  Redaction  „La  paix  par  le  droit“: 

— — La  paix,  annee  24,  No.  15  — 18,  23;  annee  25,  No.  1,  2,  5,  6,  9 -16 
Pasing.  K.  Progymnasium; 

— — Jahresbericht  1914/15. 

Passau.  K.  Lyzeum: 

— — Jahresbericht  1914/15. 

Philadelphia.  Academy  of  natural  Sciences: 

— — Proceedings,  vol.  65,  part  3;  vol.  66,  part  1. 

— Pennsylvania  Museum  and  School  of  industrial  art: 

— — Bulletin,  No.  49 — 52. 

— — Report  39. 

— Historical  Society  of  Pennsylvania; 

— — The  Pennsylvania  Magazine  of  History,  No.  153 — 155. 

— American  Philosophical  Society: 

Proceedings,  No.  213,  214. 

— — Report  1914. 

— University: 

— — Babylonion  Section,  vol.  VIII,  1. 

Pisa.  Societä  Italiana  di  fisica: 

— — II  nuovo  Gimento,  ser.  VI,  anno  60,  vol.  6;  sem.  1 = fase.  10—12 
Pistoia.  R.  Deputazione  di  storia  patria: 

— — Bulletino,  anno  XVII,  fase.  I. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


33* 


Plauen.  Altertumsverein; 

— — Mitteilungen,  25.  Jahresschrift,  1915. 

— Gymnasium: 

26.  Jahresbericht,  1914/15. 

Pola.  Hydrographisches  Amt  der  K.  K.  Kriegsmarine: 

— — Veröffentlichungen,  Nr.  35,  36. 

Posen.  Historische  Gesellschaft: 

— — Zeitschrift,  Jahrg.  29,  Heft  1. 

— — Historische  Monatsblätter,  Jahrg.  15,  Nr.  1 — 12. 

Potsdam.  Geodätisches  Institut: 

Veröffentlichungen,  N.  F.,  Nr.  64,  65. 

— Astrophysikalisches  Observatorium: 

— — Publikationen,  Nr.  70. 

Photographische  Himmelskarte,  Bd.  7,  1915,  und  Berichtigung 

zu  Bd.  1 — 7. 

— Zentralbureau  der  internationalen  Erdmessung: 

— — Veröffentlichungen,  Nr.  27,  28. 

Prag.  Landesarchiv: 

— — Archiv  Cesky,  Dil  32. 

— K.  Böhmische  Gesellschaft  der  Wissenschaften: 

— — Jahresbericht  1914. 

— — Sitzungsberichte  der  philos.-hist.  Klasse,  1914;  der  matb.-naturwiss. 

Klasse,  1914. 

— Gesellschaft  zur  Förderung  deutscher  Wissenschaft  etc.: 
Bibliothek  deutscher  Schriftsteller,  Bd.  30,  32 — 34. 

— Deutscher  naturwissenschaftlich-medizinischer  Verein 

für  Böhmen  „Lotos“: 

Lotos,  Naturwissenschaftliche  Zeitschrift,  Bd.  62,  Nr.  1 — 10. 

— — Abhandlungen,  Bd.  III,  Heft  1 — 7. 

— öechoslavisches  Museum: 

— — Narodpisny  Vestnik  Öeskoslovansky,  Bd.  9,  Nr.  3 — 10;  Bd.  10, 

Nr.  1 — 10. 

— Verein  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen: 

Mitteilungen,  Jahrg.  53,  Nr.  1—4. 

— Deutsche  Karl  Ferdinands-Universität: 

— — Ordnung  der  Vorlesungen,  S.-S.  1915;  W.-S.  1915/16. 

— — Inauguration  des  Rektors  1914/15. 

Ravenna.  Bolletino  storico  Romagnolo: 

— — Felix  Ravenna,  No.  17. 

Regensburg.  K.  Neues  Gymnasium: 

— — Jahresbericht  für  1914/15  mit  Programm  von  Patin. 


34* 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschiiften. 


Regensburg.  Historischer  Verein: 

Verhandlungen,  Bd.  65. 

Rio  de  Janeiro.  Musen  nacional: 

— — Archivos,  vol.  16. 

Rom.  Accademia  Pontificia  de’  Nuovi  Lincei: 

Atti,  anno  68,  sess.  1. 

Memorie,  vol.  32,  1914. 

— R.  Comitato  geologico  d’Italia: 

— — Bollettino,  anno  1913/14,  No.  2. 

— Kaiserl.  Deutsches  Archäologisches  Institut: 

Mitteilungen,  Bd.  29,  Nr.  3,  4. 

— British  and  American  Archaeological  Society: 

— — Journal,  vol.  Y,  No.  1. 

— R.  Societä  Romana  di  storia  patria: 

— — Archivio,  tom.  37,  No.  3,  4. 

— Specola  Vaticana: 

Catalogo  astrografico,  vol.  1,  1914. 

Rosenheim.  Gymnasium: 

— — Jahresberichte  für  1914/15. 

Rovereto.  R.  Accademia  di  scienze  degli  Agiati: 

— — Atti,  ser.  IV,  vol.  4. 

Saargemünd.  Gymnasium  mit  Realabteilung: 

— — 44.  Jahresbericht,  1914/15. 

Salzburg.  K.  K.  Staatsgymnasium: 

— — Programm  für  das  Jahr  1914/15. 

— Gesellschaft  für  Salzburgische  Landeskunde: 

— — Mitteilungen  55,  1915. 

Salzwedel.  Altmärkischer  Verein  für  vaterländischeGeschichte 

— — Jahresbericht  41,  42,  1914/15. 

San  Francisco.  California  Academy  of  Sciences: 

— — Proceedings,  ser.  IV,  vol.  4,  No.  4/5;  vol.  5,  No.  1 — 31. 

Santiago  de  Chile.  Observatorio  astronomico: 

— — Publicaciones,  No.  7—9. 

Sarajevo.  Landesmuseum: 

Glasnik  26,  1914,  No.  4;  27,  1915,  1,  2. 

Schweinfurt.  K.  Realschule: 

— — Jahresbericht  1914/15. 

Siena.  Deputazione  de  la  Storia  patria: 

Bulletino  Senese  di  storia  patria,  anno  XX,  fase.  3;  anno  XXI 

fase.  3. 

Speier.  Historisch  er  Verein  der  Pfalz: 

Mitteilungen,  Bd.  34/35,  1911/15. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


3:,=^ 


stade.  Verein  für  Geschichte  und  Altertümer  etc.: 

— — Stader  Archiv,  N.  F.,  Heft  5,  1915. 

Leland  Stanford  (Cal.),  üniversity: 

— — Martin,  Schäfer,  Meyei-,  Campbell,  Martin-Smith. 

Stavanger.  Museum: 

— — Aarshefte  for  1914  (25). 

Stettin.  Gesellschaft  für  Pommersche  Geschichte  und  Alter- 
tumskunde: 

— — Baltische  Studien,  N.  F.,  Bd.  18,  1914. 

— — Monatsblätter  1914,  Nr.  1--12. 

Stockholm.  K.  Akademie  der  Wissenschaften: 

— — Les  prix  Nobel  en  1913. 

— — Arkiv  fbr  Zoologi,  Bd.  8,  No.  2—4;  Bd.  9,  No.  1,  2. 

— — Arkiv  für  Kemi,  Bd.  5,  No.  3 — 6. 

— — Arkiv  für  Botanik,  Bd.  13,  No.  2 — 4;  Bd.  14,  No.  1. 

— — Arkiv  für  Matematik,  Bd.  9,  No.  3 und  4;  Bd.  10,  No.  1 — 3. 

— — Meddelanden  frän  Nobel-Institut,  Bd.  3,  No.  1 und  2. 

— Meddelanden  frän  K.  Sv.  Yetenskaps  Akademiens  trädgärd 

Bergielund; 

— — Acta  horti  Bergiani,  tom.  V,  1915. 

— — Arsbök  for  är  1914. 

— — Meteorologiska  Jakttagelser  i Sverige,  vol.  55. 

— — Berzelius  Bref  I,  3;  II,  1. 

— K.  Vitterhets  Historie  och  Antikvitets  Akademie: 

— — Fornvännen,  Argangen  9,  1914. 

— — Tynell,  Skänes  medeltida  dopfnutar,  Heft  2. 

— K.  Landtbruks- Akademie: 

— — Handlingar  och  tidskrift,  1914,  No.  8;  1915,  No.  1 — 8. 

— K.  Bibliothek: 

— — Akzessionskatalog  29,  1914. 

— Entomologiska  föreningen: 

— — Tidskrift,  Jahrg.  35,  1914,  No.  1 — 4;  36,  1915,  No.  1 — 4. 

— Geologiska  Föreningens: 

Förhandlingar,  Bd.  36,  No.  7;  Bd.  37,  No.  1 — 7. 

— Nationalekonomiska  föreningen: 

— — Förhandlingar  1914. 

— Schwedische  Gesellschaft  für  Anthropologie  und  Geo- 

graphie: 

— — Ymer,  Jahrg.  34,  Heft  3,  4;  35,  Heft  1 — 3. 

— Svenska  Literatursälskapet: 

— — Skrifter  7,  3;  17;  Samlaren  35. 

— Nordiska  Museet: 

— — Fataburen  1914,  Heft  1—4. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


3G* 


Stockholm.  Reichsarchiv: 

— — Meddelanden,  N.  F.,  4,  No.  3. 

— Sveriges  geologiska  Undersökning: 

Ärsbok  G,  1912;  7,  1913;  8,  1914. 

Afhandlingar  och  uppsatser,  No.  6 und  Atlas. 

— — Serie  Aa,  No.  147  (mit  Karte). 

— Forstliche  Versuchsanstalt: 

— — Meddelanden,  Heft  11,  1914. 

Strassburg.  K.  Hauptstation  für  Erdbebenforschung: 

— — ^lonatliche  Übersicht  1914,  1915. 

— Wissenschaftliche  Gesellschaft: 

— — Schriften  22—24. 

— Internationale  Kommission  für  wissenschaftliche  Luft- 

schiffahrt: 

1912,  Heft  7-9. 

Stuttgart.  K.  Landesbibliothek: 

— — Fischer,  Schwäbisches  Wörterbuch,  Lief.  50,  51. 

— — Württemberg.  Kommission  für  Landesgeschichte: 

— — Vierteljahreshefte  für  Landesgeschichte,  N.  F.,  Jahrg.  24,  1915, 

Nr.  1,  2. 

— — Württemberger  Geschichtsquellen,  Bd.  18. 

— K.  Württembergisches  Statistisches  Landesamt: 

— — Beschreibung  des  Oberamts  Tettnang,  2.  Bearbeitung,  1915,  Heft  1. 

— — Württembergische  Jahrbücher  für  Statistik  und  Landeskunde, 

Jahrg.  1914,  Heft  2;  1915,  Heft  1. 

Tacubaya.  Observatorio  astronomico  nacional: 

— — Annuario,  aüo  35  (3  Teile). 

Thorn.  Copernikus-Verein  für  Wissenschaft  und  Kunst: 

— — Mitteilungen,  Heft  22,  23. 

Tiflis.  Erdbebenwarte: 

— — Wochenbericht  2,  1913. 

Tokyo.  Mathematico-Physical  Society: 

— — Prbceedings,  2^  ser.,  vol.  7,  No.  21,  22;  vol.  8,  No.  1 — 8. 

— Kaiserl.  Universität: 

— — Mitteilungen  aus  der  medizinischen  Fakultät,  Bd.  13,  Nr.  1,  2. 
Trient.  Biblioteca  e Museo  comunale: 

— — Archivio  Trentino,  anno  29,  fase.  ^/r. 

Triest.  K.  K.  Maritimes  Observatorium: 

Rapporto  annuale,  vol.  27,  1914. 

Tromsö.  Museum: 

— — Aarshefter  35(36. 

— — Aarsberetning  for  1912,  1913. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


37* 


Troppau.  Kaiser  Franz  Joseph- Museum  für  Kunst  und  Gewerbe: 

— — Zeitschrift  für  Geschichte  und  Kulturgeschichte  Osterreichisch- 

Schlesiens,  Jahrg.  8,  Heft  4 und  Jahrg.  9. 

Tübingen.  Universität: 

— — Universitäts-Schriften  1914/15. 

Turin.  Accademia  d’agricoltura: 

— — Annali,  vol.  57,  1914. 

— Museo  di  Zoologia  ed  Anatomia  comparata: 

— — Bolletino,  vol.  29,  1914,  No.  680 — 691. 

Ulm.  Verein  für  Kunst  und  Altertum: 

— — Mitteilungen,  Heft  20. 

— Verein  für  Mathematik  und  Naturwissenschaften: 

— — Mitteilungen,  Heft  16,  1915. 

Upsala.  K.  Universität: 

— — Koraen  Tage,  Observ.  seismographiques  1907 — 12. 

— — Schriften  aus  dem  Jahre  1913/14. 

— — Eranos,  Acta  philol.  Suecana,  vol.  14,  fase.  2. 

— — Zoologiska  Bidrag  frän  Upsala,  Bd.  3,  1914. 

Utrecht.  Historisch  Genootschap: 

Bijdragen  en  mededeelingen,  deel  35. 

— Provincial  Utrechtsch  Genootschap: 

— — Aanteekeningen  1915. 

— Institut  Royal  Meteorologique  des  Pays-Bas: 

— — Annuaire  1913,  A,  B. 

— — Mededeelingen  en  Verhandelingen,  No.  18,  19. 

Overzicht,  Jahrg.  11,  No.  12;  Jahrg.  12,  No.  1 — 11. 

— — Onweders  1912,  deel  33. 

— — Ergebnisse  aürolog.  Beobachtungen  2,  1913. 

— — 01s  Ocean  Indien  1856 — 1912,  Text  und  Taf. 

— Physiol.  Laborat.  d.  Hoogeschool: 

— — Onderzoekingen,  vol.  V,  No.  16. 

Vaduz.  Histor.  Verein  für  das  Fürstentum  Liechtenstein: 

— — Jahrbuch,  Bd.  14,  15. 

Veglia.  Altslavische  Akademie: 

— — Penija  Rimskago  Misala  1914. 

Vestnik  2. 

Venedig.  Ateneo  Veneto: 

— — Ateneo  Veneto,  anno  38,  vol.  1. 

— Comitato  talassografico  Italiano: 

— — Bolletino  trimestrale,  No.  27 — 30. 


38* 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


Verona.  Museo  civico: 

— — Madonna  Verona,  fase.  32. 

Vicenza.  Accademia  Olimpica; 

Atti,  N.  S.,  vol.  4,  1913/14. 

Washington.  National  Academy  of  Sciences: 

— — Proceedings,  vol.  1,  No.  1—4,  6—11. 

— U.  S.  Department  of  Agriculture; 

— — Yearbook  1914. 

— — Journal  of  the  agricultural  Researche,  vol.  2,  No.  5,  6;  vol.  3, 

No.  1 — 6;  vol.  4,  No.  1 — 6;  vol.  5,  No.  1 — 10. 

— Bureau  of  railway  economics: 

— — Bulletin,  No.  70—79,  81 — 83. 

— Carnegie  Institution: 

— — Annual  report  of  the  Director  of  Department  of  histor.  research, 

1913  und  1914. 

— Smithsonian  Institution: 

— — Miscellaneous  Collections,  No.  2254,  2270—2273,  2275,  2315,  2316, 

2319,  2320,  2356,  2361—2364,  2366. 

— U.  S.  National  Museum: 

— — Bulletin,  No.  50,  part  6;  No.  89. 

— Surgeon  Generals  Office  U.  S.  Army: 

— — Index  catalogue,  vol.  19. 

— U.  S.  Coast  and  Geodetic  Survey  Office: 

Spec.-publication,  No.  20. 

— U.  S.  Geological  Survey: 

— — Bulletin,  No.  531,  538—540,  542,  543,  545 — 548,  550,  556,  557, 

571,  574,  579,  581  A,  B,  585. 

— — Water  Supply  Paper,  No.  309,  327,  345  E,  F. 

— — Mineral  Resources  1913,  1,  1 — 5,  II,  1 — 13,  15  — 19. 
Weihenstephan.  A.  Akademie  für  Landwirtschaft  und  Brauerei: 

Bericht  1914  15. 

Weimar.  Großherzogi.  Bibliothek: 

— — Zuwachs  in  den  Jahren  1911  — 13. 

— Thüring.  botanischer  Verein: 

— — Mitteilungen,  N.  F.,  Heft  32. 

Wernigerode.  Harzverein  für  Geschichte: 

— — Zeitschrift,  Jahrg.  47,  Heft  3,  4. 

Wien.  Kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften: 

— — Sitzungsberichte:  a)  der  philos.-histor.  Klasse,  Bd.  168,  Abh.  5j 

Bd.  169,  Abh.  2;  Bd.  170,  Abh.  2;  Bd.  172,  Abh.  2;  Bd.  174,  Abh.  5; 
Bd.  175,  Abh.  5;  Bd.  176,  Abh.  1,  2,  5,  6;  Bd.  177,  Abh.  2,  3,  5; 
Bd.  178,  Abh.  1 — 5;  Bd.  179,  Abh.  1,  3;  b)  der  math.-naturwiss. 


Veraeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


39* 


Klasse,  Abt.  I,  Bd.  123,  Abh.  2—10;  Bd.  124,  Abh.  1 — 4;  Abt.  II a, 
Bd.  123,  Abh.  4—10;  Bd.  124,  Abh.  1—4;  Abt.  11b,  Bd.  123,  Abh.  4 
bis  9;  Bd.  124,  Abh.  1 — 4;  Abt.  III,  Bd.  123,  Abh.  1 — 10. 

— — Denkschriften  der  philos.-histor.  Klasse,  Bd.  53,  Nr.  1,  2,  3;  Bd.  57> 

Nr.  1 und  3;  Bd.  58,  Nr.  1,  3,  4;  math.-naturwiss.  Klasse,  Bd.  90. 

— — Anzeiger  (math.-naturwi.ss.  Klasse)  1914,  Nr.  1 — 17. 

— — Mitteilungen  der  prähistorischen  Kommission,  Bd.  II,  Nr.  48. 

— — Mitteilungen  der  Erdbebenkommission,  Nr.  48. 

Almanach,  64.  Jahrg.,  1914. 

— — Archiv  für  österreichische  Geschichte,  Bd.  104,  2;  106,  1. 

— — Mittelalterliche  Bibliothekskataloge  Östen-eichs,  I.  Bd. , Nieder- 

österreich, 1915. 

— K.  K.  Gesellschaft  der  Ärzte: 

— — Wiener  Klinische  Wochenschrift  1915,  Nr.  1—52,  4°. 

— Zoologisch-botanische  Gesellschaft: 

— — Verhandlungen,  Bd.  64,  Nr.  5 — 10;  Bd.  65,  Nr.  1 — 10. 

— — Abhandlungen,  Bd.  9,  Nr.  1. 

— K.  K.  Naturhistorisches  Hofmuseum; 

— — Annalen,  Bd.  28,  Nr.  3,  4;  Bd.  29,  Nr.  1,  2. 

— Israelitisch-theologische  Lehranstalt: 

— — Jahresbericht  22. 

— Mechitharisten-Kongregation: 

— — Handes  Amsorya  1914,  No.  10,  11. 

— K.  K.  Geologische  Reichsanstalt; 

Abhandlungen,  Bd.  23,  Heft  1. 

— — Verhandlungen  1914,  Nr.  12 — 18;  1915,  Nr.  1 — 14. 

— — Jahrbuch,  Bd.  64,  Heft  1 — 3. 

— Verein  zur  Verbreitung  naturwissenschaftl.  Kenntnisse: 

— — Schriften,  Bd.  55,  1914/15. 

— K.  K.  Universität; 

Inauguration  des  Rektors  1915/16. 

— — Verwaltungsbericht  der  K.  K.  Univ.-Bibliothek  8,  1913/14. 

— — Übersicht  der  Behörden  1915/16. 

— — Vorlesungen,  S.-S.  1915;  W.-S.  1915/16. 

Bericht  über  die  volkstümlichen  Universitätsvorträge  1914/15. 

Wiesbaden.  Verein  für  Naturkunde: 

— — Jahrbücher,  Jahrg.  67. 

Winterthur.  Naturwissenschaftliche  Gesellschaft: 

— — Mitteilungen,  Heft  10. 

Wolfenbtittel.  Geschichte  verein  für  das  Herzogtum  Braun- 
schweig: 

— — Jahrbuch,  13.  Jahrg.,  1914. 

— — Braunschweigisches  Magazin,  Bd.  20,  1914,  4°. 


40* 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


Würzburg.  Physikalisch-medizinische  Gesellschaft: 

— — Sitzungsberichte,  1914,  Nr.  3,  4;  1915,  Nr.  1,  2. 

Verhandlungen,  N.  F.,  Bd.  42,  Heft  6;  Bd.  43,  Heft  5. 

— K.  Altes  Gymnasium: 

— — Jahresbericht  1914/15  mit  Programm  von  Rheinfelder. 

— K.  Neues  Gymnasium: 

— — Jahresbericht  1914/15  mit  Programm  von  Kempf. 

— K.  Universität: 

Verzeichnis  der  Vorlesungen,  S.-S.  1915;  W.-S.  1915/16. 

— — Personalstand  1914/15  und  1915. 

— Historischer  Verein: 

— — ■ Archiv,  Bd.  56. 

— — Jahresbericht  für  1913. 

Wunsiedel.  K.  Realschule: 

— — Jahresbericht  1914/15. 

Zürich.  Antiquarische  Gesellschaft: 

— — Mitteilungen,  Bd.  28,  Heft  1 {=  Nr.  79). 

— Naturforschende  Gesellschaft: 

— — Jahrhundertfeier  1915, 

— — Neujahrsblatt  117. 

Vierteljahresschi'ift,  Jahrg.  59,  Heft  3,  4;  Jahrg.  60,  Heft  1,  2. 

— Schweizerische  Geodätische  Kommission: 

— • — Astronomisch-geodätische  Arbeiten,  Bd.  14. 

— Schweizerische  Geologische  Kommission; 

— — Beiträge  zur  geologischen  Karte  der  Schweiz,  N.  F.,  Lief.  30  und  45. 

Geotechnische  Serie,  Nr.  5. 

— Schweizerisches  Landesmuseum; 

— — Anzeiger  für  Schweizerische  Altertumskunde,  N.  F.,  Bd.  16,  Nr.  4; 

Bd.  17,  Nr.  1—3. 

— — 23.  Jahresbericht,  1914. 

— Bibliothek  des  Eidgenössischen  Polytechnikums: 

— — Dissertationen  1914/15. 

— — Programm,  S.-S.  1915,  W.-S.  1915/16. 

— Sternwarte: 

— — Astronomische  Mitteilungen,  Nr.  105. 

— Schweizerische  meteorologische  Zentralanstalt; 

Annalen,  50.  Jahrg.,  1913. 

Zweibrücken.  K.  Humanistisches  Gymnasium; 

— — Jahresbericht  1914/15. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


41* 


Geschenke  von  Privatpersonen,  Geschäftsfirmen  und  Redaktionen: 

Bensaude,  Joaquim: 

— Histoire  de  la  science  nautique  Portugaise.  Munich  1914. 

Bericht  über  die  3.  Generalversammlung  des  mitteleuropäischen  Wirt- 
schaftsvereins. 

Dittmeyer,  L.: 

— Guil.  Moerbeck.  Dillingen  1914. 

Fedde,  Frdr.: 

— Repertorium  specierum  novarum  regni  vegetabilis.  Berlin  1914. 
Ginsberg,  G.: 

— Erfahrung  aus  dem  Alltäglichen.  Wien  1914. 

Lambros,  'Spyrid: 

— Xiog  ‘E?.krjvai^v^i.cu)v,  Bd.  XI,  No.  3 und  4;  XII,  No.  1,  2,  3. 
Niederlein,  Gust. : 

— Plantago  Bismarkii  N.  Zittau  1915. 

Schmidt; 

— Geschichte  des  Progymnasiums  Edenkoben,  1837  — 1912. 

Sloane: 

— Party  government  in  the  U.  St.  of  America,  1914. 

— The  Balkans,  1914. 

— Life  of  Napol.  Bonaparte,  4 voll. 

Teubner,  Leipzig: 

— Encyclopedie  des  Sciences  mathematiques,  tome  IV,  vol.  I,  fase.  1. 


5 


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1 


Die  Konstitution  des  Wasserstoff-Moleküls. 

Von  P.  Debye,  Göttingen. 

Vorgelegt  von  A.  Sommerfeld  in  der  Sitzung  am  9.  Januar  1915. 

Durch  die  neuesten  Arbeiten  von  Rutherford,  Nicholson 
und  insbesondere  von  Bohr  ist  es  zum  mindesten  sehr  wahr- 
scheinlich geworden,  daß  die  Atome  , Planetensysteme“  sind, 
in  welchen  Kerne  von  äußerst  geringen  Dimensionen  und  be- 
trächtlicher Masse  einerseits  und  gewöhnliche  leichte  Elektronen 
andererseits  umeinander  kreisen.  Bekanntlich  gelang  es  Bohr 
auf  Grund  eines  solchen  Bildes  unter  Hinzuziehung  der  Quanten- 
hypothese einen  Weg  zum  Verständnis  für  die  Gesetzmäßig- 
keiten der  Serienlinien  anzubahnen  und  insbesondere  die  uni- 
verselle Rydbergsche  Konstante  der  Serien  auf  bekannte  Größen 
zurückzuführen. 

Ganz  abseits  von  diesen  Anwendungen  und  scheinbar  ohne 
Berührungspunkt  damit  lag  die  herkömmliche  von  Ketteier, 
Helmholtz,  Drude  entwickelte  Dispersionstheorie.  Ein  Zusam- 
menhang zwischen  den  hier  benötigten  quasielastisch  gebun- 
denen und  den  dort  in  kreisender  Bewegung  befindlichen  Elek- 
tronen fehlte. 

Es  ist  klar,  daß  nun  die  Aufgabe  an  uns  herantritt,  uns 
von  den  beiden  für  verschiedene  Erscheinungsgebiete  zurecht- 
gemachten verschiedenen  Vorstellungen  zu  befreien.  Entweder 
müssen  wir  eine  der  beiden  als  allein  richtige  erkennen,  oder 
ein  neues  Modell  zu  konstruieren  suchen,  das  beide  umfaßt. 

An  erster  Stelle  im  periodischen  System  steht  der  W asser- 
stoff,  wir  werden  also  hier  die  einfachsten  Verhältnisse  erwarten 

Sitzungsb.  d.  math.-pbye.  Kl.  Jahrg.  1915. 


1 


2 


P.  Debye 


dürfen.  Im  folgenden  wollen  wir  zeigen,  daß  die  oben  zuerst 
genannte  Planetensystem-Hypothese  vollständig  ausreicht,  um 
das  ganze  optische  Verhalten  des  Wasserstoffs  zu  erklären. 

Die  auf  dieser  Basis  zu  gewinnende,  später  angegebene 
Dispersionsformel  zeigt  gegenüber  den  üblichen  Formeln  Vor- 
teile in  zweifacher  Hinsicht.  Zwar  gelingt  es  nämlich  meistens 
auch  auf  Grund  der  Kettelerschen  Dispersionsformel,  den  Bre- 
chungsexponenten als  Funktion  der  Wellenlänge  recht  genau 
darzustellen.  Berechnet  man  indessen  aus  den  Konstanten  dieser 
Formel  das  Verhältnis  Ladung  durch  Masse  der  dispergieren- 
den Elektronen,  dann  findet  man  vielfach  Werte,  die  erheblich 
von  der  direkt,  experimentell  bestimmten  Zahl  abweichen.  Oder 
anders  ausgedrückt:  sieht  man  jenes  Verhältnis  als  bekannt 
an,  dann  müßte  man  eine  gebrochene  Zahl  von  Elektronen  im 
Atom  annehmen.  Eine  ähnliche  Schwierigkeit  tritt  bei  unsrer 
Anschauung  nicht  mehr  auf. 

Außerdem  ist  es  nicht  mehr  nötig,  eine  nachträglich  aus 
den  Experimenten  zu  bestimmende  quasielastische  Kraft  ein- 
zuführen. Es  zeigt  sich,  daß  als  einzige  neue  Konstante  neben 
Ladung  und  Masse  des  Elektrons  das  Plancksche  Wirkungs- 
quantum auftritt.  Ja  man  darf  mit  Recht  die  experimentelle 
Bestimmung  der  Dispersion  des  Wasserstoffs  als  eine  gute  Me- 
thode zur  Feststellung  der  beiden  Fundamentalgrößen:  Ver- 
hältnis Ladung  zu  Masse  des  Elektrons  und  Wirkungsquantum 
ansehen. 

Das  Modell,  welches  von  Bohr  benutzt  wurde,  um  die 
Balmersche  Wasserstofifserie  zu  begründen,  bestand  aus  einem 
Kern,  in  dem  nahezu  die  Gesamtmasse  des  Wasserstoffatoms 
kondensiert  ist  und  außerdem  mit  einer  positiven  Einheits- 
ladung versehen.  Um  diesen  Kern  kreist  ein  Elektron  in 
Bahnen,  welche  durch  eine  Quantenforderung  bestimmt  werden. 
So  soll  das  Wasserstofifatom  ausseben,  dieses  allein  liefert  das 
bekannte  Serienspektrum. 

Bei  Dispersiousmessungen  dagegen  operieren  wir  mit  dem 
zweiatomigen  Wasserstoff- Molekül.  Im  Anschluß  an  das 
Atommodell  liegt  es  nahe,  das  Molekül  aufgebaut  zu  denken 


Die  Konstitution  des  Wasserstoff-Moleküls. 


3 


aus  zwei  Kernen  mit  positiver  Einheitsladung,  um  die  in  der 
Ebene  senkrecht  zur  Verbindungslinie  zwei  Elektronen  kreisen 
und  zwar  so,  daß  das  Impulsmoment  jedes  einzelnen  dieser 

Elektronen  einer  Quantenforderung  gemäß  den  Wert  hat. 

2 71 

Auch  dieses  Modell  kommt  schon  bei  Bohr  vor;Q  wir  wollen 
zeigen,  daß  es  mit  Erfolg  zum  Verständnis  des  Dispersions- 
verlaufs für  Wasserstoff  herangezogen  werden  kann. 

Dazu  hat  man  zu  berechnen,  in  welcher  Art  und  Weise 
die  regulär  vorhandene  Bewegung  unter  der  Einwirkung  einer 
äußeren  periodischen  elektrischen  Kraft  gestört  wird.  Das  Be- 
merkenswerte ist,  daß  diese  Störungsrechnung  vollständig  so 
ausgeführt  werden  kann , wie  man  das  nach  den  Gesetzen 
der  Mechanik  erwartet  und  wie  man  es  im  großen  für  ein 
wirkliches  Planetensystem  ausführen  würde.  Auch  sind  die 
Kräfte  zwischen  den  Kernen  und  Elektronen  nur  die  gewöhn- 
lichen Coulombschen.  Überhaupt  tritt  eine  Quantenhypothese 
nur  dort  auf,  wo  es  sich  darum  handelt,  das  Modell  durch 
Festlegung  der  regulären  Winkelgeschwindigkeit  der  Elektronen 
in  ihrer  Bahn  endgültig  und  vollständig  zu  bestimmen.  In 
diesem  Sinne  enthalten  die  §§  1 — 4 nur  Rechnungen,  welche 
sich  auf  die  altbekannten  Grundlagen  stützen.  Erst  im  § 4 
wird  an  Hand  von  erfahrungsmäßigen  Zahlen  über  den  Dis- 
persionsverlauf gezeigt,  wie  das  Wirkungsquantum  mit  dem 
Modell  zusammenhängt.  In  § 5 schließlich  wird  auf  einige 
Aufgaben  hingewiesen,  die  uns  nunmehr  an  Hand  des  Modells 
gestellt  werden. 

§ 1.  Die  Bewegungsgleichungen  der  Elektronen  unter  Einfluss 
einer  elektrischen  Welle. 

Sind  keine  störenden  Kräfte  vorhanden,  dann  ist  eine  Kon- 
stellation möglich,  bei  welcher  die  beiden  positiv  mit  der  La- 
dung £ geladenen  Kerne  sich  um  d ober-  resp.  unterhalb  der 
Bewegungsebene  der  Elektronen  befinden,  während  die  Elek- 

')  Phil.  Mag.  1913,  S.  857.  Vgl.  auch  J.  J.  Thomson,  Conseil  de 
physique  Solvay  1913. 


1 


4 


P.  Debye 


tronen  an  den  beiden  Enden  eines  Ourchmessers  befindlich  in 
einem  Kreise  mit  dem  Radius  a herumlaufen. 

Damit  die  Kerne  im  Gleichgewicht  sind , mufä  unter  An- 
wendung des  Coulombschen  Gesetzes: 

4 ~ ^ ^ 

sein. 

Andererseits  hält  sich  an  jedem  Elektron  die  Zentrifugal- 
kraft mit  den  Anziehungen  der  Kerne  und  der  Abstoßung  des 
anderen  Elektrons  das  Gleichgewicht.  Ist  die  Winkelgeschwin- 
digkeit der  Kreisbewegung  cu,  dann  ergibt  diese  Forderung 
die  Gleichung: 


(2) 


ju  a 0)^  = 2 


wenn  die  Masse  des  Elektrons  fx  genannt  wird.  Aus  (1)  folgt: 


(10 


d _ 

a ~ KS  ’ 


während  unter  Berücksichtigung  dieses  Resultats  aus  Glei- 
chung (2)  die  Beziehung: 


(20 


ju  a o)^ 


SVS  — 1 
4 a2 


abgeleitet  werden  kann. 

Das  System  ist  also  bei  jedem  Wert  von  co  möglich.  Bei 
Vergrößerung  von  m schrumpfen  die  linearen  Dimensionen  des 
Modells  propottional  co~  zusammen. 

Beim  Aufbau  des  Modells  kommen  in  dieser  Weise  nur 
die  gewöhnlichen  elektrostatischen  Kräfte  in  Frage.  Wesent- 
lich ist  die  Vernachlässigung  der  Ausstrahlung,  obwohl  eine 
elektrodynamische  Begründung  für  dieses  Vorgehen  fehlt. 

Willkürlich  ist  vorläufig  noch  die  Winkelgeschwindigkeit  co. 
Allein  an  dieser  Stelle  kann  eine  außerhalb  der  Mechanik 
stehende  Forderung  noch  eingreifen.  Im  Einklänge  mit  Ni- 
cholson und  Bohr,  sowie  mit  der  von  Ehrenfest  befürworteten 


Die  Konstitution  des  Wasserstoff-Moleküls. 


5 


Anwendungsart  der  Quanten  auf  die  Beschreibung  der  Tem- 
peraturabhängigkeit der  Rotationsbewegung,  sowie  schließlich 
mit  dem  allgemeinen  Prinzip  für  die  Einführung  der  Quanten 
bei  beliebiger  Bewegung,  wie  ich  dasselbe  in  den  Göttinger- 
Vorträgen  (Teubner  1913)  formuliert  habe,  können  wir  co 
durch  die  Forderung  bestimmen: 


(3) 


Impulsmoment  = jua^a> 


1 
2 ^ 


{h  = Planckscbes  Wirkungsquantum). 

Obwohl  ich  tatsächlich  diese  Forderung  als  letzten  Bau- 
stein des  Modells  benutze,  soll  doch  vorläufig  von  einer  Ver- 
wendung der  letzteren  Gleichung  abgesehen  werden.  Vielmehr 
rechne  ich  im  folgenden  mit  einer  vorläufig  unbestimmten 
Winkelgeschwindigkeit  co  und  in  allen  Einzelnheiten  und  voll- 
ständig nach  den  gewöhnlichen  Gesetzen  der  Mechanik.  Erst 
ganz  am  Schlüsse,  wenn  die  erhaltene  Dispersionsformel  mit 
den  experimentell  gewonnenen  Zahlen  verglichen  wird,  soll 
mit  Hülfe  dieser  Zahlen  gezeigt  werden,  daß  der  Wert  von  oj 
tatsächlich  der  obigen  Quantenforderung  entspricht. 

Um  die  Störungen  der  Hauptbewegung  unter  Einfluß 
äußerer  Kräfte  in  Formeln  zu  bringen,  führe  ich  in  der  Ebene 
der  Elektronen  Polarkooidinaten  r^,  (p^  für  das  erste;  r^,  (p^ 
für  das  zweite  Elektron  ein.  Senkrecht  zu  dieser  Ebene  zählen 
wir  die  Koordinaten  .s-, , resp.  s^.  Zu  diesen  Koordinaten  ge- 
hören die  Impulse  pj,  ip^,  resp.  ^21  ^2’  definiert  durch 

die  Formeln: 


Ql  = 

■ 

II 

II 

. 

C2 

Da  die  Masse  der  Kerne  sehr  groß  ist  im  Vergleich  mit 
der  Masse  der  Elektronen  (Verhältnis  2000 : 1),  werden  wir 
die  Kerne  als  ruhend  behandeln  und  uns  auf  die  Störungen 
der  Elektronenbahn  beschränken.  Ist  dann  die  potentielle 
Energie  des  WasserstofiFsystems  ü und  nennen  wir  die  auf  die 


6 


P.  Debye 


Elektronen  in  Richtung  der  eingeführten  Koordinaten  wirken- 
den störenden  Kräfte: 


resp. 


FrU 

F,pi, 

F.l 

Fr2, 

Fq,2, 

F,2 

dann  haben  die  Hamiltonschen  kanonischen  Gleichungen  fol- 

O 

gende  Form: 


(5) 


dr. 

II 

1 

1 V?  3 f7 
ar, 

i^r. 

II 

_ = 
dt 

_ — 

dt 

dz, 

dr„ 

^ Q2 

dt 

1 V^2  . 3 U 
ß rl  3 

Fr2 

d(p^ 

^ dt  rr 

dw2  ^ 

dt 

3t/  ^ 

3«P2 

u ^ 

^ dt 

_ ^^2  = 
dt 

F 

3^2 

Nun  sind  die  durch  äußere  Kräfte  hervorgerufenen  Stö- 
rungen im  allgemeinen  sehr  klein;  wir  wollen  deshalb  die 
Gleichungen  (5)  dadurch  in  lineare  Gleichungen  verwandeln, 
daß  wir  als  neue  Variabele  die  Abweichungen  der  Koordinaten 
und  Impulse  von  ihren  Gleichgewichtswerten  einführen  und 
dieselben  als  kleine  Größen  erster  Ordnung  behandeln.  Wir 
setzen : 


(6) 


a -j-  7i, , 

(f,  = a cot  -i-  0,, 

= >^1 . 

a 

cp^  = a ü)t  — 71  0^, 

Z.y  Z^  , 

C,  = Z,, 

P2^ 

r*  = /•  + 

C2  = Z2: 

die  neu  eingeführten  Größen  11^ sind  dann  unsre 

neuen  Unbekannten.  Setzt  man  dieselben  sämtlich  gleich  Null, 


Die  Konstitution  des  Wasserstoff-Moleküls. 


7 


dann  erhält  man  die  ungestörte  Bewegung,  wenn  das  Irapuls- 
moment: 


(6')  ju  (o  = f 

gesetzt  wird.  Durch  a ist  die  Anfangslage  der  Elektronen 
zurzeit  t = 0 charakterisiert.  In  den  Grundgleichungen  kommen 

w 

erstens  vor  die  Größen  ^ und  Mit  Rücksicht  auf  (6)  kann 
man  dafür  in  erster  Näherung  schreiben: 


(7) 


f+W 


-i2  ' 


(a  -k  jR)^ 


,2  _ ^ p p 

® (« + Ry  ö* 


a 
R 


L f « 


Zweitens  kommt  die  potentielle  Energie  U vor,  die  bei 
einer  beliebigen  Abweichung  vom  Gleichgewichtszustand  eine 
Funktion  der  Kooidinaten  i?j,  ^j,  Zj,  R^^  wird.  Eine 

elementare,  aber  etwas  längere  Rechnung  liefert  für  U den 
folgenden  Ausdruck  in  R^ Z^'. 


Bei  dieser  Entwicklung  wurden  unsrer  Grundhypothese 
gemäß  nur  die  reinen  Coulombschen  Kräfte  zwischen  den 
Kernen  und  Elektronen  in  Betracht  gezogen,  während  das 

d 1 

Verhältnis  - nach  (!')  überall  durch  ersetzt  wurde. 

« V‘S 

Drittens  haben  wir  noch  die  äußeren  Kräfte  F anzugeben. 

Im  Wasserstofifgas  werden  Moleküle  mit  allen  möglichen 
Orientierungen  vorhanden  sein;  führen  wir  noch  in  der  Be- 
wegungsebene der  Elektronen  die  rechtwinkeligen  Kooidinaten 
X,  y ein,  dann  sind  im  allgemeinen  sowohl  x,  als  y,  als  z 


8 


P.  Debye 


Komponenten  der  anregenden  Kräfte  vorhanden.  Die  wesent- 
liche Einwirkung  auf  das  Wasserstoflfsystem  wird  von  der 
elektrischen  Feldstärke  der  durch  das  Gas  hindurchgehenden 
Welle  herrühren;  wir  setzen  ihre  rechtwinkeligen  Komponenten: 

(9)  (Sx  = Pe'®',  (äy  = dz  — Pe*®', 

sodaß  s die  Frequenz  (Schwingungszahl  in  2 n sec.)  der  ein- 
fallenden Welle  bedeutet. 

Da  die  Größen  P,  Q,  R ebenfalls  als  von  erster  Ordnung 
klein  anzusehen  sind,  kann  bei  der  Berechnung  der  Kraftkom- 
ponenten Fri Fzo  die  Bewegung  als  ungestört  ange- 

nommen werden.  Dann  erhält  man: 


(10) 


Ffi  = — e(@j  cos  (a  -j-  oj  ^)  -}-  (5j,sin(a  -j-  cot)), 
Ppi  = — e(—  Sxsin  (a  -f-  co  0 + <5.-/ cos  (a  co  0), 
Fz\  = — sdz, 

Pr2  = + £ (®x  cos (a  4-  ^)  -|-  (5^ sin  (a  4-  w t)) , 

F^2—  + £ ( — sio  (a  4"  m ^)  4“  cos  (a  4*  t)) , 

Fi2  = — £ be- 


setzt man  schließlich: 

P-\-iQ=p  und  P — iQ  — <1, 

dann  kann  statt  dessen  mit  Rücksicht  auf  (9)  auch  geschrieben 
werden : 


(10') 


Fr^  = 


di 


F^\ 

Fz\  = — ePe'^4 

Fri 


Pp  2 

P.2 


di 

di 


= — E Re' 


ist 


Die  Konstitution  des  Wasserstoff-Moleküls. 


9 


Um  nun  die  gesuchten  Bewegungsgleichungen  zu  erhalten, 
haben  wir  nur  noch  nötig  die  in  (7),  (8)  und  (10')  enthaltenen 
Angaben  zu  verwerten  und  im  übrigen  nach  (6)  auch  sonst 

überall  Z.^  anstelle  von  C2  einzuführen.  So 

entstehen  schließlich  die  12  Gleichungen  in  folgender  Form: 


(11) 


0}  dt  a 

1 ^ ^ 

<p 

(JO  dt  ' 

(o  dt  a 


juaco' 

'F  R 
1 0 ZIl 

■f  “ ^ ’ 


Z._ 

fl  aco' 


l d R^ 
o)  dt  a 
1 ^ ^ 
oodt  2 
1 d 
(JO  dt  a 


fiaoi' 

0^2 

7“  «’ 

z, 

fiaoi' 


\ d _ 21K3  — 8 R^ 


R. 


(odtfiaoo  4(3K3  — 1)  « 3K3  — 1 « 


W 

-2-^  + 


f 2 fl  a (JO 
1 d P,  21K3  — 8 Po 


p. 


(odtfiao)  4(3K3  — 1)  « 31^3  — 1 « 

P e 

-2-^  — 2 , 


1 d P, 


1 


(110 


(odt  f 2(3K3--1) 

{^g<a  g«(s-)-fu)< iagi(s— co)<  J. 

1 


_| 

2 fiaco  '^ 


1 d !P 


(»dt  f 2(3K3  — 1) 


(^2  — ^1) 


i £ 


— ^ {ffe>«e<(s-l-<«)<_  „e-.ae.'(s-ft>)n 


1 d Z, 


^K3  — 2_Z, 


(odtfiaoo  4(3K3  — 1)  « 2(3K3  — 1) 


flau) 

1 Z 


äPe'®', 


^ _ 3K3  — 2 Z, 


(odtfiaoo  4(3K3  — 1)«  2(3K3  — 1)« 


+ - - 2Pe-^ 

ua(jo^ 


10 


P.  Debye 


Die  Gleichungen  sind  linear  und  so  geschrieben,  daß  die 

jl  Z P W 2. 

Variabelen  — ~ , alle  dimensions- 

a * a fiaco  f fxaco 

los  sind.  An  (11)  und  (11')  haben  wir  die  folgenden  Erörte- 
rungen anzuknüpfen. 


§ 2.  Das  elektrische  Moment  eines  Wasserstoff-Moleküls. 


Zur  beabsichtigten  Berechnung  der  Dispersion  brauchen 
wir  vor  allem  das  elektrische  Moment,  welches  unser  System 
unter  Einwirkung  der  elektrischen  Kraft  der  erregenden  Welle 
annimmt.  Nennen  wir  die  drei  Komponenten  dieses  Momentes 
9)?^,  dann  ist,  wie  leicht  ersichtlich: 


(12) 


= — e (»’j  cos  cos  9?^) 

‘SJly  = — e (rj  sin  sin  cp^) 

aw*  = — « (^,  + ^2)- 


Substituiert  man  nun  für  die  Variabelen  r, ihre 

Darstellungen  (6)  und  entwickelt  nach  Potenzen  der  kleinen 
Größen  Z^,  dann  wird ; 


(12') 


9)?a;  = — ea 

— cos(cü^-l-a)  — (CPj  — + 

(X 

2)?^  = — ea 

^ ^^^sin(<ü^-t-a)  + (^1  — a) 

a 


Die  Größen  i?, Z.^  brauchen  also  nicht  einzeln  be- 

stimmt zu  werden;  es  genügen  vielmehr  die  Differentialglei- 
chungen für  die  6 Differenzen  resp.  Summen: 


(1) 


Z,^Z,  l\-P, 


uaa) 


•P.  - P, 


f 


Z.  + Z2 

fl  a CO 


zu  behandeln.  Dieselben  lauten  nach  (11)  resp.  (11): 


Die  Konstitution  des  Wasserstoff-Moleküls. 


11 


(13) 


1 d — R^ P,  — Pg 


CO  di  (t 

1 d 


fjiao} 


W —W 

(<P  —(p'\  = — 1 

mdr  ^ f 


2 -^1  -^2 


1 — P2  _ 21K3  — 12  P,  — Pa 

coc?<  liaoi  4 (3 1/^3  — 1) 

gta  g*(s-f-<«)<  pß-ia  ßi(s  —to^r^ 


W —W  E 

— 2 ‘ ^ 

f juaco“ 


1 


1 d P, 

CO  /' 


3K3  — 1 


+ 


« e 


fi,ao}‘ 


6*  ^ ^ jp  6 — * **  6*  ^ J 


(130 


]_  ^ 0~  ^2  _ ~H  ^2 

CO  cZ ^ a fxao) 

1 Z,  + Z.,  _ 3K3 

coc^^  /caco  ~ 4(3K3  — 1)  ® /caco® 


Pe'®'. 


Im  übrigen  können,  wie  (13)  und  (130  zeigen,  die  Be- 
wegungen in  der  r — 95-Ebene  und  senkrecht  dazu  unabhängig 
voneinander  behandelt  werden. 

Achtet  man  in  (13)  nur  auf  die  Teile  der  äußeren  An- 
regung, welche  proportional  e‘is+")^  sind,  dann  kann  man  z.  B. 
den  Ansatz: 


(14) 


^ ~ J^ei(s-|-Cü)< 

a ’ 


P — P 


juao) 

/■ 


(7gi(s  + a>)<^ 


JJ  f,i  (s  + (ü)i 


machen.  Für  die  verfügbaren  Konstanten  Ä,  P,  C,  D erhält 
man  dann  nach  Einsetzen  in  (13)  die  Bestimmungsgleichungen: 


12 


P.  Debye 


(15) 


ii±!ÜA  = C. 

CO 


.s-\-  0)^  21V3—12  , ^ , f 

i C — —T^ A — 2 D -] ,,  q e' 

(o  n /lacü^ 


4(3K3  — 1) 
. s 4"  tt) 


0) 

. s 4-  fo  _ 

I D = 

CO 


B = D-2A, 

— i B+i  "-(ze* 

3K3-1 


Hieraus  folgen  für  A und  B allein  die  Gleichungen; 


) 


2i^-±^A  + 

CO 


s co'^ 


3K3  - 1 


/t  a CO 
e 


qe' 


B = i .qe'", 
u aco^ 


aus  welchen  A sich  bestimmt  zu : 


(16)  A = -qe' 

iiaco^ 


H)' 


sVs 

3K3-1 


V 0)J  4(3V3-1)\  W 


s\2  27K3-4  ’ 

4(3K3-1)" 


während  für  B folgt: 


(16')  B = i qe' 

fiaco^ 


(-:y- 


_15K3 

4(31/3-1) 


2lV/3-8A^sy  27K3-4 

\ 4(3l/3-l)\ 


4(3l/3-l)\  W 4(3K3-1)2 

Achtet  man  nun  zweitens  auf  die  in  (13)  mit  g* 
multiplizierten  Glieder,  dann  kann  ähnlich  wie  oben  der 
Ansatz: 


(17) 


7?  R P p 

ZIL  _ 2 — ZI  A?  — (J‘f,Hs-(a)t 

a ’ //  a CO  ' 

q>^  _ cp^  = l/'e'C*-'»)', 


Die  Konstitution  des  Wasserstoff-Moleküls. 


13 


gemacht  werden,  und  man  findet  für  Ä‘  und  die  Formeln: 


(18)  A‘  = 

E \ 3]/3  — 1 

/ sy  211/3  — 8 r sV  27j/3  — 4 ’ 
V W 4(3/3— 1)V  <«/  4 (3/3 -1)2 


(180 


juaco 


,pe- 


B'  = 

(2  - iV  + _ 

V 4(3/3  — 1) 

r sy  21/3— 8 A sy  27/3—4 

V 4(31/3— 1)\  W 4(3/3— 1)2 


Es  gehen  also  Ä‘  und  B‘  aus  A und  B hervor,  indem 
anstelle  von  s und  i:  — s und  — i gesetzt  wird. 

Damit  sind  die  Störungen  in  der  Kreisebene  berechnet. 
Setzt  man  für  die  senkrechten  Komponenten: 


(19) 


a 


^ 

fxao) 


dann  folgt  leicht  aus  (130: 


(20) 


G = 2 


juaco^ 


(ü‘ 


1 

3/3 

4(3/3  — 1) 


Zur  Berechnung  des  gesuchten,  durch  das  äußere  Feld 
hervorgerufenen  elektrischen  Moments  erübrigt  es  nur  noch, 

die  in  (14),  (17)  und  (19)  angegebenen  Werte  von  * — 

^ mittels  (16)  und  (160,  (18)  und  (180 

(X/ 

resp.  (20)  in  bekannte  Größen  auszudrücken  und  in  (120 
zusetzen.  So  erhält  man  schließlich  explicite: 


14 


P.  Debye 


m.=  - 


^2gist 


jJ.CO^ 


c OS  (cü  ^ + a ) e'  ^ 2 


3l/'3 

3V3-1 


V (^)  4(3l/3-l)\  W 


4(31/3-1)2 


(21) 


+ cos(a)^  + a)e 


- i sin  (oj  / + a)  e'  q 


sy_jv^_ 

o))  31/3-1 


/ sY  271/3-4 

\ ~o))  4(31/3-1)1  W 4(31/3-1] 


4(31/3-1)2 


+ 


151/3 

4(31/3-1) 


sV  211/3-8 271/3-4 


4(3l/3-l)V  4(31/3-1)2 

151/3 


+ i sin  (£o^  + a)e 


+ 


4(31/3-1) 


1 — 


sV  21l/3-~8/'^_sY_  2^3-4 


my  = - 


£3g,s< 


jUCO^ 


sin  ((ü^Pa)e’ 2 


W ~4(3l/3-l)V  4(31/3-1)2 

31/3 
31/3-1 


+ sin  (cd  ^ + a) * ^" <+«l^ 


(i;£y_ii](!^(i^£)’- 

V W 4(3|,/3-l)V 


271/3-4 

4(31/3-1)2 


31/ 3_ 
31/3-1 


/ sV  211/3-8/  gV  271/3-4 
V'coj  4(31/3-1)\  "/  4(31/3-1)2 


(21')  +icos(cü^+a)e'^"‘+“^2 


151/3 
4(31/3-1) 


s\*  211/3-8  /^^_j.sY_^iy3-4^ 


4(9l/3-l)\  "/  4(31/3-1)2 


— icos(a)^+a)e 


(üj 


+ 


15>^3 
4^31/3-1) 


/ s Y^  211/3-8  ^27^3-4 

~4(3l/3“-l)V 


4(31/3 -1)V"  W 4(31/3-1)2 


Die  Konstitution  des  Wasserstoff-Moleküls. 


15 


(21")  m,  = —2 


fl  tü^ 


4(31/3  — 1) 


wobei  nach  § 1 : 


p = P-\-iQ  und  q=P  — iQ 

gesetzt  ist,  während  nach  (9)  die  Größen  P,  Q,  R die  Ampli- 
tuden der  rechtwinkligen  elektrischen  Kraftkomponenten  der 
einfallenden  Welle  bedeuten. 


§ 3.  Der  Brechungsexponent  des  H^-Gases. 


Bekanntlich  besteht  (auf  Grund  der  Maxwellschen  Glei- 
chungen) ein  einfacher  Zusammenhang  zwischen  dem  Brechungs- 
exponenten n und  dem  Verhältnis  des  elektrischen  Momentes 
eines  cm^  der  betreffenden  Substanz  zur  anregenden  elektri- 
schen Kraft.  Ist  letztere  gleich  und  hat  man  gefunden, 

daß  das  Moment  eines  cm®  in  Richtung  von  P gerichtet  ist 
und  sich  in  der  Form  j'Pe‘®^  ausdrücken  läßt,  dann  ist®): 


— 1 = 4 TZ  y . 


(22) 


Wie  die  oben  unter  (21),  (21')  und  (21")  angegebenen 
Werte  für  die  Komponenten  von  ÜK  zeigen,  ist  für  das  Einzel- 
molekül keineswegs  Moment  und  erregende  Feldstärke  gleich 
gerichtet.  Nun  kommen  aber  auf  1 cm®  sehr  viel  Moleküle, 
die  erstens  alle  möglichen  Anfangsphasen  a entsprechen,  wäh- 
rend zweitens  auch  ihre  Orientierung  gegenüber  der  erregenden 
Feldstärke  ganz  regellos  ist. 

Nehmen  wir  nun  für  ein  beliebig  orientiertes  Molekül 
mit  beliebiger  Anfangsphase  die  Komponente  seines  Momentes 
in  Richtung  der  erregenden  Kraft  und  mittein  dieselbe  über 

1)  Wir  sehen  von  der  Lorentzschen  Zusatzkraft  ab,  da  n nur  sehr 
wenig  (etwa  1.10“'*}  von  1 verschieden  ist.  Wollte  man  das  nicht  tun, 

fl2 j 

dann  hätte  man  in  (22)  anstelle  von  n* — 1 den  Ausdruck  3 — zu 

«'4-2 


substituieren. 


16 


P.  Debye 


alle  möglichen  Werte  von  a und  alle  möglichen  Orientierungen, 
dann  erhalten  wir  das,  was  wir  das  mittlere  beobachtbare 
Moment  m eines  Moleküls  nennen  wollen.  Ist  die  Anzahl  der 
Moleküle  im  cm®  gleich  W,  dann  wird: 

(23)  y = Nm 

und  damit: 


(24) 


w®  — 1 
Ati  N 


ni, 


sodali  die  Aufgabe  auf  diese  Mittelung  von  m hinausläuft. 

Führen  wir  zunächst  die  Mittelung  nach  a aus,  dann  er- 
halten wir  aus  (21)  und  (21'): 


oisi 


U(X> 


(25) 


{P+iQ) 


+ 


3T/3 


8(31/3-1) 


211/3-8/,  s\*  271/3-4 


1--  - 


(3l/3-l)V  ojj  4(31/3-1)2 
31/3 


HP-iQi)- 


H) 


8(31/3-1) 


fl+iV  211/3-8  A ^ sV  271/3-4 
\ 4(3l/3-l)V 


4(31/3-1)2  J 


my  = 


(25') 


oist 


,UCÜ‘ 


i-iP+Q) 


H) 


+ 


31/3 


8(31/3-1) 


s\*  211/3-8/,  5\2  271/3-4 


1- 


0) 


1-- 


4(3l/3-l)V  W 4(31/3-1)2 
31/3 


+ {iP+  (/) 


+ 


8(31/3-1) 


211/3-8  /,  , s\2  271/3-4 

4(31/3-1)2 


V W 4(3l/3-l)\  W 


Jetzt  soll  die  Mittelung  über  alle  möglichen  Orientierungen 
des  Moleküls  folgen.  Statt  dessen  können  wir  natürlich  auch 
die  erregende  Kraft  nacheinander  alle  möglichen  Richtungen 


Die  Konstitution  des  Wasserstoff-Moleküls. 


17 


im  Raume  einnehmen  lassen,  während  das  Molekül,  d.  h.  die 
mit  demselben  verbundenen,  schon  früher  eingeführten  x,  y, 
.^-Achsen  unverändert  liegen  bleiben.  Definiert  man  die  Rich- 
tung der  elektrischen  Kraft  E durch  Angabe  des  Polabstandes 
und  der  geographischen  Länge  X auf  einer  Einheitskugel  um 
den  Nullpunkt  des  x,  y,  .^-Koordinatensystems,  dann  wird: 

(26)  P = Esin  &cos?.,  0 = iJsin  ö sin  A,  R = Ecosd  . 

Andererseits  wird  die  Komponente  des  elektrischen  Mo- 
ments in  Richtung  von  E gleich: 

(27)  ^isini^cosA  -f-  30?^sin  sin  A -|-  9)Lcosi?; 

die  Mittelung  ist  also  so  auszuführen,  daß  in  (25),  (25')  und 
(21")  für  P,  Q,  R die  in  (26)  angegebenen  Ausdrücke  sub- 
stituiert werden,  daß  dann  der  Ausdruck  (27)  gebildet  wird 
und  schließlich  mit  dem  Flächenelement: 

sin  d dd  dl 


der  Einheitskugel  multipliziert,  nach  A zwischen  0 und  2 Ji, 
nach  & zwischen  o und  integriert  und  endlich  durch  die 
Oberfläche  der  Einheitskugel  in  dividiert  wird. 

So  erhält  man  nach  einfacher  Rechnung  das  gesuchte 
mittlere  beobachtbare  Moment  eines  Moleküls  zu: 


2 £2 
m - - ^ 

6fia>‘ 

(28) 


31/3 

8(31/3-1) 


211/3-8  sy  271/3-4 
4(3l/3-l)V  4(31/3-1)2 


+ 


31/3 

8(31/3-1) 


211/3-8  R ^ sV  271/3-4 
4(3l/3-l)V  4(31/3-1)2 


1 

.s2  31/3  ~ 

4(31/3-1)- 


und  damit  ist  nach  (22)  und  (23)  auch  die  Dispersionsformel 
fertig.  Sie  lautet: 

Sitzungsb.  d.  math.-phys.  Kl.  Jabrg.  1915.  2 


18 


P.  Debye 


(29) 


n*-l 

4:iN 


S/uu>^ 


+ - 


31/3 


8(31/3-1) 


L\  (oj  4(31/3-1)V  W 


4(31/3-1)' 
31/3 


^'^co)  '^8(31/3-1) 


\ W 4(31/3 -1)V  "7 


+- 


271/3-4  s' 


271/3-4 

4(31^3-1)^^ 


J 

31/3 

4(3l/3-l)V‘ ' 4(31/2-1)^  4(31/3-1) 

und  gibt  n als  Funktion  der  Frequenz  s.  8ie  enthält  nur 
zwei  verfügbare  Konstanten,  nämlich 

a)  die  multiplikative  Konstante: 

8 71  Ne^ 

3 fl  (ü^ 

b)  die  vorläufig  noch  nicht  näher  festgesetzte  Winkel- 
geschwindigkeit : 

CO. 


§ 4.  Diskussion  der  Dispersionsformel.  Vergleich  mit  der  Erfahrung. 

Um  die  Formel  (29)  besser  zu  übersehen,  kann  man  ver- 
suchen, dieselbe  in  die  Form  der  in  der  gewöhnlichen  Theorie 
vorkommenden  Ausdrücke  zu  bringen.  Dazu  hat  man  eine 
Partialbruchzerlegung  vorzunehmen,  deren  Einzelnheiten  ich 
übergehe  und  deren  Resultat  folgendermaßen  aussieht: 


(30) 


w“*  — 1 _ 

- 

2,97429 

2,15347 

AtiN  flCO^ 

1 - 

-i  " V 

i-f-  ^ 

VO, 556397  cü^ 

V0,412375coy 

+ 


0,0276447 


0,246581  -1-0,579918 


o-a 


-(tlTÄc:)'  «»».(i-;)’ 

0,246581  -f-  0,579918  (l  -|-  ^ 


+ 


0,304388  -h 


Die  Konstitution  des  Wasserstoft’-Moleküls. 


10 


Die  in  der  Klammer  angegebenen  Zahlen  lassen  sich  alle 
mittels  Wurzelzeichen  und  ganzen  Zahlen  darstellen;  es  schien 
uns  aber  übersichtlicher  und  für  den  direkten  Gebrauch  be- 
quemer, die  Wurzelformen  auszu werten,  wie  es  oben  geschehen 
ist.  Die  ersten  drei  Glieder  entsprechen  wenigstens  durch  den 
Bau  ihres  Nenners  den  bekannten  Teilbrüchen  der  üblichen 
Dispersionsformeln.  Sie  geben  drei  Eigenschwingungen  des 
Ä2"^ol^küls  an;  bei 

s = 0,412375  co;  s = 0,556397  co;  .s  = 2,412375  cu. 

Die  ersten  zwei  liegen  verhältnismäßig  nahe  zusammen; 
die  dritte  liegt  viel  weiter  entfernt.  Die  Zähler  der  betrachteten 
Glieder  lassen  sich  allerdings  nur  dann  in  die  übliche  Theorie 
hineinzwingen,  wenn  man,  wie  leicht  ersichtlich,  gebrochene 
Zahlen  für  die  , Anzahl  der  Dispersionselektronen“  zuläßt. 

Die  zwei  letzten  Glieder  des  Ausdrucks  (30)  schließlich 
haben  einen  ganz  anderen  Bau,  als  man  nach  der  üblichen 
Theorie  erwarten  kann.  Daß  dieselben  im  leicht  erreichbaren 
optischen  Gebiet  einen  recht  merklichen  Einfluß  ausüben,  wird 
sich  unten  ergeben.  Bemerkenswert  ist  in  dieser  Hinsicht, 
daß  John  Koch,^)  dessen  Beobachtungen  an  weit  in  das 
Ultraviolet  hineinreichen,  schon  aus  rein  praktischen  Gründen 
auf  ein  einigermaßen  ähnlich  gebautes  (nirgends  unendlich 
werdendes)  Zusatzglied  zur  üblichen  Dispersionsformel  geführt 
wurde. 

An  dieser  Stelle  wollen  wir  es  unterlassen,  die  Formel  (30) 
in  ihrem  vollen  Umfange  mit  den  Beobachtungen  über  die 
Dispersion  des  Wasserstoffs  zu  vergleichen.  Bekanntlich  ge- 
nügt nämlich  in  einem  ausgedehnten  Gebiet  des  Spektrums 
eine  beim  ersten  Gliede  abgebrochene  Potenzentwicklung  in 

— schon  verhältnismäßig  hohen  Ansprüchen. 

Wir  wollen  deshalb  noch  die  beiden  Zahlenfaktoren  dieser 
Entwicklung  angeben,  wie  dieselben  auf  Grund  von  (30)  er- 


*)  Arkiv  för  Matematik,  Astronomi  och  Fysik,  Bd.  8,  Nr.  20,  1912. 


20 


P.  Deliye 


halten  werden  können,  und  dann  diese  Entwicklung  mit  der 
entsprechenden  erfahrungsmäßigen  Formel  vergleichen. 

Ersetzt  man  in  (30)  noch  — 1 durch  2 (n  — 1),  dann 
findet  man  nach  leichter  Rechnung  für  die  erwähnte  Entwick- 
lung folgende  Form: 


1 = 2.-TiY 


II  w 


2,97429-1-17,49041 


iO 

«2 


-1-  2,15347+  6,95938 


0) 


+ 0,02764+  0,00475 


0) 


+ 0,63363  + 0,32219  + 0,52695 


0) 

«2 


+ 0,63363+  0,32219-^—0,52695 


CO 


S ■ 
CO 

s 

coj 


oder  zusammengefaßt: 


(31) 


n — 1 = 2 Y 


/C  CO 


6,42266  + 25,0989 


CO 


Die  vorletzte  Formel  soll  nur  zur  Darstellung  bringen, 
in  welchem  Maße  die  einzelnen  Glieder  von  (30)  zum  Gesamt- 
resultat beitragen,  nur  Gleichung  (31)  wird  im  folgenden  be- 
nutzt. 

Von  John  Koch  wird  das  Resultat  seiner  Me.ssungen  an 
Wasserstoff“  u.  a.  dargestellt  durch  die  Formel: 

2n^  + 2 


3w"-l 


= 7348,11  — 55,7465.10-8 


0,069955.10-'6;i-+ 


wobei  die  Wellenlänge  / in  cm  gemessen  ist. 

Auf  n — 1 umgerechnet  ergibt  das  unter  Einführung  der 
Frequenz  s anstelle  von  / für  die  ersten  beiden  Glieder  der 
Entwicklung  folgendes: 

(32)  n — \ = 1,36092.10-*  + 2,90777.10-»^ 

Soll  nun  unsre  theoretische  Formel  (31)  dem  praktischen 
Resultat  (32)  entsprechen,  dann  muß 


Die  Konstitution  des  Wasserstoff-Moleküls. 


21 


a)  ^ 6,42266  = l,36092.1Ü-^ 

,U  Ui 


b) 

sein. 


2 71  Ne-  25,0989 
fl  (N  (üi^ 


2,90777.10-3' 


Durch  Division  dieser  beiden  Formeln  folgt  erstens 


6,42266  , 1,36092.10-“^ 

25,0989"  ” 2,90777.10-”’ 

CO  = 4,214.10‘6  ^ ; 


Andererseits  berechnet  sich 


AV 


zu: 


Ne^ 


5,987.10” 


sec 


Es  erhebt  sich  nun  die  Frage,  ob  die  beiden  für 


NJ 


und  0)  auf  Grund  unsrer  Theorie  berechneten  Werte  mit  den 
sonst  bekannten  Werten  übereinstimmen,  resp.  inwiefern  die 
Winkelgeschwindigkeit  co,  wie  in  der  Einleitung  behauptet, 
m.it  dem  Planckschen  Wirkungsquantum  h zusammenhängt. 


Zunächst  die  Zahl  für  . 

fl 


Das  Produkt  Ne  läßt  sich 


ohne  weiteres  aus  der  elektrolytischen  Ladung  E = 96472  Cou- 
lomb eines  Grammatoms,  dem  Atomgewicht  A = 1,008  des 
Wasserstoffs  und  der  Dichte  d = 8,985.10-°  dieses  Gases  be- 
rechnen nach  der  Formel: 


Ne 


1,289.1010 

Z A o 


in  elektrostatischen  Einheiten.  Mit  Rücksicht  hierauf  bedeutet 
die  aus  der  beobachteten  Dispersion  auf  Grund  unsrer  Theorie 


gefundene  Zahl,  daß  danach : 


22 


P.  Debye 


— = 4,64.10'- 

U 

sein  sollte. 

Zur  Beurteilung  der  experimentellen  Sicherheit,  welche 
den  Zahlen  zu  gründe  liegt,  sei  bemerkt,  daß  nach  Beobach- 
tungen von  C.  und  M.  Cuthberson') : 

n - 1 = 1,362.10-^  -H  2,780.10-3' s* 

ist.  Auf  Grund  dieser  Angaben  würde  man  ähnlich  wie 
oben: 

0)  = 4.38.10'6,  = 6,48.102' 

finden;  aus  der  letzten  Zahl  ergibt  sich: 

^ = 5,01.10" 

n 


Dieses  erste  Resultat 


= 4,64.10"  resp.  5,01.10"  ist  be- 


friedigend und  spricht  durchaus  zugunsten  des  Modells.  Es 
scheint  mir  indessen  wahrscheinlich , daß  eine  etwas  weiter 
ausgearbeitete  Theorie,  welche  auf  die  durch  die  einfallende 
Welle  verursachte  Bewegung  der  Kerne,  sowie  auf  die  Ro- 
tation der  WasserstolFmoleküle  infolge  ihrer  Wärmebewegung 
Rücksicht  nimmt  (vgl.  darüber  noch,  den  letzten  §),  zu  noch 
besseren  Resultaten  führen  wird.  Es  erübrigt  noch,  den  Zahlen- 
wert von  CO  einer  Diskussion  zu  unterwerfen. 


Im  Sinne  der  Quantentheorie  wollen  wir  versuchen,  co 
dadurch  zu  bestimmen,  daß  wir  das  Impulsmoraent  eines  Elek- 
trons gleich  einem  Vielfachen  s von  h setzen.  Dann  haben 
wir  erstens: 


(33)  « CO  = sie. 

Andererseits  fanden  wir  schon  früher  als  Gleichgewichts- 
bedingung des  Modells  (Gleichung  (2')): 


')  Proc.  Royal  Soc.  83,  S.  151,  1910. 


Die  Konstitution  des  Wasserstoff-Moleküls. 


23 


(34) 


fxaco^ 


31/3  — 1 
4 


Durch  Elimination  von  a folgt  aus  diesen  beiden  Glei- 
chungen : 

/31/3  — 1\"  £V 
" ~ l,  4 j 


Nimmt  man  nun  für  (o  den  aus  den  Kochschen  Beobach- 
tungen gefolgerten  Wert,  setzt  s — 4,69.10~’°,  ^ = 5,28.10'^ 
und  h = 6,55.10~^/  dann  folgt: 


d.  h. 


= 


1 

252’ 


2 = 


Jl 

p2' 


Will  man  im  Einklang  bleiben  mit  den  in  der  Einleitung 
genannten  theoretischen  Ansichten  über  die  Einführung  der 
Quanten  bei  der  Rotationsbewegung,  dann  hat  man  zu  setzen: 


2 = 


2 71 


Tatsächlich  verlangen,  wie  man  sieht,  die  Beobachtungen 
über  die  Dispersion  genau  dasselbe.  Wir  werden  also  mit 
vollem  Vertrauen  als  Schlußstein  zu  unsrem  Modell  die  Quanten- 
forderung hinzufügen  können: 

Impulsmoment  = 


Das  Wasserstoffmolekül  besteht  also  aus  zwei  Kernen  von 
der  Masse  1,64.10“^'*  g je  mit  einer  positiven  Einheitsladung 
im  Abstande  2d  = 0,604.10“®  cm,  während  noch  dazu  in  einer 
Ebene  senkrecht  zur  Verbindungslinie  der  Kerne  um  den  Durch- 
stoßungspunkt  jener  Linie  mit  der  Ebene  zwei  Elektronen 


24 


1’.  Debye 


rotieren  auf  einem  Kreis  mit  dem  Durchmesser^)  2a  = l,05.10~''cm. 
Das  Impulsmoment  jedes  dieser  Elektronen  hat  den  Wert 

= 1,06.1 0~^' g cm^  sec~' , entsprechend  einer  Winkelge- 

2 71 

schwindigkeit  co  = 4,21.10'®  sec“'. 

§ 5.  Schlussbemerkungen. 

Der  Erfolg  des  in  den  vorangehenden  §§  mit  Rücksicht 
auf  die  Dispersion  durchdiskutierten  Modells  ist  wohl  unbe- 
streitbar. Es  muß  deshalb  als  nächste  Aufgabe  angesehen 
werden,  die  Rechnungen  für  möglichst  viele  Erscheinungs- 
gebiete durchzuführen,  zunächst  möglichst  in  Anlehnung  an 
die  gewöhnliche  Mechanik.  Freilich  darf  man  hoffen,  dabei 
gelegentlich  in  Widersprüche  mit  dem  Experiment  verwickelt 
zu  werden  und  eben  dadurch  die  eine  oder  andere  wertvolle 
Beleuchtung  der  Natur  des  Wirkungsquantums  zu  gewinnen. 

Als  erstes  drängt  sich  uns  die  Tatsache  auf,  daß  das  Träg- 
heitsmoment des  um  eine  Achse  in  der  Elektronen- 

ebene nach  den  Angaben  am  Ende  des  vorigen  § einen  Wert 
(1,1 9.10“^®  g cm^)  hat,  welcher  der  Größenordnung  nach  der 
Quantenauffassung  der  Euckenschen  Messungen  über  die  spe- 
zifische Wärme  des  Wasserstoffs  entspricht. 

Allerdings  kann  das  Trägheitsmoment  nicht  konstant  sein, 
es  muß  sich  bei  Erhöhung  der  Temperatur  auf  Grund  des 
Modells  vergrößern.  Man  berechnet  indessen  leicht,  daß  diese 
Änderungen  nur  verhältnismäßig  gering  sind.  Rotiert  näm- 
lich bei  T = 300  z.  B.  das  ATg-Molekül  um  eine  Achse  senk- 
recht zur  Verbindungslinie  der  Kerne  mit  einer  Rotations- 

0 Der  Kreisradius  a wurde  nach  der  aus  (33)  und  (34)  mit  z = ■-- 

7t 

folgenden  Formel: 

. = 2(3|/3 

a 

berechnet,  während  d = —7-  gesetzt  ist. 

1 3 


Die  Konstitution  des  Wasserstoff-Moleküls. 


or. 


geschwindigkeit,  welche  dem  Aquipartitionsgesetz  entspricht, 
dann  ist  die  auf  einen  der  Kerne  infolgedessen  wirkende  Zentri- 
fugalkraft gleich  1,34.10“^  dynen.  Dagegen  ist  die  zum  Mittel- 
punkt hin  gerichtete  elektrostatische  Anziehung,  welche  dann 
auftritt,  wenn  der  Kernabstand  d um  AfZ  vergrößert  wird, 
während  der  Elektronenradius  konstant  gehalten  wird,  gleich: 

^ 1/3  ^ = 0,024  . - 

1 6 a a a 


Infolge  der  durch  die  Wärmebewegung  verursachten  Ro- 
tation ist  deshalb  nur  eine  Streckung  in  Richtung  der  Kernachse 

von  dem  Betrage  = 5,6.10“*  zu  erwarten.  Das  Modell 

CL 

liefert  also  zugleich  eine  Begründung  dafür,  daß  man  in  einem 
großen  Temperaturgebiet  mit  einem  sehr  nahezu  konstanten 
Trägheitsmoment  rechnen  darf. 

Andererseits  erscheint  es  allerdings  möglich,  die  durch 
die  Temperaturrotation  verursachte  Streckung,  durch  genaue 
Beobachtungen  über  den  Temperaturkoeffizienten  des  Brechungs- 
exponenten experimentell  festzustellen.  Man  müßte  dazu  fest- 
stellen, daß  auch  bei  konstanter  Dichte  n nicht  vollständig 
von  der  Temperatur  unabhängig  ist.  Beobachtungen  in  dieser 
Richtung  sind  mir  nicht  bekannt. 

Eine  andere  Anwendung  wäre  die  Berechnung  der  Per- 
meabilität des  üg'Giases  für  ein  magnetisches  Feld,  die  beson- 
ders auch  mit  Rücksicht  auf  den  Zeeman-Effekt  von  Inter- 
esse ist. 

Dann  ist  auch  die  Theorie  der  Zustandsgleichung  und 
daran  anschließend  die  Berechnung  der  mit  der  Größe  der 
freien  Weglänge  in  direktem  Zusammenhang  stehenden  Er- 
scheinungen der  Wärmeleitfähigkeit  und  der  inneren  Reibung 
in  Betracht  zu  ziehen.  Man  wird  eben  mit  Recht  verlangen 
können,  daß  das  Modell  auch  die  sonst  ganz  unbekannten 
Kräfte  zwischen  den  Einzelmolekülen  richtig  darzustellen  ver- 
mag. Man  kann  das  Resultat  der  entsprechenden  Rechnung 
z.  B.  folgendermaßen  ausdrücken:  ,Es  ist  möglich,  die  innere 


26 


P.  Debye,  Die  Konstitution  des  Wasserstoff-Moleküls. 


Reibung  des  Wasserstoffs  im  voraus  zu  berechnen  ausschließlich 
aus  den  vier  universellen  Konstanten  e,  ju,  h und  Je.“ 

Schließlich  wird  man  versuchen  müssen,  auch  wenigstens 
für  die  näch.stfolgenden  Elemente  des  periodischen  Systems 
ähnlich  detaillierte  Vorstellungen  über  den  Atomaufbau  zu 
gewinnen.  Das  nächstliegende  Modell,  das  man  z.  B.  für  He- 
lium konstruieren  würde:  ein  doppelt  positiv  geladener  Kern, 
um  den  in  einer  Ebene  zwei  Elektronen  kreisen,  entspricht, 
wie  ich  mich  überzeugte,  nicht  den  zu  stellenden  Anforderungen. 
Man  findet  z.  B.  für  den  Brechungsexponenten  eine  Formel, 

ß 

deren  Entwicklung  nach  Potenzen  von  die  Form  hat: 

(O 

w'  — 1 _ 77  c“  r 6069  s*- 
4:7iN  4:  jUCO^  88  CO*  ’ 

Man  überzeugt  sich  leicht,  daß  dieselbe  nicht  mit  den 
Experimenten  über  die  Dispersion  des  Heliums  in  Einklang 
zu  bringen  ist.  Das  Modell  für  Helium  bleibt  also  noch  auf- 
zufinden. Daß  man  aber  auch  hier  wie  überall  inneratomisti- 
sche  , Planetensysteme“  wird  zugrunde  legen  müssen,  scheint 
mir  wenigstens  äußerst  wahrscheinlich. 

Göttingen-München,  6.  Januar  1915. 


27 


Über  eine  charakteristische  Eigenschaft  sogenannter 
Treppenpolygone  und  deren  Anwendung  auf  einen 
Fundamentalsatz  der  Funktionentheorie. 

Von  Alfred  Pringsheim. 

Vorgetragen  in  der  Sitzung  am  9.  Januar  1915. 

Ein  von  Weierstraß  herrührender,  für  die  Theorie  der 
analytischen  Funktionen  grundlegender  Satz  besagt  folgendes: 
Wenn  ein  Funktions-Element  sich  auf  jedem  innerhalb  eines 
einfach  zusammenhängenden  Bereiches  B verlaufenden  Wege 
analytisch  fortsetzen  läßt,  so  sind  jene  Fortsetzungen  vom  Wege 
unabhängig,  und  es  definiert  jenes  Funktions-Element  mit  seinen 
Fortsetzungen  eine  im  Innern  von  B eindeutige  analytische 
Funktion  regulären  Verhaltens. 

Der  Beweis  dieses  Satzes  bietet  keine  besondere  Schwierig- 
keit, falls  man  sich  dabei  auf  Bereiche  einfacher  Art  beschränkt, 
etwa  solche,  die  von  konvexen  Polygonen  oder  einfach  ge- 
schlossenen konvexen  Kurven  begrenzt  sind,  wird  indessen  selbst 
bei  dieser  Beschränkung  in  den  mir  bekannten  Lehrbüchern 
in  nicht  völlig  befriedigender  Weise  dargestellt.  Recht  [ver- 
wickelt und  wenig  durchsichtig  gestaltet  sich  aber  der  frag- 
liche Beweis  für  den  Fall,  daß  man  einfach  zusammenhängende 
Bereiche  allgemeinster  Art  dabei  ins  Auge  faßt,  selbst  wenn 
man  in  Bezug  auf  die  besondere  Struktur  der  Begrenzung 
noch  gewisse  (für  die  Tragweite  des  Beweises  tatsächlich  ziem- 
lich unwesentliche)  Beschränkungen  einführt,  etwa  daß  dieselbe 
nicht  aus  beliebigen  stetigen,  sondern  aus  abteilungsweise  mono- 


28 


A.  Pringsheim 


tonen  oder  sogenannten  regulären  Kurvenstücken  bestehen  solle, 
und  wenn  man  auch  bezüglich  der  Wege,  welche  für  die 
analytische  Fortsetzung  benützt  werden  sollen,  die  analogen 
Einschränkungen  macht ^).  Bei  der  grundlegenden  Wichtigkeit 
des  fraglichen  Satzes  hielt  ich  es  nach  alledem  für  wünschens- 
wert, für  denselben  einen  wirklich  elementaren,  auch  dem  An- 
fänger in  allen  Einzelheiten  verständlichen  und  überzeugend 
erscheinenden  Beweis  zu  suchen,  der  von  vornherein  auf  einer 
anderen  Methode  beruht,  als  die  bisher  gegebenen  Beweise. 
Während  diese  nämlich  stets  direkt  darauf  ausgehen,  die  ver- 
schiedenen Wege -Möglichkeiten  durch  sukzessive  Reduktionen 
als  äquivalent  zu  erweisen,  glaubte  ich  das  fragliche  Ziel  weit 
einfacher  und  durchsichtiger  auf  andere  Weise  zu  erreichen, 
indem  ich  zeige,  dah  nach  Einführung  einer  passenden  Ge- 
bietseinteilung der  gesamte  Bereich  systematisch  mit  einem 
Netz  ineinander  greifender  Potenzreihen  überzogen  werden  kann, 
welche  eine  eindeutige  analytische  Funktion  erzeugen  und 
somit  ohne  weiteres  deren  analytische  Fortsetzung  innerhalb 
jenes  Bereiches  von  dem  dabei  benützten  Wege  vollständig 
unabhängig  erscheinen  lassen.  Dabei  beschränke  ich  mich  auf 
diejenige  Begrenzungsform,  für  die  ich  bei  früherer  Gelegen- 
heit^) die  Bezeichnung  „Treppenpolygon“  eingeführt  habe: 
in  der  Tat  erweist  sich  diese  Annahme  für  ziemlich  weitgehende 
funktionentheoretische  Ansprüche  als  völlig  ausreichend,  da  sich 
Begrenzungen  sehr  allgemeiner  Natur  durch  Treppenpolygone 
beliebig  approximieren  lassen^).  Die  oben  erwähnte  Gebiets- 
einteilung läuft  alsdann  auf  eine  Zerlegung  in  Rechtecke 
hinaus,  deren  charakteristische  Eigenschaft  darin  besteht,  dah 
bei  einer  besonderen  Anordnung  bzw.  Numerierung,  wobei  zu- 

')  S.  z.  B.  Stolz-Gineiner,  Einleitung  in  die  Funktionentheorie, 
I (1904),  p.  116;  II  (1905),  p.  320-  Vgl.  auch  W.  F.  Osgood;  On  a gap 
in  the  ordinary  presentation  of  Weierstraß’s  theory  of  functions.  Bull,  of 
the  American  Math.  Soc.  (2),  X (1904),  p.  294. 

Dieser  Berichte  Bd.  25  (1895),  p.  56. 

^)  S.  z.  B.  Burkhardt,  Einführung  in  die  Theorie  der  analytischen 
Funktionen.  Dritte  Aufl.  (1908),  p.  90,  102. 


Treppenpolygone  und  deren  funktionentheoretische  Anwendung.  29 


nächst  ein  bestimmtes  Rechteck  als  erstes  fixiert  wird,  jedes 
folgende  mit  einem  vorangehenden  nur  längs  einer  Seite  zu- 
sammenhängt. Der  Nachweis  einer  solchen  Zerlegbarkeit  ist 
das  Hauptziel  der  folgenden  Untersuchung.  Wenn  dieser  Nach- 
weis trotz  seiner  prinzipiellen  Einfachheit  in  der  vorliegenden 
Darstellung  etwas  lang  und  umständlich  erscheinen  mag,  so 
rührt  das  lediglich  davon  her,  daß  ich  es  für  zweckmäßig  hielt, 
den  ganzen  Gegenstand  von  Grund  aus  im  Zusammenhänge  zu 
entwickeln  und  dabei  so  gut  wie  gar  nichts  vorauszusetzen. 
Diese  Entwickelungen  bilden  den  Inhalt  der  beiden  ersten  Para- 
graphen, während  der  dritte  die  Anwendung  des  gewonnenen 
Ergebnisses  auf  den  Beweis  des  erwähnten  Weierstraßschen 
Satzes  enthält. 


§ 1. 


Treppenwege. 


1.  Unter  einem  (sc.  endlichen)  Treppenwege  verstehen 
wir  eine  gebrochene  Linie,  die  aus  einer  endlichen  Anzahl  paar- 
weise rechtwinklig  aneinander  stoßender,  jedoch  keinen  wei- 
teren Punkt  gemein  habender  Strecken  besteht.  Diese  letz- 
teren, die  man  ohne  Beschränkung  der  Allgemeinheit  als  ab- 
wechselnd horizontal  und  vertikal  annehmen  kann,  sollen  als 
Seiten,  die  Punkte,  in  denen  zwei  Seiten  zusammenstoßen, 
als  Ecken  des  Treppenweges  bezeichnet  werden. 

Bezieht  man  die  Punkte  des  Treppenweges  auf  ein  recht- 
winkliges, zu  den  Seiten  parallel  gestelltes  Koordinatensystem 
und  bedient  sich  der  Schreibweise  {Xy  ...  x ..  . a;,.+i)  bzw. 
{x/y  ...  y ..  . ^v+i),  um  auszudrücken,  daß  x bzw.  y beständig 
wachsend  oder  abnehmend  das  Intervall  {Xy,  Xyj^\)  bzw. 
{yy,  «/y+i)  durchläuft,  so  läßt  sich,  falls  man  etwa  den  Treppen- 
weg mit  einer  Horizontalen  beginnen  und  mit  einer  Vertikalen 
endigen  läßt,  die  Gesamtheit  seiner  Punkte  in  folgender  Weise 
anschreiben : 


30 


A.  Pringsheim 


(1) 


...  X ... 

X = x^ 

X^  ...  X ...  x.^ 
X = x^ 


y = !h 

i/o  • • • y • • • 2/i 

y = y. 

Ul  - ■ - y ■■  ■ y-i 


x^i  _ 1 , . . ^ . Xfi  y — = _ I 

OC  Xn  yn~\  . . . 2/  • • • 2/« 

Bedeutet  {x‘,  y‘)  irgend  einen  Punkt  des  Treppenweges, 
so  kann  für  die  übrigen  Punkte  zwar  x noch  beliebig  oft  den 
Wert  x\  ebenso  y den  Wert  y‘  annehmen,  dagegen  kann  das 
Wertepaar  {x‘,  y‘)  kein  zweites  Mal  Vorkommen. 

2.  Die  Ecken,  welche  bei  Treppenwegen  auftreten,  lassen 
sich  zunächst  nach  dem  folgenden  rein  geometrischen  Gesichts- 
I)unkte  in  zwei  verschiedene  Gruppen  teilen.  Durchläuft  man 
den  Treppenweg  von  einem  beliebig  gewählten  der  beiden 
äußersten  Punkte  anfangend,  also  in  einem  nach  getroffener 
Wahl  nunmehr  eindeutig  bestimmten  Fortschreitungssinne,  so 
sollen  die  einzelnen  Ecken  als  solche  erster  oder  zweiter  Art 
bezeichnet  wei'den,  je  nachdem  man  bei  ihrer  Umlaufung  den 
Winkel  von  90°  (s.  Fig.  I)  oder  denjenigen  von  270°  (s.  Fig.  II) 
zur  Linken  hat.  Diese  Bezeichnungen  sind  offenbar  lediglich 
relative,  jede  derselben  geht  in  die  andere  über,  wenn  man 
die  Durchlaufung  des  Treppenweges  in  entgegengesetztem  Sinne 
ausführt. 

I II 

■^3 -A2  -B4  

I 

! Ai  I Bi 

I ' 

A4 — JI3 1 I B2 

Um  die  obige  zunächst  rein  geometrisch  definierte  Ein- 
teilung auch  arithmetisch  zu  charakterisieren,  bemerke  man 
folgendes.  Eine  Ecke  entsteht  beim  Übergange  von  der  hori- 
zontalen, also  2;- Richtung  in  die  vertikale,  also  ^-Richtung 
oder  umgekehrt:  hiernach  wollen  wir  die  Ecken  im  ersten  Falle 
als  a:«/-Übergänge,  im  zweiten  als  ya;-Übergänge  bezeichnen. 


Treppenpolygone  und  deren  funktionentheoretische  Anwendung.  31 


Andererseits  können  sich  in  der  Nachbarschaft  eines  solchen 
Überganges  x und  y in  gleichem  oder  in  entgegengesetztem 
Sinne  ändern,  und  es  sollen,  je  nachdem  das  eine  oder  das 
andere  der  Fall  ist,  die  betreffenden  Übergänge  als  gleich- 
stimmige  oder  als  ungleichstimmige  bezeichnet  werden. 
Alsdann  erkennt  man  unmittelbar,  daß  die  oben  gegebenen 
Begriffsbestimmungen  auch  durch  die  folgenden  ersetzt  werden 
können : 

Ecken  \ Gleichstimmige  a;^-Übergänge  (Fig.  I: 
erster  Art  lüngleichstimmige  ya;-Übergänge  (Fig.  I:  A^) 

Ecken  f Ungleichstimmige  a:y-Übergänge  (Fig.  II:  B^) 

zweiter  Art  l Gleichstimmige  -Übergänge  (Fig.  II:  B^,  BJ. 

Ecken  derselben  Art  sollen  als  gleichartig  bezeichnet 
werden. 

3.  Andern  sich  bei  Durchlaufung  des  Treppenweges  x und  y 
durchweg  monoton  (und  zwar  gleichgültig,  ob  in  demselben 
oder  in  entgegengesetztem  Sinne),  so  soll  der  Treppenweg 
monoton  heißen:  er  hat  dann  entweder  lauter  gleichstimmige 
oder  lauter  ungleichstimmige  Ecken,  also  in  beständiger  Ab- 
wechselung solche  erster  und  zweiter  Art,  er  verläuft  „treppen- 
förmig“ im  gewöhnlichen  Sinne. 

Ist  nun  der  Treppen  weg  nicht  monoton,  so  muß  wenig- 
stens eine  der  beiden  Veränderlichen  x und  y ein  Maximum 
oder  Minimum  aufweisen,  so  daß  also  mindestens  einmal  eine 
unmittelbare  Aufeinanderfolge  einer  gleichstimmigen  xy- 
und  einer  ungleichstimmigen  ya;-Ecke  (bzw.  yx-  und 
iC^-Ecke),  d.  h.  zweier  gleichartigen  Ecken  eintritt.  Eine 
solche  Folge  zweier  gleichartigen  Ecken  soll  schlechthin  als 
Eckenfolge,  ihre  Verbindungslinie  als  Rückkehrseite  be- 
zeichnet werden. 

Es  sei  C,  C‘  eine  solche  Eckenfolge,  und  es  werde  zu- 
nächst vorausgesetzt,  daß  die  zu  einer  dieser  beiden  Ecken, 
etwa  die  zu  C‘  benachbarte  Ecke  näher  an  6"  liegt,  als 
an  C die  zu  C benachbarte  Ecke  (an  deren  Stelle  eventuell 


32 


A.  Pringsheini 


auch  einer  der  Endpunkte  des  Treppenweges  treten  darf).  Die 
zu  C benachbarte  Ecke  ist  entweder  von  anderer  oder  von 
der  gleichen  Art,  wie  C,  und  zwar  soll  im  letzteren  Falle 
angenommen  w'erden,  daß  dann  die  nächstfolgende  Ecke  der 
anderen  Art  angehört.  In  jedem  dieser  beiden  Fälle  wird 
eine  von  der  Ecke  anderer  Art  D zur  Kückkehrseite  CC“  ge- 
zogene Parallele  die  bei  G anstoßende  Seite  in  einem  Punkte  B 
treffen  (s.  Fig.  III  und  IV).  Alsdann  soll  der  Linienzug  BGC'D 

III  IV 

C --^C  C-~  ^ C 

Bl  _ D B : |c" 


bzw.  BCG'ü“D  ein  einfaches  Endstück  und,  falls  keine 
andei'e  Seite  des  Treppenweges  in  das  Innere  des  Rechtecks 
BGC'D  bzw.  BCC'C"  eintritt  oder  mit  der  Geraden  BD  ein 
Stück  gemein  hat,  ein  freies  (einfaches)  Endstück  des  Treppen- 
weges heißen.  Man  kann  dann  bei  Durchlaufung  des  Treppen- 
weges ohne  jede  sonstige  Abänderung  desselben  das  Wegstück 
BCC  D bzw.  BCC'G“ D ausschalten  und  durch  den  kür- 
zeren Weg  BD  ersetzen,  eine  Operation,  für  die  wir  die 
Bezeichnung  einführen  wollen:  man  könne  das  freie  End- 
stück BGC'D  bzw.  BCC'C"D  mit  Hülfe  des  Querschnit- 
tes BD  von  dem  Treppenwege  abschneiden.  Bei  dieser 
Operation  kommen  im  Falle  der  Figur  III  die  Ecken  C,  C'  und 
die  damit  ungleichartige  Ecke  D in  Wegfall,  während  eine 
mit  den  beiden  erstgenannten  gleichartige  Ecke  bei  B neu 
hinzutritt:  der  Treppenweg  verliert  also  im  ganzen  ein  Paar 
ungleichartiger  Ecken.  Im  Falle  der  Figur  IV  verschwin- 
den die  drei  gleichartigen  Ecken  G,  C',  C"  und  die  damit 
ungleichartige  D,  während  andererseits  zwei  mit  jenen 
ersteren  gleichartige  Ecken  bei  B und  D neu  hinzukommen: 
auch  hier  geht  also  genau  ein  Paar  ungleichartiger  Ecken 
verloren. 


Treppenpolygone  und  deren  funktionentheoretiscbe  Anwendung.  33 


Wir  betrachten  jetzt  zweitens  den  Fall,  dafs  ü und  C‘  von 
ihren  benachbarten  Ecken  gleich  weit  entfernt  sind.  Dabei 
unterscheiden  wir,  ob  diese  benachbarten  Ecken  mit  C und  C 
beide  ungleichartig  (s.  Fig.  V)  oder  beide  gleichartig 
(Fig.  VII)  sind,  oder  ob  die  eine  mit  C,  C ungleichartig, 
die  andere  gleichartig  ist  (Fig.  VI);  zugleich  sollen  in  den 
beiden  letzten  Fällen  die  nächstbenachbarten  bzw.  die  nächst- 
benachbarte mit  C,  C‘  ungleichartig  sein.  Wir  bezeichnen 
alsdann  die  Linienzüge  i)CC‘D',  DC C‘C“D‘,  DC^CC'C“!)' 
gleichfalls  als  Endstücke  und,  falls  eine  besondere  Unter- 
scheidung gegenüber  den  zuvor  betrachteten  erforderlich  sein 
sollte,  als  Doppel- Endstücke  (aus  einem  sogleich  verständlich 
werdenden  Grunde).  Offenbar  läßt  sich  jedes  dieser  drei  End- 
stücke, wenn  es  in  dem  zuvor  angegebenen  Sinne  ein  freies 

V 

C C 

D D' 


ist,  durch  den  Querschnitt  DD‘  abschneiden.  Dabei  gehen 
im  Falle  der  Figur  V die  beiden  Ecken  C,  C‘  und  die  damit 
ungleichartigen  D,  D'  ohne  jeden  Ersatz  verloren.  Im  Falle 
der  Figur  VI  verschwinden  die  drei  Ecken  C,  C‘,  C“  und  die 
beiden  damit  ungleichartigen  D,  D‘,  während  bei  D'  eine 
mit  den  erstgenannten  gleichartige  neu  entsteht.  Endlich 
im  Falle  der  Figur  VII  verschwinden  die  vier  Ecken  (7j,  C, 
C‘,  C"  und  die  damit  ungleichartigen  D,  D',  während  zwei 
jener  ersteren  durch  entsprechende  gleicher  Art  bei  D und  D‘ 
entstehende  ersetzt  werden.  In  jedem  dieser  drei  Fälle  gehen 
also  zwei  Paare  ungleichartiger  Ecken  verloren.  Somit 
ergibt  sich  schließlich : 

Wird  von  einem  Treppenwege  ein  freies  End- 
stück abgeschnitten,  so  verliert  derselbe  ein  Paar 
oder  zwei  Paare  ungleichartiger  Ecken. 

Sitzungsb.  d.  m.ttb.-pbys.  Kl.  Jahrg.  1915. 


VI 

c, 


VII 


D\ 


\1) 


7 C"  c,- 


D \D 


3 


34 


A.  Pringsheini 


Im  Anschluß  an  die  vorstehenden  Figuren  möge  noch 
(NB.  nicht  als  Beweismittel,  sondern  lediglich  zum  besseren 
Verständnis  verschiedener  späterhin  in  Betracht  kommender 
Möglichkeiten)  darauf  hingewiesen  werden,  daß  im  Falle  der 
Figur  IV  auch  bei  C‘C“  ein  freies  Endstück  entsteht,  welches 
statt  des  horizontal  abgeschnittenen  durch  einen  vertikalen 
Schnitt  abgetrennt  werden  kann  (s.  die  punktierte  Linie  in 
Fig.  IV).  Das  gleiche  ergibt  sich  bei  Figur  VI,  während  man 
im  Falle  der  Figur  VII,  statt  das  Doppel- Endstück  durch 
einen  horizontalen  Schnitt  abzutrennen,  auch  die  beiden  ein- 
fachen Endstücke  mit  den  Rückkehrseiten  CC^  und  C' C“ 
durch  vertikale  Querschnitte  abschneiden  könnte. 

Bei  den  eben  betrachteten  Beispielen  sind  die  vertikal 
abzuschneidenden  Endstücke  so  gelegen,  daß  sie  vollständig  in 
die  horizontal  abzuschneidenden  hineinfallen 
und  daher  gleichzeitig  mit  diesen  auch  be- 
seitigt werden.  Andererseits  kann  natürlich 
auch  der  Fall  eintreten,  daß  solche  Endstücke 
sich  nur  teilweise  decken  und  daß  man  daher 
lediglich  die  Wahl  hat.  zunächst  das  eine  oder 
das  andere  abzuschneiden  (s.  z.  B.  Fig.  VIII). 

4.  Lehrsatz  1.  Ein  horizontal  beginnender  und 
ebenso  endigender,  nicht  monotoner  Treppenweg,  der 
zwei  beliebige  Punkte  {x^,  und  (X,  Y)  verbindend 
ganz  im  Innern  des  von  den  Vertikalen  x = Xf^  und  x = X 
begrenzten  Parallelstreifens  verläuft,  läßt  sich  durch 
sukzessives  Abschneiden  freier  Endstücke  in  einen 
jene  beiden  Punkte  gleichfalls  verbindenden  monotonen 
Treppenweg  verwandeln,  der  sich  im  Falle  ^0  = Y auf 
eine  horizontale  Gerade  reduziert. 

Beweis.  Da  der  Treppenweg  nicht  monoton  ist,  also 
mindestens  eine  Rückkehrseite  enthält,  so  läßt  sich  zeigen, 
daß  dann  auch  mindestens  ein  freies  Endstück  vorhanden 
sein  muß.  Existiert  nur  eine  einzige  Rückkehrseite,  so  muß 
die  betreffende  Eckenfolge  offenbar  zwei  ungleichartige 


C 

B 


VIII 

E' 


])' 


i'' 

'E 

C" 


Treppenpolygone  und  deren  funktionentheoretische  Anwendung.  35 


benachbarte  Ecken  haben,  andernfalls  würde  ja  eine  weitere 
Eckenfolge,  also  auch  eine  weitei-e  Rückkehrseite  entstehen. 
Somit  liefert  also  jene  eine  Rückkehrseite  jedenfalls  ein  End- 
stück. Dieses  ist  aber  auch  stets  ein  freies:  zunächst  kann 
keinesfalls  einer  der  Endpunkte  des  Treppenweges  im  Innern 
desselben  oder  auf  dem  Querschnitt  liegen,  denn  ist  etwa  < X, 
so  genügen  ja  die  Abszissen  x (aller  Punkte  des  Treppen- 
weges, da  er  im  Innern  des  Parallelstreifens  x = Xq,  x = ^ 
verläuft)  der  Bedingung  Xq<^x  <.  X.  Träte  also  überhaupt 
irgend  ein  Teil  des  Treppenweges  in  das  Innere  jenes  End- 
stücks oder  an  den  zugehörigen  Querschnitt,  so  müßte  er  auch 
wieder  umkehren,  was  ja  die  Existenz  einer  weiteren  Rück- 
kehrseite nach  sich  ziehen  würde. 

Enthält  der  Treppenweg  mehrere  Rückkehrseiten,  so  muß 
es  unter  diesen  eine  oder  auch  mehrere  einander  gleiche  kürzeste 
gegeben.  Dann  liefert  aber  wieder  jede  solche  kürzeste  Rück- 
kehrseite CC‘  ein  freies  Endstück.  Gehören  nämlich  zu  C 
und  C‘  nicht  gleich  weit  entfernte  Nachbarecken,  so  muß, 
wenn  etwa  die  am  nächsten  gelegene  Ecke  zu  C‘  benachbart 
ist,  einer  der  beiden  durch  Fig.  III  und  IV  charakterisierten 
Fälle  eintreten^),  und  das  so  entstehende  Endstück  muß  ein 
freies  bleiben,  da  ja  bezüglich  eines  etwaigen  Eindringens 
eines  Endpunktes  des  Treppenweges  die  bereits  im  vorigen 
Falle  erörterte  Unmöglichkeit  bestehen  bleibt,  andererseits  auch 
kein  anderer  Teil  des  Treppenweges  in  das  Innere  jenes  End- 
stückes eintreten  oder  mit  dem  abschließenden  Querschnitt  ein 
Stück  gemein  haben,  ohne  die  Existenz  einer  noch  kürzeren 

b Ist  eine  Rückkehnseite  vorhanden,  bei  welcher  einer  der  End- 
punkte des  Treppen  Weges  die  Stelle  einer  benachbarten  Ecke  vertritt, 
so  kann  eine  solche  Rückkehrseite  niemals  als  einzige  auftreten:  diese 
Möglichkeit  scheidet  also  in  dem  vorliegenden  Falle  von  vornherein  aus. 
(Vgl.  auch  die  Fußnote  auf  p.  40.) 

Es  kann  nicht  etwa  der  Treppenweg  in  dem  durch  Fig.  IV  dar- 
gestellten Falle  beim  Punkte  D nach  der  entgegengesetzten  Richtung 
abbiegen,  da  ja  auf  diese  Weise  eine  Rückkehrseite  DC“  <iCü‘  ent- 
stehen würde. 


3* 


36 


A.  Pringsheim 


Rückkehrseite  (d.  li.  <6'C')  nach  sich  zu  ziehen.  Liegen  da- 
gegen C und  C‘  gleichweit  entfernt  von  ihren  Nachbarecken, 
dann  muß  eiu  Endstück  von  einer  der  Formen,  wie  in  Fig.  V 
bis  VII  dargestellt,  zum  Vorschein  kommen^),  das  dann  wieder 
aus  den  unmittelbar  zuvor  angeführten  Gründen  auch  ein  freies 
bleiben  muß. 

Somit  ist  gezeigt,  daß  jeder  nicht-monotone  Treppenweg 
ein  oder  mehrere  freie  Endstücke  enthält.  Werden  diese 
abgeschnitten,  so  ist  der  übrig  bleibende  Treppenweg  (d.  h. 
derjenige,  welcher  aus  dem  ursprünglichen  dadurch  entstanden 
ist,  daß  die  abgeschnittenen  Wegstücke  durch  die  entsprechen- 
den Querschnitte  ersetzt  worden  sind)  entweder  monoton  (was 
sicher  dann  der  Fall  ist,  wenn  überhaupt  nur  eine  Rückkehr- 
seite vorhanden  war)  oder  er  besitzt  noch  ein  oder  mehrere 
freie  Endstücke,  die  dann  wieder  analog  wie  zuvor  abgeschnitten 
werden  können.  Fährt  man  in  dieser  Weise  fort,  so  muß,  da 
ja  der  ursprüngliche  Treppenweg  nur  eine  endliche  Anzahl 
von  Ecken  besaß  und  durch  das  Abschneiden  eines  freien  End- 
stückes jedesmal  mindestens  ein  Eckenpaar  verloren  geht,  nach 
einer  endlichen  Anzahl  der  angedeuteten  Operationen , ein 
Treppen  weg  zum  Vorschein  kommen,  der  keine  Rückkehr- 
seite mehr  enthält,  also  monoton  ist.  Dabei  bleiben  die 
beiden  Endpunkte  offenbar  unverändert,  da  ja  nach  Voraus- 
setzung der  Treppen  weg  ganz  im  Innern  des  Parallelstreifens 
X = Xq,  X = K verlaufen  sollte,  jene  beiden  Endpunkte  bei 
den  fraglichen  Operationen  also  niemals  beteiligt  sind.  Daraus 
folgt  schließlich  noch,  daß  jener  monotone  Treppenweg  sich 
auf  die  Verbindungslinie  Xq\  reduziert,  wenn  Anfangs-  und 
Endpunkt  des  Treppenweges  in  derselben  Horizontalen  liegen. 

5.  Lehrsatz  II.  Der  im  vorigen  Lehrsatz  charak- 
terisierte Treppenweg  zerlegt  den  von  den  Vertikalen 
X = x^,  iC  = X begrenzten  Parallelstreifen  in  zwei  ge- 


*)  Bezüglich  der  Fälle  Fig.  VI  und  VII  gilt  eine  analoge  Bemer- 
kung, wie  die  in  der  vorigen  Fußnote  gemachte. 


Treppenpolygone  und  deren  funktionentheoretische  Anwendung.  37 


trennte  Stücke,  ein  , oberes“  und  ein  „unteres“,  deren 
jedes  einen  zusammenhängenden  Bereich  bildet. 

Beweis.  Der  ausgesprochene  Satz  gilt  zunächst,  falls  der 
Treppen  weg  ein  monotoner  ist,  wie  man  unmittelbar  erkennt, 
wenn  man  den  letzteren  aus  einer  Horizontalen,  welche  den 
Parallelstreifen  in  ein  „oberes“  und  ein  „unteres“  Stück  zer- 
legt, durch  sukzessives  Ansetzen  treppenförmig  gelagerter  Recht- 
ecke entstehen  läßt. 

Angenommen  nun  der  Satz  sei  für  irgend  einen  speziellen 
Treppenweg  T erwiesen.  Ist  dann  P ein  innerer  Punkt  des 
einen  Teilbereiches,  etwa  des  oberen,  so  muß  eine  durch  P 
gezogene,  nach  abwärts  gerichtete  Vertikale  den  Treppen  weg  T 
mindestens  in  einem,  eventuell  in  einem  ersten  Punkte  P‘ 
schneiden.  Für  einen  anderen,  nicht  gerade  der  Strecke  PP' 
ungehörigen^)  Innenpunkt  Pj  des  oberen  Teilbereiches  mag 
P[  die  analoge  Bedeutung  haben.  Alsdann  bildet  der  Linien- 
zug PP'(T)PIPi,  wo  (T)  das  zwischen  P'  und  P'i  liegende 
Stück  von  T bedeutet,  einen  die  Punkte  P und  Pj  verbindenden 
Treppenweg.  Bedeutet  nun  d eine  positive  Zahl,  die  höchstens 
so  groß  ist,  wie  die  kleinste  Seite  und  der  kleinste  Abstand 
zweier  paralleler  Seiten  von  T,  auch  höchstens  so  groß,  wie 
jede  der  Strecken  PP',  P\P\  und  ihre  kleinsten  Abstände  von 

den  zwischenliegenden  Vertikalseiten  von  T,  und  wird  "2 

angenommen,  so  läßt  sich  dem  Treppenwege  T ein  aus  Innen- 
punkten des  oberen  Bereiches  bestehender,  im  Abstande  d' 
parallel  zu  den  Seiten  von  T verlaufender  Treppenweg  t zu- 
ordnen, der  PP'  im  Punkte  P",  P\P'i  im  Punkte  Pi  treffen  mag. 
Wird  das  zwischen  P"  und  Pi  liegende  Stück  von  t mit  (t) 
bezeichnet,  so  bildet  der  Linienzug  PP"(T)Pj'P,  einen  durch- 
weg aus  Innenpunkten  des  oberen  Bereiches  bestehenden,  die 
Punkte  P und  Pj  verbindenden  Treppenweg,  dessen  Existenz 

Der  Fall,  daß  Pj  auf  PP'  liegen  sollte,  ist  zu  trivial,  um  in  dem 
vorliegenden  Zusammenhänge  eine  Erörterung  zu  erfordern. 


38 


A.  Pringslieim 


als  Kriterium  dafür  gelten  kann,  daß  jener  obere  Bereich  ein 
zusammenhängender  ist. 

Nun  werde  der  obige  Treppenweg  T durch  Ansetzen 
eines  freien  Endstückes  in  einen  (gleichfalls  im  Innern  des 
Parallelstreifens  x = x = X verlaufenden)  Treppen  weg  T' 
übergeführt,  also  in  der  Weise  abgeändert,  daß  man  entweder 
ein  Stück  einer  Seite  (s.  Fig.  lila,  Va,  Via)  oder  eine 
ganze  Seite  (s.  Fig.  IVa,  VII  a)^)  durch  einen  mit  dem  Treppen- 
wege T sonst  nirgends  kollidierenden,  auch  die  Grenzvertikalen 
nicht  berührenden,  gebrochenen  Linienzug  ersetzt,  der  mit  der 
ausgeschalteten  Strecke  zusammen  ein  Rechteck  bildet.  Als- 
dann läßt  sich  zeigen,  daß  der  fragliche  Satz  auch  für  den 

lila  Va  Via  IVa  VII  a 


Cr iC  Cr 1(7  Cr ^C  Cr 


B 


^ JL 


fcCC"  B 


D 

C Cr 


X' 


D 


mm 


D 


Treppenweg  T'  gilt.  Da  zu  beiden  Seiten  des  ausgeschal- 
teten Wegestücks  Punkte  verschiedener  Kategorie,  zu  beiden 
Seiten  des  neu  hinzutretenden  Wegestücks  Punkte  der- 
selben Kategorie  liegen,  so  werden  durch  die  angedeutete 
Operation  lediglich  die  Innenpunkte  des  betreffenden  Recht- 
ecks dem  einen  Bereiche  — etwa,  um  eine  Festsetzung  zu 
treffen,  dem  oberen,  entzogen  und  dem  anderen,  also  dem 
unteren,  hinzugefügt.  Daß  auch  der  Treppen  weg  T'  die 
beiden  Bereiche  vollständig  gegen  einander  abschließt  und 
zugleich  der  untere  dabei  ein  zusammenhängender  bleibt, 
ist  evident.  Um  die  Erhaltung  dieser  Eigenschaft  auch  für 
den  oberen  Bereich  zu  erkennen,  bemerke  man  zunächst,  daß 

')  Die  Numerierung’  der  Figuren  und  die  Bezeichnung  der  verschie- 
denen Eckpunkte  entspricht  genau  derjenigen  der  Fig.  III — VII,  p.  32,  33 
während  die  Reihenfolge  nach  Maßgabe  des  hier  vorliegender.  Einteilungs- 
prinzips abgeändert  erscheint. 


Treppenpolygone  und  deren  funktionentheoretische  Anwendung.  39 


die  von  einem  beliebigen  Innenpunkte  F des  oberen  Bereichs 
nach  abwärts  gerichtete  Vertikale,  falls  sie  nicht  einen  bzw. 
einen  ersten  Punkt  von  T'  trifft,  der  dem  ursprünglichen  Treppen- 
wege T angehört,  die  obere  Seite  des  eingeschalteten  Recht- 
eckstückes treffen  muh,  so  daß  also  die  Fußpunkte  der  von 
zwei  solchen  Punkten  P,  P,  gefällten  Vertikalen  zunächst 
durch  ein  gewisses  Stück  (TO  des  Treppenweges  T'  verbunden 
erscheinen.  Diesem  letzteren  läßt  sich  aber,  da  in  der  un- 
mittelbaren äußeren  Nachbarschaft  der  fraglichen  Rechteck- 
seiten ausschließlich  Innenpunkte  des  oberen  Bereiches  liegen, 
ein  aus  solchen  Punkten  in  einem  gewissen  Abstande  d'  ver- 
laufender Parallelweg  z'  zuordnen,  so  daß  schließlich  P und 
Pj  gerade  so,  wie  zuvor,  durch  einen  aus  lauter  Innenpunkten 
des  oberen  Bereiches  bestehenden  Treppeuweg  verbunden  wer- 
den können. 

Nun  kann  nach  dem  zuvor  bewiesenen  Lehrsatz  jeder 
Treppen  weg  der  näher  bezeichneten  Art  durch  Abschneiden 
freier  Endstücke  auf  einen  monotonen  reduziert  werden.  Er 
läßt  sich  daher  auch  umgekehrt  aus  diesem  letzteren  durch 
sukzessives  Ansetzen  jener  Endstücke  wieder  hersteilen.  Hier- 
aus, im  Zusammenhänge  mit  dem  bisher  gesagten  ergibt  sich 
aber  die  Richtigkeit  des  ausgesprochenen  Satzes. 

6.  Lehrsatz  III.  .leder  Treppenweg  der  bisher  be- 
trachteten Kategorie  besitzt  ebensoviele  Ecken  der 
einen,  wie  der  anderen  Art. 

Beweis.  Bei  der  Reduktion  des  Treppen weges  auf  einen 
monotonen  gehen  ungleichartige  Ecken  stets  paarweise  ver- 
loren. Da  andererseits  der  resultierende  monotone  Treppenweg 
gleich  viel  Ecken  beiderlei  Art  besitzt  (eventuell  gar  keine, 
falls  er  sich  auf  eine  horizontale  Gerade  reduziert),  so  erkennt 
man  unmittelbar  die  Richtigkeit  der  obigen  Behauptung. 

Zusatz.  Die  Lehrsätze  I und  III  bleiben  auch  gültig, 
wenn  der  Treppen  weg,  statt  ganz  im  Innern  des  betrachteten 
Parallelstreifens  zu  verlaufen,  diesen  lediglich  nicht  über- 
schneidet, also  eventuell  mit  den  begrenzenden  Vertikalen 


40 


A.  Pringsheim 


X = Xq,  x = X ein  oder  mehrere  Stücke  gemein  hat’^).  Um 
dies  einzusehen,  braucht  man  nur  die  Anfangs-  und  End- 
Horizontale  um  ein  beliebig  kleines  Stück  nach  links  bzw. 
rechts  zu  verlängern.  Hierdurch  erleidet  offenbar  der  Eckenvor- 
rat des  Treppen  Weges  keinerlei  Veränderung,  während  anderer- 
seits die  fragliche  Voraussetzung  der  Lehrsätze  I und  III  wieder 
erfüllt  ist. 

Im  übrigen  läßt  sich,  wie  im  Anschluß  an  die  eben  ge- 
machte Bemerkung  leicht  zu  erkennen,  jene  Voraussetzung  auch 
noch  merklich  weiter  verallgemeinern,  nur  werden  dann  wieder 
gewisse  ausdrücklich  zu  erwähnende  Einschränkungen  notwen- 
dig, so  daß  der  etwa  erzielte  Gewinn  an  Allgemeinheit  den 
tatsächlichen  Verlust  an  Einfachheit  nicht  aufwiegt  und  das 
um  so  mehr,  als  der  Satz  I bzw.  III  in  der  vorliegenden  Fas- 
sung für  die  weiterhin  daran  zu  knüpfenden  Schlüsse  voll- 
kommen ausreicht. 


§ 2. 

Treppenpolygone. 

1.  Unter  einem  Treppenpolygon  verstehen  wir  einen 
geschlossenen  Treppenweg,  also  einen  solchen,  bei  dem 
Anfangs-  und  Endpunkt  zusammenfallen.  Aus  der  in  § 1 Nr.  1 
gegebenen  Definition  eines  Treppenweges  folgt  dann  schon  von 
selbst,  daß  ein  solches  Treppenpolygon  in  einem  Zuge  durch- 
laufen werden  kann,  ohne  daß  irgend  ein  Punkt,  abgesehen 
von  dem  am  Schlüsse  des  Umlaufs  wieder  auftretenden  An- 

Der  Grund,  warum  der  Voraussetzung  nicht  von  vornherein  diese 
etwas  erweiterte  Form  gegeben  wurde,  ist  folgender.  Darf  der  Treppen- 
weg die  begrenzenden  Vertikalen  berühren,  so  könnte,  falls  die  erste 
vertikale  Seite  des  Treppen weges  eine  Rückkehrseite  ist,  die  nächste 
Horizontale  bis  an  die  Grenzvertikale  heranreichen.  Analoge  Verhält- 
nisse könnten  auch  am  Ende  stattfinden.  Diese  Art  von  Rückkehrseiten 
würden  dann  keine  Endstücke  im  Sinne  unserer  Definition  liefern 
und  müßten  bei  der  Betrachtung  immer  ausdrücklich  ausgenommen  wer- 
den, was  zwar  keinerlei  prinzipiellen  Schwierigkeiten,  aber  eine  unnötige 
Besch werang  der  Darstellung  zur  Folge  hätte. 


Treppenpolygone  und  deren  funktionentheoretisclie  Anwendung.  41 


fangspunkte,  ein  zweites  Mal  erreicht  wird;  mit  anderen  Worten  : 
ein  geschlossener  Treppen  weg  ist  eo  ipso  ein  einfach  ge- 
schlossener Weg  ohne  Doppelpunkte. 

Lehrsatz  1.  Jedes  Treppenpolygon  77  zerlegt  die 
Ebene  in  zwei  getrennte  Gebiete,  deren  jedes  einen 
zusammenhängenden  Bereich,  einen  inneren  und  einen 
äußeren,  bildet. 

Beweis.  Es  seien  und  X,  wo  etwa  wieder  x^  < X, 
die  äußersten  Abszissen,  denen  noch  Punkte  des  Treppenpoly- 
gons entsprechen,  so  daß  also  das  letztere  noch  eine  oder 
mehrere  Seiten  mit  je  einer  der  Vertikalen  x = x^  und  x = X. 
gemeinsam  hat,  dieselben  aber  nicht  überschneidet.  Wir  wollen 
vorläufig  annehmen,  daß  das  Treppenpolygon  nur  je  eine  Seite 
mit  diesen  Vertikalen  gemein  hat,  etwa  AA'  und  7?i?'.  Die 
beiden  an  AA'  bzw.  anstoßenden  horizontalen  Seiten 

mögen  mit  AC,  Ä'C‘  bzw.  BB,  B' D'  bezeichnet  werden. 
Dann  soll  zunächst  gezeigt  werden,  daß  der  von  C aus  weiter- 
führende Treppenweg  im  Punkte  D,  also  der  von  C ausgehende 
in  B'  einmünden  muß.  Angenommen,  der  Treppenweg  führe 
von  C nicht  nach  B,  sondern  nach  B'  (wie  in  der  neben- 
stehenden Figur  IX  durch  die  punktierte  Linie  schematisch 
angedeutet  ist),  so  würde  der  Treppenweg  AC  . . . B'B'  den 

IX 


42 


A.  Pringsheim 


von  den  beiden  Vertikalen  x = und  x = X begrenzten 
Parallelstreifen  in  zwei  getrennte  Stücke  zerlegen  derart,  daß 
A' C‘  dem  oberen,  DB  dem  unteren  Stücke  angehört,  und 
es  wäre  daher  unmöglich,  die  noch  offenen  Endpunkte  C"  und 
D durch  einen  Treppenweg  zu  verbinden,  ohne  den  Treppen- 
weg AC  ...  D‘ B‘  zu  überschreiten.  Somit  muß  in  der  Tat 
das  Treppenpolygon  .so  verlaufen,  daß  der  Punkt  C mit  D, 
C‘  mit  D'  durch  je  einen  Treppenweg  verbunden  erscheint, 
wie  dies  in  Figur  IX  die  gestrichelten  Linien  schematisch 
andeuten.  Durch  den  Treppen  weg  AC  . . . DB  wird  alsdann 
ein  unteres  Stück  (T,),  durch  den  Treppenweg  A‘ C‘  . . . D' B' 
ein  oberes  Stück  (T.^)  von  dem  Parallelstreifen  abgeschnitten: 
diese  beiden  bilden  zusammen  mit  den  beiden  links  und  rechts 
von  dem  Parallelstreifen  gelegenen  Halbebenen  einen  zu- 
sammenhängenden, von  dem  Treppenpolygon  begrenzten 
Bereich,  den  wir  als  äußeren  bezeichnen.  Andererseits  haben 
das  von  dem  Treppenwege  AC  . . . DB  begrenzte  obere  und 
das  von  dem  Treppenwege  A' C‘  . . . B' D‘  begrenzte  untere 
Gebiet  des  Parallelstreifens  ein  Stück  gemein,  das,  außer  von 
diesen  Treppenwegen,  von  den  Parallelen  AA‘  und  BB‘  be- 
grenzt wird.  Daß  dasselbe  einen  gegen  den  zuvor  erwähnten 
äußeren  Bereich  durch  das  Treppenpolygon  77  abgeschlos- 
senen Bereich  bildet,  folgt  dann  unmittelbar  aus  dem  Lehr- 
satz II  des  vorigen  Paragraphen.  Wir  bezeichnen  ihn  als 
inneren  Bereich  und  zeigen,  daß  derselbe  gleichfalls  ein 
zusammenhängender  ist.  Für  die  Seitenlängen  und  die  Ab- 
stände irgend  zweier  paralleler  Seiten  muß  wiederum  ein  ge- 

wisses  Minimum  d bestehen.  Wird  dann  d'  < - angenommen, 

so  läßt  sich  dem  Treppenpolygon  77  ein  aus  lauter  Innen- 
punkten von  77  bestehendes  im  Abstande  ö'  parallel  verlaufen- 
des Treppenpolygon  77'  zuordnen,  das  zunächst  mit  77  zu- 
sammen einen  zusammenhängenden  Band  von  Innenpunkten 
des  Polygons  77  begrenzt.  Da  ferner  jede  durch  einen  inneren 
Punkt  von  77'  (der  also  auch  innerer  Punkt  von  77  ist)  ge- 


Treppenpolygone  und  deren  funktionen theoretische  Anwendung.  43 

zogene  Gerade,  etwa,  um  eine  Festsetzung  zu  treffen,  eine  nach 
abwärts  gerichtete  Vertikale,  die  Begrenzung  TI'  in  einem 
bzw.  in  einem  ersten  Punkte  treffen  muß,  so  folgt,  daß  jeder 
solche  Punkt  mit  den  zuvor  erwähnten  Innenpunkten  des  Randes 
zusammenhängt  und  daß  andererseits  auch  zwei  derartige  Punkte 
durch  einen  aus  Innenpunkten  von  77  gebildeten  Treppenweg 
verbunden  werden  können.  Jener  innere  Bereich  von  77  ist 
also  tatsächlich  zusammenhängend. 

Hierbei  war  die  beschränkende  Voraussetzung  gemacht 
worden,  daß  das  Treppenpolygon  nur  je  eine  Seite  mit  den 
beiden  begrenzenden  Vertikalen  gemein  haben  solle.  Sind  nun 
mehrere  solche  Seiten  vorhanden,  so  mögen  etwa  mit  AÄ‘, 
BB‘  die  beiden  links  und  rechts  am  tiefsten  gelegenen  be- 
zeichnet werden.  Wird  dann  das  Treppenpolygon  in  der  Weise 
abgeändert,  daß  man  ÄA'  um  eine  beliebig  kleine  Strecke  d 
nach  links,  BB'  in  gleicher  Art  nach  rechts  verschiebt  und 
die  anstoßenden  Horizontalen  in  entsprechender  Weise  um  <5 
verlängert,  so  genügt  das  nunmehrige  Treppenpolygon  der  zu- 
vor gemachten  Beschränkung,  teilt  somit  die  Ebene  in  einen 
äußeren  und  einen  inneren  Bereich , welchem  letzteren  ins- 
besondere die  beiden  an  die  Vertikalen  AA‘,  BB‘  anstoßenden 
Streifen  von  der  Breite  d angehören.  Werden  diese  von  dem 
inneren  Bereiche  abgeschnitten  und  dem  äußeren  hinzugefügt, 
so  ergibt  sich  ohne  weiteres  die  Richtigkeit  des  ausgesprochenen 
Satzes  für  das  gegebene  und  somit  für  jedes  beliebige  Treppen- 
polygon. 1) 

Zusatz.  Wird  für  eine  bei  A beginnende  Durchlaufung 
des  Treppenpolygons  die  Richtung  AC  als  positive  bezeichnet, 
so  ist  der  innere  von  dem  Treppenpolygon  begrenzte  Bereich 
dadurch  charakterisiert,  daß  seine  an  die  Begrenzung  anstos- 

Mit  Rücksicht  auf  den  folgenden  Lehrsatz  sei  noch  ausdrücklich 
hervorgehoben,  daß  auch  in  dem  zuletzt  betrachteten  allgemeineren  Falle 
die  Fortsetzung  des  mit  A C beginnenden  Treppenweges  stets  zunächst 
nach  B,  niemals  nach  einem  auf  der  Grenzvertikale  höher  gelegenen 
Eckpunkte  führt  (was  genau  so,  wie  in  dem  zuerst  betrachteten  Falle 
erkannt  werden  kann). 


44 


A.  Pringsheim 


senden  Punkte  bei  positivem  Umlauf  stets  zur  Linken  bleiben. 
In  der  Nähe  der  Ecken  erster  Art  (s.  § 1,  Nr.  2)  gehören 
dann  die  Punkte  zwischen  den  Schenkeln  des  rechten  Winkels 
dem  inneren  Bereiche  an,  in  der  Nähe  der  Ecken  zweiter 
Art  die  Punkte  innerhalb  der  Schenkel  des  üherstumpfen 
Winkels.  Die  Ecken  erster  Art  sollen  in  diesem  Zusammen- 
hänge als  konvex  (sc.  nach  auhen),  diejenigen  zweiter  Art 
als  konkav  bezeichnet  werden. 

2.  Lehrsatz  11.  Jedes  Treppenpolygon  hat  einen 
Überschuß  von  vier  gleichartigen  und  zwar  bei  posi- 
tivem Umlauf  konvexen  Ecken. 

Beweis.  Mit  Festhaltung  der  im  vorigen  Lehrsatz  ange- 
wendeten Bezeichnungen  läßt  sich  das  Treppenpolygon,  etwa 
bei  positivem  Umlauf,  zerlegen  in  zwei  Treppen wege,  einen 
, unteren“:  ÄC  . . . DB  und  einen  „oberen“:  B‘  D'  . . . CA' 
nebst  den  beiden  vei’bindenden  Vertikalen  BB'  und  A'A.  Jeder 
der  beiden  genannten  Treppenwege  hat  nach  dem  Lehrsatz  III 
des  § 1 gleichviel  Ecken  von  jeder  Art.  Dazu  kommen  noch 
die  vier  Ecken  bei  B,  B‘,  A‘,  A,  welche  in  jedem  Falle  gleich- 
artig, bei  positivem  Umlauf  offenbar  konvex  sind. 

Anmerkung.  Wird  die  Seitenzahl  des  Ti-eppenpolygons, 
die  ja  offenbar  stets  gerade  sein  muß,  mit  2m  bezeichnet,  so 
ist  nach  dem  eben  bewiesenen  Satze  (ni  -p  2)  die  Anzahl  der 
konvexen,  (m  — 2)  diejenige  der  konkaven  Ecken.  Daraus 
würde  folgen,  daß  die  Summe  der  inneren  Winkel  des  Treppen- 

"T  3 

polygons  den  Wert  (m  + 2)  ^ -p  (w  — 2)  ~,  also  (2  m — 2) 

haben  muß.  Umgekehrt  könnte  man  natürlich,  wenn  man  etwa 
die  Anzahl  der  konvexen  Ecken  mit  x bezeichnet,  diese  aus 

'T  3 'T 

der  Gleichung  x ■ ^ (2  m — x)  ■ -^  = (2  m — 2)  Jt  bestimmen, 

falls  man  sich  auf  den  als  bekannt  anzusehenden  Satz  stützt, 
daß  die  Summe  der  inneren  Winkel  eines  beliebigen  w-Ecks 
den  Wert  (n  — 2)  Ji  hat.  In  der  Tat  findet  sich  ja  dieser  Satz 
wohl  in  zahlreichen  Lehrbüchern  der  Elenientargeometrie : in- 


Treppenpolygone  und  deren  funktionentheoretische  Anwendung.  45 


dessen  scheint  mir  der  gewöhnlich  dafür  gegebene,  auf  voll- 
ständiger Induktion  beruhende  Beweis^)  unzureichend.  Dabei 
wird  nämlich  etwa  folgendermaßen  geschlossen:  Bezeichnet  man 
mit  a>„  die  Summe  der  Innenwinkel  eines  beliebigen  w-Ecks, 
durch  Vielfache  von  ti  ausgedrückt,  und  beachtet,  daß  ein 
(n — •1)-Eck  in  ein  w-Eck  mit  neu  hinzutretender  ausspringen- 
den oder  einspringenden  Ecke  übergeht,  wenn  man  an  eine 
Seite  des  {n  — 1)-Ecks  ein  Dreieck  nach  außen  oder  innen 
ansetzt  und  an  Stelle  jener  Seite  in  die  Begrenzung  aufnimmt, 
so  ergibt  sich  in  jedem  der  beiden  genannten  Fälle  die  Rekur- 
sionsformel I ^ 

0)n  = a>n-i  -t 


aus  der  dann,  wegen  co^  = Ji,  in  der  Tat  das  fragliche  Resultat 
(o„  — (n  — 2)  71  unmittelbar  hervorgeht.  Das  Unzureichende 
dieser  Schlußweise  liegt  indessen  darin,  daß  dabei  ohne  jede 
Begründung  vorausgesetzt  wird,  es  könne  jedes  %-Eck  durch 
die  angedeutete  Operation  aus  einem  gewissen  (n  — 1)-Eck 
hergestellt  werden  oder,  was  offenbar  auf  dasselbe  hinausläuft, 
man  könne  jedes  w-Eck  dadurch  in  ein  (n  — 1)-Eck  ver- 
wandeln, daß  man  die  nicht  gemeinsamen  Endpunkte  zweier 
benachbarter  Seiten  durch  eine  Gerade  verbindet.  Diese  An- 
nahme ist  aber  nur  dann  einwandfrei,  wenn  feststeht,  daß  stets 
mindestens  zwei  benachbarte  Seiten  vorhanden  sind,  deren  End- 
punkte sich  durch  eine  Gerade  verbinden  lassen,  ohne  daß 
diese  mit  irgend  einer  anderen  Polygonseite  einen 
Punkt  gemein  hat.  Die  Tatsache  selbst  dürfte  richtig  sein: 
ob  sie  jemals  streng  bewiesen  wurde,  möchte  ich  dahingestellt 
lassen,  da  ich  in  dem  betreffenden  Zweige  der  mathematischen 
Literatur  sehr  wenig  bewandert  bin^). 


1)  S.  z.  B.  Baltzer,  Elemente  der  Mathematik,  Bd.  2:  Viertes  Buch, 
§ 3,  Nr.  10. 

2)  Während  der  Drucklegung  dieser  Arbeit  wurde  mir  durch  Herrn 
A.  Rosenthal  mitgeteilt,  daß  sich  die  fragliche  Ergänzung  zu  dem 
Beweise  des  Satzes  über  die  Winkelsumme  eines  Polygons  in  zwei  Pub- 
likationen jüngeren  Datums  findet,  nämlich:  W.  Killing  und  H.  Hove- 
stadt, Handbuch  des  mathemat.  Unterrichts,  I (Leipzig  1910),  p.  62  — 67; 
N.  J.  Lennes,  American  Journal  of  Mathematics  33  (1911),  p.  42  — 47. 


46 


A.  Pringsheim 


Will  man  sich  darauf  beschränken,  den  Satz  über  die 
Winkelsumme  lediglich  für  ein  Treppenpolygon  durch  das 
obige  Induktionsverfahren  abzuleiten,  so  hätte  man  zuvor  nur 
zu  erweisen,  daß  die  Seitenzahl  jedes  Treppenpolygons  stets 
durch  Abschneiden  oder  Ansetzen  eines  Rechtecks  reduziert 
werden  kann,  was  sich  durch  die  Beweismethode  des  Lehr- 
satzes I von  § 1 leicht  begründen  ließe  und  merklich  weniger 
Umstände  macht,  als  die  der  vorliegenden  Untersuchung  als 
Endziel  zu  Grunde  liegende  Feststellung,  daß  die  fragliche 
Reduktion  stets  durch  bloßes  Abschneiden  von  Rechtecken 
erzielt  werden  kann. 

3.  Zwei  parallele  Seiten  bzw.  Stücke  von  Seiten,  deren 
senkrechte  Verbindungslinien  abgesehen  von  den  Endpunkten 
aus  lauter  Innenpunkten  des  Treppenpolygons  bestehen* *), 
sollen  gegenüberliegend  heißen. 

Lehrsatz  III.  Verbindet  man  zwei  gegenüberlie- 
gende Seiten  eines  Treppenpolygons  durch  eine  senk- 
rechte Gerade,  so  zerlegt  dieselbe,  als  Querschnitt 
aufgefaßt,  das  Treppeupolygon  (und  zwar  sowohl  Be- 
(jrenzung,  wie  Innenfläche)  in  zwei  Treppenpolygone. 

Beweis.  Wir  betrachten  zunächst  zwei  beliebige^) 
parallele  Seiten  bzw.  Stücke  von  Seiten  AB^  CD,  deren  senk- 
rechte Verbindungslinien  von  keiner  anderen  Seite  geschnitten 
werden,  und  zeigen,  daß  zu  diesen  stets  entgegengesetzte 
Richtungen  gehören,  wenn  das  Treppenpolygon  11  in  einem 
bestimmten  Richtungssinne  durchlaufen  wird®).  Angenommen, 
dies  wäre  nicht  der  Fall,  so  daß  also  AB  und  CD  in  der- 
selben Richtung,  etwa,  um  eine  Festsetzung  zu  trelFen,  in  der 

*)  Damit  ist  also  implicite  gesagt,  daß  solche  parallele  Seitenstücke 
nur  so  lange  „gegenüberliegend“  beißen,  als  ihre  senkrechten  Verbin- 
dungslinien mit  keiner  anderen  Seite  des  Treppenpolygons  einen  Punkt 
gemein  haben. 

*)  D.  b.  also:  nicht  notwendig  im  Sinne  der  oben  gegebenen  Defi- 
nition „gegenüberliegende“. 

Vgl.  hierzu  die  Fußnote  1)  auf  p.  48. 


Treppenpoly^one  und  deren  funktionentheoretische  Anwendung.  47 


Xa 


F 


T 

/ 


l 


B 


Richtung  A ...  B,  bzw.  C ...  D (d.  h.  in  der  Richtung  der 
wachsenden  Variablen)  durchlaufen  würden.  Alsdann  müßte 
bei  einem  in  A beginnenden  Umlauf  die  Fortsetzung  von  AB 
auf  irgend  einem  Treppenwege  zunächst  in  (7,  ebenso  die  Fort- 
setzung von  CD  schließlich  wieder 
in  A einmünden  (wie  dies  in  der 
Fig.  X a durch  die  punktierten  Li- 
nien schematisch  angedeutet  ist). 

Wird  nun  irgend  ein  Punkt  E der 
Strecke  AB  mit  dem  senkrecht 
gegenüber  liegenden  Punkte  F der 
Strecke  CD  geradlinig  verbunden, 
so  ließe  sich  ein  bei  A beginnen- 
der Umlauf  über  AE  FD  und  den 

dort  anschließenden  (durch  die  punktierte  Linie  angedeuteten) 
Weg  wieder  nach  A zurückführen,  ebenso  ein  bei  C beginnen- 
der über  CFEB  und  den  dort  anschließenden  (punktierten) 
Weg  nach  C zurückführen.  Das  Treppenpolygon  11  würde 
also  in  zwei  gesonderte  Treppenpolygone  i7j  und  zerfallen, 
deren  jedes  einen  Uberschuß  von  4 gleichartigen  Ecken  haben 
müßte.  Es  müßte  also,  je  nachdem  diese  zweimal  4 Ecken 
noch  unter  einander  gleichartig  sind  oder  nicht,  ein  Gesamt- 
überschuß von  8 gleichartigen  Ecken  oder  überhaupt  keiner 
vorhanden  sein.  Beide  Annahmen  sind  aber  unmöglich,  da 
der  ursprüngliche  Eckenvorrat  von  Fl  einen  Uberschuß  von  4 
konvexen  Ecken  enthält  und  die  neu  hinzutretenden  Ecken  bei 
E und  F sich  auf  77,  und  11^  so  verteilen  würden,  daß  jedem 
dieser  Polygone  ein  Paar  ungleichartiger  Ecken  zufällt. 
Damit  ist  aber  die  ausgesprochene  Behauptung  bewiesen. 

Dies  vorausgeschickt,  seien  jetzt 
AB.,  CD  zwei  gegenüberlie- 
gende Seiten  bzw.  Seitenstücke  des 
Polygons  77,  so  wird  eine  Durch-  / 
laufung  von  in  der  Richtung 
A ...  B eine  solche  von  CD  in 


r 


Xb 
, F 


1). 


A 


E 


B 


48 


A.  Prin»sheim 


der  entgegengesetzten  Richtung  1)  ...  C zur  Folge  haben 
und  daher  die  Fortsetzung  des  Weges  AB  zunächst  nach  dem 
Punkte  D,  diejenige  des  Weges  D C schließlich  wieder  nach  A 
führen  (wie  durch  die  punktierten  Linien  in  Fig.  X b ange- 
deutet wird).  Zieht  man  jetzt  wiederum  den  Querschnitt  EF, 
so  läßt  sich  ein  bei  A beginnender  Umlauf  über  AEF'C  und 
den  dort  anschließenden  (punktierten)  Weg  nach  A zurück- 
führen, ebenso  ein  bei  D beginnender  über  DFEB  usw.  zu- 
rück nach  F>.  Das  Treppenpolygon  77  zerfällt  also  durch  den 
Querschnitt  EF  in  zwei  Treppenpolygone  77j  und  77^,  und 
zwar  werden  die  Innenpunkte,  von  77  abgesehen,  von  den 
nunmehr  der  Begrenzung  angehörenden  Punkten  des  Quer- 
schnittes EF,  auch  zu  Innen  punkten  von  II^  und  77^,  da  ja 
der  äußere,  die  unendlich  fernen  Punkte  enthaltende  Be- 
reich von  77  bei  dem  fraglichen  Prozeß  als  solcher  völlig  un- 
berührt bleibt  und  daher  auch  wiederum  vollständig  dem  äußeren 
Bereiche  von  77j  bzw.  angehören  muß.  Es  zerfällt  also 
gleichzeitig  mit  der  Begrenzung  auch  der  innere  Bereich  von 
FI  durch  den  Querschnitt  EF  in  zwei  getrennte  Stücke. 

Dieses  Resultat  erleidet  keinerlei  Änderung,  wenn  einer 
der  beiden  Endpunkte  des  Querschnittes  oder  auch  jeder  von 
beiden  ein  Eckpunkt  sein  sollte  (der  dann  offenbar  nur  einer 
konkaven  Ecke  angehören  kann).  Man  erkennt  dies  am  ein- 
fachsten, wenn  man  dem  Querschnitt  zunächst  eine  minimale 
Verschiebung  zu  Teil  werden  läßt. 

4.  Lehrsatz  IV.  Von  jedem  Treppenpolygon,  das 
nicht  schon  durch  einen  einzigen  Querschnitt  in  zwei 
Rechtecke  zerfällt®),  lassen  sich  sowohl  durch  hori- 

b Man  könnte  dies  natürlich  auch  unmittelbar  aus  dem  in  Nr.  1, 
Zusatz,  ausdrücklich  erwähnten  Umstande  folgern,  daß  bei  einer  üm- 
laufung  des  Polygons  etwa  in  positivem  Sinne  der  innere  Bereich  stets 
zur  Linken  bleiben  muß.  Es  erschien  mir  indessen  nicht  ganz  einwand- 
frei, die  geometrische  Anschauung  in  diesem  Umfange  zur  Begründung 
der  fraglichen  Tatsache  in  Anspruch  zu  nehmen. 

2)  Dies  tritt  stets  beim  Sechseck  ein,  da  dieses  ja  nur  eine  einzige 
konkave  Ecke  besitzt  und  daher  überhaupt  nur  einen  horizontalen 


Treppenpolygone  und  deren  f'unktionenUieoretische  Anwendung.  49 


zontale,  wie  durch  vertikale  Querschnitte  mindestens 
zwei  freie  Eckstücke  abschneidenQ. 

Beweis.  Ein  Treppenpolygon  mit  2 w -Seiten  besitzt  alle- 
mal {m  — 2)  konkave  Ecken.  Von  jeder  dieser  letzteren  aus 
läßt  sich  nach  beliebiger  Wahl  ein  Querschnitt  in  horizontaler-, 
wie  in  vertikaler  Richtung  ziehen. 

Man  gehe  nun  von  einer  beliebig  gewählten  konkaven 
Ecke  aus,  etwa,  um  eine  Festsetzung  zu  treffen,  derjenigen 
konkaven  Ecke  Cj,  welche  als  die  erste  auftritt,  wenn  man  das 
Treppenpolygon  von  dem  tiefsten  linken  Eckpunkt  anfangend 
in  positiver  Richtung  umläuft,  und  ziehe  von  (7,  zunächst 
einen  horizontalen  Querschnitt  welcher  also  das  Treppen- 
polygon 11  in  zwei  solche  zerlegt:  ein  „unteres“,  d.  h.  an  die 
untere  Seite  des  Querschnittes  sich  anschließendes,  //,  und  ein 
„oberes“  77^.  Möglicherweise  ist  /7j  dann  schon  ein  Recht- 
eck, also  ein  durch  den  Querschnitt  q^  abgeschnittenes  freies 
Endstück  von  77.  Wenn  nicht,  so  ziehe  man  von  derjenigen 
konkaven  Ecke  aus,  welche  bei  Fortsetzung  des  positiven 
Umlaufs  als  nächste  zum  Vorschein  kommt,  einen  weiteren 
horizontalen  Querschnitt  q^,  durch  welchen  77j  in  zwei  Teil- 
polygone n\  und  TJi  zerfällt.  Dabei  soll  77{  dasjenige  Treppen- 
polygon bedeuten,  dessen  Begrenzung  beide  Querschnitte  q^ 
und  q^  enthält,  während  dann  diejenige  von  77^  nur  aus  dem 
einen  Querschnitte  q^,  im  übrigen  aus  lauter  Seiten  des  ur- 
sprünglichen Polygons  77  besteht.  Da  die  konkave  Ecke 


und  einen  vertikalen  Querschnitt  der  fraglichen  Art  zuläßt;  ferner, 
wenigstens  in  Bezug  auf  die  eine  Querschnittsrichtung,  bei  denjenigen 
Achtecken,  deren  zwei  (einzigen)  konkaven  Ecken  in  einer  horizon- 
talen oder  vertikalen  Geraden  liegen. 

')  Dies  ist  nicht  so  zu  verstehen,  daß  sich  stets  zwei  Endstücke 
durch  horizontale  und  zugleich  zwei  andere  durch  vertikale  Quer- 
schnitte abtrennen  lassen  müßten.  Vielmehr  könnten  diese  beiden  Arten 
von  Endstücken  teilweise  zusammenfallen  (vgl.  § 1,  p.  34,  insbesondere 
das  zu  Fig.  IV  und  VI — VIII  gesagte),  so  daß  lediglich  die  Wahl  zwischen 
beiden  freistünde. 


Sitzungsb.  d.  math.-phys.  Kl.  Jahrg.  l‘J15. 


4 


50 


A.  Pringsheim 


bei  dieser  Operation  vollständig  verloren  geht^),  so  besitzt 
//^  jedenfalls  um  mindestens  eine  konkave  Ecke  und  infolge 
dessen  um  mindestens  ein  Eckenpaar  weniger  als  77,  (da  ja 
der  Unterschied  zwischen  der  Anzahl  der  vorhandenen  kon- 
vexen und  konkaven  Ecken  immer  konstant,  nämlich  = 4,  bleiben 
muß).  Ist  TI^  noch  kein  Rechteck,  so  läßt  sich  in  analoger 
Weise  ein  Treppenpolygon  TZg  davon  abtrennen,  dessen  Be- 
grenzung wiederum  nur  aus  einem  Querschnitt  jg,  im  übrigen 
aus  Seiten  des  ursprünglichen  Treppenpolygons  besteht  und 
mindestens  ein  Eckenpaar  weniger  enthält  als  TT^.  Da  die 
Anzahl  der  von  vornherein  überhaupt  vorhandenen  Ecken  eine 
endliche  ist,  andererseits  jedes  der  sukzessive  von  77,  abge- 
trennten Treppenpolygone  . . . noch  einen  Überschuß 

von  4 konvexen  Ecken  besitzt,  so  muß  nach  einer  endlichen 
Anzahl  der  angedeuteten  Operationen  ein  Treppenpolygon  mit 
nur  vier  und  zwar  konvexen  Ecken  zum  Vorschein  kommen, 
also  ein  nur  Innenpunkte  des  Treppenpolygons  umschließendes 
Rechteck,  dessen  Begrenzung  nur  einen  Querschnitt  enthält, 
mit  anderen  Worten:  ein  durch  diesen  letzteren  abgeschnittenes 
freies  Endstück. 

Die  gleiche  Schlußweise,  auf  das  , obere“  Treppenpoly- 
gon 77,  angewendet,  liefert  dann  die  Existenz  eines  zweiten, 
gleichfalls  durch  einen  horizontalen  Querschnitt  abzutren- 
nenden Endstücks. 

Ersetzt  man  in  der  vorstehenden  Betrachtung  die  hori- 
zontalen Querschnitte  durch  vertikale,  so  ergibt  sich  in 
Bezug  auf  diese  ein  völlig  gleichartiges  Resultat.  Damit  ist 
aber  der  oben  ausgesprochene  Satz  vollkommen  bewiesen. 

5.  Als  unmittelbare  Folgerung  des  eben  bewiesenen  Satzes 
resultiert  schließlich  der  folgende,  das  eigentliche  Ziel  dieser 
ganzen  Untersuchung  bildende  Hauptsatz: 

Jedes  Treppenpolygon,  das  nicht  schon  durch 
einen  einzigen  Querschnitt  in  zwei  Rechtecke 

1)  Die  durch  einen  Querschnitt  erzeugten  neuen  Ecken  können 
oÖ'enbar  immer  nur  konvexe  sein. 


Treppenpolygone  und  deren  funktionentheoretische  Anwendung.  51 

zerfällt^),  läßt  sich  (auf  mehrfache  Art)  in  der 
Weise  aus  Rechtecken  zusammensetzen,  daß  um 
einen  rechteckigen  Kern  sukzessive  weitere  Recht- 
ecke angesetzt  werden,  wobei  jedes  neu  hinzu- 
kommende Rechteck  nur  längs  einer  Seite  ganz 
oder  teilweise  mit  einem  einzigen  der  bereits  vor- 
handenen Rechtecke  zusammenhängt. 

Beweis,  Zunächst  lassen  sich  von  dem  Treppenpolygon 
etwa  durch  horizontale  Querschnitte  mindestens  zwei,  even- 
tuell auch  eine  größere  Anzahl  von  freien  Endstücken  ab- 
schneiden, die  durchweg  mit  der  Nummer  1 bezeichnet  werden 
mögen.  Jedes  dieser  Rechtecke  stößt  nur  längs  des  Quer- 
schnittes, welcher  eine  Seite  oder  auch  nur  einen  Teil  einer 
Seite  bildet  (vgl.  Fig.  III— VII)  au  das  übrig  bleibende  Treppen- 
polygon. Das  letztere  besitzt  mindestens  vier  Ecken  weniger, 
als  das  ursprünglich  und  gestattet,  falls  es  nicht  bereits  ein 
Rechteck  ist,  oder  schon  durch  einen  Horizontalschnitt  in 
zwei  Rechtecke  zerfällt,  ein  weiteres  Abschneiden  von  min- 
destens zwei  weiteren  freien  (genauer  gesagt:  durch  die  erste 
Operation  frei  gewordenen)  Endstücken,  die  dann  die  Num- 
mer 2 erhalten  sollen.  Fährt  man  in  dieser  Weise  fort,  so 
wird  schließlich,  etwa  nach  der  (k  — 1)*®”  derartigen  Operation 
ein  einziges  Rechteck  übrig  bleiben,  dem  also  die  Nummer  k 
zukommen  würde.^)  Alsdann  läßt  sich  aber  offenbar  das  ur- 
sprüngliche Treppenpolygon  in  der  Weise  wieder  hersteilen, 
daß  man  an  das  Rechteck  mit  der  Nummer  k zunächst  das- 
jenige oder  diejenigen  mit  der  Nummer  (k  — 1),  an  das  so 

Vgl.  p.  48,  Fußnote  2). 

2)  Man  kann  leicht  eine  obere  Grenze  für  die  Zahl  Je  angeben.  Bei 
jeder  der  ersten  (Je  — 2)  Operationen  gehen  mindestens  4 Ecken  verloren, 
bei  der  (Je  — l)ten  möglicherweise  nur  2.  Alsdann  bleiben  noch  die 
4 Ecken  des  mit  Je  numerierten  Kernrechtecks  übrig.  Darnach  hat  man, 
wenn  mit  2 m die  Eckenzahl  des  gegebenen  Treppenpolygons  bezeichnet 
wird : 4 (A:  — 2)  -|-  2 -|-  4 2 m,  also : 


4* 


A.  l’ringsheim 


entstandene  Treppenpolygon  die  Rechtecke  mit  der  Nummer 
Qc  — 2)  ansetzt,  u.  s.  f.  Dabei  hängt  jedes  neu  hinzukommende 
Rechteck  auf  Grund  seiner  Entstehungsweise  nur  längs  des 
Querschnittes,  durch  welchen  es  früher  abgeschnitten  wurde, 
mit  einem  einzigen  Rechteck  des  bereits  vorhandenen  Kom- 
plexes zusammen. 

In  ganz  analoger  Weise  kann  man  mit  lauter  vertikalen 
Querschnitten  operieren.  Das  in  diesem  Falle  zum  Vorschein 
kommende  Kernrechteck  muh  offenbar  ein  anderes  sein,  als  das 
zuvor  resultierende,  da  jenes  frühere  nur  längs  seiner  hori- 
zontalen, das  jetzige  nur  längs  seiner  vertikalen  Seiten 
mit  anderen  Bestandteilen  des  Treppenpolygons  zusammenhängt. 

Schließlich  kann  man  auch  horizontale  und  vertikale  Quer- 
schnitte beliebig  kombinieren,  insbesondere  bei  jeder  einzelnen 
Operation  alle  überhaupt  vorhandenen  freien  Endstücke  ab- 
schneiden, soweit  sich  das  durch  Anwendung  beider  Arten 
von  Querschnitten  bewerkstelligen  läßt. 

§ 3. 

Funktionentheoretische  Anwendung. 

Lehrsatz.  Es  sei  Xq  ein  beliebiger  Punkt  im  Innern 
eines  Treppenpolygons  77,  eine  für  eine  ge- 

wisse Umgebung  von  konvergierende  Potenzreihe. 
Läßt  sich  diese  auf  jeder  im  Innern  von  77  verlaufen- 
den gebrochenen  Linie^)  analytisch  fortsetzen,  so  defi- 
niert das  Funktions-Element  (a; j eine  im  Innern 
von  77  eindeutige  und  reguläre  analytische  Funktion. 

Beweis.  Wir  betrachten  vorläufig  den  speziellen  Fall, 
daß  das  Treppenpolygon  sich  auf  ein  einfaches  Rechteck  R 
reduziert.  Man  erkennt  dann  zunächst,  daß  der  Konvergenz- 
kreis von  (a;  a:^)  und  jeder  daraus  abgeleiteten,  um  irgend 
einen  Innenpunkt  von  R konvergierenden  Potenzreihe  sich  zum 

Es  würde  schon  ausreichen,  vorauszusetzen,  daß  die  Fortsetzung 
auf  jedem  innerhalb  TI  verlaufenden  Treppen  wege  möglich  sein  soll. 


Treppenpolygone  und  deren  funktionentheoretische  Anwendung.  53 


( mindesten  bis  an  die  Begrenzung  von  i?  erstrecken  muß.  Denn 
auf  jedem  dieser  Konvergenzkreise  muß  mindestens  eine  sin- 
I guläre  Stelle  c der  betreffenden  Potenzreihe  liegen,  die  andern- 
I falls  in  das  Innere  von  li  fallen  würde.  Alsdann  wäre  es  aber 
I unmöglich,  ‘iPo(a;  auf  einem  durch  das  Innere  des  betreffenden 
I Konvergenzkreises  gehenden  Wege  über  c hinaus  fortzusetzen. 
1 Dies  vorausgeschickt,  denken  wir 
uns  nach  Annahme  einer  beliebig 
kleinen  positiven  Zahl  e ein  Recht- 
eck R‘  konstruiert,  dessen  Seiten  im 
' Abstande  e parallel  zu  den  Seiten  von 
i?  und  im  Innern  von  R verlaufen. 

Hierauf  teile  man  eine  Seite  von  R‘ 

(etwa,  wie  in  der  nebenstehenden 
Fig.  XI,  die  untere  horizontale)  in  n 
gleiche  Teile,  deren  Länge  b der  Be- 
ziehung genügen  soll 

(1)  6<(\  + V2),  = y^_^, 


XI 


( 

e 

cf' 

a 

2fl 

m 

. . J... 

. 

.. .. 

% 

b,  b,  Z 

b 

b 

6 

al 

{ 

'C  (X 

2/ 

■f 

23 

d 

10  C 

„ £1 

,2'  q 

/ 

rj 

ä 

a 

Ö7-^äo2  ^03  ^ 

on 

und  trage  die  Strecke  b auch  auf  einer  der  vertikalen  Seiten 
ab,  so  oft  es  angeht  (etwa,  wie  in  der  Figur,  von  unten  be- 
ginnend). Zieht  man  sodann  durch  sämtliche  Teilpunkte  Paral- 
lelen zu  den  Seiten,  so  zerfällt  das  Rechteck  R‘  in  eine  An- 
zahl von  (horizontal  gelagerten)  Parallelstreifen,  deren  jeder 
aus  n Quadraten  von  der  Seitenlänge  b besteht,  und  eventuell 
einen  letzten  Parallelstreifen  aus  Rechtecken  mit  der  Grund- 
linie b und  einer  Höhe  b‘  < d.  Die  Eckpunkte  jener  Quadrate 
mögen,  von  unten  links  beginnend,  mit 


'00 

^01 

®02 

'10 

«11 

«12 

20 

^21 

«22 

. «, 


0 n 


bezeichnet  werden. 

Man  leite  nun  aus  'ßg  {x  x^  auf  irgend  einem  in  R‘  ver- 
laufenden Wege  eine  Potenzreihe  ‘ß(a;'a,j)  ab,  deren  Konver- 


54 


A.  Pringsheim 


genzradius  nach  dem  oben  gesagten  mindestens  den  Wert  d + e 
haben  muß.  Da  aber  aus  Ungl.  (1)  folgt,  daß: 

d + e.>y 2- ö, 

so  ist  derselbe  größer  als  die  Diagonale  der  einzelnen  Quadrate, 
so  daß  also  ein  um  den  Punkt  «jj  mit  der  Diagonale  Y2  • d 
beschriebener  Kreis  einschließlich  seiner  Peripherie  aus  lauter 
Innenpunkten  des  Konvergenzbereiches  von  iß(a;  a^)  besteht 
und  somit  die  zwei  ersten  Quadrate  des  untersten  und  die- 
jenigen des  nächstfolgenden  Parallelstreifens  ganz  in  das  Innere 
jenes  Konvergenzbereiches  fallen.  Leitet  man  sodann  aus 
'13  (a;  ttjj)  sukzessive  die  Potenzreihen  ab: 

^ (a:  (Tjj,  012)1  Oj2,  Ojj)  . . . ^(a:  On,  Ojg,  . . . Oj  „_j), 

so  wird  der  Konvergenzbereich  einer  jeden  dieser  Potenzreihen 
immer  je  ein  Quadrat  des  unteren  und  des  oberen  Parallel- 
streifens mit  dem  Konvergenzbereiche  der  unmittelbar  voran- 
gehenden Potenzreihe  gemein  haben,  und  es  definiert  somit 
die  obige  Folge  von  Potenzreihen  zunächst  für  die  beiden 
untersten  Parallelstreifen  eine  daselbst  eindeutige  analytische 
Funktion  regulären  Verhaltens. 

Nun  läßt  sich  aber  aus  ^(a;  Oj,)  auch  eine  Potenzreihe 
(a:  i «,j , «2,)  und  aus  dieser  letzteren  wiederum  eine  Folge 
von  Potenzreihen  ableiten 

'13  (a;  a,j,  a2i,  022)* 

!> (a:  Ojj,  O2J , O22’  ^23)  • • • ^11’  ®2i ’ ^22  • • • ^2,n— 1)1 

deren  Konvergenzbereiche  mit  demjenigen  von  *15(0^  o,,,a2i) 
zusammen  den  zweiten  und  dritten  Parallelstreifen  umfassen. 
Dabei  hat  der  Konvergenzbereich  der  Reihe  *13(3;  a,j,  02,)  das 
erste  und  zweite  Quadrat  des  zweiten  Parallelstreifens  mit 
dem  Konvergenzbereiche  von  13  gemein,  derjenige  von 

'13  (a:  fljj,  «211  ^22)  iioch  das  zweite  jener  Quadrate  mit  dem 
Konvergenzbereiche  der  genannten  Reihen  und  mit  demjenigen 
von  '13  (a;  «,,,0,2)-  Daraus  folgt  aber  die  Gültigkeit  der  Be- 
ziehung '13(a;  «jj,  a2,)  = 'maJia,,)  für  die  beiden  ersten  Qua- 


Treppenpolygone  und  deren  funktionentheoretische  Anwendung.  55 


drate,  diejenige  der  Beziehung  ^ (x  | I <^ii  i ^*12) 

für  das  zweite  und  folglich  auch  für  das  (den  Konvergenz- 
hereichen  dieser  Reihen  gleichfalls  gemeinsame)  dritte  Quadrat 
des  zweiten  Parallelstreifens.  So  fortschließend  findet  man, 
daß  die  obige  zweite  Folge  von  Potenzreihen  für  den  zweiten 
und  dritten  Parallelstreifen  eine  daselbst  eindeutige  und  regu- 
läre analytische  Funktion  definiert,  welche  im  zweiten  Parallel- 
streifen mit  der  bereits  durch  die  erste  Serie  von  Potenzreihen 
definierten  vollständig  übereinstimmt.  Und  durch  Fortsetzung 
dieses  Verfahrens  läßt  sich  schließlich  das  ganze  Rechteck  11' 
mit  einem  System  von  Potenzreihen  belegen,  deren  Konvergenz- 
bereiche sich  in  analoger  Weise  teilweise  überdecken.  Dabei 
hat  man  nur  bei  der  Ausdehnunor  der  Entwicklungen  auf  den 
obersten  Parallelstreifen,  falls  nicht  zufällig  d'  — d sein  sollte, 
vielmehr  der  (allgemeine)  Fall  d'  < d eintritt,  das  Verfahren  in 
der  Weise  zu  modifizieren,  daß  man  als  Mittelpunkte  der  be- 
treffenden Potenzreihen-Entwicklungen  nicht  die  auf  der  letzten 
Teilungs- Horizontalen  gelegenen  Gitterpunkte,  sondern  die- 
jenigen benützt,  die  auf  einer  im  Abstande  d zur  oberen  Seite 
des  Rechtecks  R'  gezogenen  Parallelen  liegen  (in  der  Figur 
die  Punkte  . . . d„_j). 

Die  Gesamtheit  der  so  hergestellten  Potenzreihen  definiert 
eine  im  Innern  und  auf  der  Begrenzung  von  R'  eindeutige 
und  reguläre  analytische  Funktion  / (a;).  Zu  jeder  Stelle  von 
R'  gehört  ein  und  nur  ein  bestimmtes  Funktionselement  und, 
auf  Grund  des  oben  näher  beschriebenen  Ineinandergreifens 
der  verschiedenen  Potenzreihen,  ist  jedes  andere  auf  jedem 
beliebigen,  dem  Bereiche  R'  angehörenden  Wege  daraus  ab- 
leitbar. Insbesondere  kann  das  nunmehr  der  Stelle  zuge- 
hörige Funktionselement  kein  anderes  sein,  als  die  ursprünglich 
vorgelegte  Potenzreihe  ^o)-  Denn  auf  dem  speziellen 

Wege,  welcher  zuerst  dazu  diente,  ']3o(iC  a:^)  in ‘j?  (yj  rt,j)  über- 
zuführen, ließe  sich  bekanntlich  — allenfalls  mit  Einschal- 
tung geeigneter  Zwischenpunkte  — auch  die  Rückbildung  von 
'ß(a;  a„)  in  'ißo(^  Xg)  bewerkstelligen.  Da  es  ferner  freisteht, 
den  mit  d bezeichneten  .Abstand  von  R'  und  R unbegrenzt 


56 


A.  Pringsheim 


zu  verkleinern,  so  ist  damit  der  oben  ausgesprochene  Satz 
zunächst  für  das  Innere  eines  Rechtecks  bewiesen. 

Es  hat  keine  Schwierigkeit,  das  zur  Definition  von  f{x) 
angewendete  Verfahren  auf  den  Fall  auszudehnen,  daß  der 
Bereich,  in  dessen  Innern  die  gemachten  Voraussetzungen  gelten 
sollen,  durch  Ansetzen  eines  , freien  Endstücks*  vergrößert 
wird,  also  eines  Rechtecks,  welches  mit  dem  ursprünglichen 
eine  Seite  ganz  oder  teilweise  gemein  hat.  Man  hat  dann  nur, 
nachdem  fix)  in  dem  einen,  als  Anfangshereich  angesehenen 
(in  den  heigegehenen  Figuren  mit  1 hezeichneten)  Rechteck 
definiert  ist,  einen  gewissen  Parallelstreifen  dem  benachbarten 
Rechteck,  soweit  es  an  die  eine  Seite  des  ursprünglichen  an- 
•stößt,  hinzuzufügen  und  die  daseihst  bereits  bestehende  Defi- 
nition von  f (x)  auf  das  Rechteck  2 (Fig.  XII)  hzw.  das  Teil- 
rechteck 2 (Fig.  XIII,  XIV)  auszudehnen  und  eventuell  das 
analoge  Verfahren  zur  weiteren  Fortsetzung  von  f(x)  über  das 
Teilrechteck  3 bzw.  4 anzuwenden. 

XIV 


3 2 4 

I 


Um  nun  schließlich  den  ausgesprochenen  Satz  für  ein 
beliebiges  Treppenpolygon  II  zu  beweisen,  denke  man  sich 
dasselbe  auf  Grund  des  im  vorigen  Paragraphen  abgeleiteten 
„Hauptsatzes“  in  ein  Kernrechteck  und  eine  Anzahl  sukzes- 
sive daran  anzusetzender  freier  Endstücke  zerlegt.  Ist  dann 
das  Funktionselement  ^^(^c  arg)  in  einem  der  einzelnen  Teil- 
rechtecke vorgelegt,  so  hat  man  dasselbe  auf  irgend  einem 
das  betreflPende  Teilrechteck  mit  dem  Kernrechteck  verbinden- 
den, im  Innern  von  II  verlaufenden  Treppenwege  bis  in  das 


Treppenpolygone  und  deren  funktionentheoretiscbe  Anwendung.  57 


Kernrechteck  fortzusetzen.  Hierauf  läßt  sich  nach  dem  oben 
gelehrten  Verfahren  f{x)  zunächst  für  das  Kernrechteck  ein- 
deutig definieren,  und  diese  Definition  kann  sukzessive  über 
sämtliche  Teilrechtecke  von  TI  in  eindeutiger  Weise  fortge- 
setzt werden.  Daß  die  so  definierte,  im  Innern  von  TI  ein- 
deutige und  reguläre  Funktion  f {x)  in  der  Umgebung  der 
Stelle  Xq  mit  dem  ursprünglich  gegebenen  Funktionselement 
'13(0;  iCß)  übereinstimmt,  folgt  dann  genau  so,  wie  oben  für 
den  Fall  des  Rechtecks. 

Damit  ist  der  fragliche  Satz  vollständig  bewiesen. 


58 


Nachtrag  zu  der  vorstehenden  Abhandlung. 

Von  Alfred  Pringsheim. 

Vorgetragen  in  der  Sitzung  am  6.  März  1915. 

1.  Wie  ich  schon  in  einer  der  vorstehenden  Abhandlung 
während  der  Drucklegung  hinzugefügten  Fußnote  (s.  p.  45) 
hervorgehoben  habe,  findet  sich  in  dem  Handbuche  des  mathe- 
raathischen  Unterrichts  von  W.  Killing  und  H.  Hovestadt, 
Bd.  (1910)  die  von  mir  bisher  vermißte  Ergänzung  zu  dem 
Beweise  des  Satzes,  daß  die  Summe  der  inneren  Winkel  eines 
beliebigen  w-Ecks  (n  — 2)ji  beträgt.  Nachdem  ich  inzwischen 
von  den  bezüglichen  Auseinandersetzungen  genauere  Kenntnis 
genommen  habe,  scheint  es  mir  zweckmäßig,  daran  noch  die 
folgenden  Bemerkungen  zu  knüpfen. 

A.  a.  0.  p.  66  ergibt  sich  der  Satz:  In  jedem  einfachen 
Polygon^)  läßt  sich  mindestens  eine  gans  im  Innern 
verlaufende  Diagonale  (d.  h.  zwei  nicht  benachbarte  Eck- 
punkte verbindende  Gerade)  ziehen.  Hieraus  wird  dann 
durch  vollständige  Induktion  erschlossen,  daß  es  in  jedem  ein- 
fachen w-Eck  mindestens  ein  System  von  {n  — 3)  im  Innern 
verlaufenden  und  daselbst  sich  nicht  schneidenden  Diagonalen 
gibt,  durch  welche  dann  das  Polygon  in  (w  — 2)  Dreiecke 
zerlegt  wird.  Man  erkennt  nun  aber  des  weiteren  durch  die- 
selbe Schlußweise,  wie  sie  beim  Beweise  des  Lehrsatzes  IV 
über  Treppenpolygone  angewendet  wui'de  (s.  p.  49),  daß  immer 

')  Ein  Polygon  heißt  einfach,  wenn  jede  Seite  außer  den  beiden 
mit  den  zwei  benachbarten  Seiten  gemeinsamen  Eckpunkten  keinen 
weiteren  Punkt  mit  irgend  einer  anderen  Seite  gemein  hat.  Bei  dieser 
Terminologie  wären  also  die  bisherigen  , Treppenpolygone“  als  ein- 
fache zu  bezeichnen. 


Nachtrag  zu  der  vorstehenden  Abhandlung. 


59 


mindestens  zwei  Teildreiecke  vorhanden  sein  müssen,  deren 
Begrenzung  nur  je  eine  Diagonale,  also  je  zwei  Polygon- 
seiten enthält  (entsprechend  den  zwei  abschneidbaren  freien 
Endstücken  beim  Treppenpolygon),  und  daraus  folgt  dann 
wiederum  die  Möglichkeit,  jedes  einfache  Polygon  durch  suk- 
zessives Ansetzen  von  Dreiecken  an  ein  Kerndreieck  in  der 
Weise  zu  erzeugen,  daß  jedes  neu  anzusetzende  Dreieck  nur 
längs  einer  Seite  mit  dem  bereits  vorhandenen  Komplex  zu- 
sammenhängt. Um  dieses  Ergebnis  zur  Übertragung  des  in  § 3 
der  vorigen  Abhandlung  für  ein  Treppenpolygon  bewiesenen 
Weierstraßschen  Satzes  auf  ein  beliebiges  einfaches  Po- 
lygon zu  verwerten,  hätte  man  den  entsprechenden  Beweis 
also  nur  für  ein  Dreieck  zu  führen.  Dies  läßt  sich  aber,  in 
den  Einzelheiten  der  Ausführung  zwar  etwas  weniger  einfach, 
jedoch  prinzipiell  in  derselben  Weise  bewerkstelligen,  wie  es 
a.  a.  0.  für  ein  Rechteck  geschah. 

2.  Zu  dem  Weierstraßschen  Satze  über  die  Eindeutig- 
keit einer  durch  ein  Funktionselement  ^o(.'C  Xg)  für  das  Innere 
eines  einfach  zusammenhängenden  Bereiches  B definierten  ana- 
lytischen Funktion  f{x)  möchte  ich  noch  die  folgenden  auf 
die  Fassung  der  Voraussetzung  sich  beziehenden  Bemerkungen 
machen.  Diese  Voraussetzung  bestand  in  der  Forderung,  daß 
ajg)  auf  jedem  innerhalb  B verlaufenden  Wege  (bzw., 
was  im  Effekt  auf  dasselbe  hinausläuft,  auf  jedem  polygonalen 
oder  auch  nur  auf  jedem  Treppenwege)  analytisch  fortsetzbar 
sein  sollte.  Daraus  folgt  dann  auf  Grrund  eines  bekannten 
Satzes  über  den  wahren  Konvergenzbereich  einer  Potenzreihe, 
daß  für  keine  der  aus  '!ßo(a;|a:o)  ableitbaren  Reihen  eine  im 
Innern  von  B gelegene  singuläre  Stelle  vorhanden  sein 
kann,  und  diese  Eigenschaft  bildet  die  eigentliche  Grundlage 
des  weiteren  Beweises.  Nichtsdestoweniger  dürfte  es  kaum  als 
zweckmäßig  erscheinen,  dieselbe,  wie  manche  Autoren  tun,  von 
vornherein  in  die  Voraussetzung  aufzunehmen.  Will  man  näm- 
lich ausreichend  charakterisieren,  in  wieweit  irgend  eine  Stelle 
als  singuläre  zu  betrachten  sei,  so  muß  doch  gesagt  werden, 
es  solle  kein  auf  beliebigem  innerhalb  B verlaufenden  Wege 


60 


A.  Pringsheim 

aus  ableitbares  Funktionselement  eine  im  Innern 

von  1)  gelegene  singuläre  Stelle  besitzen^).  Diese  Fassung 
enthält  aber  im  Grunde  genommen  einen  logischen  Fehler. 
Denn  ans  der  darin  enthaltenen  Forderung,  dafä  überhaupt  auf 
jedem  beliebigem  (innerhalb  JJ  verlaufenden)  Wege  immer 
wieder  Funktionselemente  ableitbar  sein  sollen,  ergibt  sich  die 
Nichtexistenz  innerhalb  B liegender  Singularitäten  schon 
als  notwendige  Folgerung,  während  sie  hier  als  besonderes 
Postulat  erscheint.  Immerhin  würde  auf  diese  Weise  wenig- 
stens nichts  geradezu  Unrichtiges  gefordert.  Das  letztere  ist 
dagegen  tatsächlich  der  Fall,  wenn  die  Voraussetzung  so  ge- 
faßt wird^):  es  solle  die  (durch  das  Element  ^o)  definierte) 
Funktion  f{x)  im  Innern  von  B keine  singulären  Stellen 
haben.  Denn  der  durch  das  Element  ^o(a;  x)  hei  Beschränkung 
der  Fortsetzungswege  auf  den  Bereich  B erzeugte  Zweig  der 
Funktion  f{x)  kann  sehr  wohl  durchweg  eindeutig  und  regulär 
verlaufen,  andererseits  aber  die  Funktion  fix),  bei  Fortsetzung 
über  B hinaus  und  schließlicher  Rückkehr  in  diesen  Bereich, 
daseihst  beliebige  Singularitäten  besitzen®). 


0 So,  dem  Sinne  nach,  bei  C.  Jordan,  Cours  d’Analyse  1 (1893), 
p.  346.  Der  Beweis  läßt  übrigens  mancherlei  zu  wünschen.  Erstens 
wird  es  dabei  als  selbstverständlich  angesehen,  daß  man  jedes  Polygon 
durch  Diagonalen  in  Dreiecke  zerlegen  könne,  derart,  daß  jedes  Dreieck 
mit  dem  nächstfolgenden  eine  Seite  gemein  hat,  was  doch  keineswegs 
so  selbstverständlich  ist  (vgl.  oben  Nr.  1 des  Textes),  zweitens  scheint 
mir  die  infinitesimale  Betrachtung,  welche  schließlich  zum  Beweise  des 
fraglichen  Satzes  für  den  Fall  eines  Dreiecks  angewendet  wird,  dem 
Wesen  der  Sache  nicht  recht  zu  entspi’echen  und  ermangelt  daher  der 
schlagenden  Beweiskraft. 

‘^)  S.  z.  B.  Harkness  and  MoiTey,  A Treatise  of  the  Theory  of 
Functions  (1893),  p.  152. 

®)  Vgl.  das  weiter  unten  gegebene  Beispiel  (letzter  Absatz)  Ein 
anderes  einfaches  Beispiel  entsprechender  Art  liefert  die  Potenzreihe 


00 


1 


(-ir 


.la: 


j'-i 


welche  zunächst  für  { a;  | < 1 den  Hauptwert  von 


1 


X 


1»  (1-pa:),  also  in  der 


Nachtrag  zu  der  vorstehenden  Abhandlung. 


61 


Im  Anschluß  an  die  letzte  Bemerkung  verdient  aber  noch 
hervorgehoben  zu  werden,  daß  ein  ähnlicher  Vorgang  auch 
innerhalb  des  Bereiches  B sich  vollziehen  kann.  D.  h.  es 
kann  der  Fall  eintreten,  daß  bestimmte  Innenpunkte  von  B 
bei  Fortsetzung  von  ^o)  gewissen  (sogar  auf  unend- 

lich vielen,  überall  dicht  liegenden)  Wegen  sich  als  Punkte 
regulären  Verhaltens  erweisen,  bei  der  Wahl  anderer  (sc. 
immer  nur  im  Innern  von  B verlaufender)  Wege  aber  als 
singuläre  Punkte  erscheinen.  Hiernach  würde  es  also  nicht 
genügen,  die  Voraussetzung  für  die  eindeutige  Fortsetzbarkeit 
von  ^o)  Bereich  B etwa  in  der  Weise  zu  fassen: 

es  solle  für  jeden  Innenpunkt  x‘  des  Bereiches  B ein 
Funktionselement  'iß(,(a:  . . . x‘)  auf  irgend  einem  innerhalb 

B verlaufenden  Wege  aus  '110(3:  x^  ableitbar  sein. 

Die  generelle  Bestätigung  für  das  wirkliche  Vorhanden- 
sein von  Fällen  der  oben  bezeichneten  Art  liefert  ein  Blick 
auf  die  Riemannsche  Theorie  der  algebraischen  Funktionen, 
bzw.  auf  die  Zusaramenhangverhältnisse  gewisser  Riemann- 
scher Flächen  (worauf  mich  Herr  Hartogs  gelegentlich  auf- 
merksam gemacht  hat).  Es  erschien  mir  indessen  für  das  volle 
Verständnis  des  vorliegenden,  der  elementaren  Funktionentheorie 
angehörenden  Weierstraßschen  Satzes  und  namentlich  mit 
Rücksicht  auf  Vorlesungszwecke  wünschenswert,  ein  Beispiel 
zu  konstruieren,  welches  ohne  jedes  kompliziertere  Hilfsmittel 
das  Erforderliche  leistet,  also  eine  Potenzreihe  explizite  anzu- 
schreiben, von  der  sich  durch  eine  Betrachtung  sehr  einfacher 
Art  nachweisen  läßt,  daß  sie  im  Innern  eines  gewissen  Be- 


Weierstr aß  sehen  Bezeichnung  ^lg(l-t-a;)  darstellte.  Das  gleiche  gilt 

auch  noch  von  der  analytischen  Fortsetzung  des  obigen  Funktionselements 
für  die  ganze  längs  der  reellen  Achse  von  — 1 bis  — oo  zerschnittenen 
Ebene,  welche  also  hier  den  im  Texte  immer  mit  B bezeichneten  Bei’eich 
vorstellt.  Wird  nun  aber  die  Funktion  weiter  fortgesetzt  auf  Wegen, 
die  den  Schnitt  ( — 1,  — co)  beliebig  oft  in  der  einen  oder  in  der  anderen 
Richtung  überschreiten,  so  entstehen  Funktionszweige  von  der  Form 

-\- x)  + die  an  der  Stelle  x = 0 einen  Pol  haben. 


62 


A.  Pringrsheim 


reiches  B nach  jedem  Punkte  analytisch  fortsetzbar  ist  und 
dennoch  keine  in  B eindeutige  analytische  Funktion  definiert. 

3.  Wir  betrachten  die  dreiwertige  Funktion  y = f{pc), 
welche  definiert  wird  durch  die  kubische  Gleichung: 

(1)  f-2y-2x  = Q. 

Die  Cardanische  Formel  liefert  alsdann  für  die  drei  Werte 
von  f\x)  die  Ausdrücke: 

y^  = f^{x)  = V V I ^ X — V 1^1  + — X 


(2) 


= u — V 

y.,  = f^{x)  = au  ~ a^v  I 
yz  = U{x)  = a^u  — av  ) 


wo:  a = e 


2^1 
^ ^ 3 


— e 


i -T  I 

~3~ 


Dabei  sind  zunächst  für  a:  | < 1 unter  den  Radikalen  die 
Hauptwerte  der  betreffenden  AVurzeln  zu  verstehen,  also  speziell: 


(3) 


W) 


/;(0)  = a — a2  = dKs 
— a = — i-KS. 


Die  Funktion  f{x)  besitzt,  wie  die  Substitution  x = 


1 


lehrt,  in  x = oo  einen  Verzweigungspunkt,  in  welchem  alle 
drei  Werte  der  Funktion  zusammenfallen.  Da  andererseits  die 
Radikanden  x^  ± x für  kein  endliches  x verschwinden,  so 

kommen  als  etwaige  weitere  Verzweigungspunkte  von  f{x)  nur 
diejenigen  von  Vl~+ x^,  also  die  Stellen  a:  = i und  x = — i 
in  Betracht.  Um  das  A'^erhalten  von  f(x)  in  der  Umgebung 
dieser  Stellen  zu  untersuchen,  machen  wir  die  Substitution: 

(4)  a;  = i*sini9,  also:  1 1 + = cosi5>, 

so  daß  die  Beziehungen  (2)  in  die  folgenden  übergehen: 


(5) 


fi{x)  — 2 i • sin 


d 


f^{x)  = 2i-  sin 


d-\-2  7l 


fi  (x)  = 2i sin 


^ — 271 


Nachtrii"  zu  der  vorstehenden  Abhandlung. 


63 


Es  beschreibe  jetzt  0^  den  folgenden  Weg:  von  0 positiv 
bis  ^ — I d [,  wo  I d > 0 beliebig  klein,  sodann  auf  einem  Halb- 
kreise mit  dem  Radius  d von  ^ — |d|  bis  ^4-  |d|,  schließ- 
lieh  wieder  reell  positiv  wachsend  bis  ti.  Da 

d^_ 

4!  ■■■’ 


sin  ± (3^  = cos  d = 1 — -j- 


so  wird  X für  0<i?<  — — |d  den  rein  imaginären  Weg  von  0 

bis  i • cos  d|  durchlaufen.  Da  ferner  cosd  für  hinlänglich  kleine 

. d^  . 

jd  sich  näherungs weise  verhält  wie  1 — so  wird,  wenn  d 

di 

7t 

einen  Halbkreis  mit  dem  Radius  |d’  um  beschreibt,  a;(=i-cosd) 

di 

eine  nahezu  kreisförmige  geschlossene  Kurve  um  den  Punkt  i 
beschreiben  und  sodann  vom  Werte  i • cos  d wieder  nach  0 

7t 

zurücklaufen,  wenn  d-  von  ^4-|d|  bis  wächst.  Läßt  man 

di 

(lediglich  der  größeren  Einfachheit  der  Notierung  halber)  d 
gegen  Null  konvergieren,  zieht  also  den  von  x beschriebenen 
Schleifenweg  in  den  Weg  (0,  i,  0)  zusammen,  so  ergibt  sich 
mit  Rücksicht  auf  die  Beziehungen  (5) 


/ , . 71  . 571 

I und  wegen : sin  — = sin  — 

das  folgende  Schema: 

X = 0 


(A) 


# = 0 

fl  (x)  = 0 
f^{x)  = i-K3 


1 

2’ 


/sC^)  = —i 


VI  — 2i 


. 71  . 2,71 

Sin - = Sin  — 


0 

7t 

i-  K3 
0 

-i-Ks. 


Die  Stelle  x=i  ist  daher  ein  Verzweigungspunkt  nur 
für  /j  (a;)  und  f.2{x),  dagegen  nicht  für  f^{x). 


04 


A.  Pringshelm 


Analog  ergibt  sich  für  negative  -&  bzw.  negativ  imaginäre 
Werte  von  x das  Schema: 


a;  = 0 — i 

0 

r9  = 0 ' 

7t 

2 

/;  (a;)  = 0 —i 

- M/3 

(2 {x)  — i-  Y‘6  2 i 

i ■ 1/3 

f3(.x)==  — i-V-6  —i 

0, 

so  daß  die  Stelle  x—  — i nur  für  fi{x)  und  f^ipc),  nicht  aber 
für  f^ix;)  als  Verzvveigungspunkt  erscheint. 

Nun  lassen  sich  aber  die  für  lx;<l  bestehenden  Potenz- 
reihen-Entwicklungen von  fi{x),  f^{x)  leicht  angeben. 

TI  TZ 

Für  reelle  des  Intervalls  — — <»?<—  und  beliebige  reele  A 

Li 

bestehen  bekanntlich  die  Reihendarstellungen  ^): 


(^5) 


(7) 


sin  A (?  = A ■ sin#  “t"  ~ sin®# 

o . 

;.#  = l-|;sin®#+'ie^>si„®# 


cos 


^ ^ 'sin®i‘>-l 


Setzt  man  speziell  A = ^ und  substituiert  in  (G)  mit  Rück- 

X 

sicht  auf  Gleichung  (4):  sin  (9  = -r,  so  ergibt  sich  auf  Grund 

z 

der  ersten  Gleichung  (5): 


‘)  S.  z.  B.  Scblömilch,  Algebr.  Analysis  (4.  Aufl.  1868),  § 60  (p.  263), 
Gl.  (18),  (16).  — Hattendorf,  Algebr.  Analysis  (1877),  §47  (p.  133), 
Gl.  (7),  (8)  . . . Auch:  Stolz-Gmeiner,  Einl.  in  die  Funktionentbeorie, 
II  (1905),  p.  383,  Gl.  (18),  (19),  (wenn  daselbst  arcsin  .r  = ^ gesetzt  wird). 


Nachtrag  zu  der  vorstehenden  Abhandlung. 


65 


wo: 

(8)  = | 


/,  (x)  = (a:)  = 2^(x), 

(I2.32-I)  /a:Y  (12.32-1)(32.32-1) 
3!  5! 


zunächst  für  reelle  x des  Intervalls  — 1,  dann  aber 
wegen  des  analytischen  Charakters  von  /",  {x)  ohne  weiteres  für 
komplexe  x des  Bereiches  a: , ^ 1 . 

Man  hat  ferner: 


ß ± 2.-r 


sin 


Substituiert  man  auch  in  Gleichung  (7):  sin  (?  = — und 

% 

bezeichnet  die  für  A = | resultierende  Potenzreihe  mit 
so  daß  also: 


(9) 


C(a:)  = l + 


1 /a^Y  (22.32— 1)  fxy 
2!V3y'^  4!  \‘d) 

(22.32  — 1)(42. 32  — 1) 

6! 


ß 

4 — » 


so  ergibt  sich  weiter  mit  Berücksichtigung  von  (5) : 

f,(x)  = 'p,(a:)  = - + i- 1/3  • Q{x) 

/j  (x)  = U,  (x)  = - U W - i • 1/3  • « (X) . 


Aus  den  vorausgeschickten  Betrachtungen  über  das  Ver- 
halten von  f\(x),  f2{x),  fsix)  in  Bezug  auf  die  Stellen  a;  = ± i 
folgt  dann,  daß  für  das  Funktionselement  'iß, (a:)  die  beiden 
Stellen  x — ±i  singuläre  sind,  dagegen  für  die 

Stelle  x = i,  für  ^3(3;)  nur  x = — i. 

Bedeutet  also  B irgend  einen  einfach  zusammenhängenden 
Bereich,  der  die  beiden  Stellen  x = ±i  im  Innern  enhält,  so 
wird  das  Funktionselement  ‘iß,  (a:)  bei  analytischer  Fortsetzung 
über  einen  den  Punkt  x = i einmal  umlaufenden  Schleifenweg, 
wie  das  Schema  (A)  zeigt,  in  iß.2(a:)  übergehen.  Wird  sodann 
vom  Punkte  i aus  ein  Schnitt  längs  der  imaginären  Achse  in 

5 


Sitzungsb.  d.  math.-pliya.  Kl.  Jahrg.  1915. 


66  A.  Pringsheim,  Nachtrag  zu  der  vorstehenden  Abhandlung. 


der  Richtung  nach  oben  gezogen,  so  existiert  in  dem  so  zer- 
schnittenen Bereich  B‘  für  keine  singuläre  Stelle,  und 

es  ist  daher  (a:)  auf  jedem  beliebigen  innerhalb  JB‘  verlaufen- 
den Wege  analytisch  fortsetzbar.  Das  analoge  findet  statt,  wenn 
man  “ißj  (a;)  durch  analytische  Fortsetzung  über  einen  die  Stelle 
x = - — i umlaufenden  Schleifenweg  zunächst  in  'ißgCa;)  überführt 
(s.  das  Schema  (B))  und  sodann  einen  Schnitt  vom  Punkte  — i 
n der  negativen  Richtung  der  imaginären  Achse  führt. 

Es  zeigt  sich  also,  daß  das  Funktionselement  'ißj(a;)  auf 
unendlich  vielen  überall  dicht  liegenden  Wegen  nach  jedem 
inneren  Punkte  von  B analytisch  fortsetzbar  ist,  ohne  indessen 
einen  im  Bereiche  B eindeutigen  und  regulären  Zweig 
einer  analytischen  Funktion  zu  definieren. 

Schließlich  sei  mit  Rücksicht  auf  eine  in  Nr.  2 (s.  p.  60 
am  Schlüsse  und  Fußn.  3)  gemachte  Bemerkung  noch  folgendes 
erwähnt:  Enthält  der  Bereich  B nur  eine  der  Stellen  x = ±.i 
im  Innern,  z.  B.  nur  die  Stelle  a;  = i,  so  definiert  offenbar  das 
Funktionselement  ißg (a;)  einen  im  Innern  von  B eindeutigen 
und  regulären  Funktionszweig,  obschon  der  Bereich  die 
singuläre  Stelle  i der  betrefl'enden  analytischen  Funktion 
im  Innern  enthält. 


67 


Eine  neue  Lösung  der  Grundaufgabe  der 
Luftphotogrammetrie. 

Von  S.  Finsterwalder. 

Vorgetragen  in  der  Sitzung  am  6.  März  1915. 

Die  Grundaufgabe  der  Photogramnietrie,  von  der  hier  die 
Rede  ist,  betrifft  die  Wiederherstellung  des  dargestellten  Gegen- 
standes aus  zwei  Bildern,  die  mit  bekannten  Apparaten  (bekannter 
innerer  Orientierung)  aufgenonnnen  wurden,  deren  Standpunkte 
aber  unbekannt  sind.  Zur  Wiederherstellung  der  Form  des 
auf  beiden  Bildern  dargestellten  Gegenstandes  reichen  diese 
Bilder  auch  ohne  jede  Kenntnis  der  Standpunkte  aus,  ja  die 
Standpunkte  können  in  ihrer  Lage  zu  dem  Gegenstände  mit- 
bestimnit  werden.^)  Nur  um  die  Größe  des  dargestellten  Gegen- 
standes festzulegen,  ist  eine  Längenabmessung  an  ihm  not- 
wendig. In  den  meisten  Fällen,  insbesondere  bei  Geländeauf- 
nahmen, ist  es  jedoch  nicht  bloß  die  Größe  und  Form  des 
dargestellten  Gegenstandes,  die  man  haben  will,  sondern  auch 
noch  die  Lage  gegen  die  Lotrichtung,  ohne  deren  Kenntnis 
die  gefundene  Geländeform  fast  wertlos  wäre.  Dazu  braucht 
man  aber  die  Lage  und  Höhe  dreier  Punkte  des  zu  findenden 
Geländes  und  man  kann  die  Kenntnis  derselben  als  notwendige 
Voraussetzung  für  die  Lösung  der  Grundaufgabe  in  einem 
solchen  Falle  ansehen.  Ist  diese  Voraussetzung  gegeben,  so 
ist  die  Lösung  vom  theoretischen  Standpunkt  aus  ganz  wesent- 

S.  Finsterwalder,  Die  geom.  Grundlagen  der  Photogrammetrie. 
.Tahre.sber.  der  Deutsch.  Math.  Vereinigung,  6.  Bd.,  1899,  S.  15. 

5* 


68 


S.  Finsterwalder 


lieh  vereinfacht.  Während  man  im  anderen  Falle  die  Grund- 
aufgabe bloß  auf  die  vom  theoretischen  Standpunkt  aus  fast 
hoffnungslos  verwickelte  Aufgabe,  zwei  sphärische  Fünfecke 
auf  der  Kugel  perspektiv  in  Bezug  auf  ein  Zentrum  zu  legen, 
zurückführen  kann,^)  hat  man  bei  der  genannten  Voraussetzung 
nur  zweimal  die  Aufgabe  4.  Grades  zu  lösen,  welche  in  dem 
räumlichen  Kückwärtseinschneiden  eines  Standpunktes  nach  den 
drei  gegebenen  Festpunkten  besteht“)  und  kann  dann  mittels 
der  ganz  elementaren  Methode  des  Vorwärtseinschneidens  den 
abgebildeten  Gegen.stand  punktweise  wiederherstellen.  Alle 
hiezu  nötigen  Verfahren  sind  längst  ausgearbeitet;  allein,  wenn 
man  sie  mit  der  wünschenswerten  Genauigkeit  anwenden  will, 
erfordern  sie  trotz  mancher  Vereinfachung  im  einzelnen  im 
ganzen  doch  sehr  viel  Mühe  und  Zeit,  so  daß  nur  selten  der 
Wert  des  Erzielten  mit  dem  dazu  nötigen  Aufwand  in  ent- 
sprechendem Verhältnis  steht.  Auch  dort,  wo  der  schließliche 
Wert  des  Ergebnisses  außer  Frage  steht,  schon,  weil  es  auf 
anderm  Wege  gar  nicht  zu  erzielen  ist,  bildet  die  zu  seiner 
Erzielung  notwendige  Zeit  ein  ernstes  Hindernis.  Außerdem 
wird  die  Genauigkeit  der  lotrechten  Abmessungen  des  Gegen- 
standes vielfach  dadurch  ungünstig  beeinflußt,  daß  sie  aus  den 
Differenzen  großer  Zahlen,  nämlich  der  Höhenunterschiede  des 
gesuchten  Punktes  gegenüber  den  Standpunkten  hervorgehen, 
wodurch  mindestens  die  Anforderungen  an  die  Rechengenauig- 
keit unliebsam  gesteigert  werden.  Allen  diesen  Mißständen 
geht  das  folgende  Verfahren  aus  dem  Wege,  das  vorläufig  für 
solche  Verhältnisse  ausgearbeitet  wmrde,  bei  denen  Bilder  kleinen 
Gesichtsfeldes  vorliegen,  wie  sie  z.  B.  die  heutzutage  allein 
anwendbaren  lichtstarken  Apparate  für  Flugzeuge  und  Lenk- 
ballone zulassen.  Unter  Voraussetzung  einen  kleinen  Gesichts- 
feldes versagen  übrigens  praktisch  die  früheren  Methoden,  welche 
auf  der  gegenseitigen  Orientierung  zweier  Bilder  mittels  der 

*)  S.  Finsterwalder,  Eine  Grundaufgabe  der  Photogrammetrie.  Ab- 
handlungen d.  K.  B.  Akad.  d.  Wiss.,  II.  KL,  22.  Bd.,  2.  Abt.,  1903, 
S.  231  Anmerkung. 

*)  Vgl.  das  Zitat  auf  der  vorigsn  Seite. 


Eine  neue  Lösun^  der  Grundaufgabe  der  Luffpliotogrammetrie. 


gegnerischen  Kernpunkte  beruhen,  während  das  ßückwärts- 
einschneiden  noch  immer  genügend  genaue  Ergebnisse  zuläßt. 

Wir  wollen  zunächst  das  Verfahren  für  den  einfachen  Fall 
auseinandersetzen,  wo  die  drei  Festpunkte  in  einer  wagrechten 
Ebene  liegen  und  die  Änderungen,  die  für  den  allgemeinen 
Fall  nötig  werden,  am  Schlüsse  angeben.  Das  Verfahren  be- 
steht aus  zwei  Teilen:  Erstens  die  Aufsuchung  der  Standpunkte 
durch  Rückwärtseinschneiden , zweitens  die  Herstellung  des 
Gegenstandes  durch  Vorwärtseinschneiden.  Für  beide  Teile 
kann  man  mit  Erfolg  eine  optisch-mechanische  Projektionsart 
heranziehen,  die  von  dem  ideenreichen  Verfechten  der  Luft- 
photogrammetrie Th.  Sc  heim  pflügt)  stammt  und  welche  ich 
kurz  als  Scheimpflugprojektion  bezeichnen  will.  Sie  beruht 
darauf,  daß  ein  richtig  zeichnendes  Weitwinkelobjektiv  jede 
Ebene  scharf  und  perspektivisch  richtig  in  eine  bestimmte  andere 
ihr  konjugierte  Ebene  abbildet,  deren  Lage  einfach  anzugeben  ist. 

Es  sei  0 die  Linse  mit  ihren 
Brennpunkten  und  B.^  und 
es  sei  der  Einfachheit  halber 
angenommen,  daß  ihre  beiden 
Hauptpunkte  in  0 zusanimen- 
fallen.  Die  Brennweite  sei:  OB^ 

— OB.^  = f\  die  Punkte  und 
befinden  sich  auf  der  opti- 
schen Achse  in  doppelter  Brenn- 
weite. Die  Linse  bildet  dann  die 
Ebene  durch  senkrecht  zur 
Achse  kongruent  in  die  paral- 
lele Eben«  durch  A^  und  z.  B. 
den  Punkt  6'j  in  C.^  ab.  Der  in 
der  Brennebene  gelegene  Punkt 
F’j  geht  in  den  unendlich  fern 

Die  Herstellung  von  Karten  und  Plänen  auf  photographischem 
Wege.  Sitzungsber.  d.  K.  Akad.  d.  Wiss.  in  Wien,  math.-naturvv.  Kl., 
114.  Bd.,  Abt.  II  a,  1907,  S.  G. 

In  Fig.  1 ist  der  Bogen  0 V aus  Versehen  angezogen,  statt  punktiert. 


70 


8.  Fi nstei' Widder 


gelegenen  Punkt  Gerade  in  parallel  zu 

OF^  über.  C^F^  und  schneiden  sich  im  Punkte  S und 

es  ist  SFy  — F^C.^.  Gleich  wie  die  Geraden  C^F^  und  C^F.^ 
in  der  Zeichenebene  bilden  sich  auch  die  durch  sie  gehenden, 
zur  Zeichenebene  senkrecht  stehenden  Ebenen  durch  die  Linse 
ineinander  ab.  Sie  sind  ein  Paar  konjugierter  Ebenen  und 
können  leicht  mechani.sch  mittels  folgender  V'orrichtungen  mit- 
einander in  Verbindung  gebracht  werden.  Man  macht  die 
Ebenen  um  Achsen  durch  bzw.  C.^  senkrecht  zur  Zeichen- 
ebene drehbar.  Diese  Achsen  werden  parallel  auf  den  Ge- 
raden Aj  C,  und  geführt  und  außerdem  werden  Cj  und 

6*2  durch  eine  symmetrische  , Nürnberger  Schere“  mit  dem 
Drehpunkt  in  0 miteinander  verbunden.  In  der  Fortsetzung 
der  Ebenen  sind  geschlitzte  Schienen,  die  einen  Stift  S um- 
schließen, der  selbst  wieder  auf  einer  Geraden  OS  senkrecht 
zur  optischen  Achse  der  Linse  geführt  wird.  Trägt  nun  die 
Ebene  Cj  F^  ein  Negativ  und  die  Ebene  F^  einen  Projek- 
tionsschirm, so  wird  die  Linse  innerhalb  ihres  nutzbaren  Bild- 
winkels (60°  — 90")  eine  scharfe,  perspektivisch  richtige  Projek- 
tion liefern.  Das  Negativ  kann  dabei  in  seiner  Ebene  beliebig 
verschoben  und  gedreht  werden.  Die  Scheimpflug-Projektion 
gibt  (natürlich  mit  Rücksicht  auf  die  praktischen  Grenzen) 
sämtliche  cß®  der  Form  und  Größe  nach  verschiedenen  Perspek- 
tiven eines  ebenen  Objektes.  Die  Lage  der  Ebene  6\  F^  ist 
offenbar  von  zwei,  jene  des  Negativs  in  der  Ebene  von  drei 
Größen  abhängig.  Ist  von  dem  Aufnahmeapparat  die  innere 
Orientierung,  also  Hauptpunkt  und  Bildweite  der  damit  er- 
zeugten Bilder  bekannt,  so  kommen  von  den  co®  Perspektiven, 
die  die  Scheimpflug-Projektion  gibt,  nur  oo*  in  Betracht,  da 
ein  vorgegebenes  Strahlenbündel  ja  nur  von  oc^  Ebenen  ge- 
schnitten werden  kann.  Man  muß  also  die  Beweglichkeit  der 
vorhin  geschilderten  Koppelung  von  Negativ-  und  Schirmebene 
vermindern , wenn  man  die  Projektion  auf  jene  Fälle  ein- 
schränken will,  die  bei  der  Auinahme  mit  einem  bekannten 
Apparat  allein  möglich  sind.  Wir  w'ollen  zuerst  die  einfachen 
Zusammenhänge  zwischen  den  Abmessungen  des  Projektions- 


Kine  neue  lyösun«^  der  Cirund:iuf<(:il)e  der  liuftphotogrammetrie. 


71 


apparates  und  den  Angaben  über  die  Art  der  Bildaufnahme 
kennen  lernen.  Es  werde  eine  Kamera  von  der  Bild  weite  F 
aus  der  Höhe  Ji  unter  der  Neigung  a gegen  die  wagrechte 
Ebene  der  drei  Festpunkte  gerichtet.  Die  Figur  2 bezieht  sich 
auf  die  Hauptvertikalebene  der  Aufnahme.  31  sei  der  Auf- 
nahmestandpunkt, A der  Hauptpunkt  der  photographischen 
Platte,  also  31 A die  optische  Achse  der  Aufnahme  und  zu- 
gleich die  Bildweite  F.  Dem  Punkte  K entspricht  die  Schnitt- 
linie der  Bildebene  AHK  mit  der  Ebene  der  Festpunkte,  dem 
Punkte  F[  der  Horizont  der  Aufnahme.  Die  Entfernungen  KH 
und  KN  = H3I  des  Horizonts  H und  der  Verschwindungs- 
linie  N von  der  Schnittlinie  K drücken  sich  durch  h und  a 
folgendermaßen  aus : 

31 N = HK  = h : cos  a NK  = 31H=  F-.  cos  a 
AH  = F ■ iga. 


ln  der  Scheimpflug-Projektion  Fig.  1 entspricht  der  Punkt  F’ 
dem  Punkte  H,  der  Punkt  G.2  dem  Punkte  N,  und  der  Punkt  K 
dem  Punkte  S.  Damit  nun  die  Scheimpflug-Projektion  die 
Abbildung  der  Festpunktebene  auf  die  Bildebene  der  photo- 
graphischen Kamera  wiedergibt,  müssen  folgende  Bedingungen 
erfüllt  sein.  Der  Punkt  U des  Diapositios,  welcher  dem  Haupt- 
punkt A der  Bildebene  entspricht,  muß  in  der  Symmetrie- 
ebene der  Scheimpflug-Projektion  (Zeichenebene  von  Fig.  1) 
liegen.  Der  in  der  Entfernung  F von  A befindliche  Punkt  31 
fällt  in  der  Scheimpflug-Projektion  nach  V und  somit  nicht 
mit  der  Projektionslinse  0 zusammen. 


72 


S.  i’insUM  Wiililer 


Ferner  muß  sein: 


OG, 
G.y  S 

uX 


= F,S,= 
= 0F,= 
= AH  = 


HK  = h:  cos  a 
KK  = F:  cos  « 
F-tga. 


Da  VF^  — YF'^A-  (-P’i  = F-.  cos  a ist,  so  wird  es  gleich 

OF/)  und  der  mit  in  der  Entfernung  F verbundene  Punkt  V 
muß  so  geführt  werden,  daß  stets  F^O  = F ist.  Das  ist  auf 
verschiedene  Weise  möglich,  am  sicher- 
I sten  mit  einem  sogenannten  Frosch- 

schenkelmechanismus (Fig.  3),  welcher 
bewirkt,  daß  die  Punkte  OFF,  in  jeder 
möglichen  Lage  ein  gleichschenkliges 
Dreieck  bilden,  wobei  auch  noch  0 und 
F ihre  gegenseitige  Lage  zur  Mittellinie 
des  Systems  ohne  Durchgang  durch  einen 
Todpunkt  des  Mechanismus  vertauschen 
können.  Mittels  eines  derartigen  Mecha- 
nismus kann  ein  Gleitschieber,  der  das 
um  seinen  Hauptpunkt  0,  in  seiner  Ebene 
drehbar  gelagerte  Negativ  trägt,  am  Ende 
F seines  zu  seiner  Ebene  senkrechten 
Fortsatzes  F,  F so  bewegt  werden,  daß 
die  Scheimpflug-Projektion  nur  jene  oo=*  Perspektiven  ergibt, 
welche  den  möglichen  Aufnahmen  der  Festpunktebene  mittels 
des  vorgegebenen  photographischen  Kamera  entspricht.  Wird 
nun  das  Dreieck  der  drei  Festpunkte  auf  dem  Projektionsschirm 
des  Apparates  verschiebbar  gelagert  und  das  Negativ  inner- 
halb der  noch  vorhandenen  Möglichkeiten  verschoben  und  ge- 
dreht, bis  das  Bild  der  Festpunkte  auf  dem  Projektionsschirm 


Diese  Gleichheit  kann  auch  nach  dem  bekannten  Satze  der  Per- 
spektive eingesehen  werden,  wonach  das  perspektivische  Zentrum  sich 
auf  einem  Kreise  mit  der  Fluchtlinie  F^  (Fig.  2)  als  Achse  verschiebt, 
wenn  die  Gegenstandsebene  (hier  Projektionsschirm)  um  die  Achse  der 
Perspektive  (S  in  Fig.  1,  K in  Fig.  2)  bei  feststehender  Bildebene  (Ebene 
des  Negativs)  gedreht  wird. 


Eine  neue  Lösung  der  Grundnufgabe  der  Luftphotogranimetrie.  73 

mit  dem  Dreieck  zur  Deckung  kommt,  so  hat  man  durch  Pro- 
bieren die  Perspektive  vermittelt,  welche  bei  der  photogra- 
phischen Aufnahme  das  Festpunktdi'eieck  auf  die  Platte  ab- 
bildete. An  den  Teilungen  der  Schienen  C^  S und  S können 
die  Beträge: 

C^S  = 2C^F^  = 2h  : cos  a und  C^S=2GC^=^2F-.  cos  a 

abgelesen  und  hieraus  h und  a berechnet  werden.^) 

Macht  man  in  der  schließlichen  Stellung  des  Apparates 
eine  photographische  Aufnahme  des  Projektionsbildes  und  sorgt 
man  dafür,  dah  dabei  auch  der  Hauptpunkt  und  die  (in 
der  Zeichenebene  von  Fig.  1 gelegene)  Hauptvertikale  des  Nega- 
tivs zur  Abbildung  gelangt,  so  kann  man  vom  Punkte  auf 
dem  Projektionsbild  der  Hauptvertikalen  ausgehend  unschwer 
zum  Fußpunkt  des  Lotes  vom  Standpunkt  auf  die  Festpunkt- 
ebene gelangen,  der  von  um  die  Strecke:  h:tga  entfernt 
liegt.  In  ähnlicher  Weise  läßt  sich  der  zweite  Standpunkt 
gegen  das  Dreieck  der  drei  Festpunkte  festlegen. 

Hat  man  auf  solche  Weise  die  Standpunkte  bestimmt  und 
die  Projektionen  des  Geländes  auf  die  Ebene  der  drei  Festpunkte 
von  beiden  Standpunkten  aus  photographisch  festgelegt,  so 
gestaltet  sich  die  Wiederherstellung  des  Geländes  folgender- 
maßen sehr  einfach.  Man  denkt  sich  die  beiden  Projektionen 
des  Geländes  so  aufeinander  gelegt,  daß  die  Projektionen  der 
drei  Festpunkte  sich  decken.  Wäre  das  Gelände  eben,  so  müßten 
sich  die  Projektionen  sämtlicher  Punkte  decken.  Bei  nicht 
ebenem  Gelände  decken  sich  dagegen  nur  die  Projektionen  jener 
Punkte,  die  mit  den  drei  Festpunkten  in  einer  Ebene  gelegen 
sind.  Für  die  übrigen  Punkte  fallen  sie  auseinander,  liegen 
aber  so,  daß  ihre  Verbindungslinie  P‘  P“  (Fig.  4)  durch  einen 
festen  Punkt  K geht,  nämlich  jenen,  in  welchen  die  Verbin- 
dungslinie der  Standpunkte  310  die  Ebene  der  drei  Festpunkte 
schneidet.  Den  Lotriß  Pj  eines  Punktes  P auf  die  eben  ge- 

b Da  sich  die  Neigung  a für  kleine  Werte  aus  cos  a schlecht  be- 
stimmt, kann  man  das  Maß  von  TIiFi  = F tg  a siur  Berechnung  von 
« verwenden. 


71 


S.  Finsterwalder 


nannte  Ebene  erhält  man,  wenn  man  jede  seiner  beiden  Scheim- 
pflug-Projektionen  P'P"  mit  dem  Lotriß  Oj  bzw.  J/j  des  zuge- 
hörigen Standpunktes  0 bzw.  M verbindet  und  die  beiden  Ver- 
bindungslinien in  Pj  zum  Schnitt  bringt.  Denkt  man  sich 
endlich  über  den  Lotrissen  Oj  J/j  der  beiden  Standpunkte  diese 
selbst  nach  den  vorhin  ermittelten  Höhen  aufcretraffen  und 
dann  mit  den  Scheirapflug- Projektionen  eines  Raumpunktes 
verbunden,  so  schneiden  sich  diese  räumlichen  Verbindungs- 
linien OP'  und  J/P"  in  dem  gesuchten  Raumpunkte  P selbst 
und  die  Höhe  PPj  des  Raumpunktes  über  der  Ebene  der  Fest- 
punkte kann  unmittelbar  abgemessen  werden. 


M 


Die  soeben  beschriebene  Konstruktion  ist  nur  gedacht  und 
kann  in  der  angegebenen  Form  praktisch  kaum  ausgeführt 
werden,  weil  das  Übereinanderlegen  und  Auseinanderhalten  der 
beiden  Scheimpflug-Projektionen  nicht  gut  möglich  ist.  Ehe 
die  einfache  Abänderung,  die  zu  einer  praktischen  Konstruk- 
tion führt,  angegeben  wird,  soll  der  Vorgang  besprochen  wer- 
den, den  man  am  besten  einhält,  wenn  die  drei  Festpunkte 
nicht  in  einer  wagrechten  Ebene  gelegen  sind.  Es  wäre  näm- 
lich praktisch  sehr  umständlich,  wenn  man  den  theoretisch 
einfachsten  Weg  einschlagen  würde,  der  offenbar  darin  be- 
steht, die  Wiederherstellung  zuerst  in  Bezug  auf  die  geneigte 
Ebene  der  Festpunkte  durchzuführen  und  schließlich  die  ge- 
fundene Geländeform  so  zu  di-ehen,  daß  die  Ebene  der  Fest- 
punkte die  geforderte  Stellung  gegen  die  Lotrichtung  einninnnt. 
Man  verfährt  vielmehr  besser  folgendermaßen:  Man  wählt  eine 


Eine  neue  Lösung  der  Grundaufgabe  der  riuftphotograiniuetrie. 


7.) 


wagrechte  Ausgangsebene,  deren  Höhenlage  so  angenommen 
wird,  daß  alle  vorkommenden  Geländepunkte  darüber  liegen. 
In  Bezug  auf  diese  Ausgangsebene  bestimmt  man  dann  die  Lage 
der  beiden  Standpunkte  71/  und  0.  Das  kann  auf  dem  Wege 
der  darstellenden  Geometrie  unschwer  geschehen,  wenn  die 
Lage  der  Standpunkte  gegen  das  Festpunktsdreieck  aus  dem 
Einpassen  der  beiden  Scheimpflug-Projektionen  in  jenes  Drei- 
eck vorher  bekannt  war.  Nun  werden  die  gegebenen  Fest- 
punkte von  den  neu  gewonnenen  Standpunkten  auf  die  wag- 
rechte Ausgangsebene  projiziert  und  so  für  jeden  Standpunkt 
ein  neues  wagrechtes  Festpunktsdreieck  gewonnen.  Wenn  die 
Höhen  der  Festpunkte  über  der  Ausgangsebene  klein  sind 
gegenüber  jener  der  Standpunkte,  so  werden  sich  das  neue 
wagrechte  und  das  ursprüngliche  geneigte  Festpunktsdreieck 
überhaupt  nur  wenig  unterschieden  und  die  geringfügigen 
Unterschiede  können  ohne  merklichen  Schaden  statt  aus  der 
wahren  Lage  des  betreffenden  Standpunktes  gegen  die  Aus- 
gangsebene auch  aus  der  nur  wenig  verschiedenen  Lage  gegen 
die  ursprüngliche  Festpunktsebene  bestimmt  werden.  Man  spart 
dabei  die  Konstruktion  der  Lage  der  Standpunkte  gegen  die 
Ausgangsebene. 

Hat  man  nun  .so  auf  dem  einen  oder  anderen  Wege  für 
jeden  Standpunkt  ein  neues  wagrechtes  Festpunktsdreieck  er- 
mittelt, so  wird  eine  Scheimpflug-Projektion  der  zugehörigen 
Aufnahme  auf  dieses  Dreieck  ausgeführt. 

Die  auf  zwei  verschiedene  Festpunktsdreiecke  ausgeführten 
Scheimpflug-Projektionen  müßten  nun  für  die  Herstellung  des 
Lageplanes  so  übereinandergelegt  werden,  daß  die  Grundrisse 
des  ursprünglichen  Fe.stpunktsdreieckes,  aus  dem  die  neuen 
durch  Korrektion  entstanden  waren,  sich  decken.  Die  weitere 
Konstruktion  des  Lageplanes  und  der  Höhen  über  der  ge- 
wählten Vergleichsebene  geschieht  auf  genau  demselben  Wege 
wie  vorher;  es  besteht  nur  der  Unterschied,  daß  die  Fest- 
punkte nicht  mehr  die  Höhe  Null,  sondern  die  gegebenen 
Höhen  erhalten. 

Wie  schon  früher  erwähnt,  ist  das  Aufeinanderlegen  der 


76 


S.  Finsterwalder 


beiden  Scheimpflug-Projektionen  für  die  praktische  Durchfüh- 
rung der  Wiederherstellung  nicht  gut  möglich,  schon  aus  dem 
Grunde,  weil  man  die  Projektionen  auf  Glas  als  Diapositive 
hersteilen  wird.  Das  einfache  Mittel  zur  Überwindung  dieser 
Schwierigkeit  ist  in  Fig.  5 angedeutet.  Man  verschiebt  die 
beiden  Scheimpflug-Pi'ojektionen  P‘ P“  aus  ihrer  Deckstellung 
parallel  zu  sich  selbst,  um  verschiedene  Beträge  P‘  Pö  bzw. 
P“ Po,  so  daß  sie  nebeneinander  zu  liegen  kommen  und  im 
durchfallenden  Licht  bequem  beleuchtet  werden  können.  Durch 
einen  passenden  Mechanismus  sorgt  man  dafür,  daß  ent- 
sprechende Punkte  Po  und  P'o,  die  durch  optische  Hilfsmittel 
(Lupe  mit  Fadenkreuz  oder  Mikroskop)  einzustellen  sind,  wieder 


um  die  genannte  Vei'schiebung  nach  P'  und  P“  zurückgebracht 
werden  und  dort  als  Anhaltspunkte  für  Konstruktion  des  Grund- 
risses durch  Vorwärtseinschneiden  von  den  vorher  ermittelten 
Grundrissen  il/j  Oj  der  Standpunkte  aus  dienen.  Sorgt  man 
noch  dafür,  daß  die  beiden  parallel  zurückverschobenen  Punkte 
auf  einer  Geraden  durch  den  Punkt  K,  den  Schnitt  der  ver- 
längerten Standlinie  il/0  im  Raum  mit  der  Bildebene  liegen, 
so  werden  die  Lupen,  welche  zur  Punkteinstellung  auf  den 
Scheimpflug-Projektionen  dienen,  von  selber  so  geführt,  daß 
sie  nur  auf  solche  Punkte  zeigen,  deren  Vorwärtsschnitt  nicht 
bloß  im  Grundriß  Pj,  sondern  auch  im  Raume  P selbst  ein- 
tritt  und  für  die  also  die  Höhe  Pj  P von  beiderlei  Stand- 
punkten il/  und  0 aus  gerechnet  gleich  groß  ausfällt.  Mittels 


Eine  neue  Lösung  der  Grundaufgabe  der  Luftphotogrammetrie.  77 


einer  solchen  Einrichtung  lassen  sich  dann  nicht  bloß  einzelne 
Punkte,  sondern  auch  zusammengehörige  Linien  ohne  erkenn- 
bare zusammengehörige  Punkte  festlegen.  Man  braucht  nur 
die  eine  Lupe  Po  auf  dem  ersten  Bild  V der  Linie  entlang 
laufen  lassen,  während  die  andere  Pii  mit  der  ihr  noch  ver- 
bleibenden Beweglichkeit  auf  dem  zweiten  Bilde  der  Linie  l“ 
gehalten  wird.  Durch  den  Zwang,  der  P'P"  stets  durch  K 
führt,  kommen  dabei  Po  und  Pö  stets  auf  zusammengehörige 
Stellen  der  Bilder  V und  l“. 

Zum  Schlüsse  möge  noch  kurz  die  Reihenfolge  der  Ver- 
kehrungen aufgezählt  werden,  die  bei  der  Wiederherstellung 
des  Gegenstandes  aus  zwei  seiner  Bilder  nach  der  angegebenen 
Weise  zu  treffen  sind,  wobei  ich  mich  auf  den  Fall  beschränke, 
daß  die  Höhenunterschiede  des  Gegenstandes  klein  gegenüber 
den  Höhen  der  Standpunkte  sind. 

1.  Genähertes  Einpassen  jedes  der  beiden  Negative  auf 
das  Grundrißdreieck  PjCj  der  3 Festpunkte  HP (7  und  Be- 
rechnung der  genäherten  Lage  der  Standpunkte  M und  0 aus 
den  Ablesungen  der  Teilungen  des  Projektionsapparates. 

2.  Wahl  einer  genügend  tief  gelegenen  Ausgangsebene  und 
Aufsuchung  der  beiden  von  den  genäherten  Standpunkten  0 
und  jSI  auf  diese  Ausgangsebene  projizierten  Dreiecke  A' B‘ ü‘ 
und  A“B“C“. 

3.  Herstellung  der  Scheimpflug- Projektionen  der  beiden 
Negative  auf  die  beiden  Dreiecke  A'B'C,  A“  B“  C“  und  Be- 
rechnung der  endgiltigen  Lage  der  Standpunkte  gegenüber  der 
Ausgangsebene  aus  den  Teilungen  des  Projektionsapparates. 

4.  Eintragung  des  Grundrißdreieckes  H,  P,  C'j  in  jede  der 
beiden  Scheimpflug-Projektionen. 

5.  Einlegen  der  beiden  Scheimpflug-Projektionen  in  den 
Auftragapparat,  wobei  die  beiden  Grundrißdreiecke  Hj  P,  Pj 
parallel  in  der  Verschiebungsrichtung  P' Pö  des  Apparates  zu 
liegen  kommen. 

6.  Einstellung  des  Auftragapparates  auf  die  Punktepaare 
H'i Hö,  PöPö,  PöPö  und  Auftrag  der  parallel  verschobenen 


S.  Finsterwalder,  Eine  neue  Lösung  der  Grundaufgabe  etc. 


Punkte  auf  die  Zeichenebeue,  daran  anscbliefsend  Eintragung 
der  Grundrisse  der  Standpunkte  0,  il/,  und  Einstellung  ihrer 
räumlichen  Lagen  OM  sowie  des  Punktes  K auf  0,  M. 

Nunmehr  kann  die  punkt-  und  linienweise  Wiederher- 
stellung des  Gegenstandes  beginnen.  Über  die  technischen 
Einzelheiten  des  Projektions-  und  Auftragapparates,  sowie  über 
die  Aushilfen,  welche  bei  Unzugänglichkeit  des  Punktes  K ge- 
troffen werden  können,  endlich  über  die  erreichbare  Genauig- 
keit soll  bei  anderer  Gelegenheit  berichtet  werden. 

Zum  Schlüsse  sei  noch  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß 
die  Anwendung  des  Verfahrens  nicht  darauf  beschränkt  ist, 
daß  für  die  Festlegung  eines  jeden  der  beiden  Standpunkte 
dasselbe  Festpunktsdreieck  benützt  werden  kann.  Es  ist  dann 
nur  notwendig,  die  gegenseitige  Lage  der  verwendeten  Fest- 
punktsdreiecke zu  kennen.  Ferner  läßt  sich  durch  eine  unbe- 
deutende Erweiterung  des  Auftragsapparates  die  Verwendung 
von  drei  und  mehr  Aufnahmen  zur  Vervollständigung  und 
Prüfung  der  Wiederherstellung  eines  Gegenstandes,  der  von 
zwei  Punkten  aus  nicht  voll  eingesehen  werden  kann,  in  die 
Wege  leiten. 


79 


Zur  Theorie  der  Wirbelschichten. 

Von  M.ix  Lag::illy. 

Vorgeleg't  von  S.  Finsterwalder  in  der  Sitzung  am  6.  März  1915. 


Einleitung. 

Die  Theorie  der  Wirbelschichten  hat  Helmholtz  in  seiner 
berühmten  Abhandlung^)  ,Über  Integrale  der  hydrodynamischen 
Gleichungen,  welche  den  Wirbelbewegungen  entsprechen“,  in 
die  mathematische  Physik  eingeführt;  in  einer  zweiten  Ab- 
handlung „Uber  diskontinuierliche  Flüssigkeitsbewegungen“ 
macht  er  auf  die  Bedeutung  der  Wirbelschichten  für  die  Strahl- 
bildung in  Flüssigkeiten  aufmerksam.  Das  dort  gegebene  erste 
Beispiel  einer  Strahlbildung  läßt  aber  die  Wirbelschicht  analy- 
tisch nicht  in  Erscheinung  treten,  ebensowenig  wie  die  später 
von  Kirchhoff^)  ausgebildete  Methode  der  konformen  Abbil- 
dung zur  Bestimmung  der  Strahlgrenzen.  Beide  Autoren  be- 
trachten eine  Stromlinie,  längs  der  die  Strömung  konstante 
Geschwindigkeit  und  konstanten  Druck  hat,  als  mögliche  freie 
Grenze  einer  stationären  Strömung  und  schließen  auf  der  anderen 
Seite  dieser  Stromlinie  ruhende  Flüssigkeit  nicht-analytisch  an. 

Jede  in  einer  Flüssigkeit  vorhandene  Wirbelschicht  bringt 
in  der  übrigen  Flüssigkeit  ein  Geschwindigkeitspotential  und 

9 Journal  für  die  reine  und  angewandte  Mathematik,  Bd.  55,  1858, 
S.  25—55. 

Monatsberichte  der  K.  Akademie  der  Wissenschaften,  Berlin  1868, 
S.  215—228. 

Mechanik,  22.  Vorlesung. 


80 


M.  Lagally 


damit  Bewegung  hervor,  kann  also  als  Ursache  der  ganzen 
Strömung  betrachtet  -werden.  Diese  Darstellung  ist  als  Gegen- 
stück zu  der  quellenmäßigen  Darstellung  einer  Flüssigkeits- 
bewegung aufzufassen. Von  der  Bewegung  ist  die  Wirbel- 
schicht selbst  nicht  ausgeschlossen;  während  die  Normalkom- 
ponente der  Geschwindigkeit  an  der  Wirbelschicht  keine  Unter- 
brechung der  Stetigkeit  erleidet,  ist  das  für  die  Tangential- 
komponente der  Fall.  Die  Tangentialkomponente  der  Ge- 
schwindigkeit der  Wirbelschicht  selbst  ist  dem  arithmetischen 
Mittel  der  Tangentialkomponenten  auf  beiden  Seiten  gleich.^) 
Soll  die  Wirbelschicht  stationär  sein  und  als  Grenze  eines 
Flüssigkeitsstrahles  dienen  können,  so  muß  ihre  Geschwindig- 
keit an  allen  Stellen  die  gleiche  und  folglich  auch  ihre  Wirbel- 
dichte konstant  sein. 

Der  Grund,  warum  weder  Helmholtz  noch  Kirchhoff  die 
Wirbelschichten,  die  sie  doch  sachlich  zur  Erklärung  der  Strahl- 
bildung verwenden,  auch  analytisch  zu  ihrer  Darstellung  heran- 
ziehen, liegt  wohl  in  der  Umständlichkeit  der  analytischen  Aus- 
drücke. Im  folgenden  ist  der  Versuch  nur  für  die  allerein- 
fachsten Formen  einer  Wirbelschicht,  nämlich  für  geradlinige 
und  kreisförmige^)  ebene  Wirbelschichten  durchgeführt. 

Trotz  der  geometrischen  Einfachheit  dieser  Strömungen 
sind  die  Ergebnisse  nicht  uninteressant.  Zunächst  gelingt  es 
für  einige  diskontinuierliche  Strömungen , die  man  bisher  in 
jedem  Teilgebiet  durch  eine  andere  Funktion  darstellen  mußte, 
deren  Geltungsbereich  man  willkürlich  begrenzte,  analytische 
Ausdrücke  zu  finden,  die  in  sämtlichen  Teilgebieten  gelten. 
Erwähnt  sei  die  Bildung  eines  unendlich  langen  Strahles  in 
einer  unbegrenzten  ruhenden  Flüssigkeit,  der  geradlinig  be- 
grenzt ist,  und  eines  ruhenden  Streifens  in  bewegter  Flüssig- 

1)  Lamb,  Hydrodynamik,  S.  71  u.  f.,  S.  252  u.  f.  Ein  Beispiel,  die 
Bewegung  einer  Kugel  in  einer  Flüssigkeit,  ist  S.  254  wirbelmäßig  dar- 
gestellt. 

-)  Helmholtz,  Über  Integrale  usw.,  S.  44. 

Geschlossene  Strahlformen  hat  W.  Wien  dargestellt.  Lehrbuch 
der  Hydrodynamik,  S.  115  u.  f. 


Zur  Theorie  der  Wirbelschichten. 


81 


keit,  der  als  Idealform  des  toten  Wassers  aufzufassen  ist. 
Ferner  die  Strömung  im  Inneren  oder  Aulieren  eines  festen 
Kreises,  sowie  in  einem  ringförmigen  Kanal.  Da  bei  diesen 
Strömungen  das  Vorhandensein  einer  Wirbelschicht  die  trei- 
bende Ursache  ist,  liegt  es  nahe,  einen  Zusammenhang  mit 
der  Prandtischen  Grenzschicht^)  zu  suchen.  Dadurch  wird  die 
Frage  gestreift,  bis  zu  welchem  Grad  der  Annäherung  die 
Vorgänge  in  reibenden  Flüssigkeiten  durch  die  Hydrodynamik 
einer  idealen  Flüssigkeit  dargestellt  werden  können.  Die  An- 
nahme, daß  in  der  Grenzschicht  durch  Reibung  an  der  Wand 
Wirbel  entstehen  können,  führt  zu  einer  mathematischen 
Unstimmigkeit.  Man  muß  umgekehrt  annehmen,  daß  eine  an 
der  Wand  vorhandene  Wirbelschicht  die  Ursache  der  Reibung 
ist,  welche  nicht  vernachlässigt  werden  darf,  wenn  man  mit 
den  physikalischen  Tatsachen  im  Einklang  bleiben  will.  Diese 
Reibung  bewirkt  einerseits  eine  Verringerung  der  Wirbelstärke 
und  damit  eine  Verlangsamung  der  Potentialbewegung,  ander- 
seits verursacht  sie  in  bekannter  Weise  die  Ablösung  der 
Prandtischen  Wirbelschicht  vom  Körper.  Es  entsteht  nun  die 
Frage,  wie  sich  in  einer  idealen  Flüssigkeit  Wirbelschichten 
bilden  können,  was  infolge  des  Lagrangeschen  Satzes  über  die 
Konstanz  der  Wirbelstärke  jedes  Flüssigkeitsteilchens  nicht 
möglich  zu  sein  scheint.  Eine  Lücke  im  Beweis  dieses  Satzes 
läßt  die  Möglichkeit  der  gleichzeitigen  Entstehung  zweier 
Wirbelschichten,  die  von  demselben  Punkt  ausgehen,  erkennen. 

Weiter  ist  der  Einfluß  einer  Störung,  die  eine  periodische 
Funktion  des  Ortes  ist,  auf  eine  geradlinige  Wirbelschicht 
untersucht.  Es  ergibt  sich,  daß  die  Folge  eine  zunehmende 
Verdichtung  der  wirbelnden  Teilchen  an  einzelnen  Punkten 
ist,  die  als  Anfang  der  Bildung  einzelner  spiralig  aufgerollter 
Wirbel  aufzufassen  ist.  Man  kommt  so  zu  Wirbelreihen,  welche 
mit  den  von  v.  Karman^)  untersuchten  geometrisch,  aber  nicht 

h L.  Prandtl,  Über  Flüssigkeitsbewegungen  bei  sehr  kleiner  Reibung. 
Verb,  des  III.  Internat.  Math.  Kongresses  in  Heidelberg  1904,  S.  484  u.  f. 

2)  Th.  V.  Karman,  Über  den  Mechanismus  des  Widerstandes,  den 
ein  bewegter  Körper  in  einer  Flüssigkeit  erfährt.  Nachr.  der  Ges.  der 
Sitzungsb.  d.  matb.-phys.  Kl.  Jabrg.  1915.  6 


82 


M.  Lagally 


der  Entstehung  nach  übereinstimmen.  Sie  bilden  sich  gleichzeitig 
und  ohne  jeden  Einfluß  der  Reibung,  während  die  Kärmän- 
schen  Wirbel  nacheinander,  durch  Aufrollen  je  eines  Stückes 
der  Prandtischen  Wirbelschicht  entstehen.  Doch  ist  auch  in 
diesem  häufigeren  Fall  die  Reibung  nach  der  Ablösung  der 
Wirbelschicht  ohne  weiteren  Einfluß,  und  in  gewissen  Fällen, 
deren  einer  von  F.  Klein')  angegeben  wurde,  kann  sich  auch 
diese  Ablösung  ohne  Reibung  vollziehen.  Dagegen  scheint  zu 
ihrer  Ablösung  eine  periodische  Schwingung  des  Hindernisses 
notwendig  zu  sein. 


Eine  kreisförmige  Wirbelschicht. 


p 


Es  seien  oo  viele  WirbeP) 
gleichmäßig  auf  dem  Umfang  eines 
Kreises  vom  Radius  a verteilt.  Die 
auf  das  Bogenelement  ad^  ent- 
fallende Wirbelstärke  sei  wo 

k die  Wirbelstärke  bedeutet,  die  auf 
die  Bogenlänge  „Eins“  trifft  und 
einen  endlichen  Wert  haben  soll. 

Diese  Wirbelschicht  bringt  in 
einem  Punkt  P {x,  y)  ein  Geschwin- 
digkeitspotential 


C , y — <*sir 

1)  = 


hervor,  dessen  Wert  in  den  3 Fällen,  daß  P auf  dem  Kreis- 


Wissenschaften  zu  Göttingen  1911,  S.  509  u.  f.  — Th.  v.  Karman  und 
H.  Rubach,  Über  den  Mechanismus  des  Flüssigkeits-  und  Luftwiderstandes. 
Physikalische  Zeitschrift  1912,  S.  49. 

')  F.  Klein,  Über  die  Bildung  von  Wirbeln  in  reibungslosen  Flüssig- 
keiten. Zeitschr.  für  Mathematik  und  Physik  1910,  Bd.  58,  S.  259—262. 

Die  Bewegung  einer  endlichen  Anzahl  von  Wirbeln  in  gleich- 
mäßiger Verteilung  auf  einem  Kreis  hat  J.  J.  Thomson,  A Treat.  on  the 
motion  of  vortex  rings,  London  1883,  untersucht. 


Zur  Theorie  der  Wirbelschichten. 


83 


umfang,  außerhalb  und  innerhalb  des  Kreises  liegt,  untersucht 
werden  soll.  Führt  man  für  P Polarkoordinaten  r,  (in  der 
Figur  versehentlich  & statt  ein,  so  handelt  es  sich  um  die 
Auswertung  des  Integrals 


2.-t 


J 


arctg 


r sin  sin  & , „ 

r cos  i7„  — a cos  v 


1.  Wenn  r = a ist,  wird 


0 


Das  Geschwindigkeitspotential  nimmt  auf  dem  Kreis  den  Wert 


2) 


cp  = Xand^Q  — Xaji ' arctg 


y 

X 


an.  Würde  man  im  Mittelpunkt  des  Kreises  einen  einzelnen 
Wirbel  von  der  Wirbelstärke  pL  = Xa7i  anbringen,  so  brächte 
er  ein  Geschwindigkeitspotential  hervor,  das  auf  dem  Kreis 
vom  Radius  a mit  dem  eben  berechneten  Wert  übereinstimmt. 

Die  kreisförmige  Wirbelschicht  bewegt  sich  also  in 
sich  selbst  mit  konstanterGeschwindigkeitATi,  die  nur  von 
der  Wirbeldichte  A,  nicht  aber  vom  Radius  des  Kreises  abhängt. 

2.  Wenn  r>a  ist,  wird 


arctg 


r sin  1^0  — a sin 
r cos  — a cos  ?? 


a 


zum  Ausgangswert  zurückkehren,  wenn  P den  Kreis  durch- 
läuft, also  d'  um  2 n wächst.  Nun  soll  als  untere  Grenze  der 
Integration  der  Polarwinkel  — n eingeführt  werden ; dann  wird 


!>0 


r sin  — a sin 
r cos  Öq  — a cos  & 


d^. 


(;• 


84 


M.  Lagally 


Dieses  Integral  wird  in  zwei  Teile  zerlegt 
1?0  + -1  >'>0  + 

1>Q  — Jt  1?0  — -T  V>0 

und  im  1.  Teil  ß = — i?,  im  2.  Teil  ß = ■&  — als  Inte- 

grationsvariable eingeführt;  dabei  sollen  immer  Punkte,  die 
zu  31 P symmetrisch  liegen,  gleichzeitig  betrachtet  werden. 
Dann  wird 

ß = 0 

r sin  — a sin  — ß) 


J 


— J 


arctff 


(3) 


ß = n 


° r cos  d’Q  — a cos  (i?o  — ß) 


dß 


ßz=n 


+ 


Jarctg 


r sin  — a sin  -}-  ß) 
r cos  &Q  — a cos  {&o3-  ß) 


dß. 


ß = 0 

Aus  der  Anschauung  oder  durch  Rechnung  erkennt  man,  dali 

, r sin  df.  — a sin  — ß) 

arctg JT r?r ;v: 

° r cos  (/q  — a cos  (i/ß  — ß) 

a sin  4-  ß) 


(4) 

ist;  also  wird 


I . rsin(5»o 
-j-  arctg 


= 2 

® r cos  — a cos  (d^  -j-  ß)  ” 


J = f2d^dß  = 27id^ 
ßio 


folglich  das  Potential 

5) 


9?  = 2 A a .-T  = 2 A a .-T  arctg  — 

00 


Außerhalb  des  Kreises  ist  also  die  Strömung  die- 
selbe, wie  sie  ein  einzelner  Wirbel  im  Mittelpunkt 
des  Kreises,  in  dem  die  ganze  Wirbelstärke  2/a7i  vom 
Umfang  des  Kreises  vereinigt  wäre,  hervorbringen 
würde. 


3.  Wenn  r < a ist,  wächst 

r sin  dn  — a sin  d 


arctg 


r cos  #0  — a cos  d 


um  2 Ji,  wenn  d um  2 n wächst. 


Zur  Theorie  der  Wirbelschichten. 


85 


Die  Gleichung  (3) 


ß =.71 


ß = o 


r sin  — a sin  — ß) 
r cos  — a cos  (//q  — ß) 


“t"  arctg 


r sin  — a sin  + ß) 

r cos  — a cos  -j-  ß) 


dß 


bleibt  zwar  erhalten;  aber  die  Summe  der  beiden  arctg  hat 
den  Wert  2 wie  in  (4),  nur  so  lange  0 <C.  ß ist;  für 
größere  Werte  von  ß,  für  welche  ß <_  n ist,  hat  sie  den 
Wert  2 2 Ji.  Also  wird 

J = J 2 §odß  + J (2  r\-ß27i)dß  = 2 7i\ 

/?  = ü ß=l>Q 

Das  Potential  nimmt  den  konstanten  Wert 


b)  9?  = 2lan^ 

an;  daraus  folgt,  daß  die  Flüssigkeit  im  Innern  des  von 
der  Wirbelschicht  gebildeten  Kreises  in  Ruhe  bleibt. 

Gleichung  (1)  kann  also  als  Potential  der  Zirkulation 
um  ein  kreisförmiges  Hindernis  aufgefaßt  werden;  und 
zwar  stellt  sie  als  Ursache  der  Bewecpunor  die  Wirbel- 

O c5 

Schicht  hin,  die  am  Rand  des  Hindernisses  auftritt. 
Daß  die  Zirkulationsgeschwindigkeit,  die  unmittelbar  außerhalb 
der  Wirbelschicht  den  Wert  2X71  hat,  an  der  Wirbelschicht 
selbst  sprungweise  auf  die  Hälfte  sinkt,  steht  in  Übereinstim- 
mung mit  der  Helmholtzschen  Theorie.^)  Die  wirbelnden 
Flüssigkeitselemente  verhalten  sich  wie  kleine  Räder,  die  auf 
dem  festen  Kreis  rollen  und  auf  denen  die  wirbelfreie  Flüssig- 
keit mitgeführt  wird.*) 

In  ähnlicher  Weise  läßt  sich  die  Bewegung  im  Innern 
eines  Kreises  darstellen.  Setzt  man 


1)  Helmholtz,  Über  Integrale  usw.,  S.  43,  44. 

*)  Dieser  Vergleich  findet  sich  auch  bei  Lanchester,  Aerodynamik, 
Bd.  I,  S.  118  im  Anschluß  an  W.  Thomson,  ist  dort  aber  mehr  durch 
Anschauung  als  durch  die  mathematische  Untersuchung  begründet. 


86 


M.  Lapally 


2.-r 

r.  1 , V 1 r , y — asin?9 

7)  (T  = 2?.  a 71  arctg  ^ — Xa  I arctg  d d, 

’ ^ J °x  — acos79 

0 


so  hat  man  im  Mittelpunkt  des  Kreises  einen  Wirbel  von  der 
Stärke  2Aa7i;  die  gleiche  Wirbelstärke  ist,  mit  entgegen- 
gesetzter Drehrichtung,  auf  der  Peripherie  des  Kreises  vom 
Radius  a verteilt.  Im  Innern  des  Kreises  herrscht  nur  die 
Bewegung,  die  der  Wirbel  im  Mittelpunkt  hervorbringt;  außer- 
halb ist  die  Flüssigkeit  in  Ruhe.  Die  Wirbelschicht  selbst 
bewegt  sich  mit  der  halben  Geschwindigkeit  wie  die  Flüssig- 
keit an  ihrem  inneren  Rand. 

Verteilt  man  auf  zwei  konzentrischen  Kreisen  von  den 
Radien  und  gleiche  Wirbelstärken  von  entgegengesetzter 
Drehrichtung,  so  erhält  man  die  Bewegung  in  einer  Ring- 
fläche. Es  sei 

2aj  Ti/.j  = — 2 »2  ^-2  = 

_ _ . _ JI 

/.j  aj  /g  ^2  9 ^ ’ 

so  nimmt  das  Potential 


2.1 


«’=  2., 


, V — a,  sin  d 
arctg^  * - „ 
x—a^cosv 


d& 


folgende  Werte  an: 


y 


(p  = 


y 


— .1/  arctg  -}-  M arctg  — = 0 


_ M 
2 

- 3171 


y 


y 


M 


im  Außenraum 


y auf  dem  äuße- 


arctg  — 4-  21  arctg  =4-  ^ arctg  — • 

^ X ^ X 2 ^ X ren  Kreis 


21  arctg  — 


im  Ring 


, , y 

+ 2 


- 2171 

-2171  2r  =0 

wenn  > Oj  vorau.sgesetzt  ist.  Die  Geschwindigkeit  ist  im 


auf  dem  inne- 
ren Kreis 
im  Innenraum, 


Zur  Theorie  der  Wirbelschichten. 


87 


King  dieselbe,  die  ein  Wirbel  M im  Mittelpunkte  bervor- 
bringen  würde;  an  den  Grenzen  sinkt  sie  sprungweise  auf  die 
Hälfte;  im  Innen-  und  Außenraum  ist  sie  Null. 

Die  Grenzen  des  so  erhaltenen  ringförmigen  Strahles  sind 
labil  wie  alle  Wirbelschichten;  man  kann,  um  eine  stabile  Be- 
wegung zu  erhalten,  sich  eine  Strömung  in  einem  ringförmigen 
Kanal  vorstellen.  Veranlassung  der  Bewegung  bilden  nach  der 
hier  entwickelten  Theorie  die  wirbelnden  Flüssigkeitselemente, 
die  auf  den  Wänden  des  Kanals  rollen.  Um  die  Kluft  zu 
überbrücken,  die  zwischen  den  mathematischen  Eigenschaften 
einer  idealen  Flüssigkeit  und  den  physikalischen  Eigenschaften 
einer  reibenden  zähen  Flüssigkeit  besteht,  stellt  man  sich  häufig 
vor,  daß  letztere  nahezu  reibungslos  in  ihrem  Innern  ange- 
nommen werden  darf,  während  ihre  Reibung  an  den  Wänden 
nicht  vernachlässigt  werden  darf;  sie  soll  zur  Bildung  einer 
Wirbelschicht  Veranlassung  geben,  während  sich  Wirbel  in 
einer  idealen  Flüssigkeit  nicht  bilden  können.  Die  jetzt  nahe- 
liegende Vermutung,  daß  sich  die  Wirbelstärke  der  Randschicht 
mit  der  Zeit  infolge  der  Reibung  vermehrt,  würde  aber  zu 
einem  Widerspruch  mit  unserer  Theorie  führen,  welche  dann 
auch  eine  rascher  werdende  Zirkulation  der  Flüssigkeit  in  dem 
Kanal  ergeben  würde.  Wir  müssen  uns  also  das  allmähliche 
Erlöschen  der  Flüssigkeitsbewegung  durch  Reibung  so  vor- 
stellen, daß  die  wirbelnden  Teilchen  der  Randschicht  durch 
Reibung  aneinander  oder  durch  rollende  Reibung  an  der  Wand 
lebendige  Kraft  verlieren,  und  daß  mit  ihrer  Wirbelstärke 
auch  die  Geschwindigkeit  der  Strömung  abnimmt.  Also  die 
Reibung  an  der  Wand  veranlaßt  nicht  die  Bildung  der  wir- 
belnden Randschicht  — diese  ist  auch  bei  nicht  reibender 
Flüssigkeit  vorhanden  — sondern  sie  vernichtet  die  Wirbel- 
bewegung an  der  Wand  und  damit  die  ganze  Strömung. 

Das  häufig  vorkommende  Entstehen  von  Wirbeln  im  Innern 
einer  reibungslosen  Flüssigkeit  wäre  dann  damit  zu  erklären, 
daß  sich  die  randliche  Wirbelschicht  infolge  der  durch  Reibung 
auftretenden  Spannungszustände  an  einzelnen  Stellen  von  der 


88 


M.  Lajfally 


Wand  ablöst')  und  dann  durch  spiraliges  Aufrollen  in  einzelne 
Wirbel  zerfällt. 

Jetzt  ergibt  sich  aber  als  neue  Schwierigkeit  die  Frage, 
wie  eine  Wirbelschicht  in  einer  reibungslosen  Flüssigkeit  ent- 
stehen kann.  F.  Klein*)  hat  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß 
die  Beweise  für  die  Unmöglichkeit  des  Entstehens  oder  Ver- 
gehens von  Wirbeln  in  einer  idealen  Flüssigkeit  gewisse  Stetig- 
keitsbedingungen stillschweigend  voraussetzen;  für  die  tatsäch- 
liche Möglichkeit  der  Wirbelbildung  gibt  er  folgendes  Beispiel. 
Ein  Ruder,  das  in  eine  ideale  Flüssigkeit  eingetaucht  und  in 
ihr  bewegt  wird,  veranlaßt  eine  Potentialströmung,  deren  Ge- 
schwindigkeit längs  des  Ruderblattes  auf  beiden  Seiten  ver- 
schiedene  Richtung  hat.  Man  könnte  also,  um  einen  analy- 
tischen Ausdruck  für  diese  übrigens  einfache  und  wohlbekannte 
Strömung  zu  finden,  an  Stelle  des  Ruderblattes  eine  Wirbel- 
schicht annehmen.  Daß  diese  Wirbelschicht  nicht  nur  analy- 
tisch, sondern  tatsächlich  existiert,  zeigt  sich  beim  Heraus- 
nehmen des  Ruders:  Die  Wirbelschicht  rollt  sich  zu  zwei  end- 
lichen AVirbeln  spiralig  auf. 

Wenn  eine  Strömung  ein  Hindernis  umfließt,  so  gibt  es 
eine  Stromlinie,  die  auf  das  Hindernis  aufstößt,  sich  dort  teilt 
und  das  Hindernis  beiderseits  umschließt;  zu  einer  Wiederver- 
einigung, die  in  einer  idealen  Flüssigkeit  stattfinden  würde, 
kommt  es  im  allgemeinen  tatsächlich  nicht,  weil  sich  infolge 
der  Reibung  zwei  Prandtische  Wirbelschichten  von  dem  Hin- 
dernis ablösen.  Daß  die  Wirbelschichten  auch  in  idealen  Flüs- 
sigkeiten existieren,  zeigt  die  Möglichkeit,  die  Strömung  als 
Folge  des  Geschwindigkeitspotentials  einer  auf  dem  Rand  des 
Hindernisses  befindlichen  Wirbelschicht  dai'zustellen.  Man  kommt 
so  zu  der  Vorstellung,  die  analytisch  noch  näher  zu  begründen 
wäre,  daß  jedes  Flüssigkeitselement  der  erwähnten  Stromlinie, 
das  auf  das  Hindernis  aufstößt,  dort  in  zwei  wirbelnde  Teile 

L.  Prandtl,  Über  Flüssigkeitsbewegung  bei  sehr  kleiner  Reibung. 
Verhandlungen  des  III.  Internat.  Matheru.  Kongresses  in  Heidelberg  1904, 
S.  484  u.  f. 

-)  F.  Klein,  vgl.  Anmerkung  (1),  S.  82. 


Zur  Theorie  der  Wirbelschichten. 


89 


von  gleicher,  der  Richtung  nach  entgegengesetzter  Wirbel- 
stärke  zerfällt. 

Von  den  Beweisen  des  Lagrangeschen  Satzes,  wonach  die 
Wirbelstärke  eines  Elementes  einer  idealen  Flüssigkeit  mit  der 
Zeit  unveränderlich  ist,  ist  der  Kelvinsche^)  wohl  der  schärfste. 
Er  geht  von  der  Tatsache  aus,  daß  die  Zirkulation 

^[udx  vdy  wdz] 

längs  jeder  geschlossenen  Kurve  C,  die  sich  mit  der  Flüssig- 
keit bewegt  und  dabei  in  eine  Kurve  C‘  übergeht,  mit  der 
Zeit  unveränderlich  ist.  Da  diese  Zirkulation  anderseits  das 
Maß  für  die  algebraische  Summe 
aller  in  der  Kurve  eingeschlos- 
senen Wirbel  ist,  folgt  daraus  der 
Lagrangesche  Satz.  Doch  scheint 
die  Möglichkeit  übersehen  worden 
zu  sein,  daß  zwei  gleich  starke, 
der  Richtung  nach  entgegenge- 
setzte Wirbel  in  dem  gleichen 
Punkte  entstehen,  so  daß  es  nicht  möglich  ist,  vor  ihrer  Bil- 
dung eine  geschlossene  Kurve  zu  ziehen,  welche  nachher  nur 
den  einen  der  beiden  Wirbel  umfaßt.  Die  Entstehung  unserer 
Wirbelschichten  ist  also  durchaus  möglich,  obwohl  sie  einen 
Durchbruch  des  Lagrangeschen  Satzes  darstellt. 

Schwierigkeiten  entstehen,  wenn  man  nach  der  Bildung 
der  Wirbelschichten  eine  geschlossene  Kurve  C zieht,  welche 
nur  Teile  der  einen  Wirbelschicht 
enthalten  soll,  und  die  Formände- 
rung derselben  rückwärts  verfolgt. 

Man  erhält  dann  eine  Kurve  C, 
welche  in  ihrer  Begrenzung  einen 
Teil  der  ursprünglichen  Strom- 
linie enthält.  Soll  auch  jetzt  die 

W.  Thomson,  On  Yortex  Motion,  Edinb.  Trans.  25,  1869.  Vgl. 
Lamb,  Hydrodynamik,  S.  43  und  240. 


90 


M.  Lagally 


Zirkulation  mit  der  Zeit  unveränderlich  sein,  so  muß  man  die 
Stromlinie  als  doppelte  Wirbelschicht  auffassen,  schon  bevor 
sie  in  2 Wirbelschichten  zerfällt,  und  die  Wirbel  der  einen 
Drehrichtung  in  C einschließen.  Die  Vereinigung  zvt^eier  Wirbel- 
schichten in  einer  idealen  Flüssigkeit  zu  einer  Stromlinie  wird 
nur  ausnahmsweise  möglich  sein,  insbesondere  dann,  wenn  sie 
durch  Trennung  aus  einer  Stromlinie  entstanden  sind. 

Zusammenfassend  kommen  wir  also  zu  folgenden 
Vorstellungen:  Wenn  eine  Stromlinie  an  einem  Hin- 
dernis endet,  entstehen  zwei  Helmholtzsche  Wirbel- 
schichten. Beim  Umfließen  des  Hindernisses  ist  die 
Reibung  der  Wirbelteilchen  nicht  zu  vernachlässigen; 
sie  bringt  Spannungen  hervor,  welche  die  Loslösung 
der  Wirbelschicht  als  Prandtische  Wirbelschicht  zur 
Folge  hat.  Durch  Aufrollen  der  in  die  Flüssigkeit  aus- 
getretenen Wirbelschicht  entstehen  spiralige  Wirbel; 
diese  können  sich  unter  Umständen  auch  ganz  ohne 
Mitw'irkung  der  Reibung  bilden,  wenn  man  das  Hin- 
dernis entfernt. 


Eine  geradlinige  Wirbelschicht. 


Die  von  einer  geradlinigen  Wirbelschicht  hervorgerufene 
Bewegung  könnte  man  vielleicht  aus  dem  vorigen  durch  Grenz- 
übergang erhalten;  hier  soll  jedoch  die  Untersuchung  direkt 
geführt  werden. 

Die  X Achse  sei  die  Wirbelschicht;  das  Potential,  das  sie 
hervorruft,  ist 


8) 


cp  = 


a =:  — oc 


Durch  Anwendung  partieller  Integration  findet  man 


fp=  — Xy 


Zur  Theorie  der  Wirbelschichten. 


91 


Wir  berechnen  <p  zunächst  zwischen  endlichen  Grenzen  — c 
und  c und  lassen  c hierauf  ins  Unendliche  wachsen: 


<p  = — lim 


x—c  y 

arctg 


y 


X — c 


{x  — cY  x-\-  c , y , , 

+ arctg^^^-|lg 


y‘ 


y 


{x  + cf  + l/ 
1,2 


“ “ ''"Z™  II  x-c- 


JL. 

X — c 


+ arctg 


y. 

X-\-  Cj 


(x  — cf  4-  if 
{x  + cf  + y^ 


Von  den  3 hier  auftretenden  Grenzwerten  ist  der  letzte  Null 

lim  lg  = 0. 

c=oo  ^ {x  + cf-fy^ 


also 


= — Xx  lim  ( arctff  ^ arctg  ---  I 

c = ®V  ^x-~c  ^x-\-cJ 


-|-  X lim 

C = CO 

Der  zweite  Grenzwert 


lim  c I arctg 
; = 00  \ 


4-  arctg 
X — c ° x-\- 


y~\ 


lim  c { arctg  h arctg  ^ 

c = ® V ^x—c  ^ 


X + cJ 

nimmt  die  Form  oo  • 0 an ; er  ändert  sich  um  eine  Konstante  c n, 
die  an  der  Grenze  oo  wird,  aber  auf  die  Geschwindigkeit  ohne 
Einfluß  bleibt,  wenn  man  statt  des  Hauptwertes  des  arctg 

y 


einen  anderen  Wert  nimmt,  arctg  , 

^ x±c 

x±c 


ist  an  der  Stelle 


= 0;  c = oo  in  eine  Reihe  entwickelbar: 

(y  y \ 

arctg 1-  arctg  , ) 

^ x — c ‘ ^ x-i-cj 

lim  c ( ^ ^ + Glieder  höherer  Ordnung  ) = 0. 

c = oo  \x—c  x-fc  J 


92 


M.  La-jallj' 


Somit  ergibt  sich 

9?  = — Ix  lim  1 arctg  — arctg  ^ ) . 

c = oo\  °x—c  x-\-c) 

Wenn  y positiv  ist  und  der  variable  Punkt  A die  x Achse 


von  “t"  00  bis  — 00 

durchläuft,  nimmt  arctg  — - — um 

71  von 

^ x — a 

0 bis  — 71  ab.  Ist 

y 

y negativ,  so  nimmt  arctg 

um  71 

° X — a 

von  0 bis  -f-  71  zu. 

Liegt  P auf  der  x Achse  selbst. 

so  ist 

V 

arctg  - - stets  Null. 

“ x — a 

Man  hat  also  3 Fälle  zu  unterscheiden 

1.  2/ > 0 9?  = — Inx 

2.  y = 0 95  = 0 

3.  ?/  <C  0 cp  = Xjxx. 

Die  Flüssigkeit  strömt  beiderseits  mit  konstanter 
Geschwindigkeit  der  a:Achse  parallel,  aber  in  ent- 
gegengesetzten Richtungen;  auf  der  a:  Achse  ist  die  Ge- 
schwindigkeit Null.  Die  Geschwindigkeit  u ist  in  den  3 be- 
trachteten Fällen 

l.y>0  U — — X 71 

'2.  y — 0 u — 0 

3.  7/  < 0 U = X 71. 

Die  Geschwindigkeitsänderung  beim  Übergang  über  die 
Wirbelschicht  beträgt  2X71  und  hängt  von  der  Wirbeldichte  / 
ab;  sie  hat  denselben  Wert  wie  bei  einer  kreisförmigen  Wirbel- 
schicht von  beliebigem  Radius,  bei  der,  wie  bemerkt,  die  Krüm- 
mung ohne  Einfluß  ist. 

Durch  Überlagerung  einer  gleichmäßigen  Geschwindigkeit 
in  Richtung  der  x Achse  kann  man  die  Bewegung  in  der  einen 
Halbebene  aufheben. 

cp  — X \ arctg  ^ da  — Xtt x 

J ^ X — a 


9) 


— 00 


Zur  Theorie  der  Wirbelschichten. 


93 


gibt  eine  Strömung  in  der  positiven  Halbebene,  die  man  als 
Strömung  längs  einer  Wand  auffassen  kann,  und  zwar 

1.  ^>0  99  = — 2k7ix  u = — 2X71 

2.  y = 0 ff  — — Xtix  u = — Xtt 

3.  ^ < 0 9?  — 0 M = 0. 


Nimmt  man  2 Wirbelschichten  von  gleicher  Wirbeldichte, 
aber  entgegengesetzter  Drehrichtung,  parallel  zur  x Achse  in 
gleichem  Abstand  ± h,  so  erhält  man  ein  Geschwindigkeits- 
potential 


90 


<P 


“f“  00  -f-  oc 

k r arctg  da  — k f arctg  da, 

J ^ X — a J ^ X — a 


— 00 


— 00 


das  in  den  verschiedenen  Teilen  der  Ebene  die  in  folgender 
Übersicht,  die  auch  die  Geschwindigkeiten  enthält,  angegebenen 
Werte  besitzt: 


1. 

y > h 

cp  = 

k7lX-\-k7lX  = 

0 

w — 0 

2. 

y = Ji 

cp  = 

0 kn X = 

knx 

U =■  kn 

3. 

—h<y<h 

99  = 

knX  kn X = 

2 knx 

U = 2 kn 

4. 

y = —h 

cp  = 

knx  0 = 

knx 

u = kn 

5. 

y <—h 

99  = 

knx — } nx = 

0 

M = 0. 

Geschwindigkeitsverteilung. 


Die  Bewegung  stellt  einen  geradlinigen  Strahl  in 
einer  unbegrenzten  Flüssigkeit  dar,  und  zwar  stellt 
der  analytische  Ausdruck  wieder  die  am  Rand  des 
Strahles  auftretenden  Wirbel  als  Ursache  der  Bewe- 
gung hin.  Einen  solchen  Strahl  kann  man  sich  dadurch  ent- 


94 


M.  Lagally 


standen  denken,  dalä  man  einen  sehr  langen,  von  parallelen 
Wänden  begrenzten  Körper  in  der  Flüssigkeit  bewegt.  Er 
stellt  eine  Idealform  des  Kielwassers  dar,  von  dem  ersieh 
vor  allem  durch  seine  unendlich  große  lebendige  Kraft  unter- 
scheidet, die  er  infolge  der  Bewegung  eines  oo  langen  Körpers 
vor  ihm  her  besitzt,  dessen  Fortsetzung  er  bildet;  auf  den  Zer- 
fall der  begrenzenden  Wirbelschichten,  die  in  wirklichen  Flüs- 
sigkeiten sehr  schnell  eintritt,  soll  nachher  noch  eingegangen 
werden.  Auch  die  Strömung  in  einem  von  parallelen  Wänden 
begrenzten  Kanal  von  gleichmäßiger  Tiefe  kann  durch  obigen 
Ausdruck  dargestellt  sein. 

Nimmt  man  noch  eine  Parallelströmung  in  der  ganzen 
Ebene  hinzu,  die  die  Geschwindigkeit  des  Strahles  gerade  auf- 
hebt, so  erhält  man  einen  unbewegten  Flüssigkeitsstreifen  in 
gleichmäßig  parallel  bewegter  Flüssigkeit 

9“)  9?  = A r arctg  ^ da  — X farctg  ^ ^ — 2X7ix. 

t/  CC  (X  (C  ct 


Die  so  dargestellte  Strömung  gibt  eine  Idealform  des 
toten  Wassers,  wie  es  sich  hinter  einem  oo  langen  von  par- 
allelen Wänden  begrenzten  Hindernis  ausbilden  würde. 

Anstelle  des  Geschwindigkeitspotentials  könnte  man  auch 
die  Geschwindigkeitkomponenten  berechnen,  welche  die  Wirbel- 
schicht in  einem  Punkt  hervorruft.  Man  findet  für 


10) 


u = 


+ 00 

y 

{x  — af  -h  xf 

— 00 


da 


V — 


+ 00 


X — a 

- af  + 


da 


ohne  nennenswerte  Schwierigkeit  die  schon  bekannten  Werte 
wieder. 


Zur  Theorie  der  Wirbelschichten. 


95 


Einfluss  einer  periodischen  Störung  auf  eine  Wirbelschicht. 

Eine  geradlinige  Wirbelschicht,  die  in  der  x Achse  ange- 
nommen wird,  soll  durch  störende  Einflüsse  so  deformiert  werden, 
daß  an  der  Stelle  x = a ein  Ausschlag  db  — ef(a)  entsteht, 
wo  e eine  kleine  Konstante  bedeutet.  Dabei  wird,  wenn  die 
Bewegung  aus  der  Anfangslage  nicht  senkrecht  zur  Wirbel- 
schicht erfolgt,  auch  die  ursprünglich  konstante  Wirbeldichte 
verändert: 

X{a)  = /u  + Eg{a). 

Dabei  bedeutet  fx  eine  Konstante,  g{a)  eine  Funktion  von  a. 
Das  Potential  in  einem  beliebigen  Aufpunkt  ist  dann 

00 

11)  99=  ["(/i -f- («))  arctg  ^ 

c/  OC  (t 


Die  Geschwindigkeitskomponenten  sind 

u = — Eg  (a))  ^ ^ ^ 

j vr  ( (X  — af  -\-{y  — Ef {a)y- 

— 00 

11') 

+ ® 

1 (n  4- £ o («))  7 ^ ^da. 

— 00 

In  einem  Punkte  der  Wirbelschicht  selbst  ist  y = Ef{x); 
also  ergeben  sich  als  Komponenten  der  Geschwindigkeit,  mit 
der  sich  die  Wirbelschicht  verändert,  die  Ausdrücke: 


12) 


+ * 


/„=  — j^u  + Egia)) 


(x 


E(f(x)  — f(a)) 

ay  -f  £2  {f  {X)  — f{a)y 


-f-00 


JCu  + Eg{a))  da. 


96 


M.  La^ally 


Die  Funktion  f{x)  ist  im  Endlichen  überall  endlich  und 
stetig  vorausgesetzt;  also  werden  die  Zähler  unter  den  Inte- 
gralen überall  endlich  sein.  Dagegen  nehmen  die  Ausdrücke 
unter  den  Integralen  an  der  Stelle  x = a die  Form  ^ an  und 
haben  dort  Pole  1.  Ordnung.  Denn  setzt  man 

/'(^)  — f{a)  = {x  — a)  f{x^&{x  — a)) , 
wo  0 < ??  < 1 ist,  so  wird 

^ 1 f{x-\--&{^x  — g)) 

(a;  — a)® -j- f ® (/■(a;)  — f{a)f  x — « 1 -j- -f- (a;  — a)) 

X- — a 1 1 

{x  — aY-\-£^{f{x)  — f[.a)y  X — a \ f‘^ {x & {x  — a))' 


Diese  Stellen  sind  von  der  Integration  auszuschließen ; physi- 
kalisch findet  das  darin  seine  Berechtigung,  daß  ein  Wirbel- 
teilchen für  seine  eigene  Translationsbewegung  keine  Kom- 
ponente beiträgt. 

Unter  Voraussetzung  eines  hinreichend  kleinen  e läßt  sich 


1 


{x  — a)®  -f  £*  (fix)  — /"(a))® 
in  eine  Reihe  entwickeln; 


1 

(x  — a)® 


(x  — a)®  + £®  (f(x)  — f(a)y 

1 _ ,2  p)-Aa)y  , (m-f(a)Y  _ 

\ X — a J — a ) 


Das  gleiche  gilt  dann  für  und  v^.  Vernachlässigt  man 
Glieder,  die  in  e von  höherer  als  1.  Ordnung  sind,  so  erhält  man 


r f(x)  — f(a) 

da 


+»  +x  +» 

f,  , ^ . da  r da  , rg(a)da 

•’•  = J xi:- a = ■“  J . - a + ' J ^ a 


Zur  Theorie  der  Wirbelschichten. 


97 


Dabei  ist  das  Integral 


-f-  00  -|-  00 


- ^5  -f-/2 


p da 
j X — a 


X — a 


— ÜO  — 00 


Ä=oo  ~Ii 


R=y> 

Also  ergeben  sich  für  die  Geschwindigkeitskomponenten 
die  endgültigen  Ausdrücke 


13) 


Daraus  ist  insbesondere  zu  ersehen,  daß  «g  = 0 ist,  wenn 
f(a)  = f(x)  ist  an  jeder  Stelle  a = x;  dagegen  ist  ^^=0, 
wenn  g(a)  an  jeder  Stelle  Null  ist.  Eine  transversale  Ver- 
schiebung der  Wirbelteilchen  bringt  also  eine  longi- 
tudinale Bewegung  hervor,  und  umgekehrt  veranlaßt 
eine  Verschiebung  der  Wirbelteilchen  in  longitudi- 
naler Richtung  einen  transversalen  Ausschlag. 

Es  soll  jetzt  eine  transversale  Störung  untersucht  werden, 
die  eine  periodische  Funktion  des  Ortes  ist;  also  sei 


f (x)  = sin  Je  X 


(durch  Superposition  solcher  Störungen  für  alle  Werte  von  Je. 
würde  man  die  Fouriersche  Entwicklung  einer  allgemeinen 
periodischen  Störung  erhalten).  Die  Geschwindigkeitskompo- 
nenten sind 


14) 


Führt  man 


Jcx  = Jea  = a 


ein,  so  ergibt  sich 


— CO 


Sitzuugsb.  d.  math.-pUys.  Kl.  Jalirg.  1915, 


98 


M.  Lagally 


Nun  wird  das  Intervall  von  — oo  bis  4“  °°  lauter  Ab- 


schnitte von  der  Länge  2n:  zerlegt: 


-j- OO  ^ — 2^1  f 

J ==  ■ ■ • J +']*  + J + J + • • ’ 

— 00  ^ — 4rr  I — 2 :rc  ^ ^ 2 7i 


also 


f+2(v+l).T^ 

7 ’t?’  C sin  i — sin  a 

«0  = — J _ „)2  - 

^ + 2v;7 

Durch  Einführung  von  neuen  Integrationsvariabein 
ß = a — ^ — 2v:i, 

hierauf  durch  Vertauschung  der  Reihenfolge  von  Summation 
und  Integration  erhält  man 


7.  r sin  ^ — sin  ß)  ^ ^ 

_4J  (ß+  2V^~'’'^ 

* 0 

2,-r 

J+x  2 

(sin  — sin -j-  ß))  . o ^ <^ß • 

^ (ß  -j-  2 VTl) 


Führt  man  jetzt  für 


1 


seinen  Wert 


ein,  4 so  wird 


-j-  00 

5 (/^  + 2 vTiy 


1 

4 sin^  ^ 


2.T  2.T 

E fik  r sin  ^ — sin  (.^  -f  ß)  ß _ ^ ß ^ f 

4 J . „ ß 2 J 

0 sin“*  - 0 


cos 


■ ß 

sin- 


dß. 


Z.  B.  Bui'kliardt,  Einführung  in  die  Theorie  der  analytischen 
Funktionen  einer  komplexen  Verändeidichen,  S.  145 — 148. 


Zur  Theorie  der  Wirbelschichten. 


99 


Für  die  Auswertung  zerlegt  man  das  Integral  in  2 Teile 


F.  fl  Je 

= cos 


0 


0 


Das  erste  der  beiden  Integrale  wird  Null;  also  ist 
= — E fl  Ti  71  sin  Je  x . 


Es  tritt  also  eine  longitudinale  Geschwindigkeit  auf, 
I deren  Größe  dem  transversalen  Ausschlag  proportional 
} ist.  Sie  ist  auf  diejenigen  Stellen  der  Wirbelschicht  hinge- 

I richtet  und  bewirkt  dort  eine  Verdichtung  der  Wirbel- 
teilchen, wo  die  strömende  Flüssigkeit  die  ursprüngliche  Lage 
i der  Wirbelschicht  in  der  Richtung  von  der  konvexen  zur  kon- 
« kaven  Seite  überschreitet. 

Man  kann  nun  nach  der  Gestalt  fragen,  die  die  Wirbel- 
schicht infolge  der  longitudinalen  Bewegung  der  Teilchen  an- 
I nimmt.  War 

2/  = £ sin  li 

die  ursprüngliche  Gleichung  der  gestörten  Wirbelschicht,  so 
. wird  für  jedes  Wirbelteilchen  y ungeändert  bleiben,  dagegen 
wird  die  Abszisse  zur  Zeit  dt  den  Wert 

X = Xq-\-  Uf^Öt 

annehmen.  Führt  man  also 

Xq  = X — Uf^öt  = X -\-  E fiJtTi  sin  TiX^öt  = X -f-  filcTiy  öt 
ein,  so  wird 

y = £ sin  Ä (a;  fiJcTiy  dt) 

: die  Gleichung  der  Wirbelschicht  zur  Zeit  dt  in  impliziter 
I Form.  Entwickelt  man  nach  Potenzen  von  dt 


100 


M.  Lagally 


y = £ [sinka;  juk-7tydt  cos  Je  x + • • •] 


und  beschränkt  sich  auf  die  erste  Potenz  von  d t,  so  kann  man 
die  Gleichung  nach  y auflösen  und  erhält 


y 


£ smiix 

1 — £ juJe^  71  d t cosJc  X 


£ sin  [1  + £ ju  Je^  Tr  d ^ cos  a;] . 


Also  ist 


16)  y = esin/ca;  -f"  f^/iJc^ndt  sinÄ;a;  cosÄ:a; 

die  Gleichung  der  Wirbelschicht  zur  Zeit  dt. 

Es  ist  jetzt  die  Änderung  der  Wirheldichte  zu  unter- 
suchen, die  infolge  der  longitudinalen  Geschwindigkeit  eintritt. 
Die  Wirhelstärke,  die  sich  auf  einem  Längenelement  der  Wirbel- 
schicht befindet,  wird  mit  der  Zeit  unveränderlich  sein,  auch 
wenn  das  Element  seine  Länge  ändert.  Also 

?.{x)  ‘ dx  = const. 


oder  durch  logarithmisches  Differentiieren  nach  der  Zeit: 


dA(a;)  ödx  

dx-öt 

Dahei  bezieht  sich  auf  Änderung  mit  dem  Ort,  »d*" 
auf  Änderung  mit  der  Zeit.  Eine  Vertauschung  der  Reihen- 
folge der  Operationen  gibt 


^x) 

X(x)Öt 


ddx 
dx  • dt 


= 0. 


Nun  ist  aber 


d X 

dt 


= rr 


0 


die  Geschwindigkeit  an  der  Stelle  x,  also 


17) 


1 dA(a:) 

}.  (x)  dt  dx 


= 0. 


Für  die  Änderung  der  Wirbeldichte  erhält  man 


17') 


I 


Zur  Theorie  der  Wirbelschichten. 


101 


In  unserem  Fall  ergibt  sich  nach  (15) 

7 2 7 

—r^  = — £ UK^Tl  cos  IC  X. 
dx 

Ferner  ist  [A  (a;)]<r=o  = /*)  also 

5 A (x)  = £ /i‘‘  71  cos  Icxöt. 


Folglich  ist  die  Wirbeldichte  zur  Zeit  dt 
18)  [A(a:)]<z=ii!  = -f- cosZ-'icd^ 

In  Übereinstimmung  mit  der  Anschauung,  die  sich  aus 
•j  der  Geschwindigkeitsverteilung  ergibt,  tritt  die  größte  Dichtig- 
1 keit  an  den  Stellen  Tex  = . . . 0,  2 7i,  . . .2Tc7i  . . . auf,  die  kleinste 
'*  Dichtigkeit  an  den  Stellen  Tex  = . . . ti,  Sti,  . . . {2Ti  ti  . . . 
, An  allen  diesen  Stellen  ändert  die  Geschwindigkeit  das  Zeichen ; 
i und  zwar  strömt  auf  die  ersteren  die  wirbelnde  Flüssigkeit 
» von  beiden  Seiten  zu,  von  letzteren  nach  beiden  Seiten  weg. 

IDie  veränderte  Wirbeldichte  wird  nun  veränderte  Geschwin- 
digkeiten der  Wirbelteilchen  zur  Folge  haben.  Nach  (15) 
^ ändert  sich  nur  um  einen  Betrag  2.  Ordnung  in  c;  dagegen 
nimmt  v^,  das  bisher  Null  war,  nach  (13)  den  Wert 


■h» 


<^0  = £ fi^Te^  Jtdt  ^ 


cos  Te  a 


d a 


an.  Das  hier  auftretende  Integral  läßt  sich  in  ähnlicher  Weise 
behandeln  wie  das  in  vorgekommene.  Mittels  derselben 
Substitution 

Tex  = ^;  Tea  = a 

und  durch  Zerlegung  des  Intervalls  in  Teilintervalle  von  der 
Länge  2 71  erhält  man 


102 


M.  Lagally 


Hierauf  ergibt  die  Einführung  neuer  Integrationsvariablen  ß 
a — ^ = 2j'7r-|-  ß 

und  die  Vertauschung  der  Reihenfolge  von  Summation  und 
Integration 


J cos /ca 
X — a 


da  = — 


cos  {ß  B)dß 

ß 2 V 71 


Nun  ist 


2.T 

0 

+ * 1 1 I 

^^ß-\-2v7i  ^ ®2 


bei  richtiger  Anordnung  der  Glieder,  welche  die  Konvergenz 
gewälirleistet ; also 

00  2 .-r 

Jcos  7c  a , 1 p / , , „N  , ß 1 a 

= cos(p  + I)  cotg^dß 

— 00  0 

Durch  eine  einfache  trigonometrische  Umformung  findet  man 

-|-  00  TT 

J ^x^  ^a  ^ ^ ~ J*  ^ 7 + sin  (2  7 -j-  ^)]  d y, 


wo 


ß 

y = o 


ist;  und  durch  Integration 


4“  00 


r cos  I _ cos  I lg  sin  y — | cos  (2  y -f  _ q 

d X — a 

— “ =71  sin  B = ^ sin  /c  x. 

Also  ist 

19)  Vq  = £ 71^  siwkx  • dt. 


')  Burkhardt,  1.  c.,  S.  145 — 148. 


Zur  Theorie  der  Wirbelschichten. 


103 


Die  transversale  Geschwindigkeit  ist  also  dem 
ursprünglichen  Ausschlag  proportional  und  ver- 
größert  ihn. 

Zusammenfassend  lassen  sich  die  Vorgänge  in  der 
Wirbelschicht  so  schildern.  Eine  transversale  Stö- 
rung der  Wirbelschicht,  die  eine  periodische  Funk- 
tion des  Ortes  ist,  bewirkt  das  Auftreten  longitudi- 
naler Geschwindigkeiten  der  Wirbelteilchen.  Die  Folge 
davon  ist  eine  Störung  der  Wirbeldichte,  die  ebenfalls 
eine  periodische  Funktion  des  Ortes  ist.  Diese  gibt 
Veranlassung  zu  einer  transversalen  Geschwindigkeit 
in  Richtung  des  ursprünglichen  Ausschlags,  die  seiner 
Größe  proportional  ist  und  also  die  ursprüngliche 
Störung  verstärkt. 

So  lange  nur  Glieder  1.  Ordnung  in  e in  Betracht  ge- 
zogen werden  müssen,  wachsen  also  die  Ausschläge  propor- 
tional an,  während  gleichzeitig  an  einzelnen  Stellen,  deren 


2 71 

Abstand  ist,  die  Wirbeldichte  einen  mit  der  Zeit  immer 

fC 

stärker  werdenden  Maximalwert  annimmt.  Für  wachsende  Aus- 
schläge, wenn  Glieder  höherer  Ordnung  in  e nicht  mehr  ver- 
nachlässigt werden  dürfen,  werden  die  Verhältnisse  so  kom- 
pliziert, daß  sie  rechnerisch  nicht  mehr  zu  verfolgen  sind. 
Indessen  werden  die  gefundenen  Bewegungen  1.  Ordnung  doch 
auch  weiterhin  in  der  Hauptsache  für  die  Veränderungen  maß- 
gebend sein,  nur  durch  Korrektionsglieder  verändert,  die  mit 
wachsender  Zeit  immer  mehr  an  Einfluß  gewinnen.  Es  werden 
also  die  aufgetretenen  Maximalstellen  der  Wirbeldichte  immer 
mehr  verstärkt  werden,  während  die  zwischenliegenden  Minima 
sich  dem  Wert  Null  der  Wirbeldichte  immer  mehr  nähern. 
Dabei  wird  an  den  Minimalstellen  die  Geschwindigkeit  der 


PotentialbeAvegung  zu  beiden  Seiten  der  Wirbelschicht  immer 
weniger  verschieden  werden ; das  Auftreten  neuer  Unstetig- 
keiten ist  nicht  zu  erwarten,  im  Gegenteil  wird  der  Einfluß 
der  ünstetigkeitsfläche  vermindert  bis  auf  Null.  Die  ganze 
Wirbelschicht  löst  sich  schließlich  in  eine  Reihe  gleich  starker 


104 


M.  Lagully 


Wirbel  in  gleichen  Abständen  auf,  wie  sie  v.  Karman^)  zu- 
erst untersucht  hat. 

V.  Karman  und  andere-)  haben  die  Kärmänschen  Wirbel 
in  Zusammenhang  mit  der  Prandtischen''*)  Grenzschichtentheorie 
gebracht  und  angenommen,  daß  sich  die  Flüssigkeitsschicht, 
die  unmittelbar  an  der  Wand  eines  in  der  Strömung  befind- 
lichen Hindernisses  durch  Reibung  zurückgehalten  und  in  Ro- 
tation versestzt  wird,^)  als  Wirbelschicht  loslöst  und  in  die 
Flüssigkeit  austritt,  wenn  ein  gewisser  Spannungszustand  er- 
reicht ist.  Diese  instabile  Grenzschicht  w'ird  sich  in  gleich 
starke  spiralig  aufgewundene  Wirbel  in  gleich  großen  Ab- 
ständen auflösen.  Die  einzelne  Wirbelreihe  ist  allerdings  selbst 
wieder  unstabil^)  und  deshalb  zu  Versuchen  wenig  geeignet, 
dagegen  können  zwei  parallele  Wirbelreihen  von  entgegen- 
gesetzter Drehrichtung  eine  stabile  Lage  annehmen.  Die  von 
Karman  veröffentlichten  Photographien  von  Versuchen  im  La- 
boratorium zeigen  auch  die  beiden  Wirbelreihen  in  sehr  schöner 
Ausbildung  und  guter  Übereinstimmung  mit  der  durch  die 
Theorie  geforderten  stabilen  Anordnung,  sowohl  hinter  einem 
in  der  Flüssigkeit  bewegten  Hindernis  als  auch  bei  Strahl- 
bildung in  der  Flüssigkeit.  Die  Ablösung  der  Wirbel  ist  auf 
keinem  dieser  Bilder  zu  beobachten;  der  erste  Wirbel  tritt  in 
einem  kleinen  Abstand  hinter  dem  Hindernis  auf,  wo  er  durch 
Aufrollen  eines  Stückes  der  Prandtischen  Wirbelschicht  entsteht. 
L.  FöppD)  hat  gefunden,  daß  es  hinter  einem  Kreiszylinder  in 

1)  Th.  V.  Kiirmän,  Über  den  Mechanismus  des  Widerstandes  usw. 
vgl.  S.  81,  Anm.  2. 

2)  F.  Pfeiffer,  Theorien  des  Flüssigkeitswiderstandes.  Zeitschrift  für 
das  gesamte  Turbinenwesen,  1912,  Heft  IG  bis  18.  — L.  Föppl,  Wirbel- 
bewegung hinter  einem  Kreiszylinder.  Sitzungsb.  der  mathem.-physikal. 
Klasse  der  K.  B.  Akademie  der  Wissensch.  zu  München,  1913,  Bd.  43, 
S.  1 u.  f. 

3)  L.  Prandtl,  Über  Flüssigkeitsbewegung  bei  sehr  kleiner  Reibung. 
Vgl.  S.  81,  Anm.  1. 

Ü Nach  unserer  Auffassung  ist  die  Helmholtzsche  Wirbelschicht 
zuerst  vorhanden  und  die  Ursache  der  Reibung. 

Th.  V.  Kärmän  und  11.  Rubach  1.  c.  vgl.  Anm.  2,  S.  81. 


Zur  Theorie  der  Wirbelschichten. 


105 


strömender  Flüssigkeit  unendlich  viele,  eine  Kurve  erfüllende 
Punktepaare  gibt,  auf  denen  ein  Wirbelpaar  in  Ruhe  sein 
kann;  zu  jedem  Punktepaar  gehört  eine  bestimmte  Wirbel- 
stärke. Wenn  sich  bald  nach  Beginn  der  Bewegung  die  Spitzen 
der  sich  ablösenden  Wirbelschichten  zu  spiraligen  Wirbeln  auf- 
rollen,  so  müssen  sich  diese,  um  im  Gleichgewicht  zu  bleiben, 
um  so  weiter  von  dem  Hindernis  entfernen,  je  größer  ihre 
Wirbelstärke  wird;  bis  dann  infolge  einer  zufälligen  Störung 
des  labilen  Gleichgewichtes  erst  einer,  dann  der  andere  der 
beiden  Wirbel  sich  rascher  mit  der  Strömung  fortbewegt. 
Nachdem  so  die  Wirbelschicht  abgerissen  ist,  bilden  sich  neue 
Wirbel,  die  als  Kärmänsche  Wirbel  den  ersten  folgen.  Auf 
den  beigelegten  Photographien  sieht  man  sehr  deutlich  das  Vor- 
handensein ganz  kleiner  Wirbel  zwischen  dem  Hindernis  und 
dem  in  Ruhe  befindlichen  Wirbelpaar.  Es  scheint  sich  also 
die  Prandtische  Wirbelschicht  zuerst  in  kleine  Wirbel  aufzu- 
lösen, die  sich  dann  zu  größeren  Wirbeln  vereinigen. 

Beobachtet  man  in  der  Natur,  so  bemerkt  man,  daß  die 
Wirbel,  die  hinter  Pfosten,  Pfeilern  und  dgl.  in  ruhig  strömen- 
dem Wasser  auftreten,  die  stabile  Anordnung  nur  in  äußerst 
seltenen  Fällen  annehmen,  namentlich  dann  niemals,  wenn 
die  Breite  des  Hindernisses  einige  Zentimeter  überschreitet. 
In  der  Regel  zeigt  sich  beiderseits  eine  deutlich  sichtbare  Un- 
stetigkeitsfläche, die  oft  allmählich  verschwindet;  gewöhnlich 
bilden  sich  jedoch  in  ihr  einzelne  Wirbel  oder  Wirbelreihen  in 
annähernd  gleichen  Abständen,  die  sich  dann  bald  infolge  der 
Unstabilität  solcher  Reihen  in  Wirbelgruppen  auf  lösen.  Immer 
beginnt  die  Wirbelbildung  erst  in  einiger  Entfernung,  manch- 

Ein  Nachteil  der  Kärmänschen  stabilen  Anordnung  ist,  daß  sie 
für  räumliche  Strömungen  nicht  verallgemeinert  werden  kann.  Man 
müßte  denn  annehmen,  daß  sich  etwa  hinter  einer  kreisrunden  Scheibe, 
die  auf  der  Strömungsrichtung  senkrecht  steht,  spiralige  Wirbel  der  Art 
bilden,  wie  sie  hinter  einer  Schiffsschraube  aufzutreten  scheinen.  Ein 
Versuch,  den  Riecke,  Beiträge  zur  Hydrodynamik,  Göttinger  Nachrichten, 
1888,  S.  347 — 357  beschreibt,  spricht  jedoch  für  das  Auftreten  von  kreis- 
förmigen Wirbelringen  hinter  der  Scheibe. 


106 


M.  Lagally 


mal  ziemlich  weit  entfernt  von  dem  Hindernis,  kann  also  nicht 
wohl  anders  als  durch  eine  Störung  erklärt  werden,  die  den 
Zerfall  der  ursprünglich  kontinuierlichen  Wirbelschicht  veran- 
lagte. In  sehr  ruhigem  Wasser  genügt  manchmal  die  Erregung 
eines  Wellensystems  durch  einen  in  der  Nähe  eingeworfenen 
Stein,  um  die  Auflösung  der  Wirbelschicht  in  einzelne  Wirbel 
von  grober  Regelmäbigkeit  zu  veranlassen.  Sehr  regelmäßige 
Reihen  ganz  kleiner  Wirbel,  die  längere  Zeit  erhalten  bleiben, 
kann  man  auch  häufig  beobachten,  wenn  sich  in  ruhiger  Strö- 
mung Unstetigkeitsflächen  infolge  von  Unebenheiten  des  Grundes 
bilden;  auch  hier  hat  man  es  mit  der  Auflösung  einer  Wirbel- 
schicht zu  tun. 

Die  bisher  geschilderten  Wirbelsysteme  sind  sämtlich  ihrer 
Entstehung  nach  von  dem  Karmanschen  System  verschieden, 
auch  wenn  sie  der  Gestalt  nach  mit  ihm  übereinstimmen,  da 
sich  die  Wirbel  einer  Reihe  gleichzeitig,  nicht  nacheinander 
bilden. 

Hinter  einem  Ruder  bildet  sich  meist  beim  Eintauchen 
ein  Wirbelpaar  (eigentlich  beobachtet  man  die  freien  Enden 
eines  Wirbelfadens),  beim  Herausnehmen  ein  zweites.  Für  die 
Entstehung  des  letzteren  hat  Klein  die  schon  erwähnte  ein- 
fache Erklärung  gegeben.^) 

Zieht  man  ein  Ruder  mit  gleichmäßiger  geringer  Geschwin- 
digkeit, so  daß  keine  Turbulenzerscheinungen  und  keine  zu 
starken  Oberflächenwellen,  die  die  Beobachtung  ganz  allgemein 
sehr  stören,  auftreten,  so  bilden  sich  keine  weiteren  Wirbel, 
sondern  geradlinige  Trennungsschichten  aus.  Dagegen  bemerkt 
man  stets,  daß  das  Ruder  in  der  Hand  zu  schwingen  sucht. 
Gibt  man  diesen  Schwingungen  nach,  die  von  der  Ruderlänge 
sicher  ziemlich  unabhängig  sind  und  als  erzwungene  Schwin- 
gungen zu  gelten  haben,  so  bildet  sich  an  jedem  Umkehrpunkt 
ein  Wirbel  aus,  und  es  entsteht  ein  deutliches  System  Karmän- 
scher  Wirbel.  Die  Entstehung  dieser  Wirbel  läßt  sich  leicht 
durch  eine  weitere  Verfolgung  des  Kleinschen  Gedankens  er- 


0 F.  Klein,  vgl.  S.  82,  Anra.  1. 


Zur  Theorie  der  Wirbelschichten. 


107 


kläi'en:  man  kann  sich  vorstellen,  daß  das  Kuder  bei  jeder 
halben  Schwingung  aus  den  geschlossenen  Stromlinien  der  einen 
Seite  herausgezogen  wird  und  daß  so  ein  Stück  der  Wirbel- 
schicht freigelegt  wird.  Dabei  wäre  die  Reibung,  wenn  nicht 
ganz  einflußlos,  doch  jedenfalls  von  viel  geringerer  Bedeutung 
als  man  sich  vorzustellen  gewohnt  ist.  Es  ist  klar,  daß  ähn- 
liche Erscheinungen  auftreten  müssen,  wenn  ein  Hindernis  in 
bewegtem  Wasser  schwingt,  oder  wenn  das  Wasser  selbst  eine 
schwingende  Bewegung  nach  Art  stehender  Wellen  ausführt; 
beides  kann  man  gelegentlich  beobachten.  Als  Ursache  der 
Schwingung  sind  wenigstens  im  ersten  Fall  die  auf  das  Hin- 
dernis wirkenden  Flüssigkeitsdrucke  anzuseheu,  die  unsymme- 
trisch sind,  sobald  die  Symmetrie  der  Strömung  nur  einmal 
durch  eine  zufällige  Ursache  gestört  ist. 

Man  hat  demnach  zwei  Ursachen  zu  unterscheiden, 
die  zur  Entstehung  von  Wirbelreihen  führen  können. 
Die  erste  ist  eine  Störung  einer  ausgebildeten  Wirbelschicht, 
die  eine  periodische  Funktion  des  Ortes  ist.  Sie  läßt  sämt- 
liche Wirbel  gleichzeitig  entstehen  und  ist  im  vorigen  mathe- 
matisch ein  Stück  weit  verfolgt.  Die  zweite  ist  eine  schwin- 
gende Bewegung  zwischen  der  Ausgangsstelle  der  Wirbelschicht 
und  der  Flüssigkeit,  also  eine  Störung,  die  eine  periodische 
Funktion  der  Zeit  ist.  Sie  läßt  einen  Wirbel  nach  dem  anderen 
sich  bilden,  indem  jedes  Stück  der  Wirbelschicht,  das  in  die 
Flüssigkeit  ausgetreten  ist,  schnell  aufgerollt  wird.  Wenn  die 
örtlichen  oder  zeitlichen  Störungen  nicht  periodisch  sind,  kommt 
es  zur  Bildung  von  einzelnen  Wirbeln  verschiedener  Stärke, 
nicht  von  Wirbelreihen. 


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109 


Über  die  analytische  Darstellung  eines  eindeutigen 
Zweiges  einer  monogenen  Funktion. 

Von  G.  Mittag-Lefflcr. 

Vorgelegfc  von  A.  Pringsheim  in  der  Sitzung  am  6.  März  1915. 


Es  sei  C(,,  Cj,  . . . c,.  . . . 

eine  unendliche  Folge  von  Konstanten,  die  der  Cauchyschen 
Bedingung 

lim 


genügen,  wobei  r eine  endliche  positive  Größe  vorstelle. 

Die  Theorie  der  analytischen  Funktionen  nach  Weierstraß 
gründet  sich  auf  die  Betrachtung  der  Potenzreihe: 

(1)  ^ (a:  — a)  = £ (a;  — a)^ 


')  Augustin-Louis  Cauchy,  Cours  d’ Analyse  de  l’Ecole  Royale  Poly- 
technique,  li®re  paitie.  Analyse  algebrique.  Paris  1821.  Theoreme  I,  S.  132. 

A'’gl.  Ed.  Phragmen,  Om  konvergensomrädet  hos  potensserier 
af  tvä  variabler.  Öfversigt  af  Kungl.  Vet.  Ak.  Förh.  Stockholm  1883. 
No.  10,  S.  24. 


J.  Hadamard,  Essai  sur  l’etude  des  fonctions  donnees  par  leur 
developpement  de  Taylor,  These,  1692,  S.  7,  8. 

A.  Pringsheim,  Enzyklopädie  der  Math.  Wiss.,  Bd.  1,  T.  1,  S.  81, 
Note  168. 

Weierstraß,  der  zu  Beginn  seiner  Arbeiten  den  Cauchyschen  Satz 
nicht  gekannt  hatte,  begann  seine  Vorlesung  über  die  Theorie  der  analy- 
tischen Funktionen  immer  mit  dem  Beweise  des  folgenden  Satzes:  ,Der 
Konvergenzradius  der  Reihe  5)1  (x  — a)  ist  die  obere  Grenze  der  Werte 

c.. 


von  'x- 


für  welche  die  obere  Grenze  von 


(x  — aY 


(v  = 0,  1,  2...) 


endlich  ist.“  Man  sieht,  daß  dieser  Satz  mit  dem  Cauchys  identisch  ist. 


110 


G.  Mittag-Leffler 


wo  X die  Veränderliche  und  a eine  beliebig  ffewählte  Kon- 
stante  bedeute.  Diese  Reihe  definiert  in  einem  Kreise  C mit 
dem  Mittelpunkt  a und  dem  Radius  r eine  analytische  Funktion. 
Sie  bat  die  charakteristische  Eigenschaft,  in  jedem  innerhalb 
C gelegenen  Bereich  gleichmäßig  konvergent  und  andrerseits 
in  jedem  Punkte  außerhalb  G divergent  zu  sein. 

Man  nennt  den  Bereich  C den  Konvergenzkreis  oder 
Konvergenzbereich  der  Reihe  — a).  Diese  letztere  Aus- 
drucksweise, Konvergenzbereich,  soll  bei  jedem  arithmeti- 
schen Ausdruck  Anwendung  finden,  der  im  Innern  eines  Be- 
reiches konvergent,  aber  in  jedem  Punkte  außerhalb  diver- 
gent ist. 

In  (1)  werde  die  Substitution  ausgeführt: 

(2)  {x  — a)  — {x‘  — a)  (1  -j-  u). 


Dabei  soll  x‘  im  Innern  von  C angenommen  werden.  Nach 
dem  Weierstraßschen  Satz  über  iterierte  Reihen^)  können  wir 
die  Reihe  (1)  in  eine  neue  Reihe  nach  steigenden  Potenzen 
von  « umordnen: 


'^5((a;'-a)(l-|-?0) 


^/^/.Ca-l)...(/.-v-l-l) 


wofür  man  schreiben  kann : 


(3) 


{(x'  — a)  (1  -f  iO)  = £ f £ — a}"  tr 

r = 0\/<  =0,'<  • / 


Die  innere  Summation  geht  hierbei  der  äußeren  voraus. 
Nach  dem  gleichen  Satz  von  Weierstraß  weiß  man,  daß 
die  Reihe  (3)  sicher  konvergiert,  wenn  |w|  so  klein  gewählt 


B Karl  Weier straß,  „Zur  Funktionenlehre  (Aus  dem  Monatsbericht 
d.  Kgl.  Akad.  d.  Wiss.  vom  12.  August  1880“).  Werke,  Bd.  2,  S.  205 — 208. 

Über  die  Terminologie  , mehrfache  Reihe“  und  „iterierte  Reihe“ 
sehe  man  „Encyclop.  des  Sciences  mathematiques,  T.  1,  vol.  1, 
Fase.  2,  S.  255,  Note  128. 


I 


über  die  analytische  Darstellung'  etc. 


111 


ist,  daü  X in  das  Innere  von  C fällt;  dies  drückt  sich  durch 
die  Ungleichung  aus: 

x'  — a ' • « I < r — \x‘  — a I . 

Ersetzt  man  jetzt  auf  der  rechten  Seite  von  (3)  u durch 
seinen  Ausdruck  in  x und  x‘ 


\ (4) 


I 


so  erhält  man : 


X — a ^ 

x'  — a 


X — x‘ 
x‘  — a ’ 


= S f S — ^0’’^  — (:r'  — a,  X — x‘). 

V = 0 \//  = 0 ■ / 


Die  iterierte  Reihe  (5)  konvergiert  sicher  für  alle  x im 
I Innern  eines  Kreises  Cx'i  der  um  den  innerhalb  C gelegenen 
' Punkt  x‘  beschrieben  ist  und  G von  innen  berührt. 

Es  kann  indessen  der  Fall  eintreten,  daß  diese  Reihe  (5) 
j auch  dann  noch  konvergent  bleibt,  wenn  x einem  konzen- 
trischen Kreise  Cx'  angehört,  der  größer  ist  als  der  C berüh- 
I rende  Kreis.  Diese  Tatsache  ist  von  grundlegender  Bedeutung. 
I Welchen  Standpunkt  man  auch  in  der  Funktionentheorie  ein- 
nimmt, sei  es  der  von  Weierstraß,  von  Cauchy  oder  von  Rie- 
j mann,  die  Grundlage  der  Theorie  bildet  immer  die  Tatsache, 
, daß  die  Reihe  'iß  (g:  — a)  durch  eine  Substitution 

(6)  X — a = (x‘  — a)  ‘ f (u) 

in  eine  andere  transformiert  werden  kann,  die,  wie  die  erste, 
aus  den  Elementen 


^0  ’ > ^2  > • • • ’ ■ ■ ■ 

aufgebaut  ist,  aber  einen  weiteren  Konvergenzbereich  als 
^ (a;  — a)  besitzt. 

Die  Wahl  der  Funktion  f(u)  = l-\-u,  wie  in  der  her- 
kömmlichen Theorie,  ist  durchaus  nicht  wesentlich.  Die  Frage, 
was  man  durch  Einführung  anderer  Funktionen  f{tt)  an  Stelle 
des  1 -f-  gewinnen  kann,  bedeutet  daher  ein  Problem,  das 


112 


G.  ilittag-Letfler 


der  Theorie  der  analytischen  Funktionen  geradezu  an  die 
Spitze  zu  stellen  ist. 

Indessen  möge  zunächst  die  Konvergenz  der  iterierten 
Reihe  — a,  x — x‘')  betrachtet  werden,  in  der  x‘  dem 
Innern  von  C angehören  soll  und  x dem  Innern  des  Kreises 
Cx',  der  einem  gegebenen  Punkt  x‘  entspricht.  Wir  bezeichnen 
mit  D die  Gesamtheit  der  Punkte  x,  die  so  erhalten  wird, 
wenn  jeder  Punkt  nur  ein  einziges  Mal  gezählt  wird.  Die 
Konvergenz  hört  dann  auf,  wenn  x außerhalb  D oder  x‘  außer- 
halb C gelegen  ist.  Dies  folgt  offenbar  aus  der  oben  erwähnten 
Tatsache,  daß  eine  Potenzreihe  für  jeden  innerhalb  ihres  Kon- 
vergenzkreises gelegenen  Bereich  gleichmäßig  konvergiert,  da- 
gegen in  jedem  Punkte  außerhalb  dieses  Kreises  divergiert. 

Nehmen  wir  nun  an,  daß  x'  einen  innerhalb  C gelegenen 
Bereich  durchlaufe,  ebenso  x einen  entsprechenden  Bereich  im 
Innern  von  D.  Unter  diesen  Voraussetzungen  ist  die  Reihe 
'j?  {x'  — a,  X — x‘)  für  diese  beiden  Bereiche  gleichmäßig  kon- 
vergent. 

In  der  Tat,  nehmen  wir  zwei  positive  Größen  & und  ^ 
beide  kleiner  als  eins  an  und  bezeichnen  mit  Qx'  den  Radius 
des  Kreises  Cx-  mit  dem  Mittelpunkt  x‘.  Wenn  der  Punkt  x' 
das  Gebiet  x‘  — a\^&r  durchläuft,  möge  x die  entsprechen- 
den Bereiche  x — x‘\'^&Ox'  durchlaufen;  dieser  Bereich,  den 
X durchläuft,  wenn  wir  jeden  Punkt  nur  ein  einziges  Mal 
zählen,  heiße  D. 

Es  sei  nun  mit  g die  obere  Grenze  von  ^ {x‘  — a,  x — x‘) 
im  Innern  oder  auf  der  Begrenzung  des  Bereiches  I)  bezeichnet. 
Dann  gibt  der  Satz  von  Cauchy -Weierstraß  U) 

1 i; 

j’!  ,«=o  g- 

A.  Cauchy,  ,Resume  d’un  memoire  sur  la  mecanique  celeste 
et  sur  un  nouveau  calcul  appele  calcul  des  limites  (lu  ä l’Academie  de 
Turin,  dans  la  seance  du  11  Octobre  1831)“.  Exercises  d’Analyse  et  de 
Physique  Mathematique,  Bd.  2.  Paris  1841,  S.  53,  Gleichung  (9). 

Karl  Weier straß,  „Zur  Theorie  der  Potenzreihen.  Münster,  im 
Herbst  1841.“  Werke,  Bd.  1,  S.  67—74. 


113 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


Wählt  man  jetzt  x in  solcher  Weise,  daü 

\X  X‘  \< 

SO  erhält  man: 


Cfi  + v 


und 


y'-  I/.ZZ0  n- 


{x‘  — a)!'  (x  — xy  < g 


n 4- »' 


1'  =r  »i  /«  — 0 ^ • 1 U 


/( = u ; 


w.  z.  b.  w. 


Der  Bereich  D enthält  den  Bereich  C in  allen  Fällen,  in 
denen  er  nicht  mit  ihm  identisch  ist.’)  Fixiert  man  im  Innern 
von  C einen  Bereich  für  x‘,  so  gibt  es  immer  einen  inner- 
halb D gelegenen  entsprechenden  Bereich  für  x von  der  Be- 
schaffenheit, daß  die  Reihe 'iß  (a:'  — a,  x — x‘)  für  diese  beiden 
Bereiche  gleichmäßig  konvergent  ist.  D ist  also  für  die  Reihe 
iß  (:z:'  — a,  x — x‘)  Konvergenzbereich,  ganz  so,  wie  C für  die 
Reihe  'iß(a:  — a).  Die  Reihe  (x  — a)  stellt  im  Innern  von 
C den  eindeutigen  Zweig  einer  durch  die  Konstanten 


^0  ’ ^1  > • • • d,.  ... 

definierten  Funktion  dar,  die  wir  mit  FC{x)  bezeichnen  wollen. 
Die  Reihe  — a,  x — x‘)  repräsentiert  im  Innern  eines 
weiteren  Bereiches  D einen  eindeutigen  Zweig  FI){x),  der 
FC(x)  enthält  und  auf  eindeutige  Weise  bestimmt  ist,  wenn 
die  Konstanten  Cj,  Cg  ...  c,,  . . . fixiert  sind. 

Als  Beispiel  möge  der  Konvergenzbereich  I)  der  iterierten 
Reihe 

(7)  £ i;  ^-^'’'^^x‘>yx-xy, 

i'=o  g-y'- 

welche  die  Funktion  - darstellt,  untersucht  werden.  Die 
1 — X 

Begrenzungslinie  des  Bereiches  D ist  in  diesem  Falle,  wie  er- 

’)  Bekanntlich  existiert  in  diesem  Falle  die  durch  iß(a’  — a)  defi- 
nierte analytische  Funktion  außerhalb  des  Kreises  C nicht  mehr.  Der 
Kreis  C ist  eine  , natürliche  Grenze“  der  Funktion. 

Sitzungsb.  d.  m.itli.-pliy.s.  Kl.  Jalirg,  1915. 


8 


114 


G.  Mittag-Leffler 


sichtlich,  die  Umhüllende  aller  Kreise,  die  durch  den  Punkt  A 
mit  der  Koordinate  x = l gehen  und  ihren  Mittelpunkt  31  auf 
dem  Kreise  C haben.  Der  Punkt  B,  der  diese  Kurve  erzeugt, 
ist  zu  Ä symmetrisch  in  Bezug  auf  die  durcl  / 31  an  den  Kreis  C 
gezogene  Tangente  31 T. 


r 


Man  erkennt  nun  in  der  Begrenzungslinie  von  D die  Kar- 
dioide^)  p = 2 (1  — cos0),  bezogen  auf  den  Pol  A und  die 
polare  Achse  Ax.  In  unserer  Figur  ist  ein  Kreis  mit  dem 
Kadius  OA  im  Innern  der  Kardioide  und  ein  anderer  mit  dem 
Radius  (0,  3 A)  gezeichnet. 


’)  M.  Carre,  „Examen  d’une  courbe  formee  par  le  moyen  du  cercle.“ 
Hist,  de  l’Acad.  Royale  des  Sciences.  Annee  MDCCV.  Memoires,  S.  56 — 61. 

.Johannes  Castillioneus,  „De  Curva  Cardioide,  de  Figura  sua  sic 
dicta.“  Philosophical  Transactions  1741,  Nr.  461,  S.  778— 781. 

L.  Lindelöf,  „Lärobok  i analytisk  geometrie.“  Helsingfors  1864, 
S.  IIU. 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


115 


Bevor  wir  weiter  fahren,  mögen  einige  Definitionen  vor- 
ausgescbiekt  werden,  von  denen  wir  im  folgenden  fortwährend 
Gebrauch  zu  machen  haben. 

Durch  den  Punkt  a ziehen  wir  einen  beliebigen  Halb- 
strahl aa;  und  wählen  auf  ihm  einen  Punkt  so,  daß  die  von 
der  Richtung  des  Halbstrahls  abhängige 
Länge  (a,  p)  eine  gewisse  Größe  1 stets  über- 
trifft. (Der  Punkt  p darf  übrigens  auch  im 
Unendlichen  liegen.)  Lassen  wdr  nun  ax 
sich  um  den  Mittelpunkt  a um  den  Winkel 
2 71  drehen,  so  überstreicht  die  Strecke  (a^p) 
eine  Fläche,  die  a umgibt  und  die  wir  einen 
Stern  mit  dem  Mittelpunkt  a nennen  wollen.  Der  Punkt 
soll  Begrenzungspunkt  des  Sterns  und  die  Gesamtheit  der 
Begrenzungspunkte  soll  Begrenzung  des  Sterns  heißen.^) 

Ein  Stern  E heißt  Konvergenzstern  für  einen  bestimmten 
arithmetischen  Ausdruck,  wenn  er  der  Konvergenzbereich  dieses 
Ausdruckes  ist;  d.  h.  wenn  der  Ausdruck  für  jeden  innerhalb 
E gelegenen  Bereich  gleichmäßig  konvergiert,  dagegen  in  jedem 
Punkte  außerhalb  E divergiert.  Der  Zweig  der  Funktion  F(x), 
der  durch  einen  solchen  Ausdruck  dargestellt  wird,  soll  mit 
FE{x)  bezeichnet  werden.  Man  sieht,  daß  der  Kreis  C Kon- 
vergenzstern für  die  Reihe  ^ (a:  — a)  ist,  die  den  Funktions- 
zweig FC{x')  darstellt. 

Es  kann  sein,  daß  der  Begrenzungspunkt,  der  jedem  Er- 
zeugungsstrahi  des  Sterns  entspricht,  jeweils  der  erste  singu- 
läre Punkt  von  F{x)  ist,  zu  dem  man  beim  Durchlaufen  des 
Halbstrahls  von  a aus  gelangt.  In  diesem  Falle  heiße  der 
Stern  Hauptstern  von  F{xY)  und  sei  mit  dem  Buchstaben  A 
bezeichnet,  während  wir  den  entsprechenden  Zweig  der  Funk- 
tion F{x)  mit  F A{x)  bezeichnen  wollen. 

')  G.  Mittag-Leffler,  ,Sur  la  represenlation  analytique  d’une 
branche  uniforme  d’une  fonction  monogene.“  Acta  Mathem.,  Bd.  23,  S.  47. 

ü G.  Mittag-Leffler,  ,Sur  la  representation  analytique  d’une 
branche  uniforme  d’une  fonction  monogene  (Seconde  note).  Acta  Mathe- 
matica,  Bd.  24,  S.  200. 

8'“ 


IIG 


G.  Mittag-Ledler 


Jeder  analytischen  Funktion,  die  in  der  Umgebung  des 
Punktes  a durch  die  der  Cauchyschen  Bedingung  genügenden 
Konstanten  Cq,  ■ ■ ■ c,.,  . . . definiert  i<jt,  entspidcht  folg- 

lich ein  Hauptstern  A. 

Andrerseits:  Ist  ein  beliebiger  Stern  Ä gegeben,  so  kann 
man  immer  und  auf  unendlich  viele  Arten  einen  arithmetischen 
Ausdruck  bilden,  der  einen  Funktionszweig  F A (x)  darstellt, 
für  welchen  A der  Hauptstern  ist.  Der  gleiche  Satz  besteht 
in  dem  allgemeinen  Falle,  wo  A ein  beliebiges  einfaches  Kon- 
tinuum bedeutet,  d.  h.  ein  aus  einem  einzigen  Stücke  be- 
stehendes, sich  in  keinem  Punkte  mehrfach  überdeckendes  Kon- 
tinuum.^) Es  ist  nicht  einmal  schwer  zu  erkennen,  daß  das 
Theorem  in  solcher  Weise  ausgesprochen  werden  kann,  daß 
jedes  beliebige  Kontinuum  zulässig  ist. 

Nach  diesen  Vorbetrachtungen  kehren  wir  zu  der  iterierten 
Reihe  — a,  x — x‘)  zurück,  die  durch  die  nur  der  Cauchy- 
schen Bedingung  unterworfenen  Konstanten  c,.  definiert  ist. 

Diese  Reihe  enthält  außer  der  Veränderlichen  x,  die  den 
Variabilitätsbereich  D besitzt,  die  V’^eränderliche  x\  die  auf  das 
Innere  des  Kreises  C beschränkt  bleibt.  Der  Radius  r dieses 
Kreises  C ist  nun  zwar  durch  den  Satz  von  Cauchy  (s.  S.  109) 
durch  die  Folge  der  Konstanten  c, , . . . Cy,  . . . definiert;  in- 
dessen ist  die  Berechnung  von  r mit  Hilfe  dieser  Konstanten 
eine  äußerst  schwierige  Aufgabe.  Wenn  die  iterierte  Reihe 

0 G.  Mittag-Leffler,  „Sur  la  representation  analytique  des  fonc- 
tions  monogenes  uniformes  d’une  variable  independante“.  Acta  Mathe- 
matica,  Bd.  4,  S.  1 —79. 

Der  Satz  ist  hier  von  verschiedenen  Gesichtspunkten  aus  bewiesen, 
unter  alleiniger  Anwendung  der  elementaren  Weierstraßschen  Theoiäe 
analytischer  Funktionen. 

Herr  Runge  hat  ohne  meine  Arbeit  zu  kennen,  das  gleiche  Theorem 
in  ähnlicher  Allgemeinheit  mit  Hilfe  des  Cauchyschen  Integralsatzes 
bewiesen  („Zur  Theorie  der  eindeutigen  analytischen  Funktionen,“  § 2. 
Acta  Mathematica,  Bd.  6,  S.  239 — 244;  vgl,  S.  229). 

Vgl.  noch  Hurwi  tz,  „Über  die  Entwicklung  der  allgemeinen  Theorie 
der  analytischen  Funktionen  in  neuerer  Zeit.“  Verhandlungen  des  I.  Inter- 
nationalen Mathematiker-Kongresses  in  Zürich,  1897.  S.  94. 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


117 


— a,  x — x‘)  gegenüber  der  Reihe  *^3  (.r  — d)  den  Vorzug 
eines  größeren  Konvergenzbereiches  voraus  hat,  so  hat  sie 
dafür  eine  wesentliche  Eigenschaft  der  letzteren  verloren,  näm- 
lich die,  lediglich  aus  den  Konstanten  Cy  mit  Hilfe  von  nume- 
rischen Koeffizienten  aufgebaut  zu  sein,  die  von  diesen  Kon- 
stanten unabhängig  sind. 

Es  ist  erst  in  den  letzten  Jahren  geglückt,  diesen  Mangel 
zu  beheben.  Um  so  bemerkenswerter  erscheint  die  Tatsache, 
daß  man  dabei  den  elementaren  Rahmen  der  Theorie  der  ana- 
lytischen Funktionen  nicht  zu  verlassen  braucht.^)  Es  gibt, 
wie  wir  sehen  werden,  tatsächlich  mehrere  einfache  und  direkte 
Methoden. 

Wir  sind  zu  der  iterierten  Reihe  — a,  x — x‘)  mit 
Hilfe  der  Substitution 

(6)  X — a = {x‘  — «)/'(m) 

gelangt,  wobei  wir 


f{u)  = 1 -f  (vgl.  (2)) 


(8) 


gesetzt  hatten. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  an  Stelle  der  Substitution  (8)  die 
allgemeine  lineare  Substitution  einzuführen: 


(9) 


1)  G.  Mittag-Leffler,  ,0m  en  generalisering  af  potensserien,“ 
9 mars  1898.  ,0m  den  analytiska  framställningen  af  en  allmän  mono- 
gen  funktion.“  1 : sta  meddelande,  11  maj  1898.  2 : dra  meddelande, 

11  maj  1898,  3 : dje  meddelande,  14  sept.  1898.  Öfvei'sigt  af  Kgl.  Vet. 
Ak.  Förhandl.  Stockholm  1898. 

,Sur  la  representation  analytique  d’une  branche  uniforme  d’une 
fonction  monogene,“  Note  1—5.  Acta  Mathematica,  Bd.  23— 29,  15.  März 
1899  bis  9.  Sept.  1904. 

.Sulla  rappresentazione  analitica  di  un  ramo  uniforme  die  una 
funzione  monogena.“  Atti  della  R.  Accad.  delle  Scienze  di  Torino,  vol.  34, 
23  Aprile  1899. 

,Sur  la  representation  d’une  branche  uniforme  de  fonction  ana- 
lytique.“ Comptes  Rendus,  T.  128,  15  mai  1899. 


118 


G.  Mittag-Leffler 


worin  l,  ni,  j),  <1  Konstanten  bedeuten,  die  ebenso  wie  Cg,  Cj,  Cg, 
. . . Cy  . . . von  X — a und  x‘  — a unabhängig  sind.  Indem 
mau  nun  auf  gleiche  Art  wie  im  klassischen  Falle  verfährt, 
d.  h.  indem  man  in  'iß  (a;  — a)  an  Stelle  der  Substitution  (6)  (8) 
die  allgemeine  (6)  (9)  einfühi't,  die  Reihe — a)fiu))  nach 
Potenzen  von  u ordnet  und  schließlich  in  der  so  erhaltenen  Ent- 


wicklung an  Stelle  des  u seinen  Ausdruck  in  , , nämlich 

° X — a 


(10) 


l{x‘  — a)  — p{x  — a) 
q{x  — a)  — m {x'  — a) 


einsetzt,  erhält  man  einen  Ausdruck,  der  die  Reihe  a,  x—x  ) 

als  Spezialfall  enthält.  Man  sieht  leicht,  daß  man  auf  diese 
Weise  nichts  gewinnt.  Der  neue  Ausdruck  hängt  innerlich 
ebenso  wie  — a,  x — x‘)  von  dem  Radius  r ab. 

Gleichwohl  gibt  es  eine  sehr  einfache  Methode,  dieser 
Schwierigkeit  Herr  zu  werden,  die  sich  sozusagen  ganz  von 
selbst  darbietet.  Anstatt  nämlich  für  ti  in  der  Entwicklung 


(11) 


(x‘  — a) 


l mu 
P + 2« 


den  Ausdruck  (10)  einzuführen,  Avollen  wir  u gleich  einer  Kon- 
stanten setzen.  Setzen  wir  n = 1 und  unterwerfen  die  Kon- 
stanten Z,  w,  p,  q der  Bedingung: 


(12) 

/’(1)  = 1, 

d.  h. 

(13) 

1 -j-  tu  = p q 

Dann  hat  man  in  der  Reihe  'iß(l): 

x'  ==  X (vgl.  (6),  (12)) 

zu  setzen. 

Auf  diese  Weise  gelangt  man  zu  einem  Ausdruck  für  F (x), 
nämlich  ‘iß(l),  der  auch  noch  außerhalb  des  Konvergenzkreises 
Gültigkeit  besitzt,  aber  nicht  mehr  mit  der  Unvollkommenheit 
behaftet  ist,  die  wir  bei 'iß (a;'  — a,  x — x')  angetrolFen  hatten. 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


119 


Es  mögen  zwei  Fälle  von  verschiedenem  Typus  einer 
näheren  Betrachtung  unterzogen  werden: 


(14) 


(15) 


f{u)  = 


1 + Tiu 

I + äT’ 


Ä > 0 


X — a = {x‘  — a) 


1 -j-  ktf 
1 + Ä 


= ^ = 1>«>0 

, , , att 

X — a = {x  — a)  . — 

1 — pu 


Wir  wollen  zuerst  (14)  untersuchen.  Man  hat  (vgl.  (3),  (8)): 


(16) 


^(1)  = S 

v=0 


/«  = 0 


jul  vl 


= %(x  — a). 


Für  Je  = 0 findet  man  wieder  die  Reihe 


(1)  ^ (a:  — «)  = £;  ^ (x  — a)”, 

r = 0^- 

wie  dies  vorauszusehen  war. 

Die  Reihe  (16)  ist  mit  der  Reihe  identisch,  die  man  er- 
hält, wenn  man  in  der  Gleichung 


(5)  ^ (x'  — a, 

einsetzt: 


x — x')^fj  (x‘  — ay^(x  — x‘y 

.=0  fc=oJ^-  ’• 


(17) 


a = 


\ + Je 


X — x‘ 


Ji{x  — a) 
1 + ■ 


Den  Konvergenzstern  der  Reihe  {x  — a)  erhält  man 
infolgedessen  auf  folgende  Weise.  Es  sei  l ein  von  a aus- 
gehender Halbstrahl,  auf  dem  ein  Punkt  t und  sein  in  Bezug 


auf  a homothetischer  Punkt  , ^ , liege.  Um  den  Punkt  , ^ , 

1 -p  A:  1 -P  A: 

beschreiben  wir  einen  Kreis  C , der  durch  ^ hindurchgeht, 


120 


G.  Mittag-Leffler 


und  lassen  nun  ^ den  Halbstrahl  l von  a aus  durchlaufen,  bis 
entweder  der  mitgleitende  Kreis  C durch  einen  singulären 

Punkt  von  F{x)  geht  oder  der  Punkt  ^ , den  Umfang  des 

i K 

Konvergenzkreises  C erreicht.  Sobald  einer  dieser  beiden  Fälle 
eintritt,  markieren  wir  den  entsprechenden  Punkt  und  be- 
halten von  l nur  die  Strecke  (a,  bei. 


Wiederholen  wir  die  gleiche  Konstruktion  auf  allen  von  a 
ausgehenden  Halbstrahlen,  so  bildet  die  Gesamtheit  aller  er- 
haltenen Strecken  (a,  einen  Stern  Ek,  der,  wie  unmittelbar 
ersichtlich,  der  Konvergenzstern  der  Reihe  — aj  ist.  Dieser 
Stern  enthält  den  Kreis  C und  ist  seinerseits  in  dem  Sterne  D 
enthalten.  Bemerkt  sei,  daß  die  auf  C gelegenen  singulären 
Punkte  von  E(x)  gemeinsame  Begrenzungspunkte  der  Sterne  Ek 
und  D sind.  Sie  sind  oifenbar  die  einzigen  auf  C gelegenen 
Begrenzungspunkte  von  D oder 

Um  eine  Vorstellung  von  der  Gestalt  des  Sternes  Ek  zu 
erhalten,  untersuchen  wir  zunächst  den  Stern  der  Reihe 


(18)  V ^ 

,.=o  ho  VI  4- V 

welche  mindestens  im  Innern  des  Kreises  C(^x\  =1)  die  Funk- 
tion , 

1 — X 


darstellt. 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


121 


Als  erstes  sei  bemerkt,  daß  Ek  im  Innern  des  Kreises  r 
mit  dem  Mittelpunkt  0 und  dem  Radius  1 Ic  gelegen  ist. 

Wenn  wir  ferner  den  Ort  z'  der  Punkte  t konstruieren, 
für  welche  die  entsprechenden  Kreise  durch  den  Punkt  A mit 
der  Koordinate  1 gehen,  so  wird  Ei^  mit  dem  Anfangspunkt 


1/^ 


auf  der  gleichen  Seite  dieser  Kurve  z'  liegen  und  von  dieser 
Kurve  begrenzt  sein.  Einem  solchen  Punkt  ^ entspricht  nun 


der  Punkt  co  mit  der  Koordinate 


1 + h 


als  Mittelpunkt  von  C"; 


der  Radius  von  C ist  dann  gleich  wA,  während  wir  andrer- 
seits wissen,  daß  sein  Wert  crleich 

' O 


" 1 -p 

ist.  Also  hat  der  Ort  von  oi  die  folgende  Eigenschaft: 

CO  0 1 -p  Z,'  1 « 

mA  it 

■ i-p“ä 

Hat  der  Punkt  A'  die  Koordinate  1 -p  /c,  so  genügt  der 
Ort  z'  der  Relation 

jO  _ oj  0 _ 1 

V A'  (I)  A 


122 


0.  Mittag-Leffler 


Die  Kurve  t'  ist  also  ein  Kreis,  dessen  Gisichung,  bezogen 
auf  die  Achsen  Oa  und  Oß  lauten  würde: 


Der  Stern  Ek  ist  derjenige  Teil  der  Ebene,  der  innerhalb  t 
und  bezüglich  t'  auf  der  gleichen  Seite  wie  der  Anfangspunkt 
gelegen  ist. 

Es  ist  die  Gestalt  des  Sternes  in  den  folgenden  typischen 
Fällen  konstruiert  worden  (siehe  Blatt  A): 


0<Ä:<1;  k = Fig.  1 
/c=l;  Fig.  2 

l</c<2;  Ä:  = 1 + Fig.  3 
k — 2;  Fig.  4 
k '>  2;  k = 3;  Fig.  5. 


Ist  ky-2,  so  ist  Ek  der  Kreis  r'  mit  dem  Mittelpunkt 
— ^ iii  dem  Punkte  A(x=l)  berührt.  Dieser 

fC 1 

Kreis  nähert  sich  C,  wenn  k unbegrenzt  wächst. 

Die  Reihe 


(16) 


— a)  = 2 

v = 0 


^ n' 

u = Q 


,1 


k 


V 


stellt  ein  erstes,  sehr  elementares  Beispiel  eines  arithmetischen 
Ausdrucks  vor,  der  allein  aus  den  Konstanten  Cv  und  der  Va- 
riabein X — a besteht  und  in  einem  Bereich,  der  den  Kreis  C 
enthält,  in  eindeutiger  Weise  einen  Zweig  der  Funktion  F’(^) 
darstellt. 

Indessen  ist  diese  Reihe  eine  iterierte  Reihe,  während  die 
Reihe 

(1)  = 

1=0  ' • 

eine  einfache  Reihe  war. 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


123 


Blatt  A. 


124 


G.  Mittag-Leffler 


Die  Substitution 


(15) 


a u 


f(ti)  = /?  = l-a;  l>a>0 

. , .au  X — a 

X —a  = {x  —a)  ; u = 

1 — ßu  ax  ßx  — a 


setzt  uns  in  den  Stand,  auch  diesem  Mangel  abzuhelfen. 

Lassen  wir  hier  ti  den  Kreis  \u  \ -^1  beschreiben,  so  be- 
schreibt die  Veränderliche  x gleichzeitig  einen  Kreis  Cß.  Der 
Durchmesser  dieses  Kreises  ist  die  Verbindungslinie  der  beiden 
Punkte : 

2 ß 

X = a — (x‘  — a)  , - - und  x = x\ 

1 + P 

welche  beziehungsweise  den  Werten  u = — 1 und  u = \ ent- 
sprechen. Der  Kreis  Cß  liegt  im  Innern  von  C,  wenn  x‘  im 
Innern  von  C gelegen  ist. 

O O 


Die  Reihe 

konvergiert  sonach  für  t<  < 1,  wenn  der  Punkt  x'  in  das 
Innere  von  C fällt.  Jedes  Glied  dieser  Reihe 


Cy 


{x‘- 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


125 


läßt  sich  in  eine  Reihe  nach  Potenzen  von  u entwickeln,  die  für 
M <1  eleichmäßiof  konverg-iert.  Der  Weierstraßsche  Satz  über 

o o o 

iterierte  Reihen^)  erlaubt  uns  also,  die  Reihe 

in  eine  nach  Potenzen  von  u fortschreitende  Reihe  zu  entwickeln : 
^ (a;  — a)  = ^ — a)  ^ ^ (?<) 


(19) 


— ^0  + S 


r = 1 


V 1 


H 1 (/i  1 ) ! 


u\ 


H 1-  , , ” «) 

V . 

die  sich  für  « = 1 verwandelt  in : 
% {x  — a) 

= ^o  + f: 


(20) 


a(^-  a)  + ’■  j , ' - «)* 


1!' 


H [-  ; a''{x  — ay 

V I 


Die  Reihe  (20)  kann,  wie  wir  sehen  werden,  ebenso  wie 
es  bei  der  Reihe 


(IG) 


(x  — a) 


^fi  + y 
/t!  r! 


7.- 


der  Fall  war,  einen  Konvergenzbereich  besitzen,  der  über  den 
Konvergenzkreis  C der  Reihe  ^(a;  — a)  hinausreicht. 

Wie  man  sieht,  besteht  zwischen  den  beiden  Reihen  (IG) 
und  (20)  der  -wesentliche  Unterschied,  daß  die  Reihe  (20)  ebenso 


1)  A.  a.  0. 


12G 


G.  Mitta"  Lefflcr 


wie  die  Reihe  — a)  eine  einfache  Reihe  vorsteUt,  während 
(16)  eine  iterirte  Reihe  ist.  Die  Reihen  — a)  und  'iß(x  — a) 
enthalten  nur  einen  einzigen  Grenzübergang,  die  Reihe  (16) 
dagegen  zwei  nacheinander  auszuführende  Grenzübergänge. 

Es  soll  nun  zu  der  genauen  Bestimmung  des  Konvergenz- 
bereiches der  Reihe  (19)  übergegangeu  werden.  Zu  diesem 
Zwecke  machen  wir  die  Subsitution  (15)  in  FÄ(x  — a),  d.  h. 
in  dem  Funktionszweig,  der  mit  Hilfe  der  Konstanten  c,.  in 
dem  Hauptstern  A definiert  ist.  Nun  lassen  wir  x'  bis  zu  dem 
ersten  Punkte  xö  gleiten,  für  den  der  entsprechende  Kreis  Cß 
durch  einen  Begrenzungspunkt  von  A,  d.  h.  durch  einen  sin- 
gulären Punkt  von  F{x)  geht. 

(Da  F{x)  immer  mindestens  einen  singulären  Punkt  auf  C 
besitzt,  so  kann  es  nie  Vorkommen,  daß  Cß  den  Kreis  C um- 
schließt, d.  h.  daß  der  Punkt 


außerhalb  C liegt.) 

Bezeichnen  wir  jetzt  mit  Fa  den  Stern,  den  die  Strecke 
(a,  Xy)  erzeugt,  wenn  der  zugehörige  Strahl  um  a eine  volle 
Umdrehung  macht. 

Es  soll  sodann  gezeigt  werden,  daß  (19)  konvergiert,  wenn 
x'  im  Innern  von  Fa  liegt  und  m | < 1 ist. 

In  der  Tat,  nacli  der  Entstehungsart  des  Sternes  Fa  ist 
die  Funktion  FA{x  — a)  im  Innern  des  Kreises  Cß  und  auf 
diesem  Kreise  regulär,  wenn  der  Cß  entsprechende  Punkt  x' 
im  Innern  von  Fa  liegt.  Also  ist  die  Funktion 


für  ti  <1  eine  reguläre  Funktion  von  u,  sofern  x‘  dem 
Stern  Fa  angehört.  Nach  dem  Weierstraßschen  Satz  über 
iterierte  Reihen^)  kann  sie  daher  in  eine  Reihe  nach  Potenzen 

')  A.  a.  0. 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


127 


von  M entwickelt  werden,  die  für  m,^1  konvergiert  und  mit 
P{ii)  bezeichnet  werden  möge. 

Nun  wurde  schon  bemerkt,  dah  die  Werte  des  Funktions- 
zweiges 


für  iz<j  < 1 durch  die  Reihe  (19)  gegeben  sind,  wenn  x‘  in  das 
Innere  von  C fällt.  Die  Reihe  P(u)  ist  also  mit  der  Reihe  (19) 
identisch,  woraus  hervorgeht,  daß  (19)  konvergiert,  solange  x' 
innerhalb  liegt  und  < 1 ist. 

In  der  Reihe  (19)  .setzen  wir  jetzt  u — Dann  erhält 
man  x = x‘  und  die  Reihe  geht  über  in 


{x  — a) 


wobei  die  rechte  Seite  für  jeden  Wert  x innerhalb  kon- 
vergiert. Sie  konvergiert  überdies  gleichmäßig  und  absolut  für 
jeden  innerhalb  Ea  gelegenen  Bereich.  Ein  solcher  Bereich 
kann  tatsächlich  immer  in  das  Innere  eines  Sternes  E'a  einge- 
schlossen werden,  der  innerhalb  Ea.  liegt  und  diesem  genügend 
angenähert  i.st.  Andrerseits  kann  man  immer  eine  positive 
Größe  r so  fixieren,  daß 

i<.<i 

ist  und  außerdem  der  Punkt 


in  das  Innere  von  Ea  fällt,  wenn  x‘  im  Innern  von  E'a  liegt. 
Bezeichnen  wir  nun  mit  g die  obere  Grenze  von  |‘ißa(j:  — a)  j 
für  alle  x‘  im  Bereiche  E'a  und  für  u <ir  und  erinnern  wir 
uns,  daß  die  Reihe 


1 


128 


G.  Mittag-Lefller 


(19) 


)■  = 1 


+ • • • + — o)*' 

V ! 


für  konvergiert,  so  gibt  der  Cauchy- Weierstraßsche 

Satz : 


Die  Reihe  (20)  konvergiert  also  gleichmäßig  und  absolut 
für  den  Bereich  E'^  und  folglich,  da  E'a  dem  Sterne  beliebig 
nahe  kommen  kann,  in  jedem  Bereich  innerhalb  Ea. 

Es  sei  noch  bemerkt,  daß  die  Reihe  (20)  in  keinem  Punkte  x‘ 
außerhalb  Ea  konvergent  sein  kann.  Denn  unter  dieser  Voraus- 
setzung müßte  die  Reihe  (19)  für  u <ß<  1 gleichmäßig  kon- 
vergieren, während  x'  außerhalb  Ea  liegt.  Ersetzt  man  dann  n 
durch  seinen  Ausdruck  in  x — a,  so  würde  die  erhaltene  Reihe 
gleichmäßig  konvergieren,  wenn  x auf  einen  Bereich  innerhalb 
des  über  der  Strecke 


als  Durchmesser  beschriebenen  Kreises  Cß  beschränkt  wird.  Sie 
müßte  dementsprechend  einen  für  alle  Punkte  dieses  Bereiches 
regulären  Funktionszweig  darstellen. 

Ordnet  man  jedoch  diese  Reihe  nach  steigenden  Potenzen 
von  X — a,  was  für  genügend  kleines  x — a\  immer  möglich 
ist,  so  erhält  man  eine  mit  ^(ic  — a)  identische  Reihe.  Also 
wäre  der  in  Rede  stehende  Funktionszweig  identisch  mit  dem 
aus  ‘5?  (a;  — a)  hervorgegangenen  Zweig.  Allein  dies  ist  un- 
möglich; denn  da  x'  außerhalb  Ea  liegt,  hat  dieser  Zweig  not- 
wendig in  dem  betrachteten  Kreise  Cß  einen  singulären  Punkt. 


1)  A.  a.  0. 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


129 


Der  Stern  Ea  ist  folglich  Konvergenzstern  für  die  Reihe 
'13a(a;  — a),  die  im  Innern  von  Ea  den  Zweig  EEa{x  — a)  der 
Funktion  F{x)  darstellt.  Für  a=l,  /?  = 0 geht  der  Stern 
in  den  Konvergenzkreis  C und  die  Reihe  (20)  in  die  Taylorsche 
Reihe  über. 


Für  a'Cia  enthält  der  Stern  Ea-  den  Stern  Ea,  indem 
jeder  reguläre  Punkt  von  E{x),  der  auf  der  Begrenzung  von 
Ea  liegt,  in  das  Innere  von  Ea-  fällt.  Hieraus  folgt,  daß  die 
Reihe  — a)  in  jedem  Begrenzungspunkte  von  Ea  kon- 

vergiert, der  regulärer  Punkt  von  F(x)  ist. 

Um  nun  den  Stern  Ea  einer  Funktion  F{x)  mit  bekanntem 


Hauptstern  zu  konstruieren,  wollen  wir  zunächst  F{x)  = 


1 


1 — X 


setzen.  In  die.sem  Falle  lautet  die  Reihe  (20): 


(21) 


i+i: 

V=1 


ax  -\- 


1! 


~ß^-^{axy  4-  1)(^'  ßy-3^axy 


4-  • • • 4-  (a  xy 
Sie  stellt  einen  Zweig  von 


= 14"^  ax(ß  a xy~^. 

v=zl 


1 


, in  einem  Sterne  Ea  dar, 
1 — X 

den  man  sehr  einfach  auf  folgende  Weise  erhält: 

Der  Begrenzungspunkt  von  Ea  auf  jedem  Halljstrahl  durch 

0 ist  der  Punkt  R mit  der  Koordinate  x‘,  für  den  der  ent- 
sprechende Kreis  Cß  durch  den  Punkt  A mit  der  Koordinate 
X = \ geht.  Der  Mittelpunkt  co  von  Cß  hat  die  Koordinate 

ß OC*  3C* 

' ,,  der  Radius  von  Cß  den  Wert  4 — Dei"  Punkt  a> 

1 + P 1 4-  P 

genügt  folglich  der  Beziehung : = ß.  Konstruieren  wir 

0 O o O * < 

CO  A 

zu  A den  homothetischen  Punkt  A'  nach  dem  Verhältnis 

1 + ^ 


ß 


, so  gilt  für  R: 


RO  (oO  

RA'  (jd  ^ 


Sitzungsb.  d.  matb.-phys.  Kl.  Jahrg.  1915. 


9 


130 


G.  Mittag-Leftler 


Der  Ort  für  R ist  also  ein  Kreis  durch  A 


AO 

AA 


7 = ßi 


der  seinen  Mittelpunkt  auf  der  Geraden  (JA  hat  und  die 


Strecke  (JA'  harmonisch  teilt 


Seine  Gleichung  lautet : 


hat  die  Koordinate  1 + -jV 

PJ 


Der  zweite  Schnittpunkt  dieses  Kreises  mit  der  reellen 
1 I ß 

Achse  hat  die  Abszisse  — er  rückt  auf  der  negativen 


«^-Achse  ins  Unendliche,  wenn  ß sich  der  Eins  nähert. 

Der  Konvergenzstern  Ea  der  Entwicklung  (21)  gleicht 
also  dem  Konvergenzstern  E^  der  iterierten  Reihe 


(IS) 


r = 0 fi  = 0 VI  'V 


Je  >2 


insoferne  er  auch  ein  Kreis  ist,  der 
den  Konvergenzkreis  im  Punkte  x — 1 
berührt  und  ihn  umschließt.  Aber 
während  für  (18)  der  Radius  des  Krei- 
ses E/c  den  Wert  2 nie  überschreiten 
konnte,  kann  der  Kreis  Ea  für  die 
einfache  Reihe  (21)  einen  beliebig 
großen  Radius  besitzen,  sofern  nur  ß 
genügend  nahe  an  1 gewählt  wird. 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


131 


Während  also  der  Kreis  Ek  immer  im  Innern  von  D liegt, 
kann  im  Gegensätze  dazu  der  Kreis  Ea  bei  genügender  Ver- 
kleinerung des  a beliebig  weit  über  D hinausreicben. 

Nunmehr  möge  zu  dem  Falle  einer  durch  die  Konstanten 
c„.  Cj,  Cg'  • • - 5 • definierten  Funktion  F {x  — a)  mit  dem 

Hauptstern  A übergegangen  werden.  Wir  bezeichnen  auf  jedem 
Halbstrabi  durch  0 den  ersten  singulären  Punkt  der  Funktion 
F{x  — o),  den  man  von  0 aus  erreicht,  mit  x und  beschreiben 
um  den  Punkt 


als  Mittelpunkt  einen  Kreis,  der  durch  den  Punkt  x hindurchgeht. 

Wir  zeichnen  nun  ebenso  zu  allen  anderen  von  a aus- 
gehenden Halbstrahlen  die  entsprechenden  Kreise.  Der  inner- 
halb aller  dieser  Kreise  gelegene  Teil 
— jeder  Punkt  ein  einziges  Mal  ge- 
zählt — bildet  den  Konvergenzstern 
Ea.  Strebt  ß gegen  1,  so  nähert  / \ 

sich  Ea  dem  Stern,  den  Herr  Borei  / 

„polygone  de  sommabilite“  nennt  l 

und  der  seinerseits  Ea  enthält.  \ / 

Diese  Tatsache  erklärt  sich  sehr 
einfach.  Das  Polygon  des  Herrn  Borei 
kann  durch  einen  Kreis  mit  dem 

Durchmesser  (a,  x)^)  erzeugt  werden,  während  der  Stern  Ea 
durch  den  Kreis  mit  dem  Durchmesser 


erzeugt  wird,  der  sich  dem  erzeugenden  Kreis  des  Herrn  Borei 
nähert,  wenn  ß gegen  1 strebt. 


,Le9ons  sur  les  series  divergentes“,  Kap.  IV.  Paris  1901. 

2)  G.  Mittag-Leffler“,  ,Sur  la  representation  etc.,  Note  5“.  1904. 
Acta  Math.,  Bd.  29,  S.  116,  154. 


9’ 


132 


G.  Mittiig-Leffler 


(23) 


Andrerseits  besteht  zwischen  dem  Borelschen  Ausdruck:^) 
lim  £ (^^0  + ^ ~ 

fo  = oov  = 0\  u • 

CD 

c \ (1)'’  ■f" ' r — 

— TT  ~ J {v^  1)!  = ; 


und  dem  Ausdrucke: 


% (z  — a) 


Cn  -j— 

(20)  " 


V =:  1 


ß'-'  a (a;  — fl)  + ^ ^ ß'-- flS  {x  — ay 


I (^'  ■*■)  ^)  Dl-  T 1 / I I 1-  /■  \i- 

+ 3 ! 3d ß'-^u^(x-ay-\ j-  - , a’  (z  — a)' 


der  wesentliche  Unterschied,  daß  der  erste  eine  iterierte  Reihe 
vorstellt,  d.  h.  zwei  aufeinander  folgende  Grenzübergänge  ent- 
hält. während  der  zweite  eine  einfache  Reihe  ist,  zu  der  man 
durch  ganz  elementare  Betrachtungen  gelangt. 

Bisher  haben  wir  drei  Ausdrücke,  (5),  (IG),  (20),  kennen 
gelernt,  die  die  Funktion  F(z  — a)  in  Bereichen  darstellen, 
die  größer  sind  als  der  Konvergenzkreis  C.  In  all  diesen 
Fällen  enthält  der  Ilauptstern  yl  die  verschiedenen  Sterne  C, 


1)  A.  a.  0. 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


133 


D,  Eh,  Ea,  ohne  daö  es  möglich  gewesen  wäre,  die  Para- 
meter x‘,  Je  oder  a so  zu  wählen,  daß  die  entsprechenden  Sterne 
jeden  im  Innern  von  A gelegenen  Bereich  enthalten. 

Dieses  wichtige  Problem  wird,  wie  wir  sehen  werden, 
durch  eine  Modifikation  der  Transformation  (15)  gelöst,  näm- 
lich durch  die  Substitution; 


(24) 


worin  y einen  reellen,  passend  gewählten  Parameter  bedeutet. 


In  Übereinstimmung  mit  unseren  früheren  Formeln  lassen 


wir  dem  Werte  = l den  Punkt  x = x'  entsprechen  und  setzen 
daher : 


(25)  a = (l  — /?))';  /5  ==  1 — a)-;  0<a<l. 


Betrachten  wir  zunächst  die  erzeugende  Figur  des  Sternes. 
Es  .sei: 


Wenn  variiert,  d.  h.  wenn  u in  seiner  Ebene  den  Kreis 
um  den  Anfang  mit  dem  Radius  1 beschreibt,  so  beschreibt  v 
die  erzeugende  Figur.  Diese  ist  symmetrisch  zur  reellen  Achse; 

= 0 entspricht  v = 0,  w = l entspricht  v = l.  Die  Kurve 
umschließt  die  Strecke  (0,  1).  Im  übrigen  ist  hauptsächlich  der 
Punkt 


a 


der  u = — 1 entspricht,  sowie  die  Ordinate  der  Kurve  von  In- 
teresse; es  soll  gezeigt  werden,  daß  beide  mit  a gegen  Null 
streben.  Es  ist: 


1 — ßu=  1 — = p e“  * 


woraus 


134 


G.  Mittag-Leflfler 


V = 


oy 


n = sin  (.0  4-  y 0)  = sin  t>  cos  y & -j-  ” sin  r 0 cos  0 
' py  ^ Q'y  . ' ' py  ' 

*1  “ 7 

Q~  = \ — 2 ßcosO  = (1  — ßy  -\-  4/9sin^^  = py  4ßsm~[j. 


Also  ist: 


Nun  ist 


> 4/5  sin^  ^ 


> py 

I 

o > aJ” 


« < ^ sin#cosy0  ^ — - siny0cosi5| 
gy  ' ^ gy  ' ' 


p . . a I sin  »5  I i a,,  • S'  ^ ^ 

sint/cosr0  < -- „y  |cos70  = — i2l,  psin— i cos  . cosy 

py  / I ^ O'y'  1/  rf  , ' 2 2 ' 

^ 2Vßsm^\ 


py 


sin  y 0 cos  «9  <<  sin  y 0 cos  ?9  | . 


Wenn  y < 1 vorausgesetzt  wird,  so  konvergiert  der  erste 
dieser  beiden  Ausdrücke  mit  a gegen  Null.  Der  zweite  strebt 
ebenfalls  mit  a gegen  Null,  wenn  man  von  y annimmt,  daß 
es  gleichzeitig  gegen  Null  konvergiert.  Wenn  man  also  y = a 
setzt,  so  konvergiert  i]  gleichzeitig  mit  a gegen  Null,  und 
zwar  gleichmäßig  für  alle  & (0  < t)  < 2 n).  Der  Punkt 


strebt  ebenfalls  gleichzeitig  mit  a gegen  Null. 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


135 


Man  konstruiere  nunmehr  um  die  Strecke  (a,  x')  als  Achse 
eine  Figur,  die  zu  der  vorhergehenden,  durch  die  Gleichungen 

1 

fl  ')r  

^ = ^=1— 0<a<l;  «1  = 1 

bestimmten  Figur  ähnlich  ist.  Dabei  soll  das  Ähnlichkeits- 
Verhältnis  gleich  x‘ — a'  sein  und  es  sollen  die  Punkte  a und  x‘ 
den  Punkten  0 und  1 entsprechen.  Dann  erhält  man  die  Kurve, 
die  X vermöge  der  Substitution 

n 'it 

(26)  X — a = {x‘  — a)  3-^ 

^ ^ ^(1  — ßu)'^ 

beschreibt,  wenn  u den  Kreis  um  den  Anfangspunkt  mit  dem 
Radius  1 durchläuft.  Diese  Kurve,  die  zur  Geraden  (a,  x')  sym- 
metrisch ist,  nähert  sich  der  Strecke  (a,  x‘),  wenn  a nach  0 
konvergiert. 

Es  möge  nun  auf  folgende  Weise  ein  Stern  Hr,  erzeugt 
werden:  Auf  jedem  von  a ausgehenden  Halbstrahl  lassen  wil- 
den Punkt  x‘  bis  zur  ersten  Lage  ^ gleiten,  bei  welcher  die 
dem  Punkte  x'  entsprechende  Figur  (26)  durch  einen  Begren- 
zungspunkt des  Hauptsternes  geht. 


Macht  der  Halbstrahl  eine  volle  Umdrehung  um  a,  so 
erzeugt  die  jeder  dieser  Lagen  entsprechende  Strecke  (a,  |)  den 
Stern  Ha.  Man  sieht,  wenn  a nach  Kuli  konvergiert,  daß  der 
Punkt  dem  auf  dem  Strahle  gelegenen  Begrenzungspunkte 
von  A beliebig  nahe  kommt,  sofern  der  Begrenzungspunkt  im 
Endlichen  liegt.  Liegt  er  im  Unendlichen,  so  kann  für  ge- 
nügend kleines  a der  Punkt  | beliebig  weit  von  a entfernt 
sein.  Mit  anderen  Worten,  ist  A ein  beliebiger  innerhalb  A 
gelegener  endlicher  Bereich,  so  kann  man  a stets  so  klein  wählen, 
daß  Ha  den  Bereich  A in  seinem  Innern  enthält. 


136 


G.  Mittag-Leflfler 


Für  a = 1 fällt  der  Stern  i/„  mit  dem  Koiivergenzkreis  C 
zusammen. 

Die  gleichen  Betrachtungen,  die  auf  die  Substitution 
(15)  ^ — « = — 

Anwendung  gefunden  hatten,  zeigen  hier  ebenso,  daß  der  Aus- 
druck 


(27) 


SHaipc  — a) 


= <^0  + U 

r = l 


Cy  , V , Cy-i  n(v 1)  _ , 

, {x—ay  -j-  — -1 V,  , , ß {x  - «)’-' 


+ 


r:  ' ' ■ (r-l)!  1! 

c„_2  a()’  — 2)(a(j’  — 2) -f  1) 


(r-2)! 

c^ 
V. 


91 


ß^a''~^{x  — ay~'^ 


, , c,  «(a -h  1)  . . . (a  + )- — 2)  ; 

+ •••  + 7. ^a(x  — a) 


außerhalb  Ha  iu  keinem  Punkte  konvergiert,  aber  für  jeden 
ganz  innerhalb  Ha  gelegenen  Bereich  absolut  und  gleichmäßig 
konvergiert.  Der  Stern  H,  ist  also  Konvergenzstern  für  den 
Ausdruck  (27),  der  im  Innern  von  Ha  den  Funktionszweig 
FHaipc)  darstellt.  Dieser  Ausdruck  stellt  also  für  genügend 
kleines  a in  jedem  endlichen  innerhalb  A gelegenen  Bereich 
die  entsprechenden  Werte  von  F A{x)  dar;  für  a = 1,  ß = 0 
reduziert  er  sich  auf  ^(x  — a).  Auch  die  oben  für  die  Sub- 
stitution (15)  gemachten  Bemerkungen  über  zwei  verschiedene 
Sterne  Fa  und  von  der  Art,  daß  a > o',  bleiben  hier 
gültig. 

Neben  der  Formel  (27)  können  wir  eine  andere,  von  Herrn 
Fredholm^)  gegebene  Formel  anführen,  in  der  die  numerischen 
Koeffizienten  sehr  einfach  definiert  sind: 


1)  Ivar  F redholm,  „Sur  la  methode  de  prolongement  analytique  de 
Mittag-Lettler“.  Üversigt  af  Kungl.  Yet.  Ak.  Förhandl.  13  mars  1901. 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


137 


(28) 


^0  + U - I ^2  ^v-  2 { j H“  ■ ■ ■ 

»'  = I ' 

, — aX”“’  , (x  — a\  ß'’ 

+ ( i/  j i/  jjr! 

H=-\og{\-ß) 

i (A  + 1) . . . (A  + w— 1)  = 2"  + Cf  l"-'  + • • • + Cf_,  l . 


Man  erhält  diese  interessante  Formel,  wenn  man  in  '^5(g:  — a) 
die  Substitution  ausführt: 


(29) 


X — a = {x‘  — a) 


log(l  — ßu) 
log(l  — ß)  ’ 


0<ß<l. 


Die  Ausdrücke  (27)  und  (28)  haben  beide  den  Nachteil, 
daß  ihre  erzeugenden  Figuren  (26)  und  (29)  die  Halbstrahlen  a i 
unter  einem  rechten  XVinkel  schneiden.  Die  durch  sie  erzeugten 
Sterne  schmiegen  sich  dem  Stern  A daher  weniger  au,  als 
wenn  die  erzeugende  Figur  den  Begrenzungspunkt  des  Sternes 
unter  einem  spitzen  Winkel  erreichen  würde,  den  man  durch 
genügend  kleine  Wahl  des  a beliebig  verkleinern  könnte. 

Ein  solches  Resultat  kann  erzielt  werden  mit  Hilfe  der 
Substitution:  ^) 

(30)  X — a = (x'  — a)  ; 0 < a < 1 , 


die  eine  konforme  Abbildung  des  Kreises  ju  <1  auf  eine 
Figur  vermittelt,  die  von  zwei  bezüglich  (a,x‘)  symmetrischen 
Spiralenbögen  begrenzt  wird.  Der  innere  Winkel,  unter  dem 


1)  G.  Mittag-Leffler,  „Sur  la  representation  analytique 
Note  3‘.  1900.  Acta  Math.,  Bd.  24,  S.  229. 


138 


G.  Mittag-Leffler 


diese  herzförmige  Kurve  den  Halbstrahl  ax‘  im  Punkte  x‘ 
schneidet,  hat  den  Wert  . 

Eine  andere  Lösung  des  Problems  liefert  die  Substitution') 

(31)  x — a = {x‘  — a)a  ~ ; 0<a<l, 

^ ^ ^ ^ ü(l -}- w)« -p  (1  — If)" 

die  den  Kreis  1 « j ^ 1 auf  eine  aus  zwei  Kreisbogen  bestehende 
Figur  abbildet,  welche  sich  im  Punkte  a — a {x'  — a)  und 
im  Begrenzungspunkte  x'  des  zugehörigen  Sternes  unter  dem 
AVinkel  an  schneiden. 


AVenn  die  Substitutionen  (30)  und  (31)  geometrisch  an- 
schaulicher als  die  vorhergehenden  sind,  so  führen  sie  dafür 
auf  weniger  einfache  arithmetische  Ausdrücke  als  (27)  und  (28). 
Die  numerischen  Koeffizienten,  die  man  durch  Anwendung 
dieser  Substitutionen  erhält,  sind  in  der  Tat  äufierst  kompliziert. 

Um  andrerseits  strenge  zu  beweisen,  dafi  die  aus  den  er- 
zeugenden Figuren  der  Substitutionen  (30)  und  (31)  gebildeten 
Sterne  tatsächlich  Konvergenzsterne  sind,  muh  man  den  voll- 
ständig elementaren  Rahmen  verlassen,  innerhalb  dessen  wir 
bisher  bleiben  konnten. 

Da  diese  Substitutionen  die  singulären  Punkte  u = — 1 
und  u = \ besitzen,  so  können  sie  nicht  in  Potenzreihen  nach 
M entwickelt  werden,  die  für  m|>1  noch  konvergent  sind. 
Der  AVeierstraßsche  Satz  über  iterierte  Reihen,  dessen  wir  uns 
bedient  haben,  ist  daher  für  «f|  = l nicht  mehr  anwendbar. 


')  A.  a.  0.,  Note  3,  S.  228,  229. 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


139 


sondern  nur  für  |^^  <1.  Folglich  haben  wir  nicht  das  Recht, 
in  dem  hervorgegangenen  Ausdruck  u = \ zu  setzen. 

Herr  Phragmen  hat  mit  Hilfe  von  Betrachtungen,  die  der 
Theorie  der  Fourierschen  Reihen  entliehen  sind,  gezeigt,  wie 
man  diese  Schwierigkeiten  überwinden  kann  und  daß  man  wirk- 
lich M = 1 setzen  darf.*)  Herr  Marcel  Riesz  ist  mit  Hilfe  des 
Cauchyschen  Integrals  zu  dem  gleichen  Ergebnis  und  sogar 
noch  zu  einem  allgemeineren  Resultat  gelangt.^) 

Den  Mangel,  welchen  einerseits  (27)  und  (28)  aufwiesen, 
indem  sie  keine  so  eng  an  die  Strecke  (a,  x')  sich  anschmie- 
gende erzeugende  Figuren  lieferten  wie  die  Substitutionen  (30) 
und  (31),  die  verwickelte  Rechnung  andrerseits,  welche  die  Ver- 
wendung von  (30)  und  (31)  mit  sich  bringt,  kann  man  sehr 
leicht  vermeiden,  wenn  man  als  erzeugende  Figur  die  Kurve 
wählt,  die  ich  schon  an  anderer  Stelle  angewandt  habe,  um 
eine  Darstellung  mit  Hilfe  des  Laplace- Abelschen  Integrals 
zu  erhalten.®) 

Betrachten  wir  nämlich  die  Substitution: 


(32) 


t;  = (l— t()«;  0<rt<l. 


Durchläuft  u den  Kreis  mit  dem  Radius  1 um  den  An- 
fangspunkt, so  beschreibt  v eine  zur  reellen  Achse  symmetrische 
Kuiwe  L,  die  im  Anfangspunkte  mit  der  positiven  reellen 


Punkte  = 2“  unter  einem  rechten  Winkel  zum  zweiten  Male 
schneidet.  Die  Gleichung  der  Kurve  lautet  in  Polarkoordinaten: 


(33) 


*)  G.  Mittag-Leffler,  ,Sur  la  representation  . . .,  Note  3“.  1900. 
Acta  Math.,  Bd.  24,  S.  229-230. 

Marcel  Riesz,  ,Sur  un  probleine  d’Abel.  (Extrait  de  deux  lettre.s 
ä M.  G.  Mittag-Leffler)“.  Rendiconti  del  Circolo  Matematico  di  Palermo, 
Bd.  30,  1910,  S.  339 — 345.  Siehe  die  der  vorliegenden  Arbeit  angefügte 
Note:  „Ein  Satz  des  Herrn  Marcel  Riesz.“ 

®)  G.  Mittag-Leffler,  „Sur  la  reiwesentation  . . .,  Note  5".  1904. 
•■^cta  Math.,  Bd.  29,  S.  116,  154. 


140 


G.  Mittag-Leffler 


]\Ian  erhält  sie  unmittelbar,  wenn  man  beachtet,  daß  der 

Punkt  v"  mit  den  Polarkoordinaten  ~ und  da  identisch  mit 

dem  Punkte  1 — einen  Kreis  durch  den  Anfangspunkt  mit 
dem  Mittelpunkt  x = i beschreibt. 


1 


Führt  man  also  in  die  Potenzreihe  iß  (a;  — a)  die  Sub- 
stitution ein : 

(34)  X — a = {x‘  — o)  (1  — (1  — «O'O) 

so  beschreibt  die  Veränderliche  x um  den  Halbstrahl  ax' 
als  Achse  eine  der  Kurve  (33)  ähnliche  Kurve,  die  im 

Punkte  x'  mit  ax'  den  Winkel  bildet  und  ax'  in  dem 

Punkte  a — (x‘ — a)(2"  — 1)  unter  einem  rechten  Winkel  zum 
zweiten  Male  schneidet. 


In  vollständig  analoger  Weise,  wie  wir  früher  die  Sterne 
für  die  Substitutionen  (15),  (26),  (29),  (30)  und  (31)  konstruiert 
haben,  erhält  man  jetzt  einen  Stern  Ka  sowie  einen  Ausdruck: 


SK„  {x  — a)  = Cf, ^ Af » (x  — a)  -1-  Arf ' (x  — a^ 

1=1^- 


^ ^ - af 


(35) 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


141 


der  j&r„  zum  Konvergenzstern  besitzt  und  im  Innern  von  K„ 
den  Funktionszweig  FKn{x)  darstellt.  Um  zu  beweisen,  daß  Kn 
tatsächlich  Konvergenzstern  ist,  muß  man  sich  der  Methode 
des  Herrn  Phragmen^)  oder  der  des  Herrn  Marcel  Riesz^) 
bedienen. 

Die  Koeffizienten  sind  von  sehr  einfacher  Beschaffenheit ; 

_ ^ g (1  — g) ...  (>1  — 1 — g) 

1!  l\ 

v(l  — r)  2g(l  — 2 g)  • • • (A  — 1 — 2 g) 

' 2!  A! 

, r (1  — j')  . . . — 1 — v)  V a{l  — 1'  g)  . . . (A  — 1 — r a) 

^ Ti  ■ 


Alle  diese  Zahlen  sind  positiv,  da  die  Koeffizienten  von 

/0/.N  < X « . g(l— g)  „ , a(l  — g)(2  — g)  , , 

(36)  l~(l— h)«  = ^,«+  ^ 


positiv  sind  und  folglich  auch  die  der  Maclaurinschen  Reihe 
von  [I — (I — t«)“]*". 

Es  ist  mir  bisher  kein  Ausdruck  bekannt,  der  gleichzeitig 
von  beiden  Gesichtspunkten  aus,  dem  geometrischen  und  arith- 
metischen, einfacher  als  der  Ausdruck  (35)  wäre  und  ebenfalls 
allen  Anforderungen  Genüge  leisten  würde. 

Die  Entwicklung  besitzt  noch  einen  wichtigen  Vorzug. 

Sei  x'  ein  Begrenzungspunkt  des  Sternes  Kn-  Es  sei  ferner 
a‘<ia;  ist  dann  x'  ein  regulärer  Punkt  von  F{x  — a),  so  wird 
x'  in  das  Innere  von  Ka-  fallen  und  der  Ausdruck  SKn'{x  — a) 
folglich  im  Punkte  x‘  konvergieren.  Ist  dagegen  x‘  ein  sin- 
gulärer Punkt  von  F(x  — a),  so  ist  dieser  Punkt  ein  Begren- 
zungspunkt von  Kn  und  von  K,'.  Doch  kann  es  Vorkommen, 
daß  der  Funktionszweig  FKn{x  — a),  wenn  x im  Innern  von 
Kn  gegen  x'  strebt,  sich  einem  und  demselben  Werte  nähert, 
welchen  Weg  auch  die  Veränderliche  x innerhalb  K,  durch- 


1)  A.  a.  0. 


2)  A.  a.  0. 


1-12 


M.  Mittag-LefTler 


läuft.  Unter  dieser  Voraussetzung  ist  der  Ausdruck  FK,^■{x—a) 
im  Punkte  x = x'  immer  konvergent,  und  die  Konvergenz  ist 
gleichmäßig  für  jeden  Bereich,  der  x'  als  Begrenzungspunkt 
enthält  und  im  übrigen  vollständig  innerhalb  Ka  gelegen  ist. 

Dieser  wichtige  Satz,  der  eine  unmittelbare  Folgerung  aus 
dem  weiter  oben  erwähnten  ist,  wurde  von  Herrn  Marcel  Riesz^) 
für  alle  Sterne  bewiesen,  deren  erzeugende  Figur  in  dem  zu- 
gehörigen Begrenzungspunkte  x'  des  Sternes  den  Strahl  ax' 
unter  einem  spitzen  Winkel  trifft. 

Bevor  wir  die  bisher  behandelten  Fälle  verlassen,  sei  ein 
allgemeiner  Satz  angeführt,  der  für  alle  bisher  erhaltenen 
Sterne  gilt,  zu  denen  wir  auch  den  Konvergenzkreis  zählen 
können. 

Ist 

Yj  fv  (^) 
v = 0 


eine  der  im  Vorhergehenden  gebildeten  Reihen,  und  liegt  der 
Punkt  x'  außerhalb  des  Konvergenzsternes  dieser  Reihe,  so  ist 
der  Grenzwert 


lim  , 

f,=X  ] _ 0 


immer  unendlich. 

Wäre  er  nämlich  endlich,  so  hätte  man: 


und  folglich 


Die  Reihe 


' Ufr(F) 


1 r = 0 


r = 0 


wäre  für  k|  < 1 konvergent.  Ersetzen  wir  jetzt  ti  durch  seinen 
Wert  in  x und  x',  so  wird  der  so  erhaltene  Ausdruck  für  alle 
AVerte  von  x innerhalb  der  zu  dem  Punkte  x'  gehörenden  er- 


1)  A.  a.  0. 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


143 


zeugenden  Figur  konvergent  sein.  Er  stellt  also  innerhalb 
dieses  Bereiches  einen  Funktionszweig  dar,  der  für  genügend 
kleines  \x‘  mit  dem  aus '^3(.r  — a)  hervorgegangenen  überein- 
stimmt. Allein  dies  ist  unmöglich.  Denn  da  x'  außerhalb  des 
betrachteten  Sternes  gelegen  ist,  kann  der  aus  — a)  her- 
vorgegancrene  Funktionszweig  nicht  für  alle  solchen  Werte 

o o o o 

von  X regulär  sein,  die  noch  innerhalb  der  zu  x'  gehörenden 
erzeugenden  Figur,  aber  außerhalb  des  Hauptsternes  liegen. 
Unsere  Behauptung  ist  damit  bewiesen. 

Sowohl  die  verschiedenen  Ausdrücke  (27),  (28)  und  (35) 
als  auch  die  aus  den  Substitutionen  (30)  und  (31)  hervorge- 
gangenen Entwicklungen  sind  alle  von  der  Form: 


S,.{x-~ 

(37) 


«)  = + S 

v = I 


V : 


(x  — «)’’  , 


worin  die  Koeffizienten  (a)  (ju  — 1,2,3,...  r)  ganze  rationale 
Funktionen  eines  Parameters  a mit  numerischen  Koeffizienten 
bedeuten.  Diese  Koeffizienten  sind  unabhängig  von  der  darzu- 
stellenden Funktion,  d.  h.  von  den  Konstanten  Cj,  . . . c,, . . . 
die  in  ihrer  Gresamtheit  die  Funktion  definieren.  Für  a = 1 
kommt  man  auf  die  Taylorsche  Reihe  zurück.  Wählt  man 
andrerseits  a hinreichend  klein,  so  erhält  man  für  Sa{x  — a) 
einen  Konvergenzstern,  der  jeden  gegebenen  ganz  innerhalb 
des  Sternes  Ä gelegenen  Bereich  einschließt.  Diese  Tatsache 
legt  uns  die  Frage  nahe,  ob  es  nicht  möglich  ist,  einen  Aus- 
druck S(x-a)  von  der  gleichen  Form  wie  Sa{x—a)  zu  finden, 
der  nicht  mehr  von  dem  Pai'ameter  a ahhängt  und  für  den 
der  Stern  A Konvergenzstern  ist.  Wie  wir  sehen  werden,  läßt 
sich  dieses  Problem  in  vollkommen  elementarer  Weise  beant- 
worten, wenn  man  die  Forderung,  daß  Ä Konvergenzstern  sein 
soll,  fallen  läßt,  indem  man  nur  die  Bedingung  beibehält,  daß 
S{x  — a)  gleichmäßig  für  jeden  innerhalb  Ä gelegenen  Bereich 
konvergieren  soll  und  auf  die  Divergenz  von  S'(a; — a)  in  jedem 
Punkte  außerhalb  Ä Verzicht  leistet. 


144 


G.  Mittag-Leffler 


Sei  nämlich  n eine  gegebene  positive  ganze  Zahl.  Dann 
definieren  wir  einen  Stern  E„  auf  folgende  Weise.  Es  werde 
ein  beliebiger  von  a ausgehender  Halbstrahl  l fixiert.  Bezeichnet 
man  mit  o„  eine  genügend  kleine  positive  Größe  und  trägt  man 
auf  dem  Halbstrahl  von  a aus  die  Länge  {n  — l)g„  ab,  so 
wird  jeder  Kreis  mit  dem  Radius  g„,  der  um  einen  beliebigen 
Punkt  dieser  Strecke  beschrieben  ist,  dem  Hauptstern  A an- 
gehören. Bezeichnet  man  mit  ii„  die  obere  Grenze  der  g„, 
trägt  auf  l die  Länge  n R„  ab  und  läßt  l um  a eine  ganze 
Umdrehung  machen,  so  erhält  man  den  Stern  E„.  Man  sieht, 
daß  der  Stern  E^  der  Kreis  C ist,  ferner  daß  der  Stern  En 
den  Stern  En-\  enthält,  und  daß  alle  Sterne  E.^,  E^,  . . . 
dem  Stern  A angehören. 

Man  sieht  leicht,  '•)  daß  man  immer  n so  groß  wählen 
kann,  daß  En  in  seinem  Innern  jeden  innerhalb  A gelegenen 
Bereich  X enthält. 

Es  sei  (S„  ein  neuer,  zu  En  konzentrischer  und  ähnlicher 
Stern,  der  durch  einen  Halbstrahl  von  der  Länge  ng,  g = Oli,,, 
O<0<1,  erzeugt  werden  soll.  Es  liegt  auf  der  Hand,  daß 
man  immer  O genügend  nahe  an  1 wählen  kann  um  zu  er- 
reichen, daß  jeder  im  Innern  von  En  gelegene  Bereich  in  das 
Innere  von  (§„  fällt. 

Es  werde  nun  mit  ff  die  obere  Grenze  von  F$n(x  — a) 
bezeichnet,  wenn  x dem  Stern  angehört.  Es  sei  ferner  | eine 
Größe,  deren  absoluter  Betrag  t gleich  g ist  und  es  bedeute 
!,,(/<  = 1,  2,  . . . n — 1)  eine  Folge  von  Punkten  auf  dem 
gleichen  Halbstrahl,  von  der  Eigenschaft,  daß  die  Entfernung 
zweier  Punkte  ^„  + i und  den  Wert  g nicht  überschreitet 
und  daß  die  Entfernung  zwischen  ^„_i  und  dem  Begrenzungs- 
punkt von  (Sn  auf  diesem  Halbstrahl  nicht  kleiner  als  g sein 
soll.  Unter  diesen  Voraussetzungen  gilt,  wenn  x dem  Stern 
an  gehört: 


b Vgl.  G.  Mittag-Leffler,  ,Slu-  la  reprcisentation  . . 1899. 

Acta  Matheuiatica,  BJ.  23,  S.  50/51. 

2)  A.  a.  0. 


über  die  analytische  Darstellun; 

F&n  {X  — o) 


etc. 


145 


;.,z 

Dahei-  ist  nach 

Führt 


= + ^)  = £ 

;.,  = o • 

t /,  £<j. 

zz  0 'ü  • 

h dem  Cauchy-Weierstrahschen  Satz: 

. 


'"1  • 

t man  jetzt  eine  neue  Größe  ein,  deren  absoluter 
I' I gleich  &Q  ist  (0  < (?  < 1),  so  erhält  man: 

^1-  r 


: man  andrerseits  ^„_i  = i. 


-2+1,  SO  is 


ist 

0 - 2)  • 

^2  = 0 1 * 2 * 


ly  idai-f-Aj) 

|/,  ./2'  I 

y ,>  _jr, (f.  

Aj  . Ag  . 


0“'ü 


Fn  - 2)  +''■2  I < (J  &'■*  + ^*2 

1 * - • 

£ I - F*h  + '-2)  (f  „ _ 2)  l'h  + '-2 

ij  zz  0 I ■ ^2  • 

;.2=o  • ^2- 

- PO  i + ^2^  ( t 
+ A2! 

j-~  F‘^«+'-2)(^„_2)|'h  + A2 
1 • ^2  • 


^mi  + l 

= ■^(1  - vX 
; m2-|-l 

2)  |'/.1+/.2| 


1 — 
)?'"2+l  1- 


Sitzungsb.  d.  raath.-pliya.  Kl.  Jahrg.  1915. 


10 


146 


G.  Mittag-Left'lei- 


Setzt  man 

+ t')  = F&niin  -2  "H  + 10 

('401  "'2  1 

^ ^ ^ ^ ; r ; ! (!„_,)  e, -\- e„ 

;.,=o  /.o  = o • ‘^2‘ 


(41) 


^1  ^ 

'•1  = ”*1  + • ■'■2 


. 4 ! 

/q  = 0 I 2 

1 


«Hl  00 

^2  = XI  X ^ I A ' 

;.,=0  -iij  = m2+l  1 • 2- 


SO  ist  also 


l«i  £9 
fo  £9 


F^^i  + '-2)(|:„_2)|'''-i  + '-2 
i?’Gt  + ^-2l(^„_2)  ^'■‘1+^2, 

7?Hlj  + 1 

(T— 

•|9”'2+  * 


(42) 


(l-i9)2 

Verfahrt  man  nun  mit  i^^^‘  + ''-2^(|„_<>)  ebenso  wie  früher 
mit  i^^^-‘^(f„_i),  so  erhält  man  durch  Einführung  von 

j/ai+/.2+A3)  (^„_3) 

die  Gleichung: 

F&„  (^„-1  + i‘)  = F§)„  {$„—0  -j- 1'  + 10  = F$„  (^„  _3  + 10 

mj  m2  mg  1 

= X X X ; I ; . ; , F^'■iF■^+’.3^  (f _ 3)  t'^-i+Aj+As  , 

;.,=o  Ajrzo  ;.3=o'^’i‘  ''i'  ■'‘■s- 

wo 

»1,  »ij  00  1 

(43)  e3  = X X X ,i'^(s0.-3)^‘'‘+'“  + '=> 

;.,=o  ;.2=o  /.3  = »i3+i  '‘i  • ''‘■2-  ''3- 

und 

■|9'"3  + * 

Fährt  man  in  dieser  Weise  fort,  so  gelangt  man  schließ- 
lich zu  der  Formel: 


(44) 


F$„  (x  — n)  = 


1 


mj  IH2  H 

X X X 1 ) 1 I ' I 

^,  = 0 ;.2  = 0 /.„zrO'^-l-  '■2'  • ••  '-11  • 


+ ^'2  + ■ 


— a\''i4‘'^-2H — ^ti 


+ + ^'2  + • • ' + ^»1 


Uber  die  analytische  Darstellung  etc. 


147 


wo 


(45) 


«1  ^91 


h I ^9 


(1  — -»f 
^"'2+  ’ 
(1-^^ 


<9 


.ß"‘n  + ' 

(T^ 


Bezeichnet  man  mit  d eine  beliebig  kleine  positive  Größe, 
so  erhält  man  also  durch  genügende  Vergrößerung  der  Zahlen 
m^,  »«2,  . . nin  für  jeden  im  Innern  des  Sternes  gelegenen 
Bereich  X die  Beziehung: 


(46) 


FEn  {x  — a)  — 


«il  ni2  ”*n  2 

^ ^ ^ ; I 3 I TI 

3.1  = 0 3.2  = 0 3„  = 0 >•  2 


J^ai+32+  -/.„)(^^j' 


x — a\  + ■ ■ ■■‘n  j 

j I<<5. 


Zwar  wurde  diese  Ungleichung  nur  unter  der  Voraus- 
setzung bewiesen,  daß  X einem  zu  konzentrischen  und 
ähnlichen  Stern  angehört,  der  in  seinem  Innern  gelegen 
ist  und  durch  einen  Halbstrahl  von  der  Länge 


wp',  q' — 'd  q{0  <,■&  dl) 


erzeugt  wird.  Man  sieht  indessen,  wenn  man  die  beiden 
Größen  # und  0 dem  Werte  1 sich  genügend  nähern  läßt,  daß 
die  Ungleichung  für  jeden  zu  En  konzentrischen  und  ähnlichen 
Stern  und  folglich  für  jeden  innerhalb  E„  gelegenen  Bereich  X 
richtig  ist. 

Setzt  man 

(47)  ==  . ni„  = m 

so  verwandelt  sich  die  Ungleichung  (46)  in') 


')  Vgl.  G.  Mittag-Leffler , „Sur  la  representation  analytique 
d’une  brauche  uniforme  d’une  fonction  monogene,  Note  2.“  1900.  Acta 
Mathematica.  Bd.  24,  S.  201. 


10’ 


148 


6.  Mittag-Leffler 


(48) 

in  m 

lim  ^ Xi  • 

«'=«>  Ai=o  ;.2=o 


■ XI  ; I ; I ; I 


F En  {x  — a)  = 
1 • 


fx  — aY-i+'-2+- 

V w y 


Die  rechte  Seite  dieser  Gleichung  konvergiert  gleichmäßig 
für  jeden  Bereich  X im  Innern  von  E„  und  stellt  folglich 
FEn  {x  — a)  in  einem  solchen  Bereich  dar. 

Von  der  Formel  (48)  gelangt  man  leicht  zu  einem  für 
jeden  Bereich  innerhalb  des  Sternes  A gültigen  Ausdruck. 

Da  nämlich  mfi  — m gesetzt  wurde  (,u  = 1,  2,  . . . m), 
so  ist 


und  folglich 
(49)  'fi|  + k2l  + k3l  + ' 


£i  < I £2  < • ■ • 


■ en\<n\En=ng—-^ 


p m — n. 


Wir  hatten  vorausgesetzt,  daß  # eine  positive  Größe  sein 
soll,  die  dem  Werte  1 beliebig  nahe  kommen  darf.  Also  wächst 


ß = 


l — d 


über  alle  Grenzen,  wenn  d nach  1 strebt. 
Setzen  wir  nun 

{)• 

ß = = lügm(w). 


wo  co{n)  eine  reelle  positive,  mit  n unbegrenzt  wachsende 
Größe  sein  soll,  so  erhalten  wir: 


n ß"  IF  = e 


& ^ loga)(??) 

>Y/*iog 

^ V » I'  p / . p — m -j-  1 — «. 


Setzt  man 


(50) 


m = n (o  (p) , 


über  eine  analytische  Darstellun<(  etc. 


149 


d.  h. 


^ = n CO  (»)  ( 1 + 

\ no)(n)  a>{n)J 

. nßlo^ß 


• 1 . 1 r.  ß^o^n 

so  sieht  man,  dah  sowie 

P 


P 


nach  Null  konvergieren, 


wenn  n unbegrenzt  wächst,  während  ^Slog-^  den  Grenzwert  1 

V 

7) 

annimmt  und  ^ gleichzeitig  mit  n über  alle  Grenzen  wächst. 

Führt  man  nun  in  der  Gleichung  (48)  für  m die  erste 
ganze  Zahl  größer  als  wco(w)  ein,  so  verwandelt  sich  diese 
Gleichung  in  die  Relation: 


+ 


(51)  F A{x  — a)  = 

hm  S U-'-L  ;-T71—^ 

«=®  ;.i=o  /.2=o  /.„=o  ■ '"i \ J 

(m  = erste  ganze  Zahl  größer  als  nco(n)), 

deren  rechte  Seite  gleichmäßig  und  absolut  in  jedem  inner- 
halb des  Sterns  A gelegenen  Bereich  konvergiert.^)  Die  Aus- 


Vgl.  G.  Mittag-Leffler,  „Om  den  analytiska  framställningen 
af  en  allmän  monogen  funktion“.  11  maj  1898.  Öfversigt  af  Kgl.  Vet. 
Ak.  Förhandl.  Stockholm  1898. 

A.  a.  0.,  G.  Mittag-Leffler,  „Sur  la  representation  analytique 
d’une  brauche  uniforme  d’une  fonction  monogene“.  1899.  Acta  Math., 
Bd.  23,  S.  60. 


Der  Ausdruck 

m2  n* 


/.i  = oa2  = o = '^2- ■ • • \ « / 


den  man  in  diesen  Arbeiten  findet  und  der  unter  anderem  in  den  fol- 
genden Werken  wiedergegeben  ist: 

Emile  Borei,  „Le90ns  sur  les  series  divergentes“.  Paris  1901 
(Gauthier -Villars).  Kap.  V,  S.  156— 172; 

G.  Vivanti,  „Theorie  der  eindeutigen  analytischen  Funk- 
tionen“. Umarbeitung  unter  Mitwirkung  des  Verfassers,  deutsch 
herausgegeben  v.  A.  Gutzmer,  Leipzig  1906  (B.  G.Teubner),  S.  351 — 364; 
ist  viel  weniger  einfach  als  der  Ausdruck  (51).  Dieser  ergibt  sich  über- 
dies fast  unmittelbar  aus  den  ersten  Grundbegriffen  der  Theorie  der 


150 


G.  Mittapr-Lett’ler 


drücke  (48)  und  (51)  haben  beide  die  Form  von  Grenzwerten, 
Es  ist  evident,  dals  man  sie  in  Reihen  umformen  kann,  deren 
einzelne  Glieder  Polynome  in.a;  — a sind.  Bezeichnet  man  die 
rechte  Seite  jedes  dieser  Ausdrücke  mit  Ä„(a;),  so  wird  die 
entsprechende  Reihe 


CO 


-F(a)  + ^ (S,„+ 1 ix)  — S,„  (a;)). 


(52) 


Kehren  wir  andrerseits  zurück  zu  unseren  Ausdrücken 


so  sieht  man,  daß  diese  in  der  Form  geschrieben  werden  können: 


analytischen  Funktionen  nach  Weierstraß,  während  die  Herleitung  des 
anderen  Ausdrucks,  obgleich  auf  denselben  Grundlagen  beruhend,  recht 
weitläufig  war. 

Es  ist  noch  zu  bemerken,  daß  man  durchaus  nicht  leichter  ans 


dann  zu  dem  allgemeinen  Falle  mit  Hilfe  des  Cauchyschen  Integrals 
übergeht.  Dies  bedeutet  im  Gegenteil  einen  nutzlosen  Umweg.  Die  Ab- 
leitung für  den  Ausdruck  (51)  ist  vollkommen  identisch  mit  derjenigen, 

die  erforderlich  wäre,  um  das  entsprechende  Resultat  für  — — zu  erhalten. 

* 1 <Tf» 


1 — X 


(Vgl.  das  Buch  von  Herrn  Jacques  Hadamar d,  ,La  serie  de  Taylor 
et  son  prolongenient  analytique“.  Scientia,  Mai  1901,  S.  55  — 60. 

G.  Mittag-Leffler,  „Sur  la  representation  arithmetique  des  fonc- 
tions  analytiques  generales  d’une  variable  coniplexe.“  Atti  de  IV^  Congresso 
internaz.  dei  matematici,  Roma,  6—11  Aprile  1908.  Roma  1909,  S.  75.) 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


151 


Ganz  ebenso,  wie  wir  verfuhren,  um  den  Ausdruck 


(51) 


FA  {x  — a)  — 


''=«=  ;ii=o  ;.2=o  /.„=o  '-n-  \ J 


X — «N'-i  + '-ad 'n 


zu  erhalten,  kann  man  auch  leicht  eine  Beziehung  zwischen  a 
und  der  ganzen  positiven  Zahl  m aufstellen,  derart,  dah  (53) 
für  jeden  innerhalb  A gelegenen  Bereich  konvergiert.  Wir 
legen  der  erzeugenden  Funktion  /’(M|a)  die  gleichen  Bedingungen 
auf  wie  in  den  Fällen 

(26)  = 

nämlich:  es  soll  /’(0|a)  = 0,  /"(l  a)=l,  f{u\\)  = u sein,  es 
soll  ferner  f{u  a)  für  alle  Punkte  des  Kreises  regulär 

bleiben  und  das  durch  f{ti\a)  vermittelte  Bild  dieses  Kreises 
soll  die  Strecke  (0, 1)  immer  enger  umschmiegen,  wenn  a nach 
Null  strebt. 

Unter  diesen  Bedingungen  ist 


F{{x‘  ^a)f{u\a)) 

(54) 

{{x‘  — a)f{u\  a)) 


® ((a;'  —a)f{u\  a))„  =o 

2-1 

dMF{{x‘  — a)f(u  a)) 
du'’ 


Da  diese  Reihe  für  ^u\  = q konvergiert,  wenn  o größer 
als  1,  aber  genügend  nahe  an  1 ist,  so  ist  nach  dem  Cauchy- 
Weierstraßschen  Satz : 


' V ' 


Q 


<1 


und  folglich 

^ ((a;'  _ a)f{u  a))„  = o ' ^ 

r!  =-"'1-1?  ^1  — d ■ 

V = m 4-  l I 


152 


G.  Mitfciig’-Lettler 


Mau  setze  nun: 


a 


m = CO  (w) , 


wo  a)(n)  eine  positive  Grölse  ist,  die  gleichzeitig  mit  n über 
alle  Grenzen  wächst.  Wählen  wir  co  (n)  so,  daß 

_ 1 

§ = e " , 

so  erhalten  wir: 

m 

^ 1 

, — < 0)  (w)^;  = e = e- 

1 17 


Folglich  strebt  der  absolute  Wert  von 

^ (^x‘  — a)  f{u  a))„  ^ 0 

«=  ^ iTi 

F =r  m -j-  1 

nach  Null,  wenn  n ins  Unendliche  wächst,  und  man  erhält 
die  Gleichung: 


(55) 


FA  (x—a)  — lim  XI 

n = » »’  = 1 


(m  = erste  ganze  Zahl  größer  als  co  (»)), 


deren  rechte  Seite  absolut  und  gleichmäßig  für  jeden  im  Innern 
des  Hauptsterns  A gelegenen  Bereich  konvergiert. 

Wie  schon  hervorgehoben  wurde,  besteht  ein  wesentlicher 
Unterschied  zwischen  den  zuerst  erhaltenen  Ausdrücken  (37) 
und  (53)  und  den  neuen  Ausdrücken  (48),  (51)  und  (55).  Die 
ersteren  besitzen,  wie  wir  gesehen  haben,  einen  Konvergeuz- 
stern,  der  sich  A beliebig  nähert,  wenn  ein  gewisser  Para- 
meter a nach  Null  strebt.  In  diesem  Falle  konvergiert  der 
Ausdruck  für  jeden  innerhalb  des  Konvergenzsterns  gelegenen 
Bereich  gleichmäßig,  divergiert  dagegen  in  jedem  Punkt  außer- 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


153 


halb  des  Sterns.  Im  zweiten  Falle  konvergieren  zwar  die  Aus- 
drücke für  jeden  Bereich  im  Innern  von  A,  aber  die  Be- 
dingung, dah  in  jedem  Punkte  außerhalb  Divergenz  bestehen 
.soll,  wurde  unterdrückt. 

Man  kennt  seit  der  im  Jahre  1880  veröffentlichten  Arbeit 
von  Weier.straß  „Zur  Punktionenlehre“  den  wesentlichen  Unter- 
schied, der  zwischen  einem  arithmetischen  Ausdruck^)  und  der 
analytischen  Funktion  besteht.  Man  kann  es  geradezu  als  die 
allgemeine  Regel  bezeichnen,  daß  ein  arithmetischer  Ausdruck 
verschiedene  analytische  Funktionen  darstellt,  und  als  be- 
merkenswerte Ausnahme,  wenn  der  Ausdruck  nur  ein  und  den- 
selben Funktionszweig  darstellt,  aber  außerhalb  eines  gewissen 
Bereiches  keinen  Sinn  mehr  besitzt.  Gerade  dieser  letztere 
Fall  liegt  bei  der  Taylorschen  Reihe  und  ebenso  bei  (37) 
und  (53)  vor.  Insoferne  also  diese  Ausdrücke  diese  wesent- 
liche Eigenschaft  der  Taylorschen  Reihe  aufweisen,  stellen  sie 
eine  wirkliche  Verallgemeinerung  dieser  Reihe  dar. 

Was  nun  andrerseits  die  Ausdrücke  (48),  (51)  und  (55) 
betrifft,  so  liegt  gar  nichts  besonders  Bemerkenswertes  in  der 
Tatsache,  daß  sie  außerhalb  Ä bei  passender  Wahl  der  Kon- 
stanten Cg,  Ci,  . . . konvergieren  können.  Man  kann 

tatsächlich  Ausdrücke  dieser  Art  bilden,  die  für  Kontinuen 
außerhalb  A konvergent  sind  und  für  diese  Kontinuen  analy- 
tische Funktionen  darstellen,  die  mit  der 
durch  die  Konstanten  Cg,  c^,  c.^  ...  c,,  ..  . 
definierten  Funktion  nichts  zu  tun  haben. 

Es  ist  sogar  der  Fall  nicht  ausgeschlos-  a 
sen,  daß  ein  solcher  Ausdruck  gleich- 

, . . Die  starken  Linien  sind  Teile 

mäßig  für  einen  zweidimensionalen  Be-  Begrenzung  des  stems. 


0 Monatsber.  d.  Kgl.  Akad.  d.  Wiss.  vom  12.  Aug.  1880.  Weier- 
straß, Werke,  Bd.  2,  S.  201—233. 

Die  Bezeichnung  „arithmetischer  Ausdruck“  im  Gegensatz  zu  „ana- 
lytische Funktion“  findet  sich  bei  Weierstraß  nicht.  Sie  wurde  in  diesem 
Sinne  anscheinend  das  erste  Mal  in  der  Abhandlung:  „Sur  la  represen- 
tation  des  fonctions  monogenes  uniformes  . . .“  von  G.  Mittag-Leffler 
angewendet.  Acta  Math.,  Bd.  4,  S.  1—79. 


154 


G.  Mittag-LetFler 


reicli  konvergiert,  der  zum  Teil  in  das  Innere,  zum  Teil  in  das 
Außere  des  Sterns  A fällt.  (Die  schraffierte  Figur.)  Er  würde 
also  für  diesen  Bereich  eine  Fortsetzung  des  Funktionszweiges 
Fä{x)  darstellen.  Man  kann  auch  erreichen,  daß  ein  solcher 
Ausdruck  hei  passender  Wahl  der  Konstanten  c^,  Cj , . . . c,, . . . 

auf  einem  Abschnitt  eines  Halbstrahls  gleichmäßig  konvergiert, 
der  vom  Anfangspunkt  ausgehend  beliebig  weit  über  den  Be- 
grenzungspunkt des  Sterns  hinausreicht,  und  auf  diesem  Ab- 
schnitt eine  stetige  Folge  von  Werten  annimmt;  dabei  können 
die  Werte,  die  dem  außerhalb  des  Sterns  gelegenen  Teil  ent- 
sprechen, in  vollkommen  willkürlicher  Weise  gewählt  werden. 

Nichtsdestoweniger  scheint  es  beim  ersten  Blick  nicht  aus- 
geschlossen, daß  Ausdrücke  von  der  Form 

lim  G{x;  n) 

{(jr{x  \ n)  = ganze  rationale  Funktion  von  x,  deren  Glieder  sich 
von  Cf,,  c^x,  c^x^ , . . . nur  um  numerische  Faktoren  unter- 
scheiden, die  von  dem  Parameter  n abhängen.)  existieren,  für 
welche  der  Stern  A immer  Konvergenzstern  bleibt,  gleichviel, 
wie  man  die  Konstanten  Cg,  c,,  . . . c„  . . . auch  wählt.  Herr 

Borei  hat  durch  eine  tiefgehende  Untersuchung  gezeigt,  daß 
dies  nicht  der  Fall  ist.  Herr  Phragmen  ist  noch  weiter  ge- 
gangen, indem  er  zeigte,  daß  es  auch  dann  nicht  der  Fall  sein 
kann,  wenn  man  unter  G{x\n)  ein  ganze  transzendente  Funk- 
tion versteht. 

Zu  diesem  bemerkenswerten  Resultat  kann  man  auf  fol- 
gende Weise  gelangen. 

Wir  setzen  voraus,  es  sei 

, ^ Cy 

(56)  J^M(a:)  = lim  ^(r,  co)  ^ x*' , 

fo  = a)  ,,_Q  r. 

wo  o)  reell  und  positiv  ist  und  die  (r,  co)  numerische  Koeffi- 
zienten bedeuten,  die  von  v und  co  abhängen,  während  die 
Reihe 

')  „Le^ons  sur  les  series  divergentes.“  Paris  1901.  (Gauthier-Villars.) 
S.  172—175. 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


S 

v = 0 

für  jeden  positiven  Wert  von  to  eine  in  Bezug  auf  x stets 
konvergente  Reihe  sein  soll.  Es  wird  ferner  angenommen,  daü 
die  obere  Grenze  von 

i 00  C I 

i 

I 0 ■ I 

für  jeden  endlichen  Bereich  von  o),  x endlich  ist. 

Wir  setzen 

00 

(57)  G(x;  aj)  = '^{v,  (n)x''  (stets  konvergente  Reihe),  d.  h. 

v = 0 

(58)  - — = lim  G{x;  w). 

i X fcü  = 00 

Der  Hauptstern  dieser  Funktion  ist  die  ganze  Ebene  außer 
der  Geraden  (1,  oo). 

Es  werde  andrerseits  angenommen,  daß  der  Hauptstern 
der  durch  die  Konstanten  c^,  c^,  c.^,  ■ ■ . c,.  . . definierten  Funk- 
tion der  Kreis  ! x | <C  1 ist  und  daß  diese  Funktion  auf  folgende 
Weise  definiert  werde. 

Wir  wählen  auf  der  Peripherie  des  Kreises  die  Punkte 
ciq  = (2  = 1,  2,  3,  . . .)  in  der  Art,  daß  sie  eine  auf  dem 

Kreisumfang  überall  dichte  Menge  bilden,  daß  indessen  die 
Punkte  X = \ und  x = — 1 nicht  zu  ihnen  gehören. 

Wir  nehmen  ferner  positive  Größen  (g  = 1,  2,  3,  . . .) 
derart  an,  daß 

CO 

die  Reihe  konvergiert. 

?=  > 

Aus  diesen  beiden  Voraussetzungen  schließt  man  mit  Hilfe 
des  Weierstraßschen  Satzes  über  iterierte  Reihen  die  Gleichung: 


deren  rechte  und  linke  Seite  beide  mindestens  für  X\<i\ 
konvergieren. 


156 


G.  Mittag-Leffler 


Man  kann  indessen  auch  folgern,  dals  der  Kreis  u;  | < 1 
der  Hauptstern  dieser  beiden  Ausdrücke  ist.  Um  dies  einzu- 
sehen, fixieren  wir  einen  der  Punkte«,,  etwa  «,,  = Setzt 

man  x = re^P,  >' <C  1 1 so  erhält  man: 


GO  yi 

L'  - 

9=1  1_ 


<1 

X 


nl) 


1 »(©n-'y«)’ 

1 — r e ^ * 


wobei  die  Summe  auf  der  rechten  Seite  sich  über  alle  Glieder 
außer  dem  erstreckt.  Der  reelle  Teil  der  rechten  Seite  ist: 


1 — 9 


1 — ■ r cos  ( &p  — (9,) 


sin'^  ( (9p  — 0,)  -j-  (r  — cos  ( 0^  — 0,))^ 


Jeder  dieser  Terme  ist  positiv.  Dieser  reelle  Teil  wächst 
daher  unbegrenzt,  wenn  x auf  einem  Radius  sich  dem 

Punkte  üp  nähert.  Andrerseits  sind  diese  Punkte  auf  dem  Um- 
fang des  Kreises  \x  <il  überall  dicht.  Es  ist  daher  unmög- 
lich, (59)  über  den  Kreis  hinaus  fortzusetzen,  der  folglich  den 
Hauptstern  von  (59)  vorstellt. 


Nunmehr  unterwerfen  wir  die  zwei  neuen  Bedingungen: 


1.  Die  Reihe 


9 = • 


Ä, 

sin  0, 


soll  konvergent  sein. 

Man  zieht  aus  dieser  neuen  Voraussetzung  eine  wichtige 
Folgerung.  Ist  nämlich  x reell  und  positiv,  so  ist 


= 1 — ■ X cos  0,  -j-  i a:  sin  0, 1 = U^l  — 2 x cos  0,  -j-  x^ 
= ]/ sin^  &q  -\-  (x  — cos  0,)^ . 


Die  rechte  Seite  dieser  Gleichung  nimmt  ihr  Minimum  für 
.;c  = cos0„  an  und  wird  in  diesem  Falle  gleich  sin  0o  . 


Die  Reihe 


00  A 

9=  ' I • 


über  die  analytisclie  Darstellung  etc. 


157 


ist  folglich  gleichmäßig  konvergent  für  jeden  Bereich  0<a;<X, 
wenn  X eine  beliebige  positive  Größe  bedeutet. 

2.  Sei  q eine  feste  Zahl.  Dann  hat,  wie  man  leicht  sieht, 
der  absolute  Wert 


G ' ;a> 

1 _ V«7 

a, 

für  0<a;<X  und  0 < co  immer  eine  endliche  obere  Grenzeil/,. 

In  der  Tat,  bezeichnet  man  mit  d eine  beliebig  kleine 
Zahl,  so  kann  man  immer  eine  Größe  co  so  groß  bestimmen,  daß 


<;  <5;  CO  ^ CO. 


Andrerseits  hat 


1 1 

-a\ 

( X \ 

- - - 

— ; 0)] 

1-^ 

«9 

U9  J. 

in  Anbetracht  der  über  die  und  über  Ct{x\  co)  gemachten 
Voraussetzungen  eine  endliche  obere  Grenze. 

Unsere  zweite  Bedingung  soll  jetzt  lauten: 

Die  Reihe  ^ 

9 = 1 

konvergiere. 

Aus  diesen  verschiedenen  Vorausisetzungen  folgt,  daß  die 


wo  CO  einen  beliebigen  positiven  Wert  haben  soll,  gleichmäßig 
für  jeden  Bereich  0 ^ a;  < X konvergiert  und  daß 


lim 

(O  = oo 


= 0. 


158 


G.  Mittag-Lett'ler 


Man  erhält  daher: 


(60)  lim  A,g(^  ■,  0^  = ^ Q^x^X. 

" = =°  };=  1 V®?  / 9 = 1 j 

(tq 

Nun  ist  (vgl.  (57)): 

CO  /'T*  \ 00  00 

^;co)=SAL('’>  ")(-)  • 

Für  festes  co  und  beliebiges  g besitzt  der  absolute  Wert 

von  für  {R  sei  eine  beliebige  positive  Größe) 

eine  bestimmte  endliche  obere  Grenze. 

00 

Da  die  Reihe  Ag  konvergiert,  so  ist  die  Reihe 

9 = 1 

9 = 1 / 

für  \x . R gleichmäßig  konvergent. 

Setzt  man  also 


(f'i)  ü:  = £ ('■gl-  (59)), 

9 = 1 

SO  ist 


^ ^9  G ( ^ ; (0  ) = £;  ()',  co)  X'  -,  X < R (vgl.  (57)) 

9=1  W«  / V=0 

und  man  erhält 


(62) 


9=11—' 


i]0’,  (o) 

1=0  • 


Dieser  Ausdruck  hat  den  Kreis  a;;<;l  als  Hauptstern. 
Er  stellt  im  Innern  desselben  den  Funktionszweig  F A{x)  dar 
(vgl.  (56)),  der  durch  die  Reihe 

£ -’  a:’'  (vgl.  (59),  (61)) 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


159 


definiert  ist,  und  konvergiert  nicht  allein  im  Innern  des  Haupt- 
sternes A,  sondern  er  ist  sogar  für  jeden  Bereich  0 < a;  < X 
gleichmäßig  konvergent,  wo  X eine  beliebig  große  positive  Zahl 
bedeutet. 

Die  Ergänzung  des  Borelschen  Satzes  durch  Herrn  Phragmen 
ist  von  Bedeutung.  Man  kann  tatsächlich  sehr  elegante  Aus- 
drücke vom  Typus  (56)  bilden,  die  F'Ä(x)^)  darstellen.  Man 
mußte  daher  fragen,  ob  es  nicht  hier  möglich  wäre,  was  im 
Falle  des  Herrn  Borei 

tu  ^ 

lim  ^ (r,  m)  ’’  {x  — a)’’ 

m = x ,,_0  I’. 

nicht  anging,  nämlich  Ausdrücke  von  der  Form  (56)  zu  finden, 
die  nirgends  außerhalb  A konvergent  sind. 

Das  eben  behandelte  Problem  hat  nichts  zu  tun  mit  einem 
anderen,  von  welchem  Herr  Borei  eine  interessante  Lösung 
gefunden  hat.  ^)  Er  weist  durch  ein  sehr  sinnreiches  Beispiel 
die  Existenz  analytischer  Funktionen  nach,  die  eine  auf  natür- 
liche Weise  definierte  lineare  Fortsetzung  über  ihren  Existenz- 
bereich hinaus  besitzen.  Um  zu  diesem  Ergebnis  zu  gelangen, 
muß  man  den  Begrilf  der  Derivierten  erweitern.  Man  geht 
nämlich  nicht  mehr  durch  alle  Punkte  in  der  Umgebung  eines 
bestimmten  Punktes  zur  Grenze  über,  sondern  nur  durch  solche 
Punkte,  die  eine  auf  gewisse  Weise  definierte,  überall  dichte 
Menge  bilden.  Das  Wesentliche  ist,  daß  die  Funktion  in  ihrem 
ganzen  Existenzbereich  durch  die  Gesamtheit  ihrer  Derivierten 
in  einem  bestimmten  Punkt  eindeutig  gegeben  ist.  Kennt  man 


Beispielsweise : 


FA  {x)  lim 


(a-D!  1 


(a-2)!2!  ^ /’ 


a = 


00 


siehe  M ittag-Leffler,  ,Sur  la  representation  arithraetique  des  fonc- 
tions  analytiques  generales  d’une  variable  complexe.'  Atti  del  IV  Con- 
gresso  internaz.  dei  Matematici.  Roma,  6 — 11  Aprile  1908,  S.  82. 

-)  Emile  Borei,  , Definition  et  domaine  d’existence  des  fonctions 
monogenes  uniformes.“  Proceedings  of  the  fifth  international  congress 
of  Mathematics,  vol.  I,  S.  133 — 144. 


G.  Mittajj-Leffler 


1()0 


diese  Ableitungen,  so  ist  die  Funktion  Yollständig  gegeben, 
ganz  wie  es  bei  den  analytischen  Funktionen  der  Fall  ist. 

Ungeachtet  des  Interesses,  das  dieser  neue  Gedanke  des 
Herrn  Borei  erweckt,  erscheint  es  mir  nicht  angebracht,  hierin 
den  Ausgangspunkt  einer  neuen  Theorie  der  analytischen  Funk- 
tionen zu  erblicken,  welche  allgemeiner  als  die  klassische  Theorie 
wäre  und  diese  als  Spezialfall  enthielte.  Man  müßte  hiefür 
zeigen  können,  daß  die  Funktionen  des  Herrn  Borei  in  natür- 
licher Weise  in  einem  von  der  Wissenschaft  selbst  gestellten 
Problem  auftreten  und  keine  künstliche  Konstruktion  sind,  wie 
es  so  viele  in  den  entlegenen  Gebieten  der  allgemeinen  Theorie 
der  (nicht  analytischen)  Funktionen  gibt. 

Herr  Borei  hat  gezeigt,  daß  seine  Funktion  durch  einen 


Ausdruck 


lim  G(x;  m) 


m z=  00 


= ganze  rationale  Funktion  mit  dem  Parameter  w.) 
dargestellt  wird , der  nicht  nur  im  Innern  des  Hauptsterns 
Gültigkeit  besitzt,  sondern  auch  für  die  linearen  Fortsetzungen 
der  Funktion,  die  in  der  von  ihm  angegebenen  Weise  ge- 
bildet werden. 

Indessen  hat  er,  wie  es  scheint,  nicht  gezeigt,  daß  sein 
Ausdruck  keine  andere  I’olge  von  Werten  darstellen  kann,  die 
mit  der  ursprünglich  gegebenen  Funktion  nichts  zu  tun  haben. 

Aber  gerade  diese  Frage  erhebt  sich  hier  wieder,  ob  man 
einen  nur  im  Existenzbereich  der  Funktion  konvergenten  Aus- 
druck bilden  kann,  in  den  von  der  Funktion  nur  die  Kon- 
stanten Cq,  Cj,  Cg  . . . . . . eingehen,  die  der  einzigen  Bedingung 

genügen  sollen,  daß 

O O ' V 


endlich  ist.  Würde  ein  solcher  Ausdruck  existieren,  der  gleich- 
zeitig vom  formalen  Gesichtspunkte  aus  einfach  genug  wäre, 
so  könnte  man  die  Potenzreihe  als  Ausgangspunkt  der  Theorie 
der  analytischen  Funktionen  verlassen  und  durch  diesen  neuen, 
vollkommeneren  BegriflP  ersetzen. 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


161 


Anhang. 


Ein  Satz  des  Herrn  Marcel  Riesz. 

„Es  bedeute  F{z)  eine  Funktion  der  komplexen  Vei'änder- 
lichen  z,  die  in  dem  Sterne  D 

2\<R  (i2>l) 


<1  arg  {z  — 1 ) <1  2 71  — 


einschließlich  der  Begrenzung  stetig  und  in  demselben  Bereiche 
mit  Ausnahme  des  Punkte  2 = 1 regulär  ist. 


Unter  dieser  Voraussetzung  ist  die  Reihe 

%-{■  2 2^  + • • • .5"  + • • • , 


die  im  Innern  des  Konvergenzkreises  6’ (;^j  =1)  die  Funktion  F{2) 
darstellt,  in  dem  Bereiche  i^|  < 1 gleichmäßig  konvergent.“ 
Die  Begrenzung  des  Sterns  B wird  offenbar  von  einem 
Kreisbogen  mit  dem  Radius  R und  zwei  vom  Punkte  2 = 1 

O 

ausgehenden  Strecken  gebildet.  Ohne  Beschränkung  der  All- 
gemeinheit des  Satzes  können  wir  i^(l)  = 0 annehmen.  Es 
werde  nun  mit  F eine  Figur  von  gleicher  Gestalt  wie  B be- 
zeichnet, bei  der  der  Kreisbogen  mit  dem  Radius  R durch 
einen  Kreisbogen  vom  Radius  r (1  < r < AI)  ersetzt  ist,  den 
wir  auf  folgende  Weise  bestimmen: 

Sitzungsb.  d.  math.-pbys.  Kl.  Jahrg.  1915. 


11 


162 


G.  Mittag-Leftler 


Wir  bezeichnen  mit  s eine  beliebig  kleine  Größe  und 

wählen  r so  nahe  an  1,  daß  auf  dem  geradlinigen  Teile  der 

Figur  r T-i/  s ^ 

F(2)\^e. 

Die  Schnittpunkte  der  geradlinigen  Teile  der  Begrenzung 
von  r mit  dem  Kreisbogen  vom  Radius  r bezeichnen  wir  mit 
und 

Dann  sagt  ein  bekannter  Satz  Cauchys: 

a„  = ^ . r d2  = ~\i dz  + ? ^ dz 

27llJ  Z”  + ‘ 27ll[j  z"  + ^ J z'‘+' 


rFiz) 

J + ‘ 


dz\. 


Nun  ist 


d z\  ]dz\ 


r F(z)  ' C \dz\  r d z\  .dz 

J _j,n+l  + l d\2 


<_^  f ..  'i 

— cos  d J z\”  + ^ ncosd  \ J 


und  ebenso 


; £i 


f ^ i (i_  \ 

J z’‘  + ^ n cos  V \z  " J 
j I ' I ■‘i  i ' 

Bezeichnen  wir  die  obere  Grenze  von  |i^(^)|  in  dem 
Sterne  D mit  g,  so  ist  noch 


1 r F(z) 

2 i J * 


dz'< 


9 


1 n 
n r" 


Versteht  man  unter  (5  eine  neue  beliebig  kleine  positive 
Größe,  so  ist  für  genügend  großes  n\ 


über  die  analytische  Darstellung  etc. 


163 


und  folglich: 

I 

1 rF(^)  d 

2jzi  J n 

‘i 


Man  erkennt  also,  daß 


£ 

|a„|<  , soferne  n>N, 

n — 

wenn  e beliebig  klein  und  N hinreichend  groß  gewählt  ist.') 

Es  folgt  nunmehr  aus  dem  Tauberschen  Satz,^)  daß  die 
Gleichung  .stattfindet 

F{s) 

n = 0 


1)  Dieser  von  Herrn  Hardy  gegebene  Beweis  wurde  mir  von  Herrn 
Marcel  Riesz  mitgeteilt. 

2)  Tauber,  ,Ein  Satz  aus  der  Theorie  der  unendlichen  Reihen.“ 
Monatshefte  für  Mathematik  und  Physik,  Bd.  8,  1897,  S.  274 — 275. 


Es  sei  eine  Potenzreihe 


gegeben,  für  die 


F{.x)  = U A;„a;n 

n = 0 

lim  nh^  = 0 . 

n=  3> 


Es  werde  ferner  vorausgesetzt,  daß  F(x)  gegen  einen  bestimmten,  mit 
F{z)  bezeichneten  Grenzwert  konvergiert,  wenn  x längs  eines  Radius 
gegen  den  auf  dem  Kreisumfang  \ z\  = \ gelegenen  Punkt  z strebt.  Unter 
diesen  Voraussetzungen  konvergiert  die  Reihe 

^Kzn 

n = 0 


gegen  den  Wert  F{z).  Ist  die  zweite  Bedingung  für  eine  Punktmenge 
des  Kreisumfanges  z\  = \ gleichmäßig  erfüllt,  so  ist  die  Konvergenz 
der  Reihe 

»1  = 0 


für  alle  Punkte  dieser  Menge  eine  gleichmäßige. 

Der  Beweis  kann  in  das  System  folgender  Formeln  zusammengefaßt 
werden : 


11 


164 


G.  Mittag-LetfJer,  Über  die  analytische  Darstellung  etc. 


und  zwar  nicht  nur  im  Punkte  .^  = 1,  sondern  auf  dem  ganzen 
Umfange  ls\  = l,  und  daß  die  Konvergenz  von 

^ a„  2”  für  I ■ä'  I 1 

n=0 

eine  gleichmäßige  ist. 


N.  ^L<1. 


F{z)-  i:Kz\<d-.  n 

v = 0 \.=0  ''  ^ r=0  / 

('-  j) '+ y"  y>y 

v=:0  ' ' r = 0 ' 'v  = n-f'l  ^ ' 

='(‘-r' 

1- 

\ nj  n 

" / / l\v\  " r K 1 1 " 

v=0  ' ' ^ v = 0 v = 0 

1 ^ , (n—m)s 

- 2-1^  ^ • 

n ,,  — n 

Folglich: 


m - i:.  <v  - 1 * ^ + i s I + i)  • 


v = 0 


v = 0 


165 


Eine  geometrische  Aufgabe. 

Von  E.  Czuber. 

V'orgelej't  von  W.  v.  Dyck  in  der  Sitzung  am  9.  Januar  1915. 


1.  Der  allgemeine  Fall. 

1.  Drei  nicht  orientierte  Gerade  in  einer  Ebene  bestimmen 
in  dieser  zwei  Systeme  ähnlicher  Dreiecke,  S und  S‘;  jede  zwei 
Dreiecke  desselben  Systems  sind  perspektiv  ähnlich  in  Bezug 
auf  einen  äußeren  Ähnlichkeitspunkt,  und  jedes  Dreieck  aus 
dem  einen  System  ist  mit  jedem  Dreieck  aus  dem  andern  per- 
spektiv ähnlich  in  Bezug  auf  einen  innern  Ähnlichkeitspunkt. 

Sind  m,  n,  p,  Fig.  1,  die  drei  Geraden,  so  ziehe  man  zu 
einer  von  ihnen,  z.  B.  zu  m,  eine  Parallele  und  nehme  auf 
dieser  zwei  Punkte  N,  P in  der  einen,  oder  N' , P‘  in  der  ent- 
orecrengesetzten  Richtung  an.  Durch  N und  N‘  ziehe  man  je 
eine  Parallele  zu  p,  durch  P und  P'  je  eine  Parallele  zu  w; 
dadurch  entstehen  zwei  ähnliche  Dreiecke  MNP,  31'  N' P'  mit 
entgegengesetztem  Umlaufssinn.  Alle  zu  31 N P ähnlichen  und 


Fig.  1. 


166 


E.  Czuber 


ähnlich  liegenden  Dreiecke  bilden  das  eine  System  S,  alle  zu 
J[' N' P'  ähnlichen  und  ähnlich  liegenden  Dreiecke  das  andere 
System  S‘.  Die  weiteren  Aussagen  bedürfen  keiner  Begründung. 

2.  Das  Problem,  um  dessen  Lösung  es  sich  handelt,  be- 
steht in  folgendem. 

In  der  Ebene  der  drei  Geraden  m,  n,  p ist  ein  Drei- 
seit  abc  mit  den  Ecken  A,  JB,  C gegeben.  Es  sind  jene 
Dreiecke  der  durch  m,  n,  p bestimmten  Systeme  zu 
konstruieren,  deren  Ecken  auf  den  Seiten  von  ABC 
liegen. 

ln  anderer  Formulierung: 

In  einer  Ebene  ist  ein  Dreiseit  abc  und  ein  Drei- 
eck MNP  gegeben.  Man  soll  dem  Dreiseit  alle  Drei- 
ecke einschreiben,  die  dem  gegebenen  perspektiv  ähn- 
lich sind. 

3.  Da  nach  Art.  1 alle  zu  MNP  perspektiv  ähnlichen 
Dreiecke  durch  die  drei  Geraden  m,  w,  p gegeben  sind,  so  kann 
die  Lösung  wie  folgt  in  Angriff  genommen  werden. 

Man  führe,  Fig.  2,  zwischen  irgend  zwei  Seiten  des  Drei- 
seits,  z.  B.  zwischen  b und  c.  Transversalen  parallel  zu  irgend 
einer  der  drei  Geraden,  z.  B.  zu  m,  und  lege  durch  die  End- 
punkte N,  N\  . . . Parallele  zu  p,  durch  die  Endpunkte  P,  P',  . . . 
Parallele  zu  n.  Dann  liegen  die  Schnittpunkte  31,  fIP,  . . . 
homologer  Paare  auf  einer  Geraden,  die  durch  A geht;  und 
diese  Gerade  schneidet  die  Gegenseite  a in  einem  Punkte  3)1, 
der  bereits  ein  Eckpunkt  eines  der  gesuchten  Dreiecke  ist,  von 
dem  aus  dieses  selbst  durch  bloßes  Ziehen  von  Parallelen  er- 
halten wird. 

Zur  Begründung  sei  bemerkt,  daß  N,  N\  . . . und  P,  P',  . . . 
ähnliche  Punktreihen  in  perspektiver  Lage  sind;  infolgedessen 
bilden  auch  die  hindurchgeführten  Parallelstrahlen  ähnliche 
Büschel  in  perspektiver  Lage,  deren  Erzeugnis  eine  Gerade  ist, 
die  notwendig  durch  den  gemeinsamen,  sich  selbst  entsprechen- 
den Punkt  A der  Punktreihen  läuft. 

Dieser  letzte  Umstand  bewirkt,  daß  zur  Konstruktion  von 
iDJ  nur  eine  Transversale,  NP,  erforderlich  ist. 


Eine  greonietrische  Aufgabe. 


167 


168 


E.  Czuber 


Vertauscht  man  die  Bezeichnung  der  Endpunkte  und  führt 
die  Konstruktion  wie  früher  weiter,  so  kommt  man  zu  dem 
Eckpunkt  SJJj  eines  zweiten  Dreiecks  S(}?j  “iß,  von  der  ver- 
langten Beschaffenheit. 

4.  Dieses  Konstruktionsverfahren  läßt  sich  zweckmäßig  in 

folgender  Art  weiter  ausbilden.  Man  verlege,  Fig.  3,  die  zu 
m parallele  Transversale  nach  dem  Eckpunkt  B,  gebe  ihr  also 
die  Lage  BM*\  verzeichnet  man  nun  über  BM*  als  Diagonale 
ein  Parallelogramm  dessen  Seiten  die  Richtungen  n 

und  j)  haben,  und  projiziert  die  Gegenecken  Mj,  Mg  aus  A 
auf  a,  so  erhält  man  die  Eckpunkte  9J?,,  3J?2  beiden  Drei- 
ecke, die  vorhin  getrennt  behandelt  worden  sind. 

Diese  Dreiecke  haben  das  gemeinsame  Merkmal,  daß  die 
Seite  von  der  Richtung  m der  Ecke  Ä des  Dreiseits  in  dem 
Sinne  zugeordnet  ist,  daß  ihre  Endpunkte  auf  den  durch  A 
laufenden  Seiten  liegen. 

5.  Man  kann  unter  Beibehaltung  des  Seitenpaares  b,  c mit 
den  Geraden  «,  p ebenso  Vorgehen,  wie  man  soeben  mit  der 
Geraden  m verfahren  ist,  und  erhält  auf  diese  Weise  sechs 
eingeschriebene  Dreiecke.  Die  andern  Seitenpaare,  ebenso  be- 
handelt, führen  zu  keinen  neuen  Dreiecken  mehr;  vielmehr  ist 
jedes  so  konstruierte  Dreieck,  wie  eine  einfache  Überlegung 
zeigt,  unter  den  bereits  gezeichneten. 

Es  ergibt  sich  also  zur  Lösung  der  Aufgabe  das  folgende 
Verfahren. 

Man  ziehe  durch  B die  Transversalen  B31*,  BN*,  BP* 
parallel  zu  m,  n,  p bis  zur  Gegenseite  h:  verzeichne  über  diesen 
Transversalen  als  Diagonalen  die  Parallelogramme  7:?M, 

B1I.P*II^,  deren  Seiten  beziehungsweise  die  Rich- 
tungen n,  p;  p,  m;  w,  n haben;  projiziere  die  Eckpunkte  Mj, 
M.^,  Nj,  N^,  i/j,  7/g  aus  A auf  die  Gegenseite  a,  so  hat  man 
in  den  Projektionen  Tlt, , 97^,  ‘ißg  je  einen  Eckpunkt 

für  jedes  der  sechs  Dreiecke,  von  denen  aus  diese  selbst  durch 
bloßes  Ziehen  von  Parallelen  verzeichnet  werden  können. 

Dieses  Verzeichnen  kann  noch  durch  folgende  Bemerkung 
erleichtert  werden.  Die  Transversalen  B3I*,  BN*,  BP*  können 


Eine  geometrische  Aufgabe. 


169 


ebensogut  auf  das  Seitenpaar  a,  ö bezogen  werden  wie  auf  b,  c. 
Folglich  liefern  die  Projektionen  derselben  sechs  Punkte  Mj, 
Mj,  N3,  N^,  //.,  Ilg  aus  C auf  c andere  sechs  Eckpunkte,  die 
sich  auf  die  Dreiecke  verteilen.  Diese  Verteilung  ergibt  sich 
daraus,  daß  jeder  der  neuen  sechs  Punkte  mit  einem  der 
früheren  auf  einer  Geraden  liegen  muß,  die  zu  einer  der  drei 
Geraden  m,  n,  p parallel  i.st.  Dadurch  ist  dann  auch  die  Be- 
zeichnung der  neuen  sechs  Punkte  und  somit  auch  die  der 
Eckpunkte  auf  der  dritten  Seite  b bestimmt.  Die  Bezeichnung 
ist  hier  so  gewählt,  daß  ein  Eckpunkt  jenen  großen  Buch- 
staben trägt,  welcher  dem  kleinen  Buchstaben  entspricht,  der 
die  Richtung  der  gegenüber  liegenden  Seite  anzeigt. 

Es  braucht  nicht  betont  zu  werden,  daß  statt  der  Ecke  B 
auch  jede  der  beiden  andern  hätte  verwendet  werden  können. 

Damit  ist  alles  gesagt,  was  zur  Durchführung  und  zum 
Verständnis  der  Fig.  4 erforderlich  ist. 


L 


170 


E.  Czuber 


Die  18  Ecken  der  sechs  Dreiecke  verteilen  sich  auf  die 
Seiten  von  ABC  in  dem  vorliegenden  Falle  wie  folgt: 

Auf  a liegen 

, c , 93?,,  573, 573,^3,^,; 

oder  in  anderer  Anordnung:  Es  liegen  die  Ecken 


93?,,  97.,  93?„  97^,  %\;  m,,  93?„  97„ 

93?3,  973,  93?3,  97e,  ^3 


beziehungsweise  auf 

a,  b,  c’,  a,  c,  b;  b,  a,  c;  c,  a,b\  b,  c,  a-,  c,  b,  a. 


Zu  bemerken  ist,  daß  die  Punkte  M,,  Mg  sowohl  bei  dem 
Projizieren  aus  Ä auf  a wie  auch  bei  dem  Projizieren  aus  C 
auf  c Punkte  von  der  Art  93?  geben;  das  gleiche  gilt  bezüg- 
lich N3,  N4  und  /Zg,  77g. 

Ist  die  Aufgabe  so  gestellt:  Dem  Dreiseit  abc  ein  Dreieck 
mit  den  Seitenrichtungen  m,  n,  p einzuschreiben  in  der  Weise 
daß  zwischen  Ecken  und  Seiten  eine  bestimmte  Zuordnung 
eingehalten  wird,  daß  z.  B.  die  Seite  von  der  Richtung  ni 
zwischen  c und  a,  die  Seite  von  der  Richtung  n zwischen  b 
und  c,  endlich  die  Seite  von  der  Richtung  p zwischen  a und  b 
verläuft,  so  handelt  es  sich  nach  der  obigen  Zusammenstellung 
um  das  Dreieck  93?3  973  ^3 ; zu  seiner  Konstruktion  braucht  man 
nur  das  Dreieck  BN*^^  zu  verzeichnen;  denn  die  Projektion 
von  N3  aus  A auf  a gibt  die  Ecke  973,  von  der  aus  das  ganze 
Dreieck  hergestellt  werden  kann. 

6.  Zu  einer  andern  Methode  der  Lösung  führen  die  fol- 
genden Erwägungen. 

Dem  Dreiseit  abc  sei  ein  Dreieck  93? 97^  eingeschrieben. 
Wir  ordnen  dessen  Seiten  97^33,  ‘33937,  9)797  den  Ecken  A,  B,  C 
zu  nach  der  aus  Fig.  5 ersichtlichen  Gesetzmäßigkeit  und  ziehen 
durch  A eine  Parallele  zu  97*33,  durch  B eine  Parallele  zu 
3393?,  durch  C eine  Parallele  zu  93?97.  Dadurch  entsteht  ein 
ABC  umschriebenes  Dreieck  MNP  mit  zu  93? 9? 33  parallelen 
Seiten.  Wir  ordnen  die  Ecke  M der  Seite  BC  us\v.  zu,  wie  das 


Eine  geometrische  Aufgabe. 


171 


der  Figur  unmittelbar  zu  entnehmen  ist.  Die  Dreiecke 
und  MNP  als  perspektiv  ähnlich  besitzen  einen  Ähnlichkeits- 
punkt 0,  der  durch  Ziehen  der  Verbindungslinien  homologer 
Ecken  erhalten  wird.  Die  homologe  Ecke  zu  M liegt  auf  der 
M zugeordneten  Seite  von  ABC  usw. 


P 


Ist  umgekehrt  neben  dem  Dreiseit  abc  ein  ihm  umschrie- 
benes Dreieck  MNP  gegeben  und  soll  das  dem  letzteren  zuge- 
ordnete perspektiv  ähnliche,  abc  eingeschriebene  Dreieck  be- 
stimmt werden,  so  genügt  es,  den  Ähnlichkeitspunkt  0 zu 
kennen;  durch  Projizieren  der  Ecken  von  MNP  aus  0 auf 
die  zugeordneten  Seiten  von  ABC  ergeben  sich  die  Ecken 
von 

Um  0 zu  finden,  überlege  man  wie  folgt. 

Die  Seite  3^^  befindet  sich  in  der  Schar  der  zu  NP 
parallelen  Transversalen  zwischen  b und  c;  diese  Transversalen 
bestimmen  auf  b und  c zwei  ähnliche,  perspektiv  liegende 
Punktreihen,  und  projiziert  man  diese  aus  N,  beziehungsweise 
P,  durch  Strahlenbüschel,  so  sind  diese  projektiv  und  perspektiv 
liegend  und  erzeugen  somit  einen  in  zwei  Gerade  zerfallenden 
Kegelschnitt  mit  dem  Doppelpunkt  A-,  die  eine  Gerade  ist  NP, 
die  andere  geht  notwendig  durch  den  gesuchten  Punkt  0. 
Wiederholt  man  dasselbe  Verfahren  noch  an  einer  zweiten 


172 


K.  Czuber 


Ecke  von  ABC,  z.  B.  bei  C,  wie  in  Fig.  6,  so  ist  0 gefunden 
und  das  Dreieck  bestimmt. 

Die  Lösung  kann  noch  dadurch  vereinfacht  werden,  daß 
man  die  erforderlichen  Transversalen  durch  die  Ecken  des  Drei- 
seits  bis  an  die  gegenüber  liegenden  Seiten  führt.  Dabei  fällt 


Fig.  7. 


Eine  geometrische  Aufgabe. 


173 


nämlich  einer  der  beiden  zugeordneten  Strahlen  mit  einer  Seite 
von  31 KF  zusammen,  wie  das  in  Fig.  7 dargestellt  ist.  In 
dieser  Figur  sind  die  Transversalen  B3I*,  BP*  beziehungs- 
weise NP,  31 N parallel;  ihre  Endpunkte  31*,  P*  aus  N 
auf  P3I  projiziert  geben  die  Punkte  31* P*‘,  die  mit  Ä, 
beziehungsweise  C zu  verbinden  sind,  um  den  Punkt  0 zu 
erhalten. 

Ist  nun  wieder  die  Aufgabe  gestellt,  einem  gegebenen  Drei- 
seit  abc  alle  Dreiecke  einzuschreiben,  welche  durch  ein  eben- 
falls gegebenes  Geradentripel  m,  n,  p in  der  früher  erklärten 
Weise  bestimmt  sind,  so  wird  man  damit  beginnen,  daß  man 
ABC  alle  Dreiecke  umschreibt,  deren  Seiten  den  Geraden  m, 
n,  p parallel  sind.  Man  kann  durch  jede  Ecke  von  ABC  zu 
jeder  der  drei  Geraden  eine  Parallele  ziehen  und  jeweils  die 
zwei  andern  Parallelen  auf  die  übrigen  zwei  Ecken  in  zwei- 
facher Art  verteilen,  das  gäbe  18  Anordnungen;  es  finden 
jedoch  dabei  mehrfache  Zählungen  statt;  scheidet  man  die 
wiederholten  Fälle  aus,  so  verbleiben  sechs  verschiedene  um- 
geschriebene Dreiecke,  die  wir  in  folgender  Weise  ordnen  und 
numerieren  wollen: 


Durch 

A 

B 

C 

Parallele  zu 

1. 

m 

n 

P 

2. 

m 

P 

n 

3. 

n 

m 

P 

4. 

n 

P 

m 

5. 

P 

m 

n 

6. 

P 

n 

m. 

Dementsprechend  sind  in  Fig.  8 die  sechs  Dreiecke  mit 
ilijJVjPj  bis  JigWgPg  bezeichnet. 


Nun  hat  man  nach  dem  vorhin  angegebenen  Verfahren 
zu  jedem  von  ihnen  den  Ahnlichkeitspunkt,  Oj  bis  Og,  zu  kon- 
struieren und  mit  dessen  Hilfe  das  eingeschriebene  Dreieck 
herzustellen. 


174  E.  Czuber 


In  Fig.  9 ist  die  Lösung  für  zwei  von  den  sechs  Fällen, 
und  zwar  für  die  Fälle  1 und  3 durchgeführt.  Nach  dem 
Vorausgeschickten  erübrigt  sich  eine  weitere  Erklärung. 

Das  erste  Verfahren  ist  diesem  zweiten  in  zeichnerischer 
Beziehung  überlegen. 


II.  Besondere  Fälle. 

7.  Bei  dem  ersten  Lösungsverfahren  kann  es  geschehen, 
daß  einer  der  Projektionsstrahlen  A (M, , . . . //g)  oder  auch 
deren  mehrere  parallel  au.sfallen  zur  Seite  a ; dann  rückt  die 
bezügliche  Projektion  und  damit  auch  das  von  ihr  aus  zu  kon- 
struierende eingeschriebene  Dreieck  ins  Unendliche;  es  müssen 
daher  auch  ebenso  viele  der  Projektiomsstrahlen  . . . /7g) 

parallel  sein  der  Seite  c.  Infolgedessen  vermindert  sich  in 


Eine  geometrische  Aufgabe. 


175 


Fig.  9. 


einem  solchen  Falle  die  Anzahl  der  eigentlichen  eingeschrie- 
benen Dreiecke. 

Bei  dem  zweiten  Lösungsverfahren  kann  es  sich  ereignen, 
daß  eines  der  umschriebenen  Dreiecke  sich  auf  einen  Punkt 
reduziert,  mit  anderen  Worten,  daß  die  Parallelen  zu  den 
Geraden  m,  n,  p bei  einer  bestimmten  Verteilung  auf  die  Ecken 
des  Dreiseits  in  einem  einzigen  Punkte  sich  schneiden;  auch 
dies  kann  wiederholt  eintreten. 


176 


E.  Czuber 


Um  die  georaetrisclie  Bedeutung  eines  solchen  Sachver- 
halts zu  erkennen,  wenden  wir  auf  ihn  die  erste  Methode  an. 
Fig.  10  soll  der  Verteilung  der  Richtungen  m,  n,  p auf  die 
Ecken  B,  Ä,  C entsprechen,  wobei  statt  eines  Dreiecks  nur  ein 
Punkt,  A,  zustande  kommt.  Zieht  man  die  Transversale  CM* 
parallel  zu  ni  und  verzeichnet  über  ihr  das  Dreieck 
so,  daß  die  Seiten  UM  beziehungsweise  die  Richtungen 

von  n,  p haben,  so  schneidet  der  Strahl  jBM  die  Gegenseite  ^ U 
in  einem  Eckpunkt  3K  des  gesuchten  eingeschriebenen  Dreiecks. 
Die  folgende  Überlegung  zeigt  aber,  daß  der  genannte  Strahl 
der  Gegenseite  parallel  ist,  daß  also  der  Punkt  0)1  und  mit 
ihm  das  ganze  Dreieck  0)191 '13  ins  Unendliche  rückt.  Nimmt 


man  nämlich  auf  dem  festgehaltenen  Strahl  BA  eine  Punkt- 
reihe X,  X',  ...  an  und  projiziert  sie  aus  A und  C,  so  ent- 
stehen zw'ei  perspektiv  liegende,  projektive  Strahlenbüschel; 
ebensolche  Büschel  bilden  sich  bei  dem  beschriebenen  Vorgang 
um  die  Punkte  Al*  und  C aus;  ihr  Erzeugnis  ist  ein  Geraden- 
paar; die  eine  Gerade  ist  CAl*,  hervorgehend  aus  dem  unend- 
lich fernen  Punkte  der  Punktreihe  X,  X',  . . .,  die  andere  geht 
durch  B und  ist  parallel  zu  AC,  wie  man  erkennt,  wenn  man 
X einmal  nach  B,  ein  zweites  Mal  nach  X"  verlegt. 

Das  Ergebnis  der  Untersuchung  lautet  also  dahin,  daß, 
so  oft  die  Parallelen  zu  m,  n,  p bei  einer  Verteilung  auf  die 
Ecken  des  Dreiseits  abc  durch  einen  Punkt  gehen,  eines  der 


Eine  geometrische  Aufgabe. 


177 


eingeschriebenen  Dreiecke  ein  uneigentliches,  weil  unendlich 
fernes  wird. 

8.  Sind  die  Geraden  m,  w,  p so  gerichtet,  daß  sie  Dreiecke 
bestimmen,  welche  dem  zugrunde  liegenden  Dreieck  ABC 
symmetrisch  ähnlich  sind,  so  gibt  es  eine  Anordnung,  in 
der  sich  die  Parallelen  in  einem  Punkte  schneiden. 

In  zwei  symmetrisch  ähnlichen  Dreiecken  sind  zwei  Winkel 
miteinander  vertauscht.  Es  seien  in  Fig.  11  AC  und  MB  die 
Seiten,  an  welchen  die  vertauschten  Winkel  liegen,  so  zwar, 
daß  der  Winkel  bei  C gleich  ist  dem  Winkel  bei  M und  der 
Winkel  bei  A gleich  dem  Winkel  bei  F. 


Fig.  11. 

Man  ziehe  nun  die  Transversale  CA  parallel  zu  NF  bis 
an  FM  und  verbinde  ihren  Endpunkt  A mit  A;  dann  fällt 
AA  parallel  zu  NM  aus,  folglich  schneiden  sich  die  Parallelen 
bei  der  Anordnung 

ABC 

p n m 

in  einem  Punkte,  nämlich  A. 

Der  Beweis  für  den  behaupteten  Parallelismus  ergibt  sich 
wie  folgt.  Man  ziehe  in  ABC  die  Transversale  BAI*  parallel 
zu  FN.  Dann  sind  die  Dreiecke  AM*B  und  FBA  ähnlich; 
denn  ihre  Winkel  bei  A,  beziehungsweise  P,  sind  gleich  nach 

Sitzungsb.  d.  math.-phya.  Kl.  Jabrg.  1915.  12 


178 


E.  Czuber 


der  Voraussetzung  und  die  Winkel  bei  -B,  beziehungsweise  Ä, 
sind  es  als  Wechsel winkel  an  Parallelen;  folglich  stimmen  auch 
die  Winkel  bei  JI*  und  B überein.  Daraus  ergibt  sich  weiter 
die  Ähnlichkeit  der  Dreiecke  M*CB  und  B/IA;  denn  dem 
eben  Gesagten  zufolge  sind  ihre  Winkel  bei  M*  und  B be- 
ziehungsweise gleich;  ferner  ergibt  sich  aus  der  Proportion 

M*C  _ ^ 

AM*  ~ PB 

unter  Beachtung  der  erstgedachten  Ähnlichkeit 

M*C  _ BA  AM*  _ BA  PB  _ BA 
M^B  ~ PB  M*B  ~ PB  AB  ~ AB' 

so  daß  die  die  gleichen  Winkel  einschließenden  Seiten  pro- 
portional sind.  Daraus  folgt  die  Gleichheit  der  Winkel  31*  CB 
und  BAA,  und  da  der  Winkel  3I*CB  voraussetzungsgemäß 
gleich  ist  dem  Winkel  bei  ilf,  so  ist  in  der  Tat  AA  parallel 
zu  N3I. 

Als  Ergebnis  kann  also  der  Satz  ausgesprochen  werden: 

Man  kann  einem  zum  Dreiseit  erweiterten  Drei- 
eck fünf  eigentliche  Dreiecke  einschreiben,  die  ihm 
symmetrisch  ähnlich  sind. 

9.  Der  im  vorigen  Artikel  behandelte  Fall  ergibt  sich 
immer,  wenn  das  zugrunde  liegende  Dreieck  ABC  gleich- 
schenklig und  das  einzuschreibende  ihm  ähnlich  ist;  denn  zwei 
derartige  Dreiecke  können  auch  als  symmetrisch  ähnlich,  mit 
vertauschten  Basiswinkeln,  aufgefaßt  werden. 

Dies  ergibt  den  weiteren  Satz: 

Einem  gleichschenkligen  Dreieck  können  fünf 
ihm  ähnliche,  untereinander  paarweise  Perspektive 
Dreiecke  eingeschrieben  werden. 

10.  Die  drei  gegebenen  Geraden  m,  n,  p seien  den  Höhen 
des  Dreiecks  ABC  parallel.  Es  handelt  sich  dann  um  solche 
eingeschriebene  Dreiecke,  deren  Seiten  zu  den  Seiten  des  zu- 
grunde liegenden  Dreiecks  normal  stehen. 


Eine  geometrische  Aufgabe. 


179 


Da  die  Parallelen  zu  m,  n,  p bei  einer  Verteilung  auf 
die  Ecken  von  ABC,  nämlich  dann,  wenn  sie  als  Höhen  des 
Dreiecks  erscheinen,  sich  in  einem  Punkte  schneiden,  so  gibt 
es  nur  fünf  eigentliche  Dreiecke  der  beschriebenen  Art. 

Fig.  12  bringt  einen  solchen  Fall  zur  Darstellung.  Die 
drei  Transversalen  BM*,  BN*,  BP*,  mit  deren  Hilfe  die 
Konstruktion  durchgeführt  ist,  stehen  der  Reihe  nach  senk- 
recht auf  a,  h,  c.  Von  den  Seiten  der  eingeschriebenen  Drei- 
ecke stehen 


%% 

9^5 “ißg  senkrecht 

auf  a 

und  verlaufen 

zwischen 

c,  b 

a,  b 

a,  c 

c,  a 

b,  ci ; 

senkrecht 

auf  b 

und  verlaufen 

zwischen 

b,  a 

b,  c 

c,  b 

a,  b 

a,  c-. 

äJlgilig  senkrecht 

auf  c 

und  verlaufen 

zwischen 

a,  c 

c,  a 

b,  a 

b,  c 

c,  b. 

Fig.  12. 


180 


E.  Czuber 


Die  Lücke,  welche  das  uneigentliche  Dreieck 
macht  sich  durch  das  Fehlen  der  Seitenpaare  ft,  c;  c,  a;  a,  h 
beinei'kbar. 

Ist  bei  derselben  Sachlage  das  Dreieck  ABC  gleich- 
schenklig, so  gibt  es  noch  eine  zweite  Verteilung  der  Par- 
allelen, bei  der  sie  durch  einen  Punkt  gehen;  wegen  der  Sym- 
metrie tritt  dies  nämlich  noch  ein,  wenn  man  die  Parallelen 
durch  die  Basisendpunkte  miteinander  vertauscht.  Die  Folge 
davon  ist,  daß  einem  gleichschenkligen  Dreieck  nur  vier  Drei- 
ecke eingeschrieben  werden  können,  deren  Seiten  zu  denen  des 
ersten  normal  stehen.  Fig.  13  zeigt  einen  solchen  Fall;  zu  seiner 
Durchführung  genügt  es,  bloß  das  Parallelogramm 
über  der  Höhe  BM*  als  Diagonale  zu  verzeichnen,  das  durch 
Projizieren  seiner  Ecken  M, , Mg  aus  A und  C auf  die  Gegen- 
seiten für  jedes  der  vier  Dreiecke  je  einen  Eckpunkt  liefert. 


11.  Sind  die  Geraden  w,w,p  den  Halbierungslinien  der 
Innenwinkel  von  ABC  oder  den  Halbierungslinien  zweier 
Außenwinkel  und  des  Innenwinkels  an  der  dritten  Ecke  par- 
allel, so  gibt  es  für  die  Parallelen  zu  ?«,  w,  p jedesmal  eine 


Eine  geometrische  Aufgabe. 


181 


Verteilung  auf  die  Ecken,  bei  der  sie  sich  in  einem  Punkte 
schneiden.  Auch  in  diesen  Fällen  wird  also  eines  der  einge- 
schriebenen  Dreiecke  uneigentlich. 

12.  Nun  setzen  wir  voraus,  die  Geraden  m,  n,  p seien 
den  Medianen  des  Dreiecks  ABC  parallel. 

In  Pig.  14  seien  w,  n,  p durch  die  Medianen  AM*,  BN*, 
CP*  selbst  vertreten.  Bei  den  verschiedenen  Verteilungen  der 
Parallelen  hierzu  auf  die  Ecken  von  ABC  ergeben  sich  folgende 


Gebilde: 

1. 

A 

m 

B 

n 

C 

P 

der 

Punkt  ; 

2. 

m 

P 

n 

„ 

!)  “^2  ’ 

3. 

n 

m 

P 

» ^3; 

4. 

n 

P 

m 

das 

Dreieck  M^N^P^ 

5. 

p 

m 

n 

„ 

6. 

P 

n 

m 

der 

Punkt  /lg. 

Um  die  Richtigkeit  der  unter  2 aufgestellten  Behauptung 
zu  erkennen,  beachte  man,  daß  nach  dem  Gange  der  Konstruk- 
tion BA^CA^  ein  Parallelogramm  ist,  das  BC  zur  einen  Dia- 


182 


E.  Czuber 


gonale  hat,  während  die  andere  notwendig  in  die  Gerade  AM* 
fällt;  demnach  schneiden  sich  die  Geraden  Fr,M^  und 

AM*  tatsächlich  in  einem  Punkte.  Ebenso  sind  die  Behaup- 
tungen 3 und  6 zu  begründen. 

Die  Verfolgung  der  in  Art.  6 entwickelten  Konstruktions- 
verfahren an  der  Figur  14  läßt  den  Schwerpunkt  von  ABC 
als  den  gemeinsamen  Ahnlichkeitspunkt  der  umschriebenen  Drei- 
ecke AI.X^F^  und  der  ihnen  entsprechenden  einge- 

schriebenen Dreiecke  erkennen.  Schließlich  kann  das  Ergebnis 
wie  folgt  zusamraengefaßt  werden: 

Einem  Dreieck  können  nur  zwei  Dreiecke  einge- 
schrieben werden,  deren  Seiten  seinen  Medianen  par- 
allel sind.  Ihre  sechs  Ecken  liegen  auf  den  drei  Ge- 
raden M,M,,  P4P5,  welche  die  homologen  Ecken 

der  zwei  umschriebenen  Dreiecke  verbinden. 

13.  Eine  der  Geraden  m,  w,  sei  parallel  einer  Seite  des 
Dreiecks  ABC. 

Es  gibt  dann  sechs  eingeschriebene  Dreiecke  in  besonderer 
Gruppierung.  In  jeder  der  beiden  Ecken,  die  der  bevorzugten 
Seite  angehören,  stoßen  zwei  der  sechs  Dreiecke  zusammen, 
und  nur  zwei  davon  liegen  so,  daß  sie  mit  ABC  keine  Ecke 
gemein  haben. 

14.  Zwei  der  Geraden  m,  n,  p seien  zwei  Seiten  des  Drei- 
ecks ABC  parallel,  z.  B.  sei  m parallel  AB,  n parallel  BC. 

In  diesem  Falle  gibt  es  eine  Verteilung  der  Parallelen  zu 
M,  n,  p auf  die  Ecken  von  ABC,  bei  der  sie  sich  in  einem 
Punkte  schneiden;  es  ist  dies  die  Verteilung 

ABC 

m p n 

und  der  gemeinsame  Punkt  ist  B. 

Die  fünf  Dreiecke,  die  sich  jetzt  ergeben,  zeigen  die  be- 
sondere Anordnung,  daß  vier  von  ihnen  in  der  Ecke  B Zu- 
sammenstößen, während  die  beiden  anderen  Ecken  von  ABC 
nur  je  einem  von  ihnen  angehören.  Nur  ein  Dreieck  liegt  so, 
daß  es  mit  ABC  keine  Ecke  gemein  hat. 


Eine  geometrische  Aufgal)0. 


183 


Auf  den  eben  besprochenen  Fall  führt  die  Aufgabe  des 
Art.  10,  wenn  sie  auf  ein  rechtwinkliges  Dreieck  ange- 
wendet wird.  Dies  bringt  die  Fig.  15  zur  Darstellung.  In  der 
Ecke  B stoßen  die  Dreiecke  I,  III,  IV,  VI  zusammen,  A gehört 
dem  Dreieck  VI,  C dem  Dreieck  III  als  Ecke  an,  und  nur  das 
Dreieck  II  hat  mit  ABC  keine  Ecke  gemein.  Das  Dreieck  V 
ist  im  Unendlichen. 


15.  Die  drei  Geraden  m,  w,  p seien  den  Seiten  von  ABC 
parallel,  und  zwar  ni  parallel  a,  n parallel  h und  p parallel  c. 

Es  gibt  drei  Verteilungen  der  Parallelen  zu  m,  n,  p auf 
die  Ecken  von  ABC,  bei  denen  statt  eines  umschi'iebenen 
Dreiecks  ein  Punkt  entsteht,  nämlich  die  folgenden: 

ABC 

2.  m p n mit  dem  Schnittpunkt  A 

6.  p n m „ „ „ B 

3.  n m p „ „ , C; 


184 


E.  Czuber 


hiernach  rücken  drei  eingeschriebene  Dreiecke  ins  Unendliche. 
Von  den  drei  übrigen  fallen,  wie  die  konstruktive  Durchfüh- 
rung des  Falles  nach  der  ersten  Methode,  Fig.  16,  zeigt,  zwei 
mit  dem  gegebenen  Dreieck  zusammen,  und  zwar  sind  es  die 
Dreiecke  mit  folgender  Verteilung  ihrer 

Ecken  auf  die  Seiten  von  ABC: 


liegt  auf  h c a 


h c a c a 1} 


Zählt  man  auch  diese  Lösungen  zu  den  uneigentlichen,  so 
bleibt  nur  ein  eigentliches  eingeschriebenes  Dreieck, 


A”  n 


Fig.  16. 


16.  Das  zugrunde  liegende  Dreieck  ABC  sei  gleichseitig 
und  auch  die  Geraden  m,  n,  p seien  so  gerichtet,  daß  sie 
gleichseitige  Dreiecke  bestimmen. 

Wir  beginnen  damit,  zu  zeigen,  daß  zwei  gleichseitige 
Dreiecke,  von  denen  das  eine  dem  andern  umschrieben  ist, 
einen  gemeinsamen  Mittelpunkt  haben. 

Wenn  in  Fig.  17  s die  Seite  von  ABC  und  a der  Orien- 
tierungswinkel des  zweiten  Dreiecks  gegen  das  erste  ist,  so 
hat  man 


Eine  "eometriscbe  Aufgabe. 


185 


sin 


BM  CN  = AF  = s 


(y-")  ^ ^ 


71 


Sin 


sin 


MC  = NA  = FB  = s 


sm  a 


sin 


somit  ist  die  Seite  von  31  NF 
S — 2s  cos 


{;  -) 


In  dem  Dreieck  B3I0,  das  durcli  die  Höhen  BJ)  und 
31 Q bestimmt  wird,  betragen  die  Winkel  bei  B,  31,  0 der 

Reihe  nach  + a,  ^ 

D b ö 


a , folglich  ist 


Fig.  17. 


186 


E.  Czuber 


Da  ein  gleichseitiges  Dreieck  in  dreifacher  Weise  als  gleich- 
schenklig aufgefaßt  werden  kann,  so  tritt  auch  der  in  Art.  9 
angeführte  Fall  di'einial  ein,  d.  h.  es  gibt  drei  Verteilungen 
der  Parallelen  zu  w«,  n,  p auf  die  Ecken  von  ABC,  bei  welchen 
sie  sich  in  einem  Punkte  schneiden.  Daraus  folgt: 

Einem  gleichseitigen  Dreieck  können  nur  drei 
gleichseitige  Dreiecke  von  allgemeiner  Orientierung 
eingeschrieben  werden. 

Zum  Zwecke  ihrer  Konstruktion  beachte  man,  daß  die 
drei  umschriebenen  Dreiecke  il/,  Pj , und  J/j  P^ , 

Fig.  18,  mit  ABC  einen  gemeinsamen  Mittelpunkt  0 haben, 
daß  mithin  die  homologen  Eckpunkte  il/, , il/^,  il/^;  i\", , N^,  N^-, 
Pj,  P^,  Pj  je  auf  einer  Geraden  durch  0 liegen,  welche  drei 
Geraden  auf  den  drei  Geraden  m,  n,  p beziehungsweise  senk- 
recht stehen. 


Hiernach  ergibt  sich  das  folgende  Konstruktionsverfahren : 

Man  umschreibe  dem  gegebenen  gleichseitigen  Dreieck  AP 6’, 
Fig.  19,  eines  der  drei  gleichseitigen  Dreiecke,  deren  Seiten 
den  Geraden  m,  n,  p parallel  sind,  z.  B.  il/,  W,  P, , und  pro- 
jiziere seine  Ecken  aus  dem  Mittelpunkte  0 von  ABC  auf 
alle  Seiten  dieses  Dreiecks;  dann  sind  die  so  erhaltenen  neun 
Punkte  die  Ecken  der  drei  ABC  eingeschriebenen  gleich- 
seitigen Dreiecke  von  der  vorgeschriebenen  Orientierung. 


P^ine  geometrische  Aufgabe. 


187 


In  dem  besonderen  Falle,  wo  die  Seiten  des  einzuschrei- 
benden Dreiecks  auf  jenen  des  gegebenen  Dreiecks  senkrecht 
stehen,  ist  jeder  der  drei  Projektionsstrahlen  einer  Seite  von 
ABC  parallel.  Mithin  rückt  eines  der  drei  eingeschriebenen 
Dreiecke  ins  Unendliche,  die  Aufgabe  hat  nur  zwei  eigent- 
liche Lösungen,  wie  dies  in  Fig.  20  dargestellt  ist. 


18!) 


Die  Liesche  Geraden -Kugeltransformation  und 
ihre  Verallgemeinerungen. 

Von  Heinrich  Liebmaiiii. 

Vorgelegt  von  S.  Finsterwalder  in  der  Sitzung  am  1.  Mai  1915. 

Keine  der  zahlreichen  Darstellungen  der  Li e. sehen  Geraden- 
Kugeltransformation  läßt,  das  darf  wohl  gesagt  werden,  die 
einfachen  Gedankengänge  der  projektiven  Geometrie  scharf  Um- 
rissen in  den  Vordergrund  treten,  auf  deren  Grundlage  diese 
durch  ihre  wichtigen  Eigenschaften  und  mannigfachen  An- 
wendungen so  bekannte  Berührungstransformation  abgeleitet 
werden  kann.  Das  hat  .seine  geschichtlich  wohl  begreiflichen, 
auch  von  ganz  bestimmten  Lehrmeinungen  und  Absichten  her- 
rührenden Ursachen,®)  auf  die  hier  nicht  eingegangen  werden 
kann.  Auf  jeden  Fall  erscheint  eine  solche  Ableitung  berech- 
tigt, um  so  mehr,  wenn  sie  nicht  nur  beim  Bekannten  stehen 
bleibt,  sondern  sich  auch  mit  Verallgemeinerungen  befaßt,  die 
in  den  bisher  vorliegenden  Untersuchungen  zum  Teil  noch 
nicht  einmal  angedeutet  zu  sein  scheinen. 

Als  Grundlage  aus  der  Lehre  von  den  Berührungstrans- 
formationen dient  der  Satz  von  LieU) 

Soll  eine  Berührungstransformation  die  Punkte  P des 
Raumes  E (x,  y,  z)  in  oo®  Gerade  s‘  des  Raumes  i2'  überführen, 

Lie-Scheffers,  Geometrie  der  Berührung.stransformationen  I 
(Leipzig  1896),  Kap.  10. 

Lie-Engel,  Theorie  der  Transformationsgruppen  III  (Leipzig 
1893),  S.  137—138. 

S.  Lie,  Liniengeometrie  und  Berübrungstransformationen  (Leipzig, 
Ber.  49,  1897,  S.  687—740). 

SitzuDgsb.  d.  matli.-pliys.  Kl.  Jabrg.  1915. 


13 


190 


H.  Licbinann 


und  ihre  Umkehrung  die  Punkte  P'  des  Raumes  P'  in  oo®  Ge- 
rade s des  Raumes  P,  so  bestehen,  wenn  dabei  die  Geraden  s 
einem  linearen  Komplex  (Nullsystem)  angehören  sollen,  nur 
zwei  Möglichkeiten,  nämlich 

1.  die  Geraden  s‘  sind  die  TrelFgeraden  eines  Kegel- 
schnitts K‘ , 

2.  die  Geraden  s'  sind  die  Tangenten  einer  Fläche  zweiten 
Grades. 

Hierzu  ist  noch  zu  bemerken,  daß  der  Satz  zur  Konstruk- 
tion der  Abbildungen  in  keiner  Weise  benützt  werden  kann, 
er  weist  nur  auf  Möglichkeiten  hin,  und  er  spricht  aus,  daß 
es  außer  den  — wie  gesagt  durch  rein  projektive  Konstruk- 
tionen herstellbaren  — Abbildungen,  welche  diese  Möglich- 
keiten verwirklichen,  keine  weiteren  geben  kann. 

I.  Die  Geraden-Kugeltransformation. 

Die  erste  Abbildung,  aus  der  übrigens  die  Liesche  Transfor- 
mation wird,  wenn  der  ausgezeichnete  Kegelschnitt  K'  der  ima- 
ginäre Kugelkreis  ist,  läßt  sich  in  folgender  Weise  aufbauen.^) 

Im  Gegenstandsraum  P und  im  Bildraum  P'  sind  je  zwei 
Punkte  A,  B und  Ä‘,  B'  gegeben.  Sodann  werden  die  Ge- 
raden durch  Ä den  Ebenen  a[  durch  Ä‘  linear  („korrelativ“) 
zugeordnet,  eine  Zuordnung,  bei  der  zugleich  den  Ebenen  o, 
durch  A die  Geraden  M durch  A“  entsprechen ; sie  möge  mit 
— > ol)  oder  (oj — >h\)  bezeichnet  werden  und  ihre  Umkeh- 
rung mit  (al  — > Aj)  oder  auch  (Al  — >■  o,).  Ebenso  .sollen  auch 
die  Geraden  durch  B den  Ebenen  o'z  durch  B‘  und  damit 
die  Ebenen  durch  B den  Geraden  h'z  durch  B^  linear  zuge- 
ordnet werden,  was  mit  (A2 — > oz)  bzw'.  (02 — bezeichnet 
wird.  Diese  beiden  Zuordnungen  sollen  aber  nicht  völlig  un- 
abhängig voneinander  sein,  es  wird  nämlich  die  Beschränkung 
auferlegb,  daß  dem  gemeinsamen  Strahl  Aq  der  beiden  Strahlen- 
bündel (A)  und  (P)  in  (Aj — n\)  und  in  (A2 — ^02)  beidesmal 
dieselbe  Ebene  0Ö  entspricht. 


')  Vgl.  hierzu  Lie-Scheffer.s,  a.  a.  0.,  S.  446  ff. 


Die  liiesche  CTeraden-Kugeltninsfbrmation. 


191 


Aus  (/ii  — > ö!)  und  {h>  — y 02)  entsteht  dann  die  zu  unter- 
suchende Punktgeraden -Verwandtschaft  (P — ^ s‘)  durch  die  fol- 
gende Vorschrift:  Als  Bild  s'  von  P gilt  die  Schnittgerade  der 
den  Geraden  A,  (ÄF)  und  (PP)  entsprechenden  Ebenen  oj 
und  ö2.  Bei  der  Umkehrung  (P' — ^ s)  ist  s der  Schnitt  der 
Ebenen  Oj  und  welche  den  Geraden  Ai  {Ä‘ P‘)  und  A2  {B‘  P') 
in  (A'i — > Ol)  und  (A2 — ^02)  entsprechen. 

Wir  stellen  im  Anschluß  hieran  zunächst  fest,  was  das 
Bild  einer  beliebigen,  nicht  dem  System  s angehörigen  Ge- 
raden y ist.  Verbindet  man  ihre  Punkte  P mit  Ä und  P,  so 
erhält  man  zwei  perspektivisch  aufeinander  bezogene  ebene 
Strahlenbüschel,  denen  zwei  projektiv  aufeinander  bezogene 
Ebenenbüschel  entsprechen,  deren  Achsen  übrigens  die  den 
Ebenen  Oj  = (Ä,  g)  und  = (P,  g)  in  (oi  — ^ Ai)  bzw.  (02  — > A2) 
zugeordneten  Strahlen  sind.  Da  die  entsprechenden  Ebenen 
der  beiden  Büschel  einander  in  den  Erzeugenden  einer  Fläche 
zweiten  Grades  P2  schneiden,  so  verwandelt  demnach  (P  — > s‘) 
eine  Gerade  g in  eine  Fläche  Pp 

Betrachten  wir  dagegen  eine  Systemgerade  s,  so  gehen 
die  Achsen  der  P2  erzeugenden  Ebenenbüschel  jetzt  beide 
durch  P',  die  Fläche  artet  also  in  einen  Kegel  aus,  dessen 
Spitze  P‘  ist. 

Wir  wollen  nunmehr  zeigen,  daß  alle  Systemgeraden  s' 
Treflfgeraden  eines  bestimmten  in  oö  gelegenen  Kegelschnittes  K' 
sind.  Jeder  Ebene  Ojg,  d.  h.  jeder  Ebene,  die  sowohl  A wie 
P enthält,  wird  durch  (oj  — >•  Aj)  eine  in  o'q  gelegene  Gerade  t'i, 
durch  (02  — ► Ap  eine  ebenfalls  in  aö  gelegene  Gerade  ^2  zuge- 
ordnet, und  der  Ort  der  Schnittpunkte  ist  wegen  der  linearen 
Zuordnung  ein  Kegelschnitt  K‘.  Jeder  Punkt  P bestimmt 
zusammen  mit  A und  P eine  Ebene  Ojg,  und  den  Strahlen  Aj 
und  Aj,  welche  A und  P mit  P verbinden,  werden  zwei 
Ebenen  öl  und  02  zugeordnet,  die  t'i  und  enthalten,  die 
Schnittgerade  s‘  der  Ebenen  ist  also  eine  TreflFgerade  von  K‘, 
was  zu  zeigen  war.  Durch  K‘  gehen  dann  auch  die  Flächen  Pp 
welche  den  Geraden  g in  der  Verwandtschaft  (P — >s‘)  ent- 
sprechen. 


13^ 


192 


11.  Liebmann 


Betrachten  wir  jetzt  die  Umkehrung  (P'  — >s).  Es  gilt 
wie  oben  der  Satz,  daß  die  Bilder  der  Punkte  P'  einer  System- 
geraden s'  die  Schnitte  entsprechender  Ebenen  zweier  projek- 
tiven Ebenenbüschel  sind,  deren  Achsen  durch  P gehen,  nur 
artet  die  projektive  Zuordnung  jetzt  in  eine  Perspektive  aus, 
denn  den  beiden  Strahlen  t'i  und  ^2,  die  den  Schnittpunkt  S'  von 
s'  und  öö  mit  Ä'  und  B'  verbinden,  ist  in  (Ai  — ►oi)  und  (Aj  — >^02) 
beidesmal  dieselbe  Ebene  zugeordnet,  d.  h.  diese  Ebene, 
welche  die  Achsen  der  projektiv  zugeordneten  Ebenenbüschel 
enthält,  entspricht  sich  selbst.  Es  ergibt  sich  also  der  Satz: 

Durchläuft  P'  eine  Systemgerade  s\  so  bilden  die  ent- 
sprechenden Strahlen  s ein  ebenes  Strahlenbüschel  durch  P 
(dessen  Ebene  in  der  Folge  mit  r bezeichnet  werden  soll). 

(Beiläufig  bemerkt,  kann  man  nun  noch  zeigen,  daß  die 
Ebenen  t sich  um  eine  Achse  q drehen,  wenn  P eine  Gerade  g 
durchläuft,  und  dadurch  tritt  dann  die  Beziehung  P — ^ t als 
Nullsystem  deutlich  hervor.  Legt  man  nämlich  durch  zwei 
Punkte  Pj  und  Pg  von  g die  zugehörigen  Ebenen  Tj  und 
so  schneiden  sie  einander  in  einer  Geraden  q,  deren  Punkte  Q 
einerseits  den  Systemgeraden  ^P, , anderseits  den  System- 
geraden QP^  perspektivisch  zugeordnet  sind.  Bei  der  Abbil- 
dung (P-->s')  gehen  Pj  und  Pj  in  zwei  Erzeugendes!,  S2  des 
Bildes  P2  von  g über,  die  Bilder  der  Punkte  Q aber  sind  eben- 
falls Systemgerade  s',  also  Treffgerade  von  K\  die  sich  über- 
dies auf  sl  und  S2  stützen,  also  der  Fläche  angehören. 
Jede  Gerade  des  einen  Systems  von  geradlinigen  Erzeugenden 
der  F»  (d.  h.  die  Bilder  aller  Punkte  P),  schneidet  aber  alle 
Geraden  des  andern  Systems,  und  hieraus  folgt,  daß  die  Ver- 
bindungsstrahlen eines  beliebigen  Punktes  P von  g mit  den 
Punkten  Q,  von  q lauter  Systemgeraden  s sind,  d.  h.  daß  t 
sich  um  q dreht,  wenn  P auf  g wandert.) 

Ein  einfaches  Beispiel  einer  derartigen  Berührungstrans- 
formation ist  gegeben  durch  die  beiden  Gleichungen 


Die  Liesche  Gernden-Kugeltransformation. 


193 


dessen  Natur  deutlicher  hervortritt,  wenn  man  statt  der  recht- 
winkligen Koordinaten  homogene  {x  : 7j  : s t)  einfuhrt.  Die 
erste  Gleichung  gibt  die  Zuordnung  — >•  ol),  wobei  A und 

A'  die  Koordinaten  haben 


A : X — y = ^ = 0, 

A‘  :x,=y,  = t,=Q, 

und  die  zweite  Gleichung  gibt  die  Zuordnung  {I12  02),  wobei 

B und  B'  die  Koordinaten  haben 


B :x  =y  = z =0, 
i?'  : = ^,  = ^1  = 0. 

Der  Geraden  (/<q),  nämlich : 

X =-y  = ^ 

entspricht  bei  beiden  Zuordnungen  die  Ebene  (oö),  nämlich 

= 0. 

Die  Systemgeraden  s gehören  hier  dem  Nullsystem 
yds  — zdy  — dx  = ^ 

an,  und  die  Systemgeraden  s'  sind  die  TrefFgeraden  des  Kegel- 
schnittes (JT') 

= 0,  rc,  — y{  = 0. 

Auf  bekanntem  Weg^)  findet  man  aus  den  beiden  Grund- 
gleichungen (1)  dann  die  Darstellung  der  Berührungstrans- 
formation : 


-1 

1 + 1^’ 

Ix 

Pi  = ™,  q^  = Xy  — x, 
wobei  zur  Abkürzung 


gy— ^ 
ly  + x' 


z—px  — qy 


gesetzt  ist. 


qx  -|-  Xz 
Xy^x  ' 


X 


1)  Lie-Engel,  Theorie  der  Transformationsgruppen  II  (Leipzig 
1890),  S.  53. 


194 


H.  Liebmann 


Man  braucht  nun  nur  noch  die  Transformation 

x^  = X-\-iY,  z^  = — X -\r  iY,  y^=  ^ 

hinzuzufügen,  um  eine  Liesche  Geraden-Kugeltransformation 
zu  erhalten. 

2.  Die  verallgemeinerte  Geraden-Kugeltransformation.^) 

Um  jetzt  eine  Transformation  zu  erhalten,  welche  die 
Punkte  P in  die  Tangenten  u‘  einer  Fundamentalfläche  zweiten 
Grades  X‘  überführt,  braucht  man  noch  eine  Punktverwandt- 
schaft (P' — *0,'^-,  die  den  Treffgeraden  s'  von  K‘  die  Tan- 
genten u'  von  Z'  zuordnet  (s'  — 

Eine  solche  Verwandtschaft  erhält  man  in  folgender  Weise : 
Zunächst  muß  Z‘  den  Kegelschnitt  K‘  enthalten.  Jede  Treff- 
gerade  s'  schneidet  dann  Z'  noch  in  einem  weiteren  Punkt. 
Durch  diesen  Punkt  denke  man  sich  die  Tangentialebene  an 
Z'  gelegt  und  zum  Schnitt  gebracht  (it')  mit  der  Ebene,  die 
s'  und  den  Pol  C'  der  Ebene  oö  von  K‘  in  Bezug  auf  Z‘  ent- 
hält. Diese  Gerade  ist  Tangente  an  die  Fläche  Z'  und  soll 
der  Treflfgeraden  o'  entsprechen,  wodurch  die  gewünschte  Ab- 
bildung hergestellt  ist.  Die  Umkehrung  dieser  Abbildung  ist 
zweideutig,  denn  die  durch  C‘  und  die  Tangente  u‘  gelegte 
Ebene  schneidet  K‘  in  zwei  Punkten.  Die  Abbildung  (s'  -»  «<’) 
ist  tatsächlich  eine  Punkttransformation  {F  Q'),  denn 
wenn  man  durch  einen  Punkt  P'  alle  Treffgeraden  von  K' 
legt,  so  entsteht  ein  Kegel,  der  Z‘  in  einem  zweiten  Kegel- 
schnitt trifft,  und  die  Ebenen,  welche  durch  die  Erzeugenden 
des  Kegels  und  durch  C"  gehen,  also  durch  P'  und  C",  ent- 
halten alle  den  auf  P'C"  gelegenen  Pol  der  Ebene  des 
zweiten  Kegelschnitts,  d.  h.  den  Treff“geraden  von  K\  welche 
P'  enthalten,  werden  die  von  <2'  an  Z‘  gelegten  Tangenten 
zugeordnet.  Wir  haben  das  Ergebnis: 


')  Vgl.  Lie,  a.  a.  0.  (Anm.  3),  S.  736  und  F.  Engel,  Verzeichnis 
der  Schriften  von  Lie  (Bibliotheea  mathematica  3 (1),  1900,  S.  16G — 204), 
Nr.  83  (S.  187). 


Die  Liesche  Geraden-Kugeltransformation. 


195 


Ordnet  man  jedem  Punkt  P'  des  Raumes  R‘  den  Pol  Q' 
derjenigen  Ebene  zu,  in  der  der  Kegelschnitt  liegt,  nach  dem 
die  durch  P'  gehenden  TreSgeraden  s'  von  K'  die  Fundamental- 
fläche zum  zweiten  Male  schneiden,  so  gehen  bei  dieser 
einzweideutigen  Punktverwandtschaft  die  Geraden  s‘  in  die  Tan- 
genten u'  der  Fundamentalfläche  über. 

Weitere  Einzelheiten  zur  Ausführung  und  Begründung 
sind  aus  der  folgenden  analytischen  Darstellung  zu  entnehmen, 
bei  der  wir  die  Koordinaten  von  P mit  x,  y,  2,  die  von  Q 
mit  ajj,  ^j,  2^  bezeichnen. 

Wir  wählen  für  K'  wieder  den  imaginären  Kugelkreis  und 
für  Z'  die  imaginäre  Kugel 

2'^  \ = 0 . 

Um  die  Verwandtschaft  herzustellen,  hat  man  den  Kegel 

{x  — -V  {y  — yf  -{-{2  — 'Qf  = 0 

mit  Z‘  zu  schneiden.  Die  Gleichung  der  (zweiten)  Schnitt- 
ebene ist 

2x^  2yt]  22!^  \ — x^  — iß  — 2^  = 0, 

und  ihr  Pol  Q'  ist  gegeben  durch 

x^  = Xx,  y^  = Xy,  2^  = X2, 

(2)  _ 2 

1 — X^  — tß  — 2^‘ 

Die  Umkehrung  (Q'  — > P“)  der  Abbildung  ist  dann  ge- 
geben durch 

X^,UXj,  y = fiy^^  ^ ^ 

dabei  ist  noch 

1 — ß{xl  yl ß)  = I — — iß  — 2^  = 2 fl, 

woraus  die  schon  erwähnte  Zweideutigkeit  hervorgeht. 

Den  Treffgeraden  («') 

y — rx  Q,  2 = sx  a,  (1  4-  = 0 

des  imaginären  Kugelkreises  (K‘)  werden  die  Tangenten  (u‘) 


196 


H.  Liebmann 


= 2x  : 2 {rx  + g) : 2 (sx  + o) : (1  — — 2a; (ro  + so)) 

von  zugeordnet. 

Wir  wollen  auch  noch  die  für  die  Zusammensetzung  der 
hier  besprochenen  Punkttransformation  (P'  — >•  Q')  oder  (s'  — >■  ti‘) 
mit  der  Berührungstransformation  (P  ->  s‘)  wichtige  Frage  be- 
antworten, was  aus  einer  beliebigen  K'  enthaltenden  Fläche 
zweiten  Grades  Fn  bei  (P'  -*  Q')  hervorgeht. 

Die  F'2  hat  eine  Gleichung  von  der  Form 

F2  = x^-\-y'^-\-s^-\-ax-\-hyFc^-\-d  = x--{-ff 

+ E{x,  y,z)  = 0, 

und  sie  schneidet  F'  außer  in  K'  noch  in  einem  zweiten  Kreis, 
dessen  Ebene  die  Gleichung  hat 

E{x,  y,s)  — l = (i. 

Das  Bild  von  F2  ist  gegeben  durch  die  Gleichung 
1 — 2 4-  {0,^1  -p  ^y\  + -p  = 0 

in  Verbindung  mit 

1 — 2 jx  — {x\  F y\  + ^1)  = 0. 

Aus  diesen  beiden  Gleichungen  zusammen  folgt,  wenn  wir 
E{x^,  y^,  z^  zur  Abkürzung  mit  P,  bezeichnen 

- 1)2  _ (1  + df  {x\  -P  y\  + -P  1)  = 0,  d.  h. 

Jede  Fi,  welche  K'  enthält,  verwandelt  sich  bei  der  Ab- 
bildung (P' — ► Q‘)  in  eine  Fi,  die  längs  des  Kegelschnitts 
berührt,  den  Fi  und  E‘  außer  K‘  noch  gemein  haben. 

Denkt  man  sich  eine  nichteuklidische  (in  unserem  Fall 
elliptische)  Maßbestimmung  mit  der  Fundamentalfläche  Z‘  ein- 
geführt, dann  sind  die  Fi  als  Kugeln  zu  deuten,  also  läßt 
sich  das  Ergebnis  in  aller  Kürze  so  aussprechen : 

Die  durch  Zusammensetzung  vonP->s'mit  s'  —>  u' 
entstehende  einzweideutige  Punktgeraden-Transfor- 
mation  führt  die  Geraden  g in  die  Kugeln  über  bei 
geeigneter  nichteuklidischer  Maßbestimmung. 


Die  Liesehe  Geraden-Kageltransformation. 


197 


Diese  durch  Zusammensetzung  entstehende  „nichteukli- 
dische Geraden-Kugeltransformation“  ist  in  Lie-Scheffers, 
Btr.  f.  trotz  ihres  einfachen  Aufbaus  nicht  einmal  erwähnt; 
es  ist  anzunehmen,  daß  sie  in  den  nicht  erschienenen  zweiten 
Band  Aufnahme  finden  sollte. 

3.  Entsprechende  Transformationen  in  Bäumen  von 
höherer  Dimension. 

Lie  hat  die  Frage  nach  Punktgeraden-Transformationen 
in  Räumen  höherer, Dimension  nur  erwähnt,^)  außerdem  scheinen 
von  anderer  Seite  nur  völlig  unzulängliche  Versuche  einer  Ver- 
allgemeinerung der  Geraden-Kugeltransformation  vorzuliegen. 

Wir  wollen  deshalb  auf  eine  dieser  Verallgemeinerungen 
eingehen,  nämlich  die  durch  die  Gleichungen: 

+ 1 = 0, 

(3)  + 2/^,  + ^ = 0, 

xs^  + w = 0 

gegebene  Berührungstransformation  des  Denkt  man  sich 

wieder  homogene  Koordinaten  {x  •.  y \ z \ u •.  t')  eingeführt,  so  er- 
kennt man  leicht  die  Bedeutung  dieser  Gleichungen.  Gegeben 
sind  in  den  Räumen  R^  und  R\  je  drei  Gerade : 

(Ä) : X = y = t = 0,  (B) : x = y = z = 0,  (C)  :x  = y = u — 0 
und  {A‘)  : Xj  = 2/,  = i!,  = 0,  {B‘) : y^  ^ = 0, 

(C") : 5'j  = = 0. 

Durch  die  Gleichungen  (3)  werden  den  drei  Bündeln  von 
je  00^  Ebenen  durch  A,  B,  C die  drei  Bündel  von  je  oo^ 
linearen  R^  durch  A‘,  B‘,  C‘  zugeordnet,  wobei  die  Ebene 
X = y — 0,  in  der  die  drei  Geraden  A,  B,  C liegen,  in  jeder 
der  drei  Zuordnungen  dem  linearen  i?.,  (^j  = 0)  zugeordnet  wird, 
welcher  A‘,  B'  und  C‘  enthält.  Das  Bild  von  P ist  die  Ge- 
rade s‘,  in  der  die  drei  R^  einander  schneiden,  welche  den 
Ebenen  (PA),  (PB)  und  (PC)  zugeordnet  sind.  Entsprechend 
ist  die  Umkehrung  (P'  ->  s)  der  Abbildung  zu  deuten. 

Lie,  a.  a.  0.  (Anm.  3),  S.  740. 

Vgl.  den  Bericht  von  F.  Engel  (Jahrbuch  der  Fortschritte  der 
Mathematik  30,  Jahrgang  1899,  S.  338—339). 


198  H.  Liehiuann,  Die  Liesche  Geraden-Kuyeltransformation. 


Die  Geraden  s'  sind  hier  die  TrelFgeraden  der  unendlich 
fernen  Kurve  dritter  Ordnung  (des  kubischen  Kegelschnittes) 

{K‘}  :t,  = 0,  Xj  — yi  = — z\  = — a-,  m,  = 0. 

Die  Geraden  s bilden  wieder  ein  Nullsystem,  Avic  oben 
in  (1),  d.  h.  durch  jeden  Punkt  P gehen  oo^  Gerade  s,  die 
wieder  ein  ebenes  Strahlenbüschel  bilden.  Ihre  Fortschreitungs- 
richtungen  im  Punkte  x,  y,  z,  u sind  durch  das  nicht  integrale 
System  von  PfafFschen  Gleichungen  bestimmt 

ydz  — zdy  — dx  = 0, 

ydu  — udy  xdz  — zdx  = 0. 

Jede  Ebene  z = a^^x  + -j-  Cj, 

« = «2^  + Ky  + 

bildet  sich  auf  eine  (dreifach  ausgedehnte)  ab,  die  {K‘) 
enthält.  Insbesondere  kann  man  (vgl.  den  Schluß  von  Nr.  1) 
die  Transformation  auch  so  wählen,  daß  sich  unter  den  oo® 
Bildern  der  Ebenen  auch  cc^  (dreidimensionale)  Kugeln  be- 
finden. Man  erhält  damit  eine  (unvollständige)  Ebenen- 
Kugeltransfor mation  des  P^.  Eine  vollständige  Geraden- 
Kugel-  oder  Ebenen-Kugel-Transformation  ist  schon  deshalb 
unmöglich,  weil  die  Schar  der  Geraden  und  Ebenen  je  sechs, 
die  der  Kugeln  aber  nur  fünf  Parameter  enthält. 

Genau  entsprechend  zu  der  Untersuchung  in  Nr.  2 kann 
auch  im  die  Abbildung  verallgemeinert  werden  zu  einer 
Transformation,  welche  die  Punkte  P abbildet  auf  oo^  von 
den  00®  Tangenten  einer  dreidimensionalen  F^  oder  Funda- 
mentalmannigfaltigkeit die  K‘  enthält. 

Schon  die  Gestalt  der  Gleichungen  (3)  zeigt,  wie  man 
von  hier  aus  zu  bestimmten  Verallgemeinerungen,  zu  ent- 
sprechenden Punkt-Geradentransformationen  in  Räumen  höherer 
Dimension  gelangen  kann.  Daneben  besteht  die  Aufgabe,  zu- 
nächst im  R^  einen  Überblick  über  alle  Möglichkeiten  zu 
gewinnen,  wie  ihn  Lie  für  den  gegeben  hat,  und  alle  diese 
Möglichkeiten  auch  durch  einfache  Beispiele  zu  verwirklichen. 


199 


Über  die  Ausgleichung  des  zukünftigen  bayerischen 
Hauptdreiecksnetzes. 

Von  Sebastian  Fiiisterwalder. 

Vorgetragen  in  der  Sitzung  am  1.  Mai  1915. 

Das  zukünftige  bayerische  Hauptdreiecknetz,  welches  nach 
den  Erkundungen  des  K.  Bayer.  Katasterbureaus  ent- 
worfen^) und  in  Fig.  1 dargestellt  ist,  umfaßt  42  Hauptdrei- 
eckspunkte, 62  Dreiecke,  103  Seiten  und  22  innere  Punkte, 
die  zu  Kranzsystemen  Veranlassung  geben.  Im  Norden  hängt 
es  mit  4 Punkten  und  3 Seiten  mit  dem  preußischen  Haupt- 
dreiecksnetz zusammen,  dem  noch  ein  Punkt  (Kapellenberg) 
des  sächsischen  Dreiecksnetzes ^)  annähernd  gleichwertig  ange- 
schlossen ist,  so  daß  ein  223  Kilometer  langer  Anschlußzug 
(Steigekoppe,  Kreuzherg,  Großgleichberg.  Döbra,  Kapellenberg) 
zur  Verfügung  steht,  der  eine  Basismessung  im  Norden  des 
Netzes  überflüssig  erscheinen  läßt.  Im  Süden  ist  eine  Basis- 
messung vorgesehen,  welche  die  Länge  der  Dreiecksseite  München- 
Schweitenkirchen  liefern  soll.  Das  Netz  ist  also,  obwohl  es 
im  übrigen  nur  eine  schlichte  Folge  von  Dreiecken  ohne  Dia- 
gonalen darstellt,  reichlich  verwickelt  und  seine  Ausgleichung 
stellt  auf  alle  Fälle  eine  umfangreiche  Arbeit  dar,  die  wohl 
überlegt  sein  will.  Wenn  das  Netz  als  Ganzes  ausgeglichen 

Es  ist  hier  gegenüber  dem  ursprünglichen  Entwurf  um  die  Punkte  8 
(Steigekoppe)  und  34  (Breitsöl)  erweitert  um  eine  weitere  ])reußische 
Anschlußseite  einheziehen  zu  können. 

')  Vgl.  diese  Berichte,  Jahrgang  1914,  S.  241, 


200 


S.  Finsteiwalder 


werden  soll,  so  kommen  vornehmlich  zwei  Methoden  in  Be- 
tracht, die  zuerst  besprochen  werden  sollen. 

Die  Methode  der  bedingten  Beobachtungen.  Die 
Beobachtungen  an  den  42  Stationen  ergeben  ebensoviele  Rieh- 
tungssätze  mit  2 • 103  = 206  Richtungen,  die  durch  206  — 42 
= 164  Richtungswinkel  ausgedrückt  werden  können.  Wegen 
des  im  Norden  zu  übernehmenden  Anschlußzuges  fallen  3 von 
den  in  den  mittleren  Ecken  sonst  zu  beobachtenden  Winkel 


+ 


0 10  20  30  iOM607D  80  90IOOTtOt2Da>Ml6ll6»l?OlM80200  Ktm. 


Üljer  die  Ausgleiclmn«?  etc.  ^01 

weg,  da  diese  dem  Ansclilußzug  zu  entnehmen  sind.  Es  ver- 
bleiben also  161  beobachtete  Richtungswinkel.  Diese  unter- 
liegen zunächst  den  62  Dreiecks-Schlußbedingungen  und  den 
22  Kranzbedingungen.  Außerdem  kommen  noch  4 Seiten- 
bedingungen hinzu,  welche  aussagen,  daß  die  Basis  im  Süden 
ein  bestimmtes  Verhältnis  zu  den  4 Anschlußseiten  im  Norden 
hat.  Es  sind  also  im  Ganzen  62  22  -f-  4 = 88  Bedingungen 

zu  berücksichtigen.  Dementsprechend  ergeben  sich  ebensoviele 
Gleichungen  für  die  unbekannten  88  Korrelaten,  aus  denen 
sich  die  Verbesserungen  der  161  beobachteten  Richtungswinkel 
aufbauen.  Die  verbesserten  Winkel  gewährleisten  dann  eine 
widerspruchfreie  Berechnung  der  Seiten  des  Netzes  und  der 
Koordinaten  der  Eckpunkte. 

Die  Methode  der  vermittelnden  Beobachtungen. 
Von  den  42  Netzpunkten  sind  37  neu  zu  bestimmen.  Diese 
haben  74  unbekannte  Koordinaten.  Letztere  werden  so  ge- 
wählt, daß  die  161  gemessenen  Winkel  möglichst  richtig  und 
die  Seite  München-Schweitenkirchen  genau  nach  der  Messung 
wiedergegeben  werden.  Mittels  der  letzteren  Bedingung  kann 
man  eine  (z.  B.  die  nordsüdliche)  Koordinate  von  Schweiten- 
kirchen  eliminieren,  so  daß  73  unbekannte  Koordinaten  übrig 
bleiben,  durch  deren  Wahl  den  161  Beobachtungen  möglichst 
Rechnung  getragen  wird.  Die  Zahl  der  Unbekannten  ist  hiev 
also  nur  73  und  die  Unbekannten  sind  das  gewünschte  Schluß- 
ergebnis der  Ausgleichung. 

Beide  Arten  der  Ausgleichung  haben  ihre  Vor-  und  Nach- 
teile; es  unterliegt  aber  kaum  einem  Zweifel,  daß,  so  lange 
man  nur  unter  ihnen  zu  wählen  hat,  im  vorliegenden  Falle 
die  zweite  Art  den  Vorzug  verdient.  Die  Hauptrechenarbeit 
beruht  in  der  Auflösung  der  Gleichungen  für  die  Unbekannten 
und  wächst  mit  dem  Quadrat  ihrer  Anzahl;  diese  Rechenarbeit 
verhält  sich  also  in  den  beiden  Fällen  wie  88^ : 73^  = 7744  : 5329. 
Der  Umstand,  daß  die  Bedingungsgleichungen  bei  der  ersten 
Methode  erheblich  leichter  zu  bilden  sind  als  die  Fehlerglei- 
chungen bei  der  zweiten,  hebt  den  Unterschied  zu  Gunsten  der 
zweiten  Methode  nicht  auf.  Aber  auch  in  der  Art  des  Schluß- 


202 


S.  Finsterwalder 


ergebuisses  ist  die  zweite  Art  der  ersten  überlegen,  da  dieses 
gerade  in  den  gesuchten  Punktkoordinaten  besteht,  wobei  deren 
mittlere  Fehler,  ja  wenn  man  will  sogar  die  Fehlerellipsen  der 
gefundenen  Lagen  der  Punkte  in  unmittelbarem  Anschluß  an 
die  Auflösung  der  Normalgleichungen  gefunden  werden  können. 
Die  erste  Art  liefert  unmittelbar  und  einfach  nur  den  mitt- 
leren Fehler  der  gemessenen  Winkelgrößen  und  dient  in  diesem 
Sinne  gewissermaßen  nur  der  Befriedigung  der  persönlichen 
Eitelkeit  der  Messenden,  ohne  zugleich  eine  ausreichende  Kritik 
des  Ergebnisses  zu  ermöglichen,  da  die  Punktlagen  nicht  bloß 
von  der  Genauigkeit  der  gemessenen  Winkel,  sondern  in  nicht 
minderem  Grade  von  der  Anlage  des  Netzes  abhängen.  Eine 
Berechnung  der  Koordinatenfehler,  die  ja  an  sich  möglich  ist, 
erweist  sich  hier  wegen  der  großen  Zahl  der  Korrelaten  prak- 
tisch als  ganz  undurchführbar.  Welche  von  den  beiden  Arten 
der  Ausgleichung  man  auch  wählen  mag,  stets  wird  die  rie- 
sige Rechenarbeit  in  einem  gewissen  Mißverhältnis  zu  dem  er- 
zielten Schlußergebnis  stehen,  wenn  man  nämlich  praktische 
Erwägungen  als  ausschlaggebend  erachtet  und  nicht  das  Be- 
wußtsein, das  Beste  unter  dem  Möglichen  erreicht  zu  haben, 
als  genügenden  Ausgleich  für  die  aufgewendete  Arbeit  ansieht. 
Das  erwähnte  Mißverhältnis  liegt  in  der  Natur  der  Ausglei- 
clmng  aus  einem  Guß  begründet.  Gerade,  weil  sie  den  vielen 
auf  das  Ergebnis  einwirkenden  Umständen  einzeln  und  unpar- 
teiisch Rechnung  trägt,  wird  die  Abhängigkeit  des  Ergebnisses 
von  diesen  Umständen  so  verwickelt,  daß  sie  weder  genau  aus- 
gerechnet, noch  auch  im  Einzelnen  durchschaut  werden  kann. 
Rein  praktische  Erwägungen  haben  in  vielen  ähnlichen  Fällen, 
z.  B.  auch  bei  der  Ausgleichung  des  alten  bayerischen  Haupt- 
dreiecksnetzes durch  V.  Orff  zu  einer  Teilung  des  Netzes  (bei 
V.  Orff  in  30  Polygone)  geführt,  wobei  das  Ergebnis  der  Aus- 
gleichung des  einen  Teils  immer  als  Zwangsbedingung  für  die 
Ausgleichung  des  anschließenden  Teiles  eingeführt  wird.  Da- 
durch wird  die  Rechenarbeit  auf  alle  Fälle  sehr  erheblich  ver- 
mindert. Allerdings  ist  das  Schlußergebnis  abhängig  von  der 
Art  der  Zerlegung  des  Netzes  und  der  Reihenfolge  der  Teile 


Übel-  die  Ausgleichung  etc. 


203 


bei  der  Ausgleichung.  Auch  verzichtet  man  von  vorneherein 
auf  die  möglichst  günstige  Ausgleichung.  In  wieweit  bei  einer 
solchen  teilweisen  Ausgleichung  eine  ausreichende  Kritik  der 
Messungsgenauigkeit  und  ein  genügender  Einblick  in  die  Sicher- 
heit des  Messungsergebnisses  erzielt  wird,  hängt  ganz  und  gar 
von  der  Anordnung  der  Ausgleichung  ab.  Es  soll  im  folgen- 
den ein  diesbezüglicher  Vorschlag  gemacht  werden,  welcher 
die  genannten  Gesichtspunkte  in  befriedigender  Weise  berück- 
sichtigt. 

Der  Vorschlag  setzt  voraus,  dals  Näherungskoordinaten 
von  den  Hauptdreieckspunkten  bereits  bekannt  sind,  was  für 
das  bayerische  Netz  durch  die  Vorarbeit  des  Verfassers')  zu- 
trifft. In  dieser  sind  in  gemeinsamer  konformer  Doppelprojek- 
tion die  genauen  Koordinaten  der  Anschlufäpunkte  und  die  ge- 
näherten Koordinaten  der  übrigen  Netzpunkte  gegeben^)  und 
es  ist  das  System  so  gewählt,  daß  unter  Beibehaltung  der 
Gaußschen  Projektionskugel  die  genäherten  Koordinaten  des 
nördlichen  Frauenturms  in  München  die  Werte  Null  erhalten. 
Von  dem  preußischen  System  der  konformen  Doppeiprojektion 
unterscheidet  sich  das  genannte  nur  in  der  Wahl  des  Aus- 
gangsmeridians, der  durch  München  statt  durch  31°  öst.  Ferro 
geht  und  die  Zählung  der  Abszissen,  die  von  München  aus, 
statt  von  52°  42'  2!'5  n.  B.  aus  geschieht.  Das  Netz  wird  nun 
durch  die  in  Fig.  1 angedeuteten  strichpunktierten  Linien  in 
7 Felder  zerschnitten  und  in  jedem  Feld  ein  trigonometrischer 
Punkt  als  Ausgangspunkt  gewählt.  .ledes  Feld  stellt  ein  ein- 
faches Teilnetz  mit  wenigen  Bedingungen  dar;  es  soll  ohne 
jeden  Zwang  für  sich  ausgeglichen  werden  und  zwar  nach 
der  Methode  der  bedingten  Beobachtungen.  Folgende  Tabelle 
gibt  eine  Übersicht  der  in  Betracht  kommenden  Verhältnisse. 


ü Es  fehlen  die  genäherten  Koordinaten  des  Punktes  34  (Breitsöl); 
diese  sind:  Absc. -f-  198394,4,  Ord.  — 154145,7. 

2)  Der  Zusammenschluß  des  preußischen  und  sächsischen  Haupt- 
dreiecksnetzes im  Norden  von  Bayern.  Diese  Berichte  1914,  S.  259. 


204 


>S.  i'insterwalder 


Nummer  des  Feldes 

1 

2 3 

4 

5 

' I 

6 7 Summe 

Zahl  der  Dreiecke  .... 

9 

1 

ü 14 

9 

7 

7 10  62 

Zahl  der  Zentralp 

1 

1 2 

1 

1 

1 2 9 

Zahl  der  Bedingungsgl.  . . 

10 

7 i 16 

10 

8 

8 12  71 

Rechenarbeit 

100 

49  i 25G 

100 

64 

64  ; 144  : 777 

Es  werden  nun  mit  den  ausgeglichenen  Winkelwerten  und 
einem  passenden  Näherungswert  für  die  Längen  ausgehend  von 
den  Näherungskoordinaten  des  gewählten  Ausgangspunktes  des 
Feldes  Koordinaten  aller  derjenigen  Punkte  des  zugehörigen 
Teilnetzes  gerechnet,  welche  mit  den  preußischen  Festpunkten 
oder  mit  den  Grenzpunkten  eines  Nachbarfeldes  Zusammen- 
treffen sollen.  Naturgemäß  entstehen  dabei  gegenüber  den 
preußischen  Festpunkten  und  an  den  Grenzpunkten  benach- 
barter Felder  Koordinatenunterschiede,  die  einer  zusammen- 
fassenden Hauptausgleichung  unterzogen  werden  sollen. 
Wir  denken  uns  dabei  die  einzelnen  Felder  unter  Beibehaltung 
ihrer  Form  ähnlich  verändert,  verschoben  und  gedreht,  so  daß 
ein  möglichstes  Zusammenpassen  der  Felder  untereinander  und 
gleichzeitig  ein  möglichst  günstiger  Anschluß  an  die  preußi- 
schen Festpunkte  erfolgt.  In  dem  6.  Feld,  das  die  Basisseite 
München-Schweitenkirchen  (6 — 24)  enthält  und  das  in  seinen 
Abmessungen  hiedurch  schon  bestimmt  ist,  soll  sich  die  Ver- 
änderung bloß  auf  Verschiebung  und  Drehung  beschränken. 
Da  die  Verschiebung  des  Ausgangspunktes  je  zwei,  die  Ver- 
drehung und  Maßstabänderung  je  eine  unbekannte  Größe  für 
das  Feld  einführt,  so  sind  hiernach  6 • 4 -j-  3 = 27  Unbekannte 
zu  bestimmen.  Die  dabei  notwendige  Rechenai-beit  wird  durch 
27-  = 729  ausgedrückt  und  es  beziffert  sich  die  Gesamtrechen- 
arbeit einschließlich  der  in  der  Tabelle  ausgewiesenen  auf 
729  -1-  777  = 1506  gegenüber  7744  bzw.  5329  bei  der  Aus- 
gleichung aus  einem  Guß.  Sie  kann  also  auf  ein  Fünftel  bis 
ein  Drittel  von  jener  geschätzt  werden.  Ehe  wir  auf  die  wei- 
teren erheblicheren  Vorteile  dieser  Ausgleichung  in  Teilen  auf- 


über  die  Ausgleichung  etc. 


205 


merksam  machen,  soll  auf  die  genauere  Durchführung  der- 
selben näher  eingegangen  werden. 

Von  den  24  Punkten,  welche  bei  der  angegebenen  Felder- 
einteilung auftreten,  haben  4,  nämlich  8,  9,  11  und  12  feste 
preußische  Koordinaten  und  einfache  Pelderkoordinaten,  die  bei 
8 und  9 dem  Felde  1,  bei  11  und  12  dem  Felde  2 angehören. 
Man  wird  die  Quadrate  der  Koordinaten-Unterschiede  der  Feld- 
koordinaten gegenüber  den  festen  Koordinaten,  oder,  was  auf 
das  Gleiche  hinausläuft,  Q die  Quadrate  der  Entfernungen  der 
Feldlagen  von  den  festen  Lagen  in  die  Fehlerquadratsumme 
aufnehmen.  Der  Punkt  10  kommt  in  2 Feldern  vor  und  ist 
außerdem  preußischer  Anschlußpunkt.  Man  wird  das  Quadrat 
der  Entfernung  des  Mittels  beider  Feldlagen  von  der  festen 
Lage  in  die  Fehlerquadratsumme  einrechnen,  um  seiner  Eigen- 
schaft als  Anschlußpunkt  an  die  preußische  Vermessung  ge- 
recht zu  werden.  Als  gegen.seitiger  Anschlußpunkt  zweier  be- 
nachbarter Felder  wird  er  wie  die  Punkte  13,  14,  15,  17,  18, 
19,  20,  21,  22,  24,  26,  27,  28,  29,  30,  31  zu  behandeln  sein. 
Man  nimmt  das  doppelte  Quadrat  der  Entfernung  jeder  der 
beiden  Feldlagen  von  ihrer  Mittellage  in  die  Fehlerquadrat- 
summe auf.  Der  Punkt  23  kommt  in  3 benachbarten  Feldern 
vor.  Er  liefert  3 Fehlerquadratsummanden,  die  aus  den  Ent- 
fernungen jeder  Feldlage  vom  Schwerpunkt  der  3 Feldlagen 
gebildet  werden.  Die  Punkte  16  und  25  endlich  treten  in  4 
verschiedenen  Feldlagen  auf,  aus  denen  je  4 Bestandteile  der 
Fehlerquadratsumme  dadurch  gebildet  werden,  daß  man  die 
Entfernung  jeder  Feldlage  vom  Schwerpunkt  der  4 Feldlagen 
quadriert.  Es  setzt  sich  also  die  Fehlerquadratsumme  aus  fol- 
genden Summanden  zusammen : 5 Summanden  infolge  des  preus- 
sischen  Anschlusses,  17  mal  2 Summanden  infolge  des  Auf- 

Das  gilt  nur  so  lange,  als  die  Entfernungen  sich  wie  in  der 
Ebene  aus  den  Koordinaten-Unterschieden  berechnen  lassen.  Bei  kon- 
formen Koordinaten  wird  hiebei  die  Maßstabsänderung  vernachlässigt, 
die  bis  zu  0,4®/oo  betragee  kann.  So  lange  die  Verschiebungen  unter 
einigen  Metern  bleiben,  ist  das  erlaubt.  Eine  Berücksichtigung  der  Maß- 
stabsänderung begegnet  keinerlei  Schwierigkeiten. 

Sitzungsb.  d.  m.ith.-pbys.  Kl.  Jabrg.  1915. 


14 


206 


S.  FinsterwilUlcr 


tretens  von  ebensoviel  doppelten  gegenseitigen  Anschlußpunkten 
zweier  Felder,  1 mal  3 Summanden  infolge  des  dreifachen  und 
2 mal  4 Summanden  infolge  der  beiden  vierfachen  Anschluß- 
punkte. Es  gibt  insgesamt : 5-|- 34  -1-3-1-8  = 50  Entfernungs- 
quadrate oder  die  doppelte  Zahl,  wenn  man  die  Quadrate  der 
Koordinaten -Unterschiede  zählt.  Letztere  Zählung  schmiegt 
sich  mehr  der  üblichen  Bildung  der  Fehlergleichungen  an,  in- 
dem man  die  verbleibenden  Koordinaten -Unterschiede  als  Ver- 
besserungen ansieht,  die  an  den  verschiedenen  Feldkoordinaten 
anzubringen  sind,  damit  letztere  für  denselben  Punkt  gleiche 
Werte  ergeben.  Diese  Verbesserungen  sind  Funktionen  der 
27  einzuführenden  Unbekannten  und  ihre  Quadratsumme  wird 
durch  geeignete  Wahl  derselben  zu  einem  Minimum  gemacht. 
Als  Unbekannte  führt  man  am  besten  ein:  die  Koordinaten- 
Verschiebungen  der  7 Felder- Ausgangspunkte,  welch  letztere 
mit  1 bis  7 bezeichnet  sind,  die  kleinen  Drehwinkel,  die  diese 
Felder  erfahren  und  6 kleine  Größen,  die  zur  Einheit  addiert, 
das  geänderte  Maßstabverhältnis  der  Felder  1,  2,  3,  4,  5 und  7 
kennzeichnen.  Feld  6 behält,  wie  schon  erwähnt,  den  Basis- 
maßstab bei.  Bezeichnen  wir  mit  x”*,  y'"  die  Koordinaten  des 
^ten  Punktes  im  Feld  nach  der  ersten  Teilausgleichung, 
mit  X"'  y"‘  dieselben  Koordinaten  nach  der  Schlußausgleichung 
und  nennen  wir  die  kleinen  Koordinaten -Verschiebungen  des 
Feldausgangs-Punktes  dx,,,,  dy„,,  den  Drehwinkel  da,,,  und  die 
Streckung  der  Einheit  dk,,,,  so  bestehen  folgende  Beziehungen:') 

^ _ (jm  _ da,,,  -f  (x’"  — X„,)  dk,„ 

y'^  ~ y"l  "F  di/i„  (x'l^  Xm)  da,„  -p  ■ y,„)  dkm, 

x,„  und  y„,  sind  dabei  die  Koordinaten  des  Feldausgangs-Punktes 
vor  der  Hauptausgleichung  x,„  -j-  dx„,,  ym  + dy,,,  nach  derselben. 

Die  früher  erwähnten  2 x 50  = 100  Fehlergleichungen 
lassen  sich  nun  mittels  obiger  Differentialformeln  leicht  bilden. 

Diese  Formeln  gelten  streng  nur  für  ebene  Koordinaten.  Bei 
konformen  Koordinaten  wäre  wieder  der  Maßstabuntersehied  zwischen 
dem  Ausgangspunkt  und  dem  betrachteten  Punkt  zu  berücksichtigen. 


über  die  Ausgleichung  etc. 


207 


Einige  charakteristische  Gleichungen  dieser  Art  mögen  ange- 
führt werden.  Die  Koordinaten  der  preulsischen  Anschluß- 
punkte werden  mit  griechischen  Buchstaben  bezeichnet. 

Für  den  preußischen  Anschlußpunkt  9 im  Feld  1 : 

iCQ  — 1^9  = 

Ähnlich  in  y und  >/;  insgesamt  8 Gleichungen. 

Für  den  preußischen  Anschlußpunkt  10  in  den  Feldern  1 
und  2: 

^ (^10  ^lo)  ?10  ^10 

Ähnlich  in  y und  insgesamt  2 Gleichungen. 

Für  den  gleichen  Punkt  10  als  gegenseitiger  Anschluß- 
punkt der  Felder  1 und  2: 

■g  (^10  ~1~  ^io)  ^10 

x\o  — i (^lo  + a:io)  = vln 
Ähnlich  in  y\  insgesamt  68  Gleichungen. 

Für  den  Punkt  23  als  gegenseitiger  Anschlußpunkt  der 
Felder  3,  5 und  6: 

^23  ^ (^23  ~1“  ^23  “P  ^23)  ^23 

^23  — i + Xli  4-  x%)  = v'n 

4 (ß'ii  4“  ^23  4"  ^23)  ^23 

Ähnlich  in  y;  insgesamt  6 Gleichungen. 

Für  den  Punkt  16  als  gegenseitiger  Anschlußpunkt  der 
Felder  1,  2,  3 und  4: 

icjs  — 4 (a:}6  4-  3^16  4-  ^te  4-  = Vic 

^'le  — i (a^le  + ^16  4-  ^16  4-  ^te)  = v'ib 
— 4 4-  ^le  4-  ^16  + ^te)  = v"b 

^IG  4 (^16  4“  ^16  4"  ^16  4~  ^Ig)  ^IG 

Ähnlich  in  y:  insgesamt  16  Gleichungen. 

Diese  100  Gleichungen  werden  nach  den  27  Unbekannten 
dx„i,  dy,„,  da,,,,  dTc„,  geordnet  und  aus  ihren  Koeffizienten  in 
der  üblichen  Weise  jene  der  Normalgleichungen  gebildet,  deren 

14* 


208 


S.  Filisterwillder 


Auflösung  dann  die  Werte  der  Unbekannten  liefert.  Die  Be- 
rechnung der  Gewichtskoeffizienten  und  der  mittleren  Fehler 
der  Unbekannten,  die  bei  ihrer  mätiigen  Auswahl  vollständig 
durchgeführt  werden  kann,  liefert  dann  die  wertvollsten  Auf- 
schlüsse über  die  erzielte  Genauigkeit  der  Lagehestimraung 
durch  die  Triangulation,  indem  sie  die  mittleren  Punktfehler 
oder,  wenn  man  will,  auch  die  Fehlerellipsen  von  7 über  das 
Netz  gut  verteilten  Punkten  ergibt  und  außerdem  noch  die 
Sicherheit  der  Orientierung  und  der  Maßstahbestimmung  in  den 
7 um  diese  Punkte  herumliegenden  Feldern,  wobei  der  preus- 
sische  Anschluß  im  Norden  die  Ausgangsbasis  für  die  genannte 
Genauigkeitsbestimmung  in  dem  Sinne  abgibt,  daß  die  mitt- 
leren Punktfehler  und  Orientierungsfehler  gegenüber  jener  als 
richtig  angenommenen  Basis  zu  gelten  haben. 

Mit  den  aus  der  Hauptausgleichung  ermittelten  Unbe- 
kannten werden  nun  die  Koordinaten  der  den  einzelnen  Fel- 
dern zugehörigen  Punkte  korrigiert  und  für  die  Grenzpunkte 
zweier  oder  mehrerer  Felder  die  Koordinaten  gemittelt.  Diese 
betrachtet  man  jedenfalls  als  endgiltige  Werte  und  man  hat 
dann  außer  den  5 preußischen  Anschlußpunkten  noch  19  wei- 
tere feste  Punkte,  die  über  das  ganze  Netz  verteilt  sind.  Sind 
die  AnschlußdifFerenzen  genügend  klein,  so  kann  man  die  7 
ausgeglichenen  Ausgangspunkte  eines  jeden  Feldes  unbedenk- 
lich zu  den  24  schon  bestimmten  Punkten  hinzunehmen  und 
die  noch  fehlenden  Punkte  mit  jenen  Koordinaten  ansetzen, 
die  sie  nach  der  Hauptausgleichung  in  ihrem  Felde  haben. 
Sollten  sich  jedoch,  was  kaum  zu  erwarten  ist,  Anschlußdiffe- 
renzen heraussteilen,  die  zu  Bedenken  Anlaß  geben,  so  bliebe 
immer  noch  der  Ausweg,  an  den  19  -j-  5 Punkten  festzuhalten 
und  die  übingen  Punkte  jedes  Feldes  durch  kombiniertes  Vor- 
und  Bückwärtseinschneiden  einzuschalten.  Man  hätte  auf  diese 
Weise  im  ersten  Feld  3,  im  zweiten  Feld  1,  im  dritten  Feld  3, 
im  vierten  Feld  2,  im  fünften  Feld  3,  im  sechsten  Feld  1,  im 
siebenten  Feld  5 Punkte  gemeinsam  einzuschalten.  Die  be- 
treffende Rechenarbeit  wäre  mit  6®  ff-  2^  -|-  6^  -j-  4^  -j-  6^  -f- 
2®  -j-  10®  = 232  zu  beziffern.  Es  würde  sich  damit  die  Ziffer 


über  die  Ausgleichung  etc. 


209 


für  die  Gesamtrechenarbeit  auf  1738  erhöhen,  bliebe  aber  noch 
weit  hinter  der  Mindestziffer  5329  einer  Gesarataussrleichunsf 

O O 

aus  einem  Guö  zurück.^) 

Fassen  wir  endlich  zusammen,  was  sich  zu  Gunsten  der 
vorgeschlagenen  Ausgleichung  nach  7 Feldern  sagen  läßt. 

1.  Die  Rechenarbeit  ist  gegenüber  einer  Gesamtausglei- 
chung auf  ein  Drittel  bis  ein  Viertel  vermindei't;  sie  kann  in 
jedem  Felde  für  sich  begonnen  und  weiter  geführt  werden; 
man  braucht  also  nicht  das  Ende  der  Messungen  abzuwarten. 

2.  Die  zwanglose  Ausgleichung  der  einzelnen  Felder  liefert 
einwandfreies  Material  zur  Ermittelung  der  reinen  Winkel- 
messungsfehler. 

3.  Aus  der  Zusammenfügung  der  Felder  ergeben  sich  für 
sieben  gut  verteilte  Punkte  des  Netzes  die  Lagen-,  Orien- 
tierungs-  und  Maßstabfehler  und  damit  wird  eine  zutreffende 
Kritik  des  eigentlichen  Messungsergebnisses  erzielt. 

4.  Das  Ausgleichungsverfahren  trägt  insofern  systema- 
tischen Charakter,  als  das  Ergebnis  desselben  zwar  von  der 
Art  der  Feldereinteilung,  nicht  aber  von  der  Reihenfolge,  in 
der  die  Felder  aneinandergefügt  werden,  abhängt.  Im  vor- 
liegenden Falle  ist  übrigens  die  Art  der  Feldereinteilung  durch 
die  Zahl  der  Felder  und  die  Rücksichten  auf  den  preußischen 
Anschluß  sowie  die  südbayerische  Basismessung  so  gut  wie 
festgelegt. 


9 Bei  der  Hauptausgleichung  werden  auch  die  Koordinaten  des 
Punktes  6 (München,  nördl.  Frauenturm)  kleine  Änderungen  erfahren  und 
nicht  mehr  genau  gleich  Null  sein.  Legt  man  wegen  der  alten  Kataster- 
blatt-Einteilung Wert  darauf,  die  Koordinaten  Null  für  diesen  Punkt 
beizuhalten,  so  ist  eine  Transformation  sämtlicher  Koordinaten  erforder- 
lich, die  sich  jedoch  bei  der  voraussichtlichen  Kleinheit  der  Änderungen 
sehr  einfach  erledigen  läßt. 


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211 


Die  Lösung  der  Spannungsaufgabe  für  das 
Ausnahmefachwerk. 

Von  A.  Föppl. 

Vorgelegt  in  der  Sitzung  am  1.  Mai  1915. 

Die  Theorie  des  Fachwerks  beschäftigt  sich  hauptsächlich 
mit  der  Ermittelung  der  Stabspannungen,  die  entweder  in 
einem  statisch  bestimmten  oder  auch  in  einem  unbestimmten 
Fachwerke  durch  gegebene  Lasten  hervorgebracht  werden,  die 
an  den  Knotenpunkten  angreifen.  Schon  längst  hat  man  ver- 
schiedene Verfahren  gefunden,  nach  denen  diese  Spaiinungs- 
aufgabe  für  das  ebene  wie  für  das  räumliche  Fachwerk  in  fast 
allen  überhaupt  möglichen  Fällen  ohne  Schwierigkeit  und  in 
befriedigender  Weise  gelöst  werden  kann. 

So  weit  es  sich  um  statisch  unbestimmte  Fachwerke  han- 
delt, legt  man  bei  der  Lösung  der  Spannungsaufgabe  die  An- 
nahme zu  Grunde,  daß  die  Längenänderungen  der  Stäbe  pro- 
portional mit  den  Stabspannungen  und  zugleich  so  klein  gegen 
die  ursprünglichen  Stablängen  sind,  daß  sie  mit  hinreichender 
Genauigkeit  als  unendlich  klein  in  die  Rechnung  eingefUhrt 
werden  dürfen.  Bei  den  praktischen  Anwendungen,  die  man 
von  der  Theorie  des  Fachwerks  im  Bauwesen  zu  machen  hat, 
trifft  diese  Voraussetzung  stets  mit  großer  Annäherung  zu. 

Größere  Abweichungen  bestehen  freilich  bei  den  prak- 
tischen Bauausführungen  von  der  anderen  Annahme,  daß  die 
Fachwerkstäbe  in  den  Knotenpunkten  frei  drehbar  miteinander 
verbunden  sein  sollen.  Dle.se  Annahme  liegt  indes.sen  schon 
dem  geometrischen  Begriffe  des  Fachwerks  zu  Grunde.  Wenn 


212 


A.  Föppl 


sie  nicht  genau  genug  erfüllt  ist,  wird  dadurch  zwar  die  An- 
wendbarkeit der  Theorie  auf  den  betreffenden  Fall  der  Bau- 
ausführung entsprechend  beeinträchtigt;  der  Fachwerktheorie 
selbst  kann  aber  kein  Vorwurf  daraus  gemacht  w'erden,  daß 
sie  auf  Umstände  keine  Rücksicht  nimmt,  die  überhaupt  nicht 
in  ihren  Aufgabenkreis  fallen. 

Mit  diesen  Vorbehalten  kann  man  sagen,  daß  die  Span- 
nungsaufgabe der  Fachwerktheorie,  abgesehen  von  dem  beson- 
deren Falle,  der  hier  besprochen  werden  soll,  bereits  als  voll- 
ständig befriedigend  gelöst  angesehen  werden  darf.  Bisher 
noch  nicht  gelöst  ist  nämlich  die  Aufgabe  nur  bei  den  soge- 
nannten Ausnahmefachwerken.  Darunter  versteht  man  Fach- 
werke, die  trotz  genügender  Stabzahl  und  sonst  geeigneter 
Gliederung  wegen  der  besonderen  Lage,  in  der  sich  die  Knoten- 
punkte gegeneinander  befinden,  keine  steifen  und  gegen  be- 
liebige Belastungen  widerstandsfähigen  Stabverbände  bilden. 
Um  ein  einfaches  Beispiel  dafür  vor  Augen  zu  haben,  betrachte 
man  den  Zusammenschluß  von  zwei  Dreiecken  in  der  Ebene 
durch  drei  Verbindungsstäbe.  Wenn  man  jeder  Ecke  des  einen 
Dreiecks  eine  Ecke  des  anderen  Dreiecks  als  entsprechend  zu- 
weist und  zwischen  je  zwei  entsprechende  Ecken  einen  Ver- 
bindungsstab anordnet,  erhält  man  im  allgemeinen  ein  stabiles 
ebenes  Fachwerk.  Dagegen  tritt  der  Ausnahmefall  ein,  sobald 
die  Dreiecke  so  zueinander  liegen  und  die  Stäbe  zwischen  ihnen 
so  geführt  werden,  daß  sich  ihre  Richtungslinien  entweder 
in  demselben  Punkte  schneiden  oder  daß  sie  parallel  zu  ein- 
ander sind. 

Ein  anderes  sehr  bekanntes  Beispiel  liefert  das  Pascalsche 
Sechseck.  Ein  Stabverband  aus  9 Stäben,  von  denen  6 den 
Umfangsseiten  eines  Sechsecks  und  die  anderen  den  drei  Haupt- 
diagonalen folgen,  bildet  nämlich  unter  gewöhnlichen  Um- 
ständen ein  widerstandsfähiges  Fachwerk.  Sobald  aber  die 
Ecken  des  Sechsecks  auf  einem  Kegelschnitte  liegen,  bildet 
der  Stabverband  ein  Ausnahmefach wörk. 

Die  Ausnahmefach  werke  haben  seit  langem  in  der  Fach- 
werktheorie eine  wichtige  Rolle  gespielt.  Gewöhnlich  hat  man 


Die  Lösung  d.  Spannungsaufgabe  f.  d.  Ausnahmefachwerk.  213 

sich  aber  doch  nur  insoweit  mit  ihnen  beschäftigt,  als  man 
die  Bedingungen  nachwies,  unter  denen  der  Ausnahmefall  ein- 
tritt.*)  Auf  die  Spannungsaufgabe  ging  man  nicht  näher  ein, 
sondern  begnügte  sich  mit  der  Bemerkung,  daß  im  Grenzfalle, 
der  dem  Ausnahmefachw'erke  entspricht,  die  Spannungen  bei 
beliebig  gegebenen  Lasten  unendlich  groß  ausfielen.  Natürlich 
ist  aber  diese  Aussage  nur  dahin  zu  verstehen  und  auch  nur 
dahin  verstanden  worden,  daß  selbst  noch  so  große  Stabspan- 
nungen kein  Gleichgewicht  mit  den  Lasten  herzustellen  ver- 
mögen,  ohne  daß  eine  Gestaltäuderung  der  Fachwerkfigur  er- 
folgte. Wie  groß  aber  die  Spannungen  nach  einer  solchen 
Gestaltänderung  tatsächlich  ausfielen,  ließ  man  dahingestellt. 

Eine  Gestaltänderung  tritt  bei  jedem  Fach  werke  ein,  wenn 
es  belastet  wird,  da  die  Stäbe  durch  die  Spannungen  elastische 
Längenänderungen  erfahren.  Unter  gewöhnlichen  Umständen 
bleibt  jedoch  die  Gestaltänderung  von  derselben  Größenordnung 
wie  die  Längenänderung  der  einzelnen  Fachwerkstäbe,  so  daß 
sie  bei  der  Spannungsermittelung  überhaupt  nicht  beachtet  zu 
Averden  braucht.  Beim  Ausnahniefachwerk  ist  dies  aber  anders; 
es  stellt  auch  in  dieser  Beziehung  einen  Ausnahmefall  dar, 
indem  eine  merkliche  Gestaltänderung  bereits  möglich  ist,  wenn 
sich  auch  die  Stablängen  nur  um  im  Vergleiche  dazu  unmerk- 
lich kleine  Größen  ändern.  Um  dieser  geometrischen  Eigen- 
schaft der  Ausnahmefachwerke  durch  eine  anschauliche  Be- 
zeichnung Ausdruck  zu  geben,  habe  ich  ihnen  in  meinem  Lehr- 
buche der  graphischen  Statik  das  Eigenschaftswort  „wackelig“ 
beigelegt.  Man  könnte  daher  die  Ausnahmefachwerke  auch 
als  „ WackelfachAverke“  bezeichnen. 

Nachdem  sich  eine  kleine  Gestaltänderung  vollzogen  hat, 
ist  der  Ausnahmefall  nicht  mehr  genau  verwirklicht  und  der 
Stab  verband  wird  um  so  widerstandsfähiger  gegen  weitere  Form- 

1)  Eine  sehr  ausführliche  und  gründliche  Untersuchung  dieser  Art, 
die  sich  auch  auf  das  räumliche  Fachwerk  erstreckt,  hat  neuerdings 
Herr  Prof.  Ernst  Kötter  in  Aachen  unter  dem  Titel  „Über  den  Grenz- 
fall u.  s.  f.“  im  Anhänge  zu  den  Abhandlungen  der  Berliner  Akademie 
für  1912  veröffentlicht.  Sonderabdruck  im  Verlage  d.  Akad.,  Berlin  1913. 


214 


A.  Föppl 


änderungen,  je  mehr  die  Gestalfcänderung  fortschreitet.  Diese 
Überlegung  lehrt,  daß  jeder  Grund  fehlt,  die  Stabspannungen 
als  unendlich  groß  anzusehen;  sie  werden  nur  sehr  groß  aus- 
fallen  im  Verhältnisse  zu  stabilen  Fachwerken  unter  sonst  ähn- 
lichen Umständen,  weil  sich  die  Fachwerkfigur  auch  nach  der 
Formänderung  immerhin  nicht  viel  von  der  dem  Ausnahme- 
falle entsprechenden  unterscheidet.  Aber  wenn  die  Belastung, 
die  von  dem  Fach  werke  aufgenoramen  werden  muß,  ziemlich 
klein  ist,  können  die  Stabspannungen,  die  dadurch  hervor- 
gerufen werden,  leicht  unterhalb  der  Grenzen  bleiben,  die  man 
als  zulässig  anzusehen  hat.  Es  liegt  dann  kein  erhebliches 
Bedenken  gegen  eine  praktische  Ausführung  dieser  Art  vor. 

Freilich  sind  die  Ausnahmefachwerke  im  Vergleiche  mit 
ihnen  sonst  ähnlichen  Anordnungen  von  stabilen  Fachwerken 
stets  nur  in  geringem  Maße  widerstandsfähig.  Man  wird  sie 
daher,  wenn  nicht  zwingende  Gründe  von  anderer  Art  vor- 
liegen, stets  sorgfältig  zu  vermeiden  suchen.  Hierin  ist  jeden- 
falls der  Grund  dafür  zu  erblicken,  daß  man  sich  bisher  so 
wenig  um  die  Lösung  der  Spannungsaufgabe  für  die  Aus- 
nahmefachwerke bemüht  hat.  In  der  ersten  Auflage  meines 
vorher  erwähnten  Lehrbuchs,  die  im  Jahre  1900  erschienen 
ist,  habe  ich  zwar  bereits  für  einen  besonders  einfachen  Fall, 
der  bei  gewissen  praktischen  Anwendungen  tatsächlich  vor- 
kommt, eine  Lösung  der  Spannungsaufgabe  gegeben.  Daran 
habe  ich  damals  die  folgende  Bemerkung  geknüpft:  „Ein  ganz 
allgemein  anwendbares  direktes  Verfahren  für  die  Lösung  dieser 
Aufgabe  ist  bisher,  so  viel  mir  bekannt  ist,  nicht  ausgearbeitet 
worden  und  ich  will  mich  jetzt  auch  nicht  mit  einem  Ver- 
suche aufhalten,  die  Lücke  auszufüllen.“  Hierin  war  offen- 
sichtlich eine  Anregung  ausges])rochen,  diese  Frage  in  Angriff 
zu  nehmen.  Aber  obschon  das  Buch  in  den  Kreisen,  die  sich 
mit  Fragen  dieser  xlrt  beschäftigen,  eine  große  Verbreitung 
gefunden  hat,  scheint  bisher  noch  Niemand  der  Aufforderung, 
wenigstens  nicht  mit  einem  merklichen  Erfolge,  entsprochen 
zu  haben.  Als  ich  vor  einiger  Zeit  selbst  Veranlassung  fand, 
mich  mit  diesen  Dingen  von  neuem  zu  beschäftigen,  beschloß 


Die  Lösung  d.  Spannungsaufgabe  f.  cl.  Ausnahniefachwerk.  21.) 

ich  daher,  selbst  den  Versuch  zu  einer  Lösung  zu  machen,  die 
immerhin  von  vornherein  keineswegs  leicht  erschien.  Dabei 
stellte  sich  jedoch  schließlich  heraus,  daß  die  Lösung  durch 
Einführung  von  Vernachlässigungen,  die  den  Rahmen  der  auch 
sonst  üblichen  nicht  wesentlich  überschreiten,  weit  einfacher 
gestaltet  werden  kann,  als  ich-  anfänglich  vermutet  hatte. 

Hier  werde  ich  mich  damit  begnügen,  das  Verfahren  ganz 
allgemein  zu  beschreiben  und  zu  begründen  und  die  allgemein 
gültigen  Schlußfolgerungen  abzuleiten,  die  sich  daraus  ergeben. 
Zur  besseren  Erläuterung  wäre  freilich  auch  die  Behandlung 
einiger  Beispiele  wünschensw'ert;  aber  diese  möchte  ich  lieber 
auf  eine  andere  Gelegenheit  verschieben. 

Um  zu  einer  leicht  verständlichen,  möglichst  einfachen 
Ausdrucksweise  zu  gelangen,  lege  ich  bei  der  Auseinander- 
setzung des  Verfahrens  ein  ebenes  Fachwerk  zu  Grunde,  wie 
ja  auch  von  jeher  das  ebene  Fachwerk  den  Hauptgegenstand 
fast  aller  Arbeiten  über  die  Fachwerktheorie  gebildet  hat. 
Ich  bemerke  jedoch,  daß  dieselben  Überlegungen  mit  geringen 
Änderungen  ebenso  auch  bei  räumlichen  Ausnahmefachwerken 
zum  Ziele  führen. 

Um  n Knotenpunkt  in  der  Ebene  steif  miteinander  zu  ver- 
binden, braucht  man  2n — ^3  Stäbe.  Diese  müssen  zwischen  den 
Knotenpunkten  so  verteilt  sein,  daß  niemals  zwischen  irgend- 
wie ausgewählten  n‘  von  diesen  Knotenpunkten  (w  > »'  > 1) 
mehr  als  2n‘  — 3 Verbindungsstäbe  verlaufen.  Die  Erfüllung 
dieser  Bedingungen  führt  im  allgemeinen  zu  einem  geome- 
trisch und  statisch  bestimmten  Fach  werke;  dem  Begriffe  des 
„Ausnahmefach Werks“  oder  „Grenzfachwerks“  entspricht  es, 
daß  dieselben  Bedingungen  bei  ihm  ebenfalls  erfüllt  sein  sollen. 

Nimmt  man  aus  dem  hiernach  aufgebauten  Verbände  der 
2n  — 3 Stäbe  einen  beliebig  ausgewählten  Stab  heraus,  so 
wird  ein  zwangläufiger  Mechanismus  entstehen.  Das  gilt  eben- 
falls nicht  nur  für  das  statisch  bestimmte  Fachwerk,  sondern 
im  allgemeinen  auch  noch  für  das  Ausnahmefachwerk.  Man 
muß  allerdings  hinzufügen,  daß  Herr  Ernst  Kötter  in  seinem 
Beitrage  zur  Festschrift  für  Müller-Breslau  und  auch  in  der 


216 


A.  Föppl 


vorher  schon  angeführten  Akademieschrift  darauf  hingewiesen 
hat,  daß  dies  nicht  unbedingt  so  sein  muß.  Man  kann  näm- 
lich, wie  Herr  Kötter  gezeigt  hat,  auch  solche  Stabverbände 
angeben,  die  bei  n Knotenpunkten  und  weniger  als  2n  — 3 
Stäben  trotzdem  „in  sich  einspannbar“,  d.  h.  fähig  sind,  ein 
Spannungsbild  von  Eigenspannungen  ohne  Mitwirkung  äußerer 
Lasten  aufzunehmen  und  die  außerdem  bei  streng  unveränder- 
lichen Stal)längen  auch  als  unverschieblich  zu  betrachten  wären. 
Es  ist  daher  nicht  ausgeschlossen,  daß  man  nach  Entfernung 
eines  Stabes  aus  dem  Verbände  von  2 n — 3 Stäben  nicht  auf 
einen  Mechanismus,  sondern  auf  einen  solchen  Kötterschen 
Stabverband  kommt.  Aber  von  diesem  ganz  besonderen  Falle 
will  ich  hier  absehen  und  mich  damit  begnügen,  ein  gewöhn- 
liches Ausnahmefachwerk  zu  untersuchen,  das  durch  Fortnahme 
eines  Stabs  in  einen  Mechanismus  verwandelt  werden  kann. 

Daß  der  Stabverband  ein  Ausnahmefachwerk  bildet,  ist 
alsdann  darauf  zurückzuführen,  daß  der  Stab,  den  man  ent- 
fernt hatte,  um  einen  Mechanismus  herzustellen,  nach  seinem 
Wiedereinsetzen  wenigstens  eine  kleine  Bewegung  des  Mecha- 
nismus  nicht  zu  verhindern  vermag.  Das  ist  nur  unter  der 
Bedingung  möglich,  daß  sich  der  Abstand  der  Knotenpunkte 
des  Mechanismus,  zwischen  denen  der  herausgenommene  Stab 
verlief,  bei  einer  kleinen  Bew'egung  des  Mechanismus  ohnehin 
nicht  ändert  und  daß  daher  die  bestehende  Bewegungsmög- 
lichkeit durch  das  Einsetzen  des  Stabs  nicht  wieder  aufgehoben 
werden  kann.  Diese  Überlegung  führt  zu  dem  von  Mohr  für 
die  Ausnahmefachwerke  angegebenen  Kennzeichen,  daß  irgend 
ein  Stab,  etwa  der,  den  wir  uns  herausgenommen  dachten,  eine 
Länge  haben  muß,  die  entweder  ein  Maximum  oder  ein  Mini- 
mum bildet,  das  mit  den  als  gegeben  anzusehenden  Längen 
aller  übrigen  Stäbe  aus  Gründen  des  geometrischen  Zusammen- 
hangs noch  verträglich  ist. 

Der  kürzeren  Ausdrucksweise  wegen  soll  hier  der  Stab, 
durch  dessen  Herausnahme  man  das  Fachwerk  in  den  vorher 
besprochenen  Mechanismus  verwandelt,  als  der  Hauptstab 
bezeichnet  werden.  Bei  der  Bezifferung,  durch  die  wir  her- 


Die  Lösung  d.  Spiinnungsaufgabe  f.  d.  Ausnahiiiefachwerk. 


217 


nach  die  einzelnen  Stäbe  des  Facliwerks  voneinander  unter- 
scheiden wollen,  soll  er  die  Ziffer  0 erhalten.  Welchen  Stab 
des  Fachwerks  man  als  den  Hauptstah  ansehen  will,  ist  im 
allgemeinen  gleichgültig,  wenn  nur  für  ihn  das  vorher  ge- 
nannte Mohrsche  Kennzeichen  zutrifft.  Gewöhnlich  und  so 
auch  bei  den  vorher  als  Beispiele  angeführten  einfachen  Fällen 
kann  sogar  jeder  Stab  des  Faehwerks  als  Hauptstab  ausge- 
wählt werden.  Gehen  jedoch  z.  B.  von  einem  Knotenpunkte 
nur  zwei  Stäbe  aus,  die  nicht  in  einer  geraden  Linie  liegen, 
so  kann  von  diesen  beiden  Stäben  jedenfalls  keiner  als  Haupt- 
stab angesehen  werden,  da  das  vorher  angeführte  Mohrsche 
Kennzeichen  für  ihn  nicht  zutrifft.  Ferner  ergibt  sich  aus  den 
weiteren  Betrachtungen,  daß  nur  solche  Stäbe  nicht  als  Haupt- 
.stäbe  gelten  können,  die  bei  dem  in  dem  Ausnahmefach  werke 
möglichen  Spannungsbilde  von  Eigenspannungen  nicht  beteiligt 
sind,  sondern  beim  Fehlen  äußerer  Lasten  notwendig  spannungs- 
los bleiben  müssen.  Die  Entscheidung  nicht  nur  über  die 
zulässige,  sondern  zugleich  auch  über  eine  zweckmäßige  Aus- 
wahl des  Hauptstabs  wird  in  der  Regel  bei  den  Ausnahme- 
fachwerken, für  die  man  die  Spannungsaufgabe  zu  lösen  wünscht, 
keinerlei  Schwierigkeiten  verursachen. 

Die  augenblickliche  Stellung  des  Mechanismus,  der  durch 
Entfernen  des  Hauptstabs  hervorgegangen  ist,  soll  durch  eine 
geeignet  gewählte  Veränderliche  (p  gekennzeichnet  werden.  Am 
zweckmäßigsten  wird  es  gewöhnlich  sein,  als  Hülfsveränder- 
liche  95  einen  Winkel  zu  wählen,  den  zwei  Stäbe  miteinander 
bilden,  die  sich  bei  einer  Bewegung  des  Mechanismus  gegen- 
einander drehen.  Für  die  Ausgangsstellung,  die  der  Mecha- 
nismus im  gegebenen  Ausnahmefachwerke  einnahm,  sei  der 
AVinkel  mit  bezeichnet  und  für  die  Drehung  99  — cp^  sei, 
unter  der  Voraussetzung,  daß  die  Drehung  ziemlich  klein  bleibt, 
kürzer  A cp  geschrieben. 

Man  kann  aber  unter  dem  bei  den  folgenden  Rechnungen 
vorkommenden  Buchstaben  cp  auch  den  Abstand  zwischen  zwei 
passend  ausgewählten  Knotenpunkten  des  Mechanismus  ver- 
stehen. In  diesem  Falle  würde  eine  Stabvertauschung,  bei  der 


218 


A.  Föppl 


man  den  beseitigten  Hauptstab  durch  den  Stab  von  der  Länge 
ersetzt,  das  Ausnahmefachwerk  in  ein  gewöhnliches  stabiles 
Fach  werk  verwandeln.  Ich  nehme  hier  zunächst  an,  dah  (p 
ein  die  Stellung  des  Mechanismus  beschreibender  Winkel  sein 
.soll,  mache  jedoch  darauf  auLnerksam,  dalä  die  aufgestellten 
Formeln  auch  bei  der  anderen  Deutung  des  Buchstabens  ihre 
Gültigkeit  behalten. 

Der  Abstand  der  Knotenpunkte,  zwischen  denen  im  Aus- 
nahmefachwerke der  Hauptstab  verlief,  sei  für  irgend  eine 
Stellung  des  Mechanismus  mit  l bezeichnet  und  für  die  An- 
fangsstellung mit  /q.  Der  Abstand  l ist  als  eine  Funktion 
von  cp  aufzufassen  und  für  die  Änderung  l — /q  oder  Al,  die 
1 bei  einer  kleinen  Bewegung  Acp  des  Mechanismus  erfährt, 
findet  man  nach  dem  Taylorschen  Satze 

Nach  der  Voraussetzung,  daß  es  sich  um  ein  Ausnahme- 
fachwerk handeln  soll,  ist  aber  der  erste  Differentialquotient 
von  l nach  cp^  gleich  Null.  Unter  Vernachlässigung  von  höheren 
Potenzen  der  kleinen  Größe  Acp  behält  man  daher 

Der  Wert  des  zweiten  Differentialquotienten  von  7 für  die 
Anfangsstellung  des  Mechanismus  kann  und  muß  in  jedem 
Beispiele,  für  das  man  die  Spannungsaufgabe  lösen  soll,  auf 
Grund  einer  geometrischen  Betrachtung  der  Bewegung,  die  der 
Mechanismus  ausführt,  zahlenmäßig  ermittelt  werden.  Sollten 
sich  für  eine  genaue  Berechnung  irgend  welche  Schwierig- 
keiten einstellen,  so  wird  es  doch  stets  leicht  möglich  sein, 
auf  graphischem  Wege  einen  hinreichend  genauen  Näherungs- 
wert dafür  abzuleiten,  indem  man  mehrere  aufeinander  folgende 
Stellungen  des  Mechanismus  im  Maßstabe  so  genau  als  mög- 
lich aufzeichnet  und  die  aus  der  Zeichnung  abgemessenen  Ab- 
stände 7 mit  den  zugehörigen  Drehungen  Acp  aus  der  Anfangs- 


Die  Lösung  d.  Spannungsaufgabe  f.  d.  Ausnahniefachwevk. 


219 


stellun«?  vergleicht.  Jedenfalls  darf  daher  für  die  weitere  Unter- 

O O 

suchung  vorausgesetzt  werden,  dah  der  Wert  des  zweiten  Dif- 
ferentialquotienten  von  l nach  99  für  die  x\nfangsstellung  des 
Mechanismus  bereits  ermittelt  sei.  Er  ist  dann  als  eine  be- 
kannte konstante  Grölse  anzusehen,  für  die  weiterhin  die  Be- 
zeichnung Cq  gebraucht  werden  soll.  Die  vorige  Gleichung 
ist  dann  kürzer 

= (1) 

zu  schreiben. 

Bisher  war  angenommen,  daß  die  Stablängen  . . .Jk 
konstant  bleiben  sollten.  Jetzt  setze  ich  aber  voraus,  daß 
nicht  nur  der  Winkel  eine  Änderung  um  Acp  erfahren  soll, 
sondern  daß  zugleich  auch  alle  Stäbe  des  Mechanismus  ihre 
Längen  um  beliebige  kleine  Größen  zl?j,  . . . Al^  ändern 
sollen.  Die  augenblickliche  Gestalt  und  Stellung  des  Mecha- 
nismus  wird  dann  durch  die  voneinander  unabhängigen  Ver- 
änderlichen  97,  Zj,  Z^  . . . h beschrieben  und  der  Abstand  Z 
der  Endknotenpunkte  des  aus  dem  Ausnahmefachwerk  heraus- 
genommenen Hauptstabs  ist  als  eine  Funktion  aller  dieser 
Variabein  aufzufassen.  Nachher  sollen  unter  den  JZj  u.  s.  f. 
elastische  Längenänderungen  der  Stäbe  verstanden  werden,  die 
nach  dem,  was  vorher  besprochen  wurde,  und  mit  demselben 
Rechte  wie  bei  der  Spannungsberechnung  für  die  gewöhn- 
lichen statisch  unbestimmten  Fachwerke  mit  genügender  An- 
näherung als  unendlich  klein  angesehen  werden  dürfen.  Hier- 
nach ist  die  Änderung  von  Z,  die  zu  einer  solchen  Änderung  zlZ, 
von  Zj  gehört,  wenn  dabei  die  anderen  unabhängigen  Veränder- 
lichen als  konstant  angesehen  werden, 

(2) 

ZU  setzen.  Der  Differentialquotient  von  Z nach  Z,  verschwindet 
nämlich,  wie  wir  nachher  noch  sehen  werden,  im  allgemeinen 
nicht;  in  der  Kegel  wird  vielmehr  Al  mit  JZ,  von  ungefähr 
gleicher  Größenordnung  sein.  Von  der  Beifügung  eines  Avei- 
teren  Gliedes  in  der  Taylorschen  EntAvickelung  mit  dem  Fak- 
tor Al\  darf  daher  abgesehen  werden. 


220 


A.  Föppl 


Auch  die  Dilferentialquotienten  von  l nach  /j  u.  s.  f. 
können  und  müssen  irn  einzelnen  Falle  sämtlich  zahlenmäßig 
ermittelt  werden.  Das  wäre,  wie  vorher  bei  Cg,  durch  eine 
Untersuchung  der  Bewegung  möglich,  die  der  Mechanismus 
ausführt.  Kürzer  und  auch  noch  aus  anderen  Gründen  zweck- 
mäßiger ist  aber  ein  anderes  Verfahren. 

Wie  vorher  schon  bemerkt,  gehört  es  nämlich  zu  den 
wichtigsten  und  längst  bekannten  Eigenschaften  des  Ausnahme- 
fachwerks, daß  in  ihm  Spannungen  auftreten  können,  die  an 
jedem  Knotenpunkte  Gleichgewicht  herstellen,  ohne  daß  dabei 
äußere  Kräfte  mitzuwirken  brauchten.  Um  sich  davon  zu  über- 
zeugen, denke  man  sich  den  Hauptstab  herausgenommen  und 
an  seinen  beiden  Endknotenpunkten  Lasten  Sq  angebracht  von 
gleicher  Größe  und  entgegengesetzten  Richtungen,  so  wie  sie 
einer  vom  Hauptstabe  übertragenen  Zugspannung  entsprechen 
würden.  Bei  einer  kleinen  virtuellen  Bewegung,  die  man  hier- 
auf mit  dem  Mechanismus  vornimmt,  ist  die  Summe  der  Arbeits- 
leistungen der  beiden  Kräfte  gleich  Xull,  weil  sich  nach 
der  grundlegenden  Eigenschaft  des  Ausnahmefachwerks  der 
Abstand  der  beiden  Angriffspunkte  nicht,  oder  doch  wenig- 
stens nur  um  unendlich  kleine  Größen  von  der  zweiten  Ord- 
nung ändert.  Hierin  besteht  aber  nach  dem  Prinzip  der  vir- 
tuellen Geschwindigkeiten  das  hinreichende  Kennzeichen  dafür, 
daß  sich  die  beiden  Lasten  Sq  an  dem  Mechanismus  im  Gleich- 
gewichte halten.  Es  müssen  sich  hiernach  in  den  anderen 
Stäben  Spannungen  S.^  . . . ausbilden,  die  zusammen  mit 
den  Lasten  Sg  an  jedem  Knotenpunkte  Gleichgewicht  hersteilen. 

Das  Spannungsbild  Sj,  S.^  . . . der  , Eigenspan- 
nungen läßt  sich  im  einzelnen  Falle  auch  durch  einen  Kräfte- 
plan vor  Augen  führen,  der  für  eine  beliebige  Annahme  von 
iSfl  in  bekannter  Weise  mit  geringer  Mübe  aufgezeichnet  wer- 
den kann.  Zweckmäßig  ist  es,  die  Spannung  S,,  im  Haupt- 
stabe hierbei  als  eine  Zugspannung  von  der  Lasteinheit  anzu- 
nehmen, wie  es  in  ähnlicher  Weise  auch  bei  der  Lösung  der 
Spannungsaufgabe  für  die  gewöhnlichen  statisch  unbestimmten 
Fach  werke  zu  geschehen  pflegt.  In  der  Folge  bezeichne  ich 


Die  Lösung  d.  Spannungsaufgabe  f.  d.  Ausnahmefachwerk. 


221 


diesen  Kräfteplan  der  Eigenspannungen  mit  dem  Buchstaben 
und  zwar  derart,  data  die  daraus  entnommene  Spannung  des 
Stabes  1 mit  «j  bezeichnet  wird  u.  s.  f.  Jedes  u ist  positiv 
zu  rechnen,  wenn  es  einer  Zugspannung  und  negativ,  wenn  es 
einer  Druckspannung  entspricht.  Für  den  Hauptstab  hat  man 
hiernach  auf  jeden  Fall 

«0  = + 1 (3) 

zu  setzen. 

Nachdem  der  Kräfteplan  u gezeichnet  ist,  denke  man  sich 
außer  dem  Hauptstabe  noch  einen  anderen  Stab,  etwa  den 
Stab  1,  der  ja  ein  ganz  beliebiger  Stab  sein  kann,  aus  dem 
ganzen  Verbände  entfernt.  Um  das  vorher  betrachtete  Gleich- 
gewicht dann  noch  weiter  aufrecht  zu  erhalten,  bringe  man 
an  den  Endknotenpunkten  von  Stab  1 zwei  äußere  Kräfte  an 
von  derselben  Größe  und  Richtung  wie  die  daran  vorher  an- 
greifende Stabspannung  von  Stab  1.  Die  Größe  stimmt  daher 
mit  überein  und  die  Richtung  bestimmt  sich  nach  dem  Vor- 
zeichen von  Mj.  Bei  einer  virtuellen  Bewegung  des  jetzt  mit 
zwei  Freiheitsgraden  ausgestatteten  Stabverbandes  möge  (p  kon- 
stant bleiben,  während  sich  die  Entfernung  der  Endknoten- 
punkte des  herausgenommenen  Stabes  1,  die  vorher  gleich 
war,  um  den  kleinen  Betrag  Al^  ändern  soll.  Dann  steht  die 
zugehörige  Änderung  der  Entfernung  der  Endknotenpunkte  des 
gleichfalls  herausgenommenen  Hauptstabes  Al  mit  Al^  in  dem 
durch  Gl.  (2)  angegebenen  Zusammenhänge. 

Bei  dieser  virtuellen  Bewegung  muß  die  Summe  der  Arbeits- 
leistungen der  vier  an  dem  Stabverbande  angreifenden  äußeren 
Kräfte  gleich  Null  sein.  Die  beiden  Kräfte  n,  leisten  hierbei 
zusammen  genommen  eine  Arbeit 

— A , 

wobei  das  negative  Vorzeichen  davon  herrührt,  daß  die  Zug- 
spannungen positiv  gerechnet  werden  und  daß  Al^  positiv  ist, 
wenn  es  eine  Verlängerung  bedeutet,  wobei  aber  die  Zugspan- 
nungen, weil  sich  die  Angriffspunkte  entgegen  den  Kraftrich- 
tungen voneinander  entfernen,  eine  negative  Arbeit  leisten. 

Sitzung.sb.  d.  matli.-pliys.  Kl.  Jahrg.  iai5.  I5 


222 


A.  Föppl 


In  derselben  Weise  lälat  sich  auch  die  Arbeit  der  an  den 
Endknotenpunkten  des  herausgenommenen  Hauptstabes  angrei- 
fenden Zugspannungen  von  der  Lasteinheit  ausdrücken  und 
die  Arbeitsgleichung  lautet  daher 

— Al  — JZj  = 0, 
woraus  in  Verbindung  mit  Gl.  (2) 

dl 

gefunden  wird.  Hiernach  können  die  Differentialquotienten  von 
l nach  den  unabhängigen  Veränderlichen  l^  . . .1^  ohne  weiteres 
aus  dem  Kiäfteplan  u entnommen  werden. 

Hierauf  kehren  wir  zur  Betrachtung  der  Gestaltänderung 
zurück,  die  der  durch  Herausnahme  des  Hauptstabs  erhaltene 
Mechanismus  erfährt,  wenn  sich  gleichzeitig  95  um  A(p  und 
die  Stablängen  Z, , ...  Z*  um  beliebige  kleine  Beträge  Al^ 

...  Alk  ändern.  Die  zugehörige  Änderung  der  Strecke  Z er- 
gibt sich  mit  Rücksicht  auf  Gl.  (4)  zu 

J Z = ^ Cg /I <p“  — «Cj  J Zj  — u.^Al,^  • • • — Uk A Ik  (ü) 

Insbesondere  gilt  diese  Gleichung  auch  für  den  Fall,  daß 
man  unter  den  Al  die  elastischen  Längenänderungen  versteht, 
die  die  Stäbe  durch  die  Spannungen  erfahren,  die  in  dem  Aus- 
nahmefachwerk durch  die  daran  angebrachte  Belastung  her- 
vorgerufen werden.  Bezeichnet  man  die  Spannung,  die  hiei'- 
bei  der  Hauptstab  aufzunehmen  hat,  mit  X,  die  der  übrigen 
Stäbe  mit  S^..  S.^ . . . Sk  und  die  Stabkonstanten  mit  r^,  r, , • • • '>'k, 

so  geht  die  vorige  Gleichung  hierfür  über  in 

»o  A'  = Cq  zl 9>2  — r,  S’j  — Wj ^'2^2  ' " — (6) 

Die  in  dieser  Gleichung  vorkommenden  Spannungen  kann 
man  sich  zu  einem  Kräfteplan  zusammengesetzt  denken,  in 
dem  außer  ihnen  noch  die  gegebenen  Lasten  P auftreten.  Aber 
die  Stabspannungen  sind,  weil  es  sich  um  ein  Ausnahmefach- 
werk handelt,  jedenfalls  bedeutend  größer,  als  die  Lasten  P. 
Dies  gilt  um  so  mein-,  je  kleiner  die  Lasten  sind  und  je  kleiner 


Die  Lösung  d.  Spannungsaufgabe  f.  d.  Ausnahmefachwerk.  223 

hiermit  auch  die  durch  sie  hervorgebrachte  Gestaltänderung 
der  Fachwerkfigur  bleibt.  Wenn  beide  klein  genug  sind,  kann 
sich  daher  der  Kräfteplan,  vom  Maßstabe  abgesehen,  nur  sehr 
wenig  von  dem  vorher  bereits  besprochenen  Kräfteplan  u der 
Eigenspannungen  unterscheiden.  Wirklich  gleich  dürfte  man 
beide  Kräftepläne  freilich  nur  unter  der  Voraussetzung  unend- 
lich kleiner  Lasten  und  hiermit  einer  unendlich  kleinen  Gestalt- 
änderung der  Fachwerkfigur  setzen. 

Aber  die  Annahme,  daß  es  als  genügend  zu  erachten  sei, 
die  Foi'mänderungen  als  unendlich  klein  anzusehen  und  den 
daraus  hervorgehenden  Fehler  mit  in  den  Kauf  zu  nehmen, 
liegt  der  Lösung  der  Spannungsaufgabe  bereits  in  allen  anderen 
Fällen  zu  Grunde,  mit  denen  sich  die  Fachwerktheorie  be- 
schäftigt. Man  braucht  daher  auch  in  unserem  Falle  nicht  zu 
zögern,  sie  sich  anzueignen.  Freilich  ist  die  Ungenauigkeit, 
die  dadurch  herbeigeführt  wird,  hier  größer  als  sonst,  weil  die 
Änderung  Aq),  von  der  die  Gestaltänderung  des  Ausnahme- 
fachwerks hauptsächlich  abhängt,  weit  größer  ausfällt,  als  die 
verhältnismäßigen  Längenänderungen  der  Fachwerkstäbe.  Man 
kann  sich  aber,  wenn  aus  diesem  Grunde  ein  Bedenken  er- 
hoben wird,  immer  darauf  zurückziehen,  daß  die  Betrachtung 
nur  für  den  Grenzfall  unendlich  kleiner  Lasten  und  zugleich 
auch  einer  unendlich  kleinen  Gestaltänderung  Anspruch  auf 
genaue  Gültigkeit  erhebt.  Da  bei  den  praktischen  Anord- 
nungen der  Theorie  die  zulässigen  Fehlergrenzen  gewöhnlich 
sehr  weitherzig  bemessen  werden,  so  daß  selbst  auf  einige  Pro- 
zente mehr  oder  weniger  im  Schlußergebnisse  nicht  viel  an- 
kommt, wird  man  jedoch  wohl  in  allen  Fällen,  die  praktisch 
Vorkommen  können,  unbedenklich  die  Formeln  verwenden  dürfen, 
die  unter  der  Voraussetzung  unendlich  kleiner  Lasten  abge- 
leitet sind. 

Auf  Grund  dieser  Überlegungen  genügt  es,  in  Gl.  (6) 

/S,  = «fj  X (7) 

u.  s.  f.  zu  setzen.  Hiermit  geht  Gl.  (5)  über  in 

^ (^0  + «D-i  H H llkTk)  = i Co  ^ cp^ 


15* 


224 


A.  Föppl 


Hierbei  ist  es  nach  Gl.  (B)  zulässig,  beim  ersten  Gliede 
in  der  Klammer  noch  den  Faktor  ?fo  beizufügen,  um  es  aut 
die  gleiche  Form  wie  die  übrigen  Glieder  zu  bringen.  Die 
Gleichung  lautet  dann 

XZu^r  ^ \ (8) 

Die  Summe  ist  über  alle  Stäbe  des  Ausnahmefachwerks 
zu  erstrecken  und  leicht  zahlenmäßig  auszurechnen.  Jeden- 
falls liefert  sie  einen  positiven  Wert  und  hieraus  folgt,  daß 
X und  Cq  stets  vom  gleichen  Vorzeichen  sein  müssen. 

Um  die  gestellte  Aufgabe  zu  lösen,  müssen  wir  sowohl 
X als  J99  berechnen  und  Gl.  (8)  liefert  zunächst  eine  Gleichung 
zur  Berechnung  der  beiden  Unbekannten.  Sie  ging  aus  der 
Betrachtung  des  geometrischen  Zusammenhangs  der  Fach- 
werkfigur hervor,  indem  für  ein  gegebenes  Acp  die  geänderten 
Stablängen  miteinander  verträglich  sein  müssen,  was  eben  durch 
Gl.  (8)  zum  Ausdruck  gebracht  wird.  Nun  brauchen  wir  noch 
eine  zweite  Gleichung  zwischen  den  beiden  Unbekannten,  die 
nur  dadurch  erhalten  werden  kann,  daß  man  den  statischen 
Zusammenhang  zwischen  dem  von  der  Gi'öße  X abhängigen 
Spannungsbilde  und  den  gegebenen  Lasten  P in  geeigneter 
Weise  zum  Ausdruck  bringt. 

Zu  diesem  Zwecke  wollen  wir  eine  virtuelle  Bewegung  des 
durch  Herausnahme  des  Hauptstabs  erhaltenen  Mechanismus 
betrachten,  bei  der  sich  von  den  unabhängigen  Veränderlichen 
nur  der  Winkel  <p,  der  durch  die  Formänderung  die  Größe 
A cp  angenommen  hatte,  weiterhin  um  einen  unendlich 
kleinen  Betrag  Öcp  ändert,  während  die  Längen  Zj  bis  h.  die 
Größen  beibehalten,  die  sie  durch  die  elastische  Formänderung 
erhalten  haben.  Die  Länge  l des  Hauptstabs  muß  sich  da- 
gegen infolge  davon  auch  um  ein  Differential  öAl  bei  der  vir- 
tuellen Verschiebung  ändern  und  zwar  finden  wfir  aus  Gl.  (5) 

dAl  — Cf^Aq)-dcp  (9) 

Bei  der  virtuellen  Verschiebung,  die  hiermit  näher  be- 
zeichnet ist,  legen  die  Angriffspunkte  der  gegebenen  Lasten  P 


Die  Lösung  d.  Spiuiiuingsiiufgabe  f.  d.  AusnahmefachwerU. 


225 


gewisse  Wege  zurück,  die  für  jeden  gegebenen  Fall  ohne 
Schwierigkeit  festgestellt  werden  können.  Zunächst  kann  man 
den  Weg  ^s^,  der  vom  Angriffspunkte  der  Last  Pj  in  der 
Richtung  dieser  Last  zurückgelegt  wird,  in  der  Form 


ds.  = _ - d(p 

' dq)- 


anschreiben.  Da  wir  aber  annehmen  dürfen,  daß  der  Zu- 
sammenhang zwischen  dem  Wege  Sj  und  dem  Winkel  (p  oder 
A(p  in  jedem  Falle,  für  den  man  die  Spannungsaufgabe  zu 
lösen  wünscht,  ohne  weiteres  ersichtlich  sein  wird,  dürfen  wir 
den  in  dieser  Gleichung  vorkommenden  Dilferentialquotienten 
als  eine,  wenn  nicht  genau,  so  doch  mindestens  mit  hin- 
reichender Annäherung  zahlenmäßig  angebbaren  Wert  an-sehen, 
den  wir  weiterhin  sj  bezeichnen  wollen.  Die  vorige  Gleichung 
lautet  dann 

ds,  =51^9? 


und  für  die  Arbeit  aller  äußeren  Kräfte  P bei  der  betrachteten 
virtuellen  Verschiebung  findet  man 

dcpZFs'. 

Bei  der  Berechnung  der  Summe  kommt  es  natürlich  nur 
auf  die  relativen  Verschiebungen  der  Knotenpunkte  gegenein- 
ander an,  denn  bei  einer  Verschiebung  ohne  Gestaltänderung 
wird  die  Summe  der  Arbeiten  aller  P gleich  Null,  da  diese 
den  Gleichgewichtsbedingungen  am  starren  Körper  auf  jeden 
Fall  genügen  müssen. 

Für  die  Arbeit  der  Kräfte  X,  die  an  den  Endknoten- 
punkten des  beseitigten  Hauptstabs  noch  als  weitere  äußere 
Kräfte  am  Mechanismus  angreifen,  erhält  man 

— XdAl 


und  mit  Rücksicht  auf  Gl.  (9)  läßt  sich  daher  nach  Wegheben 
des  gemeinschaftlichen  Faktors  ^99  die  Arbeitsgleichung 

IFs‘  — Xc^Acp  = 0 


(10) 


226 


A.  Föppl 


schreibeu.  — Es  bleibt  jetzt  nur  noch  übrig,  die  beiden  Glei- 
chungen (8)  und  (10)  nach  den  Unbekannten  X und  J(p  auf- 
zulösen. Man  findet 


X = 

/1 9?  = 


jl'Ps'f 

‘Ic^Sn^r 

2Zu^r-  XPs' 
cl 


(11) 


(12) 


womit  die  Aufgabe  gelöst  ist,  da  alle  auf  den  rechten  Seiten 
beider  Gleichungen  vorkommenden  Größen  nach  den  darüber 
früher  gemachten  Bemerkungen  als  bereits  bekannt  anzusehen 
sind,  und  die  übrigen  Spannungen  aus  Gl.  (7)  folgen,  nach- 
dem X berechnet  ist. 

Ein  besonderer  Fall  tritt  ein,  wenn  die  Lasten  P so  ge- 
geben sind,  daß  für  sie 

XPs‘  = 0 (13) 

wird.  Dann  erhält  man  nach  den  vorhergehenden  Gleichungen 
sowohl  X als  A(p  gleich  Null.  Das  ist  indessen  nicht  wört- 
lich zu  nehmen.  Vielmehr  muß  man  dieses  Rechenergebnis 
dahin  deuten,  daß  X keineswegs,  wie  bei  der  Ableitung  der 
Formeln  vorausgesetzt  war,  sehr  viel  größer  wird,  als  die 
Lasten  P sind.  Die  in  Gl.  (7)  ausgesprochene  Näherungs- 
annahme verliert  daher  in  diesem  Falle  ihre  Gültigkeit  und 
damit  fallen  auch  alle  Folgerungen,  die  daraus  gezogen  wurden. 
Nur  wenn  XPs'  von  Null  so  viel  verschieden  ist,  daß  das  mit 
diesem  Werte  nach  Gl.  (11)  berechnete  X bedeutend  größer 
ausfällt,  als  jede  der  Lasten  P,  sind  die  Gleichungen  (11)  und 
(12)  überhaupt  anwendbai'. 

Übrigens  ist  der  durch  Gl.  (13)  gekennzeichnete  Belastungs- 
fall schon  früher  näher  untersucht  und  die  Spannungsaufgabe 
für  ihn  bereits  gelöst  worden.  Er  ist  von  der  Art,  daß  der 
durch  Herausnahme  des  Hauptstabs  erhaltene  Mechanismus 
unter  dem  Einflüsse  der  Kräfte  im  Gleichgewicht  bleibt,  ohne 
daß  dabei  eine  Spannung  X mitzuwirken  braucht.  Anderer- 
seits kann  man  aber  für  das  Ausnahmefachwerk  auch  unend- 


Die  Lösung  d.  Spannungsaufgabe  f.  d.  Ausnahmefachwerk.  227 


lieh  viele  Spaiinungsbilder  angeben,  bei  denen  X einen  be- 
liebigen Wert  annimmt,  während  keine  Lasten  an  den  Knoten- 
punkten angreifen.  Beim  Bestehen  von  Gl.  (13)  sind  daher 
unendlich  viele  Gleichgewichtsmöglichkeiten  vorhanden,  die 
durch  Übereinanderlegung  des  zuerst  angeführten  Spannungs- 
bildes mit  einem  der  zuletzt  erwähnten  herauskommen.  Die 
Aufgabe,  die  Spannungen  zu  bestimmen,  ist  statisch  unbestimmt 
in  demselben  Sinne  wie  bei  den  Fachwerken  mit  einem  über- 
zähligen Stabe  und  sie  kann  auch  mit  denselben  Hülfsmitteln 
wie  bei  diesen  gelöst  werden.  In  meinem  früher  schon  er- 
wähnten Lehrbuche  der  graphischen  Statik  kann  man  diese 
Lösung  finden. 

Weiterhin  sehe  ich  von  diesem  Falle  ab,  nehme  also  an, 
daß  die  Gleichungen  (11)  und  (12)  wirklich  als  zutreffend 
gelten  dürfen. 

Dann  ist  ferner  der  Grenzfall  zu  erwähnen,  daß  alle  Stab- 
konstanten r gleich  Null  zu  setzen  sind.  Das  würde  heißen, 
daß  die  Stäbe  als  starr  betrachtet  werden  sollen.  Die  For- 
meln liefern  dann  Aq?  = 0,  d.  h.  man  erfährt  daraus,  was  an 
sich  selbstverständlich  ist,  daß  bei  vollkommen  unveränder- 
lichen Stablängen  keine  Gestaltänderung  der  Fachwerkfigur 
eintreten  kann,  und  ferner  X = oo.  Das  ist  die  Lösung,  mit 
der  man  sich  gewöhnlich  bei  der  Behandlung  der  Statik  des 
Ausnahmefachwerks  begnügt  und  die  in  der  allgemeinen  gül- 
tigen Lösung  auch  mit  enthalten  ist.  — Sollte  Cq  = 0 werden, 
so  wäre  A(p  = oo,  d.  h.  man  hätte  eine  so  große  Gestalt- 
änderung zu  erwarten,  daß  die  vorhergehenden  Betrachtungen, 
die  eine  kleine  Gestaltänderung  voraussetzen,  nicht  mehr  an- 
wendbar blieben.  Insbesondere  würde  dieser  Fall  eintreten, 
wenn  der  Stabverband  einen  sogenannten  übergeschlossenen 
Mechanismus  bildete;  man  hätte  es  aber  dann  nicht  mehr 
mit  einem  Ausnahmefachwerke  im  gewöhnlichen  Sinne  dieses 
Wortes  zu  tun. 

Wenn  die  Gleichungen  (11)  und  (12)  hiernach  überhaupt 
zu  Recht  bestehen,  läßt  sich  als  wichtigste  Folgerung  daraus 
entnehmen,  nach  welchem  Gesetze  die  Stabspannungen  und 


228 


A.  Föppl 


die  Gestaltänderung  der  Fachwerkfigur  zunehnien,  wenn  man 
die  Lasten  P wachsen  läht  und  zwar  so,  dah  alle  Lasten  P 
proportional  miteinander  wachsen.  Man  sieht,  daß  die  Gestalt- 
änderung mit  der  und  die  Spannungen  mit  der  Potenz 
der  Lasten  wachsen.  Zur  8 -fachen  Belastung  gehört  demnach 
eine  verdoppelte  Gestaltänderung  und  in  jedem  Stahe  eine  vier- 
fache Spannung. 

Zu  demselben  Schlüsse  war  ich  schon  früher  bei  dem  ein- 
fachen Beispiele  gekommen,  das  ich,  wie  bereits  erwähnt,  in 
der  ersten  Auflage  meines  Lehrbuchs  der  graphischen  Statik 
(und  dann  auch  in  den  folgenden)  behandelt  hatte.  Es  hat 
sich  aber  jetzt  herausgestellt,  daß  diesem  Ergebnisse  eine  viel 
allgemeinere  Gültigkeit  zukommt.  Während  bei  dem  gewöhn- 
lichen statisch  unbestimmten  Fach  werke  die  Spannungen  und 
die  Formänderungen  proportional  mit  den  Lasten  zunehmen 
und  auch  noch  bei  den  Ausnahmefachwerken  das  Gleiche  gilt, 
wenn  für  die  Lasten  die  durch  Gl.  (13)  ausgesprochene  Be- 
dingung erfüllt  ist,  zeigen  die  Ausnahmefachwerke  anderen- 
falls und  im  Gegensätze  hierzu  das  durch  die  Gl.  (11)  und  (12) 
ausgesprochene  Verhalten. 

Schließlich  möchte  ich  noch  einige  Bemerkungen  über  die 
Genauigkeit  machen,  mit  der  die  Gleichungen  (11)  und  (12) 
voraussichtlich  für  einen  bestimmten,  praktisch  vorliegenden 
Fall  zutreffen  werden.  Daß  man  bei  der  Anwendung  dieser 
Gleichungen  an  gewisse  Beschränkungen  gebunden  ist,  war 
schon  erwähnt  und  ich  möchte  nur  nochmals  betonen,  daß  sie 
nur  für  Belastungen  gelten,  die  nicht  so  groß  sind,  um  Stab- 
spannungen hervorzurufen,  durch  die  die  Proportionalitäts- 
grenze überschritten  wird.  Außerdem  muß  aber  auch  in  Er- 
innerung behalten  werden,  daß  bei  der  Ableitung  der  Glei- 
chungen, wie  bei  allen  Berechnungen,  die  zur  Fachwerktheorie 
im  engeren  Sinne  gehören,  keine  Rücksicht  auf  den  Einfluß 
der  Steifigkeit  der  Knotenpunkte  genommen  wurde.  Wie  groß 
die  Abweichungen  sind,  die  hierdurch  gegenüber  dem  wirk- 
lichen Verhalten  eines  genieteten  Stabverbandes  hervorgerufen 
werden,  muß  ich  vorläufig  unentschieden  lassen.  Man  könnte 


Die  Lösung  d.  Spannungsaufgabe  f.  d.  Ausnahmefachwerk. 


229 


daran  denken,  eine  Berechnung  nach  Art  der  Theorie  der 
Sekundärspannungen  vorzunehmen,  um  zu  einem  Urteile  dar- 
über zu  gelangen.  Besser  wäre  aber  eine  experimentelle  Prü- 
fung, die  in  einem  Vergleiche  von  Gl.  (12)  mit  den  Ergeb- 
nissen eines  Bela.stungsversuchs  an  einem  geeigneten  Modell 
bestehen  könnte.  Ich  werde  mir  noch  überlegen,  ob  ich  einen 
Versuch  dieser  Art  oder  vielmehr  eine  Versuchsreihe,  da  ein 
einzelner  Versuch  nicht  ausreichend  erscheinen  könnte,  bei  Ge- 
legenheit selbst  vornehmen  oder  sie  wenigstens  in  die  Wege 
leiten  soll. 

Bei  dem  Vergleiche  der  Formeln  mit  den  Ergebnissen 
eines  Belastungsversuchs  wird  man  übrigens  jedenfalls  noch 
auf  einen  anderen  Umstand  zu  achten  haben,  von  dem  bisher 
noch  nicht  die  Rede  war.  Geringe  unbeabsichtigte  und  leicht 
unbeachtet  bleibende  Abweichungen  der  Fachwerkgestalt  von 
der  dem  Ausnahmefalle  entsprechenden  infolge  von  Ungenauig- 
keiten in  der  Ausführung,  die  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
überhaupt  unvermeidlich  sind,  können  nämlich  gerade  beim 
Ausnahmefachwerke  unter  Umständen  von  erheblichem  Ein- 
flüsse auf  das  Verhalten  des  Versuchsmodells  sein.  Sie  dürften 
sich  darin  äußern,  daß  die  Formänderung  nicht  einfach  pro- 
portional mit  der  dritten  Wurzel  aus  der  Belastung  zunimmt, 
.sondern  so,  als  wenn  den  wirklich  aufgebrachten  Lasten  schon 
eine  Anfangsbelastung  vorausgegangen  wäre,  durch  die  man 
sich  die  bereits  bestehende  Abweichung  von  der  Figur  des 
Ausnahmefalls  hervorgebracht  denken  könnte.  Um  dem  Rech- 
nung zu  tragen,  ließe  sich  in  Gl.  (12)  zw.  ZPs'  ein  konstantes 
Glied  beifügen.  Einstweilen  scheint  es  aber  nicht  nötig,  hier- 
auf näher  einzugehen. 


231 


Über  die  Transformation  linearer  Formen  und 
die  Lösung  linearer  Gleichungen. 

Von  A.  Voss. 

Vorgetragen  in  der  Sitzung  am  1.  Mai  1915. 


§ I. 

Die  Auflösung  linearer  Gleichungen  ist  durch  den  Begriff 
des  Ranges  r der  Matrix  des  Gleichungssystems  ihrem  all- 
gemeinen Verlaufe  nach  vollständig  erledigt.  Dabei  müssen 
aber  die  Unbekannten,  welche  mit  Hülfe  der  übrigen,  will- 
kürlich bleibenden,  zu  ermitteln  sind,  so  gewählt  werden,  dah 
die  Determinante  r- Grades  ihrer  Koeffizienten  von  Null  ver- 
schieden ist.  Aber  wenn,  wie  das  bei  Fragen  der  Geometrie 
und  Mechanik  häufig  der  Fall  ist,  einige  dieser  Unbekannten 
eine  vorgeschriebene  Bedeutung  haben,  während  die  anderen 
nur  als  zu  bestimmende  Parameter  auftreten,  läßt  diese  Rech- 
nung häufig  die  erforderliche  Symmetrie  vermissen.  Herr 
Frobenius  hat  allerdings  eine  vollständig  symmetrische  Be- 
handlung von  m linear  voneinander  unabhängigen  Gleichungen 
mit  n'>  m Unbekannten  durch  seine  Methode  der  Fundamental- 
lösungen gegeben;^)  bei  der  Willkürlichkeit  der  in  diese  letz- 
teren eingehenden  Größen  führt  sie  aber  schon  bald  zu  recht 
umständlichen  Ausdrücken. 

Schon  bei  den  einfachsten  Fragen  der  Geometrie  und 
Mechanik,  wo  bei  der  Benutzung  von  Parallelkoordinaten  gerade 

h Über  das  PfafFsche  Problem,  Borchardts  Journal  82,  S.  236. 


232 


A.  Voss 


Linien  als  ürter  zu  bestimmender  Punkte  auftreten,  begnügt 
man  sich  daher  häufig  mit  der  Ermittelung  der  Ebenen,  deren 
Schnittlinien  diese  Punkte  bilden,  falls  man  nicht  Betrach- 
tungen der  Liniengeometrie  oder  der  Vektorenrechnung  heran- 
ziehen will.  — Man  kann  indes  diesen  formalen  Mangel  leicht 
beseitigen,  wie  zunächst  an  einigen  typischen  Beispielen  ge- 
zeigt werden  möge. 

Die  Geschwindigkeitskomponenten  eines  Punktes  mit  den 
recht  winkeligen  Koordinaten  x,  y,  0,  Avelche  vermöge  einer 
Botation  mit  dem  Komponenten  p,  q,  r um  eine  (der  Einfach- 
heit halber)  durch  den  Anfang  der  Koordinaten  gehende  Achse 
und  durch  die  Translationskomponenten  «,  v,  w entstehen,  sind 
bekanntlich 

v^  = qz—  rij  -j-  u 
Vy  = rx  — pz  -j-  V 
Vb  — u- 

und  die  Lage  der  zugehörigen  Schraubenachse  ist  bestimmt 
durch  die  Gleichungen 

qz  — ry  -\-  u — /.p 
1)  7-x — pz V = Iq 

py  — qx  w = ?.r. 

Da  up  -\-  vq  -]-  ivr  ~ X{p^  q^  -f-  r®),  so  wird  dieselbe 
zunächst  gegeben  durch  die  Gleichungen 

. qz  — ry  -f-  u rx  — py  v py  — qx  iv 
P ~ ? ~ >• 

d.  h.  durch  den  gemeinsamen  Schnitt  von  drei  Ebenen.^) 
Die  einfache  Bemerkung,  daß  die  Schraubenachse  durch  die 
Minimumseigenschaft  der  Geschwindigkeit  charakterisiert  ist, 
liefert  indes  eine  explizite  Bestimmung  der  x,  y,  z.  Bildet 
man  nämlich  die  Summe  der  Quadrate  der  linken  Seiten  von 
1)  in  der  Form 

■)  So  z.  B.  auch  bei  Darboux,  Lecons  sur  la  theorie  des  surfaces  I, 
S.  8;  Appell,  Traite  de  mecanique  I,  S.  65  usw. 


über  die  Transformation  linearer  Formen  etc. 


233 


'iß  + 2 u {([z  — ry) 

-\-  2v  {rx  — pz)  + 2 tv  {py  — qx), 

wobei : 

t = px  qy  rz 
Q — p^  +2®  + 'i'^ 

gesetzt  ist,  so  ergibt  sich  durch  Differentiation  nach  x,  y,  z 
Qx  = pt  ivq  — vr 
2)  Qy  = qt  ru  — wp 

Qz  — rt  pv  — uq, 

wobei  t völlig  willkürlich  bleibt.  Man  erkennt  hieraus  die 
vektorielle  Lösung 

ijlc 

= +j(I  + ^cr)  + pqr  . 

H V IV 

so  daß  der  Vektor  V jedes  Punktes  der  Schraubenachse  mit 
den  Komponenten  x,  y,  z durch  die  Vektoren  P mit  den  Kom- 
ponenten p,  q,  r und  Q mit  den  Komponenten  ii,  v,  iv  durch 
die  Gleichung 

Q.V=tF+lPQ\ 

be.stimmt  ist,  in  der  der  Klammerausdruck  das  Vektorprodukt 
von  P und  Q bezeichnet. 

In  dieser  Form  hat  man  denn  auch  für  die  Koordinaten 
der  Achse  des  zu  dem  Kräftesystem  XiyiZi,  dessen  Komponenten 
und  Momentensummen  bezüglich  x,  y,  z\  iip,  d/^,  iip  sind, 
gehörigen  Winders  die  Gleichungen 

x{X^  ß -Y  Z^)  ^ tX  ß-  FJP  — ZM„ 
y (X*  JY  -Y  Z^)  = tY  Y-  ZM^  — XM, 
z (X2  + Y^-Y  Z^)  = tZY-  X3I,,  — Fiip. 

Soll  nun  das  etwas  allgemeinere  Gleichungssystem 
qz-ry-Y  u = Ap, 
rx  — pz  -Y 
PV  — 2-^  + 


234 


A.  Voss 


gelöst  werden,  so  hat  man  zunächst 


. up  vq-\-  ivr 

und,  wenn  man  an  Stelle  von  «(,  v,  iv  in  den  Gleichungen  1) 
die  Ausdrücke 

u-\-X{p—p,) 
v\-X{q  — g,) 
w + A (r  — /-j) 

treten  läßt,  die  Lösung 

Qx  =■  pt  -j-  qiv  — rv  — X{qr^  — rq^ 

3)  üy  = qt  ru  — piv  — X {rp^  — pr^ 

üz  = rt  pv  — qu  — X{pq^  — qp^. 

Diese  Gleichungen,  die  wieder  vektoriell  gedeutet  werden 
können,  bestimmen  diejenigen  Punkte,  deren  Geschwindigkeit 
der  vorgeschriebenen  Richtung  j?j,  q^,  r,  parallel  läuft.  In 
einer  gegebenen  Ebene  gibt  es  daher  nur  einen  Punkt,  dessen 
Geschwindigkeit  eine  vorgeschriebene  Richtung  hat  usw. 

Ein  weiteres  charakteristisches  Beispiel  kann  man  der 
Theorie  des  linearen  Nullsystems  entnehmen; 


4) 


«1  Vx)  -t-  «3 (^  — ^x)  + «4 iy^x  — ^Vx) 

+ «5(^^I  — ^^x)  + — y^x)  = 0, 


welches  dem  Punkte  a;, , z^  die  Ebene  4)  zuordnet.  Für  die 
Koordinaten  des  Punktes  y^,  z^,  der  in  der  gegebenen  Ebene 


h) 


CxX  + C.^y  + C3^+  = 0 


liegt,  hat  man  die  Gleichungen 


«62/.  — «5^1  + «1  = Xc, 

Öfj.S'j  ögiPj  ^‘■<'2 

0.5  a;,  — a^y^  + «3  = Xc^ 
«1^1  + (liVx  + «3^1  = — -^^^^4- 
deren  letzte  sich  auch  durch 


über  die  Transformation  linearer  Formen  etc. 


235 


ersetzen  läßt.  Aus  den  3 ersten  Gleichungen  6)  erhält  man 
nach  3)  für  |>  = — a^,  q = — a^,  r = — a^\  m = a, , v = a.y, 
w — a^\  ==  q^  — c^,  r = c^,  falls 

A = al  al  al 

gesetzt  wird, 

Ax,  = — aJ  — {a^a.  — a^a^)  + X {a^c^  — u^c^) 

7)  Ay,  ==  —a^t  — {a^a^  — a^a^)  + X («gC,  — a^c^) 

As^  = — {a^a^  — a.^a,)  + X {a^c.^  — a^c^), 

wobei  nach  6) 

X (Cißi  + Cg «5  + Cgag)  = a,a,  + -J- 

zu  setzen  ist,  und  aus  der  letzten  Gleichung  6)  folgt  endlich 

Cj  Cg  Cj 

0 = Ac^  — (CjCT^  + Cgßg  + Cgag)  t — a^a.  , 

«1  «2  «3 

womit  auch  t gefunden  i.st.  Ist  nun  -}-  ^*2^5  *^3^6  ~ 

also  A = 0,  so  werden  unabhängig  von  Cj,  Cg,  Cg,  c^, 

d.  h.  die  Nullpunkte  liegen  alle  auf  der  Achse  des  speziellen 
Komplexes,  dessen  Gleichung  eben  durch  7)  gegeben  ist.  Und 
nimmt  man  anstatt  der  Ebenenkoordinaten  c,-  die  eines  Büschels 
ai-\-f^ßi,  so  geben  die  Gleichungen  7)  die  Punkte  der  zur 
Büschelachse  konjugierten  Geraden  usw. 

Um  die  Gleichungen 

+ «12^2  + «13^3  + ^«1  = 

^21^1  ~l~  *^22^2  ®23^3  Xd^  = &g 
^31^1  ®22^2  ®33^3  ^^3  ^3’ 

bei  denen  die  Matrix  der  a,*  vom  Range  2 ist,  so  daß 
^iiCiik  = 0 für  Je  = 1,  2,  3 

auf  eine  ähnliche  Weise  zu  behandeln,  kann  man  die  3 Formen 
Ai  — ZdihXit,  wenn  keine  zwei  derselben  zueinander  propor- 
tional sind,  und  sie  demgemäß  gleich  Null  gesetzt  3 Ebenen 


£j,  e.^,  fg  vorstellen,  die  eine  durch  den  Anfang  gehende  Gerade 
gemein  haben,  durch  eine  Transformation  auf  den  früheren 
Fall  zurückfühi’en. 


§ II- 


Die  Transformation  eines  Systems  von  «-linearen  Formen. 


Die  Betrachtungen  des  § 1 führen  auf  die  allgemeine  Frage, 
wann  w-lineare  Formen 

1)  A,  = '^aaXk\  h,i=  1,2  . . .n 

k 

sich  in  w-lineare  Formen 

Bi  = ’^bikt/k 

durch  eine  nicht  singuläre  Transformation 

2)  Xie  = y 

deren  Determinante  (7  = Cn,  nicht  Null  ist,  überführen  lassen,  und 
wie  man  die  sämtlichen  Substitutionen  2)  dieser  Art  finden  kann. 

Dabei  werde  angenommen,  dafi  die  Matrix  der  Koeffizienten 
der  Formen  1)  vom  Range  r ist,  so  dafi  also  etwa  die  De- 
terminante r-Grades 

A = aik[;  i,  k = l,  2 . . . r 

von  Null  verschieden  ist,  während  alle  Determinanten  höherer 
Ordnung  gleich  Null  sind.  Ich  bezeichne  nun  die  Indices  1 
bis  r durch  lateinische  Buchstaben  s,  t . . die  Indices  r -j-  1 . . . 
bis  n dagegen  durch  griechische  a,  t . . .;  die  Indices  i,  k,  l 
sollen  dagegen  von  1 bis  n gehen. 

Alsdann  lassen  sich  immer  nicht  sämtlich  verschwindende 
Multiplikatoren 

J.O 

angeben,  welche  die  Gleichungen 


')  Die  würden  nur  dann  alle  Null  sein,  wenn  die  sämtlich 
Null  wären;  dann  müßten  aber  nach  4)  auch  alle  verschwinden,  so 
daß  die  Form  Aa  identisch  Null  ist,  was  natürlich  auszuschließen  ist. 


über  die  Transformation  linearer  Formen  etc. 


237 


+A"a,  +-"-4-A"a  =a 

befriedigen.  Aus  diesen  Gleichungen  folgt  aber,  daß  auch 
X'^a,  4- X%a,^  -{-■  ■■X'’a  =a 

llr*  22r*  r rz  oz 

für  alle  t = r -f-  1 • • • w sein  muß,  weil  jede  Determinante 
t’  + 1-Grades  aus  den  Elementen  a,fc  Null  ist.  Demnach  be- 
steht das  System  der  Gleichungen 

für  alle  k — 1,  . . . n. 

Ist  nun 

o)  ^ i k ft  yk ! ^ — 1, . . . w 

'e  fc 

und  multipliziert  man  die  ersten  r- Gleichungen  5)  mit  den 
X^,  . . . A",  so  folgt 

^2^2&  ^al)yk  ~ 

k 

dies  erfordert  aber  wegen  der  Willkürlichkeit  der  i/^,  . . . y„ 
die  zu  4)  analogen  Gleichungen 


4') 

+ ^2^2ft  H ^r^ok  = Kk- 

Diese  Bedingungen  sind  für  die  Transformierbarkeit  not' 
wendig.  Setzt  man  2)  in  5)  ein,  so  folgt 

6) 

l 

Aus 

den  in  6)  enthaltenen  Gleichungen 

7) 

^ 1 t ('tk  ~i~  z^zk  k 

t T 

für 

Sitzungsb.  d.  matfa.-phys.  Kl.  Jahrg.  1915.  16 


238 


A.  Voss 


kann  man  nun  die  sämtlichen  Ctk  durch  die  willkürlich  bleiben- 
den Crk  ausdrücken.  Multipliziert  man  jetzt  in  Gleichungen  7) 
mit  den  und  summiert  über  den  Index  s,  so  entsteht 

2j2j^st^s^tk  ~l~  S ~ U ^sfe  • 

s i st  s 

Aber  diese  Gleichung  geht  nach  4)  und  4')  über  in 

t r 

oder  einfacher  in 

(^alClk  k 

über.  Vermöge  der  Gleichungen  7)  sind  alle  Transformations- 
relationen schon  von  selbst  erfüllt. 

Daraus  ergibt  sich: 

Unter  der  Voraussetzung,  daß  die  Matrix  der 
Formen  A vom  Range  r ist,  und  zugleich  die  Koeffi- 
zienten der  Formen  B den  Gleichungen  4')  genügen, 
lassen  sich  nr  der  Transformationskoeffizienten  Csk 
mit  Hilfe  der  übrigen  Cak,  deren  Zahl  n(w  — r)  beträgt, 
so  ausdrücken,  daß  die  Formen  Ä vermöge  2)  in  B 
übergehen. 

Aber  diese  Transformationen  sind  damit  noch  nicht  nicht- 
singuläre. Hierzu  ist  vielmehr  erforderlich,  daß  die  Deter- 
minante der  Cik  nicht  verschwindet.  Um  zu  unterscheiden, 
wann  dies  der  Fall  ist,  multipliziert  man  ihre  Determinante 


Cli 

• Cr  I 

C,+ll 

...  C„i 

Ci  r 

• Crr 

Cr+lf 

...  C,ir 

C\r+\  ■ 

• Crr-\-\ 

^'»■+1  c+I 

. . . Cni+l 

C|»  • 

• Crn 

Cr+1  n 

...  Cnn 

mit  der  nicht  verschwindenden  Determinante 


«11  . . . a\r 


Ä = 


«rl  • • • (f-rr 


Uber  die  Transformation  linearer  Formen  etc. 


239 


Dann  ergibt  sich  vermöge  der  Gleichungen  7) 

^ Cf  I , • • • 0)1  Xj  Crl , Cr + 11  • • 

(J _ j ^^12  ^<*1  jCr2)  • • • by2  ^®rrCr2)  Cr+l  2 • • 

I ^®lrCr„,  . . . Örn  ^örrCrnj  Cr+  | n • • 


• C„i 
■ C„  2 

• Cnn 


die  sich  durch  geeignete  Subtraktion  der  letzten  n — r- Ver- 
tikalreihen von  den  ersten  in 


'1,', 

6i  1 62 1 . 

. hfl  C,  +1  I . 

. C„  2 

..  nieir;- 

CA  = . 

• bri  Cr+12  ■ 

• C„2 

b\nb>n  ■ 

• b,„  . 

• Cnn 

verwandelt.  Die  bisher  willkürlichen  cok  sind  daher  so  zu 
wählen,  daß  diese  Determinante  nicht  Null  ist.  Das  wird  aber 
stets  möglich  sein,  wenn  wenigstens  eine  der  r-reihigen  De- 
terminanten der  Matrix 


welche  mit  der  Matrix 


^aj  j OSj  2 . . . «2  „\ 


1 (ly2  • ■ • dr  n j 

korrespondiert,  von  Null  verschieden  ist,  womit  zugleich  aus- 
gedrückt ist,  daß  die  Matrix  der  Koeffizienten  selbst  vom 
Range  r ist. 

So  ergibt  sich  der  Satz,  der  übrigens  auch  auf  m > n 
lineare  Formen  unter  entsprechenden  Voraussetzungen  erweitert 
werden  kann: 

n lineare  Formen  vom  Range  r lassen  sich  dann 
und  nur  dann  durch  eine  Mannigfaltigkeit  von  {n—r)n 
Transformationen  in  n lineare  Formen  B transfor- 

16* 


240 


A.  Voss 


mieren,  falls  die  Bedingungen  4')  erfüllt  sind.  Soll 
aber  die  Transformation  eine  nicht  singuläre  sein,  so 
muß  die  zu  den  eine  nicht  verschwindende  Determi- 
nante vom  Grade  r bildenden  Elementen  der  A kor- 
respondierende Matrix  der  Formen  vom  Range  rsein. 

Ein  System  von  Formen  A vom  Range  n kann  man  daher 
immer  in  jedes  gegebene  System  an  Formen  H von  gleichem 
Range  durch  eine  einzige  nichtsinguläre  Transformation  ver- 
wandeln, was  übrigens  selbstverständlich  ist. 

Die  vorstehenden  Betrachtungen  sind  namentlich  dann  an- 
wendbar, wenn  es  sich  darum  handelt,  ein  Formensystem  A 
in  ein  System  li  von  vorgeschriebenem  Charakter  zu 
transformieren. 

Einige  einfache  Fälle  mögen  hier  behandelt  werden. 

1.  Transformation  von  w Formen  .4.  vom  Range  n—1 
in  n Formen  B,  deren  Koeffizienten  ein  symmetrisches 
System  bilden. 

Die  Gleichungen  4)  und  4')  sind,  falls  die  Determinante 


<*11  • • • <*1  n-l 


A = 


<*11—11  • • . «n-l  n-l 


nicht  Null  ist. 


8) 


^ I ^1  k k 


für 


i = 1,  . . . n — 1 ; /.•  = 1 . . . n. 


Die  Transformationsrelationen  sind 

y i <*is  <'sfc  <*in<'nk 


«ns  <-8 Ir  ^^n k (^nnCnk^ 


s 


WO  die  Indizes  s von  1 bis  n — 1 gehen. 


über  die  Transformation  linearer  Formen  etc. 


241 


Aus  den  Gleichungen  8)  oder: 


l\bi\  •••-!-  = hnl 

X\h\2  ’ ■ • /n— 1 &n-12  = ^»2 


8') 


ergeben  sich  die  Werte  der  h„\,  bn2,  • ■ • bnn,  wenn  man  die 
bii^',  i,  = 1 . . . w — 1 willkürlich  annimmt.  Aus  den  ersten 
n — 1 Gleichungen  9)  ergeben  sich  für  ä;  = 1 , . . . n die  Cgk 
ausgedrückt  durch  die  c„k\  die  letzte  der  Gleichungen  9)  ist 
dann  jedesmal  vermöge  8)  von  selbst  erfüllt,  so  daß  die 
n Größen  c„i  . . . c„„  willkürlich  bleiben.  Die  Determinante  CA 
erhält  vermöge  8)  die  Gestalt 


b\\  . . . bn-n 


sie  verschwindet  bei  willkürlich  angenommenen  Werten  der 
nicht.  Die  Gesamtheit  der  c,/,  ist  daher  von 


n(w  + 1) 
2 


Parametern,  nämlich  von  den  n c„i  ...  c„„  und  den  6,,-,  abhängig. 

2.  Transformation  von  wFormen^vomRangen  — 1 
in  ein  System  von  Formen  B,  deren  Koeffizienten  ein 
alternierendes  System  ?>,/(  = — bilden. 

Hier  muß  n eine  ungerade  Zahl  sein,  da  sonst  die  For- 
men B ein  System  von  niedererem  als  n — • D«“  Range  bilden. 
Von  den  Gleichungen  8')  dienen  jetzt  die  n — 1 ersten  zur 
Bestimmung  der  b„i  . . . b„„-i;  die  letzte  ist  identisch  erfüllt. 
Die  Gesamtheit  der  c,fc  ist  von 


n*  — w 2 
2 


Parametern  abhängig. 


242 


A.  Voss 


Für  w = 3 hat  man  in  Übereinstimmung  mit  § 1,  falls 
keine  zwei  der  Formen  A,,  A.^,  Ag  zueinander  proportional 
sind,  die  von  Null  verschiedenen  Multiplikatoren  i,  rj,  C»  für  die 

iA^  + tjAg  + CAg  = 0, 

und  die  Bedingungen  für  die  Z»,s  sind 

V ^12  ^ 3 ~ ^ 

^2^  — ^23^  =0 

&J3  ^ bgg  rj  = 0 , 

so  daß  nur  Z»i2  + 0 willkürlich  bleibt  und  die  Cj, , Cgj,  C33  so  zu 
wählen  sind,  daß 

^^31  V^32  “ü  ^^31  ^ 

Aber  eine  nichtsinguläre  Transformation  existiert  auch 
dann,  wenn  zwei  der  Formen,  etwa  A^  und  Ag  zueinander 
proportional  sind.  Dann  ist  r]  = 0 und  b^g  = 0 und  man 
kann  die  A durch  eine  nichtsinguläre  Transformation 

(falls  iCg^  + CC33  + 0) 

in  die  Formen 

-^1  ~ ^!2  ^2 

-^2  ~ ^12^1  ^12  ^3  ^ 

^3  ~ ^12^2 

überführen. 

3.  Dieses  Verfahren  läßt  sich  auch  bei  beliebigem  Range 
der  Formen  A befolgen.  Es  mag  das  noch  für  den  Rang  n — 2 
der  Formen  A bei  geraden  n unter  Voraussetzung  eines 
alternierenden  Koeffizientensystems  der  Formen  B 
ausgeführt  werden. 

Die  Gleichungen  4),  4')  sind  hier,  wenn  die  Indices  i,  j 
von  1 bis  w — 2,  die  k,  k^  von  1 bis  n gehen. 


über  die  Transformation  linearer  Formen  etc. 


243 


a)  iS  bij  — — I j 

t 

b)  Sj  ^in— 1 ^»1  — 1 n— 1 

»■ 

c)  ii  n 1 n 

i 

d)  hij  ^nj 

i 

6)  bin—\  — bnn — 1 

f ) Sj  A,-  bin  bnn  • 

i 

Die  Gleichungen  a)  geben  die  fe„_ij=  — bjn-],  und  da- 
mit ist  zugleich  b)  erfüllt.  Gleichung  c)  liefert  die  h„-\n,  aus- 
gedrückt durch  die  aus  d)  zu  entnehmenden  b„j.  Endlich 
wird  c)  vermöge  d)  zu 

Sj  bi  j bn—}  n 

und  e)  vermöge  a)  zu 

Sj  bi  j bfin  — l^ 

SO  daß  auch  6nn-i  = — bn—\„  wird,  und  bei  willkürlichen 
Werten  der  = — bji  die  bki^  ein  alternierendes  System  bilden. 
Die  Determinante  CA  bringt  man  auf  die  Form 

CA  = d{P,Q,-FM, 
wo 

0 b^i  ■ • ■ b„-2i 

d = ! &,2  0 . . . b„-02 

bl  m-2  ■ . ■ 0 

und 

Pj  = c„_i  „_i  -j-  Sc„_i,  Ai 
Cn  n — 1 “i“ 

i 

jpg  = ^'#1—1  n "H  £ ('n—J  i 
i 

— Oft  “1“  Cn  i A|' . 
i 


244 


A.  Voss 


Es  existieren  also  im  ganzen  von 


2n  -\- 


2n  — 3 — n + 6 


2 


Parametern  abhängige  Koeffizienten  c,fc,  welche  die  Formen  Ä 
nicht  singulär  in  die  B überführen.  Z.  B.  lassen  sich  die 
Formen  A.^,  A.^,  A^,  welche  den  Gleichungen 

^‘1  “i”  ^"2  -^2  ~ -^3 

/tj  Aj  -f-  .idg  = A^ 

genügen,  falls  «11^22  — ^12^12^^  System  der  Formen 

vom  Range  2 

-^1  ~ 2/2  '^'■2  2/s  M-2  Vi 

-®2  ~ Hl  '^‘'1  y%  /“i  Vi 

^3  = — Kyi  + Ky2  — pyi 

= — f^2  2/1  + ^2  + P2/4 

durch  eine  nichtsinguläre  Transformation  verwandeln,  wenn 
das  System  der  willkürlichen  Csk,  Cik,  /i;  = l,  . . . 4 so  gewählt 
ist,  daß 

^31  ^32  ^33  ^'34 
^41  ^42  ^43  ^44 

0 1 Äg  ,«2 

1 0 /j  ,Uj 

nicht  Null  ist.  Für  p ist  /tjXg — zu  setzen. 

Ich  schließe  hieran  noch  den  Beweis  eines  Satzes  über 
bilineare  Formen,  der  mit  diesen  Betrachtungen  nahe  ver- 
wandt ist: 

Jede  bilineare  Form  ^aa^^ii/k  vom  Range  r läßt 
sich  durch  nichtsinguläre  Transformation  der  x und  y 
in  die  Normalform 


s = 1,  . . . r 

S 

überführen. 


über  die  Transformation  linearer  Formen  etc. 


245 


Setzt  man,  den  früheren  Bemerkungen  gemäß,  voraus, 
daß  den  Gleichungen  4)  entsprechend 


Ol  fc  4"  ■ ■ ■ "h  = dak 

für  alle  o = r \ . n,  Tc  = 1 . . . n ist,  so  folgt 

di  fc  Xi  yti  — Os  ft  Ifk  “f~  0>j  k fjk 

— dg  k yic  (Xg  — I”  ^'s  •^o) 

= L (Os<  yt  + OsrZ/r)  (^.  + S a:»)- 
Setzt  man  jetzt 

Vr  = y'r 
^ Os  < yt  ?/s 

= a:; 

Xg  “h  • 

Dies  sind  zwei  nichtsinguläre  Transformationen  der  Va- 
riabein X,  y in  x‘,  y'  und  man  erhält  so  eine  fache  Mannig- 
faltigkeit nichtsingulärer  Transformationen,  welche  eine  Bilinear- 
form  A vom  Range  r in  eine  Form  gleichen  Ranges  B ver- 
wandeln. 

Unter  derselben  Voraussetzung  gilt  übrigens  noch  eine 
zweite  Transformation  mittelst  der  Gleichungen 

,dr  (^kr  Ofco  t 

welche  durch  die  Gleichungen 

ya  = yo 

IJr  + Yt  nyya  = y'r 

Xr  = X,- 

ausgedrückt  ist. 


246 


A.  Voss 


§ III. 


Die  symmetrische  Auflösung  linearer  Gleichungen. 


Durch  die  im  § II  behandelten  Transformationen  wird 
allerdings  der  symmetrische  Charakter  der  Lösungen,  der  sich 
in  den  einfachen  Beispielen  des  § I erreichen  ließ,  wieder  auf- 
gehoben. Indessen  läßt  sich  auch  hier  auf  eine  völlig  sym- 
metrische Weise  verfahren. 

Es  sei  zunächst  das  System  der  n Gleichungen 


Xj  0/ 1 ,■  Xi  — n 1 


1) 


Qif,  i Xi  — Ofi 


gegeben  und  die  homogenen  Gleichungen 


2) 


l^aii^i  = 0 

— 0 


voneinander  unabhängig.  Die  ludices  i sollen  dabei  von  1 bis 
n p gehen.  Alsdann  handelt  es  sich,  da  die  sämtlichen 
Lösungen  des  Systems  2)  in  symmetrischer  Weise  durch  die 
Methode  der  Fundamentallösungen  als  gegeben  zu  betrachten 
sind,  nur  um  eine  spezielle  Lösung  des  Systems  1). 

Fügt  man  den  Gleichungen  1)  die  folgenden  mit  den  will- 
kürlichen Koeffizienten  Uhk,  h = \ . . . p;  A:  = 1 . . . n p 
gebildeten 

Yj‘ii\iXi  = 0 


'i^UpiXi  = 0 


hinzu  und  bezeichnet  die  ünterdeterminanten  nach  der  n 
. . . n -\-  p Reihe  der  Determinante 


über  die  Tninsformation  linearer  Formen  etc. 


247 


i) 


mit 
so  ist 


5) 


Cl\\  * • • (^\  n-\-p 


j 1 • • • n-^p 

Xi\\  . . . ti\ 

Up  1 . . . Up  n-\-p 

Uki,  Ic^  l . . . p 

i — \ . . . n -\-  p, 

i Uk  i — 0 

i 

^ijUki  Uki  — ö,  K 4"  ^ 

I 

Uk  i Uk  i ^ ) 


wobei  die  Indices  h von  1 bis  n,  >c  und  Je  von  1 bis  p gehen. 
Setzt  man  noch 


6) 


IjyiXi=  X, 


so  erhält 

man  aus  1), 

3),  6) 

«11  . . 

• n-\-p  CEj 

«„1  . . 

7) 

JX  + 

U\\  . . 

• n-^-p  0 

Up  1 . . 

, Up  n+p  0 

• • 

y n+p  0 

mit  den  y,  sind  willkürliche  Koeffizienten  bezeichnet, 
pliziert  man  die  Determinante 

«11  ...  «1 

^ CE«  1 . . . OE«  n~{-p 

üll  . . . U\  K-j-p 

Up  1 . . , Up  n-\-p 


Multi- 


248 


A.  Voss 


mit  der  Determinante  zl,  die  als  nicht  verschwindend  voraus- 
gesetzt wird,  so  folgt  aus  5) 


Äi]  . . . Äi„ 


Jd  = AP 


= ApA, 


wobei  die  Elemente  der  symmetrischen  Determinante  Ä durch 
die  Gleichungen 


‘4/,  Aj  \ ...  71 


definiert  sind.  Es  ist  aber  A das  Quadrat  der  Matrix  des 
Systems  2) 


mithin  gleich  der  Summe  der  Quadrate  der  w-reihigeii  Deter- 
minanten derselben  und  verschwindet  nicht,  wenn  man  sich 
auf  reelle  Koeffizienten  a,*  beschränkt.  Unter  dieser  Voraus- 
setzung ist  daher  ö nicht  Null. 

Man  kann  die  Determinante  A in  eine  einfachere  Gestalt 
bringen.  Da  die  w-reihige  Determinante  der  a,y;  i,  y = 1 . . . « 
stets  als  Amn  Null  verschieden  angenommen  werden  kann,  läßt  sich 

8)  MiH+-s  = "h  • • • + 

für  s = 1 , . . . 

setzen.  Formt  man  nun  die  Determinante  A in  derselben  Weise 
um,  wie  dies  auf  Seite  251  geschehen  ist,  mit  Hülfe  von  8)  um, 
so  entsteht,  falls  man  die  Determinante  der  a,j  mit  D be- 
zeichnet, die  Gleichung  (abgesehen  vom  Vorzeichen) 


1 -j-  Cii  C\2  ...  Ci„ 

A ==  1)^  C21  1 -f-  C22  . . ■ Cin 

Cnl  C„2  . . . 1 -f-  C„n 


WO 


über  die  Transfonnation  linearer  Formen  etc. 


24!) 


eine  symmetrische  Determinante  ist,  die  sich  wieder  als  Summe 
von  Quadraten  darstellen  läßt. 


Multipliziert  man 

die  Gleichung  7) 

mit 

^5, 

so 

folgt 

Äi\  . . 

A\  „ 

0 

0 

0 

0 

«1 

Änl  . . 

Ann 

0 

0 

0 

0 

ri„ 

i li{  1 (X\i  . . 

zi 

0 

0 

0 

0 

^ip  (X\  1 , . 

0 

0 

0 

/) 

0 

i • * 

. Ij7.«n.- 

y.Uu 

' 

■u, 

0 

In  der  so  entstandenen  w + + 1 -reihigen  Determinante 

aber  kommen  in  den  letzten  + 1 . . . n -|- 2?*®"  Vertikalreihen 
die  7,-  nur  mit  den  U/j,-,  d.  h.  mit  den  Fundamentallösungen 
des  Systems  2)  vor,  auf  deren  Bestimmung  es  nicht  weiter 
ankommt.  Läßt  man  diese  Glieder  fort,  so  erhält  man  die 
von  den  willkürlichen  Elementen  Uik  vollständig  be- 
freite Lösung 


• 

All 

Ai„ 

Ol 

XA  -h 

A„  1 

. . A„„ 

= 0, 

yiCiii . 

0 

von  der  man  jetzt  übrigens  unmittelbar  erkennt,  daß  die  aus 
der  durch  Vergleichung  der  Koeffizienten  der  7,  entnommenen 
Werte  der  Xi  das  System  1)  befriedigen. 

Ein  ganz  analoges  Verfahren  läßt  sich  einschlagen,  wenn 
es  sich  um  die  Lösung  des  voneinander  unabhängigen  Systems 
von  Gleichungen 


8) 


IjttikXk  -h  Aa,-  = hi 

i 

i,  k = l . . . n 


handelt,  wobei  die  Determinante  der  a,/c  vom  Range 
n — 1 vorausgesetzt  wird. 


250 


A.  \’oss 


Nimmt  man  hier  die  Gleichung 
'LtikXh  = 0 

hinzu,  und  bezeichnet  mit  J die  Determinante 


A = 


Uu  0 ’ 


die  bei  willkürlichen  «f,  nicht  Null  ist,  so  ergibt  sich,  falls 
man  mit  den  t/,  die  nach  der  letzten  Reihe  von  A genommenen 
Unterdeterminanten  bezeichnet,  nach  Einführung  von 


oder 


dA 


au  ■ 

• n 

an  1 ■ 

UfinCtfi 

u.  . 

. u„  0 

.^11  “h 

d\  . 

• • Al  „ A' 

(X  (Xft 

0 

An  I + «1  f/„  . 

■ ■ A„„  -}-  a,', 

0 

a„i 

A 

Au  ■ ■ 

■ Atnai 

ö=- 

A„i  . . 

9 

ai  . . 

. a„  0 

da  die  aus  den  Elementen  Ant  gebildete  symmetrische  Deter- 
minante verschwindet. 

Die  Determinante  d kann  aber,  abgesehen  von  ihren  Vor- 
zeichen, in  die  Gestalt  einer  2 « -j- 1 -reihigen  Determinante 
gebracht  werden,  indem  man  von  den  Elementen  Aik  wieder 
zu  den  Elementen  a,*  zurückkehrt,  man  erhält  nämlich : 


Ül)er  tlie  Transformation  linearer  Formen  etc. 


251 


i 0 . . 

o 

o 

a\ 

an 

ai2  . . . 

*1-1 

«1  n 

0 . . 

. 0 0 

a-i 

a2i 

a22  . . • 

«2*1-1 

«2*1 

( 0 . . 

o 

o 

a,j — I 

ön-ll 

a„_i2  . . . 

0-n — 1 >1  — 

«*i  — 1 n 

0 . . 

o 

o 

ttn 

«Hl 

an  2 • ■ • 

«*i  *1—1 

a»!  n 

ai  . . 

a„ — 1 a„ 

0 

0 

0 ' . . . 

0 

0 

an  . . 

(Xn  — 1 1 a,j  1 

0 

— 1 

0 . . . 

0 

0 

ai2  . . 

a„_i2  a„  2 

0 

0 

— 1 . . . 

0 

0 

a\ „_i  . . 

, — i «—1  — 1 « 

0 

0 . . . 

— 1 

0 

ai„  . . 

« — 1 

an  n 

0 

0 . . . 

0 

0 

Setzt  man  nun  voraus,  was  immer  angenommen  werden 
kann,  daß  etwa  die  Determinante 


an  • • 

• «1  *1—1 

a„_n  • 

• «n- 1 n— 1 

nicht  Null  ist,  so  gibt  es  w — 1 nicht  sämtlich  verschwindende 
Multiplikatoren  |i,  ...  derart,  daß 


^ dik  “h  <^nk  0 

i 

für  k = 1,  ...  n und  ebenso  n — 1 denselben  Bedingungen  ent' 
sprechende  Multiplikatoren  tj,  . . . t]n-\  derart,  daß 


^ Ofti  “l"  ÖSfcn  = 0. 


Man  kann  daher  — abgesehen  vom  Zeichen  — (5  zunächst 
in  die  Form  bringen 


(S  a,-  -j-  «n) 


0 

0 

«11 

...  0/1  n_i 

«ln 

0 

0 

«n— 11 

. . . an — 1 *1  — 

«n— 1 »1 

an 

. . . a,i_ii 

— 1 

0 

0 

«1  *1—1 

• • • «** — 1 *1 — 

0 

. . . —1 

Ü 

«*i  *1 

• • • «*i— 1 n 

0 

0 

— 1 

A.  \'oss 


252 


Aber  diese  verwandelt  sich,  wenn  man  die  w + 1 • • • 
2n  — 1*®  Vertikalreihe  mit  den  rji  . . . v,n-i  multipliziert  und 
zur  letzten  addiert  und  ebenso  in  Bezug  auf  die  Horizontal- 
reihen verfährt,  in 


0 . 

0 

du 

öHii— 1 

0 

0 . 

0 

a„_ii  . 

• ÖSn-l  n-1 

0 

«Jl  . 

• ''^«-11 

— 1 . 

0 

VI 

Ofi-U  • 

• • — 1 H — ] 

0 . 

. —1 

Vn-l 

0 . 

0 

Vi  ■ 

>?n-l 

— 1 

deren  Wert,  vom  Zeichen  abgesehen,  gleich  ist.  Die  Deter- 
minante d kann  daher  nur  dann  verschwinden,  wenn 


“h  ß«  = 0, 


d.  h.  wenn  die  Gleichungen  1)  nicht  voneinander  unabhängig  sind. 
Multipliziert  mau  jetzt  die  nach  Analogie  von  1)  gebildete 


Gleichung 


mit  (5,  so  folgt: 


«11  . 

• Ctln 

«1  hl 

Xzl  -(- 

«nl  . 

• ®/i« 

«n  hn 

Ul  . 

. u„ 

0 0 

n ■ 

■ 7n 

0 0 

= 0 


All  -j-  öl  • • 

. Al  „ 4-  «1  «„  0 hl 

XdJ  + 

A«  1 -j-  öl  ön  • 

■ A„„  -i-  «*  0 hn 

W|  Cl\  1 . . 

Üm,«„,  J 0 

S}'löl,  . . 

oder,  wenn  man  y,-  Ui  fortläht, 


yiii 

Al  „ 

5i 

öl 

j\.  ti  1 

• • A„„ 

hn 

s 

II 

o 

IjytCiii  . 

. . ^ 7«  öni 

0 

0 

«1 

• . ö|i 

0 

9) 


XA  — 


= 0. 


über  die  Tninsfoniiation  linearer  Formen  etc. 


253 


In  dieser  von  den  w,  freien  Gleichung  kann  man  endlich 
noch  das  Element  — 1 fortlassen,  da  die  Determinante 


Al  „ bl 

A„„  b„ 


J'.-Oli 

. . L/.a« 

Null  ist.  Man  erkennt  dies 

durch  Mu 

«11  . 

. . «1 „ Wi 

a„i  . 

■ • ^nn 

y\  • 

■ • 7h  0 

mit  der  verschwindenden  Determinante 

«11 

■ . K 0 

1 

• • ^nti  ö 

0 

..01 

.Man  erhält  demnach  zur  Bestimmung  der  a;,  die  in  den 
yi  identische  Gleichung 


10) 


All  . . . 

-^in 

bl 

«1 

Xd  -f 

jLfi  1 ... 

Ann 

bn 

«„ 

0. 

«1 

«„ 

0 

0 

Xj7.»i.'  • • • 

Yi  i 

0 

0 

Derselbe  Weg  führt  nun 

auch  zur 

Lösung 

des 

]Li  du  Xi  -j-  Al  «11 

• ■ • + As 

ais 

= 

S da  Xi  Al  «21 

• • • 4" 

a-is 

= 

ß2 

^ «n»  Xi  -p  Al  «„  1 

• "p  As 

«sl 

ßn, 

falls  die  Koeffizienten  a,&  eine  Determinante  vom  Range  r bilden 
und  s = n — r ist,  wobei  die  Ai  . . . ^ ebenfalls  zu  bestimmende 
Parameter  vorstellen.  Indessen  ist  es  nicht  nötig,  die  vorhin 

17 


Sitzungsb.  d.  matb.-phys.  Kl.  Jabrg.  1915. 


254 


A.  Voss 


angestellten  Betrachtungen  zu  wiederholen,  nachdem  einmal 
der  Charakter  der  Lösung  erkannt  ist. 


Setzt  man 

A 

11  • • 

Ain 

au 

ai. 

ß^ 

A 

n I 

• Ann 

a»i 

ans  ßn 

11)  + 

an 

a„i 

0 

0 

0 

= 

0, 

a 

Is 

• s 

0 

0 

0 

• y i i 

0 

0 

0 

wobei  wiedei 

X 

Xi  genommen 

ist. 

so 

erhält 

man  für 

}'i  i 

All  • 

. . Ai„  an 

Ols 

ßi 

Anl  . 

• • Ann  1 

a» 

ßn 

(^(ly.i  

aii  . 

• «»1  0 

0 

0 

= 0 

Gis  . 

• ^ns  h 

0 

0 

0 . . 

. 0 a^t 

a^  s 

ßn 

oder,  wenn  man  die  Koeffizienten  dei 


Determinante,  welche  bei 


den  Elementen  der  letzten  Horizontalreihe  auftreten,  mit 


bezeichnet. 


-^1  1 


ö ^ Xia^i  -\-  ay,\  A\  -\-  • 


• Af, , A 

* * As  ßy.  A, 


Um  die  Lösung  zu  erhalten,  ist  der  bisher  willkürlich 
gebliebene  Faktor  o gleich 


All  . . 

• -dli  ,j  an  . . 

• ai  s 

An  1 . • 

• -^n  n 

a»!  ■ ■ 

• n s 

Oll  . . 

. an  1 

0 . . 

. 0 

«1«  • ■ 

• ans 

0 . . 

. u 

über  die  Transformation  linearer  Formen  etc. 


255 


zu  setzen.  Dai3  er  nicht  verschwindet,  wenn  das  System  der 
Gleichungen  10)  voneinander  unabhängig  ist,  läßt  sich  durch 
eine  geeignete  Transformation  der  Determinante  o,  die  der 
vorhin  für  den  Fall  s = 1 durchgeführten  ganz  analog  ist, 
zeigen.^)  Die  Bestimmung  der  Lösung  11)  wird  allerdings 
schon  in  einfachen  Fällen  ziemlich  weitläufig.  Ist  z.  B.  das 
System  der  Gleichungen 

dX^  03^3  Yi 

(XX^  -[■  dx^  -}■  €X^  ^1  *^21  ^2^22  / 2 

bx^  dX2  "j"  “F  ®31  ~t“  ^2^32  Yz 

cx^  ex^  ~F  ^1  ®4i  ”1“  ^2®*42  Yi 

gegeben,  und  setzt  man  voraus,  daß 

a/’-F  fee  -f-  = 0, 

also 

f =hy  — cß,  e = ca  — ay,  d—aß  — ha 

ist,  so  ist  das  System  der  a,*  vom  Range  2),  aber  die  Äjh 
erhaltet!  Werte,  welche  eine  Reduktion  der  siebenreihigen  Deter- 
minante nicht  unmittelbar  zu  gestatten  scheinen. 

Wenn  aber  die  Determinante  der  a,*  vom  Range  n — 1 
ist,  kann  man  von  vornherein  aus  ihren  ersten  Unterdeter- 
minanten Mj,  . . . Un  nach  irgend  einer  Horizontalreihe  das 
System  bilden 

'^jdiuXk  -f  Aa,  = hi 

'^tikXk  • = 0. 

Man  erhält  dann 


(-i)"XLt/.“  + 


(*11  ...  Cf]  n dl  fei 

d/i  I . . . (f  ,j  n dfi  fe,j 

Ul  ...  Un  0 0 

yi  ...  7«  00 


= 0. 


0 Hierbei  ist  die  auf  S.  248  und  251  angedeutete  Reduktion  derselben 
zur  Anwendung  zu  bringen. 


17 


25(5 


A.  Voss,  Über  die  Transformation  linearer  Formen  etc. 


In  dem  einfaclien  Beispiel  des  § I 

q^s  — ry  -j-  = w 

rx  — pz  Xq  = V 
py  — qx  -{■  Xr  = iv 

wird,  da  die  , u.^,  U3  bezüglich  gleich 
werden : 


Multipliziert  man  mit  der  Determinante 
0 — r q p 

j r 0 — p q 

— q p 0 )• 

p q r 0 

so  entsteht 

XQ  — {n{qy^  — ry^)  + vCrj'j  — py^)  + u-{py^  — qy^)) 
oder  xQ  — rv  — icq 

yü  = pic  — TU 
zQ  = qu  — pv 

wie  vorhin  im  § 1. 


-p-Q, 

— 

qQ, 

r. 

0 

— r 

2 

p 

u 

r 

0 

— P 

2 

V 

— 2 

P 

0 

r 

IV 

P 

2 

r 

0 

0 

rz 

0 

0 

02 


257 


Beiträge  zum  Äquivalenzproblem  der  Raumkurven. 

Von  F.  Böhm. 

Vorgelegt  von  A.  Voss  in  der  Sitzung  am  1.  Mai  1915. 

Herr  Study  hat  in  dem  10.  Bande  der  American  Trans- 
actions 1909  in  einer  grundlegenden  Arbeit  ,Zur  Differential- 
geometrie der  analytischen  Kurven“  allgemein  für  reguläre 
Kurven  und  für  wichtige  Klassen  spezieller  Kurven  wie  , Krumme 
Linien  in  Minimalebenen,  auf  Minimalkegeln,  Minimalkurven  etc.“ 
Systeme  von  charakteristischen  Bewegungsinvarianten  aufge- 
stellt. Im  Hinblick  auf  die  nicht  immer  ganz  auf  der  Hand 
liegenden  Methoden  der  algebraischen  Invariantentheorie,  ins- 
besondere der  orthogonalen  Transformation,  legte  ich  mir  die 
Frage  vor,  ob  es  nicht  möglich  sei,  auch  mit  gewöhnlichen 
elementaren  Betrachtungen,  nämlich  mit  Hilfe  der  Projektion 
auf  die  Ebene  diese  überaus  wichtigen,  absoluten  Invarianten 
herzuleiten,  sie  weiter  zu  illustrieren  und  so  deren  Kenntnis 
auch  den  mit  den  Studyschen  Methoden  weniger  Vertrauten 
zu  vermitteln.  Wir  gewinnen  auf  diese  Weise  insbesondere 
bei  Heranziehung  der  Gruppentheorie  manche  neuen  Resultate, 
die  nicht  ohne  Interesse  sein  dürften. 

Die  vorliegende  Abhandlung  ist  lediglich  ein  Auszug  aus 
umfangreicheren  Untersuchungen.  Diese  würden  infolge  ein- 
gehender Diskussion  aller  Einzelfälle,  welche  durch  das  Ver- 
schwinden der  einzelnen  Dififerentialinvarianten  auftreten  können, 
den  verfügbaren  Raum  bedeutend  übersteigen  und  sind  einer 
eventuellen  Veröffentlichung  Vorbehalten. 


258 


F.  Böhm 


Im  Anschlufs  an  Study  werden  folgende  Bezeichnungen 
gebraucht : 

Für  die  ebenen  Kurven; 

(a  h)  — a^b^  -f  speziell  («  a)  = al-\-  ai 

(ab)  = ajb^  — a^b^; 

für  die  Raumkurven: 

(a  b)  ==  «j&j  -|-  «2/^2  + *^3^3  speziell  {a  d)  = d\  -j-  «2  + «3 

«1  «1  «2 

{abc)  = &,  &2  ^3  |- 
^ ^2  ^3 ! ■ 


Ist  die  Kurve  gegeben  durch  die  Parameterdarstellung: 

(0 

x^  = x.,{t) 

X3  — x^  (f) , 


so  sollen  die  Differentialquotienten  durch  Ziffern  bezeichnet 
werden,  z.  B. 

(0 10)  = ir?  + x“;  (12)  = ; (11)  = x[^  + x?  + 

Xi  Xi 


(123)  = 


a;,  a”2  a^s 
x[  x'i  x's 


x"‘  X2 


x'i 


usw. 


Da  wir  im  Wesentlichen  nur  mit  ebenen  Kurven  zu  tun 
haben,  so  sind  unsere  Hauptbausteine  die  beiden  Formen  (a'&) 
und  (rtft),  zwischen  denen  nun  folgende  fundamentale  Iden- 
titäten bestehen: 


1. 

ferner 


{abf  = 


a a ab 
ab  bb  ' 


(a  c)  (b  d)  = 


a b a c 
b d c d ' 


(ab)  (cd)  (bc)  (ad)  -f-  (ca)  (bd)  = 0, 


Beiträge  zum  Äquivalenzproblem  der  Raumkurven. 


259 


weil 


a, 

«2 

«1 

a^ 

h 

w 

= 0, 

^2 

Ci 

0 

0 

d. 

d. 

II. 


a,  a^ 

a,  a.2 

<*1  + «2 

a^  — a2  i 

6j  6j 

62  6j 

0 

■«  i 

Cj  C2 

C,  C2 

C-i  + c^ 

C‘i  Cg  1 

(Z,  d^ 

d^  d^ 

0 

0 

= — 2 (ac)  (5(/) 


also 


= {(a5)  (c  d)  + ipc)  {d  d)  -f-  {cd)  {a  b)  {da)  (5|c)} 
— 2(ac)  {Jjd), 

{ab)  {c  d)  -l"  (be)  {d  a)  -f-  {cd)  {a  b)  -|-  {da)  {b  c)  = 0, 


b mit  d vertauscht  gibt  dieselbe  Identität  von  rückwärts, 
b mit  c vertauscht  gibt 


{ac)  (&|<?)  + {cb)  {a  d)  4-  {bd){a\c)  -j-  {da)  {c  b)  = 0. 


Den  beiden  Identitäten  kann  man  auch  die  Form  geben: 

{ab)  (c|d)  "h  {d'  {cd)  = — {bc)  {a  d)  {ad)  (6|c) 

{ac)  {b  d)  “h  {a  c)  ibd)  = (6c)  {a  d)  + {ad)  (b  c). 


Wird  speziell  c = d,  so  haben  wir 

{ab)  (c  c)  = (ac)  (ftjc)  — (a  c)  (6c)  und  (ac)  (6l6)  = {ab)  (6  c) 

+ (a  6)  (6  c). 

Diese  Identitäten  werden  im  folgenden  fortwährend  ver- 
wendet und,  wo  angängig,  auch  die  Klammern  bei  (a6)  und 
(a  6)  weggelassen. 


260 


F.  Böhm 


I.  Kapitel. 

Die  Kurven  auf  dem  Minimalkegel. 

§ 1.  Die  Beziehungen  der  Differentialinvarianten  der  Raum- 
kurve zu  den  Differentialinvarianten  ihrer  Projektion  in  der 

Ebene  ^3  = 0. 

1.  In  allgemeiner  Parameterdarstellung: 

mit  der  Bedingung  0 i Ö = 0, 
also  cCg  = (-)]/  — Ö : 0 . 

Mit  Hilfe  der  Identitäten  der  Einleitung  und  der  höheren 
Differentialquotienten  von  Xg(t)  nach  t können  wir  alle  Dif- 
ferentialinvarianten der  Raumkurve  durch  die  ihrer  Projektion 
ausdrücken  und  erhalten  für  die  absoluten  charakteristischen 
Diflferentialinvarianten  und  W die  folgende  Darstellung: 

L _ 1 1 ^2  — 12"  _ 12  12  _ 2-0  0-12  — Ol-lil 
~ Ijl*  11®  ~ 01® 

1 lOQ  

=B?T-  T|T3  = — — { 3 . 1 2 [ 0 1 1 . 0 1 - 0 0 . 0 2 ] 

-f  13-0  0-01}. 

1 . . TI. 

0 — ^2  ist  das  Krümraungsquadrat  und  ~ Y 

Torsion  der  Raumkurven. 

2.  Bezogen  auf  den  natürlichen  Parameter: 

Die  Definitionsgleichungen  des  natürlichen  Parameters  sind : 

1 i fp  = — 1 und  0l|  = — 0 Op, 

wobei  wir  durch  den  Index  p andeuten,  daß  die  Differential- 
quotienten  alle  nach  p genommen  sind 


X,  = X,  (t) 

^2  = ^2  (0 
X,  = xM) 


Beiträ^^e  zum  Äquivalenzproblem  der  Kaumkurven. 


261 


<1^^  = 2 2p  = 


(03)p 

(01)p 


0 Op  — 2-0  2p-Q  Op  + 0 i; 


'/'p  = 2t3p 


, _ (13)p 

(01)p 


0 lp{0  Op  — 2-0  2p-0|0p+0  i;}4-0  0^0  3p  _ 1 d<I>p 
0,0;  2 d p ' 

was  durch  Differentiation  der  Definitionsgleichungen  und  durch 
Anwendung  der  Identitäten  leicht  verifiziert  wird. 

NB.  [Es  ist  zu  beachten,  daß  die  Differentialinvarianten: 
0 0,  0 1,  0j2  und  0 3 vollständig  dazu  ausreichen.] 

§ 2.  Die  Charakterisierung  der  Kurven  nach  ihrem  natür- 
lichen Parameter. 

d X) 

^ = 0 gibt  die  Erzeugenden:  Krümmung  und  Torsion 
ct  z 

sind  unbestimmt. 

d j) 

= c gibt  die  singulären  Kreise:  Krümmung  ist  0, 
Torsion  unbestimmt. 

Man  könnte  nun  so  fortfahren;  wir  umfassen  aber  alle 
diese  Fälle,  wenn  wir  von  der  folgenden  Parameterdarstellung 
ausgehen : 


j ^2  ist  das  Bogenelementquadrat 

— 2 — Raumkurve. 


^3  = ÄTfCT) 


usw. 


262 


F.  Böhm 


Der  natürliche  Parameter  ist  definiert  durch  die  Gleichung: 


Den  Geraden  der  Ebene  (12)  = 0 gehört  die  Lösung  der 
Differentialgleichung: 

ff\  -f  r{2fl—ff^)  = 0,  nämlich  f=  zu. 

X T -j—  A 

Allgemein  entsprechen  den  Geraden  der  Ebene  reguläre 
Kreise;  im  Speziellen  den  Minimalgeraden  singuläre  Kreise, 
den  Geraden  durch  den  Anfangspunkt  die  Erzeugenden,  speziell 
den  Minimalgeraden  durch  den  Anfangspunkt  sie  selbst. 

Zu  einer  umfangreichen  Klasse  von  Kurven  kommen  wir, 
w'enn  wir  /'=t"  wählen.  Wir  erhalten  lauter  Schraubenlinien 
auf  dem  absoluten  Kegel;  die  Projektionen  sind  logarithmische 
Spiralen,  welche  die  invariante  Differentialgleichung  (01)  = x (0  1) 
erfüllen. 

_ (n  + ly 

~ n{n-\-2y 

Ausgezeichnete  Fälle  sind:  n = 0 und  n = — 2 (singuläre  — ) 
n = — 1 (reguläre  Kreise). 

Im  allgemeinen  gehören  immer  zu  zwei  Indices  und  n.^, 
für  welche  Wj  -j-  = — 2,  spiegelbildlich  gleiche  Kurven  auf 

dem  Kegel.  Der  natürliche  Parameter  stellt  sich  als  die  Torsion 
der  Kurven  heraus. 

§ 3.  Die  Minimalprojektion. 

Die  Minimalprojektion  ordnet  jedem  (reellen)  Punkte  a:, , 
a;.^,  a^g  in  der  Ebene  a^g  = 0 einen  oi’ientierten  (imaginären) 
Kreis  zu  mit  dem  Mittelpunkt  a;, , und  dem  Radius  ix^: 

(f  j — + (^2  — ^2)^  + ^3  = 0. 

Den  Punkten  des  absoluten  Kegels  entsprechen  lauter 
Kreise  durch  den  Anfangspunkt,  so  dafi  wir  auch  statt  der 
Kurven  auf  demselben  die  entsprechenden  Kreis-scharen  und 


Beiträge  zum  Äquivalenzproblem  der  Kaumkurven. 


263 


deren  Enveloppeii  studieren  können:  einerseits  ergeben  spezielle 
Kurven  interessante  Kreisscharen,  andererseits  spezielle  Kreis- 
scharen interessante  Kurven.  Die  Enveloppe  hat  die  Para- 
meterdarstellung : 


I,  = 0 = 0 

o 01  ' 


und 

^ =-2.  o;: 

-2  I 


also  ihr  Bogenelement: 


4-0  0-122 
1 P 


Wenn  wir  den  Radiusvektor  r und  den  Krümmungsradius  q 
einführen,  stellt  das  Verhältnis 


eine  absolute  Differentialinvariante  dar,  d.  h.  einen  von  der 
Wahl  des  Parameters  unabhängigen  Differentialausdruck. 

Zu  einer  beliebigen  reellen  Geraden  gehört  ein  elliptisches 
Kreisbüschel  (die  Enveloppe  besteht  aus  einem  Punktpaar),  zu 
einer  Geraden  durch  den  Anfangspunkt  ein  parabolisches  Kreis- 
büschel (die  Enveloppe  besteht  aus  einem  Linienelement  im 
Anfangspunkt).  Betrachten  wir  eine  imaginäre  Gerade,  so  er- 
halten wir  ein  Kreisbüschel,  welches  halb  elliptisch,  halb  hyper- 
bolisch ist,  da  es  durch  den  reellen  Anfangspunkt  und  einen 
imaginären  Punkt  geht;  es  enthält  auch  einen  reellen  Kreis, 
welcher  den  reellen  Punkt  der  imaginären  Geraden  zum  Mittel- 
punkt und  dessen  Entfernung  vom  Anfangspunkt  zum  Radius 
hat.  Gesondert  davon  sind  die  Minimalgeraden  zu  betrachten. 
Die  Enveloppe  bildet  einer  der  absoluten  Kreispunkte,  in  wel- 
chem alle  Kreise  des  Büschels  sich  berühren.  Man  könnte  es 
deshalb  halbkonzentrisch  nennen.  Auch  dieses  Büschel  ent- 
hält einen  reellen  Kreis.  Geht  schließlich  die  Minimalgerade 
durch  den  Anfangspunkt,  so  zerfällt  das  Büschel  in  lauter 
Linienpaare,  deren  eine  Linie  immer  die  betrachtete  Minimal- 
gerade durch  den  Anfangspunkt  ist.  Enveloppe  ist  das  ent- 


1 


264  F.  Böhm 

sprechende  absolute  Linienelement  des  Anfangspunktes.  Der 
reelle  Kreis  wird  ein  reeller  Nullkreis.  Die  diesen  Kreisscharen 
und  ihren  Enveloppen  entsprechenden  Kurven  haben  wir  schon 
in  § 2 betrachtet. 

Die  allgemeine  Paraineterdarstellung  der  Enveloppe  ist 

W+  ’f,) 

Nehmen  wir  f = t”,  also  eine  logarithmische  Spirale,  so 
wird  die  Enveloppe  ebenfalls  die  Differentialgleichung  der  log. 
Spiralen  erfüllen;  sie  ist,  abgesehen  von  ihrer  Lage  dieselbe 
Spirale,  d.  h.  durch  dasselbe  x charakterisiert,  w = 0,  n = — 2; 
n = — 1 sind  nicht  eigentliche  Spiralen.  Die  Enveloppe  er- 
gibt die  beiden  absoluten  Kreispunkte,  bzw.  den  konzentrischen 
Kreis  mit  dem  doppelten  Radius.  Im  allgemeinen  entsprechen 
wieder  Werten  w,  + = — -2  spiegelgleiche  Enveloppen. 

Im  engsten  Zusammenhang  stehen  diese  Betrachtungen 
natürlich  mit  den  Beziehungen  von  Evolvente  und  Evolute  der 
logarithmischen  Spiralen,  welche  ja  auch  einander  kongruent 
sind.  Auf  die  Schraubenlinien  kommt  man  auch,  wenn  man 
fragt:  welche  Kurven  auf  dem  absoluten  Kegel  haben  ebene 
Evolventen?  Die  Verbindungslinien  zugehöriger  Punkte  er- 
zeugen die  abwickelbare  Tangentenfläche  der  Schraubenlinie. 
Verfahren  wir  ebenso  mit  den  Punkten  der  Enveloppe,  so  er- 
halten wir  lauter  Minimalgerade,  wie  auch  aus  der  Definition 
der  Enveloppe  hervorgeht.  Diese  Minimalgeraden  sind  also 
Tangenten  einer  Minimalkurve.  Ihre  Gleichungen  sind  im  Falle 
der  Schraubenlinie  folgende: 

+«  + 2! 

^3  = 2cT"+h 


Beitrilj'e  zum  Aquivaleiizproblem  der  Raumkurven. 


265 


Die  Minimalkurve  liegt  auf  dem  Kreiskegel : 


n{n  + 2)  {y\  + y\]  + (w  + Ifyl  = 0. 
Der  Fall 


n=\  p = St  und  c~ 


ergibt  die  bekannte  , kubische  Parabel* 


■ \ P P 


= — Mat- 


: P^ 


2/3  = ^ 9 


+ 


9i 

4 


welche  auf  dem  Kegel  3 (yl  + yl)  4 ^3  = 0 und  auf  dem 
Zylinder  (y,  — iy^Y  — 2iy^  = 0 von  Miniraalgeraden  liegt. 

Betrachten  wir  allgemein  die  Projektionen  der  Minimal- 
kurven, so  müssen  sie  Evoluten  der  Enveloppen  sein.  Schließ- 
lich sehen  wir  noch,  was  noch  nicht  bekannt  zu  sein  scheint, 
daß  unsere  Ausgangs-  oder  Mittelpunktskurve  Sehnenmittel- 
punktskurve zwischen  Enveloppe  und  ihrer  Evolute  ist.  Nicht 
in  dieser  Klasse  von  algebraischen  Minimalkurven  enthalten, 
aber  verwandt  zu  ihnen  ist  die  Lyonsche  Schraubenlinie. 


4.  Eine  neue  Zuordnung  von  ebenen  Kurven  und  Kurven 
auf  dem  absoluten  Kegel. 

Gegeben  sei  eine  ebene  Kurve 

(0  I 

^2  = ^2  (0  j ' 


^1  = ^1 


X2 


^2  = ^2  + 7 


Ihre  Evolute  ist 


266 


F.  Bölini 


Ziehen  wir  zu  den  sukzessiven  Normalen  die  Parallelen 
durch  den  Anfangspunkt  und  tragen  auf  ihnen  in  entsprechen- 
dem Sinne  die  Länge  des  Krümmungsradius  auf,  so  erhalten 
wir  die  Kurve: 


t 


r 


Xi 

s‘ 


als  Projektion  der  Raum  kurve 


^2  = + ^ 


x\ 

s' 


I3  = -t-  ir. 


Wir  sehen  dann,  daß  das  Bogenelement  der  Raumkuiwe 
bis  auf  das  Vorzeichen  gleich  dem  Bogenelement  unserer  Aus- 
gangskurve ist.  Durch  die  Einführung  des  natürlichen  Para- 
meters i)  = is  erhalten  wir  für  diese  Kurve; 


d^lr 

dp^ 


+ 


2 


als  Summe  von  absoluten  Differentialinvarianten  der  zuge- 
ordneten ebenen  Kurve. 


Beiträf'e  zum  Aquivalenzproblem  der  Kaumkurven. 


267 


II.  Kapitel. 

Das  zugehörige  Äquivalenzproblem. 


§ 1.  Die  Bewegungen,  welche  den  absoluten  Kegel  invariant 
lassen,  und  die  entsprechenden  Transformationen  der  Ebene. 

Diese  Bewegungen  sind  charakterisiert  durch  die  ortho- 
gonale Substitution,  welche  wir  in  der  Cayleyschen  Form  an- 
nehmen : 


= 1 + r^—s^  — P y--ci2i  — — 2 (t-}-rs) 
= — 2(s  — rt) 

yO'i2  = 2{t—rs)  — 

y.-a^^  = 2{s-\-rt)  y.-a.^^  — 2{r  —st) 

y.-a^^  — \ — P — -h 


y.  = \-\-p-^s'^-\-P. 


Für  ein  bestimmtes  Wertetripel  besteht  die  Bevvegung  in 
einer  Rotation  um  die  Achse 


x^\  x^:  x^  = r •.  — s:t. 


Die  Punkte  des  absoluten  Kegels  beschreiben  Kreise  in  den 
dazu  senkrechten  invarianten  Parallelebenen  des  Abstandes  c: 


— sig  -p  ^^3  = cVr^  -p 


Die  Projektionen  dieser  Kreise  .sind  die  Bahnkurven  der 
entsprechenden  Transformationen  in  der  Ebene  = 0.  Drehen 
wir  das  Koordinatensystem  so,  daß  diese  Ellipsen  symmetrisch 
zur  a:,  Achse  werden,  so  lautet  deren  Gleichung: 


wobei 


V -p  P ' 


268 


F.  Böhm 


Die  endlichen  Gileichungen  dieser  Transformation  sind : 

fl  “ ^1  (cos®  u -)-  sin®  u cos  &)  — sin  sin  ^ -h  * 
sin  fJL  cos  (1  — cos  &) 

^2  = sin  sin  j?  + ^2  ^ — iV^xf  -j-  x?2  cos  /i  sin  1? , 

also 

i -j-  Jfj  = Xj  sin  ju  cos  ju  (1  — cos  + x^  cos  fx  sin  i? 

-J-  i Ka:®  -j-  (sin®  n + cos®  }x  cos  i?) ; 

hiebei  ist  tg,u  = ^ und  ^ der  wesentliche  Parameter;  die  in- 
finitesimale Transformation 


^■2  = — x^  sin ,« 

1^2  = x^  sin /<  — iV^x\-Y  cos /r . 


01 


§ 2.  Die  Differentialinvarianten  der  Transformation. 

1.  Wir  wählen  aus  die  Differentialinvariante  I.  Ordnung 
welche  das  Bogenelementquadrat  der  Raumkurve  darstellt. 

Die  Invarianz  desselben  lälät  sich  leicht  direkt  aus  den  end- 
lichen Gleichungen  der  Gruppe  bestätigen,  oder  man  erweitert 
die  infinitesimale  Transformation  üf  zu 


U‘f^ 


dXj^  ^®  dx^  dx\  ''  dX2‘ 


Da  die  Differentialinvariante  aber  keine  absolute  Invariante 
ist,  so  gibt  sie  nur  in  dem  speziellen  Fall  |j  = 0 zu  invarianten 
Kurvenscharen  Anlafi,  welche  durch  die  entsprechende  Trans- 
formation wieder  in  invariante  Kurvenscharen  derselben  Art 
übergeführt  werden. 


/t  = 0 = 0 fl  = 

^2  = — iYx\-\-  xl  ^2  = x^  cos  & — iYx\-[-  xi  sin  d. 


Beiträge  zum  Äquivalenzproblem  der  Raumkurven. 


269 


Die  invariante  Differentialgleichung  q q ~ ^ 

2 1 

a = i als  Lösung  die  Parabelscliar  • n = . Die  ent- 

sprechenden  Kurven  auf  dem  absoluten  Kegel  — im  Falle  der 
Parabeln  sind  es  singuläre  Kreise  (<Z>  = 0)  — haben  die  Eigen- 
schaft, bei  einer  Drehung  um  die  x^  Achse  immer  wieder  zu 
Projektionen  Kurven  unserer  Schar  zu  erhalten. 

2.  Wichtiger  ist  die  absolute  Ditferentialinvariante  deren 
Invarianz  ebenfalls  entweder  direkt  gezeigt  werden  kann  oder 
mit  Hilfe  einer  nochmaligen  Erweiterung  der  infinitesimalen 
Transformation.  Zur  Integration  der  invarianten  Differential- 
gleichung *P  = \ verwenden  wir  nach  der  Theorie  der  kon- 

tinuierlichen  Gruppen  die  Kenntnis  von  3 voneinander  unab- 
hängigen infinitesiraaleu  Transformationen  (entsprechend  den 
infinitesimalen  Rotationen  um  die  Koordinatenachsen),  welche 
die  Differentialgleichung  invariant  lassen.  Die  Differential- 
gleichung hat  in  x,  y die  Form: 

Q = 2 -f-  if)  tj“  — {xy‘  ~y)(l-\-y‘^)  — ~ {xy‘  — yf  = 0. 


Die  infinitesimalen  Transformationen  sind: 

I,  = 0 = — */  ^^  = iVx^  -{-y^ 

i ]/a:2  -p  ^2  >;2  = + ^ = 0 


rjx  = —I 


x-\-yy‘ 


r}i  = —I 


Ka;2  -j-  ?/2 

(a;2  -p  y^)  yij“  -p  {xy‘  — yf 


= '>n  = ~iy 


. x^yy‘ 

Ka:2  -p 


y" 


Vx^  -p 


m = Sy‘y“ 


i-j-i  — —I 


, (2  a:  -P  2>yy‘)  {x^-  + r/)y“  y‘  {xy‘  — yY 


Ka;2  -t-  tf) 


IJ\  Q = 


— 3iy 


V -\-y 

SitzuDgsb.  d.  matli.-pliys.  Kl.  Jalirg.  1915. 


ü UlU  = ^y‘-Q  U;Q  = 


— ^iyy‘ 

V a;2-p 


Ü. 


y‘ 


18 


270 


F.  Böhm 


Die  Zusammensetzung  der  infinitesimalen  Transformationen 
ist  die  symmetrische: 

= {U,U,)  = U,  {U,U,)  = l,. 

Die  Determinante 


I n'i 
^ = j h ^'2 

1^3  % V'S 


= {xy‘ 


yf 


ergibt,  daß  die  einzige  invariante  Kurvenscbar,  welche  die 
allgemeinste  Transformation  der  Gruppe  gestattet,  die  Schar 
der  Geraden  durch  den  Anfangspunkt  ist;  ihr  entsprechen  die 
Erzeugenden  des  Kegels.  Da  ferner  unsere  Transformations- 
gleichungen den  DilFerentialausdruck  nicht  ungeändert  lassen, 

so  gehört  unsere  Differentialgleichung  zum  2.  Typus.  Wählen 
wir  die  folgenden  unabhängigen  infinitesimalen  Transforma- 
tionen : 

V i 

L\  = — 2iU, 

+ V„ 


so  wird  durch  die  Transformation 


- _ _ — _ ] / _i^^y  }_ 

^iV2  — hVi  * ^ — i'y  Vx  — iy 

r —y^dx-Y-tidy 

unsere  Differentialgleichung  2.  Ordnung  ü = 0 in  die  sofort 
integrierbare  Form  gebracht: 


y“  = 


X 


2 


271 


Beiträge  zum  Äquivalenzproblem  der  Raumkurven. 

Die  Integralkurven  sind  die  ähnlichen  Hyperbeln 

y-  ^ {x  — x^y  ^ 

(7^ 

Xq  und  sind  Integrationskonstante. 

In  den  Koordinaten  xy  erhalten  wir  natürlich  die  Projek- 
tionen der  Schnitte  der  Ebenen  ax  -\-  ßy  ^ yz  — ia  mit  dem 
ab.soluten  Kegel  (d.  h.  der  regulären  Kreise  mit  dem  Radius  d). 

Unter  diesen  ist  eine  Schar  besonders  hervorzuheben, 
welche  dem  Werte  (7  = 0 der  Integrationskonstanten  entspricht. 
Wir  erhalten  dafür  die  Schar  der  Parabeln  y'^  = ± 2iTc{x  — xß), 
denen  die  Kreise  auf  dem  absoluten  Kegel  entsprechen,  welche 
alle  durch  einen  der  absoluten  Kreispunkte  der  Ebene  x^  = 0 
gehen. 

Für  die  Ebenen,  in  denen  diese  Kreise  liegen,  ist  /?  = + ia, 
7 = 1.  Daraus  können  wir  aber  nicht  schließen,  daß  ihre 
Normalen  Parallelen  zur  x^  Achse  seien,  sondern  nur,  daß  der 
unendlich  ferne  Punkt  derselben  auf  der  Tangente  des  ab- 
soluten Kegelschnittes  im  entsprechenden  Kreispunkte  liegt. 
Der  Winkel  der  Normalen  zur  Achse  wird  gewissermaßen  durch 
die  Entfernung  dieses  Punktes  von  dem  unendlich  fernen  Punkt 
der  Achse  auf  jener  uneigentlichen  Minimalgeraden  gemessen; 
diese  Entfernung  kann  unter  anderen  auch  den  W^ert  Null 
haben.  Die  Projektionen  dieser  Kreise  sind  Ellipsen,  welche 
durch  einen  der  absoluten  Punkte  gehen  und  dort  die  Minimal- 
geraden zu  Tangenten  haben.  Ihre  Gleichung  ist: 

(a  (x  iy)  — iay  {x  i rj)  {x  — ■ irj)  = 0. 

Ihre  Achsenrichtung  ist  die  eine  Miniinalrichtung;  bezüg- 
lich ihrer  Brennpunktseigenschaften  stehen  diese  Kegelschnitte 
zwischen  Ellipse  und  Parabel.  Andererseits  sind  sie  mit  dem 
Kreis  verwandt.  Berührt  ein  solcher  Kegelschnitt  die  unend- 
lich ferne  Gerade,  so  entsteht  statt  einer  imaginären  Parabel 
die  doppelt  zählende  Minimalgerade. 


18’ 


272 


F.  Böhm 


Gresondert  ist  der  Fall  verschwindender  Krümmung  = 0) 
zu  betrachten.  Er  ergibt  die  transformierte  Differentialglei- 
chung y“  — 0.  Die  Integralkurven  werden  gebildet  von  der 
Gesamtheit  aller  Geraden  Ax  -F  By  -|-  C'=  0,  ausgenommen 
den  Fall  2?  = 0,  in  welchem  die  Krümmung  unbestimmt  wird 
(Fall  der  Erzeugenden  des  Kegels). 

§ 3.  Eine  Abbildung  der  Kurven  auf  dem  absoluten  Kegel. 

Unsere  Koordinaten  x,  y vermitteln  eine  Abbildung,  bei 
welcher  die  Kurven  konstanter  Krümmung  Null  des  absoluten 
Kegels  (die  singulären  Kreise)  übergehen  in  die  Kurven  kon- 
stanter Krümmung  Null  der  Ebene  (die  Geraden). 

Die  Krümmung  ist  *Px  = A^iy^y“. 

Die  Kurven  auf  dem  Kegel  sind  folgendermaßen  dargestellt : 

+ 1 ix^  — \ 'iV — ix 

2y^  ^ 2iy'^  2 iß 


Wir  haben  dann  folgendes  Entsprechen: 


Ebene  x,  y 

Absoluter  Kegel 

Ebene  x,  y (Projektion) 

I.  Beliebige  Gerade 

Beliebiger  singulärer 
Kreis 

Imaginäre  Parabel 

X Parallele 

spezieller  singulärer 
Kreis  11 

Minimalgerade  II 

Gerade  durch  den 

spezieller  singulärer 

Minimalgerade  I 

Anfangspunkt 

Kreis  I 

y Parallele 

Erzeugende 

Gerade  durch  den 
Anfangspunkt 

X Achse 

Absoluter  Kegel- 

Unendlich  ferne  Ge- 

schnitt 

rade 

y Achse 

Minimalgerade  I i 

Minimalgerade  durch 

Unendlich  ferne 
Gerade 

Minimalgerade  11  1 

den  Anfangspunkt 

Beitrüge  zum  Äquivalenzproblem  der  Raumkurven. 


273 


Ebene  x,  y 

Absoluter  Kegel 

Ebene  x,  y (Projektion) 

11.  Kegelschnitte 

Kurven  konstanter 

Imaginäre  Ellipsen 

symmetrisch  zur 

Krümmung  = re- 

X Achse 

guläre  Kreise 

' 

Symmetrische  Pa- 

Kurven  konstanter 

Imaginäre  Ellipsen 

rabeln 

Krümmung  = re- 

durch  den  entspre- 

guläre  Kreise  durch 

eilenden  Kreispunkt 

Symmetrische  Pa- 

einen  der  al)soluten 
Kreispunkte  in  der 
Ebene  x^  = ^ 
x^  -\-  y^  = in  x^ 

Kreis  x^  + jf  — 

rabeln  durch  den 

= + ia 

Anfangspunkt 
Symmetrische  Xi- 

siehe  unter  I 

siehe  unter  I 

nienpaare  und 
Doppellinien. 

Die  einfache  Form  der  Krümmung  legt  uns  die  Frage 
nahe,  welche  Gleichung  zwischen  x und  y die  oben  betrach- 
teten Schraubenlinien  charakterisiert.  Da 

X = \^ii  und  y = , lautet  sie  • x"  = const.  \n  = — 

Vf  V »' 

Wenn  wir  gewisse  einfache  Funktionen  fp{x,  y')  wählen, 
welche  die  Integration  der  Differentialgleichung  ermöglichen, 
so  können  wir  aus  den  Krümmungseigenschaften  der  Kurve 
deren  Gleichungen  explicite  aufstellen.  Z.  B.  kann  die  Glei- 
chung (p  = Cx~'^^  durch  die  Substitution  y = cx'‘  integriert 
werden,  ebenso,  wenn  0 nur  eine  Funktion  von  y ist,  z.  B. 
c y'’  (v  = 3). 


274 


F.  Böhm 


III.  Kapitel. 

Die  Minimalkurven. 

Ganz  in  derselben  Weise  können  wir  auch  die  Minimal- 
kurven behandeln : 


(0 

^2  = ^2(9 

iCj  = (±)i-s(0 


wobei  s die  Bogenlänge  der  Projektion  ist.  Wir  fuhren  zu 
diesem  Zwecke  nach  Study  das  sphärische  Bild  der  Kurve 
auf  dem  absoluten  Kegel  ein,  dessen  Koordinaten  gleich  den 
ersten  Differentialquotienten  der  Koordinaten  der  Minimalkurven 
nach  dem  natürlichen  Parameter  sind.  Dieser  ist  definiert 
durch  die  Gleichung 


Es  erhöhen  sich  dann  in  unser n Formeln  des  I.  Kapitels 
§ 2 alle  Ziffern  um  eine  Einheit.  Die  charakteristischen  ab- 
soluten Differentialinvarianten  der  Minimalkurven  sind  also 


Nimmt  man  z.  B.  den  Kreis  = cos  t,  = sin  t,  so  wird 
F =i  und  F = 0.  Die  zugehörige  Miniraalkurve  ist  eine 
Minimalschraubenlinie.  Bei  diesem  Beispiel  kann  man  wie 
auch  sonst  mit  Vorteil  die  Bogenlänge  der  Projektion  als  Para- 
meter einführen.  Es  ist  allgemein  : 


7-131  — 4 •12s- {14, -1-2 -233} 
4i(23)s 


Man  kann  auch  den  Zusammenhang  mit  den  Weierstrah- 
schen  Formeln  untersuchen;  ebenso  nach  den  Minimalkurven 


IJeitrilge  zum  Äquivalenzproblem  der  Kaunikurven.  275 

fragen,  welche  die  im  1.  Kapitel  untersuchten  Kurven  des  ab- 
soluten Kegels  zu  sphärischen  Bildern  haben.  Die  zugehörige 
Weierstraßsche  Funktion  ist: 

— i 

^ 7^4-l)(2w-t-2)  {2n  + 2>)  ' 

Den  Fällen  w = 0 und  n = — 2 entsprechen  algebraische 
Minimalkurven  dritter  Ordnung,  deren  sphärische  Bilder  die 
singulären  Kreise  I und  II  sind;  n = — 1;  n — — ^ und 
n — — f sind  besonders  zu  untersuchen.  Sie  ergeben  trans- 
zendente Miniraalschraubenlinien.  Im  übrigen  gehören  wieder 
Indices  und  Wg,  für  welche  Wj  -j-  Wg  = — 2,  z.  B.  w,  = -f-  1 , 
n^  = — 3 zusammen. 

Mit  Ausnahme  der  Fälle  n — — 1;  n = — ^ und  n = — | 
liegen  diese  Minimalkurven  auf  dem  Kegel:  (2n  1)  (2  w -j-  3) 

{x\  xX)  -\-  {2n  2y  x\  = 0.  [Man  könnte  diese  Minimal- 
kurven auch  zu  den  in  Kapitel  I betrachteten  Minimalkurven 
in  Beziehung  bringen.]  Für  n ■=  — 1 liegt  die  Minimalkurve 
auf  dem  Kreiszjlinder,  für  n = — ^ und  n — — | auf  den 
Zylindern  von  Minimalgeraden:  x^  + ix^-^  ^ix\  = Q , welche 
die  Parabel:  x^-\-2ixl  = 0,  x^  = 0 von  den  beiden  absoluten 
Punkten  der  Ebene  x^  = 0 aus  projizieren. 


IV.  Kapitel. 

Die  sphärischen  Kurven. 

Die  Gleichungen  der  sphärischen  Kurven  seien: 

x^  = Xj  (t)  x^  — x^  (t)  3:3  = (jl)  — 0 0. 

Der  Krümmung  dieser  Kurven  kann  man  die  charakteri- 
stische Form 

1 il2,.g  + 01,)« 

S*  + ü*(oo,  — i?*) 

geben,  wenn  der  natürliche  Parameter  definiert  ist  durch 


276 


F.  böhin 


fdpy  1 — OF  _ 13^ 

[dt)  R^-0  0 ' VR^OÖ;'' 

auch  hier  würden  wir  mit  Hilfe  der  Identitäten  mit  den  In- 
varianten 0 0,  0 1,  0 2 und  0 3 vollständig  ausreichen. 

In  der  Minimalprojektion  entsprechen  den  Punkten  der 
Kugel  orthogonale  Kreise  des  Äquators  (auch  Diametralkreise) 
R^  — 0 0 = 0.  1 1 — OP  = 0 ergibt  die  erzeugenden 

Minimalgeraden,  deren  Projektionen  die  Gesamtheit  aller  Tan- 
genten des  Äquators  von  inneren  Punkten  desselben  aus  dar- 
stellt. Minimalgeraden  als  Projektionen  entsprechen  entweder 
.selbst  Minimalgerade  oder  singuläre  Kreise;  beliebige  singuläre 
Kreise  haben  wieder  die  bekannten  Parabeln  zur  Projektion, 
welche  auch  in  Parallellinienpaare  zerfallen  können. 

Die  oben  angegebene  Form  der  Krümmung  erinnert  uns 
an  den  Satz  über  die  relative  und  absolute  Krümmung  von 
Mannigfaltigkeiten  in  der  nichteuklidischen  Geometrie:  das 
Quadrat  der  relativen  Krümmung  einer  Kurve  in  der  ellip- 
tischen Ebene  (auf  der  Kugel)  ist  gleich  dem  Quadrat  der 
Krümmung  der  Kurve  — als  Raumkurve  im  euklidischen 
Raum  aufgefaßt  — vermindert  um  das  Riemannsche  (hier  auch 
Gaußsche)  Krümmungsmaß  der  elliptischen  Ebene  (Kugel). 
[Für  Flächen  gilt  ein  gleicher  Satz.] 

Es  ergibt  sich,  daß  unser  Ausdruck 


(p 


1 


1 

0^ 


das  Quadrat  der  geodätischen  Krümmung  der  sphärischen  Kurven 
also  auch  eine  absolute  Differentialinvariante  derselben  darstellt. 

In  der  allgemeinen  Parameterdaivstellung  auf  der  Einheits- 
kugel  ist  dieser  Ausdruck 

1 ( 12.(1  — 0 0)  — 01-(1  1 -OP)  P 

~ l (1  1 — 017/2  }■ 

Um  die  relative  (geodätische)  Krümmung  definieren  zu 
können,  müssen  wir  eine  derartige  Pararaeterdarstellung  der 


Beiträge  zum  Äquivalenzproblem  der  Kaunikurven. 


277 


Kugel  geben,  daß  die  geodätischen  Linien  durch  lineare  Glei- 
chungen dargestellt  werden ; 


l -j-  Ul  -f-  u 


1 -f-  Ml  + m: 


a;, 

2 

2 


1 

1'  1 -j-  Ul  u\ 


1 {dtiicPu^  — du^d^tiiY 

{E  dul -\- 2 Fdu^du^ Gdul)^  ‘ 


Das  ist  aber  genau  das  Quadrat  der  geodätischen  Krümmung. 

Alle  Betrachtungen  und  Formeln  über  die  sphärischen 
Kurven  auf  der  Kugel  müssen  für  R^  = 0 die  Formeln  des 
I.  Kapitels  ergeben,  ln  gleicher  Weise  wird  das  Aquivalenz- 
problem  und  die  Minimalprojektion  behandelt.  Die  Enveloppen 
der  Orthogonal-(Diametral)kreise  sind  anallagmatische  Kurven 
4.  Ordnung,  wenn  die  Mittelpunktsörter  selbst  Kreise  des  Ortho- 
gonalsystems bilden.  Ist  der  Ort  der  Mittelpunkte  eine  Parabel, 
•SO  kann  man  daran  einfache  geometrische  Betrachtungen  an- 
schließen, besonders  wenn  die  Parabeln  Projektionen  von  singu- 
lären Kreisen  darstellen. 


V.  Kapitel. 

Die  Kurven  in  Minimalebenen. 


~ (Ol  ^2  ~ ^2(0)  ^3  = ^^2(0-  Hier  sind  die  charak- 
teristischen Differentialinvarianten : 


^1  = 


ic'i  • 1 3 — 3 • a;i  1 2 


i“ 

v“ 


— ^-Xi-x^-Vd  ~\-{lb-x"i^  — i-x\xi\-12 
x\*-l2 


y"" 


y 


1 


wenn  y = F(x)  die  Projektion  ist. 
Der  natürliche  Parameter  ist 


a;,  = ip 

^2  = '?  = /’(P)- 


f 


278  F.  Böhm 

Hier  wird  das  Aquivalenzproblem  sehr  einfach  zu  lösen  sein, 
denn  die  Differentialgleichungen  = const.  und  — const. 
lassen  sich  ohne  weiteres  integrieren.  Die  infinitesimalen  Trans- 
formationen sind:  U^=p,  = U^  = yq  mit 

der  Zusammensetzung:  (f7j  U^)  = 0,  (Z7,  ü^)  —l\,  U^)  = 0, 

{U,  U,)  = 0,  {L\  U,)  = U,,  (U,  ü,)  = U,. 

Man  wird  die  einzelnen  infinitesimalen  Transformationen 
zu  je  zwei  oder  drei  zusammentassen,  die  invarianten  Gebilde 
dieser  Untergruppen  aufstellen  und  schließlich  die  Betrach- 
tungen mit  Hilfe  der  allgemeinen  Theorie  der  viergliedrigen 
Gruppen  vervollständigen. 

Die  Minimalprojektion  ordnet  jedem  Punkt  der  Minimal- 
ebene einen  Kreis  zu,  welcher  die  Achse  berührt;  also  den 
Kurven  derselben  q = f{p)  Scharen  von  solchen  Kreisen,  be- 
ziehungsweise deren  Enveloppen: 

“r  J ^72  j ■<  ^2  j ^2  • 

Wir  erhalten  dann  die  speziellen  Fälle: 

I.  Die  Geraden  der  Minimalebene: 

1.  Eine  Ausnahmestellung  hat  der  Fall  ^ = const. ; dies 
sind  die  Minimalgeraden,  welche  zur  Projektion  die  Parallelen 
zur  Achse  und  zur  Enveloppe  ein  Linienelement  der  x^  Achse 
haben. 

2.  f — c ist  eine  imaginäre  Parallele  zu  der  reellen  Ge- 
raden der  Minimalebene:  Projektion  ist  eine  Parallele  zur 
x^  Achse,  Enveloppe  ebenfalls  eine  solche  mit  doppeltem  Ahstand. 

3.  f = cp  d ist  eine  beliebige  Gerade,  wie  auch  Pro- 
jektion und  Enveloppe.  Hat  die  Projektion  die  Richtung  cp, 
so  hat  die  Enveloppe  die  Richtung  2 cp.  Spezielle  Fälle  sind: 
d = 0,  c=±i,  c=±l. 

II.  Die  singulären  Kreise  der  Minimalebene: 

4.  Bevor  wir  die  quadratischen  Funktionen  betrachten, 
fragen  wir  nach  der  Bedeutung  der  Differentialgleichung: 

p(l-n-|-  2//'  = 0,  also  ^,  = 0. 


Beiträge  zum  Äquivalenzproblem  der  Raumkurven. 


279 


Die  Integration  ergibt  die  Lösung: 


/ = 


— 1 
2 c 


also  f“‘  = 0,  d.  h.  spezielle  singuläre  Kreise  der  Minimalebene, 
in  der  Projektion  die  bekannte  Parabelschar 


welche  die  Achse  zur  gemeinsamen  Direktrix  haben.  Die 
zugehörigen  Enveloppen  fallen  alle  in  den  entsprechenden 
Brennpunkt;  eine  additive  Veränderung  von  p ergibt  nur  eine 
Verschiebung  der  Figuren. 

5.  Die  quadratische  Funktion  f=  ap^  2hp  c (wobei 
auch  h gleich  Null  sein  kann)  ergibt  allgemein  singuläre  Kreise 
und  als  zugehörige  Enveloppe  den  Kreis 

1 — 4acV ÄacV 

4 a j \ 4 a / ’ 


also  wenn  c = — - Fall  4. 

4 a 


Gehen  wir  umgekehrt  von  den  Enveloppen  aus  und  fragen 
nach  den  Kurven  in  der  Minimalebene,  für  welche  die  Enve- 
loppe ein  besonders  einfaches  Verhalten  zeigt,  so  müssen  wir 
dazu  folgende  Ausdrücke  bilden: 


d l,  _ 

2f 

(i-ry 

d^i 

V1  + /V’ 

d^h 

-2r 

di! 

-2  1^1 4-7-2;’ 

Krümmungsradius 

1 /!  + 

2fr -ry 

- 2r  j ' 

Wir  können  dabei  unterscheiden  zwischen  Eigenschaften, 
welche  nur  in  einer  diskreten  Anzahl  von  Punkten,  und  solchen, 
welche  für  alle  Punkte  gelten.  Die  letzteren  charakterisieren 
auch  das  Verhalten  in  den  ersteren  Punkten  und  deren  nächster 
Umgehung. 


280  F.  Böh  111,  Beiträge  zutn  Äquivaleiizproblein  der  liauinkurven. 


= 0 


gibt 


CO  . 


d^ 


= ± i 


n 


f=c 

f = ± ip-\-  d 
/■  = ± 


Siehe  1),  2)  und  3). 


- = tg  2 «p,  also  y'  = — if  = tg?); 

«'  S 1 


die  Richtungswinkel 


verdoppeln  sich. 

(P(*2  n I ~ ^ ~ ^ [oder  /'  = 1],  wenn 

d^\  I nicht  zugleich  /”'  = ± i gibt  die  Fälle  1)  — 3); 
<d  — 00  , wenn  /"  = 0 und  nicht  zugleich  /'  = ± 1 ebenfalls  1)  — 3). 

Die  Integration  der  Differentialgleichung  o = const.  gibt 
als  Integrale  die  Schar: 

y -\-y,  = \C{x  — X^f  -h 


d.  h.  die  unter  5)  betrachteten  Parabeln  mit  einer  Translation 
des  Mittelpunktes;  für  x = 0 und  = 0 Fall  4). 


Mit  diesen  Ausführungen  wären  wir  am  Ende  unserer  Be- 
trachtungen angelangt.  Aus  dem  vorliegenden  ist  klar  ersicht- 
lich, daß  die  von  uns  durch  sämtliche  Kapitel  verfolgte  Methode 
durchaus  geeignet  ist,  einen  tiefen  Einblick  in  das  Wesen  des 
Aquivalenzprobleras  der  Raumkurven,  insonderheit  der  imagi- 
nären Gebilde  unter  ihnen  zu  gestatten.  Bezüglich  der  Minimal- 
projektion sei  schließlich  noch  auf  die  Abhandl.  von  W.  Blaschke 
in  den  Monatsheften  für  Mathematik  und  Physik,  XXI,  1910, 
„Untersuchungen  über  die  Geometrie  der  Speere  in  der  eukli- 
dischen Ebene“  und  bezüglich  der  Kurven  in  der  Minimalebene 
auf  H.  Beck  „Zur  Geometrie  in  der  Minimalebene“,  Sitzungs- 
berichte der  Berliner  mathematischen  Gesellschaft  1912,  ver- 
wiesen. Beide  Autoren  behandeln  verwandte  Probleme,  jedoch 
nicht  mit  der  von  uns  benutzten  Projektionsmethode. 


281 


Über  eine  besondere  Klasse  unendlicher  Kettenbriiche 
mit  komplexen  Elementen.^) 

Von  Otto  Szäsz. 

Vorgelegt  von  A.  Pringsheim  in  der  Sitzung  am  1.  Mai  1915. 

Gegeben  sei  der  Kettenbruch : 

1 -^1  + T + r + --’ 

wo  die  tty  beliebige  reelle  oder  komplexe  Zahlen  mit  Ein- 
schluß der  Null  sind.  Sei  ferner 

00 

5 — 2j’'  «.'i  = '«2  + +••• 

2 

konvergent.  Bekanntlich  konvergiert  der  Kettenbruch  unter 
der  Bedingung:^)  s:^l. 

Im  folgenden  gebe  ich  einen  einfachen  Beweis  dieses  Satzes, 
wobei  sich  eine  kleine  Erweiterung  seines  Gültigkeitsbereiches 

h Diese  Mitteilung  ist  ein  Teil  einer  größeren  Arbeit,  welche  als 
Habilitationsschrift  im  Mai  1914  der  damaligen  Akademie  für  Sozial- 
und  Handelswissenschaften  Frankfurt  a.  M.  Vorgelegen  hat,  jedoch  bisher 
nicht  gedruckt  wurde. 

Für  reelle  negative  bewies  den  Satz  schon  M.  A.  Stern  in 
seiner  Note:  Über  die  Konvergenz  der  Kettenbrüche.  [Nachrichten  etc. 
Göttingen,  1863,  S.  136  — 143.]  Für  beliebige  und  s ■<  1 zuerst  Herr 
Helge  von  Koch:  Sur  un  theoreme  de  Stieltjes  et  sur  les  fonctions 
definies  par  des  fractions  continues  [Bull.  Soc.  Math,  de  France,  t.  23, 
1895,  p.  33 — 40],  von  neuem  und  auch  für  den  Fall  s = 1 Herr  A.  Prings- 
heim: „Über  einige  Konvergenzkriterien  für  Kettenbrüche  mit  komplexen 


282 


0.  Szäsz 


ergibt;  es  muläte  nämlich  bisher  vorausgesetzt  werden,  daß  für 
unendlich  viele  / =r  0 ist.^)  Ich  konnte  diese  Einschränkung 
— soweit  als  möglich  — beseitigen.  Ferner  leite  ich  speziell 
für  den  Fall  lauter  reeller  nicht-positiver  a,.(a,,  ^0)  eine  Ver- 
allgemeinerung dieses  Satzes  ab. 

§ 1. 

Die  Näherungsbrüche  des  Kettenbruches  (1)  seien: 

(r  = 0,  1,  2,  . .); 

bei'eits  Herr  von  Koch  hat  bewiesen,^)  daß  dann  A,.  und 
sesen  bestimmte  endliche  Grenzen  konvergieren: 

O O O 

lim  A,.  = A,  lim  ~ B. 

»'  = X »'  = X 

Die  Konvergenz  des  Kettenhruches  ist  daher  damit  gleich- 
bedeutend, daß  B nicht  verschwindet.* *) 

Nun  ist  offenbar: 

B,+i  — By  = By-i  (v  > 1); 

setzt  man  hier  statt  v sukzessive  r -(- 1 , . . .,  v -\- 

ein  und  summiert,  so  folgt: 

Gliedern.  [Diese  Sitzungsber.,  BJ.  35,  1905,  S.  359 — 380.]  Einen  allge- 
meineren Satz  bewies  ich  in  meiner  Arbeit:  Über  gewisse  unendliche 
Kettenbruchdeterminanten  und  Kettenbrüche  mit  komplexen  Elementen 
[diese  Sitzungsber.,  Jahrg.  1912,  S.  323—361],  S.  341. 

Vgl.  0.  Perron,  Die  Lehre  von  den  Kettenbrüchen,  Leipzig, 
1913,  S.  259.  Dieses  Werk  wird  im  folgenden  unter  , Perron,  Lehr- 
buch“ zitiert. 

*)  A. a.  0.;  vgl.  auch  Perron,  Lehrbuch,  S.  3 15 — 346.  — HerrE.  Maillet 
(Sur  les  fractions  continues  algebriques  [Journal  de  l’Ecole  Polytech- 
nique,  II®  Serie,  XI 1®  Cahier,  1908,  p.  41— 62];  vgl.  auch  Perron,  Lehr- 
buch, S.  346)  hat  ferner  bewiesen,  daß  A und  B nicht  gleichzeitig  ver- 
schwinden können.  Ich  zeigte  dies  (a.  a.  0.,  S.  331  — 332)  mit  Hilfe  der 
Kettenbruchdeterminanten-Darstellung.  Daß  Herr  Maillet  dies  schon 
früher  (auf  anderem  Wege)  bewiesen  hatte,  war  mir  damals  leider  ent- 
gangen. 

*)  Ist  B = 0,  .d  ^ 0,  so  divergiert  der  Kettenbruch  außerwesentlich. 


über  eine  besondere  Klasse  unendlicher  Kettenbriiche  etc.  283 


i>v-\-y.  J^v  Ö!l+I  -j"  4"  ■ • • -j- 

und  wenn  man  hier  zur  Grenze  für  h = od  übergeht,  erhält 
man  schließlich  die  Gleichuner: 

O 

00 

^y  — ij''-  (^r+X  l^r-\.}  — 2 (v  > 1).  (2) 

Nun  gibt  es  offenbar  in  der  abgeschlossenen  Menge; 
i^o  - , ^2 - • • •;  B 

eine  größte  Zahl;  ist  \B  selbst  dieses  Maximum,  so  ist  — 
wegen  uß„[  = 1 — .B|>  1 und  daher  konvergiert  der  Ketten- 
bruch in  diesem  Falle.  Hat  aber  B\  einen  kleineren  Wert, 
so  gibt  es  ein  kleinstes  n{n>l),  für  das  die  Ungleich- 
heiten bestehen : 


B,,\>  2,  3,  . . .).  (3) 

Nun  folgt  aus  Gl.  (2)  für  v = n: 


Bn  \ ^ I B„  I (ln-\.x  (4) 

1 

und  damit  hier  Gleichheit  gelte,  ist  wegen  der  Ungleichheit  (3) 
notwendig,  daß  die  Gleichungen  bestehen: 

a«+3  = 0,  a„_|.t  = 0,  a„+5  = 0,  . . . 5) 

Ferner  folgt  aus  Ungleichung  (4): 


und  schließlich: 


\B„\  — B ^ I B„ ; Yi'-  «»+/.  I 


-ß|  ^ I Bn  ^1  — ^x  a„^x  1^  > 0. 


Hieraus  ist  unmittelbar  ersichtlich,  daß  der  Kettenbruch 
für  .9  1 konvergiert;  ist  aber  9=1,  so  kann  B nur  dann  ver- 

schwinden, wenn  die  Gleichungen  (5)  gelten  und  wenn  zugleich 

|ön+l  -|-  =1 


ist.  Es  müssen  also 
erfüllt  sein: 


, wenn  w>2  ist,  auch 

ü)  • • • ) •^11  0. 


die  Gleichungen 


284 


0.  Szäsz 


Für  n = \ hat  man  jetzt  offenbar: 


-Z>2  = 1 -j-  Og , — 1 -f-  <Z.,  -j-  ö, , i?,,  = \ 

= 


der  Kettenbruch  divergiert  also  nur  dann,  wenn  ^3 

reell  und  nicht  positiv  sind  und  02-1-03  = — 1 ist.  Und  zwar 
ist  der  Kettenbruch  für  aj(l-|- 031  = 0 wesentlich  divergent, 
sonst  außerwesentlich  divergent. 

Ebenso  hat  man  für  w > 2 : 


^^2  = 1,  . . .,  2^,1  1,  1 -j-  ön+l,  2)„^2  = 1 


+ «n+l  Öm+2,  Bn+v  = 2?„^2 


-42  = Oj,  ...,  .4n  = Oj,  = Oj  (1  -)-  Ön+O) 


1 ) • • ■ ) 


^»+2  = (1  + ön+1  “F  «>1+2))  A„^y  = Ä„^2 


der  Kettenbruch  divergiert  also  nur  dann,  wenn  On-f-i  und  o„-f.2 
reell  und  negativ  sind  und  o„-|-i  -)-  o„-f.2  — — 1 ist,  und  zwar 
ist  er  dann  wesentlich  divergent. 

Zusammenfassend  haben  wir  den  folgenden  Satz  abgeleitet: 

Satz  1.  Der  Kettenbruch  mit  beliebigen  Elementen 

konvergiert,  wenn  U*'  «v  < 1 ist;  nur  wenn  für 

. 1 Ji  2 

ein  n(M>l)  o„+i  und  o„^.2  reelle  nicht-positive  Zahlen 
sind  und  o„+i -f- orn+2  = — 1 ist,  während  alle  übrigen 
o,,  verschwinden,  wird  der  Kettenbruch  wesentlich 
divergent,  bzw.  im  Falle  « = 1,  Oj  (1 -j- O3)  0 außer- 

wesentlich divergent. 


Speziell  für  Kettenbrüche  mit  lauter  reellen  nicht-positiven 
Elementen  läßt  sich  der  Satz  noch  etwas  erweitern. 

Sei  also: 


= — r,.,  r,.  >0  (»'  = 2.  3,  . . .) ; 


00 


sei  ferner  r,.  ^1  (r  ^ 2)  und  ij-’  r,.  konvergent. 


Uber  eine  besondere  Klasse  unendlicher  Kettenbrüche  etc.  285 


Ich  setze  zur  Abkürzung: 

O 

= = yr2=l  — n,,  jr,  = (1  — (1  — r^) . . . (1  — r„), 

lim  71,.  = 71 ; 


~ ^'21  ®2  ~ ^'2  + limo^  = o; 

1 >'  = 00 

sei  ö < 1,  offenbar  ist  ö.,-i<öy<l. 

Nun  beweise  ich  die  Ungleichungen: 


1 — öy_i  <C  £y  <C  71,,  j 

\ 

dieselben  sind  offenbar  »für  v = 2 
daß  sie  für  v y.  — 1 , y(y'>  S) 
zeige,  daß  sie  dann  auch  für  v = 
aus  der  Rekursionsformel: 


(r  = 2,  3,  ...);  (G) 

, 3 gültig.  Ich  nehme  an, 
bereits  bewiesen  sind,  und 
■ y l gelten.  In  der  Tat, 


Bx-^i  B,,  > >^-b:  B^ — 1 

folgt  zunächst  die  Ungleichung: 

5.+1  < B,,, 

ferner  nach  Voraussetzung: 

O 

Bx-\-\  ^ By_  (1  > «d-l)  ^ ^y.  (1  1 

und  schließlich : 

By-[.]  >1  — 0;,_i  — 7r„_,  = 1 — o.y\ 

somit  sind  die  Ungleichungen  (6)  allgemein  gültig.  Hieraus 
\ — 0^B<71, 

ist  also  o < 1,  so  konvergiert  der  Kettenbruch. 

Sei  0 = 1,  dann  betrachte  ich  zwei  Fälle  gesondert: 

1.  Es  gibt  unter  den  (v  > 2)  wenigstens  eines  mit  dem 
Werte  1;  sei  nun  n der  kleinste  Index,  für  den  >*„  = 1 ist. 
Für  n = 2 hat  man: 


rg  = 1,  ö,  = O2  = I ; 


Sitzungsb.  d.  m.ith.-pliys.  Kl.  Jahrg.  1915. 


19 


286 


0.  Sziisz 


hieraus  folgt:  r3  = 0;  jetzt  ist:  = = i),  . . daher 

divergiert  der  Kettenbruch. 

Für  w > 3 hat  man  : 

n 

T 1,  Ofi  ^/. — 1 — ■ ‘ * • 0\ 

1 

daher  ist  (wegen  ^ 7t)) : 

n 

o > r;.+i  71).  = .T„_1  + r„_i  rr„_2  + • • • + /'j  .Tj  (7) 

1 

und  Gleichheit  gilt  dann  und  nur  dann,  wenn  die  Gleichungen 
bestehen : 

r;.+i 71).  = r;.+, (a  = 1,  2,  . . n).  (8) 

Für  / = 1 ist  diese  Gleichung  eine  Identität;  für  ).  = 2, 
. . n ist  für  das  Bestehen  der  Gleichung  (8)  notwendig  und 
hinreichend,  dalä  mindestens  eine  der  beiden  Zahlen:  >v., 
verschwindet.  Daher  kann  Gleichung  (8)  durch  die  folgende 
ersetzt  werden: 

r;.ri+i  = 0 (A  = 2,  . . .,  n).  (9) 

Jetzt  beweise  ich  noch  die  Identität: 

V — I 

7iy-\-'^>r).j^i7i).  = 7iy-\-ry7iy-i-\ [- »‘g .T , = D,,  = 1 (>’^2);  (10) 

1 

bezeichnet  man  nämlich  diese  Summe  vorübergehend  mit  Dy, 
so  ist  offenbar 

Dy  (1  l,)7ly.-\  -j-  Ty7ly  — \ "f"  ' ' ‘ “j”  ^2^1  Dy—}, 

und  da  D^=l  ist,  so  gilt  Gleichung  (10)  allgemein. 

Somit  lautet  Ungleichung  (7): 

ö > 1, 

und  Gleichheit  gilt  hier  allemal  dann,  wenn  die  Bedingung  (9) 
erfüllt  ist;  insbesondere  muß  — da  r„  = 1 ist  — r„_,  = 0 
und  r„_|.i  = 0 sein. 

Jetzt  ist: 

Bn-\  = B„-2,  B„  = 0,  J?, 1-1-1  = 0 

also  divergiert  der  Kettenbruch. 


über  eine  besondere  Klasse  unendlicher  Kettenbrüclie  etc.  287 


2.  Sei  durchwegs  r,,  <1  {v  ^ 2),  dann  ist  sicherlich : 

71,.  >0,  7l'>  0. 

Ist  nun  B = tz,  so  konvergiert  der  Kettenbruch. 

Sei  B <,7i\  dann  gibt  es  ein  kleinstes  da  B^  = 

derart,  daß  (vgl.  üngl.  (6)): 

B„  < jr„  für  r = x + 1,  -f  2,  . . . (11) 

und 

By.  = Tl.y  (12) 

ist.  Nun  folgt  aus  Gl.  (2),  wenn  man  darin  v = x 1 setzt: 

QO 

1 

daher  ist  (vgl.  üngl.  6): 

00 

B^\  — Oy  — rx+]  Jix-i  = 1 — ö, 

K+l 

und  mit  Anwendung  der  Ungleichung  (11)  und  Gleichung  (12) 
folgt,  daß  hier  das  Gleichheitszeichen  dann  und  nur  dann 
gilt,  wenn : 

By^l  =1  Oy  und  Ty  = 0 fÜl'  I'  = Pi  ^ 3,  Pi  + 4,  ... 

ist.  Damit  nun  By^.i  = 1 — Oy  sei,  muß  auch  By=l  — Oy^i 
sein  (vgl.  S.  285),  und  die  Hinzuziehung  der  Gleichung  (12) 
liefert  die  Bedingung: 

Oy—l  Tly  = \. 

Nun  ist,  mit  Beachtung  der  Ungleichung  pt,,  _i  > 

Oy 1 I 7ly  /*2  71q  “U  * • • I y JCy^2  ^ K ^ 

“h  ' * * “T  1 “h 

also  mit  Rücksicht  auf  (10): 

Oy-i  -j-  ^ 1 1 

und  Gleichheit  gilt  hier  dann  und  nur  dann,  wenn  Pi  = 2 oder 

^'2^3  = 0,  . . . , ry_,  fy  = 0 (pi  > 3)  (13) 

ist  (vgl.  die  Formeln  (7)  — (9)).  Unter  diesen  Bedingungen 
ist  offenbar  auch 

ap._i  -|-  pr^  = 1 für  /I  = 2,  . , Pi, 

19* 


288  0.  Szäsz,  Über  eine  besondere  Klasse  unendl.  Kettenbrüche  etc. 


da  jetzt  keine  neuen  Bedingungen  zu  den  Gleichungen  (13) 
hinzutreten  müssen.  Und  nun  ist  tatsächlich : 

1^2  1 ■ Uj  ^2  > ^ ^2  ^3  ’ ■ • ■ 

1 — 2 '^y.^y. — 2 1 — I ^y.^ 

By.-\-\  = 1 (Jy.—l  '>'y.+\  ^x-1  =1  . 

Für  y.  —2  fällt  Bedingung  (13)  fort. 

Damit  nun  B — 0 sei,  muß  nach  dem  vorhergehenden 

1 Oy.  r.yJ^i  71«  = 0 

sein.  Dies  heißt  aber: 


^y.  — I ^x-j-2  ^y  ü 

oder,  nach  Division  mit  7r«_i  (es  ist  7r«_i>0): 

1 ^y.  '^‘y.Jfl  Tyfy^i  = 0. 

Diese  Resultate  fasse  ich  in  folgenden  Satz  zusammen: 
Satz  2.  Der  Kettenbruch  mit  reellen  nicht-posi- 


tiven Elementen 
vergiert,  und 


■r,. 


1 


konvergiert,  wenn  S’' tV  kon- 


-j-  ^3  -h  iJ;.  rx+i  (1  — r^)  (1  — >-3) ...  (1  — r>.-i)  < 1, 


^ r,.  <1  (r  > 2) 

ist;  nur  in  den  folgenden  drei  Fällen: 


(14) 


1-  ^2=1)  ^3  = 0 

2.  = 0 für  z = 2,  . . . , n,  r„  = 1 (w  > 3) 

3.  r;._irx  = 0 für  z = 3,  . . n;  rx  = 0 für  + 3, 1 

fn  + ^'n+l  + ^n+2  >'n  ^'n+2  =1  ) 

divergiert  der  Kettenbruch. 

Für  n — 2 fällt  im  Falle  3)  die  Bedingung  r;._i  rx  = 0 fort. 

Da  tta-i  ^ 1 — (A  > 3)  ist,  so  ist  offenbar  üngl.  (14) 

sicher  erfüllt,  wenn 

^2  + ^'3  -f  (1  — ^2)  < 1’  »V  < 1 (J'  > 2)  ist. 


289 


Anwendung  des  Prinzips  der  gekoppelten 
Schwingungen  auf  einige  physiologische  Probleme. 

Von  Otto  Frank. 

Vorgetragen  am  5.  Juni  und  3.  Juli  1915. 

Seit  einer  Reihe  von  Jahren  bin  ich  mit  der  Feststellung 
der  Leistungen  der  Registrierapparate  beschäftigt,  die  zu  phy- 
siologischen Zwecken  gebraucht  werden.  Es  läßt  sich  der 
Nachweis  erbringen,  daß  die  wesentlichen  Eigenschaften  der 
Registrierinstrumente  die  Empfindlichkeit  des  Instrumentes,  die 
Schwingungszahl  und  Dämpfung  des  bewegten  Systems  sind. 
Meine  Untersuchungen  habe  ich  mit  der  Theorie  der  Mano- 
meter begonnen.  Die  Leistungen  des  einfachsten  Manometers, 
das  aus  einer  mit  Flüssigkeit  gefüllten  Röhre  besteht,  deren 
eines  Ende  mit  dem  Teil  des  Kreislaufssystems  in  Verbindung 
steht,  an  dem  der  Druck  bestimmt  werden  soll,  während  das 
andere  Ende  durch  eine  elastische  , massenlose“  Membran  oder 
Platte  verschlossen  ist,  habe  ich  hinreichend  exakt  darstellen 
können.  Ich  habe  jedoch  auch  verwickeltere  Systeme  mit 
Methoden  zu  behandeln  versucht,  von  denen  ich  ohne  wei- 
teres gesehen  und  erklärt  habe,  daß  sie  nicht  als  streng 
gelten  können.  Dazu  gehören  Systeme  wie  das  Hebelmano- 
meter, bei  dem  ein  nicht  mehr  als  massenlos  zu  behandelnder 
Hebel  auf  die  Membran  aufgesetzt  ist,  ferner  Systeme,  bei 
denen  Luftsäulen  wesentliche  Bestandteile  sind  oder  solche,  bei 
denen  die  Massen  der  Membran  und  Platten  nicht  mehr  zu 
vernachlässigen  sind.  Die  Vereinfachungen,  die  ich  zur  Be- 
handlung vorgenommen  habe,  waren  wohl  sämtlich  so  getroffen, 
daß  die  wesentlichen  Eigenschaften  der  Systeme  nicht  berührt 


290 


0.  Frank 


wurden.  Aber  ich  hatte  immer  den  Wunsch  nach  einer  stren- 
geren und  weniger  gekünstelten  Behandlung.  Dabei  hatte  ich 
den  Eindruck,  daß  das  Prinzip  der  gekoppelten  Schwin- 
gungen, das  für  gewisse  elektrische  Erscheinungen  mit  so 
großem  Vorteil  angewandt  wird,  auch  bei  den  erwähnten 
mechanischen  Systemen  die  Lösung  der  Aufgaben  ermöglichen 
könnte.  Dieser  Meinung  habe  ich  vor  längerer  Zeit  brieflich 
Ausdruck  verliehen.  Vor  zwei  Jahren  konnte  ich  eine  Differen- 
tialgleichung zur  Behandlung  der  gekoppelten  Schwingungen 
mechanischer  Systeme  aufstellen.  Erst  nachträglich  habe  ich 
gesehen,  daß  die  gekoppelten  mechanischen  Systeme  schon 
eine  eingehende  Behandlung  erfahren  haben.  Ich  habe  solche 
Probleme  in  der  „Technischen  Mechanik“  von  A.  Föppl  auf- 
gefunden, auch  A.  Sommerfeld  hat  ein  reizvolles  -derartiges 
Problem  behandelt.^)  M.  Wien  hat  in  eingehender  Weise  die 
gekoppelten  Schwingungen  analysiert.®)  Einen  außerordent- 
lichen Nutzen  gewährte  mir  das  Studium  von  Rayleighs  „Theory 
of  Sound.“  Es  gelingt  an  der  Hand  der  Theorie  dieser  Be- 
wegungsformen eine  überraschend  große  Reihe  von  Problemen, 
die  für  die  Physiologie  oder  physiologische  Technik  von  Be- 
deutung sind,  entweder  vollständig  oder  doch  hinreichend  ge- 
nau lösen.  Die  Systeme  besitzen  dabei  eine  beschränkte  An- 
zahl von  Freiheitsgraden  oder  auch  unendlich  viele  Freiheits- 
grade, von  denen  aber  fast  durchweg  nur  einige  wenige  be- 
rücksichtigt zu  werden  brauchen.  In  vielen  Fällen  genügt  die 
Berechnung  der  Grundschwingung  des  Systems,  wie  ich  schon 
bei  meinen  früheren  Untersuchungen  erkannt  habe.  Ihre  Er- 
mittelung ist  aber  nur  auf  der  Basis  der  allgemeinen  Theorie 
sicher  durchzuführen. 

1.  Das  Hebel membran-Manometer.  Es  läßt  sich 
als  ein  System  von  2 Freiheitsgraden  auffassen  ebenso  wie  das 
unter  Ni'.  2 behandelte  Federmanometer.  Ich  gebe  zunächst 
die  allgemeinen  Gleichungen  eines  derartigen  Systems. 


Festschrift  A.  Wüllner,  Teubner  1905,  S.  162. 
“)  Wiedemanns  Ann.,  Bd.  61,  S.  151. 


Anwendung  des  Prinzips  der  gekoppelten  Schwingungen  etc.  291 


Die  Bewegungsgleichungen  lauten:^) 
tn^x  -f-  Ax  -\-  Cy  = 0 
m.^y  + By  + Cx  = 0. 


Für  die  Schwingungszahl  n (in  2 .t  Sekunden,  in  der  Enc. 
d.  math.  Wiss.  durchgehends  als  „Frequenz“  bezeichnet),  er- 
gibt sich; 


^ \m.B  A ±. 
2m^m^  * 


2) 


K (»ij B -f-  »»2  Ay  — 4 Wj m^AB{\  — C^fAB)}. 


(J2 

Den  Ausdruck  bezeichne  ich  als  Koppelungsfaktor  K.^) 

Er  ist  eine  reine  Zahl,  immer  positiv  und  in  den  wirklichen 
Fällen  niemals  größer  als  1.  Zur  Umwandlung  des  obigen 
Ausdruckes  führe  ich  die  Schwingungszahlen  der  einzelnen  Teile 
des  Systems  ein,  die  sich  ergeben,  wenn  jeweilig  die  Massen  m.2 
und  Wj  Null  werden.  Es  ergibt  sich: 


n 


B 


A 

OTj 

B 

«»2 


(l-JT) 


il-K). 


3) 


Die  Schwingungszahlen  des  gekoppelten  Systems  werden 
dann  zu: 


Ist  K klein  bzw.  die  Koppelung  lose,  dann  erhält  man: 

= Wj  bzw.  = w|.  5) 

9 In  diesen  Gleichungen  tritt  bei  „Beschleunigungs-Koppelung“  an 
Stelle  von  Cy  und  Cx  oder  neben  diesen  je  ein  Glied  m^y  bzw.  auf. 
Vgl.  Rayleigh,  S.  160. 

2)  Von  M.  Wien  sind  andere  Größen  als  Koppelungskoeffizienten 
bezeichnet  worden.  Fär  die  von  mir  hier  diskutierten  Probleme  eignet 
sich  die  Größe  K sehr  gut,  um  die  dynamische  Verbindung  der  beiden 
Massen  zu  charakterisieren. 


292 


0.  Frank 


Ist  K nahe  1,  d.  h.  die  Koppelung  enge,  so  erhält  inan 
unter  den  entsprechenden  Vernachlässigungen: 

9 O 

n\ng 

für  die  langsamere  Schwingung  n\  = ^ 

A ^ B j.. 

+ n| 

, , raschere  , nl  = — ^ 


Wird  noch  wa  = w/?,  wie  dies  bei  dem  rationell  gebauten 
Hebel-  oder  Federmanorneter  der  Fall  ist,  so  ergibt  sich: 


oder 

V\  — K ' 

Das  für  die  Untersuchung  des  Kreislaufes  gebrauchte  Hebel- 
manometer besteht  aus  einer  mit  Flüssigkeit  gefüllten  Röhre, 
deren  eines  Ende  mit  dem  Kreislaufsystem  in  offener  Verbin- 
dung steht,  während  das  andere  durch  eine  Membran  (gewöhn- 
lich aus  Gummi)  abgeschlossen  ist.  Auf  der  Membran  ist  eine 
starre  Platte  zentrisch  befestigt.  Die  Exkursion  der  Platte 
wird  durch  einen  materiellen  Schreibhebel  vergröbert  aufge- 
schrieben. Die  Massen,  die  hier  in  Betracht  kommen,  sind 
erstens  die  auf  den  Verbindungspunkt  des  Hebels  mit  der 
Platte  „reduzierte“  Masse  des  Hebels.^)  Ferner  die  „wirksame“ 
Masse  M'  der  Flüssigkeit.  Zur  Berechnung  der  Trägheitskräfte 

der  Flüssigkeit  habe  ich  den  Ausdruck  J/'  = Q ^ eingeführt. 

Er  hat  .sich  vollkommen  bewährt.  Ich  komme  auf  seine  Be- 
deutung unten  zurück.  Die  Verrückungen  des  Systems  be- 
stehen in  der  linearen  Verrückung  / der  Platte,  mit  welcher  der 
Hebel  gelenkig  verbunden  ist  bzw.  des  Verbindungspunktes  von 


9 Der  Begriff  der  reduzierten  Masse  wurde  von  mir  in  meiner 
ersten  Abhandlung  über  die  Theorie  der  Registrierinstrumente  eingeführt. 
Ihre  Einführung  wurde  bemängelt;  sie  ist  aber  in  der  technischen  Mechanik 
z.  B.  bei  der  einfachen  Kreisbewegung  einer  Scheibe  und  in  der  allge- 
meinen Mechanik  bei  Gelenksystemen  durchaus  bewährt. 


Anwendung»'  des  Prinzips  der  gekoppelten  Schwingungen  etc.  293 


Membran  und  Hebel  (s.  oben).  Ferner  in  der  Verrückung 
der  Flüssigkeit.  Ich  bestimme  sie  nach  dem  Durchgang  des 
Volumens  V durch  den  Querschnitt  der  Röhre.  (Fluß  oder 
Strom.)  Die  Elastizitätskoeffizienten  des  Systems  bestehen  ein- 
mal in  der  durch  die  Einheit  der  Verrückung  f geweckten 
elastischen  Kraft  rj.  Weiter  in  der  durch  die  Einheit  der 
Volumverrückung  erzeugten  elastischen  Kraft  E‘.  Auf  diesen 
Grundzügen  läßt  sich  zunächst  die  Statik  des  Systems  aufbauen. 
E'  ist  bei  einer  gleichmäßig  mit  der  Spannung  S gespannten 
Membran  von  dem  Radius  r und  dem  Verhältnis  d des  Platten- 

8 S 

radius  zum  Radius  der  Membran  = —r— — . v bemißt 

r*(l  — 0^)71 

271 S 


sich  zu 


(3' 


Außerdem  kommt  für 


die  Gleichgewichts- 


verhältnisse noch  die  Empfindlichkeit,  d.  h.  die  Verrückung  f 


für  die  Druckeinheit  in  Betracht.  Sie  ist  = y = 


r^(l-d^) 
4/S' 

(vgl.  Physiologische  Methodik,  herausgegeben  von  Tigerstedt, 
Abschnitt  Haemodynamik,  S.  14 — 16). 

Läßt  man  die  Kraft  P und  den  Druck  p auf  das  System 
einwirken,  so  ergeben  sich  folgende  Verrückungen: 

V = P y p\E‘ 

P 

n 


f=  -\-pr- 


Daraus  berechnen  sich  umgekehrt  für  die  Verrückungen  V 
und  f der  entwickelte  Druck  p bzw.  die  Kraft  P 


P = 


VE'  — fi]yE‘ 
1 — rjy^E' 
frj  — VrjyE' 
1 — rjy'^E' 


(Masse  w,  = JP) 
(Masse  = m) 


E' 

-Yjy 


2^,  entspricht  also  dem  Koeffizienten  A der  obigen 

^ dem  Koeffizienten  B und  dem 

i]y^E  1 — yjy^E 


Gleichung, 


294 


O.  Frank 


Koeffizienten  C.  Der  Koppelungsfaktor  K ist  also  = 

Bei  meinen  früheren  angenäherten  Berechnungen  der  Schwin- 
gungszahlen des  Hebelmanometers  habe  ich  schon  die  Bedeu- 
tung dieser  Größe  erkannt,  ich  hatte  sie  mit  ^ bezeichnet 

<P 

(vgl.  Tab.  der  „Hämodynamik“,  S.  18).  Die  2 Schwingungs- 
zahlen des  Systems  berechnen  sich  nach  den  obigen  Formeln  2 
und  4.  Wenn  die  Platte  groß  wird,  dann  ist  K groß  und  die 
Koppelung  enge.  Ich  habe  früher  darauf  hingewiesen,  daß 
es  wünschenswert  ist,  die  Platte  möglichst  groß  zu  wählen 
bzw.  das  Membranmanometer  einem  Kolbenmanometer  mög- 
lichst ähnlich  zu  gestalten.  Dann  liegt  der  Fall,  der  in  den 
obigen  Gleichungen  6 beschrieben  ist,  vor.  Und  die  lang- 
samste Schwingung  kann  nach  der  Formel  T — V TJ 

berechnet  werden.  Nach  dieser  Formel  habe  ich  früher  das 
Hebelmanometer  in  Anlehnung  an  die  Verhältnisse  des  Kolben- 
manometers berechnet.  Die  Differenz  gegenüber  der  Formel  2 
und  4 ist  geringfügig  bei  den  in  der  Physiologie  gebrauchten, 
rationell  gebauten  Manometern.  Da  für  diese,  wie  ich  nach- 
gewiesen habe,  die  beiden  Schwingungszahlen  der  Einzel- 
systeme Ä und  B gleich  gemacht  werden  müssen,  so  kann 
man  den  äußersten  Fehler,  der  überhaupt  bei  der  Anwendung 
meiner  früheren  Formel  begangen  wird,  berechnen,  wenn  d 
bzw.  Al  = 0 ist.  Er  beträgt  dann  40®/o. 

2.  Das  Federraanometer.  Bei  dem  von  Fick  vorge- 
schlagenen Federmanometer  drückt  gegen  die  Platte  eine  Feder. 
Die  elastische  Kraft  der  Feder  kann  durch  Torsion  oder  durch 
Biegung  erzeugt  sein.  Bei  der  Konstruktion  dieses  wichtigen 
Instrumentes  verfolgt  man,  wie  ich  früher  auseinandergesetzt 
habe,  die  Absicht,  die  wechselnde  und  unvollkommene  Ela- 
stizität des  Kautschuks  der  Membranmanometer  durch  die  Ela- 
stizität von  Metallen  zu  ersetzen.  Die  Membran  soll  eigent- 
lich nur  zur  Abdichtung  dienen.  In  der  Grenze  wird  dann 
das  Federmanometer  mit  dem  aus  technischen  Gründen  unver- 
wendbaren Kolbenmanometer  identisch.  Um  ziflfermäßig  den 


Anwendung  des  Prinzips  der  gekoppelten  Schwingungen  etc.  295 


Anteil  der  Grummielastizität  an  den  Leistungen  des  Federmano- 
meters festzustellen,  habe  ich  das  Verhältnis  eingeführt, 
das  sich  aus  folgender  Gleichung  ergibt: 

■)]  = n-  E, 


wobei  E der  Elastizitätskoeffizient  der  Feder  ist.  Die  mit 
7,  E\  (p  bezeichneten  Größen  sind  die  gleichen  Funktionen  der 
Spannung  und  der  Radien  wie  bei  dem  Membranmanometer. 
Die  den  obigen  Gleichungen  analogen  lauten  hier; 


V={P-Ef)y  + plE‘ 

r P-Ef  , 

/= Vp-y. 


Daraus  ergibt  sich  weiter: 

VE'  — friyE' 

l-,y^E‘ 

^ f\t]  -F  E—rjy^E‘E)—  VtyyE' 

1 — rjy^E' 


Der  Koeffizient  A ist  also  = 


E‘  cp 


E{ncp  -f-  — 1) 

cp  — l 


cp 


1 


Der  Koeffizient  B 


und  C = 


1 


y {cp  — 1) 


. Der  Koppelungsfaktor 


wird  zu  ; -.  In  meinen  früheren  Abhandlungen  habe 

np  p — 1 

ich  ihn  mit  1/^  bezeichnet.  Bei  dem  von  Fetter  und  mir 
nach  den  Ergebnissen  der  Theorie  konstruierten  Manometer 
betragen  die  Konstanten: 

n = 0.1,  d = 0.8,  also  - = 0.9835,  ^ = 0.8424, 

Cp  ^ 

2r  = 0.89,  m = SQ.7,  il/'=100. 

i;=  5.7x10®,  = 0.57x10®. 


Der  Koppelungsfaktor  beläuft  sich  auf  0.8424.  Die  kürzere 
Schwingung  ist  bei  der  Russschreibung,  für  die  das  Instrument 


0 Selbstverständlich  nicht  mit  der  Schwingungszahl  zu  verwechseln. 


0.  Frank 


29() 

selbstverständlich  bestimmt  ist,  nicht  zu  ermitteln.  Sie  wurde 
in  einem  besonderen  Versuch,  bei  dem  ein  Gewicht  statt  der 
reduzierten  Masse  des  Hebels  mit  der  Platte  verbunden  wurde, 
durch  optische  Registrierung  festgestellt.  Es  sind  Schwin- 
gungen, die  auf  die  Hauptschwingung  aufgesetzt  erscheinen. 
Die  aus  den  obigen  Daten  nach  der  Formel  7 berechnete 
Schwingungszahl,  wonach  sie  5.04  fachgröher  als  diejenige 
der  Hauptschwingung  sein  sollte,  stimmt  sehr  gut  mit  der 
beobachteten  überein.  Es  ist  also  nicht  mehr  der  geringste 
Zweifel,  dah  sowohl  das  Hebelmanometer  als  das  Federmano- 
meter in  der  angegebenen  Weise  als  System  von  2 Freibeits- 
graden  endgültig  beschrieben  ist.  Der  Fehler,  den  ich  nach 
meiner  früheren  Formel,  vgl.  S.  294,  für  die  Berechnung  der 
Hauptschwißgung  begangen  habe,  beträgt  nur  2°lo. 

3.  Luftsäule  in  einer  zylindrischen  Röhre,  die  an 
beiden  Seiten  mit  einer  Membran  verschlossen  ist. 
Die  Membran  wird  zunächst  als  masselos  behandelt.  Die  Lösung 
dieses  Problems  ist  wertvoll  für  die  Behandlung  der  unter  den 
nächsten  Nummern  angeführten  Aufgaben.  Vor  allem  für  die 
Theorie  der  Lufttransmission.  Bei  der  Analyse  dieser  und  ähn- 
licher Probleme  habe  ich  mich  mit  großem  Vorteil  einer  Be- 
ziehung bedient,  die  ich  in  der  folgenden  Formel  kurz  ausdrücke: 
»Ir  = Elastische  Kraft,  m,  ist  die  Masse  eines  Teils  oder 
Elementes  des  Systems,  ir  seine  maximale  Verrückung  und  die 
elastische  Kraft  ist  die  an  dem  Systemteil  wirkende,  sinn- 
gemäß gebildete  Komponente  der  elastischen  Kraft.  Sie  muß 
umgekehrte  Richtung  wie  die  Verrückung  haben.  Es  ist  eine 
Gleichung,  die  sich  auf  Grund  des  d’ Alembertschen  Prinzips 
ergibt  für  solche  Bewegungen  des  Systems,  bei  denen  vermöge 
der  Anfangsbedingungen  die  sämtlichen  Teile  des  Systems  in 
der  gleichen  Periode  n schwingen  (vgl.  Rayleigh  I,  S.  107). 
Sie  ist  vollständig  analog  der  für  die  Behandlung  von  Luft- 
wellen allgemein  benutzten  Gleichung.  Sind  die  einzelnen  Teile 
des  Systems  diskrete  Massen,  so  resultiert  für  n eine  algebrasche 
Gleichung  von  dem  Grad,  der  durch  die  Anzahl  der  Massen 
bzw.  der  Freiheitsgrade  bestimmt  wird.  Besteht  das  ganze 


Anwendung  des  Prinzips  der  gekoppelten  Schwingungen  etc.  29  ( 


System  oder  ein  Teil  desselben  aus  einem  kontinuierlichen 
Medium,  dann  werden  die  Massen  zu  den  Massenelementen 
und  die  elastische  Kraft  für  das  Massenelement  ergibt  sich 
aus  einer  Differentialbeziehung.  Das  allgemeine  Integral  der 
Differentialgleichung  führt  zu  unendlich  vielen  Lösungen  für  n, 
d.  h.  zu  unendlich  vielen  Freiheitsgraden.  (Unsere  Formel 
konnte  selbstverständlich  auch  für  die  Lösung  der  Probleme  1 
und  2 verwendet  werden.)  Wendet  man  das  Prinzip  auf  die 
zylindrische  Luftsäule  von  der  Länge  L und  dem  Querschnitt  Q 
an,  so  erhält  man  folgende  Differentialgleichung: 

^ 

dx^  K 

ln  ihr  ist  x der  Volumelastizitätskoeffizient  der  Luft,  der 
je  nach  dem  es  sich  um  isotherme  oder  adiabatische  Zustands- 
änderung handelt,  verschieden  ist.  o ist  die  Dichte  der  Luft. 
Die  Lösung  der  Gleichung  ist: 

^ = yd  sin  (/c  a:  -p  e) , h = w|/^— 

271 

worin  k die  Größe  (, Wellenzahl“)  bedeutet,  wie  sie  in 

A 

vielen  Formeln  der  Luftschwingungen  und  Wellen  vorkommt. 
Die  Elastizität  der  Membranen  drücke  ich  wieder  durch  die- 
selben Koeffizienten  {E“)  aus,  wie  sie  in  den  vorhergehenden 
Problemen  benutzt  worden  sind.  Ich  bezeichne  sie  mit  e,  und  e.^. 
Darnach  lauten  die  Grenzbedingungen : 

oder: 


e,  Qsin  e = ;<  cos£  und  ^ sin (A'Z/ -p  e)  = — cos (/c L -p  e) 

bzw.  tan  e = und  tan  (kL  -p  e)  = — -. 

Qe^  Qe^ 


Mit  diesen  zwei  Gleichungen  zur  Bestimmung  von  k und  e 
ist  die  Lösung  des  Problems  gegeben.  Interessant  ist  die  Be- 
handlung der  Grenzfälle. 


298 


0.  Frank 


a)  Wenn  die  eine  Membran  durch  eine  starre  Wand  er- 
setzt wird,  d.  h.  e^=  co  wird,  erhalten  wir; 

tane  = und  liL  e = n bzw.  jhtt. 

b)  Wenn  noch  unendlich  wird,  resultiert 

e = 0 und  TcL  = m 71  oder  / = 2 Ljm. 

Die  bekannte  Lösung  für  die  Schwingungen  einer  Luft- 
säule in  einer  an  beiden  Enden  geschlossenen  zylindrischen  Röhre. 

c)  Wenn  statt  dessen  = Null  wird,  d.  h.  die  Röhre  am 
Anfang  offen  ist,  ergibt  sich: 

£=^  und  kL  = 7i(2m  — l)/2  oder  P.  — 4: Lj (2m  — 1). 

Die  Lösung  für  eine  gedeckte  Pfeife. 

d)  Wenn  Null  ist  und  am  anderen  Ende  die  Röhre 
durch  eine  Membran  verschlossen  ist,  ergibt  sich: 

£=|  und  tm(kL+  2)  = ^ 
oder  nach  einigen  Umformungen: 

tan  TcL  = . 

kx 

Wird  auch  diese  Membran  durch  eine  starre  Platte  ersetzt, 
so  resultiert  wieder  die  Gleichung 

kL  — 7i(2m  — l)/2  (vgl.  c) 

e)  Wird  e,  und  Cg  = Null,  d.  h.  die  Röhre  an  beiden  Seiten 
offen,  so  wird  kL  = (m  — l)7i  und  für  den  Grundton  ä:  = 0, 
n = 0 und  / = 00  . Dies  Resultat  widerspricht  scheinbar  der 
üblichen  Behauptung,  daß  die  Wellenlänge  des  tiefsten  Tones 
für  eine  an  beiden  Seiten  offenen  Pfeife  = 2 L ist.  Aber  dieser 
Ton  ist  zweifellos  der  erste  Oberton  des  Systems.  Der  Grund- 
ton muß  tiefer  sein  als  der  Ton,  den  eine  an  beiden  Seiten 
geschlossene  Röhre  gibt.  Denn  bei  dem  letzteren  Fall  steht 
das  System  unter  einem  Zwang  und  seine  Schwingungen  müssen 


Anwendung  des  Prinzips  der  gekoppelten  Schwingungen  etc.  299 


nach  Rayleigh  zwischen  den  Schwingungen  der  an  beiden  Seiten 
offenen  Röhre  liegen.  Der  ideale  Grenzfall  bietet  ein  gewisses 
systematisches  Interesse.  Es  erscheint  aber  auch  nicht  ausge- 
schlossen, den  beliebig  tiefen  Grundton  experimentell  darzustellen. 

Sehr  bemerkenswerte  Resultate  ergeben  sich,  wenn  die  Flüs- 
sigkeit inkompressibel  oder  schwach  kompressibel  gemacht  wird, 
f)  Es  resultiert  dann,  wenn  x = oo  ist : 
lim  tane  = oo  und  lim  tan  {kL  -j-  f)  = — ; £ und  JcL  s 


werden  nahezu 


+ 


71 

2 ■ 


71 

Setzt  man  e = ■ 


7 und  kL  -j-  ^ + d,  worin  7 

U 


und  d unendlich  kleine  Winkel  sind,  so  erhält  man  schließlich: 


kL  = y d = (e,  bzw. 


n"  = 


(g;  -j-  e,)  Q 

L-o 


d.  h.  die  Formel  für  die  Schwingung  einer  Flüssigkeitssäule, 
die  von  den  Membranen  mit  den  Koeffizienten  g,  und  gg  be- 
grenzt ist.  Es  ist  der  Ausdruck  für  die  Schwingungszahl  des 
von  mir  als  optisches  Manometer  bezeichneten  Systems,  vgl. 

Ap 


S.  289.  In  ihm  ist  die  wirksame  Masse  M'  = 


enthalten. 


g)  Kann  die  Flüssigkeit  nicht  mehr  als  absolut  inkom- 
pressibel betrachtet  werden,  so  muß  von  der  Reihenentwick- 

lung  für  arc  tang  auch  das  zweite  Glied  — berücksichtigt 

o 

werden.  Es  ergibt  sich  dann 


Berücksichtigt  man,  daß  k’^  annähernd  = 


' ¥ 

Lk 


(g,  -f  gg)  ist 


(vgl.  oben  unter  f und  S.  297),  so  erhält  man 

^2  _ 0^1  + 1 1 _ LQ{e\-\-  62)  I 

Lq  ( S H (e^ -\- e^y  \ 


800 


0.  Frank 


Ich  habe  früher  gezeigt,  dah  bei  den  leistungsfähigsten 
Manometern  die  Kompressibilität  der  Flüssigkeit  nicht  mehr 
vernachlässigt  werden  kann.  Wir  erhalten  in  dem  Summanden 
in  der  Klammer  einen  Korrekturfaktor  für  die  Berechnung  der 

O 

Schwingungszahl  bei  solchen  Systemen. 

Instruktiv  werden  diese  analytischen  Beziehungen,  wenn 
man  sie  graphisch  darstellt.  Die  Länge  der  Luft  bzw.  Flüssig- 
keitssäule stellen  dann  verschieden  lange  Teile  einer  Sinus- 
kurve dar.  In  dem  Fall  3 b reicht  die  Länge  von  0 bis  ti,  in 

■Jl 

dem  Fall  3 c von  0 bis  . Am  interessantesten  erweisen  sich 

(Li 

die  Fälle  3e,  f,  g.  Bei  ihnen  umgreift  die  Länge  der  Säule 
nur  das  Maximum  der  Sinuskurve.  Dadurch  wird  es  erreicht, 
daß  die  Verrückungen  für  die  ganze  Länge  der  Flüssigkeits- 
säule bzw.  der  Luftsäule  gleich  groß  werden. 

Zu  genau  denselben  Ergebnissen  führt  die  Analyse  der 
Schwingungen  einer  schweren  Saite,  die  an  masselosen  Federn 
aufgehängt  ist. 

4.  Angenäherte  Berechnung  des  Problems  3.  Ehe 
ich  die  volle  Lösung  des  Problems  3 erreicht  hatte,  habe  ich 
eine  angenäherte  versucht.  Man  kann  aus  Rayleigh  Art.  89 
ersehen,  daß  angenäherte  Berechnungen,  wenn  sie  sinngemäß 
durchgeführt  werden,  überraschend  genau  ausfallen.  Sie  er- 
möglichen zunächst  nur  die  Berechnung  der  tiefsten  Schwin- 
gung des  Systems,  aber  auch  die  höheren  lassen  sich  durch 
besondere  Kunstgriffe  ermitteln.  Das  Prinzip  der  angenäherten 
Berechnung,  die  ich  im  folgenden  nur  ganz  kurz  angebe,  be- 
ruht darauf,  den  Teilen  des  Systems  eine  willkürlich  aber 
vernünftig  ausgewählte  Verrückung  zu  erteilen,  dann  die 
maximale  potentielle  Energie  und  die  maximale  kinetische 
Energie  der  Schwingung  zu  berechnen.  Ich  lasse  die  Ele- 
mentarscheiben der  Luftsäule  Verrückungen  durchmachen  in 
Form  einer  parabolischen  Funktion  der  Strecke  x.  Sie  resul- 
tiert bei  der  Saite,  wenn  sie  gleichmäßig  belastet  wird,  und 
bei  der  senkrecht  gestellten  Luftsäule,  wenn  sie  sich  unter 
ihrem  eigenen  Gewicht  verrückt.  Die  Rechnungen  sind  ein- 


Anwendung  des  Prinzips  der  gekoppelten  Schwingungen  etc.  301 


fach,  aber  ziemlich  langwierig  und  führen  für  die  maximale 
während  einer  Sch.vingung  entwickelte  potentielle  Energie  zu 
dem  Ausdruck 


e,e,L^(f  + {ie,y.  + ie,>c)L(^  12y.^ 

24  (e,  e^LQ  e^y.  -f- 


Für  die  maximale  kinetische  Energie  ergibt  sich : 


4-  7e,e2(e,  + e^)UQ^y.  + [16(e,  e^Y  -)-  lOe^e^] 

+ 80  (e,  + e,,)LQy.^  + 120x4}. 


Die  Schwingungszahl  ergibt  sich,  wenn  man  diese  beiden 
Energien  gleich  setzt.  Es  ist  bemerkenswert,  daß  für  die  Grenz- 
fälle Werte  resultieren,  die  den  nach  3 berechneten  außer- 
ordentlich nahe  kommen.  So  erhalten  wir  für  den  Fall  3 b 
statt  des  Wertes  2L:l.99L  und  bei  dem  Fall  3 c statt  4Z 
: 3.97  L.  Wenn  die  Flüssigkeit  inkompressibel  bzw.  schwach 
kompressibel  ist,  dann  erhält  man  dieselben  Beziehungen  wie 
bei  der  genauen  Formel.  Damit  ist  gezeigt,  daß  die  ange- 
näherte Berechnung  derartiger  Probleme  zu  außerordentlich 
genauen  Werten  führen  kann.  Sie  wird  in  vielen  Fällen,  wenn 
die  exakte  Berechnung  nicht  durchgeführt  werden  kann  oder 
zu  umständlich  ist,  zum  Ziel  führen. 

5.  Optisches  Manometer  (vgl.  S.  299)  mit  ange- 
schlossener Luftsäule.  Eine  interessante  Anwendung  der 
Lösung  des  Problems  3 oder  4 kann  auf  folgendes  System  ge- 
macht werden.  Es  besteht  aus  einer  Röhre  vom  Querschnitt  Q, 
in  der  sich  hinter  einer  Membran  zunächst  eine  Flüssigkeits- 
säule von  der  wirksamen  Masse  M‘  und  darauf  eine  Luftsäule 
von  der  Länge  L befindet.  Die  Membran  1 fehlt.  Damit  wird 

71 

f = — , vgl.  3c.  Der  Hauptansatz  lautet: 


Sitznngsb.  d.  matb.-phys.  Kl.  Jahrg.  1915. 


20 


302 


0.  Frank 


Hierin  ist  F die  Volumverrückung  der  Flüssigkeit.  Die 
weitere  Entwicklung  ist  folgende : 

Vn^ JT  = Fe  — Alex 

bzw.  Alex  sinÄF  = F(e  — n^M“)  = QAQ,o?,leL{e — 


Lösung : 

tan  leL  = 


Q{e  — Al') 


Q{e  — le^cUr) 
lex 


worin  c die  Schallgeschwindigkeit  (adiabatisch  oder  isotherm) 
ist.  Man  hat  das  Gefühl,  daß  dieses  System  sich  wie  ein 
System  von  2 Freiheitsgraden  verhalten  kann.  Ich  habe  auf 
Grund  dieser  Annahme  früher  eine  angenäherte  Berechnung 
durchgeführt,  die  ich  hier  nicht  aufnehme,  da  sie  keine  prin- 
zipielle Bedeutung  hat.  Es  hat  sich  gezeigt,  daß  sie  hin- 
reichend genau  ist.  Ich  habe  sie  nämlich  an  einem  Experiment 
erprobt,  das  die  Anregung  zu  diesen  Berechnungen  gegeben. 
Die  Richtigkeit  der  oben  angegebenen  Gleichung  (vgl.  3 f)  für 
die  Schwingung  einer  Flüssigkeitssäule  unter  der  Einwirkung 
einer  Membran  war  angezweifelt  worden.  Von  den  Kritikern 
ausgeführte  Versuche  sollten  dartun,  daß  ein  solches  System 
überhaupt  keiner  Regel  folgt  und  die  Schwingungen  ganz  un- 
regelmäßigen schwebungsartigen  Charakter  tragen.  Ich  hatte 
den  Verdacht,  daß  bei  diesen  Experimenten  Luftsäulen  ange- 
hängt waren,  und  habe  experimentell  gezeigt,  daß  dann  ähn- 
liche Schwingungen  auftreten , wie  sie  der  Flüssigkeitssäule 
allein  zugeschrieben  waren.  Läßt  man  die  Luftsäule  weg,  so 
resultieren  schwebungsfreie  Schwingungen  mit  bestimmtem  De- 
krement, deren  Zahl  bis  auf  1 — 2°/o  nach  der  obigen  Formel  (3f) 
zu  berechnen  ist.  Fügt  man  die  Luftsäule  an,  so  können 
Schwebungen  auftreten,  die  sich  nach  der  an  genäherten  Formel 
gut  berechnen  lassen.  Das  System  stellt  sich  damit  in  der 
Hauptsache  als  ein  lose  gekoppeltes  von  2 Freiheitsgraden  dar. 
Dies  muß  sich  nun  auch  aus  der  genauen  Formel  ergeben. 
In  der  Tat  stimmt  die  Berechnung  nach  der  genauen  Formel 
noch  um  3— 4°/o  besser  mit  der  Beobachtung  und  zwar  in 
der  korrekten  Richtung  (vgl.  Rayleigh,  Art.  88,  89).  Stellt 


Anwendung  des  Prinzips  der  gekoppelten  Schwingungen  etc.  303 


man  die  obige  Beziehung  graphisch  dar,  so  sieht  man,  daß 
die  Funktion  der  rechten  Seite  die  Tangentenfunktion  der 
linken  Seite  schneidet  oder  schneiden  kann  und  zwar  zweimal 
von  0 — 71.  Von  da  ab  jeweils  nur  hinter  (2m  + l)^  usw. 
Die  zwei  ersten  Schnittpunkte  repräsentieren  die  Schwingungen, 
die  miteinander  zu  Schwebungen  interferieren  können,  wenn 
sie  nahe  genug  beieinander  liegen. 

Um  den  Koppelungsfaktor  zu  ermitteln,  setze  ich  den  Wert 
für  die  Schwingungszahl  des  Systems,  das  aus  der  Membran 
mit  Flüssigkeitssäule  ohne  Luftsäule  besteht,  in  die  Gleichung 

ein.  Der  Wert  ist  n\  = Es  ergibt  sich  dann 

A 2r  ° 


oder : 


d.  h.  die  Schwingungszahl  des  gekoppelten  Systems  kann  um 
so  näher  an  diejenige  des  Einzelsystems  rücken,  je  kleiner 


der  Wert  ist,  bzw.  je  größer  der  Querschnitt  der  Röhre 

und  der  Elastizitätskoeffizient  E'  der  Membran  ist.  Eine  ganz 
ähnliche  Beziehung  erhält  man,  wenn  man  die  Schwingungen 
eines  Systems  von  2 Freiheitsgraden  berechnet,  das  besteht 
aus  2 diskreten  Massen,  die  an  2 Federn  hintereinander  auf- 


gehängt sind.  Dann  wird  der  Koppelungsfaktor  = 

^2 

und  um  so  kleiner,  je  größer  das  Verhältnis  des  Elastizitäts- 
koeffizienten der  dem  Aufhängepunkt  benachbarten  Feder  Cj 
zu  dem  zweiten  Elastizitätskoeffizienten  e.^  ist. 

6.  Lufttransmission.  Bei  dem  Verfahren  der  Lufttrans- 
mission, das  zu  Registrierzwecken  wesentlich  zuerst  von  Marey 
angewandt  worden  ist,  wird  eine  Bewegung  von  einer  Stelle 
durch  eine  Luftsäule  auf  eine  Membran  übertragen.  Das  voll- 

20* 


304 


0.  Frank 


ständige  System  besteht  aus  der  Röhre,  die  mit  Luft  erfüllt 
und  an  beiden  Enden  durch  Membranen  verschlossen  ist.  Wird 
die  eine  Membran  deformiert,  so  deformiert  sich  die  zweite 
durch  die  entsprechenden  Druckschwankungen.  Die  Defor- 
mation der  zweiten  Membran  wird  durch  einen  mit  ihr  ver- 
bundenen Hebel  aufgeschrieben.  Im  kompliziertesten  Fall  wird 
die  Deformation  der  ersten  Membran  ebenfalls  durch  einen 
mit  ihr  verbundenen  Hebel  hervorgerufen.  Die  Schwingungen 
dieses  komplizierten  Systems  werden  durch  Kombination  der 
Analyse  des  Falles  1 und  des  Falles  3 berechnet.  Wenn  L 
und  Q Länge  und  Querschnitt  der  Luftsäule,  ferner  Wj  und 
die  reduzierten  Massen  der  beiden  Hebel,  f\  und  die  Ex- 
kursionen der  beiden  Platten  sind,  schreiben  sich  die  Be- 
dingungen wie  folgt  an:  {e  — E‘,  7,  (p  haben  dieselbe 

Bedeutung  wie  bei  1). 

a)  Anfang  des  Systems : x = 0 


n^nif 

f = - yy.k  cos e 

V 

V = Q sin  E = m f y x Je  cos  eje. 


Daraus 


eQsine  — y.Jccoss 


e^sine  — y.  Je  cos  E 


-f-  y y.  Je  cos  e ; 


eyii 


weiterhin 


tanf  = 


b)  Ende  des  Systems  x = L 


f=  - yy.JecosiJeL  + e) 

V 

V = Q sin  {JeL  -|-  e)  = mfy  — y.Je  cos  (Je  L -b  £)/<?. 


Daraus : 


Anwendung  des  Prinzips  der  gekoppelten  Schwingungen  etc.  305 


Die  Größen  m,  e = E',  i],  y,  (p  sind  für  den  Anfang  des 
Systems  {x  = 0)  und  das  Ende  (a;  = 0 und  das  Ende  (x  = L) 
verschieden. 

Eine  Diskussion  der  Schlußergebnisse  unterlasse  ich.  Es 
empfiehlt  sich,  zunächst  das  Experiment  anzusetzen,  um  aus 
den  Möglichkeiten,  welche  die  Theorie  liefert,  diejenigen  heraus 
zu  wählen,  die  praktisch  von  Bedeutung  sind.  Ähnlich  wie 
die  Lufttransmission  verhält  sich  die  elektrische  Transmission. 

7.  Schwingungen  von  Luftsäulen  in  ungleich  weiten 
Röhren,  x sei  die  Achse  der  Röhre,  ihr  Querschnitt  ein  Kreis 
vom  Radius  y = fix).  Ich  nehme  vorerst  an , daß  sich  die 
Bewegung  nur  senkrecht  zu  dem  Querschnitt  der  Röhre  voll- 
zieht. Die  Volumänderung,  welche  die  Querscheibe  xßnäx 
durch  die  maximalen  Verrückungen  ihrer  Grundflächen  um  | 

und  I -4-  f ^ im  Verhältnis  zu  dem  Volumen  der  Querscheibe 

im  ungestörten  Zustand  erfährt,  berechnet  sich  zu 

cTT  ^ ^ ^ n 

V y dx  dx‘ 

Darnach  ist  der  Druck  in  dieser  Scheibe 


\ y dx  ' dx)' 


d D 

Der  DifiFerentialquotient  bestimmt  die  durch  die  Druck- 

vv  OC 

dilferenz  auf  beiden  Seiten  der  Scheibe  wirkende  bewegende 
Kraft.  Die  Differentialgleichung  zur  Ermittelung  der  Schwin- 
gungszahl lautet  demgemäß: 


— X 


'2dt  dy 
ydx  dx 


2 k (dyY,  21  dßy  dn 

y^  \dx ) y dx^  dx^ 


Die  Formel  kann  experimentell  an  einigen  einfach  ge- 
stalteten Röhren  verifiziert  werden.  Ihre  Tragweite  kann  aber 
auch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  theoretisch  voraus  bestimmt 


30() 


0.  Frank 


werden.  Zu  dem  Zweck  wende  ich  sie  auf  Probleme  an,  deren 
Lösung  bekannt  ist.  Zunächst  auf  eine  gleichmäßig  konische 
Rühre.  Die  Spitze  des  Konus  liege  im  Anfang  der  x Achse, 
fl  sei  die  Tangente  des  halben  Offnungswinkels  des  Konus. 
y ist  dann  = fi-x.  Die  Differentialgleichung  wird  zu 


o = 


\xdx 


2^  (li\ 

x^  dx^)' 


Ich  habe  das  Integral  dieser  Differentialgleichung  nicht 
direkt  ermittelt.  Aber  ich  war  der  Überzeugung,  daß  es  schon 
auf  einem  anderen  bewährten  Weg  gefunden  werden  kann. 
Es  ist  bekanntlich  gelungen,  die  Schwingung  einer  Luftmasse 
zu  berechnen,  die  in  einer  Hohlkugel  enthalten  ist.  Die  Lösung 
dieses  Problems  basiert  auf  der  Lösung  der  Gleichung: 


\/^<p  = 0. 


ip  ist  das  Geschwindigkeitspotential,  von  dem  die  Bewegung 
ableitbar  sein  soll,  die  also  wirbelfrei  ist.  Die  Lösung  dieser 
Gleichung  unter  den  bestehenden  Grenzbedingungen  wird  auf 
Kugelfunktionen  zurückgeführt.  Sie  ergibt  sich  in  folgender 


Form:  99  = A r" S" (ohne  den  Zeitfaktor).  In  diesem  Aus- 
druck ist  S„  eine  Kugelflächenfunktion  n ter  Ordnung  und 
R„  eine  Funktion  von  r allein.  Wenn  n = 0 ist,  resultiert 
sin  Je  r 


V 


A 


Jer 


mit  der  Grenzbedingun 


welche  die 


Schwingungszahl  definiert.  Dieser  Fall  entspricht  einer  Be- 
wegung in  radiärer  Richtung.  Man  kann  aus  der  Kugel  be- 
liebige Konuse  durch  feste  Wände  abgrenzen,  ohne  daß  die 
Schwingungszahlen  sich  ändern.  Es  muß  also  die  Gleichung 
auch  die  Lösung  für  die  konische  Luftsäule  sein.  Aus  dem 
Geschwindigkeitspotential  läßt  sich  die  Verrückung  in  der  t Rich- 
tung durch  Differentiation  nach  r ermitteln,  was  ergibt: 


t = JcA 


/ cos  Jer 
l,  Jer 


Vgl.  z.  B.  Lamb,  Hydrodynamics,  S.  478  oder  Rayleigh,  toni.  II, 
S.  2G0  ff. 


Anwendung  des  Pnnzij)s  der  gekoppelten  Schwingungen  etc. 


Dies  müßte  die  Lösung  der  obigen  Differentialgleichung 
sein,  wenn  unsere  Überlegungen  stichhaltig  sind.  In  der  Tat 
trifft  dies  zu,  wie  man  durch  Einsetzen  von  ^ in  die  Differen- 
tialgleichung ersehen  kann  {x  statt  r gesetzt),  ü 

Wenn  man  jetzt  die  allgemeine  Differentialgleichung  (S.  305) 
auf  einen  weiteren  Fall,  dessen  Lösung  bekannt  ist,  au.szu- 
beuten  versucht,  nämlich  für  eine  Schwingung  der  in  einer 
Kugel  enthaltenen  Luftsäule,  die  von  einem  Pol  der  Kugel  zu 
dem  entgegengesetzten  erfolgt,  so  erkennt  man  sofort  die  Grenzen 
ihrer  Anwendung-smöglichkeit.  Wandelt  man  die  Differential- 
gleichung für  diesen  Fall  der  kugelförmigen  Begrenzung  um, 
und  vergleicht  sie  mit  dem  nach  der  obigen  Gleichung  für 
n — \ erhaltenen  partikulären  Integral,  so  erkennt  man  ohne 
weiteres,  daß  es  nicht  die  Lösung  der  Differentialgleichung 
sein  kann.  Eine  nähere  Überlegung  zeigt,  daß  meine  Diffe- 
rentialgleichung zu  einer  größeren  Schwingungszahl  führen  muß. 
Denn  bei  ihrer  Aufstellung  wurde  angenommen,  daß  die  Be- 
wegung streng  in  einer  Richtung  parallel  zur  a;  Achse  erfolgt. 
Dadurch,  daß  wir  diese  Annahme  gemacht  haben,  haben  wir 
dem  System  einen  Zwang  auferlegt  und  die  danach  berechnete 
Schwingungszahl  muß  größer  als  die  wirkliche  sein  (vgl.  Rayl., 
Art.  88).  Dies  kann  man  für  den  Fall  des  Konus  auch  ohne 
Kenntnis  dieses  Rayleighschen  Satzes  sehen.  Konus  und  Kugel- 
sektor stimmen  ja  nur  für  kleine  üffnungswinkel  überein.  Für 
große  üffnungswinkel  ist  ein  Konus,  welcher  dieselbe  Höhe 


1)  Mehr  unmittelbar  gelangt  man  zu  der  Lösung  der  Differential- 
gleichung, wenn  man  bedenkt,  daß  für  einen  engen  Konus  r statt  x 
gesetzt  werden  kann.  Führt  man  noch  statt  f das  Geschwindigkeits- 


potential I 


dtp  . 


dr 


in  die  Differentialgleichung  ein,  so  wird  sie  zu 


d 

d r 


d^  <p  2 dtp 
dr^  r dr 


dr 


<p  2 

Wenn  tp  wie  hier  nur  von  r abhängt,  so  wird  piy 

und  die  Differentialgleichung  geht  in  ~7'^(p  -\-  k'^cp 

sin  k r 


d(p 
dr 

0 über,  deren  nur 


von  r abhängige  Lösung  ist:  cp  = A' 


kr 


308 


O.  Frank 


wie  der  Radius  des  Sektor  hat,  an  Inhalt  größer  als  der  Sektor. 
Es  muß  also  seine  Schwingungszahl  kleiner  sein  als  diejenige 
des  Kugelsektors.  Unsere  Beziehung  ergibt  aber  die  gleiche 
Schwingungszahl  wie  die  für  den  Kugelsektor  streng,  d.  h.  für 
eine  wirbelfreie  Bewegung  abgeleitete  Formel,  also  für  den  Konus 
eine  zu  hohe  Schwingungszahl.  Sie  ist  nur  richtig  für  einen 
Konus  von  kleiner  Öffnung.  Man  darf  so  wohl  schließen,  daß 
die  Differentialgleichung  für  enge  Röhren  richtig  ist,  streng 
wahrscheinlich  für  Stromröhren.  Eine  spätere  Diskussion  wird 
dies  zu  erweisen  haben.  Aber  ich  habe  gar  keinen  Zweifel, 
daß  der  Geltungsbereich  der  Differentialgleichung  sehr  weit 
reicht.  Früher  angestellte  Experimente  erweisen  dies.ö  Wir 
haben  in  eine  Röhre  von  mehrmals  plötzlich  wechselndem 
Querschnitt  Flüssigkeit  unter  dem  Einfluß  einer  Membran 
schwingen  lassen.  Die  Schwingungszabl  wurde  so  berechnet, 
als  ob  die  Flüssigkeitsbewegung  parallel  den  Wänden  erfolgte, 
die  Stromlinien  an  den  Querschnittsveränderungen  also  unter- 
brochen wurden.  Die  Abweichung  der  Beobachtung  von  der 
Rechnung  war,  trotzdem  der  Fall  extrem  gelagert  war, 
äußerst  gering. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  es  nicht  möglich  ist,  diese  Ab- 
weichung irgendwie  zu  schätzen.  Hier  scheint  mir  zunächst 
ein  Weg  gegeben  durch  Benutzung  einer  Analogie,  die  Ray- 
leigh  für  ähnliche  Verhältnisse  mit  der  elektrischen  Strömung 
gezogen  hat.^)  Bei  der  Berechnung  der  Schwingungszahlen 
von  Luftresonatoreu,  die  aus  einem  weiten  Gefäß  mit  ange- 
schlossenem Hals  bestehen,  kommt  Rayleigh  zu  der  Über- 
legung, daß  für  die  Schwingungszahl  erstens  maßgebend  ist 
die  Kompressibilität  der  in  den  Bauch  des  Resonators  einge- 
schlossenen im  wesentlichen  ruhenden  Luft,  zweitens  die  Träg- 
heit der  in  dem  Hals  als  inkompressibel  behandelten  Luftsäule. 
Die  Trägheit  wird  bestimmt  durch  den  zweiten  Differential- 
quotienten des  Flusses  nach  der  Zeit  und  dui'ch  eine  von  der 


Brömser-Frank-Petter.  Zeitschr.  f.  Biol.,  59,  S.  232. 
Rayleigh,  sound  II,  S.  181. 


Anwendung  des  Prinzips  der  gekoppelten  Seliwinguiigen  etc.  309 

Konfiguration  des  Halses  abhängige  Konstante.  Sie  wird  gleich 
wenn  der  Hals  gleich  weit  zylindrisch  ist  und  die  Strom- 

Lj 

fäden  in  den  Zylinderwänden  parallel  verliefen.  Sie  ist  ver- 
gleichbar der  Leitfähigkeit  eines  leitenden  Körpers  für  den 
elektrischen  Strom.  (Die  Leitfähigkeit  entspricht  vollständig 
dem  reciproken  Wert  der  von  mir  eingeführten  wirksamen 

Masse  Vgl.  oben  unter  1). 

V 

Da  sowohl  der  elektrische  Strom  als  die  Verrückungen 
sich  von  einem  Potential  ableiten,  kann  man  aber  auch  um- 
gekehrt die  Trägheit  aus  der  Leitfähigkeit  eines  mit  der  Röhre 
gleich  geformten  leitenden  Körpers  entnehmen.  Dies  ließe  sich 
durchführen  für  ähnliche  Systeme,  wie  sie  bei  den  obigen 
Experimenten  benutzt  worden  sind,  bei  denen  die  Flüssigkeit 
inkompressibel  ist,  also  auch  für  Manometer  mit  optischer 
Registrierung.  Viel  schwieriger  liegen  jedoch  die  Verhältnis.se 
für  die  kompressible  Luft.  Hier  müßte  die  Erhöhung  der 
lebendigen  Kraft  gegenüber  der  angenommenen,  aus  der  grad- 
linigen Bewegung  sich  ergebenden,  für  möglichst  kleine  Ab- 
schnitte der  Röhre  einzeln  angesetzt  werden.  Es  wird  kaum 
möglich  sein,  die  Leitfähigkeit  so  festzustellen,  daß  die  ein- 
zelnen Stücke  einer  Röhre  sich  richtig  aneinander  schließen 
würden.  Dagegen  dürfte  eine  andere  Methode  zum  Ziel  führen, 
die  auf  dem  obigen  Experiment  beruht.  Man  verschließt  die 
Röhrenstücke  an  beiden  Seiten  mit  Membranen,  nachdem  sie 
mit  einer  inkompressihlen  Flüssigkeit  gefüllt  worden  sind,  und 
stellt  nun  die  Abweichung  der  beobachteten  Schwingungszahl 
von  der  unter  der  Voraussetzung  einer  gradlinigen  Bewegung 
berechneten  fest. 

8.  Schwingungen  der  Luft  in  den  Vokalräumen. 
Von  wesentlich  größerer  Bedeutung  für  physiologische  Zwecke 
ist  die  Berechnung  der  Schwingungen  einer  Luftsäule,  die  in 
einem  unregelmäßigen  Hohlraum  enthalten  ist,  für  dessen  Be- 
grenzung sich  keine  hinreichend  einfache  Gleichung  aufstellen 
läßt.  Sie  kommt  nämlich  in  Betracht  für  die  Theorie  der 


310 


0.  Frank 


Erzeugung  der  Vokale  durch  die  , Vokalräume“.  Sie  bestehen 
aus  Kehlkopf,  Rachen  und  Mundhöhle.  Man  muß  hier  den 
Leitfaden  der  Theorie  haben,  um  sich  in  dem  Gewirre  der 
empirischen  Daten  zurecht  zu  finden.  Für  die  Berechnung  der 
Hauptschwingung  der  Luftmasse,  die  in  einem  derartigen  Raum 
schwingt,  schlage  ich  ein  Verfahren  vor,  das  in  ganz  ähnlicher 
Weise  zuerst  für  die  Berechnung  der  Schwingungen  der  Saite 
angewandt  worden  ist,  nämlich  eine  sinngemäße  Unterteilung 
des  Raumes  in  einzelne  Kammern.  Wie  rasch  man  durch  eine 
derartige  Berechnung  zu  genügend  genauen  Resultaten  kommt, 
zeigen  die  folgenden  Beispiele. 

a)  Angenäherte  Berechnung  der  Schwingungsdauer  einer 
Luftsäule,  die  sich  in  einer  beiderseits  geschlossenen  zylindri- 
schen Röhre  befindet.  Ebenso  wie  bei  der  Saite  werden  ent- 
sprechende Massen  der  Luft  an  den  Wänden  als  stillstehend 
angenommen.  Teilt  man  die  Röhre  in  2 Kammern  ein,  ver- 
legt die  halbe  Masse  in  die  Mitte  und  an  den  beiden  Enden 
je  ein  Viertel  der  Masse,  die  .sich  an  diesen  Stellen  nicht  be- 
wegen, während  nur  die  mittlere  Masse  unter  dem  Einfluß 
der  Elastizität  der  beiden  Kammern  schwingt,  so  erhält  man 
bei  dieser  ganz  rohen  Anordnung  eine  Wellenlänge  A = 2.22  L, 
also  eine  um  ll°/o  zu  geringe  Schwingungszahl.  Teilt  man 
die  Röhre  in  3 Kammern  ein,  beläßt  je  ein  Sechstel  der  Masse 
an  den  Enden,  während  zwischen  den  Kammern  je  ein  Drittel 
der  Masse  unter  dem  Einfluß  der  Elastizität  der  Kammern 
schwingt,  so  erhält  man  ?.  = 2.09  L,  welcher  Wert  nur  mehr 
um  4.5  °/o  von  dem  richtigen  abweicht. 

b)  Führt  man  dasselbe  aus  für  die  diametralen  Schwingungen 
einer  Luftmasse,  die  sich  in  einer  Hohlkugel  befindet,  vgl.  S.  307, 
so  erhält  man  für  eine  3 Kammer-Einteilung,  wobei  das  System 

2 Freiheitsgrade  besitzt,  den  Wert  ~ = 1.566  statt  1.509. 

za 

Teilt  man  die  Kugel  in  4 Kammern  ein,  so  resultiert  ^ 

u ct 

= 1.521  statt  1.509,  also  nur  mehr  eine  Differenz  von  ^/s^/o- 
Im  letzten  Fall  besitzt  das  vereinfachte  System  3 Freiheits- 


AnwendunfT  des  Prinzips  der  gekoppelten  Schwingungen  etc.  311 

grade  und  die  Behandlung  führt  zu  einer  algebraischen  Glei- 
chung dritten  Grades.  Geht  man  noch  weiter  mit  der  Kammer- 
Einteilung,  so  macht  die  Auflösung  dieser  Gleichung  Schwierig- 
keiten. Mir  erscheint  es  daher  in  diesem  Fall  vorteilhafter, 
durch  die  Einteilung  der  Säule  in  2 oder  3 Kammern  einen 
angenäherten  Wert  für  die  Schwingungszahl  auszurechnen  und 
dann  bei  der  Elimination  der  Verrückungen  aus  den  verschie- 
denen Gleichungen  diesen  Wert  plus  einer  kleinen  Größe  d ein- 
zusetzen und  alle  höheren  Potenzen  als  die  erst  von  6 fortzu- 
lassen, so  daß  schließlich  eine  lineäre  Gleichung  für  d resultiert. 

Das  Beispiel  des  kugelförmigen  Raumes  trügt  insofern 
etwas,  als  es  den  Anschein  erweckt,  daß  man  sich  bei  der 
Einteilung  in  eine  wachsende  Zahl  von  Kammern  dem  rich- 
tigen Wert  sukzessive  nähern  würde.  Es  ist  aber  kein  Zweifel, 
daß  dann  wegen  der  ungenauen  Annahme  über  die  Bewegung 
der  wahre  Wert  unterschritten  wird.  Denn  wir  haben  hier  die- 
selbe Grundannahme  gemacht  wie  bei  der  Aufstellung  der  obigen 
Differentialgleichung  (vgl.  S.  305)  und  müssen  schließlich  eine 
zu  hohe  Schwiugungszahl  erhalten.  Wir  lassen  ja  ebenfalls 
die  Bewegung  nur  in  einer  Richtung  erfolgen,  haben  das  System 
also  einem  Zwang  unterworfen.  Wenn  man  hierfür  noch  eine 
Korrektur  einführen  will,  so  muß  man  das  obige  Verfahren 
der  experimentellen  Bestimmung  der  wirksamen  Masse  für  die 
einzelnen  Kammern  anwenden  (vgl.  S.  309). 

Die  gesamte  Energie  ist  immer  größer  als  diejenige  der 
wirbelfreien  Bewegung,  was  ebenfalls  aus  dem  Satz  von  der 
Einwirkung  eines  Zwanges  oder  aus  dem  Kelvinschen  Theorem 
folgt. ^)  Die  wirkliche  Schwingungszahl  ist  also  immer  kleiner 
als  die  unter  Annahme  der  Existenz  eines  Geschwindigkeits- 
potentials berechnete. 

9.  Schwingung  einer  kreisförmigen  Membran. 
Angenäherte  Berechnung.  Die  Gleichungen  für  die  Be- 
rechnung der  Membranschwingungen  sind  bekannt  (vgl.  Rayl., 
I,  S.  306 — 351).  Sie  führen  auf  Besselsche  Funktionen.  Da 


0 Vgl.  z.  B.  Lamb,  Hydrodynamics,  S.  45,  und  Rayleigh,  Art.  79. 


312 


0.  Frank 


die  an  genähe  rte  Berechnung  der  Hauptschwingung  eines 
Systems  von  Bedeutung  sein  kann,  gebe  ich  hier  eine  solche 
für  die  Membran  nach  einem  von  Rayleigh,  I,  Art.  89  für  die 
Saite  vorgeschlagenen  Weg.  Ich  nehme  an,  dab  die  einzelnen 
Punkte  der  Membran  eine  Schwingung  nach  der  folgenden 
Beziehung  ausführen. 

2,  = cos»(jl-(0'|. 

Die  potentielle  Energie  berechnet  sich  daraus  wie  folgt; 


1 


Die  kinetische  Energie  des  Systems  ergibt  sich  aus  fol- 


gender Formel: 


a 

T = \ ^ 2r7id-  gy^dr  = n^Tid-  Q 


m‘  a" 


2 (m  4-  1)  {ni  -f-  2) 


.)si 


sin^ 


Durch  Gleichsetzung  der  beiden  maximalen  Werte  von  V 
und  T erhält  man  für  die  Schwingungszahl 

^2  _ (w  + l)(>>^  + 2)/g 
d-gma^ 

Da  die  Schwingungszahl  bei  einer  derartigen  Berechnung 
nach  Rayleigb  immer  zu  hoch  wird,  hat  man  m so  zu  wählen, 
daß  sie  ein  Minimum  wird,  was  für  m = 2 eintritt.  Dann 

wird  die  Schwingungszahl  zu  |/^;7~  • Sie  ist  nur  0.4  “/o 

höher  als  die  korrekte  (vgl.  Rayleigh,  S.  345).  Aber  auch 
wenn  man  m = 1 oder  2 entsprechend  der  Schnittkurve  als 
gebrochene  Grade  oder  Parabel  gewählt  hätte,  würde  die  Dif- 
ferenz immer  gering,  nämlich  1.8 ‘'/o  sein. 

10.  Kreisförmige  Membran  mit  einer  starren  Scheibe 
in  der  Mitte.  Radius  der  Membran  = a,  Radius  der  Scheibe 
= h,  Maße  der  Scheibe:  M.  Die  Differentialgleichung  lautet: 


Anwendung  des  Prinzips  der  gekoppelten  Schwingungen  etc.  313 


1 rfC  n^d-o  ^ 

(^7^  + 7 r?,-  “ ~ S~'^' 


(Nur  symmetrische  Schwingungen  berücksichtigt.) 
Setzt  man 

d-  p 

so  ist  die  Lösung 

C = ÄJf^{ur)  -f  BK^{ur). 


Jf,  und  Kq  sind  Besselsche  Funktionen  erster  und  zweiter  Art. 
Die  Grenzbedingungen  ergeben  sich  aus  folgender  Gleichung: 

0 = AJ^{j.ia)  -]-  BK^{fxa). 

Ferner  aus  der  Bewegungs-Gleichung  für  die  Scheibe  selbst. 
Sie  lautet,  wenn  a der  Neigungswinkel  der  meridionalen  Schnitt- 
kurve am  Rand  der  Scheibe  ist.  ^hnSsiaa  = Mn^p.  Setzt 
man  statt  sin  a die  Tangente,  so  erhält  man  folgende  Gleichung: 

A f,  Ji  b)  + Bjii  Ki  (,u  h)  - - [A  J,  h)  BK,  Cu  6)]. 
Hieraus : 


r r . . *^0  (/* 


M/i 
’2b dp  71 


J,{jMb) 


K,  (/z  u) 


K,{ab) 


Das  durch  die  vorhergehende  Gleichung  charakterisierte 
System  wird  bei  manchen  akustischen  Registrierungen  ver- 
wendet, so  zum  Beispiel  bei  dem  von  Hermann  vorgeschlagenen. 
In  ähnlicher  AVeise  läßt  sich  auch  das  AVeißsche  Phonoskop 
behandeln  oder  die  von  Garten  vorgeschlagene  Methode,  bei 
der  eine  Seifenmembran  mit  eingestreutem  Eisenspähnchen  der 
wesentliche  Teil  ist. 


11.  Kreisförmige  in  der  Mitte  mit  einer  starren 
Scheibe  von  der  Masse  31  verkittete  Platte.  Die  Phono- 
graphen- und  Grammophonkapseln  sind  nach  diesem  Prinzip 
gebaut.  Wenn  die  in  folgendem  skizzierte  Berechnung  zu  große 
Schwierigkeiten  bieten  sollte,  dürfte  für  unseren  Zweck  auch 
eine  angenäherte  genügen,  die  etwa  nach  dem  Schema  von 


314 


0.  Frank 


Xr.  9 durchgeführt  werden  inütäte.  Die  Platte  ist  am  Rand 
eingeklemmt.  Ebenso  ist  die  Scheibe  starr  mit  dem  mittleren 
Teil  der  Platte  verbunden. 


an 


+ 


u*  = n' 


= + /t  k. 


1 

r dr 

12  Qim^ 


X 


1) 


h-  E 


(m  = Koeffizient  der  Querkontraktion,  vgl.  Föppl,  Festigkeits- 
lehre, 1.  Aufl.,  S.  8,  h = Dicke  der  Platte). 

Lösung : 

;■  = + CK^ifir)  -j-  l)K^{iiir) 

Grenzbedingungen  C = 0 für  r = a 


dl: 

dr 


= 0 


r = b 


¥Em^ 
12(w2  — 1) 


d 

dr 


dr^  ^ 


1 dC\ 

r dr) 


X 2h7i  = 2Lq 


für  r = h. 


12.  Einige  weitere  den  unter  9 — 11  Angeführten 
verwandte  Systeme.  Von  Ph.  Brömser  und  mir  ist  zu 
akustischen  Registrierzwecken  eine  Kapsel  vorgeschlagen  wor- 
den, in  der  eine  Glimmerplatte  eingespannt  ist.  Auf  der 
Glimmerplatte  ist  unmittelbar  ein  kleines  Spiegelchen  exzen- 
trisch aufgeklebt  und  zwar  an  der  Stelle,  wo  der  Neigungs- 
winkel der  Meridiankurve  der  elastischen  Fläche  bei  der  Ein- 
wirkung eines  hydrostatischen  Druckes  am  größten  wird.  Das 

ist  in  einer  Entfernung  von  des  Radius  der  Platte  der 

Fall.  Ich  habe  eine  angenäherte  Berechnung  dieses  Systems 
in  ähnlicher  Weise,  wie  vorher  angegeben  wurde,  durchgeführt 
und  hierzu  die  von  Föppl,  Sitzungsberichte  der  Akademie 
München  1912,  S.  155  angegebenen  Gleichungen  verwendet. 
Die  Berechnung  ist  jedoch  so  kompliziert,  daß  ich  sie  vor- 


Anwendung  des  Prinzips  der  gekoppelten  Schwingungen  etc.  315 


läufig  nicht  veröffentliche.  Erst  nach  der  Ausführung  einiger 
Experimente  wird  sich  der  beste  Weg  für  die  Lösung  des 
Problems  ergeben. 

Dasselbe  gilt  für  ein  System,  das  aus.  einer  Membran  oder 
Platte,  deren  Masse  nicht  mehr  vernachlässigt  werden  kann, 
und  einer  an  sie  angeschlossenen  Luftsäule  besteht.  Seine  Be- 
rechnung ist  wertvoll  für  die  Theorie  des  Mikrophons  und 
ähnlicher  Apparate  mit  angeschlossenem  Schalltrichter.  Auch 
hier  hat  mir  eine  angenäherte  Berechnung  eine  ziemlich  gute 
Übereinstimmung  mit  den  Beobachtungen  ergeben. 

Ganz  ähnlich  wird  sich  ferner  das  schallleitende  System 
berechnen  lassen,  das  aus  Trommelfell,  Gehörknöchelchen,  den 
Membranen  in  dem  ovalen  und  dem  runden  Fenster  mit  der 
Flüssigkeit  in  der  Schnecke  besteht.  Es  dürfte  sich  auf  ein 
System  mit  3 Freiheitsgraden  zurückführen  lassen,  während 
bis  jetzt  noch  nicht  der  geringste  Versuch  gemacht  worden  ist, 
es  überhaupt  von  dieser  Seite  zu  behandeln. 

Auch  die  Schwingungen  einer  Membran  von  der  Gestalt 
eines  Kreissegments,  die  mit  einer  segmentförmigen  Scheibe 
verbunden  ist,  werden  sich  mit  genügender  Annäherung  be- 
stimmen lassen,  nachdem  durch  Sommerfeld  die  Deformation 
festgestellt  worden  ist,  die  sie  unter  Einwirkung  eines  hydro- 
statischen Druckes  erfährt. 


317 


Über  Dirichlets  Teilerproblem. 

Von  Edmutid  Landau  in  Göttingen. 

Vorgelegt  von  A.  Pringsheim  in  der  Sitzung  am  3.  Juli  1915. 


Es  bezeichne  T{n)  die  Anzahl  der  Teiler  von  n und  r (x) 
für  X > 0 die  summatorische  Funktion^) 


[^1 

T (ic)  = XI  T{n) 


m=l 


X 

m 


= X 1. 


Dirichlet^)  hatte 


(1)  r {x)  = x\ogx {2C — \)x-\-0(yx) 

bewiesen,  wo  C die  Eulersche  Konstante  bezeichnet.  Erst 
Vorono'i^)  gelang  es,  (1)  zu  verbessern  und  zwar  zu 

3 

(2)  r{x)  = x\o^x  -j-  (2  C — \)x  -{■  0(y xXogx). 

Der  Vorono'ische  Beweis  von  (2)  ist  etwa  40  Seiten  lang;  ein 
späterer,  ganz  verschiedener  Beweis  von  mirD,  der  gleichfalls 


Ü 

X bedeute  0. 

K = l 

2)  Uber  die  Bestimm uitf/  der  mittleren  Werlhe  in  der  Zahlentheorie 
[Abhandlungen  der  Königlichen  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin, 
Jahrgang  1849,  mathematische  Abhandlungen,  S.  69  — 83;  Werke,  Bd.  II, 
S.  49-66],  S.  73  bzw.  56. 

Sur  nn  problcmc  du  calcul  des  fonctions  asymptoliques  [Journal 
für  die  reine  und  angewandte  Mathematik,  Bd.  CXXVI  (1903),  S.  241 — 282]. 

*)  Die  Bedeutung  der  Bf  ei  ff  er’ sehen  Methode  für  die  analytische 
Zahlentheorie  [Sitzungsberichte  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissen- 
schaften in  Wien,  mathematisch-naturwissenschaftliche  Klasse,  Bd.  CXXI 
(1912),  Abt.  II a,  S.  2195-2332],  S.  2206-2246. 

Sitzungsb.  <1.  math.-phys  Kl.  Jatirg.  1915. 


21 


318 


E.  Landau 


im  Gebiete  der  reellen  Analysis  verläuft,  erfordert  weniger 
Rechnungen,  ist  aber  auch  noch  recht  lang.  Meine  Behand- 
lung^) dieses  Problems  (im  Rahmen  einer  allgemeineren  Unter- 
suchung) mit  den  Mitteln  der  komplexen  Funktionentheorie 
hatte  zwar  auch  über  (1)  hinausgeführt,  aber  nur  bis  fast 
zu  (2),  nämlich  bis  zu  bei  jedem  ^ > 0.  Dafür  hatte 

diese  komplexe  Methode  das  über 

Tk  (aj)  = 1.'  Tk  (w)  = 1 (k  > 2) 

n=l  ... 

(Anzahl  der  Zerlegungen  aller  Zahlen  bis  a:  in  ä:  Faktoren) 
Bekannte  zu 

(3)  Tk{x)  = x{bk-\  log*-’  x-j- h Öq)  + ö ^ ) 

bei  jedem  £>0  verschärft;  die  b sind  hierbei  Konstanten. 

Nunmehr  ist  es  mir  gelungen,  durch  Verschmelzung  meiner 
beiden  alten  Methoden  und  einige  weitere  Kunstgriffe  einen 
Weg  mit  komplexer  Funktionentheorie  zu  finden,  der  den 
ersten  kurzen  Bew'eis  von  (2)  ergibt  und  für  ä;  > 2 das  bisher 
beste  Ergebnis  (3)  zu 

(4)  Tkix)  = x{bk-\  log*“’  a;  -P  • • • -f  &o)  0 (a;*+’  log*“’  a:) 

verschärft. 

Und  zwar  werde  ich  nicht  Tc  = 2 besonders,  sondern  gleich- 
zeitig alle  A' > 2 behandeln;  das  Ziel  (4)  enthält  ja  (2)  genau 
als  Spezialfäll  k = 2.  Es  sei  also  k eine  feste  ganze  Zahl  > 2. 

Hilfssatz  I:  Es  gibt  eine  absolute  Konstante  c derart,  daß 
für  alle  U > 0 und  alle  ü ^ 0 

. V 

(I 

ist. 


1)  Über  die  Anzahl  der  Gitterpunkte  in  gewissen  Bereichen  [Nach- 
richten von  der  Königlichen  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Göttingen, 
mathematisch-physikalische  Klasse,  .Tahrg.  1912,  S.  687  — 771],  S.  695—720. 


über  Dirichlets  Teilerprobleni. 


319 


Beweis:  Steht  z.  B.,  übrigens  mit  c=  18  1^2,  auf  S.  381 
meiner  Besprechung  der  Wigertschen  Abhandlung  Sur  quelques 
fonctions  arithmetiques  [Acta  Mathematica,  Bd.  XXXVII  (1914), 
S.  113 — 140]  in  den  Göttingischen  gelehrten  Anzeigen,  Jahr- 
gang 1915,  S.  377 — 414.  Die  Behauptung  deckt  sich  offenbar^) 
mit  dem  (ebenda  nicht  vorgekommenen)  Spezialfall  7 = — \ 
des  Hilfssatzes  10  meiner  oben  erwähnten  Abhandlung  aus  den 
Göttinger  Nachrichten  und  ist  fast  wörtlich  wie  dieser  Hilfs- 
satz beweisbar;  was  eben  1.  c.  geschah. 

Hilfssatz  2 : Es  sei  w > 0.  Bann  sind  die  h Integrale 

3 + 00 1 

; ^ — ds  — H(w), 

( + 1)  ■ ■ ■ (^  + 

I cos  — 1 (s)  1 

— 00 « 


j-i-  001 


1 


tv 


,s+fc— 1 


(cos®"r(s))‘ 


s(s  -H  1)  • • • (s  + * — 1) 


ds  = (w), 


^ — Goi 


1+00« 


Uf 


^cos  ^r(s)^ 


ds  = Hhiw) 


absolut  konvergent  und  zwar  hei  festem  > 0 für  0 < ^ tv^ 

gleichmäßig,  so  daß  jede  dieser  Funktionen  stetig  und  (von  der 
zweiten  an)  die  Ableitung  der  vorangehenden  ist.  Also  insbesondere: 
H{iv)  ist  kMale  differentiierbar,  und  zwar  ist: 

Beweis:  s werde  = o -j-  ti  gesetzt.  Bekanntlich^)  ist  bei 
festem  o und  sogar  (was  beim  Beweise  von  Hilfssatz  3 ange- 


')  Abgesehen  von  dem  unerheblichen  Werte  der  absoluten  Kon- 
stanten c. 

2)  Vgl.  z.  B.  S.  702  meiner  Arbeit  aus  den  Göttinger  Nachrichten. 


320 


E.  Landau 


wendet  werden  wird)  bei  festem  Oj  und  festem  o,  > Oj  für 
Oj  < o < O.J  gleichmäßig 

(5)  = 


also  für  0 = f 


r-r  N 
cos  -^r(s) 


(cos  ™ r(s)^ 


= o{t  ^ ')  = 


folglich  jeder  der  7»;  -(-  1 Integranden  absolut  genommen  gleich 
(v  = 7:, . . . , 1,  0)  mal  einer  Funktion  von  7,  welche  0 {t~  ist. 
Hilfssatz  3:  Es  ist  für  tv>0  erstens 


H h 00  I 

2 “ 2k 


(6)  H{w)  = 


1 


IV 


iS+k 


1 i ^ 

00  I 

2 * 2fc 


cos^As) 


Ys(, 

) 


(s  + 1)  • • • (s  + ^') 


ds 


1 _ I 
~2~Tk 


+ 00  f 


(7) 


J (cosf  r(.))‘ 


s(s  -b  1)  • • • (s  + k) 


ds 


2 2h 

und  zweitens 


2 2k  ^ 


(8) 


m^xv)  = 


'1(4 

1 1 


I\s) 


ds. 


Beweis:  1)  Ich  wende  den  Cauchyschen  Satz  auf  den 
Integranden  in  (6),  (7)  und  das  Rechteck  mit  den  Ecken 

l-m,  l + ri,  -i±2,  + n -|±2V-^' 

an,  wo  (7'>0,  77  > 0 ist.  Dasselbe  enthält  keinen  Pol  des 


über  Dirichlets  Teilerprübleni. 


321 


Integranden.  (Diese  Pole  sind  ja  1,  3,  5,  . . . ad  inf. , sowie 
die  negativen  ungeraden  Zahlen  > — Je.)  (6)  und  (7)  werden 
also  aus  Symmetriegründen  bewiesen  sein,  wenn  ich  für 


1 


2 


1 

2 Je 


<o< 


3 

4 


gleichmäßig 


lim 


1 1 

cos  “ ris)]"  + 1)  ^ 

2 / 


= 0 


zeige;  dies  folgt  aber  nach  (5)  so: 


1 


= 0 ((<=■")■*■ 


(cos  ^ r(s))‘  + 1)  ■ ■ ■ (*  + 


^1  „ l - kc 

= 0\t  2 

2)  Dieselbe  Betrachtung  beim  Rechteck  mit  den  Ecken 

Ui 


3 jj.  3 1 

j-üt,  j + Tt,  2 


^ + 1-  ^ 
2ifc  ^ ’ 2 2Je 


ergibt  wegen  der  für  ^ < o < ^ gleichmäßigen  Ab- 

schätzung 


die  Behauptung  über  Hk  {iv)  = H^^'*  (w). 
Hilfssatz  4:  Bei  ivacJisendem  w ist 


322 


E.  Landau 


Beweis:  Bekanntlich')  ist  bei  festem  o,  wenn  «j  eine  koin- 
I)lexe,  nur  von  o abhängige  Konstante  bezeichnet, 

I 


1 


S7T 

COS  2 r{s) 


-a  -<taog<-  1)  , , , ^ 

= a,  ^ e ( 1 -j-  0 


Folglich  ist,  wenn  und  zwei  nur  von  li  abhängige  kom- 
plexe Konstanten  bezeichnen,  für  o = — ^ 


21i 


1 


1 


*(»  + !)•  -(s  + i) 

“) 


(9)  =a^t 


und  für  o — 


3-  —kii(logt—l) 


+ OU 


(cos^^'As))' 

(10) 


= Üot  ''  G ’i  ^ 


(<-). 


— - — h fc  ti 

Der  Integrand  in  (7)  ist  w ^ w mal  dem  Aus- 


druck (9);  der  Integrand  in  (8)  ist  tv'^ 


2 2 t 


w 


mal  dem  Aus- 


druck (10).  Also  wird  offenbar  Hilfssatz  4 bewiesen  sein, 
wenn  es  gelingt,  für  «t;  > 0,  T > 0 
. r 

('1)  <A  = A(h) 


1)  Vgl.  z.  B.  S.  701  meiner  Arbeit  aus  den  Göttinger  Nachrichten 


...  1 ^ 1 
für  r=—,  wahrend  = 2e"  e - 

r(.s)  .9.T 

cos  — 


1+« 


(; 


trivial  ist.  Übrigens 


ergibt  sich  «1  sogar  als  absolute  Konstante,  was  aber  unerheblich  ist. 


über  Dirichlets  Teilerproblem. 


323 


zu  beweisen,  wo  Ä nicht  von  tv  und  T abhängt.  Ua  nun 

^ 1 / 1 \ 

J1  r — — ll>  1 lOgH  — logfe—  1 -lüg  io) 

= — \u  - e ^ ^ 'du 

Vk  J 

0 0 

ist,  so  ist  (11)  nach  Hilfssatz  1 wahr,  sogar  mit  dem  absolut 
c 


konstanten  Ä = 


K2 


Hilfssatz  5:  Es  sei-  1,  A„H{iv)  die  kte  Dif- 

ferenz hei  jeiveiligem  Fortschreiten  um  v: 


(12) 


A^Hiiv)  = H(tv  + kv) 


->-(D 


S (w  -|"  (k  — 1 ) ?^) 


Behauptet  wird  die  Existenz  zweier  nur  von  k,  nicht  von  v,  ir 
abhängiger  Konstanten  Ä^,  so  daß 


ist. 


A„  H{iv)  < A 
A^Hiiv)  <,A^v'‘iv 


1 ^ 


Beweis:  Nach  Hiifssatz  4 ist  für  «(;  > 1 


(13)  \H{w)  <A^w 
und 

(14)  < A^tv 

1)  Nach  (12)  und  (13)  ist 


1 

2 2k 


A ^H{iv)\<A^  f (w  4-  k w)  ■'*  “ * ^ ( 1 ) 


- + fc 

2 2ft^ 


1 1 


IV 


2 2 k 


_j ^ (^1  -1- 

2)  Wegen 

AJf(tv)  = J dn\  j dw^  • • • J 


+ '< 


JO  + 0 »'1  + K — I "b  * 


10  JOj 


"’/t-l 


324 


E.  Landau 


ist  nach  (14) 

J h 11 

•Je  H (H')  I <C  (vf  ]i  <(•)  2 2/t  ^ Jii-  -k 

Hilfssatz  6;  Es  ist 


—■  f 

I rr  e J 


+ 1)  • • • (s  + Ä’) 


0 


für  0 <y^\. 


Beweis.  Steht  z.  B.  auf  S.  380  meiner  Besprechung'  der 
Wigertschen  Arbeit. 


Es  ist  für  a > 1 

=(cw)‘. 

«=i  n® 

Die  Riemannsche  Funktionalgleichuno- 


(15) 

gibt  demnach 


t (1  — s)  = cos  /’(s) : (s) 


1 


also  für  o < 0 
(16)  Z(s)  = 


cosy  r(s)^ 


Z(1  — s), 


2* 


(cos^^A.))^^. 


^ n ^ ^ 


Ich  setze  für  a;  > 0 zur  Abkürzung 

O 

1 M 


1 M % 

^ L'  (”)  — w)*'  = J (?a;,  I (?a;2  • • • J TA(a;*) dx^. 

” — * (IO  o 


Dann  ergibt  Hilfssatz  6 für  a;>0 


2+00  1 


^+fc 


2+ai 


2 — X I 


S(5  + l)---(5  + Ä-) 


^+/t 


5(s+l)-- -(s+Ä*)^",  n' 


=£ri(n)>!\- ( , I 


+a  I / \ 5+* 


« = 1 


2.TiJ  s(s+l)- ••(«+/.') 

2 — X I 


1 W (x  \* 

, r ^A-(»)«‘-  - lj  = <P{x). 


über  Dirichlets  Teilerproblem. 


325 


Nun  werde  der  Cauchysche  Satz  auf  das  Rechteck  mit 
den  Ecken 


2 — Ui,  2 + Ti, 


l + 2/,:  + 


1 

2k 


— Ui 


(wo  T>0,  > 0 ist)  und  den  Integranden 


(17) 


s(s+l)..-(s  + Ä:)^^"^ 


angewendet.  Darin  liegt  der  Pol  kter  Ordnung  s = 1 und  der 
Pol  erster  Ordnung  s = 0 mit  der  Residuensurame 


R(x)  ==  (^fc_ilog*-i  aj  + i/o)  + 


wo  git-i,  ■■  -1  g reelle  Konstanten  bezeichnen  (die  nur  von  k 
und  ihrem  Index  abhängen).  Das  Integral  über  die  wage- 
rechten Rechtecksseiten  strebt  gegen  Null,  da  bekanntlich^)  für 

ö > — + 2^^  gleichmäßig 

also  für  — ^ -h  ^_<ö<2  gleichmäßig  der  Integrand  (17) 

^ ciK>  ~ ' 


0 


= 0(1) 


ist.  Demnach  ist 

1,1,. 

J 4-  00  t 

2 ^ 2fc  “ 

f (.) = - Jä(.)  = J mäs, 

1,1 

2 2fc 

folglich  nach  (16) 


2 2 

1 1 r a;'’+'‘ 

2711  2'‘J  «(s-p l)---(s-l-^) 

’ I 1 


(2*  71*  w)®  (7  s. 


1)  Man  pflegt  es  aus  (15)  abzuleiten. 


326 


E.  Landau 


(19) 


Hier  ist  Vertauschung  von  Summation  und  Integration  er- 
laubt, da 


1 


s(s -|- 1)  • • • (s  “h  f 


cos-^r(s)  '”-1 


y;  {2’‘ji'‘ny 


= 0\t  2 


. ist.  Demnach  ist 


Fix). 


(_  4-00» 

2 ^ 2k^ 


T,in)  r 


n=l 


JR 


r(s) 


^(s+l)---ls+^') 


ds 


1 1 

— 4- 00 1 

2 ^ 2k 


= -2.+.+i. t 


n = 1 


(18) 

nach  (6). 

&-1 

Nun  setze  ich  für  a;>  1,  indem  ^ die  Bedeutung  x^^  hat, 


zl, F(x)  = F(x  + k^)-{  ^jF(xF(k-l)^)  + ----h(- l)'‘F(x). 


Dann  ist  nach  (12)  und  (18)  für  a:  > 1 


Tkin) 


^sF(x)  2i+ic+it’‘ ^i+ic^  ^ w'‘+‘ 


n=l 


worin  iv  = 2’‘7i'‘nx,  v = 2’‘7i^nz  gesetzt  ist.  Nach  Hilfssatz  5 
ist  demnach 


Tuin)^,. 


fc(fc-i)  1111 


zl,idR)3=0L  t^Min.U  2 2fe'  ^ 2 2fc'  ,n'':c'‘+iw2  2*^2  2fc 


t-l 


] 


'ik 


+ k 


V 


3M 

i . * 

n^'^2k. 


über  Uiriclilets  Teilerproblem. 


327 


Bekanntlich  ist,  nämlich  als  leichte  Folge  der  rohesten  Ab- 
schätzung Tk(x)  — 0 (x x) , 

■ für;,  <1 

und 

” Tk(n) 

^ n'-  für/>l; 

(19)  liefert  also 

/ ^-1)  1 1 ft— 1 / 1 ]\  \ 

d,F(x)  = 0\X’‘  + ^ 2 

-h  0 (a;“2“'2i+*+A-+i(-2-^\ogft-i^j 

= U {x’‘-'^  log*--'  x)  = 0 (.är'‘+l  log*“-'  x). 

Nun  ist 

J,  R (x)  = i?'*')  (I)  ( < ^ «<  a:  + Jcx^)  , 

also,  wegen 

R^x^x)  = x{bk^i  log*‘-'a:  -1 [. 

Ag  R (x)  = 0’‘(x{bic—\  log*““'  X Ar  l>  -{'  0 {s  log*“—'  a;)) 

= z'‘x{b,_^  log*=-’  a;  -1 f-  ^o)  + log'^-'a;), 

A,  (P{x)  = A,F{x)  -|-  A,R{x) 

(20)  = z’^x{bk-x  log^-'a;  H H U + ö(^'‘+'  log*-'a;). 

Wegen 

x+e  Xj-l-x  1+^ 

A,  <P{x)=  l’  dx^  ^ dx.^.  . . ^Th  {Xk)  dxk 
ist  Xk^i 

(21)  Tft  (a;)  < ^ (a;)  z’^  {x  -[-  ^•^). 

Aus  (20)  und  (21)  folgt  erstens 

(22)  Tk{x)^x{bk-i  log'‘-’a;  -1 h ^o)  + Ö (a;*+i  log*‘-'a:), 

zweitens 

Tu  [x  + l-x^^  > X {bk-x  log*'-'  a:  -1 h ^o)  + Ö (a;'‘+'  log"-'  a:) , 

ft-i 

d.  h.,  X F = y als  neue  Variable  eingeführt, 


328 


E.  Landau,  Über  Diriclilets  Teilerproblem. 


Tk 


{>/)^iy  + o{y'‘^')){hk-,i\ogy-{-o{y+^  '))  6^ 


;.-i 


+ 0 \ ?/*'+!  log*“"'  y) 

(23)  = y {hk-x  log*'-'  y-\ h ^o)  + ^ (</'“+'  log*'“’  y) 

(22)  und  (23)  besagen  zusammen  ^ ^ 

(4)  Xk  (x)  = X {bk -I  log*  -^x-\ H ^o)  + log*-'  a 


Der  Spezialfall  Ic  = 2 der  Identität  (18)  steht  (wenn  auch 
mit  längerem  Beweis)  schon^)  in  der  Voronoi'schen  Arbeit  Siir 
une  fonction  tramcendante  et  ses  applications  ä la  sommaüon  de 
quelques  S(ries^),  S.  497,  Z.  3 v.  u.  Voronoi  hat  aber  nicht 
bemerkt,  daß  der  lange  direkte  Beweis  von  (2)  in  seiner  anderen 
Arbeit  (aus  Grelles  Journal)  durch  die  obige  kurze  Schluß- 
weise von  (18)  aus  ersetzt  werden  kann;  die  von  mir  ver- 
wandten asymptotischen  Abschätzungen®)  der  Funktionen  H{;tv) 
und  iif^*^(tt)  kommen^)  in  jener  Arbeit  (aus  den  Annales  de 
l’Ecole  Normale)  vor,  soweit  es  sich  um  seinen  Fall  k = 2 handelt. 

Göttingen,  den  21.  Juni  1915. 


1)  Der  Leser,  welcher  die  gliedweise  Übereinstimmung  beider  For- 
meln verifizieren  will,  muß  sich  z.  B.  durch  Anwendung  des  C au chy sehen 
Satzes  davon  überzeugen,  daß  (für  Ic  = 2)  mein  H{w)  gleich  — 2.'ri  mal 
der  Residuensumme  des  Integranden  in  den  Polen  1,  3,  5,  . . . ist,  und 
daß  diese  Residuensumme 
. » „>2A4-3 


log?c  + 2C- 


ist,  also  in  Vorono’ischer  Bezeichnung  = 


1 + 2 + - 


+ 


2I+3 


)) 


sdsW  — VsW). 


2)  Annales  scientifiques  de  l’Ücole  Normale  superieure,  Ser.  III, 
Bd.  XXI  (1904),  S.  207— 2G7  und  S.  459—533. 

*)  Nicht  etwa  die  Fassung  des  obigen  Hilfssatzes  5 und  seine  An- 
wendung, worin  gerade  mein  (der  Pfeifferschen  Methode  entnommener) 
Ausgangspunkt  besteht. 

Ü Wenn  man  den  in  der  drittletzten  Fußnote  angedeuteten  Über- 
gang von  J{{ic)  zu  Vorono'is  Funktionen  hinzunimmt. 


329 


Senkungserscheinungen  an  der  Frauenkirche  in 
München  und  Lageändsrnng  von  Hanptdreiecks- 
punkten  in  Südbayern. 

Von  M.  Schmidt 

mit  1 Tafel. 

Vorgetragen  in  der  Sitzung  am  6.  November  1915. 

Im  Jahre  1914  ist  an  dieser  Stelle  über  die  Ergebnisse  der 
Untersuchung  von  regionalen  und  lokalen  Bodensenkungen  im 
oberbayerischen  Alpenvorland  auf  Grund  geometrischer  Höhen- 
messungen durch  Feinnivellements  berichtet  worden,  die  im 
Bereich  der  Inn-Salzachplatte  zur  Ausführung  gekommen  sind. 

Für  den  Abschluß  dieser  Arbeiten  schien  eine  Verbindung 
der  bisherigen  Nivellements  mit  einigen  außerhalb  des  unter- 
suchten Gebietes  gelegenen,  zuverlässigen  Haupthöhenpunkten 
des  bayerischen  Präzisionsnivelleraents  und  eine  Weiterführung 
derselben  bis  München  erforderlich. 

Diese  schon  im  vergangenen  Herbst  in  Aussicht  genom- 
menen Arbeiten  erlitten  durch  den  Ausbruch  des  Krieges  eine 
unerfreuliche  Verzögerung  und  konnten  erst  in  diesem  Jahre 
wieder  aufgenommen  werden. 

Sobald  es  die  Witterungsverhältnisse  im  Frühjahr  erlaubten, 
wurden  einige  im  Stadtbezirk  von  München  gelegene,  für  den 
Nivellementsanschluß  in  Aussicht  genommene  ältere  Haupt- 
höhenpunkte des  Präzisionsnivellements  auf  ihre  Unveränder- 
lichkeit sorgfältig  geprüft. 

Hiebei  kamen  die  folgenden,  in  der  Veröffentlichung  „Das 
Präzisionsnivellement  in  Bayern  rechts  des  Rheins, 

Sitzungsb.  d.  math.-phys.  Kl.  Jahrg.  1915.  22 


330 


M.  Schmidt 


München  1893“  unter  den  beigesetzten  laufenden  Nummern 
aufgeführten  Höhenpunkte  in  Betracht,  welchen  noch  die  zur 
Benützung  für  spätere  Anschlüsse  am  Friedensdenkmal  auf  der 
Prinzregenten-Terrasse  neu  festgelegten  vier  Punkte  beigefügt 
sind,  die  noch  keine  laufenden  Nummern  erhalten  konnten.  Um 
die  seit  der  erstmaligen  Nivellierung  der  älteren  Punkte  ein- 
getretenen Höhenänderungen  auf  einen  Blick  übersehen  zu 
können,  sind  den  bisher  für  sie  geltenden  Höhen  über  N.N., 
die  in  erster  Linie  stehen,  die  entsprechenden  neu  ermittelten 
Werte  und  die  Unterschiede  beider  beigefügt  worden. 

Die  Punkte  Nr.  1533,  1537,  1548,  1316,  1319  sind  wie  die 
Mehrzahl  der  Hauptfestpunkte  des  Präzisionsnivellements  durch 
10  cm  lange  und  2 cm  starke  Messingbolzen  mit  Vorgesetzten 
gußeisernen  Höhenschildern  bezeichnet. 

Bei  den  unter  Nr.  1321,  1322,  2434,  2435  erwähnten 
Pfeilern  gilt  die  angegebene  Höhe  für  die  wagrecht  abge- 
glichene Oberfläche.  Den  Punkt  Nr.  1540  bezeichnet  eine 
durch  ein  Quadrat  von  10  cm  Seitenlänge  begrenzte  Steinfläche. 
Die  Punkte  am  Friedensdenkmai  sind  durch  kleine,  5 cm  lange 
und  2 cm  starke,  mit  Bleiringen  gut  eingestemmte  Bronze- 
bolzen mit  abgerundeten  Köpfen  festgelegt,  auf  welche  ebenso 
wie  auf  die  Pfeileroberflächen  und  die  Steinmarke  die  Nivellier- 
latten unmittelbar  aufgesetzt  werden. 

Zwischen  den  in  der  nachstehenden  Tabelle  angeführten 
Punkten  ist  in  den  Monaten  April,  Mai  und  September  1915 
durch  die  in  der  Ausführung  von  Feinnivellements  seit  Jahren 
geübten  Beamten  des  Geodätischen  Instituts  der  K.  Technischen 
Hochschule  mit  einem  dem  genannten  Institute  gehörenden, 
von  der  Firma  Karl  Zeiß  in  Jena  gefertigten,  für  Feinnivelle- 
ments von  höchster  Genauigkeit  bestimmten  Nivellierinstrument 
mit  biaxialem  Fernrohr  und  zwei  von  derselben  Firma  bezogenen 
Präzisionsnivellierlatten  mit  Invarbandteilung  ein  Verbindungs- 
nivellement in  beiden  Richtungen  ausgeführt  worden,  dessen 
Genauigkeitsgrad  durch  den  dabei  erreichten  mittleren  zufälligen 
Kilometerfehler  von  ± 0,4  mm  gekennzeichnet  ist. 

Als  Ausgangspunkt  diente  der  an  einem  Mauerpfeiler  der 


Senkungserscheinungen  an  der  Frauenkirche  in  München.  »331 


Tabelle  I. 

Nivellementsanschlusspunkte  in  und  bei  München. 


Nr. 

Höhen 

über 

N.N. 

ni 

Unter- 

schied 

mm 

Art  und  Lage  des  Höhenpunktes 

1533 

525,3893 

525,3873 

— 2,0 

O J3etriebshauptgebäude  in  Feldkirchen, 
Bahnseite. 

1537 

532,9458 

— 

O Güterhalle  in  München-Ostbahnhof, 
Bahnseite,  Mittelbau,  südöstlicher  Pfeiler. 

1540 

523,9414 

523,9397 

— 1,7 

Q Eiserne  Fachwerksbrücke  der  München-Brau- 
nauer  Eisenbahn  über  die  Isar  in  Giesing, 
südöstl.  Widerlager. 

1548 

529,0621 

529,0596 

— 2,5 

O Stationshaus  in  Trudering,  Nordseite, 
neben  dem  Expeditionseingang. 

1321 

514,8467 

514,8451 

— 1,6 

V Polierte  Oberfläche  des  südl.  Komparator- 
pfeilers iin  Hofe  der  K.  Technischen 
Hochschule. 

1322 

514,6702 

514,6708 

+ 0,6 

V Polierte  Oberfläche  des  nördl.  Komparator- 
pfeilers im  Hofe  der  K.  Technischen 
Hochschule. 

2434 

529,0203 

529,0112 

— 9,1 

X.  Oberfläche  des  ovalen  Beobachtungspfeilers 
im  großen  Meridiansaal  der  K.  Sternwarte 
in  Bogenhausen. 

2435 

535,5378 

535,5295 

— 8,3 

V Oberfläche  des  Pfeilers  unter  der  westlichen 
Kuppel  derK.  Sternwarte  in  Bogenhausen. 

1316 

519,2605 

519,2498 

— 10,7 

O Gebäude  derK.  Staatsschuldentilgungs- 
kasse rechts  vom  Eingang  am  Lenbach- 
platz. 

1319 

519,3850 

519,3773 

— 7,7 

©Frauenkirche,  nördl.  Turm,  südl.  Wand 
neben  dem  Turmaufgang. 
Friedensdenkmal  auf  der  Prinzregenten- 
terrasse, 2.  Sockelstufe; 

NWE 

523,4024 

— 

Iff  nordwestl.  Ecke, 

SWE 

523,4085 

— 

Io.  südwestl.  Ecke, 

SOE 

523,4202 

J südöstl.  Ecke, 

NOE 

523,4199 

Tj]  nordöstl.  Ecke. 

22’ 


332 


M.  Schmidt 


massiv  aus  Ziegelsteinen  gebauten  großen  Güterhalle  in  München 
O.-Bhf  durch  einen  mit  Höhenschild  gedeckten  Messingbolzen 
versicherte  Haupthöhenpunkt  Nr.  1537,  dessen  Höhenlage  sich 
durch  die  in  den  Jahren  1913  und  1915  von  vorgenannten 
Beobachtern  in  beiden  Richtungen  nach  den  beiderseits  auf  der 
Bahnlinie  München-Braunau  gelegenen,  4,4  bzw.  4,0  km  ent- 
fernten Nachbarpunkten  Nr.  1540  und  1548  und  nach  dem  auf 
der  Bahnstrecke  nach  Mühldorf  9,6  km  von  München  O.-Bhf 
entfernten  Punkt  Nr.  1533  ausgeführten  Feinnivellements  als 
unverändert  erwiesen  hatte. 

Gegenüber  der  im  Jahre  1872  vorgenommenen  erstmaligen 
Nivellierung  dieser  vier  Punkte  ergab  das  wiederholte  Nivelle- 
ment nur  Abweichungen  von  — 1,7  bis  — 2,5  mm,  welche 
innerhalb  der  Grenzen  der  zulässigen  Nivellierfehler  liegen. 
Es  kann  daher  die  Höhenlage  aller  vier  Punkte  als  unverändert 
angesehen  werden. 

Als  besonders  zuverlässig  und  für  den  Anschluß  weiterer 
Nivellements  geeignet,  erscheint  der  auf  dem  südöstlichen 
Widerlager  der  Isarbrücke  durch  eine  in  Granit  gehauene 
Steinmarke  festgelegte  Punkt  Nr.  1540. 

Die  im  Jahre  1868  ausgeführte  Gründung  der  Brücke,  auf 
welcher  die  München -Braunauer  Bahn  die  Isar  südlich  von 
München  überschreitet,  ist  in  den  Technischen  Mitteilungen 
über  den  Bau  der  K.  B.  Staatseisenbahnen  von  Oberingenieur 
Schnorr  v.  Carolsfeld  in  der  Zeitschr.  des  Bayer.  Architekten- 
u.  Ing.-Vereins,  III.  Bd.,  1871,  S.  85  ff.  eingehend  beschrieben. 

Hiernach  ist  die  Beschaffenheit  des  Untergrundes  dieses 
Bauwerkes  durch  Anwendung  des  Erdbohrers  untersucht  worden. 
Die  Bohrungen  ergaben  bis  3 m Tiefe  lockeren  Kies,  sodann 
eine  3 bis  3,5  m mächtige  Sandschicht,  welche  so  fest  gelagert 
ist,  daß  sie  dem  Eindringen  der  mit  der  Kunstramme  geschla- 
genen Pfähle  ein  fast  absolutes  Hindernis  entgegenstellte.  Dar- 
unter erreichte  die  Bohrung  den  Flinz,  jenes  sandig-mergelige 
Gebilde,  welches  als  alter  Meeresboden  in  einer  bisher  noch 
nicht  ergründeten  Mächtigkeit  das  ganze  südliche  Bayern  durch- 
zieht. Die  Bohrungen  wurden  in  diesem  Material  auf  unge- 


Senkiingserscheinun^en  an  der  Frauenkirche  in  München. 


333 


fahr  15m  Tiefe  geführt.  Die  Flinzmasse  zeigte  sich  als  ganz 
gleichartig,  nur  die  oberen  Schichten  waren  etwas  blätterig 
gefügt  und  weniger  gebunden  als  die  tieferen. 

Da  die  Widerlager  durch  Hochwasserdämrae  und  Ufer- 
deckwerke vor  jeder  Unterspülung  geschützt  sind,  konnte  ein 
Teil  der  festen  Sandlage  unbedenklich  unter  den  von  Spund- 
wänden eingeschlossenen,  2 m mächtigen  Betonfundamenten 
belassen  werden.  Das  Mauerwerk  besteht  von  der  Betonober- 
fläche bis  zur  Bodengleiche  aus  Nagelfluhquadern  und  darüber 
aus  Granit,  welcher  auch  die  Abdeckung  der  Widerlager  bildet 
und  keinerlei  Spuren  von  Abwitterung  bemerken  läßt.  Die  auf 
einem  der  Decksteine  angebrachte  Steinmarke  ist  daher  unbe- 
denklich als  sicherer  Anschlußpunkt  benützt  worden. 

Die  Höhenpunkte  Nr.  1321  und  Nr.  1322  werden  durch 
die  wagrecht  abgeschliffenen  Oberflächen  zweier  im  Abstand 
von  160  m erbauten  „Komparatorpfeiler“  gebildet,  die  ursprüng- 
lich zur  Festlegung  einer  unveränderlichen  Streckenlänge  für 
die  Abgleichung  geodätischer  Längenmaße  bestimmt  waren. 

Die  Pfeiler  liegen  am  westlichen  Rande  der  den  Hofraum 
der  K.  Technischen  Hochschule  in  der  Nordsüdrichtung  durch- 
ziehenden Fahrstraße  und  sind  rund  5 m von  den  Fluchtlinien 
der  nächsten  Gebäude  entfernt.  Sie  sind  bis  zur  Bodengleiche 
in  den  aus  sandigem  Schotter  bestehenden  Boden  versenkt  und 
durch  verschließbare  gußeiserne  Schutzkästen  überdeckt.  Die 
unterste,  auf  den  in  6 m Tiefe  anstehenden  festen  Flinz  auf- 
gesetzte Fundamentabteilung  der  Pfeiler  wird  durch  einen  1,6  m 
hohen  und  ebenso  starken  Betonzylinder  gebildet.  Auf  diesen 
folgt  ein  vierseitiges  Prisma  von  3 m Höhe  und  1,1  m Geviei't- 
seite  aus  Ziegelmauer  werk,  das  mit  einem  Werkstück  aus  Granit 
von  0,5  m Höhe  und  1 qm  Querschnittsfläche  abgedeckt  ist. 

Den  Kopf  der  Pfeiler  bildet  ein  Syenitblock  von  0,7  m 
Höhe  und  quadratischer  Grundfläche  von  0,6  m Seitenlänge. 
Die  Oberflächen  dieser  Blöcke  tragen  in  der  Mitte  eingesetzte 
Bronzekegel,  deren  Achsen  die  Komparatorlänge  begrenzen. 

Bei  der  Auswahl  von  Hauptfestpunkten  für  das  Präzisions- 
nivellement sind  die  polierten  Oberflächen  dieser  Pfeilerköpfe 


334 


M.  Sebniidt 


als  besonders  zuverlässige  Höbenpunkte  betrachtet  und  seither 
vor  jeder  Veränderung  sorgfältig  bewahrt  worden.  Ihre  Höhen- 
lage hat  sich  seit  ihrer  ersten  Nivellierung  im  Jahre  1870  durch 
die  später  vorgenommenen  Kanalisations-  und  Gründungsarbeiten 
bei  der  Herstellung  umfangreicher  Neubauten,  die  in  neuerer 
Zeit  auf  dem  Gelände  der  Technischen  Hochschule  in  der  Nähe 
der  Pfeiler  ausgeführt  worden  sind,  nicht  geändert. 

Die  Punkte  Nr.  2434  und  2435  sind  ebenfalls  durch  die 
wagrechten  Oberflächen  zweier  zur  Aufstellung  astronomischer 
Instrumente  bestimmter,  bereits  im  Jahre  1818  erbauter  Stein- 
pfeiler festgelegt,  die,  um  ihrem  Zweck  zu  entsprechen,  be- 
sonders sorgfältig  gegründet  worden  sind.  Soviel  bekannt  ist, 
wurden  an  diesen  Pfeilern  seit  ihrer  Erbauung  keinerlei  Ver- 
änderungen vorgenommen.  Durch  die  Achse  des  unter  der  West- 
kuppel stehenden  Pfeilers  ist  zugleich  der  Hauptdreieckspunkt 
der  Landesvermessung  „München-Sternwarte“  festgelegt. 

Auch  gegen  die  Zuverlässigkeit  der  Höhenmarken  Nr.  1316 
und  1319  am  Gebäude  der  Staatsschuldenverwaltung  und  am 
Nordturm  der  Frauenkirche  bestanden  bisher  keine  Bedenken, 
weshalb  auch  diese  Punkte  für  den  Anschluß  der  neuerdings 
in  Oberbayern  zur  Ausführung  gebrachten  Feinnivelleraents 
beigezogen  werden  sollten. 

Das,  wie  bereits  bemerkt,  bei  der  Höhenmarke  Nr.  1537 
an  der  Güterhalle  im  O.-Bhf  München  beginnende  Nivellement 
wurde  über  den  Prinzregentenplatz  gegen  Nord -West  durch 
die  äußere  Prinzregentenstraße,  über  die  das  Friedensdenkmal 
der  Stadt  München  tragende  Prinzregenten-Terrasse  und  durch 
die  Prinzregent-Luitpoldstraße  bis  zur  Technischen  Hochschule 
an  der  Arcisstraße  geführt  und  besitzt  in  seiner  Hauptlinie  eine 
Länge  von  5,5  km.  Von  der  Prinzregenten-Terrasse  aus  läuft 
in  nordöstlicher  Richtung  die  1,6  km  lange  Abzweigung  nach 
der  Sternwarte  in  Bogenhausen.  Ein  2,2  km  langer  weiterer 
Zweig  führt  von  der  Technischen  Hochschule  aus  in  südöst- 
licher Richtung  nach  dem  Gebäude  der  Staatsschuldenverwal- 
tung am  Lenbachplatz  und  nach  der  Frauenkirche. 

Am  Friedensdenkmal  (s.  d.  Abb.),  welches  in  seinem  sicht- 


Senkungserscheinungen  an  der  Frauenkirche  in  München.  335 


F riedensdenkmal. 


336 


ScliuiicU 


baren  Hauptteil  aus  einer  mächtigen  Steinsäule  besteht,  die  auf 
ihrem  Kapitäl  einen  vergoldeten  Friedensengel  trägt,  sind  als 
feste  Höhenpunkte  in  den  vier  Ecken  der  zweiten  Stufe  des 
aus  Muschelkalkquadern  hergestellten  Unterbaues  kurze  Bronze- 
bolzen mit  abgerundeten  Köpfen  eingesetzt  und  durch  ein- 
gestemmte Bleiringe  befestigt  worden,  die  ein  unmittelbares 
Aufsetzen  der  Nivellierlatte  gestatten.  Diese  Höhenpunkte  ver- 
sprechen eine  dauernde  Unveränderlichkeit,  da  sie  den  gleichen 
behördlichen  Schutz  wie  das  sie  tragende  monumentale  Bau- 
w'erk  genießen  und  durch  die  sorgfältige  Gründung  des  mas- 
sigen Denkmals  gegen  Höhenanderungen  gesichert  sind. 

Das  unterste  Fundament  des  Bauwerks  bildet  eine  Ilm  im 
Geviert  messende,  1,5  m starke  Betonplatte,  welche  15  m unter 
der  Terrassenoberfläche  in  die  auch  hier  den  festen  Untergrund 
bildende  Flinzschicht  eingebettet  ist.  Auf  dieser  Grundplatte 
bauen  sich  mächtige,  durch  Gewölbe  verbundene  Pfeilerstel- 
lungen auf,  welche  auf  einer  Plattform  den  aus  drei  Stufen  von 
0,85  m Breite  und  0,55  m Höhe  gebildeten  Unterbau  des  eigent- 
lichen Denkmals  tragen.  In  die  Mitte  der  diagonal  laufenden 

O O 

Gratlinien  der  1,81  m langen  und  1,42  m breiten  Eckquadern 
der  mittelsten  Stufe  sind  die  vier  Festlegungsbolzen  dei'art  ein- 
gesetzt, daß  sie  dem  Beschauer  des  Denkmals  nicht  in  die 
Augen  fallen. 

Zu  den  in  Tabelle  1 zusammengestellten  Nivellements- 
ergebnissen ist  noch  zu  bemerken,  daß  nach  denselben  außer 
den  Anschlußpunkten  Nr.  1533,  1537,  1540  und  1548  nur  noch 
die  Punkte  Nr.  1321  und  1322  an  den  Komparatorpfeilern  der 
Technischen  Hochschule  bis  auf  kleine  den  unvermeidlichen 
Beobachtungsfehlern  zuzuschreibende  Unterschiede  in  ihrer  Höhe 
unverändert  geblieben  sind. 

Was  die  scheinbaren  Änderungen  der  Punkte  Nr.  2434 
und  2435  auf  den  Pfeilern  der  Sternwarte  in  Bogenhausen 
anlangt,  so  ist  im  Jahre  1874  nach  B.  M.  IV,  S.  22  der  Höhen- 
unterschied zwischen  der  Steinmarke  □ 1535  am  Sockel  der 
Signalglockensäule  (Läutebude)  bei  Bahnwärterposten  Ni-.  10 
der  Münch en-Simbacher  Bahnlinie  und  der  Oberfläche  des  ovalen 


Senkungserscheinungen  an  der  Frauenkirche  in  München.  337 

Beobachtungspfeilers  im  Meridiansaal  der  Sternwarte  -j-  7,0312  m 
gewesen;  im  Jahre  1915  ist  derselbe  aber  vom  Anschlußpunkt 
Nr.  1537  aus  durch  Neumessung  um  9,1  mm  gröiser  gefunden 
worden.  Die  Länge  der  zwischen  den  erstgenannten  beiden 
Punkten  liegenden  Nivellementsstrecke  beträgt  3,81  km. 

Nach  den  älteren  im  Jahre  1874  geltenden  internationalen 
Bestimmungen  sollte  bei  Feinnivellements  der  wahrscheinliche 
Kilometerfehler  3,0  mm  und  der  mittlere  Fehler  4,5  mm  nicht 
überschreiten.  Für  3,81  km  Streckenlänge  wird  dieser  Grenz- 
■wert  4,5  • V 3,81  = 8,8  mm.  Die  vorliegende  Abweichung  von 
9,1  mm  liegt  daher  ganz  nahe  an  der  zulässigen  Fehlergrenze 
und  kann  durch  zufällige  Beobachtungsfehler  im  älteren  Nivelle- 
ment genügend  erklärt  werden.  Eine  Senkung  der  beiden  Be- 
obachtungspfeiler der  Sternwarte  ist  auch  deshalb  nicht  anzu- 
nehmen, weil  sich  ihre  relative  Höhe  völlig  unverändert  er- 
halten hat. 

Letztere  betrug  6,5175  m nach  der  Me.ssung  im  Jahre  1874 
und  6,5183  m nach  jener  vom  Jahre  1915.  Dieser  Wert  ist 
das  Mittel  aus  zwei  von  verschiedenen  Beobachtern  mit  zwei 
übereinander  gestellten  Nivellierlatten  unter  Berücksichtigung 
der  Lattenkorrektionen  ausgeführten  Messungen,  die  bis  auf 
0,4  mm  übereinstimmen.  Nebenbei  mag  noch  bemerkt  werden, 
daß  der  im  Jahre  1874  benutzte  Ausgangspunkt  des  Nivelle- 
ments nach  der  Sternwarte,  der  am  Sockel  einer  z.  Z.  nicht 
mehr  vorhandenen  Läutehude  angebracht  war,  nicht  als  zuver- 
lässig betrachtet  werden  darf.  Eine  kleine  Senkung  desselben 
ist  bei  der  nur  oberflächlichen  Gründung  der  Sockelmauer  der 
Läutebude  in  der  Zeit  zwischen  der  Nivellierung  der  München- 
Simbacher  Bahnlinie  im  Jahre  1872  und  der  Ausführung  des 
Nivellements  nach  der  Sternwarte  im  Jahre  1874  nicht  unwahr- 
scheinlich. 

Da  die  fragliche  Läutebude  inzwischen  bei  Umbauten  an 
genannter  Bahnlinie  beseitigt  werden  mußte,  läßt  sich  eine 
Veränderung  der  Höhe  der  Steinmarke  nicht  mehr  feststellen. 
Die  neu  bestimmten  Höhen  der  Oberflächen  der  beiden  Pfeiler 


338 


M.  Schmidt 


der  Sternwarte  Nr.  2434  und  2435  können  dagegen  nunmehr 
als  sicher  und  unveränderlich  betrachtet  werden. 

Für  die  Höhenmarke  Nr.  1316  an  dem  im  Jahre  1869 
errichteten  Gebäude  der  Staatsscbuldenverwaltung  am  Lenbach- 
platz  hat  die  Neumessung  eine  Senkung  von  10,7  mm  ergeben. 
Die  Höhenmarke  ist  am  rechtsseitigen  Pfeiler  des  den  Haupt- 
eingang des  Gebäudes  bildenden  Torwegs  angebracht  und  be- 
steht aus  einem  in  der  Achse  durchbohrten  Bronzebolzen 
mit  Vorgesetztem  gußeisernen  Höhenschild  mit  der  Aufschrift 
„Höhenmarke“. 

Die  Außenwand  des  Gebäudes  steht  hart  am  Rande  eines 
alten,  jetzt  ausgefüllten  und  überbauten  Stadtgrabens,  dessen 
Verlauf  aus  älteren  Stadtplänen  zu  ersehen  ist.  Auf  die  Flügel 
des  Gebäudes  sind  zwei  Stockwerke,  auf  den  mittleren  Teil 
über  dem  Torweg  dagegen  drei  Stockwerke  aufgebaut,  wodurch 
eine  stärkere  Belastung  der  Außenmauern  im  mittleren  Teil 
des  Gebäudes  gegenüber  den  Flügelbauten  bedingt  ist. 

Die  nähere  Besichtigung  des  Inneren  des  Gebäudes  ergab, 
daß  die  den  Torweg  an  der  rechten  Seite  begrenzende  Quer- 
wand von  der  Hauptmauer  durch  offene  Spalten  getrennt  ist. 
Solche  sind  auch  im  Kellergeschoß  an  den  Gewölbekappen 
sichtbar  und  durchsetzen  im  Erdgeschoß  die  Sohlbank  sowie 
den  Sturz  einer  Fensteröffnung,  welche  sich  in  der  Querwand 
hinter  dem  die  Höhenmarke  tragenden  Torpfeiler  vorfindet. 
Zur  Zeit  der  Besichtigung  waren  eben  Maurer  damit  beschäf- 
tigt, diese  Spalten  mit  Mörtel  zu  verstreichen.  Es  wird  also 
später  leicht  fe.stzustellen  sein,  ob  sich  diese  Spalten  wieder 
öffnen  und  die  Senkung  der  Mauern  weiter  fortschi-eitet.  Jeden- 
falls kann  die  erwähnte  Höhenmarke  nicht  als  zuverlässig  be- 
trachtet werden. 

Der  an  der  Südwand  des  Nordturms  der  Frauenkirche 
angebrachte,  durch  einen  Bronzebolzen  mit  Vorgesetztem  Höhen- 
schild versicherte  Hauptfestpunkt  Nr.  1319  bildet  den  End- 
punkt des  im  Herbst  des  Jahres  1870  ausgeführten  Nivelle- 
ments der  Bahnlinie  Augsburg-München  und  besteht  nunmehr 
seit  45  Jahren. 


Senkungserscheinungen  an  der  Frauenkirche  in  München.  339 

Seine  Verbindung  mit  dem  durch  die  Spitze  des  genannten 
Turmes  festgelegten  Normalpunkt  der  bayer.  Landesvermessung 
und  seine  Verwendung  als  Ausgangspunkt  des  in  den  Jahren 
1892  bis  1894  durch  den  Observator  der  K.  B.  Erdmessuncrs- 

O 

kommission  Dr.  Carl  Oertel  ausgeführten  Präzisionsnivellements 
der  Kgl.  Haupt-  und  Residenzstadt  München  verleiht  diesem 
Punkt  eine  besondere  Wichtigkeit. 

Die  kürzlich  ausgeführte  Neumessung  der  Höhenlage  dieses 
Punktes  hat  in  unerwarteter  Weise  eine  Senkung  desselben 
von  7,7  mm  ergeben. 

Da  diese  Höhenänderung  nicht  gut  ohne  eine  Senkung 
des  ganzen  Turms  denkbar  ist,  wurde  eine  eingehende  Unter- 
suchung über  die  Entstehungsweise  dieser  Senkung  gepflogen. 
Die  enorme  Belastung  des  Baugrundes  durch  die  Mauerwerks- 
raassen  der  Kirche  und  insbesondere  der  beiden  über  der  Boden- 
gleiche rund  98  m hohen  mächtigen  Türme  ließ  vermuten,  daß 
neben  der  Senkung  auch  eine  Abweichung  der  Turmachsen 
von  ihrer  lotrechten  Stellung  und  eine  entsprechende  Lage- 
änderung der  Turmspitzen  eingetreten  sein  könne,  was  mit 
Rücksicht  auf  die  Benützung  der  Spitze  des  Nordturms  als 
Ursprungspunkt  des  Koordinatensystems  der  Landesvermessung 
von  großer  Bedeutung  sein  würde. 

Die  Längsachse  der  Frauenkirche^)  ist  ziemlich  genau  von 
Ost  nach  West  gerichtet.  Eine  durch  die  Mitte  der  auf  der 
Westseite  der  Kirche  angebauten  Türme  gelegte  Vertikalebene 
entspricht  der  Querachse  der  Kirche  und  verläuft  in  der  Nord- 
südrichtung. Zur  Untersuchung  der  lotrechten  Stellung  der 
Türme  ist  zunächst  in  einem  68  m westlich  vom  Nordturm  auf 
der  Gehbahn  der  Augustinerstraße  au-sgewählten  Standort  ein 
Theodolit  mit  seitlichem  Fernrohr  aufgestellt  und  mit  diesem 
in  beiden  Fernrohrlagen  die  Mitte  zwischen  den  obersten  Enden 
der  Kanten  der  Türme,  welche  von  halber  Höhe  ab  bis  unter 

1)  Ausführliche  Angaben  über  die  Frauenkirche,  besonders  in  kunst- 
historischer Beziehung,  finden  sich  in  dem  umfangreichen  Werk  ,Die 
Domkirche  zu  Unserer  Lieben  Frau  in  München“,  aus  den  Quellen  dar- 
gestellt von  Anton  Mayer,  Benefiziat  der  Dorakirche.  München  1869. 


340 


M.  Schmidt 


die  Hauben  die  Gestalt  von  achtseitigen  Prismen  besitzen,  bis 
auf  die  Pflasterhöhe  am  Fuß  der  Türme  projiziert  worden. 

Die  Projektion  fällt  bis  auf  einzelne  Zentimeter  genau  mit 
der  Mitte  zwischen  den  Sockelkanten  der  Westseite  der  Türme 
zusammen.  Eine  seitliche  Abweichung  der  Turmachsen  von  der 
Mitte  des  Sockelmauerwerks  am  Fuße  der  Türme  ist  somit  in 
nordsüdlicher  Richtung  nicht  nachweisbar. 

In  gleicher  Weise  wurde  die  Untersuchung  der  Stellung 
der  Vertikalachse  der  beiden  Türme  in  zwei  auf  der  Nord-  und 
Südseite  der  Türme  in  42  bzw.  23,5  m Abstand  vom  Sockel 
gewählten  Theodolitständen  ausgeführt. 

ln  diesen  Standorten  waren  weder  die  Turmspitzen  über  dem 
Knopf  noch  die  Helmstangen  sichtbar,  da  sie  durch  die  Wölbung 
der  Turmhauben  verdeckt  sind.  Es  wurden  daher  die  inneren 
Strebepfeilerkanten  des  Turmmauerwerks,  deren  Verlauf  in 
den  Abbildungen  zu  ersehen  ist,  beiderseits  der  Mittellinien 
der  Türme  in  fünf  verschiedenen  Höhen  von  28 — 42 — 57 — 68 
und  85  m mit  dem  vertikalen  Faden  in  beiden  Fernrohrlagen 
eingestellt  und  durch  Kreisahlesungen  die  Abweichungen  der 
Mauerkanten  in  diesen  Höhen  von  der  durch  die  Mitte  des 
Sockelmauerwerks  der  beiden  Türme  laufenden  Vertikalen  be- 
stimmt. Eine  einfache  Rechnung  ergab  die  in  die  Abbildung 
der  Nordseite  der  Frauenkirche  eingeschriebenen  Maße. 

Nach  diesen  Maßen  ist  die  Achse  des  unteren  Teiles  des 
Nordturms  bis  zu  42  m Höhe  um  etwa  8 Minuten  nach  Westen 
geneigt  und  verläuft  von  dieser  Höhe  ab  bis  zum  obersten 
Mauerkranz  unter  der  Haube  nahezu  lotrecht.  Die  Mitte  des 
oberen  Endes  der  den  Knopf  des  Turmes  tragenden  Helrastange 
liegt  nach  einer  im  Dezember  1909  von  Dr.  M.  Näbauer  aus- 
geführten Einmessung  7 cm  südlich  und  3 cm  östlich  vom 
geometrischen  Mittelpunkt  des  die  Turmstube  begrenzenden 
Mauerpolygons.  Dieser  letztere  Punkt  ist  in  der  Abbildung  als 
das  oberste  Ende  der  Turmachse  angenommen  worden.  Für  den 
Südturm  ist  diese  Einmessuug  nicht  erfolgt  und  deshalb  die  Lage 
des  Knopfes  in  der  Zeichnung  auch  nicht  angegeben  worden. 
Beiläufig  dieselbe  Neigung  wie  die  Achse  des  Nordturms  zeiget 


Senkungserscheinungen  an  der  Frauenkirche  in  München.  341 


Frauenkirche  von  Norden, 


AcAse  des  Sudtur/ns 


342 


M.  Schmidt 


die  Achse  des  Südturms  bis  zur  Höhe  von  57  m,  um  von  hier 
ab  ebenfalls  in  eine  nahezu  lotrechte  Stellung  überzugehen. 

Eine  Erklärung  dieser  Erscheinung  liefert  die  Annahme, 
dal3  während  des  Aufbaues  der  Türme  bis  zur  Höhe  von  42  m 
bzw.  57  m infolge  der  zunehmenden  Belastung  des  Baugrundes 
Senkungen  desselben  stattgefunden  haben,  die  nach  Erreichung 
der  angegebenen  Turmhöhen  zum  Stillstand  gelangt  sind,  so 
dalä  bei  der  Fortsetzung  des  Aufbaues  die  oberen  Teile  der 
Türme  keine  Störungen  in  ihrer  lotrechten  Stellung  mehr  er- 
litten haben. 

Bei  der  großen  Gleichförmigkeit  in  der  Lagerung  der  auch 
hier  den  Untergrund  bildenden  Flinzschichten  war  zu  erwarten, 
daß  die  eingetretenen  Senkungen  sich  auch  auf  das  SchitF  der 
Kirche  ausgedehnt  und  auch  an  diesem  Neigungsänderungen 
von  ursprünglich  wagrecht  gerichteten  Gesimslinien  hervor- 
gerufen haben  könnten. 

Für  eine  derartige  Untersuchung  eignet  sich  das  in  bei- 
läufig 4 m Höhe  über  dem  Pflaster  rund  um  das  Schiff  der 
Kirche  laufende,  die  Fensteröffnungen  nach  unten  abschlie- 
ßende Sohlbankgesimse.  Die  Unterkante  der  Wassernase  dieses 
Gesimses  ist  in  ihrem  größten  Teil  gut  erhalten  und  durch 
Abwitterung  nur  au  wenigen  Stellen  beschädigt,  so  daß  ein 
Nivellement  der  ursprünglich  von  den  Erbauern  der  Kirche 
mit  Bleiwage  und  Setzlatte  wagrecht  abgeglicheuen  Gesims- 
linie gute  Anhaltspunkte  für  eine  etwaige  nachträgliche  Sen- 
kung der  Umfassungsmauern  der  Kirche  geben  muß.  Diese 
Erwartung  hat  sich  erfüllt,  wie  das  in  der  auf  Seite  341  bei- 
gefügten Abbildung  der  Kirche  eingetragene  Längenprofil  der 
genannten  Linie  erkennen  läßt. 

Die  mittlere  Neigung  der  Sohlbankgesimslinie  auf  der 
Südseite  der  Kirche  beträgt  nach  unseren  Messungen  etwa 
6 Minuten.  Sie  ist  beiläufig  von  derselben  Größe  und  verläuft 
im  gleichen  Sinn  wie  die  Abweichung  des  unteren  Teiles  der 
Turmachsen  von  der  lotrechten  Stellung.  Die  nördliche  Ge- 
simslinie zeigt  denselben  allgemeinen  Charakter,  doch  macht 
sich  neben  dem  ersten  Seiteneingang  auf  der  Nordseite  der 


Senkungserscheinungen  an  der  Frauenkirche  in  München.  343 

Kirche  in  ihrem  stetigen  Verlauf  eine  Knickung  nach  oben 
bemerkbar,  die  nicht  etwa  als  Messungsfehler  erklärt  werden 
kann,  wie  eine  Nachprüfung  der  Richtigkeit  der  Messung 
zeigte. 

Die  an  den  Türmen  sowie  an  den  Langwänden  des  Kirchen- 
schiffes nachgewie.senen  Neigungsänderungen  müssen  wohl  durch 
Nachgeben  des  Untergrundes  bei  zunehmender  Belastung  durch 
die  aufgebrachten  Mauerwerksmassen  entstanden  sein. 

Daß  diese  Senkung  keine  gleichmäßige  ist,  sondern  nach 
Westen  hin  an  Grröße  zunimmt,  erklärt  sich  aus  der  einsei- 
tigen Belastung  des  Baugrundes  durch  die  an  der  Westseite 
der  Kirche  angebauten  mächtigen  Türme.  Den  Anlaß  zu  der 
in  der  Neuzeit  beobachteten  geringen  Senkung  der  Höhen- 
marke am  Nordturm  dürften  die  in  den  letzten  Jahrzehnten 
auf  dem  Frauenplatz  in  nächster  Nähe  der  Türme  ausgeführten 
Kanalisationsarbeiten  gegeben  haben. 

Die  Tragfähigkeit  der  in  4 bis  5 m Tiefe  unter  der  Boden- 
oberfläche anstehenden  Flinzschichten,  auf  welche  das  ganze 
Bauwerk  gegründet  ist,  dürfte  wohl  schon  zur  Zeit  der  Er- 
bauung der  Kirche,  die  in  die  Zeit  von  1468  bis  1488  fällt, 
durch  einen  5 bis  6 m breiten  und  3,5  bis  4 m tief  ins  Ge- 
lände eingeschnittenen  alten  Stadtgraben,  welcher  vom  Hof- 
grabenbach durchflossen  war,  beeinträchtigt  worden  sein. 

Dieser  Bach  bildete  die  Fortsetzung  des  erst  vor  wenigen 
Jahrzehnten  überwölbten  Färbergrabens  und  war  ursprünglich 
ein  Teil  der  unter  Heinrich  dem  Löwen  in  den  letzten  Jahr- 
zehnten des  12.  Jahrhunderts  begonnenen  ersten  Stadtbefestigung. 

Der  Verlauf  dieses  Stadtgrabens  ist  in  dem  im  National- 
museum aufgestellten,  vom  Drechsler  Jakob  Sandtner  aus  Strau- 
bing im  Auftrag  des  Herzogs  Albrecht  V.  für  die  herzogliche 
Kunstkammer  im  Jahre  1570  in  Holz  ausgeführten  Modell 
der  Stadt  München,  sowie  in  den  älteren  Stadtplänen,  z.  B. 
in  dem  im  Jahre  1806  durch  den  Ingenieur-Geographen  Jos. 
Consoni  aufgenommenen  und  durch  Carl  Schleich  meisterhaft 
in  Kupfer  gestochenen  Plan  der  Haupt-  und  Residenzstadt 
München  deutlich  zu  verfolgen.  Er  umzieht  in  einem  Viertel- 


344 


M.  Schmidt 


kreisbogen  mit  244,0  m Halbmesser  und  den  Mittelpunkts- 
koordinaten X = — 214,7,  y ==  — 76,5  m vom  Färbergraben 
her  bis  zur  Schäffiergasse  den  Frauenplatz  auf  der  West-  und 
Nordseite  der  Kirche  und  nähert  sich  der  Nordwestecke  der 
Kirche  bis  auf  etwa  5 m. 

Bei  den  in  den  letzten  Jahren  ausgeführten  Fundierungs- 
arbeiten von  Neubauten  auf  alten,  über  dem  Graben  liegenden 
Baustellen  am  Frauenplatz,  hat  sich  derselbe  mit  metertiefen 
schwarzen  Schlammschichten  angefüllt  gezeigt,  in  welchen  die 
mit  Kunstrammen  eingetriebenen  Rostpfähle  erst  bei  8 m Tiefe 
tragfähig  wurden.  Die  Wände  des  alten  Grabens  bestanden, 
wie  die  ausgeführten  Aufgrabungen,  welche  Oberstleutnant  z.  D. 
Karl  Müller  in  seinen  ,Fortifikatorischen  Studien“  in  der  illu- 
strierten Wochenschrift  ,Das  Bayerland“,  14.  Jahrgang,  Mün- 
chen 1903,  und  in  mehreren  Nachträgen  hiezu  in  den  folgen- 
den Jahrgängen  näher  beschreibt,  erkennen  ließen,  ursprüng- 
lich aus  mit  Rollsteinen  und  Kalkmörtel  ausgefüllten  Gußfüll- 
mauern von  etwa  1,2  m Stärke  und  waren  streckenweise  dui'ch 
ein  aus  7 cm  starken  Bohlen  aus  Fichten=  und  Pfählen  aus 
Eichenholz  hergestelltem  Beschlächt  gestützt.  In  den  70  er 
Jahren  des  vergangenen  Jahrhunderts  ist  der  Graben  mit  einem 
3 m im  Lichten  haltenden  Halbkreisgewölbe  überdeckt  und  im 
Jahre  1912  mit  einem  völli«?  in  den  festen  Flinz  eingrebetteten 
geschlossenen  Sohlkanal  mit  eirundem  Profil  versehen  worden. 
Es  ist  wohl  anzunehmen,  daß  die  wenig  widerstandsfähigen 
Grabenwände  schon  während  der  Erbauung  der  Kirche  dem 
beträchtlichen  Seitendruck  des  durch  die  Mauerwerksmassen  der 
Kirche  überlasteten  Bodens  etwas  nachgegeben  haben  und  daß 
durch  Zusammenpressung  der  Flinzschichten  bei  wechselnden 
Grundwasserständen  die  neuerdings  durch  Messung  sicher  fest- 
gestellte und  in  der  Abbildung  der  Kirche  näher  angegebene 
Neigung  der  Turmachsen  gegen  Westen  entstanden  ist. 

Die  im  Turmmauerwerk  eingetretenen  Bewegungen  haben 
zum  Aufreißen  offener  Spalten  an  den  Verbindungsstellen  der 
Türme  mit  den  Langmauern  des  Kirchenschiffs  geführt,  die 
zwar  gelegentlich  einer  im  Jahre  1868  vorgenommenen  Haupt- 


Senkungserscheinungen  an  der  Frauenkirche  in  München.  345 

reparatur  der  Frauenkirche  durch  Ausstreichen  mit  Mörtel 
äußerlich  geschlossen  worden  sind,  die  aber  bei  näherer  Be- 
trachtung für  das  scharfe  Auge  des  Baukundigen  noch  erkenn- 
bar sind,  während  sie  allerdings  dem  flüchtigen  Beschauer 
leicht  entgehen  können.  Diese  Risse  im  Mauerwerk  haben  be- 
sonders an  den  Leibungslinien  der  Spitzbögen  der  den  Türmen 
zunächst  gelegenen  Fenster  auf  beiden  Langseiten  der  Kirche 
kleine  Verdrückungen  hervorgerufen  und  lassen  sich  in  ihrer 
Fortsetzung  auch  noch  in  den  über  den  Fensterbögen  liegenden 
Friesfüllungen  wahrnehmen. 

Nach  einer  mündlichen  Mitteilung  des  mit  der  Ausführung 
der  baulichen  Erhaltungsarbeiten  an  der  Frauenkirche  betrauten 
Baumeisters  J.  Burger  mußte  sogar  das  die  Fensteröffnungen 
ausfüllende  steinerne  Maßwerk,  das  ganz  zertrümmert  war,  aus- 
gewechselt und  das  zersprungene  Mauerwerk  über  den  Fenster- 
bögen mit  starken  Eisenbändern  verbunden  werden. 

Diese  Beschädigungen  im  Mauerwerk  sind  durch  kleine 
Senkungen  im  Fundament  der  Türme  allein  nicht  ganz  erklär- 
lich; es  müssen  noch  andere  Kräfte  bei  diesen  Zerstörungen 
mitgewirkt  haben.  Solche  lassen  sich  in  dem  Einfluß  der  hef- 
tigen Weststürme  unschwer  erkennen,  welche  mit  voller  Wucht 
die  gegen  Westen  frei  liegenden  Türme  treffen  und  sie  in 
Schwingungen  versetzen,  an  welchen  die  Langwände  der  Kirche 
nicht  teilnehmen  können.  Die  Türme  mußten  sich  deshalb  an 
den  schwächsten  Verbindungsstellen  über  den  Fenstern  von  den 
Langmauern  trennen.  Auch  die  Bewegungen,  welche  im  oberen 
Teil  des  Nordturmes  durch  die  Glockenschwingungen  hervor- 
gerufen werden,  können  bei  der  Lostrennung  der  Türme  von 
den  Langmauern  mitgewirkt  haben,  wenn  auch  diese  Ursache 
hier  als  eine  mehr  nebensächliche  erscheint,  da  die  Glocken- 
schwingungen in  der  Querrichtung  des  Kirchenschiffes  erfolgen. 

Lageänderung  der  Turmspitze. 

Wie  bereits  angedeutet,  ist  die  Lage  der  Spitze  des  Nord- 
turmes der  Frauenkirche  für  die  Landesvermessung  von  beson- 
derer Bedeutung,  da  die  Projektion  dieses  Punktes  auf  die 

SitzuDgsb.  d.  matb.-phys.  Kl.  Jalirg.  1915.  23 


346 


M.  Schmidt 


Meeresfläche  den  Ursprungspunkfc  des  bayerischen  Koordinaten- 
systemes  bildet.  Es  soll  daher  noch  näher  untersucht  werden, 
ob  die  an  der  Frauenkirche  beobachteten  Senkunffserscheinungen 
nicht  auch  mit  einer  Verschiebung  dieses  wichtigen  Punktes  in 
Zusammenhang  stehen,  die  sich  bei  der  Einpassung  der  neu 
gemessenen  südbayerischen  Dreieckskette  in  das  Hauptdreiecks- 
netz nach  den  Sitzungsberichten  1910,  11.  Abh.,  Tabelle  III, 
Xr.  6 als  Koordinatenänderung  des  Nullpunktes  dx^  = -p  0,05  m 
und  dy^  = 4-  0,34  m ergeben  hat,  wobei  dx^  und  dy^  als  Ver- 
besserungen der  Koordinatenwerte  der  Landesvermessung  zu 
nehmen  sind.  Diese  Änderung  entspricht  einer  Verschiebung 
der  den  Nullpunkt  bildenden  Turmspitze  um  5 cm  gegen  Süden 
und  34  cm  nach  Osten,  die  im  Zeitraum  zwischen  dem  Beginn 
der  Ausführung  der  Landesvermessung  im  Jahre  1801  bis  zum 
Jahre  1904  eingetreten  sein  müßte. 

Wie  a.  a.  0.  näher  ausgeführt  ist,  kann  aus  den  auf  dem 
Nordturm  der  Frauenkirche  in  den  Jahren  1801/05,  1855/57 
und  1904  ausgeführten  Winkelmessungen  eine  Lageänderung 
des  Hauptdreieckspunktes  München  gegen  die  ihm  benachbarten 
Hauptdreieckspunkte  sowie  auch  gegen  die  im  Stadtbezirk  von 
München  gelegenen,  bei  der  Katastertriangulierung  benützten 
Turmpunkte  mit  Sicherheit  nicht  gefolgert  werden.  Es  wurde 
vielmehr  der  Meinung  Ausdruck  gegeben,  daß  die  erwähnte 
scheinbare  Nullpunktsverschiebung  durch  die  Fehler  der  älteren 
Winkelmessung  und  die  bei  der  Berechnung  umfangreicher 
Dreiecksnetze  vorkommenden  sogenannten  Netzverschiebungs- 
fehler ihre  Erklärung  finden  müßten.  Auch  die  neuerdings 
durch  Theodolitmessungen  vorgenommene  Ablotung  der  den 
Hauptdreieckspunkt  München  bildenden  Helmstangenspitze  des 
Nordturmes  der  Frauenkirche  bestätigt  die  erwähnte  Anschauung, 
da  die  Abweichung  dieser  Spitze  von  der  Achse  des  Turm- 
mauerwerkes im  Betrag  von  ca.  5 cm  nicht  nach  Osten,  sondern 
nach  Westen  fällt  und  höchstwahrscheinlich  schon  zur  Zeit  der 
Erbauung  der  Kirche  entstanden  ist.  Das  Zusammenfallen  der 
Turmspitze  mit  der  Achse  des  Turmmauerwerkes  ist  durch  die 
im  Jahre  1904  bei  Gelegenheit  der  Vornahme  der  Winkel- 


Senkungserscheinungen  an  der  Frauenkirche  in  München.  347 

messungen  auf  den  in  den  Fensternischen  der  Turmstube  er- 
richteten Pfeilern  durch  die  daselbst  für  Zentrierungszwecke 
sehr  sorgfältig  ausgeführten  Liniennetzmessungen  nachgewiesen 
worden. 

Bei  der  Nachforschung  nach  etwa  vorhandenen  Netzver- 
schiebungsfehlern war  besonders  die  Unsicherheit  der  Lage 
solcher  Dreieckspunkte  zu  berücksichtigen,  die  zur  Zeit  der 
Landesvermessung  mit  Pyramidensignalen  oder  auch  durch  die 
auf  den  Berggipfeln  stehenden  Holzkreuze  bezeichnet  wai'en 
und  erst  nachträglich  mit  Steinen  dauerhaft  versichert  wurden. 

Da  beim  Setzen  dieser  Versicherungssteine  die  Pyramiden 
und  Kreuze  vielfach  zerstört  oder  in  ihrer  Stellung  verändert 
waren,  konnte  die  ursprüngliche  Lage  der  Messungspunkte 
meist  nur  nach  den  im  Boden  noch  vorhandenen  Resten  des 
Holzwerkes  beurteilt  werden.  Es  war  daher  in  vielen  Fällen 
eine  scharfe  Zentrierung  der  Versicherungssteine  nicht  möglich. 
Die  auf  den  neu  versicherten  Stationspunkten  ausgeführten 
Winkelmessungen  führen  daher  nicht  selten  zu  kleinen  Ab- 
weichungen in  den  daraus  berechneten  Koordinaten  gegenüber 
den  Werten  der  Landesvermessung.  Eine  sichere  Ermittelung 
der  ursprünglichen  Lage  der  Stationspunkte  durch  Vergleich 
der  neuen  Winkelmessungen  mit  den  ursprünglichen  kann  aber 
nur  dann  ausgeführt  werden,  wenn  die  bei  den  neuen  Winkel- 
messungen benützten  Zielpunkte  identisch  mit  jenen  der  Landes- 
vermessung sind,  oder  gegen  diese  mit  Sicherheit  eingemessen 
werden  können. 

Als  solche  können  in  der  Regel  nur  die  auf  Türmen  fest- 
gelegten Punkte  gelten,  unter  der  Voraussetzung,  daß  die  Türme 
seit  der  Zeit  ihrer  früheren  Benützung  bei  der  Landesvermes- 
sung durch  Umbauten  nicht  verändert  worden  sind,  was  übrigens 
zumeist  aus  den  pfarramtlichen  Akten  mit  Sicherheit  festge- 
stellt werden  kann. 

Bei  den  kürzlich  unternommenen  Versuchen,  die  im  west- 
lichen Teil  der  südbayerischen  Dreieckskette  in  den  Jahren  1888 
bis  1894  ausgeführten  Azimutmessungen  mit  den  im  Jahre  1904 
vorgenommenen  Dreieckswinkelmessungen  in  Einklang  zu  bringen , 

23* 


348 


M.  Schmidt 


ergaben  sieb  gewisse  Widersprüche,  welche  begründete  Zweifel 
an  der  Identität  der  durch  nachträgliche  Versicherung  festge- 
legten  Hauptdreieckspunkte  Aenger  und  Grünten  in  Schwaben 
mit  den  gleichnamigen  Punkten  der  Landesvermessung  erweckten. 

Dadurch  wurde  eine  Neuberechnung  der  Koordinaten  des 
ursprünglichen  Ortes  der  beiden  genannten  Punkte  veranlaßt, 
wobei  die  Voraussetzung  gemacht  wurde,  daß  die  als  Aus- 
gangspunkte für  die  Berechnung  gewählten  benachbarten  Turm- 
punkte Roggenburg,  Kirchheim,  Peißenberg  und  Waldburg  seit 
der  Landesvermessung  unverändert  geblieben  seien. 

Bei  dieser  Berechnung  kamen  sowohl  die  an  den  eben 
genannten  Hauptnetzpunkten,  als  auch  die  in  den  zu  bestim- 
menden beiden  Punkten  neu  gemessenen  Winkel  zur  Verwertung. 

Da  der  gegenseitige  Abstand  der  Punkte  Aenger  und 
Grünten  im  Vergleich  mit  ihrer  Entfernung  von  den  genannten 
Ausgangspunkten  wesentlich  geringer  ist,  schien  es  vorteilhaft, 
ihre  Lage  gemeinsam  nach  dem  Verfahren  der  Doppelpunkt- 
einschaltung zu  berechnen  und  sowohl  die  in  den  neu  zu  be- 
stimmenden Punkten,  als  auch  die  in  den  Turmpunkten  beob- 
achteten Winkel  zu  verwerten;  dabei  wurden  die  von  letzteren 
Punkten  auslaufenden  äußeren  Richtungen  mit  dem  Gewicht  ^/i, 
die  auf  den  neu  zu  bestimmenden  Punkten  selbst  beobachteten 
inneren  Richtungen  mit  dem  Gewicht  1 in  die  Ausgleichung 
eingeführt,  welche  mit  insgesamt  14  Richtungen  zur  Durch- 
führung gelangte. 

Die  Berechnung  nach  der  Methode  der  kleinsten  Quadrate 
lieferte  den  mittleren  Richtungsfehler  m — ± 0*77  und  die 
wahrscheinlichsten  Koordinatenwerte  der  neu  versicherten  Sta- 
tionspunkte nebst  den  zugehörigen  mittleren  Fehlern 


{x  = — 45909,41  ± 0,14  m 

] y 106022,01  ± 0,08  , 

ix==—  64146,21  X 0,18  , 

( y = -|-  94296,02  ±0,17  „ 


Berechnet  man  mit  diesen  verbesserten  Koordinaten  die  in 
meiner  Abhandlung  in  den  Sitzungsberichten  vom  Jahre  1910 


Senkungserscheinungen  an  der  Frauenkirche  in  München.  349 


durchgeführte  Netzeinpassung  nach  dem  Verfahren  von  Helmert 
aufs  neue,  so  ändern  sich  die  dort  in  Tabelle  III  angegebenen 
Zahlenwerte  und  man  erhält  die  in  nachstehender  Tabelle  II 
gegebene  Fehlerzusammenstellung,  in  welcher  die  frülier  ange- 
wendeten allgemeinen  Bezeichnungen  beibehalten  sind. 

Wie  zu  erw’arten  war,  haben  sich  durch  Einführung  der 
neuen  Koordinatenwerte  für  die  Punkte  Aenger  und  Grünten 
nicht  nur  deren  Koordinatenunterschiede  dx  und  dy  und  zwar 
besonders  in  dy  von  + 87  cm  in  -j-  58  cm  bei  Aenger  und  von 
-p  84  cm  in  43  cm  bei  Grünten,  sondern  auch  die  Ordinaten- 
verbesserungen  r,,  nicht  unbeträchtlich  vermindert  und  zwar 
für  Aenger  von  -p  47  cm  auf  -p  33  cm  und  für  Grünten  von 
-P  41  cm  auf  -p  15  cm. 

Auch  die  mittleren  Netzfehler  sind  im  allgemeinen  kleiner 
cfeworden.  Die  scheinbare  Verschiebung  des  Punktes  München 
in  der  Ordinatenrichtung  ist  jedoch  nur  von  — 33  cm  auf 
• — 30  cm  zurückgegangen  und  kann  im  Zusammenhalt  mit 
den  früheren  Ausführungen  dieser  Abhandlung  nicht  als  die 
Folge  einer  im  Laufe  des  letzten  Jahrhunderts  eingetretenen 
Neiffuncfsänderunfi  der  Turmachse  betrachtet  werden,  sondern 
ist  nur  durch  Identitätsfehler  in  der  Lage  benachbarter  Haupt- 
dreieckspunkte zu  erklären,  deren  Einfluß  sich  bei  der  Netz- 
berechnung in  der  Ordinatenrichtung  in  ungünstiger  Weise 
angehäuft  hat.  Hierauf  deutet  auch  die  ungleichmäßige  Ver- 
teilung der  Vorzeichen  der  Ordinatenverbesserungen  hin.  Die 
größten  Ordinatenverbesserungen  von  -p  59  und  -p  65  cm  zeigen 
die  Punkte  Hoch  gern  und  Asten,  von  welchen  der  erstere  bei 
der  Landesvermessung  mit  einem  Pyramidensignal  bebaut  war, 
während  der  Turm  der  Kirche  in  Asten  ein  Kuppeldach  mit 
Holzstuhl  von  17,4  m Höhe  trägt,  welches  nach  einer  Bemer- 
kung in  der  bei  den  Akten  des  Kgl.  Landesvermessungsamtes 
befindlichen  alten  Stationsbeschreibung  beträchtliche  Seiten- 
schwankungen aufweist,  so  daß  die  bei  den  älteren  V inkel- 
messungen  als  Zielpunkt  benützte  Helmstangenspitze  nicht  als 
unveränderlich  gelten  kann. 


0 Vgl.  A.  G.  A.,  Heft  2,  S.  10. 


350 


M.  Schmidt 


Tabelle 

Fehlerzusammenstellung 


Nr. 

Stationen 

dx 

dy 

1. 

Neuberechnung 

Vx 

Vy 

rx 

ry 

cm 

cm 

cm 

cm 

cm 

cm 

1 

Aenger  Pyr 

+ 1 

+ 58 

+ 17 

+ 25 

— 16 

+ 33 

2 

Roggenburg  Turm  . . 

+ 15 

+ 35 

+ 11 

+ 20 

+ 4 

+ 15 

3 

Peißenburg  Turm  . . 

— 25 

+ 33 

+ 10 

+ 30 

— 35 

+ 3 

4 

Staufifersberg  Pyr.  . . 

+ 27 

+ 2 

+ 6 

+ 21 

+ 21 

— 19 

5 

Altomünster  Turm  . . 

+ 16 

+ 9 

+ 3 

+ 25 

+ 13 

— 16 

6 

München  n.  Fr.-Turm  . 

0 

0 

+ 2 

+ 30 

— 2 

— 30 

7 

Aufkirchen  Turm  . . 

0 

0 

— 1 

+ 30 

+ 1 

— 30 

8 

Mitbach  Turm  . . . 

+ 7 

+ 8 

— 1 

+ 32 

+ 8 

— 24 

9 

Wendelstein  Pyr.  . . 

+ 33 

+ 48 

+ 4 

+ 37 

+ 29 

+ 11 

10 

Hochgern  Pyr.  . . . 

+ 10 

+ 100 

- 1 

+ 41 

+ 11 

+ 59 

11 

Asten  Turm  .... 

+ 4 

+ 93 

- 5 

+ 28 

+ 9 

+ 65 

12 

Schweitenkirchen  Turm 

+ 12 

+ 4 

— 1 

+ 26 

+ 13 

- 22 

13 

Kircbbeim  Turm  . . . 

— 4 

+ 7 

+ 10 

+ 22 

— 14 

— 15 

14 

Grünten  Pyr 

— 16 

+ 43 

+ 18 

+ 28 

— 34 

+ 15 

15 

München,  Sternwarte  . 

— 7 

- 2 

+ 2 

+ 30 

-9 

— 32 

CO 

CO 

CO  o 

1 

O 

S 

ü 

S 

Ü 

+ + 

II  II 

+ + 

II  II 

04  00 

ö 00 

+ -f“ 

00 

+ 

II 

H 

= ±31 

II 

ii 

% 

Senkungserscheinungen  an  der  Frauenkirche  in  München.  351 


II. 


der  Netzeinpassung. 


2. 

Neuberechnung 

3.  Neuberechnung 

Restfehler 

I'X 

I'X 

1'!/ 

Vx 

<'!/ 

rx 

»V/ 

Bx 

By 

cm 

cm 

cm 

cm 

cm 

cm 

cm 

cm 

cm 

cm 

+ 3 

+ 37 

— 2 

+ 21 

- 3 

+ 43 

+ 4 

+ 15 

-3 

+ 43 

+ 15 

+ 30 

0 

+ 5 

+ 15 

+ 33 

0 

+ 2 

+ 15 

+ 33 

— 1 

+ 24 

— 24 

+ 9 

— 8 

+ 22 

— 17 

+ 11 

— 8 

+ 22 

— 14 

+ 21 

+ 13 

— 19 

+ 16 

+ 20 

+ 11 

— 18 

+ 16 

+ 20 

+ 9 

+ 13 

+ 7 

— 4 

+ 9 

+ 8 

+ 7 

+ 1 

+ 9 

+ 8 

+ 2 

+ 13 

— 2 

— 13 

— 3 

+ 3 

— 4 

— 3 

+ 4 

+ 3 

+ 7 

— 3 

— 7 

0 

— 4 

0 

+ 4 

0 

— 4 

— 1 

+ 5 

+ 8 

+ 3 

— 6 

— 6 

+ 13 

+ 14 

— 6 

— 6 

— 11 

+ 11 

+ 44 

+ 37 

— 17 

+ 12 

+ 50 

+ 36 

— 17 

+ 12 

— 20 

— 1 

+ 30 

+ 101 

— 20 

— 1 

— 10 

— 11 

+ 14 

+ 104 

— 10 

-11 

+ 10 

+ 8 

+ 2 

— 4 

+ 9 

— 1 

+ 3 

+ 5 

+ 9 

— 1 

+ 11 

+ 28 

— 15 

— 21 

+ 9 

+ 29 

— 13 

— 22 

+ 9 

+ 29 

— 2 

+ 37 

— 14 

- 6 

— 11 

+ 42 

— 5 

+ 1 

— 11 

-f  42 

+ 2 

+ 12 

— 9 

— 14 

-3 

+ 4 

- 4 

— 6 

— 3 

+ 4 

1 

7 

S 

o 

1 

7 

o 

o 

s 

g 

Ü 

S 

ü 

00 

a 

o 

CO 

ö 

+ 

II 

7 

11 

■«» 

CD 

+ . 

II 

CD 

+ 

11 

ö 

+ 

II 

CO 

1 

II 

CO 

+ 

II 

+ 

11^ 

+ 

11 

CI 

H- 

II 

352 


M.  Schmidt 


In  Anbetracht  der  für  die  örtliche  Lage  der  Punkte  Hoch- 
gern  und  Asten  bestehenden  Unsicherheit  sind  bei  einer  wei- 
teren Netzeinpassungsberechnung  diese  beiden  Punkte  ganz  außer 
Betracht  geblieben,  mit  dem  aus  der  vorstehenden  Fehler- 
zusammenstellung  ersichtlichen  Ergebnis,  daß  die  Maximal- 
verbesserung mit  ra;  = -p  44  cm  und  = -p  37  cm  jetzt  der 
Hauptdreieckspunkt  auf  dem  1838  m hohen  Gipfel  des  Wendel- 
stein zeigt,  woselbst  ursprünglich  die  alte  Kapelle  als  Ganzes, 
später  eine  daneben  errichtete  Holzpyramide  und  nach  deren 
Verfall  ein  an  ihrer  Stelle  errichtetes  und  wiederholt  erneuertes 
Holzkreuz  zur  Bezeichnung  des  Dreieckspunktes  gedient  hat. 

Im  Jahre  1899  ist  dieser  Punkt  durch  Beamte  des  K.  Landes- 
vermessungsamtes mit  einem  Granitstein  neu  versichert  und  über 
diesem  im  Jahre  1904  für  die  Winkelmessungen  in  der  süd- 
bayerischen Dreieckskette  ein  Betonpfeiler  mit  zentrisch  ein- 
gesetztem Messingbolzen  erbaut  worden,  welcher  nunmehr  den 
Hauptdreieckspunkt  Wendelstein  bezeichnet. 

Bei  den  vielfachen  Veränderungen,  welche  dieser  Punkt 
seit  der  Zeit  der  Landesvermessung  erfahren  hat,  darf  man 
sich  nicht  wundern,  wenn  derselbe  jetzt  nicht  unbeträchtliche 
Koordinatenabweichungen  zeigt. 


Bei  der  zweiten  Netzeinpassung  haben  nunmehr  die  mitt- 
leren Koordinatenfehler  für  beide  Achsrichtungen  die  gleiche 
Größe  erhalten: 


nij:  = m, 


= ± 16 


cm. 


Der  Richtungsfehler  d ist  unverändert  geblieben.  Der 
Maßstabfehler  = — 19,2  -10“'  hat  dagegen  sein  Vorzeichen 
gewechselt  und  ist  etwas  größer  als  bisher  geworden.  Für 
den  Normalpunkt  München  endlich  bleibt  die  ohnehin  sehr 
geringe  Abszissenverbesserung  dem  Wert  nach  ungeändert,  die 
Ordinatenverbesserung  dagegen  erhält  den  wesentlich  vermin- 
derten Betrag  >>  = — 13  cm,  der  den  mittleren  Koordinaten- 
fehler nicht  erreicht. 

Die  große  nunmehr  auf  den  Punkt  Wendelstein  treffende 
Koordinatenverbesserung,  die  Unsicherheit  der  ursprünglichen 
Punktfestlegung  und  die  mit  derselben  im  Laufe  der  Zeit  mehr- 


Senkungserscheinungen  .an  der  Fr.auenkirche  in  München.  353 

fach  vorgenommenen  Veränderungen  ließen  es  indessen  ange- 
bracht erscheinen,  auch  diesen  Punkt  bei  der  Netzeinpassung 
als  unzuverlässig  auszuschalten  und  eine  dritte  Neuberechnung 
ohne  den  genannten  Punkt  auszuführen,  bei  welcher  nunmehr 
die  scheinbare  Verschiebung  des  Normalpunktes  München  in 
der  Abszissen-  bzw.  Ordinatenrichtung  auf  3 cm  und  — 4 cm 
zurückgegangen  ist.  Der  mittlere  Koordinatenfehler  nahm  dabei 
die  Werte  Wx  = ± 8,5  cm  und  niy  = ± W cm  an,  die  Orien- 
tierungsverbesserung ist  d = 0!'26  und  die  Maistabverbesse- 

rung i»-  — — 31  • 10~'. 

Eine  Veränderung  in  der  Lage  der  als  Normalpunkt 
der  Landesvermessung  dienenden  Spitze  des  Nordtur- 
mes der  Frauenkirche  in  München  ist  somit  aus  den 
Ergebnissen  der  im  letzten  Jahrzehnt  ausgeführten 
Winkelmessungen  und  Koordinatenberechnungen  nicht 
nachweisbar. 

Die  aus  der  Fehlerausgleichung  hervorgehenden  Größen 
und  Yy  stellen  die  Verschiebungen  der  Punkte  der  Landesver- 
messung in  der  Richtung  der  beiden  Koordinatenachsen  in  der 
Form  von  Koordinatenverbesserungen  dar,  welche  nach  Besei- 
tigung der  systematischen  Orientierungs-  und  Maßstabfehler 
noch  nötig  werden,  um  diese  Punkte  mit  den  entsprechenden 
Punkten  der  südbayerischen  Dreieckskette  möglichst  gut  in 
Deckung  zu  bringen.  Für  die  durch  Türme  festgelegten  Punkte 
überschreiten  diese  Verbesserungen  nur  wenig  die  mittleren 
Koordinatenfehler. 

Weit  größere  Verbesserungen  und  zwar  im  Betrag  bis  zu 
1 m treffen  dagegen  auf  die  Ordinaten  der  am  Nordrand  des 
Gebirges  und  in  dessen  Vorland  gelegenen  Punkte,  die  bei  der 
Landesvermessung  mit  Pyramidensignalen  bebaut  waren,  und 
erst  nachträglich  nach  Ablauf  mehrerer  Jahrzehnte  mit  Steinen 
dauernd  versichert  worden  sind,  deren  Standort  nur  nach  den 
im  Boden  noch  vorhandenen  spärlichen  Signalresten  bestimmt 
werden  konnte.  Die  Vorzeichen  der  Ordinatenverbesserungen 
dieser  Punkte  sind  überwiegend  positiv,  was  einer  regionalen 
Punktverschiebung  gegen  Westen  entspricht.  Doch  dürfte  es 


354  M.  Schmidt,  Senkungserscheinungen  a.  d.  Frauenk.  in  München. 

gewagt  erscheinen,  hieraus  auf  eine  tektonische  Ursache  der 
Lageänderung  dieser  Punkte  zu  schließen. 

Weit  wahrscheinlicher  rührt  diese  scheinbare  Punktver- 
schiebung von  Beobachtungsfehlern  und  von  der  Art  der  Fehler- 
ausgleichung bei  der  Berechnung  des  Dreiecksnetzes  der  Landes- 
aufnahme her,  welche  nicht  einheitlich  für  das  ganze  Netz, 
sondern  in  einzelnen  zu  Polygonen  zusammengefaßten  Gruppen 
von  Dreiecken  erfolgte,  die  zum  Teil  eine  recht  ungünstige 
Form  besitzen  und  nicht  ohne  Anschlußzwansf  zu  verbinden 
waren.  Die  zur  Zeit  in  Vorbereitung  stehende  Neutriangulie- 
rung von  Bayern  wird  über  diese  Punktverschiebungen  nähere 
Aufschlüsse  bringen. 

Berechnet  man  schließlich  mit  Hilfe  der  Werte  Vy  die 
vex'besserten  Koordinatenwerte  der  Landestriangulierung  für  die 
Punkte  der  südbayerischen  Dreieckskette  und  vergleicht  sie  mit 
den  durch  die  Neumessung  erhaltenen  Werten  durch  Bildung 
ihrer  Unterschiede,  so  erhält  man  den  Charakter  unregel- 
mäßiger Fehler  tragende  Restfehler,  welchen  die  Mittelwerte 
= ± 11  cm  und  m'y  = ± 21  cm  entsprechen.  Die  größten 
Einzelfehler  im  Betrag  von  -j-  0,43  m und  0,42  m in  der 
Ordinatenrichtung  zeigen  die  nach  dem  Verfahren  der  Doppel- 
punkteinschaltung neu  bestimmten  Punkte  Aenger  und  Grün- 
ten, -welche  wegen  ihrer  Lage  in  der  südwestlichen  Ecke  des  baye- 
rischen Netzes  mit  diesem  nur  durch  nach  einer  Seite  gerichtete 
Strahlen  verbunden  sind  und  deshalb  gegen  einseitige  Ver- 
schiebung durch  Beobachtungsfehler  nicht  gut  gesichert  er- 
scheinen. Bei  den  übrigen,  zuverlässig  identischen  Punkten  ist 
jedoch  die  gute  Übereinstimmung  der  älteren  und  neuen  Lage- 
bestimmung, welche  in  der  geringen  Größe  der  Restfehler  zum 
Ausdruck  gelangt,  als  eine  ganz  befriedigende  zu  bezeichnen. 


Jf.  Schmidt,  Senkiingserscheinungen  etc. 


Frauenkirche  uon  Westen. 


Sitzungsb.  d.  math.-phys.  KI.  Jahrg.  1915. 


355 


Die  Gezeiten,  Seiches  und  Strömungen  des  Meeres 
bei  Aristoteles. 

Von  A.  Endrös. 

Vorgelegt  von  S.  Günther  in  der  Sitzung  atn  G.  November  1915. 


Einleitung. 

Bei  der  Bearbeitung  des  über  zwei  Jahrtausende  alten 
Euripusproblems  war  ich  veranlaßt,  die  Literatur  der  Alten 
zu  durchsuchen.  Während  ich  nun  in  den  vielen  bekannteren 
Literaturstellen  nur  nebensächliche  Punkte  der  Frage  berührt 
fand,  konnte  ich  in  den  Schriften  des  Aristoteles  ganz  staunens- 
werte Kenntnisse  entdecken.^)  So  kannte  der  Stagirite  bereits 
die  Seiches  der  Meere  und  deren  Ursachen  und  die  Entstehung 
der  Meereswogen  durch  Wind  und  Erdbeben.  Ferner  war  ihm 
die  Lösung  des  Euripusproblems  ebenso  weit  bekannt,  wie 
F.  A.  Forel  sie  wieder  finden  konnte.  Es  können  somit  nicht 
die  Euripusströmungen  es  gewesen  sein,  die  Aristoteles  nicht 
ergründen  konnte,  sondern  nur  die  rätselhaften  Gezeitenano- 
malien bei  Chalkis.  In  diesen  ist  auch  der  Grund  dafür  zu 
suchen,  daß  er,  wie  aus  seinen  Schriften  zu  ersehen  ist,  über 
die  Vorstellung  der  Ebbe  und  Flut  als  eine  Art  Ein-  und  Aus- 

Die  Durcharbeitung  der  Schriften  im  Urtext  bot  an  der  Hand 
der  lateinischen  Übersetzung  keine  besonderen  Schwierigkeiten,  nachdem 
ich  an  meinem  verehrten  Freund  und  Kollegen  Herrn  Professor  Dr. 
F.  Schühlein,  der  als  Posidoniusforscher  mit  der  einschlägigen  Lite- 
ratur vertraut  war,  einen  erfahrenen  Berater  zur  Seite  hatte  und  mir 
in  der  Bibliothek  des  hiesigen  Lyzeums  alle  Hifsmittel  zur  Verfügung 
standen. 


356 


A.  Endlos 


atmen  der  Erde  nicht  hinausgekomraen  ist  entgegen  einer  Stelle 
bei  den  Doxographen,  nach  welcher  er  die  Gezeiten  als  Schwan- 
kungen angesehen  haben  soll.  Dort  können  nämlich  nur  mete- 
orologische Fluten  gemeint  sein.  Da  nun  der  große  Philosoph 
gerade  auf  diesem  Gebiete  bis  heute  so  verkannt  worden  ist, 
möchte  ich  es  nicht  unterlassen,  die  Ergebnisse  zu  veröffent- 
lichen; dabei  darf  ich  nicht  übergehen,  daß  ich  die  Anregung 
dazu  Herrn  Geheimrat  Professor  Dr.  Sigmund  Günther  in 
München  verdanke,  der  ebenso  wie  meiner  Arbeit  über  das 
Euripusproblem  auch  dieser  sein  besonderes  Interesse  schenkte. 

Die  Stelle  bei  Aristoteles  über  die  Gezeiten. 

In  den  Meteorologika  des  Aristoteles  Buch  II,  Kapitel  8 
findet  sich  eine  Stelle,  welche  für  unsere  Frage  von  größter 
Bedeutung  ist,  die  aber  merkwürdiger  Weise  bis  heute  fast 
ganz  unbeachtet  geblieben  ist.  Und  doch  enthält  sie  den  Be- 
weis dafür,  daß  Aristoteles  die  Erscheinung  der  Ebbe  und  Flut 
wohl  gekannt,  von  dem  Bewegungsvorgang  aber  eine  ganz 
andere  Vorstellung  sich  gemacht  hat,  als  man  auf  Grund  der 
Stelle  bei  den  Doxographen’)  annehmen  mußte.  W^eiterhin 
ersieht  man  aus  der  Stelle,  daß  Aristoteles  den  Strömungs- 
vorgang des  Euripus  näher  gekannt  hat. 

Das  Kapitel  8 behandelt  die  Theorie  der  Erdbeben,  die  sich  Ari- 
stoteles ausschließlich  durch  die  in  die  Poren  und  Hohlräume  der  Erde 
eingeschlossenen  Pneumata  entstehend  denkt.  Letztere  selbst  entstehen 
durch  die  fortgesetzt  vor  sich  gehende  Ausdünstung  trockener  und  feuchter 
Dünste  innerhalb  und  außerhalb  der  Erde  und  bewegen  sich  bald  ein- 
wärts, bald  auswärts  und  manchmal  auch  teils  ein-  teils  auswärts. 
Fließen  die  Pneumata  vollständig  einwärts,  so  ist  Windstille.  Bei  Wind- 
stille nun  entstehen  die  meisten  und  größten  Erdbeben.  ,Und  nachts 
entstehen  mehr  und  größere  Erdbeben,  diejenigen  bei  Tag  aber  um  die 
Mittagszeit.  Am  ruhigsten  ist  gewöhnlich  die  Mittagszeit  — denn  die 
Sonne  beendigt,  wenn  sie  die  meiste  Kraft  hat,  die  in  die  Erde  hinein 
gerichtete  Ausdünstung;  sie  hat  aber  die  größte  Kraft  um  die  Mittags- 
zeit — .“  Hier  folgt  die  Stelle:* *) 

*)  Di  eis  Dox.  Graeci,  S.  382. 

*)  Ed.  acad.  reg.  boruss.,  Berol.  1831,  Bd.  I,  Meteor.  II,  8,  S.  366,  1.  — 
Lateinische  Übersetzung  ebenda,  Bd.  III,  S.  191,  2. 


Die  Gezeiten,  Seiches  und  Strömungen  des  Meeres  etc. 


357 


„Xtti  al  vvHisg  ös  zair  tjfiegwv  vtjvsucüzEgai  Sia  zt]v  anovatuv  ztjv  zov 
zjh'ov  ■ Cüoz'  Eiao)  ylyvEzai  ndXiv  z)  gvaig,  wo-teq  afznoizig  Etg  zovvdvziov  zrjg 
Egco&EZ’  gtXt]/.iuvQtdog,  xal  gigög  dgdgov  udXtaza'  ztjrixavza  ydg  xai  zd  nvEv- 
fiuza  nizpvxEv  dg^EO&ai  gifsTy.  idr  ofr  Eiaco  zvyjj  fiEzaßdXX.ovaa  fj  dgyij 
avzwv  diö.Tso  Evgigiog,  öid  z6  :iXrj&og  iayvgdzEgov  :xoiEi  zov  OEia/idv.“  Was 
ich  übersetze;  „Und  die  Nächte  sind  ruhiger  als  die  Tage  wegen  der 
Abwesenheit  der  Sonne;  deshalb'  geschieht  das  Fließen  wieder  einwärts, 
wie  die  Ebbe  in  entgegengesetzter  Richtung  der  auswärts  gerichteten 
Flut,  und  bei  Tagesanbruch  am  stärksten;*)  in  diese  Zeit  fällt  auch  der 
Beginn  des  Wehens  der  Winde.  Wenn  nun  gerade  damit  zusammen- 
trifft, daß  die  Winde  in  ihrem  Beginnen  nach  innen  sich  richten  wie 
der  Euripus,  so  macht  es  das  Erdbeben  wegen  der  Menge  stärker.“ 

Die  Stelle  enthält  zunächst  einen  bei  klarem  Himmel  täg- 
lich sich  abspielenden  Strömungsvorgang  der  Pneumata.  Die- 
selben fließen  in  der  einen  Hälfte  des  Tages  einwärts,  in  der 
anderen  auswärts.  Die  Sonne  beendigt  das  Einwärtsfließen 
um  die  Mittagszeit,  worauf  das  Äuswärtsfließen  beginnt,  das 
nachts  wieder  in  ein  Einwärtsfließen  übergebt.  Letzteres  er- 
reicht gegen  Tagesanbruch  sein  Maximum  um  dann  wieder 
abzunehmen  bis  Mittag.  Unschwer  ist  hierin  eine  bei  klarem 
Himmel  sich  wirklich  abspielende  periodische  Änderung  der 
Lufttemperatur  zu  erkennen.  Mit  zunehmendem  Sonnenstand 
erwärmt  sich  bekanntlich  die  Luft  und  steigt  in  die  Höhe, 
am  stärksten  nachmittags.  Nach  Sonnenuntergang  kühlt  sich 

o o o 

die  Luft  ab  und  des  Nachts  tritt  ein  Senken  der  Luftschichten 
ein  und  die  kalte  Luft  dringt  in  Hohlräume,  Keller  etc.  ein, 
am  stärksten  vor  Sonnenaufgang,  weil  die  Lufttemperatur  am 
niedrigsten  ist.  Eine  Beobachtung  dieses  Vorganges  scheint 
obigem  Strömungsvorgange  zugrunde  zu  liegen. 

Diesen  unsichtbaren  Vorgang  sucht  nun  Aristoteles  seinen 
Lesern  klar  zu  machen,  indem  er  einen  sichtbaren  Vorgang, 
den  der  Ebbe  und  Flut,  zum  Vergleiche  heranzieht.  Wir 
können  umgekehrt  aus  dieser  Stelle  schließen,  daß  Aristoteles 
sich  das  Ebben  als  Einwärtsfließen  des  Wassers  in  die  Erde 
und  das  Fluten  als  ein  Auswärtsfließen  in  entgegengesetzter 

*)  F.  Vatablus  übersetzt  fidXuoza  mit  creberrime,  was  dem  Sinne 
nach  nicht  möglich  ist. 


358 


A.  Endrös 


Richtung  vorgestellt  hat.  Der  Umstand  ferner,  daß  er  die 
Gezeitenbewegung  überhaupt  zur  Veranschaulichung  heran- 
zieht, läßt  auch  den  Schluß  zu,  daß  mau  allgemein  den  Vor- 
gang der  Gezeitenbewegung  sich  als  eine  Art  Ein-  und  Aus- 
atmen gedacht  hat.  Aristoteles  hat  also  keine  eigene  neue 
Theorie  der  Gezeiten  aufgestellt;  denn  die  Meteorologika  gelten 
als  das  zuletzt  geschriebene  naturwissenschaftliche  Werk  des 
Philosophen. 

Daß  man  auch  schon  zu  den  Zeiten  des  Aristoteles  in 
Griechenland  die  Erscheinung  der  Ebbe  und  Flut  wohl  ge- 
kannt haben  muß,  läßt  sich  auf  Grund  der  neuen  Ergebnisse 
der  Gezeitenforschung  annehmen.  Es  zeigen  sich  nämlich  die 
Gezeiten  an  einigen  Punkten  Griechenlands  entgegen  der  frü- 
heren Annahme  sehr  augenfällig,  wie  im  Golfe  von  Euboea^) 
und  im  korinthischen  Meerbusen,*)  wo  überall  die  Hubhöhen 
den  für  das  Mittelmeer  großen  Betrag  von  1 Meter  erreichen. 
Daß  Aristoteles  selbst  die  Erscheinung  in  ihrem  Verlaufe  näher 
kannte,  dürften  wir  wohl  schon  deshalb  annehmen,  weil  er 
sich  häufig  in  Chalkis  aufgehalten  hat,®)  wo  die  Gezeiten  noch 
dazu  sich  in  den  Euripusströmuugen  zeigen.  Xun  finden  wir 
in  unserer  Stelle  sogar  die  Bestätigung  dieser  Annahme. 
Er  zieht  nämlich  bei  einem  weiteren  Vergleich  die  Euripus- 
strömungen  selbst  heran. 

Bei  Tagesanbruch  ist  nach  dem  oben  besprochenen  Vor- 
gänge das  Einwärtsfließen  der  Pneumata  am  stärksten.  Wenn 
dann  noch  die  Winde,  die  um  diese  Zeit  im  Entstehen  be- 
griffen sind,  dazu  einwärts  sich  wenden,  wie  der  Euripus, 
so  wird  das  Erdbeben  wegen  der  Menge  der  Pneumata  stärker. 
Man  beachte  zunächst  die  ganz  kurze  Erwähnung  des  Meeres- 
armes, der  in  seinen  Strömungsvorgängen  ein  so  kompliziertes 
Problem  von  jeher  bildete.  Jedenfalls  ist  unsere  Stelle  des- 

')  0.  Krümmel,  Zum  Problem  des  Euripus,  Pet.  Mitt.  1888,  S.  332. 

G.  Wegemann,  Beiträge  zu  den  Gezeiten  des  Mittelländischen 
Meeres.  Ann.  d.  Hjdr.  u.  Marit.  Met.,  1907. 

Pauly,  Realenzyklopädie  d.  klass.  Alt.,  YI.  Bd.  Stuttgart  1909. 

S.  1021. 


Die  Gezeiten,  Seiches  und  Strömungen  des  Meeres  etc.  359 

halb  nicht  beachtet  und  gewürdigt  worden,  weil  die  so  kurze 
Erwähnung  des  Euripus  nicht  verstanden  worden  ist,  und  man 
muß  das  Euripusproblem  schon  näher  kennen  um  einzusehen, 
daß  die  zum  Vergleich  herangezogenen  Wasserbewegungen  mit 
denjenigen  der  Pneumata  sehr  gut  übereinstimmen.  Um  dies 
zu  erläutern  müssen  wir  auf  die  Gezeitenbewegungen  der  bei 
Chalkis  zusamraenstoßenden  Meeresteile  kurz  eino-ehen. 

O 

Im  Nordhafen  von  Chalkis  finden  sich  ausgesprochene  halbtägige 
Gezeiten,  welche  Hubhöhen  bis  zu  1 Meter  erreichen  können,  während 
im  Südhafen  die  Halbtagstiden  nie  15  Zentimeter  Höhe  erreichen,  und  so 
unter  den  sonstigen  Niveauänderungen  ganz  verborgen  bleiben.  Der 
Euripus  beginnt  also  nach  Norden  zu  strömen,  somit  einwärts,  wenn  der 
Wasserstand  iin  Nordhafen  beim  Ebben  unter  das  südliche  Niveau  hinab- 
geht, das  ungefähr  mit  Mittelwasser  übereinstimmt.  In  gleicher  Weise 
beginnt  der  Strom  sich  südwärts  zu  wenden,  wenn  beim  Steigen  des 
Wasserstandes  im  Nordhafen  infolge  der  Flut  das  nördliche  Niveau  über 
das  südliche  sich  erhebt.  Die  nordwärts  gerichtete  Strömung  entspricht 
dem  einwärts  gerichteten  Winde  iin  obigen  Vergleiche,  der  gerade  dann 
sich  nach  innen  richtet,  wenn  das  Einwärtsströmen  am  stärksten  ist,  das 
ist  gegen  Tagesanbruch.  Auch  der  Euripus  beginnt  eben  dann  einwärts 
zu  fließen,  wenn  das  Fallen  des  Wassers  im  Nordhafen  am  raschesten 
erfolgt;  das  ist  der  Fall  beim  Passieren  des  Mittelwassers.  Der  Ver- 
gleich der  Ebbe  und  Flut  mit  dem  Ein-  und  Auswärtsströmen  der  Pneu- 
mata stimmt  nämlich  auch  darin  überein,  daß  beide  sogenannte  perio- 
dische Bewegungen  sind.  Ist  der  höchste  Wasserstand  erreicht,  so  be- 
ginnt das  Wasser  erst  allmählich  zu  fallen  und  fällt  dann  immer  rascher, 
bis  es  das  Mittelniveau  passiert  und  das  Maximum  der  Geschwindigkeit 
hat,  von  wo  ab  das  Sinken  wieder  langsamer  und  langsamer  erfolgt,  bis 
zum  niedrigsten  Wasserstand.  In  gleicher  Weise  geht  das  Steigen  vor 
sich.  So  ist  auch  das  Ein-  und  Auswärtsfließen  der  Pneumata  nach  der 
Darstellung  des  Aristoteles  zu  denken. 

Wii-  können  also  aus  obiger  Stelle  bei  Aristoteles  den 
Nachweis  liefern,  daß  er  die  Gezeiten  selbst  und  die  perio- 
dische Änderung  des  Wasserstandes  wohl  gekannt  hat,  ebenso 
daß  er  von  den  mit  den  Gezeiten  zusammenhängenden  Strö- 
mungen des  Euripus  eine  genaue  Kenntnis  besaß.  Auch  müssen 
wir,  wie  oben  schon,  auch  hier  wieder  annehmen,  daß  er  auch 
bei  seinen  Lesern  eine  genaue  Bekanntschaft  mit  den  Euripus- 
strömungen  voraussetzt,  wenn  er  überhaupt  annehmen  konnte. 


360 


A.  Endrös 


daß  er  mit  dieser  kurzen  Andeutung  verstanden  werde.  Es 
sind  nun  in  unserer  Stelle  nur  die  sogenannten  regelmäßigen 
Euripusströmungen  gemeint,  weil  für  sie  nur  der  Vergleich 
stimmt  und  sie  nur  durch  die  Gezeitenbewegung  in  der  er- 
wähnten  Weise  verursacht  werden.  Die  Gezeiten  des  Xord- 
hafens  werden  aber  mit  der  Annäherung  an  die  Zeiten  der 
Quadraturen  des  Mondes,  das  ist  des  ersten  und  letzten  Viertels, 
wie  überall  im  Meere,  immer  kleiner  und  im  Golf  von  Euboea 
haben  sie  die  Eigentümlichkeit,  daß  sie  in  einem  großen  Teile 
des  Jahres  um  diese  Zeit  ganz  verschwinden.  Dann  treten 
die  von  alters  her  bekannten  unregelmäßigen  Strömungen  auf, 
welche  dem  Euripus  eine  solche  Berühmtheit  verschafft  haben. 
Daß  nun  Aristoteles  auch  diese  kannte  und  sogar  richtig  er- 
klärte, können  wir  aus  einer  weiteren  Stelle  ersehen. 

Zuvor  ist  noch  eine  Unklarheit  im  Texte  unserer  ohigen  Stelle  zu 
erwähnen,  wo  fj  s^codev  steht,  während  dem  Sinne  nach  nur 

efco  erwartet  werden  kann,  wenn  anders  der  Vergleich  mit  den  Pneu- 
mata  stimmen  soll.  Einige  Ausgaben  haben  auch  sfw,  wie  in  den  Fuß- 
noten erwähnt  ist.  Auch  F.  Vatablus’)  übersetzt  die  Stelle  im  Sinne 
von  ffto:  ,quomodo  aquarum  influxus  in  contrariam  atque  effluxus  par- 
tem  fit.“  Ich  halte  es  nicht  für  unmöglich,  daß  hier  eine  Änderung 
eines  Abschreibers  vorliegt.  Die  von  außen  her  gerichtete  Flut  ent- 
sprach nämlich  der  Vorstellung  vom  Bewegungsvorgang  der  Ebbe  und 
Flut  einzig  und  allein,  weil  an  allen  Küstenpunkten  die  Flut  von  außen 
her  kommt.  Nur  bei  Chalkis  haben  wir  diese  Unregelmäßigkeit,  auf 
die  J.  P.  Babin^)  zuerst  aufmerksam  gemacht  hat.  Der  Grund  für  diese 
Anomalie  ist  darin  zu  suchen,  daß,  wüe  wir  oben  schon  gesehen  haben, 
der  vom  Aegäischen  Meere  viel  mehr  abgeschlossene  Golf  von  Euboea 
so  starke  Gezeiten  aufweist,  aber  der  mit  dem  Meere  unmittelbar  zu- 
sammenhängende südliche  Golf  von  Petali  so  viel  wie  keine  halbtägigen 
Gezeiten  zeigt.  Deshalb  geht  die  Flutströmung  nicht  von  außen  herein, 
sondern  auswärts,  der  Ebbestrom  aber  einwärts,  nicht  umgekehrt,  wie 
es  an  allen  anderen  Buchten  und  Küstenpunkten  der  Fall  ist. 


*)  Übers,  d.  Meteor.,  zit.  S.  356,  p.  191,  2. 
2)  Vgl.  Pet.  Mitt.  18S8,  S.  331. 


Die  Gezeiten,  Seiches  und  Strömungen  des  Meeres  etc.  361 


Die  Seichesbewegungen  des  Meeres  bei  Aristoteles. 

Eine  zweite  ozeanographisch  sehr  wichtige  Stelle  findet 
sich  im  1.  Kapitel  des  II.  Buches  der  Meteorologika,  wo  vom 
Meere  und  seiner  Entstehung  die  Rede  ist.  Dieselbe  enthält 
die  merkwürdige  Tatsache,  daß  Aristoteles  die  Seiches  der  Meere 
wohl  gekannt  hat.  Die  Stelle  in  Meteor.  II,  1')  lautet: 

. {>eovaa  d'  tj  d'üXaiia  cpalvexai  xaia  rag  oxsvoiijzag,  sl'  nov  Sia 
xijv  jizQiEj^ovaav  yi]v  elg  fiixpov  ex  ^eydlov  avvdyeTut  jieXayovg,  did  x6  xaXav- 
xevsa&ai  devQO  x’  äxsTae  ixolkdxig.  xovxo  S'  ev  ^ler  xxoßJ.xü  jxlrj'd^ei  d^aXdxxrjg 
dStjkov'  de  8id  xrjv  axevdxiqxa  xfjg  yijg  dXiyov  eixeyei  xdjxov,  dvayxaiov  xijv 
ev  xw  gxe).dyei  /iiixodv  xaXdvxcooiv  exei  xpaiveo&ai  fieyd/^rjv. 

, Flutend  aber  sieht  man  das  Meer  längs  der  eingeengten  Stellen, 
wenn  irgendwo  es  sich  infolge  der  Umschließung  duixh  das  Land  aus 
der  weiten  Meeresfiäche  in  einen  kleinen  Raum  zusammenzieht,  weil  das 
Meer  häufig  her  und  hin  schwankt.  Diese  Erscheinung  Vjleibt  auf  offenem 
Meere  unbemerkt;  wo  es  aber  infolge  der  Einengung  durch  das  Land 
wenig  Platz  hat,  dort  muß  die  auf  dem  weiten  Meere  kleine  Schwankung 
notwendig  vergrößert  sich  zeigen.“ 

Diese  ganze  Stelle  könnte  ungeändert  in  ein  modernes 
Lehrbuch  der  Ozeanographie  aufgenommen  werden.  Dabei  ist 
aber  zu  beachten,  daß  erst  nach  den  Forschungen  der  beiden 
letzten  Jahrzehnte  unser  Wissenstand  so  weit  ist  um  das  vor- 
liegende Gesetz  aufstellen  zu  können.  Im  Jahre  1869  näm- 
lich hatte  F.  A.  ForeD)  an  dem  Eingang  des  Hafens  von 
Morges  am  Genfersee,  also  auch  an  einer  Einengung,  ein  solches 
Hin-  und  Herfiießen  beobachtet  und  war  dann  auf  Grund  mehr- 
jähriger Untersuchungen  mit  Registrierapparaten  zu  dem  Er- 
gebnis gekommen,  daß  diese  lokale  Erscheinung  nur  eine  Folge 
der  periodischen  Schwankungen  des  ganzen  Sees  ist,  welche 
dann  nach  einer  Lokalbezeichnung  am  Genfersee  in  der  Wissen- 
schaft allgemein  Seiches  genannt  wurden.  Forel  hat  dann 
die  Untersuchung  der  gleichen  Bewegungen  der  Meere  ange- 
regt und  erst  in  den  letzten  20  Jahren  konnten  diese  Erschei- 
nungen  in  den  Meeren  soweit  ei'forscht  werden,  daß  man  die 


Ed.  ac.  Bor.,  zit.  S.  356,  p.  354,  1. 

F.  A.  Forel,  Le  Leman  II.  Lausanne  1895,  S.  53. 
Sitzungsb.  d.  math.-phys.  KI.  Jabrg.  1915. 


362 


A.  Endrös 


längst  bekannten  Schwankungen  in  den  Buchten  als  eine  Folge- 
erscheinung von  Schwankungen  des  offenen  Meeres  ansehen 
muß,  welche  von  Forel  als  Vibrationen  des  Meeres  bezeichnet 
wurden.  Speziell  haben  die  Japaner^)  nachgewiesen,  daß  die 
Schwankungen  auch  außerhalb  der  Buchten  mit  gleicher  Perioden- 
dauer zu  beobachten  sind,  aber  so  kleine  Amplituden  haben, 
daß  sie  unter  den  anderen  Niveauänderungen  ganz  verborgen 
bleiben.  Die  moderne  Seichesforschung  hat  also  erst  in  den 
letzten  Jahren  nachweisen  können,  was  Aristoteles  2200  Jahre 
früher  als  Gesetz  ausgesprochen  hat. 

Zu  beachten  ist,  daß  die  griechische  Bezeichnung  von  Seiche  mit 
TaÄdvTcoatg  den  Bewegungsvorgang  auch  wirklich  ausdrückt,  was  von 
keiner  anderen  lokalen  Bezeichnung  dieser  Naturerscheinung  in  den  ver- 
schiedenen Sprachen  und  Gegenden  gesagt  werden  kann.  Dieselbe  ist 
jedenfalls  von  den  Schwankungen  des  Wagebalkens  genommen.  Ob  Ari- 
stoteles auch  den  Isochronismus  der  Schwingungen  gekannt  hat,  wie  er 
bei  den  Schwingungen  an  der  Wage  zu  beobachten  ist,  ist  nicht  wahr- 
scheinlich. Wenigstens  sind  die  Seichesbewegungen  ganz  selten  so  regel- 
mäßig, daß  man  isochrone  Bewegungen  beobachten  kann,  weil  immer 
mehrere  Schwingungen  von  verschiedener  Periodendauer  sich  überlagern. 
Diesen  Bewegungsvorgang  des  Meerwassers  bezeichnet  Aristoteles  auch 
bloß  mit  gsir,  wobei  darunter  ein  Hin-  und  Herfließen  zu  verstehen  ist, 
wie  in  unserer  Stelle  bei  dem  Fluten  der  Meerengen.  Ein  Fließen  im 
Sinne  eines  Flusses,  also  eine  fortschreitende  Bewegung  in  derselben 
Richtung,  kann  nach  Aristoteles  das  Meerwasser  nicht  haben. 

Aristoteles  spricht  an  unserer  Stelle  nur  von  einer  hin- 
und  hergehenden  Bewegung  des  Wassers  bei  den  Seiches- 
schwinerungen,  wohl  weil  diese  nach  seiner  Ansicht  die  Strö- 
mungen  in  den  Meerengen  nur  verursachen.  Nun  ist  aber 
damit  ein  Heben  und  Senken  des  Niveaus  verbunden.  Obwohl 
davon  nicht  die  Rede  ist,  glaube  ich  doch,  daß  Aristoteles 
diese  Bewegung  gekannt  hat,  schon  weil  das  Heben  eine  not- 
wendige Folge  des  Herfließens,  das  Senken  des  Wegfließens  ist. 
Außerdem  fällt  das  periodische  Heben  und  Senken  des  Niveaus 
dem  Beobachter  am  Ufer  zunächst  in  die  Augen.  Ich  selbst 

b K.  Honda,  An  Investigation  of  the  secondary  undulations  of 
oceanic  tides.  Journ.  Coli.  Science,  Bd.  24.  Tokyo  1908. 

b Vgl.  Ed.  ac.  Bor.,  zit.  S.  356,  p.  354,  1. 


Die  Gezeiten,  Seiches  und  Strömungen  des  Meeres  etc. 


363 


konnte  an  allen  Seen  erfahren,  dah  einzelne  aufmerksame  Be- 
obachter diese  viel  kleineren  Schwankungen  wohl  kannten. 
Daß  auch  die  Alten  diese  „beständig  rückkehrende  Bewegung 
aus  sich  heraus  und  in  sich  zurück“  wohl  gekannt  haben, 
sehen  wir  aus  einer  Stelle  bei  Strabo^),  der  anschaulich 
schildert,  wie  dem  am  Ufer  stehenden  die  Füße  bespült  und 
wieder  entblößt  und  wieder  bespült  werden  und  das  in  einem 
fort,  und  zutreffend  bemerkt,  dies  geschehe  zwar  häufiger  bei 
Wind,  aber  auch  bei  ruhiger  See  und  bei  vom  Lande  weg 
wehendem  Winde.  Diese  Bewegungen  zeigen  sich  viel  augen- 
fällicer  in  Buchten  und  müssen  in  den  vielen  Buchten  der 

O 

reich  gegliederten  griechischen  Küste  auch  von  jeher  beobachtet 
worden  sein.  Besonders  stai'ke  Schwankungen  zeigen  sich  im 
Südhafen  von  Chalkis,  wo  sie  eine  Hubhöhe  von  30  Zentimeter 
erreichen  können  und  ständig  vorhanden  sind,  wie  Miaulis 
beobachtet  hat.  Diese  verursachen  auch  hauptsächlich  die 
unregelmäßigen  und  rasch  wechselnden  Euripusströmungen  um 
die  Zeit  der  Quadraturen  des  Mondes.  Es  ist  auch  sehr  wahr- 
scheinlich, daß  sie  Aristoteles  gerade  von  dort  her  aus  eigener 
Beobachtung  kannte.  Die  Gezeitenbewegung  bleibt  nämlich 
dort  unter  den  ständigen  Seichesbewegungen  fast  ganz  ver- 
borgen. Weitei'e  Beobachtungen  von  sehr  deutlichen  Seiches 
liegen  vor  von  Posidonia  am  Ende  des  korinthischen  Meer- 
busens,  von  Isthmia  am  Ende  des  Saronischen  Golfes  und  von 
Poros  an  der  gleichnamigen  Bucht,  welche  Beobachtungen  mit 
Registrierapparaten  von  Makaroff  gemacht  und  von  G.  Wege- 
mann bearbeitet  sind,®)  wobei  Hubhöhen  von  bis  40  Zenti- 
meter gefunden  wurden.  Da  gerade  an  den  beiden  letzten 
Punkten  die  Gezeitenbewegungen  nur  klein  sind  und  diese 
Schwankungen  zum  Teil  in  wenigen  Minuten  sich  wiederholen, 
so  können  sie  den  Anwohnern  nicht  entgangen  sein. 

Warum  Aristoteles  die  Mechanik  dieser  Wasserbewegungen 

*)  Strabo,  I,  53. 

Krümmel,  Pet.  Mit.  1888,  p.  135. 

G.  Wegemann,  Beiträge  zu  den  Gezeiten  des  Mittelländiscben 
Meeres.  Ann.  d.  Hydr.,  August  1907. 


24 


364 


A.  Endrös 


in  ihrem  wahren  Vorgänge  weit  seiner  Zeit  vorauseilend  klar 
erkannt  hat,  läßt  sich  wohl  daraus  erklären,  daß  an  den  zahl- 
reichen Einengungen  des  Meeres  der  griechischen  Küsten  die 
horizontale  Wasserbewegung  leichter  beobachtet  werden  konnte. 
„Überall  da,  wo  das  Meer  infolge  der  Umschließung  durch 
das  Land  in  einen  kleinen  Raum  sich  zusammenzieht,  muß  die 
auf  dem  weiten  Meere  kleine  hin-  und  hergehende  Wasser- 
bewegung notwendig  vergrößert  sich  zeigen“  sagt  deutlich,  daß 
Aristoteles  nicht  nur  die  allbekannten  Meerengen  damit  ge- 
meint  hat,  sondern  auch  jeden  verengten  Eingang  in  eine  Bucht 
oder  einen  Hafen.  Besonders  stark  sind  diese  Strömungen  in 
dem  schmalen  Kanal,  der  die  fast  kreisrunde  Bucht  im  Süden 
von  Chalkis  mit  dem  Eretrischen  Euripus  verbindet,  so  daß 
von  jeher  für  die  Durchfahrt  der  Schiffe  eigene  Anweisungen 
galten.  Auch  der  Eingang  in  die  südliche  Bucht  der  Insel 
Lesbos  und  die  Meerenge  von  Knidos  müssen  wegen  solcher 
periodischen  Strömungen  besonders  bekannt  gewesen  sein,  da 
sie  als  Euripos  bezeichnet  wurden.  Alle  diese  Strömungen  will 
jedenfalls  Aristoteles  mit  den  häufigen  Schwankungen  des  Meeres 
begründen  und  er  hat  darin  die  vollständig  richtige  Begrün- 
dung gefunden,  wie  man  nach  dem  heutigen  Wissensstand 
sagen  kann. 

Man  muß  sich  wundern,  daß  gerade  diese  Stelle  bei  Ari- 
stoteles so  wenig  beachtet  und  gar  nicht  gewürdigt  worden  ist. 
Einen  Grund  hiefür  können  wir  wohl  darin  suchen,  daß  die 
Stelle  über  die  Seiches  im  Zusammenhänge  mit  den  Strömungen 
in  den  Meerengen  steht  und  diese  von  jeher  zu  den  ungelösten 
Problemen  gehörten.  In  neuerer  Zeit  finde  ich  sie  nur  von 
H.  Berger  erwähnt. ü Er  sucht  aber  in  den  geschilderten 
Schwankungen  Gezeitenbewegungen.  Aber  schon  der  Umstand, 
daß  Aristoteles  diese  Schwankungen  „häufig“  auftreten  läßt, 
spricht  gegen  die  Annahme  von  Gezeiten,  da  dieselben  ja  regel- 
mäßig und  ununterbrochen  wiederkehren,  was  Aristoteles  be- 

H.  Berger,  Geschichte  der  wiss.  Erdkunde  der  Griechen.  Leip- 
zig 1889,  II,  S.  114,  Fußnote  4. 


Die  Gezeiten,  Seiches  und  Strömungen  des  Meeres  etc.  365 

kannt  war.  Eine  solche  Deutung  der  Stelle  ist  aber  nun  ganz 
ausgeschlossen,  nachdem  wir  aus  unserer  ersten  Stelle  wissen, 
daß  Aristoteles  die  Gezeiten  allgemein  nicht  als  ein  Hin-  und 
Herschwanken  des  Meeres  angesehen  hat,  sondern  als  eine  Art 
Ein-  und  Ausatmen  der  Erde  und  nur  weil  Berger  sich  auf 
die  Stelle  bei  den  Doxographen  stützte,  die  Aristoteles  die 
Gezeiten  des  Atlantischen  Ozeans  als  Schwankungen  des  Meeres 
auffassen  ließen,  konnte  er  zu  dieser  Deutung  kommen. 

Nun  ist  aber  immer  noch  sehr  auffällig,  daß  Aristoteles 
allgemein  ausspricht:  , Flutend  erscheint  das  Meer  durch  die 
Schwankungen“,  während  doch  allbekannt  war,  daß  die  deut- 
lichsten und  stärksten  Strömungen  an  einigen  Meerengen  ge- 
rade die  Gezeiten  verursachen.  Man  hätte  eine  eigene  Erwäh- 
nung dieser  Strömungen  erwarten  müssen.  Hiefür  kann  man, 
wie  ich  glaube,  eine  vollständige  Aufklärung  in  unserer  ersten 
Stelle  über  die  Gezeiten  und  die  Euripusströmungen  finden,  wo 
er  diese  Strömungen  mit  als  Ebbe  und  Flut  ansieht,  derart, 
daß  der  Euripus  bei  Chalkis  an  dem  Ein-  und  Auswärtsfließen 
des  Euboeischen  Meeres  direkt  teilnimmt,  das  Einwärtsfließen, 
also  die  Nordströmung,  eben  die  äfincDrig  und  das  Auswärts- 
fließen, die  Südströmung,  die  7iX}]tifxvQig  ist.  Die  Behandlung 
dieser  Strömungen  gehörte  also  in  eine  Abhandlung  über  die 
Gezeiten,  die  wir  allerdings  bei  Aristoteles  nirgends  finden, 
worauf  ich  später  zurückkommen  werde.  Die  Gezeitenströ- 
mungen an  solchen  eingeengten  Stellen  sind  außerdem  überall 
im  Mittelmeer,  ausgenommen  bei  Chalkis  und  bei  Messina,  so 
schwach,  daß  sie  neben  den  Strömungen  infolge  der  Seiches 
nicht  beobachtet  werden  können. 

Hier  sei  noch  eine  weitere  Stelle  aus  den  Schriften  des  Aristoteles 
besprochen,  welcher  aber  nicht  die  Bedeutung  der  obigen  Stelle  zukommt. 
Es  ist  nämlich  nicht  sicher,  ob  sie  von  Aristoteles  selbst  stammt,  weil 
sie  in  den  Problemata  enthalten  ist.  von  denen  erwiesen  zu  sein  scheint, 
daß  sie  erst  von  späteren  Peripatetikern  gesammelt  worden  sind,  wobei 
die  fehlenden  Lücken  aus  anderen  Werken,  besonders  aus  denjenigen 
von  Theophrast  ergänzt  worden  sind.')  Auch  sind  diese  kurzen  Be- 


')  W.  V.  Christ,  Geschichte  der  griech.  Literatur,  I,  G.  Aufl.,  p.  737. 


366 


A.  Endrös 


merl\ungen  über  die  schwierigsten  schwebenden  Fragen,  soweit  sie  wirk- 
lich von  Aristoteles  herrühren,  jedenfalls  nicht  auf  Grund  systematischer 
Verarbeitung  des  betreffenden  Stoffes  entstanden,  sondern  mehr  als  ge- 
legentliche, bei  der  Lektüre  oder  bei  der  Bearbeitung  anderer  Gebiete 
sich  aufdrängende  Fragen  aufzufassen,  die  später  gelegentlich  vielleicht 
auch  weiter  verfolgt  werden  sollten.  Die  Stelle  ist  aber  dennoch  für 
unsere  Frage  der  Seiches  und  Strömungen  von  Interesse,  weil  sie  wenig- 
stens aus  jener  Zeit  stammt  und  auf  eine  diesbezügliche  Äußerung  des 
Aristoteles  vielleicht  zurückzuführen  ist.  Die  Stelle  in  Aristoteles  Pro- 
blemata  XXVI,  4 lautet:') 

Aia  Ti  ai  zQOTiai  nviovoiv;  ^ Sia  xo  avxo  o xal  oi  svqltoi  (>iovoiv ; 
/tsxQi  yao  rov  Qeiv  xal  fj  däkaaaa  (psQsrai  xal  6 d/jg'  gld' öxav  drxijieaf] 
xal  iiTjxixi  Svvtjxai  xd  djiöyeia  Jigodygir  did  /lij  layrgdv  sysiv  xijv  dgxlp’  xfjg 
xirtjaecos  xal  cpogäg  jidXii’  drxajioöidcoair. 

„Warum  wehen  die  Wechselwinde?  Etwa  aus  demselben  Grunde, 
aus  welchem  auch  die  Euripus  genannten  Meerengen  hin  und  her  strömen? 
Bis  zum  Fließen  wird  nämlich  sowohl  das  Meerwasser  als  auch  die  Luft 
gebracht.  Wenn  es  (das  Wasser  bzw.  die  Luft)  sich  dann  entgegenstellt 
und  nicht  mehr  im  stände  ist,  das  vom  Lande  her  kommende  weiter  zu 
bewegen,  weil  der  Antrieb  zur  Bewegung  und  zum  Fortbewegen  nicht 
stai'k  ist,  wirft  es  (dasselbe)  wieder  zurück.“ 

Was  diese  Stelle  zur  Frage  enthält,  ist  vor  allem  die  Vorstellung, 
wie  aus  einer  fortschreitenden  Bewegung  des  Wassers  wieder  eine  in  der- 
selben Richtung  zurückkehrende  wird.  Zum  Fließen  wird  das  Meerwasser 
wie  auch  die  Luft  gebracht;  durch  welche  Ursachen,  erfahren  wir  von 
Aristoteles  an  anderen  Stellen,  worauf  ich  zurückkommen  werde.  Aber 
das  Wasser  des  Meeres  kann  nicht  in  fortgesetzt  fließender  Bewegung 
bleiben,  wie  ein  Fluß,  sondern  es  stellt  sich  das  Wasser  selbst  entgegen, 
d.  h.  es  bildet  sich  ein  Wellenberg.  Wenn  dann  die  kinetische  Energie 
des  bewegten  Wassers  aufgebraucht  ist,  weil  sie  sich  in  Energie  der 
Lage  umgewandelt  hat,  so  wird  das  Wasser  wieder  nach  derselben  Rich- 
tung zurückbewegt.  Man  sieht,  es  beruht  diese  Schilderung  auf  einer 
guten  Beobachtung,  wie  man  Wasserwogen  und  Seiches  durch  Bewegen 
des  Wassers  auslösen  kann.  Besonders  ist  darin  auch  enthalten,  daß 
die  Größe  des  Weges,  den  die  Wassermasse  bei  der  hin-  und  hergehen- 
den Bewegung  zurücklegt,  nicht  nur  von  der  Geschwindigkeit,  sondern 
auch  von  der  Masse  des  bewegten  Wassers  abhängt.  Inhaltlich  steht 
also  die  Stelle  vollständig  im  Einklang  mit  unserer  Hauptstelle  über  die 
Seiches  und  kann  daher  wohl  von  Aristoteles  herrühren. 


*)  Ed.  ac.  Bor.,  Bd.  11,  a.  a.  0.,  p.  940. 


Die  Gezeiten,  Seiches  und  Strömungen  des  Meeres  etc.  36/ 


Ursachen  der  Seiches  bei  Aristoteles. 

Nachdem  wir  nun  wissen,  dalä  Ari.stoteles  so  klar  ausge- 
sprochen hat:  „Das  Meer  schwankt  häußg  hin  und  her“,  darf 
man  wohl  in  Anbetracht  der  Gründlichkeit,  mit  der  er  allen 
Problemen  und  besonders  deren  Ursachen  nachgegangen  ist, 
sofort  annehmen,  daß  er  auch  die  Frage  nach  dem  Woher 
dieser  Schwankungen  sich  gestellt  hat.  Eben  diese  Über- 
legung veranlaßte  mich,  die  Schriften  des  Aristoteles  nach 
solchen  Seichesursachen  zu  durchsuchen.  Es  finden  sich  auch 
wirklich  Stellen,  welche  die  auch  heute  bekannten  Haupt- 
ursachen der  Seiches  enthalten. 

Besonders  klar  spricht  Aristoteles  aus,  daß  die  gleiche 
Ursache,  welche  auf  dem  Lande  Erdbeben  erzeugt,  auf  dem 
Meere  Schwankungen  auslöst.  In  dem  gleichen  Buche  II, 
Kapitel  8 der  Meteor,  heißt  es  am  Schlüsse:^) 

,sr£  Sk  QeX  [fj  ^dlnzTa)  xal  ov  aeiexai  XQaTOV/.iivt]  vjio  zwv  zivevLidzojv.“ 
, Außerdem  flutet  das  Meer  und  wird  nicht  erschüttert,  wenn  es  der 
Kraft  der  Pneumata  ausgesetzt  ist.“ 

Da  wir  aus  der  Stelle  S.  361  wissen,  daß  er  unter  geir  beim 
Meere  die  Schwankungen  versteht,  ist  hier  sehr  klar  enthalten, 
daß  bei  Seebeben  solche  Schwankungen  entstehen.  Zu  be- 
merken ist  nur  noch,  daß  unter  Pneumata  hier  nicht  aus- 
schließlich die  oberirdische  Luftbeweguug  der  Winde,  sondern 
die  hochgespannten  unterirdischen  Gase  zu  verstehen  sind,  wie 
der  Zusammenhang  an  dieser  Stelle  ersehen  läßt.  Nach  den 
heutigen  Forschungsergebnissen  wissen  wir  auch,  daß  bei  allen 
Seebeben  Wellen  großer  Länge  entstehen,  die  sich  an  den 
Küsten  als  Seiches  zeigen.  Besonders  bekannt  sind  die  Wellen, 
welche  beim  Ausbruch  des  Krakatau  an  fast  allen  Küstenpunkten 
des  Weltmeeres  auftraten,  ebenso  die  ungewöhnlich  großen 
Seichesschwingungen  in  den  Buchten  Japans  infolge  von  See- 
beben, die  oft  viele  Menschenleben  vernichtet  haben.®) 

1)  Ed.  ac.  Bor.,  a.  a.  0.,  p.  362,  2. 

Vgl.  0.  Krümmel,  Handbuch  der  Ozeanographie,  II.  Stutt- 
gart 1911,  p.  134  ff. 


368 


A.  Enclrös 


Während  an  der  obigen  Stelle  zunächst  die  Wirkung  der- 
jenigen Pneuraata  gemeint  ist,  welche  die  Erdbeben  erzeugen, 
also  mehr  der  von  unten  her  wirkenden  Winde,  findet  sich  an 
einer  weiteren  Stelle  ausdrücklich  die  Einwirkung  der  ober- 
irdischen Winde  erwähnt.  Die  Stelle  lautet:^) 

^ojtov  S’  äfia  xvfia  aeiafic^  yeyoi-et’,  airiov,  orav  ivavxia  yiyvrjrai  ra 
jrvsv/naxa.  tovto  yiyvexai,  oxav  x6  aeiov  xijv  yfjr  m'ev/ia  (psQoitevrjv  vtx'  aXlov 
Tivevfiaxog  xrjv  dälaooav  aTxwaai  ukv  o/.cog  dvvrjxai,  jxgocodovv  de  xal 
avaxekkov  etg  xavxov  avya&Q0ia>]  xoXX'^v'  x6xs  yäg  dvayxaXov  fjxxrfdevxog 
xovxov  xov  Tivevfiaxog  d&göav  wQovuevrjv  vjiö  xov  evavxiov  Tivevfiaxog  exgi)- 
yvva&at  xal  TioieXv  xov  xaxaxXvofiov.'^ 

,Wo  aber  gleichzeitig  mit  einem  Erdbeben  eine  Woge  entstand, 
war  daran  schuld,  daß  entgegengesetzt  gerichtete  Winde  entstanden. 
Solches  ereignet  sich,  wenn  das  Pneuma,  welches  die  Erde  erschüttert, 
das  von  einem  anderen  Winde  bewegte  Meer  nicht  vollständig  zurück- 
drängen  kann,  seinerseits  aber  das  Meer  vorwärts  treibt  und  zusammen- 
schiebt und  dadurch  eine  große  Wassermenge  anhäuft.  Dann  muß  nach 
Überwindung  des  ersteren  die  gesamte  Wassermenge  von  dem  entgegen- 
gesetzten Winde  getrieben  hervorbrechen  und  die  Überschwemmung  ver- 
ursachen.“ 

Was  in  der  Stelle  für  uns  zunächst  wichtig  ist,  ist  die 
klare  Erkenntnis  der  Wirkung  des  Windes  auf  das  Meer,  der 
nach  Aristoteles  das  Meerwasser  in  seiner  Richtung  in  Be- 
wegung versetzt  und  dadurch  Wogen  erzeugt.  Das  TiQoco^elv 
rrjv  Od}MTrav  entspricht  auch  unserer  heutigen  Vorstellung  der 
wogenerregenden  Wirkung  des  Windes.  Dabei  ist  es  aber 
nach  den  neuesten  Ergebnissen  nicht  der  fortgesetzt  gleich- 
mäßig wehende  Wind,  sondern  der  stoßweise  auftretende,  der 
besonders  Wellen  großer  Länge  erzeugt,^)  wie  das  besonders 
bei  böigem  Wetter  in  den  Fallwinden  zu  beobachten  ist,  worauf 
zuerst  S.  Günther  aufmerksam  gemacht  hat. 

Von  besonderem  Interesse  ist  ferner  noch,  daß  Aristoteles 
das  Auftreten  besonders  großer  Wogen  infolge  raschen  Um- 

1)  Ed.  ac.  Bor.,  a.  a.  0.,  p.  362,  2. 

-)  ln  Probl.  23,  11  findet  sich  auch  diese  Beobachtung  ausgesprochen: 
„IlgowdeX  de  ov  avveyeg  tio>  dv  x6  Tivevfia,  dXXd  dgyofievov. 

S.  Günther,  Von  den  rythraischen  Schwankungen  des  Spiegels 
geschlossener  Meeresbecken.  Mitt.  d.  Geog.  Ges.  Wien  1888,  31,  p.  510. 


Die  Gezeiten,  Seiches  und  Strömungen  des  Meeres  etc.  369 


Schlagens  des  Windes  in  die  entgegengesetzte  Richtung  be- 
kannt war,  wie  unsere  Stelle  ersehen  läßt.  Die  Beobachtungen 
an  Seen  und  die  Berichte  über  große  Wasserwegen  an  den 
Meeresküsten  enthalten  häufig  solche  meteorologische  Verhält- 
nisse, bei  denen  ein  rasches  Umschlagen  des  Windes  ange- 
nommen werden  muß.  Wenn  auch  viele  Berichte  besonders 
über  das  Auftreten  von  sogenannten  Seebären  Windstille  am 
Beobachtungsorte  konstatieren,  so  ist  die  Auslösung  der  Woge 
eben  nur  in  weiterer  Entfernung  zu  suchen.  Die  Art  und 
Weise,  wie  die  Woge  entsteht,  denkt  sich  Aristoteles  dabei 
allerdings  sehr  einfach  als  eine  Überlagerung  der  von  den 
sich  begegnenden  Winden  erzeugten  Wogen.  Der  Vorgang  ist 
natürlich  ein  viel  verwickelterer,  wie  wir  heute  wissen.  Vor 
allem  wirkt  dabei  eine  plötzliche  Änderung  des  Luftdruckes 
mit,  ferner  hängt  die  Höhe  der  Woge  mit  dem  Zeitintervall 
zwischen  dem  Nachlassen  des  einen  und  dem  Auftreten  des 
entgegengesetzten  Windes  zusammen  in  Verbindung  mit  der 
Tiefe  des  Meeres  und  der  Gebietsausdehnung,  welche  dieser 
Störung  ausgesetzt  ist,  und  anderen  Faktoren;  eine  Analyse  des 
einzelnen  Vorgangs  ist  aber  schon  deshalb  nicht  möglich,  weil 
die  Störungsstelle  immer  auf  dem  Meere  draußen  liegt  und 
eine  Beobachtung  dieser  Faktoren  unmöglich  ist. 

Daß  gleichzeitig  mit  dem  Erdbeben  eine  solche  durch 
meteorologische  Ursachen  erzeugte  Woge  auftritt,  wie  sie  Ari- 
stoteles erwähnt,  ist  wohl  möglich.  Doch  wird  gewöhnlich 
die  Wirkung  des  Erdbebens  selbst,  eines  sogenannten  Dis- 
lokationsbebens, die  großen  Wasserfluten  erzeugen.  Was  für 
unsere  Frage  von  Interesse  ist,  ist  die  Tatsache,  daß  Aristo- 
teles sogar  in  Erdbeben  wogen  meteorologische  Ursachen  suchte, 
während  man  später  bis  auf  unsere  Zeit  umgekehrt  als  Ur- 
sachen aller  großen  Wasserwogen  immer  ferne  Erd-  und  See- 
beben betrachtete  und  erst  in  neuester  Zeit  als  gewöhnliche 
Ursachen  derselben  meteorologische  Vorgänge  wieder  erkannt 
hat.  Wenn  auch  dieser  wiederum  mit  den  modernsten  An- 
sichten übereinstimmende  Standpunkt  des  Aristoteles  sich  ein- 
fach aus  seiner  Theorie  der  alles  vermögenden  Pneumata  ergibt. 


370 


A.  Endrös 


SO  ist  doch  die  klare  Erkenntnis  solcher  Vorgänge  und  die  ein- 
fache Erklärung  derselben  für  die  damalige  Zeit  sehr  staunenswert. 

Daiä  auch  das  Vorauseilen  dieser  Wogen  vor  dem  Winde 
Aristoteles  bekannt  war,  folgt  aus  einer  Stelle  im  gleichen 
Kapitel  8 der  Meteor. ; 

y^Q  TO.-TOi,  — , ötä  TO  Ttjv  üa/.ÜTTai'  fisv  TTOOCodeiaOat  ijSij 

aÖQooi&sv,  — ,Wenn  der  Südwind  zu  wehen  im  Begriffe  ist,  zeigt  er 
sich  vorher  an.  Es  geben  die  Gegenden  ein  Geräusch,  weil  das  Meer 
schon  von  der  Ferne  her  vorwärts  getrieben  wird.  . . 

Die  Frage,  warum  die  Wogen  dem  Winde  vorauseilen, 
ist  auch  in  den  Problemata  dreimal  besprochen,  nämlich  in 
Buch  XXIII,  2,  11  und  12.  In  No.  2 und  11  finden  wir  über- 
einstimmend die  gleiche  Begründung  wie  oben,  daß  der  Wind 
das  Meer  vorwärts  stoße  von  der  Ferne,  ein  :igo(o&eh’  xr]v 
ddXmrav.  Während  aber  bei  den  vorausgehenden  Stellen  nach 
dem  Zusammenhang  nur  Wellen  großer  Länge  gemeint  sein 
können,  kann  mau  an  diesen  Stellen  unter  xvfinTa  ebenso  die 
Oberflächenwellen  des  Windes  wie  die  langen  Wellen  verstehen. 
Beide  Wellenarten  werden  vom  fernen  Winde  erregt  und  ge- 
langen, wie  richtig  geschildert  ist,  dadurch,  daß  das  vom  Winde 
angestoßene  Meer  das  daran  angrenzende  seinerseits  in  Wellen- 
bewegung versetzt,  vor  dem  Winde  oder  auch,  ohne  daß  der 
AVind  das  Ufer  selbst  erreicht,  an  die  Küste.  Die  Stellen  selbst 
scheinen  auch  von  Aristoteles  wirklich  herzurühren;  aus  dem 
erwähnten  Grunde  aber  können  wir  sie  doch  nicht  für  unsere 
Frage  direkt  verwenden. 

Aus  den  obigen  Ausführungen  geht  also  zur  Genüge  her- 
vor, daß  Aristoteles  außer  den  Erdbeben  als  Hauptursache  der 
Seiches  die  Einwirkung  der  Pneumata  auf  die  AVasserober- 
fläche  angenommen  hat.  Die  AVinde  läßt  er  dabei  ausschließ- 
lich durch  ihren  Stoß  auf  das  AA'asser  wirken.  A'ergleicht  man 
diese  seine  Ansicht  mit  dem  jetzigen  AAhssensstand  in  dieser 
Frage,  so  ersieht  man,  daß  Aristoteles  zwei  von  den  3 Haupt- 
ursachen der  Seiches  der  Meere  damit  richtig  erkannt  hat. 


Ed.  ac.  Bor.,  zit.  S.  356,  p.  367,  1. 


Die  Gezeiten,  Seiches  und  Strömungen  des  Aüeeres  etc.  371 


Nur  die  weitere  häufige  Ursache  der  Luftdruckschwankungen 
ohne  Mitwirkung  des  Windes  war  ihm  unbekannt,  wenn  wir 
nicht  in  dieser  Wirkung  der  Pneumata  auch  den  Luftdruck 
einschließen  dürfen.  Bedenkt  man  aber,  .daß  auch  heutzutage 
die  Ursachen  der  Seiches  der  Meere  nicht  durch  Beobach- 
tungen gefunden  wurden,  sondern  nur  durch  Analogieschluß 
von  den  kleinen  Wasserbecken  auf  das  große  Meer  abgeleitet 
sind,  so  müssen  wir  auch  hierin  die  Kenntnisse  der  alten 
Griechen,  speziell  des  großen  Stagiriten  bewundern. 

Die  Gezeiten  des  Atlantischen  Ozeans  bei  Aristoteles. 

Von  jeher  hatte  man  gerade  bei  Aristoteles  nach  einer 
Ansicht  über  Ebbe  und  Flut  gesucht,  weil  man  wußte,  daß 
er  alle  Gebiete  des  menschlichen  Wissens  seiner  Zeit  beherrscht 
hatte.  Während  man  nun  auffälliger  Weise  die  einzige  in 
seinen  Schriften  wirklich  enthaltene  und  uns  überkommene 
Stelle  nicht  beachtete,  hielt  man  sich  an  zwei  andere  Stellen, 
die  über  die  Gezeiten  des  Atlantischen  Ozeans  handeln,  die  aber 
sich  nicht  in  den  uns  überkommenen  Schriften  finden.  Die 
eine  Stelle  überliefert  uns  Strabo,  die  andere  findet  sich  bei 
den  Doxographen  und  in  beiden  Stellen  ist  Aristoteles  miß- 
verstanden worden,  wie  ich  im  folgenden  zeigen  werde. 

In  der  Erdbeschreibung  des  Strabo  findet  sich  in  Buch  III, 
c.  153  das  bekannte  Fragment  von  Posidonius: 

^fl  dfj  aal  töv  ’AoiaioziXrj  eprjaiv  Tloasidcoviog  ovx  ooOwg  ahiäa&ai  rijv 
Jiaga/.cav  zwv  Tzkrjufiygidoiv  xnl  zwv  dfijzwzezov'  :za?.iQQOsTv  ydg  zpävai  zrjv 
&äkazzav  öid  z6  zag  dxzdg  vipz]läg  ze  xac  zaysing  elvai  dsyo(.iivag  zt  zo 
HVfia  oxXzjgwg  xac  ävzajzodcdovaag.  z'  uvdvzia  ydg  zfj  ‘Ißr)gi<t  divzödeig  slvai 
xal  zaneivdg  zag  jzlstazag,  dgdöjg  ?Jyo>v.'‘ 

, Weshalb  denn  auch  Posidonius  bemerkt,  daß  Aristoteles  mit  Un- 
recht die  Küste  als  Ursache  der  Fluten  und  Ebben  angebe;  er  behaupte 
nämlich,  das  Meer  flute  abwechselnd  hin  und  her,  weil  die  Ufer  steil  und 
felsig  wären,  welche  so  der  Woge  widerstünden  und  sie  zurückwerfen  in 
entgegengesetzter  Richtung.  Im  Gegenteil  nämlich  habe  Iberien  größten- 
teils sandige  und  niedrige  Ufer,  fügt  Posidonius  mit  Recht  au.“ 

An  der  Stelle  ist  ohne  Zweifel  zu  ergänzen  „als  Ursache 
der  dortigen  Fluten  und  Ebben“,  wie  Schühlein  auch  betont 


372 


A.  Kndrös 


hat/)  womit  natürlich  die  im  Verhältnis  zum  Mittelländischen 
Meere  großen  Gezeiten  nur  gemeint  sein  können,  welche  durch 
die  seefahrenden  Phönizier  auch  in  Griechenland  schon  bekannt 
waren.  Wir  müssen  diese  Ergänzung  jetzt  notwendig  anbringen, 
weil  wir  die  Ansicht  des  Aristoteles  über  die  Gezeiten  ja  kennen. 
Auch  Posidonius  hat  jedenfalls  in  diesem  Sinne  Aristoteles  er- 
widert und  Strabo  hat  eben  auch  an  dieser  Stelle  ungenau 
zitiert,  wie  ihm  Schühlein  so  oft  nach  weisen  konnte.  Wenn 
Aristoteles  wirklich  die  astronomischen  Gezeiten  hiemit  gemeint 
hat,  was  mir  nicht  wahrscheinlich  ist,  so  war  das  Heranziehen 
der  Reflexion  zur  Erklärung  großer  Fluthöhen  ganz  im  Sinne 
der  modernen  Forschungsergebnisse.  Stoßt  die  Flutwelle  senk- 
recht auf  die  entgegenstehende  Küste  auf,  so  wird  sie  in  der 
gleichen  Richtung  wieder  zurückgeworfen  und  durch  Über- 
lagerung der  ankommenden  und  der  reflektiei'ten  Welle  erlangt 
die  Fluthöhe  den  doppelten  Betrag.  Schon  Börgen  hat  die 
Reflexion  gerade  zur  Erklärung  der  ungewöhnlichen  Fluthöhen 
an  der  englischen  Küste  herangezogen und  R.  A.  Harris  hat 
in  seiner  neuen  Theorie  der  Gezeiten* *)  den  gleichen  Vorgang 
an  vielen  Küstenpunkten  mit  Recht  angenommen.  Wir  sehen 
daraus,  daß  Aristoteles  den  Vorgang  der  Reflexion  der  Wellen 
gekannt  und,  wie  es  scheint,  an  der  Reflexion  der  Oberflächen- 
wellen des  Meeres  an  steilen  Küsten  beobachtet  hat.  Bei  den 
kurzen  Wellen  nämlich  ist  ein  steiles  Ufer  notwendig,  damit 
nicht  die  Welle  brandet  und  sich  überschlägt;  daß  aber  die 
Woo’en  von  bedeutender  Länge  auch  an  flachen  Küsten  ebenso 
reflektiert  werden  wie  an  Steilküsten,  hat  Aristoteles  nicht 
gewußt,  wie  wir  aus  dieser  Stelle  ersehen  können. 

Es  ist  aber  auch  die  Möglichkeit  nicht  auszuschließen,  daß 
Aristoteles  und  auch  Posidonius  an  dieser  von  Strabo  aus 
dem  Text  herausgerissenen  Stelle  die  astronomischen  Gezeiten 
o^ar  nicht  gemeint  hat  und  die  Stelle  von  Strabo  wieder  miß- 

1)  F.  Schühlein,  Untei'suchungen  über  des  Posidonius  Schrift: 
.-regt  (oy.euvov,  Programm  des  hum.  Gymn.  Freising,  1901,  S.  93. 

2)  Ann.  d.  Hydrographie,  1908,  S.  410. 

*)  R.  A.  Harris,  Manual  of  Tides  IV  A und  IV  B. 


Die  Gezeiten,  Seiches  und  Strömungen  des  Meeres  etc. 


373 


verstanden  worden  ist.  Posidonius  selbst  spricht  nach  Strabo^) 
von  , manchmal  eintretenden  gesteigerten  Fluten“,  für  welche 
er  die  doppelte  Fluthöhe  derjenigen  bei  Springflut  anset^-.t  und 
von  denen  er  sagt,  daß  „sie  ein  gemeinsames  Vorkommnis  an 
der  ganzen  Küste  des  Ozeans  rund  herum  sein  sollen.“  Es 
können  darin  nur  die  durch  meteorologische  Ursachen  erzeugten 

o o 

Fluten  gesucht  werden,  wie  sie  an  vielen  Küsten  des  Meeres 
auftreten  und  die  von  Alters  her  bekannt  waren.  Aristoteles 
selbst  kannte  auch  die  Nachrichten  von  großen  Fluten  im 
Atlantischen  Ozean  und  erwähnt  sie  sogar  zweimal  in  seinen 
Schriften,  so  in  Eth.  Eud.  III,  1,  wo  er  von  der  bekannten 
Sage  spricht,  daß  die  Cimbern  um  sich  in  der  Unerschrocken- 
heit zu  üben  die  Waffen  gegen  die  Fluten  ergreifen,  ferner 
in  Eth.  Nik.  III,  10,  wo  er  von  den  Kelten  spricht,  welche 
weder  die  Erdbeben  noch  die  Fluten  fürchteten.  An  beiden 
Stellen  steht  nun  für  Fluten  y.vfxma,  wie  auch  in  unserem 
obigen  Fragment  die  Flut,  welche  reflektiert  wird,  mit  Kvfia 
bezeichnet  ist.  Strabo  hat  auch  gerade  da,  wo  er  die  auch 
von  Aristoteles  erwähnten  Flutsagen  der  Cimbern  bespricht, 
dieselben  mit  jih^/ujuvQideg  xal  äfincbzeig  im  Texte  gegeben  und 
wirklich  für  astronomische  Gezeiten  angesehen,  wie  aus  der 
Polemik  hervorgeht.  Diese  Verwechslung  der  meteorologi- 
schen und  astronomischen  Fluten  ist  von  Herodots  Zeiten  bis 
in  unsere  Zeit  vorgekommen  und  hat  viel  zu  der  Verwirrung 
in  diesen  Fragen  von  jeher  beigetragen.  Es  ist  demnach  sehr 
wahrscheinlich,  daß  Aristoteles  nur  die  einzeln  manchmal  auf- 
tretenden großen  Fluten  und  Ebben  gemeint  hat,  die  er  ja, 
wie  wir  aus  dem  Vorausgehenden  wissen,  durch  Erdbeben  oder 
Winde  entstanden  denkt  und  welche  durch  die  Reflexion  an 
den  Küsten  zu  solcher  Höhe  gesteigert  werden  können. 

Die  zweite  Stelle,  welche  bis  jetzt  als  einzige  überlieferte 
Ansicht  des  Aristoteles  über  die  Gezeiten  gegolten  hat,  findet 
sich  bei  den  Doxographen  und  fast  gleichlautend  bei  Plutarch, 
Stobaeus  und  auch  bei  Galenus.  Vgl.  Diels  Dox.  Gr.  S.  382: 


1)  Strabo,  III,  175. 


2)  Strabo,  VII,  293. 


I 


3/4  A.  Endrös 

/.do(OTOT£/j;s ')  ^Hoax?.Ei'St]g  v;i6  xov  ij/.tov  la  :JikgTaTa  zwv  ^vsvfidrwr 
xii’ovi'To;  xal  av/xxsQiqpggovtoi’-)  vcp'  wi’  g/tßa?.Ä6vT(oy  /ist'  :!iQom&ov/iifijv 
uvoiösTv  Ttp’  AxXavzixljv  &d?.aaoai’  xal  xazaaxevd^Sii'  zijv  7ih]/i/iVQav , xaza- 
h/ydi'zwv  8'  dvzixsQiax(ü/isvr]v  vjioßaivsiv , ojzsq  sirai  zrjv  ä/ijiioziv.“ 

„Aristoteles  und  Heraklides  lassen  die  Gezeiten  durch  die  Sonne 
entstehen,  welche  die  meisten  Pneumata  in  Bewegung  bringt  und  mit 
sich  herumführt;  diese  Pneumata  fallen  auf  das  Atlantische  Meer  und 
dadurch  werde  dasselbe  vorwärts  gestoßen  und  schwelle  an  und  bilde 
so  die  Flut;  wenn  sie  aber  nachlassen,  ziehe  sich  das  Meer  rings  herum 
in  entgegengesetzter  Richtung  zui'ück  und  nehme  dadurch  ab,  was  die 
Ebbe  sei.“ 

Nachdem  wir  die  Ansicht  des  Aristoteles  über  den  Be- 
wegungsvorgang bei  den  Gezeiten  kennen,  dürfen  wir  mit  ziem- 
licher Sicherheit  behaupten,  daß  obige  Darstellung  nicht  authen- 
tisch sein  kann.  Daß  man  den  Doxographen  in  diesen  kurz 
zusammengefaßten  Ansichten  der  Gelehrten  über  die  wichtigsten 
Probleme  kein  besonderes  Vertrauen  entgegen  bringen  kann, 
zeigen  mir  schon  die  Artikel  über  die  Erdbeben  und  Winde 
bei  Aristoteles,  welche  nur  die  Unmöglichkeit  beweisen,  die 
Theorien  des  Aristoteles,  die  wir  ja  glücklicher  Weise  noch 
besitzen,  in  kurzen  Sätzen  zusammenzufassen.  Wie  irreführend 
gerade  die  Angaben  über  die  Gezeitentheorien  bei  den  Doxo- 
graphen sind,  sieht  man  vor  allem  bei  der  kurzen  Bemerkung 
über  Pytheas  Ansicht,  wo  nur  eine  Stelle  aus  seinen  ver- 
dienstvollen Gezeitenbeobachtungen  herausgerissen  und  entstellt 
ist.  Er  hatte  dort,  woran  kein  Zweifel  sein  kann,  nur  betont, 
daß  bei  zunehmendem  Mond  die  größeren  Fluten  und  bei  ab- 
nehmendem die  größeren  Ebben  entstehen,  während  er  nach 
den  Doxographen  die  Fluten  bei  zunehmendem  und  die  Ebben 
bei  abnehmendem  Monde  entstehen  läßt.  Auch  ist  sehr  un- 
wahrscheinlich, daß  Posidonius,  der  beste  Kenner  der  Ge- 
zeiten, diese  durch  die  Winde  entstehen  läßt,  welche  vom  Monde 
bewegt  w'erden  sollen.  Es  ist  doch  ganz  unmöglich,  daß  Posi- 
donius dem  Monde  eine  so  regelmäßige  Einwirkung  auf  die 
Winde  zuschreiben  konnte,  wo  man  bis  heute  vom  Monde 


1)  Stobaeus  hat  xal  und  Galenus  erwähnt  nur  den  Aristoteles. 
Stobaeus  hat  nur  sTsgupsnovzog,  ebenso  Galenus. 


Die  Gezeiten,  Seiches  und  Strömungen  des  Meeres  etc.  375 


keinen  merkbaren  Einfluß  auf  die  Atmosphäre  beobachten  konnte. 
Es  scheint  eben  hier  wieder  vermengt  zu  sein  die  Entstehung 
der  astronomischen  Gezeiten,  deren  Abhängigkeit  vom  Monde 
ja  speziell  Posidonius  zuerst  klar  erkannt  und  ausgesprochen 
hat,  und  diejenige  der  zeitweilig  auftretenden  großen  Fluten, 
welche  durch  Winde  erzeugt  werden  können. 

Bei  unserer  obigen  Stelle  sind  wir  nun  in  der  Lage,  mit 
noch  größerer  Wahrscheinlichkeit  ein  Mißverständnis  des  be- 
treffenden Berichterstatters  zu  erkennen.  Wissen  wir  ja  doch, 
daß  Aristoteles  die  astronomische  Ebbe  durch  ein  Zurückziehen 
des  Wassers  in  die  Erde  und  die  Flut  durch  ein  Herausströmen 
entstanden  gedacht  hat.  Warum  sollte  Aristoteles  bei  den 
Atlantischen  Gezeiten  eine  neue,  ganz  verschiedene  Theorie 
aufgestellt  haben?  Und  wenn  wir  noch  die  Möglichkeit  in 
Betracht  ziehen,  daß  an  einer  uns  verloren  gegangenen  Stelle 
Aristoteles  vielleicht  die  Pneumata  als  wirkende  Kräfte  bei 
diesem  Ein-  und  Ausatmen  angenommen  hat,  so  müßte  beim 
Herabfallen  der  Winde  auf  das  Meer  das  Wasser  zurückge- 
drängt werden  in  die  Erde  und  die  Ebbe  entstehen  und  beim 
Nachlassen  des  Druckes  die  Flut,  nicht  umgekehrt,  wie  obige 
Stelle  klar  angibt.  Unsere  Stelle  kann  daher  nur  einer  ver- 
loren gegangenen  Aufzeichnung  über  die  zeitweise  auftretenden 
meteorologischen  Fluten  entnommen  sein,  die  Aristoteles,  wie 
wir  oben  gesehen  haben,  wobl  gekannt  hat  und  welche  ihn 
jedenfalls  wie  alle  merkwürdigen  Erscheinungen  zu  einer  Er- 
klärung und  Begründung  herausgefordert  haben.  Wir  haben 
im  vorausgehenden  außerdem  gesehen,  daß  Aristoteles  die  zeit- 
weilig aufti'etenden  Wogen  {y.vfiaTO.)  durch  den  Stoß  der  von 
der  Ferne  her  wirkenden  Winde  und  auch  die  Erdbebenwogen 
durch  die  von  oben  oder  unten  her  wirkenden  Pneumata  ent- 
standen denkt.  Und  in  dieser  Schilderung  der  Doxographen 
finden  wir  dieselbe  Entstehung  der  Wogen  genau  wieder.  Auch 
hier  ist  vom  ngoco^eiv  des  Meeres  die  Rede  wie  oben. 

Die  anschauliche  Darstellung  der  Auslösung  der  Fluten  und 
Ebben  stimmt  ja  merkwürdig  damit  überein,  wie  wir  uns  heut- 
zutage die  Entstehung  der  Seiches  durch  Wind  und  Luftdruck 


376 


A.  Endrös 


denken.  Durch  die  Drucksteigerung  der  Luft  auf  einem  Teile 
einer  Wasserfläche  oder  durch  den  Stoh  des  Windes  wird  die 
Wasserfläche  niedergedrückt  und  gegen  das  Ufer  vorwärts 
getrieben  und  schwillt  dort  an.  Allerdings  ist  für  die  Ent- 
stehung der  Ebbe  kein  Nachlassen  des  Druckes  notwendig, 
sondern  durch  die  Gleichgewichtsstörung  sind  nun  die  perio- 
dischen Schwankungen  schon  erzeugt,  da  das  Wasser  durch 
seinen  Überdruck  selbst  wieder  zurückfließt  und  sich  ebenso 
weit  unter  das  Gleichgewichtsniveau  senkt,  als  es  sich  vorher 
über  dasselbe  erhoben  hatte.  Wenn  aber  das  Nachlassen  im 
Takte  der  ausgelösten  Schwingung  erfolgt,  wie  man  bei  den 
besonders  großen  Schwankungen  annehmen  muß  und  es  auch 
nachgewiesen  hat,  dann  wird  die  Schwankung  um  denselben 
Betrag  erhöht.  In  obiger  Schilderung  ist  also  die  Auslösung 
der  Schwingungen  statisch  aufgefaßt,  wie  man  das  auch  an- 
fangs bei  den  Seiches  und  Gezeiten  noch  getan  hat. 

Vergleichen  wir  die  Stelle  bei  den  Doxographen  mit  der- 
jenigen bei  Strabo,  so  finden  wir  eine  große  Ähnlichkeit  beider, 
ja  man  ist  versucht,  die  beiden  Stellen  auf  die  gleiche  Quelle 
zurückzuführen.  Daß  in  der  Strabostelle  die  Flut  als  xvjxa 
angesprochen  ist,  habe  ich  schon  betont  und  die  Reflexion 
dieser  Woge  an  den  steilen  Küsten  paßt  vorzüglich  zu  der 
Doxographenstelle,  da  wirklich  die  Reflexion  die  Hubhöhe  noch 
vergrößert.  Darnach  hätte  Strabo  bei  Benützung  dieser  Posi- 
doniusstelle  wieder  eine  Nebensache  herausgegrififen,  weil  sie 
eben  zur  Schilderung  Iberiens  gerade  paßte,  die  Hauptsache 
aber,  wie  die  Fluten  selbst  entstehen,  w^eggelassen.  Das  Frag- 
ment von  Aristoteles  hätte  demnach  bei  Posidonius  gelautet: 
Die  Winde  fallen  auf  das  Atlantische  Meer  und  dadurch  wird 
dasselbe  vorwärts  gestoßen  und  schwillt  an  und  bildet  so  eine 
Woge.  Die  steilen  Ufer  an  der  iberischen  Küste  widerstehen 
der  Woge  und  werfen  sie  in  entgegengesetzter  Richtung  zu- 
rück, wodurch  die  bekannten  Fluten  an  dieser  Küste  sich  er- 
klären. Lassen  die  Pneumata  in  ihrem  Drucke  nach,  so  strömt 
das  Wasser  von  allen  Seiten  wieder  zurück  und  es  entstehen 
die  bekannten  Ebben  dieser  Gegenden. 


Die  Gezeiten,  Seiches  und  Strömungen  des  Meeres  etc.  377 

Die  Stelle  bei  den  Doxographen  enthält  aber  noch  die  als 
wesentlich  zu  bezeichnende  Bemerkung  „vno  rov  fjUov  zu  TilsToza 
zcbv  jivEVfidzcov  xivovvTog  y.al  av/nJiEQicpEQoihog,  worin  als  An- 
sicht des  Aristoteles  hingestellt  ist,  dah  die  Gezeiten  von  der 
Sonnenwirkung  herrühren.  Hierin  ist  aber,  woran  ich  nicht 
zweifle,  nur  eine  Bemerkung  des  Berichterstatters  zu  erblicken, 
der  in  den  Schriften  des  Aristoteles  nach  einer  Erklärung 
gesucht  hat,  daß  diese  Pneumata  eine  so  regelmäßig  wieder- 
kehrende tägliche  Erscheinung  hervorbringen.  Es  ist  nämlich 
weder  an  einer  uns  erhaltenen  Stelle  von  einer  derartigen  Ein- 
wirkung der  Sonne  auf  die  Pneumata  die  Rede  noch  ist  die 
Bemerkung  überhaupt  in  Einklang  zu  bringen  mit  der  Ansicht 
des  Aristoteles  über  die  Bewegung  der  Pneumata,  die  ja  in  den 
Meteorologika  so  eingehend  behandelt  und  zerstreut  in  allen 
4 Büchern  immer  wieder  mit  der  Theorie  übereinstimmend 
dargelegt  ist.  Die  Sonne  erzeugt  wohl  Pneumata,  indem  sie 
durch  ihi-e  Wärme  die  Ausdünstung  fördert  und  nur  insofern 
ist  die  Entstehung  derselben  „vno  zov  f]?uov  xvxXw  q)EQojuEvov“ 
abhängig.  Aristoteles  war  aber  doch  sehr  gut  bekannt,  daß 
die  Richtung  der  Winde,  überhaupt  die  Bewegung  der  Pneu- 
mata eine  Unregelmäßigkeit,  ja  Regellosigkeit  zeigt,  die  nicht 
mit  dem  Gange  der  Sonne  in  Übereinstimmung  zu  bringen  war. 
Noch  viel  weniger  konnte  ein  Aristoteles  eine  so  regelmäßige 
Einwirkung  der  Sonne  auf  die  Pneumata  annehmen,  daß  die 
täglich  so  regelmäßig  wiederkehrende  Erscheinung  der  Ebbe 
und  Flut  dadurch  verursacht  sein  konnte.  Und  daßPlutarch 
noch  ein  ov  jUJiEoiqoEoovzog  daraus  macht,  deutet  erst  recht  darauf 
hin,  daß  man  bei  Aristoteles  eben  eine  Einwirkung  der  Ge- 
stirne gesucht  und  eine  solche  von  der  Sonne  hineinkonstruiert 
hat,  ähnlich  wie  auch  bei  Posidonius  die  Winde  vom  Monde 
bewegt  werden  sollten.  Daß  aber  die  zeitweise  auftretenden 
großen  Fluten  und  Ebben  durch  die  Pneumata  erzeugt  werden, 
die  ihrerseits  von  der  Sonne  beeinflußt  werden,  das  liegt  ganz 
im  Gedankenkreise  des  Aristoteles  und  im  Sinne  seiner  Lehre. 

')  Ed.  ac.  Bor.,  a.  a.  0.,  Met.  II,  4,  S.  359,  2. 


Sitzungsb.  d.  math.-phys.  Kl.  Jahrg.  1915. 


25 


378 


A.  Endrös 


Aristoteles  und  die  Euripusfrage. 

Im  vorausgehenden  konnte  ich  nachweisen,  daß  Aristoteles 
die  Gezeitenbewegung  des  Nordhafens  von  Chalkis  und  die 
damit  zusammenhängenden  Strömungen  wohl  gekannt  hat.  Im 
besonderen  wußte  er,  daß  der  Strom  zur  Zeit  des  raschesten 
Fallens  und  Steigens  infolge  der  Gezeiten  kentert  und  die 
Stromgeschwindigkeit  periodisch  zu-  und  abnimrat.  Er  kannte 
also  damit  die  sogenannten  regelmäßigen  Strömungen  des  Eu- 
ripus  und  ihre  Ursache.  In  gleicher  Weise  kannte  er  die  Seiches 
des  Meeres  und  wußte,  daß  die  rasch  wechselnden  Strömungen 
in  den  Meerengen  durch  diese  Schwankungen  verursacht  werden. 
Er  kannte  also  auch  die  unregelmäßigen  Euripusströmungen 
und  deren  Ursachen.  Es  ist  daher  sehr  merkwürdig,  daß  man 
schon  bald  nach  Aristoteles  die  Lösung  des  Problems  nicht 
mehr  verstanden  hat,  obwohl  sie  in  den  Schriften  desselben 
direkt  enthalten  ist.  Es  erklärt  sich  das  wohl  daraus,  daß 
man  das  Problem  selbst  nicht  mehr  gekannt  hat,  wie  die  irre- 
führenden Einzelheiten  an  den  uns  überkommenen  Stellen  zeigen. 

So  weiß  Strabo  von  Eratosthenes,i)  daß  der  Chalkidische  Euripus 
siebenmal  an  jedem  Tage  seine  Richtung  ändere,  und  dieses  Fi'agment 
des  Eratosthenes  enthält  die  erste  Erwähnung  des  7 maligen  Wechsels; 
Plinius  ferner,  der  sich  wohl  auf  dieselbe  Quelle  stützt,  berichtet  etwas 
genauer,  daß  in  der  Meerenge  bei  Euboea  siebenmal  in  einem  Tage 
und  einer  Nacht  die  Ebbe  und  Flut  wechsle  und  daß  daselbst  die  Flut 
3 Tage  lang  stehen  bleibe,  nämlich  am  7.,  8.  und  9.  Tage  nach  dem 
Neumonde.^)  Wir  sehen,  von  der  ganzen  komplizierten  Erscheinung  ist 
nur  herausgegriffen,  daß  ein  7 maliger  Wechsel  der  Strömung  bei  Tag 
und  ebenso  bei  Nacht  vorkommt.  Nun  zeigt  sich  dieser  Wechsel  nur 
zur  Zeit  der  Quadraturen  und  da  nicht  etwa  in  gleichen  Intervallen,  wie 
die  Stellen  annehmen,  und  auch  nicht  7 mal,  sondern,  wenn  überhaupt 
ein  häufiger  Wechsel  vorkommt,  kann  man  bis  7 und  auch  mehr  solche 
zählen.^)  Und  nur  Plinius  erwähnt,  daß  3 Tage  lang  keine  Fluterschei- 
nung sich  zeige;  aber  auch  diese  Bemerkung  ist  irreführend,  weil  nicht 
diese  unregelmäßigen  Fluten  stehen  bleiben,  sondern  die  regelmäßigen 
Gezeiten.  Man  sieht,  wie  herausgerissen  und  falsch  die  Darstellung  ist. 


Strabo,  II,  55.  Plinius,  II,  100. 

Vgl.  Zum  Problem  des  Euripus,  diese  Sitzungsberichte  1914,  p.  131 


Die  Gezeiten,  Seiches  und  Strömungen  des  Meeres  etc. 


379 


Auf  diese  stützen  sich  auch  die  späteren  Schriftsteller.  Manche  Stellen 
erwähnen  nur  die  große  Unregelmäßigkeit  der  Strömungen,  nicht  aber, 
daß  diese  nur  an  den  3 Tagen  zur  Zeit  der  Quadraturen  anzutreffen  ist. 
Hierher  gehört  auch  Livius,*)  der  aber  als  erster  sehr  nachdrücklich 
einen  regelmäßigen,  siebenmaligen  Wechsel  bestreitet  und  die 
Regellosigkeit  der  Strömungen  in  Stärke  und  Richtung  sehr  anschaulich 
und  richtig  schildert.  Man  sieht  aber  aus  dieser  Stelle,  daß  wieder  die 
regelmäßigen  Strömungen  nicht  bekannt  waren,  sonst  wäre  nach  Livius 
nicht  die  Flotte  des  Sulpicius,  die  an  den  kritischen  3 Tagen  im  Nordhafen 
gelegen  hatte,  ohne  die  regelmäßigen  Fluten  abzuwarten,  wieder  abgesegelt. 

Einen  eingehenderen  Bericht  über  das  Problem  verdanken 
wir  ers^  wieder  dem  Jesuitenpater  J.  P.  Babin,  der  sich  von 
1667  bis  1669  in  Chalkis  aufgehalten  hatte.  Der  Bericht  findet 
sich  mehrfach  in  älteren  Geographien  und  Reisebeschreibungen 
Griechenlands^)  und  auf  Grund  dieses  Berichtes  hat  F.  A.  Forel 
im  Jahre  1879  eine  Erklärung  der  regelmäßigen  Strömungen 
als  verursacht  durch  die  Gezeiten  und  eine  solche  der  unregel- 
mäßigen als  veranlaßt  durch  die  von  ihm  erstmals  wieder  ent- 
deckten  Seiches  gegeben^)  und  das  Euripusproblem  galt  als 
von  Forel  gelöst.  Eigentümlich  mutet  es  uns  aber  an,  wenn  man 
liest,  wie  in  der  ersten  Begeisterung  über  die  Forel  gelungene 
Lösung  ein  französischer  Schriftsteller  H.  von  Parville*)  be- 
dauern zu  müssen  glaubte,  daß  der  große  Stagirite  kein  Zeit- 
genosse Forels  gewesen  sei,  der  ihn  hätte  aufklären  können, 
nachdem  wir  nun  wissen,  daß  Aristoteles  die  Lösung  des  Euripus- 
problems  ebensoweit  gekannt  hatte,  als  sie  Forel  2200  Jahre 
später  gefunden  hat.  Forels  Theorie  blieb  nicht  unwider- 
sprochen. Der  griechische  Seeoffizier  A.  Miaulis  veröffent- 
lichte nämlich  im  Jahre  1882  seine  sehr  eingehenden  und  ver- 
dienstvollen Beobachtungen,^)  welche  außer  anderem  in  halb- 

Livius,  Lib.  28,  6.  — Nebenbei  kann  man  aus  dieser  Stelle  an- 
geben, daß  das  betreffende  geschichtliche  Ereignis  in  der  Zeit  des  1.  oder 
letzten  Viertel  des  Mondes  war. 

Der  erste  Bericht  findet  sich  bei  Spon  und  Wheeler:  Voyage 
dTtalie,  de  Dalmatie,  de  Grece  etc.  fait  1675  et  76.  Amsterdam  1679, 
vol.  II,  p.  252. 

P.  A.  Forel,  Comptes  rendus  1879,  p.  861. 

’Avt.  MiuovXrjg , Ilegl  trjg  jiakiQgoiag  xov  Evgtnov,  Athen  1882. 

25* 


380 


A.  Endrös 


stündlichen  Ablesungen  des  Wasserstandes  im  Nord-  und  Süd- 
hafen von  Chalkis  aus  den  Jahren  1871  und  72  bestehen,  und 
bezweckte  damit  nachzu weisen,  daß  Forel  das  Euripusproblem 
nicht  gelöst  habe,  weil  er  es  nicht  gekannt  habe.  Die  Haupt- 
frage bestehe  nicht  in  den  unregelmäßigen  Strömungen,  son- 
dern in  einer  anormalen  Gezeitenperiode  und  besonders  in  einem 
ganz  merkwürdigen  Ausfallen  eines  Niedrigwassers  am  11.  und 
26.  Mondtage,  wofür  er  selbst  auch  keine  Lösung  finden  könne. 
Im  Jahre  1888  trat  Prof.  0.  KrümmeD)  in  diesem  Streite  für 
Forel  auf,  indem  er  die  genannten  Gezeitenanomalien  für  un- 
wahrscheinlich und  durch  Miaulis  Beobachtungen  nicht  für 
erwiesen  erklärte,  während  er  Forels  Theorie  gerade  durch 
Miaulis  Ergebnisse  im  einzelnen  begründen  konnte.^)  Auf  Grund 
einer  Durcharbeitung  der  Miaulischen  Beobachtungen  konnte 
ich  dann  im  Jahre  1914  nach  weisen,^)  daß  diese  Anomalien 
entgegen  der  Annahme  Krümmels  wirklich  vorhanden  sind  und 
sich  durch  ein  merkwürdiges  Zusammentreffen  von  Gezeiten- 
komponenten vollauf  begründen  lassen. 

Man  hatte  nun  von  jeher  angenommen,  daß  die  unregel- 
mäßigen, rasch  wechselnden  Euripu.sströmungen  es  waren,  die 
Aristoteles  vergeblich  zu  ergründen  suchte.  Eine  Sage  ging 
sogar  soweit,  daß  sie  ihn  aus  Verzweiflung  darüber  den  Tod  in 
den  Euidpusfluten  suchen  ließ,  in  die  er  sich  gestürzt  haben 
soll  mit  den  Worten:  „Fasse  mich,  weil  ich  dich  nicht  erfassen 
kann“.'^)  Nachdem  wir  aber  wissen,  daß  Aristoteles  gerade 
diese  weit  seiner  Zeit  vorauseilend  mit  dem  Auftreten  von 
Seiches  richtig  begründet  hat,  so  können  es  nur  die  Gezeiten- 
anomalien gewesen  sein,  die,  wie  wir  sehen  werden,  auch  ganz 

*)  0.  Krümmel,  Zum  Problem  des  Euripus,  Pet.  Mitt.  1888,  p.  331. 

*)  Ein  sehr  klarer  und  erschöpfender  Bericht  über  die  Forel-Krüm- 
melsche  Lösung  des  Problems  findet  sich  in  Pauly,  Real-Enzykl.  d.  klass. 
Alt.,  VI.  Stuttgart  1909  unter  Euripos  mit  vollständiger  Literaturangabe 
von  A.  Philippson. 

Zum  Problem  des  Euripus,  diese  Sitzungsberichte  1914,  p.  99  ff. 

Die  erste  Erwähnung  der  Sage  findet  sich  bei  Justin.  Cohort. 
ad  Graec.,  p.  34. 


Die  Gezeiten,  Seiches  und  Strömungen  des  Meeres  etc.  381 

dazu  geeignet  waren,  die  Aufmerksamkeit  eines  Aristoteles 
immer  wieder  auf  sich  zu  lenken  und  mit  ihrer  Rätselhaftig- 
keit den  Sinn  eines  so  großen  Forschers  zu  verwirren.  Man 
wußte  auch  von  jeher,  daß  Aristoteles  sich  häufig  in  Chalkis 
selbst  aufgehalten  hat,  wo  er  ein  Haus  besaß,  und  daß  er 
das  letzte  Jahr  seines  Lebens  ganz  dort  verbracht  hat.^)  Um 
so  mehr  muß  man  annehmen,  daß  ihn  diese  Erscheinuntren 
dort  sehr  viel  beschäftigt  haben.  Auch  muß  es  seiner  Um- 
gebung und  seinen  Schülern  bekannt  gewesen  sein,  wie  sehr 
die  Euripusfragen  den  Meister  beschäftigten.  Dazu  kommt 
noch,  daß  Aristoteles  die  Frage  der  Ebbe  und  Flut  und  die 
Euripusfrage  so  wenig  in  seinen  Schriften  berührt,  und  wie 
man  annehmen  darf,  auch  keine  eigene  Schrift  über  die  alle 
größeren  Gelehrten  des  Altertums  so  sehr  beschäftigenden  Fragen 
hinterlassen  hat.  Wenn  man  alle  diese  Momente  berücksichtigt, 
so  kann  man  die  Entstehung  eines  solchen  Gerüchtes  begreif- 
lich finden. 

Eine  erste  große  Merkwürdigkeit  der  Gezeitenerscheinungen 
bei  Chalkis,  die  oben  schon  erwähnt  worden  ist,  besteht  darin, 
daß  der  vom  Meere  durch  den  langgestreckten  Oreoskanal  abge- 
schlossene Talantische  Euripus  eine  so  starke  Gezeitenbewegung 
hat,  im  Südhafen  von  Chalkis  aber,  der  durch  den  Golf  von 
Petalia  unmittelbar  mit  dem  Meere  zusammenhängt,  der  Ge- 
zeitenhub so  klein  ist,  daß  dieser  neben  den  Seichesschwan- 
kungen ganz  verborgen  bleibt.  In  diesem  Umstande  darf  man, 
wie  ich  glaube,  den  Grund  dafür  suchen,  daß  Aristoteles  und 
vielleicht  die  Griechen  überhaupt  sich  die  Ebbe  und  Flut  als 
eine  Art  Ein-  und  Ausatmen  der  Erde  vorgestellt  haben.  Eine 
derartige  Bewegung  ist  nämlich  nur  möglich,  wenn  man  sich 
den  Untergrund  des  Meeres  von  Poren  und  Hohlräumen  durch- 
setzt denkt.  Aristoteles  macht  auch  ausdrücklich  auf  diese 
Beschaffenheit  der  Gegenden  des  Euböischen  Meeres  aufmerk- 
sam und  bringt  damit  auch  in  Zusammenhang  das  häufige  Auf- 


*)  Real-Enzykl.  d.  kl.  Alt.,  Bd.  II,  Lebensbeschreibung  des  Aristo- 
teles, S.  1021. 


382 


A.  Endrös 


treten  von  Erd-  und  Seebeben  in  diesen  Gegenden,  wie  auch 
das  Vorkommen  heiläer  Quellen,  das  sich  an  den  Ufern  dieses 
Golfes  so  häuft.  Dazu  kommt  dann  noch  die  besondere  Eigen- 
tümlichkeit, daß  beim  Ebben  Wasser  vom  weiten  Meere  durch 
den  Euripus  nach  dem  inneren  Meere  hineinfließt  und  bei  der 
Flut  wieder  heraus.  Gerade  diese  Erscheinung  mußte  die  Vor- 
stellung wecken  und  immer  wieder  stützen,  daß  infolge  der 
schwammartigen  Beschaffenheit  des  Untergrundes  dieses  Ein- 
und  Auswärtsfließen  in  und  aus  der  Erde  ein  viel  stärkeres  ist 
als  anderswo.  Aristoteles  speziell  hat  die  Gezeitenbewegung 
nur  in  Chalkis  kennen  gelernt  und  eingehend  .studiert.  Er 
konnte  daher  zu  keiner  anderen  Vorstellung  über  den  Be- 
wegungsvorgang der  Gezeiten  kommen,  als  wir  ihn  schon  vor 
seiner  Zeit  und  besonders  bei  seinem  Lehrer  Plato  finden,  ob- 
wohl gerade  Aristoteles  durch  die  Auffindung  der  Seiches- 
schwingungen als  horizontale  periodische  ^Vasserschwankungen 
dem  wahren  Vorgänge  der  Gezeitenschwingungen  so  nahe  ge- 
kommen war. 

Diese  Vorstellung  der  Gezeitenbewegung  blieb  dann  die 
herrschende  für  lange  Zeit  und  wurde  besonders  von  den  Sto- 
ikern in  ihrer  Art  weiter  ausgebildet,  indem  sie  die  Erde  als 
eine  Art  tierischen  Organismus  ansahen  und  in  den  Gezeiten 
einen  regelmäßigen  Atmungsprozeß  erblickten.  Auch  in  spä- 
teren Zeiten  bis  auf  Xewton  kehrte  man  immer  wieder  zu 
dieser  Vorstellung  zurück,  nur  die  Ansicht  über  die  diese  Be- 
wegung auslösenden  Kräfte  wechselte  immer  wieder.^) 

In  einem  weiteren  anormalen  Verhalten  der  Gezeiten  im 
Nordhafen  von  Chalkis  kann  man,  wie  ich  glaube,  einen  Grund 
dafür  suchen,  daß  Aristoteles  und  auch  die  Griechen  keinen 
Zusammenhang  zwischen  dem  Gezeitenverlauf  und  dem  Gang 
der  Sonne  und  des  Mondes  aufgefunden  haben,  der  überall 
da  bekannt  war,  wo  so  große  Gezeiten  mit  Hubhöhen  bis  zu 

ff  Met.  II,  8.  Ed.  ac.  Bor.,  S.  366,  1. 

Vgl.  die  verdienstvolle  Darstellung  der  , Gezeitentheorien  in  ihrer 
historischen  Entwicklung“  von  S.  Günther  in  seinem  Handbuch  der 
Geophysik,  II.  Band.  Stuttgart  1899,  p.  468  und  469. 


Die  Gezeiten,  Seiches  und  Strömungen  des  Meeres  etc.  383 

1 Meter  sich  zeigen  wie  bei  Chalkis.  Dieselben  richten  sich 
nämlich  dort  weder  nach  dem  Monde  noch  nach  der  Sonne. 
Die  vom  Monde  herrührende  Gezeitenwelle  erreicht  nämlich 
während  eines  großen  Teiles  des  Jahres  dieselbe  Hubhöhe  wie 
die  von  der  Sonne  erzeugte  Tide.^)  Dadurch  erhält  die  durch 
beide  Komponenten  gebildete  halbtägige  Gezeitenwelle  nicht 
die  normale  Periodendauer  von  12  Stunden  24  Minuten,  son- 
dern nur  von  12  Stunden  12  Minuten,  das  ist  das  arithmetische 
Mittel  zwischen  der  Periode  der  Sonnentide  und  der  Mondtide. 
Die  Flutwelle  richtet  sich  daher  weder  nach  Mondzeit  noch 
nach  Sonnenzeit,  sondern  bleibt  zwischen  beiden.  Zur  Zeit 
der  Aequinoktien  ist  die  Hochwasserzeit  fast  genau  in  der 
Mitte  zwischen  dem  Mond-  und  Sonnenhochwasser,  bleibt  aber 
nicht  fest  an  dieser  Stelle,  sondern  nähert  sich  zur  Zeit  der 
Solstitien  mehr  der  Zeit  des  Mondhochwassers.  An  diesen 
abweichenden  Gang  gegenüber  den  ozeanischen  Gezeiten  müssen 
wir  wohl  denken,  wenn  wir  bei  einigen  Schriftstellern  solche 
Andeutungen  über  den  Gang  der  Gezeiten  lesen. Dieses  eigen- 
tümliche Verhalten  der  dortigen  Tiden  mußte  jede  Beobach- 
tung eines  Zusammenhanges  mit  dem  Laufe  von  Mond  und 
Sonne  unmöglich  machen. 

Eine  weitere  Folge  der  anormalen  Gezeitenperiode  ist, 
daß  zur  Zeit  der  beiden  Mondviertel  gar  keine  Tidenbewegung 
sich  zeigt.®)  In  dieser  Zeit  kommen  dann  die  Seiches  zur 
Geltung  und  erzeugen  jene  kurz  dauernden  Stromwechsel, 
welche  den  Euripus  so  bekannt  gemacht  haben.  Nach  den 
Quadraturen  tritt  mit  dem  Wiedererscheinen  der  Gezeiten  eine 
noch  merkwürdigere  und  bis  jetzt  nirgends  sonst  beobachtete 
Erscheinung  ein,  die  sogenannte  Vertauschung  der  Flut-  und 

M Das  Gleiche  ist  auch  der  Fall  bei  den  Gezeiten  des  Korinthischen 
Golfes  und  denjenigen  in  Isthmia,  die  sich  also  auch  weder  nach  dem 
Monde  noch  nach  der  Sonne  richten. 

2)  Strabo,  I,  54;  Mela,  III,  c.  1;  Pseudo- Aristoteles,  De 
Mundo  4,  32. 

Plinius,  II,  100  erwähnt,  ,am  7.,  8.  und  9.  Mondtag  stehe  die 
Flut  still“. 


384 


A.  Endrös 


Ebbezeit,  die  Miaulis  zuerst  wieder  beobachtete. Die  Hoch- 
wasserzeiten folgen  wie  überall  immer  in  gleicher  Periode,  hier 
nach  12  Stunden  12  Minuten  aufeinander;  gerade  am  Euripus 
kann  man  das  Intervall  in  den  Stromwechseln  deutlich  beob- 
achten. Rechnet  man  nun  mittels  dieser  Periodendauer  das 
Erscheinen  des  ersten  Hochwassers  nach  den  Quadraturen  aus, 
so  stimmt  das  nicht  mehr  mit  der  Beobachtung,  sondern  ge- 
nau um  diese  Zeit  tritt  Xiedrigwasser  auf.  Es  verschiebt  sich 
also  die  ganze  Bewegung  um  6 Stunden  6 Minuten.  Gerade 
dieses  Verhalten  mußte  auf  jeden  Beobachter  besonders  ver- 
wirrend wirken  und  war  auch  für  Miaulis  das  Rätselhafteste 
am  ganzen  Problem  und  Krümmel  konnte  das  Vorhandensein 
einer  solchen  Anomalie  überhaupt  nicht  glauben. 

Beachten  wir  alle  diese  großen,  dort  merkwürdig  so  zusam- 
mentreffenden Unregelmäßigkeiten  der  Gezeitenerscheinungen, 
die  in  ihrem  normalen  Typus  schon  ein  schwieriges  Problem 
zu  allen  Zeiten  gebildet  haben,  so  kann  man  so  recht  ver- 
stehen, daß  nur  diese  es  waren,  die  ein  Aristoteles  sein  Leben 
lang  vergeblich  zu  ergründen  suchte,  und  daß  darin  wieder 
der  Grund  dafür  zu  erblicken  ist,  daß  und  warum  er  über  die 
Gezeiten-  und  Euripusfrage  nichts  Näheres  hinterlassen  hat  und 
die  Fragen  so  selten  berührt,  daß  in  seinen  vielen  Schriften 
das  Wort  Ebbe  und  Flut  nur  ein  einziges  Mal  vorkommt. 
Wir  wissen  aber  auch  heute,  daß  dieses  Unvermögen  die  Größe 
des  Stagiriten  in  nichts  beeinträchtigen  kann;  denn  eine  Er- 
klärung eines  so  anormalen  Gezeitenverlaufes  war  bis  in  die 
neueste  Zeit  überhaupt  unmöglich.  Erst  die  Entwicklung  der 
modernen  Gezeitentheorie  gibt  uns  in  der  sogenannten  har- 
monischen Analyse  ein  Mittel  an  die  Hand,  auch  einen  so 
merkwürdigen  Verlauf  genau  zu  ergründen.  Es  ist  hier  nicht 
der  Ort,  auf  dieses  für  den  Nichtmathematiker  schwierige 
Kapitel  einzugehen;  es  sei  nur  erwähnt,  daß  in  unserem  Falle 
der  Umstand,  daß  die  Mondtide  und  die  Sonnentide  nahezu 

Miaulis,  a.  a.  0.,  S.  379,  p.  17;  Krümmel  hatte  das  Auftreten 
derselben  bestritten.  Vgl.  Pet.  Mitt.  1888,  S.  337. 


Die  Gezeiten,  Seiches  und  Strömungen  des  Meeres  etc.  385 


gleich  groß  sind,  die  ganze  Erscheinung  mit  Notwendigkeit 
ergibt.  Dabei  ist  aber  heute  noch  nicht  erwiesen,  warum 
gerade  dort  diese  Anomalien  auftreten,  wenn  auch  durch 
G.  H.  Darwin,^)  ß.  A.  Harris^)  und  andere  der  Weg  zur 
Lösung  der  Mittelmeergezeitenfrage  gezeigt  ist  und  in  neuester 
Zeit  G.  Grablovitz,  G.  Wegemann^)  und  R.  von  Stern- 
eck‘‘)  auf  dem  richtigen  Wege  vorgearbeitet  haben. 

1)  G.  H.  Darwin,  Ebbe  und  Flut.  Leipzig  1911,  S.  180. 

2)  R.  A.  Harris,  Manual  of  Tides,  IV.  B.,  1904,  Taf.  19. 

G.  Wegemann,  a.  a.  0.,  zit.  S.  363. 

■*)  R.  von  Sterneck  jun..  Zur  Theorie  der  Gezeiten  des  Mittel- 
meeres, Sitzungsber.  d.  K.  K.  Akad.  d.  Wiss.,  math.-nat.  KL,  Bd.  122,  II  a, 
Wien  1913,  und  Über  die  Gezeiten  des  Ägäischen  Meeres,  ebenda  Sitzung 
vom  10.  Dezember  1914,  Ak.  Anz.  Nr.  26. 


387 


Über  die  Weierstrass’sche  Produktdarstellung 
ganzer  transzendenter  Funktionen  und  über 
bedingt  konvergente  unendliche  Produkte. 

Von  Alfred  Pringsheini. 

Vorgetragen  in  der  Sitzung  am  6.  November  1915. 

Der  bekannte  Satz  über  die  Darstellung  einer  ganzen 
transzendenten  Funktion  mit  unendlich  vielen  vorgeschriebenen 
Nullstellen  durch  ein  beständig  und  unbedingt  konvergierendes 
unendliches  Produkt  ist  von  seinem  Entdecker  Weierstraß 
mit  ausschließlicher  Benützung  von  Hilfsmitteln,  welche  der 
Theorie  der  eindeutigen  analytischen  Funktionen  angehören, 
völlig  einwandfrei  begründet  worden.^)  Immerhin  mag  viel- 
leicht gesagt  werden,  daß  der  von  Weierstraß  benützte  Ge- 
dankengang schon  eine  merkliche  Vertrautheit  mit  seinen  funk- 
tionentheoretischen Methoden  voraussetzt  und  namentlich  dem 
Auffassungsvermögen  der  Anfänger  einige  Schwierigkeit  zu 
bereiten  pflegt.  Für  die  Richtigkeit  dieser  Ansicht  dürfte 
wohl  die  Tatsache  sprechen,  daß  unter  der  großen  Anzahl 
mir  bekannter  Lehrbücher  ein  einziges  (dasjenige  von  Vivanti- 
Gutzmer)  den  Weierstraßschen  Beweis  ohne  wesentliche  Ver- 
änderung wiedergibt.  Die  große  Mehrzahl  der  übrigen  (mehr 
als  ein  Dutzend)  versucht  mit  mehr  oder  weniger  Glück,  jenen 

1)  Abhandlungen  aus  der  Funktionenlehre  (1886),  p.  16  = Mathe- 
matische Werke  2,  p.  92. 

2)  A.  a.  0.,  Nr.  208  (p.  154—157). 


388 


A.  Pringsheiii) 


Beweis  unter  Beibehaltung  des  Hauptgedankens  etwas  zu  ver- 
einfachen, wobei  als  gemeinsames  Merkmal  die  Benützung  des 
(von  Weierstraß  geflissentlich  vermiedenen)  komplexen  Loga- 
rithmus und  der  logarithmischen  Reihe  sich  ergibt.  Mir  per- 
sönlich will  es  nicht  recht  angemessen  erscheinen,  beim  Be- 
weise eines  grundlegenden  und  verhältnismäßig  einfachen  Satzes 
aus  der  Theorie  der  eindeutigen  Funktionen  die  Eigen- 
schaften einer  unendlich  vieldeutigen  Funktion,  also  einer 
wesentlich  komplizierteren  Gattung  in  Anspruch  zu  nehmen. 
Doch  mag  diese  Auffassung  anderen  einseitig  und  pedantisch 
erscheinen,  zumal  wenn  man  dem  Aufbau  der  Funktionen- 
theorie den  Ca uchy sehen  Integralsatz  zu  Grunde  legt  und 
in  diesem  Falle  die  Theorie  des  komplexen  Logarithmus  als 
eine  der  ersten  und  einfachsten  Anwendungen  jener  Methode 
gewinnt.  Wenn  nun  aber  einige  Lehrbücher  sich  so  weit  von 
der  Weierstraßschen  Methode  entfernen,  daß  sie  den  frag- 
lichen Satz  als  Folgerung  (!)  aus  dem  Mittag-Lefflerschen 
Satze  durch  logarithmische  Integration  herleiten  (und  zwar 
dieses  Verfahren  nicht  etwa  nur  in  Form  einer  gelegentlichen, 
ja  sehr  nahe  liegenden  Bemerkung,  sondern  als  einzigen  und 
maßgebenden  Beweis  mitteilen),  so  dürfte  diese  Art,  die  Dinge 
auf  den  Kopf  zu  stellen,  wohl  von  niemandem  gebilligt  werden, 
der  in  der  Mathematik  etwas  anderes  sieht,  als  eine  regellose 
Anhäufung  mathematischer  Resultate. 

Bei  dieser  Sachlage  erscheint  es  vielleicht  nicht  über- 
flüssig, wenn  ich  im  folgenden  einen  Beweis  des  fraglichen 
Satzes  mitteile,  der  an  Einfachheit  alle  bisherigen  wesentlich 
übertrefifen  dürfte.  Derselbe  beansprucht  überhaupt  keinerlei 
im  üblichen  Sinne  funktionentheoretische  Hilfsmittel,  nicht 
einmal  den  Begriff  der  gleichmäßigen  Konvergenz,  sondern 
liefert  auf  rein  formal  reihentheoretischem  Wege  ganz 
direkt  die  Konvergenz  des  bekannten  Weierstraßschen  Pro- 
duktausdrucks und  die  Möglichkeit,  denselben  in  eine  beständig 
konvergierende  Potenzreihe  umzuformen. 

Ich  möchte  zugleich  diese  Gelegenheit  benützen,  um  zur 
Ergänzung  früher  von  mir  veröffentlichter  Bemerkungen  über 


über  die  Weierstraßsche  Produktdarstellung  etc. 


389 


bedingt  konvergierende  unendliche  Produkte^)  zu  zeigen,  wie 
die  Weierstraßsche  Methode,  ein  an  sich  divergentes  Pro- 
dukt durch  Zusatzfaktoren  unbedingt  konvergent  zu  machen, 
auch  dazu  dienen  kann,  ein  Kriterium  für  bedingte  Konver- 
genz unendlicher  Produkte  abzuleiten  und  die  etwaige  Wert- 
veränderung, die  durch  Umordnung  der  Faktoren  erzeugt  wird, 
zu  bestimmen. 

§ 1- 

Der  Weierstrass’sche  Hauptsatz. 

1.  Versteht  man  unter  für  r = 0,  1,  2 . . . eine  unbe- 

grenzte Folge  beständig  konvergierender  Potenzreihen 
und  setzt: 

n 

(1)  ipc)  = JJ”  (1  + (x})  (n  = 0,  1,  2 . . .), 

ü 

00 

so  heißt  das  unendliche  Produkt  U’  (1  -p  (a;))  an  der  Stelle  x‘ 

u 

konvergent  und  ^(x')  .sein  Wert,  wenn  sämtliche  ^^(^0  von 
— 1 verschieden  sind  und  ^(x‘)  für  n = co  den  endlichen, 

von  Null  verschiedenen  Grenzwert  ^(x‘)  besitzt.  Hierzu  ist 

00 

bekanntlich  hinreichend,  daß  die  Reihe  (^c') ! kon- 

0 

vergiert  und  zwar  konvergiert  das  betreflFende  Produkt  dann 
auch  unbedingt.  Wird  jetzt  zugelassen,  daß  für  eine  end- 
liche Anzahl  von  Indices  v die  Bezeichnung  l-p^v(a:')  = 0 
besteht,  so  soll  das  betreffende  unendliche  Produkt  noch  kon- 
vergent und  Null  sein  Wert  heißen,  wenn  dasselbe  nach 
Ausschluß  jener  für  x = x'  verschwindenden  Faktoren  in  dem 

oben  bezeichneten  Sinne  konvergiert.  Unter  der  weiteren  An- 

00 

nähme,  daß  die  Reihe  beständig  konvergiert,^) 

0 

1)  Math.  Annalen  22  (1883),  p.  475  ff.  Ebendaselbst  33  (1889),  p.  149  ff.; 
44  (1894),  p.  413  ff. 

^)  Man  bemerke,  daß  auf  Grund  dieser  letzteren  Annahme  für  keine 
Stelle  x'  mehr  als  eine  endliche  Anzahl  von  )Py(a:')  den  Wert  — 1 
haben  kann. 


390 


A.  Pringsheim 


ist  sodann  auch  das  Produkt  n »•(1 -}- ‘iß,.(a:))  ein  beständig 

0 

und  unbedingt  konvergentes. 

Man  hat  nun  für  r > 1 : 


<5^  {x)  = (a;)  (1  -t-  ‘ißr  ix)) 

und  speziell: 

so  daß  aus  der  für  jedes  n > 1 geltenden  Identität 

n 

^Jln  (X)  = ^0  (^)  + (^)  - (^)) 

1 

sich  ergibt: 

n 

(2)  (x)  = l-\-  % (x)  + 2”  (^)  • (^) 

1 

und  schließlich: 


(3)  (1+  %■  (X))  = 1 + <ip„  (;r)  + (x)  • (x). 

0 1 

Da  jedes  der  Produkte  (a:)  nach  der  Cauchy- 

schen  Multiplikationsregel  durch  eine  einfache  Potenzreihe  er- 
setzt werden  kann,  so  folgt  also  zunächst,  daß  das  unter  den 
gemachten  Voraussetzungen  beständig  konvergierende  Produkt 
in  eine  beständig  konvergierende  Reihe  von  Potenzreihen  trans- 
formierbar ist.  Diese  letztere  kann  aber  wiederum  noch  in 
eine  einfache,  gleichfalls  beständig  konvergierende  Potenzreihe 
umgeformt  werden,  wenn  man  die  Voraussetzung  dahin  ver- 
schärft, daß  die  (aus  lauter  positiven  Gliedern  bestehende)  Reihe 
00 

x\)  beständig  konvergieren  soll,  unter  ‘^3^(2^)  die- 
u 

jenige  Reihe  verstanden,  welche  aus  (a:)  durch  Umwand- 
lung sämtlicher  Koeffizienten  in  ihre  absoluten  Beträge 
entsteht.  Denn  unter  dieser  Voraussetzung  (welche  offenbar 

die  ursprünglich  gemachte  der  beständigen  Konvergenz  von 
00 

‘18v(:z^)  nach  sich  zieht,  aber  nicht  umgekehrt)  be.steht. 


über  die  Weierstraßsche  Produktdarstellung  etc. 


391 


wenn  noch  gesetzt  wird:  = JJv(l nach  Ana- 

U 

logie  der  Beziehung  (3)  die  folgende: 

(4)  J[.(l  -t-  a;  ))  = 1 + ^ ), 

0 0 

in  dem  Sinne,  daß  zunächst  das  links  stehende  unendliche  Pro- 
dukt und  infolgedessen  auch  die  rechts  stehende  Reihe  be- 
ständig konvergiert.  Dies  besagt,  daß  unter  der  jetzt  ge- 
machten Voraussetzung  die  in  Gl.  (3)  auftretende  Reihe  kon- 
vergent bleibt,  wenn  man  jeden  einzelnen  Bestandteil  durch 
seinen  absoluten  Betrag  ersetzt.  Alsdann  ist  es  aber  auf  Grund 
des  sogenannten  Gauch yschen  Doppelreihen-Satzes auch  ohne 
weiteres  gestattet,  jene  Reihe  nach  Potenzen  von  x zu  ordnen. 
Hiernach  ergibt  sich  der  folgende,  die  eigentliche  Grundlage 
unseres  Hauptbeweises  bildende  Hilfssatz: 

Versteht  man  unter  für  r = 0,  1,  2 . . . eine 

unbegrenzte  Folge  beständig  konvergierender 
Potenzreihen,  unter  ‘13,. (a;)  diejenige  Reihe,  welche 
aus  13v(a:)  durch  Verwandlung  aller  Koeffizienten 

in  ihre  absoluten  Beträge  entsteht,  ist  sodann  auch 
00 

die  Reihe  '15^(1  X ) beständig  konvergent,  so  gilt 
u 

das  Gleiche  von  dem  unendlichen  Produkte 

U 

und  zwar  läßt  sich  dasselbe  in  eine  beständig  kon- 
vergierende Potenzreihe  umformen,  stellt  also  eine 
ganze  transzendente  Funktion  von  x dar. 

X 

2.  Reduziert  sich  jedes  '13..  (a;)  auf  das  eine  Glied 

OP  j 

(wo  li™  o,y  = Qo)  und  ist  sodann  ^ \ beständig, 

ü ay\ 

Ü Cauchy,  Analyse  algebrique,  1821,  p.  540  = Oeuvres  (2),  T.  III, 
p.  444. 


392 


A.  Pringsheim 


CO  ^ I 

d.  h.  ^ überhaupt  konvergent,  so  liefert  das  unend- 

0 «> 

liehe  Produkt  M — wie  aus  dem  bisher  gesagten  folgt, 

0 \ ttyj 

übrigens  auch  unmittelbar  zu  ersehen  ist,  eine  ganze  trans- 
zendente Funktion  mit  den  Nullstellen  Uy.  Dieser  Fall  scheidet 


CP  j . 

für  die  weiteren  Betrachtungen  aus.  Ist  also  jetzt  / ;»■  |_| 

0 I Öfj- 1 

divergent,  so  kann  man  bekanntlich  eine  unbegrenzte  Folge 
mit  wachsendem  v niemals  abnehmender  natürlicher  Zahlen  p,. 

00  Py  -f-  I 

so  bestimmen,  daß  die  Reihe 


X 

Oy 


heständisr  konver- 


giert.^) Dies  vorausgeschickt  beweisen  wir  jetzt  den  folgenden 


Hauptsatz:  Legt  man  den  Zahlen  a,,,  py  die  so- 
eben angegebene  Bedeutung  bei  und  setzt: 


Gibt  es  Exponenten  p (die  natürlich  ^ 1 sein  müssen),  derart,  daß 

Sl  ^ 

, also  auch  für  jedes  endliche  x die  Reihe  / , 

^y  1 »’ 

konvergiert,  so  setze  man  Py  = p4-1,  wobei  man  unter  p etwa  die 
kleinste,  der  fraglichen  Bedingung  genügende  ganze  Zahl  zu  verstehen 
hat.  Gibt  es  kein  solches  p,  so  wird  durch  die  Annahme  P^  = »•  — 1 
oder  besser  (weil  wesentlich  kleinere  Py  liefernd)  durch  die  folgende : 

= [lg  v]  (d.  h.  gleich  der  größten  in  lg  v enthaltenen  ganzen 
Zahl)  das  Verlangte  geleistet.  Wird  nämlich  J?  >•  0 beliebig  groß 
angenommen,  darauf  n so  fixiert,  daß : 


Ji 

a.. 


< , für  »•> 


so  hat  man,  wegen:  Py-p  1 > lg  v,  für  |ai  •<  E: 


X iP+i 

a.. 


ao 

<S- 


1 

V*’ 


so  daß  die  fragliche  Reihe  in  der  Tat  beständig  konvergiert. 


über  die  Weierstraßsche  Produktdarstellung  etc. 


393 


so  ist  das  unendliche  Produkt  n yEy{x)  beständig 

0 

und  unbedingt  konvergent  und  läßt  sich  in  eine 
beständig  konvergierende  Potenzreihe  uniformen, 
stellt  also  eine  ganze  transzendente  Funktion  mit 
den  Nullstellen  a,,  vor. 

Beweis.  Um  die  Faktoren  Ey{x)  auf  die  im  vorigen  Hilfs- 
satze betrachtete  Form  zu  bringen,  hat  man  lediglich  Ey{x) 
nach  Potenzen  von  x zu  entwickeln.  Diese  Entwickelung  läßt 
sich  wesentlich  einfacher  bewerkstelligen,  wenn  man  dieselbe 
zunächst  nicht  an  Ey(x)  selbst,  sondern  an  der  Deri vierten 
Ey  (x)  vornimmt.  Man  findet  zunächst; 

(6)  £,■(.)  = (-; 


Andererseits  ergibt  sich: 


+r:+ 


+ 


und  daher: 

(7) 


1 XP>’ 
a,.  ClyPr^^ 


E'y  (X)  = — 


Xfy 


Um  jetzt  noch  nach  Potenzen  von  x zu  entwickeln, 

hat  man : 


wo  die  durchweg  positive  (rationale)  Zahlen  sind  (speziell: 
ßW  = ßW  = 1)  und  die  betreffende  Reihe  beständig  kon- 
vergiert. 

Sitzungsb.  d.  math.-phys.  Kl.  Jahrg.  1915. 


26 


394 


A.  Pringsheim 


Hiernach  geht  die  Gleichung  (7)  in  die  folgende  über ; 


(9) 


a'- 


Mit  Berücksichtigung  des  Umstandes,  daß  nach  Gl.  (5) 
Ey  (0)  = 1 ist,  folgt  hieraus  weiter : 

~~  aÄ+‘  ü + ^ + l 

(10) 


WO 

(11) 


-'OM:y 

.-O-S-ir+t+T© 


eine  beständig  konvergierende  Potenzreihe  mit  lauter  posi- 
tiven Koeffizienten. 


Nachdem  jetzt  Ey{x)  auf  die  für  die  Anwendung  des  vorigen 
Hilfssatzes  erforderliche  Form  gebracht  ist  (wobei  offenbar 

I — I ) die  Rolle  der  dort  mit  bezeichneten 

I ®>!/ 

Reihe  spielt),  bleibt  nur  noch  nachzuweisen,  daß  die  Reihe 


tty  \ 


a,.!  \a.t/ 


für  jedes  endliche  x konvergiert.  Da  aber  diese  Eigenschaft 
vermöge  der  getroffenen  Auswahl  der  Zahlen  py  bereits  der  Reihe 

a;  |Pt+i 

0 «vi 

zukommt  und  andererseits  die  Potenzreihen 


(.■  = 0,1,2...) 

für  jeden  einzelnen  Wert  des  Index  v beständig  konver- 
gieren, so  ist  nur  noch  zu  zeigen,  daß  nach  Annahme  einer 
beliebig  großen  oberen  Schranke  für  x ihre  Summen  auch  für 
unbegrenzt  wachsende  r unter  einer  endlichen  Schranke  bleiben. 


über  die  Weierstraßsche  Produktdarstellung  etc. 


395 


Mit  Benützung  der  Gleichungen  (11),  (8)  und  (5)  findet 
man  zunächst: 


Wird  also  jetzt  > 0 beliebig  groß  angenommen,  so- 


dann n so  definiert,  daß 


I — 

a. 


< \ für  V > n,  so  folgt  weiter,  daß: 


(13)  = v>n, 

womit  die  einzige  noch  offen  gebliebene  Frage  erledigt  und 
somit  der  ausgesprochene  Satz  vollständig  bewiesen  ist. 


§ 2. 

Über  bedingt  konvergente  unendliche  Produkte. 

1.  Setzt  man  in  dem  zuvor  bewiesenen  Hauptsatze: 

X 

— Xiy  ? 

üy 


so  daß  also  die  Uy  {v  = 0,  1,  2 . . .)  eine  Folge  irgend  welcher 
komplexer  Zahlen  von  der  Beschaffenheit  bedeuten,  daß  lim  u,,  = 0 

CO  V = X 

und  die  Reihe  divergent  ist,  so  folgt  zunächst: 

0 

Werden  natürliche  Zahlen  p,,  (r  = 0,  1,  2 . . .)  so 

CO 

bestimmt,  daß  die  Reihe  MvP>'+'  konvergiert 

0 

(was  stets  auf  unendliche  viele  Weisen  ausführ- 
bar ist),  so  ist  das  unendliche  Produkt 


(1) 


^ = JJv((l  -1-  Uy)-e-^^), 

. 0 

wo:  Uy  = Uy  — lUy • • -k  ( — 1)'’*'“' 

unbedingt  konvergent. 


1 

UPv 

Pv  " 


26' 


396 


A.  Pringsheim 


Um  dieses  Ergebnis  zur  Aufstellung  eines  Kriteriums  für 
bedingte  Konvergenz  des  (infolge  der  vorausgesetzten  Diver- 
genz von  ^ Uy  sicher  nicht  unbedingt  konvergierenden) 

PC 

Produktes  n v(l  -|-  Uy)  ZU  benützen  (wobei  wir  die  Uy  durchweg 

u 

als  von  — 1 verschieden  annehmen  wollen),  werde  gesetzt: 


(2)  = IJv  (1  + M„)  nu  = n-  (1  + Uy), 

0 Ü 

SO  daß  also  zwischen  und  die  Beziehung  besteht: 


(3) 


(4) 


'^u„ 
“Pn  • e ° , 


Alsdann  ergibt  sich,  falls  die  Reihe  C/",.  konvergiert: 


lim  • e 


und  umgekehrt  muß  offenbar  jene  Reihe  konvergieren,  wenn 
ein  endlicher,  von  Null  verschiedener  Grenzwert  lim '•’IU 
existieren  soll.  Somit  finden  wir: 

GC 

Das  unendliche  Produkt  n konvergiert 

0 

in  der  durch  die  Indices  vorgeschriebenen  Anord- 

00 

nungdann  und  nur  dann,  wenn  die  Reihe^^v  kon- 

0 

vergiert,  und  zwar  hat  dasselbe,  wenn  gesetzt  wird: 
(5) 

0 

den  Wert  stimmt  daher  mit  dem  unbedingt 

konvergierenden  Produkt  (1)  nur  dann  überein, 
wenn  U = 0 ist.^) 

OD 

Man  bemerke  noch,  daß  das  Produkt  offenbar  nach 

0 

er 

0 divergiert,  wenn  der  reelle  Teil  von  U„  nach  — oo  divei'giert. 


über  die  Weierstraßsche  Produktdarstellung  etc. 


397 


2.  Die  soeben  hergestellte  Beziehung  zwischen  einem  be- 
dingt und  einem  ihm  gewissermaßen  zugeordneten  unbedingt 
konvergierenden  Produkte  kann  dazu  dienen,  um  die  etwaige 
Wertveränderung  zu  bestimmen,  welche  das  bedingt  kon- 
vergierende Produkt  bei  irgend  einer  ümordnung  der  Fak- 
toren erleidet. 

Bezeichnet  man  etwa  mit 


V,  . . .Vy,  . . . 

irgend  eine  Umordnung  der  Zahlen 


mit 


■Mq  , Mj , . . . Mv ) . • • 

3,,  • • • 3v,  . . . 


die  entsprechende  ümordnung  der  Zahlen 


Po  1 P\^  • • • P'’^  • • • » 

00 

so  daß  also  die  Reihe  + ' lediglich  eine  Umordnung 

0 

CD 

der  Reihe  !'’>'+*  vorstellt  und,  wie  diese,  konvergiert, 

0 

setzt  man  ferner; 

n 

(6)  + 

1 

wo:  Vy  = Vy  -\-  ^Vy  -j"  ’ ’ ’ -j"  ( 1)’*'“^  ’ ^ A , 

3v 

so  wird  das  mit  Q,„  bezeichnete  Produkt  bei  unbedingt  wach- 
sendem n von  dem  unbedingt  konvergierenden  Produkte  ^ 
sich  lediglich  durch  die  Anordnung  der  Faktoren  unterscheiden, 
und  da  diese  auf  den  Wert  des  betreffenden  unendlichen  Pro- 
duktes hier  ohne  Einfluß  ist,  so  hat  man : 

(7)  lima„  = ^. 

n=  00 

Bildet  man  ferner: 

n 
n 

0 


(8) 


398 


A.  Pringsheim 


SO  folgt,  Tveun  man  diese  Gleichung  durch  die  Gleichung  (3) 
dividiert; 


(9) 


0 

ni„ 


und  daher  unter  der  Voi-aussetzung,  daß  die  Reihe  ^vFv  kon- 
vergiert und  daß  o 


(10)  = 1^-  liro  = "’IG  lim  “U.  = 

0 n =r  39  n = 00 


gesetzt  M’ird,  schließlich : 

(11) 


d.  h.  der  Wert  des  uiugeordneten  Produkts  unterscheidet  sich 
von  demjenigen  des  ursprünglichen  um  den  Exponentialfak- 
tor 

3.  Die  vorstehenden  Ergebnisse  nehmen  noch  eine  etwas 
durchsichtigere  Form  an,  wenn  wir  den  Spezialfall  j3,.  = = p 

(d.  h.  konstant)  etwas  näher  ins  Auge  fassen,  wenn  also  an- 
genommen wii'd,  daß  die  Reihe  ^ für  irgend  ein  ganz- 

zahliges > 1 konvergiert  (wobei  dann  unter  })  die  kleinste 
ganze  Zahl  dieser  Art  verstanden  werden  soll).  In  diesem 
Falle  wird  zunächst: 

(12)  ?/„  = M,.  — ^ + i«’  — • ■ • + (— 

Wenn  dann  jede  der  Reihen 

2”«., 

0 0 0 

zum  mindesten  in  der  durch  die  Indices  vorgeschriebenen  An- 
ordnung konvergiert,  so  ergibt  sich: 

(13)  '^'■Ur='^yu,.  — + • • • + ( — 1)P~’  • ^ uü, 

0 0 0 0 
OD 

so  daß  also  Uy  gleichfalls  konvergiert. 


über  die  Weierstraßsche  Produktdarstellung  etc. 


399 


Man  erhält  daher  in  diesem  Falle  aus  dem  Satze  von  Nr.  1 
den  folgenden:^) 


00  CO 

Ist  u,.\  divergent,  dagegen  + ^ für 

0 0 

irgend  ein  ganzzahliges /)!>  1 konvergent,  so  be- 
steht die  nohvendige  und  hinreichende  Bedingung  für 
die  bedingte  Konvergenz  des  unendlichen  Pro- 

■JO 

duktes  ^Jv(l -|- M,,)  bei  der  durch  die  Indices  vor- 
0 

geschriebenen  Anordnung  in  der  (bedingten)  Kon- 
vergenz der  Reihe: 


Hierzu  ist  hinreichend  die  (bedingte)  Konvergenz 
der  Reihen: 


S-«.., 

0 0 0 

Zugleich  ergibt  sich,  dalä  (unter  Beibehaltung  der  in  Nr.  2 
benützten  Bezeichnungen)  die  Wertveränderung  , = 

l/i 

falls  die  letztgenannte  Konvergenz-Bedingung  erfüllt  ist  und 
die  entsprechende  auch  nach  der  Uinordnung  besteht,  ledig- 

flP  CO 

lieh  abhängt  von  den  Differenzen = 1,2,  ...p), 

0 0 

also  von  den  einzelnen  Wertveränderungen,  welche  die  Reihen 

cc 

(A  = 1,  2, ...  2?)  durch  die  betreffende  Umordnung  erleiden. 

0 

Sind  die  u,.  (zum  mindesten  von  irgend  einem  bestimmten 

CC 

Index  V ab  sämtlich  reell,  so  kann  offenbar  die  Reihe 

0 

Vgl.  Stolz-Gm  einer,  Einleitung  in  die  Funktionentheorie  (1905), 

p.  436. 


Beispiel:  «,,  = 


(also:  p = 3). 


1 


400  A.  Pringsheim,  Über  die  Weierstraßache  Produktdarstellung  etc. 


wenn  sie  überhaupt  konvergiert,  nicht  anders  als  absolut 
konvergieren.  Ist  dies  der  Fall,  also  p = \ zu  setzen,  so  er- 
gibt sich  als  notwendig  und  hinreichend  für  die  bedingte 

00 

Konvergenz  des  Produktes  n >'  (1  -f-  Uy)  die  (gleichfalls  nur 

0 

bedingte)  Konvergenz  der  Reihe  m,,. Ist  dagegen  zwar 

0 

cc 

diese  letztere  konvergent,  die  Reihe  u;  jedoch  diver- 

0 

gent,  so  divergiert  offenbar  (s.  die  Fußnote  auf  S.  396)  jenes 
unendliche  Produkt  nach  Null. ^) 


Ersetzt  man  wieder  m,.  durch , so  lassen  sich  die 

üy 

obigen  Ergebnisse  auch  unmittelbar  auf  unendliche  Produkte 
von  der  Form  £J[v  M | übertragen.* *) 


Satz  von  Cauchy:  Analyse  algebrique,  p.  563  = Oeuvres  (2), 
T.  III,  p.  460. 

*)  Beispiel:  Das  unbedingt  konvergente  Produkt: 

kann  ohne  weiteres  durch  das  folgende  bedingt  konvergente: 

CO  00  . . 

ersetzt  werden,  da  hier:  ^ j = 0. 

Ordnet  man  dagegen  p Gliedern  von  der  Form  immer  q 

solche  von  der  Form  (^+v)  zu,  so  liefert  die  Gleichung  (11)  mit  Be- 

nützung  der  bekannten  Beziehung:  lim  ^ ^ — = lg  — die  Wertver- 

Pm  yn 

änderung : lim^  ü”  ( ^ ' IIt 


sinjra; 
e f • . 

nX 


401 


tiber  die  Einwirkung  von  Brom  auf  einige 
Pyrrolderivate. 

Von  Hans  Fischer. 

Ans  dem  Physiologischen  Institnt  der  Universität  München. 

Vorgelegt  von  0.  Frank  in  der  Sitzung  am  4.  Dezember  1915. 

Die  Halogene  wirken  äußerst  energisch  auf  Pyrrolkörper 
ein,  so  daß  man  leicht  Harze  erhält.  In  verdünnter  Lösung 
läßt  sich  die  Reaktion  mäßigen  und  Ciamician,^)  Silber,  Benn- 
stedt und  Hepp^)  haben  ein  Tetrachlorpyrrol,  Tetrabrompyrrol 
und  Tetrajodpyrrol  beschrieben.  Letzteres,  unter  dem  Namen 
Jodol  bekannt,  wird  technisch  dargestellt  und  findet  Anwen- 
dung in  der  Wundtherapie.  Mit  Bartholomäus®)  habe  ich  schon 
vor  längerer  Zeit  ein  Bromderivat  des  2-4-Dimethyl-3-Acetyl- 
pyrrols  dargestellt.  Wir  wollten  damals  das  Brom  gegen 
Hydroxyl  austauschen,  um  so  zu  Oxypyrrolen  zu  gelangen, 
jedoch  schlugen  diese  Versuche  fehl,  da  das  Brom  zu  fest  ge- 
bunden war. 

Neuerdings  nahm  ich  nun  diese  Untersuchung  wieder  auf 
und  konnte  nur  unsere  damaligen  Erfahrungen  in  dieser  Rich- 
tung bestätigen.  Neu  dargestellt  wurde  das  isomere  2-4-Dime- 
thyl-5-Acetyl-3-Brompyrrol 

HsCCr CBr 

HgCOCC^  ^CCHa 

NH 

1)  Ber.  17,  1743;  18,  1763.  *)  Ber.  20,  Referate  S.  123. 

Zeitschr.  f.  pbysiol.  Chemie,  87,  S.  235. 


402 


H.  Fischer 


In  diesem  Pyrrol  sitzt  das  Brom  in  der  ß Stellung  womög- 
lich noch  fester  wie  in  a Stellung;  selbst  durch  Einwirkung 
von  Natrium  auf  die  siedende  alkoholische  Lösung  des  Pyrrols 
konnte  ich  das  Brom  nicht  entfernen.  Auffallend  ist  der  Unter- 
schied zwischen  den  Ketazinen  der  beiden  isomeren  Brompyrrole. 
Beide  Brompyrrole  reagieren  nämlich  mit  Hydrazin  unter  Ketazin- 
bildung, ohne  daß  das  Brom  irgendwie  in  Reaktion  tritt,  und 
unter  den  gleichen  Bedingungen  in  Pyridinlösung  untersucht, 
kristallisiert  nur  das  in  a Stellung  bromierte  Pyrrol  mit  zwei 
Molekülen  Pyridin  schön  als  Pyridindoppelverbindung.  Es  ge- 
lang nicht,  aus  dieser  Verbindung  das  Pyridin  abzuspalten. 

Ich  ließ  nun  weiterhin  einen  Überschuß  von  Brom  auf 
substituierte  Pyrrole  einwirken  und  zwar  zunächst  auf  das 

Hg  CG CCOCHg 

yCCHg 

\/ 

NH 


2-4-Dimethyl-3-Acetylpyrrol  in  der  Hoffnung,  auch  in  ß Stel- 
lung in  der  Seitenkette  den  Eintritt  von  Brom  erzwingen  zu 
können,  um  so  auf  einem  Umweg  zu  den  Aldehyden  der 
Pyrrole  zu  gelangen  oder  indirekt  auf  diesem  Wege  eine  Ver- 
längerung der  ß Seitenkette  zu 'ermöglichen. 

Diese  Hoffnung  schlug  fehl,  dagegen  erhielt  ich  bei  der 
Einwirkung  von  überschüssigem  Brom  auf  das  genannte  Pyrrol 
einen  prachtvoll  kristallisierenden  Farbstoff,  dem  vielleicht  fol- 
gende Konstitution  zukommt. 


CHg  Brj  CCt= ^CHg  Hg  CG 


HG 


\ 

N 


GGBr,GHg 
GGHg 


N 


Höchst  merkwürdig  ist  der  Ersatz  des  Sauerstoffs  durch 
Brom,  der  nach  den  Resultaten  der  Analysen  erfolgt  sein  muß, 
ein  Befund,  für  den  schwer  eine  Erklärung  zu  geben  ist. 


über  die  Einwirkung  von  Brom  auf  einige  Pyrrolderivate.  ■103 


In  Analogie  hiermit  zu  setzen  ist  die  Einwirkung  von  Brom  auf 
2-4-Dimethyl-3-Acetyl-4-Carbäthoxypyrrol,  das  unter  Abspal- 
tung der  Athoxygruppe  nach  der  Analyse  in  ein  Säurebromid 
der  folgenden  Konstitution  übergeht,  wobei  natürlich  die  Stellung 
des  zweiten  Bromatoms  in  a Stellung  willkürlich  angenommen  ist. 


Hs  CG CCOCH3 

J _ 

CaHsOOC',^  ^CCHs 

\/ 

NH 


Hs  CG  GGOGH3 

BrOGG^  ^GGHaBr 

\/ 


NH 


Ich  habe  diese  Reaktion,  so  verlockend  es  auch  vom  che- 
mischen Standpunkt  aus  erscheint,  nicht  weiter  verfolgt,  weil 
solche  Versuche  mich  von  meinem  eigentlichen  Thema,  der 
Klarlegung  der  Konstitution  des  Blut-  und  GallenfarbstofFs, 
zu  weit  abführen  und  habe  die  Reaktion  nur  weiter  in  der 
Richtung  der  Farbstoffbildung  verfolgt. 

Ich  ließ  Brom  weiterhin  einwirken  auf  2-4-Dimethyl- 
3-Carbäthoxypyrrol,  und  auf  Hämopyrrol  = 3-Athyl-4-5-dime- 
thylpyrrol  und  erhielt  zwei  Farbstoffe  der  folgenden  Konstitution. 

GsHsOOGG— -=-=fGGH3  H5GG  GGOOG2H5 

HsGG!^  yG=^^.-™G.^  ^GGHaBr 
N N 


GHsC 


HsGG, 


\/ 

N 


GG2H5  HsGgG 

G =G 


\ / 
\/ 

N 


GGHs 

GGHaBv 


Für  den  zuerst  angeführten  Farbstoff  käme  auch  die  isomere 
Formel  eines  Dipyrrylmethens  in  Betracht. 


H3GG 

GGOOG2H5  HgGG 

BrG 

^ ^G  GH  . G 

\, 

iGGH, 


NH 


N 


404 


H.  Fischer 


Letztere  ist  aber  sehr  unwahrscheinlich,  weil  die  Bildung 
des  Farbstoffs  fast  momentan  vor  sich  geht,  so  daß  eine  inter- 
mediäre Aldehydbildung  nicht  annehmbar  erscheint.  Auch  wäre 
dann  zu  erwarten,  daß  man  durch  Einwirkung  von  Brom  auf 
Bis  (2-4-Dimethyl-3-Carbäthoxypyrryl)  methan  eine  analoge 


C2He,OOCC|] ^CCHs  H3CC|— 

HgCdl^  yG  CHa 

\/ 

NH 


^CCOOCsHb 

I 

/CCHs 

\/ 

NH 


Ca  Hb  00  CC- 


H3CC 


\ / 
\/ 
NH 


CCH3  H3CC 

C CH=^  ci 


CC  00  Ca  Hb 
CCHs 


\/ 

N 


Oxydation  einer  a ständigen  Methylgruppe  zu  erwarten  hätte, 
dies  ist  aber  nicht  der  Fall,  sondern  das  genannte  Methan  wird 
einfach  zu  dem  zugehörigen  entsprechenden  Methenderivat  (siehe 
die  Formel)  oxydiert. 

In  ganz  analoger  Weise  wirkt  Brom  auf  das  Methenderivat 

O O 

des  aus  Glyoxal  und  2-4-DimethylpyrroO)  erhaltenen  Farbstoffs 
ein,  indem  zwei  Bromatome  an  den  freien  Methingruppen  der 
Pyrrolkerne  eintreten,  aber  eine  Oxydation  einer  a ständigen 
Methylgruppe  erfolgt  nicht. 


HC| 

H3CC 


7CCH0  HoCCt =CH 


\ / 
\/ 
NH 


BrC 


CH3C 


V 

NH 


C -CH  C 

CCHs  HjC 
C CH=C 


2 Bra  = 


\ ^CCHb 

\/ 

N 


Br 


-l-2HBr 


\ / 
N 


CHs 


1)  Ber.  47,  S.  1820  und  S.  3266. 


über  die  Einwirkung  von  Brom  auf  einige  Pyrrolderivate.  405 

Endlich  erhielt  ich  durch  Einwirkung  von  Brom  auf  2-4- 
Dimethylpyrrol- 3 -Carbonsäure  sowie  auf  2-4-Dimethylpyrrol 
prächtig  kristallisierende  Farbstoffe,  über  deren  Konstitution  ich 
jedoch  nichts  Näheres  sagen  kann.  Aus  den  oben  angegebenen 
Gründen  habe  ich  auch  hier  die  Reaktion  nicht  weiter  verfolgt. 

o 

Hervorzuheben  ist  das  charakteristische  spektroskopische 
Verhalten  sämtlicher  hier  angeführten  Farbstoffe.  Sie  absor- 
bieren alle  in  Blauviolett  geradeso  wie  „Urobilin“  und  die  von 
Piloty^)  zuerst  beschriebenen  Dipyrrylmethenfarbstoffe  und  geben 
fluoreszierende  Zinksalze.  Es  folgt  hieraus  wiederum,  daß  über- 
einstimmende spektroskopische  Befunde  keineswegs  beweisend 
für  die  Konstitution  sind. 


Experimenteller  Teil. 

2-4-Dimethyl-5-Acety  1-3-Brompyrrol. 
CH3C, rC  Bi- 


ch, 0 CG 


\ / 
\/ 
NH 


CCH, 


3,5  g 2-4-Dimethyl-5-Acetylpyrrol  wurden  in  40  ccm  Eis- 
essig gelöst  und  4 g Brom  in  30  ccm  Eisessig  zugegeben. 
Es  tritt  Bildung  von  Bromwasserstoff  ein,  Erwärmung  und 
bald  beginnt  die  Kristallisation  des  neuen  Bromkörpers.  Nach 
einer  Stunde  wurde  abgesaugt,  mit  wenig  Eisessig  ausgewaschen. 

Nach  Umkristallisieren  aus  Essigsäure  wurden  4 g analysen- 
reines Material  erhalten.  F.P.149— 15P.  Alkohol,  Äther,  Chloro- 
form relativ  leicht,  Wasser,  Petroläther  schwer  löslich. 

Analyse:  0,2237  g Sbst.:  0,3673  g CO^  + 0,0981  g H^O; 
0,2478  g Sbst.:  14,8  ccm  N bei  18''  und  719  mm  Hg;  0,1965  g 
Sbst.:  0,1700  g AgBr. 

CgH,oNBrO(216,01).  Ber.:  44,44«/oC;  4,67‘>/oH;  6,490/0 
N;  37,000/0  Br. 

Gef.:  44,78 0/0  C;  4,90o/o  H;  6,55 0/0  N;  36,82 0/0  Br. 


1)  Ber.  47,  S.  400;  S.  1124  und  2531. 


406 


H.  Fischer 


Einwirkung  von  Hydrazinliydrat  auf  2-4-Dimethyl-5  Acetyl- 
3-Bronipyrrol. 

Ketazin  des  2-4-Diniethyl-5- Acetyl-3-Brompyrrols. 


BrC 

CCH3  CH3C 

CBr 

CHsC^ 

/CCNCH3  CH3NCC 

1 1 

\ 

^CCH. 

\/ 

NH 


NH 


1,1  g Bromkörper  wurden  in  5 ccm  Pyridin  gelöst,  0,25  g 
Hydrazinhydrat  (=  1 Mol.)  zugegeben  und  2 Stunden  im  sieden- 
den Wasserbad  gelassen.  Durch  Zusatz  von  Essigsäure  und 
Wasser  wurde  ein  gelbes  01  erhalten,  das  beim  Reiben  kri- 
stallisierte. 

Es  wurde  abgesaugt,  mit  Wasser  ausgewaschen  und  zur 
Analyse  aus  Weingeist  umkristallisiert.  F.  P.  204 — 205°  unter 
Zersetzung.  Bei  Einwirkung  von  2 Mol.  Hydrazinhydrat  wurde 
der  gleiche  Körper  erhalten. 

Analyse:  0,1809  g Sbst.:  0,2991  g COg  und  0,0792  g HgO; 
0,2053  g Sbst.:  25  ccm  N 11°  717  mm  Hg;  0,1550  g Sbst.: 
0,1358  g Ag  Br. 

CieHgoN.Br^  (424,04).  Ber:  44,86°/oC;  4,71°/oH;  13,09°fo 
N;  37,34 °/o  Br. 

Gef.:  45,09°/oC;  4.90°/o  H;  13,50°/oN;  37,29 °/o  Br. 

Einwirkuug  von  Hydrazin  auf  2-4-Dimethyl-3-Acetyl- 
5-Brompyrrol. 

Ketazin-Pyridindoppelverbindung. 


CH3C 

BrC 


„CCNCHo  CHoNCC  — 


-CCH, 


\ / 
\/ 
NH 


CCH- 


2 'Pyridin 


CHoC'l 


\/ 

NH 


CBr 


1,1  g des  isomeren  Brompyrrols  wurden  genau  .so  ange- 
setzt, wie  eben  beschrieben.  Der  Ansatz  erstarrte  nach  1 bis 
2 Stunden  zum  Kristallbrei.  Es  wurde  abgesaugt  und  der 


t}ber  die  Einwirkung  von  Brom  auf  einige  Pyrrolderivate.  407 


intensiv  gelb  gefärbte  Körper  mit  Alkohol  ausgewaschen.  Aus- 
beute 0,3  g.  Durch  längeres  Erhitzen  (5  Stunden)  steigt  die 
Ausbeute  bis  auf  0,5  g,  durch  Zusatz  von  mehr  Hydrazinhydrat 
wurde  kein  anderes  Resultat  erhalten.  Der  Körper  ist  in  Wasser 
spielend  löslich,  in  Alkohol  und  Äther  so  gut  wie  unlöslich. 
F.  P.  266”  unter  Zersetzung. 

Analyse:  0,2009  g Sbst. : 0,3865  g CO^  -j-  0,0974  g H2O; 
0,1608  g Sbst.:  0,1027  g AgBr;  0,1871  g Sbst.:  23,9  ccm  N 
12”  715  mm  Hg. 

CaeHjoNgBra  (586,14).  Ber. : 53,23  ”/o  C;  5,16  ”/o  H; 
14,34  ”/o  N;  27,27  ”/o  Br. 

Gef.:  52,49  ”/oC;  5,42 ”/o  H;  14,27”/üN;  27,16  «/o  Br. 

Das  Pyridin  ist  außerordentlich  fest  gebunden;  es  gelang 
nicht,  das  pyridinfreie  Ketazin  zu  gewinnen. 


Einwirkung  eines  Überschusses  von  Brom  auf  2-4-Dimethyl- 
3-Acetylpyrrol. 


CHsBraCC,  -=CCH3 

CHsC^  /C= 

\/ 

N 


CHoC 


-CG  Br.,  CH, 


•HBr? 


N 


CH 


Läßt  man  auf  das  genannte  Pyrrol  in  Eisessig  ein  Molekül 
Brom  einwirken,  so  erhält  man  in  guter  Ausbeute  2-4-Dimethyl- 
3-Acetyl-5-Brompyrrol.  Bei  Anwendung  eines  Überschusses 
von  Brom  erhält  man  einen  prachtvoll  kristallisierten  Farb- 
stoff von  obiger  Konstitution. 

2,8  g 2-4-Dimethyl-3-Acetylpyrrol  wurden  in  50  ccm  Eis- 
essig gelöst  und  hierzu  10  g Brom  (=  5 Mol.)  in  15  ccm  Eis- 
essig gegeben.  Alsbald  entwickelt  sich  Bromwasserstoff  und 
die  Lösung  färbt  sich  tief  dunkelrot.  Nach  spätestens  Stunde 
beginnt  die  Kristallisation  eines  hellroten  Farbstoffs,  die  nach 
mehreren  Stunden  beendigt  ist.  Es  wird  abgesaugt,  mit  Eis- 
essig, Alkohol  und  Äther  vollständig  ausgewaschen.  Ausbeute: 
2 g.  Zur  Analyse  wurde  in  Chloroform  gelö.st  und  mit  Petrol- 
äther gefällt.  Feine,  verfilzte  Nadeln. 


408 


H.  Fischer 


Analyse:  1.  0,1529  g Sbst.:  0,1582  g CO^  und  0,0339  g 
HjO;  0,2124  g Sbst.:  8,8  ccm  N;  18'*  719  mm  Hg;  0,2064  g 
Sbst.:  0,3114  g HBr.  II.  0,1454  g Sbst.:  0,1543  g CO^  und 
0,0377  g H,0;  0,2124  g Sbst.:  8,8  ccm  N;  18**  719  mm  Hg; 
0,2107  g Sbst.:  0,3147  g AgBr. 

C„H„N2Br5(624,76).  Ber.:  28,81  «/oC;  2,74'-/oH;  4,48'*/o 
N;  63,96  o/o  Br. 

Gef.:  I.  28,220/oC;  2,48‘'/oH;  4,54o/oN;  64,20‘>/üBr 
„ 11.  28,94  „ ; 2,90  „ ; 4,51  , ; 63,56  , 

Auch  bei  Anwendung  eines  großen  Überschusses  von  Brom 
erhält  man  den  gleichen  Körper.  6 und  9 Mol.  Brom  wurden 
genommen,  die  Ausbeute  geht  zurück,  der  Farbstoff  hat  aber 
den  gleichen  Bromgehalt. 

6 Mol.,  Analyse:  0,1948  g Sbst.:  0,2928  g AgBr  = 
63,96  o/o  Br. 

9 Mol.,  Analyse:  0,2038  g Sbst.:  0,3072  g AgBr  = 
64,15  o/o  Br. 

Als  Ausgangsmaterial  zur  Gewinnung  des  Farbstoffs  braucht 
man  nicht  von  dem  2-4-Dimethyl-3-Acetylpyrrol  auszugehen, 
ebensogut  kann  man  die  Carbonsäure  anwenden,  aus  der  man 
durch  Destillation  das  Pyrrol  erhält: 

18,1  g 2-4-Dimethyl-3-Acetyl-5-Carbonsäurepyrrol  wur- 
den in  200  ccm  Eisessig  aufgeschwemmt  und  nicht  zu  schnell 
64  g Brom  (4  Mol.)  in  50  ccm  Eisessig  zugegeben.  Unter  Auf- 
schäumen (COg  Entwicklung)  tritt  Lösung  ein.  Gleichzeitig 
erfolgt  stark  Brom  Wasserstoff- Entwicklung  und  Rotfärbung. 
Die  Ausbeute  an  kristallisiertem  Farbstoff  beträgt  19  g. 

Analyse:  0,2107  g Sbst.:  0,3134  g AgBr  = 63,30o/o  Br. 

Freier  Farbstoff. 

Das  bromwasserstoffsaure  Salz  wurde  in  Chloroform  gelöst, 
mit  Natronlauge  ausgeschüttelt,  zuletzt  mit  Wasser.  Die  ge- 
trocknete Cbloroformlösung  hinterläßt  beim  Eindunken  im  Va- 
kuum den  gelbroten  Farbstoff  kristallisiert.  Zur  Analyse  wurde 
aus  Aceton  umkristalli.siert.  Derbe  Prismen.  Der  freie  Farb- 
stoff sintert  bei  185°  stark,  schmilzt  jedoch  bis  300°  nicht. 


über  die  Einwirkung  von  Brom  auf  einige  Pyrrolderivate.  409 

Er  absorbiert,  im  Spektroskop  in  Chloroformlösung  betrachtet, 
intensiv  im  ßlauviolett.  Zur  Analyse  und  Molekulargewichts- 
bestimmung wurde  bei  Zimmertemperatur  im  Vakuum  zur  Ge- 
wichtskonstanz getrocknet. 

Analyse:  0,1962  g Sbst.:  0,2268  g CO^  und  0,0427  g HgO; 
0,2015  g Sbst.:  9,7  ccm  N H**  721  mm  Hg;  0,2237  g Sbst.: 
11,1  ccm  N 13°  706  mm  Hg;  0,1608  g Sbst.:  0,2221  g Ag  Br. 
0,9170  g Sbst.  bewirkten  in  34,55  g Chloroform  eine  Siede- 
punktserhöhung von  0,160°.  K = 36,6. 

CjsHjgNjBr,  (543,83).  Ber. : 33,10%  C;  2,97 °/o  H;  5,15°/o 
N;  58,78  °/o  Br. 

Gef.:  Mgw.  = 607.  Ber.:  33,01°/oC;  2,49°/oH;  5,35, 
5,37  °/o  N;  58,78  °/o  Br. 

Man  sollte  annehmen,  daß  bei  der  Einwirkung  des  über- 
schüssigen Broms  zunächst  Dimethylacetylbrompyrrol  entsteht ; 
dies  ist  nicht  der  Fall,  aus  diesem  Pyrrol  erhält  man  den  Farb- 
stolF  durch  Bi'om  nicht.  Mehr  Brom  in  den  Farbstoff  einzu- 
führen gelang  auch  nicht. 

Als  ich  obige  Versuche  nochmals  der  Nachprüfung  unter- 
warf, konnte  ich  die  obengenannten  Resultate  nicht  wieder 
erhalten,  und  zwar  erhielt  ich  bei  den  Kohlenwasserstoff- 
bestimmungen sowohl  des  bromwasserstoffsauren  Salzes  wie  des 
freien  Farbstoffes  ein  Defizit  von  2°/o  im  Kohlenstoff.  Für 
den  freien  Farbstoff  fand  ich  bei  zahllosen  Ansätzen  konstant 
C = 30,96;  H = 2,76;  Br  = 58,54;  N = 5,20.  Hieraus  berechnet 
sich  die  Formel  Cj6,25  H^^so  Br4_6  No, 3 Oj.  Aus  der  Unstim- 
migkeit dieser  Zahlen  glaube  ich  schließen  zu  dürfen,  daß  ich 
bei  den  späteren  Versuchen  nicht  mehr  die  richtigen  Bedin- 
gungen getroffen  habe  und  daß  die  Reaktion  doch  in  obigem 
Sinne  verläuft,  aber  jedenfalls  muß  die  Reaktion  vorläufig  als 
eine  unsichere  bezeichnet  werden. 

Reduktion  mit  Eisessig- Jodwasserstoff. 

2,4  g des  Farbstoffes  wurden  mit  60  ccm  Eisessig- Jod- 
wasserstoff H/a  Stunden  lang  im  siedenden  Wasserbad  erhitzt. 
Nach  dem  Reduzieren  des  abgeschiedenen  Jods  mit  Jodphos- 

SitzuDgsb.  d.  math.-pbys.  Kl.  Jabrg.  1915.  27 


410 


H.  Fischer 


phonium  wurde  der  Eisessig-Jodwasserstoff  unter  vermindertem 
Druck  abdestilliert,  der  Rückstand  mit  Wasser  und  Soda  be- 
handelt und  dann  alkalisch  mit  Wasserdampf  abgetrieben. 
Das  Destillat  wurde  in  der  üblichen  Weise  auf  Pyrrolpikrat 
verarbeitet.  Erhalten  wurde  0,4  g Dimethylpyrrolpikrat.  F.  P. 
92—93°. 

Analyse:  0,1590  g Sbst. : 25  ccm  N bei  18°  712  mm  Hg. 

Gef.:  17,01.  Ber.:  17,29. 

Der  mit  Dampf  behandelten  Mutterlauge  kann  man  durch 
Chloroform  eine  geringe  Menge  Substanz  entziehen,  die  man 
beim  Versetzen  der  konzentrierten  Chloroformlösung  mit  Petrol- 
äther kristallisiert  erhält.  Wegen  der  geringen  Ausbeute  wurde 
sie  nicht  näher  untersucht. 


Einwirkung  von  Brom  auf  2-4-Dimethyl-3-Carbäthoxypyrrol. 


CoH^OOCC 


CCH,  CH,C, 


CCOOCoH, 


CHoC 


\ 

\/ 

N 


•HBr 


N 


CCHoBr 


1,68  g 2-4-Dimethyl-3-Carbäthoxypyrrol  wurde  in  30  ccm 
Eisessig  gelöst  und  hierzu  3,2  g Brom  (2  Mol.)  in  Eisessig  zu- 
gegeben. Tiefrote  Färbung  und  unter  Brom  Wasserstoff- Ent- 
wicklung fast  plötzliche  Kristallisation  eines  tiefrot  gefärbten 
Farbstoffes.  Derbe  Prismen.  Es  wurde  abgesaugt,  mit  Eis- 
essig, Alkohol  und  Äther  nachgewaschen.  Ausbeute  1,5  g. 

Zur  Analyse  wurde  aus  Chloroform-Petroläther  umkristal- 
lisiert, und  bei  100°  im  Vakuum  bis  zur  Gewichtskonstanz 
getrocknet. 

Analyse:  0,2324  g Sbst. : 1 1,4  ccm  N bei  15°  und  7 15  mm  Hg; 
0,1936  g Sbst.:  0,3112  gCO^  und  0,0773  g H^O;  0,2078  g Sbst.: 
0,1562  g AgBr. 

C.gHaaNgBry,  (490,04).  Ber. : 44,08  °/o  C;  4,53  °/oH; 
5,72  °/o  N;  32,62  °/o  Br. 

Gef.:  43,84 °/oC;  4,47°/o  H;  5,41°/oN;  31,99°/oBr. 


über  die  Einwirkung  von  Brom  auf  einige  Pyrrolderivate.  411 


Freier  Farbstoff. 

In  analoger  Weise,  wie  beim  bromwasserstoffsauren  Salz 
des  Farbstoffs  aus  Dimethylacetylpyrrol  (S.  408)  beschrieben, 
wurde  auch  hier  das  bromwasserstofifsaure  Salz  in  den  freien 
Farbstoff  übergeführt.  Der  Chloroformrückstand  kiüstallisiert 
sofort.  Zur  Analyse  wurde  aus  Aceton -Wasser  umkristallisiert. 
Nadeln,  büschelförmig  vereinigt.  F.  P.  154'^.  Zur  Analyse  I 
und  II,  ebenso  zur  Molekulargewichtsbestimmung  wurde  bei 
gewöhnlicher  Temperatur,  zur  Analyse  III  bei  100°  zur  Ge- 
wichtskonstanz getrocknet. 

I.  0,2116  g Sbst.:  0,4103  g CO^  und  0,1006  g H^O; 
0,2255  g Sbst.:  14,2  ccm  N bei  17°  und  721  mm  Hg;  0,1599  g 
Sbst.:  0,0752  g AgBr.  0,7414  g Sbst.  in  29,10  Chloroform  ge- 
löst bewirkten  eine  Siedepunktserhöhung  von  0,260°.  K = 36,6. 

II.  0,2219  g Sbst.:  0,4293  g CO2  und  0,1048  g H2O; 
0,1904  g Sbst.:  11,8  ccm  N bei  9°  und  713  mm  Hg;  0,1563  g 
Sbst.:  0,0731  g AgBr. 

HI.  0,2092  g Sbst.:  0,4054  g CO2  und  0,0993  g H2O; 
0,2211  g Sbst.:  13,6  ccm  N 9°  712  mm  Hg;  0,1516  g Sbst.: 
0,0704  g AgBr. 

C,8H2iN2  0, Br  (409,11).  Ber.:  52,80  °/o  C;  5,17  °/oH; 
6,85  °/oN;  19,54  °/o  Br. 

Mgw. : Gef.:  359. 

Gef.:  I.  52,88%  C;  5,32%  H;  6,94°/oN;  20,01°/oBr. 

„ H.  52,76  „ ; 5,28  „ ; 6,98  „ ; 19,90  „ 

, IH.  52,85  , ; 5,31  „ ; 6,91  „ ; 19,81  „ 

Bei  der  Reduktion  mit  Eisessig-Jodwasserstoff  gibt  auch 

dieser  Farbstoff  2-4-Dimethylpyrrol. 


412 


H.  Fischer 


Einwirkung  von  Brom  auf  Di  (2-4-Dimethyl-3-Carbätlioxy- 
pyrrol)  metban. 

CjHbOOCC, 

‘ ' 'HBr 


CH3Ö 


\ / 
\/ 
NH 


CCH3  CHbC 
C — CH  C 


\ / 
\^/ 

N 


CCH3 


1,2g  Di(2-4-Dimethyl-3-Carbäthoxypyrrol)-methan  wurden 
in  30  ccm  Eisessig  mit  1,6  g Brom  (3  Mol.)  in  Eisessig  versetzt. 
Sofort  kristallisiert  ein  roter  Farbstoff  heraus,  der  abgesaugt, 
mit  Alkohol  und  Äther  gewaschen  wurde.  Ausbeute  1,2  g. 

Zur  Analyse  wurde  aus  Chloroform-Alkohol  umkristallisiert 
und  derbe  metallisch  glänzende  Prismen  erhalten.  Im  Kapillar- 
rohr erhitzt,  tritt  bei  190°  Dunkelfärbung,  bei  227°  Zersetzung. 

Analyse:  0,1926  g Sbst. : 0,3781  gCO^  und  0,0995  gHgO; 
0,2398  g Sbst.:  14,6  ccm  N bei  17°  und  718  mm  Hg;  0,2185  g 
Sbst.:  0,0968  g AgBr. 

CigH^BN^O.Br  (425,14).  Ber:  53,63  % C;  5,92  °/o  H; 
6,59  °/oN;  18.80°/oBr. 

Gef.:  53,54 °/oC;  5,78 °/oH:  6,68 °/oN;  18,85 °/o  Br. 

Auch  durch  Einwirkung  von  8 Mol.  Brom  und  Erhitzen 
bis  zum  Sieden  wurde  kein  wesentlich  anderes  Resultat  erhalten. 
Die  Ausbeute  ging  zurück  auf  0,9  g,  die  Analyse  ergab  einen 
etwas  höheren  Bromgehalt  und  entsprechend  weniger  Kohlen- 
stoff und  Stickstoff. 

Gef.:  53,04°/oC;  6,00°/o  H;  6,56°/oN;  20,19°/o  Br. 


Einwirkung  von  Brom  auf  Hämopyrrol  (4-5-Dimetbyl- 
3-Ätbylpyrrol). 


CH3C 

CH3C 


CC2H5  CjHüCi 

c .d  . 

\/ 

N 


N 


CCHj 

CCHjBr 


•HBr 


2,2  g nahezu  reines  Hämopyrrol  (Pikrat  F.  P.  122°)  wurden 
in  15  ccm  Eisessig  gelöst  und  hierzu  3,2  g Brom  (1  Mol.)  in  Eis- 


über  die  Einwirkung  von  Brom  au  einige  Pyrrolderivate.  413 


essig  auf  einmal  zugegeben.  Sofort  tiefe  Dunkelfärbung,  Brom- 
wasserstoff-Entwicklung und  Erwärmung.  Es  ist  nun  not- 
wendig, möglichst  schnell  die  Kristallisation  zu  erzielen,  sonst 
tritt  Verschmierung  ein.  Ist  man  im  Besitz  von  Impfkristallen, 
erfolgt  bei  Zusatz  die  Kristallisation  sofort.  Die  Impfkristalle 
erhält  man  durch  Aufgießen  einer  Probe  auf  einen  Objekt- 
träger und  heftiges  Reiben  mit  einem  Glasstab  über  die  ganze 
Fläche. 

Die  Ausbeute  an  reinem  kristallisierten  Material  betrug 
im  günstigsten  Fall  0,8  g,  einmal  jedoch  nur  0,1  g.  Es  wurde 
gewogen  nach  Absaugen,  Auswaschen  mit  Eisessig,  Alkohol 
und  Äther  und  Trocknen  im  Vakuum. 

Zur  Analyse  wurde  aus  Chloroform-Petroläther  umkristal- 
lisiert und  im  Vakuum  zur  Gewichtskonstanz  getrocknet. 

I 4,217  mg  Sbst. : 7.395  mg  CO^ 2,08  mg  HgO;  5,184  mg 
Sbst. : 4,86  mg  Ag  Br;  4,780  mg  Sbst. : 0,304  ccm  N bei  17°  und 
723  mm  Hg. 

CieHj^N^Br^ (402,04).  Ber.t  47,76°/oC;  5,52o/oH;  6,97°/o 
N;  39,76  °/o  Br. 

Gef.:  47,83°/oC;  5,52°/oH;  7,12°/oN;  39,90°/o  Br. 


Freier  Farbstoff. 

Durch  Zerlegen  mit  Chloxoform  und  Kalilauge  in  der  oben 
beschriebenen  Weise  erhält  man  den  Farbstoff  in  kristallisiertem 
Zustand.  Zur  Analyse  wurde  er  aus  Alkohol  umkristallisiert 
und  in  derben  Prismen  erhalten.  F.  P.  119 — 120°.  Äther  und 
Petroläther  leicht  löslich,  intensives  „ Urobilin “spektrum. 

Analyse:  4,808  mg  Sbst.:  10,63  mg  COg  und  2,83  mg  HgO; 
4,557  mg  Sbst.:  10,08  mg  CO.^  und  2,72  mg  H.2O;  4,282  mg 
Sbst.:  0,334  ccm  X bei  16,5°  und  723  mm  Hg;  4,922  mg  Sbst. : 
2,885  mg  Ag  Br. 

C.eH^iN^Br  (321,11).  Ber.:  59,80 °/oC;  6,59  °/oH;  8,73 °/o 
N;  24,89  °/o  Br. 

Gef.:  60,30,  60,33  °/oC;  6,59,  6,68  °/o  H;  8,75°/oX; 
24,94  °/o  Br. 


414 


H.  Fischer 


Aus  der  freien  Base  erhält  man  in  üblicher  Weise  das 
Pikrat.  Aus  Alkohol  stahlblau  glänzende  (im  auffallenden 
Licht)  makroskopische  Prismen,  im  durchfallenden  Licht  rot. 
Pulver  rot.  Der  Körper  enthält  1 Mol.  Pikrinsäure. 

0,1396  g Sbst. : 16  ccm  N bei  14°  und  721  mm  Hg. 

022024^^5 OtBi-  (550,16).  Ber.;  12,730|oN. 

Gef.:  12,80°/oN. 

Reduktion  mit  Eisessig- Jod  Wasserstoff. 

Ein  eigenartiges  Verhalten  zeigte  der  Hämopyrrolbrom- 
farbstoff  bei  der  Reduktion  mit  Eisessig-Jodwasserstoff  in  der 
beim  Hämin  üblichen  Weise.  Nach  der  oben  angegebenen 
Konstitutionsformel  sollte  man  erwarten,  daß  nur  Hämopyrrol 
auftritt.  Der  Schmelzpunkt  des  Pikrates  war  jedoch  von  108 
bis  111°  statt  120°,  eine  Erklärung  für  dieses  Verhalten  kann 
ich  nicht  geben. 

1,5  g Hämopyrrolbromfarbstoflf  wurden  in  der  üblichen 
Weise  mit  Eisessig- Jod  Wasserstoff  reduziert  und  nach  D/aStunden 
mit  Jodphosphonium  entfärbt.  Hiernach  wurde  der  Eisessig- 
Jodwasserstoff  im  Vakuum  abdestilliert  und  der  Rückstand  soda- 
alkalisch mit  Dampf  abgetrieben.  Die  Basen  wurden  auf  Hämo- 
pyrrolpikrat  verarbeitet,  und  1,3  g Rohpikrat  erhalten.  Nach 
zweimaligem  Umkristallisieren  aüs  Benzol  wurden  0,6  g er- 
halten vom  Schmelzpunkt  108 — 111°.  Das  Kristallbenzol  4var 
vorher  durch  Trocknen  im  Vakuum  entfernt  worden.  Die  Ehr- 
lichsche  Probe  fiel  intensiv  positiv  aus. 

0,1699  g Sbst.  gaben  0,2988  g Kohlensäure  und  0,0792  g 
Wasser. 

0,1375  g Sbst.  gaben  21  ccm  N bei  23°  und  715  mm  Hg. 

C^HjgN^O,.  Ber.:  C = 47,72;  H = 4,55;  N = 15,91. 

Gef:  C = 47,96;  H = 5,21;  N = 16,27. 


über  die  Einwirkung  von  Brom  auf  einige  Pyrrolderivate.  “ÜS 


Einwirkung  von  Brom  auf  Bis  (2  4-Dimethylpyrryl)  metkan. 


BrC  “ 

CCH3 

H3CC 

1 

CBr 

HsCd^ 

'! 

Je CH 

< 

Je  CH, 

\/  x/- 

NH  N 

1,6  g des  obigen  Körper?  wurden  in  Eisessig  gelöst  und 
3 Moleküle  Brom  in  Eisessig  eingerührt.  Die  Kristallisation 
erfolgt  sofort,  von  der  abgesaugt  und  die  mit  Eisessig  ausge- 
waschen wurde.  Nach  dem  Waschen  mit  Alkohol  und  Äther 
betrug  die  Ausbeute  2,3  g.  Was  hier  vorlag,  war  das  brom- 
wasserstoffsaure  Salz  und  dies  wurde  mit  Hilfe  von  Chloro- 
form und  Natronlauge  in  die  freie  Base  übergeführt,  die  zur 
Analyse  zweimal  aus  Aceton  umkristallisiert  wurde.  Erhalten 
0,45  g,  derbe  Prismen.  Schmelzpunkt  181®,  nachdem  bei  177® 
Sintern  eingetreten  war. 

0,1881  g Sbst.  gaben  0,3024  g Kohlensäure  und  0,0733  g 
Wasser. 

0,1401  g Sbst.  gaben  10,2  ccm  N bei  19®  und  713  mm  Hg. 

0,1165  g Sbst.  gaben  0,1220  g AgBr. 

CjjH^N^Br^;  Mgw.  357,97.  Ber.:  C = 43,58;  H ==  3,94; 
N = 7,82;  Br  = 44,66. 

Gef.;  C = 43,84;  H = 4,36;  N = 7,88;  Br  = 44,56. 


Einwirkung  von  Brom  auf  2-4-Dimetliylpyrrol. 

BrC ^CCHä  CH3C:  ^ CBr 


CH3C. 


\ 

\/ 

N 


N 


CCHzBr 


Das  2-4-Dimethylpyrrol  gewinnt  man  am  besten  nach  dem 
Vorgang  Knorrs  aus  2-4-Dimethyl-3-5-Dicarbäthoxypyrrol 
durch  Einwirkung  von  konzentrierter  Schwefelsäure. 


416 


H.  Fischer 


Hierbei  entstehen  verschiedene  Nebenprodukte,  deshalb  ge- 
nügt es  nicht,  aus  der  alkalisierten  Lösung  das  Dimethylpyrrol 
abzutreiben,  sondern  das  Destillat  muh  sorgfältig  der  frak- 
tionierten Destillation  unterworfen  werden. 

Bei  der  Einwirkung  von  Brom  auf  reines  Dimethylpyrrol 
entstehen  nun  wahrscheinlich  nebeneinander  zwei  verschiedene 
schön  kristallisierende  Körper.  Verschiedentlich  erhielt  ich 
Analysenzahlen,  die  gut  auf  einen  Körper  obiger  Konstitution 
stimmten,  gelegentlich  aber  entstanden  auch  bromreichere  Pro- 
dukte. Beim  Verwandeln  in  den  freien  Farbstoff  wurde  stets 
Brom  gegen  Hydroxyl  partiell  ausgetauscht.  Da  ich  keine 
einwandfreien  Resultate  erhielt,  verzichte  ich  auf  die  nähere 
Beschreibung  der  mühevollen  Versuche  und  zahllosen  Analysen. 

Einwirkung  von  Brom  auf  2-4-Dimethyl-3-Carbonsäurepyrrol. 

Bei  der  Einwirkung  von  2 Mol.  Brom  auf  die  Säure  er- 
folgt eine  Reaktion  ganz  anderer  Art  wie  auf  den  zugehörigen 
Ester.  Es  entsteht  ein  roter  Kristallbrei,  unter  dem  Mikroskop 
braungelbe  Nadeln,  die  abgesaugt,  mit  Alkohol,  Äther  nach- 
gewaschen wurden.  Eine  Kohlensäure-Entwicklung  war  nicht 
zu  erkennen.  Ausbeute  1,7  g. 

Da  der  Körper  nicht  umkristallisiert  werden  konnte,  wurde 
das  Rohprodukt  analysiert.  Bei  gewöhnlicher  Temperatur  konnte 
keine  Gewichtskonstanz  erreicht  werden,  deshalb  wurde  bei 
100®  konstant  getrocknet,  wobei  eine  Gewichtsabnahme  von 
nicht  weniger  als  3 ®/o  erfolgte.  Die  gefundenen  Zahlen 
stimmten  auf  einen  hochmolekularen  Körper  von  der  Formel 
C.jg  HggN,(,  OgBi'jj.  Es  folgt  hieraus,  daß  wahrscheinlich  beim 
Trocknen  noch  sekundäre  Einwirkungen  erfolgt  sind  und  des- 
halb wurde  bei  einer  neuen  Darstellung  die  erhaltene  Kristal- 
lisation sofort  mit  200  ccm  5®/oiger  Natronlauge  aufgeschlemmt 
und  über  Nacht  geschüttelt.  Am  anderen  Morgen  wurde  mit 
Wasser  verdünnt  und  abgesaugt.  Offenbar  war  also  in  dem 
Produkt  keine  Carboxylgruppe  mehr  vorhanden.  Der  Rück- 
stand ließ  sich  nun  sehr  gut  sowohl  aus  Pyridin  wie  alkoho- 


über  die  Einwirkung  von  Brom  auf  einige  Pyrrolderivate.  417 


lischera  Ammoniak  Umkristallisieren.  Aus  letzterem  kristal- 
lisiert er  absolut  einheitlich  in  langen  gelbroten  Prismen.  Der 
Körper  schmilzt  bis  290°  nicht.  In  den  gebräuchlichen  Lösungs- 
mitteln außer  Pyridin  ist  er  sehr  schwer  löslich.  Zur  Analyse 
wurde  bei  100°  zur  Gewichtskonstanz  getrocknet. 

0,1404  g Sbst.  gaben  9 ccm  N bei  24°  und  718  mm  Hg. 

0,1677  g Sbst.  gaben  0,2342  g Kohlensäure  und  0,0476  g 
Wasser. 

0,2227  g Sbst.  gaben  0,2044  g AgBr. 

Mgw.  621,95.  Ber.:  0 = 38,59;  11  = 3,21; 
N = 6,77;  Br  = 38,55. 

Gef.:  0 = 38,09;  H = 3,17;  N = 6,82;  Br  = 39,06. 

Was  für  ein  Körper  hier  vorliegt,  ist  nicht  ermittelt  worden. 

Einwirkung  von  Brom  auf  2-4-Dimethyl-3-Acetyl-5-Carbon- 
säureäthylesterpyrrol. 

Hä  CG iiCCOCHä 

?? 

BrOCCv^  ^CCHjEr 

\/ 

NH 

Läßt  man  1 Mol.  Brom  auf  den  oben  angeführten  Ester 
einwirken,  so  erhält  man  sofort  einen  schön  kristallisierenden 
roten  Körper,  der  seinen  Eigenschaften  nach  ein  Perbromid  ist. 
Ich  habe  ihn  nicht  näher  untersucht,  sondern  4 Mol.  Brom 
auf  den  Ester  einwirken  lassen. 

2,1  g des  Esters  wurden  in  30  ccm  Eisessig  gelöst  und 
hierzu  6,4  g Brom  zugegeben.  Alsbald  kristallisiert  ein  gelb 
gefärbter  Körper  aus,  der  abgesaugt,  mit  Eisessig,  Alkohol 
und  Äther  angewaschen  wurde.  Hiernach  war  der  Körper 
farblos  und  wog  1 g.  F.  P.  167  — 170°.  Stark  bromhaltig. 
Da  das  Brom  leicht  abgegeben  wird,  wurde  direkt  das  Roh- 
produkt nach  Trocknen  über  PgO-  analysiert:  0,1905  g Sbst.: 
0,2336  g CO2  und  0,0596  g H^O;  0,2229  g Sbst.:  0,2557  g 
AgBr;  0,2028  g Sbst.:  8,1  ccm  N 16°  715  mm  Hg. 


■il8  H.  Fischer,  Über  d.  Einwirkung  v.  Brom  a.  einige  Pyrrolderivate. 


Cg  Hg  NO^Brg  (322,92).  Ber.:  33,44  «/o  C;  2,81  °/o  H; 
4,33  °/o  N;  49,50  “/o  Br. 

Gef.:  33,46«/oC;  3,50“/oH;  4,39°/oN;  48,82o/oBr. 
Durch  Behandeln  mit  Wasser  und  Alkohol  verliert  der 
Körper  sein  Brom  und  geht  in  schön  kristallisierende  Sub- 
stanzen über,  die  ich  aus  den  oben  angeführten  Gründen  nicht 
weiter  untersucht  habe. 


419 


Über  einen  Satz  des  Herrn  Serge  Bernstein. 

Von  G.  Mittag-Leffler. 

Vorgelegt  von  A.  Pringsheim  in  der  Sitzung  am  4.  Dezember  1915. 

Herr  Serge  Bernstein  hat  einen  wichtigen  Satz  ausge- 
sprochen, der  in  engem  Zusammenhänge  mit  den  Resultaten 
meiner  früheren  Arbeiten  steht.  Sein  Satz  lautet: 

„Die  notwendige  und  hinreichende  Bedingung  dafür,  daß 
eine  Funktion  F{z)  der  reellen  Veränderlichen  2 auf  einer 
Strecke  AB  analytisch  ist,  besteht  darin,  daß  die  Funktion  in 
eine  Reihe  von  Polynomen  entwickelbar  ist: 

(1)  F{2)  = P,{2)  -f  P.(^)  . . . + P„(^)  -t-  . . 

worin  P„  {2)  ein  Polynom  bedeutet,  das  höchstens  vom  Grrade  n ist 
und  auf  der  Strecke  AB  gleichmäßig  der  Ungleichung  genügt: 

(2)  Pr,{2)  <Mq"{q<IV^) 

1)  ComptesRendus  de  l’Acadera.  des  Sciences  de  Paris,  27  Fevrier  1911. 
Herr  Bernstein  hat  dem  Beweise  seines  Satzes  die  folgenden 
Arbeiten  gewidmet: 

„Sur  Vordre  de  la  meilleure  approximation  des  fonctions  continues 
par  des  polynomes  de  degre  donne.“  Memoire  couronne  par  la  classe 
des  Sciences  de  VAcad.  Royale  de  Belgique  dans  sa  seance  du  15  Decembre 
1911.  Bruxelles  1912. 

„Sur  une  propriete  des  polynomes.“  Mitteilungen  der  math.  Gesell- 
schaft in  Charkow. 

„über  die  beste  Approximation  der  kontinuierlichen  Funktionen 
durch  Polynome  gegebenen  Grades.“  Mitteilungen  der  math.  Gesellschaft 
in  Charkow  (2),  13,  S.  49—194  (Russisch). 

„Sur  la  definition  et  les  proprietes  des  fonctions  analytiques  d’une 
variable  reelle.“  Math.  Ann.,  Bd.  75,  S.  449 — 468. 


420 


G.  Mittag-LefFler 


Der  erste  Teil  dieses  Satzes,  nämlich  die  Notwendigkeit 
der  Bedingung,  ist  in  den  Formeln  enthalten,  die  in  den 
Noten  3')  und  4®)  meiner  Arbeit  „Sur  la  representation  ana- 
lytique  d’une  brauche  uniforme  d’une  fonction  monogene“  so- 
wie in  meinen  früheren  Veröffentlichungen“*)  abgeleitet  sind. 

ln  der  Tat  habe  ich  gezeigt,  daß  es  beliebig  viele  ana- 
lytische Funktionen  f{u\  a)  gibt,  „erzeugende  Funktionen“, 
wie  ich  sie  nannte  {u  bedeutet  die  Variable,  a einen  positiven 
Parameter),  die  folgende  Eigenschaft  besitzen: 

„Die  Funktion  v — a)  ist  für  u\<B,  wobei  ß>l, 
aber  hinreichend  nahe  an  1 ist,  eine  reguläre  Funktion  von  », 
für  welche  /’(0;  a)  = 0,  /'(l;  a)  — 1.  Durchläuft  tc  die  Peri- 
jiherie  des  Kreises  ■u  \ — iv,  so  durchläuft  v eine  geschlossene 
Kurve  — sie  heiße  F„  — , welche  die  Strecke  (0,  1)  umschließt 
und  zu  dieser  Geraden  symmetrisch  ist.  Diese  Kurve  umschmiegt 
die  Strecke  (0,  1)  immer  enger,  wenn  a nach  Null  strebt.“ 
Eine  solche  Funktion  ist*) 

I 

CI  7/ 

(3)  ^ = 0<a<l. 


Eine  andere  ist  die  des  Herrn  Fredholm®) 


(4) 


v = f{u\  a)  = 


log(l  — 

log(l— /i)  ’ 


a = l — ß-  0<ß<l. 


Ich  habe  früher  auch  noch  andere  Funktionen  dieser  Art 
untersucht.®) 


1)  Acta  Mathematica,  Bd.  24,  1900. 

‘^)  Acta  Mathematica,  Bd.  26,  1902,  S.  365,  366. 

Siehe  auch  G.  Mittag-Leffler,  „Über  die  analytische  Darstellung 
eines  eindeutigen  Zweiges  einer  monogenen  Funktion.“  Münchener  Be- 
richte, 6.  März  1915,  S.  133  — 137. 

Siehe  z.  B.  „Om  en  generalisering  af  potensserien.“  Öfversigt 
af  Kgl.  Svenska  Vet.  Akad.  Handl.  9 Mars  1898“;  „Om  den  analytiska 
framställningen  af  en  allmän  raonogen  funktion,  3:  dje  meddel.“ ; Öfversigt 
af  Kgl.  Svenska  Vet.  Akad.  Handl.  14  Sept.  1898. 

■*)  Note  4,  S.  365.  Münchener  Berichte,  1.  c.,  S.  134  — 136. 

“)  Note  4,  S.  366.  Münchener  Berichte,  1.  c.,  S.  137. 

6)  A.  a.  0. 


über  einen  Satz  des  Herrn  Serge  Bernstein. 


421 


Null  beliebig  nahe  kommen  kann,  so  bleibt  die  Funktion  f{n  \ n), 
wie  man  sieht,  für  j«  = R regulär. 

Es  werde  nun  vorausgesetzt,  dah  die  Funktion  F{z  — Ä), 
gleichviel,  ob  z — Ä reell  ist  oder  nicht,  auf  der  von  den 
Punkten  A und  B begrenzten  Strecke  mit  Einschluß  der  End- 
punkte regulär  ist. 

Bezeichnet  x einen  beliebigen  Punkt  der  Strecke  AB  und 
setzt  man  z — A = {x  — A)  f {u  \ a),  so  wird  F (z)  bei  hinreichend 
kleiner  Wahl  von  a für  ,u  <Z  R eine  „ 

reguläre  Funktion  von  u sein.  Als 
Funktion  von  z betrachtet  ist  die 
Funktion  F {z)  im  Inneren  und  auf 
der  Begrenzung  des  Bei’eiches  {B  — A)  • V„  regulär. 

Es  ist  folglich 


F{{x-~  A)fiu;  a)) 
'd''Fi(x  — A)  f{u;  a)) 


(5) 


00  /; 

= F{0)  + L ( 

r—1  ^ 


du'' 


wobei  die  Reihe  “iß  (u)  für  u < R konvergiert. 

Andererseits  ist  in  genügend  kleiner  Umgebung  des  Punk- 
tes A 


F{z~A)==%{z-A), 


(6) 


wo  ^ — A)  eine  nach  positiven  Potenzen  von  (z  — A)  fort- 

schreitende Reihe  bedeutet.  Hieraus  folgt,  wenn  man  /'(O;  a)  — 0 
berücksichtigt,  für  genügend  kleines  u\  die  Gleichung 


(7)  ^(«0  = F{{x  — A)f{u-,  a))  = ‘^{{x  — A)f{u-,  a)). 


Der  Weierstraßsche  Satz  über  iterierte  Reihen  U liefert 
nun  die  Entwicklung 


(8) 


((aj  — A)  f{u ; a))  = (a:)  -|-  P,  {x)  u 

-f  • ••  -f  P„(x)u"  -| , 


1)  Werke,  Bd.  2,  S.  205-208. 


422 


G.  Mittag-Leffler 


in  der  Pn{x)  ein  Polynom  von  höchstens  w-tem  Grade vorstellt 
und  die  in  der  Umgebung  des  Punktes  ?<  = 0 konvergent  ist. 
Die  Gleichung  (5)  liefert  also  in  der  Umgebung  des  Punktes 

M = 0 

rq'i  ^ ; a))  = ^ (m)  = -Po  (^)  + Pi  (^)  « 

Die  Reihe  konvergiert,  wie  wir  gesehen  haben,  für 

ti  I < B.  Dasselbe  gilt  also  von  der  Reihe  (8). 

Verstehen  wir  nun  unter  g die  Größe  lim  so  ist 

nach  dem  Satz  von  Cauchy -Weierstraß  a'^x^b 

(10)  \P„{x)\<gR~”  ^ go”-,  Q <1. 

Andererseits  ist  wegen  /"(l;  a)  = 1 

(11)  F{x^Ä)^  Pq  (a;)  + P,  (a;)  H P„  (x) -] 

Durch  die  Aufstellung  der  Formeln  (10)  und  (11)  ist  der 
Beweis  für  den  ersten  Teil  des  Bernsteinschen  Satzes  erbracht. 


0 Im  Falle  der  erzeugenden  Funktion 


(3) 


ist  P„W  = -F(«)(A) 


(n(a;  — .4))»  a{n  — 1) 


1! 


UC»-i)  [A]  ß 


{a{x  — 4))"  — ' 


(«-!)! 


a{n  — 2)  (a(«-2)-l-l) 


FC« -2)  [A)  ß 


.,(a(x-A))«-^- 
(«-2)1 


a(a-Fl)---(a  + a-2)  a{x-  A) 

(H  — 1)!  ^ 1! 


Im  Falle 


(4) 


erhält  man  dagegen 


+ F^'>  (4) 


X — A 
K 


wobei  Ä G -f- 1)  {/.  -f-  2 ) • • • (/.  -H  « — 1)  = /”  -p  C)”D."  *-!-•••+  ^ 

1 


H=  los 


\-ß 


über  einen  Satz  des  Herrn  Serge  Bernstein. 


423 


Um  auch  den  zweiten  Teil  des  Satzes  zu  beweisen,  muh 
man  Betrachtungen  anderer  Art  zu  Hilfe  nehmen,  die,  wie 
mir  scheint,  mit  ihrem  eigentlichen  Kerne  einem  elementaren, 
längst  bekannten  Teile  der  Theorie  der  analytischen  Funk- 
tionen angeboren.^) 

Es  besteht  nämlich  folgender  Satz: 

„Es  bezeichne 

(12)  2 — cos  cp  ih  sin  cp 

einen  Punkt  der  Ellipse 

S + i«  = ' («* -*•’  = !) 


mit  den  Brennpunkten  -h  1 und  — 1.  Dann  ist  der  absolute 
Wert  der  Funktion 

(14)  y>  (z)  = 2 Y — 1 

(die  Wurzel  sei  so  bestimmt,  dah  sie  für  reelle  2 > 1 positiv 
ist)  konstant  und  gleich  a b,  wenn  2 die  Ellipse  beschreibt. 
Auf  der  Strecke  ( — 1,  -f- 1)  ist  j 

Der  Beweis  dieses  Satzes  ergibt  sich  unmittelbar.  Er  ist 
in  den  folgenden  Formeln  enthalten : 


(15) 


(2)  = a cos  99  + i & sin  93  -j- 

Y cos^ cp  2 i ab  cos 9?  sin  cp  — b^  sin^ cp  — 1 
= a cos  99  -|-  i 6 sin  99  -p 

Y cos^99  -j-  2 ia 6 cos  99  sin  99  — b'^sm^cp  — -f-  b^ 

= a cos  cp  -f-  i 6 sin  99  -p 

Y b^  cos^  99  -j-  2iab  cos  cp  sin  99  — sin^  cp 
= a cos  99  -p  i & sin  99  -p  ft  cos  99  -p  i a sin  99 
= (a  -h  b)e'’P 

\xp{s)  \ = a -p  6 

xp  {2)  = 2 Y — 1 = ^ -p  i 1 — 2^ 

9.«  (.?)  I — 1 ; — l <2^-\- 


Siehe  außer  den  Arbeiten  des  Herrn  Bernstein  die  bemerkens- 
werte Vereinfachung,  die  Herr  Marcel  Riesz  vor  kurzem  dem  Beweis  des 
Fundainentalsatzes  gegeben  hat,  aus  dem  bei  Herrn  Bernstein  der  zweite 
Teil  seines  Satzes  fließt  (Acta  Mathematica,  Bd.  40). 


424  Ct.  Mittag-Leffler,  Über  einen  Satz  des  Herrn  Serge  Bernstein. 


Man  setze  nun  zur  größei'en  Einfachheit 


(16)  A — — !;-£>  — 4"li 


was  der  Allgemeinheit  des  Beweises  keinen  Eintrag  tut,  und 
betrachte  die  Funktion: 


(17) 


(V’(^))" 


= V(^). 


Sie  ist  in  dem  von  der  Doppellinie  ( — 1,  -\-  1)  begrenzten 
Bereich  regulär.  Da  nun  P„{s)  ein  Polynom  ist,  da- 

gegen nicht,  so  kann  q)(g)  sich  nicht  auf  eine  Konstante 
reduzieren.  Der  größte  Wert  von  \cp{2)\  befindet  sich  also 
auf  der  Linie  ( — 1,  -|- 1).  Wie  wir  gesehen  haben,  ist  ^>{2) 
hier  gleich  1. 

Ferner  setzten  wir  voraus 


(2)  Pn{z)  < J/p";  o < 1. 

Also  ist 

(18)  |(^(.e)!<il/p’';  — l<.e<+ 1. 

Es  möge  nun  z die  Ellipse  (13)  durchlaufen.  Bekanntlich 
kommt  a -\-  b.  das  größer  als  1 ist,  dem  Werte  1 beliebig  nahe, 
wenn  man  die  Ellipse  hinreichend  schmal  wählt.  Setzt  man  also 

(19)  («  4- ft)  p < r < 1, 

so  erhält  man 

(20)  \P„{z) 

so  lange  z im  Inneren  oder  auf  der  Ellipse  hleibt. 

GO 

Die  Reihe  Yj  Pn  i^)  ist  folglich  in  diesem  Bereich  für  z 

n =z\ 

gleichmäßig  konvergent.  Die  in  dem  Bereiche  durch  die  Reihe 
dargestellte  Funktion  ist  also  hier  analytisch  und  regulär,  wo- 
mit auch  der  zweite  Teil  des  Bernsteinschen  Satzes  bewiesen  ist. 


425 


Zur  Theorie  der  Balmerschen  Serie. 

Von  A.  Sommerfeld. 

Vorgetragen  in  der  Sitzung  am  6.  Dezember  1915. 

Die  Theorie  des  Balmerschen  Wasserstoffspektrunis  scheint 
auf  den  ersten  Blick  durch  die  wunderbaren  Untersuchungen 
von  N.  Bohr  zum  Abschluß  gebracht  zu  sein.  Bohr  konnte 
nicht  nur  die  allgemeine  Form  des  Seriengesetzes,  sondern 
auch  den  Zahlenwert  der  darin  eingehenden  Konstanten  und 
seine  Verfeinerung  unter  Berücksichtigung  der  Kernbewegung 
erklären.  Man  darf  sogar  .sagen,  daß  die  Leistungsfähigkeit 
der  Bohrschen  Theorie  vorläufig  beschränkt  ist  auf  diese  Wasser- 
stoffserie und  auf  die  wasserstoff-ähnlichen  Serien  (ionisiertes 
Helium,  Röntgenspektren,  Serien-Euden  sichtbarer  Spektren). 
Trotzdem  möchte  ich  zeigen,  daß  auch  die  Theorie  der  Balmer- 
serie  in  gewissem  Sinne  eine  Lücke  aufweist,  sobald  man  näm- 
lich nichtkreisförmige  (also  im  Falle  des  Wasserstoffatoms  ellip- 
tische) Bahnen  zuläßt.  Ich  werde  diese  Lücke  ausfüllen  durch 
eine  Vertiefung  des  Quantenansatzes  und  dabei  zugleich  die 
Sonderstellung  des  Wasserstoffspektrums  beleuchten:  Während 
die  anderen  Elemente  eine  Reihe  verschiedener  Serien  (Haupt- 
serie, Nebenserien  und  ihre  Kombinationen)  und  verschiedener 
Serientypen  aufweisen  (einfache  Serien,  Düblet-,  Tripletserien), 
hat  der  Wasserstoff'  (von  dem  noch  dunkeln  Viellinienspektrum 
abgesehen)  nur  die  einzige  Balmersche  Serie.  Nach  der  hier 
vorzutragenden  Auffassung  erklärt  sich  dies  daraus,  daß  in  der 
Balmerschen  Serie  eine  Reihe  von  Serien  zusammenfallen,  daß 
nämlich  jede  ihrer  Linien  auf  eine  gewisse  Anzahl  verschiedener 

Sitzangsb.  d.  matli.-phys.  Kl.  Jahrg.  1915.  28 


426 


A.  Sommerfeld 


Arten  entstehen  kann,  nicht  nur  durch  Kreisbewegungen,  son- 
dern auch  durch  elliptische  Bahnen  von  gewissen  Exzentrizitäten. 
Diese  eigenartige  Linienkoinzidenz,  die  beim  Wasserstoff  nur 
durch  die  besondere  Einfachheit  der  Keplerschen  Bewegung 
oder,  was  dasselbe  ist,  durch  die  besondere  Einfachheit  der 
Konstitution  des  Wasserstoffatoms  zustande  kommt,  kann,  wie 
man  leicht  übersieht,  bei  anderen  Elementen  nicht  mehr  statt 
haben.  Hier  werden  vielmehr  die  den  verschiedenen  Ellipsen- 
bahnen analogen,  aber  entsprechend  komplizierter  gestalteten 
Bahntypen  je  zu  verschiedenen  Linien  führen,  die  sich  weiter- 
hin in  verschiedene  Serientypen  anordnen  lassen  werden.  Das 
allgemeine  Serienschema  würde  dann  nicht  mehr  von  zwei 
ganzen  Zahlen  n und  m,  sondern  (vorbehaltlich  weiterer  Ver- 
allgemeinerung) von  vier  ganzen  Zahlen  n,  n‘  und  m,  m'  ab- 
hängen,  in  der  Form 

V 

^ = n‘)  — (p  (m,  m') 

und  die  Besonderheit  des  Wasserstoffs  würde  darin  bestehen, 
dal3  hier  99  (n,  n')  = <p  (n  -j-  n')  — (n  -j-  «')“-  wäre. 

Ich  habe  diese  Dinge  bereits  vor  einem  Jahr  in  einer  Vor- 
lesung vorgetragen,  ihre  Veröffentlichung  aber  zurückgestellt, 
da  ich  beabsichtigte,  sie  u.  a.  für  die  Auffassung  des  Stark- 
effektes fruchtbar  zu  machen.  Diese  Absicht  scheiterte  indessen 
vorläufig  an  der  inzwischen  auch  von  Bohr  stark  betonten 
Schwierigkeit,  den  Quantenansatz  anzuwenden  auf  nicht-perio- 
dische Bahnen,  in  welche  ja  die  Keplerschen  Ellipsen  durch 
ein  elektrisches  Feld  auseinander  gezogen  werden.  Auf  diese 
und  ähnliche  Anwendungsmöglichkeiten  werde  ich  am  Schlüsse 
hinweisen;  in  der  Hauptsache  beschränke  ich  mich  hier  auf 
die  Darstellung  der  allgemeinen  Überlegungen,  die,  wie  ich 
glaube,  bei  der  weiteren  Ausgestaltung  des  Bohrschen  Serien- 
modelles eine  entscheidende  Rolle  spielen  werden. 


Zur  Theorie  der  Balmerschen  Serie. 


427 


^ I.  Der  Quantenansatz  für  periodische  Bahnen. 

Vor  jeder  Anwendung  der  Wahrscheinlichkeitsrechnung 
hat  man  sich  die  Frage  nach  den  gleich-wahrscheinlichen  Fällen 
(nach  der  Richtigkeit  der  zu  benutzenden  Würfel)  vorzulegen. 
Auf  dem  Gebiete  der  statistischen  Mechanik  liefert  hiei-für  den 
einzigen  Anhaltspunkt  der  Liouvillesche  Satz.  Dieser  sagt  be- 
kanntlich aus,  dah  gleichgroße  Elemente  des  „Phasenraumes“ 
(?)  P)  gleich  wahrscheinlich  sind,  insofern  und  weil  sie  zeit- 
lich ineinander  übergeführt  werden,  q sind  die  Lagenkoordi- 
naten, p die  zugehörigen  Impulskoordinaten 


P = 


dT 

H 


T ist  die  lebendige  Kraft,  und  man  hat  soviel  Koordinaten  q 
und  p,  als  man  Freiheitsgrade  des  Systems  hat.  Indem  man 
die  Elemente  ll{dqdp)  des  Phasenraumes  betrachtet,  operiert 
man  von  Anfang  an  mit  kontinuierlichen  Wahrscheinlichkeiten. 
Die  Quantentheorie  ersetzt  diese  durch  diskrete  Wahrschein- 
lichkeiten und  betrachtet  statt  des  Phasenelementes  dq  dp  als 
Elementarbereich  der  Wahrscheinlichkeit  das  endliche  Phasen- 

Sdiäp^h. 


Wir  erinnern  an  eine  berühmte,  bei  Planck  nicht  hinge- 
zeichnete Ellipsenfigur  für  den  harmonischen  linearen  Resonator. 
In  der  Zustandsebene  der  q,  p beschreibt  der  Resonator  eine 
Ellipse,  deren  Hauptachsenverhältnis  durch  Trägheit  m und 
Schwingungszahl  v des  Resonators  gegeben  ist  und  längs  der 
seine  Energie  konstant  ist.  Von  dem  hiernach  bestimmten 
System  ähnlicher  Ellipsen  werden  in  der  ursprünglichen  Fas- 
sung der  Quantentheorie  diejenigen  Ellipsen  als  allein  mög- 
liche Zustandskurven  hervorgehoben,  die  zwischen  sich  den 
Flächeninhalt  h einschließen.  Für  die  Energie  W dieser  aus- 
gezeichneten Ellipsen  gilt  TF=w/t»’,  d.  h.  die  Vorstellung  der 
Energieelemente  hv  folgt  für  den  linearen  Resonator  aus  der 
Forderung  der  endlichen  Phasenelemente  h. 


28’ 


428 


A.  Sommerfeld 


Debye^)  hat  das  Plancksche  Verfahren  auf  eine  beliebige 
periodische  Bewegung  von  einem  Freiheitsgrade  ausgedehnt, 
und  Ehrenfest^)  hat  dasselbe  angewandt  auf  den  Fall  der  ein- 
fachen Rotation.  Handelt  es  sich  um  einen  Massenpunkt  m, 
der  auf  dem  Kreise  vom  Radius  a gleichförmig  rotiert,  so  ist 

q = (p,  T = — (p^,  p = m a^<p  = konst. 

Die  Zustände  gleichförmiger  Rotation  werden  in  der  q,  /»-Ebene 
durch  Geraden  parallel  der  g- Achse  dargestellt ; statt  der  Ellipsen- 
ringe beim  Resonator  ergeben  sich  hier  Rechtecke  von  der 

Grundlinie  2 :rr,  dem  Zustandsbereich 
der  Variabein  q = cp,  und  der  Höhe 

derart,  daß  der  Rechteckinhalt 

2 71 

wie  verlangt  gleich  h wird.  Die 
aufeinander  folgenden  ausgezeich- 
neten Zustände  sind  hier  also  be- 

TlfJl 

stimmt  durch  p = „ ; an  die  Stelle 

der  diskreten  Energieelemente  beim 
schwingenden  Massenpunkt  tritt  also  beim  rotierenden  Massen- 
punkt der  Bohrsche  Ansatz  der  diskreten  Impulselemente. 

Nach  diesen  vorbereitenden  Beispielen  wollen  wir  den 
Quantenansatz  allgemein  formulieren.  Wir  denken  uns  in  der 
q,  /5-Ebene  die  Bildkurven  einer  einfach  unendlichen  Schar  von 
Bahnkurven  konstruiert  und  betrachten  die  Fläche  zwischen 
irgend  zweien  der  Bildkurven.  Sind  die  Bildkurven  geschlos- 

')  Vorträge  über  die  kinetische  Theorie  der  Materie,  1913,  p.  27. 

2)  Deutsche  Physik.  Ges.,  1913,  p,  451.  Verf.  beschreibt  in  den 
Gl.  (7)  und  (8)  die  Figur  so,  als  ob  sie  aus  dem  Nullpunkt  und  den 

Streckenpaaren  bestände,  wobei  der  Nullpunkt  der  Rotation  Null 

entsprechen  würde.  Es  ist  offenbar  naturgemäßer,  die  Rotation  Null 
ebenfalls  durch  die  Strecke  — -t  bis  -|-  -i  darzustellen,  wie  es  in  unserer 
Fig.  1 geschieht,  da  die  Orientierung  des  Massenpunktes  bei  der  Rotation 
Null  beliebig  ist. 


a b(o  für  Ellipse 

Fig.  1 


Zur  Theorie  der  Balmerschen  Serie. 


429 


sene,  wie  beim  Resonator,  so  ist  die  Fläche  direkt  definiert. 
Andernfalls  nehmen  wir  wie  beim  rotierenden  Massenpunkt  an, 
daß  sie  durch  Hülfslinien  (dort  die  Geraden  (p  = +7i)  zu  ge- 
schlossenen ergänzt  werden  können,  infolge  irgend  welcher 
Periodizitäts-  oder  Symmetrie-Eigenschaft  der  Bahnen.  Inner- 
halb der  unendlichen  Schar  unserer  Bildkurven  zeichnen  wir 
nun  eine  diskrete  Menge  aus  durch  die  Forderung,  daß  die 
Fläche  zwischen  der  n — Iten  und  der  «ten  dieser  Kurven 
gleich  h sein  soll.  Bezeichnen  wir  die  Ordinaten  dieser  Kurven 
der  Reihe  nach  mit  P21  • ■ -i  so  schreibt  sich  unsere 

Forderung  bei  Ausführung  der  Integration  nach  p folgender- 


maßen : 


SSdpdq  = S Pndq  — Spn-idq  = h. 


Bezüglich  des  Vorzeichens  möge  festgesetzt  werden,  daß 
die  Integration  nach  q im  Sinne  des  Ablaufs  der  Bewegung 
(der  fortschreitenden  Zeit)  genommen  werde.  Ferner  wollen 
wir  annehmen,  daß  die  Kurve  p^  so  gewählt  werden  kann,  daß 


Sp^dq  = 0 


sei ; diese  Annahme  ist  in  unseren  beiden  Beispielen  erfüllt, 
indem  die  Bildkurve  des  ruhenden  Resonators  ein  Punkt  ist 
(der  Mittelpunkt  des  Planckschen  Ellipsensystems),  die  des 
ruhenden  Rotators  ein  Stück  der  j-Achse  selbst.  Schreiben 
wir  daraufhin  unsere  Quantenforderung  der  Reihe  nach  für 
w = 1,  2,  3,  . . . hin,  so  ergibt  sich: 


SPidq  = h 


SPidq  — SPxdq^h 
SPidq~SP2dq  = h 


durch  Summation  folgt : 

(I) 


Die  links  stehende  Größe  nennen  wir  das  Phasenintegral. 
Es  ist  nur  definiert  für  periodische  oder  quasiperiodische  Bahnen. 
(Unter  quasiperiodischen  Bahnen  mögen  solche  verstanden  wer- 


430 


A.  Sommerfeld 


den,  auf  denen,  wie  bei  der  Bahn  des  sphärischen  Pendels, 
jedem  Punkt  ein  späterer  zugeordnet  werden  kann,  in  dem  und 
von  dem  ab  die  Bewegung  entsprechend  verläuft.) 

Wir  zeigen,  daß  das  Phasenintegral  eine  notwendig  posi- 
tive Größe  ist,  daß  die  Quantenzahl  n also  eine  wirkliche 
(positive)  Zahl  ist.  Wir  denken  uns  zu  dem  Ende  solche 
(orthogonale)  Koordinaten  q benutzt,  daß  in  der  quadratischen 


Form  T nur  die  quadratischen  Glieder 


nicht  die  Produkt- 


glieder 2,^4  auftreten,  wobei  wegen  des  positiven  Charakters 
von  T die  als  Funktion  der  Koordinaten  zu  denkende  Funktion 
^ > 0 sein  wird.  Dann  wird  der  zu  q — g,-  gehörige  Impuls 
p = Aqi  und  daher  das  Phasenintegral 


J pdq  = J pqdt  = J Aq-dt'>  0. 

Die  Einführung  orthogonaler  Koordinaten  in  I ist  immer 
möglich;  die  später  zu  benutzenden  Polarkoordinaten  genügen 
von  selbst  dieser  Bedingung.  Jedenfalls  braucht  man  nur 
solche  Koordinaten  zu  verwenden,  für  die  das  Phasenintegral 
ebenso  wie  für  orthogonale  positiv  wird. 

Es  ist  der  Hauptgegenstand  dieser  Arbeit,  die  Anwendung 
des  Ansatzes  (1)  auf  die  Keplersche  Bewegung  zu  studieren 
und  seine  Durchführbarkeit  zu  zeigen.  Die  Keplersche  Be- 
wegung finde  unter  dem  Einfluß  einer  Newtonschen  oder  Cou- 
lombschen  Kraft  statt,  zunächst  um  ein  festes  Zentrum.  Auf  die 
Bewegung  im  Azimute  cp  können  wir  die  vorige  Figur  direkt 
übertragen.  Die  zugehörige  Impulskoordinate  ist  hier  die 
Flächenkonstante  p,  die  Zustandskurven  werden  also  wieder 
Geraden  parallel  der  g'-Achse;  unser  Ansatz  (I)  zeichnet  unter 
diesen  diejenigen  quantenhaft  aus,  für  welche  gilt 

2n 

(1)  ^ p dq  = p ^ dp  = 27t p = n/i. 

0 


Wir  wollen  betonen,  daß  wir,  um  unserem  quantentheore- 
tischen Standpunkt  getreu  zu  bleiben,  die  dynamisch  definierte 
Flächeukonstante  j),  nicht  eine  durch  die  mittlere  Umlaufs- 


Zur  Theorie  der  Balmerschen  Serie. 


431 


geschwindigkeit  (o  definierte,  nur  kinematisch  bestimmte  Größe 
dem  Quantenansatz  unterwerfen  müssen.  Dieser  Unterschied 
ist  wesentlich  für  die  Beurteilung  der  im  folgenden  Paragraphen 
zu  besprechenden  Schwierigkeit.  Der  Zusammenhang  zwischen 
p und  CO  ist  der  folgende : 

p = mahw  = ma^Y\  — e^co 

(cc,  b = große  und  kleine  Hauptachse  der  Ellipse,  s = nume- 
rische Exzentrizität,  a 6 co  = doppelte  Fläche  der  Ellipse,  ge- 
teilt durch  Umlaufszeit,  also  — mittlere  Flächengeschwindig- 
keit). Soviel  ich  sehe,  ist  Herr  Bohr  geneigt,^)  nicht  die  Größe 
2 Tip,  sondern 

(la)  27imar  ü)  = ■ ^ = nn 

ZU  setzen,  wodurch  die  hervorzuhebende  Schwierigkeit  aller- 
dings scheinbar  vermieden  wird.  Abgesehen  von  der  allge- 
meinen Folgerichtigkeit  des  quantentheoretischen  Standpunktes 
in  unserem  Ansatz  (l)  und  der  künstlichen  Bevorzugung  der 
großen  Achse  a in  dem  Ansatz  (la)  werde  ich  zu  Gunsten  des 
Ansatzes  (1)  in  § 4 den  Fall  der  kreisförmigen  Rotation  von 
Elektron  und  Kern  um  ihren  gemeinsamen  Schwerpunkt  heran- 
ziehen, der  Bohr  zu  der  bedeutenden,  inzwischen  experimentell 
bestätigten  Entdeckung  der  Abhängigkeit  der  Rydbergschen 
Konstanten  N vom  Atomgewicht  des  fraglichen  Elementes  ge- 
führt hat.  In  diesem  Falle  kommt  man  zu  dem  von  Bohr 
vorhergesagten  tatsächlichen  Wert  von  N vollkommen  unge- 
zwungen, wenn  man  die  Flächenkonstante  p,  d.  h.  den  Gesamt- 
impuls von  Elektron  und  Kern,  nicht  eine  aus  Abstand  und 
Umlaufsgeschwindigkeit  gebildete  kinematische  Größe  gleich 
einem  vielfachen  von  h setzt. 


Ich  vermute  dieses  nach  den  allgemeinen  Erörterungen  zu  Be- 
ginn seiner  ersten  Arbeit,  Phil.  Mag.  26,  pag.  3,  wo  alle  Bewegungs- 
Elemente  durch  a und  w dargestellt  werden.  Eine  ausdrückliche  For- 
mulierung des  Ansatzes  (la)  habe  ich  bei  Bohr  nicht  gefunden. 


432 


A.  Sommerfeld 


Es  sei  schon  hier  bemerkt,  daß  die  Anwendung  des  Quanten- 
ansatzes auf  die  einzelne  Zustandskoordinate  cp  nach  dem  Vor- 
angehenden zwar  nahe  liegt,  aber  eine  neue  Hypothese  enthält. 
Bei  dem  Planckschen  Oscillator  oder  der  einfachen  Rotation 
haben  wir  nur  einen  Freiheitsgrad  und  können  bezüglich  der 
Berechnung  des  Phasenintegrals  nicht  im  Zweifel  sein.  Bei 
der  Keplerschen  Bewegung  dagegen  haben  wir  zwei  Freiheits- 
grade; die  Begriffsbestimmung  des  Phasen integrals  ist  daher 
hier  nicht  mehr  eindeutig.  Inwiefern  unser  Ansatz  vom 
Koordinatensystem  unabhängig  ist,  wollen  wir  später  erörtern. 

§ 2.  Die  Energie  der  Keplerschen  Bewegung. 

Bekanntlich  benutzt  die  Bohrsche  Theorie  noch  an  einer 
anderen  Stelle  einen  Quantenansatz,  indem  sie  die  ermittierte 
Schwingungszahl  durch  die  Energiedifferenz  des  Überganges 
aus  der  ursprünglichen  in  die  spätere  Bahn  des  Elektrons 
ausdrückt : 

(II)  hv=W„-Wr, 

Ich  glaube,  daß  diese  Verwendung  der  Quantentheorie,  trotz 
ihrer  außerordentlichen  Leistungsfähigkeit  in  Hinsicht  auf  das 
Kombinationsprinzip  der  Spektrallinien,  doch  nur  provisorisch 
ist.  Um  z.  B.  beim  Zeeman-Effekt  die  scharfe  Polarisation 
der  Zerlegungslinien  zu  erklären,  wird  es  nötig  sein,  den 
Übergang  im  Einzelnen  zu  verfolgen  und  sich  nicht  zu  be- 
gnügen  mit  einer  pauschalen  Energiebilanz.  Um  dieses  Ziel 
zu  erreichen,  müßten  ganz  neue  Gesetze  der  Mechanik  gefunden 
werden.  Handelt  es  sich  doch  in  der  gewöhnlichen  Mechanik 
stets  um  Vorgänge,  bei  denen  Energie  und  Impuls  im  Prinzip 
erhalten  bleiben,  hier  dagegen  um  Übergänge,  bei  denen  Energie 
und  Impuls  in  charakteristischer  Weise  abgeändert  werden. 

Um  den  Bohrschen  Ansatz  (II),  dem  wir  uns  natürlich 
einstweilen  anschließen  müssen,  verwenden  zu  können,  müssen 
wir  die  Energie  der  Keplenschen  Bewegung  durch  die  Flächen- 
konstante p und  die  Exzentrizität  e ausdrücken.  Wir  könnten 
uns  hierbei  auf  wohlbekannte  Tatsachen  der  Mechanik  stützen. 


Zur  Theorie  der  lialmerschen  Serie. 


438 


Ich  ziehe  es  aber  vor,  die  Formeln  kurz  abzuleiten,  teils  wegen 
anschließender  Verallgemeinerungen,  teils  weil  mir  die  folgende 
Ableitung  besonders  einfach  scheint. 

Nimmt  man  die  Kernladung  gleich  -f-  e und  die  Kern- 
raasse  zunächst  als  co  an  und  beschreibt  die  Beweguncr  des 
Elektrons  m teils  durch  rechtwinklige  Koordinaten  x,  y,  teils 
durch  Polarkoordinaten  r,  q>  mit  dem  Kern  als  Zentrum,  so  gilt 

p ~ 

. d ■ d ■ . 

dt  ^ ~ 'P’  dt^^y~ 


Ersetzt  man 


(3) 


y,  durch  q)  j = 
dt  dcp 


und  führt  man  die  Abkürzung  o = 


p d 
mr^  dcp 

1 . . . 
ein,  so  wird 


mx 


pd  (.  da  > 

(r  cos  cp)  = — p I o sm  ^ -j-  -yy  cos  cp 


dcp 
p d 


(r  sin  91)  = — p 


COS  9? 


dcp 
do  . 
dcp^^^^^ 


Statt  (2)  kann  man  also  schreiben: 


f ( 

mr'^  dp  \ 


do  \ 
sin  «jy  -j-  cos  95  1 


s cos  w 

mr‘ 


dp 


cos  93, 


p^  d ( 


da  . 


“o  7 ■ ö cos  p — y-  sin  p 
mr^  dp  \ dp 


p‘‘  . 1’  d^o  . \ e‘ 


h 


sin  p I y— s 4-  O = i sin  93. 

m r“  \d  93^  / 

Indem  man  den  Faktor  bzw.  — ^ beiderseits  hebt. 


folgt  aus  beiden  Gleichungen  gemeinsam : 


434 


A.  Sommerfeld 


also  durch  Integration 


(P  o tu  e® 


d(p 


p‘ 


m 


o = - A cos  cp  B sin  cp. 

Nimmt  man  9?  = 0 zum  Perihel,  so  wird 

B = 0 wegen  f ^ = 0 für  w = 0 
clq> 


m e' 


A = — i-  £ wegen  , 
•r  1 


1 4-  £ _ o(0) 

£ o{jl) 


1 T 


1 — 


Ap^ 
m e® 
Ap^' 
me* 


Wir  erhalten  also  die  gewöhnliche  Polargleichung 
Ellipse  in  der  Form 


(5) 


1 >. 

O = - — g (1  -P  £ cos  <35). 

r 


Hieraus  folgt  wegen  (3) 


(6) 


p dr 
7)1  dp 


p do  e*  . 

— , = — £ sin  09. 

7)1  dp  p 


rp  = = o = — (1  -p  £ cos  09). 

))ir  771  p 

Für  die  kinetische  Energie  erhält  man  nach  (6); 


All  ^ ^ 

r = ^ (r*  4-  r®  = — — (c®  sin*  99  4-  (1  4-  e cos  99)*) 
4-£2 


7)1  e* 


7)1  fl 

~ _p*  V 


4-  « cos  99 


)■ 


für  die  potentielle  Energie  nach  (5); 

e*  7)1  e' 


V = 


für  die  Gesamtenergie  also 


p^ 


(1  4-  £ cosp), 


7)1  e* 


ir-=  j+ ~ ^(1  — £*). 

zp- 


der 


Zur  Theorie  der  Balmerschen  Serie. 


435 


Das  Wesentliche  an  diesem  Re.sultat  ist  die  Art,  wie  die 
Exzentrizität  e in  dasselbe  einsreht.  Dalj  die  Gesamtenersrie 
(ebenso  wie  bei  Bohr)  mit  negativem  Zeichen  erscheint,  braucht 
uns  nicht  zu  überraschen.  Ist  sie  doch  nur  bis  auf  eine  will- 
kürliche additive  Konstante  definiert.  Z.  B.  würden  wir  nach 
der  Relativitätstheorie  noch  die  weit  überwiegende  Massen- 
energie mc*  und  llc^  des  Elektrons  und  des  Kernes  hinzu- 
zufügen haben,  durch  welche  der  Ausdruck  für  W sofort 
positiv  werden  würde. 

Tragen  wir  in  (7)  unsern  Quantenansatz  (1)  ein  und 
schreiben  wir  zur  Unterscheidung  s„  statt  e,  so  ergibt  sich 


W=W„  = — 


2 71^  m c*  1 


= — Nh 


1 


mit  Benutzung  des  Bohrschen  Wertes  für  die  Rydbergsche 
Konstante  N.  Dieser  Ausdruck  von  W hängt  in  kontinuier- 
licher Weise  von  der  Exzentrizität  e,,  ab.  Bilden  wir  in  gleicher 
Weise  die  Energie  W,n  für  eine  andere  Bahn  von  der  Exzen- 
trizität E„,  und  dem  Impulsmomente  27ip  = mh,  so  folgt  durch 
den  Quantenansatz  (II)  nicht  die  Balmersche  Serie 


mit  scharfen,  ganzzahlig  durch  ni  und  n definierten  Linien, 
sondern 


also  eine  Folge  von  Schwingungszahlen,  welche  bei  kontinuier- 
lich veränderlichen  Exzentrizitäten  vollkommen  unscharf  wäre: 
keine  diskrete  Serie,  sondern  ein  verwaschenes  Band. 

Wollen  wir  also  dem  Elektron  nicht  überhaupt  verbieten, 
außer  Kreisen  auch  Ellipsenbahnen  zu  beschreiben,  so  ergibt 
sich  unabweislich  die  Forderung,  auch  die  Exzentrizitäten 
quantenhaft  zu  arithmetisieren  und  au  gewisse  ganzzahlige 
Werte  zu  binden. 


■130 


A.  Sommerfeld 


Pjs  sei  denn,  daß  wir  den  Quantenansatz  (1)  aufgeben  und 
uns  dem  Ansätze  (la)  anschließen.  Da  bei  diesem  --  — 

Kl— e® 

an  die  Stelle  von  p tritt,  würde  sich  allerdings  aus  (7),  un- 
abhängig von  f,  ergeben: 

iVA  . . /I  1\ 

W„  = — - und  r = ^ ). 

Wie  indessen  am  Ende  des  vorigen  § erörtert  wurde,  müssen 
wir  diesen  Notbehelf  als  zu  künstlich  abweisen. 


^ 3.  Quantenbedingung  für  die  Exzentrizität. 


Nachdem  wir  gesehen  haben,  daß  die  Exzentrizität  der 
Ellipsenbahnen  nicht  kontinuierlich  veränderlich  sein  darf, 
sondern  auf  ausgezeichnete  diskrete  Werte  zu  beschränken  ist, 
erhebt  sich  die  Frage  nach  einer  Quantenbedingung  für  die 
Exzentrizität.  Der  einfachste  Ansatz  führt  sogleich  zu  einem 
überzeugenden  Ergebnis. 

Wir  übertragen  den  Quantenansatz  (I)  wörtlich  von  der 
azimutalen  Koordinate  <p  auf  die  radiale  Koordinate  q — r. 


Der  zugehörige  Impuls  ist  p,  — 


— =m  r im  Falle  unendlicher 
dr 


Kernmasse.  Wir  betrachten  unser  Phasenintegral  Spdq  = 
J p,  dr  erstreckt  über  einen  vollen  Umlauf  und  setzen  dasselbe 
nach  (I)  gleich  einem  ganzen  Vielfachen  n'  von  h;  also 


(9) 


2 

^ Pr  dr  = § mrdr  = J mr 
0 


dr 

dp 


dp  = n‘h. 


In  den  nach  r genommenen  Integralen  würde  die  Inte- 
gration etwa  von  der  Periheldistanz  r = (1  — e)  a bis  zur 
Apheldistanz  r = (1  -f  e)  a und  wieder  zurück  zur  Perihel- 
distanz zu  erstrecken  sein;  indem  wir  auch  hier  p als  formale 
Integrationsvariable  wählen,  erzielen  wir  die  einfacheren  Inte- 
grationsgrenzen 0 und  2 71  und  eindeutige  Abhängigkeit  des 
Integranden  von  der  Integrationsvariabein. 


Zur  Theorie  der  Balmerschen  Serie. 


4:17 


Zur  geometrischen  Veranschaulichung  unseres  Ansatzes  (9) 
betrachten  wir  in  der  Phasenebene  q,  p die  Bilder  eines 
Systems  von  Bahnkurven,  indem  wir  g = r und  p = p,-  als 
rechtwinklige  Koordinaten  benützen.  Die  Ordinaten  p der 
aufeinanderfolgenden  quantenhaft  auszuzeichnenden  Kurven  des 
Systems  mögen  wie  in  § 1 als  , p^,  . . . unterschieden 

werden.  Pq  sei  im  Besonderen  eine  Kreisbahn,  für  welche  also 
r = 0,  Pq  — ^ ist,  so  daß  wk  in  § 1 festgesetzt  wurde 

^p^dq  = 0 

wird.  Unser  Bahnsystem  sei  etwa  durch  konstante  Werte  der 
Flächenkonstante  p (für  die  wir  aber  hier  der  Deutlichkeit 
wegen  f schreiben  wollen)  bei  wachsenden  Werten  der  Exzen- 
trizität £ definiert.  Die  Bildkurven  dieses  Bahnsystems  sind 


Fig.  2 


sämtlich  geschlossene  Kurven,  jede  folgende  schließt  die  vor- 
hergehende ein.  Als  Gleichung  des  Systems  ergibt  sich  nach 
(5)  und  (6)  durch  Elimination  von  q> 


also  eine  Gleichung  vierter  Ordnun 
und  q mit  den  Konstanten  f und 


g zwischen  den  Variabein  p 


m e‘' 


und  dem  Parameter  £. 


Der  Flächenring  zwischen  zwei  aufeinander  folgenden  Kurven 
der  Reihe  Pn  P2>  • • • > unsere  Quantenbedingung  (9) 

aus  der  Gesamtschar  herausgehoben  werden,  ist  konstant  gleich  h. 


488 


A.  Sommerfeld 


Übrigens  sind  die  Einzelheiten  der  Figur  und  der  Kurvenform 
für  unsere  Zwecke  belanglos  und  hier  nur  der  größeren  An- 
schaulichkeit wegen  wiedergegeben. 

Wir  haben  nunmehr  das  Phasenintegral  in  Gl.  (9)  durch 
die  Exzentrizität  e auszudrücken,  wobei  wir  uns  auf  die  frü- 
heren Formeln  für  die  Ellipsenbewegung  zu  stützen  haben. 
Zunächst  ist  nach  der  Ellipsengleichung  (5) 

dr  \ do  p^E  sin9^ 

dqj  dq:  me^  ( 1 -)- e cos 9:^)^ ' 

andererseits  nach  (6) 

me^E  . 

vir  = sin  €p. 

P 

daher  nach  (9) 

J (1  -h  £ cos  9?)^ 
u 


Das  Integral  läßt  sich  durch  partielle  Integration  um- 
formen und  auf  ein  bekanntes  Integral  reduzieren.  Man  hat 
nämlich : 

2 .-T  2 -T  2 .-T 

g r swi^cpdqj  r cosqdq  C/  1 

J (1  -|-  £ cos  99)“*  J 1 -|-  £ cos  9?  J \1  -1-  £ cos  q 

0 0 0 


Nun  ist  aber  bekanntlich  (am  bequemsten  durch  Integration 
in  der  komplexen  Ebene  der  Variabein  e'f  zu  verifizieren): 


2.-T 

1 r dq  1 

2 jT  J 1 f cos  q — ^2 

0 


Man  findet  also 


(10) 


PE 


g , sirrqdq 


/ 


(1  -p  £ 00899)^ 


= 2 71  p 


V\ 


— 1 


Zur  Theorie  der  Balmerschen  Serie. 


439 


Setzen  wir  dies  nach  (9)  gleich  n‘ h und  zugleich  nach 
Früherem  2np  = nh,  so  ergibt  sich  als  unsere  neue  Quanten- 
bedingung 


(11) 


V\ 


1 = 


»r 

{n  -|-  n'y 


Die  gewünschte  quantenmähige  Heraushebung  ausgezeich- 
neter diskreter  Werte  der  Exzentrizität  ist  damit  gefunden. 
Nunmehr  tragen  wir  diesen  Wert  in  den  Energieausdruck  (7) 
ein,  zugleich  mit  27ip  = nh,  und  erhalten 


(III) 


ir  = — 


2 71^  m e* 


1 

(n  -h  n‘y 


Nh 

{n  -f-  n'y ' 


Dies  Resultat  ist  im  höchsten  Grade  überraschend  und  von 
schlagender  Bestimmtheit.  Nicht  nur  sind  die  weiterhin  zu- 
lässigen Energiewerte  ganzzahlig  diskret  geworden,  sondern  es 
hat  sich  der  frühere  Nenner  gerade  herausgehoben,  derart, 
daß  das  Resultat  nur  noch  von  n n'  abhängt.  Die  Energie 
ist  also  eindeutig  bestimmt  durch  die  Summe  der  Wirkungs- 
quanten, die  wir  auf  die  azimutale  und  die  radiale  Koordinate 
beliebig  verteilen  können.  Es  scheint  mir  ausgeschlossen,  daß 
ein  so  präzises  und  folgenreiches  Ergebnis  einem  algebraischen 
Zufall  zuzuschreiben  sein  könnte;  ich  sehe  darin  vielmehr  eine 
überzeugende  Rechtfertigung  für  die  Ausdehnung  des  Quanten- 
ansatzes auf  die  radiale  Koordinate  resp.  für  die  gesonderte 
Anwendung  dieses  Ansatzes  auf  die  beiden  Freiheitsgrade 
unseres  Problems. 

Aus  dem  Energieausdruck  (III)  ergibt  sich  nun  sofort  die 
Balmersche  Serie,  wenn  wir  neben  der  Bahn  mit  den  Quanten- 
zahlen n,  n‘  (Endbahn  des  Elektrons)  eine  zweite  mit  den 
Quantenzahlen  m,  m‘  (Anfangsbahn  des  Elektrons)  betrachten. 
Nach  dem  Quantengesetz  (II)  erhält  man  nämlich 


(IV) 


v = N 


1 


1 


(n  n'y  {m  -f-  >«')' 


d.  h.  die  Balmersche  Serie  in  neuem  Lichte,  abhängig  von 
vier  ganzen  Zahlen,  die  sich  aber  beim  Wasserstoff  sozusagen 


440 


A.  Sommerfeld 


zufällig  auf  zwei  ganze  Zahlen  reduzieren.  Durch  Zulassung 
unserer  quantenhaft  ausgezeichneten  Ellipsenbahnen  hat  die 
Serie  nichts  an  Linienzahl  gewonnen  und  nichts  an  Schärfe 
verloren.  Statt  des  verwaschenen  Bandes,  von  dem  wir  früher 
sprachen,  haben  wir  wieder  die  diskreten  Balmerlinien,  aber 
in  aufserordentlich  vervielfachter  Mannigfaltigkeit  ihrer  Er- 
zeugungsmöglichkeiten. 


§ 4.  Ergänzung  betreffend  die  Mitbewegung  des  Kernes. 

Der  in  (III)  benutzte  Wert  für  die  Rjdbergsche  Kon- 
stante N ist  bekanntlich  nur  insoweit  richtig,  als  wir  die  Elek- 
tronenmasse gegen  die  Masse  des  Kernes  vernachlässigen  können. 
Bei  Berücksichtigung  der  Endlichkeit  der  Kernmasse  tritt  an 
Stelle  von  m die  unten  zu  definierende,  aus  Elektronenmasse 
und  Kernmasse  resultierende  Masse  ju.  Wir  benutzen  diese 
inzwischen  experimentell  gesicherte  Tatsache,  um  unseren 
Quantenansatz  (I)  teils  zu  prüfen,  teils  zu  erweitern. 

Zu  dem  Ende  setzen  wir  zunächst  die  Formeln  für  die 
Bewegung  von  Elektron  und  Kern  um  ihren  gemeinsamen 
Schwerpunkt  her.  Sind  X Y It<P  bzw.  xy  r (p  rechtwinklige 
und  Polarkoordinaten  für  Kein  und  Elektron  mit  dem  Schwer- 
punkt als  Anfangspunkt,  so  hat  man  zunächst  als  Flächensatz: 

(12)  p = m r^  <p  -p  31 0. 

Bezeichnet  man  den  jeweiligen  Abstand  von  Kern  und 
Elektron  mit  q a = Ti  ' r 


und  beachtet,  dafi  nach  dem  Schwerpunktsatz  ist 
(13)  3IR  = mr,  0 = q) 


so  ergibt  sich 


(13  a)  R = 


m 


31 4-  m 


31 

31  -P  7)1 


Q,  also  p = 


mit  der  Abküi'zung  ,u  für  die  , resultierende  Masse“ 


(14) 


7)1 31  1 1 , 1 

m -p  AT’  p 771  ‘ 31' 


Zur  Theorie  der  Balmerschen  Serie. 


441 


Die  Bewegungsgleichungen  lauten : 


(15) 


dt 

dt 


X = 


X = 


1 e‘ 
M Q 
1 

m o 


cos  4>, 

2 COS  9?, 


d 

1 

e*  . ^ 

r=  — 

, sin  0 

dt 

Q 

d 

1 

. 

dt 

y = — 

m 

o2  sin*?’- 

Bildet  man  die  Differenz  der  untereinander  stehenden  Glei- 
chungen und  schreibt  rj  für  x — X,  y — Y,  so  erhält  man, 
wie  bekannt,  die  Gl.  (2)  mit  i i]  /n  g statt  x y m r.  Es  folgt 
also  bei  gleicher  Rechnung  wie  oben  die  Bahngleichung  (5) 
und  bei  entsprechend  zu  ergänzender  Definition  von  T die 
Energiegleichung  (7)  in  Abhängigkeit  von  der  Exzentrizität  e 
der  Relativbewegung,  mit  dem  einzigen  Unterschied,  dafi  überall, 
insbesondere  in  dem  Werte  von  N,  [x  an  die  Stelle  von  m tritt. 

Es  fragt  sich  nun,  wie  in  diesem  Falle  — bei  Vorhanden- 
sein zweier  azimutaler  Koordinaten  93,  und  zweier  radialer 
Koordinaten  r,  R — der  Quantenansatz  zu  erweitern  ist.  Die 
Erweiterung  muh  so  vorgenommen  werden,  daß  schließlich  wie- 
der der  Energieausdruck  (III)  und  die  Balmersche  Formel  (IV) 
zum  Vorschein  kommt,  mit  dem  einzigen  Unterschiede,  daß  in 
dem  Wert  der  Rydbergschen  Konstanten  y.  an  Stelle  von  m 
tritt.  Wir  behaupten,  daß  diesem  Gesichtspunkt  der  folgende 
Quantenansatz  entspricht,  der  auch  an  sich  der  einfachste  und 
nächstliegende  ist: 

p^dcp-\-S  = 

\ ^Pr  dr  ^ RgdR^  n'h, 

daß  sich  also  die  Phasenintegrale  für  das  Elektron  und  den 
Kern  additiv  verhalten. 

Die  Bedeutung  der  hier  eingeführten  Bezeichnungen  p,  P 
ist  ersichtlich  die  folgende; 

dT  dT 

X>tp  = . —nir^p,  Pr=  . =nir, 

d(p  dr 

= MR^  <f>,  Pu  = ^ R. 

dR 


Sitzungsb.  d.  math.-pbys.  Kl.  Jahrg.  1915. 


29 


442 


A.  Sommerfeld 


Nach  Gl.  (12)  ist  aber  = p = konstant,  nach 

Gl.  (13)  überdies  = dp.  Daraufhin  wird  die  erste  Zeile 
von  (16)  identisch  mit  2jip  = nh  oder  mit  Rücksicht  auf  (13  a) 


fXQ^p  = nh. 


(17) 


Andererseits  formen  wir  die  zweite  Zeile  von  (16)  durch 
die  Schwerpunktsbeziehungen  (13  a)  um.  Wir  erhalten 


S Pr  dr  ^ PjidR  = ju-  ^ gdg  = n'h. 


Diese  Gleichung  entspricht  genau  dem  Ansatz  (9)  des 
vorigen  Paragraphen  mit  dem  einzigen  Unterschiede,  daß  p 
und  Q an  die  Stelle  von  ni  und  r getreten  sind.  In  dem- 
selben Sinne  entspricht  Gl.  (17)  der  Quantenbedingung  für  die 
frühere  einzige  azimutale  Koordinate  p.  Die  weitere  Ausrech- 
nung läuft  daher  genau  so  wie  im  vorigen  Paragraphen,  wo- 
bei man  die  Ellipsengleichung  für  die  Relativbewegung  g zu 
Grunde  zu  legen  hat.  Das  Resultat  wird  durch  Gl.  (11)  für 
die  Exzentrizität  und,  wie  verlangt,  durch  die  Gl.  (III)  und 
(IV)  für  die  Energie  und  die  Serienformel  dargestellt,  bei 
abgeändertem  N. 

Der  Ansatz  (16)  läßt  sich  auch  von  folgendem  Stand- 
punkte aus  begründen.  Man  wähle  von  den  beiden  Koordi- 
naten r,  R die  eine,  z.  B.  r,  aus  als  diejenige,  durch  die  wir 
die  Dynamik  unseres  Systems  beschreiben  wollen.  Dann  hat 
man  die  andere  durch  die  Schwerpunktsgleichung  mr  = MR 
auf  jene  zurückzuführen,  insbesondere  in  dem  Ausdruck  der 
lebendigen  Kraft 


-f  -k  R^ 


Zur  Theorie  der  Balmerschen  Serie. 


443 


Zu  der  einmal  bevorzugten  Koordinate  r gehört  als  Impuls- 
koordinate des  Systems,  unter  T den  soeben  umgeformten  Aus- 
druck verstanden : 


Als  Phasenintegral  des  Systems  haben  wir  jetzt 
sprechen : 


r = m 


anzu- 


Daß  dieses  Integral  mit  (18)  identisch  ist,  folgt  aus  der 
Beziehung  (13  a) 

_ M 

~ 31^  m 

der  zufolge  wir  erhalten 

J7>,  dr  = SQdQ  = ^ihdQ. 


Die  entsprechende  Rechnung  unter  Bevorzugung  von  R 
als  radialer  Systemkoordinate  liefert 

^ f + t) 

^ PRdR  = gdg. 

Derselbe  Standpunkt  (Elimination  einer  der  beiden  Koor- 
dinaten, Bevorzugung  der  anderen)  läßt  sich  auch  bei  den 
azimutalen  Koordinaten  einnehmen  und  führt  hier  entsprechend 
auf  Gl.  (17).  Unsere  Quantenansätze  in  den  Gleichungen  (16) 
erscheinen  also  auch  von  diesem  Standpunkte  aus  als  naturgemäß. 

Schließlich  kommen  wir  nochmals  auf  den  Ausweg  zu- 
rück, durch  den  abgeänderten  Quantenansatz  (1  a)  die  Schwierig- 
keit der  kontinuierlichen  Abhängigkeit  der  Energie  von  der 
Exzentrizität  zu  beseitigen.  Wenn  dieser  Ausweg  schon  bei 
alleiniger  Betrachtung  des  Elektrons  reichlich  künstlich  er- 
schien, so  wird  er  mit  Rücksicht  auf  die  Mitbewegung  des 
Kernes  noch  schwerer  gangbar.  Im  Anschluß  an  Gl.  (la) 

29* 


444 


A.  Sommerfeld 


müßte  man  nämlich  jetzt,  um  den  Energieausdruck  zu  arith- 
metisieren,  ^ , 

— 7= = 2,jiua^co  = nli 

V 1—8^ 

setzen,  also  eine  in  ziemlich  künstlicher  Weise  aus  der  mittleren 
Umlaufsgeschwindigkeit  w,  der  größten  Entfernung  a von  Kern 
und  Elektron  und  der  mittleren  Masse  /x  zusammengesetzte 
Größe  der  Quantenbedingung  unterwerfen.  Man  könnte  fragen, 
warum  wird  nicht  statt  der  jrrößten  eine  mittlere  Entfernung 
zu  Grunde  gelegt,  warum  wird  gerade  das  dynamisch  definierte 
Massenmittel  fi  benutzt? 

Noch  größere  Schwierigkeiten  entstehen  dem  Quanten- 
ansatz (la),  wenn  man  die  Veränderlichkeit  der  Masse  nach 
der  Relativitätstheorie  in  Betracht  zieht.  Während  es  sich 
im  vorigen  Falle  nur  um  das  Mittel  /t  zwischen  den  konstanten 
Massen  von  Kern  und  Elektron  handelte,  müßte  man  hier  bei 
entsprechender  Übertragung  des  Ansatzes  (1  a)  mit  einem  kom- 
plizierten Zeitmittel  der  Massen  oder  mit  den  betreffenden 
Ruhmassen  rechnen,  mit  denen  das  Problem  eigentlich  nichts 
zu  tun  hat.  Dagegen  handelt  es  sich  bei  unserem  Ansatz 
stets  um  die  auch  in  der  Relativitätstheorie  eindeutig  und 
naturgemäß  definierte  Impulskonstante.  Ich  möchte  indessen 
an  dieser  Stelle  nicht  näher  hierauf  eingehen,  da  ich  auf  die 
bedeutsame  Rolle,  welche  der  Relativität  bei  der  weiteren  Aus- 
gestaltung unserer  Theorie  und  bei  ihrer  experimentellen  Sicher- 
stellung zukommt,  ohnehin  in  einer  anschließenden  Arbeit  zu- 
rückzukommen haben  werde. 

§ 5.  Die  zu  einer  Balmer-Linie  gehörenden  Ellipsenbahnen. 

Wir  wünschen  uns  ein  Bild  zu  machen  von  Anzahl  und 
Gestalt  derjenigen  Bahnen,  welche  zu  demselben  Werte  der 
Energie  TU  Anlaß  geben.  Es  sind  dies  nach  (III)  alle  die- 
jenigen Ellipsen,  für  welche  n -j-  n'  denselben  Wert  hat,  z.  B. 
den  Wert  n j-  n'  = 2 wie  in  dem  ersten  Terme  der  sicht- 
baren Balmer-Serie  oder  den  Wert  m -f-  m'  = 3,  4,  5,  . . . wie 
in  dem  zweiten  Term. 


Zur  Theorie  der  Balmerschen  Serie. 


445 


Nach  (1)  und  (11)  ist 

M 2 

(19)  27ip  = nh,  1 — = 

(n  -(-  n y 

Aus  der  Ellipsengleichung  (5)  folgt  für  das  Perihel 
(99  = 0;  r = a (1  — e))  oder  das  Aphel  (cp  — n,  r = a {1  + e)): 

«if’d  +,).  also  a=  -P’, 

a (1  + e)  ^ ’ me^  \ — e® 

Andrerseits  ist  nach  Definition  der  Exzentrizität 

o2  1 


(20  a) 


(20  b) 


h = aVl~£^  = 


jy 

me^  Yl £2  ■ 


Setzen  wir  die  Werte  von  p und  1 — aus  (19)  in  (20  a,  b) 
ein,  so  folgt: 


(21) 


a = 


4 7r*me^ 


(n  + n'y,  h = 


4:n^me^ 


n(n  n'). 


Für  die  Diskussion  kommt  namentlich  in  Betracht,  daß 
die  ganzen  Zahlen  n und  n'  notwendig  positiv  sind,  wie  in  § 1 
allgemein  gezeigt  wurde.  Wir  erhärten  diese  ebenso  einfache 
wie  folgenreiche  Tatsache  in  unserem  Falle  folgendermaßen: 
Unter  Absehung  von  der  Bewegung  des  Kernes  wird  für  unsere 
(orthogonalen)  Polarkoordinaten  r,  cp: 

Pr  = mr,  pcp  = m cp 

^ Pfdr  = j mr^  dt,  ^p,pd<p  = ^ mr^  dt. 

Beide  Phasenintegrale  sind  so  sicher  positiv,  als  der  Fort- 
schritt der  Zeit  positiv  ist,  da  stets  dr  und  dcp  wachsend  im 
Sinne  des  Ablaufs  der  Bewegung  gezählt  wurden.  Ebenso  bei 
beweglichem  Kern,  wo  sich  n und  n'  nach  (16)  je  aus  zwei 
positiven  Summanden  zusammensetzen.  Also  haben  wir  stets 
eine  positive  Zahl  von  Quanten  n und  n‘.  Bezüglich  der  Zu- 
lässigkeit des  Wertes  Null  ist  folgendes  zu  bemerken.  n‘  = 0 
bedeutet  nach  (19)  e = 0,  also  die  Kreisbahn,  die  wir  jedenfalls 
als  möglich  erklären  werden,  n — 0 aber  bedeutet  p — 0,  also 
Ausartung  der  Ellipsen  fläche  in  eine  doppelt  zählende  Gerade. 


446 


A.  iSuiiuiierfeld 


Das  Elektron  würde  hierbei  dem  Kern  unendlich  nahe  kommen 
und  von  ihm  vermutlich  abprallen  (vgl.  Rutherfords  Versuche 
über  die  Ablenkung  der  a-Strahlen).  Außerdem  müßte  die 
Geschwindigkeit  in  dieser  Bahn  mit  der  Annäherung  an  den 
Kern  unendlich  werden,  so  daß  die  bisherigen  Rechnungen 
ungültig  werden  würden  und  relativistisch  zu  modifizieren 
wären.  Jedenfalls  werden  wir  die  Bahn  mit  n'  = 0 als  höchst 
problematisch  ansehen  und  dm  folgenden  nicht  mitzählen;  in 
den  Figuren  ist  sie  punktiert  eingetragen. 

Zu  den  Gl.  (21)  ist  zu  bemerken,  daß  a bei  gegebenem 
w + w'  fest,  h veränderlich  ist.  Wie  es  sein  muß,  gilt  nach 
(19)  und  (21)  stets  0<f<l,  h<ia. 


n *n'=2  m*m'-3  m*m=^ 

Fig.  3 Fig.  4 Fig.  5 


Wir  zählen  jetzt  die  bei  den  Balmer-Linien  maßgebenden 
Fälle  auf: 

n n‘  = 2,  zwei  Möglichkeiten. 


n‘  = 0, 

w = 2, 

£ = 0, 

h = a 

n'  ~ 1, 

w = 1, 

. = 

2 ' 

2 

(w‘  = 2, 

n ~ 0, 

£ = 0, 

6 = 0,  problematisch ; 

der  entsprechende  Fall  wird  im  folgenden  fortgelassen). 
m -j-  m'  = 3,  drei  Möglichkeiten. 


m'  — 0, 

m = 3, 

£ ==  0, 

6 = 

a 

m‘  = 1, 

m = 2, 

£ = 1^5 

3 ’ 

h = 

9 

m'  = 2, 

m=  1 , 

£ = 

3 ’ 

6 = 

1 

3" 

Zur  Theorie  der  Balmersehen  Serie. 


447 


m -|-  m' 

= 4,  vier  Möglic 

hkeiten. 

/»'  = 0, 

m = 4,  e = 0, 

b = a 

m‘  = 1, 

o 

m = 3,  £ = 

b = — a 
4 

m‘  = 2, 

o ^12 

4 

2 

- ^ = 4 « 

m'  = 3, 

, Kl  5 

/«  = 1,  E = 

4 

, 1 
- * = 4 « 

usf.  Soll  Ha  erzeugt  werden,  so  kommen  dafür  als  End- 
bahnen die  zwei  in  Fig.  3 {n-\-n'  = 2)  verzeichneten,  als 
Anfangsbahnen  die  drei  Bahnen  in  Fig.  4 (m  + Wi'  = 3)  in 
Betracht;  im  ganzen  gibt  es  hiernach 

2-3  = 6 

Erzeugungsarten  für  Ha-  Ebenso  für  Hß  (Übergang  aus  einer 
der  vier  Bahnen  von  Fig.  5 (m  -|-  m‘  = 4)  in  eine  der  zwei 
Bahnen  von  Fig.  3) 

2-4  = 8 

Erzeugungsarten,  allgemein  mit  n -\-  n‘  = N,  m m'  — M 
die  Anzahl 

(22)  N-3I. 

Man  kann  aber  im  Zweifel  sein,  ob  jeder  dieser  Über- 
gänge möglich  ist,  ob  nämlich  nicht  vielleicht  nur  solche 
Übergänge  zuzulassen  seien,  die  mit  Quantenverlust  verbunden 
sind.  Bei  Betrachtung  der  Energie  und  der  Energiequanten 
im  Sinne  des  Ansatzes  II  von  Bohr  ist  es  uns  geläufig  zu  sagen : 
die  Energie  ist  eine  positive  Größe;  bei  Prozessen,  die  von  selbst 
vor  sich  gehen,  kann  sie  nur  abnehmen;  aus  IF„, — Tr„  > 0 
folgt  dann: 

m m'  > n n‘ . 

Gegenwärtig  handelt  es  sich  zwar  nicht  um  Energiequanten, 
sondern  um  Wirkungsquanten;  hier  nun  scheint  es,  daß  Impulse 
oder  Impulsmomente  ebensogut  positives  wie  negatives  Vor- 
zeichen haben  und  ebensogut  zu-  wie  abnehmen  können. 


448 


A.  Souamerfeld 


Nachdem  wir  aber  festgestellt  haben,  daß  in  unserem  Ausdruck 
für  das  Phasenintegral  die  fragliche  Impulskoordinate  durch 
Multiplikation  mit  dem  dq  der  Lagenkoordinate  zu  einer  wesent- 
lich positiven  Größe  verbunden  ist,  liegt  die  Annahme  nahe, 
daß  eine  Veränderung  dieser  Größe  bei  freiwilligen  Übergängen 
ebenso  einseitig  stattfände,  wie  die  der  Energie,  nämlich  im 
abnehmenden  Sinne.  Dann  würden  nur  solche  Übergänge 
zwischen  den  vorgenannten  Bahnkurven  möglich  sein,  bei  welchen 
keine  der  beiden  Quantenzahlen  abnimmt,  bei  denen  also 

w > w,  m'  > n' . 

Eine  Entscheidung  über  diese  und  ähnliche  Fragen  darf 
man  (vgl.  den  nächsten  §)  von  dem  Stark-EflFekt  erw'arten. 

Unter  vorläufiger  Annahme  dieser  Ansicht  würden  z.  B. 
bei  Ha  von  den  6 vorher  aufgezählten  Übergängen  nur  die 
folgenden  4 wirklich  sein; 

ni  = 3,  m‘  — 0 — >■  n — 2,  n'  = 0 
m = 2,  m'  = 1 w = 1 , n'  = \ 

m = 1 , m'  = 2 

Ebenso  würden  bei  den  anderen  Balmer-Linien  Hß^  H.,... 
je  zwei  Übergänge  in  Fortfall  kommen.  Die  Anzahl  der 
Erzeugungsarten  würde  allgemein  betragen  bei  n n'  = N, 
m -p  m'  — 31"^  N 

(22  a)  — 

z.  B.  bei  der  von  Ritz  und  Paschen  entdeckten  ultraroten 
Kombinationslinie  des  Wasserstoffe  N — d,  31  = i 

3-2  = 6. 

In  jedem  Falle  erscheint  eine  Wasserstoff linie  in  unserer 
Auffassung  als  eine  ziemlich  komplizierte  Überlagerung  ver- 
schiedener diskreter  Vorgänge. 


Zur  Theorie  der  Bahuerscheii  Serie. 


-14!J 

6.  Allgemeine  Folgerungen  betreffend  den  Stark-EfFekt  bei  Wasser- 
stoff und  die  verschiedenen  Serientypen  bei  anderen  Elementen. 

Die  elementare  Lorentzsche  Theorie  des  Zeeman-EtFektes 
beruht  darauf,  daß  in  jeder  Spektrallinie  drei  unter  sich  gleiche 
Hauptschwingungen  eines  quasielastisch-isotrop  schwingenden 
Elektrons  Übereinanderfallen.  Das  Magnetfeld  erzeugt  keine 
neuen  Schwingungsmöglichkeiten,  sondern  legt  nur  die  vor- 
handenen auseinander.  Die  ursprünglich  zusammenfallenden 
Frequenzen  erscheinen  dahei  als  ein  labileres,  durch  äußere 
Einwirkung  leichter  zu  beeinflussendes  Gebilde  wie  die  ursprüng- 
lich verschiedenen  Frequenzen  eines  anisotrop  schwingenden 
Elektrons,  bei  dem  der  Zeeman-Efifekt  nur  von  der  zweiten 
Ordnung  sein  würde. 

Diese  Anschauung  überträgt  sich  unmittelbar  auf  den 
Stark-EfFekt  bei  der  Balmer-.Serie.  Nach  unserer  Auffassung 
fallen  in  jeder  Balmer-Linie  eine  ganze  Reihe  von  Frequenzen 
verschiedenen  Ursprunges  zusammen.  Das  elektrische  Feld 
wird  die  verschiedenen  Ellipsenbahnen  in  verschiedener  Weise 
beeinflussen  und  daher  die  ursprünglich  zusammenfallenden 
Frequenzen  auseinanderlegen.  Die  Beeinflussung  wird  beim 
WasserstoflF  stärker  sein,  als  bei  anderen  Elementen,  wo  (vgl. 
unten)  ein  derartiges  Zusammenfallen  nicht  zu  erwarten  ist. 

Für  diese  Auffassung  des  Stark-EfFektes  spricht  die  große 
und  mit  der  Nummer  der  Balmer-Linie  steigende  Komponenten- 
zahl, die  Stark  bei  seiner  Feinzerlegung  beobachtet.  Eine  von 
Lo  Surdo  aufgestellte  Regel,  wonach  diese  Zahl  jener  Nummer 
selbst  gleich  sein  sollte,  ist  damit  widerlegt.  Wir  stellen  hier 
die  Zahlen  zusammen,  die  Stark  für  die  p-  und  s-Komponenten 
findet,  mit  denen,  die  sich  aus  unserer  Abzählung  in  Gl.  (22) 
und  (22a)  ergeben.  Dabei  zähle  ich  von  den  Starkschen  Linien 
nur  diejenigen,  die  nach  der  einen  Seite  verschoben  sind  und 
rechne  die  unverschobene  Linie  mit.  Diese  Anzahlen  sind 


1)  Göttinger  Nachrichten  1914. 


450 


A.  Sommerfeld 


p-Komp. 

s-Kotnp. 

Gl.  (22  a) 

Gl.  (22) 

H,, 

3 

2 

4 

6 

tlß 

6 bis  7 

6 bis  7 

6 

8 

Hy 

7 

7 

8 

10 

Hs 

7 bis  8 

7 bis  8 

10 

12 

Einige  Linien  sind 

von  Stark  als 

zweifelhaft  bezeichnet, 

auch  wird  von  der  Möglichkeit  gesprochen,  daß  noch  weitere 
lichtschwache  Komponenten  gefunden  werden  könnten.  Ein 
allgemeiner  Parallelismus  zwischen  der  beobachteten  und  der 
von  uns  berechneten  Linienzahl  ist  nicht  zu  leugnen,  zumal 
wenn  wir  den  im  vorigen  Paragraphen  aus  allgemeinen  Gesichts- 
punkten bevorzugten  Standpunkt  der  Gl.  (22a)  einnehmen. 

Es  sind  schon  verschiedene  Erklärungen  für  den  Stark- 
Efifekt  vorgeschlagen.  Insbesondere  stellt  eine  Formel  von 
Bohr^)  die  Verschiebung  der  stärksten  p-Komponente  sehr  gut 
dar.  Aber  gerade  in  Betreff  der  Linienzahl  versagen  alle  diese 
Erklärungen  bisher  vollständig.  Sie  lassen  eigentlich  immer 
nur  zwei  ^-Komponenten  vorhersehen.  Bezüglich  der  Ver- 
wendung unserer  Abzählung  sind  wir  geneigt,  dieselbe  sowohl 
für  die  p-  wie  für  die  s-Komponenten  in  Anspruch  zu  nehmen. 
Eine  Unsicherheit  liegt  hier  darin,  daß  der  Energieansatz  (II) 
überhaupt  keinen  direkten  Schluß  auf  die  Polarisationen  zu- 
läßt. Man  muß  sich  also  damit  begnügen,  Bahnen,  deren 
Ebenen  dem  elektrischen  Felde  parallel  sind,  mit  den  ^-Kompo- 
nenten, Bahnen,  die  dazu  senkrecht  stehen,  mit  den  s-Komponenten 
in  Zusammenhang  zu  bringen,  wobei  noch  die  weitere  Schwierig- 
keit auftritt.  daß  die  durch  das  Feld  deformierten  Bahnen  strenge 
genommen  nicht  mehr  eben  sind.  Für  unsere  feldlosen  Bahnen 
sind  natürlich  alle  Ebenen  gleichberechtigt;  unter  dem  Einfluß 
des  Feldes  aber  können  die  parallelen  und  senkrechten  Ebenen 
bevorzugt  werden.  Während  die  Gestalt  der  ursprünglichen 
Ellipsenbahnen  durch  das  Feld  deformiert  wird,  wird  ihre 
Anzahl  im  allgemeinen  erhalten  bleiben.  Hierauf  gründet  sich 
unsere  Vermutung,  daß  die  Anzahl  der  p-  und  s-Komponenten 

')  Phil.  Mag.,  September  1915,  pag.  404. 


Zur  Theorie  der  üalmerschen  8erie. 


451 


gleich  und  gleich  der  Anzahl  unserer  ursprünglichen  Ellipsen- 
bahnen sein  dürfte.  Die  genauere  theoretische  Deutung  und 
die  Gröhenbestiramung  der  Verschiebung  für  die  einzelnen 
Komponenten  scheiterte  bisher  an  der  in  der  Einleitung  betonten 
Schwierigkeit,  den  Quantenansatz  auf  nicht-periodische  Bahnen 
auszudehnen.  Die  Berechnung  der  durch  das  elektrische  Feld 
deformierten  Bahnen  führt  auf  elliptische  Integrale  und  läßt 
sich  übersichtlich  durchführen ; aber  eine  naturgemäße  quanten- 
hafte  Heraushebung  eines  Systems  ausgezeichneter  Bahnen  aus 
der  Schar  der  mechanisch  möglichen  ist  mir  bisher  nicht 
gelungen. 

In  der  Einleitung  wui-de  bereits  darauf  hingewiesen,  daß 
unsere  Auffassung  von  der  Sonderstellung  des  Wasserstofi- 
spektrums  Rechenschaft  gibt  davon,  daß  es  (vom  Viellinien- 
spektrum abgesehen)  nur  ein  Wasserstotfspektrum  gibt  gegen- 
über den  Haupt-  und  Nebenserien  und  den  verschiedenen 
Serientypen  der  anderen  Elemente.  Das  Balmersche  Spektrum, 
im  allgemeinsten  Sinne  einschließlich  aller  Kombinationsspektren 
genommen,  haben  w’ir  nach  unserer  Auffassung  so  zu  schreiben: 


(w  -f-  ny 


1 

(w  -j-  m‘ 


Es  ist  klar,  daß  unsere  Auffassung  auch  auf  andere  Elemente 
auszudehnen  ist,  d.  h.  man  wird  auch  die  in  den  Atomfeldern 
der  anderen  Elemente  möglichen  Bahnen  nach  dem  Phasen- 
integral für  die  Umlaufs-  und  die  Radialbewegung  zu  beurteilen 
und  quantenhaft  ausgezeichnete  Bahnen  hervorzuheben  haben, 
deren  Folge  nach  zwei  ganzzahligen  Quantenparametern  n und  «' 
fortschreiten  wird.  Wie  schon  Bohr  betont,  tritt  bei  all- 
gemeineren Atomfeldern  an  die  Stelle  des  Coulombschen 

Potentials  — eine  allgemeine  Kugelfunktion  und  an  die  Stelle 

von  ^ dementsprechend  eine  allgemeinere  Funktion  cp  (w).  Von 

unserem  Standpunkt  müssen  wir  hinzufügen,  daß  an  die  Stelle 

'^on  ; — — eine  von  der  Atomkonstitution  abhängige  Funktion 

\n  -f  n y 


452 


A.  Sommerfeld 


zweier  ganzer  Zahlen  93  (n,  n‘)  treten  wird,  da  die  Verbindung 
n -j-  n‘  eine  Besonderheit  des  Keplerschen  Bahusystems  ist. 
Nur  für  große  Werte  von  n (große  Entfernungen  vom  Atom) 
wird  sich  das  Bahnsystem  Keplersch  und  die  Serie  wasserstoff- 
ähnlich verhalten;  hier  wird  also  93  (w,  n')  mehr  und  mehr 
übergehen  in  (n  -j-  Die  allgemeine  Form  des  Serien- 

gesetzes wird  daher  lauten: 

(23)  ^=qr,  (n,  n‘)  — 93  (w,  m‘)  = {n)  — (m). 

Indem  man  dem  Parameter  n'  resp.  m'  verschiedene  Werte 
gibt,  erhält  man  verschiedene  Arten  der  funktionellen  Ab- 
hängigkeit f und  verschiedene  Serien.  Man  kann  z.  B.  schematisch 
die  Existenz  und  die  gegenseitigen  Beziehungen  von  Haupt- 
und  Nebenserien  darstellen,  indem  man  drei  besondere  Werte 
für  n‘  resp.  m‘  benutzt  und  im  Anschluß  an  die  gewohnten 
Bezeichnungen  für  die  Hauptserie  (/?),  die  I.  Nebenserie  (d)  und 
II.  Nebenserie  (s)  die  zugehörigen  Funktionen  f„'  resp.  fm'  be- 
zeichnet mit  fp,  fd,  fs- 

Wählt  man  überdies  die  ganze  Zahl  n in  solcher  Weise, 
Avie  es  durch  die  Erfahrungen  im  sichtbaren  Gebiete  gegeben 
ist,  so  erhält  man  das  folgende  wohlbekannte  Schema  der 
Serienzuordnung 

H.  S.  . . . ^ = fs{n)  — fp{m),  w = 1,  w = 2,  3,  4, . . . ■ 

I.  N.  S.  . . . ^ — fp  (n)  — /■rf(m),  n = 2,  m = 3,  4,  5, . . . 

II.  N.  S.  ...  = /p  (w)  — fs  (^>0i  n = 2,  m = 2,  3,  4, . . . 

Indem  wir  die  Analogie  mit  den  Keplerschen  Bahnen  des 

Wasserstoffs  durchführen,  w^erden  wir  vermuten,  daß  die  Zahlen 
m oder  n mittels  des  azimutalen  Phasenintegrals  die  Größe  der 
betreffenden  Bahnen,  die  Zahlen  mj,,  mii,  nig  oder  np,  n'd,  Ws  mittels 
des  radialen  Phasenintegrals  allgemein  gesprochen  die  Ab- 
flachung der  betreffenden  Bahnen  bestimmen.  So  Avie  beim 
Wasserstoff  alle  Bahnen  mit  gleichem  w'  Ellipsen  von  der 


Zur  Theorie  der  Balmersehen  Serie. 


453 


gleichen  Exzentrizität  waren,  wird  man  allen  Bahnen  des  Serien- 
terras  oder  /’s,  fa  Gleichheit  eines  gewissen  gestaltlichen  Merk- 
mals zuschreiben,  welches  von  Element  zu  Element  je  nach  der 
Beschaffenheit  des  Atomfeldes  wechseln  wird.  Es  hat  keinen 
Wert,  diese  allgemeinen  Vermutungen  weiter  auszuspinnen. 
Zu  ihrer  Prüfung  im  einzelnen  ist  reichliches  spektroskopisches 
Material  vorhanden.  Ich  möchte  hier  nur  bemerken,  dah  auch 
Herr  Bohr  in  seiner  letzten  Arbeit  (Phil.  Mag.,  September 
1915,  § 3)  zu  der  Anschauung  gelangt,  daß  bei  Atomen  mit 
mehr  als  einem  Elektron  die  verschiedenen  Serien  verschiedenen 
Formen  der  Bahnen  entsprechen  müssen.  In  unserer  Dar- 
stellung ist  diese  Vorstellung  durch  das  Beispiel  des  Wasser- 
stoffs präzisiert. 

Gegenüber  dem  Wasserstoff  können  die  anderen  Elemente 
noch  eine  weitere  Komplikation  aufweisen.  Beim  Wasserstoff 
sind  die  Bahnen  nach  der  Natur  des  Keplerschen  Problems 
notwendig  eben.  Es  genügen  daher  zwei  Koordinaten  r und  9? 
zu  ihrer  Beschreibung.  Bei  anderen  Elementen  von  geringerer 
Symmetrie  des  Atomfeldes  wird  dies  nicht  mehr  der  Fall  sein. 
Hier  wird  als  dritte  Koordinate  s erforderlich.  Wir  müssen 
daher  auch  ein  Phasenintegral  für  die  .e'-Koordinate  ins  Auge 
fassen.  Zu  den  Quantenzahlen  n,  n‘  tritt  dann  eine  dritte  ganze 
Zahl  n“ . Die  allgemeine  Form  des  Seriengesetzes  geht  dann 
über  (vgl.  (23))  in 

V 

(23  a)  ~ 93  («,  n\  n“)  — cp  (m,  m‘,  m“)  = - {n)  (m). 

Die  Mannigfaltigkeit  der  Serienmöglichkeiten  wächst  da- 
durch natürlich  stark  an.  Es  ist  durchaus  möglich,  daß  man 
schon  bei  der  Deutung  der  Haupt-  und  Nebenserien  in  den 
Raum  gehen  muß,  daß  also  z.  B.  p in  fp(ni)  als  Funktion  zweier 
ganzzahliger  Parameter  «P,  m“  aufzufassen  ist.  Überhaupt  wird 
sich  die  Beschränkung  auf  die  Ebene,  im  Bau  der  Atome 
und  in  der  Gestalt  der  Elektronenbahnen,  die  bisher  vom  Was.ser- 
stoff  aus  ohne  weiteres  auf  andere  Elemente  ausgedehnt  wurde, 
auf  die  Dauer  nicht  halten  lassen. 


454 


A.  Sommerfeld 


7.  Über  die  Unabhängigkeit  des  Quantenansatzes  von  der  Wahl 
der  Koordinaten.  Beziehungen  zur  allgemeinen  Mechanik. 

Wir  beginnen  mit  einem  allgemeinen  Zusammenhang 
zwischen  der  mittleren  kinetischen  Energie  und  unseren  Phasen- 
integralen. Nach  einer  bekannten  Formel  aus  der  Mechanik 
beliebiger  Systeme  ist 

T = 

also  bei  Integration  nach  der  Zeit 
('24)  2 ^ Tdt  = '^  ^ pdq. 

Rechts  steht  die  Summe  unserer  Phasenintegrale,  genom- 
men über  alle  Koordinaten  des  Systems;  um  sie  bilden  zu 
können,  müssen  wir  ein  bestimmtes  Stück  der  Bahnkurve  oder 
eine  bestimmte  Länge  der  Zeit  ohne  Willkür  abgrenzen  können. 
Dies  ist  möglich  bei  periodischen  oder  quasiperiodischen  Bahnen 
(vgl.  § 1).  Sei  T die  Periode  und  T die  mittlere  kinetische 
Energie  während  dieser  Periode 

f=  J J Tdt, 

so  ergibt  sich  mit  unserem  Quantenansatz  (1)  allgemein 
(25)  2 f T = («  + «'  4-  • • •)  h. 

Hiernach  hat  zunächst  die  Quantensumme  ??  -f  »'  + • • • 
eine  invariante,  vom  Koordinatensystem  unabhängige,  durch 
die  wirkliche  Bewegung  bestimmte  Bedeutung.  Es  fragt  sich, 
ob  auch  die  Aufteilung  der  Summe  nach  den  einzelnen  Ko- 
ordinaten  berechtigt  ist.  Im  Falle  der  Keplerschen  Bewegung 
ist  diese  Frage  zu  bejahen.  Hier  sind  (p  und  2 zyklische 
Koordinaten  und  als  solche  dynamisch  ausgezeichnet.  (Zyklisch 
heilst  eine  Koordinate,  wenn  sie  weder  in  dem  Ausdruck  der 
kinetischen  noch  der  potentiellen  Energie  explicite  vorkommt, 
wenn  also  die  kinetische  Energie  nur  von  dem  zeitlichen  Dif- 
ferentialquotienten der  Kooi'dinate  abhängt.)  Daraus,  dah  z.  B. 


Zur  Theorie  der  Balmerschen  Serie. 


455 


die  Koordinate  cp  eine  wirkliche  mechanische  Bedeutung  hat, 
folgt,  daß  eine  solche  auch  ihrem  Phasenintegral  zukommt. 
Letzteres  war  2,  Tip,  also  in  der  Tat  invariant.  Dasselbe  gilt 
von  der  ^^-Koordinate,  wo  wegen  der  Ebenheit  der  Kepler- 
Bahnen  das  Phasenintegral  Null  wird.  Hiernach  und  nach 
dem  Satze  (25)  folgt  dann  für  die  übrig  bleibende  Koordinate  r, 
daß  auch  ihr  Phasenintegral  eine  von  der  besonderen  Wahl 
der  r-Koordinate  unabhängige  Bedeutung  hat. 


Wir  bestätigen  dies  durch  direkte  Ausrechnung  des  Phasen- 


integrals.  Sei 
des  Elektrons 

s ein  von  r verschiedenes  Maß  für 
vom  Kern 

so  wird 

s = f{r), 

und 

also 

dT  ^ dT  . 

clr  = ^ ds. 

dr  ds 


Mithin  folgt 

S Prdr  ^ dr  = ds  = S p,ds, 
wie  behauptet. 

Eine  allgemeine  Regel  für  die  AusAvahl  der  Koordinaten 
bei  beliebigem  Atomfeld  wüßte  ich  nicht  anzugeben.  Daß  die 
Koordinatenwahl  nicht  gleichgültig  ist,  zeigt  sich  bei  der  Kepler- 
bewegung unter  Benutzung  rechtwinkliger  Koordinaten  z y. 
Diese  sind  nicht  cyklisch,  weil  die  potentielle  Energie  {pc^ 
von  ihnen  abhängt  (in  Hinsicht  auf  die  kinetische  Energie  sind 
auch  sie  cyklisch).  Hier  wäre  die  Forderung 

^ Pxdx  = ^ mxdz  = ^ mx^  dt  — h 

S Pydy  =S'^iydy  =^my^dt  = n^h 


456 


A.  Sommerfeld 


verschieden  von  unserer  früheren  Forderung 
^ p,pd(p  = nh,  ^ Pr  dr  =■  n' h 

und  sinnlos,  weil  von  der  besonderen  Lage  des  Koordinaten- 
systems der  X y abhängig. 

Wir  wollen  schließlich  die  allgemeine  Gleichung  (25)  mit 
anderen  Formulierungen  der  Quantentheorie  vergleichen.  Zu- 
nächst mit  derjenigen  der  Planckschen  Energieelemente. 

Es  sei  die  mittlere  kinetische  und  potentielle  Energie  ein- 
ander gleich.  Die  Gesamtenergie  heiße  wieder  IF;  .sie  ist  kon- 
stant. In  diesem  Falle  gilt 

T = F,  2 T = TF,  TFr  = (n  ) A ; 

mit  1'  = ^ wird  also  TF  = Vielfachem  von  h v. 

T 

Dies  ist  Plancks  Hypothese  der  Energieelemente,  welche 
sich  also  aus  unserer  Gl.  (25)  immer  ergibt,  wenn  T =V  ist. 

Es  handle  sich  sodann  um  einen  Massenpunkt,  der  sich 
unter  dem  Einfluß  einer  beliebigen  Zentralkraft  5 bewegt. 
Der  vorige  Fall  ergibt  sich  im  Besonderen,  wenn  die  ZenHal- 
kraft  direkt  proportional  der  ersten  Potenz  der  Entfernung  ist 

3 = (5:^,  5.V»  Bs)  = ^v.  r = X,  y,  X 
unter  K den  Proportionalitätsfaktor  verstanden.  Jetzt  sei  die 
Kraft  allgemeiner  von  der  Potenz 

^ = Kx'<-'v. 

Die  potentielle  Energie  ist  dann 

n K 


Die  mittlere  kinetische  Energie  berechnet  sich  durch  Virial- 
bildung 


0 


Zur  Theorie  der  Balinerschen  Serie. 


457 


Das  Glied  ohne  Integralzeichen  möge  verschwinden,  was 
z.  B.  bei  einer  periodischen  oder  cpasiperiodischen  Bahn  der 
Fall  ist;  in  dem  hinzutretenden  zweiten  Glied  setzen  wir  die 
Bewegungsgleichungen  ein.  Dann  ergibt  sich 

r r 

T = — j r''~'  (x^  y-  d t = — ^ J + ^ dt. 

0 ü 

Hier  erweist  sich  die  rechte  Seite  bis  auf  den  Faktor 

j;  -)-  1 

^ gleich  der  mittleren  potentiellen  Energie,  also 

(26)  r = ^ + V. 


Daraus  folgt  insbesondere  für  y.  = — 2 (Couloml)sche.s 
Gesetz) 


eine  Beziehung,  von  der  in  der  Bohrschen  Theorie  öfter  Ge- 
brauch gemacht  wird.  Allgemein  berechnet  sich  aus 


(27) 


T^V=W  und  T= 


^ 4- 1 
+ 3 


Gl.  (25)  liefert  also  mit  v = 

z 


Hier  würden  also  sozusagen  gebrochene  Energiequanten, 
insbesondere  im  Coulombschen  Falle  x = — 2,  negative  halbe 
Energiequanten  auftreten.  (Man  beachte  wegen  des  negativen 
Vorzeichens  die  Unterdrückung  der  Integrationskonstanten  bei 
W und  V.)  Diese  Bemerkungen  bezwecken  offenbar  nur  zu 
zeigen,  dah  der  Begriff  der  Energiequanten  im  allgemeinen 
unzulänglich  ist. 

Sitzungsb.  d.  mnth.-phys.  Kl.  Jabrg.  1915. 


30 


458 


A.  Sommerfeld,  Zur  Theorie  der  Balmerschen  Serie. 


Gl.  (25)  erinnert,  wenn  wir  darin  T durch  Tr  gemäß  (27) 
ausdrücken,  an  den  Ansatz: 

Energie  • Zeit  = A, 

den  ich  in  diesen  Berichten  bei  Untersuchungen  über  y-  und 
Röntgenstrahlen  vorgeschlagen  hatte.  ^)  Die  Auffassung  der 
gegenwärtigen  Quantenbeziehung  ist  aber  von  der  früheren  in 
mehreren  Punkten  verschieden.  Sie  beschränkt  sich  jetzt  im 
wesentlichen  auf  periodische  Bewegungen  und  sieht  ein  ganz- 
zahliges Vielfaches  von  h vor,  auch  wird  die  Gleichheit  durch 
eine  von  dem  Kraftgesetz  abhängige  Proportionalität  ersetzt. 


Über  die  Struktur  der  ^'-Strahlen,  Jahrgang  1911,  pag.  1. 


459 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  und  der  Wasser- 
stoff-ähnlichen Linien. 

Von  A.  Sommerfeld. 

Vorgetragen  in  der  Sitzung  am  8.  Januar  1916. 

Die  vorliegende  Mitteilung  knüpft  unmittelbar  an  die  vor- 
angehende Arbeit^)  über  das  Balmersche  Wasserstoffspektrum 
an  und  liefert  die  experimentellen  Belege  dafür,  daß  die  dort 
entwickelten  neuartigen  Vorstellungen  über  quantenhaft  aus- 
gezeichnete Elektronenbahnen  genau  der  Wirklichkeit  ent- 
sprechen. Diese  Belege  werden  gewonnen  gerade  aus  den  un- 
scheinbarsten Ergebnissen  der  Spektroskopie,  aus  dem  Auf- 
treten feiner  Dubletts  und  Tripletts,  welche  nur  den  Apparaten 
mit  stärkstem  Auflösungsvermögen  zugänglich  sind.  Die  Fein- 
struktur der  Spektrallinien  gibt  durch  Komponentenzahl  und 
Komponentenabstand  unmittelbare  Kunde  davon,  daß  die  in  den 
Fig.  3,  4,  5 der  vorigen  Mitteilung  aufgezeichneten  Bahnen  von 
2,  3,  4,  . . . Ellipsen  resp.  Kreisen  reale  Existenz  haben,  daß  also 
die  Dynamik  der  stationären  Bewegungen  im  Atominnern  von 
dem  Quantenbegriff  in  der  Formulierung  unserer  Phasenintegrale 
beherrscht  wird.  Damit  eröffnet  sich  uns  ein  Einblick  in  die 
Einzelheiten  der  Vorgänge  nicht  nur  beim  Wasserstoff  und 
bei  Wasserstoff-ähnlichen  Atomen,  sondern  bei  entsprechendem 
Ausbau  auch  in  die  Atomfelder  der  anderen  Elemente  unter 
Verwertung  des  in  den  spektroskopischen  Daten  aufgehäuften 
riesigen  Materials.  Auch  läßt  sich  nunmehr  eine  wirkliche 

1)  Diese  Berichte,  Dezember  1915,  pag.425;  im  folgenden  als  (1)  zitiert. 

30* 


460 


A.  Sommerfeld 


Theorie  des  Zeenian-Eäektes  in  nahe  Aussicht  stellen,  dessen 
verschiedene  Typen  ja  gerade  von  der  Multiplizität  der  Serien- 
tenne herrühren,  also  von  demjenigen  Umstande,  der  durch 
unsere  Theorie  aufgeschlossen  wird. 

Besonders  überraschend  ist  die  Anwendung,  welche  unsere 
Auffassung  im  Gebiete  der  K-  und  A-Serie  der  Röntgenstrah- 
lung findet.  Hier  treten  durch  das  ganze  natürliche  System 
der  Elemente  hindurch  von  34  bis  = 80  (if  = Ordnungs- 
zahl des  Elementes  = Stellenzahl  im  natürlichen  System)  Du- 
bletts  auf,  die  denselben  Ursprung  haben  wie  die  Wasserstoff- 
dubletts,  und  geradezu  als  ein  um  den  Betrag  {Z  — 1)^  ver- 
größertes Abbild  jener  anzusehen  sind.  Der  Größe  dieses  Fak- 
tors (37.10®  bei  Gold)  ist  es  zu  verdanken,  daß  namentlich  in 
der  A-Serie  diese  Dubletts  nicht  mehr  unter  die  unscheinbaren 
Merkmale  der  Feinstruktur  fallen,  sondern  als  verschiedene, 
weit  getrennte  Linien  beschrieben  wurden  und  trotz  der  vor- 
läufig naturgemäß  noch  primitiven  Beobachtungsmittel  in  diesem 
Frequenzbereich  mit  völlig  ausreichender  Genauigkeit  gemessen 
werden  konnten. 

Unsere  Ergebnisse  sind  gesicherter  und  quantitativer  Art. 
soweit  es  sich  um  die  relative  Größe  gegenüber  den  WasserstoflF- 
dubletts  handelt.  In  Bezug  auf  die  absolute  Größe  der  frag- 
lichen Dubletts  und  Tripletts  sowie  die  Größe  der  WasserstofF- 
dubletts  selbst  besteht  noch  eine  durchgehende  Unstimmigkeit 
des  Zahlenfaktors,  an  welcher  vermutlich  die  Grundlagen  der 
Quantentheorie  oder  der  Relativitätstheorie  schuld  sind.  Wegen 
der  allgemeinen  quantentheoretischen  Überlegungen  verweise  ich 
auf  die  vorangehende  Arbeit;  im  folgenden  möchte  ich  mich  auf 
eine  .kurze  Darlegung  der  numerischen  Beziehungen  beschränken. 

§ I.  Die  Keplersche  Ellipse  in  der  Relativitätstheorie. 

Auf  die  Bedeutung  der  Relativitätstheorie  für  den  Ausbau 
seines  Atommodelles  hat  bereits  Bohr  verschiedentlich  hinge- 
wiesen. Auch  schlägt  er  bereits  vor,  die  WasserstoffdublettsQ 


1)  Phil.  Ma^.,  Febr.  1915. 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  etc.  Linien. 


461 


aufzufassen  als  einen  relativistischen  Effekt  von  der  Ordnunsf 

O 

(vjcy.  Indem  wir  diesen  Vorschlag  aufnehmen,  ändern  wir 
zugleich  den  Standpunkt  prinzipiell  ab:  Nach  den  quanten- 
theoretischen Gesichtspunkten  der  vorigen  Arbeit  kann  es  sich 
nicht,  wie  bei  Bohr,  um  Ellipsen  von  kleiner  oder  verschwin- 
dender Exzentrizität  handeln,  sondern  muß  das  Dublett  seinen 
Grund  haben  in  den  endlich  verschiedenen,  diskreten  Exzen- 
trizitäten unserer  ,gequantelten“  Ellipsen. 


Als  Vorbereitung  leiten  wir  die  relativistische  Bahn  des 
Elektrons  um  den  Wasserstoff  kern  ab.  Das  Ergebnis  ist  nicht 
verschieden  von  dem  z.  B.  in  der  Dissertation  von  Wacker^) 
behandelten  Planetenproblem.  Doch  können  wir  die  Rechnung 
nach  der  in  (I,  § 2)  benutzten  Methode  sehr  vereinfachen. 
Wegen  späterer  Verallgemeinerungen  sei  die  Ladung  des  Wasser- 
stoffkerns mit  E bezeichnet,  die  des  Elektrons  ist  — e.  Der 
Kern  wird  als  ruhend  angenommen.  Dann  wirkt  derselbe  auch 
nach  der  Relativitätstheorie  auf  das  Elektron  genau  mit  der 


eE  . 

Coulombschen  Kraft in  der  Verbindungslinie.  Man  über- 

zeugt sich  nämlich  leicht,  daß  die  relativistischen  Zusatzglieder 
(,Geschwindigkeits-“  und  , Beschleunigungsterm“)  bei  ruhen- 
dem Kern  verschwinden.  Die  Bahn  ist  eben  und  es  gilt  der 
Flächensatz  in  der  Form 


(1)  mr^<p  = p,  m = j7|^— ’ ^ ^ c ' 

Benutzt  man  neben  den  Polarkoordinaten  r,  cp  rechtwink- 
lige Koordinaten  x,  y mit  dem  Anfangspunkte  im  Kern 


x — rc,os(p,  ^ = rsm(p, 


so  lauten  die  Bewegungsgleichungen 


(2) 


mx=  — 
d t 


eE 

r 


cos  cp,  = — 


eE  . 


über  Gravitation  und  Elektromagnetismus.  Tübingen  1909. 

-)  Vgl.  z.  B.  A.  Sommerfeld,  Zur  Relativitätstheorie  II,  Gl.  (37), 
Ann.  d.  Phys.  33,  1910,  pag.  681. 


462 


A.  Sommerfeld 


Mit  Rücksicht  auf  den  Flächensatz  schreiben  wir 


p d p d 
m(p  = ~ = — , 

d t m dtp 

■ dx  » d(r  cosQ?) 

mx  = m tp  \ — — 

dtp  dp 

. da 

sin  p -f-  — cos  p 


m 


— — si 

/ da  . \ 

y = cos  99  — sin  7^  1 


= p(-'si 

) 


, \ dr  ^ 


mit  der  früheren  Abkürzung  o = 


Also 


r 


d . d f ■ , da 

^^mx  — — o o sin®  + , cos 79 

dt  mr^  dp  \ dp 


P 


a + r cos  p 
mr^  \ dp^J 


dt 


p^  f d^  a 

= 2 ® 

m \ dp^ 


sin  7-'. 


Die  Bewegungsgleichungen  (2)  gehen  daher  unter  Fort- 
hebung des  Faktors  resp.  über  in  die  eine  Gleichung 


(3) 


d'^a  eEm  eEm^  1 

r ^ — 9 ~ 

p's 


dp^-  ' “ p^  p^  Kl-/?' 

Die  rechte  Seite  ist  variabel  wegen  ß.  Um  sie  umzu- 
formen, benutzen  wir  die  Zeitkoniponente  der  Bewegungs- 
gleichungen, welche  in  bekannter  Weise  den  Energiesatz  liefert 


(4) 


(5) 


m,c^  - 1)  - = TU. 

Wl  — ß^  J r 

W ist  die  Konstante  der  Gesamtenergie.  Also  wird 


1 


= 1 + 


TT^ 


eE 


V 1 — 

und  Gl.  (3)  geht  über  in 

di  +'’(*-  ^-pc)  ) = 


+ TTT 


W 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  etc.  Linien. 


463 


Die  Integration  gibt 

a = A cos  y(p-\-B  sin  y 


mit  den  Abkürzungen 


(6) 


eEni„  / 
2^2  V 


Wq  c®  J 


Die  Bahn  ist  also  eine  Ellipse,  die  sich  langsam  dreht. 
Das  Perihel  schreitet  während  eines  Umlaufs  um  den  Winkel 


/ 


im  Sinne  des  Umlaufs  vor.  Wir  können  eine  solche  Bahn 
nach  (I,  pag.  429  unten)  als  quasiperiodische  Bahn  bezeichnen. 
A und  B sind  die  Integrationskonstanten.  Nehmen  wir  95  = 0 
als  Anfang.sperihel,  so  wird  ebenso  wie  (I,  pag.  434) 


(7) 


B = 0,  A = eC,  also 
= o = C E cos  y 9?). 


Bezüglich  der  Größe  der  Perihelbewegung  möge  darauf 
aufmerksam  gemacht  werden,  daß  sie  für  alle  Ellipsen  von 
gleichem  p gleich  ist,  daß  sie  also  nicht  direkt  abhängt  von 
der  Exzentrizität  der  Ellipse.  Für  den  Grenzübergang  von 
der  Ellipse  in  den  Kreis  ergibt  sich  sonach  eine  gewisse  Dis- 
kontinuität, da  man  beim  Kreise  geometrisch  überhaupt  nicht 
von  einer  Perihelbewegung  sprechen  kann. 


§ 2.  Die  Energie  der  relativistischen  Kepler-Ellipse. 

Die  auf  das  Perihel  (99  = 0)  bezüglichen  Größen  mögen 
durch  den  Index  0 ausgezeichnet  werden.  Es  ist  also 

Oq  = (7(1  -j-  £),  = {rpX, 

Der  Flächensatz  (1)  gibt  daher  für  99  = 0 

ßn  eBil  + e)f^  , \V  \ 


464 


A.  Sommerfeld 


und  der  Energiesatz  (5) 


(B) 


Vi-ßl 


1 + 


eE 

ypc 


) + '))  (' + ,«!?)  ■ 


Durch  Elimination  von  ßf^  aus  (A)  und  (B)  ergibt  sich 
der  gesuchte  Wert  von  TF.  Diese  scheinbar  etwas  künstliche 
Bestimmung  von  TF  ersetzt  hier  die  direkte  Ausrechnung  in 
I,  Gl.  (7).  Die  Elimination  erfolgt  nach  dem  Schema 


und  liefert 


1 + 


TF 


1 + (1  + ^,2 


(1  + .)^ 


mit  der  vorübergehenden  Abkürzung 


(8) 


h = , so  daß  7^  = 1 — b^. 

pc 


Hiernach  wird 

TT^ 


1 + 


. _ 1 I - 1/2 


7" 


7 


&2)-1/2  [ ftSj-l/j 

1 + (2  ( 1 + e)  - ( 1 + = j 1 + ( 1 _ .2)  I 


^ 2 7» 


8 y* 


Bezeichnen  wir  den  früheren,  ohne  Berücksichtigung  der 
Relativität  gefundenen  Wert  (I,  GL  (7))  mit  TF^ 


(9) 


TFo  = 


2p^  ^ 


SO  haben  wir  nunmehr 


TF„ 


3 ¥ 


(10)  rr=  g + 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  etc.  Linien. 


465 


Mit  c = 00  wird  6 = 0,  7 = 1,  also  wie  es  sein  muß, 
W = Wq.  Man  überzeugt  sich  übrigens  leicht,  daß  b einen 
Mittelwert  des  bei  der  Ellipsenbewegung  variabeln  Geschwindig- 
keitsverhältnisses ß bedeutet  und  daß  bei  der  Kreisbewegung 
bis  auf  mit  c verschwindende  Größen  h gleich  ß wird.  Dem- 
entsprechend können  wir  auch  sagen,  daß  die  Größe  1 — 7^,  die 
nach  (8)  mit  übereinstimrat,  von  der  Größenordnung  ß^  wird. 


i;  3.  Der  Quantenansatz  für  die  quasiperiodische  Bahn. 
Indem  wir  die  Quantenbedingung  für  unsere  Phasenintegrale 


(11) 


für  q = (p 
« q = r 


aus  (I,  § 1)  ungeändert  übernehmen,  haben  wir  zu  beachten, 
daß  bei  unserer  quasiperiodischen  Ellipse  die  Integration  nach 
9?  nicht  von  0 bis  2 7i  wie  bei  der  früheren  periodischen  Bahn, 
2 n 

sondern  von  0 bis  — zu  erstrecken  ist;  in  der  Tat  wiederholt 
7 

sich  nach  diesem  Winkelumlauf  Ort  und  Geschwindigkeit  des 
Elektrons.  Hiernach  lautet  die  erste  der  in  (11)  enthaltenen 
Gleichungen  wegen  p = konst. 

2,-t 

(12)  p ^ dp  =^nli,  p = . 

0 


Bei  der  zweiten  dieser  Gleichungen  ist  unter  p zu  ver- 
stehen 


= m r — mp 


dr 

dp 


j)  dr do 

dp  ^ dp  ‘ 


Hier  ist  m die  variable  Masse,  also  von  ß abhängig;  in- 
dem wir  aber  den  Flächensatz  (1)  benutzt  haben,  hat  sich  die 
Masse  eliminiert  und  der  Ausdruck  für  pr  vereinfacht.  Unsere 
zweite  Gleichung  (11)  kann  daher  so  geschrieben  werden 


466 


A.  Sommerfeld 


y 


Y 


0 


0 


Indem  wir  hier  y — y cp  als  Integrationsvariable  eingeführt 
haben,  haben  wir  zugleich  die  Ausführung  der  Integration  auf 
(I,  Gl.  (10))  zurückgeführt.  Setzen  wir  den  dortigen  Wert  für 
unser  Integral  und  zugleich  den  Wert  (12)  für  p ein,  so  er- 
gibt sich 


(13) 


Wir  bilden  sogleich  diejenige  Kombination,  von  welcher  der 
Energieausdruck  (10)  wesentlich  abhängt,  nämlich  (vgl.  auch  (8)) : 


1 — 1 
p^y~  {n‘-\-ny'^Y‘ 


(14) 


Es  ist  also  nicht  mehr  die  reine  Quautensumme  -}-  n, 
die  den  Energieausdruck  bestimmt,  sondern  es  kommt  wegen 
des  (von  1 wenig  verschiedenen)  Faktors  y^  auch  auf  die 
Einzelwerte  von  n'  und  n an ; freilich  nur  insoweit,  als  wir 
Korrektionsglieder  von  der  Ordnung  1 — y^,  d.  i.  nach  der  Be- 
merkung am  Schluß  des  vorigen  Paragraphen  von  der  Ord- 
nung berücksichtigen.  Das  Ergebnis  ist  folgendes; 

Während  nach  der  gewöhnlichen  Mechanik  die  Energie 
der  n n'  verschiedenen  Kreis-  und  Ellipsenbahnen,  die  zu 
dem  gleichen  Werte  von  n n‘  gehören,  genau  übereinstim- 
men, fällt  sie  mit  Rücksicht  auf  die  veränderliche  Elektronen- 
masse für  diese  n n'  verschiedenen  Bahnen  jeweils  ein  wenig 
anders  aus.  Die  zugehörige  Spektrallinie,  oder  richtiger  ge- 
sagt, der  zugehörige  Term  der  Spektrallinie  geht  entsprechend 
den  n -\-  n'  Erzeugungsmöglichkeiten  in  ein  System  von  w -j-  w' 


Die  Feinstruktur  der  WasserstoflF-  etc.  Linien. 


467 


benachbarten  Linien  oder  Termen  auseinander,  also  bei  n + w'  = 2 
in  ein  Dublett,  bei  n -f- n' = 3 in  ein  Triplett  etc.  Hierzu 
einige  kritische  Bemerkungen : 

1.  Die  Quantenansätze  (12)  und  (13)  sind  gegen  früher 
durch  Hinzutreten  von  Potenzen  des  Faktors  y abgeändert, 
welcher  seinen  Ursprung  hat  in  der  Perihelbewegung  der  Elek- 
tronenbahn. Diese  Perihelbewegung  ist  naturgemäß  eine  recht 
empfindliche  Größe  und  würde  sich,  bei  kleinen  Abänderungen 
des  Kraftgesetzes  vielleicht  merklich  ändern.  Ob  durch  die 
allgemeine  Relativitätstheorie  das  Kraftgesetz  oder  die  Be- 
wegungsgleichungen abgeändert  werden  oder  ob  nach  derselben 
Theorie  die  Gravitation  des  Kerns  mit  zu  berücksichtigen  ist, 
habe  ich  bisher  nicht  geprüft.  Ich  möchte  aber  auf  die  Mög- 
lichkeit wenigstens  hinweisen,  daß  die  in  der  Einleitung  be- 
merkte Unstimmigkeit  in  den  absoluten  Größen  einen  derartigen 
Ursprung  haben  könne. 

2.  Außer  von  der  Veränderlichkeit  der  Masse  wird  die 
Perihelbewegung  von  der  magnetischen  Wirkung  des  Kerns 
beeinflußt,  welche  direkt  ein  Drehmoment  in  der  Bahnebene 
liefert  und  daher  die  Gleichung  des  Flächensatzes  abändert. 
Während  die  magnetische  Energie  des  Elektrons,  wie  wir  sagen 
können,  in  der  Veränderlichkeit  der  Masse  steckt  und  daher 
von  uns  berücksichtigt  worden  ist,  haben  wir  die  magnetischen 
Kräfte  des  Kerns  ausgeschaltet,  indem  wir  diesen  als  ruhend 
annahmen.  Ich  habe  mich  aber  überzeugt,  daß  der  Einfluß 
dieser  Kräfte  von  geringerer  Ordnung  ist  als  derjenige  der 
veränderlichen  Masse.  Er  liefert  für  die  Perihelbewesfunff  als 

4- 

Wert  von  1 — y^  den  Beitrag  — , während  die  Veränder- 

lichkeit der  Elektronenmasse  den  Beitrag  lieferte  (AZ  = Kern- 
masse). Jener  Einfluß  ist  also  500  mal  so  klein  und  übrigens 
von  umgekehrtem  Vorzeichen  wie  dieser.  Daraus  geht  her- 
vor, daß  das  relativistische  Korrektionsglied  erster  Ordnung 
durch  den  magnetischen  Einfluß  des  Kerns  nicht  merklich  ab- 
geändert wird;  wohl  aber  würde  das  Korrektionsglied  zweiter 
Ordnung  dadurch  beeinflußt  werden.  Da  uns  das  letztere  nur 


468 


A.  Sommerfeld 


in  qualitativer,  nicht  in  quantitativer  Hinsicht  interessiert,  habe 
ich  die  Behandlung  der  Kernbewegung  hier  unterdrückt. 

3.  Wenn  wir  von  der  Bedeutung  der  Relativitätstheorie 
für  die  Probleme  der  Spektrallinien  sprachen , so  ist  damit 
eigentlich  nur  die  Veränderlichkeit  der  Elektronenmasse  ge- 
meint. Die  ältere  Theorie  des  starren  Elektrons  würde  daher 
für  unsere  Fragen  ebenfalls  ausreichen  und  merklich  zu  den- 
selben Konsequenzen  führen  wie  die  Relativität,  nur  natürlich 
auf  rechnerisch  viel  komplizierterem  und  weniger  übersicht- 
lichem Wege.  Durch  Annahme  des  ruhenden  Kerns  ist  ja 
von  vornherein  für  die  Beschreibung  der  Elektronenbewegung 
ein  raumzeitliches  Ruhsystem  vorgezeichnet  (bei  beweglichem 
Kern  durch  den  Schwerpunkt  von  Elektron  und  Kern).  In 
diesem  Ruhsystem  hat  z.  B.  die  Entfernung  r und  der  Im- 
puls ^,=my  seine  legitime  Bedeutung,  so  dah  die  feineren 
Fragen  der  Relativität  hier  nicht  auftreten.  Ich  möchte  aber 
darauf  hinweisen,  dab  manche  Formulierungen  der  vorangehen- 
den Arbeit  (I)  relativistisch  nicht  in  Strenge  haltbar  sind,  so 

3 T ■ dT 

z.  B.  die  Beziehung  p = . , welche  \nq=  oder  in  — 

dq 

dH 

abzuändern  wäre,  sowie  der  im  letzten  Paragraphen  von 
dq 

(I)  behandelte  Zusammenhang  zwischen  kinetischer  Energie  und 
Phasenintegralen.  Vielleicht  kann  der  Hinweis  hierauf  dazu 
führen,  den  Quantenansatz  in  relativistischer  Beziehung  zu  ver- 
bessern und  die  mehrfach  genannte  Unsicherheit  in  den  Ab- 
solutwerten zu  beheben. 

^ 4.  Zusammenfassung  der  bisherigen  Resultate. 

Indem  wir  aus  Gl.  (14)  in  Gl.  (9)  und  (8)  eintragen,  be- 
kommen wir 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  etc.  Linien. 


469 


Zahl 


Hier  hat  N wie  früher  die  Bedeutung  der  Rydbergschen 

h -s  ’ • 


<i  und  ö sind  neue  Abkürzungen: 


Im  Falle  des  Wasserstoffs  ist  natürlich  E = e und  di  = a ; 

im  allgemeinen  wird  dagegen  ^ eine  ganze  Zahl  größer  als  1, 

also  (5  ein  Vielfaches  von  a. 

Einsetzen  von  (15)  in  (10)  liefert  zunächst 


(17)  TF=  - 


Nh 


{n‘ \ e 


3(5 


i + 


10^2 


-\-ny''^y  {n‘-\-ny^y 


Hier  ist  noch  die  Entwicklung  für  n‘  ny‘^  einzutragen. 
Nach  (8)  hat  man 


= {n‘  n)  [I  — 5® 


n‘  -\-  n y^  = n'  n — (1  — y^)  n — n‘  -y  n — n 

n \ 
n'  + nj' 

Nach  (8),  (12)  und  (16)  ist  aber  bis  auf  Glieder  von 
kleinerer  Ordnung  als  d^: 

id 


= ‘‘f  (l+  -f), 

\ J 


n‘  y“  (1  — 6®) 

also  mit  derselben  Genauigkeit 

_ 

n{n  n 
8 d 32 


n'  ny'^  ~ {n'  -y  n)  [\ 
{n‘  + n y^)~-  = (n'  + w)  ^ 1 
d {n'  -j-  ny^)~*  = 


48  d^ 


n(n  + n')  n^(n-i-n')  n^(n-i-n') 

16d2 


(«'  -|-  w)  ■*  ( d + , ,, 

\ n(n-\-  n ) 

d^  (n'  -f-  ny^)~^  = (n‘  -j-  n)~^  d^. 


470 


A.  Sommerfeld 


Aus  (17)  folgt  daraufhin 
Nh 


W = 


(n'  ny 


1 “h 


3d 


n{n-\-n‘)  (n -y  n‘)‘ 


+ 


32  d"  48^2  48(32  10  \ 

n^{n-\-n‘)  ' n^{n-]-n‘y  n{n-\- n‘y~'  {n-[-n‘y)' 

Das  mit  (5  behaftete  erste  Korrektionsglied  zieht  sich  zu- 
sammen zu 


{n  -j-  n‘ 

das  mit  d®  behaftete  zweite  Korrektionsglied  wird : 


d2 


{n-\-  n 


^.(32(»±7+48(>^-»y-48«t^.o)  = 


{n  -f-  n 


r( 


42  + 144  ” +144(” 
n \n 


+ 32 


GT) 


Der  Ausdruck  für  W kann  daher  so  geschrieben  werden : 


W = 
(18) 


Nh 


(w  + w 


fi^e)  {l  + (¥H+?(f)  + 


+ 


{n  + n 


Hier  ist  n durch  Gl.  (16)  gegeben;  für  die  (absichtlich 
unbestimmt  geschriebenen)  Koeffizienten  Ä,  B,  C hat  unsere 
Rechnung  ergeben: 

^ = 5,  B=8, 

(19)  n‘  /«'\2  /«'\3 

(7=  42  + 144  + 144 


CT-- 


Der  Wert  von  C kann,  wie  am  Schluß  des  vorigen  Para- 
graphen unter  2.  bemerkt  wurde,  durch  die  hier  nicht  berück- 
sichtigte Kernbewegung  und  ihre  magnetische  Wirkung  beein- 
flußt werden.  Worauf  es  uns  bei  diesem  Korrektionsglied  zweiter 
Ordnung  allein  ankommt,  ist  dieses,  daß  ein  solches  Korrektions- 
glied überhaupt  auftritt  und  zwar  mit  positivem  Werte  von  C. 
Seine  Existenz  wird  sich  in  Fig.  3 bemerklich  machen. 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  etc.  Linien. 


471 


Bezüglich  des  Wertes  von  Ä besteht  eine  eigenartige 
Schwierigkeit.  A mißt  die  relativistische  Korrektion  erster 
Ordnung  im  Palle  n'  = 0,  d.  i.  £ = 0,  also  im  Falle  der  ein- 
fachen Kreisbahn.  Für  die  Kreisbahn  läßt  .sich  aber  die  Energie 
bei  veränderlicher  Elektronenmasse  leicht  direkt  angeben,  wie 
bereits  Bohr  getan.  Man  hat  zunächst 


11^  = 


V\  — ß^ 


cE 
a ' 


r = a ist  der  Kreisradius,  ß ist  gleich  , wenn  co  die  kon- 

c 

stante  Winkelgeschwindigkeit  bedeutet.  Da  der  Kreis  eine 
rein  periodische,  keine  quasi-periodische  Bahn  ist,  scheint  es 
angebracht,  den  gewöhnlichen  Quantenansatz  2jip  = nh  bei- 
zubehalten, welcher  zusammen  mit  dem  Gesetz  der  Zentri- 
fugalkraft liefert 


V\  — ß 


2 ^0  3 2 TP 

a^ü)  = = eE 

2 2 Y l ß^ 


aco  = 


2 71  eE 
nh  ’ 


4 71®  Mq  e E 


V\-ß^  = 


4 71®  m^eE 


Kl -7 


Für  W ergibt  sich  hiernach  in  erster  Näherung: 


27i®mne®JS'® 


1 + 


3a 


EV 

e 


2 — 


4a 


271®  m^e^E^ 


Dagegen  folgt  aus  (18)  mit  »'  = 0 bei  Vernachlässigung 
der  zweiten  Näherung: 


ÄafEy\ 

w®  V e / y ■ 


472 


A.  Sommerfeld 


Die  direkte  Ausrechnung  liefert  also  A = l,  während  wir 
früher  ^ = 5 fanden.  Der  Unterschied  liegt,  wie  man  sich 
leicht  überzeugt,  an  dem  verschiedenen  Quantenansatz  für  die 
periodische  und  quasiperiodische  Bahn.  Wenn  wir  TU  aus  (18) 
für  w' = 0 berechnen,  bilden  wir  sozusagen  den  Limes  der 
Energie  für  eine  Ellipse  von  verschwindender  Exzentrizität, 
unter  Beibehaltung  der  für  alleExzentrizitäten  gleichen  Perihel- 
bewegung. Dagegen  bestimmt  die  direkte  Ausrechnung  die 
Energie,  die  zu  der  Exzentrizität  Null  gehört,  ohne  Rücksicht 
auf  die  Perihelbewegung.  Diese  Diskontinuität  des  Grenzüber- 
gangs, auf  welche  schon  am  Schlüsse  von  § 1 hingewiesen 
wurde,  liegt  offenbar  nur  in  unserer  Auffassung  des  Vorgangs, 
nicht  in  dem  Vorgänge  selbst,  und  dürfte  daher  physikalisch 
keinen  Einfluß  haben.  Der  Wert  Ä = b,  zu  dem  unsere  all- 
gemeine Rechnung  führte,  kann  daher  verdächtig  erscheinen, 
ebenso  aber  auch  der  Wert  A = l.  Es  ist  dieses  ein  weiterer 
Grund,  weshalb  wir  es  in  Gl.  (18)  vorzogen,  die  Formel  mit 
unbestimmten  Koeffizienten  A,  B,  C zu  schreiben.  Die  Schlüsse, 
auf  die  es  uns  ankommt,  sind  zum  Glück  von  dem  Zahlenwerte 
von  A und  im  wesentlichen  auch  von  demjenigen  von  B und  C 
unabhängig. 

§ 5.  Allgemeine  Folgerungen. 

Es  liegt  im  Sinne  des  Ritzschen  Kombinationspriuzips, 
welches  seinen  adäquaten  Ausdruck  in  der  Bohrschen  Theorie 
findet,  wenn  wir  die  folgenden  allgemeinen  Aussagen  nicht  für 
die  Wellenlänge  oder  Schwingungszahl  der  Serienlinien,  son- 
dern für  den  einzelnen  Serienterm  formulieren.  Die  Beobach- 
tungen an  der  Serienlinie  ergeben  sich  aus  zwei  Serientermen, 
einem  positiven  und  einem  negativen.  Der  positive  Serien- 
tei'm  entspricht  der  dem  Vorzeichen  nach  umgekehrten,  also 
positiv  genommenen  Energie  der  Endbahn,  der  negative  der- 
jenigen der  Ausgangsbahn. 

a)  Ein  Serienterm  mit  n n‘  — 2 erscheint  als  Dublett, 
entsprechend  den  beiden  möglichen  Zerlegungen  von  2 : 

2 = 2 -i-  0 und  2 = 1 + 1. 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  etc.  Linien. 


473 


(Die  dritte  Möglichkeit  2 = 0 + 2 wurde  in  (I,  § 5)  aus 
geometrischen  Gründen  abgewiesen.)  Die  beiden  zugehörigen 
Energiewerte  bezeichnen  wir  mit  TF2.0  und  TFi,i.  Nach  (18) 
ergibt  sich,  wenn  wir  hier  und  im  folgenden  die  zweite  Kor- 
rektion als  unwesentlich  nicht  berücksichtigen  : 


Ist  der  fragliche  Serienterm  ein  positiver,  so  wird  die 
zugehörige  SchwingungsdiflFerenz , die  durch  die  Verschieden- 
heit der  beiden  Energiewerte  veranlaßt  wird : 


II  l,!  11^2,0 


(20) 


Diese  Schwingungsdifferenz  ist  positiv,  d.  h.  die  Linie 
n — 1,  n'  = 1 hat  die  größere  Schwingungszahl  wie  die  Linie 
n = 2,  n'  — 0.  Erstere  Linie  entspricht  der  einzigen  hier  mög- 
lichen Ellipse,  letztere  dem  Kreise.  Wir  werden  annehmen, 
daß  immer  die  Kreisbahn  die  wahrscheinlichste  und  daß  je- 
weils die  Ellipsenbahn  um  so  unwahrscheinlicher  ist,  je  größer 
ihre  Exzentrizität  wird.  Im  Besonderen  stimmt  damit  überein, 
daß  wir  die  Ellipse  mit  der  Exzentrizität  1 , welche  n'  = 0 
entsprechen  würde,  grundsätzlich  ausgeschlossen,  also  mit  der 
Intensität  Null  veranschlagt  haben.  Unsere  Annahme  über  die 
Intensitäten  ist  eine  naheliegende  Zusatzhypothese  und  wird 
durch  die  Tatsachen  durchweg  bestätigt;  mit  unserer  Theorie, 
die  nur  von  der  Lage  der  Linien  spricht,  steht  sie  naturgemäß 
in  keinem  notwendigen  Zusammenhänge.  Auf  Grund  dieser 
Zusatzhypothese  stellen  wir  fest:  Entsteht  das  Dublett  aus 
einem  positiven  Terme,  so  liegt  die  stärkere  Linie,  welche  der 
Kreisbahn  entspricht,  nach  Rot  hin.  Dies  ist,  allgemein  ge- 
sprochen, der  Fall  der  Nebenserien.  Verdankt  dagegen  das 
Dublett  seine  Entstehung  einem  negativen  Terme,  so  liegt  die 
stärkere  Linie,  die  die  Kreisbahn  darstellt,  auf  der  violetten 
Seite.  Dies  ist  der  Fall  der  .Hauptserie  (Dg  ist  stärker  und 
violetter  als  D,). 

Sitzungsb.  d.  matb.-phys.  Kl.  Jahrg.  1915. 


31 


474 


A.  Sommerfeld 


b)  Ein  Serienterm  mit  » -j-  w'  = 3 gibt  Anlaß  zu  einem 
Triplett  entsprechend  den  drei  möglichen  Zerlegungen  der 
Zahl  3: 

3 = 3 + 0,  3 = 2 + 1,  3 = 1 + 2. 


Die  zugehörigen  Energie  werte  werden  mit  W3,o,  TDij,  i, 
lEi,a  bezeichnet,  wobei  sich  hier  wie  im  folgenden  der  erste 
Index  auf  n,  der  zweite  auf  n‘  bezieht.  Die  Energiedifferenzen 
werden 


14^3,0  = 

IDi,.  - TFi-i  = 


NliaJß 
3*  “ 
NhaB 


(M)( 


e 


NhaB 

3* 


3 

2 


Die  aufeinander  folgenden  Komponenten  haben  die  Schwin- 
gungsdifferenzen 


(21) 


TF2, 1 — 11+0  _ 1 NaB(Ey 

h 2 3*  V e y ’ 

Tri,2  — lFi,i  3NaBfEy 

h ~ 2 3*  UJ’ 


Ihr  Verhältnis  ist  also 


J : A = 1 : 3. 

Die  in  (21)  gewählten  Vorzeichen  sind  für  einen  posi- 
tiven Term  gemeint.  Hier  liegt  die  stärkste  Linie,  die  Kreis- 
bahn, auf  der  roten  Seite  und  es  stufen  sich  die  Intensitäten 
des  Tripletts  nach  Violett  hin  ab.  Bei  einem  negativen  Term 
sind  die  Aussagen  umzukehren. 

c)  Ein  Serienterm  mit  w + w'  = 4 ruft  ein  Quartett  her- 
vor, entsprechend  den  vier  Zerlegungsmöglichkeiten 


4 = 4 + 0,  4 = 3+1, 
4 = 2 + 2,  4 = 1 + 3. 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  etc.  Linien. 


475 


Die  Energiedifferenzen  sind 

NhaB  1 (EV 


1^3,1  Wi,o  = 


4* 


(f)' 


NhaB  2 fEV 

3 


„r  N h (l  B f S 

»fl,;) — — 7j 


2\  /E 


4* 

NJt^  B 

4^ 


(f)‘ 


2 


EV 

e 


Die  Schwingungsdifferenzen  der  aufeinander  folgenden  Kom- 


ponenten sind 


(22) 


zlj-  = — 


A )’2 


— 1 NaB/EV 

h S A*  \e)' 

TF2,2  — TKs,!  _ 2 NaB  (EV 

h 3 4^  \e)' 

(f)- 


j IKi,  3 — 41 2,2  Na  B 

= ,r—  = ^ 4‘ 


Ihr  Verhältnis  wird  also 


zl  V, ; zl  )'2 : zl  J'3  = 1 : 2 : 6. 


Bezüglich  Vorzeichen  und  Stärkeverhältnis  gilt  dasselbe 
wie  unter  b). 

1 . 

d)  Ein  Serienterm  vom  Charakter  gibt  Anlaß  zu  einem 

D 

Quintett  mit  Schwingungsdifferenzen  der  aufeinander  folgenden 
Komponenten  vom  Verhältnis: 


1 2 
4’  3 


1.1  _ 1.1  _ 1 

4’ 2 3' 1 2 


1 5^  5 5 
4 ■ 1 2 ■ 6 ' 2 


3:5:10:30  usf. 


e)  Ein  Serienterm  vom  Charakter 


P 


ist  in  Strenge 


ein- 


fach. Er  entspricht  einer  und  nur  einer  Kreisbahn.  Unter  den 
Wasserstoff-ähnlichen  Termen  ist  er  der  einzig  einfache  Term. 

f)  Liegt  die  Multiplizität  im  konstanten,  also  positiven 
Term,  so  wiederholt  sie  sich  ungeändert  durch  die  ganze  Serie. 
Wir  haben  Dubletts,  Tripletts  etc.  von  konstanter  Schwingungs- 


31* 


476 


A.  Sommerfeld 


differenz,  wie  sie  allgemein  von  den  Nebenserien  her  bekannt 
sind.  Aus  a)  geht  hervor,  daß  die  hierbei  beobachtete  Inten- 
sitätsabstufung (von  Kot  nach  Violett)  von  unserer  Theorie 
richtig  wiedergegeben  wird.  Aus  h)  wird  sich  ergeben,  daß 
die  ira  konstanten  Term  begründete  Multiplizität  im  allge- 
meinen überlagert  wird  von  einer  im  variabeln  Term  gelegenen 
Multiplizität. 

g)  Liegt  die  Multiplizität  im  negativen,  also  variabeln 
Term  und  ist  der  konstante  Term  einfach  (w=l,  Kreisbahn), 
so  kommt  in  der  zu  beobachtenden  Linie  die  Multiplizität 
des  variabeln  Termes  rein  zum  Ausdruck.  Entsprechend  den 
Nummern  m -j-  m'  = 2,  3,  4,  . . . des  variabeln  Termes  wird 
die  erste  Linie  der  Serie  ein  Dublett,  die  zweite  ein  Tiäplett, 
die  dritte  ein  Quartett  etc.  Die  Intensitäten  stufen  sich  bei 
allen  diesen  Linien  nach  Rot  ab,  indem  die  Kreisbahn  wegen 
des  negativen  Vorzeichens  des  Termes  die  violetteste  Linie  des 
Gebildes  wird.  Die  in  Schwingungszahlen  gemessene  Ausdeh- 
nung des  Gebildes  nimmt  mit  wachsender  Numerierung  ab,  wegen 
des  Faktors  {m  -f-  m'Y  im  Nenner  des  Energieausdrucks  (18). 
In  diesen  beiden  Punkten  (Verhalten  der  Intensität  und  der 
Größe  des  Gebildes)  besteht  eine  Analogie  zu  den  Hauptserien 
der  Elemente,  allerdings  keine  vollständige  Analogie,  da  die- 
jenigen Elemente,  bei  denen  die  gewöhnlichen  Hauptserien  be- 
obachtet werden,  zu  wenig  Wasserstoffähnlich  sind.  Bei  Wasser- 
stoff selbst  ist  die  hier  beschriebene  , Hauptserie“  ultraviolett, 
vgl.  § 6,  2. 

h)  Ist  sowohl  der  konstante  positive  wie  der  variable 
negative  Term  mehrfach,  so  muß  zunächst  (schon  aus  ener- 
getischen Gründen)  die  Multiplizität  des  negativen  Termes  die 
größere  sein.  Liefert  z.  B.  der  konstante  Term  ein  Dublett, 
so  entspricht  dem  variabeln  Terme,  für  sich  genommen,  in  der 
ersten  Serienlinie  ein  Triplett,  in  der  zweiten  ein  Quartett  etc. 
Die  Überlagerung  beider  Multiplizitäten  könnte  man  sich  nun 
in  der  Weise  vorgenommen  denken,  daß  die  beiden  Linien  des 
Dubletts  in  der  ersten  Seriennummer  je  aus  3,  in  der  zweiten 
aus  4 etc.  Komponenten  bestehen,  die  ihrerseits  die  unter 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  etc.  Linien. 


477 


b),  c)  etc.  bestimmten  Abstandsverhältnisse  haben.  Die  Linie 
(n  n‘,  m -j-  m‘)  würde  dann  ein  Gebilde  von  im  ganzen 
(n  4"  -}-  wi')  Komponenten  sein.  Diese  Auffassung  ist 

indessen  wohl  nicht  haltbar : vielmehr  erschien  uns  ein  anderer 
Standpunkt  wahrscheinlicher,  demzufolge  die  Zahlen  w,  m' 
einzeln  genommen  nicht  kleiner  sein  dürfen  als  die  Zahlen  n,  n' 
(vgl.  I,  § 5).  Infolgedessen  werden  wir  in  dem  als  Beispiel 
herangezogenen  Falle  w + n'  = 2 , m -j-  m'  = 3,  4,  5,  . . . 
vielmehr  die  folgende  Feinstruktur  der  aufeinander  folgenden 
Serienlinien  erwarten : 

Erste  Linie  . . . («,  n')  = (2,0),  (w,  m')  = (3, 0),  (2,1) 

= (1,1),  =(2,1),  (1,2). 

Die  Hauptlinie  des  Dubletts  (2,0),  (3,0),  die  der  Kom- 
bination von  zwei  Kreisbahnen  entspricht,  ist  nach  der  roten 
Seite  von  einem  Satelliten  (2,0),  (2,1)  begleitet;  ebenso  hat 
die  schwächere  Linie  des  Dubletts  (1,1),  (2,1),  die  der  Kom- 
bination von  zwei  Ellipsen  entspricht,  den  Satelliten  (1,1,),  (1,2). 

Zweite  Linie  . . . (w,  n‘)  = (2,0),  (m,  nt‘)  = (4,0),  (3,1),  (2,2) 
= (1,1),  =(3,1),  (2,2),  (1,3). 

Hier  sind  also  die  Linien  des  Dubletts  von  je  2 Satelliten 
begleitet,  in  der  nächsten  Seriennummer  von  je  3 etc.,  und  zwar 
stets  nach  Violett  hin  gelegen  und  in  dieser  Richtung  der 
Intensität  nach  abnehmend.  Als  Beispiel  vgl.  Fig.  1 betr.  Ha 
und  Hß.  Die  Ausdehnung  des  Satellitengebildes  zieht  sich 
dabei  nach  dem  unter  g)  Gesagten  mit  wachsender  Nummer 
der  Serienlinie  schnell  zusammen,  so  daß  die  Multiplizität  des 
variabeln  Termes  sich  überhaupt  nur  in  den  niedrigsten  Num- 
mern bemerkbar  machen  und  in  den  höheren  allein  die  Mul- 
tiplizität des  konstanten  Termes  persistieren  wird. 

i)  Bei  Wasserstoff- ähnlichen  Termen  anderer  Elemente  er- 
warten wir  eine  ähnliche  Feinstruktur  und  zwar  um  so  ge- 
nauer, je  Wasserstoff- ähnlicher  der  betreffende  Term  ist,  d.  h. 

N 

ie  genauer  er  die  Form  —z  hat. 


478 


A.  Sommerfeld 


k)  Über  die  Wasserstoff-unähnlichen  Terme,  welche  nicht 
N 

die  Form  haben,  können  wir  naturgemäß  im  wesentlichen  nur 


negative  Aussagen  machen.  Die  beim  Wasserstoff  zusammen- 
fallenden und  nur  relativistisch  getrennten  Terme  (n,  w'), 
(m,  m‘)  werden  hier  auseinander  fallen.  Die  dabei  auftreten- 
den Multiplizitäten,  die  man  teils  als  Multiplizitäten,  teils  als 
verschiedene  Serientypen  deutet  (vgl.  I,  § 6),  haben  ihren  Ur- 
sprung in  der  Beschaffenheit  des  Atomfeldes  und  seiner  Ab- 
weichung vom  Felde  des  Coulomhschen  Gesetzes.  Die  Mul- 
tiplizitäten werden  daher  hier  von  ganz  anderer  Größenordnung. 
Trotzdem  ist  ihre  Struktur  der  der  Wasserstoff-ähnlichen  Linien 
verwandt;  man  vergleiche  die  vollständigen  Dubletts  und  Tri- 
pletts von  Rydberg  mit  dem  hier  unter  h)  Gesagten.  Die  Auf- 
gabe kann  hier  nicht  sein,  die  Lage  und  Struktur  der  Linien 
vorherzubestimmen,  sondern  muß  darin  bestehen,  aus  den 
spektroskopischen  Erfahrungen  die  Natur  des  Atomfeldes,  also 
den  Aufbau  des  Atoms  zu  ermitteln.  Natürlich  wird  auch 
hierbei  unsere  Theorie  der  Phasenintegrale  entscheidend  mit- 
zuwirken haben;  es  wird  allerdings  nötig  sein,  sie  vorher  für 
die  Anwendung  auf  nichtperiodische  Bahnen  zu  erweitern. 

1)  Während  bei  den  gewöhnlichen  Flammen-  und  Bogen- 

E E 

Spektren  — = 1 ist,  hat  man  in  den  Funkenspektren  = 2. 

c ^ 

Handelt  es  sich  um  Wasserstoff-gleiche  oder  Wasserstoff-ähn- 
liche Funkenspektren  (Helium),  so  finden  auf  sie  die  voran- 
gehenden Schlüsse  volle  AnAvendung,  mit  der  Maßgabe,  daß 
die  Komponentenabstände  der  Feinstruktur  gegenüber  den  ge- 
wöhnlichen Spektren  bei  sonst  gleichen  Bedingungen  vergrößert 


Bei  Funkenspektren 


erscheinen,  wegen 


liegen  also  die  Bedingungen  für  die  Prüfung  der  Theorie  gün- 
stiger wie  bei  den  gewöhnlichen  Spektren ; man  kann  hier 
erwarten,  bei  höheren  Seriennummern  entsprechend  kompli- 
ziertere Strukturen  nachzuweisen,  wie  unter  den  gewöhnlichen 
Bedingungen. 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  etc.  Linien. 


479 


m)  Die  Funkenspektren  entstehen  in  einfach  geladenen 
Atomen.  Bohr  hat  bereits  den  Fall  von  Funkenspektren  höherer 
Ordnung  (mehrfach  geladener  Atome)  ins  Auge  gefaßt.  Der 
äußerste  Grenzfall  dieser  Spektren  liegt  bekanntlich  in  der 
FC-Serie  der  charakteristischen  Röntgen-Frequenzen  vor,  wobei 
die  Möglichkeit  der  Aufladung  zunimmt  mit  der  Ordnungszahl 
der  Elemente  im  natürlichen  System.  Bei  den  Röntgen-Fre- 
quenzen, insbesondere  denjenigen  der  Schwermetalle,  werden 
also  Multiplizitäten  von  makroskopischer  Größe  auftreten.  Hier 
wird  die  Prüfung  unserer  Theorie  am  sichersten  erfolgen  können. 


§ 6.  Wasserstoff  und  positiv  geladenes  Helium. 
1.  Balmersche  Serie. 


Der  konstante  Term  der  Balmerschen  Serie  gibt  An- 
laß zu  einem  Dublett  von  konstanter  Schwingungsdifferenz. 
Die  Größe  J vh  desselben  wird  uns  im  folgenden  stets  als  Maß- 
einheit dienen.  Sie  beträgt  nach  (20)  wegen  E = e: 


(23) 


Zl  Vjj 


NaB 


Die  Beobachtung  hat  ergeben 


Al 

J >' 

Michelson  .... 

Ha 

0,14  A.  E. 

0,32  cm“' 

n .... 

H, 

0,08 

0,42 

Fabry  und  Buisson 

Ha 

0,132 

0,307 

Der  letzte  Wert  ist  der  zuverlässigste.  Wir  nehmen  also  an 
Arn=  0,31.  Nach  (23)  berechnen  wir  daraus  mit  a = 13.10“®, 
N =1, 1.10®  cm~* : 

B — 3,6  gegen  B = 8 nach  (19). 

Diese  Unstimmigkeit  im  Koeffizienten  B ist  ein  ernstlicher 
Einwand  gegen  die  derzeitige  Form  unserer  Theorie,  aber  nicht 
gegen  die  Theorie  selbst.  Sie  weist  auf  eine  Unvollkommen- 


480 


A.  Sommerfeld 


heit  hin,  die  aber  im  folgenden  nicht  stören  wird,  wenn  wir 
die  weiteren  Angaben  stets  auf  den  theoretischen  Wert  von 
Avh  beziehen  und  in  diesem  den  Koeffizienten  B erfahrungs- 
gemäß korrigiert  denken.  Bezüglich  der  Stärke  der  beiden 
Dublettkomponenten  ergibt  die  Beobachtung  in  Übereinstim- 
mung mit  der  Theorie  (§  5 a)  und  dem  allgemeinen  Tatbestand 
bei  Nebenserien,  daß  die  stärkere  Komponente  die  rötere  ist. 

Wegen  des  variabeln  Termes  sollten  die  beiden  Dublett- 
linien  begleitet  sein  bei  Ha  von  je  einem,  bei  Hß  von  je  zwei, 
bei  Hy  von  je  drei  Satelliten  etc.  (vgl.  §5h),  deren  Inten- 
sitäten nach  Rot  abnehmen.  Wegen  der  großen  ünschärfe  der 
i/-Linien  und  der  geringen  Abstände  dieser  hinzutretenden 
Komponenten  ist  ihre  Beobachtung  wenig  aussichtsvoll.  Wenn 
einige  Beobachter  gelegentlich  von  mehreren  Komponenten  der 
Il-Linien  sprechen,  so  liegt  es  nahe,  dies  auf  einen  ungewollten 
Stark -Effekt  zu  schieben.  Weniger  wegen  der  Möglichkeit 
einer  experimentellen  Prüfung  als  wegen  der  späteren  Anwen- 
dung auf  Li  und  zur  Erläuterung  der  allgemeinen  Behaup- 
tungen in  § 5 gebe  ich  hier  die  Figuren  für  Ha  und  Hß.  Die 
Länge  der  Linien  soll  in  einem  qualitativen  Maßstab  die  mut- 
maßlichen Intensitäten  darstellen.  (Indem  wir  die  Intensität 


Av„ 

AVf, 

Ar^Av,  Äij  Ai^Aii 


FiR.  1 


der  Kreisbahn  gleich  1 nehmen,  lassen  wir  die  für  die  Ellipsen- 
bahnen mit  wachsender  Exzentrizität  gleichmäßig  zu  Null  ab- 
nehmen.) Der  Maßstab  für  die  Schwingungszahlen  mußte  bei 
Hß  doppelt  so  groß  gewählt  werden  wie  bei  Ha,  um  die  Figur 
nicht  zu  undeutlich  zu  machen.  In  den  entsprechenden  Figuren 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  etc.  Linien. 


481 


für  Hy  und  H würden  sich  die  Komponenten  so  enge  an  die 
Dublettlinien  herandrängen  (wegen  des  hier  auftretenden  Fak- 
tors bzw.  daß  sie  nicht  mehr  zu  zeichnen,  geschweige 

O D 

denn  zu  beobachten  sind. 

Zur  Erläuterung  diene  folgendes.  Bei  Ha,  linke  rötere 
Liniengruppe,  entspricht  die  Hauptlinie  der  Entstehungsweise 
aus  zwei  Kreisbahnen 


(n,  n')  — (2,0),  (m,  m‘)  = (3,0),  Intens.  = 1.1. 
Der  Satellit  dieser  Linie  gehört  zu  dem  Schema 


(24)  1 


(n,  n')  = (2,0),  (»t,  w')  = (2,  1),  Intens.  = 1 • — . 

o 

Der  gegenseitige  Abstand  beider  beträgt  nach  (21)  und  (23) 
, 1 NaB  12*  8 , 

^V,  = Jj'w=  J VH. 


Bei  Ha,  rechte  violettere  Liniengruppe,  ist  das  Schema 
{n,  n')  = (1,1),  (m,  m‘)  = (3,0) 

nach  unserer  Auffassung  nicht  realisierbar  wegen  zunehmender 
radialer  Quantenzahl  des  Überganges.  Die  zugehörige  Linie 
ist  daher  in  der  Figur  punktiert  gezeichnet.  Die  stärkste  Linie 
dieser  Gruppe  gehört  vielmehr  zu  dem  Schema 

1 2 

(n,  n')  = (1,1),  (w,  m‘)  = (2,1),  Intens.  = g 
und  die  schwächste  Linie  zu 

(n,  n‘)  = (1,1),  (m,  m‘)  = (1,2),  Intens.  = ^.~. 


Der  gegenseitige  Abstand  der  beiden  letzteren  Linien  wird 
nach  (21) 


(24). 


Av^  = 


3 

2 


NaB 

3* 


3 2* 
2 3* 


vb  = 


8 

27 


Avh. 


Entsprechend  ist  die  Figur  für  Hß  gezeichnet.  Die  Ab- 
stände der  aufeinander  folgenden  Komponenten  der  röteren 
Gruppe  sind  hier  nach  (22) 


482 


A.  Sommerfeld 


(25)i 


und  die  der  violetteren  Gruppe 


(25)2 


Die  Aussicht  für  den  Nachweis  dieser  Feinstruktur  ist 
hiernach  bei  Ha  und  Hß  gering,  noch  geringer  bei  den  höheren 
Gliedern  der  Balmer-Serie. 


2.  Ultraviolette  Serie. 


Dieselbe  hat  die  Formel 


unter  Fortlassung  der  Korrektionsglieder.  (Natürlich  müßten 
wir  hier  und  im  folgenden  von  unserem  Standpunkte  aus  eigent- 
lich schreiben  m -f-  'm'  statt  m.)  Sie  ist  von  Lyman  gemessen 
worden,  neuerdings  bis  nahe  an  die  Grenzfrequenz  v — N 
heran.  Sie  gibt  das  einfachste  Beispiel  für  den  in  § 5 g be- 
sprochenen hlauptserien-Fall  mit  konstantem  einfachen  Term. 
Ihre  aufeinander  folgenden  Linien  sollen  hiernach  sein  ein 
Dublett,  Triplett  etc.  Die  bisherigen  Messungen  reichen  wohl 
nicht  aus,  um  dieses  zu  prüfen. 

3.  Ultrarote  Serie. 

Von  Ritz  vorhergesagt  und  von  Paschen  in  ihren  zwei 
ersten  Nummern  beobachtet,  ist  die  Serie 


Sie  besteht  nach  unserer  Theorie  wegen  des  konstanten 

Termes  — der  Hauptsache  nach  aus  einem  Triplett  von  kon- 
o 

stanter  Schwingunwsdifferenz.  Die  von  Rot  nach  Violett  auf- 

O O 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  etc.  Linien. 


483 


einander  folgenden  und  ihrer  Intensität  nach  abnehmenden 
Komponenten  haben  nach  (21)  die  Abstände: 

, l Na  B 12*  . 8 , 

~ 2 3*  ~ 2 3*  ~ 81 

g 

Av^  = SAv^  = Avji. 

Als  Bild  dieses  Tripletts  kann  man  die  für  He  gemeinte 
Fig.  2 a ansprechen,  wenn  man  diese  auf  in  den  Schwingungs- 
zahlen und  Schwingungsdifferenzen  reduziert.  Bei  H wird  hier- 
nach die  absolute  Größe  dieses  Tripletts  sehr  klein,  derart, 
daß  seine  Beobachtung  zumal  im  ultraroten  Frequenzgebiet 
wohl  ausgeschlossen  ist. 

Einfach  geladenes  Helium. 

Wenngleich  sich  aus  der  Dispersionstheorie*)  ergeben  hat, 
daß  das  neutrale  Heliumatom  nicht  die  einfache  von  Bohr  an- 
genommene Gestalt  haben  kann,  daß  vielmehr  der  Heliumkern 
selbst  schon  komplizierter  gebaut  sein  muß,  liefern  die  Funken- 
spektren des  Heliums,  bei  denen  dieses  also  ein  Elektron  ver- 
loren hat  und  daher  einfach  positiv  geladen  ist,  bisher  keine 
Andeutung  dieser  Komplikation.  Wir  werden  also  gegenwärtig 
das  geladene  Helium  als  Wasserstoff-gleich  behandeln,  mit  dem 
Unterschiede  natürlich,  daß  hier  E=2e  zu  setzen  ist.  Be- 
kanntlich sind  die  Funkenspektren  des  Heliums  früher  als 
Hauptserie  und  H.  Nebenserie  des  Wasserstoffs  beschrieben  wor- 
den und  sollen  auch  hier  der  Kürze  halber  so  bezeichnet  werden. 
Auf  die  charakteristische  Verschiedenheit  der  Rydbergschen 
Zahl,  welche  die  Zugehörigkeit  zum  Helium  beweist,  brauchen 
wir  nicht  einzugehen,  da  es  uns  nur  auf  die  Differenzen  der 
Schwingungszahlen  ankommt,  nicht  auf  deren  Absolutwerte. 

*)  P.  Debye,  diese  Berichte,  Januar  1915,  A.  Sommerfeld,  Elster 
und  Geitel,  Festschrift,  pag.  578.  Braunschweig  1915. 


484 


A.  Sommerfeld 


4.  Sog.  Hauptserie  des  Wasserstoffs. 
Ihre  Formel  ist  im  Groben 


j’  = 4 


(-■  - ' 

VS'  m\ 


, m = 4,  5,  6,  . . . 


Der  konstante  Term  bedingt  ein  Triplett  von  konstanter 
Schwingungsdifferenz  durch  die  ganze  Serie  mit  dem  Kom- 
ponentenabstand 1 : 3 und  mit  nach  Violett  abnehmendem  Inten- 


sitätsverhältnis. Wegen 


soluten  Werte  der  Schwingungsdifferenzen  hier  16  mal  gün- 
stiger wie  im  vorhergehenden  Falle,  nämlich 


(26) 


Diese  Tripletts  sind  durch  mehrere  Glieder  der  Serie  hin- 
durch von  Paschen  beobachtet  worden  mit  dem  theoretischen 
Komponentenabstand  1:3  und  genau  im  richtigen  Verhältnis 
zu  den  Wasserstoff-Dubletts.  Ich  berechne  z.  B.  nach  den  For- 
meln (26)  aus  den  Paschen’schen  Messungen  von  zl  j-j  und  A 
heim  ersten  Gliede  der  Serie  rückwärts  /1j'j/  = 0,31  hzw.  0,30. 
Auch  die  Schätzung  des  Intensitätsverhältnisses  liegt  im  Sinne 
der  Theorie.  Uber  die  Zahlen  seiner  Messungen  wird  Herr  Paschen 
demnächst  selbst  berichten.  Es  sei  bemerkt,  daß  Beobachtung 
und  Theorie  unabhängig  voneinander  vorgegangen  und  nur 
durch  einen  Briefwechsel  in  Verbindung  gebracht  worden  sind. 


5.  Sog.  II.  Nebenserie  des  Wasserstoffs. 


Die  Glieder  dieser  Serie  mit  ungeradem  ni  bilden  die 
Pickeringsche  Serie;  diejenigen  mit  geradem  m sind  kürzlich 
zuerst  von  Evans  ^)  beobachtet,  liegen  in  nächster  Nähe  der 
Balmer-Linien  und  weichen  von  ihnen  nur  wegen  des  ver- 
schiedenen Wertes  von  N ab.  Die  zusamraenfassende  Dar- 
stellung der  Gesamtserie  im  Groben  lautet 


•)  Phil.  Mag.,  Februar  1915,  pag.  284. 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  etc.  Linien. 


485 


Wegen  des  konstanten  Ternies  erwarten  wir,  dals  die  Fein- 
struktur jeder  Linie  ein  Quartett  ist  mit  den  Komponenten- 
abständen, vgl.  (22) 


_ 1 NaB  1 

' * 3 3 


'VH, 


^»2  = 3 


Al’  = 2A  Vfi. 


Die  letzte  schwächste  Linie  dieses  Quartetts  ist  im  richtigen 
Abstand  3 /I  von  der  Hauptlinie  von  Paschen  in  mehreren 
Gliedern  der  Serie  gefunden  worden  ; von  der  zweiten  und  dritten 
Komponente  dagegen  hat  sich  bisher  nichts  ergeben.  Einst- 
weilen bin  ich  geneigt,  diesen  negativen  Befund  auf  mangelnde 
Auflösung  zu  schieben.  Auch  Paschen  meint,  daß  seine  bis- 
herigen Beobachtungen  noch  nicht  gegen  die  Existenz  dieser 
zwei  Komponenten  entscheiden.  Die  Linien  sind  nur  schwach 
photographiert.  Dabei  kann  eine  so  feine  Struktur  unbemerkt 
bleiben. 

In  Fig.  2 b ist  dieses  Quartett,  in  Fig.  2 a das  vorige 
Triplett  dargestellt,  wie  es  dem  konstanten  Term  allein  ent- 
spricht. Das  Hinzukommen  des  variabeln  Terms  bedingt  nach 
unserer  Auffas.sung  Satelliten  auf  der  roten  Seite,  und  zwar 


t 

1 

1 

1 

1 

1 

' 1 

1 

1 

Fig.  2 a Fig.  ‘2  b 


mit  der  Seriennummer  von  zunehmender  Zahl  und  abnehmen- 
den Abständen  von  der  Hauptlinie.  In  den  höheren  Serien- 
gliedern kann  sich  daher  der  variable  Term  nur  mehr  durch 
eine  Abschattierung  der  betreffenden  Hauptlinie  nach  Rot  gel- 
tend machen.  Die  höheren  Serienglieder  würden  daher  direkt 
das  in  den  Fig.  2 dargestellte  Endgebilde  verwirklichen.  Bei 
den  niederen  Seriengliedern  würde  dagegen  durch  das  Hinzu- 


486 


A.  Sommerfeld 


treten  der  Satelliten  und  das  Ausfallen  der  Hauptlinien  (vgl. 
die  in  Fig.  1 punktierten  Linien)  auch  in  den  Schwingungs- 
Verhältnissen  gewisse  Abweichungen  von  dem  hier  dargestell- 
ten Endgebilde  hervorgebracht  werden.  Die  fraglichen  Ab- 
weichungen können  nach  dem  Vorbilde  von  Fig.  1 und  den 
dort  gegebenen  Erläuterungen  leicht  konstruiert  werden.  Als 
Beispiel  vgl.  das  Li-Dublett  im  nächsten  Paragraphen.  Es  sei 
bemerkt,  daß  die  oben  mitgeteilte,  an  Gl.  (26)  angeschlossene 
Berechnung  von  A vh  aus  den  Paschen’.schen  Messungen  des 
Lfe-Tripletts  bereits  den  Endzustand  des  Tripletts,  nicht  den 
durch  den  variabeln  Term  modifizierten  Anfangszustand  zu 
Grunde  legt.  Es  sind  zwar  von  Paschen  bei  jenem  Triplett 
Begleiter  auf  der  roten  Seite  gefunden,  welche  ihre  Zugehörig- 
keit zu  dem  variabeln  Term  auch  experimentell  verraten  und 
bei  den  höheren  Seriengliedern  an  die  Hauptlinien  heranrücken 
resp.  ganz  verschwinden.  Aber  sie  stimmen  nur  teilweise  mit 
den  Erwartungen  unserer  Theorie  überein. 

Auf  Grund  dieser  Bemerkungen  müssen  wir  daher  unsere 
Folgerungen  über  die  Satelliten,  die  aus  dem  variabeln  Terme 
entstehen,  als  unsicherer  hinstellen  wie  diejenigen  über  die 
Hauptlinien,  die  dem  konstanten  Terme  entspringen.  Deshalb 
wurde  auch  in  den  Fig.  2 vorerst  von  jenen  Satelliten  abgesehen. 

§ 7.  Lithium  und  neutrales  Helium. 

Wir  wenden  uns  jetzt  zu  den  Wasserstoff-ähnlichen  Ele- 
menten. Diese  werden  wir  unter  den  kleinsten  Atomgewichten 
zu  suchen  haben.  ^ 

Es  handelt  sich  zunächst  um  den  dem  Werte  ^ benach- 

2* 

barten  Term  solcher  Elemente  und  die  dabei  zu  erwartenden 
Dubletts.  Dieser  Term  tritt  auf  als  positives  konstantes  Glied 
der  I.  und  H.  Xebenserie  und  als  negatives  Glied  in  der  ersten 
Linie  der  Hauptserie.  Dem  letzteren  Vorkommen  entsprechend 
wird  der  Term  allgemein  mit  2 p bezeichnet.  Den  äußerst 
nützlichen  Tabellen  von  Dunz^)  entnehme  ich  folgende  Werte: 


b Bearbeitung  unserer  Kenntnisse  von  den  Serien,  Diss.  Tübingen  1911. 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  etc.  Linien. 


487 


Li 

2p 

28581 

N 

2p 

(2  — 0,041)' 

He 

29221 

(2  — 0,063)' 

Parhe 

27174 

(2  + 0,009)' 

H 

27419 

22 

An  erster  Stelle  steht  Lithium,  an  zweiter  dasjenige  Helium- 
spektrum, dessen  Linien  als  Dubletts  beobachtet  werden,  an 
dritter  Stelle  das  früher  als  Parhelium  bezeichnete  Helium- 
spektrum, welches  einfache  Linien  zu  haben  scheint,  an  letzter 

N 

Stelle  der  entsprechende  WasserstoflFterm  Nach  der  ersten 

Zeile  weicht  also  Li  und  mehr  noch  He  nach  der  einen  Seite, 
Parrhelium  sehr  wenig  nach  der  anderen  Seite  von  Wasser- 
stoff ab.  Diese  Abweichung  bringt  die  zweite  Zeile  noch 
rationeller  zum  Au.sdruck  durch  Vergleich  des  Nenners  des 
betreffenden  Serienterms  mit  dem  Balmerschen  Nenner  2^. 

Aus  der  Ähnlichkeit  der  Serienterme  schließen  wir  auf 
eine  Ähnlichkeit  der  Atomfelder  und  der  einschlägigen  Elek- 
tronenbahnen. Also  wird  auch  bei  Li  der  Term  2 p entstehen 
entweder  aus  einem  annähernden  Kreis  oder  aus  einer  Ellipse 
von  annähernd  dem  Verhältnis  zwischen  kleiner  und  großer 
Achse.  Die  zugehörige  Struktur  wird  also  die  eines  Dubletts 
sein  von  annähernd  der  Größe  des  Wasserstoffdubletts. 

Daß  die  Lithiumlinien  doppelt  sein  müssen,  war  nach  der 
Analogie  mit  den  Serien  der  übrigen  Alkalien  zu  vermuten. 
Zeeman  hat  die  Dublizität  von  A = 6708  zuerst  nachgewiesen. 
Vollständigere  Daten  verdanken  wir  Kent.  Kent  findet  aus 
der  11.  Nehenserie  bzw.  dem  zusammenfallenden  ersten  Gliede 
von  Hauptserie  und  H.  Nebenserie 

Av  — 0,336,  0,339,  0,340  cm~' 
und  aus  dem  ersten  bzw.  zweiten  Gliede  der  1.  Nebenserie 
Av  — 0,306,  0,326  cm“’ . 

1)  Astrophysical  Journal,  Bd.  2,  1914,  pag.  343.  Die  Arbeit  ist  in 
Tübingen  ausgeführt. 


488 


A.  Sommerfeld 


Wir  haben  also,  wie  wir  erwarteten,  fast  genau  das  Wasser- 
stoffdublett  zJj’  = 0,31  cm“*. 

Den  Unterschied  zwischen  den  J r der  I.  und  der  II.  Neben- 
serie hält  Kent  für  reell.  Ich  möchte  in  dieser  Hinsicht  mit 
allem  Vorbehalt  auf  folgende  Erklärungsmöglichkeit  hinweisen. 
Die  erste  Linie  der  ersten  Nebenserie  entspricht  durchaus  Ha 
(wie  wir  noch  sehen  werden,  ist  der  negative  zweite  Term 
dieser  Serie  bei  Li  noch  Wasserstoff-ähnlicher  wie  der  posi- 
tive ei’ste);  man  kann  also  für  diese  Linie  die  erste  Fig.  1 
heranziehen,  ebenso  für  die  zweite  Linie  die  zweite  Fig.  1. 
Miht  man  nun  in  jener  als  Dublettabstand  den  Abstand  von 
der  Hauptlinie  links  bis  zu  der  Hauptlinie  rechts,  die  um 

g 

zl  r,  = - zl  vu  (vgl.  Gl.  (24)i)  von  der  punktierten  Linie  ab- 

ö 1 

steht,  so  erhält  man  einen  um  10®/o  kleineren  Abstand  als 
das  theoretische  zl  Auf  die  Zi-Linie  übertragen  würde  sich 
an  Stelle  des  Dublettabstandes  0,34,  wie  er  aus  der  II.  Neben- 
serie folgt,  der  um  10°/o  kleinere  Wert  0,31  ergeben,  der  bei 
der  ersten  Linie  der  I.  Nebenserie  tatsächlich  beobachtet  ist. 
Mißt  man  ebenso  in  der  zweiten  Fig.  1 den  Dublettabstand 
von  der  Hauptlinie  links  bis  zu  der  Mitte  der  beiden  stärkeren 
Komponenten  rechts,  die  nach  (25)i  um 
Jv,  JVg  _ 1 

2 ~ 32 

von  der  punktierten  Linie  absteht,  so  findet  man  einen  um 
3°/o  kleineren  Wert  des  Abstandes  als  den  mit  Avu  bezeich- 
neten  Wert.  Dementsprechend  können  wir  bei  der  zweiten 
Linie  der  1.  Nebenserie  von  Li  statt  des  sonst  beobachteten 
Wertes  0,34  den  um  3®/o  kleineren  Wert  0,33  erwarten,  was 
ebenfalls  der  Beobachtung  entspricht.  Bei  der  II.  Nebenserie 
dagegen  tritt  diese  Komplikation  nicht  auf,  weil  der  Term  ns 
bekanntlich  stets  einfach  ist.  Wenn  unsere  Deutung  richtig 
ist,  würden  wir  hier  eine  sehr  befriedigende  Bestätigung  des 
bei  den  Balmer-Linien  nicht  nachweisbaren  Einflusses  des  zweiten 
Terms  auf  die  Dublettbreite  haben,  von  dem  am  Ende  von 
§ 6,  1 die  Rede  war. 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  etc.  Linien. 


489 


Beim  Helium  ist  die  in  der  obigen  Tabelle  dargestellte 
Abweichung  des  Serienterms  vom  Wasserstoff  größer  als  beim 
Lithium  und  liegt  nach  derselben  Seite  wie  bei  letzterem. 
Während  wir  bei  Li  eine  kleine  Vergrößerung  des  Wasser- 
stoffdubletts  hatten,  werden  wir  bei  He  eine  größere  Ver- 
größerung desselben  erwarten.  Tatsächlich  ergeben  die  Tabellen 
für  He  Jr  = 1,05  cm“’ . 

Bei  Parhelium  ist  die  Abweichung  des  fraglichen  Terms 
viel  kleiner  als  bei  Lithium  und  liegt  nach  der  anderen  Seite. 
Hier  werden  wir  daher  eine  geringe  Verkleinerung  des  Wasser- 
.stoffdubletts  erwarten,  d.  h.  einen  Wert  Av<.0,Sl  cm~’. 

Damit  stimmt  es,  daß  Parhelium  ein  ausgezeichnetes  Bei- 
spiel für  scheinbar  genau  einfache  Linien  und  für  normalen 
Zeeman -Effekt  liefert.  Letzteres  braucht  natürlich  nur  zu 
heißen,  daß  der  Paschen-Back-Eff'ekt  wegen  Engheit  des  Du- 
bletts  schon  bei  kleinsten  Magnetfeldern  in  Kraft  tritt.  Daß 
sich  auch  die  Linien  von  Parhelium  schließlich  als  doppelt 
herausstellen,  ist  natürlich  keineswegs  ausgeschlossen. 

Noch  Wasserstoff-ähnlicher  als  der  Term  2p  verhält  sich 
bei  Li,  He  und  Parhelium  der  Term  8 d,  wie  die  folgende 
Tabelle  zeigt 


3rf 

’dd 

Li 

12202,5 

(3-0,0020)2 

He 

12208,0 

(3—0,0026)2 

Farbe 

12204,25 

(3—0,0022)2 

H 

12186,0 

32 

Dieser  Term  müßte  also  in  großer  Reinheit  die  interes- 
santen Tripletts,  der  Term  A:d  die  Quartetts  zeigen,  die  wir 
oben  beim  Funkenspektrum  des  Heliums  (§  6,  4)  besprachen. 
Wenn  unsere  obige  Deutung  der  Abweichung  des  Li-Dubletts 
richtig  ist,  so  haben  wir  in  diesen  bereits  Merkmale  der  Exi- 
stenz der  Tripletts  im  ersten  Gliede  der  1.  Nebenserie  des  Li, 
des  Quartetts  im  zweiten  Gliede.  In  den  gewöhnlich  beob- 
achteten Serien  tritt  der  Term  3 d leider  nicht  als  konstanter 
positiver  Term  auf,  so  daß  es  hier  zu  einer  vollen  Ausbildung 

Sitzungsb.  d.  math.-phys.  Kl.  Jahrg.  1915.  32 


490 


A.  Sommerfeld 


des  Tripletts  wie  beim  Funkenspektrum  des  Heliums  nicht 
kommen  kann.  Wohl  aber  kommt  3 d als  positiver  Term  der 
Bergmann -Serie  vor.  Wir  müssen  also  behaupten,  dah  die 
Bergmann -Serie  (abgesehen  von  einer  etwaigen  Multiplizität 
des  zweiten  eigentlichen  Bergmann-Terms)  aus  Tripletts  von 
konstanter  SchwingungsdilFerenz  mit  dem  Komponentenabstande 
1 : 3 besteht  von  der  oben  beim  Wasserstoflf  in  § 5,  3 berech- 
neten (also  leider  sehr  minutiösen)  absoluten  Größe,  und  zwar 
um  so  genauer,  je  Wasserstoff-ähnlicher  der  Term  2id  ist.  Auch 
bei  Na,  K u.  a.  ist  die  Ganzzahligkeit  des  Terms  3 d recht 
befriedigend,  so  daß  die  Bergmann-Serien  auch  dieser  Elemente 
guten  Erfolg  versprechen  für  den  Nachweis  unseres  Triplett- 
Typus,  ebenso  die  Bergmann-Serie  mit  dem  positiven  Term  4 d 
für  den  Nachweis  unseres  Quartett-Typus. 

Besonders  hervorheben  möchte  ich,  daß  unsere  Diskussion 
des  Z(i-Dubletts  die  Brücke  bildet  zur  Deutung  der  Dubletts 
der  Alkalien,  also  zunächst  des  D-Dubletts,  und  anderer  Wasser- 
stoff-unähnlicher Terme.  Wie  in  § 5 k)  hervorgehoben,  reichen 
die  allgemeinen  Betrachtungen  hier  natürlich  nicht  aus,  son- 
dern müssen  spezielle  Untersuchungen  über  die  Atomfelder  ein- 
greifen,  bei  denen  neue  Konstanten  zur  Charakterisierung  der 
letzteren  eingeführt  werden.  Im  Gegensatz  dazu  können  wir 
sagen,  daß  unsere  Wasserstoff-ähnlichen  Multiplizitäten  durch- 
weg durch  Null-konstantige  Formeln  dargestellt  werden,  d.  h. 
nur  universelle  Größen  benutzen. 

§ 8.  K-  und  /.-Serie  der  charakteristischen  Röntgen-Frequenzen. 

Wir  stützen  uns  auf  folgende  Tatsachen: 

1.  Die  stärkste  Linie  der  AT-Serie,  die  Linie,  beob- 
achtet von  13  bis  Z = 60  durch  Mo.seley^)  und  Malmer*) 
{Z  = Ordnungszahl  der  Elemente  im  natürlichen  System),  wird 
nach  Moseley  dargestellt  durch  die  Formel 

(27) 

9 Phil.  Mag.  26,  p.  1024,  27,  p.  703. 

-)  Diss.  Lund  1915. 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstott-  etc.  Linien. 


4!J1 


Der  Faktor  --  — 92  ~ 4 ergibt  sich  nach  Rydberg^)  mit 


einer  Genauigkeit  größer  als  P/oo. 

2.  Die  jfir«-Linie  ist  nach  weicheren  Strahlen  hin  von  einer 
schwächeren  Linie  begleitet,  die  wir  nennen  werden.  Der 
Abstand  von  JC,  und  ist  durch  Mahner  zwischen  = 35 
und  Z = 60  gemessen.  Wir  sprechen  also  von  dem  iT-Dublett 
und  nennen  seine  Schwingungsdifferenz  Jv. 

3.  Eine  zweite  Linie  der  Serie,  die  Linie,  ist  noch 
härter  wie  A„  und  in  demselben  Bereich  wie  Kn  gemessen. 
Eine  dritte  Linie  A,,,  härter  als  Kß,  ist  bisher  nur  in  wenigen 
Beispielen  bekannt  (Bragg,  E.  Wagner,  Malmer). 

4.  Die  bei  gleichem  Z weichere  A-Serie  ist,  bei  hohen 
Ordnungszahlen  Z,  die  bestbekannte  Serie.  Ihre  stärkste  Linie 
heißt  Ln,  gemessen  von  Moseley  u.  a. 

5.  Von  Moseley  sind  noch  eine  Reihe  weiterer  Linien  der 
A-Serie  teils  gemessen,  teils  nur  beobachtet.  Die  gemessenen 
Linien  bezeichnet  er  mit  Lß,  A,^,,  Ly.  Sie  sind  alle  härter 
wie  Ln.  Ihre  Formel  ist  noch  nicht  bekannt. 

6.  Zwischen  den  Schwingungszahlen  von  Kn,  Kß  und  La 
besteht  nach  KosseD)  die  Beziehung 


(28) 


Kß-Kn^Ln. 


Bohr  weist  darauf  hin,  daß  diese  Beziehung  eine  Anwen- 
dung des  Ritzschen  Kombinationsprinzips  auf  die  Röntgen- 
Frequenzen  bedeutet.  Sie  besitzt  daher  eine  durch  das  ganze 
optische  Spektrum  hindurch  bewährte  große  Sicherheit. 

7.  Aus  (28)  folgern  wir  als  Darstellung  der  Frequenzen 
von  Kß  und  La  mit  Rücksicht  auf  (27) 


(29) 


Phil.  Mag.  August  1914,  pag.  148. 

2)  Bericht  der  deutschen  phys.  Ges.  1914. 


492 


A.  iSouimeil'eld 


Die  Bezeichnung  M ist  mit  Rücksicht  auf  eine  dritte,  noch 
nicht  entdeckte  Serie,  die  ,J/-Serie“,  gewählt,  deren  Grenz- 
frequenz durch  N 21  dargestellt  wird.  Zu  (29)  ist  zu  bemerken, 
dah  der  erste  Term  von  Kß  und  streng  WasserstofiF-gleich 
wird,  ebenso  wie  es  erfahrungsgemäß  beide  Terme  von  Ka  sind. 
Die  Untersuchung  des  ilZ-Terms,  über  dessen  Charakter  nichts 
ausgemacht  ist,  ist  eine  interessante  Aufgabe,  die  uns  aber 
hier  nichts  angeht. 

Die  Folgerung  2,  Existenz  eines  jK^-Dubletts,  hätten  wir 
nach  unserer  Theorie  unmittelbar  aus  der  Darstellung  (27) 
ziehen  können.  Während  der  erste  Term  derselben  strenge 
einfach  ist,  ist  der  zweite  doppelt.  Da  er  negatives  Vorzeichen 
hat,  muß  das  Dublett  umgekehrt  liegen,  wie  z.  B.  beim  Wasser- 
stoff, d.  h.  die  stärkere  Linie  (AT«)  ist  die  härtere,  was  der 
Erfahrung  entspricht.  In  derselben  Weise  können  wir  aus 
der  Darstellung  (29)  schließen,  daß  La  ein  Dublett  sein  muß 
vermöge  seines  positiven  ersten  Terms.  Der  Charakter  des 
zweiten  Terms  scheidet  dabei,  als  unbekannt,  völlig  aus.  Dieses 
Z-Dublett  muß  dieselbe  Schwingungsdifferenz  und  umgekehrte 
Lage  wie  das  AC-Dublett  zeigen : Die  stärkere  Linie  (La)  ist 
die  weichere;  die  schwächere  zweite  Linie  des  Dubletts  ist  auf 
der  härteren  Seite  zu  suchen.  Nach  unserer  Formel  für  die 

aus  dem  Terme  entstehenden  Dubletts,  Gl.  (20),  könnten 

wir  die  zweite  Linie  des  L-Dubletts  voraus  berechnen.  Wir 
würden  sie  mit  der  Moseleyschen  Linie  Lß  identisch  finden. 

In  der  Tat  hat  8.  W.  Kos.seD)  empirisch  gezeigt,  daß  in 
Schwingungszahlen  gilt: 

(30)  Lß—  La^  Ka  — Ka-. 

Diese  Feststellung  Kossels  ist  unabhängig  von  meiner 
Theorie  erfolgt  und  hat  mich  umgekehrt,  bei  Gelegenheit  eines 
Colloquium -Vortrages  von  Hrn.  Kossel,  dazu  geführt,  meine 
Theorie  auf  die  Röntgen -Frequenzen  anzuwenden.  Gl.  (30) 
besagt,  daß  wir  die  Schwingungsdifferenz  J r des  AT-Dubletts 


1)  Berichte  der  deutschen  phys.  Ges.  lOlh. 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  etc.  Idnien. 


-19:5 


ebenso  gut  oder  vielmehr  besser  aus  dem  L-Dublett  entnehmen 
können,  wenn  wir  als  solches  nach  Kossel  die  Linien  La  und 
Lß  zusammenfassen.  Die  Messung  des  L-Dubletts  ist  deshalb 
die  bessere,  weil  die  Wellenlängendifferenz  bei  den  weicheren 
L-Linien  gröber  ist,  als  bei  gleicher  Schwingungsdifferenz  die- 
jenige der  härteren  /C-Linien. 

Unsere  Theorie  erlaubt  nun  aber,  nicht  nur  Existenz  und 
Gleichheit  der  K-  und  Z-Dubletts,  sondern  auch  ihre  Gröbe 
vorher  zu  sagen.  Nach  Gl.  (20),  der  ersten  und  einfachsten 
Anwendung  unserer  Theorie,  soll  nämlich  sein 

, NaBfEY 
während  andererseits  nach  Gl.  (23)  war 


Jvfi  = 


NaB 

2* 


Also  folgt 

(31)  Av=(^^y.Av„  = {Z—iyAvu. 

Hier  ist  ^ nach  der  Moseleyschen  Formel  (27)  für  Ka 

und  nach  der  daraus  abgeleiteten  Formel  (29)  für  L„  gleich 
Z — 1 angenommen  worden. 

Av 

Nach  (31)  mub  also  konstant  und  gleich  zJj'//sein. 

(Z — 1) 


Diese  Beziehung  bewährt  sich  mit  auberordentlicher  Schärfe 
durch  das  ganze  natürliche  System  hindurch  von  Z=39(U) 
bis  Z=79  (Äu),  d.  h.  in  dem  ganzen  Bereich,  in  dem  Mes- 
sungen vorliegen.  Es  fallen  eigentlich  nur  zwei  Elemente, 
nämlich  Z=34  {Se)  und  Z = 35  (Br)  aus  der  Regel  heraus. 
Offenbar  ist  hier,  bei  Beginn  der  Reihe,  wegen  des  fehlenden 
Anschlusses  an  Nachbarelemente,  die  Auswahl  der  richtigen 
Linie  aus  den  Malmerschen  Aufnahmen  erschwert  gewesen. 

Das  Nähere  zeigt  Fig.  3.  Die  aus  den  AC-Dubletts  ge- 
wonnenen Punkte  sind  durch  Kreuze,  die  aus  den  Z-Dubletts 
durch  kleine  Kreise  bezeichnet.  Die  letzteren  liegen  viel  regel- 


A.  iSomiiierfeld 


■t!U 


mät^iger  wie  die  ersteren,  was  wir  nach  Art  ihrer  Messung  zu 
erwarten  haben.  Bei  den  iC-Dubletts  habe  ich  einige  Werte 
nach  gef.  brieflicher  Mitteilung  von  Hrn.  Malmer  gegenüber 
den  in  seiner  Dissertation  gedruckten  Zahlen  abgeändert.  Die 
verbesserten  Werte  liegen  fast  durchweg  mehr  im  Sinne  unserer 
Regel,  wie  die  ursprünglichen. 


Fi-.  3 


Durch  die  Beobachtungswerte  kann  man  ohne  Zwang  eine 
Kurve  hindurch  legen,  welche  sich  durchweg  in  der  Nähe  des 
Wasserstoffwertes  /fra  = 0,31  hält.  Unsere  Regel  ist  also 
exakt  bestätigt. 

Der  kleine  Gang  in  den  Versuchs  werten,  der  sich  in  dem 
Anstieg  der  Kurve  von  kleineren  zu  größeren  Z äußert,  kann 
dabei  verschiedene  Ursachen  haben. 


a)  Am  nächsten  liegt  es,  hierin  eine  Wirkung  unseres 
Korrektionsgliedes  zweiter  Ordnung,  des  mit  dem  Faktor  C 
behafteten  Terms  in  Gl.  (18)  zu  sehen.  Bildet  man  nämlich 
nach  dem  Vorbilde  von  (20)  die  Differenz  des  Ausdruckes  (18) 
für  n'  = n = 1 und  für  n = 2,  ^^'  ==  0,  so  ergibt  sich  unter 
Beibehaltung  auch  des  zweiten  Korrektionsgliedes 


Jr  — 


Wi,o—m,o  NaB/uyi 


Oi 


[ 


1 + 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  etc.  Linien. 


495 


Der  hier  eingefuhrte  Koeffizient  1)  ei  gibt  sich  nach  (19)  zu 

(32)  I)  - = 10- 

4 

E 

Tragen  wir  die  Werte  für  Avh  und  — = Z — 1 ein,  so 
folgt  nunmehr 

Av  = Avh{Z  — \Y{\  -\-  a{Z—\fD}. 

An  der  oberen  Grenze  unseres  Gebietes,  Z=79,  ist  die 
Korrektion  a{Z — 1)^  keineswegs  mehr  zu  vernachlässigen;  sie 
beträgt  nämlich: 

a{Z—  1)2  = 13.10-6  • 782  = 8.10-2. 


Mit  dem  berechneten  Werte  D — 10  würde  sich  hiernach 
sogar  ein  wesentlich  stärkerer  Gang  der  Kurve  in  Fig.  3 ei- 
geben,  als  er  aus  den  Beobachtungen  folgt.  Die  Beobach- 
tungen geben  nämlich  eine  Vergrößerung  der  Werte  bei  großen 
Z gegenüber  denen  bei  kleinem  Z nicht  um  80°/o,  sondern  nur 
etwa  um  30  “/o. 

Nach  den  Zweifeln,  die  sich  am  Ende  von  § 4 gegen  die 
absoluten  Zahlenwerte  von  A,  B und  G erhoben,  wäre  es  mög- 
lich, daß  der  Wert  ü — 10  zu  groß  ist.  Wir  begnügen  uns 
daher  mit  der  qualitativen  Feststellung,  daß  der  Gang  der 
Fig.  3 im  Sinne  eines  positiven  Wertes  von  D liegt,  wie  ihn 
unsere  Theorie  verlangt. 

b)  Eine  andere  Unsicherheit  liegt  in  dem  Faktor  (.Z— 1)2 
der  Moseleyschen  Formel  (27)  und  der  daraus  abgeleiteten 
Formeln  (29).  Im  Sinne  des  Kombinationsprinzips  und  der 
allgemeinen  Seriengesetze  steht  es  nämlich  frei,  den  fraglichen 
Faktor  für  beide  Terme  von  AT«  verschieden  anzusetzen  und 
dementsprechend  (27)  und  (29)  folgendermaßen  abzuändern: 

'(z_/,)2  _ {z-iy\ 

12  22  J 


(27') 


(29') 


= n(^ 


K,. 


N 


(Z~-hY 

12 

{z-iy 

22 


— M 


. K, 


3/ 


49H 


A.  Sommerfelu 


Hier  weist  der  Buchstabe  k auf  ^ Grenze  der  Ä^-Serie“. 
der  Buchstabe  / auf  „Grenze  der  L-Serie“  hin.  Während  die 

Exaktheit  der  Faktoren  und  durch  den  Nachweis  der 

1- 

K-  und  /y-Dubletts  im  Sinne  unserer  Theorie  aufs  sicherste 
gestützt  wird,  sagt  unsere  Theorie  über  die  jeweils  wirksamen 
Kernladungen,  d.  h.  die  Faktoren  (Z  — ky  und  (Z — If  nichts 
aus.  Eine  Abänderung  der  Zahlen  k und  l gegen  1 wird  ersicht- 
lich neben  der  groben  Zahl  Z die  Darstellung  der  Schwingungs- 
zahlen V nur  verhältnismäßig  wenig  beeinflussen.  Übrigens  ist 
in  jedem  Falle  bei  den  Gl.  (27)  und  (29)  noch  die  Relativitäts- 
Korrektion  für  die  Kreisbahnen  hinzuzufügen,  d.  h.  unser  mit 
dem  Koeffizienten  A behaftetes  Glied  in  Gl.  (18),  welches  bei 
großen  Werten  vonZ  — Ä und  Z — l keineswegs  zu  vernach- 
lässigen ist.  Auch  aus  diesem  Grunde  ist  z.  B.  die  Moseleysche 
Formel  für  Ä'«  noch  nicht  als  definitiv  anzusehen. 

Ist  nun  in  dem  A-Term  tatsächlich  Z — 1 in  Z — l abzu- 
ändern, so  ist  auch  Gl.  (31)  abzuändern  in 


(3n 


Av  = {Z—JfAv„. 


Wir  hätten  dann,  um  in  Fig.  3 konstante  Ordinaten  zu 

Av  Av 

erhalten,  nicht,  wie  wir  es  taten,  iji’  sondern  ^ 


auftragen  müssen.  Unsere  Darstellung  in  Fig.  3 muß  daher 
auch  aus  diesem  Grunde  einen  kleinen  Gang  zeigen  (klein,  da 
die  jedenfalls  mäßige  Zahl  J neben  der  großen  Zahl  Z steht). 
Übrigens  bemerke  man,  daß  die  Relativitäts-Korrektion,  auf 
deren  Notwendigkeit  bei  der  Darstellung  der  v soeben  hin- 
gewiesen wurde,  für  die  Jr  durch  Dilferenzbildung  herausfällt. 
Die  Feinstruktur  der  K-  und  //-Linien  gestattet  daher,  die 
Natur  des  Z-Terms  unmittelbarer  und  einfacher  zu  prüfen,  als 
es  die  durch  die  Relativitäts-Korrektion  komplizierte  Lage  der 
K-  und  /-Linien  selbst  ermöglicht. 


c)  Schließlich  ist  noch  bei  den  /-Dubletts  auf  den  mög- 
lichen Einfluß  des  negativen  zweiten  Terms  (des  Gliedes  M 
in  (29))  hinzu  weisen.  Wenn  dieser  Term,  wie  es  wahrschein- 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  etc.  Ijinien. 


107 


lieh  ist,  deu  Charakter  ^ hat  und  daher,  für  sich  betrachtet, 

zu  Tripletts  Anlaß  gibt,  so  würde  für  das  Dublett  (L„,  L/) 
genau  dasselbe  zutreflfen  wie  für  die  Wasserstoff-Linie  Ä, ; wir 
können  uns  daher,  vom  Maßstabe  abgesehen,  direkt  auf  Fig.  2 
beziehen.  Aus  dieser  Figur  geht  hervor,  einmal,  daß  L„  und 
Lß  von  Satelliten  auf  der  weicheren  Seite  begleitet  sein  sollen 
(bei  Pt-Aufnahmen  von  E.  Wagner  sind  solche  in  der  Tat  vor- 
handen), sodann  aber,  daß  der  gemessene  Abstand  der  Haupt- 
linie La  und  der  Hauptlinie  Lß  nicht  genau  gleich  sein  soll 
dem  theoretischen  Dublett.  welches  wir  aus  dem  ersten  Term 

vom  Charakter  ^ errechneten,  sondern  etwas  kleiner  ausfallen 

müßte,  nämlich,  um  den  Abstand  der  beiden  ersten  Linien  des 

Tripletts,  welches  zu  dem  zweiten  Term  ^ gehört.  Um  also 

das  gemessene  L-Dublett  auf  den  theoretischen  Wert  (31)  von 
Av  zu  korrigieren,  der  dem  ersten  Term  allein  entspricht, 
hätten  wir  die  Beobachtungswerte  des  L-Dubletts  um  einen 
gewissen  Bruchteil  ihres  ganzen  Wertes  zu  vergrößern.  Da- 
durch würde  die  ganze  Kurve  der  Fig.  3 ein  wenig  gehoben 
und  die  durchschnittliche  Übereinstimmung  ihres  Verlaufes  mit 
A Vff  — 0,31  noch  verbessert  werden.  Dagegen  würde  bei  den 
Ä^-Dubletts  eine  entsprechende  Korrektion  nicht  anzubringen 
sein,  weil  der  erste  Term  von  AT«  einfach  ist  und  deshalb  das 
aus  dem  zweiten  Term  berechnete  Dublett  in  der  Beobachtung 
der  JV-Serie  rein  zum  Ausdruck  kommt. 

Die  Verhältnisse  liegen  bei  der  K-  und  L-Serie  genau 
so,  wie  bei  der  Hauptserie  und  H.  Nebenserie  einerseits,  der 
I.  Nebenserie  andrerseits  der  im  vorigen  Paragraphen  bespro- 
chenen Lithium-Dubletts.  Da  der  erste  Term  der  Hauphserie 
und  der  zweite  der  H.  Nebenserie  einfach  ist,  ergaben  sich  bei 
diesen  Serien  Dubletts  von  strenge  konstanter  Schwingungs- 
differenz. Dagegen  ergab  die  Beobachtung  in  der  I.  Neben- 
serie ein  merklich  niedrigeres  A r,  welches  wir  im  Anschluß 
an  Fig.  1 auf  die  Multiplizität  des  zweiten  Terms  dieser  Serie 


198 


A.  Sommerfeld 


schoben.  Überhaupt  besteht  eine  durchgehende  Anologie  zwi- 
schen der  K-Serie  der  X-Strahlung  und  den  Hauptserien  des 
sichtbaren  Lichtes,  sowie  zwischen  der  L-Serie  der  X-Strah- 
lung und  der  sichtbaren  I.  Nebenserie.  — 

Offenbar  spielt  der  Vergröherungsfaktor  {Z — 1)*  (resp. 
allgemeiner  {Z — l)*)  bezüglich  der  Beobachtbarkeit  der  K-  und 
L-Dubletts  ganz  dieselbe  Rolle  wie  der  für  das  Funkenspek- 
trum charakteristische  Faktor  2*  = 16  bei  den  Paschen’schen 
Beobachtungen  der  i^e-Tripletts.  So  wie  diese  Tripletts  und 
die  von  uns  vermuteten  anologen  Quartetts  gegenüber  den  ent- 
sprechenden Erscheinungen  beim  Wasserstoff  versechszehnfacht 
erscheinen  und  dadurch  der  genauen  Messung  zugänglich  wer- 
den, erscheint  im  Gebiete  der  Röntgen-Strahlung  das  minu- 
tiöse Wasserstoff-Dublett  durch  den  Faktor  (Z — lü,  der  bei 
den  schweren  Elementen  von  der  Ordnung  10®  wird,  makro- 
skopisch vervielfacht;  es  ist  daher  in  diesem  Gebiete,  trotz 
seiner  einstweilen  noch  wenig  ausgebildeten  Meßtechnik,  viel 
genauer  möglich,  die  zweifache  Natur  der  Quantenbahnen  des 

Terms  festzustellen,  als  bei  der  direkten  Beobachtung  der 

Wasserstoff-Dubletts.  Man  könnte  geradezu  sagen,  daß  man 
den  genauesten  Wert  für  das  Wasserstoff-Dublett  erhält  durch 
Messung  der  Schwingungsdifferenz  von  Lß  und  L„  bei  Platin 
oder  Gold. 

Nachschrift  bei  der  Korrektur,  10.  Februar  101(5. 

1.  Die  inzwischen  von  Hrn.  Planck  veröffentlichte  Struktur- 
theorie des  Phasenraumes  (D.  physik.  Gesellschaft,  1915,  pag.  407 
und  438)  deckt  sich  in  ihrer  Anwendung  auf  das  Coulombsche 
Gesetz  (Berliner  Akademie,  16.  Dezember  1915)  vollständig  mit 
meiner  die  Phasenintegrale  betreffenden  Forderung.  Man  über- 
zeugt sich  davon  am  direktesten,  wenn  man  die  Formeln  (18) 
für  große  Achse  und  Parameter  der  quantentheoretisch  aus- 
gezeichneten Ellipsen  bei  Planck  (Berl.  Akad.)  vergleicht  mit 
meinen  Formeln  (21)  für  die  große  und  kleine  Achse  derselben 


Die  Feinstruktur  der  Wasserstofl-  etc.  Linien. 


oder  mit  den  Fig.  3,  4,  5 in  der  Abh.  I.  Die  Auffassung  der 
Balmerschen  Serie  dagegen  ist  bei  Planck  und  mir  grundsätzlich 
verschieden ; soviel  ich  sehe,  kann  die  Plaucksche  Auffassung 
keine  Rechenschaft  geben  von  den  Multiplizitäten  der  Spektral- 
linien, im  Besonderen  nicht  von  den  Wasserstoflf-Dubletts. 

2.  Die  mehrfach  betonte  Unstimmigkeit  in  der  absoluten 
Größe  des  Wasserstolf-Dubletts  läßt  sich  dadurch  beseitigen» 

2 TZ 

daß  man  die  Phasenintegrale  in  II,  § 3 nicht  von  0 bis 

erstreckt,  sondern,  ebenso  wie  bei  nicht-relativistischer  Rech- 
nung und  scheinbar  ohne  Rücksicht  auf  die  Perihelbewegung 
der  Kepler-Ellipse,  von  0 bis  2 n.  Dann  ergibt  sich  an  Stelle 
von  (12)  und  (13): 


n h 


und  an  Stelle  der  Zahlen  werte  in  (19)  und  (32) 


A = \,  B = 4,  U = 2 -t-  12  -h  24  f 4 

n J 


Der  Wert  B = 4 stimmt  mit  dem  im  Anfang  von  § 6 
aus  den  besten  Messungen  abgeleiteten  Werte  B = 3,6  über- 
ein; der  Unterschied  von  10®/o  entspricht  dabei  genau  dem 
Umstande,  daß  ebenso  wie  Li  (§  7)  oder  wie  in  der  X-Serie 
(§  8)  die  Dublettgröße  bei  Ha  um  10®/o  zu  klein  gemessen 
wird  gegenüber  dem  idealen  Grenzwert  dieses  Dubletts  in  den 
höheren  Seriengliedern.  Andererseits  stimmt  der  Wert  = 1 
überein  mit  derjenigen  Relativitätskorrektion,  die  unmittelbar 
aus  den  Kreisbahnen  berechnet  wurde  (Schluß  von  § 4),  und 
beseitigt  daher  die  störende  Diskontinuität  beim  Übergänge 
von  den  Ellipsenbahnen  mit  kleiner  Exzentrizität  zu  der  Kreis- 
bahn. Endlich  erklärt  der  gegen  früher  viermal  kleinere  Wert 
von  D auch  im  Wesentlichen  quantitativ  den  Gang  der  Kurve  in 
Fig.  3.  Die  Hebung  der  Kurve  bei  großen  Z beträgt  nämlich 
jetzt  nicht  mehr  80 “/o,  sondern  nur  20®/o(nach  den  Beobach- 
tungen waren  es  30®/o).  Unser  abgeänderter  Quantenansatz 


500  A.  tJoinmerfeld,  Die  Feinstruktur  der  Wasserstott-  etc.  Linien. 

behebt  also  alle  zahlenmäßigen  Unvollkommenheiten  unserer 
Theorie,  ohne  die  allgemeinen  Folgerungen  zu  beeinträchtigen. 
Der  neue  Ansatz  läßt  sich  auch  sehr  schön  verstehen : als 
(^uantenansatz  vom  Standpunkte  eines  mit  der  Perihelbewegun 
mitrotierenden  Koordinatensystems,  durch  dessen  Einführun 
das  Problem  der  Quantenverteilung  im  relativistischen  Falle 
reduziert  wird  auf  dasjenige  im  nicht- relativistischen  Falle 
unserer  Abhandlung  I,  so  daß  jede  Willkür  oder  Unsicherheit 
im  Ansätze  behoben  ist. 


tc  bc 


Sitzungsberichte 

der 

mathematisch-physikalischen  Klasse 

der 

K.  B.  Akademie  der  Wissenschaften 

zu  München 


1915.  Heft  I 

Januar-  bis  Märzsitzung- 


Mtochen  1915 

Verlag  der  Königlich- Fayerischen  Akademie  der  Wieeenschaften 
in  Kommission  des  6.  Frauz’sclien  Terlsgs  (J.  Roth) 


Seite 


Mitteilungen  über  die  Klasseneitzungen  vom  Januar^  Pebruar  u.  Marz  1* 

Abhandlungen.  - - 

P.  Debye:  Die  Konstitution  des  Wasserstoff- Moleküls.  . . 1. 

A.  Prihgsheiin;  Über  eine  charaktenatisQhe  Eigenschaft  söge- 

nannter  Treppenpolygone,  und  deren  Anwendung  auf  einen  - - 

Fundamentalsatz  der  Funktionentheorie-  . . . : - . 21  < ~ - 

A.  Pringsheim:  Nachtrag  zu-der  vorstehenden  Abhan^ung  . 68^.- 

5.  Finsterwalder;  Eine  neue  Lösung  der  Gründaufgabe  der  Luft- 

phötögrammetrie  . - . ^ , . ...  67 

M.  Lagally:  Zur  Theoiie  der  Wirbelschichten  . . " . . 79 

6.  Mittag-Leffler:\,Über  die  analytische  Darstellung -eines  ein-  • 


deutigen  Zweiges  einer  monogenen  Funktion  ^ . . 109 

E.  Cznher;  Eine  igepmetrische  Aufgabe  ' . - ~ - - - ■ 166 


a ; ' __ 

^ 1 


JLkademiaeb«  Bacfadrnekerei  von  F.  Straub  in  Uunohen.  . 


Sitzungsberichte 

der 

mathematisch-physikalischen  Klasse 

der 

K.  B.  Akademie  der  Wissenschaften 

zu  München 


1915.  Heft  II 

Mai-  bis  Julisitzung 


München  1915 

Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

in  KommisiHOD  des  6,  Franz'sclieu  Veclagg  (J.  Rotli) 


■ ■ - vV 


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0 


I n h a 1 1. 


Seite 

Mitteilungen  über  die  Klaasensitzungen  vnm  Mai,  Juni  und  Juli  '6* 

Abhandlangen. 

H.  Liebmann:  Die  Liesche  Geraden-Kugdtraneförmation  und  ihre 

Verallgemeinerungen  . ...  • • • -189 

S.  Finsterwalder.-^  Ül>er  die  Ausgleichung  des  zukünftigen  baye-  ^ 

/'  rischen  Hä/Uptdreiecksnetzes  . . . ' . . . 199 

A.  F,öppl:  Die  Lösung  der  Spannungsaufgabe  für  das  Ausnahme-  , 

; fachwerk  . . ...  . . . 211 

A.;'Vja38:  Über  die  Transformation  linearer  Formen  und  die  Lösung  , 
linear«-  Gleichungen  . . .,  . . . . . 231 

F.  Böhm:  Beiträge  zum  Äquivalenzproblem  der  Raumkurven  267 
0.  Szaaz:  Über  eine  besondere  Klasse  unendlicher  Kettenbrüche 

mit  komplexen  Elementen  - . . . . . ' . 281 

0.  Frank:  „Anwendung  des  Prinzips  der  gekoppelten  Schwingungen  " 

auf  einige  physiologische  Probleme  . , . • . • 289 

E.  Landau:  Über  Dirichlets  Teilerproblem  . . . . . 317 


AksübiuiKi'li«  nucti<lruckbrei  voD  P.  Straiil)  in  M Uneben. 


Sitzungsberichte 

der 

mathematisch-physikalischen  Klasse 

der 

K.  B.  Akademie  der  Wissenschaften 


zu  München 


1915.  Heft  III 

November-  und  Dezembersitzung 


München  1915 

Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 
in  Kommission  des  6.  Frsnz'schen  Verlags  (J.  RoUi) 


Seit« 


Mitteilungen  über  die  Klassensitzungen  vom  November  und  Dezember  9* 
Verzeichnis  der  itn  Jahre  1915  eingelaufenen  Druckschriften  . 13^ 


Abhandlungen. 


M.  Schmidt:  Senkungserscheinungen  an  der  Frauenkirche  in 
München  und  Lageänderung  von  Hauptdreieckspunkten  in 

Südbayern  (mit  1 Tafel)  329 

A.  Endrös:  Die  Gezeiten,  Seiches  und  Strömungen  des  Meeres 

bei  Aristoteles  365 


A.  Pringsheim:  Ober  die  Weierstraßsche  Produktdarstellung 
ganzer  transzendenter  Funktionen  und  über  bedingt  kon- 
vergente unendliche  Produkte  . . . . . . 387 


H.  Fischer;  Über  die  Einwirkung  von  Brom  auf  einige  Tyrrol- 

derivate  . - . 401 

G.  Mittag-Leffler:  Über  einen  Satz  des  Herrn  Serge  Bernstein  419 
A.  Sommerfeld:,  Zur  Theorie  der  Balmerschen  Serie  ; . 425 

A.  Sommerfeld:  Die  Feinstruktur  der  Wasserstoff-  und  der 

Wasserstoff- ähnlichen  Linien  . . . ...  . 459 


Akadtsmische  BucbdrucksrSi  vou  F,  Btniub  iu  MOucIhid. 


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